Bundesgerichtshof Urteil, 04. Juli 2019 - 4 StR 508/18

bei uns veröffentlicht am04.07.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 508/18
vom
4. Juli 2019
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Geiselnahme u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:040719U4STR508.18.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4. Juli 2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richter am Bundesgerichtshof Cierniak, Bender, Dr. Quentin, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Bartel als beisitzende Richter,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger der Angeklagten C. ,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger des Angeklagten F. ,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 22. Februar 2018 in den Strafaussprüchen mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revisionen der Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil werden verworfen.
Jeder Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten F. wegen Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Bedrohung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten, die Angeklagte C. wegen Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richten sich die zuungunsten der Angeklagten eingelegten, wirksam auf die Strafaussprüche beschränkten und auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft; die Rechtsmittel werden vom Generalbundesanwalt vertreten. Die Angeklagten rügen mit ihren Rechtsmitteln die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft haben Erfolg; die Rechtsmittel der Angeklagten erweisen sich als unbegründet.

I.


2
Nach den Feststellungen bot der später Geschädigte O. am 17. August 2015 über das Onlineportal eBay-Kleinanzeigen zwei hochwertige Fernsehgeräte zu einem Kaufpreis von jeweils 2.222 Euro an. Die Angeklagten nahmen noch am selben Tag Kontakt zu ihm auf und einigten sich mit ihm schließlich auf den Kauf mehrerer gleichartiger Fernseher sowie Mobiltelefone des Typs iPhone 6 plus. O. gab vor, immer weitere Geräte beschaffen zu können; diese würden aus einer Insolvenz stammen und bei einem Amtsgericht bereitliegen. In Wahrheit wollte er den Angeklagten von Anfang an keines der bestellten Geräte liefern, sondern von diesen lediglich den Kaufpreis in bar vereinnahmen und für sich verwenden. Bei mehreren Treffen zwischen dem 18. und dem 21. August 2015 zahlte die Angeklagte C. insgesamt 12.400 Euro in bar an O. ; hierbei handelte es sich um ihre gesamten Ersparnisse.
3
In der Folge vertröstete O. die Angeklagten seinem vorgefassten Plan entsprechend mit immer neuen Ausreden. Als sich die Angeklagte C. am 25. August 2015 an die Polizei wandte, erhielt sie die Auskunft, dass O. bereits wegen weiterer Betrugstaten mit Haftbefehl gesucht werde und sich auf der Flucht befinde. Als dieser sich am selben Tag telefonisch bei dem Angeklagten F. meldete und nunmehr den Ankauf von Goldbarren anbot, schlug der Angeklagte ihm vor, sich gegen 22.00 Uhr in der Wohnung der Angeklagten C. in A. zu treffen. Die Angeklagten beabsichtigten, das Treffen zu nutzen, um ihr Geld zurückzufordern. Ihnen war inzwischen klar, dass es sich bei dem Verkäufer um einen Betrüger handelte; sie gingen davon aus, dass das Treffen die letzte Gelegenheit sein würde, um den bereits gezahlten Kaufpreis noch zurückzuerhalten. Dass O. ihnen das Geld freiwillig zurückgeben würde, erschien ihnen fernliegend. Sie fassten daher gemeinsam den Entschluss, ihn im Rahmen des Treffens zur Rückzahlung zu zwingen.
4
Gegen 22.00 Uhr erschien O. in der Wohnung der Angeklagten C. . Neben ihr hielten sich dort auch der Angeklagte F. und zwei weitere maskierte, unbekannt gebliebene Männer auf. Als O. das Arbeitszimmer betrat, gabF. mit dem Wort „jetzt!“ das vereinbarte Zeichen für die beiden Unbekannten, die daraufhin den Geschädigten zu Boden brachten und gemeinsam mit F. auf ihn einschlugen. Einer der beiden Unbekannten versetzte O. mit einem Elektroschocker einen Stromschlag. Er wurde schließlich mit Kabelbindern gefesselt, aufgerichtet und auf einen Stuhl gedrückt. Während F. das Opfer in den Schwitzkasten nahm, umwickelte C. dessen Kopf mit Klebeband. F. forderte von O. , dem wieder- holt Faustschläge in das Gesicht versetzt wurden, die Rückzahlung des Geldes und gab ihm zu verstehen, dass er aus der Situation nicht mehr lebend herauskomme , wenn er dem nicht Folge leiste. O. , der seine Situation als ausweglos empfand, nahm die Drohung ernst und fürchtete um sein Leben. Aufforderungsgemäß gab er den Code zum Entsperren seines Mobiltelefons preis. F. kontrollierte die gespeicherten Chatverläufe und gelangte auf diese Weise und durch entsprechende Nachfragen an Informationen über die familiären Hintergründe seines Opfers. In dessen Geldbörse fand er eine Zimmerkarte des Hotels M. in B. . Der Geschädigte bestätigte schließlich , dass er zuletzt in dem Hotel übernachtet und das nahe liegende Casino besucht habe. Um Zeit zu gewinnen und seine Freilassung zu erreichen, erzählte er außerdem, dass er im Schrank des Hotelzimmers einen durch Glücksspiel erzielten Gewinn in Höhe von 24.900 Euro lagere. Ob dieser Betrag tatsächlich vorhanden war, konnte die Strafkammer nicht aufklären.
5
Während die beiden Unbekannten das Opfer weiter bewachten, begaben sich die Angeklagten unter Mitnahme der Zimmerkarte nach B. . Sie beabsichtigten, aus dem Hotelzimmer den Betrag von 12.400 Euro an sich zu nehmen, weil sie davon ausgingen, dass ihnen ein entsprechender Anspruch gegen den Geschädigten zustand. Mit Hilfe der Karte verschafften sie sich Zutritt zu dem Zimmer und durchsuchten es nach dem Bargeld. Ob sie es dort fanden, konnte die Strafkammer nicht aufklären. Jedenfalls nahmen sie einige persönliche Unterlagen, wie Kontoauszüge, an sich und kehrten sodann zu der Wohnung der Angeklagten C. zurück. Nach Rückkehr erklärte F. , in dem Hotelzimmer kein Geld gefunden zu haben. Die Angeklagten berieten mit den beiden Unbekannten, wie mit dem Opfer zu verfahren sei; dabei fragte F. immer wieder nach dem Geld. Um O. weiter zu ängstigen, tat er dabei kund, ihn in den nahe gelegenen Mittellandkanal zu werfen, weil dieser zu viel über seine Angreifer erfahren habe. Zur Verstärkung dieses Vorstellungsbildes kündigte er dem Geschädigten ferner an, ihm zuvor in die Kniescheibe zu bohren, wobei einer der Anwesenden eine Bohrmaschine betätigte. Wie beabsichtigt verstand O. dies als weitere Todesdrohung. In Todesangst bettelte er darum, gehen zu dürfen; er sicherte immer wieder die Beschaffung des Geldes zu. Die männlichen Tatbeteiligten verließen sodann das Zimmer; C. gab vor, F. zur Freilassung bewegen zu wollen, wenn O. bis um 12.00 Uhr des darauffolgenden Tages das Geld besorge; anderenfalls habe auch seine Familie mit Repressalien zu rechnen. Überdies erhöhe sich die Forderung um jeweils 500 Euro pro Tag. Nachdem O. dies immer wieder versprochen hatte, löste C. seine Fesseln. F. händigte ihm einige seiner ihm zuvor weggenommenen Gegenstände aus. Die Brieftasche mit den Personaldokumenten sowie das iPhone 6 behielt er „als Druckmittel“ zurück. Um 3.30 Uhr konnte O. schließlich die Wohnung verlassen. Aufgrund der erlittenen Verletzungen suchte er noch am Vormittag einen Arzt auf. Auch fertigte er Lichtbilder von seinen Verletzungen. In der Folgezeit kam es zu weiteren telefonischen Kontakten zwischen O. und F. . O. hatte nicht vor, den Kaufpreis an die Angeklagten zurückzuzahlen; er hielt diese mit immer weiteren Ausreden hin. Eines der Telefonate, in dessen Verlauf es zu weiteren Drohungen kam, zeichnete O. auf.
6
Noch am Vormittag des 26. August 2015 nahm F. fernmündlich Kontakt zu dem ihm vorher nicht bekannten D. , dem Bruder des Geschädigten , auf. Er forderte diesen auf, für die Schulden seines Bruders aufzukommen. Als D. die Forderung zurückwies, teilte F. ihm mit, dass er Mitglied der Hells Angels sei und der Angerufene im Falle seiner Weigerung damit rechnen müsse, erschossen oder aber entführt und gefoltert zu werden, aber schlimmer als es seinem Bruder widerfahren sei. Zudem stellte er in Aussicht, dass der Sohn des D. entführt oder das neu eröffnete Fitness -Studio abgebrannt werden würde. Im Folgenden kam es noch zu mindestens drei weiteren Telefonaten, in denen F. die vorgebrachten Drohungen wiederholte, um D. zur Zahlung zu veranlassen und den Aufenthaltsort seines Bruders preiszugeben. Nach weiteren Telefonaten und einem persönlichen Treffen sah F. jedoch von seinen Drohungen gegenüber D. ab und gab die an diesen gerichtete Zahlungsforderung auf.

II.


7
Während die Revisionen der Staatsanwaltschaft zur Aufhebung der Strafaussprüche führen, erweisen sich die Rechtsmittel der Angeklagten als unbegründet.
8
1. Mit Recht rügt die Staatsanwaltschaft, dass die Strafkammer den Strafrahmen des von ihr für beide Angeklagte angenommenen minder schweren Falles (§ 239b Abs. 2 i.V.m. § 239a Abs. 2 StGB) nach der Vorschrift über die tätige Reue gemäß § 239b Abs. 2 i.V.m. § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB gemildert hat. Deren Voraussetzungen liegen nicht vor.
9
a) Das Landgericht hat insoweit ausgeführt, die Angeklagten hätten ihr Opfer unter Verzicht auf die erstrebte Leistung in dessen Lebensbereich zurückgelangen lassen. Sie seien zwar nicht von der – ihnen tatsächlich zustehenden – Forderung abgerückt, hätten aber letztlich auf die sofortige Rückzahlung des Geldes verzichtet und den Geschädigten freigelassen.
10
b) Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
11
aa) Das Gesetz eröffnet die fakultative Strafrahmenmilderung nach § 239b Abs. 2 i.V.m. § 239a Abs. 4 StGB, wenn der Täter die Geisel unter „Ver- zicht auf die erstrebte Leistung“ in seinen Lebensbereichzurückgelangen lässt. Für ein Zurückgelangenlassen des Opfers in dessen Lebensbereich genügt es, dass der Täter sein Opfer am Tatort freigibt und dieses seinen Aufenthaltsort wieder frei bestimmen kann (BGH, Beschluss vom 31. Mai 2001 – 1 StR 182/01, NJW 2001, 2895). Die entsprechende Geltung des Merkmals des Verzichts auf die erstrebte Leistung aus § 239a Abs. 4 StGB für den Tatbestand der Geiselnahme (§ 239b Abs. 2 StGB) erfordert ein tatbestandsgerechtes Verständnis : Der Täter muss von der Weiterverfolgung seines Nötigungszieles Abstand nehmen, also auf die nach seinem ursprünglichen Tatplan abzunötigende Handlung, Duldung oder Unterlassung verzichten (Schluckebier in LK, StGB, 12. Aufl., § 239b Rn. 21). Die in Rede stehende Regelung kann auch nach der Vollendung der Geiselnahme eingreifen (BGH, Beschluss vom 21. Mai 2003 – 1 StR 152/03,NStZ 2003, 605); allerdings muss – wie bereits der Gesetzeswortlaut eindeutig ergibt – die Freilassung unter der Abstandnahme von der nötigenden Einwirkung auf das Opfer geschehen (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Mai 2003 aaO Rn. 4: „zum Zeitpunkt seiner Aufgabe“; Schluckebier in LK, StGB, 12. Aufl., § 239a Rn. 58: „vor oder bei der Freigabe des Opfers“; Renzikowski in MünchKomm-StGB, 3. Aufl., § 239b Rn. 44: „durch Freilassung der Geisel … verzichtet“).
12
bb) Im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen der tätigen Reue auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen nicht gegeben:
13
Beide Angeklagte verzichteten im maßgeblichen Zeitpunkt der Freilassung O. s weder vollständig auf Nötigungsmittel noch auf ihr Nötigungsziel. Sie behielten vielmehr die Brieftasche des Opfers mit seinen Personaldokumen- ten sowie dessen iPhone 6 „als Druckmittel“ ein; die Angeklagte C. drohte mit der zusätzlichen Forderung von „Zinsen“ in Höhe von 500 Euro pro Tag. Bei einem späteren Telefonat des Angeklagten F. mit O. kam es zu weiteren Drohungen. Auch weitete F. seine Drohungen auf den Bruder seines ursprünglichen Opfers aus. In diese bezog er dessen Sohn und das von ihm neu eröffnete Fitness-Studio ein. Von einem Verzicht auf die nach dem ursprünglichen Tatplan der Angeklagten abzunötigende Handlung kann daher keine Rede sein.
14
Auf die von Staatsanwaltschaft und Verteidigung erörterte Frage, ob tätige Reue gemäß § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB erst dann vorliegt, wenn der Täter vollständig von der erhobenen Forderung Abstand nimmt (so BGH, Beschluss vom 7. September 2016 – 1 StR 293/16, NJW 2017, 1124), kommt es für die entsprechende Anwendung dieser Vorschrift über § 239b Abs. 2 StGB für die Geiselnahme nicht an (Schluckebier in LK, StGB, 12. Aufl., § 239b Rn. 21).
15
cc) Der aufgezeigte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung der gegen die Angeklagten ergangenen Strafaussprüche. Wegen der weiteren dem Landgericht bei der Bestimmung des anzuwendenden Strafrahmens unterlaufenen Rechtsfehler verweist der Senat auf die insoweit zutreffenden Ausführungen in der Revisionsbegründung der Staatsanwaltschaft.
16
2. Die im Wesentlichen gleichlautend begründeten Revisionen der Angeklagten bleiben ohne Erfolg.
17
a) Die Verfahrensrügen versagen. Zur Begründung nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seinen Antragsschriften. Ergänzend ist lediglich Folgendes auszuführen:
18
aa) Die Rüge, das ärztliche Attest vom 26. August 2015 habe nicht gemäß § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO verlesen werden dürfen, weil es sich um eine – nicht beglaubigte – Kopiehandele und der ausstellende Arzt nicht erkennbar sei, ist unbegründet. Wie der Generalbundesanwalt zu Recht ausgeführt hat, ist als ausstellender Arzt Herr Dr. H. erkennbar; lesbar muss seine Unterschrift nicht sein (RGSt 19, 364; Stuckenberg in LR, StPO, 26. Aufl., § 256 Rn. 45). Auch durfte eine Kopie des Attests verlesen werden. Dies ergibt sich aus der Systematik des Gesetzes: Die Vorschrift des § 249 Abs. 1 StPO regelt die grundsätzliche Zulässigkeit des Urkundsbeweises. Als Ausnahme hiervon verbietet § 250 StPO im Sinne der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, die Vernehmung einer Person über seine Wahrnehmungen durch die Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer schriftlichen Erklärung zu ersetzen. Als Unterausnahme wiederum gestattet § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO unabhängig vom Tatvorwurf die Verlesung ärztlicher Atteste über Körperverletzungen. Für die regelmäßige Verlesung von Schriftstücken im Urkundsbeweis gemäß § 249 Abs. 1 StPO ist es indes allgemein anerkannt, dass auch Abschriften und Ablichtungen statt des Originals als Beweismittel verwendet werden dürfen (BGH, Beschluss vom 25. April 1985 – 4 ARs 1/85, BGHSt 33, 196, 210: „unumstritten“; weitere Nachw. bei Meyer- Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 249 Rn. 6). Ihre Beglaubigung ist nicht notwendig (Diemer in KK-StPO, 8. Aufl., § 249 Rn. 12). Nichts anderes kann für die Vorschrift des § 256 Abs. 1 Nr. 2 StPO gelten, die in Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes zur regelmäßigen Verlesbarkeit von Urkunden gemäß § 249 Abs. 1 StPO zurückkehrt.
19
bb) Soweit die Angeklagten eine Verletzung ihres Rechts auf Gehör rügen , kann dahinstehen, ob es sich um eigenständige Verfahrensrügen handelt oder die Ausführungen, wie der Generalbundesanwalt meint, Teil der sachlichrechtlichen Beanstandungen sind. Jedenfalls hat die Strafkammer keinen Erfahrungssatz herangezogen, ohne den Angeklagten zuvor die Möglichkeit zur Äußerung zu geben. Bei der beweiswürdigenden Erwägung, dass „vorliegend ein Anruf bei dem von ihm genannten Amtsgericht ausgereicht hätte, um alles aufzudecken“, handelt es sich nicht um einen Erfahrungssatz, sondern, wie das von den Revisionen nicht mitzitierte Wort „vorliegend“ auf UA 24 belegt, um eine einzelfallbezogene Würdigung der von der Strafkammer rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellung, O. habe vorgespiegelt, die von ihm angebotenen Geräte stammten aus einer Insolvenz und würden beim Amtsgericht bereitliegen (UA 5).
20
b) Auch mit ihren sachlich-rechtlichen Einwendungen gegen das angefochtene Urteil vermögen die Angeklagten keinen Rechtsfehler aufzuzeigen.
21
Die Beweiswürdigung erweist sich als rechtsfehlerfrei. Insbesondere handelt es sich entgegen den Rechtsauffassungen der Revisionen nicht um eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation; das Landgericht hat dem Hauptbelastungszeugen O. nur insoweit geglaubt, als seine Angaben durch andere Beweismittel bestätigt werden. Die beweiswürdigenden Ausführungen des angefochtenen Urteils weisen auch keinen die Revision begründenden Darstellungsmangel auf; sie sind nicht lückenhaft oder widersprüchlich und enthalten auch keinen Zirkelschluss.
Sost-Scheible Cierniak Bender
Quentin Bartel

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 04. Juli 2019 - 4 StR 508/18

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 04. Juli 2019 - 4 StR 508/18

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 249 Führung des Urkundenbeweises durch Verlesung; Selbstleseverfahren


(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind. (2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen

Strafgesetzbuch - StGB | § 239a Erpresserischer Menschenraub


(1) Wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um die Sorge des Opfers um sein Wohl oder die Sorge eines Dritten um das Wohl des Opfers zu einer Erpressung (§ 253) auszunutzen, oder wer die von ihm durch eine solche Handlung ges

Strafgesetzbuch - StGB | § 239b Geiselnahme


(1) Wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um ihn oder einen Dritten durch die Drohung mit dem Tod oder einer schweren Körperverletzung (§ 226) des Opfers oder mit dessen Freiheitsentziehung von über einer Woche Dauer zu ein
Bundesgerichtshof Urteil, 04. Juli 2019 - 4 StR 508/18 zitiert 7 §§.

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Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt wer

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Bundesgerichtshof Beschluss, 31. Mai 2001 - 1 StR 182/01

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(1) Wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um die Sorge des Opfers um sein Wohl oder die Sorge eines Dritten um das Wohl des Opfers zu einer Erpressung (§ 253) auszunutzen, oder wer die von ihm durch eine solche Handlung geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen Erpressung ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr.

(3) Verursacht der Täter durch die Tat wenigstens leichtfertig den Tod des Opfers, so ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren.

(4) Das Gericht kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 mildern, wenn der Täter das Opfer unter Verzicht auf die erstrebte Leistung in dessen Lebenskreis zurückgelangen läßt. Tritt dieser Erfolg ohne Zutun des Täters ein, so genügt sein ernsthaftes Bemühen, den Erfolg zu erreichen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 182/01
vom
31. Mai 2001
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
_______________________
StGB §§ 239 b Abs. 2, 239 a Abs. 4
Hat der Täter einer Geiselnahme sich des Opfers in dessen Lebensbereich
bemächtigt, kommt die Anwendung des § 239 b Abs. 2 i.V.m. § 239 a Abs. 4
StGB bereits dann in Betracht, wenn der Täter sein Opfer am Tatort frei gibt
und dieses die Möglichkeit hat, seinen Aufenthaltsort wieder frei zu bestimmen.
BGH, Beschluß vom 31. Mai 2001 - 1 StR 182/01 - LG Mosbach
wegen Geiselnahme u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 31. Mai 2001 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mosbach vom 15. Januar 2001 im Ausspruch über
a) die Einzelstrafe wegen Geiselnahme;
b) die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Der Angeklagte wurde wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit einer im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangenen Geiselnahme zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Seine auf die Verurteilung wegen Geiselnahme (Strafe hierfür: vier Jahre ) beschränkte Revision führt zur Aufhebung des Strafausspruchs und damit zum Wegfall der Gesamtstrafe (§ 349 Abs. 4 StPO); im übrigen bleibt sie erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Folgendes ist festgestellt: Der Angeklagte wollte sich das Leben nehmen. Dies teilte er seiner früheren Freundin S. F. sc hriftlich mit; er hoffte, sie werde ihn davon abhalten und zu ihm zurückkehren. Nachdem sie jedoch nicht reagierte, drang er noch in der gleichen Nacht gewaltsam in das Haus der Familie F. ein. Während S. F. nach oben flüchtete, stellte sich ihr (neuer) Freund W. dem Angeklagten entgegen. Der Angeklagte bemächtigte sich des damals gehbehinderten W. mit einem Messer und drohte, ihn zu töten, wenn S. F. nicht herbeikäme. Ebenso forderte er mit der Drohung, W. s onst zu töten, auch die inzwischen ebenfalls anwesenden Eltern der S. F. auf, dafür zu sorgen, daß diese erscheint. Als der Angeklagte bemerkte, daß die Polizei eingetroffen war und darüber hinaus der von ihm geschätzte Vater der S. F. einen Schwächeanfall erlitten hatte, ließt er von W. ab und flüchtete. Bei seiner alsbald erfolgten Festnahme konnte er daran gehindert werden, in Selbsttötungsabsicht Frostschutzmittel zu trinken. 2. Diese Feststellungen entsprechen im wesentlichen der Schilderung in der unverändert zugelassenen Anklage. In rechtlicher Hinsicht ist dort ohne nähere Darlegungen ausgeführt, der Angeklagte habe - unter den übrigen Voraussetzungen des § 239 b StGB - gehandelt, um "einen Dritten" zu nötigen. Angesichts der klaren Sachverhaltsschilderung werden Anklage und Eröffnungsbeschluß entgegen der Auffassung der Revision ihrer Informationsfunktion (gleichwohl) gerecht. 3. Die Strafkammer führt in rechtlicher Hinsicht aus, § 239 b StGB sei erfüllt, da der Angeklagte gehandelt habe, um W. und einen Dritten zu nötigen.
Die Revision sieht daher § 265 StPO mehrfach als verletzt an. Weder sei darauf hingewiesen worden, wer der Dritte sei, noch darauf, daß auch W. als Nötigungsopfer in Frage komme. Dieses Vorbringen greift jedenfalls deshalb nicht durch, weil der Senat ausschließen kann, daß sich der Angeklagte im Falle solcher Hinweise erfolgversprechender als geschehen hätte verteidigen können: Der Angeklagte hatte sich dahin verteidigt, er habe W. lediglich davon abhalten wollen, die Polizei zu rufen. Dies sieht die Strafkammer auf Grund der übereinstimmenden Aussagen aller Anwesenden als widerlegt an. 4. Auch sonst hält der Schuldspruch rechtlicher Überprüfung stand. 5. Der Strafausspruch kann dagegen nicht bestehen bleiben, da die Strafkammer eine (weitere) Strafrahmenmilderung gemäß § 239 b Abs. 2 StGB in Verbindung mit § 239 a Abs. 4 Satz 1 StGB nicht geprüft hat. Der Angeklagte hatW. unter Verzicht auf sein angestrebtes Ziel freigelassen. Soweit § 239 a Abs. 4 StGB darüber hinaus verlangt, daß der Täter die Geisel in ihren Lebensbereich zurückgelangen läßt, beinhaltet dies nicht notwendig eine räumliche Komponente. Diese Bestimmung soll "dem Täter die Entscheidung, das Opfer lebendig frei zu lassen, in jedem Fall erleichtern" (BTDrucks. VI/2722 S. 3). Ihre Anwendbarkeit ist daher nicht auf Entführungsfälle beschränkt. Bemächtigt sich der Täter der Geisel in deren Lebensbereich und kommt es auch im weiteren Verlauf nicht zu einer Ortsveränderung, so genügt es, wenn der Täter - unbeschadet möglicher Besonderheiten bei Gebrechlichen oder Kindern - der Geisel ermöglicht, ihren Aufenthaltsort wieder frei und ungehindert zu bestimmen (vgl. nur K. Schäfer in LK, 10. Aufl. § 239 a Rdnr. 26
m.w.N.; Eser in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 239 a Rdnr. 35 ff.), ohne daß es darauf ankäme, ob die Geisel überhaupt eine Ortsveränderung vornehmen will. Die Strafkammer hat nicht ausdrücklich ausgeführt, ob der Angeklagte insgesamt freiwillig oder unfreiwillig gehandelt hat. Es mag mehr dafür sprechen , daß er insgesamt unfreiwillig gehandelt hat. Dies könnte bei der Prüfung, ob von der durch § 239 a Abs. 4 StGB eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht werden soll, zwar mitberücksichtigt werden, schlösse die Anwendbarkeit dieser Bestimmung aber nicht von vorneherein aus (vgl. Esser aaO Rdnr. 40 m.w.N.). Insgesamt liegt eine Anwendung von § 239 a Abs. 4 StGB jedenfalls nicht so fern, als daß deshalb eine ausdrückliche Erörterung entbehrlich gewesen wäre. 6. Der Senat weist auf folgendes hin: Im Hinblick auf den vertypten Milderungsgrund gemäß § 21 StGB hat die Strafkammer einen minder schweren Fall gemäß § 239 b Abs. 2 StGB in Verbindung mit § 239 a Abs. 2 StGB angenommen. Sie geht davon aus, die Strafe sei daher einem Strafrahmen zwischen einem Jahr (Mindeststrafe gemäß § 239 a Abs. 2 StGB) und elf Jahren und drei Monaten (gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderte Höchststrafe gemäß § 239 b Abs. 1 StGB) zu entnehmen. Eine solche Kombination unterschiedlicher Strafrahmen ist jedoch nicht
möglich (vgl. hierzu im einzelnen Gribbohm in LK 11. Aufl. § 46 Rdnr. 263), mag sich dies hier auch nicht zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt haben. Schäfer Wahl Boetticher Schluckebier Hebenstreit

(1) Wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um die Sorge des Opfers um sein Wohl oder die Sorge eines Dritten um das Wohl des Opfers zu einer Erpressung (§ 253) auszunutzen, oder wer die von ihm durch eine solche Handlung geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen Erpressung ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr.

(3) Verursacht der Täter durch die Tat wenigstens leichtfertig den Tod des Opfers, so ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren.

(4) Das Gericht kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 mildern, wenn der Täter das Opfer unter Verzicht auf die erstrebte Leistung in dessen Lebenskreis zurückgelangen läßt. Tritt dieser Erfolg ohne Zutun des Täters ein, so genügt sein ernsthaftes Bemühen, den Erfolg zu erreichen.

(1) Wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um ihn oder einen Dritten durch die Drohung mit dem Tod oder einer schweren Körperverletzung (§ 226) des Opfers oder mit dessen Freiheitsentziehung von über einer Woche Dauer zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen, oder wer die von ihm durch eine solche Handlung geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen Nötigung ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) § 239a Abs. 2 bis 4 gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 152/03
vom
21. Mai 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Geiselnahme u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Mai 2003 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 19. Dezember 2002 im Strafausspruch aufgehoben. Die weitergehende Revision wird verworfen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Geiselnahme zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Revision des Angeklagten beanstandet die Verletzung sachlichen Rechts; sie hat zum Strafausspruch Erfolg, ist im übrigen aber unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Der Angeklagte überfiel "in einem Zustand gesteigerter Verzweiflung" eine Filiale der Südwestbank in S. . Er verlangte dort unter der Bedrohung
von Bankbediensteten mit einem Gasalarmrevolver sowie einem geladenen, scharfen Revolver die Ausführung von drei Überweisungsaufträgen über hohe Beträge. Seiner Forderung wurde insoweit schließlich in der Weise nachgegeben , daß die Überweisungsaufträge in den Computer eingegeben wurden; sie verließen jedoch den Bereich der Südwestbank nicht. Nachdem der Angeklagte die noch anwesenden Bankbediensteten bis auf den Filialleiter freigelassen hatte oder diesen die Flucht gelungen war, hielt er den Filialeiter, den Zeugen A. , über mehrere Stunden hinweg als Geisel. Der Angeklagte, der keinen Ausweg für seine geschäftlichen Probleme sah, wollte sich in einer Art finaler Machtdemonstration Genugtuung verschaffen, indem er den Zeugen A. zu einem Gespräch über die Geschäftsbeziehung zwang, bei dem er, der Angeklagte , den Ton angab; zudem sollte der Zeuge seine Schuld an der geschäftlichen Misere des Angeklagten eingestehen. Nach mehrstündigen telefonischen Verhandlungen mit der Polizei gab er schließlich auf. Er entlud seinen scharfen Revolver, verstaute die Waffen in seiner Aktentasche, verließ die Bank und wurde festgenommen. Die Strafkammer hat es für nicht ausgeschlossen erachtet , daß der Angeklagte wegen des Zusammenwirkens von Alkohol (2,94 Promille Blutalkoholgehalt bei Tatbeginn) und Verzweifelung in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war. Das Landgericht hat der Strafzumessung den gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 239b Abs. 1 StGB zugrundegelegt (zwei Jahre bis elf Jahre drei Monate Freiheitsstrafe). Einen minder schweren Fall hat es nicht angenommen.

II.

Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. 1. Die Strafkammer hat es rechtsfehlerhaft unterlassen, die fakultative Strafrahmenmilderungsmöglichkeit nach § 239b Abs. 2 i.V.m. § 239a Abs. 4 StGB zu prüfen. Diese ist eröffnet, wenn der Täter die Geisel unter "Verzicht auf die erstrebte Leistung" in seinen Lebensbereich zurückgelangen läßt. Für ein Zurückgelangenlassen des Opfers in dessen Lebensbereich genügte es hier, daß der Angeklagte sein Opfer am Tatort freigab und dieses seinen Aufenthaltsort wieder frei bestimmen konnte (BGH NJW 2001, 2895 = NStZ 2001, 532). Die entsprechende Geltung des Merkmals des Verzichts auf die erstrebte Leistung aus § 239a Abs. 4 StGB für den Tatbestand der Geiselnahme (§ 239b Abs. 2 StGB) erfordert ein tatbestandsgerechtes Verständnis: Der Täter muß von der Weiterverfolgung seines Nötigungszieles Abstand nehmen, also auf die nach seinem ursprünglichen Tatplan abzunötigende Handlung, Duldung oder Unterlassung verzichten (vgl. Träger/Schluckebier in LK 11. Aufl. § 239b Rdn. 14). Die in Rede stehende Regelung kann auch nach der Vollendung der Geiselnahme eingreifen. Der kriminalpolitische Sinn der Bestimmung liegt gerade darin, durch die Zulassung der Strafmilderung trotz vollendeter Tat die Möglichkeiten zu verbessern, das Opfer zu retten und die Geiselnahme ohne eine in vielfacher Hinsicht risikobehaftete polizeiliche Befreiungsaktion zu beenden (Dies. aaO § 239a Rdn. 34). Die Vorschrift soll "dem Täter den Entschluß , das Opfer lebendig freizulassen, in jedem Fall erleichtern" (vgl. Sonderausschußbericht BTDrucks. VI/2722 S. 3). In der Praxis wird diese Gesetzeslage oft auch ein wichtiger Gesichtspunkt bei den "Verhandlungen" zwischen Geiselnehmer und Polizei sein, die letztlich mit dem Ziel der Aufgabe
des Täters geführt werden. Gerade im Blick darauf erhellt sich die Bedeutung einer ausdrücklichen Erörterung durch den Tatrichter in den einschlägigen Fällen. Damit ist freilich nicht gesagt, daß die Strafrahmenmilderung bei Vorliegen ihrer gesetzlichen Voraussetzungen in der Regel vorzunehmen wäre. Eröffnet ist damit allerdings tatrichterliches Ermessen, das unter Berücksichtigung aller insoweit in Betracht zu ziehenden Umstände ausgeübt werden muß. Daß dies geschehen ist, muß sich den Urteilsgründen entnehmen lassen. Der Angeklagte wollte hier dem Zeugen A. das Eingeständnis abpressen , daß dieser Schuld an seinem geschäftlichen Ruin trage. Im Rahmen einer Machtdemonstration ging es ihm darum, ein Gespräch zu erzwingen, bei dem er den Ton angab. Die Strafkammer hätte erörtern müssen, ob er dieses Ziel auch zum Zeitpunkt seiner Aufgabe noch hätte weiter verfolgen können. Es lag nicht fern, daß er seine "Machtdemonstration" noch hätte fortführen können. Auch daß der Zeuge A. das vom Angeklagten erstrebte "Eingeständnis" abgelegt hätte, ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht. Daß die Aufgabe des Angeklagten naheliegender Weise auch unter dem Eindruck der Absperrung und Umstellung des Tatortes durch die Polizei erfolgte, steht der Strafrahmenmilderung nicht von vornherein entgegen, kann aber bei der Bewertung, ob von dieser Gebrauch gemacht wird, berücksichtigt werden (Dies. aaO § 239a Rdn. 39). 2. Der Erörterungsmangel setzt sich bei der konkreten Strafzumessung fort: Die Strafkammer hat den Umstand, daß der Angeklagte schließlich aufgab und sich festnehmen ließ, nicht als strafmildernd erwähnt. Dabei handelt es sich jedoch ersichtlich um einen Straffindungsgesichtspunkt bestimmenden Gewichts (vgl. § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO).
3. Der Senat vermag nicht sicher auszuschließen, daß die unterbliebene Prüfung der Vorschrift über die "tätige Reue" durch Freilassung des Opfers und die Nichterwähnung dieses Umstandes in den konkreten Strafzumessungserwägungen den Angeklagten beschweren kann. Zwar erscheint die verhängte Strafe im Blick auf das Tatbild und die Täterpersönlichkeit nicht als zu hoch; da die Strafbemessung aber Sache des Tatrichters ist und hier bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 239a Abs. 4 i.V.m. § 239b Abs. 2 StGB auch ein Einfluß auf die Prüfung der Voraussetzungen des minder schweren Falles (§ 239a Abs. 2 i.V.m. § 239b Abs. 2 StGB) nicht völlig ausgeschlossen werden kann, darüber hinaus auch bei der ideal konkurrierenden Strafbestimmung des § 250 Abs. 2 StGB Milderungen unter dem Gesichtspunkt der erheblich eingeschränkten Schuldfähigkeit und nach Versuchsgrundsätzen in Betracht gekommen wären (vgl. § 52 Abs. 2 StGB), muß die Strafe durch den Tatrichter neu zugemessen werden.
4. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen - auch zum Strafaus- spruch - sowie der Maßregelausspruch können bestehen bleiben, weil lediglich Wertungsmängel vorliegen. Ergänzende Feststellungen, die den getroffenen nicht widerstreiten, sind möglich. Nack Wahl Schluckebier Kolz Elf

(1) Wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um die Sorge des Opfers um sein Wohl oder die Sorge eines Dritten um das Wohl des Opfers zu einer Erpressung (§ 253) auszunutzen, oder wer die von ihm durch eine solche Handlung geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen Erpressung ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr.

(3) Verursacht der Täter durch die Tat wenigstens leichtfertig den Tod des Opfers, so ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren.

(4) Das Gericht kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 mildern, wenn der Täter das Opfer unter Verzicht auf die erstrebte Leistung in dessen Lebenskreis zurückgelangen läßt. Tritt dieser Erfolg ohne Zutun des Täters ein, so genügt sein ernsthaftes Bemühen, den Erfolg zu erreichen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 293/16
vom
7. September 2016
BGHSt: nein
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
––––––––––––––––––––––––––-
Tätige Reue gemäß § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB liegt erst dann vor, wenn der
Täter das Opfer in seinen Lebensbereich zurückgelangen lässt und zudem auf
die erstrebte Leistung verzichtet; dazu muss er vollständig von der erhobenen
Forderung Abstand nehmen.
BGH, Beschluss vom 7. September 2016 – 1 StR 293/16 – LG Hechingen
in der Strafsache
gegen
1.
ECLI:DE:BGH:2016:070916B1STR293.16.0

2.



wegen erpresserischen Menschenraubs u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. September 2016 nach Anhörung der Beschwerdeführer und des Generalbundesanwalts gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
1. Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 1. Februar 2016 werden als unbegründet verworfen.
2. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihres jeweiligen Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und in Tateinheit mit zwei tateinheitlichen Fällen der versuchten räuberischen Erpressung verurteilt und gegen den Angeklagten J. eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten sowie gegen den Angeklagten S. unter Einbeziehung von drei früheren Verurteilungen eine Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verhängt. Die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Das Landgericht hat vorliegend folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
Die Angeklagten J. und S. waren in nicht aufklärbarer Weise in den Verkauf von 50 Ecstasy-Pillen an B. verwickelt und versuchten , ab dem 2. März 2015 den Kaufpreis in Höhe von 500 Euro einzutreiben, um ihn für sich zu behalten. Einem für den 9. März 2015 vereinbarten Treffen blieb B. fern, wodurch sich die Angeklagten vorgeführt fühlten, und beschlossen, B. zu verprügeln, vorrangig um das Geld zu erlangen, aber auch um sich Respekt zu verschaffen. Der Angeklagte J. äußerte in diesem Zusammenhang, dass er B. notfalls solange festhalten und schlagen würde, bis dieser zahle. Zur Verfolgung dieses Tatplans lockten die Angeklagten gemeinsam mit den anderweitig Verfolgten Bl. und V. den Geschädigten B. am 14. März 2015 um 17 Uhr unter einem Vorwand zur Hauptschule in H. . Da B. beim Anblick der Angeklagten und der anderweitig Verfolgten Bl. und V. sofort klar war, worum es diesen ging, flüchtete er zunächst, fiel jedoch hin, so dass die Angeklagten sowie Bl. und V. ihn einholten und auf ihn einschlugen und –traten. B. erlitt hierbei eine Gehirnerschütterung, eine Distorsion der Halswirbelsäule, diverse Prellungen und Schürfwunden sowie eine circa 1 cm lange oberflächliche Platzwunde an der rechten Schläfe mit einer kastaniengroßen Hämatomschwellung. Zunächst gab B. an, das Geld nicht dabei, aber zuhause zu haben.
4
Die Angeklagten schlossen daraufhin mit den anderweitig Verfolgten Bl. und V. die stillschweigende Vereinbarung, dass sie gemeinsam mit B. zu dessen Wohnung fahren, um das Geld zu erlangen. Sie stiegen hierzu gemeinsam in den Pkw des anderweitig Verfolgten V. ein, wobei B. auf dem mittleren Platz der Rückbank saß und so keine Möglichkeit hatte, sich dem Zugriff der Angeklagten zu entziehen. Noch auf der Fahrt räumte B. ein, dass er auch zuhause keine 500 Euro habe. Die Angeklagten wollten ihn jedoch nicht unverrichteter Dinge gehen lassen und beschlossen – auf Vorschlag von B. – daher, das Geld nunmehr von Bü. , dem Vater des B. , zu verlangen. Sie riefen Bü. an und drohten, dass der in ihrer Gewalt befindliche B. eine Tracht Prügel bekomme, falls er ihnen nicht aus Sorge um seinen Sohn 500 Euro aushändige. Als Treffpunkt für die Geldübergabe wurde der Autohof E. vereinbart. Hier trat Bü. so bestimmt auf, dass die Angeklagten und die anderweitig Verfolgten Bl. und V. nach längeren Verhandlungen einwilligten, dass sich B. in das Auto seines Vaters setzen durfte. Sie forderten jedoch weiterhin von Bü. die Zahlung von 500 Euro, bis schließlich die – vom ebenfalls vor Ort befindlichen Bruder des Bü. , M. , gerufene – Polizei eintraf, ohne dass es zu einer Geldübergabe kam.

II.


5
Die Verfahrensrüge, mit der ein Verstoß gegen § 265 StPO gerügt wird, hat aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 24. Juni 2016 näher ausgeführten Gründen keinen Erfolg.

III.


6
1. Die auf einer fehlerfreien Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen tragen den Schuldspruch.
7
2. Der Strafausspruch weist ebenfalls keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf. Zwar legt der Umstand, dass sie dem Geschädigten gestatteten, sich in das Fahrzeug seines Vaters zu begeben, eine Erörterung der tätigen Reue gemäß § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB nahe. Denn B. war aufgrund eines Verhaltens der Angeklagten damit im Sinne der vorgenannten Vorschrift in seinen Lebensbereich zurückgelangt. Die unterbliebene Erörterung der tätigen Reue hat sich jedoch nicht zum Nachteil der Angeklagten ausgewirkt. Eine Strafmilderung auf der Grundlage von § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB (i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB) kommt nämlich im Ergebnis nicht in Betracht, weil nicht alle Voraussetzungen der tätigen Reue gegeben sind. Erst dann ist aber das Ermessen des Tatrichters eröffnet, eine Strafmilderung zu gewähren.
8
a) Entgegen einer in der Strafrechtswissenschaft vertretenen Auffassung (Fischer, StGB, 63. Aufl., § 239a Rn. 20; MüKo-StGB/Renzikowski, 2. Aufl., § 239a Rn. 96) wird der Anwendungsbereich der tätigen Reue nicht bereits dadurch eröffnet, dass der Täter die Leistung nicht mehr mit den Mitteln des § 239a Abs. 1 StGB anstrebt. Vielmehr liegen die Voraussetzungen der fakultativen Strafmilderung gemäß § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB erst dann vor, wenn der Täter das Opfer in dessen Lebensbereich zurückgelangen lässt und zudem auf die erstrebte Leistung verzichtet. Dazu muss der Täter vollständig von seiner Forderung Abstand nehmen (so auch LK-StGB/Schluckebier, 12. Aufl., § 239a Rn. 58; vgl. zur parallelen Problematik bei § 239b Abs. 2 i.V.m. § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB auch: BGH, Beschlüsse vom 21. Mai 2003 – 1 StR 152/03, NStZ 2003, 605; vom 31. Mai 2001 – 1 StR 182/01, NJW 2001, 2895 und vom 8. Dezember 1999 – 3 StR 516/99, BGHR StGB § 239a Abs. 3 Verzicht 2). Eine solche Abstandnahme wird allerdings regelmäßig konkludent in der Freilassung des Opfers zu sehen sein.
9
aa) Die Notwendigkeit eines kumulativen Vorliegens ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, der den Verzicht auf die erstrebte Leistung neben der Freilassung des Opfers als Voraussetzung für das Vorliegen einer tätigen Reue gesondert hervorhebt.
10
bb) Die Gesetzesmaterialien legen ebenfalls nahe, dass es sich bei den typischerweise zusammenfallenden Elementen der Freilassung des Opfers und dem Verzicht auf die erstrebte Leistung um zwei eigenständige Merkmale des § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB handelt. Der Gesetzeswortlaut des ursprünglich nur die Kindesentführung erfassenden § 239a StGB wurde mit dem 12. StrÄndG 1971 geändert und es wurde erstmals eine Regelung der tätigen Reue im damaligen Absatz 3 mit dem Wortlaut des heutigen Absatzes 4 aufgenommen. Während die Gesetzesfassung im Entwurf noch lautete „Das Gericht kann die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 15), wenn der Täter aus freien Stücken das Kind, ohne es dabei zu gefährden, freiläßt. (…)“ (BT-Drucks. VI/2139, S. 2), entschied sich der Gesetzgeber letztlich bewusst für die Aufnahme der Einschränkung „unter Verzicht auf die erstrebte Leistung“.
11
Der Gesetzgeber wollte mit der Einführung des damaligen Absatzes 3 dem Täter im Interesse des Opfers auch nach Vollendung der Tat noch die Möglichkeit geben, Strafmilderung zu erlangen, wenn er das Opfer wieder in seinen Lebenskreis zurückkehren lässt. Die Einschränkung „unter Verzicht auf die erstrebte Leistung“ erschien dem Gesetzgeber jedochnötig, da andernfalls auch Konstellationen unter den Wortlaut der Vorschrift subsumierbar gewesen wären, bei denen der Täter das Opfer nach Erhalt des Lösegeldes freilässt. Dies dürfe jedoch keinesfalls zu einer Strafmilderung führen. Die gewählte Formulierung gebe der Rechtsprechung die Möglichkeit, auch in Grenzfällen sachgerechte Lösungen zu finden (so BT-Drucks. VI/2722, S. 3). Der Gesetzgeber nahm dabei sowohl den Präventivzweck der Strafe als auch Opferschutzbelange in den Blick, gelangte jedoch zu dem Ergebnis, dass ein Täter, der sich nicht von der Strafdrohung an sich, insbesondere bei der leichtfertigen Tötung nach dem heutigen Absatz 3, abschrecken lasse, sich auch nicht durch die Aussicht auf eine Strafmilderung von seinem Vorhaben abbringen lasse.
12
Letztlich belegen die Gesetzesgenese und die bewusste Entscheidung, den Entwurf noch um die einschränkende Voraussetzung „unter Verzicht auf die erstrebte Leistung“ zu erweitern, dass der Gesetzgeber dieser Komponente einen eigenständigen Bedeutungsgehalt neben dem Abstandnehmen vom Menschenraub zukommen lassen wollte. Diese klare gesetzgeberische Ent- scheidung würde umgangen, wenn man „unter Verzichtauf die erstrebte Leis- tung“ so auslegen würde, dass hiervon bereits jedes Abstandnehmen von ei- nem Verfolgen des Ziels mit den Mitteln des § 239a Abs. 1 StGB erfasst wäre.
13
cc) Diese Auslegung widerspricht auch nicht der Gesetzessystematik. Andere Vorschriften zur tätigen Reue gewähren dem Täter ebenfalls keine un- eingeschränkte „goldene Brücke“ zur Strafmilderung.Das bloße Abstand nehmen von der weiteren Tatbestandsverwirklichung genügt in der Regel nicht. So setzt etwa § 306e StGB voraus, dass der Täter den Brand freiwillig löscht, bevor ein erheblicher Schaden entsteht (ähnlich die Regelung des § 320 Abs. 2 StGB). Es ist hierbei immer im Blick zu behalten, dass die tätige Reue nur aus- nahmsweise zu einer Strafmilderung führen soll, obwohl die Schwelle zur Vollendung bereits überschritten war. Welche Anforderungen an die tätige Reue zu stellen sind, ist daher durchaus auch mit Blick auf den Ausnahmecharakter der Vorschrift zu beurteilen.
14
dd) Schließlich harmoniert die hier vertretene Gesetzesauslegung auch mit den Anforderungen, die bei der parallelen Problematik des Rücktritts vom unbeendeten Versuch gestellt werden. Für diesen ist anerkannt, dass der Täter die Durchführung seines Entschlusses im Ganzen und endgültig aufgeben muss, um die Voraussetzungen eines Rücktritts i.S.d. § 24 StGB zu erfüllen (vgl. z.B. schon BGH, Urteile vom 14. April 1955 – 4 StR 16/55, BGHSt 7, 296 und vom 23. August 1979 – 4 StR 379/79, NJW 1980, 602). Da es oft vom Zufall abhängt, ob sich eine Tat noch im Versuchsstadium befindet oder bereits vollendet ist, liegt es nahe, bei der tätigen Reue ähnliche Anforderungen zu stellen wie beim Rücktritt vom Versuch.
15
b) Die Angeklagten haben dem Geschädigten B. lediglich gestattet, in seinen Lebensbereich zurückzukehren. Da sie aber weiterhin gegenüber dessen Vater an ihrem unberechtigten Verlangen auf Zahlung von 500 Euro festgehalten haben, haben sie keine tätige Reue gemäß § 239a Abs. 4 Satz 1 StGB geübt. Wegen des ausdrücklichen Festhaltens an der Forderung auf Zahlung von 500 Euro erweist sich im vorliegenden Fall die Freilassung des Geschädigten auch nicht als konkludenter Verzicht auf die erstrebte Leistung.

IV.


16
Die Kosten- und Auslagenentscheidung für den Angeklagten J. beruht auf § 473 Abs. 1 StPO. Auch der über ein eigenes Einkommen verfügende Angeklagte S. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen, § 109 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 74 JGG.
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(1) Wer einen Menschen entführt oder sich eines Menschen bemächtigt, um ihn oder einen Dritten durch die Drohung mit dem Tod oder einer schweren Körperverletzung (§ 226) des Opfers oder mit dessen Freiheitsentziehung von über einer Woche Dauer zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen, oder wer die von ihm durch eine solche Handlung geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen Nötigung ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) § 239a Abs. 2 bis 4 gilt entsprechend.

(1) Verlesen werden können

1.
die ein Zeugnis oder ein Gutachten enthaltenden Erklärungen
a)
öffentlicher Behörden,
b)
der Sachverständigen, die für die Erstellung von Gutachten der betreffenden Art allgemein vereidigt sind, sowie
c)
der Ärzte eines gerichtsärztlichen Dienstes mit Ausschluss von Leumundszeugnissen,
2.
unabhängig vom Tatvorwurf ärztliche Atteste über Körperverletzungen,
3.
ärztliche Berichte zur Entnahme von Blutproben,
4.
Gutachten über die Auswertung eines Fahrtschreibers, die Bestimmung der Blutgruppe oder des Blutalkoholgehalts einschließlich seiner Rückrechnung,
5.
Protokolle sowie in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, soweit diese nicht eine Vernehmung zum Gegenstand haben und
6.
Übertragungsnachweise und Vermerke nach § 32e Absatz 3.

(2) Ist das Gutachten einer kollegialen Fachbehörde eingeholt worden, so kann das Gericht die Behörde ersuchen, eines ihrer Mitglieder mit der Vertretung des Gutachtens in der Hauptverhandlung zu beauftragen und dem Gericht zu bezeichnen.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt werden.

(1) Verlesen werden können

1.
die ein Zeugnis oder ein Gutachten enthaltenden Erklärungen
a)
öffentlicher Behörden,
b)
der Sachverständigen, die für die Erstellung von Gutachten der betreffenden Art allgemein vereidigt sind, sowie
c)
der Ärzte eines gerichtsärztlichen Dienstes mit Ausschluss von Leumundszeugnissen,
2.
unabhängig vom Tatvorwurf ärztliche Atteste über Körperverletzungen,
3.
ärztliche Berichte zur Entnahme von Blutproben,
4.
Gutachten über die Auswertung eines Fahrtschreibers, die Bestimmung der Blutgruppe oder des Blutalkoholgehalts einschließlich seiner Rückrechnung,
5.
Protokolle sowie in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, soweit diese nicht eine Vernehmung zum Gegenstand haben und
6.
Übertragungsnachweise und Vermerke nach § 32e Absatz 3.

(2) Ist das Gutachten einer kollegialen Fachbehörde eingeholt worden, so kann das Gericht die Behörde ersuchen, eines ihrer Mitglieder mit der Vertretung des Gutachtens in der Hauptverhandlung zu beauftragen und dem Gericht zu bezeichnen.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.

(1) Verlesen werden können

1.
die ein Zeugnis oder ein Gutachten enthaltenden Erklärungen
a)
öffentlicher Behörden,
b)
der Sachverständigen, die für die Erstellung von Gutachten der betreffenden Art allgemein vereidigt sind, sowie
c)
der Ärzte eines gerichtsärztlichen Dienstes mit Ausschluss von Leumundszeugnissen,
2.
unabhängig vom Tatvorwurf ärztliche Atteste über Körperverletzungen,
3.
ärztliche Berichte zur Entnahme von Blutproben,
4.
Gutachten über die Auswertung eines Fahrtschreibers, die Bestimmung der Blutgruppe oder des Blutalkoholgehalts einschließlich seiner Rückrechnung,
5.
Protokolle sowie in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungshandlungen, soweit diese nicht eine Vernehmung zum Gegenstand haben und
6.
Übertragungsnachweise und Vermerke nach § 32e Absatz 3.

(2) Ist das Gutachten einer kollegialen Fachbehörde eingeholt worden, so kann das Gericht die Behörde ersuchen, eines ihrer Mitglieder mit der Vertretung des Gutachtens in der Hauptverhandlung zu beauftragen und dem Gericht zu bezeichnen.

(1) Urkunden sind zum Zweck der Beweiserhebung über ihren Inhalt in der Hauptverhandlung zu verlesen. Elektronische Dokumente sind Urkunden, soweit sie verlesbar sind.

(2) Von der Verlesung kann, außer in den Fällen der §§ 253 und 254, abgesehen werden, wenn die Richter und Schöffen vom Wortlaut der Urkunde Kenntnis genommen haben und die übrigen Beteiligten hierzu Gelegenheit hatten. Widerspricht der Staatsanwalt, der Angeklagte oder der Verteidiger unverzüglich der Anordnung des Vorsitzenden, nach Satz 1 zu verfahren, so entscheidet das Gericht. Die Anordnung des Vorsitzenden, die Feststellungen über die Kenntnisnahme und die Gelegenheit hierzu und der Widerspruch sind in das Protokoll aufzunehmen.