Bundesgerichtshof Urteil, 28. Apr. 2008 - II ZR 11/07

bei uns veröffentlicht am28.04.2008
vorgehend
Landgericht Bremen, 4 O 51/06, 28.06.2006
Landgericht Bremen, 4 U 22/06, 22.12.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 11/07 Verkündet am:
28. April 2008
Vondrasek
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
§ 74 c HGB ist auf den Anspruch des Geschäftsführers einer GmbH auf Zahlung einer
Karenzentschädigung für ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot nicht entsprechend
anwendbar.
BGH, Urteil vom 28. April 2008 - II ZR 11/07 - OLG Bremen
LG Bremen
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 28. April 2008 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette
und die Richter Dr. Kurzwelly, Kraemer, Caliebe und Dr. Drescher

für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen vom 8. Dezember 2006 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Klägerin war Geschäftsführerin der beklagten GmbH. In ihrem Anstellungsvertrag war u.a. vereinbart: "Frau S. verpflichtet sich, der Gesellschaft weder direkt noch indirekt Mandate abzuwerben oder anderen dabei behilflich zu sein, und zwar für zwei Jahre nach Ablauf des Dienstverhältnisses. Die Gesellschaft gewährt Frau S. dafür eine Karenzentschädigung in Höhe von 50 % des zuletzt gezahlten GrundJahresgehalts."
2
Die Beklagte kündigte das Anstellungsverhältnis zum 31. Dezember 2004 und zahlte der Klägerin bis einschließlich Oktober 2005 die vereinbarte Entschädigung. Mit der Klage forderte die Klägerin die Karenzentschädigung für November und Dezember 2005. Die Beklagte verlangte Zug um Zug Auskunft darüber, ob und in welchem Umfang die Klägerin seit 1. November 2005 anderweitigen Verdienst beziehe. Das Landgericht hat der Klage Zug um Zug gegen die Erteilung der Auskunft stattgegeben. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht die Beklagte ohne Einschränkung verurteilt. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

3
Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Die Beklagte kann von der Klägerin keine Auskunft über ihren anderweitigen Verdienst verlangen, weil er auf die Karenzentschädigung nicht anzurechnen ist. Ein Anspruch auf Auskunft, auch nach § 74 c Abs. 2 HGB, besteht nur, wenn ein anderweitiger Erwerb auf den Anspruch auf Zahlung einer Karenzentschädigung anzurechnen ist.
4
1. § 74 c Abs. 1 HGB, wonach sich der Handlungsgehilfe auf die Karenzentschädigung anrechnen lassen muss, was er durch anderweitige Verwertung seiner Arbeitskraft erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt, ist auf den Anspruch des Geschäftsführers einer GmbH auf Zahlung einer Karenzentschädigung nicht entsprechend anwendbar (Sen.Urt. v. 15. April 1991 - II ZR 214/89, ZIP 1991, 797; Baumbach/Hopt, HGB 33. Aufl. § 74 Rdn. 3; a.A. Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote 4. Aufl. Rdn. 751; dieselben BB 1995, 1134, 1137; dieselben GmbHR 1999, 885, 892; Thüsing, NZG 2004, 9, 12; Scholz/Schneider, GmbHG 10. Aufl. § 43 Rdn. 135 b; Baumbach/Hueck/Zöllner/Noack, GmbHG 18. Aufl. § 35 Rdn. 202; Ulmer/Paefgen, GmbHG § 35 Rdn. 255).
5
a) Der Anrechnung des Erwerbs aus einer anderweitigen Verwertung der Arbeitskraft nach § 74 c Abs. 1 HGB liegt der Gedanke zugrunde, dem Arbeit- nehmer keinen Anreiz für einen steten Arbeitsplatzwechsel oder gar für ein Leben ohne Arbeit zu bieten (Baumbach/Hopt, HGB 33. Aufl. § 74 c Rdn. 1 und 2). Der Arbeitnehmer soll nicht zur Kündigung verleitet werden, allein um eine Karenzentschädigung beziehen zu können. Außerdem soll vermieden werden, dass der Arbeitnehmer übersichert wird und eine Karenzentschädigung erhält, obwohl er durch das Wettbewerbsverbot gar keine beruflichen Nachteile erleidet (MünchKommHGB/v. Hoyningen-Huene 2. Aufl. § 74 c Rdn. 2; Röhricht/ v. Westphalen/Wagner, HGB 2. Aufl. § 74 c Rdn. 1; Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn/Boecken, HGB 2. Aufl. § 74 c Rdn. 2). Die Entlastung des Arbeitgebers von der Zahlung der Karenzentschädigung ist nicht der Zweck der Regelung , sondern nur deren ein Reflex. Von diesem Schutzzweck ist der GmbHGeschäftsführer als Organ der Gesellschaft nicht betroffen.
6
b) Gegen eine entsprechende Anwendung des § 74 c Abs. 1 HGB auf den Geschäftsführer spricht ferner, dass es sich bei ihm um eine speziell auf den zwingenden Charakter der Karenzentschädigung für den Handlungsgehilfen zugeschnittene Norm handelt. Ohne § 74 c Abs. 1 HGB könnte der Prinzipal die Anrechnung eines anderweitigen Verdienstes auf die Entschädigung unter ihre Mindesthöhe nicht vereinbaren, ohne gegen die zwingende Vorschrift des § 74 Abs. 2 HGB zur Höhe der Karenzentschädigung zu verstoßen. Dem Geschäftsführer einer GmbH muss dagegen überhaupt keine Karenzentschädigung versprochen und später gezahlt werden (Sen. BGHZ 91, 1, 3; Sen.Urt. v. 4. März 2002 - II ZR 77/00, ZIP 2002, 709). Wird dennoch eine Entschädigung versprochen, können die Vertragsparteien ihre Höhe frei vereinbaren. Entsprechend unterliegen auch die Anrechnung und das Ausmaß der Anrechnung eines anderweitigen Verdienstes der freien Vereinbarung, von der sich im übrigen die Gesellschaft durch die Entlassung des Geschäftsführers aus dem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot auch einseitig lösen darf (Sen.Urt. v. 17. Februar 1992 - II ZR 140/91, ZIP 1992, 543).
7
c) Der Zweck der Karenzentschädigung gebietet nicht, anderweitigen Erwerb stets anzurechnen. Wie bei einem Arbeitnehmer kann mit der Zahlung einer Entschädigung an den Geschäftsführer der GmbH beabsichtigt sein, die Nachteile des Wettbewerbsverbots für das berufliche Fortkommen des Betroffenen auszugleichen. Dann kann es auch eine zweckgerechte Entscheidung der Gesellschaft sein, dem Geschäftsführer die Früchte zusätzlicher Anstrengungen zu belassen, die er unternehmen muss, um in seinem bisherigen Tätigkeitsgebiet bei Einhaltung des Wettbewerbsverbots weiter erwerbstätig zu sein oder sich ein neues Tätigkeitsfeld zu erschließen. Er steht in seiner Funktion eher einem Selbständigen gleich und muss - gerade bei einer Kunden- oder Mandantenschutzklausel - nach der Beendigung des Dienstverhältnisses häufig neue Kunden oder Mandanten gewinnen, um nicht gegen das Wettbewerbsverbot zu verstoßen. Der mit dem Wettbewerbsverbot verbundene Nachteil, dass mit den Kontakten zu den bisherigen Kunden oder Mandanten keine Einnahmen mehr erzielt werden können und dürfen, trifft ihn auch dann, wenn die Erweiterung des Kunden- oder Mandantenkreises, die bei ungestörtem Verlauf zudem möglicherweise zu zusätzlichen Einnahmen geführt hätte, gelingt. Die GmbH wird außerdem regelmäßig mit der Zahlung einer Karenzentschädigung einen Anreiz bieten wollen, erworbene Kenntnisse nicht anderweitig einzusetzen und keinen Gewinn aus Geschäftsgeheimnissen zu beziehen. Andere Einnahmen sind kein Grund, eine solche Prämie zu kürzen.
8
d) Die Anrechnung des anderweitigen Verdienstes auf die Karenzentschädigung entspricht auch nicht einem allgemeinen Rechtsgedanken, der auf den Geschäftsführer einer GmbH ebenso wie auf einen Handlungsgehilfen zutrifft. Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz, dass ein anderweitiger Erwerb auf eine vertraglich geschuldete Entschädigung anzurechnen ist. Leistungen Dritter lassen vertragliche Verpflichtungen grundsätzlich unberührt.
9
2. Auch die ergänzende Auslegung des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrages ergibt nicht, dass anderweitiger Verdienst der Klägerin auf die Karenzentschädigung anzurechnen ist. Die Parteien haben über eine solche Anrechnung keine Vereinbarung getroffen. Aus dem Vertrag lässt sich nicht entnehmen, was die Parteien zur Vereinbarung einer Karenzentschädigung veranlasst hat. Schon weil sie im Verfahren dazu nichts vorgetragen hat, ist auch eine ergänzende Vertragsauslegung im Sinne der Beklagten nicht möglich.
Goette Kurzwelly Kraemer Caliebe Drescher
Vorinstanzen:
LG Bremen, Entscheidung vom 28.06.2006 - 4 O 51/06 -
OLG Bremen, Entscheidung vom 22.12.2006 - 4 U 22/06 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 28. Apr. 2008 - II ZR 11/07

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 28. Apr. 2008 - II ZR 11/07

Referenzen - Gesetze

Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG | § 35 Vertretung der Gesellschaft


(1) Die Gesellschaft wird durch die Geschäftsführer gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Hat eine Gesellschaft keinen Geschäftsführer (Führungslosigkeit), wird die Gesellschaft für den Fall, dass ihr gegenüber Willenserklärungen abgegeben oder

Handelsgesetzbuch - HGB | § 74


(1) Eine Vereinbarung zwischen dem Prinzipal und dem Handlungsgehilfen, die den Gehilfen für die Zeit nach Beendigung des Dienstverhältnisses in seiner gewerblichen Tätigkeit beschränkt (Wettbewerbsverbot), bedarf der Schriftform und der Aushändigung
Bundesgerichtshof Urteil, 28. Apr. 2008 - II ZR 11/07 zitiert 4 §§.

Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG | § 35 Vertretung der Gesellschaft


(1) Die Gesellschaft wird durch die Geschäftsführer gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Hat eine Gesellschaft keinen Geschäftsführer (Führungslosigkeit), wird die Gesellschaft für den Fall, dass ihr gegenüber Willenserklärungen abgegeben oder

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Bundesgerichtshof Urteil, 28. Apr. 2008 - II ZR 11/07 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Urteil, 28. Apr. 2008 - II ZR 11/07 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 04. März 2002 - II ZR 77/00

bei uns veröffentlicht am 04.03.2002

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL II ZR 77/00 Verkündet am: 4. März 2002 Vondrasek Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk:ja BGHZ: nein BGHR:
2 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 28. Apr. 2008 - II ZR 11/07.

Oberlandesgericht München Hinweisbeschluss, 02. Aug. 2018 - 7 U 2107/18

bei uns veröffentlicht am 02.08.2018

Tenor 1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 19.06.2018 (Az.: 3 HK O 3431/18) durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. 2. Es best

Landesarbeitsgericht Düsseldorf Urteil, 21. Sept. 2015 - 9 Sa 152/15

bei uns veröffentlicht am 21.09.2015

Tenor I.Auf die Berufung der Beklagten und des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 13.01.2015, Az.: 2 Ca 3082/12 teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 240.229,44 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf

Referenzen

(1) Eine Vereinbarung zwischen dem Prinzipal und dem Handlungsgehilfen, die den Gehilfen für die Zeit nach Beendigung des Dienstverhältnisses in seiner gewerblichen Tätigkeit beschränkt (Wettbewerbsverbot), bedarf der Schriftform und der Aushändigung einer vom Prinzipal unterzeichneten, die vereinbarten Bestimmungen enthaltenden Urkunde an den Gehilfen.

(2) Das Wettbewerbsverbot ist nur verbindlich, wenn sich der Prinzipal verpflichtet, für die Dauer des Verbots eine Entschädigung zu zahlen, die für jedes Jahr des Verbots mindestens die Hälfte der von dem Handlungsgehilfen zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen erreicht.

(1) Die Gesellschaft wird durch die Geschäftsführer gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Hat eine Gesellschaft keinen Geschäftsführer (Führungslosigkeit), wird die Gesellschaft für den Fall, dass ihr gegenüber Willenserklärungen abgegeben oder Schriftstücke zugestellt werden, durch die Gesellschafter vertreten.

(2) Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, sind sie alle nur gemeinschaftlich zur Vertretung der Gesellschaft befugt, es sei denn, dass der Gesellschaftsvertrag etwas anderes bestimmt. Ist der Gesellschaft gegenüber eine Willenserklärung abzugeben, genügt die Abgabe gegenüber einem Vertreter der Gesellschaft nach Absatz 1. An die Vertreter der Gesellschaft nach Absatz 1 können unter der im Handelsregister eingetragenen Geschäftsanschrift Willenserklärungen abgegeben und Schriftstücke für die Gesellschaft zugestellt werden. Unabhängig hiervon können die Abgabe und die Zustellung auch unter der eingetragenen Anschrift der empfangsberechtigten Person nach § 10 Abs. 2 Satz 2 erfolgen.

(3) Befinden sich alle Geschäftsanteile der Gesellschaft in der Hand eines Gesellschafters oder daneben in der Hand der Gesellschaft und ist er zugleich deren alleiniger Geschäftsführer, so ist auf seine Rechtsgeschäfte mit der Gesellschaft § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuchs anzuwenden. Rechtsgeschäfte zwischen ihm und der von ihm vertretenen Gesellschaft sind, auch wenn er nicht alleiniger Geschäftsführer ist, unverzüglich nach ihrer Vornahme in eine Niederschrift aufzunehmen.

(1) Eine Vereinbarung zwischen dem Prinzipal und dem Handlungsgehilfen, die den Gehilfen für die Zeit nach Beendigung des Dienstverhältnisses in seiner gewerblichen Tätigkeit beschränkt (Wettbewerbsverbot), bedarf der Schriftform und der Aushändigung einer vom Prinzipal unterzeichneten, die vereinbarten Bestimmungen enthaltenden Urkunde an den Gehilfen.

(2) Das Wettbewerbsverbot ist nur verbindlich, wenn sich der Prinzipal verpflichtet, für die Dauer des Verbots eine Entschädigung zu zahlen, die für jedes Jahr des Verbots mindestens die Hälfte der von dem Handlungsgehilfen zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen erreicht.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 77/00 Verkündet am:
4. März 2002
Vondrasek
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Das im Anstellungsvertrag eines GmbH-Geschäftsführers vereinbarte nachvertragliche
Wettbewerbsverbot gegen Karenzentschädigung wird nicht allein
dadurch verkürzt oder hinfällig, daß er mit der ordentlichen Kündigung
des Anstellungsvertrages von seinen Dienstpflichten freigestellt wird.

b) Die vereinbarte Karenzentschädigungspflicht entfällt mit dem Verzicht der
GmbH auf das Wettbewerbsverbot jedenfalls dann nicht, wenn der Verzicht
nach ordentlicher Kündigung des Anstellungsvertrages erst zu einem Zeitpunkt
erklärt wird, in dem der Geschäftsführer sich auf die mit dem Wettbewerbsverbot
verbundenen Einschränkungen seiner neuen beruflichen Tätigkeit
eingerichtet hat.
BGH, Urteil vom 4. März 2002 - II ZR 77/00 - OLG Köln
LG Aachen
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 4. März 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht
und die Richter Dr. Hesselberger, Prof. Dr. Goette, Dr. Kurzwelly und Kraemer

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 4. Februar 2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Der Kläger war Fremdgeschäftsführer der beklagten GmbH, die mit Textilien handelt. In § 6 seines Anstellungsvertrages vom 28. April 1992 wurde folgendes vereinbart:
"Herr A. (Kläger) verpflichtet sich, nach seinem Ausscheiden als Geschäftsführer aus der Gesellschaft für die Dauer eines Jahres
weder bei einem Konkurrenzunternehmen der Gesellschaft tätig zu werden noch ein solches zu betreiben. Für die Dauer des Wettbewerbsverbots erhält Herr A. eine Entschädigung in Höhe von 80 % der zuletzt gewährten Jahresbezüge gemäß § 2, wenn er keine andere Beschäftigung findet. Sollte das im Verbotszeitraum erhaltene Einkommen unter 80 % der letzten ... Einkünfte liegen, so bekommt Herr A. die Differenz von der Firma vergütet." Unter dem 15. Dezember 1995 berief die Beklagte den Kläger als Geschäftsführer ab und kündigte den Anstellungsvertrag unter Einhaltung der vereinbarten Kündigungsfrist von einem Jahr zum 31. Dezember 1996. Zugleich stellte sie den Kläger unter Weiterzahlung seines vollen Gehalts von allen Dienstpflichten frei. Mit Schreiben vom 16. Dezember 1996 teilte sie ihm mit, daß sie mit Wirkung vom 1. Januar 1997 auf das Wettbewerbsverbot verzichte , woraufhin der Kläger unter dem 9. Januar 1997 darauf hinwies, daß er gleichwohl die vereinbarte Karenzentschädigung beanspruche.
Mit seiner am 30. Dezember 1998 eingereichten Klage verlangt der Kläger von der Beklagten Zahlung der vereinbarten Karenzentschädigung für das Jahr 1997 in Höhe von 80 % seines Jahreseinkommens von 184.776,90 DM unter Anrechnung behaupteter Einkünfte von 32.400,00 DM, mithin 115.421,52 DM. Die Beklagte hat sich u.a. auf Verjährung berufen und vorgetragen , die Parteien hätten das - nach Sachlage ohnehin hinfällige - Wettbewerbsverbot Ende Dezember 1996 einvernehmlich aufgehoben; zudem gebe der Kläger seine anderweitigen Einkünfte zu niedrig an.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben; das Oberlandesgericht hat sie auf Berufung der Beklagten abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers.

Entscheidungsgründe:


Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.
1. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist das zwischen den Parteien vereinbarte Wettbewerbsverbot mit Karenzentschädigungspflicht nicht seinem Sinn und Zweck nach schon dadurch hinfällig geworden, daû der Kläger nach Ausspruch der Kündigung der Beklagten vom 15. Dezember 1995 bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 31. Dezember 1996 von seinen Dienstpflichten freigestellt und damit von den Geschäftsgeheimnissen sowie sonstigen Interna der Beklagten ferngehalten war. Diese Auslegung verletzt anerkannte Auslegungsgrundsätze (§§ 133, 157, 242 BGB), insbesondere den Grundsatz beiderseits interessengerechter Vertragsauslegung (vgl. dazu Sen.Urt. v. 9. Juli 2001 - II ZR 228/99, ZIP 2001, 1410 m.N.), wie die Revision zu Recht rügt.

a) Das Berufungsgericht geht allerdings insoweit zutreffend davon aus, daû das Wettbewerbsverbot und die Karenzentschädigungspflicht nicht an die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer, sondern an die Beendigung des - in der vorliegenden Vertragsurkunde geregelten - Anstellungsvertrages anknüpfen , was sich schon daraus ergibt, daû bis dahin das volle Gehalt und nicht nur 80 % hiervon zu zahlen waren. Dem Wortlaut der vertraglichen Regelung ist aber auch nicht zu entnehmen, daû es für die Geltung des Wettbewerbsverbots , seinen Beginn und seine Dauer, darauf ankommen sollte, ob und wie lange der Kläger nach Kündigung seines Anstellungsvertrages von seinen Dienstpflichten freigestellt wird. Derartiges geschieht nicht selten nach
Abberufung eines Geschäftsführers und ordentlicher Kündigung seines Anstellungsvertrages , weil damit regelmäûig ein Vertrauensverlust der Gesellschaft einhergeht, der es nicht ratsam erscheinen läût, den bisherigen Geschäftsführer in einer ähnlichen Position bis zur Vertragsbeendigung weiterzubeschäftigen. Da im vorliegenden Fall eine einjährige Kündigungsfrist vereinbart war und das nachvertragliche Wettbewerbsverbot erst danach einsetzen sollte, war nach den Vereinbarungen der Parteien die Karenzentschädigung bis zum 31. Dezember 1997 zu zahlen.

b) Zwar steht bei einem Wettbewerbsverbot das Interesse der Gesellschaft im Vordergrund, sich davor zu bewahren, daû der Geschäftsführer die in dem Unternehmen erlangten Kenntnisse und Verbindungen zu ihrem Schaden ausnutzt (Sen.Urt. v. 17. Februar 1992 - II ZR 140/91, ZIP 1992, 543). Soweit es zum Schutz eines derartigen berechtigten Interesses der Gesellschaft erforderlich ist und die Berufsausübung oder sonstige wirtschaftliche Betätigung des Geschäftsführers zeitlich, örtlich und gegenständlich nicht unbillig erschwert wird, also ein Verstoû gegen § 138 BGB nicht vorliegt (vgl. dazu z.B. Sen.Urt. v. 14. Juli 1997 - II ZR 283/96, NJW 1997, 3089), kann ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot mit einem Geschäftsführer auch ohne Karenzentschädigung vereinbart werden, weil ihm gegenüber die gesetzliche Regelung für Handlungsgehilfen des § 74 Abs. 2 HGB nicht gilt (Sen., BGHZ 91, 1, 5; Urt. v. 17. Februar 1992 aaO). Daraus läût sich aber nicht schlieûen, daû auch bei einer vereinbarten Karenzentschädigung und bei der Auslegung dieser Vereinbarung allein die Interessen der Gesellschaft zu berücksichtigen wären. Vielmehr kommt hier auch der Dispositionsschutz des Geschäftsführers zum Tragen. Wollte die Beklagte, daû die bezahlte Karenz im Fall einer Frei-
stellung des Klägers von seinen Dienstpflichten verkürzt oder hinfällig wird, so wäre es ihre Sache gewesen, dies in dem Vertrag klarzustellen.
2. Was den Verzicht der Beklagten auf das Wettbewerbsverbot angeht, so verkennt das Berufungsgericht, daû das dem Kläger bis zur Beendigung seines Anstellungsvertrages gezahlte, reguläre Gehalt wie bisher zur Deckung seines laufenden Lebensunterhalts und nicht zur Vorsorge für die Zeit danach bzw. als Ersatz für die Karenzentschädigung bestimmt war. Die Beklagte hat den Kläger bis zum Zugang ihres Schreibens vom 16. Dezember 1996 in dem Glauben gelassen, er müsse seinen künftigen Lebensunterhalt auf einem anderen , ihm weniger geläufigen Geschäftssektor als demjenigen der Beklagten suchen und könne dafür auf die Karenzentschädigung zurückgreifen. Auch wenn die Klägerin ihrerseits von der Hinfälligkeit des Wettbewerbsverbots nach der Kündigung ausgegangen sein sollte, ist ihr vorzuwerfen, daû sie diese im Rechtsstreit nachdrücklich verfochtene Ansicht nicht bei Ausspruch der Kündigung zum Ausdruck gebracht und damit eine der Kündigungsfrist entsprechende Dispositionsfrist gewahrt, sondern den Verzicht erst kurz vor Beendigung des Anstellungsvertrages zu einem Zeitpunkt erklärt hat, in dem sie davon ausgehen muûte, daû der Kläger sich auf die Geltung des Wettbewerbsverbots und die damit verbundenen Einschränkungen beim Aufbau einer neuen beruflichen Existenz eingerichtet hatte. Infolgedessen muû sie es hinnehmen, an die mit dem Kläger getroffene Vereinbarung gebunden zu bleiben.
3. Die Forderung des Klägers ist auch nicht gemäû §§ 196 Abs. 1 Nr. 8, 201 a.F. BGB ganz oder zum Teil verjährt, weil die Pflicht zur Zahlung der Karenzentschädigung erst Anfang 1997 fällig zu werden begann. Die Klage wurde
am 30. Dezember 1998 eingereicht und "demnächst" (§ 270 Abs. 3 ZPO) zugestellt.
4. Die Sache ist jedoch noch nicht entscheidungsreif, weil das Berufungsgericht zu der Behauptung der Beklagten, die Parteien hätten das Wettbewerbsverbot einvernehmlich aufgehoben, keine Feststellungen getroffen hat.
Die Sache ist daher zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Röhricht Hesselberger Goette
Kurzwelly Kraemer