Bundesgerichtshof Urteil, 09. Mai 2019 - 5 StR 645/18

bei uns veröffentlicht am09.05.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 645/18
vom
9. Mai 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:090519U5STR645.18.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Mai 2019, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Dr. Berger, Prof. Dr. Mosbacher, Köhler als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Rechtsanwältin als Vertreterin der Nebenklägerin Mü. ,
Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,


für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 13. Juni 2018, soweit es den Angeklagten

M.

betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen vom
1
Vorwurf der Nötigung gemäß § 240 Abs. 1 und 4 Satz 2 Nr. 1 StGB aF freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Nebenklägerin mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2
Die Anklage vom 5. Juli 2017 legt dem Angeklagten zur Last, er habe von der Nebenklägerin Oralverkehr an sich vornehmen lassen, den sie gegen ihren Willen aus Angst vor einer Veröffentlichung von Bild- und Videoaufnah- men von sexuellen Handlungen mit dem Mitangeklagten S. durchgeführt habe.
3
1. Die Strafkammer hat folgendes festgestellt: Der seinerzeit 15-jährige Mitangeklagte S. und die damals 14-jährige Nebenklägerin lernten sich Ende August 2015 kennen. Bei ihrer ersten persönlichen Begegnung begaben sie sich in die Wohnung des Mitangeklagten I. , eines Cousins des Mitangeklagten S. , wo es zu einvernehmlichem Geschlechtsverkehr zwischen beiden kam. Im Anschluss forderte S. die Nebenklägerin auf, auch mit seinem Cousin den Geschlechtsverkehr auszuüben, was sie ablehnte. Für den 3. September 2015 verabredeten sie ein weiteres Treffen in der Wohnung. Dort kam neben I. auch der ihr unbekannte seinerzeit 17-jährige Angeklagte hinzu. S. verlangte von der Nebenklägerin, die er zuvor teilweise entkleidet hatte, dass sie mit beiden „schlafen“ solle, was sie jedoch auch nach längerer Diskussion verweigerte. Der Angeklagte ging schließlich mit ihr auf den Balkon. Als beide in die Wohnung zurückkehrten, gaben sie absprachegemäß vor, dass sexuelle Handlungen stattgefunden hätten. Trotz der Versuche S. s, sie zunächst durch seine Verweigerung einer Herausgabe ihrer Kleidungsstücke noch gefügig zu machen, lehnte sie den von ihr verlangten sexuellen Verkehr mit I. weiterhin ab. Wenige Tage später kam es zu einem erneuten Treffen mit S. , bei dem dieser ein Video von der nur mit BH und Slip bekleideten Nebenklägerin sowie ein Foto von ihr machte, das die Ausübung von Oralverkehr an ihm zeigte.
4
Nach einem zunächst vergeblichen Versuch, sie am folgenden Tag mit der Drohung, ansonsten das Foto und das Video zu „posten“, zu einem weite- ren Treffen zu veranlassen, drohte S. ihr am 12. September 2015 zum wiederholten Mal mit einer Veröffentlichung der für sie kompromittierenden Bilder auf Plattformen im Internet, falls sie eine Verabredung für den Abend ablehne. Unter dem Eindruck dieser Drohung gab sie seiner Forderung nach. An dem verabredeten Ort erschien S. , für sie überraschend, in Begleitung des Angeklagten und des ihr unbekannten Mitangeklagten R. . Gemeinsam gingen sie in ein Schnellrestaurant, wo S. die Nebenklägerin in die Herrentoilette zog. Spätestens dort verlangte er von ihr, dass sie mit seinen Begleitern Oralverkehr ausüben solle, andernfalls werde er das Bildmaterial von ihr „posten“. Sie stimmte aus Angst vor der angedrohtenVeröffentlichung zu und führte im Toilettenraum an dem Angeklagten den Oralverkehr bis zum Samenerguss aus.
5
2. Das Landgericht hat sich nicht davon überzeugen können, dass der – zum objektiven Tatgeschehen geständige – Angeklagte vorher davon wusste, was die Geschädigte zum Oralverkehr mit ihm bewegt habe. Die interne Kommunikation zwischen S. und ihm sowie dem Mitangeklagten R. habe mangels unmittelbarer Erkenntnisquellen offenbleiben müssen. Ein aus den Gesamtumständen möglicher Rückschluss, dass dem Angeklagten schon aus der Bereitschaft der Geschädigten zu sexuellen Handlungen auf einer Toilette heraus bewusst gewesen sein müsse, dass und womit sie von S. „erpresst“ worden sei, wäre Ietztlich spekulativ. Es sei auch nicht ausschließbar, dass dieser seinen Freunden gegenüber sinngemäß vorgegeben habe, dass sie eine „Schlampe“ sei, die „es“ ihm zuliebe mache.

II.

6
Die Freisprechung des Angeklagten hat keinen Bestand. Die tatgerichtliche Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite hält trotz der beschränkten revi- sionsgerichtlichen Kontrolle (vgl. etwa BGH, Urteile vom 5. November 2014 – 1 StR 327/14, NStZ-RR 2015, 83, und vom 3. Juni 2015 – 5 StR 55/15, NStZ-RR 2015, 255 f. mwN) rechtlicher Überprüfung nicht stand.
7
1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist insoweit lückenhaft und damit nicht tragfähig, als es der Einlassung des Angeklagten letztlich kritiklos folgt, wonach er davon ausgegangen sei, dass die Geschädigte freiwillig an ihm den Oralverkehr ausübe. Das Tatgericht darf jedoch entlastende Angaben des Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine Beweise gibt, nicht ohne weiteres als unwiderlegt hinnehmen. Es muss sich vielmehr auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses entscheiden, ob diese Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen (vgl. BGH, Urteile vom 24. Oktober 2002 – 5 StR 600/01, BGHSt 48, 52, 71; vom 22. April 2005 – 2 StR 310/04, BGHSt 50, 80, 85, und vom 25. Oktober 2016 – 5 StR 255/16, NStZ-RR 2017, 5, 6 mwN; Beschluss vom 25. April 2007 – 1 StR 159/07, BGHSt 51, 324, 325). Soweit das Landgericht erwogen hat, der Mitangeklagte S. könne die Geschädigte dem Angeklagten gegenüber als „Schlampe“ dargestellt haben, womit dieser sich als Erklärung ihres Verhaltens zufriedengegeben haben könnte, gibt es hierfür keine zureichenden Anhaltspunkte. Insbesondere haben nicht einmal der Angeklagte selbst und der Mitangeklagte S. Entsprechendes in ihren Einlassungen erwähnt. In diesem Zusammenhang lässt das Urteil eine Auseinandersetzung mit der Tatsache vermissen, dass der Angeklagte aufgrund des vorangegangenen Geschehens vom 3. September 2015 wusste, dass die Geschädigte grundsätzlich nicht bereit war, mit ihm sexuell zu verkehren, obgleich sie für ihn erkennbar von S. bereits bei dieser Gelegenheit unter Druck gesetzt worden war. Tatsächliche Umstände, die aus Sicht des Angeklagten einen Sinneswandel der Geschädigten plausibel hätten erklären können, zeigen die Urteilsgründe nicht auf.

8
2. Rechtsfehlerhaft hat die Strafkammer zudem davon abgesehen, die hier erforderlichen Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten zu treffen (vgl. BGH, Urteil vom 1. August 2018 – 5 StR 30/18 mwN) und den Sachverhalt auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des § 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu prüfen (vgl. § 264 StPO).
9
Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung.
Sander König Berger
Mosbacher Köhler

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 09. Mai 2019 - 5 StR 645/18

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 09. Mai 2019 - 5 StR 645/18

Referenzen - Gesetze

Strafgesetzbuch - StGB | § 240 Nötigung


(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Rechtswidrig ist die

Strafprozeßordnung - StPO | § 264 Gegenstand des Urteils


(1) Gegenstand der Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt. (2) Das Gericht ist an die Beurteilung der Tat, die dem Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens zugrunde l

Strafgesetzbuch - StGB | § 182 Sexueller Mißbrauch von Jugendlichen


(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren dadurch missbraucht, dass er unter Ausnutzung einer Zwangslage 1. sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder2. diese dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorz
Bundesgerichtshof Urteil, 09. Mai 2019 - 5 StR 645/18 zitiert 3 §§.

Strafgesetzbuch - StGB | § 240 Nötigung


(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Rechtswidrig ist die

Strafprozeßordnung - StPO | § 264 Gegenstand des Urteils


(1) Gegenstand der Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt. (2) Das Gericht ist an die Beurteilung der Tat, die dem Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens zugrunde l

Strafgesetzbuch - StGB | § 182 Sexueller Mißbrauch von Jugendlichen


(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren dadurch missbraucht, dass er unter Ausnutzung einer Zwangslage 1. sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder2. diese dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorz

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Urteil, 09. Mai 2019 - 5 StR 645/18 zitiert oder wird zitiert von 6 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Urteil, 09. Mai 2019 - 5 StR 645/18 zitiert 6 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Apr. 2007 - 1 StR 159/07

bei uns veröffentlicht am 25.04.2007

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 159/07 vom 25. April 2007 Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja zu Nr. 2 Veröffentlichung: ja ____________________________ BtMG §§ 29 ff.; StGB §§ 25, 27; StPO § 261 Behauptet der Transporteur von Betäubungsmitteln, sein Ta

Bundesgerichtshof Urteil, 24. Okt. 2002 - 5 StR 600/01

bei uns veröffentlicht am 24.10.2002

Nachschlagewerk: ja BGHSt : ja, aber ohne die Ausführungen zu II. 2a und 3a (Verfahrensrügen ) Veröffentlichung: ja AO 1977 § 370 Abs. 1 Nr. 2 BranntwMonG § 143 1. Für ein Entziehen von verbrauchsteuerpflichtigen Waren aus einem Steueraussetz

Bundesgerichtshof Urteil, 01. Aug. 2018 - 5 StR 30/18

bei uns veröffentlicht am 01.08.2018

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 5 StR 30/18 vom 1. August 2018 in der Strafsache gegen 1. 2. 3. wegen Verdachts der Erpressung ECLI:DE:BGH:2018:010818U5STR30.18.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vo

Bundesgerichtshof Urteil, 25. Okt. 2016 - 5 StR 255/16

bei uns veröffentlicht am 25.10.2016

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 5 StR 255/16 vom 25. Oktober 2016 in der Strafsache gegen wegen Beihilfe zum besonders schweren Raub u.a. ECLI:DE:BGH:2016:251016U5STR255.16.0 Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sit

Bundesgerichtshof Urteil, 03. Juni 2015 - 5 StR 55/15

bei uns veröffentlicht am 03.06.2015

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 5StR 55/15 vom 3. Juni 2015 in der Strafsache gegen wegen schwerer Brandstiftung u.a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Juni 2015, an der teilgenommen haben: Richter P

Bundesgerichtshof Urteil, 05. Nov. 2014 - 1 StR 327/14

bei uns veröffentlicht am 05.11.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 S t R 3 2 7 / 1 4 vom 5. November 2014 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. November 2014, an der teilge

Referenzen

(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
eine Schwangere zum Schwangerschaftsabbruch nötigt oder
2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger mißbraucht.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 S t R 3 2 7 / 1 4
vom
5. November 2014
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. November
2014, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Radtke,
Prof. Dr. Mosbacher,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Amberg vom 24. Februar 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Vom Vorwurf zweier weiterer Taten hat es ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.
2
Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revision, gestützt auf die Sachrüge, die Beweiswürdigung.
Sie wendet sich sowohl gegen die Nichtverurteilung wegen eines Sexualdelikts, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist, als auch gegen den Teilfreispruch. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
3
Der Angeklagte beanstandet mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts, soweit er verurteilt wurde. Das in der Revisionshauptverhandlung auf den Strafausspruch beschränkte Rechtsmittel ist unbegründet.

A.

I.

Im Hinblick auf die Verurteilung des Angeklagten hat das Landgericht im
4
Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
5
1. Der im Jahr 1979 geborene ledige Angeklagte hatte bereits mehrfach feste Beziehungen für einen Zeitraum von maximal einem Jahr. Anfang des Jahres 2012 wurde er wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften und wegen Verbreitung kinderpornographischer Schriften in drei tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, deren Vollstreckung das Landgericht zur Bewährung ausgesetzt hat.
6
2. Anfang September 2012 lernte der Angeklagte über die Internetplatt- form „friend-Scout24“ dieNebenklägerin kennen. Nach mehreren telefonischen Kontakten und weiterer Kommunikation mittels SMS verabredeten sich beide für den 14. September 2012 an der Wohnung des Angeklagten in S. .
7
Am Nachmittag dieses Tages fragte die Nebenklägerin vor ihrer Abfahrt per SMS bei dem Angeklagten an, ob sie am Folgetag noch bei ihm duschen könne. Ebenfalls per SMS forderte der Angeklagte ein Foto von ihr in Unterwäsche , um überprüfen zu können, ob sie auch tatsächlich schlank sei. Die Ne- benklägerin lehnte dies ab, schickte ihm aber mittels MMS ein Bild von ihrem nackten Bauch sowie ein Ganzkörperfoto, jedoch in bekleidetem Zustand. Ihrer Mutter, die am 15. September 2012 gegen 15.00 Uhr einen Arzttermin hatte, versprach die Nebenklägerin, früh morgens wieder nach Hause zu fahren, sodass sie gegen Mittag spätestens wieder daheim sein werde.
8
Nachdem die Nebenklägerin am 14. September 2012 gegen 20.00 Uhr bei der Wohnung des Angeklagten in S. angekommen war, fuhren beide zunächst mit dem PKW des Angeklagten zu einer Lounge in R. , wo sie sich bis etwa 23.00 Uhr aufhielten. Der Angeklagte konsumierte dort keinen Alkohol; die Nebenklägerin trank etwa einen halben Longdrink. Das Gespräch beider hatte alltägliche Dinge ohne sexuellen Hintergrund zum Gegenstand.
9
Nach der gemeinsamen Rückkehr in seine Wohnung empfahl der Angeklagte der Nebenklägerin zur Entspannung und gegen den inneren Stress die Einnahme von Globuli. Die Nebenklägerin nahm daraufhin gegen Mitternacht fünf vom Angeklagten übergebene Tabletten mit Wasser ein. Er hatte diese zuvor aus dem oberen Fach des Wohnzimmerschranks geholt und als solche seiner Mutter bezeichnet, die als Heilpraktikerin tätig sei. Die Nebenklägerin machte sich über das Aussehen der Tabletten und die fehlende Verpackung keine Gedanken. Nach ihrer Meinung sahen die Tabletten wie Schüssler Salze aus; zudem hatte ihr der Angeklagte gesagt, „es sei nur etwas Pflanzliches“. Tatsächlich handelte es sich um benzodiazepinhaltige Tabletten wie Valium, deren Einnahme zu einer erheblich über dem therapeutischen Bereich von etwa 200 ng/ml liegenden Konzentration von insgesamt 700 ng/ml Diazepam im Blut führte.

10
Aufgrund der Wirkung der Tabletten trat bei der Nebenklägerin eine plötzliche Müdigkeit auf. Sie legte sich auf die Couch im Wohnzimmer des Angeklagten. Zuvor hatte sie, da sie ihre eigene mitgebrachte Schlafhose nicht mehr finden konnte, die Jogginghose des Angeklagten als Schlafhose erhalten und angezogen. Die Nebenklägerin geriet sodann in einen sedierten, muskulaturentspannten unnatürlichen Schlafzustand, in dem die ordnungsgemäßen körperlichen Funktionen, wie die Wahrnehmungsfähigkeit, gestört waren.
11
Als die Nebenklägerin nach Mitternacht im Bett des Angeklagten in dem beschriebenen Zustand „schlief“, fasste sie der Angeklagte massiv im Hüft-, Oberschenkel- sowie im gesamten Beinbereich an und verursachte dadurch insbesondere an ihrem linken Oberschenkel zwei schmerzhafte Hämatome und weitere Hämatome an ihren Beinen, sowie Hüftschmerzen. Desweiteren wurden ihr durch den Angeklagten die Beine auf die Brust gedrückt. Die Nebenklägerin spürte hierdurch einen länger anhaltenden Druck auf ihren Brustkorb. Die Handlungen des Angeklagten nahm die Nebenklägerin jeweils im Halbschlaf bei teilweisem Bewusstsein wahr.
12
Durch die verabreichten Mittel bestand die Gefahr des Erbrechens sowie der Aspiration, sodass für die Nebenklägerin aufgrund des nicht kontrollierbaren Zustands Lebensgefahr durch die Gefahr des Erstickens an Erbrochenem bestand.
13
Der Angeklagte wusste bei Verabreichung der benzodiazepinhaltigen Tabletten, dass diese eine schlafmittelähnliche Wirkung entfalteten, und wollte die Nebenklägerin in den unnatürlichen Schlafzustand bringen. Ihm war die gesundheitsschädliche Wirkung der Tabletten bewusst. Zudem erkannte er, dass deren Verabreichung zu einem für ihn nicht mehr kontrollierbaren Zustand der Nebenklägerin führen konnte mit der Möglichkeit einer Lebensgefahr in Form der Gefahr des Erstickens nach Erbrechen und Aspiration des Erbrochenen.
14
3. Am nächsten Morgen wachte die Nebenklägerin im Bett des Angeklagten auf; sie hatte nur noch ihren Slip, ihren BH und ein Achsel-T-Shirt an. Die Nebenklägerin konnte kaum aufstehen bzw. stehen bleiben und hatte Schmerzen im Hüftbereich. Während der Heimfahrt fühlte sie sich sehr müde und stark benommen. Nach ihrer Rückkehr gegen 14.00 Uhr schlief sie nochmals ein. Auch danach und am Folgetag verblieb es bei der Benommenheit und Übelkeit bzw. einem gewissen Rauschzustand der Nebenklägerin. Sie verständigte deshalb den medizinischen Notdienst.
15
4. Ein DNA-Vergleich der Spuren an dem von der Nebenklägerin in der Tatnacht getragenen Slip erbrachte am Bund (Außenseite sowie Innenseite) Y-chromosomale Merkmale, die in sieben von neun Merkmalen mit den Y-Chromosomen des Angeklagten übereinstimmten. Ein Spermatest im Zwickelbereich des Slips der Nebenklägerin sowie die Untersuchung eines Genitalabstrichs von ihr auf Spermien hin blieben negativ. Am Bett des Angeklagten befanden sich dessen Spermaspuren.
16
5. Im Zusammenhang mit dem festgestellten Geschehen hat das Landgericht auch zwei Ermittlungsvorgänge der Polizeidirektion Nabburg in den Blick genommen. Am 4. März 2010 hatte eine junge Frau berichtet, sie sei stark alkoholisiert gewesen und sei nach einem Diskothekenbesuch von dem Angeklagten heimgefahren worden. Sie konnte noch in der Nacht im PKW des Angeklagten aufgefunden werden. Die junge Frau behauptete später, es habe sich nach zwei Monaten der Verdacht einer Geschlechtskrankheit ergeben, die nicht von ihrem Freund habe stammen können. Ende März 2010 hatte eine andere junge Frau gegenüber der Polizei angegeben, im Mai 2009 in einer Diskothek in N. gewesen zu sein, sich aber an nichts mehr erinnern zu können, bis sie in der Wohnung des Angeklagten erwacht sei. In beiden Fällen wurden die Ermittlungen eingestellt.
17
6. In der Hauptverhandlung schloss der Angeklagte mit der Nebenklägerin nach einer Entschuldigung für die Verabreichung der benzodiazepinhaltigen Tabletten einen Vergleich, in dem er sich im Hinblick auf Ansprüche aus Delikt zur Zahlung von 5.000 Euro in monatlichen Teilbeträgen von 250 Euro verpflichtete.
18
7. Von dem festgestellten Tatgeschehen hat sich das Landgericht im Wesentlichen aufgrund eines Geständnisses des Angeklagten sowie der Angaben der Nebenklägerin überzeugt. Es hat die Richtigkeit des Geständnisses anhand von weiteren Zeugenaussagen sowie gestützt auf Sachverständigengutachten , insbesondere zur Konzentration der im Blut der Nebenklägerin festgestellten Benzodiazepine und der Wirkungen auf sie, überprüft.
19
8. Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als gefährliche Körperverletzung durch Beibringen eines gesundheitsschädlichen Stoffes und mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 5 StGB) gewertet. Die durch das Wenden und Drehen der Nebenklägerin entstandenen Hämatome hat das Landgericht als tateinheitlich begangene vorsätzliche Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB eingestuft.
20
Von der Vornahme sexueller Handlungen (§ 184g Nr. 1 StGB) des Angeklagten an der Nebenklägerin und damit einer Sexualstraftat konnte sich das Landgericht nicht überzeugen (UA S. 24 f.). Es sei nicht zweifelsfrei festgestellt, dass die DNA-Spuren am Bund des Slips der Nebenklägerin von dem Angeklagten stammten. Zudem würde selbst solches nicht zwingend eine sexuelle Handlung belegen, weil die Spuren auch beim bloßen Entfernen der Kleidung entstanden sein konnten. Das festgestellte Drehen und Wenden der Nebenklägerin durch den Angeklagten und die von ihm verursachten Hämatome ließen nach Auffassung des Landgerichts ebenfalls keine sichere Überzeugung von sexuellen Handlungen des Angeklagten an der Nebenklägerin zu. Dasselbe gelte im Hinblick auf die beiden von der Polizeidirektion Nabburg gegen den Angeklagten eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen, die später eingestellt worden seien.
21
9. Das Vorliegen eines minder schweren Falls der gefährlichen Körperverletzung lehnte das Landgericht auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände ab. Die Voraussetzungen eines Täter-OpferAusgleichs i.S.v. § 46a Nr. 1 StGB hielt das Landgericht nicht für gegeben.

II.

1. Aufgrund einer weiteren Anklage der Staatsanwaltschaft Amberg
22
(Az. 109 Js ) lagen dem Angeklagten darüber hinaus folgende Taten zur Last:
a) Zu einem nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkt im Jahr 2008,
23
vermutlich am 22. Juni 2008, habe der Angeklagte in seiner Wohnung einer unbekannt gebliebenen Geschädigten Schlafmittel oder Ähnliches verabreicht, um sie zum Einschlafen zu bringen oder sie bewusstlos zu machen und um sich an ihr in diesem Zustand ohne ihr Einverständnis zu vergehen. Als die Geschädigte fest geschlafen habe oder bewusstlos gewesen sei
24
und weder zu einer Willensentscheidung noch zu einer Gegenwehr fähig gewesen sei, habe sie der Angeklagte im Genitalbereich berührt, um sich sexuell zu befriedigen. Dabei habe er gewusst, dass die Geschädigte damit nicht einverstanden gewesen wäre.
b) Zu einem nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkt im Jahr 2010 ha25 be der Angeklagte dieses Vorgehen in gleicher Weise gegenüber einer anderen unbekannten Geschädigten im Stadtgebiet von R. oder M. wiederholt.
26
2. Zu diesen Tatvorwürfen hat das Landgericht Folgendes festgestellt:
27
a) Der Angeklagte filmte eine unbekannte junge Frau, die sich nur mit einem Slip bekleidet auf dem Rücken oder seitwärts liegend auf einem Bett in seiner Wohnung befand. Ihre Augen waren geschlossen. Nach der Berührung von Gesicht, Händen und Fingern der Frau durch den Angeklagten fiel eine Hand der Frau nach unten, nachdem sie losgelassen wurde. Anschließend wurde das Geschlecht der Geschädigten durch Wegschieben des Slipzwickels sichtbar; die Hand des Angeklagten manipulierte am Genital der Geschädigten. Bei den Berührungen zeigte die Frau keine Reaktion.
28
b) Zu einem weiteren Zeitpunkt filmte der Angeklagte wiederum eine unbekannte Frau, die bäuchlings auf einem Bett oder einer Couch lag und von dem Angeklagten berührt wurde. Zu sehen ist auch der unbekleidete Po der Frau und deren Genital, das von dem Angeklagten mit den Fingern berührt wurde. Ihr rechter Arm war um ihren Kopf gelegt. Bei der Berührung zeigte die Frau keine Reaktion. Auf dem Computer bzw. Mobiltelefon des Angeklagten befanden sich zudem vier Bilddateien dieser Frau, darunter ein Nacktbild von ihr.
29
3. Für beide Sachverhalte gelangte der medizinische Sachverständige zu dem Ergebnis, dass sich die in den Videosequenzen erkennbaren jungen Frau- en in einem Zustand tiefer Bewusstseinsbeeinträchtigung, mithin – aus medizinischer Sicht – einer Widerstandsunfähigkeit, befunden hatten. Der Angeklagte gab zu diesen Vorwürfen an, die beiden Frauen seien mit seinen Handlungen einverstanden gewesen.
30
4. Das Landgericht konnte sich nicht davon überzeugen, dass die unbekannten Frauen mit den sexuellen Manipulationen des Angeklagten nicht einverstanden gewesen seien. Zwar sei in der Stellungnahme seines Verteidigers zur Haftbeschwerde zunächst angegeben worden, es habe sich bei beiden Frauen um Gelegenheitsbekanntschaften gehandelt, an deren Einwilligung zu Foto- und Videoaufnahmen der Angeklagte keine Zweifel gehabt habe. Hierin liege jedoch kein Widerspruch zu der Angabe des Angeklagten in der Hauptverhandlung , die Frauen seien mit den Handlungen einverstanden gewesen. Die Einlassung gehe lediglich über die Erklärung seines Verteidigers im Zusammenhang mit der Haftbeschwerde hinaus.
31
Wie die beiden Frauen in den auf den beiden kurzen Videoclips erkennbaren Zustand gekommen seien, sei völlig offen. Möglicherweise sei dies auf genossenen Alkohol zurückzuführen. Auch ihr Einverständnis mit den sexuellen Handlungen des Angeklagten könne nicht ausgeschlossen werden. Dass die eine Frau zumindest mit der Erstellung der aufgefundenen Fotoaufnahmen einverstanden gewesen sei, sei naheliegend (UA S. 35).

B.

32
Die zuungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

I.

33
Die Freisprechung des Angeklagten vom Vorwurf der ihm durch die Anklage der Staatsanwaltschaft Amberg vom 14. Oktober 2014 (Az. 109 Js ) zur Last gelegten Sexualdelikte zum Nachteil von zwei von ihm im bewusstlosen oder schlafenden Zustand gefilmten unbekannten Frauen hat keinen Bestand. Die tatgerichtliche Beweiswürdigung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
34
1. Spricht das Tatgericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft oder, wie hier, am Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen eines strafbaren Verhaltens nicht zu überwinden vermag, ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Rechtsfehlerhaft ist es auch, wenn sich das Tatgericht bei seiner Beweiswürdigung darauf beschränkt, die einzelnen Belastungsindizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen, ohne eine Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände vorzunehmen. Denn einzelne Belastungsindizien, die für sich genommen zum Beweis der Täterschaft nicht ausreichen, können doch in ihrer Gesamtheit die für eine Verurteilung notwendige Überzeugung des Tatgerichts begründen. Deshalb bedarf es einer Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt zudem, ob überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 27. April 2010 – 1 StR 454/09, NStZ 2011, 108, 109; vom 1. Februar 2011 – 1 StR 408/10 Rn. 15; vom 7. Juni 2011 – 5 StR 26/11 Rn. 9; vom 7. November 2012 – 5 StR 322/12 Rn. 10; vom 18. Dezember 2012 – 1 StR 415/12 Rn. 28 [insoweit in BGHSt 58, 72 nicht abgedruckt].
35
2. Solche Rechtsfehler liegen hier vor.
36
a) Die Urteilsgründe lassen bereits besorgen, dass das Landgericht, das das Einverständnis der beiden unbekannten Frauen mit den an ihnen vorgenommenen sexuellen Handlungen nicht auszuschließen vermochte (UA S. 35), insoweit einen falschen Beurteilungsmaßstab zugrunde gelegt hat.
37
Einlassungen, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine objektiven Anhaltspunkte gibt, sind nicht ohne weiteres als „unwiderlegbar“ hinzunehmen und den Feststellungen zugrunde zu legen. Das Tatgericht hat vielmehr auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses darüber zu entscheiden, ob derartige Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten Geschehensabläufe zu unterstellen, für deren Vorliegen außer den nicht widerlegbaren, aber auch durch nichts gestützten Angaben des Angeklagten keine Anhaltspunkte bestehen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 18. August 2009 – 1 StR 107/09, NStZ-RR 2010, 85 und vom 6. März 1986 – 4 StR 48/86, BGHSt 34, 29, 34).
38
Das Landgericht hätte deshalb das vom Angeklagten behauptete Einverständnis der von ihm gefilmten unbekannten jungen Frauen nicht ohne nähere Wiedergabe und Erörterung seiner Einlassung als nicht ausgeschlossen ansehen dürfen (UA S. 35). Es hätte sich jedenfalls mit dem Umstand auseinandersetzen müssen, dass es sich um eine eher fernliegende Annahme handelt, die Frauen könnten damit einverstanden gewesen sein, dass sexuelle Handlungen an ihnen im Zustand tiefgreifender Bewusstseinsstörung vorgenommen und davon Fotoaufnahmen angefertigt werden.
39
b) Die Beweiswürdigung ist zudem lückenhaft.
40
Angesichts der Feststellungen zur Verabreichung der Tabletten an die Nebenklägerin hätte das Landgericht näher erörtern müssen, ob die unbekannten Frauen damit einverstanden waren, dass an ihnen im schlafenden oder bewusstlosen Zustand sexuelle Handlungen vorgenommen werden. Zeigte sich nämlich im Fall der Nebenklägerin, dass es dem Angeklagten nicht wesensfremd war, eine Frau gegen deren Willen in einen Zustand der Bewusstlosigkeit oder der Widerstandsunfähigkeit zu versetzen, konnte dies jedenfalls ein Indiz dafür sein, dass auch die gefilmten Frauen nicht freiwillig in diesen Zustand geraten waren. Einer Erörterung hätte dieser Umstand auch deswegen bedurft, weil die Nebenklägerin geäußert hatte, sie habe im Halbschlaf wahrgenommen, dass der Angeklagte ihre Hand hochhob und wieder fallen ließ (UA S. 14). Eine solche Handlung ist auch auf einer der Filmaufnahmen zu sehen (UA S. 31).
41
c) Schließlich fehlt es auch an der gebotenen Gesamtwürdigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände. Die Beweiswürdigung der Strafkammer lässt nicht erkennen, dass sich das Landgericht des Umstandes bewusst war, dass einzelne Belastungsindizien, die für sich genommen zum Beweis der Täterschaft nicht ausreichen, doch in ihrer Gesamtheit die für eine Verurteilung notwendige Überzeugung des Tatgerichts begründen können (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 1986 – 2 StR 353/86; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung , unzureichende 1).

II.

42
Soweit das Landgericht bei der vom Angeklagten eingeräumten Tat zum Nachteil der Nebenklägerin sexuelle Handlungen und damit eine sexuelle Nöti- gung oder Vergewaltigung (§ 177 StGB) als nicht nachweisbar angesehen hat (UA S. 24 ff.), hält die Beweiswürdigung ebenso rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
43
Zwar wurde der Angeklagte insoweit nicht freigesprochen, sondern wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 StGB) sowie – insoweit rechtsfehlerhaft (vgl. MüKo-StGB/Joecks, 2. Aufl., § 223 Rn. 116, § 224 Rn. 52) – in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 StGB) verurteilt. Im Fall einer Nichtverurteilung wegen eines idealkonkurrierenden Delikts aus tatsächlichen Gründen gilt jedoch für das Revisionsgericht derselbe Prüfungsmaßstab wie bei Freisprüchen. Es hat auf die Sachrüge hin zu prüfen, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind, insbesondere, ob die Beweise erschöpfend gewürdigt worden sind. Solche Rechtsfehler in der Beweiswürdigung liegen hier vor.
44
1. Das Landgericht hat bereits den Anwendungsbereich des Zweifelssat- zes verkannt. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ ist keine Beweis-, sondern eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst dann zu befolgen hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung von der Täterschaft zu gewinnen vermag. Auf einzelne Elemente der Beweiswürdigung ist er grundsätzlich nicht anzuwenden (vgl. BGH, Urteil vom 22. Mai 2007 – 1 StR 582/06).
45
Hier hat das Landgericht einzelne Indizien, wie etwa das Vorhandensein männlicher DNA am Bund des von der Nebenklägerin getragenen Slips oder das festgestellte Drehen und Wenden der Nebenklägerin jeweils isoliert mit der Begründung als Belastungsindiz ausgeschieden, dass sich daraus nicht zwingend eine sexuelle Handlung ergebe bzw. dies keine sichere Überzeugung von sexuellen Handlungen zulasse (UA S. 24). Dies ist rechtsfehlerhaft. Das Land- gericht hätte der DNA-Spur am Bund des Slips der Nebenklägerin nicht deshalb jegliche Indizwirkung absprechen dürfen, weil es Zweifel an ihrer Verursachung durch den Angeklagten hatte (UA S. 24). Vielmehr hätte es dieses Indiz, wenn auch mit eingeschränktem Beweiswert, in die gebotene Gesamtwürdigung einstellen müssen.
46
2. Zudem werden wesentliche Umstände vom Landgericht nicht erörtert, obwohl dies nahegelegen hätte.
47
a) Die Urteilsgründe lassen nicht erkennen, an welchen Stellen genau die Nebenklägerin Hämatome erlitten hat und welche Handlungen des Angeklagten hierfür ursächlich gewesen sein können. Dies wäre jedoch erforderlich gewesen, um einen möglichen Sexualbezug der Gewaltanwendung beurteilen zu können. So lässt sich etwa der Umstand, dass der Angeklagte der Nebenklägerin ihre Knie auf die Brust drückte und diese daraufhin einen länger anhaltenden Druck auf dem Brustkorb verspürte (UA S. 9, 14), nicht ohne weiteres mit einem vom Landgericht in den Blick genommenen nicht sexualbezogenen „Entfernen der Kleidung“ (UA S. 24)erklären. Vielmehr legt dies eine der Nebenklägerin aufgezwungene unnatürliche Haltung nahe, bei der das Genital entblößt wird, was eine nachfolgende Manipulation, wie sie auf den Videos der unbekannten Frauen erkennbar ist, leicht ermöglicht.
48
b) Soweit sich das Landgericht nicht davon überzeugen konnte, dass der Angeklagte Spurenverursacher der DNA-Antragungen männlichen Ursprungs am Bund (Innen- und Außenseite) des Slips der Nebenklägerin war (UA S. 24), verhalten sich die Urteilsgründe nicht dazu, ob überhaupt ein anderer Spurenverursacher in Betracht kommt.
49
c) Schließlich hätte das Landgericht erörtern müssen, dass die auf den Videosequenzen an den unbekannten Frauen dokumentierten sexuellen Hand- lungen ebenfalls nicht mit einem Eindringen verbunden waren, sodass – worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat – das Fehlen entsprechender medizinischer Befunde oder von Sperma vor dem Hintergrund der von dem Angeklagten geübten Praktiken sexuelle Handlungen nicht ausschließt.
50
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass in einer neuen tatgerichtlichen Hauptverhandlung eine Verurteilung des Angeklagten wegen Sexualdelikten möglich ist.

III.

51
Das Urteil ist somit auf die Revision der Staatsanwaltschaft insgesamt mit den Feststellungen aufzuheben; die Sache ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.

C.

52
Die wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision des Angeklagten ist unbegründet, die Strafzumessung weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
53
1. Entgegen der Auffassung der Revision des Angeklagten hat das Landgericht die Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs gemäß § 46a Nr. 1 StGB als vertyptem Strafmilderungsgrund ohne Rechtsfehler verneint.
54
a) Nach § 46 Abs. 2 StGB ist das Nachtatverhalten des Täters, insbesondere sein Bemühen um Wiedergutmachung und das Erstreben eines Ausgleichs mit dem Verletzten, bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Vor diesem Hintergrund muss bereits aus gesetzessystematischer Sicht der vertyp- te Strafmilderungsgrund des § 46a StGB an weitergehende Voraussetzungen geknüpft sein (vgl. BGH, Urteil vom 31. Mai 2002 – 2 StR 73/02, insoweit nicht abgedruckt in NStZ 2002, 646).
55
Nach § 46a Nr. 1 StGB kann zwar das ernsthafte Bemühen des Täters um Wiedergutmachung, das darauf gerichtet ist, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, genügen. Die Vorschrift setzt aber nach der gesetzgeberischen Intention (BT-Drucks. 12/6853, S. 21, 22) und nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer voraus, der auf einen umfassenden, friedensstiftenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen angelegt sein muss. Das einseitige Wiedergutmachungsbestreben ohne den Versuch der Einbeziehung des Opfers genügt nicht (vgl. BGH, Urteil vom 27. August 2002 - 1 StR 204/02, NStZ 2003, 29). Wenn auch ein Wiedergutmachungserfolg nicht zwingende Voraussetzung ist (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2001 - 1 StR 333/01, NStZ 2002, 29), so muss sich doch das Opfer auf freiwilliger Grundlage zu einem Ausgleich bereitfinden und sich auf ihn einlassen. Ein erfolgreicher Täter-Opfer-Ausgleich im Sinne von § 46a Nr. 1 StGB setzt grundsätzlich voraus, dass das Opfer die erbrachten Leistungen oder Bemühungen des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert (vgl. BGH, Urteile vom 26. August 2003 – 1 StR 174/03, NStZRR 2003, 363 und vom 12. Januar 2012 – 4 StR 290/11, NStZ 2012, 439; jeweils mwN). Das ergibt sich aus der ratio und der Entstehungsgeschichte dieser Norm. Der Täter muss zudem mit dem ernsthaften Bestreben handeln, das Op- fer „zufriedenzustellen“. Ob dernach § 46a Nr. 1 StGB erforderliche kommunikative Prozess gegeben ist, ist im Einzelfall anhand deliktsspezifischer Gesichtspunkte zu prüfen (BGH, Urteil vom 31. Mai 2002 – 2 StR 73/02, NStZ 2002, 646, 647).

56
b) Hier hat das Landgericht ausgehend von zutreffenden Maßstäben das Vorliegen der Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs im Sinne von § 46a Nr. 1 StGB rechtsfehlerfrei verneint.
57
Zwar schloss der Verteidiger des Angeklagten in der Hauptverhandlung mit der Nebenklägerin einen Vergleich über ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 Euro, das ab dem 1. Januar 2015 in monatlichen Teilbeträgen von 250 Euro gezahlt werden sollte. Dies genügte für die Annahme eines TäterOpfer -Ausgleichs hier jedoch nicht.
58
Dem Vergleich fehlte bereits die für einen friedensstiftenden Ausgleich mit der Nebenklägerin erforderliche Einbeziehung des Sexualbezugs der dem Angeklagten vorgeworfenen Handlungen. Er bezog sich ersichtlich – ebenso wie die zuvor erfolgte Entschuldigung – allein auf die Verabreichung der benzodiazepinhaltigen Tabletten, nicht aber auf die Vornahme sexueller Handlungen (UA S. 11).
59
Zudem hat sich das Landgericht rechtsfehlerfrei davon überzeugt, dass der in der Hauptverhandlung abgeschlossene Vergleich ohne vorherige Einbeziehung der Nebenklägerin in einen kommunikativen Prozess vorwiegend Mittel zur Vermeidung einer längeren Freiheitsstrafe für den Angeklagten sein sollte. Im Hinblick darauf, dass noch keinerlei Zahlungen geleistet waren und auch der in Aussicht gestellte Zahlungsbeginn erst zehn Monate in der Zukunft liegen sollte, begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht dieses Verhalten gegenüber dem Opfer nicht als Ausdruck der Übernahme von Verantwortung , sondern als prozesstaktisches Vorgehen des Angeklagten (UA S. 29) gewertet hat. Das Landgericht hat nicht verkannt, dass auch in der Hauptverhandlung noch ein friedensstiftender Täter-Opfer-Ausgleich möglich ist. Es hat sich vielmehr davon überzeugt, dass die vom Angeklagten vorgenommenen Ausgleichsbemühungen nicht vom Willen zu einem friedensstiftenden Gesamtausgleich mit der Nebenklägerin getragen waren. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Somit fehlte es an einem Täter-OpferAusgleich im Sinne von § 46a Nr. 1 StGB.
60
Der Angeklagte wird jedoch Gelegenheit haben, bis zur neuen Hauptverhandlung vor dem Tatgericht weitere Bemühungen um einen Täter-OpferAusgleich mit der Nebenklägerin zu unternehmen, um dadurch die Voraussetzungen einer Strafrahmenverschiebung gemäß § 46a Nr. 1, § 49 Abs. 1 StGB zu schaffen.

61
2. Auch im Übrigen hält die Strafzumessung rechtlicher Nachprüfung stand. Insbesondere hat das Landgericht aufgrund einer Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände rechtsfehlerfrei das Vorliegen eines minder schweren Falls der gefährlichen Körperverletzung ausgeschlossen. Rothfuß Graf Jäger Radtke Mosbacher

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5StR 55/15
vom
3. Juni 2015
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Brandstiftung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Juni 2015,
an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander
als Vorsitzender,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dr. Berger,
Richter Bellay,
Richter Dr. Feilcke
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin C. ,
Rechtsanwalt K.
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 19. März 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen von den Vorwürfen freigesprochen, eine versuchte schwere Brandstiftung in Tateinheit mit Brandstiftung und mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz sowie eine schwere Brandstiftung in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz begangen zu haben, und ihm Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen zugesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat schon mit der Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht mehr an.

I.


2
1. Zu den in der Anklage erhobenen Vorwürfen hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
3
In den frühen Morgenstunden des 11. Juni 2011 gegen 3:20 Uhr kam es zunächst auf dem Gelände des Zustellstützpunkts der Deutschen Post in Spremberg zu einem Brand von Lieferfahrzeugen, der mittels offener Flamme bei zwei Fahrzeugen gelegt worden war. Insgesamt sieben Fahrzeuge, die auf zwei sich gegenüberliegenden Hofseiten jeweils nebeneinander stehend abgestellt waren, brannten aus. Ein Teil der Fahrzeuge stand vor der Wand eines zur Tatzeit von mehreren Menschen bewohnten Wohnhauses, deren Isolierung großflächig abbrannte. Außerdem wurden durch die Hitzeeinwirkung ein weiteres Kraftfahrzeug, ein überdachter Fahrradständer sowie drei Fahrräder der Deutschen Post beschädigt. Ihr Gesamtschaden belief sich auf ca. 35.000 Euro. An dem Wohnhaus entstand ein Schaden von ca. 27.000 Euro.
4
Der unbestrafte, zur Tatzeit 21 Jahre alte Angeklagte war Mitglied des Jugendclubs „P. e.V.“, der als Vereinsräumlichkeit ein Hinterhaus auf ei- nem Grundstück an einer Nachbarstraße des Postgeländes nutzt. Dorthin hatte sich der Angeklagte in der Nacht zwischen 1:00 Uhr und 2:00 Uhr begeben, nachdem er sich abends gegen 22:00 Uhr per SMS vergeblich mit einer Be- kannten zu einer „Aktion“ mit Treffpunkt beim Jugendclub zu verabreden ver- sucht hatte, zu der er ihre Nachfrage auf dem Kurznachrichtenweg nicht beantworten wollte. Noch zuvor hatte der Angeklagte, der ein vorübergehend vom Dienst suspendiertes Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr war, abends gegen 20:00 Uhr bei einem Treffen der Freiwilligen Feuerwehren aus der Region vorbeigeschaut , die an diesem Tag in Spremberg ihren alljährlichen Pokal- Wettkampf austrugen. Wo sich der Angeklagte im weiteren Verlauf der Tatnacht aufhielt, blieb ungeklärt.
5
Kurz nach Ausbruch des Brandes wurde in einer nahe dem Postgelände gelegenen Gasse ein schwarzer Stoffbeutel mit Glasscherben und einem De- ckel gefunden, in dessen Innenseite als Zeichen die Zahl „3“ oder der Buchstabe „M“ eingeritzt war. In dem Stoffbeutel, von demstarker Benzingeruch ausging und an dem Kraftstoffreste nachgewiesen wurden, befanden sich schwarzes Gewebeklebeband und ein Stofffetzen, der eine vom Angeklagten herrührende DNA-Spur aufwies. Weitere DNA-Mischspuren an Deckel und Klebeband stammten nicht von ihm. Schwarzes Klebeband der Art, wie es im Stoffbeutel aufgefunden wurde, befand sich auf einer Klebebandrolle in den Räumen des Jugendclubs. Kurz nach dem Löschen des Brandes wurde bemerkt, dass eines der Post-Fahrräder auf dem Hofgelände nicht wie üblich im Fahrradständer abgestellt war, sondern an der Innenseite einer über zwei Meter hohen Mauer stand, die das Gelände von einer angrenzenden Straße trennt; das Zugangstor zum Hof war zur Tatzeit verschlossen. Auf dem Sattel des Fahrrades, das erst am 16. Juni 2011 sichergestellt wurde, befand sich der Schuhabdruck eines Stiefels des Angeklagten.
6
Wenige Minuten nach der Brandlegung auf dem Postgelände brannte in Spremberg in einer Kleingartenanlage eine bungalowartige Laube, in der die Eheleute G. nächtigten. Der Zeuge G. hatte sich bereits planmäßig gegen 3:20 Uhr wegen eines frühen Arbeitstermins wecken lassen, als er plötzlich rollende Geräusche vom Laubendach her hörte. Als er nach draußen trat, sah er an der Rückseite der Laube Flammen aufsteigen. Trotz seiner Löschversuche brannte die Laube aus. Durch den Brand entstand ein Sachschaden von über 10.000 Euro. Nach Beendigung der Löscharbeiten wurde bei der Spurensuche unmittelbar neben der Laube eine offene, mit schwarzem Klebeband versehene Glasflasche gefunden, auf die mit blauer Farbe der Buch- stabe „F“ geschrieben war.In der Flasche befand sich noch Flüssigkeit, in der mit Löschwasser vermischt Reste von Benzin nachgewiesen wurden. Ca. 10 bis 20 Meter von der Laube entfernt lagen an einer Böschung neben einem an der Kleingartenanlage entlang führenden Fahrradweg unter anderem drei Schraubdeckel mit schwarzem Klebeband, in deren Innenseiten die Zahlen „1“, „4“ und „5“ eingeritzt waren,eine Glasflasche mit einem Stofffetzen, auf die mit blauer Farbe die Zahl „5“ geschrieben war, und ein weißer Stoffbeutel. An zwei Schraubdeckeln und an dem Stoffbeutel befanden sich DNA-Spuren, die von dem Angeklagten herrührten; an dem weiteren Schraubdeckel befand sich eine nicht von dem Angeklagten stammende DNA-Spur. Das schwarze Klebeband war von der gleichen Art wie jenes auf der Klebebandrolle in den Räumen des Jugendclubs, bei der es sich um Massenware handelte.
7
Am Morgen nach den Bränden lief eine Hundeführerin mit einem Fährtenhund, dem als Geruchsspur der in der Gasse nahe dem Postgelände aufgefundene schwarze Stoffbeutel vorgehalten worden war, von dessen Fundort über den durch die Kleingartenanlage führenden Fahrradweg an der abgebrannten Laube vorbei bis zu den Räumlichkeiten des Jugendclubs. Bei der anschließenden Durchsuchung wurden dort ein Plastikkanister mit Benzin, eine leere Glasflasche mit einem Deckel, in dessen Innenseite der Buchstabe „R“ eingeritzt war, und die Rolle mit schwarzem Klebeband sichergestellt.
8
2. Das Landgericht hat sich von der Täterschaft des Angeklagten, der sich zu den Tatvorwürfen in der Hauptverhandlung nicht eingelassen hat, nicht überzeugen können. Hinsichtlich des Brandes der Gartenlaube ist das Landgericht im Anschluss an das Gutachten eines Sachverständigen zu der Überzeu- gung gelangt, dass zwar die genaue Brandursache, die von den Ermittlungsbehörden nicht ermittelt worden sei, nicht mehr festzustellen sei, ein von der Anklage angenommener Wurf eines „Molotow-Cocktails“ auf das Laubendach den Brand aber nicht verursacht haben könne. Vielmehr habe sich der Brand vom Innenraum des Daches nach außen hin ausgebreitet.
9
Für eine Täterschaft des Angeklagten bei dem Brand auf dem Postgelände sprächen zwar einige Indizien wie der Schuhabdruck des Angeklagten auf dem Sattel des Zustellfahrrades, der ihn unmittelbar mit dem Tatort in Verbindung bringe, und seine DNA am Stofffetzen im Beutel in unmittelbarer Tatortnähe , in dem sich Utensilien befunden hätten, die zur Herstellung eines Brandsatzes geeignet und wohl auch bestimmt gewesen seien. Diese und die weiteren Indizien reichten jedoch auch in der Gesamtschau nicht aus, um den Angeklagten der Brandstiftung zu überführen.

II.


10
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, denn die Beweiswürdigung des Landgerichts (§ 261 StPO) hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
11
a) Das Revisionsgericht muss es zwar grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts ; die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob ihm Rechtsfehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene Anfor- derungen gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16). Insbesondere ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH, Urteile vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401; vom 20. Mai 2009 – 2 StR 576/08, NStZ 2009, 630; vom 12. Januar 2012 – 4 StR 499/11, insoweit in NStZ 2012, 648 nicht abgedruckt; vom 20. Juni 2012 – 5 StR 536/11, NJW 2012, 2453, 2454, und vom 29. April 2015 – 5 StR 79/15).
12
b) Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht.
13
aa) Das Landgericht hat der vom Angeklagten herrührenden Schuhabdruckspur auf dem Sattel des Zustellfahrrades, das naheliegend als Steighilfe zur Überwindung der Mauer diente, den Beweiswert als Indiz, das den Angeklagten unmittelbar mit dem Tatort in Verbindung bringt, rechtsfehlerhaft aufgrund lediglich theoretischer Erklärungsansätze abgesprochen. Es durfte mangels in diese Richtung zielender objektiver Anhaltspunkte zugunsten des – in der Hauptverhandlung schweigenden – Angeklagten als alternative Erklärung für die Verursachung des Abdrucks nicht unterstellen, er könne nachträglich aus Neugierde auf das Postgelände gegangen sein und sich auf den Sattel gestellt haben, um sich den Tatort näher anzuschauen.
14
Diese hypothetische Möglichkeit lag nach den Gesamtumständen zudem äußerst fern: Das an der Mauer lehnende Fahrrad war bereits kurz nach dem Löschen des Brandes bemerkt worden (UA S. 9), und noch am Tattag war der Angeklagte mittags vorläufig festgenommen und als Beschuldigter vernommen worden. Wenn die Strafkammer meint, der Angeklagte habe auch im weiteren Zeitverlauf Gelegenheit gehabt, die Spuren auf dem Fahrrad zu hinterlassen, „weil der mögliche Tatort spätestens nach dem Pfingstwochenende nicht mehr abgesperrt war“ (UA S. 20), berücksichtigt es nicht, dass der Angeklagte in die- ser Zeit gar keinen Anlass mehr gehabt hatte, von dem Fahrrad aus den Brandort anzuschauen; denn die Inaugenscheinnahme wäre nach Öffnung des Geländes für die Allgemeinheit aus der Nähe und wesentlich einfacher als durch Erklettern eines Fahrradsattels möglich gewesen. Dass sich auf dem Sattel des Fahrrades Spuren befänden, war der Polizei im Übrigen schon am Pfingstmontag, dem 13. Juni 2011, von einer Sicherheitsmitarbeiterin der Deutschen Post mitgeteilt worden (UA S. 11), also noch bevor das Postgelände im Rahmen der Aufnahme des Dienstbetriebes wieder der Öffentlichkeit zugänglich wurde. Schließlich hätte ein Besteigen des Fahrrades an dem festgestellten vom Brandgeschehen abgelegenen Standort zwar einen Blick über die Mauer auf den auch vom Landgericht für möglich gehaltenen Fluchtweg (UA S. 21) zugelassen, jedoch keine nähere Betrachtung des rückseitig gelegenen Tatorts ermöglicht.
15
bb) Mit dem den Angeklagten erheblich belastenden Indiz seiner DNASpuren auf dem Stofffetzen, der mitsamt der weiteren im Stoffbeutel in unmittelbarer Nähe des ersten Tatorts gefundenen Utensilien zur Herstellung eines Brandsatzes geeignet war (UA S. 19), hat sich das Landgericht lediglich isoliert auseinandergesetzt, indem es die Wertung traf, dass diese Spuren „allein nicht den Beweis der Täterschaft des Angeklagten“ erbrächten (UA S. 22).Abgese- hen davon, dass auch insoweit wiederum konkrete Anhaltspunkte für die Annahme des Landgerichts fehlen, ein Alternativtäter könne im Jugendclub den Stofffetzen mit der DNA des Angeklagten an sich genommen und verwandt ha- ben, hätte schon hier auch der Umstand Berücksichtigung finden müssen, dass allein der Angeklagte in der Tatnacht in den ebenfalls in Tatortnähe befindlichen Räumen des Jugendclubs von deren Vermieter gesehen worden ist.
16
cc) Dies hat das Landgericht ebenfalls bei seiner eher formelhaft vorgenommenen Gesamtabwägung unbeachtet gelassen und auch im Übrigen die Vielzahl der vorhandenen Beweisanzeichen nicht erkennbar zueinander in Beziehung gesetzt. Diese Vorgehensweise lässt besorgen, dass das Landgericht den Blick dafür verloren hat, dass Indizien, auch wenn sie einzeln betrachtet nicht zum Nachweis der Täterschaft ausreichen, doch in ihrer Gesamtheit dem Gericht die entsprechende Überzeugung vermitteln können (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteile vom 26. Mai 1999 – 3 StR 110/99, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 20, und vom 7. November 2012 – 5 StR 322/12), und dass es hierdurch zugleich überspannte Anforderungen an die tatgerichtliche Überzeugungsbildung gestellt hat.
17
dd) Überdies enthält die Beweiswürdigung Lücken.
18
(1) Zunächst fehlt es an einer, bei der hier gegebenen Beweislage unerlässlichen , näheren und in sich geschlossenen Darlegung der Einlassung des Angeklagten in seiner Beschuldigtenvernehmung im Ermittlungsverfahren. Seine diesbezüglichen polizeilichen Angaben sind in den Urteilsgründen lediglich so bruchstückhaft und verstreut mitgeteilt worden, dass keine revisionsgerichtliche Überprüfung erfolgen kann (vgl. BGH, Urteile vom 3. August 2011 – 2 StR167/11, NStZ 2012, 227, 228, und vom 7. Juni 2011 – 5 StR 26/11). Das Landgericht selbst hat die Einlassung als in Teilen „merkwürdig“ bewertet (UA S. 27), wobei offen bleibt, worauf diese Wertung fußt. Auch insoweit hat das Landgericht im Übrigen mit der Spekulation, der Angeklagte habe sich „viel- leicht zunächst in der Rolle des Tatverdächtigen“ gefallen oder „tatsächlich Kenntnis von den ‚wahren‘ Tätern“ gehabt und diese decken wollen, erneut nicht beachtet, dass Unterstellungen zugunsten eines Angeklagten nur dann rechtsfehlerfrei sind, wenn hierfür reale Anknüpfungspunkte bestanden.
19
(2) Zutreffend beanstandet die Revision zudem, dass die Darlegungen unzureichend sind, mit denen das sachverständig beratene Landgericht seine Annahme begründet hat, der Brand der Laube habe sich – bei ungeklärter Brandursache – vom Innenraum des Daches ausgehend nach außen ausge- breitet und eine Brandverursachung durch den Wurf eines „Molotow-Cocktails“ sei demgemäß ausgeschlossen (UA S. 13, 15). Insbesondere hat sich das Landgericht im Zusammenhang mit seiner Beweiswürdigung zur Brandentstehung und den hierzu mitgeteilten Erwägungen des Sachverständigen nicht näher mit der Spurenlage befasst, die eine Inbrandsetzung von außen nahelegt. So wurde unmittelbar neben der abgebrannten Laube unter einem Fenster eine Glasflasche mit einem Benzinrest sichergestellt, deren Fund sich mit dem vom Zeugen G. vernommenen rollenden Geräusch vom Dach her unschwer in Einklang bringen lässt. Zudem wurde wenige Meter von der Laube entfernt eine weitere Glasflasche mit Stofffetzen gefunden, die ebenso wie die am Brandort sichergestellte eine Markierung in blauer Farbe aufwies. Unberücksichtigt geblieben ist weiter der Umstand, dass der Zeuge G. nach dem Verlassen der Laube an der Rückseite des Bungalows Flammen aufsteigen sah, während nach den Feststellungen der Brand im Dach(innen)bereich ausgebrochen sein soll.
20
Die Urteilsgründe lassen darüber hinaus nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit erkennen, inwieweit und aus welchen Gründen der gerichtliche Sachverständige in seinem mündlich erstatteten Gutachten von seinem vorläu- figen schriftlichen Gutachten abgewichen und offenbar zu einer geänderten Einschätzung des Brandverlaufs gelangt ist (vgl. zu den Darlegungsanforderungen bei Widerspruch zwischen vorbereitendem schriftlichen und mündlichen Sachverständigengutachten BGH, Beschluss vom 13. Juli 2004 – 4 StR 120/04, NStZ 2005, 161 mwN; s. auch BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 – 2 StR328/11). Den Urteilsgründen ist lediglich zu entnehmen, dass es eine Divergenz zwischen den schriftlichen und den mündlichen Ausführungen des Sachverständigen gab, der in der Hauptverhandlung von einer Brandentwicklung vom Inneren des Daches nach außen hin ausgegangen ist. Aufgrund welcher konkreten Erkenntnisse sich eine abweichende frühere Beurteilung des Sachverständigen als unrichtig erwiesen haben sollte, teilen die Urteilsgründe nicht mit, die nur auf weitere nicht näher beschriebene Lichtbilder und eine erneute Befragung des zuvor schon vernommenen Zeugen G. hinweisen. Damit ist eine revisionsgerichtliche Überprüfung, ob das in der Hauptverhandlung erstattete Gutachten, das eine Inbrandsetzung der Gartenlaube ausgeschlossen hat, zutreffend zu einem anderen Ergebnis als das vorbereitende Gutachten gelangt ist, nicht möglich.
21
2. Das Urteil beruht auch auf den aufgezeigten Darstellungs- und Beweiswürdigungsmängeln ; der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung und der gebotenen wertenden Gesamtschau aller be- und entlastenden Indizien die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten gewonnen hätte.
22
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass gegen eine Verwertbarkeit der Einlassung des Angeklagten in seiner haftrichterlichen Beschuldigtenvernehmung vom 12. Juni 2011 (UA S. 28), deren Nicht- verwertung die Revision mit einer Inbegriffsrüge (§ 261 StPO) beanstandet hat, nach bisherigem Stand keine durchgreifenden Bedenken ersichtlich sind.

III.


23
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Zuerkennung von Haftentschädigung ist damit gegenstandslos.
Sander Schneider Berger
Bellay Feilcke
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja, aber ohne die Ausführungen zu II. 2a und 3a (Verfahrensrügen
)
Veröffentlichung: ja
BranntwMonG §
143
1. Für ein Entziehen von verbrauchsteuerpflichtigen Waren aus
einem Steueraussetzungsverfahren reicht ein Verhalten aus, mit dem
eine bestehende Kontrolle oder Kontrollmöglichkeit über Waren
beseitigt wird, so daß für die Zollbehörden die Eigenschaft der Waren
als verbrauchsteuerpflichtig, aber unversteuert nicht mehr erkennbar ist.
2. Jedes in den Gesamtablauf eingebundene Mitglied einer Schmuggelorganisation
ist zur Anmeldung der durch die Entziehung entstandenen
Verbrauchsteuern verpflichtet und damit tauglicher Täter einer Steuerhinterziehung
im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, wenn es nach
allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen als Mittäter der Entziehung
anzusehen ist.
3. Zur Berücksichtigung der gesamtschuldnerischen Haftung der Mitglieder
einer Schmuggelorganisation für entstandene Verbrauchsteuern im
Rahmen der Strafzumessung.
BGH, Urt. v. 24. Oktober 2002 – 5 StR 600/01
LG Berlin –

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 24. Oktober 2002
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Steuerhinterziehung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
vom 23. und 24. Oktober 2002, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt H ,
Rechtsanwältin S
als Verteidiger des Angeklagten Ha ,
Rechtsanwalt St ,
Professor J
als Verteidiger des Angeklagten R ,
Rechtsanwalt D
als Verteidiger des Angeklagten T ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
am 24. Oktober 2002 für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten Ha und R wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 8. Juni 2001 im Strafausspruch aufgehoben.
2. Auf die Revision des Angeklagten T wird das ihn betreffende, weitere Urteil des Landgerichts Berlin vom selben Tage im Strafausspruch aufgehoben.
3. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat die Angeklagten Ha und R wegen Steuerhinterziehung in sieben Fällen, jeweils begangen in Tateinheit mit Urkundenfälschung , zu Gesamtfreiheitsstrafen von vier Jahren und sechs Monaten bzw. drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Den Angeklagten T hat es nach Abtrennung des Verfahrens durch gesondertes Urteil wegen Steuerhinterziehung in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die gegen ihre Verurteilung gerichteten Revisionen der Angeklagten haben nur zum Strafausspruch Erfolg.

I.


Nach den Feststellungen des Landgerichts gehörten die Angeklagten spätestens seit Herbst 1998 zu einer Personenvereinigung, die arbeitsteilig im Rahmen einer eingespielten Organisation fortgesetzt Alkohol in erheblichem Umfang aus der Europäischen Union an den Zollbehörden vorbei nach Polen schmuggelte. Dabei wurden im Zeitraum zwischen Mitte Dezember 1998 und Ende März 1999 von Mitgliedern dieser Schmuggelorganisation unter Mitwirkung der Angeklagten sieben Transporte mit je 28.600 Litern (ein Lkw) bzw. 57.200 Litern (zwei Lkw) extra reinen Alkohols (96 %iger Feinsprit) von Frankreich nach Polen geschmuggelt, die jeweils zunächst im innergemeinschaftlichen Steuerversandverfahren unter Steueraussetzung zur Ausfuhr in die Ukraine abgefertigt worden waren. Die von der Organisation für den Schwarzmarkt in Polen bestimmten Alkoholtransporte wurden, um das in Polen bestehende Einfuhrverbot für Alkohol zu umgehen und um die nicht ordnungsgemäße Ausfuhr aus der Europäischen Union zu verschleiern, bei der Ausfuhr aus Deutschland als Chemikalien deklariert und unter Täuschung der Zollbehörden über die wahre Ladung nach Polen eingeführt. Dazu wurden auf deutschem Hoheitsgebiet die im Steueraussetzungsverfahren mitzuführenden französischen begleitenden Verwaltungsdokumente (DCA) gegen gefälschte CMR-Frachtbriefe ausgetauscht, die als Ladung Chemikalien auswiesen. Anschließend wurde der jeweils bis dahin auf Lastkraftwagen beförderte und von Mitgliedern der Organisation in Personenkraftwagen begleitete Alkohol in Hamburg in Bahncontainer umgeladen und per Eisenbahn nach Polen versandt. Durch die Nichtanmeldung der dem Steuerversandverfahren in den sieben Fällen entnommenen Alkoholtransporte wurde Branntweinsteuer in Höhe von mehr als 7,7 Mio. DM hinterzogen.
Im Rahmen der Arbeitsteilung bei Durchführung der Transporte war der Angeklagte T für den Einkauf des Alkohols in Frankreich und dessen Bezahlung zuständig. Hierbei erhielt er für jede Lkw-Ladung Alkohol von der Schmuggelorganisation eine „Belohnung“ von mindestens 3.000 DM. Insgesamt bestellte er bis März 1999 sechzig Lkw-Ladungen Alkohol. Zu der Organisation gehörte auch sein Bruder, der gesondert verfolgte P T , der zusammen mit weiteren, zumeist unbekannt gebliebenen Personen aus Polen die Transporte steuerte, die Tarnpapiere beschaffte und den Absatz des Alkohols auf dem Schwarzmarkt in Polen organisierte. In den Aufgabenbereich des Angeklagten Ha fiel die Abwicklung der Umladung der bereits mit gefälschten Frachtpapieren angelieferten Alkoholladungen in Bahncontainer sowie die Prüfung der gefälschten CMR-Frachtbriefe auf ihre Eignung zur Täuschung. Zur Abwicklung der Umladung zog er den Angeklagten R hinzu, der als einer der geschäftsführenden Gesellschafter die Lagerei Sch im Hamburger Freihafen leitete. Für ihre Mitwirkung erhielten der Angeklagte Ha von der Organisation 3.000 DM je umgeladener Lkw-Ladung, der Angeklagte R 1.000 DM pro Container. Daneben durfte der Angeklagte R in den vier Fällen, in denen die Umladung auf dem Gelände der Firma Sch durchgeführt wurde (Fälle 1 bis 4 der Urteilsgründe), als „Risikozuschlag“ eine Rechnung mit einer Gewinnspanne von 500 DM statt üblicherweise 100 DM pro Container stellen.
Die verfahrensgegenständlichen Transporte gingen im einzelnen wie folgt vonstatten:
Der Alkohol wurde von der Organisation bei der Distillerie G in Aigre/Frankreich bezogen. Dort bestellte der Angeklagte T jeweils die entsprechende Abnahmemenge. Anschließend wickelte er die Bezahlung – zumeist persönlich in bar – über die Luxemburger Firma E des Zeugen K ab. Nachdem die Firma E der Herstellerfirma die Bezahlung des Kaufpreises bestätigt hatte, eröffnete diese als Versender ein
Steuerversandverfahren unter Steueraussetzung zur Ausfuhr aus dem Ver- brauchsteuergebiet der Europäischen Gemeinschaft über das Grenzzollamt Frankfurt/Oder. Als Empfänger wurde die Firma „V “ in Vinogradov/Ukraine angegeben, die von der Schmuggelorganisation speziell zu dem Zweck gegründet worden war, als Tarnempfängerin aufzutreten. Der Alkohol wurde dann von Mitgliedern der Schmuggelorganisation mit Lastzügen statt zum Ausgangszollamt Frankfurt/Oder nach Hamburg gebracht. Vor der Anlieferung im Hamburger Hafen wurden die französischen, bei Alkoholtransporten im Steuerversandverfahren mitzuführenden begleitenden Verwaltungsdokumente (DCA) auf deutschem Hoheitsgebiet gegen CMRFrachtbriefe ausgetauscht, die als Ladung Chemikalien auswiesen und als Versender deutsche Tarnadressen nannten. Bei den CMR-Frachtbriefen handelte es sich um Totalfälschungen, die von Mitgliedern der Organisation in Polen für diesen Zweck hergestellt worden waren. Die begleitenden Verwaltungsdokumente (DCA) wurden mit nachgemachten Ausfuhrstempeln an die Firma G , welche die Steuerversandverfahren eröffnet hatte, zurückgesandt. Damit sollte der Anschein einer ordnungsgemäßen Ausfuhr des Alkohols unter zollamtlicher Überwachung erweckt werden. Ziel des Austausches der Frachtpapiere war die Täuschung der polnischen Zollbehörden zur Umgehung des polnischen Einfuhrverbotes.
Der Angeklagte Ha prüfte sodann die gefälschten CMRFrachtbriefe auf ihre Eignung zur Täuschung und wickelte mit dem Angeklagten R die Umladung der Alkoholtransporte zum Weiterversand mit Bahncontainern nach Polen ab. Zur Verschleierung der Alkoholtransporte schalteten sie die Firma I aus Campione, einer italienischen Enklave in der Schweiz ein, welche mit der Umladung von „Chemikalien“ und deren anschließenden Transport nach Polen unter Einschaltung der Spedition Rü beauftragt wurde. In den Fällen 1 bis 4 der Urteilsgründe wurde der angelieferte Alkohol auf dem Gelände der Firma Sch C , in den übrigen Fällen bei einer anderen Firma im Hamburger Hafen, in Bahncontainer umgeladen.
Bei Abwicklung der Transporte hielt der Angeklagte Ha Kontakt zu P T und weiteren polnischen Hintermännern und übermittelte ihnen die Containernummern. Diese wurden ihm jeweils vom Angeklagten R mitgeteilt, der mit dem Geschäftsführer der Firma I in Verbindung stand und – sofern die Umladungen nicht auf seinem Firmengelände stattfanden – die Containernummern bei der Spedition Rü erfragte.
Alle drei Angeklagten nahmen zumindest billigend in Kauf, daß durch den Austausch der Frachtpapiere in Deutschland und einer damit verbundenen Entziehung der Alkoholtransporte aus der zollamtlichen Überwachung deutsche Branntweinsteuer entstand; dennoch gaben sie entsprechende Steueranmeldungen nicht ab. Sie hielten einerseits eine ordnungsgemäße Ausfuhr aus der Europäischen Union mit anschließendem Einführen unter falscher Warenbezeichnung nach Polen wegen der Zusammenarbeit der deutschen und polnischen Grenzkontrollstellen nicht für möglich; andererseits war für sie nur unversteuerter Alkohol auf dem Schwarzmarkt in Polen mit Gewinn absetzbar.

II.


Die Revisionen der Angeklagten sind zum Schuldspruch unbegründet.
1. Revision des Angeklagten Ha

a) Die Verfahrensrügen entsprechen nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und sind daher bereits unzulässig.

b) Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen jeweils den Schuldspruch wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Steuerhinterziehung.
aa) Eine unechte Urkunde gebraucht (im Sinne von § 267 Abs. 1 3. Alternative StGB), wer sie zum Zwecke der Täuschung im Rechtsverkehr der sinnlichen Wahrnehmung zugänglich macht (vgl. BGHSt 36, 64, 65; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 267 Rdn. 23).
Der Angeklagte hat vorsätzlich falsche Urkunden gebraucht, indem er die von Mitgliedern der Schmuggelorganisation mit den Alkoholtransporten angelieferten Totalfälschungen von CMR-Frachtbriefen für Chemikalienlieferungen nach dem Umladen auf Bahncontainer in Hamburg den Alkohollieferungen wieder beifügen ließ. Hierdurch sollten insbesondere die Zollbehörden beim Weitertransport des Alkohols auf der Schiene nach Polen über die Art der transportierten Ware getäuscht werden.
Die von dem Angeklagten begangene Urkundenfälschung erstreckt sich auch auf das von anderen Mitgliedern der Schmuggelorganisation auf deutschem Hoheitsgebiet schon vor dem Anliefern des Alkohols in Hamburg vorgenommene Austauschen der begleitenden Verwaltungsdokumente mit gefälschten CMR-Frachtbriefen. Deren Handeln ist dem Angeklagten wie eigenes Handeln zuzurechnen. Der Angeklagte war Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB) aller im Rahmen des Alkoholschmuggels von Frankreich nach Polen von Mitgliedern der Schmuggelorganisation arbeitsteilig begangenen Straftaten. Der Alkoholschmuggel umfaßte das gesamte Tatgeschehen von der Beschaffung des Alkohols in Frankreich über den Transport nach Deutschland , den Austausch der Frachtpapiere, die Umladung in Bahncontainer bis hin zum Einschmuggeln an den polnischen Zollbehörden vorbei nach Polen.
(1) Mittäterschaftlich handelt derjenige, der aufgrund eines gemeinsamen Tatplans einen für die Deliktsbegehung förderlichen Tatbeitrag leistet, welcher sich nach seiner Willensrichtung nicht als bloße Förderung fremden Tuns, sondern als Teil der Tätigkeit aller darstellt, und der dementsprechend die Handlungen der anderen als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheinen läßt. Ob dies der Fall ist, ist in wertender Betrachtung zu beant-
worten. Wesentliche Anhaltspunkte für diese Wertung können das eigene Interesse am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein (st. Rspr., vgl. BGHSt 37, 289, 291; BGHR StGB § 25 Abs. 2 Tatinteresse 2 m. w. N.). Auf der Grundlage gemeinsamen Wollens kann dabei sogar eine bloße Mitwirkung bei der Tatvorbereitung oder eine sonstige Unterstützungshandlung ausreichen (vgl. BGHSt 40, 299, 301; BGH NStZ 1995, 120; 1999, 609). Allerdings kommt eine (sukzessive) Mittäterschaft dann nicht (mehr) in Betracht, wenn eine tatunterstützende „Beteiligungshandlung“ erst nach Beendigung einer Straftat – also nach dem Handlungsgeschehen, mit dem das Tatunrecht seinen Abschluß findet – einsetzt, selbst wenn die Mitwirkung vorher zugesagt worden ist (vgl. BGH, Beschl. vom 13. August 2002 – 4 StR 208/02; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 22 Rdn. 6, § 25 Rdn. 9 m. w. N.).
Die tatrichterliche Bewertung zur Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe ist dabei nur begrenzt der revisionsgerichtlichen Überprüfung zugänglich (vgl. BGH, Beschl. vom 23. Oktober 1997 – 4 StR 226/97). In Grenzfällen hat der Bundesgerichtshof dem Tatrichter für diese Wertung einen Beurteilungsspielraum eröffnet. Läßt das angefochtene Urteil – wie hier – erkennen, daß der Tatrichter die genannten Maßstäbe erkannt und vollständig gewürdigt hat, so kann das gefundene Ergebnis vom Revisionsgericht auch dann nicht als rechtsfehlerhaft beanstandet werden, wenn eine andere tatrichterliche Beurteilung möglich gewesen wäre (vgl. BGH NJW 1997, 3385, 3387; NStZ-RR 1998, 136; jeweils m. w. N.).
(2) Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die vom Landgericht vorgenommene , auf der Hand liegende Würdigung des Verhaltens des Angeklagten als Mittäterschaft und nicht als Beihilfe aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Der Angeklagte hatte erhebliches Eigeninteresse an den Taten. Auch wenn sein aus jedem Schmuggeltransport resultierender Gewinn von jeweils
3.000 DM im Hinblick auf das Gesamtvolumen der einzelnen Alkoholtrans- porte nicht sehr bedeutend erscheint, hatte diese Einnahmequelle für den Angeklagten erhebliche Bedeutung. Die Taten waren auf vielfache Tatbegehung in hoher Tatfrequenz ausgelegt. Jedenfalls durfte das Landgericht die Tatherrschaft des Angeklagten über einen wichtigen Teil des Gesamtgeschehens als ausschlaggebenden Grund für die Annahme einer Mittäterschaft heranziehen. Der Angeklagte war in der Schmuggelorganisation für den gesamten Bereich der Umladung des Alkohols, der einen hohen logistischen Aufwand und die Einschaltung mehrere Firmen erforderte, sowie für den Weiterversand der Ware nach Polen verantwortlich (UA S. 8 f.). Zu seinen Aufgaben gehörte die Überprüfung der gefälschten Frachtbriefe auf ihre Eignung zur Täuschung (UA S. 8) und der Kontakt zu den polnischen Hintermännern , die nur aufgrund seiner Übermittlung der Containernummern die Container in Empfang nehmen und den Alkohol auf den Schwarzmarkt bringen konnten (UA S. 13). Der in den Tatplan eingeweihte (UA S. 8) Angeklagte hatte damit innerhalb einer arbeitsteilig und konspirativ handelnden Schmuggelorganisation (UA S. 14) während eines wesentlichen Teils des Geschehensablaufes eine fast alleinige Herrschaft über wertvolle Ware, auf der bei einer Überführung in den freien Verkehr Verbrauchsteuern je Lieferung von 700.000 DM bzw. 1,4 Mio. DM lasteten.
Die Taten waren, als der Angeklagte seine Tatbeiträge erbrachte, noch nicht beendet, weil der Gebrauch der falschen Frachtpapiere andauerte und die steuerlichen Erklärungspflichten fortbestanden.
bb) Zu Recht hat das Landgericht den Angeklagten auch wegen (mittäterschaftlich begangener) Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 25 Abs. 2 StGB) verurteilt. Er hat in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken mit den anderen für den Austausch der Frachtpapiere verantwortlichen Mitgliedern der Organisation gegen die sich aus § 143 Abs. 4 Satz 3 BranntwMonG ergebende Pflicht verstoßen, für die Alkohollieferungen nach Austausch der begleitenden Verwaltungsdokumente gegen
gefälschte CMR-Frachtbriefe unverzüglich eine Steueranmeldung abzugeben.
Täter einer Steuerhinterziehung im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO kann freilich nur sein, wer selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist (vgl. BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 1). Diese Pflicht ergab sich indes hier für den Angeklagten daraus, daß er als Entzieher des Alkohols aus dem Steueraussetzungsverfahren in eigener Person Steuerschuldner der Branntweinsteuer geworden war (vgl. § 143 Abs. 4 Satz 2 BranntwMonG). Der aus Frankreich im innergemeinschaftlichen Steuerversandverfahren zum Zwecke der Ausfuhr in die Ukraine nach Deutschland transportierte Alkohol wurde diesem Verfahren im Inland entzogen; diese Entziehung ist dem Angeklagten zuzurechnen.
(1) Der nach den Urteilsfeststellungen im Inland erfolgte Austausch der Frachtpapiere stellt eine Entziehung des unter Steueraussetzung transportierten Alkohols aus diesem Verfahren im Sinne von § 143 Abs. 4 Satz 2 BranntwMonG dar.
(a) Die Alkohollieferungen befanden sich im innergemeinschaftlichen Steuerversandverfahren und damit in einem Steueraussetzungsverfahren, als sie zum Zwecke der Ausfuhr aus der Europäischen Gemeinschaft (zunächst ) nach Deutschland transportiert wurden (§ 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BranntwMonG).
Sie wurden von der Distillerie G in Aigre/Frankreich zur Ausfuhr aus dem Verbrauchsteuergebiet der Europäischen Union unter Steueraussetzung abgefertigt (vgl. Art. 302 L i.V.m. Art. 302 E des französischen Code Général des Impôts, CGI; diese Regelung entspricht § 142 Abs. 1 BranntwMonG ) und durften steuerfrei in diesem Verfahren durch das Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt werden (§ 133 Abs. 1 Nr. 2, § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BranntwMonG).
Das Steueraussetzungsverfahren ist auch wirksam eröffnet worden. Dem steht nicht entgegen, daß die Schmuggelorganisation nicht die Absicht hatte, den Alkohol tatsächlich an die lediglich als Tarnempfänger angegebene Firma „V “ in der Ukraine zu liefern.
Zwar ist dann kein wirksames Steueraussetzungsverfahren gegeben, wenn an einen nicht bezugsberechtigten Empfänger im Inland geliefert wird (BFH ZfZ 2000, 312) oder wenn der Versender in dem begleitenden Verwaltungsdokument einen nicht existierenden Empfänger angibt und dies auch weiß (FG Düsseldorf ZfZ 2000, 385).
Diese Fälle liegen hier aber nicht vor. Der Versender, die Firma G , hat einen tatsächlich existierenden Empfänger, die Firma „V “ angegeben und wollte die Ware auch dorthin liefern. Bei dieser Firma handelte es sich um eine Tarnfirma, nicht um eine Scheinfirma. Die Tatsache, daß die Schmuggelorganisation von Anfang an die Absicht hatte, die Ware nicht in die Ukraine, sondern nach Polen zu bringen, spielt für die Wirksamkeit des eröffneten Steueraussetzungsverfahrens ebensowenig eine Rolle wie die Tatsache, daß die angegebene Empfängerfirma die Ware nicht empfangen wollte. Entscheidend ist vielmehr, daß der Versender bei Eröffnung des Steueraussetzungsverfahrens die Ausfuhr an den angegebenen Empfänger tatsächlich beabsichtigte. Selbst wenn die Empfängerfirma als Scheinfirma anzusehen wäre, würde dies nicht dazu führen, ein von Anfang an unwirksames Steueraussetzungsverfahren annehmen zu können. Die Ware sollte ausgeführt werden und damit zu keiner Zeit im Inland an einen nicht bezugsberechtigten Empfänger gelangen. Ob der Empfänger in einem Drittland bezugsberechtigt ist, bleibt für die Wirksamkeit des Steueraussetzungsverfahrens , das am Ausgangszollamt endet, ohne Bedeutung. Der Alkohol ist damit nicht bereits in Frankreich mit Verlassen des Steuerlagers des Herstellers des Alkohols in den freien Verkehr gelangt.
Nach der Abfertigung und Entfernung aus dem Steuerlager des Her- stellers wurde der Alkohol unter Beachtung der Förmlichkeiten des Steueraussetzungsverfahrens mit den entsprechenden französischen begleitenden Verwaltungsdokumenten (DCA) von Frankreich nach Deutschland transportiert.
(b) Der Alkohol wurde im Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland dem Steueraussetzungsverfahren entzogen.
(aa) Der Begriff des Entziehens aus dem Steueraussetzungsverfahren im Sinne des § 143 BranntwMonG, der die Rechtsfolgen von Unregelmäßigkeiten im Verkehr unter Steueraussetzung regelt, ist weder im BranntwMonG noch im sonstigen nationalen Recht ausdrücklich definiert. Seine Bedeutung ist daher nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen zu ermitteln.
Zwar führt die Auslegung allein anhand der Wortbedeutung nicht zu einem sicheren Ergebnis. Ihr ist aber immerhin zu entnehmen, daß die Entziehung ein Verhalten voraussetzt, mit dem eine bestehende Kontrolle oder Kontrollmöglichkeit über Gegenstände beseitigt wird. Die historische, die teleologische und die systematische Auslegung – unter Orientierung am Europäischen Gemeinschaftsrecht – bestätigen dies.
Da das System der Steueraussetzung von Verbrauchsteuern im europäischen Warenverkehr – und damit auch § 143 BranntwMonG – auf gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben beruht, sind vorrangig diese zur Auslegung des Begriffs des Entziehens heranzuziehen. Das Steueraussetzungsverfahren ist ein durch Gemeinschaftsrecht geschaffenes neues Institut des Verbrauchsteuerrechts , das nach Abschaffung der Erhebung von Verbrauchsteuern im innergemeinschaftlichen Verkehr an den Binnengrenzen der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der Errichtung des europäischen Binnenmarktes zum 1. Januar 1993 eingeführt wurde. Es ermöglicht in Bezug auf verbrauchsteuerpflichtige Waren die Vornahme bestimmter Maßnahmen
– wie z.B. die Beförderung –, ohne daß dabei für die betroffenen Waren ein Steueranspruch entsteht oder besteht (vgl. Beermann DStZ 1993, 291). Die Vorschriften über das Steueraussetzungsverfahren wurden durch das Verbrauchsteuer -Binnenmarktgesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 1992, 2150) als nationale Umsetzung der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (ABl. EG 1992 Nr. L 76 S. 1; im folgenden: Systemrichtlinie) in die deutschen Verbrauchsteuergesetze eingefügt; zugleich wurde zur Überwachung der Verbrauchsteuerverfahren , insbesondere zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Besteuerung, eine verbrauchsteuerrechtliche Steueraufsicht geschaffen (vgl. § 209 ff. AO).
§ 143 BranntwMonG basiert auf Art. 20 (i.V.m. Art. 4 lit. c und Art. 6 Abs. 1 lit. a) der Systemrichtlinie 92/12/EWG. Der in § 143 BranntwMonG verwendete Begriff des Entziehens aus dem Steueraussetzungsverfahren wird allerdings in der Systemrichtlinie ebenfalls nicht definiert. Art. 20 dieser Richtlinie spricht vielmehr von Unregelmäßigkeiten und Zuwiderhandlungen, aufgrund derer eine Verbrauchsteuer entsteht, und setzt damit die Steuerentstehung , die Folge des Entziehens, bereits voraus.
Art. 6 Abs. 1 der Systemrichtlinie regelt die Entstehungstatbestände. Nach dieser Vorschrift entsteht die Verbrauchsteuer mit der „Überführung in den steuerlich freien Verkehr“, darunter auch durch „jede – auch unrechtmäßige – Entnahme der Ware aus dem Verfahren der Steueraussetzung“ (Art. 6 Abs. 1 lit. a). Allerdings überläßt es die Systemrichtlinie wieder dem nationalen Recht, was als Überführung in den freien Verkehr anzusehen ist. Nach Art. 6 Abs. 2 dieser Richtlinie richten sich nämlich die Voraussetzungen für das Entstehen des Steueranspruchs und der maßgebende Verbrauchsteuersatz nach den Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Entstehens des Steueranspruchs in dem Mitgliedstaat gelten, in dem die Überführung in den steuerlich freien Verkehr stattfindet.
Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) hat zur Erläuterung, wann eine solche Entnahme vorliegt, mit Urteil vom 5. April 2001 in der Rechtssache C-325/99 – G. van de Water – (Slg. 2001, I-2729) unter Tz. 35 den Wortlaut der Systemrichtlinie wiederholt: „Nach Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie gelten als Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr nicht nur jede Herstellung oder Einfuhr verbrauchsteuerpflichtiger Waren außerhalb eines Verfahrens der Steueraussetzung, sondern auch jede – auch unrechtmäßige – Entnahme der Waren aus einem solchen Verfahren“.
Allerdings lassen die Begründungserwägungen zur Systemrichtlinie (92/12/EWG) deutlich werden, daß das Funktionieren des gemeinschaftsrechtlichen Verbrauchsteuersystems die Möglichkeit eines jederzeitigen Zugriffs auf die verbrauchsteuerpflichtige Ware und damit die Kenntnis des Ortes, wo sich die Ware befindet, voraussetzt. So wird in der Begründung zur Richtlinie ausdrücklich festgestellt: „Die Durchsetzung des Steueranspruchs setzt ... eine Kenntnis der Bewegungen der verbrauchsteuerpflichtigen Waren voraus. Es ist deshalb ein Begleitpapier für diese Waren vorzusehen. ... Jede Ware muß leicht identifizierbar sein.“
Auch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und der Finanzgerichte hat bisher noch keine einheitlichen Auslegungskriterien für die Begriffe „Entziehen aus dem Steueraussetzungsverfahren“ und „Überführung in den freien Verkehr durch unrechtmäßige Entnahme aus dem Steueraussetzungsverfahren“ entwickelt. Während einerseits das FG Düsseldorf ein Entziehen aus dem Steueraussetzungsverfahren immer dann für gegeben hält, wenn dieses Verfahren nicht ordnungsgemäß abgeschlossen worden ist (ZfZ 1998, 211), und somit auch dann, wenn bei einer zur Ausfuhr in das Außengebiet im Steueraussetzungsverfahren bestimmten Ware aufgrund der Fälschung des begleitenden Verwaltungsdokuments der Transportweg von abhanden gekommenen Branntweinerzeugnissen nicht nachvollzogen werden kann (ZfZ 2000, 242), wird andererseits nicht in jedem Fall der bloße Aus-
tausch von Begleitpapieren vor der Ausfuhr einer Ware als Entziehung aus dem Steueraussetzungsverfahren angesehen (vgl. FG München ZfZ 2001, 246 und Urt. vom 12. September 2001 – 3 K 2464/98). Wieder andere legen den Begriff des Entziehens im Sinne von § 143 BranntwMonG nach den zu Art. 203 Abs. 1 Zollkodex (ZK) entwickelten Grundsätzen aus (vgl. FG Hamburg , Urt. vom 24. April 2001 – IV 285/98).
Allerdings gibt es zum zollrechtlichen Begriff „Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung“ (Art. 203 Abs. 1 ZK) eine gefestigte Rechtsprechung. Danach ist zur Aufrechterhaltung der Kontrollmöglichkeit über Waren, die sich im (zollrechtlichen) Versandverfahren befinden, grundsätzlich erforderlich , daß diese nur in einer mit dem Versandverfahren zu vereinbarenden Weise behandelt werden (BFH ZfZ 2000, 419). Steht die Behandlung des Zollversandguts in keinem Zusammenhang mit dieser Beförderung, so gerät es in der Regel außerhalb der Kontrolle im Rahmen der zollamtlichen Überwachung und ist damit entzogen (BFHE 144, 311, 313). Maßgebliches Kriterium für die Abgabenbefreiung in einem Versandverfahren ist die ständige Kontrollmöglichkeit der Ware durch die für das Verfahren zuständigen Behörden.
Noch deutlicher wird das Erfordernis der jederzeitigen Kontrollmöglichkeit für ein solches Versandverfahren in der Rechtsprechung des EuGH zum Begriff des Entziehens aus zollamtlicher Überwachung: Mit Urteil des EuGH vom 11. Juli 2002 in der Rechtssache C-371/99 – Liberexim BV (ZfZ 2002, 338), das insoweit auch auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-66/99 (D. Wandel, Slg. 2001, I-873) Bezug nimmt, ist der Begriff der Entziehung so zu verstehen, „daß er jede Handlung oder Unterlassung umfaßt, die dazu führt, daß die zuständige Zollbehörde auch nur zeitweise am Zugang zu einer unter zollamtlicher Überwachung stehenden Ware und an der Durchführung der vom gemeinschaftlichen Zollrecht vorgesehenen Prüfungen gehindert wird“ (Tz. 55), wobei es nicht erforderlich ist, daß insoweit ein subjektives Element vorliegt (Tz. 61).
Auch wenn diese Rechtsprechung zum zollrechtlichen Entziehungstatbestand nicht ohne weiteres auf die Entziehung aus dem Steuerausset- zungsverfahren bei verbrauchsteuerpflichtigen Waren übertragen werden kann, so wird anhand einer systematischen Auslegung deutlich, daß den Begriffen des Entziehens aus einem (zollrechtlichen) externen Versandverfahren und des Entziehens aus einem Steueraussetzungsverfahren wegen der Parallelität der Regelungen und ihrer inneren Verzahnung zumindest weitgehend derselbe Bedeutungsgehalt zukommt.
Die Regelungssysteme des EG-Zollrechts und des EG-Verbrauchsteuerrechts haben beide ihre Rechtsquellen im Europäischen Gemeinschaftsrecht und dienen gemeinsam der Verwirklichung des Europäischen Binnenmarktes (vgl. Art. 14 EG). Während das Europäische Zollrecht seine Grundlage im Zollkodex (Verordnung Nr. 2913/92/EWG des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften) und der zugehörigen Durchführungsverordnung Nr. 2454/93/EWG hat, ist das Verbrauchsteuerrecht in der Europäischen Union durch die System-, Struktur- und Steuersatzrichtlinien weitgehend harmonisiert; dabei sind die Steuerentstehungstatbestände durch die Systemrichtlinie Nr. 92/12/EWG bereits im einzelnen einheitlich festgelegt (Art. 6 Abs. 1, Art. 14 Abs. 3). Sowohl für das EG-Zollrecht als auch parallel dazu für das EG-Verbrauchsteuerrecht sind die Kontrollen an den Binnengrenzen zur Schaffung des Europäischen Binnenmarktes abgeschafft worden; sie wurden durch gemeinsame Zoll- und harmonisierte Verbrauchsteuerregelungen ersetzt (vgl. zum Verbrauchsteuerrecht Beermann DStZ 1993, 257 ff., 291 ff.; Wolffgang in Lenz, EG-Vertrag 2. Aufl. Art. 93 Rdn. 27 ff.).
Beiden Rechtssystemen ist auch gemeinsam, daß Waren, die zum Zwecke der Ausfuhr in einem Versandverfahren befördert werden, der zollamtlichen Überwachung unterliegen (Zoll: externes Versandverfahren, Art. 59 Abs. 2 i.V.m. Art. 4 Nr. 13 ZK, Art. 84 Abs. 1 lit. a, Art. 91 ZK; Verbrauchsteuern : Steueraussetzungsverfahren, Art. 5 Abs. 2, Art. 15 Abs. 1
Systemrichtlinie 92/12/EWG i.V.m. § 209 AO). Die zollamtliche Überwachung soll in diesen Fällen sicherstellen, daß für die Waren, wenn sie nicht bestimmungsgemäß ausgeführt werden, die gesetzlichen Abgaben erhoben werden. Wird eine verbrauchsteuerpflichtige Ware in einem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren (Art. 84 Abs. 1 lit. a) transportiert, dann befindet sie sich automatisch auch unter Steueraussetzung (vgl. Art. 5 Abs. 2 Systemrichtlinie 92/12/EWG). Für den Fall der Einfuhr verweisen die Verbrauchsteuergesetze sogar insgesamt auf die für Zölle geltenden Vorschriften (vgl. § 21 Abs. 2 UStG; § 147 Abs. 1 BranntwMonG; § 21 TabStG; § 13 KaffeeStG; § 23 MinöStG; § 13 Abs. 1 BierStG).
Sowohl mit dem zollrechtlichen Versandverfahren als auch mit dem Steueraussetzungsverfahren werden Transporterleichterungen für Waren normiert, die nicht im Gemeinschaftsgebiet in den freien Verkehr gelangen sollen. Beide Verfahren können als Massenverfahren aber nur dann dauerhaft funktionieren, ohne das Abgabensystem als solches zu gefährden, wenn der Aufenthaltsort der in dem Versandverfahren beförderten Ware stets bekannt ist. Nur dann ist nämlich sichergestellt, daß die anfallenden Abgaben erhoben werden können, wenn die Ware aus dem Verfahren heraus einer abgabepflichtigen Verwendung zugeführt wird. Solches kann aber dann nicht mehr festgestellt werden, wenn die zuständigen staatlichen Stellen keine Kenntnis mehr vom Aufenthaltsort der Ware haben. Deshalb ist das Steueraussetzungsverfahren – ebenso wie das zollrechtliche externe Versandverfahren – gekennzeichnet durch eine stattfindende zollamtliche Überwachung bzw. Steueraufsicht (vgl. Schroer-Schallenberg in: Europäisches Forum für Außenwirtschaft, Verbrauchsteuern und Zoll e.V. (Hrsg.), Hemmnisse und Sanktionen in der EU, S. 125).
Diese Parallelität und enge innere Verzahnung der beiden Regelungssysteme ließe eine wesentlich unterschiedliche Auslegung des Begriffs der Entziehung systemwidrig und nicht nachvollziehbar erscheinen. Bei der Auslegung des Begriffs der Entziehung bzw. der Entnahme sind daher für die
zollrechtlichen und die verbrauchsteuerrechtlichen Versandverfahren weitge- hend dieselben Grundsätze zu beachten, insbesondere das Erfordernis einer ständigen Kontrollierbarkeit der Waren als Voraussetzung für den Ausnahmefall der Abgabenbefreiung. Auf der Grundlage dieser Erwägungen ist mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH, daß zollrechtlich eine Entziehung vorliegt, wenn „die zuständige Zollbehörde auch nur zeitweise am Zugang zu einer unter zollamtlicher Überwachung stehenden Ware und an der Durchführung der vom gemeinschaftlichen Zollrecht vorgesehenen Prüfungen gehindert wird“ (vgl. Urteil des EuGH in der Rechtssache C-66/99 – D. Wandel, Slg. 2001, I-873, Tz. 55), jedenfalls immer dann ein Entziehen aus einem Steueraussetzungsverfahren gegeben, wenn durch einen objektiven Verstoß gegen die Regeln der Steueraussetzung eine auch nur vorübergehende Unterbrechung der Steueraufsicht gegeben ist (so auch Reiche in Teichner /Alexander/Reiche, MinöStG § 18 Rdn. 35). In einem solchen Fall ist nämlich die Ware als in einem steuerrechtlich freien Verkehr befindlich anzusehen (vgl. Reiche aaO Rdn. 33; Beermann aaO S. 292; Soyk ZfZ 1998, 2, 4 f. m. w. N.). Die nach der Systemrichtlinie 92/12/EWG erforderliche Kenntnis der Bewegungen der verbrauchsteuerpflichtigen Waren ist dann nicht mehr gegeben.
Einer Vorlage an den EuGH zur Klärung des Begriffes der Entnahme verbrauchsteuerpflichtiger Waren aus dem Verfahren der Steueraussetzung (Art. 6 Abs. 1 lit. a der Systemrichtlinie) in einem Vorabentscheidungsverfahren (Art. 234 Abs. 3 EG) bedarf es hier nicht. Art. 234 EG hat zum Ziel, die einheitliche Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts in sämtlichen Mitgliedstaaten sicherzustellen. Dabei soll mit Abs. 3 des Art. 234 EG durch das Auslegungsmonopol des EuGH für Regelungen des Gemeinschaftsrechts insbesondere verhindert werden, daß sich in einem Mitgliedstaat eine nationale Rechtsprechung herausbildet, die mit den Normen des Gemeinschaftsrechts nicht in Einklang steht (EuGH NJW 1983, 2751). Eine Vorlage an den EuGH ist daher nur dann entbehrlich, wenn im konkreten Fall bereits eine gesicherte Rechtsprechung des EuGH vorliegt
oder die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, daß kein vernünftiger Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt (EuGH NJW 1983, 1257). Zwar hat der EuGH eine Auslegung des Begriffs der Entziehung für das Steueraussetzungsverfahren bisher noch nicht vorgenommen. Es besteht aber angesichts der Rechtsprechung des EuGH zum zollrechtlichen Begriff des Entziehens unter Berücksichtigung der Systematik und der Entstehungsgeschichte der betroffenen Regelungsmaterien kein ernsthafter Zweifel daran, daß der EuGH für den Begriff des Entziehens aus dem Steueraussetzungsverfahren zur selben Auslegung wie für den zollrechtlichen Begriff des Entziehens gelangen würde. Die gesicherte Rechtsprechung des EuGH zum Begriff des Entziehens im Zollrecht, die der Senat seiner Auslegung des Begriffs des Entziehens aus dem Steueraussetzungsverfahren zugrundelegt, läßt neben der vom Senat vorgenommenen Auslegung keine weiteren vernünftigerweise möglichen Auslegungen mehr zu.
Damit lag im Entfernen der begleitenden Verwaltungsdokumente von der im innergemeinschaftlichen Steuerversandverfahren beförderten Alkohollieferung und der Ersetzung durch auf nicht verbrauchsteuerpflichtige Waren lautende CMR-Frachtbriefe eine Entziehung aus dem Steueraussetzungsverfahren im Sinne des § 143 BranntwMonG. Für die zuständigen Behörden war es ab diesem Zeitpunkt auch bei einer möglichen Kontrolle der Begleitpapiere nicht mehr erkennbar, daß es sich bei der Ware um eine verbrauchsteuerpflichtige , aber unversteuerte Ware handelt.
(bb) Der Einwand, eine Verkürzung von Verbrauchsteuern könne dann nicht gegeben sein, wenn der Nachweis erbracht sei, daß die Ware letztlich tatsächlich noch ausgeführt worden sei, greift nicht durch. Entgegen der Ansicht der Verteidigung steht die Tatsache der späteren Ausfuhr des Alkohols der Annahme einer (vorher erfolgten) Entziehung aus dem Steueraussetzungsverfahren nicht entgegen. Wie dies bereits in den Begründungserwägungen zur Systemrichtlinie 92/12/EWG zum Ausdruck kommt, sind Steueraussetzungsverfahren sehr formelle Verfahren, die auf eine hinreichende
Kontrollmöglichkeit der in diesen Verfahren transportierten Erzeugnisse angewiesen sind. Besteht diese Kontrollmöglichkeit für die zuständigen Steuerbehörden nicht mehr, ist die Ware in den freien Verkehr gelangt und damit der Besteuerungstatbestand erfüllt. Die Tatsache, daß Bewegungen dieser verbrauchsteuerpflichtigen Ware über einen längeren Zeitraum ohne Kenntnis der zuständigen Behörden vonstatten gegangen sind, steht mit den Grundprinzipien des Steueraussetzungsverfahrens so im Widerspruch, daß es für die Frage der Entziehung nicht darauf ankommen kann, ob die Ware letztlich einer steuerfreien Verwendung zugeführt wird oder nicht bzw. ob das mit dem Steueraussetzungsverfahren beabsichtigte Ziel der Ausfuhr noch erreicht wird. Der Verstoß gegen die Vorschriften des innergemeinschaftlichen Versandverfahrens ist auch so erheblich, daß er nicht lediglich als Verletzung bloßer Ordnungsvorschriften angesehen werden kann. Entgegen Schroer-Schallenberg (aaO S. 130 f.) liegt darin nicht lediglich ein Verfahrensverstoß ohne steuerschuldrechtliche Konsequenzen. Das Steueraussetzungsverfahren ist nämlich hier durch die Ausfuhr unter Vorlage falscher Frachtpapiere überhaupt nicht abgeschlossen worden. Das Verfahren der Steueraussetzung ist erst dann erledigt, wenn die Ausgangszollstelle bescheinigt , daß die verbrauchsteuerpflichtigen Waren die Gemeinschaft verlassen haben (Art. 19 Abs. 4 Satz 2 Systemrichtlinie 92/12/EWG). Auch sind die in § 143 Abs. 1 Satz 1 BranntwMonG für den Fall des Entziehens normierten Ausnahmen von der Steuerentstehung nicht gegeben. Der Alkohol ist weder nachweislich untergegangen, noch an Personen im Steuergebiet abgegeben worden, die zum Bezug von Erzeugnissen unter Steueraussetzung berechtigt sind; ein dem Untergang nach § 143 Abs. 1 Satz 2 BranntwMonG gleichstehender Schwund liegt ebenfalls nicht vor. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Vorschrift des § 143 Abs. 1 Satz 3 BranntwMonG , die keine tatbestandlichen Einschränkungen für die Fälle der Steuerentstehung bei einer „echten“ Entziehung nach § 143 Abs. 1 Satz 1 BranntwMonG enthält, sondern im Gegenteil für bestimmte – hier nicht vorliegende – Fallkonstellationen die Fiktion einer Entziehung aus dem Steueraussetzungsverfahren normiert.
Im übrigen muß die Frage, ob eine Entziehung gegeben ist, zum Zeitpunkt einer möglichen Entziehung eindeutig zu klären sein. Ob eine Entziehung vorliegt, kann damit nicht von einem zukünftigen ungewissen Ereignis (eventuelle tatsächliche Ausfuhr auf anderem als dem vorgesehenen Wege) abhängig gemacht werden; die tatsächliche Ausfuhr führt auch nicht zu einem automatischen nachträglichen Wegfall einer einmal entstandenen Verbrauchsteuer. Wird die Ware letztlich doch noch ausgeführt, kann dies steuerschuldrechtlich allenfalls – damit die Erhebung der Steuer für eine ausgeführte Ware nicht einer ungewollten Sanktion gleichkommt (vgl. BFH DStRE 2002, 54, 56) – für die Frage eines möglichen Erlasses der Steuer (vgl. § 227 AO; Art. 239 ZK) und steuerstrafrechtlich nur für die Frage der Strafzumessung von Bedeutung sein.
(2) Der Angeklagte Ha ist aufgrund des Besteuerungstatbestandes § 143 Abs. 4 Satz 2 BranntwMonG Steuerschuldner der durch die Entziehung anfallenden Branntweinsteuer geworden. Zwar hat der Angeklagte die Entziehung nicht in eigener Person vorgenommen – vielmehr wurde der Alkohol im Hamburger Hafen bereits mit den gefälschten CMRFrachtbriefen angeliefert (vgl. UA S. 8) –; ihm ist aber die Entziehung des Alkohols aus dem Steueraussetzungsverfahren durch andere Mitglieder der Organisation wie eigenes Tun zuzurechnen.
Das BranntwMonG definiert nicht, wer Verantwortlicher einer Entziehung im Sinne des § 143 BranntwMonG und damit Täter einer Steuerhinterziehung sein kann.
Eine ausdifferenzierte Regelung, wer bei einer Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung Zollschuldner wird, findet sich in Art. 203 Abs. 3 Zollkodex (ZK): Es sind dies nicht nur die Personen, welche die Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen haben (1. Spiegelstrich), sondern auch diejenigen Personen, die an dieser Entziehung beteiligt waren (2. Spiegelstrich) und sogar die Personen, welche die Ware in Besitz gehabt
haben, obwohl sie im Zeitpunkt des Erhalts der Ware wußten oder billigerweise hätten wissen müssen, daß diese der zollamtlichen Überwachung entzogen war (3. Spiegelstrich).
Diese Regelung kann allerdings nicht auf die Entziehung aus dem Steueraussetzungsverfahren übertragen werden. Sie legt nämlich nicht fest, wer als Entzieher anzusehen ist, sondern bestimmt lediglich, daß neben dem Entzieher weitere Personen, z. B. Gehilfen, Steuerhehler, weitere Zollschuldner werden. Eine solche Regelung enthält § 143 BranntwMonG nicht. Gegen eine Regelungslücke insoweit und eine analoge Anwendung von Art. 203 Abs. 3 ZK spricht, daß beide Vorschriften etwa zum selben Zeitpunkt (1992) Gesetz geworden sind, der Gesetzgeber jedoch unterschiedliche Regelungen getroffen hat. Allenfalls kann aus der Regelung des Art. 203 Abs. 3 ZK im Umkehrschluß geschlossen werden, daß bloße Gehilfen bei einer Entziehung nicht selbst als Entzieher anzusehen sind.
Wer als Täter einer Entziehung anzusehen ist, muß damit sowohl für § 143 BranntwMonG als auch für Art. 203 Abs. 3 ZK nach allgemeinen Grundsätzen bestimmt werden.
Nach der Rechtsprechung des BFH (zur Entziehung aus zollamtlicher Überwachung) ist Täter der Entziehungshandlung derjenige, der die Handlung selbst ausführt, wie auch derjenige, der die Handlung veranlaßt, d.h. die Tatherrschaft hat (vgl. BFHE 161, 266, 270; BFH ZfZ 2000, 419). Für die Bestimmung der Täterschaft einer vorsätzlich herbeigeführten Entziehung im Sinne von § 143 BranntwMonG sind damit die von der Rechtsprechung für die Mittäterschaft bei einer Straftat entwickelten Grundsätze (vgl. oben) entsprechend anzuwenden. Der Senat verkennt dabei nicht, daß es sich bei § 143 BranntwMonG um einen Steuerentstehungstatbestand und nicht um einen Straftatbestand handelt: Erst wenn feststeht, daß der Steuertatbestand erfüllt ist, ergeben sich im Sinne des § 370 AO strafrechtlich relevante steuerliche Verhaltenspflichten (die Pflicht zur Abgabe einer Steueranmeldung).
Die Haftungsnorm des § 143 Abs. 4 Satz 2 BrannwMonG hat aber zumindest für den Fall vorsätzlicher Entziehung einen deliktischen Charakter, was die Heranziehung der Grundsätze über die Mittäterschaft rechtfertigt.
Danach ist die rechtliche Würdigung des Landgerichts, den Angeklagten Ha wegen seiner fast alleinigen Tatherrschaft über einen wesentlichen Teil des Geschehensablaufes innerhalb einer arbeitsteilig und konspirativ handelnden Schmuggelorganisation als Mittäter des gesamten Alkoholschmuggels (siehe oben) und damit auch als Entzieher des Alkohols aus dem Steueraussetzungsverfahren anzusehen, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Dem steht nicht entgegen, daß der Alkohol bereits mit ausgetauschten Frachtpapieren in Hamburg angeliefert wurde, als der eigentliche Tatbeitrag des Angeklagten Ha erst einsetzte. Die Entziehung des Alkohols aus dem Steueraussetzungsverfahren war durch die bloße Auswechslung der Frachtpapiere noch nicht so weit abgeschlossen, daß eine Beteiligung des Angeklagten Ha an ihr nicht mehr möglich gewesen wäre und seine Handlungen damit nur noch dem Absatz (§ 374 AO) einer bereits dem Verfahren entzogenen Ware oder der Begünstigung (§ 257 StGB) anderer Personen hätten dienen können. Die Alkohollieferungen befanden sich bis zur Umladung durch die Angeklagten Ha und R noch in denselben Lkw, die in den ursprünglichen Versandpapieren als Transportmittel angegeben waren, und waren, bis sie in den Machtbereich der Angeklagten Ha und R gelangten, noch nicht zur Ruhe gekommen. Erst durch die Überprüfung der „neuen“ Frachtpapiere auf ihre Eignung zur Täuschung durch den Angeklagten Ha und die Umladung der Alkoholladungen in Bahncontainer wurde die Entziehung des Alkohols aus dem Steueraussetzungsverfahren endgültig abgeschlossen.
(3) Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht den Angeklagten damit als Mittäter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) angesehen. Er hat nach Entziehung des Alkohols aus dem Steueraussetzungsverfahren als Steuerschuldner (§ 143 Abs. 4 Satz 2 BranntwMonG) in
bewußtem und gewolltem Zusammenwirken mit den anderen für den Austausch der Frachtpapiere verantwortlichen Mitgliedern der Organisation unterlassen , gemäß § 143 Abs. 4 Satz 3 BranntwMonG unverzüglich für die entzogenen Erzeugnisse eine Steueranmeldung abzugeben. Auf diese Weise konnte die Organisation den Alkohol ohne Belastung mit deutscher Branntweinsteuer auf dem polnischen Schwarzmarkt mit Gewinn absetzen.

c) Die Beweiswürdigung hält ebenfalls rechtlicher Nachprüfung stand.
Es ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, die Beweise zu würdigen. Das Revisionsgericht kann die tatrichterliche Beweiswürdigung auf die Sachbeschwerde nur unter dem Gesichtspunkt würdigen, ob sie Rechtsfehler enthält. Dies ist dann der Fall, wenn die im Urteil mitgeteilten Überlegungen des Tatrichters in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar sind oder sie gegen Denkgesetze oder anerkannte Erfahrungssätze verstoßen (st. Rspr., vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2). Solches ist hier nicht gegeben.
aa) Das Landgericht hat sich auf ausreichender Tatsachengrundlage davon überzeugt, daß die in Hamburg umgeladenen Alkoholmengen mit dem bei der Firma G in Frankreich geladenen Alkohol identisch waren. Dieser Schluß ist möglich, zwingend braucht er nicht zu sein. Bei seiner Überzeugungbildung durfte das Landgericht der Tatsache, daß die Lastzüge während des Transportes nicht gewechselt wurden, hohes Gewicht beimessen (UA S. 23). Die Strafkammer hat hierbei die Möglichkeit nicht verkannt, daß eine Entladung des Alkohols und eine Beladung mit anderen Alkoholmengen durchaus möglich gewesen wäre, hat aber diese – eher fernliegende – Möglichkeit im Hinblick auf den erhöhten organisatorischen und finanziellen Aufwand, das höhere Entdeckungsrisiko und die mangelnde Eignung zur Verschleierung des Transportwegs bei Benutzung derselben Lastkraftwagen als unwahrscheinlich angesehen. Auch die festgestellte Differenz in der Grädigkeit des sichergestellten Alkohols von 0,3 % Vol. gegenüber den Herstellerangaben hat das Landgericht in seine Erwägungen einbezogen. Nach
vertretbarer Ansicht der insoweit sachverständig beratenen Strafkammer liegt die Abweichung im Rahmen der üblichen Toleranz, so daß von einer Meßdifferenz auszugehen ist.
bb) Die Erwägungen, aufgrund derer das Landgericht zur Überzeugung gelangt ist, daß der Austausch der Frachtpapiere noch nicht in Frankreich , sondern erst in Deutschland erfolgt ist, begegnet ebenfalls keinen durchgreifenden Bedenken.
Auch hier hat das Landgericht die Möglichkeit eines Austauschs bereits in Frankreich oder in den Benelux-Staaten gesehen und erörtert (UA S. 25). Wenn das Landgericht diese Möglichkeit dann aber unter Hinweis darauf wieder verworfen hat, daß zum einen die tatsächlich gefahrene Route nach Hamburg von der zu dem in den Frachtpapieren angegebenen Zielort Frankfurt/Oder erst auf deutschem Hoheitsgebiet abzweigt, zum anderen die verwendeten Tarnpapiere ausschließlich auf deutsche Tarnversender und polnische Empfänger ausgestellt waren, die in Frankreich oder den BeneluxStaaten Argwohn erweckt und zu einem höheren Risiko geführt hätten, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
cc) Im Ergebnis ohne durchgreifenden Rechtsfehler hat sich das Landgericht auch davon überzeugt, daß der Angeklagte Ha zumindest billigend in Kauf genommen hat, daß durch die vorgenommene Abwicklung der Alkoholtransporte (auch) deutsche Verbrauchsteuer entstehen und durch die Nichtanmeldung hinterzogen werden könnte.
(1) Der Angeklagte Ha hat sich eingelassen, er habe nicht an die Entstehung von Verbrauchsteuern durch den Austausch der Frachtpapiere durch auf Chemikalien lautende Fälschungen gedacht (UA S. 16, 24). Er sei nur von einem Verstoß gegen polnische Zollformalitäten, die ihm egal gewesen seien, ausgegangen und habe nicht geglaubt, sich in Deutschland strafbar zu machen. Auch habe er nicht gewußt, daß der Alkohol bis Ham-
burg im Steueraussetzungsverfahren transportiert worden sei. Der Pole, der ihn beauftragt habe und dessen Namen er nicht nennen wolle, habe ihm er- klärt, es sei Ware im Freiverkehr, nicht aus einem Steuerlager.
Das Landgericht konnte sich von einer positiven Kenntnis des Angeklagten , daß der Alkohol im Steueraussetzungsverfahren transportiert worden sei (UA S. 27), nicht überzeugen. Die Strafkammer sieht es jedoch als erwiesen an, daß der Angeklagte den Transport im Steueraussetzungsverfahren , die Entstehung von Verbrauchsteuern durch den Austausch der Frachtpapiere und – ohne dies ausdrücklich zu erwähnen – seine Pflicht, dann die Ware bei den Steuerbehörden anzumelden, zumindest billigend in Kauf genommen hat.
(2) Die Erwägungen, aufgrund derer sich das Landgericht von einem bedingten Tatvorsatz des Angeklagten Ha überzeugt hat, lassen keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu seinem Nachteil erkennen.
Der Eintritt einer Steuerverkürzung ist Tatbestandsmerkmal des § 370 AO. Damit setzt auch die innere Tatseite der Steuerhinterziehung voraus, daß der Täter den angegriffenen Steueranspruch dem Grunde nach kennt und dessen Höhe zumindest für möglich hält (BGH wistra 1989, 263; 1990, 193, 194; 1995, 191; 1998, 225, 226). Einer genauen Kenntnis der steuerlichen Vorschriften bedarf es insoweit nicht (BGH wistra 1998, 225, 226).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind entlastende Angaben eines Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine (ausreichenden) Beweise gibt, nicht ohne weiteres den Urteilsfeststellungen als unwiderlegbar zugrundezulegen. Vielmehr muß der Tatrichter auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses entscheiden, ob diese Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen (BGHSt 34, 29, 34; BGH wistra 1998, 225, 226). Dies gilt im besonderen Maße bei der Behauptung eines dem Angeklagten günstigen inneren Vorgangs, ohne
daß objektivierbare Tatsachen, in denen die angebliche innere Einstellung einen erkennbaren Niederschlag gefunden hätte, deutlich würden (BGH wistra 1998, 225, 226; BGH, Urt. vom 7. September 1993 – 1 StR 325/93). Der Tatrichter muß allerdings die vorhandenen Beweise einer erschöpfenden Würdigung unterziehen und dabei auch äußere Umstände bei der Beurteilung der subjektiven Seite mit heranziehen (vgl. BGH StPO § 261 Einlassung

5).


Diese Grundsätze hat das Landgericht beachtet. Wenn es mangels konkreterer Anhaltspunkte im wesentlichen auf die Umstände der Beauftragung des Angeklagten in Verbindung mit seinen langjährigen beruflichen Erfahrungen als selbständiger Vollkaufmann im Exportgeschäft mit den dort bestehenden Regeln und Usancen abstellt und deshalb die Einlassung des Angeklagten für widerlegt hält, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Das Landgericht durfte dabei auch den naheliegenden Schluß ziehen, daß der von dem Angeklagten angegebene Zweck seines Tuns, der Verkauf des Alkohols auf dem polnischen Schwarzmarkt mit Gewinn, wegen der hohen Verbrauchsteuern mit in der Europäischen Union versteuertem Alkohol nicht zu erreichen gewesen wäre.
(3) Ein durchgreifender Rechtsfehler ergibt sich auch nicht aus der Erwägung des Landgerichts, daß die Angeklagten selbst dann vorsätzlich gehandelt hätten, wenn sie zu Unrecht davon ausgegangen sein sollten, der Austausch fände in Frankreich statt (UA S. 29).
Das Landgericht ist der Ansicht, daß in diesem Fall eine Verkürzung französischer Steuern vorliege; eine wesentliche Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf sei dennoch nicht gegeben, weil es sich bei der tatsächlich verkürzten deutschen Branntweinsteuer um eine harmonisierte Verbrauchsteuer handele, die in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft in gleicher Weise erhoben werde. Die Verkürzung der einem anderen Mitgliedstaat zustehenden Verbrauchsteuer sei gemäß
§ 370 Abs. 6 Satz 2 AO auch in Deutschland strafbar. Daß eine Verfolgung in Deutschland mangels der hierfür nach § 370 Abs. 6 Sätze 3 und 4 AO erforderlichen Rechtsverordnung und des daraus resultierenden Verfahrenshindernisses derzeit ausgeschlossen ist, sei für den Vorsatz unerheblich.
Diese Erwägung gefährdet den Schuldspruch nicht, da sie sich lediglich mit den Auswirkungen eines vom Gericht letztlich nicht auszuschließenden Irrtums über einen Umstand befaßt, der kein Merkmal betrifft, das zum gesetzlichen Tatbestand gehört.
Maßgebliches subjektives Tatbestandsmerkmal des § 370 AO ist der Vorsatz, Steuern zu hinterziehen. Durch seine mittäterschaftliche Beteiligung am gesamten den Alkoholschmuggel von Frankreich nach Polen betreffenden Gesamtgeschehen ist der Angeklagte aber unabhängig davon, ob der Austausch der Frachtpapiere in Deutschland oder in Frankreich erfolgt ist, Steuerschuldner deutscher Branntweinsteuer geworden.
Ist der Austausch der Frachtdokumente – wie vom Landgericht festgestellt – erst in Deutschland erfolgt, ist der Angeklagte gemäß § 143 Abs. 4 Satz 2 BranntwMonG Steuerschuldner der entstandenen Branntweinsteuer geworden.
Wäre der Austausch aber bereits in Frankreich vorgenommen worden, dann wäre ebenfalls deutsche Branntweinsteuer entstanden und der Angeklagte insoweit Steuerschuldner geworden. Zwar wäre durch eine Entziehung des Alkohols aus dem Steueraussetzungsverfahren in Frankreich zunächst französische Branntweinsteuer angefallen, die der Angeklagte hätte anmelden müssen. Zusätzlich wäre aber durch Weiterbeförderung des Alkohols nach Deutschland gemäß § 144 Abs. 2 BranntwMonG auch noch deutsche Branntweinsteuer entstanden, die der Angeklagte ebenfalls hätte anmelden und abführen müssen. Nach dieser Vorschrift entsteht die Verbrauchsteuer nämlich auch dadurch, daß Erzeugnisse erstmals im Steuergebiet zu ge-
werblichen Zwecken in Besitz gehalten oder verwendet werden, nachdem sie aus dem freien Verkehr eines Mitgliedstaates in das Steuergebiet Deutsch- lands verbracht worden sind. Dieser Fall läge hier dann vor, weil der Alkohol nach Austausch der Frachtpapiere in Frankreich und der Entziehung aus dem Steueraussetzungsverfahren bereits in Frankreich in den freien Verkehr gelangt wäre. Indem der Angeklagte den Alkohol in Hamburg umladen ließ, um ihn nach Polen zur Veräußerung auf dem Schwarzmarkt weiterzuversenden , hat er den Alkohol nach dem Verbringen nach Deutschland erstmals im Steuergebiet zu gewerblichen Zwecken in Besitz gehalten. Die Pflicht, unverzüglich eine Steueranmeldung abzugeben, ergibt sich in diesem Fall aus § 144 Abs. 4 Satz 1 BranntwMonG. Die entstandene französische Verbrauchsteuer würde dann wieder erlassen werden (vgl. § 148 BranntwMonG als entsprechende Regelung im deutschen Verbrauchsteuerrecht).
In jedem Fall ist damit – unabhängig vom Ort des Austauschs der Frachtpapiere – durch das Verhalten des Angeklagten im Zusammenhang mit der Entfernung der begleitenden Verwaltungsdokumente und der Umladung des Alkohols in Bahncontainer deutsche Branntweinsteuer entstanden.
Der Ort des Austauschs der Frachtpapiere hätte für den Vorsatz, deutsche Steuern zu hinterziehen nur dann Bedeutung gehabt, wenn der Angeklagte der Ansicht gewesen wäre, er würde nur französische aber keine deutschen Verbrauchsteuern hinterziehen. Dafür bestehen aber keine Anhaltspunkte. Nicht einmal der Angeklagte selbst hat dies behauptet, sondern angegeben, überhaupt nicht an das Entstehen von Verbrauchsteuern gedacht zu haben. Dies hat das Landgericht mit tragfähigen Erwägungen widerlegt und hinreichend deutlich seine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, daß der Angeklagte aus Gewinnstreben (UA S. 27) billigend in Kauf genommen hat, (auch) deutsche Verbrauchsteuer zu hinterziehen, damit das Gesamtunternehmen der Schmuggelorganisation erfolgreich durchgeführt werden kann.
2. Revision des Angeklagten R

a) Die Verfahrensrügen entsprechen weitgehend nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO und sind daher unzulässig. Der Erörterung bedarf lediglich folgendes:
Mit Recht rügt die Revision, daß das Landgericht den Inhalt einer verlesenen Urkunde im Urteil unrichtig gewürdigt und damit gegen die Vorschrift des § 261 StPO verstoßen hat (vgl. BGH NStZ 1997, 294). Das Landgericht ist im Urteil davon ausgegangen, daß auch im Fall des verlesenen Urteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth der Alkoholschmuggel über die deutschpolnische Grenze erfolgt sei (UA S. 25), obwohl es sich dort um die deutschtschechische Grenze handelte.
Auf diesem Fehler beruht das Urteil indes nicht, weil das Landgericht den Inhalt des verlesenen Urteils nicht zu Beweiszwecken verwertet, sondern mit dem Hinweis auf die Erkenntnisse aus anderen Strafverfahren lediglich das bereits getroffene Beweisergebnis bestätigt hat. Im übrigen ist nicht ersichtlich , weshalb im Hinblick auf das vorliegende Verfahren den Abläufen bei einem Alkoholschmuggel nach Tschechien ein minderer Indizwert als bei einem solchen nach Polen zukommen soll. In beiden Fällen geht es um ein „Durchschmuggeln“ durch die Bundesrepublik Deutschland.

b) Die getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten R wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) in sieben Fällen, jeweils in Tateinheit mit Urkundenfälschung. Die Ausführungen zu diesen Taten beim Angeklagten Ha gelten für den Angeklagten R entsprechend.
Das Landgericht hat auch den Angeklagten R als Mittäter angesehen und nicht nur als Gehilfen des Angeklagten Ha . Diese aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände vorgenommene – und nur einge-
schränkt überprüfbare (vgl. BGH NJW 1997, 3385, 3387) – Wertung bei der Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe läßt keinen Rechtsfehler erkennen.
Zwar wurde der Angeklagte R erst von dem Mitangeklagten Ha zur gemeinsamen Abwicklung der in dessen Aufgabenbereich fallenden Umladung der Alkoholtransporte in Hamburg gewonnen und nahm innerhalb der Schmuggelorganisation eine deutlich niedrigere Stellung als der Angeklagte Ha ein. Auch lag die Entlohnung des Angeklagten R für seine Mitwirkung nicht unerheblich unter der der Mitangeklagten Ha und T . Trotzdem durfte das Landgericht entscheidend auf die dennoch bestehende erhebliche Tatherrschaft des Angeklagten R über bedeutsame Teile des gesamten Tatgeschehens abstellen und ihn deshalb als Mittäter ansehen. Die Umladung der Alkoholladungen in den Fällen 1 bis 4 der Urteilsgründe fand auf dem Gelände der Lagerei Sch und unter Kontrolle des Angeklagten R statt, der Geschäftsführer dieser Firma war. Des weiteren hatte er eigenverantwortlich den Kontakt zur Firma I hergestellt und aufrechterhalten, welche zu Verschleierungszwecken mit der Umladung beauftragt worden war. Nur über den Angeklagten R , der insoweit eine Schlüsselstellung innehatte, war es auch dem Angeklagten Ha möglich, die Containernummern zu erfragen , welche die Hintermänner in Polen unbedingt benötigten, um die Container mit dem Alkohol in Empfang nehmen zu können.

c) Die Beweiswürdigung ist ebenfalls frei von Rechtsfehlern; es gilt das zum Angeklagten Ha Gesagte entsprechend. Der Angeklagte R hat sich darauf berufen, daß er ausschließlich daran gedacht habe, daß ein polnisches Einfuhrverbot umgangen werden sollte. Er sei zu einer Mitarbeit nur unter der Bedingung bereit gewesen, daß versteuerter Alkohol umgeladen werde (UA S. 17). Insbesondere im Hinblick auf die ebenfalls langjährige Erfahrung des Angeklagten im Exportgeschäft als Geschäftsfüh-
rer einer Lagerei im Hamburger Hafen brauchte das Landgericht diese Einlassung nicht zu glauben.
3. Revision des Angeklagten T

a) Die erhobenen Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.
aa) Die Rüge der fehlenden örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts Berlin (§ 338 Nr. 4 StPO) ist unbegründet. Hinsichtlich des Angeklagten T war der Gerichtsstand des Zusammenhangs (§§ 3, 13 StPO) gegeben.
Nach § 13 StPO ist ein Gerichtsstand bei jedem Gericht begründet, das auch nur für eine der dem Angeklagten zur Last gelegten, gemäß § 3 StPO zusammenhängenden Straftaten örtlich zuständig ist (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Zuständigkeit 1). Dabei liegt ein sachlicher Zusammenhang bei einer strafbaren, in dieselbe Richtung zielenden Mitwirkung an einer Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO vor (BGHSt 38, 376, 379). Bei der Prüfung des Zusammenhangs kommt es auf die tatsächliche Annahme an, die den Anschuldigungen bei Erhebung der Anklage und bei Eröffnung des Hauptverfahrens zugrunde liegt, und nicht auf die Feststellungen, die als Ergebnis des durchgeführten Hauptverfahrens getroffen worden sind (vgl. BGHSt 18, 238, 239; BGHR aaO).
Zum hierbei maßgeblichen Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens vor dem Landgericht (vgl. BGHSt 18, 238, 239) bestand für die Fälle 3 bis 17 der Anklage wegen des Vorwurfes gemeinschaftlichen Handelns ein sachlicher Zusammenhang mit den den Angeklagten Ha und R zur Last liegenden Taten. Im Fall 2 der Anklage bestand wiederum ein sachlicher Zusammenhang der Taten der der Mittäterschaft beschuldigten Angeklagten Ha , R und Du . Da der frühere Mitangeklagte Du seinen Wohnsitz in Berlin hatte und damit für ihn der Gerichtsstand des Wohnsitzes
gegeben war (§ 8 Abs. 1 StPO), war für sämtliche dem Angeklagten T zur Last liegenden Taten der Gerichtsstand des Zusammenhangs (§§ 3, 13 StPO) gegeben.
Die Tatsache, daß das Verfahren gegen den Angeklagten Du später abgetrennt wurde, läßt die Zuständigkeit des Landgerichts Berlin nicht wieder entfallen (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Zuständigkeit 1). Eine Zuständigkeit, die durch die Verbindung zusammenhängender Strafsachen geschaffen worden ist, bleibt auch dann bestehen, wenn der Grund der Verbindung nach Eröffnung des Hauptverfahrens wegfällt (BGHSt 16, 391, 393).
Der Angeklagte T kann im Revisionsverfahren nicht damit gehört werden, daß hinsichtlich des Falles 2 bei Eröffnung des Verfahrens kein hinreichender Tatverdacht bestanden habe. Soweit das Kammergericht das Verfahren eröffnet hat, ist dies nicht anfechtbar (§ 210 Abs. 1 StPO). Anhaltspunkte dafür, daß bei der Anklageerhebung ein willkürlich erhobener Tatvorwurf dazu benutzt werden sollte, einen Gerichtsstand des Zusammenhangs zu begründen, sind nicht ersichtlich.
bb) Die gegen die Ablehnung der vier am 1. Juni 2001 gestellten Hilfsbeweisanträge erhobenen Verfahrensrügen greifen ebenfalls nicht durch. Die vom Landgericht zur Begründung der Ablehnung dieser Anträge auf Vernehmung von Zeugen dargelegten Erwägungen können aus Rechtsgründen nicht beanstandet werden. Mit ihrem Versuch, Wertungen des Tatrichters durch eigene zu ersetzen, zeigt die Revision keinen Rechtsfehler auf.
cc) Die Rüge der Verletzung von § 338 Nr. 5 StPO ist unbegründet. Das Landgericht hat den Angeklagten T und seinen Verteidiger durch Beschluß für die Hauptverhandlungstermine am 9. und 13. Februar 2001 beurlaubt. Der Verteidiger des Angeklagten blieb daraufhin an diesen Tagen von der Hauptverhandlung fern. Die Beurlaubung war gesetzlich nur zulässig, wenn und soweit der Angeklagte von der Hauptverhandlung an
diesen Verhandlungstagen „nicht betroffen“ war (§ 231c Satz 1 StPO). An die Grenzen, die ihm durch diese Voraussetzung gezogen waren, hat sich das Landgericht gehalten. Es ging am 9. Februar 2001 nicht um einen für den Beschwerdeführer wesentlichen Teil der Hauptverhandlung (vgl. BGHR StPO § 338 Nr. 5 Angeklagter 17; BGH, Beschl. vom 24. Januar 1995 – 1 StR 744/94 m. w. N.). Dies gilt auch für den 13. Februar 2001, an welchem allein die strafrechtlichen Vorbelastungen eines Mitangeklagten behandelt wurden. Da mithin die Anwesenheit des Angeklagten an den genannten Verhandlungstagen nicht geboten war, kommt es nicht darauf an, daß er an diesen Tagen nicht verteidigt war.
dd) Die Rüge der Verletzung des § 229 StPO greift ebenfalls nicht durch. Die Freistellung des Angeklagten und seines Verteidigers nach § 231c StPO von der im übrigen fortgeführten Hauptverhandlung stellt keine Unterbrechung der Hauptverhandlung im Sinne von § 229 StPO dar; dessen zeitliche Beschränkungen gelten für die Beurlaubung nach § 231c StPO nicht (vgl. Tolksdorf in KK 4. Aufl. § 231c Rdn. 15; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg 25. Aufl. § 231c Rdn. 18).
ee) Im übrigen sind die Formalrügen nicht in der von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO geforderten Form erhoben und damit unzulässig.

b) Die Urteilsfeststellungen tragen auch bei dem Angeklagten T den Schuldspruch wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO). Daß das Landgericht ihn nicht zugleich wegen jeweils tateinheitlich begangener Urkundenfälschung verurteilt hat, beschwert den Angeklagten nicht.
aa) Obwohl der Angeklagte zu einem großen Teil im Ausland gehandelt hat, sind die Taten im Inland begangen worden (vgl. § 3 StGB), weil die Steueranmeldungen für den dem Steueraussetzungsverfahren entzogenen Alkohol in Deutschland vorzunehmen gewesen wären (§ 9 Abs. 1 StGB).
bb) Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht auch den Angeklagten T als Mittäter der Steuerhinterziehung durch Unterlassen angese- hen, weil es für das Gelingen des gemeinsamen Tatplans, den Alkohol ohne Belastung mit deutscher Verbrauchsteuer auf dem polnischen Schwarzmarkt abzusetzen, erforderlich war, daß keiner der an dem „Alkoholschmuggel“ beteiligten Personen eine Steueranmeldung abgab.
Der Angeklagte konnte Täter der Steuerhinterziehung durch Unterlassen sein (vgl. hierzu BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 1), weil er zur Abgabe einer Steueranmeldung selbst verpflichtet war (§ 143 Abs. 4 Satz 3 BranntwMonG).
Zwar hat das Landgericht keine Feststellungen dazu getroffen, daß der Angeklagte T an der Entziehung des Alkohols aus dem innergemeinschaftlichen Steuerversandverfahren unmittelbar persönlich mitgewirkt hat. Das Landgericht durfte aber die auf einem gemeinsamen Tatplan beruhenden Handlungen der anderen Mitglieder der Schmuggelorganisation während der Alkoholtransporte dem Angeklagten wie eigenes Handeln zurechnen und ihn selbst als „Entzieher“ im Sinne von § 143 Abs. 4 Satz 2 BranntwMonG behandeln. Es bestehen keine rechtlichen Bedenken dagegen , daß das Landgericht in wertender Betrachtung zu dem Ergebnis gelangt ist, seine Handlungen nicht als bloße Förderung fremden Tuns, sondern als Teil der Tätigkeit aller anzusehen, und dementsprechend die Handlungen der anderen als Ergänzung seines eigenen Tatanteils zu bewerten (vgl. BGHR StGB § 25 Abs. 2 Tatinteresse 2). Der Angeklagte, der für seine Tatbeteiligung wie der Angeklagte Ha pro Transport einen Betrag von 3.000 DM erhielt, hatte maßgeblichen Einfluß auf die Durchführung der Alkoholtransporte , die ohne ihn in der durchgeführten Weise nicht hätten stattfinden können. Es fiel innerhalb der Schmuggelorganisation in seinen alleinigen Zuständigkeitsbereich, geeignete Lieferanten für entsprechende Alkoholmengen ausfindig zu machen, den Einkauf vorzunehmen einschließlich der Preisverhandlungen und schließlich durch eigenhändige Sicherstellung der
Bezahlung den Zeitpunkt der Alkoholtransporte mitzubestimmen. Die Tatsa- che, daß er damit bezüglich des späteren Entziehens nur eine Vorbereitungshandlung vorgenommen hat, steht der Annahme von Mittäterschaft nicht entgegen (vgl. BGHSt 40, 299, 301).

c) Die Beweiswürdigung hält ebenfalls rechtlicher Nachprüfung stand.
Der Angeklagte hat sich eingelassen, er habe aus Gefälligkeit für seinen Bruder P T , der in Polen ein In- und Exportgeschäft für Feinsprit betrieben habe, neue Lieferanten gesucht. Dabei sei er davon ausgegangen , daß der Alkohol nicht für Polen bestimmt sei, ohne aber zu wissen für wen. Um den Transport selbst habe er sich nicht gekümmert; das Steueraussetzungsverfahren und die Bedeutung der begleitenden Verwaltungsdokumente seien ihm unbekannt gewesen. Einen falschen Paß auf den Namen F habe er auf Vorschlag seines Bruders nur deswegen verwendet, damit es keine Schwierigkeiten mit den alten Lieferanten gebe (UA S. 17 f.).
Das Landgericht war nicht gehalten, diese entlastenden Angaben des Angeklagten, für die es keinerlei Beweise gibt, den Urteilsfeststellungen ohne weiteres als unwiderlegbar zugrundezulegen (vgl. BGHSt 34, 29, 34; BGH wistra 1998, 225, 226). Ohne Rechtsfehler hat es in einer erschöpfenden Würdigung der vorhandenen Beweise die Einlassung des Angeklagten T für widerlegt angesehen und seinen Tatvorsatz bejaht. Hierbei durfte sich das Landgericht hinsichtlich seiner Kenntnisse über das Steueraussetzungsverfahren insbesondere auf die Angaben der im internationalen Handel mit Alkohol tätigen Zeugen W , Ri und M stützen, die übereinstimmend angegeben haben, den Angeklagten für einen im Handel mit Feinsprit erfahrenen Geschäftsmann gehalten zu haben (UA S. 25). Ergänzend konnte es die Angaben des Zeugen P heranziehen, daß der Angeklagte T bei Alkoholgeschäften mit ihm die begleitenden Verwaltungsdokumente jeweils selbst zurückgebracht habe und – unter Berufung auf den für das vorliegende Verfahren nicht zur Verfügung stehenden Zeugen K – die
zollrechtliche Abwicklung am Grenzzollamt Frankfurt/Oder selbst vorgenommen habe (UA S. 26). Hinzu kommt sein konspiratives Auftreten unter fal- schem Namen und sein Kontakt zur Tarn-Empfängerfirma „V “ in der Ukraine.

III.


Die angefochtenen Urteile können jedoch bei allen Angeklagten zum Strafausspruch keinen Bestand haben.
1. Allerdings ist die Strafzumessung grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn ein Rechtsfehler vorliegt, z. B. weil der Tatrichter rechtlich anerkannte Strafzwecke außer Betracht läßt oder weil sich die Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein (st. Rspr., vgl. nur BGHSt 29, 319, 320; 34, 345, 349). Eine ins einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist hingegen ausgeschlossen (BGH aaO).
2. Es stellt keinen Rechtsfehler dar, daß das Landgericht die Höhe der jeweils hinterzogenen Branntweinsteuer strafschärfend berücksichtigt hat. Durch die Taten der Angeklagten sind trotz der letztlich erfolgten Ausfuhr tatsächlich und nicht nur theoretisch Verbrauchsteuern verkürzt worden.
Sind aber verkürzte Steuerforderungen des deutschen Steuerfiskus nur aus formalen Gründen entstanden, ist dies bei der Strafzumessung im Hinblick auf die verschuldeten Auswirkungen der Tat (§ 46 Abs. 2 Satz 2 StGB) in gesamtwirtschaftlicher Betrachtung zu berücksichtigen (vgl. BGH StV 2000, 497). Im europäischen Verbrauchsteuersystem soll grundsätzlich nur der Verbrauch von Waren im Steuergebiet der Europäischen Gemeinschaft besteuert werden; Ausfuhren sind daher regelmäßig steuerbefreit (§ 142 BranntwMonG). Somit war hier erheblich zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, daß keine Branntweinsteuer angefallen wäre, wenn der
Alkohol nicht heimlich und falsch deklariert, sondern ordnungsgemäß in dem dafür vorgesehenen innergemeinschaftlichen Versandverfahren unter Steueraussetzung (§ 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3; § 142 BranntwMonG) ausgeführt worden wäre. Die Erhebung der Branntweinsteuer kommt in einem solchen Fall einer systemwidrigen Sanktion gleich, weil die Waren nicht in den Wirtschaftskreislauf des Steuergebiets eingegangen sind (vgl. BFH DStRE 2002, 54, 56).
Diese Umstände sowie die Tatsache, daß der Alkohol zu keinem Zeitpunkt im Verbrauchsteuergebiet in den wirtschaftlichen Verkehr gelangt ist, hat das Landgericht ausdrücklich zugunsten der Angeklagten berücksichtigt. Es hat auch gerade mit Hinweis darauf, daß dem Steuerfiskus im Vergleich mit der vorgesehenen Ausfuhr im innergemeinschaftlichen Steuerversandverfahren kein wirtschaftlicher Nachteil eingetreten ist (vgl. auch BGH wistra 2001, 216, 217), trotz der hohen Hinterziehungsbeträge einen besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung im Sinne von § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO verneint.
3. Das Landgericht hat jedoch einen wesentlichen Strafzumessungsgrund nicht erörtert, der sich zugunsten der Angeklagten auswirken könnte:
Die Angeklagten sind „Entzieher“ im Sinne des § 143 Abs. 4 Satz 2 BranntwMonG und damit Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen, weil sie als „weitere“ Steuerschuldner selbst eine Steueranmeldung abzugeben hatten. Damit haften sie persönlich gemäß § 71 AO als Gesamtschuldner mit anderen – zum Großteil im Ausland befindlichen – Steuerschuldnern für die gesamte entstandene Branntweinsteuer in Höhe von mehr als 7,7 Mio. DM und müssen auch mit ihrer Inanspruchnahme durch die Finanzverwaltung rechnen. Das Landgericht hätte den Umstand dieser Haftung vor dem Hintergrund nicht unerörtert lassen dürfen, daß die Angeklagten im Gesamtgeschehen nur eine untergeordnete Rolle spielten und an dem wirtschaftlichen Erfolg der Taten nur im geringen Umfang beteiligt waren. Bei
ihnen handelte es sich nach den Urteilsfeststellungen nicht um die führenden Mitglieder der Schmuggelorganisation; sie wurden entsprechend ihrer Rolle in der Organisation am Taterfolg nur mit einer geringen Entlohnung von wenigen tausend DM beteiligt. Die Angeklagten wurden daher durch die steuerliche Haftung für die gesamte entstehende Verbrauchsteuer erheblich stärker belastet, als es ihrer Rolle im Tatgeschehen und ihrer wirtschaftlichen Beteiligung am Taterfolg entsprach. Der Senat kann nicht ausschließen, daß unter Bedacht auf diesen gewichtigen Gesichtspunkt eine den Angeklagten günstigere Sanktion verhängt worden wäre. Dies führt zur Aufhebung des gegen die Angeklagten jeweils verhängten gesamten Strafausspruchs.
Harms Häger Gerhardt Raum Schaal

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 255/16
vom
25. Oktober 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum besonders schweren Raub u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:251016U5STR255.16.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. Oktober 2016, an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander als Vorsitzender,
Richterin Dr. Schneider, Richter Dr. Berger, Richter Bellay, Richter Dr. Feilcke als beisitzende Richter,
Staatsanwältin als Gruppenleiterin als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 20. November 2015 mit den Feststellungen aufgehoben
a) in den Fällen II.A.2 und A.3 der Urteilsgründe und
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil mit den Feststellungen aufgehoben
a) im Fall II.B.2 der Urteilsgründe und
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.
3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

4. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum besonders schweren Raub, wegen Beihilfe zum schweren Raub und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte das Verfahren und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision, die vom Generalbundesanwalt weitgehend vertreten wird, in den Fällen II.A.2 und II.A.3 der Urteilsgründe eine Verurteilung des Angeklagten wegen mittäterschaftlicher Tatbegehung und im Fall II.B.2 der Urteilsgründe seine Verurteilung wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG. Die Revisionen erzielen jeweils den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet.

I.


2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte war gut bekannt mit dem früheren Mitangeklagten und gesondert Verurteilten G. , dem er mehrfach Betäubungsmittel geliefert hatte. Er schlug G. , der Geld durch Raubtaten erlangen wollte, in zwei Fällen Tatobjekte vor, ohne selbst bei der Tatausführung in Erscheinung treten zu wollen.

a) Zunächst gab der Angeklagte ihm den Tipp für einen Raubüberfall auf
4
das Juweliergeschäft „D. “ in K. . Beide fuhren dorthin und be- obachteten das Geschäftslokal, das danach auch G. als Tatobjekt für geeignet hielt. Dieser gewann für die Tatbegehung drei Mittäter. Mit dem gesondert verfolgten Mittäter Sc. begab er sich erneut nach K. , um dort die Öffnungszeiten und die Arbeitsgewohnheiten des Geschäftsinhabers auszukundschaften. Er plante den Raubüberfall so akribisch, dass der Angeklagte aufgrund des Zeitablaufs mehrmals nachfragte, wann nun die Tat stattfinden solle. Nach der ursprünglichen Planung des von G. und seinen Komplizen am Vormittag des 9. März 2013 schließlich durchgeführten Überfalls sollte dabei eine Gaspistole des Mittäters Sc. verwendet werden. Da dieser seine Pistole jedoch nicht dabei hatte, erklärte sich der Angeklagte morgens auf telefonische Anfrage G. s bereit, ihm eine Waffe für den Überfall zur Verfügung zu stellen. G. holte bei ihm eine mit scharfer Munition geladene Pistole ab, die er anschließend an Sc. übergab, damit dieser sie zur Drohung einsetzen konnte.
Bei dem nachfolgenden Überfall auf das Juweliergeschäft, dessen Inha5 ber die Schusswaffe vorgehalten wurde, erbeuteten G. und seine Komplizen Gold, Schmuck und Bargeld im Gesamtwert von 33.000 Euro. Auf der Flucht vom Tatort gab Sc. einen Schuss in Richtung des ihn verfolgenden geschädigten Geschäftsinhabers ab und verfehlte ihn knapp. Das erbeutete Bargeld wurde zwischen G. und seinen drei Komplizen geteilt. Das Gold veräußerte G. und beteiligte an dem Erlös nur noch Sc. . Der Angeklagte , der als Tippgeber grundsätzlich an der Beute beteiligt werden sollte, erhielt kein Geld. G. übergab ihm einen Teil des erbeuteten Schmucks zur Veräußerung , ohne dass G. hierfür später einen Erlös erhielt (Fall II.A.2 der Urteilsgründe).

b) Weiterhin machte der Angeklagte dem früheren Mitangeklagten
6
G. den Vorschlag, ein Internetcafé in A. zu überfallen, in dem sich ein Filialgeschäft des Geldtransferunternehmens W. U. befand. Er wusste, wo dort Geld aufbewahrt wurde, und ihm war bekannt, dass insbesondere freitags größere Geldmengen vorhanden wären und dann eine Beute von etwa 10.000 Euro in Aussicht stehen würde. Er gab seine Informationen an G. weiter, und es wurde der Plan entwickelt, das Internetcafé an einem Freitag zu überfallen. G. , der die Tat gemeinsam mit den gesondert verfolgten Mittätern Sc. und M. begehen wollte, kundschaftete zunächst mit dem Angeklagten und M. die Örtlichkeit des geplanten Überfalls aus, bei dem eine Schreckschusswaffe benutzt werden sollte.
7
Nach einer weiteren Erkundung der Geschäftsräume durch G. und M. begaben sich beide gemeinsam mit Sc. zur Ausführung der Tat am 3. Mai 2013, einem Freitag, zum Internetcafé. Wegen der zu großen Anzahl von Besuchern verschoben sie die Tatbegehung jedoch um zwei Tage. Bei ihrem Raubüberfall am Abend des 5. März 2013 wurde der geschädigte Geschäftsinhaber mit einer Pistole bedroht, die – was dem Angeklagten nicht bekannt war – mit scharfer Munition geladen war. Die Beute betrug lediglich 300 Euro. Als G. und M. am nächsten Tag hiervon dem Angeklagten berichteten, verlangte dieser gleichwohl seinen zuvor verabredeten Anteil von 20 % an der Beute; sie wurde letztlich aber nur unter den Mittätern M. und Sc. aufgeteilt (Fall II.A.3 der Urteilsgründe).

c) Die Strafkammer hat den Angeklagten in beiden Fällen jeweils als Ge8 hilfen angesehen und ihn im Fall II.A.2 wegen Beihilfe zum besonders schweren Raub gemäß §§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 2 Nr. 1, 27 StGB und im Fall II.A.3 wegen Beihilfe zum schweren Raub gemäß §§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 1 Nr. 1b,
27 StGB verurteilt. Sie hat bei ihrer Bewertung der Beteiligungsform maßgeblich darauf abgestellt, dass der Angeklagte, der nicht mehr in die weitere Ablaufplanung oder die Auswahl von Mittätern eingebunden gewesen sei, abgesehen von der Übergabe der Waffe im Fall II.A.2 weder den genauen Zeitpunkt noch die Art der Tatausführung beeinflusst habe. Dies spreche gegen eine üblicherweise einem Mittäter zukommende Tatherrschaft.
9
2. a) In einer von ihm angemieteten und allein genutzten Dachgeschosswohnung , die ihm zur Lagerung und Portionierung sowie als „Drogenkü- che“ zur Streckung von Betäubungsmitteln diente und bis auf eine Küchenzeile und einen Werkstattwagen unmöbliert war, verwahrte der Angeklagte insgesamt 1.425 g Marihuana (THC-Wirkstoffanteil 80,5 g) und 1.248 g Amphetamin (114 g Amphetaminbase) nebst 3 kg Streckmittel und Verpackungsmaterial. Die Betäubungsmittel, die er gewinnbringend verkaufen wollte, wurden bei einer Durchsuchung am 8. Dezember 2014 sichergestellt. Dabei wurden in einem unverschlossenen Schrank im Hausflur vor der Wohnung auch Haschischplatten mit einem Gesamtgewicht von 997 g gefunden, bei denen sich eine mit elf Patronen geladene Pistole befand (Fall II.B.2 der Urteilsgründe).
10
b) Eine eindeutige Zuordnung der im Vorflur der Wohnung gefundenen Haschischplatten nebst Schusswaffe hielt die Strafkammer nicht für möglich, da dieses Rauschgift in einem unverschlossenen Schrank gelagert habe, der sich im Hausflur in einem über das Treppenhaus für mehrere Personen zugänglichen Bereich befunden habe. Sie hat daher zu Gunsten des Angeklagten angenommen , dass das Haschisch und die Waffe dort von einer dritten Person deponiert worden sein könnten.

II.


11
Die Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge zur Aufhebung der Schuldsprüche in den Fällen II.A.2 und II.A.3 Insoweit hält die revisionsgerichtlicher Kontrolle nur begrenzt zugängliche Beweiswürdigung des Landgerichts rechtlicher Überprüfung nicht stand. Im Übrigen ist das Rechtsmittel aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet.
12
1. Die Beweiswürdigung zu Fall II.A.2 erweist sich als lückenhaft.
13
In den Urteilsgründen wird die Aussage des als Zeugen vernommenen Mittäters Sc. nur am Rande mit der Feststellung erwähnt, er habe zu einer Beteiligung des Angeklagten an der Tat in K. nichts bekunden können (UA S. 20). Damit lässt sich dem Urteil nicht entnehmen, ob sich dieser Zeuge zu der Behauptung des einzigen Belastungszeugen G. geäußert hat, Sc. habe am Morgen der Tat seine beim Überfall als Waffe vorgesehene Gasdruckpistole vergessen, sodass er, G. , kurzfristig eine andere Waffe habe beschaffen müssen, die er Sc. danach ausgehändigt habe. Diese Dar- stellung hat das Landgericht seiner Feststellung zugrunde gelegt, dass der Angeklagte die Tatwaffe zur Verfügung gestellt habe. Eine Hinterfragung dieser eine Tatbeteiligung des Angeklagten betreffenden Schilderung G. s hat insbesondere deshalb nahe gelegen, weil ihr zufolge der Mittäter Sc. entgegen der ursprünglichen Planung nunmehr eine scharfe Waffe verwendet und mit ihr auch geschossen hatte. Auch versteht es sich nach den Urteilsgründen nicht von selbst, weshalb G. gemeinsam mit seinen Mittätern zur Beschaf- fung einer Tatwaffe einen Umweg zum Tatort in Kauf genommen haben will, statt Sc. veranlasst zu haben, seine „vergessene" Waffe noch zu holen. Eine nähere inhaltliche Auseinandersetzung mit der Aussage des ZeugenSc. , in dessen Wahrnehmungsbereich die gemeinsame Fahrt mit G. zum Tatort und die Umstände einer Beschaffung der Tatwaffe fielen, ist hier angesichts der auch vom Landgericht bei Würdigung der Beweislage angenommenen Aussage -gegen-Aussage-Konstellation geboten gewesen, zumal das Landgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass bei dem Zeugen G. , der mit seinen früheren Aussagen in den Genuss einer Strafmilderung nach § 46b StGB kommen wollte, die Gefahr einer Falschbelastung des Angeklagten bestanden habe.
14
Hinzu kommt, dass das Landgericht bei den Schilderungen des Zeugen G. , denen es „eine hohe Konstanz“ beigemessen hat, eine erhebliche Divergenz in seinen Angaben zur Fahrt zum Tatort und zur Reihenfolge von Beschaffung der Waffe und Fahrtantritt unzureichend gewürdigt hat: Während G. nach seiner Zeugenaussage in der Hauptverhandlung die Waffe auf der gemeinsamen Fahrt zum Tatort beim Angeklagten besorgt haben will (UA S. 17), schilderte er in seiner früheren Einlassung als Angeklagter in seinem eigenen Verfahren, erst die Waffe beim Angeklagten inA. besorgt und sich hernach mit den Mittätern in seiner Wohnung in Ka. getroffen zu haben , um sodann zum Tatort nach K. zu fahren (UA S. 18). Diese Abweichung hat das Landgericht verkürzend allein unter dem Gesichtspunkt der Fahrt zum Tatort als eine nur unterlassene Erwähnung eines „Zwischenstopps" gewürdigt (UA S. 19). Bei der Erörterung dieses Aspekts hat es zudem nicht erkennbar den Umstand aussagekritisch bedacht, dass bei der von G. als Zeugen behaupteten Komplikation einer erst „kurzfristig“ am Morgen des Tattages von ihm zu beschaffenden anderen Tatwaffe trotz eines erheblichen Umwegs mit zwei Zwischenhalten auf dem Weg vonKa. nach K. , bei denen auch eine längere Fahrtstrecke in einer zum Tatort entgegengesetzten Richtung zurückzulegen war, die ursprünglich geplante Tatzeit von 9:30 Uhr (UA S. 17) mit der tatsächlich festgestellten Tatzeit von 9:40 Uhr (UA S. 9) nahezu eingehalten wurde.
2. Auch hinsichtlich des Falls II.A.3 beruhen die Feststellungen auf keiner
15
tragfähigen Beweiswürdigung.
Zwar hat sich das Landgericht bei seiner Überzeugungsbildung nicht nur
16
auf die Aussage des Zeugen G. , sondern auch auf die des weiteren Mittäters M. stützen können. Zudem hatte der Angeklagte zu diesem von ihm ebenfalls bestrittenen Tatvorwurf eingeräumt, mit G. und M. den späteren Tatort in A. einmal aufgesucht und von G. erfahren zu haben, dass dieser dort Geld an sich bringen wolle. Im Rahmen seiner Gesamtwürdigung hat das Landgericht jedoch ausgeführt, dass sich bereits „ein Muster im straf- rechtlichen Verhalten“ des Angeklagten abzeichne, der sich als Tippgeber für Überfälle im Hintergrund halte und sich für seine Informationen entlohnen lasse (UA S. 26). Insoweit hat das Landgericht allerdings maßgeblich auf die indizielle Bedeutung der festgestellten ersten Tatbeteiligung beim Überfall inK. abgestellt und damit auf einen Umstand, der – nach den vorstehenden Ausführungen zu II.1 – nicht berücksichtigt werden durfte.
17
3. Die Aufhebung der Verurteilung in den Fällen II.A.2 und II.A.3 zieht die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.

III.


Die Revision der Staatsanwaltschaft führt überdies zur Aufhebung der
18
Verurteilung im Fall II.B.2 der Urteilsgründe (dazu unter III.2). Darauf, dass das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft in den Fällen II.A.2 und II.A.3 der Urteilsgründe auch zu Gunsten des Angeklagten wirkt (§ 301 StPO), kommt es nach dem diesbezüglichen Erfolg der Revision des Angeklagten nicht mehr an(vgl. BGH, Urteile vom 23. Januar 2003 – 4 StR 412/02, NJW 2003, 2036, 2037; vom 11. März 2003 – 1 StR 507/02, NStZ-RR 2003, 186, 189; vom 15. Juli 2008 – 1 StR 144/08; vom 28. September 2011 – 2 StR 93/11; vom 20. Dezember 2012 – 4 StR 55/12, BGHSt 58, 102, 110, und vom 14. August 2014 – 4 StR 163/14, NJW 2014, 3382, 3384 mwN). Im Übrigen ist das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft unbegründet, soweit sie sich zu Ungunsten des Angeklagten gegen die Schuldsprüche in den Fällen II.A.2 und II.A.3 wendet (dazu nachfolgend unter III.1).
19
1. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen in den Fällen II.A.2 und II.A.3 hält die Bewertung der Beteiligung des Angeklagten an den beiden Raubtaten lediglich als Beihilfe rechtlicher Prüfung stand.
20
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist Mittäter , wer nicht nur fremdes Tun fördert, sondern einen eigenen Tatbeitrag derart in eine gemeinschaftliche Tat einfügt, dass sein Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheint. Ob ein Beteiligter ein so enges Verhältnis zur Tat hat, ist nach den von seiner Vorstellung umfassten gesamten Umständen in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte können der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein, sodass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich von seinem Willen abhängen (BGH, Urteil vom 15. Januar 1991 – 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289, 291; Beschlüsse vom 29. September 2005 – 4 StR 420/05, NStZ 2006, 94; vom 26. März 2014 – 5 StR 91/14, und vom 14. Juli 2016 – 3 StR 129/16, StraFo 2016, 392, 393). In Grenzfällen hat der Bundesgerichtshof dem Tatgericht für die ihm obliegende Wertung einen Beurteilungsspielraum eröffnet. Lässt das angefochtene Urteil erkennen, dass das Tatgericht die genannten Maßstäbe erkannt und den Sachverhalt vollständig gewürdigt hat, so kann das gefundene Ergebnis vom Revisionsgericht auch dann nicht als rechtsfehlerhaft beanstandet werden, wenn eine andere tatrichterliche Beurteilung möglich gewesen wäre (BGH, Urteile vom 17. Juli 1997 – 1 StR 781/96, NJW 1997, 3385, 3387; vom 20. Januar 1998 – 5 StR 501/97, NStZ-RR 1998, 136; vom 31. Oktober 2001 – 2 StR 315/01, NStZ-RR 2002, 74, 75; vom 17. Oktober 2002 – 3 StR 153/02, NStZ 2003, 253, 254; vom 10. November 2004 – 5 StR 403/04, NStZ-RR 2005, 71; vom 27. September 2012 – 4 StR 255/12, NStZ-RR 2013, 40, 41, und vom 10. Dezember 2013 – 5 StR 387/13).
21
b) Dem angefochtenen Urteil ist zu entnehmen, dass die Strafkammer diese Maßstäbe erkannt und ihrer Beurteilung der Tatbeiträge des Angeklagten zugrunde gelegt hat. Dies ergibt sich bereits daraus, dass sie unter ausdrücklicher Darstellung der vorgenannten Abgrenzungskriterien im Rahmen der rechtlichen Würdigung der Raubtaten eine differenzierende Betrachtung der jeweiligen Tatbeiträge des Angeklagten vorgenommen hat. Dabei hat die Strafkammer berücksichtigt, dass der Angeklagte an der konkreten Tatplanung und unmittelbaren Tatausführung durch G. und dessen Mittäter nicht beteiligt war. Umstände, die für mittäterschaftliches Handeln sprechen könnten, hat sie nicht außer Acht gelassen, deren Gewicht jedoch mit vertretbaren Erwägungen relativiert.
So hat das Landgericht im Hinblick auf eine Beteiligung an der Beute ge22 sehen, dass der Angeklagte im Fall II.A.2 keinen festen prozentualen Anteil erhalten sollte und von G. erst nach Teilung zwischen ihm und seinen Mittätern beteiligt wurde, die von dem Angeklagten als Tippgeber auch nichts wuss-
ten (vgl. BGH, Urteil vom 31. Oktober 2001 – 2 StR 315/01, NStZ-RR 2002, 74, 75). Im Fall II.A.3 erhielt er letztlich nicht den vereinbarten prozentualen Anteil an der Beute, der für die mittäterschaftliche Beteiligung eines Tippgebers sprechen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 1990 – 4 StR 143/90, BGHR StGB § 25 Abs. 2 Tatherrschaft 4). Soweit der Angeklagte im Rahmen der Tatvorbereitung vor beiden Raubtaten die Örtlichkeiten mit G. in Augenschein nahm, machte es dessen weiteres eingehendes Auskundschaften mit anderen Tatgenossen zur näheren Tatplanung nicht entbehrlich. Die Zurverfügungstellung der Tatwaffe durch den Angeklagten im Fall II.A.2 war zwar eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Durchführung des geplanten Überfalles , jedoch erfolgte dies nicht aufgrund eigener Initiative des Angeklagten. Im Rahmen seiner Gesamtwürdigung hat das Landgericht die Nähe der Tatbeiträge des Angeklagten zur Beteiligungsform der Mittäterschaft nicht verkannt, allerdings maßgeblich darauf abgestellt, dass vor allem die fehlende Tatherrschaft für Teilnahmehandlungen in Form der Beihilfe sprechen.
23
Das Landgericht hat das Beweisergebnis danach umfassend gewürdigt und sich bei der Einordnung der Beteiligung des Angeklagten noch im tatrichterlichen Beurteilungsspielraum gehalten. Dass eine andere Bewertung möglich gewesen wäre, macht das gefundene Ergebnis nicht rechtsfehlerhaft.
24
2. Die Verurteilung im Fall II.B.2 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung hingegen nicht stand. Die Revision wendet sich mit Recht gegen die Beweiswürdigung, die der unterlassenen Zuordnung der Haschischplatten und der Schusswaffe zum Betäubungsmittelhandel des Angeklagten zugrunde liegt, und gegen den Schuldspruch nur wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.

a) Das Revisionsgericht hat es allerdings grundsätzlich hinzunehmen,
25
wenn das Tatgericht Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten nicht zu überwinden vermag; dies gilt auch für die Verwirklichung der Voraussetzungen einer Qualifikation. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob ihm Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft ist oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene Anforderungen gestellt worden sind. Insbesondere ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 23. März 1995 – 4 StR 746/94, NJW 1995, 2300, 2301, und vom 3. Juni 2015 – 5 StR 55/15, NStZ-RR 2015, 255, 256 mwN).
26
b) Hier hat das Landgericht die Anforderungen an die für eine Verurteilung erforderliche richterliche Überzeugungsbildung überspannt. Schon angesichts der räumlichen Nähe des unverschlossenen Schranks zu der allein vom Angeklagten genutzten Dachgeschosswohnung war es wahrscheinlich, dass er das Haschisch und die Waffe dort abgelegt hatte, zumal sich in diesem Obergeschoss keine weitere Wohnung befand. In die gebotene Gesamtwürdigung aller Umstände wäre weiter einzustellen gewesen, dass der Angeklagte erhebliche Mengen Rauschgift auch in dieser Wohnung lagerte, ohne sämtliche in seinem Besitz befindlichen Betäubungsmittel dort zu konzentrieren, wie die in seiner Privatwohnung zeitgleich am 8. Dezember 2014 sichergestellten 78 g Marihuana belegen. Demgegenüber entbehrt die Annahme des Landgerichts, das Haschisch und die Waffe könnten ungesichert von einer anderen, unbekannten Person im Vorflur vor der Wohnung des Angeklagten aufbewahrt worden sein, einer realen Anknüpfungsgrundlage. Es handelt sich um eine rein theoretische Überlegung, auf die das Tatgericht vernünftige Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten nicht stützen kann.
3. Die Aufhebung der Verurteilung im Fall II.B.2 der Urteilsgründe zieht
27
die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.
4. Das neue Tatgericht wird, um seiner Kognitionspflicht (§ 264 Abs. 1
28
StPO) hinsichtlich des dem Angeklagten mit der Anklageschrift vom 14. Januar 2015 vorgeworfenen Betäubungsmitteldelikts zu genügen, den im Tatkomplex II.B der Urteilsgründe festgestellten Sachverhalt auch hinsichtlich der am 8. Dezember 2014 in der Privatwohnung des Angeklagten sichergestellten 78 g Marihuana zu würdigen haben, die das Landgericht der zum Handeltreiben bestimmten Menge nicht zugerechnet hat (UA S. 29). Insoweit kommt bei erneuter Feststellung, dieses Rauschgift habe seinem Eigenkonsum gedient, eine Verurteilung wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in Betracht.
Sander Schneider Berger
Bellay Feilcke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 159/07
vom
25. April 2007
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja zu Nr. 2
Veröffentlichung: ja
____________________________
Behauptet der Transporteur von Betäubungsmitteln, sein Tatbeitrag habe sich
darin erschöpft, die Betäubungsmittel im Auftrag eines Dritten zu transportieren,
und individualisiert er seinen Auftraggeber nicht, so ist der Tatrichter nicht auf
Grund des Zweifelssatzes gehalten, diese auf eine Beihilfe zum Handeltreiben
abzielende Einlassung zugrunde zu legen, wenn keine zuverlässigen Anhaltspunkte
für Auftrag und Person des Auftraggebers vorliegen.
BGH, Beschl. vom 25. April 2007 - 1 StR 159/07 - LG Nürnberg-Fürth
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringerMenge
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. April 2007 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 8. Dezember 2006 wird als unbegründet verworfen , da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Ergänzend bemerkt der Senat: 1. Das Landgericht hat den Angeklagten im Ergebnis zu Recht wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, jeweils in nicht geringer Menge und mit einer Waffe, verurteilt. Zwar ist die bewaffnete Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ein unselbständiger Teilakt des bewaffneten Handeltreibens in nicht geringer Menge, wenn sie im Rahmen ein- und desselben Güterumsatzes erfolgt; dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG: "wer... ohne Handel zu treiben, einführt" (BGH NStZ 2003, 440; Urteil vom 24. Juni 2003 - 1 StR 25/03 jew. m.w.N.). Soweit das erworbene Heroin gewinnbringend verkauft werden sollte, ist hier deshalb die Tatbestandsalternative der Einfuhr ausgeschlossen. Der Angeklagte hat jedoch 40 g der erworbenen Menge (Wirkstoffgehalt 59,4 = 60 %) zum Eigenverbrauch bestimmt. Insoweit ist in Tateinheit zum Handeltreiben auch der Tatbestand der Einfuhr, jeweils in nicht geringer Menge und mit einer Waffe, erfüllt, da diese Teilmenge nicht von der Tatbestandsalternative des Handeltreibens erfasst wird (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 2000 - 3 StR 22/00; Beschluss vom 28. Januar 2005 - 2 StR 555/04). 2. Die Verurteilung wegen täterschaftlichen Handeltreibens und nicht wegen Beihilfe ist - auch im Lichte neuerer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Kuriertätigkeiten (vgl. zusammenfassend BGH NJW 2007, 1220) - ebenfalls nicht zu beanstanden. Der Angeklagte hat erhebliche, über den reinen Transport hinausgehende Tätigkeiten entfaltet. Er war unmittelbar mit Eigeninitiative am Erwerb beteiligt; insbesondere konnte er, nachdem ihm in Holland eine Kontaktaufnahme zu dem Drogenhändler "P. " nicht gelungen war, eigenverantwortlich entscheiden, das Heroin mit dem von seinem Auftraggeber zur Verfügung gestellten Geld bei einem "A. " zu erwerben. Er hatte auch darüber hinaus ein eigenes Interesse am weiteren Schicksal des Gesamtgeschäfts , weil ihm für die Betäubungsmittelbeschaffung eine erhebliche Entlohnung in Form eines Schuldenerlasses in Höhe von 1.000 € in Aussicht gestellt war und er von den zu erwerbenden 300 g Heroin 40 g für den Eigenkonsum behalten sollte. Im Übrigen wäre das Landgericht nicht gehalten gewesen, die Einlassung des Angeklagten, er habe die Betäubungsmittel lediglich im Auftrag eines Drogenhändlers, dessen Name er nicht nennen wolle, von Holland nach Bayern transportiert, den Urteilsfeststellungen als unwiderlegbar zugrunde zu legen. Die Strafkammer hat für einen solchen Auftrag und für die Person des Auftraggebers keine konkreten Anhaltspunkte festgestellt. Bei ei- ner solchen Sachlage muss der Tatrichter nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses entscheiden, ob derartige Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen (vgl. BGHSt 34, 29, 34; BGH NStZ 2002, 48). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine zureichenden Anhaltspunkte erbracht sind (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 8. November 2006 - 2 BvR 1378/06; BGH NStZ-RR 2003, 371 LS; NStZ 2004, 35, 36). Dies führt auch hinsichtlich des insoweit schweigenden Angeklagten nicht zu einer mit dem Schuldprinzip kollidierenden Beweislastumkehr, sondern ist notwendige Folge der Verpflichtung des Gerichts, gemäß § 261 StPO seine Überzeugung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung zu schöpfen (BVerfG aaO). Nack Wahl Kolz Hebenstreit Elf

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 30/18
vom
1. August 2018
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Verdachts der Erpressung
ECLI:DE:BGH:2018:010818U5STR30.18.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1. August 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Prof. Dr. Mosbacher, Köhler als beisitzende Richter,
Richter am Landgericht als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt E. als Verteidiger des Angeklagten A. ,
Rechtsanwalt S. , Rechtsanwältin B. als Verteidiger des Angeklagten M. ,
Rechtsanwalt Br. als Verteidiger des Angeklagten P. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 25. Juli 2017 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit es die Angeklagten A. , M. und P. betrifft.
In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten A. vom Vorwurf der banden- und
1
gewerbsmäßigen Erpressung in 14 Fällen sowie der räuberischen Erpressung in zwei Fällen, den Angeklagten M. vom Vorwurf der banden- und gewerbsmäßigen Erpressung in 13 Fällen sowie der räuberischen Erpressung und den Angeklagten P. vom Vorwurf der banden- und gewerbsmäßigen Erpressung in drei Fällen sowie der räuberischen Erpressung freigesprochen. Ihnen wird vorgeworfen, im Berliner Rotlichtmilieu Prostituierte und Zuhälter zur Zahlung von „Standgeldern“ gezwungen zu haben. Die gegen die Freisprüche gerichteten und auf die Verletzung formellen sowie materiellen Rechts gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft haben Erfolg.
2
1. Allerdings verfehlen die von der Beschwerdeführerin erhobenen Verfahrensrügen – insoweit werden die Rechtsmittel vom Generalbundesanwalt auch nicht vertreten – sämtlich die Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Denn die Staatsanwaltschaft hat durchgehend für die revisionsgerichtliche Beurteilung erforderliche Unterlagen nicht vorgelegt. Betroffen sind namentlich Niederschriften von Zeugenvernehmungen, auf die sie sich in ihrer Revisionsbegründung maßgebend bezogen hat.
2. Die Revisionen dringen jedoch mit der Sachrüge durch. Das angefoch3 tene Urteil entspricht nicht den Anforderungen, die nach § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an ein freisprechendes Urteil zu stellen sind.

a) Soweit das Landgericht hinsichtlich des Großteils der Anklagevorwürfe
4
darauf abstellt, dass schon die dort beschriebenen Verhaltensweisen die für den Tatbestand der Erpressung erforderliche „Benennung oder konkludente Inaussichtstellung empfindlicher Übel“ nicht beschreibe (UA S. 7 f.), verkennt es, dass es nach unveränderter Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung Aufgabe des Gerichts ist, unabhängig von etwaigen, die Wirksamkeit der An- klage nicht betreffenden Mängeln der Anklageschrift, „zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind“ (§ 244 Abs. 2 StPO).

b) Ein grundlegender Mangel des Urteils liegt bereits darin, dass es nicht
5
hinreichend erkennen lässt, welche Straftaten den einzelnen Angeklagten zur Last gelegt werden. Im Blick darauf, dass es sich um mehrere Angeklagte gehandelt hat, hätte das Landgericht zunächst die individuellen Anklagevorwürfe gegen jeden von ihnen nach Ort, Zeit und Begehungsweise aufzeigen müssen (vgl. BGH, Urteile vom 26. April 1990 – 4 StR 24/90, BGHSt 37, 21, 22; vom 5. August 1997 – 5 StR 210/97, NStZ-RR 1997, 374; MüKo-StPO/Wenske, 2016, § 267 Rn. 484 mwN). In einer geschlossenen Darstellung hätte es dann die als erwiesen angesehenen Tatsachen feststellen und davon ausgehend darlegen müssen, dass sich diese Vorwürfe entweder aus tatsächlichen oder aus rechtlichen Gründen nicht bestätigt haben (vgl. BGH, Urteil vom 5. August 1997 – 5 StR 210/97, aaO). Es ist Aufgabe der Urteilsgründe, dem Revisionsgericht auf diese Weise eine umfassende Nachprüfung der freisprechenden Entscheidung zu ermöglichen (BGH, Urteil vom 26. April 1990 – 4 StR 24/90, aaO mwN). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nur unvollkommen gerecht.
aa) Das Landgericht beginnt – ohne Bezeichnung der Anklagevorwürfe –
6
mit hypothetischen Ausführungen dazu, welche Feststellungen sich mit den vorhandenen Beweismitteln „allenfalls“ hätten treffen lassen. Danach wären die Angeklagten A. und M. im Zeitraum von September 2014 bis November 2015 im Rotlichtmilieu in der straße in Berlin tätig gewesen. In diesem Straßenabschnitt sich prostituierende Frauen bzw. deren Zuhälter hätten bis zu 120 € pro Frau und Woche an den Angeklagten M. , teils auch an den Angeklagten P. gezahlt, die sie möglicherweise an den Angeklagten A. weitergereicht hätten. Auf die Zahlungspflicht wären die Frauen durch andere Prostituierte bzw. deren Zuhälter hingewiesen worden. Ausdrückliche oder konkludente Drohungen hätten die Angeklagten nicht ausgesprochen. Bei Zahlung wären die jeweilige Frau und ihr Zuhälter von anderen dort tätigen Frauen und Zuhältern nicht behelligt geworden. Die Empfänger der Gelder wären im Gegenzug für die Zahlungen erreichbar gewesen, um den Frauen bei Belästigungen zu helfen, was die Zuhälter teilweise genutzt hätten, um sich weniger vor Ort aufzuhalten und anderen Tätigkeiten nachzugehen.
7
Danach werden Zahlungsvorgänge dargestellt, die sich zu den einzel- nen, weiterhin nicht beschriebenen Anklagevorwürfen „allenfalls“ bzw. „möglicherweise“ hätten nachweisen lassen. Diese (womöglich) feststellbaren Taten wären nach Auffassung des Landgerichts nicht strafbar, weil die Angeklagten nicht selbst Repressalien gegen die sich prostituierenden Frauen und Zuhälter angedroht oder je selbst durchgeführt hätten. Die bloße Entgegennahme von Zahlungen gegen die Gewährung von Schutz stelle aber keine Erpressung dar, sofern diese nicht durch Drohung mit einem empfindlichen Übel erzwungen würden.
Es schließen sich Ausführungen an, wonach mit Ausnahme dreier
8
(Tatziffern 1, 4 und 11) von insgesamt 16 Tatvorwürfen schon der Anklageschrift keine Strafbarkeit entnommen werden könne. Dort werde zwar den einzelnen Taten die Behauptung vorangestellt, dass die meist sprachunkundigen, auf Prostitutionseinnahmen angewiesenen Frauen bzw. deren Zuhälter die „Standgelder“ nur zahlten, weil die Angeklagten vor dem Hintergrund einerallgemeinen , milieuspezifischen Drohkulisse durch ihren „Ruf“, Gerüchte über Repressalien oder am Strich postierte „Aufpasser“ zumindest konkludent, aber unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hätten, dass die Frauen eine Vertreibung vom Straßenstrich, zum Teil sogar unter Anwendung von Gewalt zu fürchten hätten. Dies ersetze jedoch nicht die konkrete Feststellung aller Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes für jede einzelne Tat. Zu den Tatziffern 2, 3, 5 und 6 werden in diesem Zusammenhang Auszüge aus der Anklageschrift wiedergegeben und gewürdigt.
In einem weiteren Abschnitt legt das Landgericht dar, dass sich zu den
9
– erneut nur stichpunktartig wiedergegebenen – Tatvorwürfen 1, 4 und 11 in der Anklageschrift konkret beschriebene Drohungen der Angeklagten nicht hätten erweisen lassen, weswegen diese insoweit aus tatsächlichen Gründen freizusprechen gewesen seien. Das Urteil endet mit Erwägungen dazu, dass mit den zur Verfügung stehenden Beweismitteln weder die in der Anklageschrift be- hauptete „allgemeine milieuspezifische Drohkulisse“ noch etwaige konkrete Drohungen hätten festgestellt werden können, die schon im Anklagesatz jedoch nicht enthalten gewesen seien.
bb) Das Landgericht setzt die Anklagevorwürfe demnach im Einzelnen
10
als bekannt voraus und baut die weiteren Erörterungen auf dieser Unterstellung auf. Die Urteilsbegründung ist damit in weiten Teilen aus sich heraus nicht verständlich. Soweit anhand der Urteilsgründe eine sachlich-rechtliche Prüfung möglich ist, gilt Folgendes: (1) Das Verlangen von „Standgeldern“ stellt, was das Landgericht im
11
Grundsatz nicht verkennt, eine Verfügung über öffentlichen Straßenraum dar, die Privatpersonen – für jedermann erkennbar – nicht zusteht (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2010 – 5 StR 328/09, NJW 2010, 1615, 1616). Wird Prostitu- ierten und ihren Zuhältern für den Fall der Nichtzahlung solcher „Standgelder“ eine „Vertreibung“ angekündigt, so kann dies eine Drohung mit einem empfind- lichen Übel im Sinne von § 253 Abs. 1 StGB darstellen. Eine solche Drohung muss dabei nicht direkt ausgesprochen werden, es genügt vielmehr, wenn sie versteckt „zwischen den Zeilen“ erfolgt (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 6. No- vember 2008 – 4 StR 495/08, NStZ 2009, 263, 264). Die Herstellung und Aus- nutzung einer „Drohkulisse“ kann namentlich unter den besonderen Verhältnis- sen des Rotlichtgewerbes genügen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 6. November 2008 – 4 StR 495/08, aaO).
12
Legt man die hypothetischen Darlegungen des Landgerichts zu den einzelnen Zahlungsvorgängen (UA S. 5 f.) als festgestellt zugrunde, so haben sich in der straße prostituierende, aus Osteuropa kommende Frauen bzw. ihre Zuhälter teils über Monate, teils über Wochen insgesamt beträchtliche Geldbeträge an die Angeklagten gezahlt. Da Schenkungen als Zahlungsgrund auszuschließen sind, kann dieser Umstand, zumal im Rotlichtmilieu, bereits für sich genommen als Beweisanzeichen dafür gewertet werden, dass die Zahlungen nicht freiwillig erfolgt sind. Soweit das Landgericht demgegenüber von Dienstleistungsvereinbarungen (telefonische Erreichbarkeit der Angeklagten, um den Frauen bei Belästigungen zu helfen, bei gleichzeitiger „Entlastung“ der Zuhälter der Frauen im Blick auf eigene Schutztätigkeiten, UA S. 5) ausgeht bzw. solche als nicht ausschließbar ansieht, beruht dies auf einer lückenhaften Würdigung. Ferner hat das Landgericht hierdurch rechtsfehlerhaft zugunsten der zu den Tatvorwürfen schweigenden Angeklagten Geschehensabläufe unterstellt, für deren Vorliegen keine hinreichenden Anhaltspunkte bestanden (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 6. März 1986 – 4 StR 48/86, BGHSt 34, 29, 34; vom 18. August 2009 – 1 StR 107/09, NStZ-RR 2010, 85, jeweils mwN).
(a) Entsprechend den Ausführungen des Generalbundesanwalts hat sich
13
das Landgericht für ihre wesentlich aus der Aussage eines Zeugen abgeleitete Annahme freiwilliger Dienstvereinbarungen insgesamt nur unzureichend mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass einige Frauen über Zuhälter verfügten und damit jedenfalls bei einer Prostitutionstätigkeit außerhalb der straße keines zusätzlichen Schutzes bedurften. Warum gleichwohl gerade in der straße ergänzender, für die Zuhälter und Frauen unter beträchtlichen Ein- kommenseinbußen „erkaufter“ Schutz gerade durch die Angeklagten notwendig gewesen sein sollte, legt das Landgericht nicht schlüssig dar.
14
(b) Ferner wären die in den Urteilsgründen auszugsweise mitgeteilten Anklagevorwürfe zu den Tatziffern 3, 5 und 6 im Fall ihres Nachweises entgegen der Auffassung der Strafkammer schwerlich mit der Annahme freiwillig abgeschlossener Dienstverträge unter Gleichberechtigten zu vereinbaren.
Gemäß Anklagevorwurf zu Tatziffer 3 hat der Zuhälter die Zahlungen
15
entrichtet, weil „seine“ Frauen sonst aus der straße vertrieben worden wären. Soweit das Landgericht eine Verknüpfung mit einer Vertreibung speziell durch die Angeklagten oder auf deren Veranlassung vermisst, hätte es erörtern müssen, dass die Vertreibung bei einer Nichtzahlung gerade an die Angeklag- ten befürchtet wurde. Eine „Vertreibung“ durch unbeteiligte Dritte bei Zahlungs- säumnissen gegenüber den Angeklagten liegt unter solchen Vorzeichen nicht nahe.
Nach dem Anklagevorwurf zu Tatziffer 5 haben die Angeklagten A. und
16
M. bei der Einforderung von Zahlungen deutlich gemacht, dass sie „die Straße als die ihre betrachteten“. Dies spricht deutlich für eine einseitig auferlegte Zahlungspflicht im Sinne eines „Standgeldes“.
Nach dem Anklagevorwurf zu Tatziffer 6 hat der Angeklagte A. (wohl
17
aufgrund von Zahlungsrückständen) wütend zu einem Zuhälter gesagt, er werde schon sehen, was passiere, wenn die betroffene Prostituierte ohne Zahlung weiter auf der straße arbeite. Die Wertung des Landgerichts, der – wütende – Angeklagte habe womöglich nur vor den Folgen warnen wollen, wenn die Prostituierte ohne den Schutz des Angeklagten würde auskommen müssen, drängt sich abermals nicht auf.
18
(2) Soweit das Landgericht Beweise erhoben und gewürdigt hat, widerstreiten diese im Wesentlichen gleichfalls der Annahme von einvernehmlich abgeschlossenen Dienstverträgen.
So ergibt sich aus der verlesenen Aussage des Zuhälters K. , es sei
19
ein Mann namens Mu. (der Angeklagte P. ) zu ihm gekommen und habe ihm mitgeteilt, dass er sich im Gebiet von einem Mo. (Angeklagter A. ) befinde und er an diesen zahlen müsse; für den Fall der Nichtzahlung befürchtete er Repressalien (UA S. 9 f.). Dies findet Bestätigung in den Angaben der Zeugin T. , wonach bei Beginn ihrer Tätigkeit in der straße ein Mann vorbeigekommen sei, der gesagt habe, sie könne dort nicht ohne Weiteres stehen; die Zuhälter K. und G. hätten daraufhin Erkundigungen eingeholt , woraufhin durch K. an den Angeklagten P. gezahlt worden sei (UA S. 10). Nach Aussage der Zeugin Ba. ist sie wegen Zahlungsrückständen angeschrien worden, wonach sie dem Anrufer nochmal Geld gegeben habe , bevor sie nach Ungarn zurückgegangen sei (UA S. 11). In einem abgehörten Telefongespräch hat diese Zeugin gegenüber ihrem Zuhälter R. angegeben , sie gehe davon aus, „Mom. “ (der Angeklagte A. oder der Angeklagte M. ) werde sie „niederschlagen“ bzw. „umbringen“, weil nicht gezahlt wor- den sei (UA S. 12).
Auch wenn diesen Vorgängen konkrete Drohungen von Seiten der An20 geklagten nicht zu entnehmen bzw. in Bezug auf den Zeugen K. nach Auffassung der Strafkammer nicht erwiesen sind, hätte der Erörterung bedurft, wa- rum die Zeugen bei Nichtzahlung Gewaltmaßnahmen bis hin zum „Umbringen“ fürchteten. Die Annahme, dass sie insoweit nur grundlos „spekuliert“ haben könnten (UA S. 12), widerspricht jeglicher Lebenserfahrung und überspannt die an die tatrichterliche Überzeugungsbildung zu stellenden Anforderungen.
21
Der Senat besorgt nach alledem, dass sich das Landgericht durch seine Art des Vorgehens den Blick auf die gebotene Gesamtschau aller relevanten Tatsachen verstellt hat. Auf die Gesamtumstände hatte die Anklage mit ihrem Hinweis auf eine „allgemeine, milieuspezifischen Drohkulisse“ aber maßgebend abgestellt.

c) Der Generalbundesanwalt beanstandet ferner mit Recht, dass die Ur22 teilsgründe keine Feststellungen zu Werdegang und Vorleben sowie zur Persönlichkeit der Angeklagten enthalten:
„Derartige Feststellungen sind zwar in erster Linie bei verurtei- lenden Erkenntnissen notwendig, um nachvollziehen zu können , ob der Tatrichter die wesentlichen Anknüpfungstatsachen für die Strafzumessung (§ 46 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 StGB) ermittelt und berücksichtigt hat. Aber auch bei freisprechenden Urteilen ist der Tatrichter aus sachlich-rechtlichen Gründen zumindest dann zu solchen Feststellungen verpflichtet , wenn diese für die Beurteilung des Tatvorwurfs eine Rolle spielen können und deshalb zur Überprüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler hin notwendig sind (vgl. BGH, Urteile vom 13. Oktober 1999 – 3 StR 297/99, NStZ 2000, 91; vom 14. Februar 2008 – 4 StR 317/07, NStZ-RR 2008, 206, 207; vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, BGHSt 52, 314, 315; vom 25. Oktober 2012 – 4 StR 170/12, NStZ-RR 2013, 52). Die Notwendigkeit, die persönlichen Verhältnisse des Angeklagten umfassend in den Blick zu nehmen, nähere Feststellungen zu dessen Lebenslauf, Werdegang und Persönlichkeit zu treffen sowie diese in den Urteilsgründen darzulegen , richtet sich stets nach den Umständen des Einzelfalles (BGH, Urteil vom 21. November 2013 – 4 StR 242/13). Eine entsprechende Notwendigkeit ergibt sich hier bereits aus den den Angeklagten zum Vorwurf gemachten Straftaten. Ihnen liegt ersichtlich die Motivation zugrunde, in den Besitz von erheblichen Geldern zu gelangen. Daher liegt es nahe, dass den wirtschaftlichen Verhältnissen der Angeklagten Bedeutung auch für die Beurteilung der Tatvorwürfe zukommen
kann. Darüber hinaus bedarf es unter dem Gesichtspunkt der den Anklagevorwürfen immanenten erheblichen kriminellen Energie der Feststellung, ob die Angeklagten bereits in der Vergangenheit mit ähnlichen Straftaten in Erscheinung getreten sind und in ihren Werdegängen Hinweise für die Einbindung in die organisierte Kriminalität im Bereich des Rotlichtmilieus vor- handen sind.“ 3. Die Sache bedarf danach insgesamt neuer Verhandlung und Ent23 scheidung.
Mutzbauer Schneider König
Mosbacher Köhler

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren dadurch missbraucht, dass er unter Ausnutzung einer Zwangslage

1.
sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder
2.
diese dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird eine Person über achtzehn Jahren bestraft, die eine Person unter achtzehn Jahren dadurch missbraucht, dass sie gegen Entgelt sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt.

(3) Eine Person über einundzwanzig Jahre, die eine Person unter sechzehn Jahren dadurch mißbraucht, daß sie

1.
sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt oder
2.
diese dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen,
und dabei die ihr gegenüber fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(4) Der Versuch ist strafbar.

(5) In den Fällen des Absatzes 3 wird die Tat nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, daß die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.

(6) In den Fällen der Absätze 1 bis 3 kann das Gericht von Strafe nach diesen Vorschriften absehen, wenn bei Berücksichtigung des Verhaltens der Person, gegen die sich die Tat richtet, das Unrecht der Tat gering ist.

(1) Gegenstand der Urteilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt.

(2) Das Gericht ist an die Beurteilung der Tat, die dem Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens zugrunde liegt, nicht gebunden.