Bundesgerichtshof Urteil, 17. Jan. 2002 - 4 StR 509/01

bei uns veröffentlicht am17.01.2002

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 509/01
vom
17. Januar 2002
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Januar
2002, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien
als Vorsitzende,
die Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr. Ernemann,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt
Staatsanwalt bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Halle/S. vom 29. März 2001 wird verworfen.
2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das - vom Generalbundesanwalt vertretene - Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Die Schwurgerichtskammer hat zum Tatgeschehen folgende Feststellungen getroffen:
Der Haftraum 306 der Justizvollzugsanstalt Naumburg war mit fünf Gefangenen belegt, darunter dem Angeklagten und dem später getöteten Torsten L. Zwischen beiden, die schon längere Zeit in diesem Haftraum lebten, bestand ein freundschaftliches Verhältnis. Nach Einschluß am Tattag gegen 19.30 Uhr spendierte Torsten L. von seinen im Haftraum verwahrten Alkoholika. Er selbst
trank am meisten; im Verlauf des Abends machte er auf die Mithäftlinge schließlich einen betrunkenen Eindruck (seine Blutalkoholkonzentration zum späteren Todeszeitpunkt betrug 2,55 ‰). Der Angeklagte trank wesentlich weniger (das Landgericht geht zu seinen Gunsten von einer max. Tatzeit-BAK von 1,4 ‰ aus). Gegen Mitternacht "randalierte" Torsten L. lautstark im sog. "Naßteil" des Haftraums. Die Mithäftlinge befürchteten deshalb, daß das Wachpersonal aufmerksam werden und den verbotenen Alkoholkonsum im Haftraum bemerken würden. Gegenüber Versuchen des Mithäftlings Sch. und des Angeklagten, Torsten L. zu bewegen, sich in sein Bett zu legen, zeigte sich dieser uneinsichtig. Der Angeklagte versuchte deshalb, Torsten L. aus dem "Naßteil" heraus in den Schlafraum zu ziehen. Als sich Torsten L. dem widersetzte und sich am Türrahmen zwischen Naßteil und Aufenthaltsraum festhielt, stieß der Angeklagte ihn "- aus Verärgerung über das von ihm gezeigte uneinsichtige und auffällige Verhalten - mit beiden Händen zurück in das Naßteil". Noch bevor der Angeklagte sein eigenes Bett erreicht hatte, war "aus dem Naßteil ein lautes Klirren und Krachen zu hören". Torsten L. war in dem "Naßteil" gestürzt. Das - sachverständig beratene - Landgericht hat zu Gunsten des Angeklagten nicht ausschließen können, daß sich Torsten L. die noch in der Tatnacht zum Tode führenden Verletzungen "durch den Sturz in das an der Wand befestigte Urinal, das hierbei ... zerbrach, und einem anschließenden nochmaligen Hineinfallen in dessen scharfkantige Porzellanscherben beim Versuch, wieder aufzustehen, zuzog".
2. Die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs deckt - auf der Grundlage des für den Senat infolge der wirksam auf den Strafausspruch beschränkten Revision bindenden Schuldspruchs - zum Strafausspruch keinen
Rechtsfehler zu Gunsten – oder, was gemäû § 301 StPO ebenfalls zu beachten ist, zum Nachteil – des Angeklagten auf.
Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist nur möglich, wenn die Strafzumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstöût oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder nach unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein. Dagegen ist eine ins einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ausgeschlossen (st. Rspr.; BGHSt 34, 345, 349).
Hieran gemessen, hält die Verhängung der Freiheitsstrafe von zwei Jahren der rechtlichen Nachprüfung stand. Mit ihrer Wertung, die Strafe sei "keine ausreichende Sühne für die Tat" und werde "der Persönlichkeit des Angeklagten und dem Unrechtsgehalt der Tat nicht gerecht", unternimmt die Beschwerdeführerin lediglich den im Revisionsverfahren unzulässigen Versuch, die dem Tatrichter vorbehaltene Gewichtung der Strafzumessungsgründe durch eine eigene zu ersetzen. Daû der Angeklagte ein mehrfach "vorbestrafter Gewalttäter" ist, hat das Landgericht ausdrücklich zu seinen Lasten berücksichtigt. Der Senat vermag auch keinen durchgreifenden Rechtsfehler darin zu erblikken , daû das Landgericht demgegenüber zu seinen Gunsten gewertet hat, "daû ihn ein relativ geringes Maû an Sorgfaltspflichtverletzung trifft und seine Risikobereitschaft durch den zuvor genossenen Alkohol erhöht war". Diese Wertung ist entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin auch nicht deshalb "kontraproduktiv", weil der Alkoholkonsum - was das Landgericht nicht verkannt hat (vgl. UA 10 oben) - für die Gefangenen in der JVA verboten war. Dies konnte zwar das schuldmindernde Gewicht der alkoholischen Enthem-
mung vermindern. Es nahm ihr deshalb aber nicht jede Bedeutung, zumal das Tatgeschehen seine Ursache nicht in erster Linie in der Alkoholisierung des Angeklagten, sondern in dem alkoholbedingten Verhalten des Geschädigten hatte. Schlieûlich ist die Bemessung der Freiheitsstrafe auch nicht etwa deshalb rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht damit noch zu einer nach § 56 Abs. 2 StGB aussetzungsfähigen Strafe gelangt ist. Rechtsfehlerhaft wäre dies lediglich, wenn der Tatrichter die erkannte Strafe nur deshalb ausgesprochen hätte, damit deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden konnte (BGHSt 29, 319, 321; BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 29; Senatsurteil vom 13. Dezember 2001 - 4 StR 363/01). Dafür, daû das Landgericht in diesem Sinne Gesichtspunkte der Findung einer schuldangemessenen Strafe mit solchen der Aussetzung der Strafvollstreckung vermengt hätte, bietet das angefochtene Urteil jedoch keinen Anhalt.
3. Der Revision muû der Erfolg auch versagt bleiben, soweit sie sich gegen die Aussetzung der Vollstreckung der erkannten Freiheitsstrafe zur Bewährung wendet. So wie die Strafzumessung, ist auch diese Entscheidung grundsätzlich Sache des Tatrichters (BGHR StGB § 56 Abs. 2 Gesamtwürdigung , unzureichende 5). Gelangt er aufgrund der Besonderheiten des Falles zu der Überzeugung, daû die Strafaussetzung trotz des erheblichen Unrechtsund Schuldgehalts der Tat nicht als unangebracht erscheint und auch nicht den allgemeinen vom Strafrecht geschützten Interessen zuwiderläuft (vgl. BGHSt 29, 370 f.), so ist dies vom Revisionsgericht grundsätzlich auch dann hinzunehmen , wenn eine gegenteilige Würdigung möglich gewesen wäre (BGHR StGB § 56 Abs. 3 Verteidigung 14). So verhält es sich hier.
Das Landgericht ist ungeachtet der erheblichen strafrechtlichen Vorbelastung des Angeklagten zu der Überzeugung gelangt, der Angeklagte habe sich "unter dem Eindruck des Todes des Geschädigten, zu dem er ein freundschaftliches Verhältnis pflegte, von seine(m) alten, auch im Strafvollzug delinquenten Verhalten abgewandt" (vgl. dazu BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 11, Stabilisierung durch Haft). Die Erwägungen, mit denen das Landgericht dem Angeklagten eine positive Sozialprognose gestellt hat, sind rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beschwerdeführerin, die dem mit dem Hinweis auf eine “wundersame Wandlung des Angeklagten vom Saulus zum Paulus” entgegentritt , zeigt keine tatsächlichen Umstände auf, die die tatrichterliche Würdigung in Frage stellen. Soweit die Revision zudem meint, das Landgericht hätte einen Sachverständigen hinzuziehen müssen, fehlt es schon an einer entsprechenden Verfahrensrüge.
Nach dem eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaûstab hat auch die Annahme besonderer Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB durch das Schwurgericht Bestand. Das Landgericht hat nicht, wie die Beschwerdeführerin meint, das Vorliegen besonderer Umstände “lediglich kategorisch” festgestellt, sondern alle wesentlichen die Tat und die Täterpersönlichkeit betreffenden Umstände in seine Erwägungen mit einbezogen. Daû es sich um eine Tat im Strafvollzug zum Nachteil eines Mitgefangenen handelt, hat das Landgericht nicht verkannt. Wenn es ungeachtet der strafrechtlichen Vorbelastung des Angeklagten und der Tatschwere die Strafaussetzung gleichwohl als “nicht unangemessen, sondern vertretbar” angesehen und den “ausgeführten strafmildernden Gesichtspunkten bei der Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung” besonderes Gewicht beigemessen hat, so hält sich dies im Rahmen des dem Tatrichter zustehenden Beurteilungsspielraums, zumal die
Entscheidung nicht auf Ausnahmefälle beschränkt ist (vgl. BGHSt 29, 370 f.; BGHR StGB § 56 Abs. 2 Umstände, besondere 6, 11).
Schlieûlich hat das Landgericht auch die Voraussetzungen des § 56 Abs. 3 StGB rechtsfehlerfrei verneint. Die Begründung, es ªl(ä)gen keine Umstände vor, die den Vollzug der Freiheitsstrafe gemäû § 56 Abs. 3 StGB zur Verteidigung der Rechtsordnung gebietenº, ist zwar denkbar knapp. Die Besonderheiten des Falles, insbesondere der Umstand, daû es sich um eine Fahrlässigkeitstat handelt, durch die jemand zu Tode gekommen ist, zu dem der Angeklagte ein freundschaftliches Verhältnis pflegte, lassen die Entscheidung aber als tragfähig erscheinen; sie legen auch nicht nahe, daû die Strafaussetzung bei der von allen maûgebenden Umständen zutreffend unterrichteten Bevölkerung auf Unverständnis stoûen und das Vertrauen in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschüttern kann (vgl. BGHSt 24, 64, 69; BGHR StGB § 56 Abs. 3 Verteidigung 14).
Danach hat es bei dem angefochtenen Urteil sein Bewenden.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 17. Jan. 2002 - 4 StR 509/01

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 17. Jan. 2002 - 4 StR 509/01

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Strafgesetzbuch - StGB | § 46 Grundsätze der Strafzumessung


(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Um

Strafgesetzbuch - StGB | § 56 Strafaussetzung


(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig au

Strafprozeßordnung - StPO | § 301 Wirkung eines Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft


Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.
Bundesgerichtshof Urteil, 17. Jan. 2002 - 4 StR 509/01 zitiert 4 §§.

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Bundesgerichtshof Urteil, 17. Jan. 2002 - 4 StR 509/01 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

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Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.

(2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen.

(3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet.

(4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 363/01
vom
13. Dezember 2001
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: Untreue u.a.
zu 2.: Beihilfe zur Untreue
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
13. Dezember 2001, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien
als Vorsitzende,
die Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr. Ernemann,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 3. April 2001 werden verworfen.
2. Die Kosten der Rechtsmittel und die den Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten K. der Untreue in 53 Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung und den Angeklagten S. der Beihilfe zur Untreue schuldig gesprochen. Es hat gegen den Angeklagten K. eine Gesamtfreiheitsstrafe und gegen den Angeklagten S. eine Freiheitsstrafe von jeweils zwei Jahren verhängt. Die Vollstreckung dieser Strafen hat es zur Bewährung ausgesetzt. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihren auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen, mit denen sie im Ergebnis eine höhere Bestrafung der Angeklagten erstrebt. Die - vom Generalbundesanwalt nicht vertretenen - Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
1. Die Schuldsprüche des angefochtenen Urteils halten der rechtlichen Überprüfung stand.
Für eine Verurteilung des Angeklagten K. wegen eines weiteren - tatmehrheitlich begangenen - Falles der Urkundenfälschung im Fall II 25 der Urteilsgründe fehlt es an der Voraussetzung einer zugelassenen Anklage. Anklagegegenstand in diesem Fall ist allein die Untreuehandlung durch mißbräuchliche Belastung des Kontokorrentkontos des B. durch den Angeklagten K. mittels Überweisung von 25.000 DM auf das Firmenkonto des Angeklagten S. . Daß der Angeklagte K. später zur teilweisen Rückführung der Belastung 6.900 DM unter Fälschung der Unterschrift des B. auf dem Einzahlungsbeleg bar auf dessen Kontokorrentkonto einzahlte, stellt sich nach Zeit, Ort und Gegenstand der Tat als gegenüber der Untreuehandlung anderer Lebenssachverhalt und deshalb als eine andere Tat im prozessualen Sinne (§ 264 StPO) dar. Daran ändert nichts, daß beide Sachverhalte ursächlich miteinander verknüpft waren (vgl. BGHSt 43, 96, 98).
Auch die Verurteilung des Angeklagten S. nur wegen einer einheitlichen Beihilfehandlung zu den Untreuetaten des Angeklagten K. ist im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden. Zwar liegt es angesichts des sich über mehrere Jahre hinweg erstreckenden Tatzeitraums und der besonderen Beziehung zwischen den Angeklagten, die "fast täglich miteinander telefonierten", nicht eben gerade nahe, daß der Angeklagte S. den Angeklagten K. die zahlreichen Manipulationen völlig selbständig hat vornehmen lassen, ohne selbst an den einzelnen Handlungen ganz oder zumindest teilweise, etwa durch Informationen über den jeweiligen Kreditbedarf, mitgewirkt zu haben. Wenn dem Landgericht aber eine weiter gehende Klärung, aufgrund derer es – und sei es im Wege zulässiger Schätzung (vgl. BGHSt 36, 320, 328; BGH NJW 1995, 2933 f.) – die sichere Überzeugung vom Vorliegen mehrerer selbständiger Beihilfehandlungen hätte gewinnen können, nicht möglich war und es
deshalb in Ansehung des Zweifelsgrundsatzes zu Gunsten des Angeklagten S. nur von einer Handlung ausgegangen ist (vgl. BGH NStZ 1997, 121), so ist dies vom Revisionsgericht auf die allein erhobene Sachrüge hinzunehmen. Einen Aufklärungsverstoû macht auch die Beschwerdeführerin nicht geltend.
2. Auch die Rechtsfolgenaussprüche halten im Ergebnis rechtlicher Überprüfung stand. Gegen die Bemessung der gegen den Angeklagten K. verhängten Einzelstrafen wendet die Beschwerdeführerin nichts ein. Entgegen ihrer Auffassung liegen aber auch die gegen diesen Angeklagten erkannte Gesamtfreiheitsstrafe ebenso wie die gegen den Angeklagten S. verhängte Freiheitsstrafe von jeweils zwei Jahren noch innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten Beurteilungsrahmens (vgl. BGHSt 34, 345, 349). Zwar sind die verhängten Strafen auûerordentlich milde. Das Landgericht hat jedoch alle "bestimmenden" (§ 367 Abs. 3 Satz 1 StPO) Strafzumessungsgesichtspunkte zu Gunsten und zu Lasten der Angeklagten gegeneinander abgewogen. Wenn es dabei jeweils zu nach § 56 Abs. 2 StGB noch aussetzungsfähigen Strafen gelangt ist, so sprengt dies noch nicht den Rahmen dessen, was im Hinblick auf die Gesamtumstände bei den nicht vorbestraften Angeklagten als gerechter Schuldausgleich anzusehen ist (vgl. BGHR StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 5). Eine ins einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist dem Revisionsgericht verwehrt (BGHR aaO Bemessung 11); dies gilt auch, wenn eine andere tatrichterliche Entscheidung möglicherweise näher gelegen hätte (vgl. BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 37, milde Strafe). Der Senat schlieût mit dem Generalbundesanwalt auch aus, daû die Berechnung eines - wie von der Revision aufgezeigt - gegenüber der Annahme des Landgerichts geringfügig höheren Gesamtschadens sich auf die Strafzumessung ausgewirkt hat.
Rechtsfehlerhaft wäre es allerdings, wenn der Tatrichter die erkannten Strafen nur deshalb ausgesprochen hat, damit deren Vollstreckung nach § 56 Abs. 2 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden konnte (BGHSt 29, 319, 321; BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 29). Dies ist dem angefochtenen Urteil indes nicht zu entnehmen. Daû das Landgericht - wie naheliegend anzunehmen ist - die Frage der Aussetzbarkeit der Strafvollstreckung bei der Findung schuldangemessener Sanktionen mitberücksichtigt hat, begründet für sich noch keinen durchgreifenden Rechtsfehler.
Auch die Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der erkannten Strafen zur Bewährung kann bestehen bleiben. Das Landgericht hat die Anwendung des § 56 Abs. 2 StGB und die Verneinung des § 56 Abs. 3 StGB eingehend und mit vertretbaren Erwägungen begründet. Auch diese Entscheidung hält sich noch im Rahmen des dem Tatrichter insoweit eingeräumten Beurteilungsspielraums.
3. Die Überprüfung des Urteils hat - was der Senat gemäû § 301 StPO zu berücksichtigen hatte - auch keinen die Angeklagten beschwerenden
Rechtsfehler ergeben. Damit hat es bei dem angefochtenen Urteil sein Bewenden.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible

(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.

(2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen.

(3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet.

(4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.