Bundesgerichtshof Urteil, 26. Jan. 2017 - 3 StR 479/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:260117U3STR479.16.0
bei uns veröffentlicht am26.01.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 479/16
vom
26. Januar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen
ECLI:DE:BGH:2017:260117U3STR479.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. Januar 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Becker,
Richter am Bundesgerichtshof Gericke, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Spaniol, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Tiemann, Dr. Berg als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof - in der Verhandlung - , Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof - bei der Verkündung - als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 31. Mai 2016, soweit es die Angeklagte M. W. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision der Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.
Die Angeklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Den mitangeklagten Ehemann der Angeklagten hat es wegen Mordes in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen "in einem besonders schweren Fall" und mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes sowie wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in vier Fällen zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich, soweit es die Angeklagte betrifft, das die Verletzung sachlichen Rechts rügende Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft sowie die auf die nicht weiter ausgeführte Verfahrensrüge und die allgemeine Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten.

I.


2
Nach den Feststellungen entwickelte der Ehemann der Angeklagten bald nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes eine heftige Eifersucht gegen das Kind, da es ihm die "Frau gestohlen" habe und er für sie nicht mehr im Mittelpunkt stand. Gleichzeitig sah er sich mit der Versorgung des Säuglings, die er meist in der Nacht übernahm, überfordert und durch die Ratschläge und Vorgaben seiner Frau bevormundet. Aus Eifersucht und Frustration, die zunehmend mit Wut gepaart waren, begann er spätestens ab dem 15. Oktober 2015 dem zu diesem Zeitpunkt 14 Tage alten Kind Schmerzen und Verletzungen zuzufügen, wobei er der Angeklagten für sichtbare Verletzungen harmlose Erklärungen lieferte. Auch in der Nacht zum 21. Oktober 2015 übernahm der Mitangeklagte die Versorgung seines Sohnes und begab sich deshalb mit ihm gegen 23.00 Uhr in das Wohnzimmer, während die Angeklagte im angrenzenden Schlafzimmer verblieb. Als er das Kind nach dem Füttern und Wickeln hochhob, glitt es ihm aus der Hand und schlug mit dem Kopf auf den Wohnzimmertisch, worauf es laut zu schreien begann. Da es dem Mitangeklagten nicht gelang, seinen Sohn zu beruhigen, beschloss er gegen Mitternacht, diesen zu töten. Zuvor nahm er über annähernd drei Stunden mehrfach Misshandlungen des Säuglings vor, indem er sich mit vollem Gewicht auf den Kopf des bäuchlings auf einem Kissen liegenden Kindes setzte und dieses, nachdem es zunächst verstummt war, dann aber wieder zu schreien angefangen hatte, mehrere Male heftig schüttelte. Auch dies führte dazu, dass das Kind eine Zeitlang ruhig wurde, bevor es wieder zu weinen begann. Schließlich missbrauchte der Mitangeklagte den Säugling sexuell, indem er seinen erigierten Penis einige Zentimeter weit in dessen Anus einführte. Obwohl die Angeklagte wiederholt das laute Geschrei des Kindes im angrenzenden Wohnzimmer hörte und erkannte, dass der Mitangeklagte dieses "quälte", gab sie sich schlafend und griff nicht ein, um ihrem Mann zu suggerieren, dass sie ihm vertraue. Dagegen traute sie ihm in Wahrheit nicht, sondern nahm zur Erreichung des genannten Zwecks billigend in Kauf, dass er dem Säugling wiederholt Schmerzen zufügte. Der Mitangeklagte, der sich durch das Nichteingreifen der Angeklagten in seinem Tötungsentschluss bestärkt sah, setzte diesen kurz vor 3.00 Uhr um, indem er das Kind mit beiden Händen an der Hüfte packte und seinen Kopf zweimal gegen die Kante des hölzernen Tisches schlug, so dass es alsbald verstarb. Dass die Angeklagte, die im angrenzenden Schlafzimmer die Schreie ihres Sohnes vernahm, es für möglich hielt, ihr Mann werde diesen töten oder durch die körperlichen Misshandlungen in die Gefahr des Todes bringen, konnte das Landgericht nicht feststellen.

II.


3
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft
4
a) Die zuungunsten der Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, führt zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung. Sie hat schon deshalb Erfolg, weil die Strafkammer den festgestellten Sachverhalt nicht unter allen rechtlichen Gesichtspunkten geprüft und damit gegen die ihr obliegende allseitige Kognitionspflicht (§ 264 StPO) verstoßen hat. Diese gebietet, dass der - durch die zugelassene Anklage abgegrenzte - Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Oktober 2009 - 4 StR 239/09, NStZ 2010, 222, 223 mwN). Der Unrechtsgehalt der Tat muss ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte Bewertung ausgeschöpft werden, soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen (BGH, Urteil vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 258/13, NStZ-RR 2014, 57). Fehlt es daran, so stellt dies einen sachlich-rechtlichen Mangel dar (vgl. KK-Kuckein, StPO, 7. Aufl., § 264 Rn. 25 mwN).
5
So liegt es hier. Das Landgericht hat das Vorliegen einer Qualifikation nach § 225 Abs. 3 StGB nur dahingehend geprüft, ob die Angeklagte durch ihr Unterlassen den Säugling in die Gefahr des Todes gebracht hat (§ 225 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 1 StGB). Hingegen hat es nicht erörtert, ob die Angeklagte den Verbrechenstatbestand gemäß § 225 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 StGB - durch Unterlassen - verwirklicht hat, obwohl nach den Feststellungen das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Vorschrift in Betracht kommt. Im Einzelnen:
6
aa) Der Qualifikationstatbestand des § 225 Abs. 3 Nr. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat, also durch einen Angriff im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB, in die konkrete Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsbeschädigung bringt (vgl. S/SStree /Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 225 Rn. 19 ff.). Entscheidend ist, dass eine der in § 225 Abs. 1 StGB umschriebenen tatbestandlichen Handlungen die naheliegende Möglichkeit begründet, sie werde zu den in den Alternativen des § 225 Abs. 3 StGB genannten Weiterungen führen (vgl. LK/Hirsch, StGB, 11. Aufl., § 225 Rn. 24). Schwere Gesundheitsbeschädigungen im Sinne des § 225 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 StGB sind dabei solche Folgen der Misshandlung, die mit einer anhaltenden nachhaltigen Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Leistungsfähigkeit verbunden sind oder in einer lebensbedrohenden, qualvollen oder ernsten und langwierigen Krankheit bestehen. Handelt es sich um eine Unterlassungstat, so begründet der Täter die tatbestandlich vorausgesetzte konkrete Gefahr einer solchen Gesundheitsbeschädigung, wenn er deren Entstehen durch sein Eingreifen hätte abwenden können. In subjektiver Hinsicht ist bezüglich der Verursachung der tatbestandlichen Gefahren des qualifizierten Falles (zumindest bedingter) Vorsatz erforderlich (BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 - 3 StR 633/14, BGHR StGB § 225 Abs. 3 Gefahr 1).
7
bb) Das Landgericht hat den Qualifikationstatbestand des § 225 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 1 StGB wegen Fehlens der subjektiven Voraussetzungen nicht als erfüllt angesehen, weil die Angeklagte mit der - tatsächlich gegebenen - Gefahr tödlicher Verletzungen des Kindes durch ihren Ehemann nicht gerechnet habe. Indessen hat es nicht geprüft, ob die Angeklagte, als sie die von ihr in Kauf genommenen Misshandlungen des Kindes durch ihren Ehemann nicht unterband, jedenfalls mit der konkreten Gefahr schwerer Gesundheitsbeschädigungen im Sinne des § 225 Abs. 3 Nr. 1 Alternative 2 StGB rechnete. Hierzu hätte aber schon deshalb Anlass bestanden, weil das später getötete Kind nach den Feststellungen erst 19 Tage alt war und im Hinblick auf die Konstitution und besondere Verletzlichkeit eines so jungen Säuglings schon bei nicht allzu gravierenden Verletzungshandlungen erhebliche körperliche Folgen eintreten können. Vor diesem Hintergrund hätte gegebenenfalls auch § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB in Betracht gezogen werden müssen.
8
b) Da das Urteil bereits deshalb der Aufhebung unterliegt, kann dahinstehen, ob das Landgericht rechtsfehlerfrei nicht auf eine Verurteilung wegen Totschlags durch Unterlassen erkannt hat.
9
Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird - wenn auch er einen Tötungsvorsatz der Angeklagten nicht sollte feststellen können - zu prüfen haben, ob möglicherweise eine Bestrafung auch wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) oder fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) durch Unterlassen in Betracht kommt. Insoweit gilt:
10
Die Möglichkeit, § 227 StGB aufgrund einer Körperverletzung durch Unterlassen zu verwirklichen, ist in der Rechtsprechung anerkannt (BGH, Urteil vom 22. November 2016 - 1 StR 354/16, NJW 2017, 418, 419 f. mwN). Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob der Rechtsauffassung des 4. Strafsenats, eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen komme nur in Betracht, wenn erst durch das Unterbleiben der gebotenen Handlung eine Todesgefahr geschaffen wird (BGH, Urteil vom 20. Juli 1995 - 4 StR 129/95, NStZ 1995, 589, 590), in dieser Allgemeinheit gefolgt werden könnte (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 20. Juli 2006 - 3 StR 244/06, StraFo 2006, 466 f.; Urteil vom 22. November 2016 - 1 StR 354/16, NJW 2017, 418, 420). Denn auch nach der Auffassung des 4. Strafsenats ist dieser Zusammenhang zwischen dem Unterlassen und der tödlichen Folge jedenfalls dann gegeben, wenn dem unterlassenden Garanten anzulasten ist, die zum Tode führenden Gewalthandlungen des aktiv Handelnden nicht verhindert zu haben (vgl. BGH, Urteile vom 30. März 1995 - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 117 ff.; vom 20. Juli 1995 - 4 StR 129/95, NStZ 1995, 589, 590).
11
Hier hat das Landgericht das Vorliegen einer Körperverletzung mit Todesfolge in subjektiver Hinsicht verneint, da die Angeklagte nicht die Vorstellung gehabt habe, dass der Mitangeklagte Körperverletzungen vornahm, die das Kind in die Gefahr des Todes brachten. Dem hat die Strafkammer die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zugrunde gelegt, wonach zur Erfüllung des Tatbestandes des § 227 StGB der Vorsatz des Unterlassungstäters sich auf solche Körperverletzungen des aktiv Handelnden beziehen muss, denen die spezifische Gefahr anhaftet, zum Tode des Opfers zu führen (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 1995 - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 118). Die Urteilsgründe lassen indes zweifelhaft erscheinen, ob das Landgericht hierbei hinreichend bedacht hat, dass sich der Vorsatz des Garanten bei einer Unterlassungstat nach § 227 StGB nur auf die Eignung der Körperverletzungshandlung, die Todesgefahr zu begründen, beziehen muss, nicht dagegen auf den Tod des Opfers als Ergebnis des Körperverletzungserfolgs. Hinsichtlich der tödlichen Folge genügt in subjektiver Hinsicht Fahrlässigkeit (§ 18 StGB). Die qualifizierende Tatfolge muss daher lediglich vorhersehbar sein. Für deren Vorhersehbarkeit reicht es aus, dass der Täter die Möglichkeit des Todeserfolgs im Ergebnis hätte erkennen können. Einer Voraussehbarkeit aller Einzelheiten des zum Tode führenden Geschehensablaufs bedarf es nicht (BGH, Urteil vom 10. Juni 2009 - 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009, 309, 310).
12
Eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen nach §§ 13, 222 StGB käme bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen hier schon dann in Betracht, wenn die Angeklagte aufgrund ihrer akustischen Wahrnehmungen hätte erkennen können, dass der Mitangeklagte im Begriff war, den gemeinsamen Sohn zu töten.
13
2. Die Revision der Angeklagten
14
Dagegen ist dem Rechtsmittel der Angeklagten der Erfolg zu versagen. Die Verfahrensrüge ist nicht näher ausgeführt und deshalb schon unzulässig im Sinne des § 344 Abs. 2 StPO. Auch die durch die Sachrüge veranlasste Überprüfung des Urteils hat Rechtsfehler nicht aufgedeckt. Der Schuldspruch wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen durch Unterlassen unterliegt keiner rechtlichen Beanstandung. Insbesondere belegen die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des angefochtenen Urteils die vom Landgericht angenommene Tatbestandsalternative des "Quälens" im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB durch Unterlassen in objektiver und subjektiver Hinsicht.
15
a) Quälen im Sinne dieser Vorschrift bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender (erheblicher) Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art. Es wird im Allgemeinen durch mehrere Tathandlungen bewirkt, wobei oft erst die ständige Wiederholung mehrerer Körperverletzungshandlungen, die für sich genommen noch nicht den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB erfüllen, den besonderen Unrechtsgehalt des Quälens verwirklichen (BGH, Urteile vom 30. März 1995 - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115; vom 17. Juli 2007 - 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306). Ob sich mehrere Körperverletzungen zu einer als Quälen zu bezeichnenden Tathandlung zusammenfügen, ist auf Grund einer Gesamtbetrachtung zu entscheiden. Dabei sind räumliche und situative Zusammenhänge, zeitliche Dichte oder eine sämtliche Einzelakte prägende Gesinnung mögliche Indikatoren (BGH, Beschlüsse vom 24. Februar 2015 - 4 StR 11/15, BGHR StGB § 225 Abs. 1 Misshandlung 1; vom 20. März 2012 - 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467). Die zugefügten Schmerzen oder Leiden müssen über die typischen Auswirkungen einzelner Körperverletzungshandlungen hinausgehen. Ist dies der Fall, so kann Quälen auch durch Unterlassen begangen werden (vgl. BGH, Urteile vom 3. Juli2003 - 4 StR 190/03, NStZ 2004, 94 f.; vom 23. Juli 2015 - 3 StR 633/14, BGHR StGB § 225 Abs. 1 Tathandlungen 1). In subjektiver Hinsicht, in der bedingter Vorsatz genügt (BGH, Urteil vom 4. August 2015 - 1 StR 624/14, NStZ 2016, 95, 97), ist es erforderlich, dass der Täter den Vorsatz hat, dem Opfer erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Auswirkungen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung verbunden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2012 - 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467 mwN; Urteil vom 23. Juli 2015 - 3 StR 633/14, BGHR StGB § 225 Abs. 1 Tathandlungen 1).
16
b) Vorliegend standen die mehrfachen, innerhalb eines Zeitraums von wenigen Stunden vorgenommenen gravierenden Verletzungshandlungen des Ehemanns der Angeklagten in einem engen zeitlichen und - bedingt durch dessen Übernahme der Versorgung des Säuglings in dieser Nacht - situativen Zusammenhang, der den Übergriffen ein besonderes Gepräge gab, so dass die dem Säugling wiederholt zugefügten erheblichen Schmerzen über die typischen Auswirkungen der einzelnen Verletzungshandlungen hinausgingen und sich als Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB darstellten. Die Feststellungen tragen auch die Annahme des Landgerichts, dass die Angeklagte es wegen des heftigen Geschreis ihres Kindes für möglich hielt, dass der Mitangeklagte den Säugling in diesem Sinne quälte, was sie aufgrund ihrer Garantenstellung zu unterbinden verpflichtet war. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann entnommen werden, dass die am Ort des Geschehens nicht anwesende Angeklagte aufgrund ihrer akustischen Wahrnehmungen nicht nur von situativ bedingten einzelnen Verletzungshandlungen ausging, sondern damit rechnete, dass der Mitangeklagte dem Säugling wiederholt erheblich wehtat, was sie hinnahm, um ihrem Mann zu zeigen, dass sie ihm vertraue. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts den Umstand, dass das Kind phasenweise still war, dahin missdeutete, dass dieses sich zwischendurch immer wieder beruhigt hatte, weil es über die vorangegangenen Schmerzen hinweggekommen war. Denn selbst wenn die Schmerzen aus ihrer Sicht immer wieder abklangen, stellte die wiederholte Misshandlung des Säuglings ein in sich geschlossenes Geschehen dar, in dem diesem immer wieder Leiden zugefügt wurde. Damit ist jedenfalls ein bedingter, auf die Zufügung über die konkrete Verletzungshandlung hinausgehender Schmerzen gerichteter Vorsatz festgestellt.
Becker Gericke Spaniol Tiemann Berg

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(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 264 Gegenstand des Urteils


(1) Gegenstand der Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt. (2) Das Gericht ist an die Beurteilung der Tat, die dem Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens zugrunde l

Strafgesetzbuch - StGB | § 13 Begehen durch Unterlassen


(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichun
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Strafgesetzbuch - StGB | § 225 Mißhandlung von Schutzbefohlenen


(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die 1. seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,2. seinem Hausstand angehört,3. von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder4.

Strafgesetzbuch - StGB | § 227 Körperverletzung mit Todesfolge


(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. (2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahre

Strafgesetzbuch - StGB | § 222 Fahrlässige Tötung


Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Strafgesetzbuch - StGB | § 18 Schwerere Strafe bei besonderen Tatfolgen


Knüpft das Gesetz an eine besondere Folge der Tat eine schwerere Strafe, so trifft sie den Täter oder den Teilnehmer nur, wenn ihm hinsichtlich dieser Folge wenigstens Fahrlässigkeit zur Last fällt.

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(2) Das Gericht ist an die Beurteilung der Tat, die dem Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens zugrunde liegt, nicht gebunden.

BUNDESGERICHTSHOF

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Maatz,
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Dr. Ernemann,
Dr. Mutzbauer,
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten B. ,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin des Angeklagten C. M. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 12. Dezember 2008, soweit es die Angeklagten B. und C. M. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine Jugendkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten des Raubes schuldig gesprochen. Es hat den Angeklagten B. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten und den Angeklagten C. M. zu einer gesonderten Jugendstrafe (§ 31 Abs. 3 JGG) von zwei Jahren verurteilt und die Vollstreckung der Strafen jeweils zur Bewährung ausgesetzt.
2
Mit ihren zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten Revisionen rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts. Hinsichtlich des Angeklagten B. beanstandet sie ferner das Verfahren. Die Staatsanwaltschaft erstrebt eine tateinheitliche Verurteilung der Angeklagten auch wegen unerlaubten Sichverschaffens von Betäubungsmitteln, unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, Geldwäsche, Hausfriedensbruchs und wegen Sachbeschädigung sowie die Verhängung höherer Strafen.
3
Die Revisionen haben schon mit der Sachrüge Erfolg. Die Verfahrensrüge bedarf daher keiner näheren Erörterung.

I.


4
Nach den Feststellungen suchten der Angeklagte B. und der frühere Mitangeklagte W. am Abend des 13. Dezember 2006 den ihnen als Drogenhändler bekannten S. in dessen Wohnung im vierten Stock eines Mehrfamilienhauses auf und erwarben von ihm Haschisch zum Eigenverbrauch. Auf dem Heimweg lehnte der Angeklagte B. den Vorschlag des Mitangeklagten W. ab, S. das möglicherweise aus Drogengeschäften stammende Bargeld, das sie auf dem Tisch in der Wohnung hatten liegen sehen, gewaltsam wegzunehmen. In der darauf folgenden Nacht traf sich der Angeklagte B. in seiner Wohnung mit seinem gesondert verfolgten Bruder M. , dem Angeklagten C. M. und dem rechtskräftig verurteilten Mitangeklagten Wi. . Sie fassten den Entschluss , S. auszurauben. Gegen 2.00 Uhr nachts gelangten sie durch die nicht verschlossene Haustür in das Wohnhaus. Dort setzten sie absprachegemäß ihre Sturmmasken auf und drückten gemeinsam "unter einigem Kraftaufwand" die Tür zu der Wohnung auf, in der S. auf einer Couch im Wohnzimmer schlief. Einer der Täter forderte den durch die Geräusche wach gewordenen S. auf, sich ruhig zu verhalten, sonst würden er und auch sein Hund "abgestochen". Danach befragt, wo das Bargeld sei, deutete S. , der wegen der Übermacht der Angreifer und der Drohung keinen Widerstand wagte, mit der Hand auf den Wohnzimmertisch. Bei der anschließenden Durchsuchung der Wohnung wurde eine Haschischplatte im Wert von etwa 400 Euro entdeckt, die Wi. an sich nahm. Der Angeklagte C. M. steckte das auf dem Wohnzimmertisch liegende Bargeld im Wert von 150 Euro ein. M. B. nahm eine Playstation an sich. Ferner wurden ein MP3-Player und eine Kamera entwendet. Nach dem Verlassen der Wohnung trennten sich die Täter und trafen sich später in der Wohnung des Angeklagten B. , wo sie die Beute untereinander verteilten. Die Haschischplatte konsumierten sie gemeinsam.

II.


5
Die Verurteilungen der Angeklagten B. und C. M. können nicht bestehen bleiben, weil die Schuldsprüche sachlich-rechtliche Fehler zum Vorteil der Angeklagten aufweisen.
6
1. Das Landgericht hat die den Angeklagten zur Last gelegte Verwendung eines Messers als Drohmittel mit rechtsfehlerfreien Erwägungen als nicht erwiesen angesehen und die Angeklagten deshalb, was von der Revision auch nicht beanstandet wird, nicht wegen schweren Raubes, sondern wegen Raubes verurteilt. Die Staatsanwaltschaft beanstandet jedoch zu Recht, dass das Landgericht damit seiner Kognitionspflicht nicht genügt hat, die gebietet, dass der durch die zugelassene Anklage abgegrenzte Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird (vgl. BGHSt 25, 72, 75; BGH NStZ 1999, 415; 2008, 471, 472). Dies stellt einen sachlichrechtlichen Mangel des Urteils dar (vgl. BGH NStZ 1983, 174, 175). Dass die den Angeklagten zur Last gelegte Tat im Anklagesatz lediglich als schwerer Raub bezeichnet wurde und dass die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft eine Verurteilung der Angeklagten nur wegen Raubes beantragte, änderte nichts an der umfassenden Kognitionspflicht des Landgerichts. Dass eine wirksame Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154 a StPO auf diese Gesetzesverletzungen erfolgt ist, lässt sich weder der Anklageschrift noch sonst den Akten entnehmen.
7
2. Das Landgericht hätte demgemäß eine Strafbarkeit der Angeklagten auch wegen folgender Gesetzesverletzungen prüfen müssen:
8
a) Der frühere Mitangeklagte Wi. , der durch das insoweit nicht angefochtene Urteil nur wegen Raubes verurteilt worden ist, hat mit der Wegnahme der Haschischplatte zugleich auch den Straftatbestand des Sichverschaffens von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG verwirklicht (vgl. Körner BtMG 6.Aufl. § 29 Rn. 1352 m.N.), möglicherweise aber auch den Verbrechenstatbestand des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, in dem der Vergehenstatbestand des Sichverschaffens von Betäubungsmitteln aufgeht (BGH StraFo 2005, 82, 83). Dass es sich um eine nicht geringe Menge Haschisch handelte, liegt im Hinblick auf den festgestellten Wert der Platte von etwa 400 Euro jedenfalls nicht fern. Es hätte deshalb der Prüfung bedurft, ob der gemeinsame Tatentschluss , dem Geschädigten das in seiner Wohnung vermutete Bargeld und andere mitnehmenswerte Gegenstände wegzunehmen und die Beute anschließend zu verteilen, auch möglicherweise in der Wohnung verwahrte Betäubungsmittel umfasste und die Angeklagten demgemäß auch hinsichtlich des Sichverschaffens und des Besitzes der Haschischplatte mittäterschaftlich handelten und das Haschisch bis zu dessen Verbrauch in Mitgewahrsam hatten (vgl. BGHR BtMG § 29 a Abs. 1 Nr. 2 Menge 10; MünchKommStGB/Kotz § 29 BtMG Rn. 954; Weber BtMG 3. Aufl. § 29 Rn. 1222). Dies liegt im Hinblick darauf , dass die Angeklagten im Tatzeitraum Haschisch konsumierten und dass sie auch das erbeutete Haschisch gemeinsam verbrauchten, nahe. Hierzu, insbesondere auch zum Wirkstoffgehalt des Haschisch, hätte es daher weiterer Feststellungen bedurft. Dass diese noch getroffen werden können, erscheint jedenfalls nicht ausgeschlossen.
9
b) Nach den Feststellungen haben die Angeklagten mit dem Eindringen in die Wohnung des Geschädigten zudem mittäterschaftlich den Straftatbestand des Hausfriedensbruchs gemäß § 123 Abs. 1 StGB verwirklicht, der zu dem nachfolgenden Raub in Tateinheit steht. Der gemäß § 123 Abs. 2 StGB erforderliche Strafantrag ist von dem in seinem Hausrecht verletzten Geschädigten form- und fristgerecht gestellt worden. Der Geschädigte hat unmittelbar nach dem Überfall die Polizei gerufen und ist noch in der Nacht polizeilich als Zeuge vernommen worden. Er hat sowohl die Vernehmungsniederschrift als auch die von einem weiteren Beamten des Kriminaldauerdienstes aufgenommene Strafanzeige unterschrieben. Der damit gegenüber der Verfolgungsbehörde erklärte Wille zur Strafverfolgung genügt den inhaltlichen Anforderungen an einen Strafantrag (vgl. Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 158 Rdn. 4 m.N.).
10
c) Entgegen der Auffassung der Revision war das Landgericht dagegen nicht gehalten, sich der Frage zuzuwenden, ob die Angeklagten sich mit der Wegnahme des möglicherweise aus Drogengeschäften stammenden Bargeldes auch wegen (versuchter) Geldwäsche strafbar gemacht haben. Sinn und Zweck der hier allein in Betracht kommenden Straftatbestände des § 261 Abs. 2 StGB ist es, den Vortäter dadurch gegenüber der Umwelt zu isolieren, dass der aus einer der in Abs. 1 Satz 2 dieser Vorschrift genannten Straftaten herrührende Gegenstand „praktisch verkehrsunfähig“ gemacht werden soll (vgl. BT-Drucks. 12/989 S. 27). Wird dem Vortäter ein solcher Gegenstand (gewaltsam) weggenommen , fehlt es am inneren Zusammenhang mit der Ächtung des Tatobjekts und dem Isolierungszweck des § 261 Abs. 2 StGB (vgl. Stree in Schönke /Schröder StGB 27. Aufl. § 261 Rdn. 13). Demgemäß ist der Raub eines sol- chen Gegenstandes kein Sichverschaffen im Sinne der Nr. 1 dieser Vorschrift (BVerfG NJW 2004, 1305, 1306; vgl. Fischer StGB 56. Aufl. § 261 Rdn. 24 m.w.N.). Für das Verwahren und Verwenden eines dem Vortäter geraubten Gegenstandes kann nichts anderes gelten.
11
d) Soweit nach den Feststellungen eine tateinheitliche Verurteilung der Angeklagten wegen mittäterschaftlich begangener Sachbeschädigung unterblieben ist, kann dahinstehen, ob Verletzter neben dem Eigentümer auch derjenige ist, der, wie der Geschädigte als Mieter, ein unmittelbares obligatorisches Recht an der beschädigten Sache, hier der Wohnungstür, hat (zum Streitstand vgl. Fischer StGB 56. Aufl. § 303 c Rdn. 3). Ob zum Zeitpunkt der Verkündung des angefochtenen Urteils der gemäß § 303 c StGB erforderliche Strafantrag vorlag, ist nunmehr ohne Belang, weil der Generalbundesanwalt „rein vorsorglich“ das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht hat und die Sache nach der aus anderen Gründen gebotenen Zurückverweisung insgesamt neu zu verhandeln ist.

III.


12
1. Die aufgezeigten Rechtsfehler nötigen zur Aufhebung des Urteils, soweit es die Angeklagten B. und C. M. betrifft, auch soweit sie des Raubes schuldig gesprochen worden sind. Eine Teilaufhebung, wie sie die Staatsanwaltschaft ursprünglich mit ihrer Revisionsbegründungsschrift beantragt hat, scheidet aus, weil der Raub und die aus den vorgenannten Gründen möglicherweise von den Angeklagten verwirklichten Gesetzesverletzungen materiell -rechtlich eine Tat bilden (vgl. BGH NStZ 1997, 276). Demgemäß ist die von der Staatsanwaltschaft vorgenommene Beschränkung der Revision unwirksam und damit unbeachtlich.
13
2. Infolge der Aufhebung der Verurteilungen müssen die Strafen neu zugemessen werden. Insoweit wird auf die Ausführungen in den Antragsschriften des Generalbundesanwalts verwiesen.
14
3. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO).
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Mutzbauer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 258/13
vom
24. Oktober 2013
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. Oktober
2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Dr. Schäfer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil der auswärtigen großen Strafkammer des Landgerichts Kleve in Moers vom 27. März 2013 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte im Tatkomplex II. 1 freigesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen des versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchter besonders schwerer Brandstiftung sowie der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz freigesprochen. Mit ihrer - nachträglich auf den Freispruch vom Vorwurf des versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchter besonders schwerer Brandstiftung beschränkten - Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
Nach den Feststellungen des Landgerichts warf der Angeklagte am 3. August 2012 gegen 0.50 Uhr eine mit einem Brandbeschleuniger gefüllte und einer Zündvorrichtung versehene Bierflasche (Molotow-Cocktail) in Richtung des geöffneten Fensters zum Zimmer der T. . Dabei nahm der Angeklagte, der zutreffend davon ausging, dass die Zeugin schlafend in ihrem Zimmer lag, deren möglichen Tod ebenso in Kauf wie einen durch die beabsichtigte Explosion verursachten Wohnungsbrand, der weitere Personen gefährden könnte. Der Brandsatz verfehlte allerdings sein Ziel, so dass die Flasche an der an das Fenster angrenzenden Hauswand abprallte und zunächst auf das Fensterbrett und dann auf den Erdboden fiel, wo sie zerbarst, ohne dass eine Detonation ausgelöst wurde. Einen von vornherein für den Fall des Fehlgehens des ersten Wurfes mitgeführten zweiten Brandsatz brachte der Angeklagte nicht mehr zum Einsatz. Vielmehr verließ er den Tatort. Die Strafkammer hat das Verhalten des Angeklagten als versuchten Mord in Tateinheit mit versuchter besonders schwerer Brandstiftung gewertet. Von dem unbeendeten Versuch sei der Angeklagte jedoch strafbefreiend zurückgetreten, weshalb er freizusprechen sei.
3
Das Urteil hat keinen Bestand, weil die Strafkammer den festgestellten Sachverhalt nicht unter allen rechtlichen Gesichtspunkten geprüft und damit gegen die ihr obliegende allseitige Kognitionspflicht (§ 264 StPO) verstoßen hat. Dies stellt einen sachlich-rechtlichen Mangel dar (vgl. KK/Kuckein, 7. Aufl., § 264 Rn. 25 mwN).
4
Die umfassende gerichtliche Kognitionspflicht gebietet, dass der - durch die zugelassene Anklage abgegrenzte - Prozessstoff durch vollständige Aburteilung des einheitlichen Lebensvorgangs erschöpft wird (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Oktober 2009 - 4 StR 239/09, NStZ 2010, 222, 223 mwN).
Der Unrechtsgehalt der Tat muss ohne Rücksicht auf die dem Eröffnungsbeschluss zugrunde gelegte Bewertung ausgeschöpft werden, soweit keine rechtlichen Gründe entgegenstehen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 264 Rn. 10; KK/Kuckein, aaO Rn. 10).
5
Dies hat das Landgericht unterlassen. Nach den Urteilsfeststellungen hatte sich der Angeklagte mit zwei selbstgebauten "Molotow-Cocktails" zu dem von der Zeugin T. bewohnten Haus begeben. Die Strafkammer hätte deshalb prüfen und entscheiden müssen, ob er damit den Straftatbestand des § 52 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 3 und Anlage 2 Abschnitt 1 1.3.4. WaffG (vgl. Steindorf/Heinrich/Papsthart-Heinrich, Waffenrecht, 9. Aufl., § 52 WaffG Rn. 3 f.) erfüllt hat. Dass diese Strafvorschrift in der - unverändert zugelassenen - Anklage nicht aufgeführt war, änderte an der Kognitionspflicht des Landgerichts nichts (§ 264 Abs. 2 StPO).
6
Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
7
Der neue Tatrichter wird den festzustellenden Sachverhalt wiederum unter allen rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen haben.
Becker Pfister Hubert Schäfer Spaniol

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die

1.
seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,
2.
seinem Hausstand angehört,
3.
von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder
4.
ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,
quält oder roh mißhandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr

1.
des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder
2.
einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
bringt.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 6 3 3 / 1 4
vom
23. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. Juli 2015,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Mayer,
Gericke
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 22. August 2014 mit den Feststellungen aufgehoben , soweit es die Angeklagte betrifft.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen und mit unterlassener Hilfeleistung zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Den Mitangeklagten E. hat es wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zur Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die (allein) gegen die Verurteilung der Angeklagten H. gerichtete Revision des Nebenklägers erstrebt deren Verurteilung wegen schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 3 StGB und rügt die Verletzung materiellen Rechts.
2
Das zulässige Rechtsmittel (§ 395 Abs. 1 Nr. 3, § 400 Abs. 1 StPO; vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2001 - 3 StR 400/00, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 11 mwN) führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den Feststellungen, soweit es die Angeklagte betrifft.

I.


3
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen das Folgende festgestellt:
4
Am 1. März 2014 war der Mitangeklagte E. ab etwa 20 Uhr in seiner Wohnung alleine mit dem rund fünf Monate alten Säugling L. , dem leiblichen Sohn seiner damaligen Lebensgefährtin - der Angeklagten H. - aus einer früheren Beziehung. Als L. quengelte, holte der Mitangeklagte E. aus dem Schlafzimmer einen selbstgebastelten Schlagstock aus Eisen und schlug damit dem Säugling - um diesen zum Schweigen zu bringen - heftig je einmal auf die linke und auf die rechte Stirnseite des Kopfes. L. erlitt hierdurch beidseitig ein schweres Schädel/Hirn-Trauma mit ausgedehntem Knochenbruchsystem in beiden Scheitelregionen. Zudem erlitt er ein subdurales Hämatom, Einblutungen in tiefergelegene Hirnstrukturen sowie massive Hämatome an der rechten Kopfschwarte und im Stirnbereich. Aufgrund der Schläge wurde L. zumindest für kurze Zeit bewusstlos und litt an neurologischen Einschränkungen, sodass er sich entweder in einem Dämmerzustand befand oder längere Zeit bewusstlos war. Deswegen hörte er unmittelbar nach den Schlägen auf, Geräusche von sich zu geben. E. nahm L. daraufhin aus dem "Maxi-Cosi", in den ihn die Angeklagte gelegt hatte, und legte ihn in das Kinderbett.
5
Etwa zehn Minuten später kam auch die Angeklagte, die von einem Imbiss Essen geholt hatte, hinzu. Als sie feststellte, dass L. nicht mehr in dem "Maxi-Cosi" lag, fragte die Angeklagte nach seinem Verbleib. E. antwortete, dass L. gequengelt und er ihn ins Bett gelegt habe. Die Angeklagte schaute daraufhin kurz im Schlafzimmer nach. Zwar zeigten sich zu diesem Zeitpunkt schon die Folgen der Schläge bei L. , die Angeklagte bemerkte diese jedoch aufgrund der Verdunklung des Schlafzimmers nicht. Auch in der Folgezeit erkannte sie den Zustand des Kindes zunächst nicht.
6
Am nächsten Morgen gegen 05:45 Uhr erwachte die Angeklagte und wollte das Kind aus dem Bett heben. Dabei fiel ihr auf, dass sein Kopf anders als gewöhnlich aussah. Daraufhin legte sie L. aufs Bett und schaltete das Licht an. In der Folge stellte sie fest, dass der gesamte Kopf des Kindes angeschwollen war, die Stirnpartie sowie die Augen lila und blau unterlaufen waren. Als sie den Kopf anfasste, fühlte sich dieser unnormal weich an. Erschrocken rief sie nach dem Mitangeklagten E. und sagte, er solle sich L. anschauen , der Kopf sei weich und blau. Auf die Frage der Angeklagten, was passiert sei, antwortete E. , es sei nichts passiert und gab sich erstaunt über das Aussehen des Säuglings. Obgleich der Angeklagten sofort klar war, dass L. in ärztliche Behandlung musste, unternahm sie zunächst nichts. Sie hatte Angst, dass ihr - ginge sie ins Krankenhaus - das Kind weggenommen würde. Zudem vermutete sie eine Beteiligung von E. an den Verletzungen und wollte diesen möglicherweise schützen. Es besteht indes kein Anhalt für die Annahme , dass sie mit dem Tode des Kindes rechnete und ihn billigend in Kauf nahm. Die Angeklagte entschloss sich sodann, zunächst ihre Mutter zu kontaktieren , um diese um Rat zu bitten. Nachdem die Mutter jedoch nicht ans Telefon ging, begab sich die Angeklagte zurück zu L. in das Schlafzimmer.
7
Etwa gegen 08:30 Uhr gelang es der Angeklagten, ihre Mutter zu erreichen. Sie erzählte ihr wahrheitswidrig, sie sei mit L. auf der Treppe gestürzt und dieser sei nun am Kopf verletzt. Die Mutter kam daraufhin zur Wohnung gefahren, holte die Angeklagte und L. ab und brachte diesen in die Kinderklinik , wo er etwa gegen elf Uhr aufgenommen werden konnte. Das Kind war zu diesem Zeitpunkt ruhig und in einem Dämmerzustand, wenngleich es aufgrund der Schwellung unter Schmerzen litt. Seine Stirnpartie war stark angeschwollen und zeigte - wie auch im Bereich der Augen - eine bläulich/lila Verfärbung. Die Augen waren teilweise zugeschwollen.
8
Der Säugling musste rund drei Wochen in stationärer Behandlung bleiben. Er wurde einige Tage nach seiner Aufnahme am Kopf operiert, wobei die Impressionsfraktur behoben und die subduralen sowie die intrazerebralen Blutungsanteile ausgeräumt wurden. Nach seiner Entlassung entwickelte er sich altersgerecht, wenngleich er Entwicklungsverzögerungen im motorischen Bereich zeigt. Ob bei ihm dauerhafte Folgeschäden auftreten werden, ist (noch) nicht absehbar. In vergleichbaren Fällen kommt es bei etwa 40 Prozent der Kinder zu Folgeschäden bis hin zu massiven körperlichen und geistigen Behinderungen. Da bei der Operation ein Teil des beschädigten Gehirngewebes entfernt werden musste, besteht auch die Gefahr, dass sich eine Epilepsie entwickelt.
9
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das Landgericht die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5, § 13 StGB in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB und mit unterlassener Hilfeleistung gemäß § 323c StGB schuldig gesprochen. Soweit das Landgericht bei der rechtlichen Würdigung § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nennt, handelt es sich ersichtlich um ein Schreibversehen, wie sich aus der Liste der angewendeten Vorschriften und dem allein auf § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB gestützten Schuldspruch gegen den Mitangeklagten E. ergibt.

II.


10
Das Urteil gegen die Angeklagte hat auf die Revision des Nebenklägers keinen Bestand, da es sowohl zu ihrem Vorteil als auch zu ihrem Nachteil durchgreifende Rechtsfehler enthält; letzteres ist auf die Revision des Nebenklägers ebenfalls zu berücksichtigen (§ 301 StPO entsprechend; vgl. § 401 Abs. 3 Satz 1 StPO).
11
1. Wie der Nebenkläger zu Recht beanstandet, hat das Landgericht zum Vorteil der Angeklagten rechtsfehlerhaft nicht geprüft, ob sie den Verbrechenstatbestand gemäß § 225 Abs. 3 Nr. 1 und 2 StGB - gegebenenfalls durch Unterlassen - verwirklicht hat, obwohl es von einer durch die Angeklagte begangenen Tat gemäß § 225 Abs. 1 StGB ausgegangen und nach den Feststellungen des Landgerichts die Verwirklichung aller Alternativen des Qualifikationstatbestandes jedenfalls nicht ausgeschlossen ist. Dies führt wegen der Einheitlichkeit der Tat zur Aufhebung des Urteils insgesamt, soweit es die Angeklagte betrifft. Ohne Belang ist insoweit, dass die tateinheitliche ausgeurteilte unterlassene Hilfeleistung kein Nebenklagedelikt ist (vgl. § 395 Abs. 1 bis 3 StPO).
12
Im Einzelnen:
13
Der Verbrechenstatbestand des § 225 Abs. 3 StGB setzt voraus, dass der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat, also durch einen Angriff im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB, in die konkrete Gefahr des Todes, einer schweren Gesundheitsbeschädigung (Nr. 1; vgl. S/S-Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 225 Rn. 19 ff.) oder in die konkrete Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bringt (Nr. 2). Entscheidend ist danach, dass eine der in § 225 Abs. 1 StGB umschriebenen tatbe- standlichen Handlungen die naheliegende Möglichkeit begründet, sie werde zu den in den Alternativen des § 225 Abs. 3 StGB genannten Weiterungen führen (vgl. LK/Hirsch, StGB, 11. Aufl., § 225 Rn. 24). Unter schweren Gesundheitsbeschädigungen im Sinne der Nummer 1 sind solche Gesundheitsschäden zu verstehen, die mit einer anhaltenden nachhaltigen Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Leistungsfähigkeit verbunden sind oder in einer lebensbedrohenden , qualvollen oder ernsten und langwierigen Krankheit bestehen. Die in der Nummer 2 genannte erhebliche Entwicklungsschädigung erfordert , dass der normale Ablauf des körperlichen oder seelischen Entwicklungsprozesses dauernd oder nachhaltig gestört ist (vgl. LK/Hirsch, aaO, Rn. 25 mwN). Handelt es sich um eine Unterlassungstat, so begründet der Täter die tatbestandlich vorausgesetzte konkrete Gefahr, wenn er deren Entstehen durch sein Eingreifen hätte abwenden können. Auch wenn vor der Tat bereits Schäden oder die Gefahr von Schäden im Sinne der Qualifikation gemäß § 225 Abs. 3 StGB bestehen, kann der Tatbestand gleichwohl verwirklicht werden. Zur Hervorrufung ("bringen") der für den qualifizierten Fall vorausgesetzten Gefahren ist dann aber erforderlich, dass die Tat die Gefahr verursacht, die bereits vorhandenen oder zu befürchtenden Schäden in erheblichem Maß zu vergrößern bzw. die wegen einer bereits gegebenen individuellen Schadensdisposition bestehenden Gefahren messbar zu steigern (vgl. S/S-Stree/SternbergLieben , aaO, Rn. 22; BeckOK-StGB/Eschelbach, § 225 Rn. 33). In subjektiver Hinsicht ist bezüglich der Verursachung der tatbestandlichen Gefahren des qualifizierten Falles (zumindest bedingter) Vorsatz erforderlich.
14
Das Vorliegen dieser tatbestandlichen Voraussetzungen kann im vorliegenden Fall nicht abschließend beurteilt werden, da das Landgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob und ggf. wie sich die durch den Mitangeklagten E. bewirkten Verletzungen des Kindes während der Zeit, in der die Angeklagte eine ärztliche Versorgung pflichtwidrig unterlassen hat, hinsichtlich der tatbestandlichen Gefahren entwickelt haben. Eine wesentliche Gefahrerhöhung im Sinne von § 225 Abs. 3 StGB in diesem Zeitraum kann indes - vor allem mit Blick auf das bestehende subdurale Hämatom und die Einblutungen in die Hirnstrukturen - auch nicht ausgeschlossen werden.
15
2. Der Schuldspruch ist indes auch zum Nachteil der Angeklagten rechtsfehlerhaft. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils, das keinerlei Subsumtion enthält, belegen - neben dem unzweifelhaft bestehenden Schutzverhältnis zwischen der Angeklagten und ihrem Sohn - keine der in den Tatbestandsalternativen des § 225 Abs. 1 StGB bezeichneten Tathandlungen hinreichend und tragen daher die Verurteilung der Angeklagten wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen nicht.
16
Im Einzelnen:
17
Das Quälen, das rohe Misshandeln und die böswillige Fürsorgepflichtverletzung sind selbständige Begehungsformen der Misshandlung Schutzbefohlener gemäß § 225 Abs. 1 StGB. Die beiden Tatalternativen des Quälens und des Misshandelns können durch aktives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen begangen werden. Bei der Alternative des böswilligen Vernachlässigens der Fürsorgepflicht handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 15).
18
a) Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender (erheblicher) Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art. Es wird im Allgemeinen durch mehrere Tathandlungen bewirkt, wobei oft erst deren ständige Wiederholung den be- sonderen Unrechtsgehalt des Quälens verwirklicht (BGH, Urteile vom 30. März 1995 - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115; vom 17. Juli 2007 - 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306). Die zugefügten Schmerzen oder Leiden müssen über die typischen Auswirkungen einzelner Körperverletzungshandlungen hinausgehen. Ist dies der Fall, so kann Quälen durch Unterlassen allerdings auch dadurch verwirklicht werden, dass die gebotene ärztliche Hilfe durch die Eltern des Kindes nicht veranlasst wird (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 17). In subjektiver Hinsicht ist es erforderlich, dass der Täter den Vorsatz hat, dem Opfer erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Auswirkungen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung verbunden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2012 - 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467 mwN). Diese tatbestandlichen Voraussetzungen belegen die Feststellungen weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht. Die Angeklagte hat dadurch, dass sie es nach dem Erkennen der schweren Verletzung ihres Kindes über mehrere Stunden pflichtwidrig unterlassen hat, den Säugling einer ärztlichen Versorgung zuzuführen, nach den bisherigen Feststellungen bei diesem keine Schmerzen oder Leiden im Sinne von § 225 Abs. 1 Alternative 1 StGB verursacht, die über die Folgen der durch den Mitangeklagten E. begangenen Körperverletzung des Säuglings und ihrer eigenen, durch das pflichtwidrige Unterlassen an dem Kind begangenen Körperverletzung hinausgingen. Den Urteilsgründen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Angeklagte einen entsprechenden Vorsatz hatte.
19
b) Rohes Misshandeln im Sinne der Vorschrift liegt vor, wenn der Täter einem anderen eine Körperverletzung aus gefühlloser Gesinnung zufügt, die sich in erheblichen Handlungsfolgen äußert. Eine gefühllose Gesinnung ist gegeben , wenn der Täter bei der Misshandlung das - notwendig als Hemmung wirkende - Gefühl für das Leiden des Misshandelten verloren hat, das sich bei jedem menschlich und verständlich Denkenden eingestellt haben würde (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 - 5 StR 44/07, NStZ 2007, 405 mwN). Dass die Angeklagte die durch ihr pflichtwidriges Unterlassen begangene Körperverletzung des Kindes aus einer solchen Gesinnung heraus begangen hat, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Vielmehr war nach den bisherigen Feststellungen nicht Gefühllosigkeit der Grund für ihr pflichtwidriges Verhalten gegenüber ihrem Säugling, sondern die Furcht, bei Aufsuchen eines Krankenhauses das Kind zu verlieren und möglicherweise der Wille, ihren Lebensgefährten , den Mitangeklagten E. , zu schützen, da sie dessen Beteiligung an den schweren Verletzungen des Kindes vermutete.
20
c) Die Misshandlung eines Schutzbefohlenen ist schließlich auch gegeben , wenn der Täter durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für die schutzbedürftige Person zu sorgen, diese an der Gesundheit schädigt. Böswillig handelt, wer seine Pflicht für einen anderen zu sorgen, aus einem verwerflichen Beweggrund vernachlässigt (vgl. LK/Hirsch, aaO, Rn. 18). Das Gesinnungsmerkmal der Böswilligkeit ist gekennzeichnet durch feindseliges Verhalten aus Bosheit, Lust an fremdem Leid, Hass und anderen verwerflichen Gründen, etwa auch aus Geiz und Eigensucht. Gleichgültigkeit, Abgestumpftheit oder Schwäche sowie Überforderung wegen mangelnder Reife reichen hingegen in der Regel nicht aus (vgl. LK/Hirsch, aaO). Bei der Prüfung von Böswilligkeit, die eine Erforschung der Motive des Täters erfordert, sind psychopathologische Befunde, wie Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen zu berücksichtigen (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 24 ff. mwN). Daran gemessen ist auch die Verwirklichung dieser Tatbestandsalternative durch die Angeklagte jedenfalls nicht hinreichend belegt. Die festgestellten Motive der Angeklagten für ihr pflichtwidriges Verhalten - die Angst, ihr werde das Kind weggenommen und der Schutz ihres Freundes, des Mitangeklagten E. - sind jedenfalls nicht ohne weiteres unter das Merkmal der Böswilligkeit zu subsumieren, zumal das Landgericht sie auch nicht entsprechend, etwa als selbstsüchtig und verwerflich , bewertet hat.
21
3. Der Senat weist den neuen Tatrichter darauf hin, dass er alle in Tateinheit mit dem Nebenklagedelikt stehenden Delikte - auch Offizialdelikte - erneut zu prüfen haben wird (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 1993 - 5 StR 539/93, BGHSt 39, 390, 391; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 400 Rn. 7a mwN). Hinsichtlich der tateinheitlich abgeurteilten unterlassenen Hilfeleistung gemäß § 323c StGB gilt, dass diese regelmäßig als subsidiär hinter einer durch Unterlassen begangenen gefährlichen Körperverletzung und/oder der Misshandlung eines Schutzbefohlenen zurücktritt bzw. von diesen verdrängt wird (vgl. MüKoStGB/Freund, 2. Aufl., § 13 Rn. 289, 291, § 323c Rn. 125 ff.).
Becker Pfister Hubert RiBGH Mayer befindet sich Gericke im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die

1.
seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,
2.
seinem Hausstand angehört,
3.
von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder
4.
ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,
quält oder roh mißhandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr

1.
des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder
2.
einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
bringt.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 354/16
vom
22. November 2016
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_____________________________
Bei einer Körperverletzung durch Unterlassen mit Todesfolge ist der erforderliche
spezifische Gefahrzusammenhang regelmäßig – soweit nicht allgemeine Gründe für
einen Ausschluss der Zurechenbarkeit der schweren Folge eingreifen – gegeben,
wenn der Garant in einer ihm vorwerfbaren Weise den lebensgefährlichen Zustand
herbeigeführt hat, aufgrund dessen der Tod der zu schützenden Person eintritt.
BGH, Urteil vom 22. November 2016 – 1 StR 354/16 – LG Bamberg
ECLI:DE:BGH:2016:221116U1STR354.16.0

in der Strafsache gegen

wegen Mordes und versuchten Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. November 2016, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Graf als Vorsitzender,
die Richterin am Bundesgerichtshof Cirener, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Radtke, Prof. Dr. Mosbacher und die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Rechtsanwalt als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte – in der Verhandlung –, Justizobersekretärin – bei der Verkündung – als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 10. Dezember 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtmittels, an eine andere als Schwurgerichtskammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, vor allem gegen die Beweiswürdigung des Tatgerichts gerichteten Revision.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts traf der an einer Abhängigkeit von Opiaten, Benzodiazepinen, Amphetaminen und Gammabutyrolacton (letzteres nachfolgend: GBL) leidende Angeklagte in der Tatnacht in einem Bamberger „Club“ auf eine Gruppe, zu der auch die später Geschädigten G. und B. gehörten. G. lud die Gruppe und den Angeklagten dazu ein, in der Wohngemeinschaft des Geschädigten G. weiter zu feiern. Unmittelbar nach Eintreffen dort konsumierte der Angeklagte auf der Toilette GBL in einer Dosis von etwa 2 bis 2,5 ml. Die Konsummenge entnahm er mittels einer Spritze einer ½-Liter PET-Flasche, die mit unverdünntem und hochkonzentriertem GBL gefüllt war. Diese Flasche führte er in seiner Hosentasche mit sich.
3
Im Wohnzimmer stellte der Angeklagte die Flasche auf dem Boden neben seinen Füßen ab. Zumindest gegenüber einigen der in der Wohnung Anwesenden äußerte er, dass sich in der Flasche GBL befinde und dieses nur in ganz kleinen Konsumeinheiten eingenommen werden dürfe. Zwischen 4.45 Uhr und 5.00 Uhr nahm der zu diesem Zeitpunkt stark alkoholisierte später verstorbene G. die PET-Flasche des Angeklagten an sich und trank daraus eine nicht näher bekannte Menge GBL. Anschließend reichte er die Flasche an den ebenfalls erheblich unter Alkoholeinfluss stehenden ZeugenB. weiter. Dieser trank wenige Schlucke des GBL. Beiden war bewusst, dass sich GBL in der Flasche befand. Sie gingen jedoch jeweils von einer konsumfähigen, keine Lebensgefahr hervorrufenden Dosierung aus. Der Angeklagte hatte die Einnahme des GBL durch den Zeugen B. gesehen.Über den Konsum seitens des später verstorbenen Geschädigten G. unterrichteten ihn andere in der Wohnung Anwesende.
4
B. und G. hielten sich noch kurze Zeit im Wohnzimmer auf. Aufgrund der Wirkungen des GBL wurden sie jedoch müde und gingen in das Schlafzimmer von G. , wo sie alsbald einschliefen. In der Folgezeit begab sich der Angeklagte wie andere in der Wohnung befindliche Personen auch in das Schlafzimmer, um nach beiden zu sehen. Dabei hatten diese Personen nicht den Eindruck, die schlafenden B. und G. befänden sich in Lebensgefahr. Während seines Aufenthalts im Schlafzimmer erhielt der Angeklagte keine Informationen, die auf eine Verschlechterung des Zustands der beiden hätten hindeuten können. Im weiteren Verlauf des Geschehens wurden die beiden Geschädigten von den Zeugen Bu. undGr. auf dem Bett jeweils in eine stabile Seitenlage gebracht und beobachtet.
5
Einige Zeit später kehrte der Zeuge W. , ein weiteres Mitglied der Wohngemeinschaft, in die Wohnung zurück. Gemeinsam mit dem Angeklagten begab er sich in das Schlafzimmer des Geschädigten G. . Dort wurde der Zeuge über den GBL-Konsum der beiden unterrichtet. Der Zeuge W. erkannte keine gefährliche Situation für die Geschädigten. Veranlassung, Rettungskräfte zu verständigen, sah er daher nicht. Vielmehr ging er davon aus, dass die Zeugen Bu. und Gr. , den er – ebenso wie der Angeklagte – fälschlich für einen Sanitäter hielt, sich weiter um die Geschädigten kümmerten. Der Zeuge W. forderte die noch anwesenden Gäste auf, die Wohnung zu verlassen. Nachdem der Angeklagte noch einmal mit W. gesprochen hatte, kam er dessen Verlangen nach und verließ die Wohnung.
6
Als der Zeuge W. erneut in das Schlafzimmer des Geschädigten G. kam, sah W. , dass dessen Gesundheitszustand sich erheblich verschlechtert hatte und der Geschädigte sich in lebensbedrohlichem Zustand befand. Der Zeuge setzte einen Notruf ab. Beide Geschädigten wurden in ein Krankenhaus eingeliefert. Der Geschädigte G. war vor dem Transport dorthin durch einen Notarzt reanimiert worden. G. verstarb vier Tage später infolge des durch das GBL verursachten Atemstillstands und einer dadurch hervorgerufenen hypoxischen Hirnschädigung. Der Zeuge B. wurde zwischenzeitlich maschinell beatmet und konnte bereits an dem auf die Tat folgenden Tag ohne überdauernde gesundheitliche Beeinträchtigungen aus stationärer Behandlung entlassen werden.
7
2. Das Landgericht hat das Geschehen als durch den Angeklagten im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit begangene fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) zum Nachteil des getöteten G. in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB) zu Lasten des Zeugen B. gewertet. Die Überzeugung vom Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes bei dem Angeklagten hat es sich weder bezogen auf den Zeitpunkt des Abstellens der Flasche mit dem GBL auf dem Fußboden des Wohnzimmers noch für den der Wahrnehmung des Konsums durch B. und G. oder auf einen späteren Zeitpunkt, etwa dem der Kenntnis des Angeklagten davon, dass die Geschädigten schlafend auf dem Bett lagen, zu bilden vermocht (UA S. 28). Insbesondere ergaben sich nach der Wertung des Landgerichts keine Umstände , aus denen ausreichend tragfähig darauf hätte geschlossen werden können, dass der Angeklagte den Tod der beiden Geschädigten bzw. eines von ihnen billigend in Kauf genommen hatte (UA S. 29 ff.).

II.


8
Die vom Generalbundesanwalt teilweise vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
9
Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) zum Nachteil des verstorbenen G. abgelehnt hat, weisen durchgreifende Rechtsfehler auf. Insbesondere ist vom Landgericht nicht erkennbar in den Blick genommen worden, dass nach den getroffenen Feststellungen als Grunddelikt der Erfolgsqualifikation des § 227 StGB eine Körperverletzung durch Unterlassen (§ 223 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB) in Betracht kam. In Bezug auf Straftaten zum Nachteil des geschädigten Zeugen B. ist das Landgericht seiner Kognitionspflicht nicht in vollem Umfang nachgekommen, weil es die angeklagte Tat ausschließlich als durch positives Tun begangene fahrlässige Körperverletzung gemäß § 229 StGB, nicht aber unter dem Aspekt einer durch Unterlassen verwirklichten vorsätzlichen Körperverletzung gewürdigt hat.
10
1. Das Tatgericht hat eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 Abs. 1 StGB zu Lasten des Geschädigten G. mit der Begründung verneint, es habe sich nicht von der Begehung einer vorsätzlichen Körperverletzung durch den Angeklagten überzeugen können (UA S. 34). Dies hält revisionsrechtlicher Überprüfung in mehrfacher Hinsicht nicht stand.
11
a) Ausdrückliche beweiswürdigende Erwägungen zu den Gründen, aufgrund derer das Landgericht eine solche Überzeugung nicht hat gewinnen können , enthält das angefochtene Urteil nicht. Aus dessen Gesamtzusammenhang lassen sich für das Revisionsgericht nachvollziehbar dargelegte Gründe dafür allenfalls insoweit entnehmen, als Körperverletzungsvorsatz für den Zeitpunkt bzw. Zeitraum vor dem Konsum des GBL durch die Geschädigten verneint wird. Nach den getroffenen Feststellungen und der zugrundeliegenden Beweiswürdigung hätte der Angeklagte zwar bei dem Abstellen der Flasche mit dem GBL im Wohnzimmer angesichts des Zustands der übrigen Gäste in der Wohnung damit rechnen müssen, dass die Kenntnis vom Vorhandensein des Stoffs „Neu- gierde und Begehrlichkeiten“ bei diesen wecken würde (UA S. 7). DasTatge- richt hat aber gerade nicht feststellen können, dass der Angeklagte bezogen auf das Abstellen der Flasche und die Mitteilung über ihren Inhalt, die Möglichkeit eines Konsums durch in der Wohnung Anwesende und dadurch bewirkter gesundheitlicher Beeinträchtigungen konkret erkannt hat. Diese Wertung wird durch die übrigen Feststellungen und die Beweiswürdigung insgesamt auch ohne nähere Ausführungen getragen.
12
b) Die tatrichterliche Beweiswürdigung lässt aber nicht erkennen, aus welchen Gründen es an einem jedenfalls auf das Merkmal der Gesundheitsschädigung i.S.v. § 223 Abs. 1 StGB bezogenen Vorsatz des Angeklagten für den Zeitraum nach dem von diesem beobachteten (bzgl. des geschädigten Zeugen B. ) bzw. ihm bekannt gewordenen (bzgl. des Geschädigten G. ) Konsum von GBL durch die Geschädigten fehlen soll. Das Landgericht hat – anders als bzgl. seiner Ausführungen zu einem durch Unterlassen (§ 13 Abs. 1 StGB) verwirklichten Totschlag (§ 212 StGB) oder Mord (§ 211 StGB) zum Nachteil von G. – die Möglichkeit einer Strafbarkeit wegen Körperverletzung durch Unterlassen zu Lasten beider Geschädigter aufgrund des Verhaltens des Angeklagten nach Kenntnis der durch Trinken aus der Flasche erfolgten Aufnahme von GBL nicht erkennbar in Betracht gezogen. Es fehlt dementsprechend an einer Beweiswürdigung, die die Wertung des Landgerichts stützen könnte, vom Vorliegen eines Körperverletzungsvorsatzes nicht überzeugt zu sein. Einer solchen Beweiswürdigung hätte es aber bedurft. Nach den im Übrigen getroffenen Feststellungen kam eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Körperverletzung durch Unterlassen (§ 223 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB) zu Lasten beider Geschädigter in Betracht.
13
aa) Vorsätzliche Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB kann durch einen Garanten verwirklicht werden, wenn er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges trotz vorhandener Möglichkeit dazu pflichtwidrig nicht abwendet. Ein von § 223 Abs. 1 StGB erfasster Erfolg in Gestalt der Gesundheitsschädigung kann auch darin liegen, dass bei einem behandlungsbedürftigen Zustand einer Person die gebotene ärztliche Versorgung nicht bewirkt wird (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juli 1995 – 4 StR 129/95, NStZ 1995, 589 mwN; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Januar 1989 – 2 Ss 302/88, NStZ 1989, 269 f.; BeckOKStGB /Eschelbach, 32. Edition, § 223 Rn. 30 mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 23. Oktober 2007 – 1 StR 238/07 [insoweit in NStZ 2008, 150 f. nicht abgedruckt ]).
14
(1) Eine solche Situation war auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen gegeben, nachdem die Geschädigten unverdünntes GBL in nicht genau bekannter Menge direkt aus der Flasche des Angeklagten getrunken hatten. Wie sich aus dem angefochtenen Urteil ergibt, bewirkt GBL im Verlaufe der Zeit eine Atemdepression und im Weiteren eine Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff, wenn nicht rechtzeitig – wie beim geschädigten Zeugen B. – eine künstliche Beatmung erfolgt. Unterbleibt die gebotene ärztliche Behandlung , erweist sich die Verschlechterung des durch die Wirkung des GBL ohnehin hervorgerufenen pathologischen Zustands als Gesundheitsschädigung i.S.v. § 223 Abs. 1 StGB. Diese hätte durch das Herbeirufen ärztlicher Hilfe abgewendet werden können.
15
(2) Für die Abwendung dieses Erfolges der Körperverletzung hatte der Angeklagte gemäß § 13 Abs. 1 StGB auch rechtlich einzustehen. Dies resultiert aus seiner tatsächlichen Herrschaft über die von ihm in die Wohnung mitgebrachte und dort für andere zugängliche Flasche mit dem hochgradig gesundheits - und lebensgefährlichen GBL (BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21 Rn. 9).
16
(3) Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen war seine aus der Herrschaft über die Gefahrenquelle resultierende Pflicht zur Abwendung der vorstehend dargestellten Gesundheitsschädigung auch nicht durch eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung der Geschädigten B. und G. ausgeschlossen. Denn es mangelt bereits an der Eigenverantwortlichkeit der Selbstgefährdung beider. Diese setzt voraus, dass der sich selbst Gefährdende (oder Verletzende) das eingegangene Risiko für das betroffene eigene Rechtsgut jedenfalls in seinem wesentlichen Grad zutreffend erkannt hat (BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21 Rn. 17; in der Sache ebenso bereits BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 169 f. Rn. 80), wenn ihm auch nicht sämtliche rechtsgutbezogenen Risiken im Einzelnen bekannt zu sein brauchen (so BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; siehe zudem BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 169 f. Rn. 80 f.; BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21 Rn. 17). Nach den tatgerichtlichen Feststellungen haben beide Geschädigte das Ausmaß des mit dem Trinken des GBL aus der Flasche verbundenen Risikos grundlegend verkannt. Sie gingen nämlich beide von einer Konzentration des Wirkstoffs in einer konsumfähigen Dosis (UA S. 7), d.h. in einer verdünnten Form aus. Angesichts des tatsächlich unverdünnten und hochkonzentrierten GBL war ihnen damit der wesentliche Grad des mit dem Konsum für ihre jeweilige Gesundheit verbundenen Risikos nicht bewusst. Bereits dies schließt die Eigenverantwortlichkeit aus. Zudem standen beide Geschädigte im Zeitpunkt der Einnahme unter nicht unerheblichem Einfluss von Alkohol sowie THC, Amphetamin und (insoweit nur der Geschädigte G. ) Methamphetamin (UA S. 10 f.). Das ist regelmäßig für die Fähigkeit zur Risikoeinschätzung von nicht unerheblicher Bedeutung.
17
bb) Drängte sich daher das Vorliegen des äußeren Tatbestandes von Körperverletzungen durch Unterlassen zum Nachteil beider Geschädigter auf, hätte das Landgericht den jeweils darauf bezogenen, wenigstens bedingten Vorsatz des Angeklagten beweiswürdigend näher erörtern müssen. Daran fehlt es.
18
cc) Beweiswürdigende Darlegungen zum Vorsatz einer Körperverletzung zu Lasten beider Geschädigter durch Unterlassen waren nicht deshalb verzichtbar , weil das Landgericht mit einer für sich genommen rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung einen (wenigstens) bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten hinsichtlich beider Geschädigter für den Zeitraum nach der Einnahme des GBL durch B. und G. ausgeschlossen hat (UA S. 28 ff.). Entgegen der Auffassung der Revision hat das Landgericht zwar, insbesondere aus den Wahrnehmungen der übrigen Gäste in der Wohnung und vor allem des Zeugen W. über den Gesundheitszustand der beiden Geschädigten, den möglichen Schluss gezogen, dass auch der Angeklagte aufgrund der ihm bekannten konkreten Umstände nach dem Konsum nicht von einer konkret lebensbedrohlichen Lage ausgegangen und den Tod beider nicht billigend in Kauf genommen hat (UA S. 29 und 30). Diese Erwägungen schließen jedoch einen (bedingten) Körperverletzungsvorsatz, der auf eine – nicht notwendig lebensbedrohliche – Verschlechterung des Gesundheitszustandes und der Möglichkeit von deren Abwendung gerichtet ist, nicht aus.
19
c) Hinsichtlich des Geschädigten G. kam darüber hinaus auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Körperverletzung durch Unterlassen mit Todesfolge (§ 227 Abs.1, § 13 Abs. 1 StGB) in Betracht.
20
aa) Die Möglichkeit, § 227 StGB durch einen Garanten aufgrund einer Körperverletzung durch Unterlassen zu verwirklichen, ist in der Rechtsprechung (BGH, Urteile vom 30. März 1995 – 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 118 und vom 20. Juli 1995 – 4 StR 129/95, NStZ 1995, 589 f.; Beschluss vom 20. Juli 2006 – 3 StR 244/06, StraFo 2006, 466 f.; vgl. auch Urteil vom 23. Oktober 2007 – 1 StR 238/07 Rn. 30 [insoweit in NStZ 2008, 150 f. nicht abgedruckt]) und der Strafrechtswissenschaft (siehe nur Ingelfinger GA 1997, 573 ff.; BeckOK-StGB/ Eschelbach aaO § 227 Rn. 3 und 11; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 227 Rn. 1 und 6a; Hardtung in Münchener Kommentar zum StGB, Band 1, 3. Aufl., § 18 Rn. 47; Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 227 Rn. 1) anerkannt.
21
bb) Nach den bislang vom Landgericht getroffenen Feststellungen ist eine Strafbarkeit des Angeklagten gemäß § 227 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB auch nicht aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen. Weder die sogenannte Modalitätenäquivalenz (§ 13 Abs. 1 StGB „das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht“) noch der bei erfolgsqualifizierten Delikten erforderliche spezifische Gefahrzusammenhang stünden entgegen.
22
Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob der in dem Urteil des 4. Strafsenats vom 20. Juli 1995 (4 StR 129/95, NStZ 1995, 589 f.) geäußerten Rechtsauffassung, in Fällen, in denen die Körperverletzung durch Unterlassen verwirklicht werde, komme eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung mit Todesfolge nur in Betracht, wenn erst durch das Unterbleiben der gebotenen Handlung eine Todesgefahr geschaffen wird, in dieser Allgemeinheit gefolgt werden könnte (BGH, Beschluss vom 20. Juli 2006 – 3 StR 244/06, StrafFo 2006, 466 f.). Denn der 4. Strafsenat hat in dem genannten Urteil entschieden, von den vorgenannten Voraussetzungen sei „ohne Weiteres in den Fällen auszugehen , in denen erst der Unterlassungstäter den zum Tode führenden Zustand verursacht hat“ (BGH aaO NStZ 1995, 589, 590). Dementsprechend hatte derselbe Senat in einer früheren Entscheidung die Verurteilungen der dortigen Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge in einer Fallgestaltung nicht beanstandet, in der diese ihr Kind unzureichend versorgt und der dadurch hervorgerufene atrophische Zustand die unmittelbare Ursache für den später – bei dem Bemühen, nunmehrdas Kind mit Nahrung zu versorgen – eingetretenen Erstickungstod des Kindes bildete (BGH, Beschluss vom 18. März 1982 – 4 StR 12/82 bei Holtz MDR 1982, 624, zustimmendWolter GA 1984, 443, 446). Soweit in der Strafrechtswissenschaft das Urteil des 4. Strafsenats vom 20. Juli 1995 (aaO) dahingehend gedeutet wird, der Senat habe sämtliche Fallgestaltungen aus dem Anwendungsbereich von § 227 StGB226 StGB aF) ausnehmen wollen, in denen das Unterlassen an eine erhebliche lebensgefährliche Vorschädigung des später zu Tode Gekommenen anknüpft (Ingelfinger GA 1997, 573, 582), findet dies in dem Urteil selbst so keine Stütze. Vielmehr hat der 4. Strafsenat unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, vom Vorliegen des spezifischen Gefahrzusammenhangs stets bei Verursachung des zum Tode führenden Zustands durch den Garanten auszugehen (BGH aaO NStZ 1995, 589, 590). In Übereinstimmung damit ist der Senat der Auffassung, dass der spezifische Gefahrzusammenhang bei einer Körperverletzung durch Unterlassen mit Todesfolge (§ 227 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB) regelmäßig – soweit nicht allgemeine Gründe eines Ausschlusses der Zurechenbarkeit der schweren Folge eingreifen – dann gegeben ist, wenn der Garant bereits in einer ihm vorwerfbaren Weise den lebensgefährlichen Zustand herbeigeführt hat, aufgrund dessen der Tod der zu schützenden Person eintritt. In welchen Konstellationen darüber hinaus die Voraussetzungen einer Körperverletzung durch Unterlassen mit Todesfolge gegeben sein können, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
23
Bei Anwendung der vorgenannten Maßstäbe kam eine Strafbarkeit des Angeklagten aus § 227 StGB zu Lasten des Geschädigten G. in Betracht. Diese hat das Landgericht aus den dargelegten Gründen mit rechtsfehlerhafter Begründung verneint.
24
2. Im Hinblick auf nach den getroffenen Feststellungen ernsthaft in Betracht kommende Straftaten zum Nachteil des geschädigten Zeugen B. ist eine solche – wie dargelegt – wegen Körperverletzung durch Unterlassen vom Landgericht unter Verstoß gegen seine Pflicht zur erschöpfenden Aburteilung der angeklagten Tat (§ 264 StPO) nicht erörtert worden.
25
3. Die teils rechtsfehlerhafte, teils unterbliebene Erörterung vorsätzlicher Körperverletzungsdelikte zum Nachteil beider Geschädigter führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Da das Landgericht bezüglich vorsätzlicher Körperverletzungsdelikte zu Lasten des verstorbenen Geschädigten G. einen solchen Vorsatz rechtsfehlerhaft verneint hat, bedarf es auch der Aufhebung der zugrunde liegenden Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO). Um dem neuen Tatrichter widerspruchsfreie Feststellungen zu sämtlichen in Betracht kommenden Straftatbeständen zu Lasten der beiden Geschädigten zu ermöglichen , erfasst die Aufhebung sämtliche Feststellungen.

III.


26
1. Soweit die Staatsanwaltschaft sich dagegen wendet, dass das Tatgericht bedingten Tötungsvorsatz (auch) für den Zeitraum nach dem ihm bekannten Konsum des GBL durch die Geschädigten verneint hat, bliebe das Rechtsmittel ohne Erfolg. Wie in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts näher ausgeführt, enthält die zugrunde liegende Beweiswürdigung keine durchgreifenden Rechtsfehler (siehe auch bereits oben Rn. 17).
27
2. Dagegen hielte die Annahme durch den Konsum von Benzodiazepinen und GBL bei Tatbegehung bewirkter erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) des Angeklagten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat sich im Rahmen der Beweiswürdigung letztlich darauf beschränkt , dem Gutachten des gehörten psychiatrischen Sachverständigen zu folgen, der aufgrund der Mischintoxikation vom Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung und „im vorliegenden Fall“ von erheblich geminderter Steuerungsfähigkeit ausgegangen ist (UA S. 32 f.). Es wäre aber geboten gewesen , die wesentlichen Anknüpfungspunkte und Darlegungen des Sachverständigen im Urteil so wiederzugeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich gewesen wäre (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15, NStZRR 2016, 135 f.; vom 27. Januar 2016 – 2 StR 314/15 und vom 20. April 2016 – 1 StR 62/16, NStZ-RR 2016, 239 f. mwN).
28
3. Sollte das neue Tatgericht sich bezüglich Taten zum Nachteil des verstorbenen Geschädigten G. weder vom Vorliegen der Voraussetzungen eines Tötungsdelikts durch Unterlassen noch einer Körperverletzung durch Unterlassen mit Todesfolge überzeugen können, werden diejenigen einer Strafbarkeit wegen Aussetzung mit Todesfolge gemäß § 221 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 StGB zu bedenken sein.
Graf Cirener Radtke
Mosbacher Fischer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 244/06
vom
20. Juli 2006
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 20. Juli 2006 einstimmig

beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 10. Februar 2006 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: Das von der Revisionsbegründung der Angeklagten B. ins Feld geführte Urteil des 4. Strafsenats vom 20. Juli 1995 (NJW 1995, 3194 f.) steht der Entscheidung nicht entgegen. Es erscheint bereits fraglich, ob der im Leitsatz dieses Urteils geäußerten Rechtsauffassung, in den Fällen, in denen die Körperverletzung durch Unterlassen verwirklicht werde, komme eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung mit Todesfolge nur in Betracht, wenn erst durch das Unterbleiben der gebotenen Handlung eine Todes gefahr geschaffen werde, in dieser Allgemeinheit gefolgt werden kann (vgl. zur Kritik Wolters JR 1996, 471 f.; Ingelfinger GA 1997, 573 ff.). Dies bedarf hier keiner Vertiefung, da auch der 4. Strafsenat in seiner Begründung eingeräumt hat, dass die Rechtslage sich anders darstellen könne, wenn durch die Untätigkeit die von der Vorschädigung ausgehende Lebensgefahr erheblich erhöht wird. So liegt es aber hier. Anders als in dem jenem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt, in dem die Lebensge- fahr nur erkennbar war und der Körperverletzungsvorwurf "lediglich" im Unterlassen von schmerzlindernden Maßnahmen gesehen wurde, hat hier die Angeklagte erkannt, dass sich der Gesundheitszustand ihres am Kopf schwer getroffenen Kindes dermaßen verschlechtert hatte, dass es zur Vermeidung einer weiteren Verschlechterung mit möglicherweise tödlichem Ausgang dringend geboten war, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ihr war somit bewusst, dass das Kind infolge der Unterlassung versterben könne, wobei das Landgericht ein vorsätzliches Tötungsdelikt nur mit der wenig überzeugenden Begründung verneint hat, die Todesfolge sei nicht billigend in Kauf genommen worden.
Bei dieser Sachlage ist die Annahme des Straftatbestandes des § 227 StGB nicht zu beanstanden, weil die Angeklagte durch ihre Untätigkeit eine Körperverletzung in Form der Herbeiführung einer wesentlichen weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Kindes durch Unterlassen begangen hat, der typischerweise die Gefahr des Todes anhaftete.
Winkler Miebach Pfister RiBGH von Lienen ist infolge Urlaubs Becker gehindert zu unterschreiben. Winkler

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 354/16
vom
22. November 2016
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_____________________________
Bei einer Körperverletzung durch Unterlassen mit Todesfolge ist der erforderliche
spezifische Gefahrzusammenhang regelmäßig – soweit nicht allgemeine Gründe für
einen Ausschluss der Zurechenbarkeit der schweren Folge eingreifen – gegeben,
wenn der Garant in einer ihm vorwerfbaren Weise den lebensgefährlichen Zustand
herbeigeführt hat, aufgrund dessen der Tod der zu schützenden Person eintritt.
BGH, Urteil vom 22. November 2016 – 1 StR 354/16 – LG Bamberg
ECLI:DE:BGH:2016:221116U1STR354.16.0

in der Strafsache gegen

wegen Mordes und versuchten Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. November 2016, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Graf als Vorsitzender,
die Richterin am Bundesgerichtshof Cirener, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Radtke, Prof. Dr. Mosbacher und die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Rechtsanwalt als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte – in der Verhandlung –, Justizobersekretärin – bei der Verkündung – als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 10. Dezember 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtmittels, an eine andere als Schwurgerichtskammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, vor allem gegen die Beweiswürdigung des Tatgerichts gerichteten Revision.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts traf der an einer Abhängigkeit von Opiaten, Benzodiazepinen, Amphetaminen und Gammabutyrolacton (letzteres nachfolgend: GBL) leidende Angeklagte in der Tatnacht in einem Bamberger „Club“ auf eine Gruppe, zu der auch die später Geschädigten G. und B. gehörten. G. lud die Gruppe und den Angeklagten dazu ein, in der Wohngemeinschaft des Geschädigten G. weiter zu feiern. Unmittelbar nach Eintreffen dort konsumierte der Angeklagte auf der Toilette GBL in einer Dosis von etwa 2 bis 2,5 ml. Die Konsummenge entnahm er mittels einer Spritze einer ½-Liter PET-Flasche, die mit unverdünntem und hochkonzentriertem GBL gefüllt war. Diese Flasche führte er in seiner Hosentasche mit sich.
3
Im Wohnzimmer stellte der Angeklagte die Flasche auf dem Boden neben seinen Füßen ab. Zumindest gegenüber einigen der in der Wohnung Anwesenden äußerte er, dass sich in der Flasche GBL befinde und dieses nur in ganz kleinen Konsumeinheiten eingenommen werden dürfe. Zwischen 4.45 Uhr und 5.00 Uhr nahm der zu diesem Zeitpunkt stark alkoholisierte später verstorbene G. die PET-Flasche des Angeklagten an sich und trank daraus eine nicht näher bekannte Menge GBL. Anschließend reichte er die Flasche an den ebenfalls erheblich unter Alkoholeinfluss stehenden ZeugenB. weiter. Dieser trank wenige Schlucke des GBL. Beiden war bewusst, dass sich GBL in der Flasche befand. Sie gingen jedoch jeweils von einer konsumfähigen, keine Lebensgefahr hervorrufenden Dosierung aus. Der Angeklagte hatte die Einnahme des GBL durch den Zeugen B. gesehen.Über den Konsum seitens des später verstorbenen Geschädigten G. unterrichteten ihn andere in der Wohnung Anwesende.
4
B. und G. hielten sich noch kurze Zeit im Wohnzimmer auf. Aufgrund der Wirkungen des GBL wurden sie jedoch müde und gingen in das Schlafzimmer von G. , wo sie alsbald einschliefen. In der Folgezeit begab sich der Angeklagte wie andere in der Wohnung befindliche Personen auch in das Schlafzimmer, um nach beiden zu sehen. Dabei hatten diese Personen nicht den Eindruck, die schlafenden B. und G. befänden sich in Lebensgefahr. Während seines Aufenthalts im Schlafzimmer erhielt der Angeklagte keine Informationen, die auf eine Verschlechterung des Zustands der beiden hätten hindeuten können. Im weiteren Verlauf des Geschehens wurden die beiden Geschädigten von den Zeugen Bu. undGr. auf dem Bett jeweils in eine stabile Seitenlage gebracht und beobachtet.
5
Einige Zeit später kehrte der Zeuge W. , ein weiteres Mitglied der Wohngemeinschaft, in die Wohnung zurück. Gemeinsam mit dem Angeklagten begab er sich in das Schlafzimmer des Geschädigten G. . Dort wurde der Zeuge über den GBL-Konsum der beiden unterrichtet. Der Zeuge W. erkannte keine gefährliche Situation für die Geschädigten. Veranlassung, Rettungskräfte zu verständigen, sah er daher nicht. Vielmehr ging er davon aus, dass die Zeugen Bu. und Gr. , den er – ebenso wie der Angeklagte – fälschlich für einen Sanitäter hielt, sich weiter um die Geschädigten kümmerten. Der Zeuge W. forderte die noch anwesenden Gäste auf, die Wohnung zu verlassen. Nachdem der Angeklagte noch einmal mit W. gesprochen hatte, kam er dessen Verlangen nach und verließ die Wohnung.
6
Als der Zeuge W. erneut in das Schlafzimmer des Geschädigten G. kam, sah W. , dass dessen Gesundheitszustand sich erheblich verschlechtert hatte und der Geschädigte sich in lebensbedrohlichem Zustand befand. Der Zeuge setzte einen Notruf ab. Beide Geschädigten wurden in ein Krankenhaus eingeliefert. Der Geschädigte G. war vor dem Transport dorthin durch einen Notarzt reanimiert worden. G. verstarb vier Tage später infolge des durch das GBL verursachten Atemstillstands und einer dadurch hervorgerufenen hypoxischen Hirnschädigung. Der Zeuge B. wurde zwischenzeitlich maschinell beatmet und konnte bereits an dem auf die Tat folgenden Tag ohne überdauernde gesundheitliche Beeinträchtigungen aus stationärer Behandlung entlassen werden.
7
2. Das Landgericht hat das Geschehen als durch den Angeklagten im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit begangene fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) zum Nachteil des getöteten G. in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB) zu Lasten des Zeugen B. gewertet. Die Überzeugung vom Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes bei dem Angeklagten hat es sich weder bezogen auf den Zeitpunkt des Abstellens der Flasche mit dem GBL auf dem Fußboden des Wohnzimmers noch für den der Wahrnehmung des Konsums durch B. und G. oder auf einen späteren Zeitpunkt, etwa dem der Kenntnis des Angeklagten davon, dass die Geschädigten schlafend auf dem Bett lagen, zu bilden vermocht (UA S. 28). Insbesondere ergaben sich nach der Wertung des Landgerichts keine Umstände , aus denen ausreichend tragfähig darauf hätte geschlossen werden können, dass der Angeklagte den Tod der beiden Geschädigten bzw. eines von ihnen billigend in Kauf genommen hatte (UA S. 29 ff.).

II.


8
Die vom Generalbundesanwalt teilweise vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
9
Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) zum Nachteil des verstorbenen G. abgelehnt hat, weisen durchgreifende Rechtsfehler auf. Insbesondere ist vom Landgericht nicht erkennbar in den Blick genommen worden, dass nach den getroffenen Feststellungen als Grunddelikt der Erfolgsqualifikation des § 227 StGB eine Körperverletzung durch Unterlassen (§ 223 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB) in Betracht kam. In Bezug auf Straftaten zum Nachteil des geschädigten Zeugen B. ist das Landgericht seiner Kognitionspflicht nicht in vollem Umfang nachgekommen, weil es die angeklagte Tat ausschließlich als durch positives Tun begangene fahrlässige Körperverletzung gemäß § 229 StGB, nicht aber unter dem Aspekt einer durch Unterlassen verwirklichten vorsätzlichen Körperverletzung gewürdigt hat.
10
1. Das Tatgericht hat eine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 Abs. 1 StGB zu Lasten des Geschädigten G. mit der Begründung verneint, es habe sich nicht von der Begehung einer vorsätzlichen Körperverletzung durch den Angeklagten überzeugen können (UA S. 34). Dies hält revisionsrechtlicher Überprüfung in mehrfacher Hinsicht nicht stand.
11
a) Ausdrückliche beweiswürdigende Erwägungen zu den Gründen, aufgrund derer das Landgericht eine solche Überzeugung nicht hat gewinnen können , enthält das angefochtene Urteil nicht. Aus dessen Gesamtzusammenhang lassen sich für das Revisionsgericht nachvollziehbar dargelegte Gründe dafür allenfalls insoweit entnehmen, als Körperverletzungsvorsatz für den Zeitpunkt bzw. Zeitraum vor dem Konsum des GBL durch die Geschädigten verneint wird. Nach den getroffenen Feststellungen und der zugrundeliegenden Beweiswürdigung hätte der Angeklagte zwar bei dem Abstellen der Flasche mit dem GBL im Wohnzimmer angesichts des Zustands der übrigen Gäste in der Wohnung damit rechnen müssen, dass die Kenntnis vom Vorhandensein des Stoffs „Neu- gierde und Begehrlichkeiten“ bei diesen wecken würde (UA S. 7). DasTatge- richt hat aber gerade nicht feststellen können, dass der Angeklagte bezogen auf das Abstellen der Flasche und die Mitteilung über ihren Inhalt, die Möglichkeit eines Konsums durch in der Wohnung Anwesende und dadurch bewirkter gesundheitlicher Beeinträchtigungen konkret erkannt hat. Diese Wertung wird durch die übrigen Feststellungen und die Beweiswürdigung insgesamt auch ohne nähere Ausführungen getragen.
12
b) Die tatrichterliche Beweiswürdigung lässt aber nicht erkennen, aus welchen Gründen es an einem jedenfalls auf das Merkmal der Gesundheitsschädigung i.S.v. § 223 Abs. 1 StGB bezogenen Vorsatz des Angeklagten für den Zeitraum nach dem von diesem beobachteten (bzgl. des geschädigten Zeugen B. ) bzw. ihm bekannt gewordenen (bzgl. des Geschädigten G. ) Konsum von GBL durch die Geschädigten fehlen soll. Das Landgericht hat – anders als bzgl. seiner Ausführungen zu einem durch Unterlassen (§ 13 Abs. 1 StGB) verwirklichten Totschlag (§ 212 StGB) oder Mord (§ 211 StGB) zum Nachteil von G. – die Möglichkeit einer Strafbarkeit wegen Körperverletzung durch Unterlassen zu Lasten beider Geschädigter aufgrund des Verhaltens des Angeklagten nach Kenntnis der durch Trinken aus der Flasche erfolgten Aufnahme von GBL nicht erkennbar in Betracht gezogen. Es fehlt dementsprechend an einer Beweiswürdigung, die die Wertung des Landgerichts stützen könnte, vom Vorliegen eines Körperverletzungsvorsatzes nicht überzeugt zu sein. Einer solchen Beweiswürdigung hätte es aber bedurft. Nach den im Übrigen getroffenen Feststellungen kam eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Körperverletzung durch Unterlassen (§ 223 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB) zu Lasten beider Geschädigter in Betracht.
13
aa) Vorsätzliche Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB kann durch einen Garanten verwirklicht werden, wenn er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges trotz vorhandener Möglichkeit dazu pflichtwidrig nicht abwendet. Ein von § 223 Abs. 1 StGB erfasster Erfolg in Gestalt der Gesundheitsschädigung kann auch darin liegen, dass bei einem behandlungsbedürftigen Zustand einer Person die gebotene ärztliche Versorgung nicht bewirkt wird (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juli 1995 – 4 StR 129/95, NStZ 1995, 589 mwN; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Januar 1989 – 2 Ss 302/88, NStZ 1989, 269 f.; BeckOKStGB /Eschelbach, 32. Edition, § 223 Rn. 30 mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 23. Oktober 2007 – 1 StR 238/07 [insoweit in NStZ 2008, 150 f. nicht abgedruckt ]).
14
(1) Eine solche Situation war auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen gegeben, nachdem die Geschädigten unverdünntes GBL in nicht genau bekannter Menge direkt aus der Flasche des Angeklagten getrunken hatten. Wie sich aus dem angefochtenen Urteil ergibt, bewirkt GBL im Verlaufe der Zeit eine Atemdepression und im Weiteren eine Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff, wenn nicht rechtzeitig – wie beim geschädigten Zeugen B. – eine künstliche Beatmung erfolgt. Unterbleibt die gebotene ärztliche Behandlung , erweist sich die Verschlechterung des durch die Wirkung des GBL ohnehin hervorgerufenen pathologischen Zustands als Gesundheitsschädigung i.S.v. § 223 Abs. 1 StGB. Diese hätte durch das Herbeirufen ärztlicher Hilfe abgewendet werden können.
15
(2) Für die Abwendung dieses Erfolges der Körperverletzung hatte der Angeklagte gemäß § 13 Abs. 1 StGB auch rechtlich einzustehen. Dies resultiert aus seiner tatsächlichen Herrschaft über die von ihm in die Wohnung mitgebrachte und dort für andere zugängliche Flasche mit dem hochgradig gesundheits - und lebensgefährlichen GBL (BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21 Rn. 9).
16
(3) Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen war seine aus der Herrschaft über die Gefahrenquelle resultierende Pflicht zur Abwendung der vorstehend dargestellten Gesundheitsschädigung auch nicht durch eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung der Geschädigten B. und G. ausgeschlossen. Denn es mangelt bereits an der Eigenverantwortlichkeit der Selbstgefährdung beider. Diese setzt voraus, dass der sich selbst Gefährdende (oder Verletzende) das eingegangene Risiko für das betroffene eigene Rechtsgut jedenfalls in seinem wesentlichen Grad zutreffend erkannt hat (BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21 Rn. 17; in der Sache ebenso bereits BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 169 f. Rn. 80), wenn ihm auch nicht sämtliche rechtsgutbezogenen Risiken im Einzelnen bekannt zu sein brauchen (so BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; siehe zudem BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 169 f. Rn. 80 f.; BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21 Rn. 17). Nach den tatgerichtlichen Feststellungen haben beide Geschädigte das Ausmaß des mit dem Trinken des GBL aus der Flasche verbundenen Risikos grundlegend verkannt. Sie gingen nämlich beide von einer Konzentration des Wirkstoffs in einer konsumfähigen Dosis (UA S. 7), d.h. in einer verdünnten Form aus. Angesichts des tatsächlich unverdünnten und hochkonzentrierten GBL war ihnen damit der wesentliche Grad des mit dem Konsum für ihre jeweilige Gesundheit verbundenen Risikos nicht bewusst. Bereits dies schließt die Eigenverantwortlichkeit aus. Zudem standen beide Geschädigte im Zeitpunkt der Einnahme unter nicht unerheblichem Einfluss von Alkohol sowie THC, Amphetamin und (insoweit nur der Geschädigte G. ) Methamphetamin (UA S. 10 f.). Das ist regelmäßig für die Fähigkeit zur Risikoeinschätzung von nicht unerheblicher Bedeutung.
17
bb) Drängte sich daher das Vorliegen des äußeren Tatbestandes von Körperverletzungen durch Unterlassen zum Nachteil beider Geschädigter auf, hätte das Landgericht den jeweils darauf bezogenen, wenigstens bedingten Vorsatz des Angeklagten beweiswürdigend näher erörtern müssen. Daran fehlt es.
18
cc) Beweiswürdigende Darlegungen zum Vorsatz einer Körperverletzung zu Lasten beider Geschädigter durch Unterlassen waren nicht deshalb verzichtbar , weil das Landgericht mit einer für sich genommen rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung einen (wenigstens) bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten hinsichtlich beider Geschädigter für den Zeitraum nach der Einnahme des GBL durch B. und G. ausgeschlossen hat (UA S. 28 ff.). Entgegen der Auffassung der Revision hat das Landgericht zwar, insbesondere aus den Wahrnehmungen der übrigen Gäste in der Wohnung und vor allem des Zeugen W. über den Gesundheitszustand der beiden Geschädigten, den möglichen Schluss gezogen, dass auch der Angeklagte aufgrund der ihm bekannten konkreten Umstände nach dem Konsum nicht von einer konkret lebensbedrohlichen Lage ausgegangen und den Tod beider nicht billigend in Kauf genommen hat (UA S. 29 und 30). Diese Erwägungen schließen jedoch einen (bedingten) Körperverletzungsvorsatz, der auf eine – nicht notwendig lebensbedrohliche – Verschlechterung des Gesundheitszustandes und der Möglichkeit von deren Abwendung gerichtet ist, nicht aus.
19
c) Hinsichtlich des Geschädigten G. kam darüber hinaus auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Körperverletzung durch Unterlassen mit Todesfolge (§ 227 Abs.1, § 13 Abs. 1 StGB) in Betracht.
20
aa) Die Möglichkeit, § 227 StGB durch einen Garanten aufgrund einer Körperverletzung durch Unterlassen zu verwirklichen, ist in der Rechtsprechung (BGH, Urteile vom 30. März 1995 – 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 118 und vom 20. Juli 1995 – 4 StR 129/95, NStZ 1995, 589 f.; Beschluss vom 20. Juli 2006 – 3 StR 244/06, StraFo 2006, 466 f.; vgl. auch Urteil vom 23. Oktober 2007 – 1 StR 238/07 Rn. 30 [insoweit in NStZ 2008, 150 f. nicht abgedruckt]) und der Strafrechtswissenschaft (siehe nur Ingelfinger GA 1997, 573 ff.; BeckOK-StGB/ Eschelbach aaO § 227 Rn. 3 und 11; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 227 Rn. 1 und 6a; Hardtung in Münchener Kommentar zum StGB, Band 1, 3. Aufl., § 18 Rn. 47; Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 227 Rn. 1) anerkannt.
21
bb) Nach den bislang vom Landgericht getroffenen Feststellungen ist eine Strafbarkeit des Angeklagten gemäß § 227 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB auch nicht aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen. Weder die sogenannte Modalitätenäquivalenz (§ 13 Abs. 1 StGB „das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht“) noch der bei erfolgsqualifizierten Delikten erforderliche spezifische Gefahrzusammenhang stünden entgegen.
22
Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob der in dem Urteil des 4. Strafsenats vom 20. Juli 1995 (4 StR 129/95, NStZ 1995, 589 f.) geäußerten Rechtsauffassung, in Fällen, in denen die Körperverletzung durch Unterlassen verwirklicht werde, komme eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung mit Todesfolge nur in Betracht, wenn erst durch das Unterbleiben der gebotenen Handlung eine Todesgefahr geschaffen wird, in dieser Allgemeinheit gefolgt werden könnte (BGH, Beschluss vom 20. Juli 2006 – 3 StR 244/06, StrafFo 2006, 466 f.). Denn der 4. Strafsenat hat in dem genannten Urteil entschieden, von den vorgenannten Voraussetzungen sei „ohne Weiteres in den Fällen auszugehen , in denen erst der Unterlassungstäter den zum Tode führenden Zustand verursacht hat“ (BGH aaO NStZ 1995, 589, 590). Dementsprechend hatte derselbe Senat in einer früheren Entscheidung die Verurteilungen der dortigen Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge in einer Fallgestaltung nicht beanstandet, in der diese ihr Kind unzureichend versorgt und der dadurch hervorgerufene atrophische Zustand die unmittelbare Ursache für den später – bei dem Bemühen, nunmehrdas Kind mit Nahrung zu versorgen – eingetretenen Erstickungstod des Kindes bildete (BGH, Beschluss vom 18. März 1982 – 4 StR 12/82 bei Holtz MDR 1982, 624, zustimmendWolter GA 1984, 443, 446). Soweit in der Strafrechtswissenschaft das Urteil des 4. Strafsenats vom 20. Juli 1995 (aaO) dahingehend gedeutet wird, der Senat habe sämtliche Fallgestaltungen aus dem Anwendungsbereich von § 227 StGB226 StGB aF) ausnehmen wollen, in denen das Unterlassen an eine erhebliche lebensgefährliche Vorschädigung des später zu Tode Gekommenen anknüpft (Ingelfinger GA 1997, 573, 582), findet dies in dem Urteil selbst so keine Stütze. Vielmehr hat der 4. Strafsenat unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, vom Vorliegen des spezifischen Gefahrzusammenhangs stets bei Verursachung des zum Tode führenden Zustands durch den Garanten auszugehen (BGH aaO NStZ 1995, 589, 590). In Übereinstimmung damit ist der Senat der Auffassung, dass der spezifische Gefahrzusammenhang bei einer Körperverletzung durch Unterlassen mit Todesfolge (§ 227 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB) regelmäßig – soweit nicht allgemeine Gründe eines Ausschlusses der Zurechenbarkeit der schweren Folge eingreifen – dann gegeben ist, wenn der Garant bereits in einer ihm vorwerfbaren Weise den lebensgefährlichen Zustand herbeigeführt hat, aufgrund dessen der Tod der zu schützenden Person eintritt. In welchen Konstellationen darüber hinaus die Voraussetzungen einer Körperverletzung durch Unterlassen mit Todesfolge gegeben sein können, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
23
Bei Anwendung der vorgenannten Maßstäbe kam eine Strafbarkeit des Angeklagten aus § 227 StGB zu Lasten des Geschädigten G. in Betracht. Diese hat das Landgericht aus den dargelegten Gründen mit rechtsfehlerhafter Begründung verneint.
24
2. Im Hinblick auf nach den getroffenen Feststellungen ernsthaft in Betracht kommende Straftaten zum Nachteil des geschädigten Zeugen B. ist eine solche – wie dargelegt – wegen Körperverletzung durch Unterlassen vom Landgericht unter Verstoß gegen seine Pflicht zur erschöpfenden Aburteilung der angeklagten Tat (§ 264 StPO) nicht erörtert worden.
25
3. Die teils rechtsfehlerhafte, teils unterbliebene Erörterung vorsätzlicher Körperverletzungsdelikte zum Nachteil beider Geschädigter führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Da das Landgericht bezüglich vorsätzlicher Körperverletzungsdelikte zu Lasten des verstorbenen Geschädigten G. einen solchen Vorsatz rechtsfehlerhaft verneint hat, bedarf es auch der Aufhebung der zugrunde liegenden Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO). Um dem neuen Tatrichter widerspruchsfreie Feststellungen zu sämtlichen in Betracht kommenden Straftatbeständen zu Lasten der beiden Geschädigten zu ermöglichen , erfasst die Aufhebung sämtliche Feststellungen.

III.


26
1. Soweit die Staatsanwaltschaft sich dagegen wendet, dass das Tatgericht bedingten Tötungsvorsatz (auch) für den Zeitraum nach dem ihm bekannten Konsum des GBL durch die Geschädigten verneint hat, bliebe das Rechtsmittel ohne Erfolg. Wie in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts näher ausgeführt, enthält die zugrunde liegende Beweiswürdigung keine durchgreifenden Rechtsfehler (siehe auch bereits oben Rn. 17).
27
2. Dagegen hielte die Annahme durch den Konsum von Benzodiazepinen und GBL bei Tatbegehung bewirkter erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) des Angeklagten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat sich im Rahmen der Beweiswürdigung letztlich darauf beschränkt , dem Gutachten des gehörten psychiatrischen Sachverständigen zu folgen, der aufgrund der Mischintoxikation vom Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung und „im vorliegenden Fall“ von erheblich geminderter Steuerungsfähigkeit ausgegangen ist (UA S. 32 f.). Es wäre aber geboten gewesen , die wesentlichen Anknüpfungspunkte und Darlegungen des Sachverständigen im Urteil so wiederzugeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich gewesen wäre (st. Rspr.; etwa BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15, NStZRR 2016, 135 f.; vom 27. Januar 2016 – 2 StR 314/15 und vom 20. April 2016 – 1 StR 62/16, NStZ-RR 2016, 239 f. mwN).
28
3. Sollte das neue Tatgericht sich bezüglich Taten zum Nachteil des verstorbenen Geschädigten G. weder vom Vorliegen der Voraussetzungen eines Tötungsdelikts durch Unterlassen noch einer Körperverletzung durch Unterlassen mit Todesfolge überzeugen können, werden diejenigen einer Strafbarkeit wegen Aussetzung mit Todesfolge gemäß § 221 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 StGB zu bedenken sein.
Graf Cirener Radtke
Mosbacher Fischer

(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

Knüpft das Gesetz an eine besondere Folge der Tat eine schwerere Strafe, so trifft sie den Täter oder den Teilnehmer nur, wenn ihm hinsichtlich dieser Folge wenigstens Fahrlässigkeit zur Last fällt.

(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.

(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die

1.
seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,
2.
seinem Hausstand angehört,
3.
von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder
4.
ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,
quält oder roh mißhandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr

1.
des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder
2.
einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
bringt.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

5 StR 92/07

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 17. Juli 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Juli 2007,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Häger,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Brause,
Richter Prof. Dr. Jäger
alsbeisitzendeRichter,
Richterin am Landgericht
alsVertreterinderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
alsVerteidiger,
Rechtsanwalt
alsVertreterderNebenklägerin,
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 27. September 2006 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist. Davon ausgenommen bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen in den Verurteilungsfällen; diese bleiben aufrechterhalten.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in fünf Fällen, Misshandlung von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, Misshandlung von Schutzbefohlenen in drei Fällen und vorsätzlicher Körperverletzung in 24 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Von sieben weiteren Tatvorwürfen hat es den Angeklagten freigesprochen. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt, so unter anderem die fehlende Prüfung einer Strafbarkeit wegen eines versuchten Tötungsdelikts und die Nichtanwendung des § 225 Abs. 1 und 3 StGB für einige Taten. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat weitgehend Erfolg.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
2
a) Der Angeklagte ist der Vater der am 28. März 1999 geborenen M. M. . Seine Tochter lebte bis Sommer 2005 von ihm getrennt bei ihrer Mutter. Nachdem das Jugendamt die Mutter für überfordert erachtet hatte, das Kind zu erziehen, erklärte sich der Angeklagte bereit, M. zu sich zu nehmen. Altersgerecht entwickelt zog sie am 17. Oktober 2005 zu ihrem Vater, der mit seiner Lebensgefährtin und den gemeinsamen ein und zwei Jahre alten Töchtern zusammenlebte. Während die jüngeren Kinder angemessen versorgt wurden, bekam M. nur unzureichend zu essen, so dass sie Hunger litt. Sie erhielt hauptsächlich über mehrere Tage hinweg nur „Buchstabensuppe“. Auch wenn sie um weitere Nahrung bat, bekam sie nichts anderes zu essen. M. magerte sichtbar ab, sie wurde immer schwächer und apathisch. Schon kurze Zeit nach ihrem Einzug misshandelte der Angeklagte das Mädchen mindestens einmal täglich schwer. Er ließ sie Rechen- und Schreibübungen durchführen, welche die gerade erst eingeschulte M. nicht bewältigen konnte, was er zum Anlass für Misshandlungen und zur Nahrungsverweigerung nahm. M. ging nicht zur Schule; der Angeklagte hatte sie dort entschuldigt. Gegenüber seiner Lebensgefährtin , die er mit Gewalttätigkeiten davon abhielt, M. zu helfen, äußerte er mehrfach, dass er „die Missgeburt am liebsten im Kanal versenken würde“.
3
b) Im Einzelnen führte der Angeklagte zwischen dem 28. Oktober und 28. November 2005 folgende Handlungen aus, wobei er aus gefühlloser und fremdes Leiden missachtender Gesinnung seiner Tochter Schmerzen zufügen wollte:
4
(II. 1. der Urteilsgründe) Mit Händen und einem Badeschuh schlug er so häufig auf das nackte Gesäß M. s ein, dass die Haut an mehreren Stellen aufplatzte und blutete.
5
(II. 2.) Mit einem harten, länglichen Gegenstand schlug er auf die Hände seiner Tochter, wodurch diese stark anschwollen. Schließlich biss er ihr kräftig in die linke Hand, so dass eine später vereiterte Fleischwunde entstand.
6
(III. 3. – 5.) In drei Fällen duschte er die nackte M. mit kaltem Wasser ab und sperrte sie ungeschützt, der kalten Witterung ausgesetzt, für mindestens jeweils 30 Minuten auf den Balkon, wobei er sie zwischendurch noch mit kaltem Wasser begoss. In einem Fall fasste er ihr anschließend an die Schamlippen und verdrehte diese, um ihr besondere Schmerzen zu bereiten und sie zu demütigen. In zwei Fällen versetzte er ihr mehrere Faustschläge in den Unterbauch.
7
(II. 6.) Er hob M. an den Haaren hoch, ließ sie auf den Fußboden fallen und versetzte ihr mehrere Schläge mit dem Ellenbogen gegen den Kopf.
8
(II. 7. und 8.) Nachdem M. Schreibübungen an zwei aufeinander folgenden Tagen nicht zu seiner Zufriedenheit erledigen konnte, bestimmte er sie jeweils dazu, eine Tasse mit heißer Flüssigkeit über mehrere Minuten auf dem Kopf zu balancieren. Infolge der Druck- und Hitzeeinwirkung starb das Kopfgewebe auf einer Fläche von 15 Zentimetern Durchmesser. Die Wunde infizierte sich, und es kam zur Eiterbildung zwischen Schädel und Kopfhaut; bei ungehinderter Entwicklung hätte diese Verletzung zum Tod geführt.
9
(II. 9. – 31.) In 23 Fällen schlug der Angeklagte kräftig, wahllos und teilweise auch mehrfach auf seine Tochter ein, wodurch diese zahlreiche, teilweise großflächige Hämatome und Hautverfärbungen, Rötungen, Schwellungen, Vernarbungen , Einblutungen der Augen und Vereiterungen erlitt.
10
(II. 32.) Er fesselte die Hände seiner auf dem Boden liegenden Tochter eine ganze Nacht hindurch mit Handschellen an das Bein eines Sofas und band ihre Beine an einem Tisch fest.
11
(II. 33.) Mehrere Tage vor dem 28. November 2005 gab der Angeklagte in Kenntnis des durch die mangelhafte Versorgung und die zahlreichen Verletzungen schlechten und ausgezehrten Zustands seiner Tochter ihr nichts mehr zu essen und zu trinken, um ihr weitere Leiden zuzufügen. Dadurch verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand dramatisch, sie konnte sich nicht mehr ihre Schlafanzughose anziehen und später nicht mehr alleine stehen. Der Angeklagte erkannte, dass sich M. in schwerer, ihr Leben beeinträchtigender Gefahr befand, wenn er ihr weiterhin Nahrung und Getränke versagen würde. Dennoch bestimmte er, dass sie weder etwas zu essen noch etwas zu trinken bekam; dadurch litt das Mädchen ständig großen Hunger und Durst.
12
c) Am 28. November 2005 erschien eine Familienhelferin, die den schlechten Zustand M. s erkannte und sie dem Zugriff des Angeklagten entzog. M. litt infolge der mangelnden Versorgung an borkigen Vertrocknungen mit Schorfablagerungen an den Lippen, ihre Leberenzymwerte waren erhöht, Albumin- und Hämatokritwerte herabgesetzt und die Gallenflüssigkeit verdickt. Ihr Zustand war sowohl wegen der Unterversorgung als auch wegen der Kopfverletzung potentiell lebensbedrohlich. Sie wurde bis zum 17. Dezember 2005 intensivmedizinisch und noch weitere zwei Wochen stationär behandelt. Aufgrund des Gesamtgeschehens war M. psychisch stark beeinträchtigt und traumatisiert. Mit Hilfe mehrerer Hauttransplantationen konnte der Umfang der Kopfverletzung verringert werden.
13
2. Das Landgericht hat die Taten zu II. 1., 2., 7., 8. und 33. seiner Urteilsgründe als Misshandlung von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gewertet. Die Voraussetzungen des § 225 Abs. 3 StGB hat es nicht als erfüllt angesehen, da das Leben der Geschädigten noch nicht konkret gefährdet gewesen sei und die Kopfverletzung durch ärztliches Eingrei- fen nicht zu einer dauerhaften Entstellung geführt habe. Zudem sei zwar der körperliche und seelische Zustand des Kindes durch die Tathandlungen schwer geschädigt, diese Folgen seien aber dem Gesamtgeschehen und nicht einer einzelnen Tat zuzuordnen. Die Taten zu II. 3. bis 5. und 32. hat die Strafkammer als Misshandlung von Schutzbefohlenen, bei der Tat zu II. 32. in Tateinheit mit Freiheitsberaubung gewertet. Die Taten zu II. 6. und 9. bis 31. hat es jeweils als vorsätzliche Körperverletzung gewürdigt.
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3. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft ist auf die Verurteilungsfälle beschränkt. Zwar hat die Revisionsführerin einen umfassenden Aufhebungsantrag gestellt. Der ausgeführten Sachrüge ist indes im Einvernehmen mit dem Generalbundesanwalt zu entnehmen , dass der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft nur die Verurteilungsfälle erfasst und die in der Revisionsbegründung an keiner Stelle erwähnten Teilfreisprüche nicht angegriffen sind (vgl. BGH wistra 2007, 112, 113 m.w.N.).
15
4. Die Revision der Staatsanwaltschaft greift durch, soweit es das Landgericht in Fall 33 unterlassen hat, seine Kognition auf das Vorliegen eines versuchten Tötungsdelikts – wie angeklagt und zur Hauptverhandlung zugelassen – zu erstrecken.
16
Angesichts der getroffenen Feststellungen hätten sich Ausführungen zu einem möglichen Tötungsvorsatz aufgedrängt. Insbesondere das Maß der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung, die vom Angeklagten erkannten Folgen seines Handelns, die geradezu systematisch anmutende Misshandlung des Mädchens in einem wenige Wochen betragenden Zeitraum sowie die Persönlichkeit des Angeklagten hätten in die gebotene Gesamtbetrachtung zum Vorliegen eines Tötungsvorsatzes miteinbezogen werden müssen.
17
a) So hätte erwogen werden müssen, dass der Angeklagte in Kenntnis seiner Garantenstellung der durch seine Handlungen in wenigen Wochen be- reits abgemagerten, geschwächten und an zahlreichen Verletzungen leidenden Tochter mehrere Tage weder Nahrungs- noch Flüssigkeitsaufnahme ermöglichte , obwohl sie danach verlangte. Den Angaben der Zeugen und Sachverständigen , denen die Strafkammer uneingeschränkt folgt, lassen sich gewichtige Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass dieser Zeitraum vier bis fünf Tage betragen hat. Die medizinischen Sachverständigen haben hierzu ausgeführt, dass die Verdickung der Flüssigkeit in der Gallenblase und der Zustand der Lippen der Geschädigten darauf schließen lassen, dass diese vier bis fünf Tage vor der Untersuchung am 28. November 2005 keine Nahrung und über längere Zeit hinweg wenig oder mitunter gar keine Flüssigkeit zu sich genommen habe; bei kleineren Kindern, wie der hier geschädigten M. , könnten eine unzureichende Flüssigkeitszufuhr und ein Gewichtsverlust viel schneller gesundheitsschädigende Folgen haben als bei Erwachsenen. Dem entspricht, dass sich M. am 28. November 2005 durch die mangelnde Versorgung in einem potentiell lebensbedrohlichen Zustand befand.
18
b) Diese Gefährlichkeit war für den Angeklagten auch erkennbar. Das sechsjährige Mädchen war nach den Urteilsausführungen nur noch Haut und Knochen, sie konnte nicht mehr allein stehen und sich kaum aufrecht halten oder bewegen. Rechtsfehlerfrei hat die Strafkammer hieraus den nahe liegenden Schluss gezogen, dass der Angeklagte die schwere, das Leben beeinträchtigende Gefahr, in der sich M. befand, erkannte, sie aber dennoch von Nahrung und Flüssigkeit abhielt, um ihr weitere Leiden zuzufügen, sie zu erniedrigen und zum Objekt seiner Willkür zu machen.
19
c) Darüber hinaus hätten aus dem Gesamtverhalten des Angeklagten seiner Tochter gegenüber, auch wenn die meisten der gravierenden Misshandlungen für sich gesehen nicht lebensbedrohlich waren, sowie aus der Persönlichkeit des Angeklagten, die – wie festgestellt – durch einen besonderen Mangel an Empathie, vollständige Abwesenheit eines moralischen Wertesystems und ein seine Selbstwertdefizite kompensierendes Dominanzstreben gekenn- zeichnet ist, weitere Rückschlüsse auf die subjektive Tatseite gezogen werden können.
20
d) Angesichts dieser Tatsachen ist das gänzliche Fehlen einer Erörterung , ob der Angeklagte den Tod seiner Tochter geistig vorweggenommen und gebilligt hat – auch unter Berücksichtigung, dass die Billigung der Tötung des eigenen Kindes naturgemäß die Überschreitung höchster Hemmschwellen voraussetzt (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 50; BGH, Beschluss vom 13. März 2007 – 5 StR 320/06) – rechtsfehlerhaft, da sie die Besorgnis begründet, das Tatgericht habe die Möglichkeit einer Strafbarkeit gemäß §§ 211, 212, 22, 13 StGB nicht hinreichend bedacht.
21
e) Sollte das neue Tatgericht zur Annahme eines Tötungsvorsatzes gelangen , so wird es Gelegenheit haben, das Vorliegen von Mordmerkmalen, namentlich der Grausamkeit (vgl. dazu BGH NStZ 2007, 402, 403), zu prüfen.
22
5. Auch die rechtliche Bewertung im Übrigen begegnet durchgreifenden Bedenken.
23
a) Zu Recht beanstandet die Staatsanwaltschaft, dass das Landgericht den festgestellten Sachverhalt nicht erschöpfend rechtlich gewürdigt hat, soweit es die Voraussetzungen des qualifizierten Tatbestandes des § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB abgelehnt hat. Die Ausführungen, zwar habe der Angeklagte eine erhebliche Schädigung der körperlichen und der seelischen Entwicklung bei der Geschädigten verursacht, dies könne aber keiner einzelnen Tat, sondern nur dem Gesamtgeschehen zugeordnet werden, lassen besorgen, dass das Landgericht die Deliktsstruktur des § 225 StGB verkannt und dadurch dem Unrechtsgehalt des festgestellten Geschehens nicht ausreichend Rechnung getragen hat. Gleiches gilt für die Würdigung, die Feststellungen zu II. 6. und 9. bis 31. führten lediglich zur Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung in 24 Fällen, wobei eine Strafbarkeit nach § 225 StGB unerörtert bleibt.
24
Die Strafkammer hat jeden Einzelakt der schmerzhaften Einwirkung auf die Geschädigte isoliert betrachtet, eine rechtliche Zusammenfassung der Einzelakte zu einer deliktischen Einheit im Sinne einer tatbestandlichen Handlungseinheit (vgl. BGHSt 43, 1, 3; BGHR StGB § 99 Ausüben 6; zu § 225: Warda , FS-Hirsch, S. 391 ff.; Hirsch in LK, 11. Aufl. § 225 Rdn. 12) hat es indes nicht erwogen. Dazu hätte aber angesichts der tatbestandlichen Unrechtsumschreibung des § 225 Abs. 1 StGB – in der Tatbestandsvariante des Quälens – sowie der zeitlichen, situativen und subjektiven Zusammengehörigkeit der Einzelakte Anlass bestanden. Für den Fall einer zusammenfassenden rechtlichen Bewertung drängen sich auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen die Voraussetzungen der Qualifikation des § 225 Abs. 3 Nr. 2 StGB auf.
25
aa) Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender erheblicher Schmerzen oder Leiden (BGHR StGB § 225 Misshandlung 1; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 225 Rdn. 8a). Dieses Tatbestandsmerkmal wird typischerweise durch Vornahme mehrerer Handlungen verwirklicht; oft macht erst die ständige Wiederholung den besonderen Unrechtsgehalt aus (BGHSt 41, 113, 115; BGHR StGB § 225 Misshandlung 1; Hardtung in MünchKomm-StGB 2003 § 225 Rdn. 14). Deswegen stellt jedenfalls das auf Dauer angelegte Quälen als Handlungskomplex eine Handlungseinheit dar (Stree in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. § 225 Rdn. 12).
26
bb) Für eine Verknüpfung der Handlungen des Angeklagten zu Lasten seiner Tochter in diesem Sinne spricht die äußere und innere Geschlossenheit des Tatgeschehens. Neben der Identität des Opfers und der Kontinuität der Tatsituation – sämtliche Taten spielten sich in der Wohnung des Angeklagten ab – wird der Handlungskomplex vor allem durch die zeitliche Dichte der Misshandlungen geprägt. So kam es mindestens jeden Tag zu körperlicher Misshandlung , teilweise dauerten diese, wie die mangelhafte Versorgung, auch über den gesamten Tatzeitraum fort (anders im Tatsächlichen BGH NStZ-RR 2006, 42). Ferner kommt dem Umstand wesentliche Bedeutung zu, dass das Ge- samtgeschehen durch die durchgehend ablehnende Haltung des Angeklagten seiner Tochter gegenüber und seine ohne Zäsur vorhandene gefühllose, ihr Leiden missachtende Gesinnung ein einheitliches subjektives Gepräge erhält. Danach liegt sogar nahe, dass der Angeklagte einen den Tatzeitraum überspannenden Vorsatz hatte, M. bei gegebenem Anlass erneut zu misshandeln.
27
b) Auch die Erwägungen des Landgerichts, mit denen es eine Anwendung des § 225 Abs. 3 Nr. 1 StGB namentlich bezogen auf die Einzelfälle II. 7, 8 und 33 ausschließt, begegnen durchgreifenden Bedenken.
28
Eine schwere Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 225 Abs. 3 Nr. 1 zweite Variante StGB liegt schon dann vor, wenn die Gesundheit des Betroffenen ernstlich, einschneidend oder nachhaltig beeinträchtigt ist (vgl. Schroth NJW 1998, 2861, 2865). Diese Voraussetzung ist jedenfalls immer dann zu bejahen, wenn intensivmedizinische Maßnahmen oder umfangreiche und langwierige Rehabilitationsmaßnahmen zur Wiederherstellung der Gesundheit und/oder zur sonstigen Beseitigung der Tatfolgen notwendig sind (vgl. Schroth, aaO). Solches war hier hinsichtlich der Kopfverletzungen und des durch Flüssigkeits- und Nahrungsverweigerung hervorgerufenen Allgemeinzustandes der Fall.
29
6. Im Anschluss an BGH NStZ 2005, 268 verneint der Senat mit dem Generalbundesanwalt ein Sexualdelikt; allein insoweit bleibt die Revision der Staatsanwaltschaft erfolglos.
30
7. Dem Senat ist es auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen verwehrt, zum Schuldspruch durchzuentscheiden. Die hier an materiellrechtliche Voraussetzungen geknüpfte Frage, ob insgesamt Tateinheit anzunehmen sein wird, und die Voraussetzungen eines Tötungsdeliktes – wofür insbesondere der Umstand, wie lange M. Nahrung und Flüssigkeit gänzlich vorenthalten wurden und der subjektive Tatbestand ergänzend aufzuklären sein werden – sowie die die Qualifikationstatbestände des § 225 Abs. 3 StGB begründenden Umstände bedürfen neuer tatrichterlicher Aufklärung und Bewertung. Deshalb sind die bisherigen Feststellungen aufzuheben. Ausgenommen sind allerdings diejenigen zu den äußeren Tatumständen, die auch von der Staatsanwaltschaft nicht angegriffen werden. Dadurch erscheint eine erneute Vernehmung des geschädigten Kindes vermeidbar. Darauf sollte das neue Tatgericht Bedacht nehmen. Die noch näher aufzuklärenden zeitlichen Umstände des vollständigen Nahrungsentzuges werden mit der Gedächtnisleistung eines Kindes kaum zu ermitteln sein.
Basdorf Häger Gerhardt Brause Jäger

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR11/15
vom
24. Februar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 24. Februar 2015 gemäß § 46
Abs. 1, § 349 Abs. 2 und Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag und seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 30. September 2014 gewährt. Damit ist der Beschluss des Landgerichts Konstanz vom 2. Dezember 2014 gegenstandslos. 2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 30. September 2014 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen Misshandlung Schutzbefohlener in vier Fällen verurteilt worden ist, und im Ausspruch über die Gesamtstrafe. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Misshandlung Schutzbefohlener in vier Fällen und wegen Körperverletzung in 24 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die er – verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Revisionsbegründungsfrist – auf die Sachrüge stützt. Der Wiedereinsetzungsantrag hat Erfolg. Die Revision führt zur Aufhebung der Verurteilung wegen Misshandlung Schutzbefohlener und der Gesamtstrafe; im Übrigen ist sie unbegründet.
2
1. Dem Angeklagten ist aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 27. Januar 2015 dargelegten Gründen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Revisionsbegründungsfrist zu gewähren. Damit ist der das Rechtsmittel als unzulässig verwerfende Beschluss des Landgerichts vom 2. Dezember 2014 gegenstandslos.
3
2. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Verurteilung wegen Körperverletzung in 24 Fällen zum Nachteil seiner früheren Ehefrau richtet (§ 349 Abs. 2 StPO). Dagegen hat sie hinsichtlich der Verurteilung wegen Misshandlung Schutzbefohlener in vier Fällen Erfolg.
4
a) Insofern begegnet schon die Beweiswürdigung zu den Misshandlungen der Kinder J. und R. durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
5
aa) Die Beweiswürdigung ist zwar Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Die zur richterlichen Überzeugung erforderliche persönliche Gewissheit des Richters setzt aber objektive Grundlagen voraus, die aus rationalen Gründen den Schluss auf das festgestellte Geschehen zulassen müssen. Das ist der Nachprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich. Deshalb müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen , verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen Verdacht zu begründen vermag (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 24. März 2000 – 3 StR 585/99; vom 12. Dezember 2001 – 5 StR 520/01, StV 2002, 235; MeyerGoßner /Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 261 Rn. 38, § 337 Rn. 26 jeweils mwN).
6
bb) Dem wird die Beweiswürdigung des Landgerichts hinsichtlich der Feststellungen zu den Misshandlungen der Kinder J. und R. nicht gerecht.
7
Nach den insofern getroffenen Feststellungen schlug der Angeklagte in den Jahren 2008 bis 2011 (auch) diese Kinder „regelmäßig drei- bis viermal in der Woche, überwiegend mit der flachen Hand auf das Gesäß, aber auch in das Gesicht, außerdem mit den Fäusten auf den Körper, so dass die Kinder erheb- liche Schmerzen, Blutergüsse, Schwellungen und Nasenbluten erlitten“ (UA S. 11); darüber hinaus schloss der Angeklagte die Kinder mehrfach in ihrem Zimmer ein (UA S. 12). Konkrete Ereignisse zum Nachteil dieser Kinder teilen die Urteilsfeststellungen – anders als bei E. und Ja. – nicht mit.
8
Der Angeklagte hat zwar eingeräumt, seine Kinder etwa jeden dritten Monat „mal“ mit der flachen Hand geschlagen zu haben, alle anderen Vorwürfe bestreitet er indes. Seine Überzeugung, dass der Angeklagte (auch) J. und R. misshandelt habe, stützt die Strafkammer im Wesentlichen auf die Anga- ben der früheren Ehefrau des Angeklagten, wonach dieser „sie und die Kinder oft geschlagen“ habe, „die Kinder hätten drei- bis viermal in der Woche Schläge bekommen, zeitweise auch täglich“, dabei habe es „ordentlich gerumst“ (UA S. 15); J. und R. hätten „auch mal einen ‚Klaps auf den Arsch‘ und auch mal eine flache Hand ins Gesicht bekommen“ (UA S. 15 und 18).
9
Auf Grund dieser hinsichtlich der Häufigkeit und der Art sowie der Intensität der Schläge widersprüchlichen, zudem Faustschläge auf den Körper, die auch bei J. und R. zu „erheblichen Schmerzen, Blutergüssen, Schwel- lungen und Nasenbluten“ geführt haben, nicht bestätigenden Angaben der Zeu- gin ist nicht nachvollziehbar, auf welcher Grundlage die Strafkammer die Feststellungen zu diesen Misshandlungen von J. und R. getroffen hat. Die Feststellungen hierzu werden auch nicht dadurch plausibel, dass der damals drei bis sechs Jahre alte Ja. bestätigt hat, dass „auch alle anderen Ge- schwister“ vom Angeklagten geschlagen worden seien (UA S. 21) und ein (lediglich) verlesener Bericht des Jugendamts mitteilt, dass im Kindergarten bemerkt worden sei, dass J. häufig blaue Flecken gehabt und dazueinmal geäußert habe, dass ihr Vater sie geschlagen und getreten habe (UA S. 23). Denn insbesondere hinsichtlich der häufigen blauen Flecke kann Bedeutung haben, dass die Zeugin selbst eingeräumt hat, ihre Kinder – auch mit einem Kochlöffel – geschlagen zu haben (UA S. 19).
10
b) Im Übrigen begegnet aber – hinsichtlich aller vier Fälle – die rechtliche Bewertung der Misshandlungen der Kinder durch den Angeklagten als Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
11
aa) Diese rechtliche Bewertung stützt die Strafkammer neben den „regelmäßig drei- bis viermal in der Woche“ alle vier Kinder betreffenden Schlägen sowie dem Einsperren für den Tatzeitraum von 2008 bis 2011 konkret lediglich auf einen Vorfall zum Nachteil von Ja. und E. (Schläge auf das Gesäß, so dass diese kaum mehr laufen konnten) und vier weitere Vorfälle zum Nachteil von Ja. (Schlag auf das Auge, Schlag auf das Gesäß mit einem Kochlöffel , Schlag des Kopfes von Ja. gegen eine Wand, Verabreichen von Bier).
12
bb) Damit ist ein Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB jedoch nicht hinreichend belegt.
13
(1) Quälen im Sinne dieser Vorschrift bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender Schmerzen oder Leiden, die über die typischen Auswirkungen der festgestellten einzelnen Körperverletzungshandlungen hinausgehen. Mehrere Körperverletzungshandlungen, die für sich genommen noch nicht den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB erfüllen, können als ein Quälen im Sinne dieser Vorschrift zu beurteilen sein, wenn erst die ständige Wiederholung den gegenüber § 223 StGB gesteigerten Unrechtsgehalt ausmacht. In diesem Fall werden die jeweiligen Einzelakte zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit und damit einer den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB verwirklichenden Tat zusammengefasst. Ob sich mehrere Körperverletzungen zu einer als Quälen zu bezeichnenden Tathandlung zusammenfügen, ist auf Grund einer Gesamtbetrachtung zu entscheiden. Regelmäßig wird es dabei erforderlich sein, dass sich die festgestellten einzelnen Gewalthandlungen als ein äußerlich und innerlich geschlossenes Geschehen darstellen. Dabei sind räumliche und situative Zusammenhänge, zeitliche Dichte oder eine sämtliche Einzelakte prägende Gesinnung mögliche Indikatoren. In subjektiver Hinsicht ist es erforderlich, dass der Täter bei jeder Einzelhandlung den Vorsatz hat, dem Op- fer sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Verletzungsfolgen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung verbunden sind (zum Ganzen: BGH, Beschluss vom 20. März 2012 – 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467 m. Anm. Renzikowski/Sick mwN).
14
(2) Ausgehend hiervon wird der Schuldspruch wegen vier Fällen der Misshandlung von Schutzbefohlenen im Sinne von § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB von den Feststellungen nicht getragen. Denn das Landgericht hat nicht festgestellt, dass die Gewalthandlungen jeweils zu länger andauernden Schmerzen geführt haben, die über die typischen Auswirkungen der festgestellten Körperverletzung hinausgegangen sind; als Folgen der Misshandlungen hat es vielmehr „Verhaltensauffälligkeiten“ bei allen Kindern und eine posttraumatische Belastungsstö- rung bei Ja. aufgeführt. Soweit das Landgericht – wie seine Ausführungen in der rechtlichen Würdigung nahelegen – davon ausgegangen ist, dass erst durch die Vielzahl der körperlichen Übergriffe ein Quälen im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB bewirkt worden ist, begegnet auch eine Zusammenfassung aller festgestellten „Einzeltaten“ zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Begriff des Quälens in § 225 Abs. 1 StGB setzt zwar nicht notwendig voraus, dass zwischen den einzelnen Teilakten ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Intervalle von mehreren Tagen , bis hin zu einigen Wochen, können daher unschädlich sein, wenn das Gesamtgeschehen auf Grund anderer Umstände innerlich und äußerlich geschlossen bleibt; mehrere Monate oder sogar Jahre auseinander liegende Körperverletzungshandlungen werden in der Regel aber nicht mehr als eine einzige dem Opfer bereitete Qual verstanden werden können (BGH aaO). Die allgemein gehaltene Feststellung des Landgerichts, wonach der Angeklagte von 2008 bis 2011 „regelmäßig drei- bis viermal in der Woche“ seine Kinder geschlagen hat, mag zwar ausreichen, um objektiv die Annahme einer sich über vier Jahre hin- ziehenden tatbestandlichen Handlungseinheit zu rechtfertigen, sie ist aber für sich genommen nicht geeignet, auch die innere Tatseite einer Handlungseinheit tragfähig zu belegen. Denn nach den Feststellungen ging es dem Angeklagten bei den einzelnen Taten stets darum, „seine Wut abzureagieren“ (UA S. 11). Dies spricht dafür, dass jeder Einzeltat ein anlassbezogener neuer Tatentschluss des Angeklagten zu Grunde lag. Ein übergreifender Vorsatz, der auf die Zufügung sich wiederholender und über die konkreten Tatfolgen hinausgehender erheblicher Schmerzen oder Leiden gerichtet ist, wird dadurch nicht belegt.
15
c) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet die rechtliche Würdigung der Strafkammer auch, soweit sie bei Ja. neben dem Quälen den Tatbestand der rohen Misshandlung (§ 225 Abs. 1 StGB) bejaht.
16
Insofern verweist das Landgericht zwar auf drei der Misshandlungen des Kindes (Schlag auf das Auge, Schlag auf das Gesäß mit einem Kochlöffel, Schlag des Kopfes von Ja. gegen eine Wand), die Ausführungen lassenes aber als jedenfalls nicht ausgeschlossen erscheinen, dass es dabei – zumal es hinsichtlich Ja. lediglich eine Misshandlung Schutzbefohlener angenommen hat – davon ausgegangen ist, die drei Körperverletzungen seien erst in ihrer Gesamtheit als eine rohe Misshandlung zu bewerten. Anders als das Quälen bezieht sich diese Tatalternative des § 225 Abs. 1 StGB jedoch stets auf ein einzelnes Körperverletzungsgeschehen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 – 5 StR 44/07, NStZ 2007, 405).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die

1.
seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,
2.
seinem Hausstand angehört,
3.
von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder
4.
ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,
quält oder roh mißhandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr

1.
des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder
2.
einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
bringt.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 190/03
vom
3. Juli 2003
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Verdachts der Mißhandlung einer Schutzbefohlenen u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Juli 2003,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Richter am Landgericht
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger der Angeklagten ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Halle/Saale vom 29. Oktober 2002 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entschei- dung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat die beiden Angeklagten vom Vorwurf der Mißhandlung einer Schutzbefohlenen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihren Revisionen, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Die Rechtsmittel haben Erfolg.
1. Das Landgericht hat festgestellt:
Die beiden Angeklagten sind die leiblichen Eltern des am 13. November 2000 geborenen Kindes Michelle P. und betreuten es gemeinsam, bis es Ende Januar 2001 aufgrund der verfahrensgegenständlichen Vorfälle in die Obhut von Pflegeeltern gegeben wurde. Im Zeitraum nach der Entlassung aus der Entbindungsklinik bis zum 22. Januar 2001 wurde das Kind Opfer vielfacher Mißhandlungen durch einen der Angeklagten.
Bereits am 25. Dezember 2000 wurde das Kind wegen auffälligen Schreiens in die Notfallambulanz des Klinikums Zeitz gebracht. Zwar stellte dort ein Arzt lediglich eine leichte Schwellung am linken Bein fest. Tatsächlich ergab aber eine spätere Röntgendiagnose im unteren Bereich des Unterschenkels eine Kantenabsprengung, wie sie typischerweise durch ein Verdrehungstrauma entsteht, indem der Täter mit einer Hand das Becken des Kindes fixiert und mit der anderen das Bein verdreht, bis es zum Bruch kommt. Am 10. Januar 2001 erschien die Angeklagte mit dem Kind bei der behandelnden Kinderärztin N. , die im Gesicht und auf der Brust fingerkuppengroße Hämatome feststellte, worauf die Angeklagte - ohne daß die Ärztin bis dahin einen Verdacht geäußert hatte - sogleich erklärte, "sie würden ihr Kind nicht mißhandeln". Die Angeklagten wechselten nunmehr den Kinderarzt und suchten gemeinsam am 15. Januar 2001 mit dem Kind den Arzt Dr. P. auf. Dieser bemerkte im Halsbereich des Säuglings 1 bis 3 cm lange, bereits verschorfte Kratz- und Rißwunden, ein Hämatom am Kinn bzw. Unterkiefer und mehrere Hämatome auf der linken Thoraxseite. Darüber hinaus stellte Dr. P. eine etwa ein bis 2 Tage alte Verletzung des Zungenbändchens fest, wie sie beim Füttern entstehen kann, wenn der Löffel bzw. die Saugflasche zu grob in den Mund des Kindes gedrückt wird. Bei dem weiteren Arztbesuch der angeklagten Kindesmutter am 22. Januar 2001 stellte Dr. P. ein frisches münzgroßes Hämatom rechts an der Stirn und am linken Bein eine "teigige Verdickung" fest, die den Verdacht auf eine geschlossene Fraktur ergab. Im weiteren Verlauf des Tages trat bei dem Kind ein Atemstillstand ein. Die von der Angeklagten telefonisch herbeigerufene Notärztin veranlaßte die Einweisung des Säuglings in die Kinderklinik. Michelle war bei ihrem Eintreffen dort in einem lebensbedrohlichen Zustand. An äußeren Verletzungen stellte man eine blutverkrustete Nase, das lädierte Zungenbändchen, Hämatome im Gesicht, zahlreiche ältere Narben
am Hals und fünf Hämatome im Brustbereich fest. Darüber hinaus fanden sich im Brustkorbbereich und an beiden Unterschenkeln knöcherne Verdickungen. Die noch am selben Tage gefertigten Röntgenaufnahmen ergaben eine etwa 8 bis 10 Tage alte Rippenserienfraktur rechts, etwa 3 bis 4 Wochen alte Frakturen beider Schienbeine sowie eine glatte, etwa eine Woche alte Schaftfraktur des kompletten linken Unterarms. Darüber hinaus wurden in der Universitätskinderklinik , in die das Mädchen wegen des Verdachts einer Blutung in die Schädelhöhle am 23. Januar 2001 verlegt wurde, nicht ganz frische Netzhautblutungen festgestellt, wie sie typischerweise bei Kindesmißhandlungen durch heftiges Schütteln (shaken-baby) entstehen, ferner am Anus ein Einriß, am Scheideneingang ein etwa 2 bis 3 Tage alter Riß sowie an beiden Oberschenkelknochen eine metaphysäre Kantenaussprengung. Der Bruch des linken Unterarms war entweder dadurch entstanden, daß mit einem Gegenstand unter großem Druck auf den Arm eingewirkt oder der Arm gegen einen Gegenstand gedrückt wurde. Die Verletzungen im Anal- und Vaginalbereich sind auf das Einführen eines kantigen Gegenstandes zurückzuführen.
2. Die Angeklagten haben sich weder zur Person noch zur Sache eingelassen. Ohne Rechtsfehler hat sich das sachverständig beratene Landgericht aber die Überzeugung verschafft, daß die festgestellten Verletzungen die Folge massiver Mißhandlungen sind, für die nur die beiden Angeklagten als Täter in Betracht kommen. Zutreffend hat das Landgericht auch zumindest das Beibringen der Frakturen und das Zufügen der Verletzungen im Anal- und Genitalbereich als rohe Mißhandlungen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB gewertet. An einer Verurteilung der Angeklagten hat es sich jedoch deshalb gehindert gesehen, weil es nicht festzustellen vermocht hat, welcher der beiden Angeklagten der aktiv handelnde Täter war und dem Kind die Verletzungen beige-
bracht hat. Auch sei nicht festzustellen, daß der nicht aktive Elternteil im Zeitpunkt , als er Kenntnis von einer Mißhandlung des Kindes erlangte, Anlaß zu der Annahme hatte, das Kind werde auch in Zukunft im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB gequält oder roh mißhandelt werden. An einer Verurteilung der Angeklagten wegen Körperverletzung, begangen durch Unterlassen, hat sich das Landgericht mangels Strafantrags gehindert gesehen.
3. Der Freispruch hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht allerdings zu Gunsten eines jeden der beiden Angeklagten angenommen, daß jeweils der andere der aktiv handelnde Täter war, und deshalb eine Strafbarkeit nur wegen Unterlassungstäterschaft (§ 13 Abs. 1 StGB) geprüft, die hinsichtlich sämtlicher Tatbestandsalternativen des § 225 Abs. 1 StGB in Betracht kommt (vgl. Tröndle /Fischer StGB 51. Aufl. § 225 Rdn. 8 m.N.). Zu Recht beanstandet die Beschwerdeführerin aber, daß das Landgericht den festgestellten Sachverhalt nicht erschöpfend gewürdigt und sich deshalb den Blick für die für beide Angeklagten in Betracht kommende Tatbestandserfüllung verstellt hat.

a) Das Kind Michelle ist durch den aktiv handelnden Täter im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB sowohl gequält als auch roh mißhandelt worden. Quälen bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender Schmerzen, wobei dieses Tatbestandsmerkmal typischerweise durch Vornahme mehrerer Handlungen verwirklicht wird und gerade die ständige Wiederholung für sich den besonderen Unrechtsgehalt dieser Form der Körperverletzung auszeichnet (vgl. BGHSt 41, 113, 115). „Roh“ ist eine Mißhandlung im Sinne des Tatbestandes, wenn sie aus einer gefühllosen gegen die Leiden des Op-
fers gleichgültigen Gesinnung heraus erfolgt, wobei die Gefühllosigkeit keine dauernde Charaktereigenschaft zu sein braucht (vgl. BGHSt 3, 105, 109; Tröndle/Fischer aaO Rdn. 9) und deshalb das Merkmal "roh" auch das "Wie" der Mißhandlung betrifft (Stree in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 225 Rdn. 13). Daß beide Tatbestandsalternativen hier erfüllt sind, bedarf angesichts des Gewichts, der Vielzahl und der zeitlichen Abfolge der Verletzungshandlungen keiner weiteren Ausführung.

b) Beide Angeklagten waren Garanten insbesondere für die körperliche Unversehrtheit des Kindes und haben deshalb rechtlich dafür einzustehen, daß die Tatbestandsverwirklichung durch den jeweils anderen Elternteil nicht eintrat. Angesichts des überragenden Rechtsguts der körperlichen Unversehrtheit eines Menschen waren höchste Anforderungen an sie in ihrer Stellung als Beschützergaranten zu stellen, zumal es sich hier bei dem Opfer um einen lediglich zwei Monate alten, völlig wehr- und hilflosen Säugling handelte. Beide Angeklagten erkannten im Verlauf des Tatzeitraums, daß das Kind schwerwiegenden Mißhandlungen ausgesetzt war. Ihnen war deshalb auch bewußt, daß der andere Elternteil zu erheblichen Gewaltausbrüchen neigt und das Kind unbedingt davor zu schützen war. Ebenso mußten sie naheliegend mit weiteren vergleichbaren Gewalttaten rechnen. Spätestens von dem Zeitpunkt an, von dem sie erstmals Kenntnis von der Mißhandlung durch den jeweils anderen Elternteil hatten, hätten sie umgehend geeignete Maßnahmen ergreifen müssen , um weiter drohende Übergriffe von dem Kind abzuwenden (vgl. BGHSt 41, 113, 117; BGH NStZ 1984, 164; Senatsbeschluß vom 21. November 2002 - 4 StR 444/02).

c) Der Nachweis strafbaren Unterlassens scheitert entgegen der Auffas- sung des Landgerichts nicht daran, daß die Angeklagten als Unterlassungstäter nur für die Mißhandlungen durch den aktiv handelnden Täter rechtlich einzustehen haben, die nach dem Zeitpunkt liegen, zu dem sie Kenntnis von den Mißhandlungen erlangt haben.
Soweit das Landgericht eine Kenntnis der angeklagten Kindesmutter erst ab dem Arztbesuch am 10. Januar 2001 und eine Kenntnis bei dem Angeklagten erst ab dem Arztbesuch am 15. Januar 2001 angenommen hat, fehlt es an der gebotenen Gesamtschau aller die Angeklagten belastenden Umstände. Insbesondere hat sich das Landgericht nicht ausreichend damit auseinandergesetzt , daß es angesichts auffälligen Schreiens des Kindes und der räumlichen Verhältnisse in der Wohnung der Angeklagten nur schwer vorstellbar ist, daß dem nicht aktiv handelnden Elternteil die Mißhandlungen verborgen geblieben sein können.
Aber auch, wenn mit dem Landgericht zugunsten der Angeklagten von einer späteren Kenntniserlangung auszugehen wäre, hat es außer acht gelassen , daß nach den genannten Zeitpunkten weitere gravierende Mißhandlungen erfolgten, die zu verhindern die Angeklagten verpflichtet waren. So war die am 22. Januar 2001 diagnostizierte Rippenserienfraktur etwa 8 bis 10 Tage alt und mithin nach dem für die Angeklagte maßgeblichen Zeitpunkt vom 10. Januar 2001 entstanden. Desgleichen war die Fraktur des linken Unterarms etwa eine Woche alt, mithin etwa am 15. Januar 2001 entstanden, und lag der Mißhandlungszeitpunkt , der zu der Rißverletzung an der Scheide und zu dem Hämatom an der rechten Stirn führte, überhaupt erst zwischen dem 20. und 22. Januar 2001. Das Landgericht hat deshalb schon im Ansatz seine Prüfung verkürzt,
wenn es hinsichtlich der angeklagten Kindesmutter lediglich auf die beim Arztbesuch am 10. Januar 2001 sichtbaren Hämatome abgestellt und gemeint hat, "das Beibringen von Hämatomen erfüll(e) ... nicht per se den Tatbestand des Quälens oder des rohen Mißhandelns". Dabei läßt es zum einen die besondere Lage der Hämatome "im Gesicht und auf der Brust“ außer acht, was schon für sich massive Einwirkungen auf besonders empfindliche Körperregionen des Säuglings erkennen ließ und deshalb auch auf ein Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB hindeutete. Im übrigen hätte das Landgericht in seine Würdigung zum Vorstellungsbild der angeklagten Kindesmutter auch deren spontane Äußerung gegenüber der behandelnden Ärztin N. einbeziehen müssen, "sie würden ihr Kind nicht mißhandeln", die naheliegend für eine "Flucht nach vorn" spricht.
Nicht nachvollziehbar ist auch die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe auch nach der gemeinsamen Vorstellung des Kindes bei dem Arzt Dr. P. am 15. Januar 2001 keine Veranlassung zu der Annahme gehabt , Michelle werde im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB gequält oder roh mißhandelt. Denn der Arzt stellte an diesem Tag in Anwesenheit beider Angeklagten weitere Verletzungen des Säuglings, nämlich im Halsbereich und am Zungenbändchen sowie "wahllos verteilte Hämatome", fest.
Im übrigen beanstandet die Beschwerdeführerin zu Recht, daß das Landgericht ersichtlich nicht bedacht hat, daß auch für die Unterlassungstäterschaft im Rahmen des § 225 StGB bedingter Vorsatz genügt (BGH NStZ-RR 1996, 197, 198), der sich - wenn nicht sogar eher positive Kenntnis und damit direkter Vorsatz naheliegt - hier schon deshalb aufdrängte, weil nach den ge-
troffenen Feststellungen der Verdacht der Kindesmißhandlung bei den Arztbesuchen ausdrücklich erörtert wurde.
4. Die Mängel in der Beweiswürdigung machen eine neue Verhandlung und Entscheidung über den Tatvorwurf notwendig. Der neue Tatrichter wird auch Gelegenheit haben, die Strafbarkeit der Angeklagten jedenfalls unter dem Gesichtspunkt der Körperverletzung nach § 223 StGB zu prüfen, nachdem die Staatsanwaltschaft mit der Revisionsbegründung das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung (§ 230 Abs. 1 Satz 1 StGB) bejaht hat.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 6 3 3 / 1 4
vom
23. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. Juli 2015,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Mayer,
Gericke
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 22. August 2014 mit den Feststellungen aufgehoben , soweit es die Angeklagte betrifft.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen und mit unterlassener Hilfeleistung zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Den Mitangeklagten E. hat es wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zur Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die (allein) gegen die Verurteilung der Angeklagten H. gerichtete Revision des Nebenklägers erstrebt deren Verurteilung wegen schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 3 StGB und rügt die Verletzung materiellen Rechts.
2
Das zulässige Rechtsmittel (§ 395 Abs. 1 Nr. 3, § 400 Abs. 1 StPO; vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2001 - 3 StR 400/00, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 11 mwN) führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den Feststellungen, soweit es die Angeklagte betrifft.

I.


3
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen das Folgende festgestellt:
4
Am 1. März 2014 war der Mitangeklagte E. ab etwa 20 Uhr in seiner Wohnung alleine mit dem rund fünf Monate alten Säugling L. , dem leiblichen Sohn seiner damaligen Lebensgefährtin - der Angeklagten H. - aus einer früheren Beziehung. Als L. quengelte, holte der Mitangeklagte E. aus dem Schlafzimmer einen selbstgebastelten Schlagstock aus Eisen und schlug damit dem Säugling - um diesen zum Schweigen zu bringen - heftig je einmal auf die linke und auf die rechte Stirnseite des Kopfes. L. erlitt hierdurch beidseitig ein schweres Schädel/Hirn-Trauma mit ausgedehntem Knochenbruchsystem in beiden Scheitelregionen. Zudem erlitt er ein subdurales Hämatom, Einblutungen in tiefergelegene Hirnstrukturen sowie massive Hämatome an der rechten Kopfschwarte und im Stirnbereich. Aufgrund der Schläge wurde L. zumindest für kurze Zeit bewusstlos und litt an neurologischen Einschränkungen, sodass er sich entweder in einem Dämmerzustand befand oder längere Zeit bewusstlos war. Deswegen hörte er unmittelbar nach den Schlägen auf, Geräusche von sich zu geben. E. nahm L. daraufhin aus dem "Maxi-Cosi", in den ihn die Angeklagte gelegt hatte, und legte ihn in das Kinderbett.
5
Etwa zehn Minuten später kam auch die Angeklagte, die von einem Imbiss Essen geholt hatte, hinzu. Als sie feststellte, dass L. nicht mehr in dem "Maxi-Cosi" lag, fragte die Angeklagte nach seinem Verbleib. E. antwortete, dass L. gequengelt und er ihn ins Bett gelegt habe. Die Angeklagte schaute daraufhin kurz im Schlafzimmer nach. Zwar zeigten sich zu diesem Zeitpunkt schon die Folgen der Schläge bei L. , die Angeklagte bemerkte diese jedoch aufgrund der Verdunklung des Schlafzimmers nicht. Auch in der Folgezeit erkannte sie den Zustand des Kindes zunächst nicht.
6
Am nächsten Morgen gegen 05:45 Uhr erwachte die Angeklagte und wollte das Kind aus dem Bett heben. Dabei fiel ihr auf, dass sein Kopf anders als gewöhnlich aussah. Daraufhin legte sie L. aufs Bett und schaltete das Licht an. In der Folge stellte sie fest, dass der gesamte Kopf des Kindes angeschwollen war, die Stirnpartie sowie die Augen lila und blau unterlaufen waren. Als sie den Kopf anfasste, fühlte sich dieser unnormal weich an. Erschrocken rief sie nach dem Mitangeklagten E. und sagte, er solle sich L. anschauen , der Kopf sei weich und blau. Auf die Frage der Angeklagten, was passiert sei, antwortete E. , es sei nichts passiert und gab sich erstaunt über das Aussehen des Säuglings. Obgleich der Angeklagten sofort klar war, dass L. in ärztliche Behandlung musste, unternahm sie zunächst nichts. Sie hatte Angst, dass ihr - ginge sie ins Krankenhaus - das Kind weggenommen würde. Zudem vermutete sie eine Beteiligung von E. an den Verletzungen und wollte diesen möglicherweise schützen. Es besteht indes kein Anhalt für die Annahme , dass sie mit dem Tode des Kindes rechnete und ihn billigend in Kauf nahm. Die Angeklagte entschloss sich sodann, zunächst ihre Mutter zu kontaktieren , um diese um Rat zu bitten. Nachdem die Mutter jedoch nicht ans Telefon ging, begab sich die Angeklagte zurück zu L. in das Schlafzimmer.
7
Etwa gegen 08:30 Uhr gelang es der Angeklagten, ihre Mutter zu erreichen. Sie erzählte ihr wahrheitswidrig, sie sei mit L. auf der Treppe gestürzt und dieser sei nun am Kopf verletzt. Die Mutter kam daraufhin zur Wohnung gefahren, holte die Angeklagte und L. ab und brachte diesen in die Kinderklinik , wo er etwa gegen elf Uhr aufgenommen werden konnte. Das Kind war zu diesem Zeitpunkt ruhig und in einem Dämmerzustand, wenngleich es aufgrund der Schwellung unter Schmerzen litt. Seine Stirnpartie war stark angeschwollen und zeigte - wie auch im Bereich der Augen - eine bläulich/lila Verfärbung. Die Augen waren teilweise zugeschwollen.
8
Der Säugling musste rund drei Wochen in stationärer Behandlung bleiben. Er wurde einige Tage nach seiner Aufnahme am Kopf operiert, wobei die Impressionsfraktur behoben und die subduralen sowie die intrazerebralen Blutungsanteile ausgeräumt wurden. Nach seiner Entlassung entwickelte er sich altersgerecht, wenngleich er Entwicklungsverzögerungen im motorischen Bereich zeigt. Ob bei ihm dauerhafte Folgeschäden auftreten werden, ist (noch) nicht absehbar. In vergleichbaren Fällen kommt es bei etwa 40 Prozent der Kinder zu Folgeschäden bis hin zu massiven körperlichen und geistigen Behinderungen. Da bei der Operation ein Teil des beschädigten Gehirngewebes entfernt werden musste, besteht auch die Gefahr, dass sich eine Epilepsie entwickelt.
9
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das Landgericht die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5, § 13 StGB in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB und mit unterlassener Hilfeleistung gemäß § 323c StGB schuldig gesprochen. Soweit das Landgericht bei der rechtlichen Würdigung § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nennt, handelt es sich ersichtlich um ein Schreibversehen, wie sich aus der Liste der angewendeten Vorschriften und dem allein auf § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB gestützten Schuldspruch gegen den Mitangeklagten E. ergibt.

II.


10
Das Urteil gegen die Angeklagte hat auf die Revision des Nebenklägers keinen Bestand, da es sowohl zu ihrem Vorteil als auch zu ihrem Nachteil durchgreifende Rechtsfehler enthält; letzteres ist auf die Revision des Nebenklägers ebenfalls zu berücksichtigen (§ 301 StPO entsprechend; vgl. § 401 Abs. 3 Satz 1 StPO).
11
1. Wie der Nebenkläger zu Recht beanstandet, hat das Landgericht zum Vorteil der Angeklagten rechtsfehlerhaft nicht geprüft, ob sie den Verbrechenstatbestand gemäß § 225 Abs. 3 Nr. 1 und 2 StGB - gegebenenfalls durch Unterlassen - verwirklicht hat, obwohl es von einer durch die Angeklagte begangenen Tat gemäß § 225 Abs. 1 StGB ausgegangen und nach den Feststellungen des Landgerichts die Verwirklichung aller Alternativen des Qualifikationstatbestandes jedenfalls nicht ausgeschlossen ist. Dies führt wegen der Einheitlichkeit der Tat zur Aufhebung des Urteils insgesamt, soweit es die Angeklagte betrifft. Ohne Belang ist insoweit, dass die tateinheitliche ausgeurteilte unterlassene Hilfeleistung kein Nebenklagedelikt ist (vgl. § 395 Abs. 1 bis 3 StPO).
12
Im Einzelnen:
13
Der Verbrechenstatbestand des § 225 Abs. 3 StGB setzt voraus, dass der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat, also durch einen Angriff im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB, in die konkrete Gefahr des Todes, einer schweren Gesundheitsbeschädigung (Nr. 1; vgl. S/S-Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 225 Rn. 19 ff.) oder in die konkrete Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bringt (Nr. 2). Entscheidend ist danach, dass eine der in § 225 Abs. 1 StGB umschriebenen tatbe- standlichen Handlungen die naheliegende Möglichkeit begründet, sie werde zu den in den Alternativen des § 225 Abs. 3 StGB genannten Weiterungen führen (vgl. LK/Hirsch, StGB, 11. Aufl., § 225 Rn. 24). Unter schweren Gesundheitsbeschädigungen im Sinne der Nummer 1 sind solche Gesundheitsschäden zu verstehen, die mit einer anhaltenden nachhaltigen Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Leistungsfähigkeit verbunden sind oder in einer lebensbedrohenden , qualvollen oder ernsten und langwierigen Krankheit bestehen. Die in der Nummer 2 genannte erhebliche Entwicklungsschädigung erfordert , dass der normale Ablauf des körperlichen oder seelischen Entwicklungsprozesses dauernd oder nachhaltig gestört ist (vgl. LK/Hirsch, aaO, Rn. 25 mwN). Handelt es sich um eine Unterlassungstat, so begründet der Täter die tatbestandlich vorausgesetzte konkrete Gefahr, wenn er deren Entstehen durch sein Eingreifen hätte abwenden können. Auch wenn vor der Tat bereits Schäden oder die Gefahr von Schäden im Sinne der Qualifikation gemäß § 225 Abs. 3 StGB bestehen, kann der Tatbestand gleichwohl verwirklicht werden. Zur Hervorrufung ("bringen") der für den qualifizierten Fall vorausgesetzten Gefahren ist dann aber erforderlich, dass die Tat die Gefahr verursacht, die bereits vorhandenen oder zu befürchtenden Schäden in erheblichem Maß zu vergrößern bzw. die wegen einer bereits gegebenen individuellen Schadensdisposition bestehenden Gefahren messbar zu steigern (vgl. S/S-Stree/SternbergLieben , aaO, Rn. 22; BeckOK-StGB/Eschelbach, § 225 Rn. 33). In subjektiver Hinsicht ist bezüglich der Verursachung der tatbestandlichen Gefahren des qualifizierten Falles (zumindest bedingter) Vorsatz erforderlich.
14
Das Vorliegen dieser tatbestandlichen Voraussetzungen kann im vorliegenden Fall nicht abschließend beurteilt werden, da das Landgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob und ggf. wie sich die durch den Mitangeklagten E. bewirkten Verletzungen des Kindes während der Zeit, in der die Angeklagte eine ärztliche Versorgung pflichtwidrig unterlassen hat, hinsichtlich der tatbestandlichen Gefahren entwickelt haben. Eine wesentliche Gefahrerhöhung im Sinne von § 225 Abs. 3 StGB in diesem Zeitraum kann indes - vor allem mit Blick auf das bestehende subdurale Hämatom und die Einblutungen in die Hirnstrukturen - auch nicht ausgeschlossen werden.
15
2. Der Schuldspruch ist indes auch zum Nachteil der Angeklagten rechtsfehlerhaft. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils, das keinerlei Subsumtion enthält, belegen - neben dem unzweifelhaft bestehenden Schutzverhältnis zwischen der Angeklagten und ihrem Sohn - keine der in den Tatbestandsalternativen des § 225 Abs. 1 StGB bezeichneten Tathandlungen hinreichend und tragen daher die Verurteilung der Angeklagten wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen nicht.
16
Im Einzelnen:
17
Das Quälen, das rohe Misshandeln und die böswillige Fürsorgepflichtverletzung sind selbständige Begehungsformen der Misshandlung Schutzbefohlener gemäß § 225 Abs. 1 StGB. Die beiden Tatalternativen des Quälens und des Misshandelns können durch aktives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen begangen werden. Bei der Alternative des böswilligen Vernachlässigens der Fürsorgepflicht handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 15).
18
a) Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender (erheblicher) Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art. Es wird im Allgemeinen durch mehrere Tathandlungen bewirkt, wobei oft erst deren ständige Wiederholung den be- sonderen Unrechtsgehalt des Quälens verwirklicht (BGH, Urteile vom 30. März 1995 - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115; vom 17. Juli 2007 - 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306). Die zugefügten Schmerzen oder Leiden müssen über die typischen Auswirkungen einzelner Körperverletzungshandlungen hinausgehen. Ist dies der Fall, so kann Quälen durch Unterlassen allerdings auch dadurch verwirklicht werden, dass die gebotene ärztliche Hilfe durch die Eltern des Kindes nicht veranlasst wird (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 17). In subjektiver Hinsicht ist es erforderlich, dass der Täter den Vorsatz hat, dem Opfer erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Auswirkungen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung verbunden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2012 - 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467 mwN). Diese tatbestandlichen Voraussetzungen belegen die Feststellungen weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht. Die Angeklagte hat dadurch, dass sie es nach dem Erkennen der schweren Verletzung ihres Kindes über mehrere Stunden pflichtwidrig unterlassen hat, den Säugling einer ärztlichen Versorgung zuzuführen, nach den bisherigen Feststellungen bei diesem keine Schmerzen oder Leiden im Sinne von § 225 Abs. 1 Alternative 1 StGB verursacht, die über die Folgen der durch den Mitangeklagten E. begangenen Körperverletzung des Säuglings und ihrer eigenen, durch das pflichtwidrige Unterlassen an dem Kind begangenen Körperverletzung hinausgingen. Den Urteilsgründen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Angeklagte einen entsprechenden Vorsatz hatte.
19
b) Rohes Misshandeln im Sinne der Vorschrift liegt vor, wenn der Täter einem anderen eine Körperverletzung aus gefühlloser Gesinnung zufügt, die sich in erheblichen Handlungsfolgen äußert. Eine gefühllose Gesinnung ist gegeben , wenn der Täter bei der Misshandlung das - notwendig als Hemmung wirkende - Gefühl für das Leiden des Misshandelten verloren hat, das sich bei jedem menschlich und verständlich Denkenden eingestellt haben würde (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 - 5 StR 44/07, NStZ 2007, 405 mwN). Dass die Angeklagte die durch ihr pflichtwidriges Unterlassen begangene Körperverletzung des Kindes aus einer solchen Gesinnung heraus begangen hat, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Vielmehr war nach den bisherigen Feststellungen nicht Gefühllosigkeit der Grund für ihr pflichtwidriges Verhalten gegenüber ihrem Säugling, sondern die Furcht, bei Aufsuchen eines Krankenhauses das Kind zu verlieren und möglicherweise der Wille, ihren Lebensgefährten , den Mitangeklagten E. , zu schützen, da sie dessen Beteiligung an den schweren Verletzungen des Kindes vermutete.
20
c) Die Misshandlung eines Schutzbefohlenen ist schließlich auch gegeben , wenn der Täter durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für die schutzbedürftige Person zu sorgen, diese an der Gesundheit schädigt. Böswillig handelt, wer seine Pflicht für einen anderen zu sorgen, aus einem verwerflichen Beweggrund vernachlässigt (vgl. LK/Hirsch, aaO, Rn. 18). Das Gesinnungsmerkmal der Böswilligkeit ist gekennzeichnet durch feindseliges Verhalten aus Bosheit, Lust an fremdem Leid, Hass und anderen verwerflichen Gründen, etwa auch aus Geiz und Eigensucht. Gleichgültigkeit, Abgestumpftheit oder Schwäche sowie Überforderung wegen mangelnder Reife reichen hingegen in der Regel nicht aus (vgl. LK/Hirsch, aaO). Bei der Prüfung von Böswilligkeit, die eine Erforschung der Motive des Täters erfordert, sind psychopathologische Befunde, wie Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen zu berücksichtigen (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 24 ff. mwN). Daran gemessen ist auch die Verwirklichung dieser Tatbestandsalternative durch die Angeklagte jedenfalls nicht hinreichend belegt. Die festgestellten Motive der Angeklagten für ihr pflichtwidriges Verhalten - die Angst, ihr werde das Kind weggenommen und der Schutz ihres Freundes, des Mitangeklagten E. - sind jedenfalls nicht ohne weiteres unter das Merkmal der Böswilligkeit zu subsumieren, zumal das Landgericht sie auch nicht entsprechend, etwa als selbstsüchtig und verwerflich , bewertet hat.
21
3. Der Senat weist den neuen Tatrichter darauf hin, dass er alle in Tateinheit mit dem Nebenklagedelikt stehenden Delikte - auch Offizialdelikte - erneut zu prüfen haben wird (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 1993 - 5 StR 539/93, BGHSt 39, 390, 391; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 400 Rn. 7a mwN). Hinsichtlich der tateinheitlich abgeurteilten unterlassenen Hilfeleistung gemäß § 323c StGB gilt, dass diese regelmäßig als subsidiär hinter einer durch Unterlassen begangenen gefährlichen Körperverletzung und/oder der Misshandlung eines Schutzbefohlenen zurücktritt bzw. von diesen verdrängt wird (vgl. MüKoStGB/Freund, 2. Aufl., § 13 Rn. 289, 291, § 323c Rn. 125 ff.).
Becker Pfister Hubert RiBGH Mayer befindet sich Gericke im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die

1.
seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,
2.
seinem Hausstand angehört,
3.
von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder
4.
ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,
quält oder roh mißhandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr

1.
des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder
2.
einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
bringt.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 S t R 6 2 4 / 1 4
vom
4. August 2015
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der am 7. Juli 2015 begonnenen
Hauptverhandlung in der Sitzung vom 4. August 2015, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Raum,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Graf,
Prof. Dr. Radtke,
Prof. Dr. Mosbacher
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Fischer,
Richterin am Landgericht
- in der Verhandlung vom 7. Juli 2015 -,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
- in der Verhandlung vom 8. Juli 2015 - und
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
- in der Sitzung vom 4. August 2015 -
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung vom 7. Juli 2015 -
als Verteidiger des Angeklagten L. ,
Rechtsanwältin
- in der Verhandlung vom 7. Juli 2015 -
als Verteidigerin der Angeklagten B. ,
Rechtsanwalt
- in der Verhandlung vom 7. Juli 2015 -
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte
- in der Verhandlung vom 7. Juli 2015 -,
Justizobersekretärin
- in der Verhandlung vom 8. Juli 2015 - und
Justizangestellte
- in der Sitzung vom 4. August 2015 -
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 4. August 2014 werden mit der Maßgabe verworfen, dass die Angeklagten jeweils der „schweren“ Misshandlung eines Schutzbefohlenen schuldig sind.
2. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen „Misshandlung von Schutzbefohlenen“ zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die mit Verfahrens- und Sachrügen begründeten Revisionen der Angeklagten haben keinen Erfolg.

I.

2
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
3
Die Angeklagte B. ist die Mutter des Nebenklägers. Dieser leidet seit frühester Kindheit an der Erbkrankheit Mukoviszidose. Es handelt sich dabei um eine nicht kausal therapierbare, progredient verlaufende chronische Erkrankung mit einer beschränkten Lebenserwartung. Weil durch die Krankheit die Sekrete exokriner Drüsen besonders zähflüssig werden, kommt es zu Funktionsstörungen der jeweiligen Organe, insbesondere der Lunge.
4
Der Nebenkläger benötigt krankheitsbedingt eine permanente medikamentöse , krankengymnastische und ärztliche Behandlung, die sich sehr aufwändig gestaltet: Mehrfach täglich muss er inhalieren, täglich eine autogene Drainage (besondere Atemtechnik für lungenkranke Patienten zum Abhusten von Bronchialsekret) durchführen, zudem ist eine ständige antibiotische Behandlung mit einem Antibiotikum notwendig. Um ausreichend Nahrungsfette verdauen zu können, muss der Nebenkläger zu jeder Mahlzeit Pankreasenzympräparate (Kreon) einnehmen. Generell benötigt er aufgrund unzureichender Verdauung und drohender Untergewichtigkeit eine hyperkalorische Ernährung durch hohen Kalorienreichtum und Anreicherung der Nahrung. Die Verbesserung der körperlichen Fitness erfordert eine hohe sportliche Aktivität, auch sind drei- bis viermal jährlich Blut- und Sputumuntersuchungen notwendig , um die konkret notwendige Therapie stets anpassen zu können. Selbst bei optimaler Behandlung nimmt die Lungenfunktion jährlich ab, im statistischen Mittel zwischen 3 und 4 %. Je länger durch entsprechende Zugabe von Kreon und die Zuführung hochkalorischer Nahrung ein normales, altersentsprechendes Gewicht gehalten wird, umso günstiger wirkt sich dies auf die Lungenfunktion aus.
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Die Angeklagte B. kümmerte sich bis zum Sommer 1999 stets und ausdauernd um die adäquate Behandlung des im Januar 1987 geborenen Nebenklägers ; sie wusste über die Krankheit und die Behandlungsnotwendigkeit Bescheid. Der Nebenkläger wurde bis zu diesem Zeitpunkt mit den erforderlichen Medikamenten versorgt und inhalierte täglich.
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Nachdem die Angeklagte B. Anfang Juli 1999 den Angeklagten L. kennengelernt hatte, zog sie Anfang November 1999 mit ihren drei Kindern (einschließlich des Nebenklägers) bei ihm ein. Der Angeklagte L. , der sich seit vielen Jahren für spirituelle, esoterische, theosophische und religiöse Themen interessiert, lebte zu diesem Zeitpunkt in einer Wohngemeinschaft in einem Haus in Lo. , Ortsteil A. . Beide Angeklagte sahen nach dem Zusammenzug im spirituellen Bereich ihren Lebensmittelpunkt. Hierzu gehörten regelmäßige Meditationen, bei denen auch Interessierte von außen hinzukamen. Die Angeklagten pflegten eine einfache, natürliche Lebensweise mit vegetarischer Ernährung, vorwiegend mit Gemüse aus dem eigenen Garten. Schulmedizin lehnten sie nicht grundsätzlich ab, bevorzugten aber alternative Heil- methoden und natürliche Medikamente. Dass der auch als „Guru von A. “ oder „Guru von Lo. “ bezeichnete Angeklagte L. Mitglied oder Anführer einer Sekte war oder die Angeklagten der „Neuen Gruppe der Weltdiener“ zugehören, wie in den Medien verbreitet wurde, hat das Landge- richt nicht festgestellt.
7
Nach dem Einzug der Angeklagten B. in die Wohngemeinschaft des Angeklagten L. in Lo. /A. übernahm der Angeklagte L. neben der allein sorgeberechtigten Angeklagten B. die Fürsorge für den Nebenkläger und seine Geschwister. Er stand der auf Dauer angelegten Wohngemeinschaft vor, fühlte sich für das Wohl und Wehe des Nebenklägers mitverantwortlich, übernahm in Absprache mit der Angeklagten B. Erziehungsaufgaben und behandelte deren Kinder wie seine eigenen. Insgesamt war er das bestimmende Familienoberhaupt, das sich in jeden Bereich des täglichen Zusammenlebens und der gesamten Lebensgestaltung der Kinder ein- mischte und als zweiter „Erziehungsberechtigter“ die Zeugnisse unterschrieb. Über die Erkrankung des Nebenklägers wurde der Angeklagte L. im Sommer 1999 umfassend aufgeklärt, er wusste seitdem von der dringenden und andauernden Behandlungsbedürftigkeit und der Art und Weise, wie die Krankheit zu behandeln ist.
8
Nachdem der zu diesem Zeitpunkt 12-jährige Nebenkläger mit der Angeklagten B. und zwei Geschwistern in A. eingezogen war, wurde ihm kein für Inhalationen geeignetes Gerät mehr zur Verfügung gestellt. Neue Medikamente wurden nicht besorgt, die letztmals im Juli 1999 verschriebenen waren Ende 1999 aufgebraucht. Einem Arzt wurde der Nebenkläger nicht mehr vorgestellt, es wurde vielmehr ihm überlassen, ob er Medikamente einnimmt und zum Arzt geht. Weder wurde das Gewicht des Nebenklägers kontrolliert noch, ob er täglich die notwendige autogene Drainage durchführt. Auf eine hochkalorische Nahrung wirkten die Angeklagten nicht hin, der Nebenkläger musste sich weitgehend vegetarisch ernähren. Der Angeklagte L. stellte dem Nebenkläger in Aussicht, dass die Mukoviszidose-Krankheit bis spätestens zu seinem 18. Geburtstag geheilt werde, wenn er mit ihm mehrmals täglich meditiere; der Nebenkläger glaubte dies.
9
Der Nebenkläger, der an einer Spritzenphobie leidet, war froh, ohne die lästigen Prozeduren leben zu können und keine Ärzte oder Krankenhäuser mehr besuchen zu müssen. Er verlangte deshalb aus eigenem Antrieb nicht die Behandlung seiner Erkrankung gegenüber den Angeklagten. Vielmehr kam er dem Verlangen des Angeklagten L. nach täglicher Meditation nach, zumal ihm dieser bei unzureichender Mitwirkung mit einem Krankenhausbesuch drohte , der auch Spritzen umfassen würde. Aufgrund seines Alters konnte der Nebenkläger die negativen Konsequenzen des Behandlungsabbruchs für seine Gesundheit nicht überblicken und bewerten, auch weil diese schleichend und über einen relativ langen Zeitraum eintraten; vielmehr vertraute er darauf, durch Meditationen geheilt zu werden.
10
Der Kontakt des Nebenklägers zu seinem leiblichen Vater wurde konse- quent unterbunden, der Vater als „Teufel“ dargestellt, der das Böse verkörpere. Von der AOK erhielt die Angeklagte B. für den Nebenkläger bis Ende September 2001 Pflegegeld der Stufe 2. Weil sie keine Überprüfungsnachweise über die Behandlung beibrachte, wurde die Zahlung von Pflegegeld schließlich eingestellt. Noch im März 2000 hatte die Angeklagte bei der Überprüfung der Pflegevoraussetzungen falsche Angaben gemacht. Ende 2001 kündigte die Angeklagte B. im Einvernehmen mit dem Angeklagten L. ihre Krankenversicherung. Beide gingen davon aus, dass der Nebenkläger nunmehr auch nicht mehr krankenversichert sei, und überließen ihm die Entscheidung, eine Krankenversicherung abzuschließen.
11
Der Zustand des Nebenklägers verschlechterte sich nach seinem Einzug in A. durch die Unterbrechung der Behandlung – wie bei dieser Krankheit üblich – nicht rapide, sondern fortdauernd über die Jahre 2000, 2001 und 2002 hinweg. Im Sport in der Schule war er nach anfänglich guten Leistungen im Jahr 1998/99 bald nur noch „befriedigend“. Im Mai 2000 fuhr er letztmals auf einen Ausflug ins Schullandheim mit und konnte noch eine sechs Kilometer lange Wanderung absolvieren. Ab dem Schuljahr 2000/2001 musste er dann krankheitsbedingt vom Sportunterricht befreit werden. In diesem Schuljahr kam er oft abgeschlagen und müde zum Unterricht oder fehlte ganz, weil sein Gesundheitszustand auffällig schlechter war als zuvor. Ab spätestens Mitte 2001 traten wegen der nicht mehr behandelten Mukoviszidose Beschwerden (Atemnot ) und Schmerzen (Kopfschmerzen) auf. Im Dezember 2002 hatte der Nebenkläger bei den geringsten körperlichen Anstrengungen erhebliche Atembeschwerden ; aufgrund seiner Atemnot litt er zudem ständig unter heftigen Kopfschmerzen. Im gesamten Zeitraum von Ende 1999 bis Ende 2002 legte er nicht an Gewicht zu. Die fortlaufende Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Nebenklägers erkannten beide Angeklagte; dennoch änderten sie ihr Verhalten nicht.
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Als der dann 15-jährige Nebenkläger Ende 2002 die Wohngemeinschaft in A. verließ und nach gerichtlicher Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf seinen Vater zu diesem zog, waren mangels Behandlung seine Bronchien stark verschleimt, die Lungenfunktion stark eingeschränkt und die Sauerstoffsättigung im Blut nicht mehr ausreichend. Er litt bei geringster körperlicher Betätigung unter Atemnot, unter permanenten Kopfschmerzen und blauen Fingerkuppen (Zyanose). Atemnot und Kopfschmerzen waren spätestens seit Mitte 2001 aufgetreten und nahmen dann kontinuierlich zu. Die Möglichkeit damit verbundener länger anhaltender Schmerzen erkannten die Angeklagten und nahmen dies billigend in Kauf; gleichwohl änderten sie ihr Verhalten nicht.
13
Der Nebenkläger war Ende 2002 massiv unterernährt und wog bei einer Größe von 159 cm nur noch 30,5 kg. Sein Zustand war insgesamt extrem besorgniserregend und potentiell lebensbedrohlich; bei weiterer Nichtbehandlung hätte die fortschreitende Verschleimung seiner Organe binnen weniger Wochen zum Tode geführt. Es bestand deshalb die konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung und einer erheblichen Schädigung seiner körperlichen Entwicklung. Der Verlust seiner Lungenfunktion ist überdurchschnittlich und irreversibel.
14
Obwohl die Angeklagten den fortschreitenden körperlichen Abbau bei dem Nebenkläger bemerkten, unterließen sie es, ihm die notwendige medikamentöse , therapeutische und ärztliche Behandlung zukommen zu lassen und die Medikamenteneinnahme sowie den Gesundheitszustand engmaschig zu kontrollieren, obwohl ihnen all dies, wie sie wussten, möglich und zumutbar war. Hätten die Angeklagten dem Nebenkläger die notwendige Behandlung zuteil werden lassen, hätte sich sein Gesundheitszustand stabilisiert und die Krankheit wäre nicht so rasant fortgeschritten.
15
2. Das Landgericht hat das Verhalten der Angeklagten in rechtlicher Hinsicht als Quälen eines Schutzbefohlenen durch Unterlassen nach § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB i.V.m. § 13 StGB bewertet und ist zudem vom Vorliegen einer Qualifikation nach § 225 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 2 und Nr. 2 Alt. 1 StGB ausgegangen, weil der Nebenkläger durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung und einer erheblichen Schädigung der körperlichen Entwicklung ge- bracht worden sei. Das Merkmal des „Quälens“ hat das Landgericht dadurch als verwirklicht angesehen, dass dem Nebenkläger durch das Unterlassen der gebotenen und möglichen Behandlung über einen Zeitraum von knapp drei Jahren unnötige erhebliche Schmerzen und Leiden zugefügt worden seien. Spätestens ab Mitte 2001 bis Ende 2002 sei es zu einer zunehmenden Verschleimung der Bronchien mit immer weiter abnehmender Sauerstoffsättigung gekommen, wodurch permanente Kopfschmerzen und schließlich am Ende blaue Fingerkuppen aufgetreten seien. Insgesamt habe die Leistungsfähigkeit immer mehr abgenommen, sodass dem Nebenkläger am Ende jede körperliche Anstrengung erhebliche Schmerzen bereitet habe. In Kenntnis aller Umstände hätten die Angeklagten die geschilderten Schmerzen und Leiden billigend in Kauf genommen, ebenso den Eintritt der konkreten Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung und einer erheblichen Schädigung der körperlichen Entwicklung.
16
Den Einwand der Angeklagten, sie hätten gegen den Willen des Nebenklägers eine ärztliche Behandlung oder Medikamenteneinnahme ebenso wenig durchsetzen können wie Kontrollen, ob er täglich inhaliert, Medikamente eingenommen oder eine autogene Drainage gemacht habe, hat das Landgericht entgegengesetzt, dass die Angeklagten den minderjährigen Nebenkläger not- falls gegen seinen Willen, ggfs. unter Einschaltung der zuständigen Behörden, zur notwendigen Behandlung hätten zwingen müssen.
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3. Im Rahmen der Schuldfähigkeitsprüfung hat das Landgericht ausgeführt , die Angeklagten propagierten und lebten auf der Grundlage theosophischer und buddhistischer Theorien zwar eine eigenwillige Weltanschauung mit einer einfachen, natürlichen Lebensweise und dem Glauben an das Gesetz des Karma und an Reinkarnation. Dass beide dem knapp 13-jährigen Nebenkläger die Verantwortung für seine Weiterbehandlung übertragen und sich nicht weiter darum gekümmert hätten, fuße aber nicht auf einer weltanschaulichen Wahnvorstellung der Angeklagten, sondern sei als bloßes Scheuen weiterer unangenehmer Auseinandersetzungen mit dem pubertär-schwierigen Nebenkläger zu werten. Ein direkter Zusammenhang zwischen der Weltanschauung der Angeklagten und der Verweigerung einer schulmedizinischen Behandlung für den Nebenkläger, wie dies in den Medien propagiert werde, könne nach den Feststellungen nicht tragfähig belegt werden.
18
4. Bei der Strafzumessung hat das Gericht aufgrund des langen Tatzeitraums und der bleibenden Folgen für den Nebenkläger keinen Anlass gesehen, einen minder schweren Fall der schweren Misshandlung Schutzbefohlener anzunehmen. Eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 13, 49 Abs. 1 StGB hat die Strafkammer aus den gleichen Gründen abgelehnt. Bei der Strafzumessung im Einzelnen hat das Landgericht zugunsten der Angeklagten u.a. gewürdigt, dass die bislang unbestraften und teilgeständigen Angeklagten mit bedingtem Vorsatz und durch Unterlassen gehandelt haben. Zudem seien sie durch eine Fernsehreportage mit erheblichem Medienecho in der Öffentlichkeit vorverurteilt und stigmatisiert und durch Einträge in sozialen Medien sowie durch Mahnwachen vor ihrem Haus öffentlich geächtet worden. Zu Lasten der Angeklagten wurde jeweils der lange Tatzeitraum mit der Leidenszeit des Nebenklä- gers spätestens ab Mitte 2001 gewertet, wobei sich der Gesundheitszustand kontinuierlich verschlechtert habe und sich dadurch die Schmerzen kontinuierlich gesteigert hätten.

II.

19
Die Revisionen der Angeklagten haben keinen Erfolg.
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1. Die Verfahrensrügen sind unzulässig, weil es – wie der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift im Einzelnen ausgeführt hat – jeweils entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO an der Mitteilung in Bezug genommener Schriftstücke fehlt, deren Kenntnis für die Rügeprüfung notwendig wäre.
21
2. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der von den Angeklagten jeweils näher ausgeführten Sachrüge ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten:
22
a) Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist nicht zu beanstanden.
23
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, der sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden hat (§ 261 StPO). Die tatsächlichen Schlussfolgerungen des Tatgerichts müssen nicht zwingend sein; es genügt, dass sie möglich sind und das Tatgericht von ihrer Richtigkeit überzeugt ist (vgl. Senat, Urteil vom 1. Oktober 2013 – 1 StR 403/13, NStZ 2014, 475 mwN). Das Revisionsgericht ist auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht übereinstimmt oder sich soweit von einer Tatsachengrundlage entfernt, dass sich die gezogenen Schlussfolgerungen letztlich als reine Vermutung erweisen (st. Rspr.; vgl.
Senat aaO mwN). Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts gerecht. Die vom Landgericht gezogenen Schlüsse sind tragfähig begründet und nachvollziehbar.
24
aa) Dies gilt insbesondere auch für den Schluss der Kammer auf einen bedingten Vorsatz beider Angeklagter. Die Kammer hat sich (zwar unter teil- weise abweichender Formulierung, vgl. UA S. 16, 37: „konnten … erkennen“) davon überzeugt, dass die Angeklagten genau alle Umstände gekannt haben, die zur Verschlechterung des Gesundheitszustandes und damit zu Schmerzen und unnötigen Leiden führen mussten (UA S. 50), dass sie die fortlaufende Verschlechterung des Gesundheitszustandes erkannten (UA S. 15) und den fortschreitenden körperlichen Abbau bemerkten (UA S. 18) sowie dass sie auch alle für die eingetretene konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung und der erheblichen Schädigung der körperlichen Entwicklung des Nebenklägers kannten (UA S. 50). Diese Schlussfolgerung liegt angesichts des festgestellten Krankheitsverlaufs auch überaus nahe, war der Nebenkläger Ende 2002 doch schon durch massive Unterernährung, blaue Fingerkuppen und gravierende Lungenfunktionseinschränkung gleichsam vom nahenden Tod gezeichnet. Zudem haben – worauf das Landgericht zutreffend abstellt – sämtliche Zeugen (Geschwister, Lehrer) den kontinuierlichen und besorgniserregenden körperlichen Leistungsabbau ab Mitte 2001 bei dem Nebenkläger bemerkt, so dass nichts dafür spricht, dass lediglich die Angeklagten insoweit ahnungslos gewesen sind. All dies rechtfertigt im Zusammenhang mit den übrigen Feststellungen auch den Schluss der Kammer, die Angeklagten hätten – weil sie weitere unangenehme Auseinandersetzungen mit dem pubertär-schwierigen Jungen scheuten – die durch die Verschlechterung des Gesundheitszustandes entstandenen Schmerzen und Leiden des Nebenklägers ebenso billigend in Kauf genommen wie die konkrete Gefahr einer schweren Gesundheitsschädi- gung und einer erheblichen Schädigung der körperlichen Entwicklung und deshalb jeweils mit Eventualvorsatz gehandelt.
25
bb) Anders als die Revision der Angeklagten B. meint, sind auch die Feststellungen zum Fehlen von Medikamenten und einem Inhalationsgerät tragfähig mit den Angaben des Apothekers und der Geschwister des Nebenklägers belegt, zumal die Angeklagte B. ohnehin eingeräumt hat, seit Ende Juli 1999 mit dem Nebenkläger nicht mehr bei einem Arzt gewesen zu sein, so dass auch keine neuen Medikamente mehr verschrieben werden konnten.
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cc) Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Nebenklägers sowie zu den Auswirkungen des Unterlassens jeder gebotenen Behandlung hat das Landgericht rechtsfehlerfrei auf die ausführlichen Angaben zweier Sachverständiger – eines Rechtsmediziners und eines Spezialisten für die Behandlung von Mukoviszidose – gestützt.
27
b) Die rechtsfehlerfreien Feststellungen tragen den Schuldspruch.
28
aa) Der minderjährige Nebenkläger befand sich nach seinem Einzug in A. im Sinne von § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB in der Fürsorge und der Obhut der sorgeberechtigten Angeklagten B. als seiner Mutter und des Angeklagten L. , der im Einvernehmen mit der Angeklagten B. tatsächlich die Erziehung und Sorge für den in seinem Haushalt lebenden Nebenkläger übernommen hatte (vgl. auch BGH, Urteil vom 20. Oktober 1993 – 2 StR 109/93).
29
bb) Die Angeklagten haben den Nebenkläger durch Unterlassen der gebotenen medizinischen und therapeutischen Behandlung im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB „gequält“.
30
Quälen bedeutet das Verursachen länger andauernder oder sich wiederholender (erheblicher) Schmerzen oder Leiden (st. Rspr.; vgl. nur RG, Urteil vom 23. Mai 1938 - 5 D 271/38, JW 1938, 1879; BGH, Urteile vom 12. September 1961 – 5 StR 329/61; vom 30. März 1995 – 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115; vom 6. Dezember 1995 – 2 StR 465/95, NStZ-RR 1996, 197; vom 3. Juli 2003 – 4 StR 190/03, NStZ 2004, 94; vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; Beschlüsse vom 20. März 2012 – 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466; vom 24. Februar 2015 – 4 StR 11/15; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 225 Rn. 8a; Hirsch in LK, 11. Aufl., § 225 Rn. 12; Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, 29. Aufl., § 225 Rn. 11; Hardtung in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 225 Rn. 11; Momsen/Momsen-Pflanz in SSW-StGB, 2. Aufl., § 225 Rn. 13; Eschelbach in v. Heintschel-Heinegg, StGB, 2. Aufl., § 225 Rn. 16). Erfasst hiervon sind auch seelische Leiden, denn neben der körperlichen Unversehrtheit wird von § 225 Abs. 1 StGB auch die psychische Integrität einer unter besonderen Schutzverhältnissen stehenden Person geschützt (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2014 – 2 StR 608/13; Beschluss vom 28. Oktober 2010 – 5 StR 411/10; Hirsch aaO Rn. 1; Fischer aaO Rn. 2; Hardtung aaO Rn. 1).
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Das Merkmal „quälen“ erfordert über den Vorsatz hinaus keine besonde- re subjektive Beziehung des Täters zur Tat im Sinne eines Handelns aus Lust an der Schmerzzufügung, aus niedriger Gesinnung oder aus Böswilligkeit; es reicht eine Tatbegehung aus Gleichgültigkeit oder Schwäche (vgl. BGH, Urteil vom 12. September 1961 – 5 StR 329/61; Senat, Urteil vom 1. April 1969 – 1StR 561/68; BGH, Beschluss vom 17. Januar 1991 – 4 StR 560/90, NStZ 1991, 234; BGH, Urteil vom 6. Dezember 1995 – 2 StR 465/95, NStZ-RR 1996, 197). Der Bundesgerichtshof lässt – wie die herrschende Auffassung in der Literatur – für die Tathandlung „quälen“ ausreichen, dass der Täter dem Schutzbefohlenen vorsätzlich länger andauernde oder sich wiederholende (erhebliche) Schmerzen oder Leiden zufügt (s.o.). Demgegenüber verlangt eine andere Auffassung in der Literatur für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals „quälen“, dass die Tat aus einer gefühllos-unbarmherzigen Gesinnung begangen wird (Paeffgen in NK-StGB, 4. Aufl., § 225 Rn. 13; Wolters in SK-StGB, § 225 Rn. 10). Zur Begründung verweist diese Auffassung auf historisch-genetische Argumente (insb. Paeffgen aaO) und den innertatbestandlichen Vergleich mit den zwei weiteren Begehungsweisen des § 225 Abs. 1 StGB (insb. Wolters aaO). Beides überzeugt nicht:
32
Die Tatbestandsfassung des heutigen § 225 Abs. 1 StGB geht zurück auf das Gesetz zur Abänderung strafrechtlicher Vorschriften vom 26. Mai 1933 (RGBl. I 295). Mit diesem Gesetz wurde § 223b RStGB als Vorgängervorschrift des heutigen § 225 StGB neu in das RStGB eingeführt; die Beschreibung der drei verschiedenen Begehungsweisen ist bis heute unverändert geblieben. § 223b RStGB ersetzte § 223a Abs. 2 RStGB, der durch Gesetz vom 19. Juni 1912 (RGBl. 395) eingeführt wurde und erstmals eine besondere Strafbarkeit für die Misshandlung Schutzbefohlener im RStGB vorsah. Strafbar war nach § 223a Abs. 2 RStGB aF (1912) die Begehung von Körperverletzungen gegen- über Schutzbefohlenen „mittels grausamer oder boshafter Behandlung“ (zur Gesetzesentstehung ausführlich Korn, Körperverletzungsdelikte – §§ 223 ff., 340 StGB, Reformdiskussion und Gesetzgebung von 1870 bis 1933, 2003, S. 253 ff.). Während der Reformdiskussion, die der Änderung 1912 voranging, war erwogen worden, als Tathandlung das „boshafte Quälen“ einzuführen (vgl. Korn aaO S. 263); durchgesetzt hatte sich dieser Vorschlag damals nicht.
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Wenige Monate nach Inkrafttreten des § 223b RStGB wurde das Tierschutzgesetz vom 24. November 1933 (RGBl. I 987) verkündet. Gemäß § 9 Abs. 1 Tierschutzgesetz 1933 wurde bestraft, wer ein Tier unnötig quält oder roh misshandelt. Eine Legaldefinition des „Quälens“ enthielt § 1 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 Tierschutzgesetz 1933: „Ein Tier quält, wer ihm länger dauernde oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden verursacht.“ In diesem Sinn legte auch das Reichsgericht den Begriff des Quälens aus, näm- lich als „die Verursachung länger fortdauernder oder sich wiederholender erheblicher Schmerzen oder Leiden“ (RG, Urteil vom 23. Mai 1938 – 5 D 271/38, JW 1938, 1879). Demgegenüber definierte § 1 Abs. 2 Satz 2 Tierschutzgesetz 1933 den Begriff der rohen Misshandlung als Verursachung erheblicher Schmerzen aus roher Gesinnung (vgl. hierzu auch RG aaO). Diese Unterscheidung liegt auch noch der heutigen Strafvorschrift in § 17 Nr. 2 TierSchG zugrunde; an der bis dahin geltenden Strafbarkeit wollte der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 17 TierSchG, der § 9 Abs. 1 Tierschutzgesetz 1933 ablöste , offensichtlich nichts ändern (vgl. Gesetzesbegründung BT-Drucks. VI/2558 S. 12 f.); lediglich gesetzestechnisch wurde anstelle des Begriffs „Quä- len“ der Inhalt der Legaldefinition in § 1 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 Tierschutzge- setz 1933 zum Tatbestandsmerkmal in § 17 Nr. 2 Buchstabe b TierSchG gemacht (vgl. auch BGH, Urteil vom 18. Februar 1987 – 2 StR 159/86, NStZ 1987, 511).
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Die historische Auslegung ergibt damit, dass der Gesetzgeber den Be- griff „quälen“ als Verursachung länger andauernder oder sich wiederholender erheblicher Schmerzen oder Leiden versteht, darüber hinaus eine besondere subjektive Einstellung des Täters – anders als bei der rohen Misshandlung oder der böswilligen Vernachlässigung – aber gerade nicht verlangt.
35
Vor diesem Hintergrund erschließt sich auch die unterschiedliche Formulierung der drei Tathandlungsvarianten in § 225 Abs. 1 StGB: Gerade weil der Gesetzgeber bei der Formulierung ausdrücklich zwischen Begehungsweisen mit besonderer subjektiver Beziehung zur Tat („rohe Misshandlung“, „böswillige Vernachlässigung“) und solchen ohne derartigen Zusatz unterscheidet, ergibt sich im Umkehrschluss, dass bei der Variante des „Quälens“ keine weiteren subjektiven Voraussetzungen vorliegen müssen (vgl. Hardtung in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 225 Rn. 26). Wie die Gesetzgebungsgeschichte zeigt, standen dem Gesetzgeber Formulierungen zur Verfügung, mit denen er eine weitere subjektive Voraussetzung auch bei der Tatvariante des „Quälens“ hätte formulieren können („boshaftes Quälen“); solche Formulierungen hat er aber nicht gewählt. Gegenüber den zwei anderen Varianten des § 225 Abs. 1 StGB zeichnet sich die Tatvariante des „Quälens“ durch besondere Anforderungen an den Körper- verletzungserfolg aus; dies rechtfertigt es, insoweit keine weiteren einschränkenden subjektiven Elemente zu verlangen (vgl. Hardtung in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 225 Rn. 26). Mit dem Wortlaut ist diese Auslegung, die auf das Verursachen körperlicher und seelischer Qualen bei dem Opfer abstellt, ohne weiteres vereinbar (vgl. Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in zehn Bänden, 3. Aufl., Band 7, Stichwort „quälen“).
36
All dies gilt auch für das Quälen durch Unterlassen (vgl. insb. BGH, Urteil vom 12. September 1961 – 5 StR 329/61). Quälen kann nach heute nahezu allgemeiner Meinung auch durch Unterlassen begangen werden (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 1. April 1969 – 1 StR 561/68; BGH, Beschluss vom 17. Januar 1991 – 4 StR 560/90, NStZ 1991, 234; BGH, Urteile vom 30. März1995 – 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 117; vom 6. Dezember 1995 – 2 StR 465/95, NStZ-RR 1996, 197; vom 3. Juli 2003 – 4 StR 190/03, NStZ 2004, 94; vom 5. März 2008 – 2 StR 626/07, BGHSt 52, 153, 156; BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – 5 StR 411/10; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. Juli 2002 – 3 StR 64/02 für die Variante des rohen Misshandelns; ebenso Fischer, 62. Aufl., § 225 Rn. 8; Hirsch in LK, 12. Aufl., § 225 Rn. 17; Stree/SternbergLieben in Schönke/Schröder, 29. Aufl., § 225 Rn. 11; Hardtung in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 225 Rn. 2, 15; Momsen/Momsen-Pflanz in SSW-StGB, 2. Aufl., § 225 Rn. 12; Eschelbach in BeckOK-StGB, § 225 Rn. 16; Paeffgen in NK-StGB, 4. Aufl., § 225 Rn. 18). Insbesondere wer es unterlässt, für sein Kind leidensvermindernde ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, kann dieses durch Unterlassen quälen (vgl. Senat, Urteil vom 1. April 1969 – 1 StR 561/68; BGH, Urteile vom 6. Dezember 1995 – 2 StR 465/95, NStZ-RR 1996, 197; vom 5. März 2008 – 2StR 626/07, BGHSt 52, 153, 159; OLG Düsseldorf, NStZ 1989, 269). Für die Unterlassungstäterschaft im Rahmen des § 225 StGB reicht – wie auch sonst – bedingter Vorsatz aus (BGH, Urteil vom 3. Juli 2003 – 4 StR 190/03).
37
Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts hat das Unterlassen der gebotenen medikamentösen, therapeutischen und ärztlichen Behandlung beim Nebenkläger zu fortschreitendem Leistungsabbau, erheblicher Abnahme der Lungenfunktion, massiver Mangelernährung, anhaltenden Kopfschmerzen und schließlich sogar blauen Fingerkuppen infolge Sauerstoffmangels geführt, wobei Beschwerden und Schmerzen spätestens ab Mitte 2001 auftraten und sich kontinuierlich steigerten. Die zunehmende Verschleimung der Bronchien mit immer weiter abnehmender Sauerstoffsättigung, die massive Mangelernährung und der hierdurch bewirkte Abbau seiner Leistungsfähigkeit stellten ein erhebliches Leiden für den Nebenkläger dar. Zudem litt er aufgrund der unzureichenden Sauerstoffsättigung permanent an Kopfschmerzen , hatte also erhebliche Schmerzen im Sinne der oben genannten Definition; zuletzt bereitete ihm nach den Feststellungen des Landgerichts zudem jede körperliche Anstrengung erhebliche Schmerzen.
38
Im Rahmen der rechtlichen Würdigung und Strafzumessung hat das Landgericht zutreffend darauf abgestellt, dass der Tatzeitraum des Unterlassens gebotener medizinischer Behandlung und Therapie knapp drei Jahre umfasst (UA S. 48, 49, 51), sich die Verschlechterung des Gesundheitszustandes und dadurch bedingte Schmerzen des Nebenklägers während dieses Tatzeitraums kontinuierlich aufbauten und steigerten und der Taterfolg – die Leidenszeit des Nebenklägers – spätestens ab Mitte 2001 eintrat (UA S. 48, 54).
39
cc) Das Unterlassen der Angeklagten entspricht im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB auch der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun. Voraussetzung hierfür ist, dass das Unterlassen im konkreten Fall dem Unrechtsgehalt aktiver Tatbestandsverwirklichung so nahe kommt, dass es sich dem Unrechtstypus des Tatbestands einfügt (sog. Modalitätenäquivalenz, vgl. Fischer aaO, § 13 Rn. 83 f. mwN). Eine Gleichstellung des Unterlassens mit der Verwirklichung des Handelns durch aktives Tun kommt insbesondere dann nicht in Betracht, wenn dem Unterlassen der Erfolgsunwert fehlt (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Februar 1979 – 1 StR 648/78, BGHSt 28, 300, 307) oder es an begehungstäterbezogenen Qualifikationsmerkmalen mangelt (ausführlich hierzu Roxin, Strafrecht AT II, § 32 Rn. 239 ff. mwN). Bei reinen Erfolgsdelikten wie etwa § 212 StGB kommt der Entsprechensklausel dagegen keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. Fischer aaO Rn. 86 mwN; Weigend in LK, 12. Aufl., § 13 Rn. 77; ausführlich hierzu Roxin aaO, § 32 Rn. 218 ff. mwN; vgl. auch BGH, Urteil vom 6. November 2002 – 5 StR 281/01, BGHSt 48, 77, 96).
40
Bei § 225 Abs. 1 StGB handelt es sich in der Variante des „Quälens“ um ein reines Erfolgsdelikt in Form eines Verletzungsdelikts (vgl. Hardtung in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 225 Rn. 2). Der Taterfolg besteht in der Verursachung von Schmerzen und Leiden des Tatopfers, den Qualen. Anders als bei der Va- riante der „rohen Misshandlung“ (vgl. hierzu im Kontext von § 13 StGB auch Weigend aaO § 13 Rn. 77) oder der „böswilligen Vernachlässigung“ ist eine besondere Begehungsweise nicht vorausgesetzt (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1995 – 2 StR 465/95, NStZ-RR 1996, 197).
41
Vorliegend entsprach deshalb das Unterlassen der gebotenen Behandlung einer Tatbegehung durch aktives Tun. Auf die Frage, ob die vom Angeklagten L. angesichts seines Wissens um das Krankheitsbild naheliegend mit Eventualvorsatz begangene Täuschung des Nebenklägers über die Wirksamkeit täglicher Meditation als Therapieersatz eher als eine Tatbegehung durch aktives Tun einzuordnen ist, kommt es deshalb nicht an.
42
dd) Durch die objektiv gebotenen Handlungen der Angeklagten – Fortführen der notwendigen ständigen Behandlung durch Zurverfügungstellung der notwendigen Medikamente und Hilfsmittel, ärztliche und therapeutische Betreuung und Kontrolle, Angebot hochkalorischer Nahrung, notfalls Erzwingen der Behandlung – wären nach den durch Sachverständigenangaben belegten tragfähigen Feststellungen der Strafkammer die gravierende Verschlechterung des Gesundheitszustandes und die damit einhergehenden erheblichen Leiden und Schmerzen des Nebenklägers vermieden worden (hypothetische Kausalität ). Dies folgt auch daraus, dass der Nebenkläger bereits kurz nach Wiederaufnahme der medizinischen und therapeutischen Behandlung im Dezember 2002 wieder bessere Werte bei Sauerstoffsättigung, Lungenfunktion und Gewicht aufwies und die durch die Sauerstoffunterversorgung hervorgerufenen Folgen (Kopfweh, Zyanose) verschwanden.
43
ee) Die Vornahme der rechtlich gebotenen Handlungen war den Angeklagten auch möglich und zumutbar.
44
Die Angeklagten konnten dem Nebenkläger ohne weiteres eine regelmäßige ärztliche und therapeutische Behandlung und Kontrolle organisieren und den Nebenkläger zur Mitwirkung motivieren – die Angeklagte B. im Rahmen ihrer elterlichen Sorge, der Angeklagte L. als faktischer „Haus- haltsvorstand“, der die tatsächliche Fürsorge für den ihm schutzbefohlenen Ne- benkläger übernommen hatte. Hierfür erhielt die Angeklagte B. sogar bis Ende September 2001 von der AOK Pflegegeld der Stufe 2.
45
Nach den Feststellungen des Landgerichts deutet nichts darauf hin, dass sich der Nebenkläger bei gebotener Einwirkung der Angeklagten der Fortführung seiner Therapie nach dem Einzug in A. verschlossen hätte. Denn er hat bis dahin stets vollumfänglich bei der aufwändigen Therapie mitgewirkt, sämtliche notwendigen Medikamente genommen, inhaliert, die autogene Drainage durchgeführt und sich regelmäßig ärztlich untersuchen und therapeutisch behandeln lassen. Zudem hat er nach dem Auszug aus der Wohngemeinschaft Ende 2002 sofort mit der notwendigen Medikation und Therapie wieder begonnen , was eine spürbare und erhebliche Verbesserung seines Gesundheitszustandes und das Ende seiner Schmerzen und Leiden zur Folge hatte. Dass auch der Angeklagte L. über entsprechenden Einfluss auf das Verhalten des Nebenklägers verfügte, ergibt sich schon daraus, dass sich der Nebenkläger anderen Anweisungen des Angeklagten L. , etwa hinsichtlich der Meditation , gefügt hat.
46
Selbst wenn sich der Nebenkläger – was nach den Feststellungen des Landgerichts ohnehin nicht der Fall war – geweigert hätte, sich weiterbehandeln zu lassen, hätten die Angeklagten die notwendige Behandlung des minderjährigen Nebenklägers auch gegen seinen Willen erzwingen müssen:
47
Die Angeklagte B. konnte sich ihrer elterlichen Sorge für die Person des Nebenklägers nicht dadurch entledigen, dass sie diesem die Verantwortung für die Behandlung seiner schweren Erkrankung übertrug. Nach § 1626 Abs. 1 Satz 1 BGB haben die Eltern das Recht und die Pflicht, für ein minderjähriges Kind zu sorgen. Dies umfasst insbesondere auch die Sorge um das körperliche und seelische Wohl des Kindes (Personensorge, § 1626 Abs. 1 Satz 2 BGB). Gemäß § 1626 Abs. 2 Satz 1 BGB berücksichtigen die Sorgeberechtigten zwar die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem und verantwortungsbewusstem Handeln. Sie besprechen deshalb mit dem Kind, soweit dies nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen der elterlichen Sorge und streben Einvernehmen an (§ 1626 Abs. 2 Satz 2 BGB). Dies alles findet seine Grenze aber im Schutz des Minderjährigen vor konkreten Gefahren für Leib und Leben, wie auch § 1666 BGB zeigt. Das „Kindeswohl“ ist Schutzgegenstand des § 1666 BGB, weil das Kind nach der gesetzlichen Konzeption zu einer Selbstbestimmung seiner Interessen rechtlich nicht in der Lage ist und deshalb sein objektiv bestimmtes „wohlverstandenes Interesse“ in den Vordergrund tritt; bei der Bestimmung dieses „Wohls“ ist allerdings der subjektive Wille des Kindes, gerade auch bei Jugend- lichen, beachtlich (vgl. hierzu ausführlich Coester, in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2009, § 1666 Rn. 74 ff. mwN). In Fällen notwendiger Heilbehandlung gegen den Willen eines älteren Kindes oder Jugendlichen kommt es auf die Schwere und Bedeutung des Eingriffs in die körperliche Integrität des Kindes, die objektive (medizinische) Notwendigkeit und die Gründe für die Haltung des Kindes an (vgl. Coester aaO Rn. 154; vgl. auch Olzen in MüKo-BGB, 6. Aufl., § 1666 Rn. 77 ff. mwN). Nach diesen Maßstäben unterliegt es keinem Zweifel, dass die Angeklagte B. einem etwaigen Nichtbehandlungswunsch des Nebenklägers (hätte er überhaupt vorgelegen) keine durchgreifende Relevanz hätte zukommen lassen dürfen, denn die schwerwiegenden, irreversiblen und potentiell tödlichen Folgen einer Nichtweiterbehandlung der Mukoviszidose standen in keinem Verhältnis zu den notwendigen ärztlichen und therapeutischen Maßnahmen. Zudem ist es bei diesem Krankheitsbild naheliegend (was auch das Landgericht betreffend den Nebenkläger festgestellt hat), dass ein Minderjähriger die schweren Folgen der sich über Jahre hinziehenden Verschlechterung seines Gesundheitszustandes nicht hinreichend überblicken und deshalb insoweit keine eigenverantwortliche Entscheidung über einen Behandlungsabbruch treffen kann.
48
Die Angeklagte B. hätte als sorgeberechtigte Mutter des Nebenklägers notfalls einen Antrag bei dem Familiengericht nach § 1631b BGB auf Genehmigung einer mit Freiheitsentzug verbundenen Unterbringung des Nebenklägers stellen müssen, wenn nur durch eine solche Unterbringung in einer Klinik die Durch- und Weiterführung einer dringend notwendigen Behandlung des Kindes mit Medikamenten sichergestellt und eine erhebliche Selbstgefährdung hätte verhindert werden können (vgl. auch OLG Köln, Beschluss vom 8. November 2012 – 26 UF 158/12). Zuvor hätte die Angeklagte B. – ebenso wie der Angeklagte L. – aber alle Möglichkeiten der Einwirkung auf den minderjährigen Nebenkläger, auch unter Einschaltung des Jugendamts, nutzen müssen, um den Nebenkläger zur Fortführung der Medikation und Therapie zu bewegen.
49
Der Angeklagte L. hätte als Fürsorgepflichtiger notfalls auch gegen den Willen der allein sorgeberechtigten Angeklagten B. die Gerichte bzw.
Behörden einschalten müssen, die – wie es letztlich auch geschehen ist – bei Kenntnis von den Umständen der unzureichenden Betreuung des Nebenklägers zur Erhaltung von dessen Gesundheit tätig geworden wären. Wird das körperliche Wohl eines Kindes gefährdet, etwa durch Nichtbehandlung einer behandlungsbedürftigen schweren Krankheit, und sind die Erziehungsberechtigten nicht gewillt oder in der Lage, diese Gefahr für das Kindeswohl abzuwenden , trifft gemäß § 1666 Abs. 1 BGB das Familiengericht die notwendigen Maßnahmen zur Abwendung der Gefahr. Das Verfahren wird von Amts wegen eingeleitet; insoweit muss das Familiengericht auch plausiblen Anzeigen Dritter nachgehen (Coester in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2009, § 1666 Rn. 261 mwN). Auch ein Hinweis des Angeklagten L. an das zuständige Jugendamt hätte entweder zur Herausnahme des Nebenklägers aus der Wohngemeinschaft durch das Jugendamt direkt oder zum Eingreifen des Jugendgerichts auf Antrag des Jugendamts geführt (vgl. § 8a Abs. 2 SGB VIII; vgl. auch Olzen, in MüKo-BGB, 6. Aufl., § 1666 Rn. 213). Zu den möglichen gerichtlichen Maßnahmen des Jugendgerichts gehören etwa das Gebot, öffentliche Hilfen der Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen, oder die – vorliegend auch erfolgte – Entziehung des Sorgerechts (§ 1666 Abs. 3 Nr. 1, 6 BGB). Die Einschaltung von Gerichten oder Behörden war auch erfolgversprechend, wie der weitere Verlauf des vorliegenden Falls zeigt. Allein schon die Übertragung des Sorgerechts auf den Vater des Nebenklägers und das Verlassen der Wohngemeinschaft in A. haben Ende 2002 die Wiederaufnahme der notwendigen Therapie und die Beseitigung der Leiden und Schmerzen des Nebenklägers zur Folge gehabt.
50
Nach den Feststellungen des Landgerichts haben die Angeklagten indes das Gegenteil des rechtlich Gebotenen getan: Sie haben dem Nebenkläger weder Medikamente noch ein Inhalationsgerät zur Verfügung gestellt, noch ihn Ärzten oder Therapeuten zugeführt noch auf ihn eingewirkt, zu solchen zu gehen ; zudem haben sie jeden Kontakt des Nebenklägers zu seinem Vater unterbunden. Schließlich hat der Angeklagte L. dem minderjährigen Nebenkläger , der dies glaubte, vorgespiegelt, er könne seine Krankheit durch Meditation besiegen.
51
c) Die Strafzumessung ist revisionsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden.
52
Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in diese Einzelakte der Strafzumessung ist in der Regel nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein. Nur in diesem Rahmen kann eine „Verletzung des Gesetzes“ (§ 337 Abs. 1 StPO) vorliegen. Dagegen ist eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ausgeschlossen (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 7. Februar 2012 – 1 StR 525/11, BGHSt 57, 123, 127 mwN). Das gilt auch, soweit die tatrichter- liche Annahme oder Verneinung eines minder schweren Falles zur revisionsgerichtlichen Prüfung steht (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 26. Juli 2006 – 1 StR 150/06, NStZ-RR 2006, 339, 340; BGH, Urteil vom 16. April 2015 – 3 StR 638/14).
53
Die Ablehnung einer Strafrahmenverschiebung nach § 13 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB hat das Landgericht tragfähig mit der Länge des Tatzeitraums, dem Alter des Nebenklägers und der Schwere seines körperlichen Leidens am Ende des Tatzeitraums begründet und aus den gleichen Gründen einen minder schweren Fall der schweren Misshandlung Schutzbefohlener abgelehnt. In einer derartigen Konstellation erweist es sich nicht als rechtsfehlerhaft, dass sich das Landgericht bei der Prüfung des minder schweren Falls nicht ausdrücklich mit dem Vorliegen des vertypten, aber konkret nicht zur Strafrahmenverschiebung führenden Milderungsgrundes auseinandergesetzt hat, zumal es die „Nichtbehandlung“ der Krankheit des Nebenklägers auch an dieser Stelle in den Vordergrund gestellt hat.
54
Nicht aus dem Blick geraten ist der Strafkammer bei der Strafzumessung im Einzelnen zudem, dass die Leidenszeit (Taterfolg) nicht sogleich, sondern ab spätestens Mitte 2001 eintrat, die Tat lange zurückliegt und die Angeklagten durch eine Vorverurteilung und Stigmatisierung in Medienberichten sowie die öffentliche Ächtung in sozialen Medien und durch Mahnwachen vor ihrem Haus erheblich beeinträchtigt wurden.

III.


55
Der Tenor war im Schuldspruch zu berichtigen, weil die Verbrechensqualifikation nach § 225 Abs. 3 StGB als „schwerer“ Fall der Misshandlung von Schutzbefohlenen in der Urteilsformel kenntlich zu machen ist (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2014 – 2 StR 608/13). Dass nur die Angeklagten Revision eingelegt haben, hindert daran nicht, denn das Verschlechterungsverbot gemäß § 358 Abs. 2 StPO gilt schon seinem Wortlaut nach nur für den Rechtsfolgenausspruch.
Raum Graf Radtke Mosbacher Fischer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 561/11
vom
20. März 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 20. März 2012 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 8. Juli 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen sexueller Nötigung in zwei Fällen (II. 4 und II. 5 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist,
b) soweit der Angeklagte wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen tateinheitlich in acht Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (II. 1, II. 6 bis II. 12 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist. Hiervon ausgenommen bleiben die Feststellungen zum äußeren Sachverhalt ,
c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „sexueller Nötigung (Vergewaltigung )“ in zwei Fällen, Bedrohung, gefährlicher Körperverletzung und wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen tateinheitlich in acht Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat in dem tenorierten Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Die Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen nach § 177 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 1 StGB in den Fällen II. 4 und II. 5 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
1. Nach den Feststellungen lebten der aus dem Iran stammende Angeklagte und seine deutsche Ehefrau, die Zeugin A. N. , anfänglich in einer harmonischen Beziehung. Dem Angeklagten gefiel, dass sich A. N. erfolgreich darum bemühte, die persische Sprache zu erlernen und von ihrem alten Bekanntenkreis lossagte. Nach der Geburt des zweiten Kindes änderte der Angeklagte sein Verhalten. Er zeigte sich leicht reizbar und nahm alltägliche Belanglosigkeiten zum Anlass, A. N. zu beschimpfen und zu beleidigen. Ab dem Jahr 2000 kam es auch zu tätlichen Übergriffen. Diese ereigneten sich insbesondere dann, wenn sich A. N. dem Willen des Angeklagten widersetzte oder eine abweichende Meinung äußerte.
A. N. lebte seit dieser Zeit in ständiger Angst und in der Erwartung neuerlicher Übergriffe.
4
a) An einem Abend im Sommer 2009 äußerte der Angeklagte gegenüber A. N. in der gemeinsamen Ehewohnung den Wunsch, mit ihr den Analverkehr auszuüben. Obwohl sie sein Ansinnen entschieden ablehnte, holte der Angeklagte eine Fettcreme aus dem Badezimmer und begab sich zu A. N. , die sich bereits auf einer Schlafcouch im Wohnzimmer zum Schlafen niedergelegt hatte. Als der Angeklagte erneut kundtat, jetzt den Analverkehr durchführen zu wollen, lehnte A. N. dies wiederum ab und fügte hinzu, dass eine Ausübung des Analverkehrs gegen ihren Willen eine Vergewaltigung sei. Der Angeklagte gab A. N. daraufhin zu verstehen , dass sie sich nicht so anstellen solle und zog ihr die Schlafanzughose herunter. A. N. sah in dieser Situation keine Möglichkeit mehr, sich dem Willen des Angeklagten zu widersetzen. Für den Fall einer Gegenwehr rechnete sie mit Schlägen. Außerdem befürchtete sie, dass dann die beiden gemeinsamen Kinder erwachen und ebenfalls Opfer von Tätlichkeiten des Angeklagten werden könnten. Der Angeklagte vollzog nun mit der weinenden und sich vor Schmerzen windenden A. N. den Analverkehr bis zum Samenerguss. Dabei drückte er sie so an eine Wand, dass sie sich aus ihrer Position nicht befreien konnte. Bei alldem ging der Angeklagte davon aus, dass A. N. den Analverkehr nur deshalb ohne Gegenwehr erduldete, weil sie unter dem Eindruck der regelmäßig stattfindenden Übergriffe keine Chance sah, sich seinem Willen zu widersetzen und Angst um ihre eigene körperliche Unversehrtheit und die ihrer Kinder hatte. Im Fall einer Gegenwehr wäre der Angeklagte auch gewillt gewesen, sein Vorhaben mit Gewalt durchzusetzen. A. N. hatte bis zum nächsten Tag Schmerzen beim Sitzen und erlitt eine Blutung im Analbereich (Fall II. 4 der Urteilsgründe).
5
Wenige Monate nach diesem Vorfall kehrte der Angeklagte mit A. N. von einem gemeinsamen Restaurantbesuch in die Ehewohnung zurück. Während des gesamten Tages herrschte eine harmonische und ausgelassene Stimmung. Nachdem sich A. N. bereits schlafen gelegt hatte, trat der Angeklagte zu ihr an die Schlafcouch und kündigte an, ein weiteres Mal den Analverkehr mit ihr ausüben zu wollen. A. N. begann zu weinen und lehnte die Durchführung des Analverkehrs unter Hinweis auf die damit für sie verbundenen Schmerzen ab. Der Angeklagte erwiderte, dass Sex wehtun müsse, zog A. N. die Schlafanzughose aus und vollzog mit ihr den Analverkehr. A. N. verzichtete auf eine Gegenwehr, weil sie auch diesmal - trotz des harmonischen Tages - mit Gewalttätigkeiten des Angeklagten rechnete. Dem Angeklagten war bewusst, dass er nur deshalb keinen Widerstand zu erwarten hatte, weil ihn A. N. als einen Menschen kennengelernt hatte, der seine Wünsche notfalls unter Zuhilfenahme von Gewalt durchsetzt. Da sich A. N. vor Schmerzen hin und her wandte, glitt der Angeklagte mit seinem Penis aus ihrem After heraus. Obgleich er hierüber sehr erzürnt war, ließ er entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten von ihr ab und sprach in der Folgezeit kein Wort mehr (Fall II. 5 der Urteilsgründe).
6
b) Das Landgericht hat angenommen, dass sich A. N. in beiden Fällen in einer schutzlosen Lage im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB befand, weil sie auf Grund äußerer und in ihrer Person liegender Faktoren keine effektive Möglichkeit hatte, sich der Einwirkung des Angeklagten zu entziehen oder erfolgversprechend Widerstand zu leisten. In der ehelichen Wohnung hielten sich neben A. N. und dem Angeklagten jeweils nur die gemeinsamen neun und zehn Jahre alten Kinder auf. Der Angeklagte war ihr und den Kindern körperlich überlegen. Auf Grund ihrer Gewalterfahrungen lebte A. N. in ständiger Furcht vor neuen Übergriffen und verfügte nur über ein geringes Selbstbewusstsein. Es fiel ihr deshalb schwer, dem Willen des Angeklagten etwas entgegen zu setzen. Diese Lage wurde von dem Angeklagten bewusst ausgenutzt. Eine Gewaltanwendung (§ 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB) hat das Landgericht nicht feststellen können. Soweit A. N. von dem Angeklagten bei der Ausführung des Analverkehrs gegen eine Wand gedrückt wurde, ist das Landgericht davon ausgegangen, dass dadurch nicht der sexuelle Kontakt erzwungen werden sollte (UA S. 42).
7
2. Die Feststellungen belegen in beiden Fällen nicht, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB gegeben sind.
8
a) Der objektive Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt voraus, dass sich das Opfer in einer Lage befindet, in der es über keine effektiven Schutz- oder Verteidigungsmöglichkeiten mehr verfügt und deshalb nötigender Gewalt des Täters ausgeliefert ist (vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2007 – 4 StR 345/06, NJW 2007, 2341, 2343; Urteil vom 3. November 1998 – 1 StR 521/98, BGHSt 44, 228, 231 f.; MüKoStGB/Renzikowski, 2. Aufl., § 177 Rn. 43; LK/Hörnle, 12. Aufl., § 177 Rn. 98; SSW-StGB/Wolters § 177 Rn. 18 mwN). Hiervon ist auszugehen, wenn das Opfer bei objektiver ex-anteBetrachtung keine Aussicht hat, sich den als mögliche Nötigungsmittel in Betracht zu ziehenden Gewalthandlungen des Täters zu widersetzen, sich seinem Zugriff durch Flucht zu entziehen oder fremde Hilfe zu erlangen. Dazu ist eine Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände vorzunehmen, bei der neben den äußeren Gegebenheiten (Beschaffenheit des Tatortes, Vorhandensein von Fluchtmöglichkeiten, Erreichbarkeit fremder Hilfe etc.) auch das individuelle Vermögen des Tatopfers zu wirksamem Widerstand oder erfolgreicher Flucht und die Fähigkeit des Täters zur Anwendung von nötigender Gewalt in den Blick zu nehmen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2011 – 3 StR 359/11 Rn. 5 und 7; Urteil vom 25. Januar 2006 – 2 StR 345/05, BGHSt 50, 359, 362 f.; Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 44).
9
b) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen hat das Landgericht nicht hinreichend Rechnung getragen. Bei der von ihm vorgenommenen Gesamtbewertung sind wichtige Gesichtspunkte außer Ansatz geblieben.
10
So hat sich das Landgericht in beiden Fällen nicht mit eventuell gegebenen Fluchtmöglichkeiten von A. N. auseinandergesetzt. Die Tatsache , dass sich A. N. jeweils allein mit dem Angeklagten im Wohnzimmer der Familienwohnung befand und von den schlafenden Kindern keine Hilfe erwarten konnte, belegt für sich genommen noch nicht, dass es ihr nicht möglich war, sich dem Angeklagten durch Flucht zu entziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juli 2004 – 4 StR 229/04, NStZ 2005, 267 Rn. 2; Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 44; MüKoStGB/ Renzikowski, 2. Aufl., § 177 Rn. 44; Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder 28. Aufl., § 177 Rn. 9). Konkrete Feststellungen zu den räumlichen Gegebenheiten in der Wohnung und zum Schließzustand der Türen hat das Landgericht nicht getroffen. Die mitgeteilten Begleitumstände legen es in beiden Fällen nicht nahe, dass der Angeklagte vorab darauf bedacht gewesen sein könnte, eventuelle Fluchtwege durch entsprechende Vorkehrungen zu versperren. Im Fall II. 4 der Urteilsgründe ließ er A. N. zunächst allein im Wohnzimmer zurück , nachdem er bereits angekündigt hatte, den Analverkehr durchführen zu wollen und auch ihren entgegenstehenden Willen kannte (UA S. 10). Im Fall II. 5 der Urteilsgründe herrschte zwischen den Eheleuten bis zur Tatsituation eine ausgelassene und harmonische Stimmung, die A. N. an den Beginn ihrer Beziehung erinnerte (UA S. 11).
11
Zudem hätte sich das Landgericht auch eingehend mit der Frage befassen müssen, ob es A. N. in zumutbarer Weise möglich war, durch Schreie oder andere Geräusche fremde Hilfe zu erlangen. Die Feststellung, dass sie bei einer Gegenwehr mit Schlägen des Angeklagten rechnete und alles unterließ, was ihre Kinder wecken konnte, damit nicht auch sie Opfer befürchteter Übergriffe des Angeklagten werden (UA S. 10), belegt nur, dass sich A. N. schutzlos fühlte, weil sie keinen Weg sah, Dritte ohne Risiko für sich selbst und ihre Kinder auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Ob und inwieweit ihre Befürchtungen tatsächlich berechtigt waren und siedeshalb – woraufes hier maßgeblich ankommt – auch bei objektiver Betrachtung (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2011 – 3 StR 359/11, Rn. 7; Urteil vom 25. Januar 2006 – 2 StR 345/05, BGHSt 50, 359, 362 f.; a.A. MüKoStGB/ Renzikowski, 2. Aufl., § 177 Rn. 44 mwN) keine Möglichkeit hatte, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen, hat das Landgericht nicht geprüft, obgleich hierzu Anlass bestand. Die Eheleute wohnten in einem Mehrfamilienhaus. Der Nachbarin Ar. war auf Grund von Gesprächen schon seit 2007/2008 bekannt, dass A. N. unter gewalttätigen Übergriffen des Angeklagten litt (UA S. 13). Auch die Nachbarin P. wusste um die bestehenden Eheschwierigkeiten (UA S. 13). Wie sich aus den zu Fall II. 11 getroffenen Feststellungen ergibt, haben beide bei anderer Gelegenheit sofort an der Wohnungstür geklingelt, als sie aus der Wohnung Schreie des von dem Angeklagten misshandelten Sohnes R. hörten. Anschließend verständigten sie die Polizei. Als der Angeklagte durch A. N. hiervon erfuhr, ließ er sofort von R. ab und bemühte sich stattdessen um eine Verheimlichung des Vorgefallenen (UA S. 16). Danach versteht es sich nicht von selbst, dass Hilferufe ohne Resonanz geblieben wären und der Angeklagte hierauf tatsächlich mit Schlägen reagiert hätte. Sein Verhalten im Fall II. 11 der Urteilsgründe lässt auch die Möglichkeit offen, dass er aus Angst vor einer durch die Rufe erzeugten Aufmerksamkeit der Nachbarn und einer möglichen Verständigung der Polizei von seinem Vorhaben Abstand genommen und ohne tätlich zu werden versucht hätte, den Vorfall nicht bekannt werden zu lassen. Schließlich findet sich auch für die Annahme, der Angeklagte könnte die durch Geräusche geweckten Kinder schlagen, im Urteil keine ausreichende Tatsachengrundlage. Nach den Feststellungen wurde von dem Angeklagten nur der gemeinsame Sohn R. vielfach misshandelt, wobei er dies für eine Form der Erziehung hielt und damit jeweils auf vorheriges Fehlverhalten reagierte. Übergriffe zum Nachteil der Tochter B. werden im Urteil an keiner Stelle geschildert. Stattdessen ist davon die Rede, dass B. N. von dem Angeklagten verwöhnt und bevorzugt wurde (UA S. 13).
12
Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
13
3. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
14
Eine sexuelle Nötigung durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB) begeht auch, wer eine sexuelle Handlung erzwingt, indem er durch ein schlüssiges Verhalten auf frühere Gewaltanwendungen hinweist oder frühere Drohungen konkludent bekräftigt (Nachweise bei Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder 28. Aufl., § 177 Rn. 7). Dabei kann auch Gewalt, die der Täter zuvor aus anderen Gründen angewendet hat, als gegenwärtige Drohung mit nötigendem körperlichem Zwang fortwirken. Der objektive Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist deshalb auch dann verwirklicht, wenn eine Gesamtschau aller maßgeblichen Umstände ergibt, dass der Täter gegenüber dem Opfer durch häufige Schläge ein Klima der Angst und Einschüchterung geschaffen hat (BGH, Beschluss vom 1. Juli 2004 – 4 StR 229/04, NStZ 2005, 267, 268; Urteil vom 6. Juli 1999 – 1 StR 216/99, NStZ 1999, 505; Urteil vom 31. August 1993 – 1 StR 418/93, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 8; vgl. Beschluss vom 5. April 1989 – 2 StR 557/88, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 5) und das Opfer die ihm abverlangten sexuellen Handlungen nur deshalb duldet, weil es auf Grund seiner Gewalterfahrungen mit dem Täter befürchtet, von ihm erneut körperlich misshandelt zu werden, falls es sich seinem Willen nicht beugt (BGH, Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 43; Beschluss vom 5. April 1989 – 2 StR 557/88, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 5; Beschluss vom 15. März 1984 – 1 StR 72/84, StV 1984, 330, 331). In subjektiver Hinsicht setzt § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB in diesen Fällen voraus, dass der Täter die von seinem Vorverhalten ausgehende latente Androhung weiterer Misshandlungen in ihrer aktuellen Bedeutung für das Opfer erkennt und als Mittel zur Erzwingung der sexuellen Handlungen einsetzt (BGH, Beschluss vom 1. Juli 2004 – 4 StR 229/04, NStZ 2005, 267, 268; Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 43; Beschluss vom 26. Februar 1986 – 2 StR 76/86, NStZ 1986, 409; Beschluss vom 15. März 1984 – 1 StR 72/84, StV 1984, 330, 331).

II.


15
Auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen tateinheitlich in acht Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung gemäß den § 223 Abs. 1, § 225 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1, § 52 StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
16
1. Nach den Feststellungen schlug der Angeklagte seinen am 18. Dezember 1998 geborenen Sohn R. schon im Kleinkindalter mit der flachen Hand. Nach der Einschulung im Jahr 2005 begann er damit, seinen Sohn auch mit einem Pantoffel oder einem Gürtel zu schlagen. Der Angeklagte verstand diese Misshandlungen als körperliche Züchtigung und glaubte auf diese Weise, seine Erziehungsziele (Gehorsam, Disziplin und schulischer Erfolg) durchsetzen zu können. Durchschnittlich kam es einmal in der Woche zu einem Übergriff. Außerdem belegte der Angeklagte seinen Sohn R. vielfach mit herabsetzenden Äußerungen, die sich insbesondere auf seine Leibesfülle und seine schulischen Leistungen bezogen. R. N. litt unter den Misshandlungen und dem erniedrigenden Verhalten des Angeklagten so sehr, dass er Mitte des Jahres 2009 von seiner Mutter die Trennung von dem Angeklagten forderte und seine Selbsttötung androhte. Im Einzelnen hat das Landgericht der Verurteilung folgende Übergriffe zugrunde gelegt:
17
(1) An einem nicht mehr näher bestimmbaren Tag zwischen Sommer 2005 und Sommer 2007 warf der Angeklagte seinen Sohn R. auf den Boden des Kinderzimmers, weil er sich über eine Belanglosigkeit im Zusammenhang mit dem Schulbesuch geärgert hatte. Anschließend schleifte er ihn an den Beinen durch den Raum, wobei das Gesicht von R. N. über denTeppich gezogen wurde. Dieser erlitt dadurch eine Schürfwunde am Auge (Fall II. 7 der Urteilsgründe).
18
(2) An einem nicht mehr näher bestimmbaren Tag im Sommer 2005 stieß der Angeklagte seinen Sohn R. zu Boden und zog ihn anschließend an einem Ohr nach oben, weil er in der Schule sein Pausenbrot mit einem farbigen Mitschüler getauscht hatte (Fall II. 8 der Urteilsgründe).
19
(3) Im Februar 2008 schlug der Angeklagte seinem Sohn R. mehrfach mit den bloßen Händen auf den Oberkörper, nachdem eine Mathematik- arbeit mit „ungenügend“ bewertet worden war. Als sich A. N. zwi- schen den Angeklagten und den gemeinsamen Sohn stellte, verdrehte ihr der Angeklagte zur Strafe die linke Hand. A. N. erlitt dadurch eine Bänderdehnung, die ärztlich behandelt werden musste (Fall II. 1 der Urteilsgründe ).
20
(4) Am Morgen des 28. November 2009 würgte der Angeklagte seine Ehefrau A. N. aus Wut über den am Vortag nicht zu Ende geführten Analverkehr bis zur Luftnot. Als R. N. den Versuch unternahm, den Angeklagten von seiner Mutter wegzuziehen, verdrehte ihm der Angeklagte den Arm und stieß ihn in schmerzhafter Art und Weise weg (Fall II. 6 der Urteilsgründe

).


21
(5) Im Dezember 2009 drückte der Angeklagte seinem SohnR. beim Schneiden der Haare die Spitze der Friseurschere in die Kopfhaut, weil sich R. zuvor über einen unabsichtlichen Schnitt in das Ohr beklagt hatte. R. N. erlitt starke Schmerzen und begann zu weinen (Fall II. 9 der Urteilsgründe ).
22
(6) Am 19. Januar 2010 stellte sich der Angeklagte mit einem Fuß auf den Brustkorb des am Boden liegenden R. und trat ihm zweimal in das Gesicht. Der Angeklagte reagierte damit auf die Weigerung seines Sohnes, weiter Sport zu treiben. Bei den Tritten trug der Angeklagte Badeschuhe (Fall II. 10 der Urteilsgründe).
23
(7) Am 25. Januar 2010 versetzte der Angeklagte seinem Sohn R. mindestens fünf Schläge mit einem Hosengürtel auf die Beine und den Oberkörper , weil er bei dem Fertigen der Hausaufgaben Strichmännchen mit Geschlechtsmerkmalen gezeichnet hatte. Als R. laut zu schreien begann, klingelten die Nachbarinnen Ar. und P. gemeinsam an der Wohnungstür der Familie N. und verständigten die Polizei. Als der Angeklagte hiervon durch A. N. erfuhr, ließ er von seinem Sohn R. ab und drohte ihm an, dass er in ein Heim komme, wenn er von den Schlägen berichte (Fall II. 11 der Urteilsgründe).
24
(8) Am 30. Januar 2010 schlug der Angeklagte mehrfach mit der flachen Hand auf seinen Sohn ein, weil er aus seiner Sicht unnötige Telefonkosten verursacht hatte. Als A. N. intervenierte und den Angeklagten fragte, ob der vorangegangene Vorfall mit der Polizei nicht genug gewesen sei, ließ er von R. ab (Fall II. 12 der Urteilsgründe).
25
Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte durch die in den Fällen II. 1 und II. 6 bis II. 12 der Urteilsgründe festgestellten Körperverletzungshandlungen zum Nachteil seines Sohnes R. das Tatbestandsmerkmal des Quälens im Sinne von § 225 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 StGB verwirklicht hat. Dabei ist das Landgericht zugunsten des Angeklagten von einer „deliktischen Einheit der Geschehnisse im Sinne einer tatbestandlichen Handlungseinheit“ (UA S. 45) ausgegangen. Zur Begründung hat es auf die Identität des Geschädigten , die Kontinuität der Tatsituationen und die ohne Zäsur vorhandene gefühllose , das Leiden von R. missachtende Erziehungsmotivation des Angeklagten abgestellt. Danach lag bei dem Angeklagten ein den gesamten Tatzeitraum überspannender Vorsatz vor, seinen Sohn R. bei gegebenem Anlass körperlich zu züchtigen, um das eigene Wertesystem durchzusetzen. Die in den Fällen II. 1 und 6 der Urteilsgründe begangenen Körperverletzungen zum Nachteil von A. N. stünden hierzu in Tateinheit.
26
2. Hiergegen bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
27
a) Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender Schmerzen oder Leiden (BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; Urteil vom 6. Dezember 1995 – 2 StR 465/95, NStZ-RR 1996, 197; Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115), die über die typischen Auswirkungen der festgestellten einzelnen Körperverletzungshandlungen hinausgehen (BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2006 – 2 StR 470/06). Mehrere Körperverletzungshandlungen , die für sich genommen noch nicht den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB erfüllen, können als ein Quälen im Sinne dieser Vorschrift zu beurteilen sein, wenn erst die ständige Wiederholung den gegenüber § 223 StGB gesteigerten Unrechtsgehalt ausmacht. In diesem Fall werden die jeweiligen Einzelakte zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit und damit einer den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB verwirklichenden Tat zusammengefasst (BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; vgl. Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115; Warda in Festschrift Hirsch, 1999, S. 391, 395 f., 400; Wolfslast/Schmeissner JR 1996, 338). Ob sich mehrere Körperverletzungen zu einer als Quälen zu bezeichnenden Tathandlung zusammenfügen, ist auf Grund einer Gesamtbetrachtung zu entscheiden. Regelmäßig wird es dabei erforderlich sein, dass sich die festgestellten einzelnen Gewalthandlungen als ein äußerlich und innerlich geschlossenes Geschehen darstellen. Dabei sind räumliche und situative Zusammenhänge, zeitliche Dichte oder eine sämtliche Einzelakte prägende Gesinnung mögliche Indikatoren (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; Warda in Festschrift Hirsch, 1999, S. 391, 395 f., 406 ff.). In subjektiver Hinsicht ist es erforderlich, dass der Täter bei jeder Einzelhandlung den Vorsatz hat, dem Opfer sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Verletzungsfolgen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung verbunden sind (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; MüKoStGB/Hardtung § 225 Rn. 14; Hirsch NStZ 1996, 37; Wolfslast/Schmeissner JR 1996, 338, 339).
28
b) Ausgehend hiervon wird der Schuldspruch wegen acht Fällen der Misshandlung von Schutzbefohlenen im Sinne von § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB von den Feststellungen nicht getragen. Keine der geschilderten Gewalthandlungen hat zu länger andauernden oder sich wiederholenden Schmerzen geführt, die über die typischen Auswirkungen der festgestellten Körperverletzung hinausgegangen sind. Soweit das Landgericht – wie seine Ausführungen in der rechtlichen Würdigung nahelegen – davon ausgegangen ist, dass erst durch die Vielzahl der körperlichen Übergriffe ein Quälen im Sinne von § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB bewirkt worden ist, vermag dies nur eine Verurteilung wegen einer Misshandlung von Schutzbefohlenen, nicht aber einen Schuldspruch wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in acht – lediglich zu Gunsten des Angeklagten zu einer Tateinheit zusammengeführten (UA S. 45) – Fällen zu rechtfertigen.
29
Dessen ungeachtet begegnet auch eine Zusammenfassung aller festgestellten acht Einzeltaten zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die unter II. 7 der Urteilsgründe dargestellte erste konkretisierte Körperverletzungshandlung wurde zwischen Sommer 2005 und Sommer 2007 begangen. Tatzeit der unter II. 8 der Urteilsgründe festgestellten Körperverletzung ist der Sommer 2005. Der unter II. 1 der Urteilsgründe geschilderte körperliche Übergriff fand im Februar 2008 statt. Ab dem 28. November 2009 schlossen sich dann bis zum 30. Januar 2010 die unter II. 6 und II. 9 bis II. 12 festgestellten Körperverletzungen an. Der Begriff des Quälens in § 225 Abs. 1 StGB setzt zwar nicht notwendig voraus, dass zwischen den einzelnen Teilakten ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Intervalle von mehreren Tagen, bis hin zu einigen Wochen, können daher unschädlich sein, wenn das Gesamtgeschehen auf Grund anderer Umstände innerlich und äußerlich geschlossen bleibt (vgl. MüKoStGB/Hardtung § 225 Rn. 14; Warda in Festschrift Hirsch, 1999, S. 391, 395 f., 406 f.). Mehrere Monate oder sogar Jahre auseinander liegende Körperverletzungshandlungen werden in der Regel aber nicht mehr als eine einzige dem Opfer bereitete Qual verstanden werden können. Die allgemein gehaltene Feststellung des Landgerichts (UA S. 14), wonach der Angeklagte ab dem Jahr 2005 durchschnittlich einmal in der Woche seinen Sohn geschlagen hat, ist nicht hinreichend bestimmt, um die Annahme einer sich über mehr als vier Jahre hinziehenden tatbestandlichen Handlungseinheit zu rechtfertigen.
30
Schließlich sind auch die Erwägungen des Landgerichts zum inneren Tatbestand nicht tragfähig. Nach den Feststellungen ging es dem Angeklagten bei den einzelnen Taten stets darum, seinen Sohn R. für ein – aus seiner Sicht gegebenes – vorangegangenes Fehlverhalten körperlich zu züchtigen, um die von ihm angestrebten Erziehungsziele durchzusetzen (UA S. 7 und 13 f.). Dies spricht dafür, dass jeder Einzeltat ein anlassbezogener neuer Tatentschluss des Angeklagten zu Grunde lag (vgl. Hirsch NStZ 1996, 37). Ein übergreifender Vorsatz, der auf die Zufügung sich wiederholender und über die konkreten Tatfolgen hinausgehender erheblicher Schmerzen oder Leiden gerichtet ist, wird dadurch nicht belegt.
31
c) Die Aufhebung erfasst auch die an sich rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) in zwei Fällen zum Nachteil von A. N. . Das Landgericht hat jeweils Tateinheit angenommen und damit einen eine Teilaufhebung hindernden Zusammenhang hergestellt.
32
Die Feststellungen zum äußeren Tageschehen bleiben aufrechterhalten, weil sie auf einer sorgfältigen und rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhen und von der Gesetzesverletzung nicht berührt werden (§ 353 Abs. 2 StPO). Soweit der Angeklagte eine Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO geltend macht, weil die Akten eines früheren, die Zeugin A. N. betreffenden Scheidungsverfahrens nicht beigezogen worden sind, entspricht sein Vorbringen nicht den Erfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Eine zulässige Aufklärungsrüge setzt voraus, dass ein bestimmtes Beweismittel und ein bestimmtes zu erwartendes Beweisergebnis benannt werden (BGH, Beschluss vom 23. November 2004 – KRB 23/04, NJW 2005, 1381, 1382; KK-StPO/Fischer, 6. Aufl., § 244 Rn. 216). Die bloße Bezeichnung einer Akte und die Angabe, dass sich aus dieser Akte die Unwahrheit einzelner Angaben der Zeugin A. N. und das Vorliegen einer „tiefgreifenden psychischen Störung“ bei dieser Zeugin ergeben hätte, reicht dafür nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 29. August 1990 – 3 StR 184/90, NStZ 1990, 602).
33
Durch die Aufhebungen wird auch dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage entzogen.
Ernemann Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 6 3 3 / 1 4
vom
23. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. Juli 2015,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Mayer,
Gericke
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 22. August 2014 mit den Feststellungen aufgehoben , soweit es die Angeklagte betrifft.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen und mit unterlassener Hilfeleistung zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Den Mitangeklagten E. hat es wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zur Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die (allein) gegen die Verurteilung der Angeklagten H. gerichtete Revision des Nebenklägers erstrebt deren Verurteilung wegen schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 3 StGB und rügt die Verletzung materiellen Rechts.
2
Das zulässige Rechtsmittel (§ 395 Abs. 1 Nr. 3, § 400 Abs. 1 StPO; vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2001 - 3 StR 400/00, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 11 mwN) führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den Feststellungen, soweit es die Angeklagte betrifft.

I.


3
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen das Folgende festgestellt:
4
Am 1. März 2014 war der Mitangeklagte E. ab etwa 20 Uhr in seiner Wohnung alleine mit dem rund fünf Monate alten Säugling L. , dem leiblichen Sohn seiner damaligen Lebensgefährtin - der Angeklagten H. - aus einer früheren Beziehung. Als L. quengelte, holte der Mitangeklagte E. aus dem Schlafzimmer einen selbstgebastelten Schlagstock aus Eisen und schlug damit dem Säugling - um diesen zum Schweigen zu bringen - heftig je einmal auf die linke und auf die rechte Stirnseite des Kopfes. L. erlitt hierdurch beidseitig ein schweres Schädel/Hirn-Trauma mit ausgedehntem Knochenbruchsystem in beiden Scheitelregionen. Zudem erlitt er ein subdurales Hämatom, Einblutungen in tiefergelegene Hirnstrukturen sowie massive Hämatome an der rechten Kopfschwarte und im Stirnbereich. Aufgrund der Schläge wurde L. zumindest für kurze Zeit bewusstlos und litt an neurologischen Einschränkungen, sodass er sich entweder in einem Dämmerzustand befand oder längere Zeit bewusstlos war. Deswegen hörte er unmittelbar nach den Schlägen auf, Geräusche von sich zu geben. E. nahm L. daraufhin aus dem "Maxi-Cosi", in den ihn die Angeklagte gelegt hatte, und legte ihn in das Kinderbett.
5
Etwa zehn Minuten später kam auch die Angeklagte, die von einem Imbiss Essen geholt hatte, hinzu. Als sie feststellte, dass L. nicht mehr in dem "Maxi-Cosi" lag, fragte die Angeklagte nach seinem Verbleib. E. antwortete, dass L. gequengelt und er ihn ins Bett gelegt habe. Die Angeklagte schaute daraufhin kurz im Schlafzimmer nach. Zwar zeigten sich zu diesem Zeitpunkt schon die Folgen der Schläge bei L. , die Angeklagte bemerkte diese jedoch aufgrund der Verdunklung des Schlafzimmers nicht. Auch in der Folgezeit erkannte sie den Zustand des Kindes zunächst nicht.
6
Am nächsten Morgen gegen 05:45 Uhr erwachte die Angeklagte und wollte das Kind aus dem Bett heben. Dabei fiel ihr auf, dass sein Kopf anders als gewöhnlich aussah. Daraufhin legte sie L. aufs Bett und schaltete das Licht an. In der Folge stellte sie fest, dass der gesamte Kopf des Kindes angeschwollen war, die Stirnpartie sowie die Augen lila und blau unterlaufen waren. Als sie den Kopf anfasste, fühlte sich dieser unnormal weich an. Erschrocken rief sie nach dem Mitangeklagten E. und sagte, er solle sich L. anschauen , der Kopf sei weich und blau. Auf die Frage der Angeklagten, was passiert sei, antwortete E. , es sei nichts passiert und gab sich erstaunt über das Aussehen des Säuglings. Obgleich der Angeklagten sofort klar war, dass L. in ärztliche Behandlung musste, unternahm sie zunächst nichts. Sie hatte Angst, dass ihr - ginge sie ins Krankenhaus - das Kind weggenommen würde. Zudem vermutete sie eine Beteiligung von E. an den Verletzungen und wollte diesen möglicherweise schützen. Es besteht indes kein Anhalt für die Annahme , dass sie mit dem Tode des Kindes rechnete und ihn billigend in Kauf nahm. Die Angeklagte entschloss sich sodann, zunächst ihre Mutter zu kontaktieren , um diese um Rat zu bitten. Nachdem die Mutter jedoch nicht ans Telefon ging, begab sich die Angeklagte zurück zu L. in das Schlafzimmer.
7
Etwa gegen 08:30 Uhr gelang es der Angeklagten, ihre Mutter zu erreichen. Sie erzählte ihr wahrheitswidrig, sie sei mit L. auf der Treppe gestürzt und dieser sei nun am Kopf verletzt. Die Mutter kam daraufhin zur Wohnung gefahren, holte die Angeklagte und L. ab und brachte diesen in die Kinderklinik , wo er etwa gegen elf Uhr aufgenommen werden konnte. Das Kind war zu diesem Zeitpunkt ruhig und in einem Dämmerzustand, wenngleich es aufgrund der Schwellung unter Schmerzen litt. Seine Stirnpartie war stark angeschwollen und zeigte - wie auch im Bereich der Augen - eine bläulich/lila Verfärbung. Die Augen waren teilweise zugeschwollen.
8
Der Säugling musste rund drei Wochen in stationärer Behandlung bleiben. Er wurde einige Tage nach seiner Aufnahme am Kopf operiert, wobei die Impressionsfraktur behoben und die subduralen sowie die intrazerebralen Blutungsanteile ausgeräumt wurden. Nach seiner Entlassung entwickelte er sich altersgerecht, wenngleich er Entwicklungsverzögerungen im motorischen Bereich zeigt. Ob bei ihm dauerhafte Folgeschäden auftreten werden, ist (noch) nicht absehbar. In vergleichbaren Fällen kommt es bei etwa 40 Prozent der Kinder zu Folgeschäden bis hin zu massiven körperlichen und geistigen Behinderungen. Da bei der Operation ein Teil des beschädigten Gehirngewebes entfernt werden musste, besteht auch die Gefahr, dass sich eine Epilepsie entwickelt.
9
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das Landgericht die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5, § 13 StGB in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB und mit unterlassener Hilfeleistung gemäß § 323c StGB schuldig gesprochen. Soweit das Landgericht bei der rechtlichen Würdigung § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nennt, handelt es sich ersichtlich um ein Schreibversehen, wie sich aus der Liste der angewendeten Vorschriften und dem allein auf § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB gestützten Schuldspruch gegen den Mitangeklagten E. ergibt.

II.


10
Das Urteil gegen die Angeklagte hat auf die Revision des Nebenklägers keinen Bestand, da es sowohl zu ihrem Vorteil als auch zu ihrem Nachteil durchgreifende Rechtsfehler enthält; letzteres ist auf die Revision des Nebenklägers ebenfalls zu berücksichtigen (§ 301 StPO entsprechend; vgl. § 401 Abs. 3 Satz 1 StPO).
11
1. Wie der Nebenkläger zu Recht beanstandet, hat das Landgericht zum Vorteil der Angeklagten rechtsfehlerhaft nicht geprüft, ob sie den Verbrechenstatbestand gemäß § 225 Abs. 3 Nr. 1 und 2 StGB - gegebenenfalls durch Unterlassen - verwirklicht hat, obwohl es von einer durch die Angeklagte begangenen Tat gemäß § 225 Abs. 1 StGB ausgegangen und nach den Feststellungen des Landgerichts die Verwirklichung aller Alternativen des Qualifikationstatbestandes jedenfalls nicht ausgeschlossen ist. Dies führt wegen der Einheitlichkeit der Tat zur Aufhebung des Urteils insgesamt, soweit es die Angeklagte betrifft. Ohne Belang ist insoweit, dass die tateinheitliche ausgeurteilte unterlassene Hilfeleistung kein Nebenklagedelikt ist (vgl. § 395 Abs. 1 bis 3 StPO).
12
Im Einzelnen:
13
Der Verbrechenstatbestand des § 225 Abs. 3 StGB setzt voraus, dass der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat, also durch einen Angriff im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB, in die konkrete Gefahr des Todes, einer schweren Gesundheitsbeschädigung (Nr. 1; vgl. S/S-Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 225 Rn. 19 ff.) oder in die konkrete Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bringt (Nr. 2). Entscheidend ist danach, dass eine der in § 225 Abs. 1 StGB umschriebenen tatbe- standlichen Handlungen die naheliegende Möglichkeit begründet, sie werde zu den in den Alternativen des § 225 Abs. 3 StGB genannten Weiterungen führen (vgl. LK/Hirsch, StGB, 11. Aufl., § 225 Rn. 24). Unter schweren Gesundheitsbeschädigungen im Sinne der Nummer 1 sind solche Gesundheitsschäden zu verstehen, die mit einer anhaltenden nachhaltigen Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Leistungsfähigkeit verbunden sind oder in einer lebensbedrohenden , qualvollen oder ernsten und langwierigen Krankheit bestehen. Die in der Nummer 2 genannte erhebliche Entwicklungsschädigung erfordert , dass der normale Ablauf des körperlichen oder seelischen Entwicklungsprozesses dauernd oder nachhaltig gestört ist (vgl. LK/Hirsch, aaO, Rn. 25 mwN). Handelt es sich um eine Unterlassungstat, so begründet der Täter die tatbestandlich vorausgesetzte konkrete Gefahr, wenn er deren Entstehen durch sein Eingreifen hätte abwenden können. Auch wenn vor der Tat bereits Schäden oder die Gefahr von Schäden im Sinne der Qualifikation gemäß § 225 Abs. 3 StGB bestehen, kann der Tatbestand gleichwohl verwirklicht werden. Zur Hervorrufung ("bringen") der für den qualifizierten Fall vorausgesetzten Gefahren ist dann aber erforderlich, dass die Tat die Gefahr verursacht, die bereits vorhandenen oder zu befürchtenden Schäden in erheblichem Maß zu vergrößern bzw. die wegen einer bereits gegebenen individuellen Schadensdisposition bestehenden Gefahren messbar zu steigern (vgl. S/S-Stree/SternbergLieben , aaO, Rn. 22; BeckOK-StGB/Eschelbach, § 225 Rn. 33). In subjektiver Hinsicht ist bezüglich der Verursachung der tatbestandlichen Gefahren des qualifizierten Falles (zumindest bedingter) Vorsatz erforderlich.
14
Das Vorliegen dieser tatbestandlichen Voraussetzungen kann im vorliegenden Fall nicht abschließend beurteilt werden, da das Landgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob und ggf. wie sich die durch den Mitangeklagten E. bewirkten Verletzungen des Kindes während der Zeit, in der die Angeklagte eine ärztliche Versorgung pflichtwidrig unterlassen hat, hinsichtlich der tatbestandlichen Gefahren entwickelt haben. Eine wesentliche Gefahrerhöhung im Sinne von § 225 Abs. 3 StGB in diesem Zeitraum kann indes - vor allem mit Blick auf das bestehende subdurale Hämatom und die Einblutungen in die Hirnstrukturen - auch nicht ausgeschlossen werden.
15
2. Der Schuldspruch ist indes auch zum Nachteil der Angeklagten rechtsfehlerhaft. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils, das keinerlei Subsumtion enthält, belegen - neben dem unzweifelhaft bestehenden Schutzverhältnis zwischen der Angeklagten und ihrem Sohn - keine der in den Tatbestandsalternativen des § 225 Abs. 1 StGB bezeichneten Tathandlungen hinreichend und tragen daher die Verurteilung der Angeklagten wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen nicht.
16
Im Einzelnen:
17
Das Quälen, das rohe Misshandeln und die böswillige Fürsorgepflichtverletzung sind selbständige Begehungsformen der Misshandlung Schutzbefohlener gemäß § 225 Abs. 1 StGB. Die beiden Tatalternativen des Quälens und des Misshandelns können durch aktives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen begangen werden. Bei der Alternative des böswilligen Vernachlässigens der Fürsorgepflicht handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 15).
18
a) Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender (erheblicher) Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art. Es wird im Allgemeinen durch mehrere Tathandlungen bewirkt, wobei oft erst deren ständige Wiederholung den be- sonderen Unrechtsgehalt des Quälens verwirklicht (BGH, Urteile vom 30. März 1995 - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115; vom 17. Juli 2007 - 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306). Die zugefügten Schmerzen oder Leiden müssen über die typischen Auswirkungen einzelner Körperverletzungshandlungen hinausgehen. Ist dies der Fall, so kann Quälen durch Unterlassen allerdings auch dadurch verwirklicht werden, dass die gebotene ärztliche Hilfe durch die Eltern des Kindes nicht veranlasst wird (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 17). In subjektiver Hinsicht ist es erforderlich, dass der Täter den Vorsatz hat, dem Opfer erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Auswirkungen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung verbunden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2012 - 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467 mwN). Diese tatbestandlichen Voraussetzungen belegen die Feststellungen weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht. Die Angeklagte hat dadurch, dass sie es nach dem Erkennen der schweren Verletzung ihres Kindes über mehrere Stunden pflichtwidrig unterlassen hat, den Säugling einer ärztlichen Versorgung zuzuführen, nach den bisherigen Feststellungen bei diesem keine Schmerzen oder Leiden im Sinne von § 225 Abs. 1 Alternative 1 StGB verursacht, die über die Folgen der durch den Mitangeklagten E. begangenen Körperverletzung des Säuglings und ihrer eigenen, durch das pflichtwidrige Unterlassen an dem Kind begangenen Körperverletzung hinausgingen. Den Urteilsgründen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Angeklagte einen entsprechenden Vorsatz hatte.
19
b) Rohes Misshandeln im Sinne der Vorschrift liegt vor, wenn der Täter einem anderen eine Körperverletzung aus gefühlloser Gesinnung zufügt, die sich in erheblichen Handlungsfolgen äußert. Eine gefühllose Gesinnung ist gegeben , wenn der Täter bei der Misshandlung das - notwendig als Hemmung wirkende - Gefühl für das Leiden des Misshandelten verloren hat, das sich bei jedem menschlich und verständlich Denkenden eingestellt haben würde (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 - 5 StR 44/07, NStZ 2007, 405 mwN). Dass die Angeklagte die durch ihr pflichtwidriges Unterlassen begangene Körperverletzung des Kindes aus einer solchen Gesinnung heraus begangen hat, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Vielmehr war nach den bisherigen Feststellungen nicht Gefühllosigkeit der Grund für ihr pflichtwidriges Verhalten gegenüber ihrem Säugling, sondern die Furcht, bei Aufsuchen eines Krankenhauses das Kind zu verlieren und möglicherweise der Wille, ihren Lebensgefährten , den Mitangeklagten E. , zu schützen, da sie dessen Beteiligung an den schweren Verletzungen des Kindes vermutete.
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c) Die Misshandlung eines Schutzbefohlenen ist schließlich auch gegeben , wenn der Täter durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für die schutzbedürftige Person zu sorgen, diese an der Gesundheit schädigt. Böswillig handelt, wer seine Pflicht für einen anderen zu sorgen, aus einem verwerflichen Beweggrund vernachlässigt (vgl. LK/Hirsch, aaO, Rn. 18). Das Gesinnungsmerkmal der Böswilligkeit ist gekennzeichnet durch feindseliges Verhalten aus Bosheit, Lust an fremdem Leid, Hass und anderen verwerflichen Gründen, etwa auch aus Geiz und Eigensucht. Gleichgültigkeit, Abgestumpftheit oder Schwäche sowie Überforderung wegen mangelnder Reife reichen hingegen in der Regel nicht aus (vgl. LK/Hirsch, aaO). Bei der Prüfung von Böswilligkeit, die eine Erforschung der Motive des Täters erfordert, sind psychopathologische Befunde, wie Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen zu berücksichtigen (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 24 ff. mwN). Daran gemessen ist auch die Verwirklichung dieser Tatbestandsalternative durch die Angeklagte jedenfalls nicht hinreichend belegt. Die festgestellten Motive der Angeklagten für ihr pflichtwidriges Verhalten - die Angst, ihr werde das Kind weggenommen und der Schutz ihres Freundes, des Mitangeklagten E. - sind jedenfalls nicht ohne weiteres unter das Merkmal der Böswilligkeit zu subsumieren, zumal das Landgericht sie auch nicht entsprechend, etwa als selbstsüchtig und verwerflich , bewertet hat.
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3. Der Senat weist den neuen Tatrichter darauf hin, dass er alle in Tateinheit mit dem Nebenklagedelikt stehenden Delikte - auch Offizialdelikte - erneut zu prüfen haben wird (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 1993 - 5 StR 539/93, BGHSt 39, 390, 391; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 400 Rn. 7a mwN). Hinsichtlich der tateinheitlich abgeurteilten unterlassenen Hilfeleistung gemäß § 323c StGB gilt, dass diese regelmäßig als subsidiär hinter einer durch Unterlassen begangenen gefährlichen Körperverletzung und/oder der Misshandlung eines Schutzbefohlenen zurücktritt bzw. von diesen verdrängt wird (vgl. MüKoStGB/Freund, 2. Aufl., § 13 Rn. 289, 291, § 323c Rn. 125 ff.).
Becker Pfister Hubert RiBGH Mayer befindet sich Gericke im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die

1.
seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,
2.
seinem Hausstand angehört,
3.
von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder
4.
ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,
quält oder roh mißhandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr

1.
des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder
2.
einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
bringt.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.