Bundesgerichtshof Urteil, 29. Nov. 2006 - 5 StR 324/06

bei uns veröffentlicht am29.11.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 324/06

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 29. November 2006
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
5.
6.
wegen Steuerhinterziehung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
vom 7., 27. und 29. November 2006, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richter Dr. Jäger
alsbeisitzendeRichter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt M.
alsVerteidigerfürdenAngekl agten A. ,
Rechtsanwalt P.
alsVerteidigerfürdenAngek lagten G. ,
Rechtsanwalt Oe.
alsVerteidigerfürdenAngekl agten S. ,
Rechtsanwalt Re.
alsVerteidigerfürdenA ngeklagten R. ,
Rechtsanwalt Rei.
alsVerteidigerfürdenAngek lagten O. ,
Rechtsanwalt Sa.
alsVerteidigerfürdenAngek lagten Av. ,
Justizhauptsekretärin
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,
am 29. November 2006 für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 15. Dezember 2005, soweit es die Angeklagten A. , G. , S. , R. , O. und Av. betrifft, jeweils im gesamten Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat – neben einem geringer verurteilten Mitangeklagten , der am Revisionsverfahren nicht beteiligt ist – den Angeklagten A. wegen Steuerhinterziehung in 32 Fällen und wegen Anstiftung zur Steuerhinterziehung in 13 Fällen, den Angeklagten S. wegen Steuerhinterziehung in 33 Fällen und wegen Anstiftung zur Steuerhinterziehung in 15 Fällen sowie den Angeklagten O. wegen Steuerhinterziehung in 13 Fällen und wegen Anstiftung zur Steuerhinterziehung in zwei Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen von jeweils zwei Jahren verurteilt. Es hat gegen den Angeklagten G. wegen Steuerhinterziehung in 20 Fällen und wegen Anstiftung zur Steuerhinterziehung in 20 Fällen, gegen den Angeklagten R. wegen Steuerhinterziehung in neun Fällen und wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz sowie gegen den Angeklagten Av. wegen Steuerhinter- ziehung in 31 Fällen, wegen Anstiftung zur Steuerhinterziehung in 15 Fällen sowie wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in 14 Fällen Gesamtfreiheitsstrafen von jeweils einem Jahr und neun Monaten verhängt. Die Vollstreckung sämtlicher Freiheitsstrafen hat das Landgericht zur Bewährung ausgesetzt.
2
Mit ihren auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten und auf die Sachrüge gestützten Revisionen, die von der Bundesanwaltschaft vertreten werden, beanstandet die Staatsanwaltschaft die verhängten Einzelund Gesamtstrafen als nicht mehr schuldangemessen niedrig. Zudem wendet sie sich gegen die Aussetzung der verhängten Gesamtstrafen zur Bewährung. Die Rechtsmittel haben Erfolg.

I.


3
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
4
Ab 1996 unterhielten die Angeklagten A. , G. , S. und O. in unterschiedlicher Besetzung mehrere nur zum Schein als Bauunternehmen auftretende Gesellschaften, welche sie ausnahmslos als sogenannte „Serviceunternehmen“ verschiedenen Kolonnenschiebern zur Verschleierung von deren unternehmerischer Tätigkeit bereitstellten. Diese auf Initiative und unter wechselnder Beteiligung gesondert verfolgter weiterer Täter betriebenen Firmen traten nach außen an die Stelle der Kolonnenschieber und nahmen formal, unter Vorlage steuerlicher, berufs - und krankenkassenrechtlicher Unbedenklichkeitsbescheinigungen, deren Rechte und Pflichten aus den Bautätigkeiten wahr. So ermöglichten die Angeklagten den Kolonnenschiebern, darunter auch dem selbst als Kolonnenschieber tätigen Angeklagten Av. , ihre Bauleistungen unter Einsatz nicht ordnungsgemäß bei den Krankenkassen und Finanzämtern gemeldeter Arbeitnehmer „schwarz“ zu erbringen und den Tatbestand der illegalen Ar- beitnehmerüberlassung zu verdecken. Zu keinem Zeitpunkt war geplant, dass die Unternehmen selbst Bauleistungen ausführen sollten.
5
Zu den „Dienstleistungen“ der Angeklagten gehörte auch, den Kolonnenschiebern die für den Anschein eines tätigen Bauunternehmens notwendigen, teilweise sogar notariell beglaubigten Firmenunterlagen und die Nachweise über den erforderlichen Konzessionsträger in einem Paket zusammenzustellen. Die Angeklagten waren dazu imstande, ihre Serviceunternehmen , die sie zur Erschwerung der Verfolgbarkeit jeweils nach kurzer Zeit durch andere Firmen mit gleicher Funktion austauschten, sich ändernden tatsächlichen oder rechtlichen Gegebenheiten anzupassen. So setzten sie beispielsweise aufgrund von Bedenken der Auftraggeber der Bauleistungen nur noch deutsche Geschäftsführer ein und passten die Vertragsunterlagen den Vorgaben des Arbeitnehmerentsendegesetzes an. Die im Rahmen ihrer „Servicegeschäftstätigkeit“ anfallenden Aufgaben wie Rechnungschreiben , Kassenführung und Verhandlung mit den Kolonnenschiebern teilten die Angeklagten unter sich auf.
6
Die Serviceunternehmen erstellten unter ihrem Namen nach Vorgabe der Kolonnenschieber Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis an die Auftraggeber. Die bezahlten Beträge übergaben die Angeklagten nach Abzug eines Entgelts in Höhe der vereinnahmten, aber nicht an das Finanzamt abgeführten Umsatzsteuer bar an die Kolonnenschieber zur Entlohnung der Schwarzarbeiter. Bei der Einlösung von Schecks kamen sogenannte Scheckwechsler zum Einsatz, zu denen zeitweise auch der Angeklagte Av. gehörte. Der aus der einbehaltenen Umsatzsteuer finanzierte Gewinn , der sich für jeden Angeklagten wöchentlich auf bis zu 2.500 DM belief, war so erheblich, dass der Angeklagte R. 1997 einen Betrag von 100.000 DM aufwenden musste, um sich in die Serviceunternehmensgruppe einkaufen zu können. Die von den Angeklagten angeworbenen und geleiteten Scheingeschäftsführer wurden mit einmaligen Beträgen bis zu 100.000 DM neben einer Kostenpauschale von 400 DM wöchentlich entlohnt.
7
Dem Hinterziehungssystem entsprechend unterließen es die Angeklagten pflichtwidrig, für die Serviceunternehmen Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Jahre 1996 bis 1999 abzugeben, obwohl sie in den jeweiligen Anmeldezeiträumen zahlreiche Ausgangsrechnungen erstellt und von den Auftraggebern auch bezahlt erhalten hatten. Zudem erklärten die Angeklagten das vereinnahmte Entgelt für das Zurverfügungstellen der Firmenmäntel und das Schreiben der Rechnungen – jeweils mindestens 15 % der Nettorechnungssummen – gegenüber den Finanzbehörden nicht. In insgesamt sieben Fällen betrug die durch die Nichtanmeldung von Umsätzen und Rechnungsbeträgen verursachte Steuerverkürzung jeweils mehr als 500.000 DM, davon in drei Fällen mehr als 1 Mio. DM (S. H. GmbH 1996 und 1997 sowie A. B. GmbH 1998), in zwei Fällen sogar mehr als 2 Mio. DM (G. H. GmbH 1997) bzw. 4,5 Mio. DM (I. B. GmbH 1998).
8
Als im März 1999 der Geschäftsführer einer der Scheinfirmen festgenommen wurde, legten die Angeklagten die von ihnen gegründeten Gesellschaften still und erbrachten – in unterschiedlicher Beteiligung und Dauer – ihre „Servicetätigkeiten“ nunmehr über von Dritten erworbene Firmenmäntel. Sie gaben auch für diese Firmen weder eine Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2000 noch Voranmeldungen für die Monate Januar bis November 2001 ab und begingen dadurch weitere Steuerhinterziehungen. Entsprechend einer vorherigen Absprache für den Fall der Festnahme eines der Tatbeteiligten verschaffte die Tätergruppe dem festgenommenen Geschäftsführer einen Verteidiger und unterstützte seine Familie finanziell, wofür sie monatlich insgesamt 4.000 DM aufwandte.
9
Die Betreiber dreier weiterer Unternehmen konnten von den Angeklagten dafür gewonnen werden, nach den Vorgaben der Kolonnenschieber unter der jeweiligen Firma Scheinrechnungen auszustellen, die dann von den Angeklagten an die Kolonnenschieber weitergegeben wurden. Die für diese Firmen Verantwortlichen gaben, von den Angeklagten dazu be- stimmt, weder eine Umsatzsteuerjahreserklärung für 1999 bzw. 2000 noch Voranmeldungen für Januar bis November 2001 ab und bewirkten damit weitere Steuerverkürzungen. Auch in diesen Anmeldezeiträumen vereinnahmten die Angeklagten jeweils mindestens 15 % der Nettorechnungssummen für ihre Vermittlungstätigkeiten, die sie mit den Firmeninhabern teilten. Gleichwohl gaben sie auch insoweit keine Umsatzsteuererklärungen ab.
10
Insgesamt verursachte der Angeklagte A. einen Umsatzsteuerschaden von über 14,7 Mio. DM, der Angeklagte G. von fast 7,8 Mio. DM, der Angeklagte S. von fast 15,7 Mio. DM, der Angeklagte O. von fast 13 Mio. DM, der Angeklagte R. – der zudem ohne entsprechende Erlaubnis im Besitz eines Revolvers mit Munition war – von fast 9,4 Mio. DM und der Angeklagte Av. von fast 5,5 Mio. DM.
11
Mit den aus der vereinnahmten Umsatzsteuer erzielten Gewinnen finanzierten die Angeklagten ihren hohen Lebensstandard und bildeten Vermögen. Zum Teil verloren sie ihre Einnahmen aber auch durch Spekulationen und Glücksspiele. Zur Schadenswiedergutmachung ließen die Angeklagten, die sich – mit Ausnahme des Angeklagten O. – zwischen sieben und fast zehn Monaten (R. ) in Untersuchungshaft befanden, dem Fiskus Kautionen und Vermögenswerte von rund 40.000 € (jeweils A. und G. ), 20.000 € (S. ), 35.000 € sowie eine Arresthypothek (R. ) und 17.500 € (Av. ) zukommen. Das Finanzamt konnte hieraus bislang knapp 43.000 € erlösen.
12
2. Das Landgericht hat in den sieben Fällen mit einem Steuerschaden von über 500.000 DM das Vorliegen des Regelbeispiels des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO bejaht und aus dem erhöhten Strafrahmen – für die Angeklagten stets gleichlautend, soweit ihnen der gesamte Steuerschaden des jeweiligen Erklärungszeitraums zugerechnet wurde – (fiktive) Einzelfreiheitsstrafen von neun Monaten (A. B. GmbH 1999), von elf Monaten (K. –H. GmbH 2000), zweimal einem Jahr (S. H. GmbH 1997 und A. B. GmbH 1998), zweimal einem Jahr zwei Monaten (S. H. GmbH 1996 und G. H. GmbH 1997) sowie von einem Jahr sechs Monaten (I. B. GmbH 1998) verhängt. Als besonders strafmildernd hat das Landgericht dabei die bereits in einem frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens abgegebenen umfassenden Geständnisse der Angeklagten und das lange Zurückliegen der Taten gewertet.
13
Um eine um zwei Jahre verzögerte überlange Verfahrensdauer kompensatorisch zu berücksichtigen, hat das Landgericht die vorgenannten Einzelstrafen auf sechs Monate, sieben Monate, zweimal acht Monate, zweimal neun Monate und ein Jahr reduziert. Dabei hat es neben der Belastung durch das schwebende Verfahren vor allem auf die Schwierigkeiten für die Angeklagten, einen Arbeitsplatz zu finden, abgestellt.
14
In den übrigen Fällen hat das Landgericht ausgehend von dem Strafrahmen des Grundtatbestandes des § 370 Abs. 1 AO Freiheitsstrafen von zwei Monaten bis zu sechs Monaten gebildet und die kurzen Freiheitsstrafen unter Berufung auf die Vorschrift des § 47 Abs. 1 StGB mit generalpräventiven Erwägungen begründet. Unter dem Gesichtspunkt der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung hat das Landgericht in diesen Fällen das Strafmaß auf Einzelfreiheitsstrafen zwischen vier Monaten und einem Monat bzw. auf Geldstrafen reduziert.
15
Ohne Verfahrensverzögerung hätte das Landgericht aus den unverminderten Einzelstrafen für die Angeklagten A. , S. und O. Gesamtfreiheitsstrafen von jeweils drei Jahren sechs Monaten sowie für die Angeklagten G. , R. und Av. von jeweils drei Jahren gebildet.
16
Die Strafaussetzung zur Bewährung hat das Landgericht vor allem damit begründet, dass die Angeklagten seit der drei Jahre zuvor erfolgten Entlassung aus der Untersuchungshaft keine Straftaten mehr begangen, sich somit von der Haft und dem Strafverfahren beeindruckt gezeigt und zum Teil wieder Arbeit gefunden haben. Die besonderen Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB hat das Landgericht im Wesentlichen in den Geständnissen , den Bemühungen um Schadenswiedergutmachung und dem weiten Zurückliegen der Taten gesehen.

II.


17
Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revisionen der Staatsanwaltschaft sind begründet.
18
1. Eine weitergehende konkludente Beschränkung der Revisionen auf einzelne Strafen liegt nicht vor. Zwar wendet sich die Staatsanwaltschaft in ihrer Revisionsbegründungsschrift primär nur gegen die Bemessung der Einzelstrafen für die besonders schweren Fälle der Steuerhinterziehung im Sinne von § 370 Abs. 3 AO und gegen die Strafaussetzung zur Bewährung. Dem ist jedoch nicht zu entnehmen, dass die Staatsanwaltschaft ihr ausdrücklich bezeichnetes Anfechtungsziel, die Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs, weiter einschränken wollte. Maßgeblich ist in solchen Fällen der durch Auslegung des Antrags zu ermittelnde, dem wirklichen Willen des Beschwerdeführers entsprechende Wille (vgl. BGHSt 29, 359, 365; BGH NJW 1997, 3322 m.w.N.). Diese Auslegung ergibt hier, auch im Einklang mit dem gestellten Antrag Folgendes: Die Staatsanwaltschaft hat gezielt die Einzelstrafen in den besonders schwerwiegenden Fällen herausgegriffen und als unvertretbar mild beanstandet; im Übrigen erstrebt sie aber eine insgesamt neue Strafzumessung, auch bezogen auf die weiteren, an den gravierendsten Einzelstrafen orientierten Strafen im Rahmen eines einheitlichen Komplexes, damit bei der Strafzumessung keine Wertungswidersprüche entstehen und die Relation der Einzelstrafen zueinander gewahrt bleibt.
19
2. Die Strafzumessung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
20
a) Im vorliegenden Fall gilt nichts anderes als in dem Verfahren gegen zwei weitere Angeklagte derselben Tätergruppe, die das Senatsurteil vom 8. August 2006 – 5 StR 189/06 (wistra 2006, 428) behandelt:
21
Jedenfalls das Ausmaß der den Angeklagten wegen überlanger Verfahrensdauer zugebilligten Strafabschläge ist nicht nachvollziehbar. Das Landgericht hat ihnen – für sich nicht beanstandenswert – eine Verfahrensverzögerung von zwei Jahren zugrunde gelegt. Neben der überlangen Konfrontation mit der Unsicherheit des schwebenden Strafverfahrens hat das Landgericht als zusätzliche, durch den Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verursachte Belastungen allein erhebliche Schwierigkeiten der zum Zeitpunkt der Verfahrensverzögerung bereits nicht mehr in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten bei ihrer Integration auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigt. Diese Belastungen und die Dauer der Verfahrensverzögerung lassen indes auch bei uneingeschränkter Achtung des tatgerichtlichen Beurteilungsspielraums eine derart hohe Reduzierung der vom Landgericht ohne Berücksichtigung der Verfahrensverzögerungen für angemessen erachteten Strafen um jeweils mindestens ein Drittel bis zur Hälfte nicht zu. Dies gilt insbesondere auch für das Ergebnis der Gesamtstrafreduzierung. Allein die festgestellten Belastungen vermögen nicht zu rechtfertigen, dass anstelle von zu vollstreckenden Gesamtfreiheitsstrafen von drei Jahren sechs Monaten bzw. drei Jahren, die bei dem Gewicht der Taten nicht zuletzt schon unter Berücksichtigung des Zeitfaktors mild bemessen sind, aber im Ergebnis doch noch eine gravierende Sanktion darstellen, nur noch zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafen verhängt wurden.
22
Ohnehin widerstreitet eine erhebliche strafmildernde Wirkung des Zeitfaktors als Folge justizieller Mängel generell den Zielen effektiver Verteidigung der Rechtsordnung; dies gilt namentlich im Bereich schwerer, zudem sozialschädlicher Wirtschaftskriminalität (vgl. BGHSt 50, 299, 308 f.). Besonders misslich ist es, wenn das zu einer Strafmilderung verpflichtete Tatgericht gar durch eigenes unsachgemäßes Verhalten maßgebliche Ursachen für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung gesetzt hat. Gerade vor diesem Hintergrund darf das Revisionsgericht einen überzogenen Strafabschlag , wie er hier zu konstatieren ist, nicht hinnehmen.
23
b) Daneben bedarf auch hier die Frage letztlich keiner Entscheidung , ob die Erwägungen der Strafkammer dem Umstand ausreichend Rechnung tragen, dass die Angeklagten ein hochkriminelles und gut durchorganisiertes überaus profitables Steuerhinterziehungssystem installierten und betrieben, das ihnen ermöglichte, jahrelang allein von den einbehaltenen Umsatzsteuern zu leben und damit einen Lebensstil von gehobenem Niveau zu finanzieren. Dies liegt jedoch nach nochmaliger Überprüfung des Sachverhalts durch den Senat außerordentlich fern.
24
Wie bei den sogenannten Umsatzsteuerkarussellgeschäften sind Kettengeschäfte unter Einschaltung von Serviceunternehmen im Bereich der illegalen Arbeitnehmerüberlassungen dadurch geprägt, dass zumindest die Betreiber der Firmen allein von dem Handel mit Scheinrechnungen leben und damit die „Steuerhinterziehung als Gewerbe“ betreiben (vgl. BGH wistra 2005, 30, 31; Joecks wistra 2002, 201, 203 f.). Damit unterscheiden sich solche Erscheinungsformen der Steuerhinterziehung gravierend von den Fällen, in denen ein Steuerpflichtiger dem Fiskus rechtmäßig erzielte Einkünfte verschweigt, um sie ungeschmälert für sich verwenden zu können. Bereits in derartigen Fällen ist es äußerst fraglich, ob eine zur Bewährung aussetzungsfähige Freiheitsstrafe noch dem Unrechtsgehalt einer Steuerhinterziehung gerecht werden kann, wenn der Hinterziehungsschaden deutlich im Millionenbereich liegt und nicht erhebliche Strafmilderungsgründe vorhanden sind, wie etwa eine weitgehende Schadenswiedergutmachung. Einen gerechten Schuldausgleich stellen Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren jedenfalls dann grundsätzlich nicht mehr dar, wenn die Täter – wie hier über den Umweg des Vorsteuerabzugs der Auftraggeber – mit einem auf Dauer angelegten , gut organisierten und an veränderte Umstände anpassungsfähigen kriminellen Hinterziehungssystem jahrelang die Auszahlung hoher Geldbeträge bewirken und damit dem Fiskus Schäden in Millionenhöhe zufügen. Hinzu kommen weitere Schäden im Bereich der Lohnsteuer und der Sozialabgaben sowie die Schädigung der – durch solches verbreitet mehr oder weniger stillschweigend geduldetes Verhalten immer stärker zurückgedrängten – legal arbeitenden Bauwirtschaft, deren Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt wird (vgl. insgesamt zur Einschätzung der sozialschädlichen Auswirkungen der illegal agierenden Subunternehmerketten im Baugewerbe den Bericht des Bundesrechnungshofs vom 3. September 2003, BT-Drucks. 15/1495, S. 3, 10 ff.). Serviceunternehmen schädigen das Steueraufkommen letztlich in ähnlicher Weise wie Umsatzsteuerkarussellgeschäfte, bei denen über Vorsteuererstattungen auf der Grundlage von Scheinrechnungen in großem Umfang Steuergelder betrügerisch erlangt werden (vgl. hierzu Kemper ZRP 2006, 205, 207).
25
Zweifelhaft sind auch die Erwägungen, mit denen das Landgericht die Höhe des entstandenen Steuerschadens relativiert hat, da die Haftung der Angeklagten allein auf das Ausstellen der Scheinrechungen zurückzuführen sei und dies bereits Straf- und Sanktionscharakter habe. Damit hat das Landgericht das erhebliche Gefährdungspotential außer Acht gelassen, das die Erstellung entsprechender Scheinrechnungen birgt (vgl. BGHSt 47, 343, 346 f. mit näheren Erläuterungen).
26
c) Dass das Ergebnis etwa auf eine Förderung der Erledigung durch eine vom Landgericht ohne Einbeziehung der Staatsanwaltschaft herbeigeführte Verständigung zurückginge (vgl. zur „Zusage“ einer Strafobergrenze ohne staatsanwaltliche Zustimmung: BGH wistra 2006, 394), hat die Staatsanwaltschaft allerdings nicht geltend gemacht. Hiergegen hätte sie sich gegebenenfalls mit den gebotenen prozessualen Mitteln zur Wehr setzen müssen (vgl. BGHR StPO vor § 1/faires Verfahren – Vereinbarung 15 m.w.N.). Auf der anderen Seite können die Angeklagten aus dem gerichtlichen Vorgehen für sich keine günstige Position im Sinne eines Vertrauenstatbestandes herleiten (vgl. BGHR aaO). Ausweislich des Protokolls ist vor Abgabe der Geständnisse in der Hauptverhandlung ein in Beschlussform gefasster gerichtlicher Hinweis erteilt worden, dass „jeweils Bewährungsstrafen in Betracht kommen“. Zudem ist nicht ersichtlich, dass die Staatsanwaltschaft , die in der Hauptverhandlung zu vollstreckende Freiheitsstrafen beantragt hat, diesen Hinweis als gerichtliche Zusage von Bewährungsstrafen verstanden hätte und hierauf in einer Zustimmung signalisierenden Weise untätig geblieben wäre. Insbesondere hatten die Angeklagten weitgehend bereits im Ermittlungsverfahren Geständnisse abgelegt. Jedenfalls bei dieser Sachlage besteht kein Anlass zu erwägen, mit Aufhebung der Rechtsfolgenaussprüche etwa aus Fairnessgründen auch die Schuldsprüche mitaufzuheben (vgl. dazu Schlothauer StV 2003, 481).
27
3. Der Aufhebung von Urteilsfeststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) bedarf es bei den erkannten Wertungsfehlern nicht. Das neue Tatgericht wird auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen fiktive und wegen eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK kompensierte Einzel- und Gesamtstrafen (vgl. BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 16) neu festzusetzen haben. Das Landgericht darf seiner Bewertung weitere, hierzu nicht in Widerspruch stehende Feststellungen zugrunde legen. Auch unter Berücksichtigung der durch die neue Verhandlung verlängerten Verfahrensdauer erscheint es allerdings kaum vorstellbar, dass erneut verhängte Bewährungsstrafen den genannten Strafschärfungsgründen gerecht werden könnten. Dies gilt umso mehr, als die bislang für den fiktiven Fall fristgerechter Sacherledigung, allerdings ihrerseits schon unter Berücksichtigung des zeitlichen Abstands zwischen Tat und Aburteilung festgesetzten Strafen an der unteren Grenze des Vertretbaren liegen.
Basdorf Gerhardt Brause Schaal Jäger

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 29. Nov. 2006 - 5 StR 324/06

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 29. Nov. 2006 - 5 StR 324/06

Referenzen - Gesetze

Abgabenordnung - AO 1977 | § 370 Steuerhinterziehung


(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer1.den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,2.die Finanzbehörden pflichtwidrig über steu

Strafprozeßordnung - StPO | § 353 Aufhebung des Urteils und der Feststellungen


(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren

Strafgesetzbuch - StGB | § 56 Strafaussetzung


(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig au

Strafgesetzbuch - StGB | § 47 Kurze Freiheitsstrafe nur in Ausnahmefällen


(1) Eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten verhängt das Gericht nur, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rech
Bundesgerichtshof Urteil, 29. Nov. 2006 - 5 StR 324/06 zitiert 5 §§.

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Bundesgerichtshof Urteil, 29. Nov. 2006 - 5 StR 324/06 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).

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Bundesgerichtshof Urteil, 08. Aug. 2006 - 5 StR 189/06

bei uns veröffentlicht am 08.08.2006

5 StR 189/06 BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL vom 8. August 2006 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen Steuerhinterziehung u. a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. August 2006, an der teilgenommen haben
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Bundesgerichtshof Urteil, 25. Apr. 2017 - 1 StR 606/16

bei uns veröffentlicht am 25.04.2017

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 606/16 vom 25. April 2017 in der Strafsache gegen wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung ECLI:DE:BGH:2017:250417U1STR606.16.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25

Referenzen

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,
2.
die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder
3.
pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt
und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) missbraucht,
3.
die Mithilfe eines Amtsträgers oder Europäischen Amtsträgers (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht,
4.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
5.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach Absatz 1 verbunden hat, Umsatz- oder Verbrauchssteuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Umsatz- oder Verbrauchssteuervorteile erlangt oder
6.
eine Drittstaat-Gesellschaft im Sinne des § 138 Absatz 3, auf die er alleine oder zusammen mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss ausüben kann, zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen nutzt und auf diese Weise fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(4) Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden; dies gilt auch dann, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Steuervorteile sind auch Steuervergütungen; nicht gerechtfertigte Steuervorteile sind erlangt, soweit sie zu Unrecht gewährt oder belassen werden. Die Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 sind auch dann erfüllt, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können.

(5) Die Tat kann auch hinsichtlich solcher Waren begangen werden, deren Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr verboten ist.

(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch dann, wenn sich die Tat auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden oder die einem Mitgliedstaat der Europäischen Freihandelsassoziation oder einem mit dieser assoziierten Staat zustehen. Das Gleiche gilt, wenn sich die Tat auf Umsatzsteuern oder auf die in Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABl. L 9 vom 14.1.2009, S. 12) genannten harmonisierten Verbrauchsteuern bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden.

(7) Die Absätze 1 bis 6 gelten unabhängig von dem Recht des Tatortes auch für Taten, die außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes begangen werden.

(1) Eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten verhängt das Gericht nur, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerläßlich machen.

(2) Droht das Gesetz keine Geldstrafe an und kommt eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten oder darüber nicht in Betracht, so verhängt das Gericht eine Geldstrafe, wenn nicht die Verhängung einer Freiheitsstrafe nach Absatz 1 unerläßlich ist. Droht das Gesetz ein erhöhtes Mindestmaß der Freiheitsstrafe an, so bestimmt sich das Mindestmaß der Geldstrafe in den Fällen des Satzes 1 nach dem Mindestmaß der angedrohten Freiheitsstrafe; dabei entsprechen dreißig Tagessätze einem Monat Freiheitsstrafe.

(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.

(2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen.

(3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet.

(4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,
2.
die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder
3.
pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt
und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) missbraucht,
3.
die Mithilfe eines Amtsträgers oder Europäischen Amtsträgers (§ 11 Absatz 1 Nummer 2a des Strafgesetzbuchs) ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht,
4.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
5.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach Absatz 1 verbunden hat, Umsatz- oder Verbrauchssteuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Umsatz- oder Verbrauchssteuervorteile erlangt oder
6.
eine Drittstaat-Gesellschaft im Sinne des § 138 Absatz 3, auf die er alleine oder zusammen mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss ausüben kann, zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen nutzt und auf diese Weise fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.

(4) Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden; dies gilt auch dann, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Steuervorteile sind auch Steuervergütungen; nicht gerechtfertigte Steuervorteile sind erlangt, soweit sie zu Unrecht gewährt oder belassen werden. Die Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 sind auch dann erfüllt, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können.

(5) Die Tat kann auch hinsichtlich solcher Waren begangen werden, deren Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr verboten ist.

(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch dann, wenn sich die Tat auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden oder die einem Mitgliedstaat der Europäischen Freihandelsassoziation oder einem mit dieser assoziierten Staat zustehen. Das Gleiche gilt, wenn sich die Tat auf Umsatzsteuern oder auf die in Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABl. L 9 vom 14.1.2009, S. 12) genannten harmonisierten Verbrauchsteuern bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden.

(7) Die Absätze 1 bis 6 gelten unabhängig von dem Recht des Tatortes auch für Taten, die außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes begangen werden.

5 StR 189/06

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 8. August 2006
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Steuerhinterziehung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. August
2006, an der teilgenommen haben:
Richter Basdorf als Vorsitzender,
Richter Häger,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Brause,
Richter Dr. Jäger
alsbeisitzendeRichter,
Staatsanwältin
alsVertreterinderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt R.
alsVerteidigerfürdenA ngeklagten C. ,
Rechtsanwalt S.
alsVerteidigerfürdenAngek lagten G. ,
Justizhauptsekretärin
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten C. gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 15. November 2005 wird auf seine Kosten verworfen.
2. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das genannte Urteil, soweit es die Angeklagten C. und G. betrifft, jeweils im gesamten Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen der Staatsanwaltschaft, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat – neben zwei geringer verurteilten Mitangeklagten , die am Revisionsverfahren nicht beteiligt sind – den Angeklagten C. wegen Steuerhinterziehung in 72 Fällen, wegen Anstiftung zur Steuerhinterziehung in 12 Fällen und wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, den nicht revidierenden Angeklagten G. wegen Steuerhinterziehung in 71 Fällen und wegen Anstiftung zur Steuerhinterziehung in 12 Fällen ebenfalls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren. Die Vollstreckung beider Freiheitsstrafen hat das Landgericht zur Bewährung ausgesetzt.
2
Während die allgemein auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte umfassende Revision des Angeklagten C. erfolglos bleibt, erweisen sich die auf die Strafaussprüche gegen die genannten Angeklagten beschränkten, ebenfalls auf die Sachrüge gestützten, von der Bundesanwaltschaft vertretenen Revisionen der Staatsanwaltschaft als begründet.
3
1. Die Schuldsprüche betreffen im Wesentlichen Aktivitäten der Angeklagten ab 1996 in von ihnen organisierten Scheinfirmen, welche sie als sogenannte „Serviceunternehmen“ verschiedenen Kolonnenschiebern zur Verschleierung des Einsatzes von Schwarzarbeitern bereitstellten und für die sie nach Ausstellung von Scheinrechnungen pflichtwidrig für 1996 bis 2000 keine Umsatzsteuerjahreserklärungen sowie von Januar bis November 2001 keine Umsatzsteuervoranmeldungen abgaben. Insgesamt verursachten die Angeklagten einen Umsatzsteuerschaden von über 18 Mio. DM.
4
In neun Einzelfällen betrug der durch die Nichtanmeldungen verursachte Steuerschaden über 500.000 DM. In diesen Fällen hat das Landgericht unter Anwendung des § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO – für beide Angeklagte gleichlautend – (fiktive) Einzelfreiheitsstrafen zwischen neun Monaten und einem Jahr sechs Monaten für angemessen erachtet. Als besonders strafmildernd hat es dabei die bereits in einem frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens abgegebenen umfassenden, die verzweigten Täterstrukturen und das für die Schadensberechnung maßgebliche Zahlenmaterial aufzeigenden Geständnisse der Angeklagten und das lange Zurückliegen der Taten gewertet. Um eine um zwei Jahre verzögerte überlange Verfahrensdauer kompensatorisch zu berücksichtigen, hat das Landgericht die Strafen reduziert und Einzelfreiheitsstrafen zwischen sechs Monaten und einem Jahr verhängt.
5
In den übrigen Fällen hat das Landgericht aus dem Strafrahmen des Grundtatbestandes des § 370 Abs. 1 AO kurze Freiheitsstrafen von zwei Monaten bis zu sechs Monaten unter Berufung auf die Vorschrift des § 47 Abs. 1 StGB für angemessen erachtet. Unter dem Gesichtspunkt der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung hat das Landgericht auch in diesen Fällen das Strafmaß reduziert und Einzelfreiheitsstrafen zwischen einem Monat und vier Monaten verhängt. Ohne Verfahrensverzögerung hätte das Landgericht aus den unverminderten Einzelstrafen Gesamtfreiheitsstrafen von jeweils drei Jahren sechs Monaten verhängt.
6
Die Strafaussetzungen hat das Landgericht vor allem damit begründet, dass die Angeklagten seit der drei Jahre zuvor erfolgten Entlassung aus der Untersuchungshaft keine Straftaten mehr begangen, sich somit von der Haft und dem Strafverfahren beeindruckt gezeigt und wieder Arbeit gefunden haben. Die besonderen Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB hat das Landgericht im Wesentlichen in den Geständnissen, den Bemühungen um Schadenswiedergutmachung und dem Zurückliegen der Taten gesehen.
7
2. Die Revision des Angeklagten C. deckt keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil auf. Hingegen haben die Revisionen der Staatsanwaltschaft umfassend Erfolg.
8
a) Jedenfalls das Ausmaß der den Angeklagten wegen überlanger Verfahrensdauer zugebilligten Strafabschläge ist nicht nachvollziehbar. Das Landgericht hat ihnen – für sich nicht beanstandenswert – eine Verfahrensverzögerung von zwei Jahren zugrunde gelegt. Neben der überlangen Konfrontation mit der Unsicherheit des schwebenden Strafverfahrens hat das Landgericht als zusätzliche, durch den Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 MRK verursachte Belastungen erhebliche Schwierigkeiten der zum Zeitpunkt der Verfahrensverzögerung bereits nicht mehr in Untersuchungshaft inhaftierten Angeklagten bei ihrer Integration auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigt. Die Dauer der Verfahrensverzögerung und die festgestellten hierdurch verursachten Belastungen lassen indes auch bei uneingeschränkter Achtung des tatgerichtlichen Beurteilungsspielraums einen derart gewichtigen Strafabschlag wie den vom Landgericht für angemessen erachteten nicht zu. Eine Reduzierung der Einzelstrafen um jeweils mindestens ein Drittel bis zur Hälfte verglichen mit der bei verzögerungsloser Aburteilung für angemessen erachteten Höhe, insbesondere aber das Resultat der Gesamtstrafreduzierung (vgl. zu deren sachgerechter Vornahme: BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 16) von einer gravierenden zu vollstreckenden Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren sechs Monaten auf eine zur Bewährung ausgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren würde, namentlich gemessen an der Schwere der abgeurteilten Taten und auch unter Berücksichtigung des mehrjährigen Gesamttatgeschehens, ein erheblich gewichtigeres Ausmaß der gegen Art. 6 Abs. 1 MRK verstoßenden Verfahrensverzögerung erfordern oder aber deutlich gravierendere individuelle Belastungen der Angeklagten infolge der Verfahrensverzögerung als die hier festgestellten.
9
Ohnehin widerstreitet eine erhebliche strafmildernde Wirkung des Zeitfaktors als Folge justizieller Mängel generell den Zielen effektiver Verteidigung der Rechtsordnung; dies gilt namentlich im Bereich schwerer, zudem sozialschädlicher Wirtschaftskriminalität (vgl. BGHSt 50, 299, 308 f.). Besonders misslich ist es, wenn das zu einer Strafmilderung verpflichtete Tatgericht gar durch eigenes unsachgemäßes Verhalten maßgebliche Ursachen für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung gesetzt hat. Gerade vor diesem Hintergrund darf das Revisionsgericht einen überzogenen Strafabschlag , wie er hier zu konstatieren ist, nicht hinnehmen.
10
b) Danach bedarf es hier keiner abschließenden Entscheidung , ob die Strafaussprüche gegen die Angeklagten, namentlich den einschlägig vorbestraften Angeklagten C. , insgesamt oder jedenfalls in den nach § 370 Abs. 3 AO beurteilten Einzelfällen und in den Gesamtstrafen bereits allein im Blick auf die niedrige Bemessung als nicht mehr schuldangemessene Bestrafung zu beanstanden wären. Dies liegt nicht fern angesichts der massiven sozialschädlichen Auswirkungen der abgeurteilten Taten vor dem Hintergrund ihrer Begehung in aggressiv gewerbsmäßiger Form und in organisierten kriminellen Strukturen (vgl. BGH wistra 2005, 30, 31 f.).
11
Dass das Ergebnis etwa auf eine Förderung der Erledigung durch eine vom Landgericht ohne Einbeziehung der Staatsanwaltschaft herbeigeführte Verständigung zurückginge (vgl. zur „Zusage“ einer Strafobergrenze ohne staatsanwaltliche Zustimmung: BGH, Urteil vom 13. Juli 2006 – 4 StR 87/06), hat die Staatsanwaltschaft nicht geltend gemacht. Hiergegen hätte sie sich gegebenenfalls mit den gebotenen prozessualen Mitteln zur Wehr setzen müssen (vgl. BGHR StPO vor § 1/faires Verfahren – Vereinbarung 15 m.w.N.).
12
c) Der Aufhebung von Urteilsfeststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) bedarf es bei dem erkannten Wertungsfehler nicht. Das neue Tatgericht wird auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen fiktive und wegen eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 MRK kompensierte Einzelund Gesamtstrafen (vgl. BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 16) neu festzusetzen haben. Darüber hinaus darf es seiner neuen Bewertung etwa zu treffende weitere, hierzu nicht in Widerspruch stehende Feststellungen zugrunde legen.
Basdorf Häger Gerhardt Brause Jäger

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.