Bundesgerichtshof Urteil, 08. März 2012 - 4 StR 498/11

bei uns veröffentlicht am08.03.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 498/11
vom
8. März 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. März 2012,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Bender
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin K. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin R. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 17. Mai 2011 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat im Ergebnis keinen Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte, Zeitsoldat der Bundeswehr, lernte das spätere Opfer M. R. im Januar 2010 kennen. Während sich das Tatopfer in den Angeklagten verliebte und eine ernsthafte, langfristige Beziehung erhoffte, legte der Angeklagte, der nur an kurzfristigen, vorwiegend auf sexuelle Aktivitäten beschränkten Beziehungen mit Frauen interessiert war, darauf keinen Wert. Er beendete die Beziehung bereits im März 2010; M. R. zeigte sich hiervon enttäuscht und verletzt. Nachdem die Verbindung zwischen beiden im Mai 2010 endgültig abgerissen war, kam es im Juli 2010 am Rande eines Dorffestes zu einem erneuten Zusammentreffen und anschließend zu einvernehmlichem Geschlechtsverkehr. Da sich auch daraus die vom Tatopfer gewünschte längere Beziehung nicht ergab, entschloss sich M. R. nunmehr, die Verbindung zum Angeklagten endgültig abzubrechen.
4
Am Abend des 21. August 2010, als sich M. R. mit Bekannten in einem Lokal in W. aufhielt, erreichte sie eine SMS des Angeklagten mit dem Vorschlag, sich noch in der Nacht zu treffen; sie willigte ein und wurde vom Angeklagten zwischen 0.00 Uhr und 0.30 Uhr in der Gaststätte mit seinem Pkw abgeholt. Nachdem er an einer in der Nähe gelegenen Tankstelle Bier und – vom Tatopfer unbemerkt – eine Packung Kondome gekauft hatte, fuhr der Angeklagte mit M. R. in ein Waldgebiet nahe der Ortschaft E. und dort auf einen Feldwirtschaftsweg. Dort führte er, wie von ihm geplant, mit dem Tatopfer den Geschlechtsverkehr durch, wobei das Landgericht nicht festzustellen vermochte, ob dies einvernehmlich oder gegen den Willen von M. R. geschah. Kurz darauf stach der Angeklagte dem Opfer mindestens dreimal mit seinem Bundeswehrkampfmesser mit einer Klingenlänge von 17 cm in den Hals, wodurch es innerhalb weniger Minuten infolge Verblutens verstarb. Den Leichnam von M. R. zog der Angeklagte noch einige Meter weiter in den Wald hinein und deckte ihn mit Zweigen ab, begoss ihn mit Benzin und zündete ihn an. Der größtenteils verbrannte und skelettierte Leichnam wurde eine Woche später entdeckt.
5
Am Morgen nach der Tat fuhr der Angeklagte gegen 6.00 Uhr mit seinem Auto auf einer Landstraße bei N. auf einen vor ihm fahrenden Bekannten zu, betätigte dabei die Lichthupe, überholte ihn und grüßte ihn mit einem Lachen sowie einem angedeuteten Handkuss. Mit Hilfe des Wohnungsschlüssels der M. R. , der sich in der im Auto zurückgebliebenen Handtasche des Tatopfers befand, drang der Angeklagte am folgenden Abend in ihre Wohnung ein und nahm ihr Mobiltelefon, ihre EC-Karte und den in der Wohnung vorhandenen Flachbildfernseher an sich, den er am Folgetag für 300 Euro an eine ehemalige Freundin verkaufte.
6
2. Das Landgericht hat sich, insbesondere auf der Grundlage des Tatortbefundes sowie der Bekundungen der gerichtsmedizinischen Sachverständigen , davon überzeugt, dass der Angeklagte mit dem Tatopfer zunächst Geschlechtsverkehr hatte und dieses unmittelbar im Anschluss daran am Auffindeort der Leiche durch mehrere Stiche mit seinem Bundeswehrmesser in den Hals tötete. Es hat die Einlassung des Angeklagten, der (einvernehmliche) Geschlechtsverkehr habe auf dem Gelände einer nahegelegenen Burg stattgefunden und der Tod der M. R. sei auf einen Sturz zurückzuführen, der sich im Zuge eines Streites ereignet habe, in dessen Verlauf er M. R. habe deutlich machen wollen, dass er keine ernsthafte Beziehung wünsche, als widerlegt angesehen. Sollte der Geschlechtsverkehr vor der Tat vom Angeklagten erzwungen worden sein, habe der Angeklagte sein Opfer unmittelbar danach getötet, um diese Straftat zu verdecken. Für den Fall eines einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs hat das Landgericht in Ermangelung objektiver Beweisanzeichen für ein länger andauerndes, eskalierendes Kampfgeschehen angenommen, der Angeklagte habe M. R. im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Durchführung des Geschlechtsverkehrs heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen getötet, da er sich des Tatopfers habe entledigen wollen, das für ihn lediglich als Sexualobjekt von Interesse gewesen und dessen Insistieren auf einer längerfristigen Liebesbeziehung ihm zunehmend lästig gefallen sei.

II.


7
Den Verfahrensrügen bleibt der Erfolg aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 14. Oktober 2011 versagt.

III.


8
Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die Verurteilung wegen Mordes auf wahldeutiger Tatsachengrundlage hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.
9
1. Eine Verurteilung auf wahldeutiger Tatsachengrundlage ist auch im Hinblick auf die alternative Verwirklichung verschiedener Mordmerkmale rechtlich möglich (BGH, Urteil vom 1. Dezember 1967 – 4 StR 523/67, BGHSt 22, 12 f.; Urteil vom 16. Dezember 1998 – 2 StR 340/98, NStZ-RR 1999, 106; Urteil vom 24. Februar 1999 – 3 StR 520/98, NStZ-RR 1999, 234). Sie setzt voraus, dass bei sämtlichen Sachverhaltsvarianten, welche der Tatrichter nach Ausschöpfung aller Beweismittel unter Ausschluss anderweitiger Geschehensabläufe für möglich erachtet, eines der Mordmerkmale erfüllt ist (BGH, Urteil vom 16. Dezember 1998 aaO). Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall anstelle der für erwiesen erachteten Tatsachen, in denen die Merkmale der strafbaren Handlung gefunden werden, den äußeren und inneren Sachverhalt der Verhaltensweisen schildern, die nach Überzeugung des Gerichts allein in Betracht kommen; andere Möglichkeiten müssen sicher ausgeschlossen sein (BGH, Urteil vom 22. Januar 1986 – 3 StR 474/85, StV 1987, 378 m.w.N.).
10
2. Danach ist die vom Landgericht vorgenommene rechtliche Bewertung jedenfalls insoweit aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, als ihr die Annahme zu Grunde liegt, der Angeklagte habe sein Tatopfer entweder zur Verdeckung einer Straftat oder – im Fall eines einvernehmlichen vorausgegangenen Geschlechtsverkehrs – aus niedrigen Beweggründen getötet. Ob der Angeklagte im Fall eines einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs das Tatopfer auch heimtückisch getötet hat, kann deshalb offen bleiben.
11
a) Rechtsfehlerfrei ist die Auffassung des Landgerichts, für den Fall eines Geschlechtsverkehrs gegen den Willen des Tatopfers sei dessen anschließende Tötung als Verdeckungsmord zu beurteilen. Bei Annahme einer vorausgegangenen Vergewaltigung kommt auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen nur in Betracht, dass der Angeklagte M. R. tötete, weil er sonst die Entdeckung der Vergewaltigung befürchtete. Dass die Tötung in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Durchführung des Geschlechtsverkehrs stand, hindert die Annahme eines Verdeckungsmordes nicht. Die Tötung und die andere Straftat müssen nicht im Verhältnis der Tatmehrheit stehen; verdeckt oder ermöglicht werden kann auch eine in Tateinheit stehende Tat (BGH, Urteil vom 2. Dezember 1987 – 2 StR 559/87, BGHSt 35, 116, 120 f.; vgl. SSW-StGB/Momsen, § 211 Rn. 69; Fischer StGB, 59. Aufl., § 211 Rn. 70 m.w.N.).
12
b) Die Annahme einer Tötung des Opfers aus niedrigenBeweggründen im Fall des einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs wird von den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts ebenfalls getragen.
13
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind die Voraussetzungen des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe dann gege- ben, wenn die Motive einer Tötung nach allgemeiner sittlicher Anschauung verachtenswert sind und auf tiefster Stufe stehen, wenn die tatmotivierende Gefühlsregung jeglichen nachvollziehbaren Grundes entbehrt oder wenn die Motive in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag verachtenswert erscheinen (BGH, Beschluss vom 20. August 1996 – 4 StR 361/96, BGHSt 42, 226, 228; Fischer, aaO Rn. 14). Die Beurteilung von Beweggründen als niedrig im Sinne des § 211 StGB setzt eine Gesamtwürdigung voraus, bei der dem Tatrichter ein Beurteilungsspielraum zukommt, den das Revisionsgericht nicht durch eigene Erwägungen ausfüllen kann (BGH, Urteil vom 2. Dezember 1987 – 2 StR 559/87, BGHSt 35, 116, 121 f.; Senatsurteil vom 19. Juni 2008 – 4 StR 105/08, NStZ-RR 2008, 308).
14
Das Landgericht hat die grundlegend unterschiedlichen Erwartungen des Angeklagten einerseits und des Tatopfers M. R. andererseits an die von ihnen geführte Beziehung unter Berücksichtigung der Entwicklung vor der Tat sowie des Nachtatverhaltens des Angeklagten anlässlich seiner Begegnung mit einem Bekannten in den frühen Morgenstunden einer umfassenden Würdigung unterzogen. Dass sich der Angeklagte unmittelbar nach der Tat Gegenstände aus der Wohnung des Opfers zueignete, konnte es dabei ebenfalls in den Blick nehmen. Nach den zum Vortatgeschehen getroffenen Feststellungen war dem Angeklagten nach mehreren Gesprächen mit dem Tatopfer bewusst, dass dieses nicht dazu bereit war, rein körperlich-sexuellen Bedürfnissen losgelöst von tiefer emotionaler Verbundenheit nachzugeben. Von dieser Einstellung der in ihn verliebten M. R. fühlte er sich zunehmend „genervt“. Die Bewertung des Motivs des Angeklagten für die Tötung als nach allgemeiner sittlicher Anschauung verachtenswert, da er sich von dem Ansinnen des Opfers nach Aufnahme einer ernsthaften, längerfristigen Liebesbeziehung belästigt fühlte und das Verhältnis für ihn vorwiegend der sexuellen Befriedigung diente, ist danach nicht zu beanstanden. Auch zu den subjektiven Erfordernissen dieses Mordmerkmals reichen die Feststellungen aus. Der Täter muss die Umstände , welche die Niedrigkeit der Beweggründe ausmachen, ins Bewusstsein aufgenommen haben und in der Lage gewesen sein, sie gedanklich zu beherrschen und willensmäßig zu steuern (BGH, Urteil vom 17. November 1987 – 1 StR 550/87, BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 6 m.w.N.).
15
c) Bedenken begegnet indes die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe M. R. – einvernehmlichen Geschlechtsverkehr vorausgesetzt – auch heimtückisch getötet.
16
Fraglich ist zum einen, ob die Strafkammer mit der Erwägung, es sei kaum ein argloserer Zustand vorstellbar als der einer jungen Frau, die mit einem Mann, für den sie Gefühle hege, den Geschlechtsverkehr ausübe, für die Beurteilung der Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers auf den rechtlich zutreffenden Zeitpunkt abgestellt hat. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Beurteilung der Frage, ob das Tatopfer arglos war, auf die Lage bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs an (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 – 3 StR 199/84, BGHSt 32, 382, 384 f.). Das Landgericht hat jedoch gerade nicht festgestellt, dass der Angeklagte bereits zu Beginn der Ausführung des Geschlechtsverkehrs einen Tötungsvorsatz gefasst hatte. Zum anderen ist auch zweifelhaft, ob die Urteilsgründe das Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten hinreichend belegen.
17
Dies bedarf indes keiner abschließenden Entscheidung durch den Senat. Der Schuldspruch wahlweise wegen Mordes in Verdeckungsabsicht bzw. aus einem sonstigen niedrigen Beweggrund ist rechtsfehlerfrei. Auf einem möglichen Rechtsfehler bei der Beurteilung der Voraussetzungen der Heimtücke kann das Urteil daher nicht beruhen (§ 337 StPO). Auch die Auffassung der Strafkammer, die Tötung habe sich im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Geschlechtsverkehr ereignet, weshalb Geschehensvarianten, die das Vorliegen von Mordmerkmalen schlechthin in Frage stellen könnten, auszuschließen seien, beruht auf möglichen und damit vom Revisionsgericht hinzunehmenden Schlussfolgerungen. In diesem Zusammenhang konnte das Landgericht insbesondere den Umstand heranziehen, dass das Tatopfer zu einem Zeitpunkt getötet wurde, als es seine Hose noch nicht wieder angezogen hatte.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Franke Bender

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 08. März 2012 - 4 StR 498/11

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 08. März 2012 - 4 StR 498/11

Referenzen - Gesetze

Strafgesetzbuch - StGB | § 211 Mord


(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. (2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitt

Strafprozeßordnung - StPO | § 337 Revisionsgründe


(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe. (2) Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.
Bundesgerichtshof Urteil, 08. März 2012 - 4 StR 498/11 zitiert 4 §§.

Strafgesetzbuch - StGB | § 211 Mord


(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. (2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitt

Strafprozeßordnung - StPO | § 337 Revisionsgründe


(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe. (2) Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Urteil, 08. März 2012 - 4 StR 498/11 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Urteil, 08. März 2012 - 4 StR 498/11 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

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Referenzen

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 105/08
vom
19. Juni 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Juni 2008,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien
und die Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Prof. Dr. Kuckein,
Athing,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 6. November 2007 im Strafausspruch aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Halle zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision der Angeklagten und die Revision der Staatsanwaltschaft werden verworfen. 4. Die Staatskasse trägt die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die der Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wenden sich die Angeklagte und - zu ihren Ungunsten - die Staatsanwaltschaft mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen; die Angeklagte erhebt darüber hinaus die nicht ausgeführte Verfahrensrüge. Während die Angeklagte mit ihrem Rechtsmittel insbesondere die Nichtannahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit beanstandet und eine niedrigere Strafe erstrebt, möchte die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision eine Verurteilung der Angeklagten wegen Mordes erreichen. Das Rechtsmittel der Angeklag- ten hat zum Strafausspruch Erfolg; dagegen bleibt der - vom Generalbundesanwalt vertretenen - Revision der Staatsanwaltschaft der Erfolg versagt.

I.

2
Das Landgericht hat festgestellt:
3
Die zur Tatzeit 27-jährige Angeklagte war von 2001 bis 2005 mit Enrico W. fest liiert. Aus dieser Beziehung stammt eine Tochter. Zwei weitere Schwangerschaften während ihrer Beziehung zu Enrico W. brach sie ab. Seit dem Sommer 2005 unterhielt sie eine Beziehung zu dem verheirateten Tino H. Als sie erstmals vom ihm schwanger wurde, ließ sie auch diese Schwangerschaft abbrechen. Die Beziehung zu Tino H. endete im Juli 2006. Im Dezember 2006 stellte die Angeklagte fest, dass sie von Tino H. erneut schwanger geworden war. Inzwischen hatte sie aber bereits die Verbindung zu Enrico W. wieder aufgenommen, der zwar zwischenzeitlich geheiratet hatte, aber von seiner Ehefrau getrennt lebte und bei dem es sich um den Mann handelte, den sie "immer wollte".
4
Die Angeklagte verbarg ihre erneute Schwangerschaft erfolgreich vor anderen und traf auch keinerlei Vorbereitungen für die bevorstehende Geburt. Auch ihrer Mutter, die ihre wichtigste Bezugsperson ist, erzählte sie nichts, weil sie Vorwürfe bezüglich ihrer Lebensführung fürchtete. Ebenso setzte sie auch Tino H. von ihrer Schwangerschaft nicht in Kenntnis, da ihr aufgrund seines früheren Verhaltens klar war, dass er das Kind nicht würde haben wollen.
5
Am Tattag, dem 28. Februar 2007, spürte die Angeklagte morgens Bauchschmerzen, dachte aber noch nicht an eine bevorstehende Geburt, mit der sie erst im April rechnete. Im Laufe des Vormittags fühlte sie jedoch, dass es sich bei den Bauchschmerzen um Geburtswehen handelte. Wenig später brachte sie im Bad problemfrei ein gesundes Mädchen zur Welt. Sie durchtrennte die Nabelschnur und säuberte das Kind. Dann reinigte sie das Bad. Während sie damit beschäftigt war und anschließend überlegte sie über einen Zeitraum von drei bis vier Stunden nach der Geburt unentschieden hin und her, ob sie das Kind umbringen oder behalten solle. Das Aufsuchen eines Krankenhauses oder die Abgabe des Kindes in eine so genannte Babyklappe zog sie nicht in Betracht, weil sie glaubte, dass hierbei sie als Mutter des Kindes und Tino H. als dessen Erzeuger bekannt würden. Das wollte sie aber wegen der befürchteten Vorwürfe ihrer Mutter, der Ablehnung von Tino H. sowie ihres eigenen Interesses an der wieder aufgenommenen Beziehung zu Enrico W. vermeiden. Sie verspürte Angst, Ratlosigkeit und Verzweiflung und war von der Geburt auch körperlich erschöpft. Als nunmehr das Kind zu schreien begann, nahm sie es auf den Arm und entschied sich dann, es zu töten. Sie drückte es mit Mund und Nase so gegen ihren Oberkörper, dass das Kind nicht mehr atmen konnte, legte es sodann auf dem Boden ab und überzeugte sich davon, dass es kein Lebenszeichen mehr von sich gab. Anschließend steckte sie die Kindesleiche in einen Plastiksack, den sie zunächst in einem Schrank im Bad versteckte. In der folgenden Nacht brachte sie den Sack mit der Kinderleiche zu einem nahe gelegenen See.

II.

6
Das Landgericht hat die geständige Angeklagte des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB) für schuldig befunden. Mit dem gehörten psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. M. hat es eine Aufhebung (§ 20 StGB) oder auch nur erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB ver- neint. Zwar weise die Angeklagte eine selbstunsichere Persönlichkeit mit schizoiden und emotional instabilen Elementen auf. Gerade der mehrstündige Prozess des Hin- und Herüberlegens zeige aber, dass sie den Tatanreizen in ganz beträchtlichem Maße Widerstand entgegenzusetzen vermocht habe. Eine Verurteilung der Angeklagten wegen Mordes hat das Schwurgericht abgelehnt, weil das allein in Betracht zu ziehende mordqualifizierende Merkmal der Tötung aus niedrigen Beweggründen nicht vorliege. Gegen eine solche Wertung sprächen die Angst der Angeklagten vor Vorwürfen ihrer Mutter, die sie dabei bewegenden Gefühle der Angst, Ratlosigkeit und Verzweiflung und auch ihre mögliche Sorge um den Bestand der Ehe des Erzeugers. Zudem spreche das mehrstündige Hin- und Herüberlegen vor der endgültigen Entscheidung zur Tötung gegen eine besondere Geringschätzung des fremden Lebens.

III.

7
Revision der Staatsanwaltschaft
8
Die Staatsanwaltschaft dringt mit ihrer Beanstandung, die Schwurgerichtskammer habe zu Unrecht das mordqualifizierende Merkmal der Tötung aus niedrigen Beweggründen verneint, nicht durch.
9
Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat "niedrig" sind und - in deutlich weiter reichendem Maße als ein Totschlag - verachtenswert erscheinen , hat aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren, insbesondere der Umstände der Tat, der Lebensverhältnisse des Täters, und seiner Persönlichkeit zu erfolgen (st. Rspr.; vgl. BGHSt 47, 128, 130; BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 47; jew. m.w.N.). Die Ablehnung niedriger Beweggründe im angefochtenen Urteil ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat alle wesentlichen für die Beurteilung maßgebenden Umstände in seine Abwägung mit einbezogen. Mit ihren Einwänden unternimmt die Beschwerdeführerin lediglich den Versuch, die in erster Linie dem Tatrichter vorbehaltene Wertung durch eine eigene Würdigung zu ersetzen. Damit kann sie angesichts des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabes nicht gehört werden. Dass die Angeklagte bei ihren stundenlangen Überlegungen , ob sie das Kind leben lassen oder es töten solle, auch ihre Beziehung zu ihrer Mutter und zu Enrico W. und die Haltung des Kindesvaters Tino H. im Blick hatte, hat das Landgericht nicht verkannt. Die Verfolgung eigener Interessen und ein Missverhältnis zwischen Anlass und Tat sind der Regelfall der vorsätzlichen rechtswidrigen Tötung eines anderen. Dass die Tat der Angeklagten demgegenüber von besonders krasser Selbstsucht geprägt war, die allein die Qualifizierung der Tat als mit lebenslanger Freiheitsstrafe statt als mit zeitiger Freiheitsstrafe bedrohter Totschlag rechtfertigen könnte, ist nicht ersichtlich. Jedenfalls liegt ein die Revision begründender Rechtsfehler nicht darin, dass das Landgericht der von Angst, Ratlosigkeit, Verzweiflung geprägten psychischen Verfassung der Angeklagten, zu der die körperliche Erschöpfung nach der Geburt hinzukam, ein solches Gewicht beigemessen hat, dass deswegen die Mordqualifikation zu verneinen war.

IV.

10
Revision der Angeklagten
11
Dagegen führt die Revision der Angeklagten auf die Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs.
12
1. Ohne Erfolg beanstandet die Beschwerdeführerin, dass das Landgericht eine erhebliche Verminderung ihrer Steuerungsfähigkeit im Tatzeitpunkt im Sinne von § 21 StGB verneint hat. Bei Kindstötungen wird selbst unter den engeren Voraussetzungen des früheren § 217 StGB (zu den Gründen der Aufhebung dieser Vorschrift durch das 6. StrRG vgl. BT-Drucks. 13/8587 S. 34 zu Nr. 26 und S. 81/82 zu Nr. 15) eine erhebliche Verminderung oder gar Aufhebung der Schuldfähigkeit kaum in Betracht kommen, wenn bei der Täterin außer der Belastung durch die Geburt keine unabhängig hiervon bestehenden rechtlich relevanten körperlichen und geistig-seelischen Beeinträchtigungen vorliegen (vgl. BGH, Urt. vom 5. Juni 2003 - 3 StR 55/03). Dies gilt erst recht, wenn die Tat wie hier – anders als im früheren § 217 StGB vorausgesetzt – nicht „in oder gleich nach der Geburt“ erfolgt. Danach hat das Landgericht ungeachtet der Persönlichkeitsauffälligkeiten der Angeklagten zu Recht - darin den gehörten psychiatrischen Sachverständigen folgend - das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB verneint.
13
2. Gleichwohl hat der Strafausspruch keinen Bestand.
14
Ohne Rechtsfehler hat das Schwurgericht allerdings das Vorliegen eines minder schweren Falls des Totschlags gemäß § 213 StGB verneint und die Strafe dem Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen. Der Strafausspruch ist aber aufzuheben, weil nach den Feststellungen, die das Landgericht zur Schwere der Tat und zum Grad der persönlichen Schuld der Angeklagten getroffen hat, bei Abwägung der strafmildernden und der strafschärfenden Gesichtspunkte die verhängte Freiheitsstrafe unvertretbar hoch ist, das für vergleichbare Fälle übliche Maß erheblich überschreitet, damit den Anforderungen an einen gerechten Schuldausgleich nicht mehr entspricht und deshalb rechtsfehlerhaft ist (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 1 Beurteilungsrahmen 9, 11, 12 m.w.N.). Nach den Erkenntnissen des Senats halten sich die in einschlägigen Fällen gegen die Kindesmütter verhängten Strafen deutlich unterhalb der hier erkannten Freiheitsstrafe. Dabei steht außer Frage, dass solche Taten objektiv schwerstes Unrecht darstellen. Angesichts einer sich in letzter Zeit ersichtlich häufenden Zahl einschlägiger Fälle dürfen bei der Findung des (noch) schuldangemessenen Strafmaßes auch generalpräventive Gesichtspunkte Berücksichtigung finden. In erster Linie hat sich die Strafe indes nach dem Maß der Tatschuld im Einzelfall auszurichten. Bei deren Gewichtung darf insbesondere die häufig verzweifelte Situation der Kindesmütter nicht außer Betracht bleiben. Zwar hätte die Mutter der Angeklagten ihre Unterstützung nicht versagt und standen schon deshalb für die Angeklagte – wie das auch sonst bei solcher Sachlage regelmäßig der Fall ist – objektiv Lösungsmöglichkeiten für die Versorgung des Kindes zur Verfügung. Dass die Angeklagte davon keinen Gebrauch gemacht und sich schließlich für die Tötung des Kindes entschieden hat, ist aber nicht zuletzt den Besonderheiten in ihrer Persönlichkeit zuzuschreiben. Zu Recht hat das Landgericht der Angeklagten im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne deshalb auch ihre "selbstunsichere Persönlichkeitsstörung" mit schizoiden und emotional instabilen Anteilen sowie ihre körperliche Erschöpfung durch die zuvor überstandene Entbindung zugute gehalten. Hinzu kommt, dass die psychische Verfassung der Angeklagten in der Tatsituation von Gefühlen der Angst, Ratlosigkeit und Verzweiflung geprägt war. Angesichts dieser schuldmildernden Umstände von Gewicht wird das hier im zweistelligen Bereich gefundene Strafmaß der Tatschuld der Angeklagten nicht mehr gerecht.
15
3. Der Senat hebt deshalb auf die Revision der Angeklagten das Urteil im Strafausspruch auf. Die zugehörigen Feststellungen sind von dem Aufhebungsgrund nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben. Zugleich macht der Senat von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO Gebrauch und verweist die Sache an ein anderes Landgericht zurück. Tepperwien Maatz Kuckein Athing Solin-Stojanović

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, daß das Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes beruhe.

(2) Das Gesetz ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.