Bundesgerichtshof Urteil, 23. Mai 2013 - 4 StR 70/13

bei uns veröffentlicht am23.05.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 70/13
vom
23. Mai 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Wohnungseinbruchdiebstahls u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. Mai 2013,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Dr. Quentin,
Reiter
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Halle vom 15. November 2012 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls und wegen Wohnungseinbruchdiebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten – ohne Strafaussetzung zur Bewährung – verurteilt und ihn vom Vorwurf eines schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner – zulässig (vgl. BGHSt 11, 393, 395; BGH NStZ 1982, 285, 286) – auf die Frage der Nichtaussetzung der Freiheitsstrafe zur Bewährung beschränkten Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
1. Die gemäß § 56 Abs. 1 StGB getroffene negative Prognoseentscheidung des Landgerichts hält rechtlicher Nachprüfung stand. Den Umstand, dass der Angeklagte bisher wegen einer Vielzahl auch einschlägiger Vortaten (Diebstahl , Raub, räuberische Erpressung) bis zum Schluss nur mit milden jugendstrafrechtlichen Maßnahmen belegt wurde, hat die Strafkammer ausdrücklich erwogen. Bei der Strafzumessung ist zudem ausdrücklich zu Gunsten des An- geklagten berücksichtigt worden, dass er erstmals als Erwachsener strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird. Dass das Landgericht diesen Umstand dann bei der Bewährungsprognose nicht berücksichtigt haben könnte, schließt der Senat aus. Die Strafkammer hat nach alledem auch nicht verkannt, dass gegen den Angeklagten erstmals eine Freiheitsstrafe verhängt wird und er demnach das erste Mal der Warnwirkung der Strafaussetzung zur Bewährung mit dem Druck eines möglichen Bewährungswiderrufs ausgesetzt wäre. Einer ausdrücklichen Erörterung der zu erwartenden Wirkungen einer spezialpräventiv ausgestalteten Strafaussetzung durch die Erteilung von Auflagen und Weisungen (§ 56b, § 56c StGB) bedurfte es hier nicht, da Anhaltspunkte dafür, dass Auflagen und Weisungen nunmehr anders als bei den früheren jugendrichterlichen Ahndungen den Angeklagten von weiteren Straftaten abhalten könnten, nicht erkennbar sind.
3
Die Darstellung der Vortaten und Vorstrafen im angefochtenen Urteil weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Schon eine detailgetreue Wiedergabe des Bundeszentralregisterauszugs bei den Feststellungen zum Lebenslauf des Angeklagten ist im Regelfall untunlich (BGH, Urteil vom 30. Juni 2011 – 3 StR 39/11). Es genügt, wie hier, die Vorstrafen gestrafft und zusammengefasst darzulegen. Einer Sachverhaltsschilderung oder gar der Darlegung der vom früheren Richter oder Staatsanwalt angestellten Strafzumessungsbzw. Entscheidungserwägungen bedarf es nur bei der Bildung einer neuen Einheitsjugendstrafe (BGH, Beschlüsse vom 14. April 1988 – 1 StR 139/88, StV 1989, 307; vom 20. März 1996 – 3 StR 10/96, StV 1998, 344 und vom 25. Mai 2008 – 2 StR 162/08, NStZ 2009, 43) oder einer nachträglichen Gesamtstrafe (BGH, Beschlüsse vom 11. Juni 1997 – 2 StR 134/97; vom 8. Februar 2011 – 4 StR 658/10; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 55 Rn. 17 und 34), ansonsten nur in den wenigen Ausnahmefällen, in denen – anders als hier – die früher festgestellten Taten oder Entscheidungserwägungen auch für den jetzigen Tatrichter entscheidungserheblich sind.
4
Die Überzeugung der Strafkammer, die erlittene Untersuchungshaft habe zur Einwirkung auf den Angeklagten nicht ausgereicht, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Soweit die Revision diesem Umstand ein höheres Gewicht beimisst, kann sie damit im Revisionsverfahren nicht gehört werden.
5
Auch die Erwägung der Strafkammer, der Angeklagte habe mangels einer abgeschlossenen Ausbildung keine konkreten Aussichten, selbst für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, und er habe bisher auch keine Anstrengungen unternommen, seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern, begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Die Strafkammer stellt ersichtlich nicht auf eine „Lebensführungsschuld“ des Angeklagten ab, sondern darauf, dass er auch in Zukunft keine Möglichkeit hat, seinen unverändert praktizierten Lebensstil mit Drogenkonsum, Diskotheken- und Partybesuchen sowie teurer Markenkleidung mit legalen Einkünften zu finanzieren.
6
2. Auf die Frage, ob besondere Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB vorliegen, kommt es wegen der bereits ungünstigen Sozialprognose nicht mehr an.
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Quentin Reiter

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 23. Mai 2013 - 4 StR 70/13

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 23. Mai 2013 - 4 StR 70/13

Referenzen - Gesetze

Strafgesetzbuch - StGB | § 56 Strafaussetzung


(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig au

Strafgesetzbuch - StGB | § 56c Weisungen


(1) Das Gericht erteilt dem Verurteilten für die Dauer der Bewährungszeit Weisungen, wenn er dieser Hilfe bedarf, um keine Straftaten mehr zu begehen. Dabei dürfen an die Lebensführung des Verurteilten keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden

Strafgesetzbuch - StGB | § 56b Auflagen


(1) Das Gericht kann dem Verurteilten Auflagen erteilen, die der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen. Dabei dürfen an den Verurteilten keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden. (2) Das Gericht kann dem Verurteilten auferlegen, 1.
Bundesgerichtshof Urteil, 23. Mai 2013 - 4 StR 70/13 zitiert 4 §§.

Strafgesetzbuch - StGB | § 56 Strafaussetzung


(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig au

Strafgesetzbuch - StGB | § 56c Weisungen


(1) Das Gericht erteilt dem Verurteilten für die Dauer der Bewährungszeit Weisungen, wenn er dieser Hilfe bedarf, um keine Straftaten mehr zu begehen. Dabei dürfen an die Lebensführung des Verurteilten keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden

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(1) Das Gericht kann dem Verurteilten Auflagen erteilen, die der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen. Dabei dürfen an den Verurteilten keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden. (2) Das Gericht kann dem Verurteilten auferlegen, 1.

Referenzen - Urteile

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(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.

(2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen.

(3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet.

(4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.

(1) Das Gericht kann dem Verurteilten Auflagen erteilen, die der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen. Dabei dürfen an den Verurteilten keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden.

(2) Das Gericht kann dem Verurteilten auferlegen,

1.
nach Kräften den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen,
2.
einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung zu zahlen, wenn dies im Hinblick auf die Tat und die Persönlichkeit des Täters angebracht ist,
3.
sonst gemeinnützige Leistungen zu erbringen oder
4.
einen Geldbetrag zugunsten der Staatskasse zu zahlen.
Eine Auflage nach Satz 1 Nr. 2 bis 4 soll das Gericht nur erteilen, soweit die Erfüllung der Auflage einer Wiedergutmachung des Schadens nicht entgegensteht.

(3) Erbietet sich der Verurteilte zu angemessenen Leistungen, die der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen, so sieht das Gericht in der Regel von Auflagen vorläufig ab, wenn die Erfüllung des Anerbietens zu erwarten ist.

(1) Das Gericht erteilt dem Verurteilten für die Dauer der Bewährungszeit Weisungen, wenn er dieser Hilfe bedarf, um keine Straftaten mehr zu begehen. Dabei dürfen an die Lebensführung des Verurteilten keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden.

(2) Das Gericht kann den Verurteilten namentlich anweisen,

1.
Anordnungen zu befolgen, die sich auf Aufenthalt, Ausbildung, Arbeit oder Freizeit oder auf die Ordnung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse beziehen,
2.
sich zu bestimmten Zeiten bei Gericht oder einer anderen Stelle zu melden,
3.
zu der verletzten Person oder bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe, die ihm Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen,
4.
bestimmte Gegenstände, die ihm Gelegenheit oder Anreiz zu weiteren Straftaten bieten können, nicht zu besitzen, bei sich zu führen oder verwahren zu lassen oder
5.
Unterhaltspflichten nachzukommen.

(3) Die Weisung,

1.
sich einer Heilbehandlung, die mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist, oder einer Entziehungskur zu unterziehen oder
2.
in einem geeigneten Heim oder einer geeigneten Anstalt Aufenthalt zu nehmen,
darf nur mit Einwilligung des Verurteilten erteilt werden.

(4) Macht der Verurteilte entsprechende Zusagen für seine künftige Lebensführung, so sieht das Gericht in der Regel von Weisungen vorläufig ab, wenn die Einhaltung der Zusagen zu erwarten ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 39/11
vom
30. Juni 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. Juni
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
von Lienen,
Dr. Schäfer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Menges
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof - in der Verhandlung - ,
Staatsanwalt (GL) - bei der Verkündung -
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung,
Rechtsanwalt - bei der Verkündung -
als Verteidiger des Angeklagten,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 8. Oktober 2010, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Freiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit einer Verfahrensbeschwerde und der allgemeinen Sachrüge. Das Rechtsmittel hat teilweise Erfolg.
2
Der Schuldspruch sowie die Festsetzung einer zweijährigen Freiheitsstrafe halten rechtlicher Nachprüfung stand. Die Entscheidung, diese Freiheitsstrafe nicht zur Bewährung auszusetzen, kann hingegen nicht bestehen bleiben. Insoweit greift die Verfahrensrüge durch.
3
1. Ihr liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Am 3. Hauptverhandlungstag kam es - nachdem sich der Angeklagte bereits geständig eingelassen hatte - in Unterbrechung der Sitzung zu einer Erörterung über die Möglichkeiten einer Verständigung. An ihr nahmen die gesamte Strafkammer (einschließlich der Schöffen), der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft sowie sämtliche Verteidiger der insgesamt vier Angeklagten teil. Der Vorsitzende wies dabei den Verteidiger des Angeklagten sowie die Verteidigerin des Mitangeklagten M. darauf hin, dass eine Verständigung nur die beiden anderen Angeklagten betreffe. Die Angeklagten R. und M. bräuchten kein Verständigung , sie bekämen ja "sowieso Bewährung". Ohne einen Hinweis darauf zu geben, dass in Abweichung von dieser Aussage eine Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe beabsichtigt sei, verkündete die Strafkammer später das Urteil.
4
2. Dieser Sachverhalt steht fest aufgrund des eindeutigen Vortrags der Verteidigung, der durch Erklärungen zweier anderer Verteidiger gestützt wird und dem die an dem Termin beteiligten Richter sowie der Staatsanwalt nicht entscheidend entgegengetreten sind. Der gegenteiligen Ansicht des Generalbundesanwalts vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Der Strafkammervorsitzende hat erklärt, eine solche Zusicherung nicht abgegeben zu haben, aber nicht ausschließen zu können, dass durch seine Erklärung, an deren genauen Wortlaut er sich nicht mehr erinnere, bei den Verteidigern ein entsprechender Eindruck entstanden sei. Die beisitzenden Richter haben erklärt, eine genaue Erinnerung an den Wortlaut nicht zu haben. Einer von ihnen konnte nicht vollständig ausschließen, dass bei den Erörterungen der Begriff "Bewährung" gefallen ist. Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft hat ebenfalls dargelegt, er könne sich an eine solche Äußerung des Vorsitzenden nicht erin- nern. Wäre sie gefallen, dann hätte er diese nicht unkommentiert gelassen, woraus er wiederum schließe, eine solche Erörterung habe nicht stattgefunden.
5
3. Vor diesem Hintergrund macht die Revision mit Recht geltend, dass das Landgericht den Angeklagten nicht zu einer Strafe ohne Strafaussetzung zur Bewährung hätte verurteilen dürfen, ohne diesen zuvor davon zu unterrichten , dass es entgegen der Ankündigung des Vorsitzenden beabsichtige, eine solche Strafe zu verhängen.
6
a) Allerdings begründet nicht jede Äußerung des Gerichts oder eines seiner Mitglieder, die im Laufe des Strafverfahrens abgegeben wird, ein berechtigtes Vertrauen des Angeklagten oder eines anderen Verfahrensbeteiligten dahin, dass von der darin zutage getretenen Einschätzung einer materiell- oder verfahrensrechtlich relevanten Frage nicht abgewichen wird, solange kein entsprechender Hinweis erteilt worden ist. Äußert sich etwa der Vorsitzende eines Spruchkörpers in einem Gespräch, das er im Lauf des Zwischenverfahrens mit dem Verteidiger des Angeklagten führt, zu einem denkbaren Ergebnis der Hauptverhandlung, so ist für den Angeklagten und seinen Verteidiger unschwer erkennbar, dass es sich hierbei um eine vorläufige, mit den übrigen Mitgliedern des Spruchkörpers nicht abgestimmte Beurteilung handelt, der schon für sich keinerlei Festlegung zukommt und der durch den Gang der Hauptverhandlung ohne weiteres die Grundlage entzogen werden kann. Ein Hinweis darauf, dass an der ursprünglichen Bewertung nicht mehr festgehalten wird, ist daher nicht erforderlich.
7
Anders liegt es hingegen dann, wenn die Äußerung geeignet ist oder gar darauf abzielt, die Verfahrensführung oder das Verteidigungsverhalten des Angeklagten zu beeinflussen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie bei fortge- schrittener Hauptverhandlung auf der Grundlage eines bereits weitgehend gesicherten Beweisergebnisses in (scheinbarer) Abstimmung mit den weiteren Gerichtspersonen abgegeben wird. Hier bedarf es in der Regel eines vorherigen Hinweises, wenn von dem Inhalt der Äußerung abgewichen werden soll.
8
Eine solche, dem Rechtsgedanken des § 265 StPO folgende, der prozessualen Fürsorgepflicht und Verfahrensfairness entsprechende Verpflichtung ist etwa im Bereich des Beweisantragsrechts anerkannt. Hat beispielsweise der Vorsitzende dem Angeklagten auf einen vor der Verhandlung angebrachten Beweisantrag mitgeteilt, die Entscheidung über den Antrag werde in der Verhandlung ergehen, so ist er entweder verpflichtet, dafür zu sorgen, dass diese Zusicherung eingehalten wird, sich das erkennende Gericht also mit dem Antrag befasst, oder er muss darauf hinweisen, dass der Antrag in der Hauptverhandlung zu wiederholen ist. Sofern nicht der Wille des Angeklagten, von dem Antrag ohnehin Abstand zu nehmen, zweifelsfrei erkennbar wird, kann eine Verletzung dieser Pflicht die Revision begründen. Nichts anderes gilt, wenn das Verhalten des Vorsitzenden in sonstiger Weise in einem Verteidiger den irrigen Glauben hervorruft, dass ein von diesem vor der Verhandlung eingereichter Antrag eine Sachlage geschaffen habe, die eine Wiederholung des Antrags nicht erforderlich mache. Erklärt der Vorsitzende etwa im Hinblick auf den vor der Hauptverhandlung angebrachten Beweisantrag, die dort aufgestellte Behauptung könne als wahr angenommen werden, so braucht der rechtskundige Verteidiger ohne entsprechenden Hinweis mit einer abweichenden Auffassung des erkennenden Gerichts nicht ohne weiteres zu rechnen (siehe insgesamt LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 123 mwN).
9
b) Nach diesen Maßstäben durfte das Landgericht den Angeklagten nicht zu einer zu vollstreckenden Freiheitsstrafe verurteilen, ohne zuvor auf diese Möglichkeit hinzuweisen.
10
Die Besonderheit des Falles liegt darin, dass nach zweitägiger Hauptverhandlung in Unterbrechung der Sitzung ein Gespräch aller Verfahrensbeteiligten zur Klärung der Frage stattgefunden hat, ob eine verfahrensbeschleunigende Absprache in Betracht kommt. Wenn in dieser Situation der Vorsitzende in Anwesenheit aller Beteiligten und ohne Widerspruch der übrigen Mitglieder des Spruchkörpers darauf verweist, es bedürfe für einen bestimmten Angeklagten keiner Verständigung, weil dieser "sowieso Bewährung" bekomme, erzeugt dies - zumal vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte seine Tatbeteiligung bereits vorher in der Hauptverhandlung eingeräumt hatte - einen erhöhten Grad an Vertrauen. Denn damit wird der Anschein gesetzt, die Strafkammer habe sich insoweit schon eine Überzeugung gebildet, weshalb es nicht mehr notwendig sei, weitere Argumente für die Annahme einer günstigen Sozialprognose und besonderer Umstände im Sinne von § 56 Abs. 1 und 2 StGB vorzubringen oder entsprechende Tatsachen unter Beweis zu stellen.
11
c) Die Ergänzungen der Strafprozessordnung durch das Verständigungsgesetz stehen diesem Ergebnis nicht entgegen.
12
Aus § 257c Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 4, Abs. 4 Satz 1 und 2, § 273 Abs. 1a Satz 1 StPO lässt sich nicht etwa ableiten, dass sich der Angeklagte nur noch auf solche Aussagen des Gerichts in materiell- oder verfahrensrechtlicher Hinsicht verlassen darf, die zum Inhalt einer förmlich zustande gekommenen Verständigung und damit für das Gericht grundsätzlich bindend geworden sind. Diese Vorschriften regeln allein die formalen Bedingungen des Zustande- kommens einer Verständigung, die sich aus einer solchen Verständigung ergebende Bindung des Gerichts sowie die Voraussetzungen, unter denen das Gericht von dieser Bindung frei wird. Sie schließen es indes nicht aus, dass durch sonstige Äußerungen des Gerichts außerhalb des förmlichen Verständigungsverfahrens ein berechtigtes Vertrauen des Angeklagten in eine bestimmte Verfahrensweise des Gerichts oder ein bestimmtes Verfahrensergebnis begründet wird. Der Unterschied liegt in Folgendem: Während die vom Gericht im Rahmen einer Verständigung gegebenen Zusagen grundsätzlich bindend sind, kommt eine solche Bindungswirkung sonstigen Erklärungen selbst dann nicht zu, wenn diese ein berechtigtes Vertrauen des Angeklagten begründen. Sie verpflichten das Gericht lediglich, den Angeklagten darauf hinzuweisen, dass an der geäußerten Auffassung nicht mehr festgehalten wird, damit dieser sein Prozessverhalten auf die geänderte Ansicht des Gerichts einstellen kann. Schon aus diesem Grund geht der Hinweis des Generalbundesanwalts auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 25. Oktober 2006 - 1 StR 487/06, bei Cierniak NStZ-RR 2009, 1 fehl. Es geht hier nicht um die Frage, ob das Landgericht aufgrund der Äußerung des Vorsitzenden nach dem fair-trial-Grundsatz gebunden war, eine Bewährungsstrafe zu verhängen, sondern allein um die Verpflichtung des Gerichts, den Angeklagten darauf hinzuweisen, dass es an der geäußerten Bewertung der Bewährungsfrage durch den Vorsitzenden nicht mehr festhalten wolle.
13
4. Auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht die Entscheidung über die Nichtaussetzung der Strafe zur Bewährung. Die Revision hat unter Benennung von fünf Zeugen und konkreten Beweisbehauptungen im Einzelnen vorgetragen , was der Angeklagte im Falle eines entsprechenden Hinweises hätte unter Beweis stellen können, um das Gericht von einer positiven Sozialprognose und vom Vorliegen besonderer Umstände (§ 56 Abs. 2 StGB) zu überzeugen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht aufgrund einer entsprechenden Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt wäre, trotz der Vielzahl von Vorstrafen des Angeklagten seien die Voraussetzungen für eine Strafaussetzung zur Bewährung gegeben. Die Sache muss deshalb in diesem Umfang erneut verhandelt und entschieden werden.
14
5. Das Urteil gibt Anlass zu dem Hinweis, dass die detailgetreue Wiedergabe des Bundeszentralregisterauszugs bei den Feststellungen zum Lebenslauf des Angeklagten untunlich ist. Die Urteilsgründe werden dadurch aufgebläht , ohne dass damit ein substantieller Erkenntniszuwachs verbunden ist. Es empfiehlt sich im Interesse der Konzentration auf das Wesentliche (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Februar 2009 - 1 StR 687/08, NStZ-RR 2009, 183 und vom 4. März 2009 - 1 StR 27/09), die Vorstrafen gestrafft und zusammengefasst darzulegen. Einer Mitteilung von genauen Tatzeiten bzw. den Zeitpunkten der Rechtskraft der Entscheidungen bedarf es nur in wenigen Ausnahmefällen, so z.B. wenn es um Fragen der Gesamtstrafenbildung oder der sog. Rückfallverjährung bei der Prüfung von Sicherungsverwahrung geht.
Becker Pfister von Lienen Schäfer Menges

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 658/10
vom
8. Februar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 8. Februar 2011 gemäß § 349 Abs.
2 und Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 19. August 2010 im Gesamtstrafenausspruch mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.
2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.
3. Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter anderem wegen Anstiftung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einem Urteil des Amtsgerichts Neunkirchen vom 13. November 2009 und eines Strafbefehls dieses Gerichts vom 9. Dezember 2009 und Aufhebung des Gesamtstrafenbeschlusses vom 23. April 2010 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklag- ten hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Der Ausspruch über die Gesamtstrafe hat keinen Bestand, weil das Landgericht bezüglich der nach § 55 Abs. 1 StGB einbezogenen Strafen weder die Tatzeiten noch die wesentlichen Zumessungserwägungen mitteilt (vgl. zu den zwingenden Anforderungen an die Urteilsgründe bei Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe: Fischer, StGB, 58. Aufl., § 55 Rn. 17, 34). Der Senat kann daher - auch wenn dies nahe liegen mag - insbesondere nicht überprüfen, ob das Urteil und der Strafbefehl des Amtsgerichts Neunkirchen untereinander gesamtstrafenfähig sind. Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe.
3
Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 1b StPO Gebrauch, die Entscheidung über den Gesamtstrafenausspruch dem Nachverfahren nach den §§ 460, 462 StPO zuzuweisen.
4
Die Kostenentscheidung kann der Senat selbst treffen, weil sicher anzunehmen ist, dass das Rechtsmittel des Angeklagten allenfalls einen geringen Teilerfolg haben wird. Eine teilweise Freistellung von der Kosten- und Auslagenlast ist daher nicht gerechtfertigt (§ 473 Abs. 4 StPO).
Ernemann Solin-Stojanović Cierniak
Franke Mutzbauer

(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.

(2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen.

(3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet.

(4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.