Bundesgerichtshof Urteil, 04. Apr. 2017 - II ZR 77/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:040417UIIZR77.16.0
bei uns veröffentlicht am04.04.2017
vorgehend
Landgericht Gera, 1 HKO 238/14, 02.07.2015
Thüringer Oberlandesgericht, 2 U 537/15, 16.03.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 77/16 Verkündet am:
4. April 2017
Stoll
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Bei der gerichtlichen Überprüfung der Wirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen,
die die Abberufung oder die Kündigung des Anstellungsvertrags eines Gesellschafter
-Geschäftsführers einer GmbH aus wichtigem Grund betreffen, ist darauf abzustellen
, ob tatsächlich ein wichtiger Grund im Zeitpunkt der Beschlussfassung vorlag oder
nicht. Das Vorliegen des wichtigen Grunds hat im Rechtsstreit derjenige darzulegen
und zu beweisen, der sich darauf beruft.
BGH, Urteil vom 4. April 2017 - II ZR 77/16 - OLG Jena
LG Gera
ECLI:DE:BGH:2017:040417UIIZR77.16.0

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 4. April 2017 durch den Richter Prof. Dr. Drescher als Vorsitzenden, die Richter Born, Sunder und Dr. Bernau sowie die Richterin Grüneberg

für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 16. März 2016 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Beklagte ist eine GmbH, an der der Kläger mit vier Geschäftsanteilen zu Nennbeträgen von insgesamt 245.000 € (49 %) und der seit 2002 zum Alleingeschäftsführer bestellte W. S. mit einem Geschäftsanteil zu einem Nennbetrag von 255.000 € (51 %) beteiligt sind. Nach § 6 Nr. 4, § 9 Nr. 1 d des Gesellschaftsvertrags der Beklagten (im Folgenden: GV) entscheidet die Gesellschafterversammlung über die Abberufung und die Bestellung von Geschäftsführern. Die Leitung der Gesellschafterversammlung und die Feststellung der Abstimmungsergebnisse obliegen nach § 7 Abs. 9 und Abs. 10 GV dem Gesellschafter, der über die meisten Stimmen verfügt.
2
Der Geschäftsführer der Beklagten lud am 19. September 2014 zu einer Gesellschafterversammlung auf den 13. November 2014 ein. Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 4. November 2014 die Aufnahme weiterer Tagesordnungspunkte (im Folgenden: TOP), die unter anderem die sofortige Abberufung des Geschäftsführers aus wichtigem Grund (TOP 7), die fristlose Kündigung des Geschäftsführeranstellungsvertrags aus wichtigem Grund (TOP 8) und die Bestellung des Klägers zum Geschäftsführer (TOP 9) zum Gegenstand hatten. Der Kläger stimmte für die Beschlussanträge; der Geschäftsführer der Beklagten stimmte dagegen und stellte als Versammlungsleiter die Ablehnung fest.
3
Der Kläger hat die ablehnenden Beschlüsse zu TOP 7 und 8 angefochten und entsprechende positive Beschlussfeststellungsanträge gestellt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe:

4
Die Revision hat keinen Erfolg.
5
I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
6
Es habe kein wichtiger Grund für die sofortige Abberufung des Geschäftsführers der Beklagten vorgelegen. Die vom Kläger vorgetragenen Sachverhalte rechtfertigten weder für sich genommen noch in ihrer Gesamtschau die Annahme eines solchen Grundes. Insbesondere könne sich der Kläger nicht mehr auf das Verhalten des Geschäftsführers im Frühjahr 2011 im Zusammenhang mit Rangrücktrittsvereinbarungen berufen, die der Geschäftsführer der Beklagten vom Kläger gefordert hatte, da er, der Kläger, wegen dieser Vorgänge nicht zeitnah gesellschaftsrechtliche Konsequenzen gezogen habe. Auch für die außerordentliche Kündigung des Anstellungsverhältnisses habe kein wichtiger Grund bestanden. Insoweit könnten im vorliegenden Rechtsstreit keine anderen Grundsätze gelten als für den wichtigen Grund zu einer sofortigen Abberufung.
7
Die angefochtenen Beschlüsse seien auch nicht deshalb unwirksam, weil der Geschäftsführer der Beklagten mit seinem Stimmrecht ausgeschlossen gewesen sei. Es könne dahinstehen, ob ein Stimmrechtsausschluss des Gesellschafter -Geschäftsführers bereits zu bejahen sei, wenn lediglich ein in seiner Person liegender als wichtiger Grund qualifizierbarer Sachverhalt zur Abstimmung gestellt werde, oder ob, wie vom Landgericht angenommen, ein Stimmrechtsausschluss nur eingreife, wenn ein wichtiger Grund bei objektiver Betrachtung tatsächlich vorliege. Der Geschäftsführer der Beklagten sei jedenfalls deshalb nicht lediglich aufgrund der Behauptung eines wichtigen Grundes mit seinem Stimmrecht ausgeschlossen gewesen, weil er der Mehrheitsgesellschafter und alleinige Geschäftsführer in einer Zwei-Personen-GmbH gewesen sei. Bei anderer Sichtweise könnte eine Abberufung durch den Minderheitsgesellschafter lediglich auf Grundlage einer Behauptung zu einer Führungslosigkeit der Gesellschaft führen. Diese, für die Abberufung aus wichtigem Grund befürwortete Ausnahme von einem grundsätzlich gegebenen Stimmrechtsausschluss strahle auch auf die Abstimmung über die außerordentliche Kündigung des Anstellungsverhältnisses aus.
8
II. Das Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand. Die auf Nichtigerklärung der in der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 13. November 2014 zu TOP 7 und TOP 8 gefassten Beschlüsse gerichteten Anträge haben ebenso wie die zugehörigen positiven Beschluss- feststellungsanträge keinen Erfolg, weil kein wichtiger Grund zur Abberufung des Geschäftsführers der Beklagten und zur Kündigung seines Anstellungsvertrags vorlag.
9
1. Bei der gerichtlichen Überprüfung der Wirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen , die die Abberufung oder die Kündigung des Anstellungsvertrags eines Gesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH aus wichtigem Grund betreffen, ist darauf abzustellen, ob tatsächlich ein wichtiger Grund im Zeitpunkt der Beschlussfassung vorlag oder nicht. Entgegen der Auffassung der Revision ändert sich an diesem objektiven Maßstab bei der gerichtlichen Überprüfung nichts, wenn man es für die Auslösung eines vom Versammlungsleiter zu beachtenden Stimmverbots des betroffenen Gesellschafter-Geschäftsführers in der Gesellschafterversammlung ausreichen lässt, dass seine Abberufung oder die Kündigung seines Anstellungsvertrags zur Abstimmung steht und ein wichtiger Grund behauptet wird.
10
a) Bei der Beschlussfassung über die gewöhnliche Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers einer GmbH unterliegt dieser ebenso wenig einem Stimmverbot (BGH, Urteil vom 21. April 1969 - II ZR 200/67, WM 1969, 808, 809; Urteil vom 27. Oktober 1986 - II ZR 240/85, ZIP 1987, 293, 295) wie bei der Beschlussfassung über die ordentliche Kündigung seines Anstellungsvertrags (vgl. BGH, Urteil vom 31. Mai 2011 - II ZR 109/10, BGHZ 190, 45 Rn. 14 f.). Bei solchen, die inneren Angelegenheiten der Gesellschaft betreffenden Beschlüssen ist dem Gesellschafter die Mitwirkung nicht schon zu versagen , wenn der Beschlussinhalt zugleich auf seinen persönlichen Rechtskreis einwirkt, es sei denn, er würde, weil es gerade um die Billigung oder Missbilligung seines Verhaltens als Gesellschafter oder Geschäftsführer geht, dadurch zum Richter in eigener Sache. Deshalb unterliegt der Gesellschafter bei der Beschlussfassung über seine Abberufung als Geschäftsführer aus wichtigem Grund (BGH, Urteil vom 21. April 1969 - II ZR 200/67, WM 1969, 808, 809; Urteil vom 20. Dezember 1982 - II ZR 110/82, BGHZ 86, 177, 178 f., 181; Urteil vom 28. Januar 1985 - II ZR 79/84, WM 1985, 567, 568, 570; Urteil vom 27. Oktober 1986 - II ZR 240/85, ZIP 1987, 293, 295; Urteil vom 14. Oktober 1991 - II ZR 239/90, ZIP 1992, 32, 36; Urteil vom 27. April 2009 - II ZR 167/07, ZIP 2009, 1158 Rn. 28 ff.; Urteil vom 21. Juni 2010 - II ZR 230/08, ZIP 2010, 1640 Rn. 13) in gleicher Weise einem Stimmverbot wie bei dem Beschluss über die außerordentliche Kündigung seines Anstellungsvertrags (BGH, Urteil vom 28. Januar 1985 - II ZR 79/84, WM 1985, 567, 568, 570; Urteil vom 27. Oktober 1986 - II ZR 74/85, NJW 1987, 1889; Urteil vom 21. Juni 2010 - II ZR 230/08, ZIP 2010, 1640 Rn. 13).
11
b) In der obergerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum ist allerdings im Einzelnen streitig, unter welchen Voraussetzungen der GesellschafterGeschäftsführer bei der Abstimmung über die Abberufung oder Kündigung seines Anstellungsvertrags aus wichtigem Grund einem Stimmverbot unterliegt bzw. unter welchen Voraussetzungen der Versammlungsleiter ein Stimmverbot anzunehmen hat.
12
Teilweise wird vertreten, der betroffene Gesellschafter-Geschäftsführer unterliege bereits dann einem vom Versammlungsleiter zu beachtenden Stimmverbot, wenn über die Abberufung oder Kündigung des Anstellungsverhältnisses aus wichtigem Grund entschieden werden soll (vgl. OLG Naumburg, NZG 2000, 44, 46; OLG Karlsruhe, NZG 2000, 264, 265; Grunewald, Festschrift Zöllner, 1998, S. 177, 183; BeckOK GmbHG/Heilmeier, Stand: 1. Juni 2016, § 38 Rn. 65; Jacoby in Bork/Schäfer, GmbHG, 3. Aufl., § 38 Rn. 15; Michalski/Terlau, GmbHG, 2. Aufl., § 38 Rn. 61; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., § 38 GmbHG Rn. 38; MünchKommGmbHG/ Stephan/Tieves, 2. Aufl., § 38 Rn. 78; Paefgen in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl., § 38 Rn. 188). Teilweise wird (weitergehend) verlangt, dass ein wichtiger Grund substantiiert bzw. schlüssig oder nachvollziehbar behauptet wird (vgl. OLG Brandenburg, GmbHR 1996, 539, 542; MünchHdbGesR III/ Diekmann/Marsch-Barner, 4. Aufl., § 42 Rn. 62; Buck-Heeb in Gehrlein/Born/ Simon, GmbHG, 3. Aufl., § 38 Rn. 9; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl., § 38 Rn. 17; Koppensteiner/Gruber in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 5. Aufl., § 47 Rn. 77; MünchKommGmbHG/Drescher, 2. Aufl., § 47 Rn. 164; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 11. Aufl., § 46 Rn. 76; eine „verschärfte Behauptungslösung“ vertreten Lücke/Simon in Saenger/Inhester, GmbHG, 3. Aufl., § 38 Rn. 50).
13
Andere nehmen ein Stimmverbot nur an, wenn ein wichtiger Grund objektiv vorliegt und befürworten folglich eine materielle Prüfung des wichtigen Grunds durch den Versammlungsleiter (vgl. Ensenbach, GmbHR 2016, 8, 14; Fischer, BB 2013, 2819, 2820; Peters/Strothmann, Festschrift Meilicke, 2010, S. 511, 519; Werner, GmbHR 2015, 1185, 1187; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden , 1963, S. 238; MünchHdbGesR III/Wolff, 4. Aufl., § 38 Rn. 47; BeckOK GmbHG/Schindler, Stand: 1. August 2016, § 47 Rn. 118.2; Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., § 47 GmbHG Rn. 68; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 19. Aufl., § 47 Rn. 45; Casper in Bork/Schäfer, GmbHG, 3. Aufl., § 47 Rn. 50, 60; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, GmbHG, 3. Aufl., § 47 Rn. 42; Michalski/Römermann, GmbHG, 2. Aufl., § 47 Rn. 244; Wicke, GmbHG, 3. Aufl., § 38 Rn. 11; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Aufl., § 38 Rn. 35, § 47 Rn. 85 f.; Hüffer/Schürnbrand in Ulmer/ Habersack/Löbbe, GmbHG, 2. Aufl., § 47 Rn. 188).
14
c) Der Meinungsstreit über die Voraussetzungen, unter denen der Gesellschafter -Geschäftsführer bei der Abstimmung über die Abberufung oder Kündigung seines Anstellungsvertrags aus wichtigem Grund in der Gesellschafterversammlung einem Stimmverbot unterliegt, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn auch wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer der Beklagten auf die Behauptung eines wichtigen Grunds durch den Kläger hin mit seinem Stimmrecht ausgeschlossen gewesen wäre, ist es entgegen der Auffassung der Revision für die gerichtliche Beschlussüberprüfung ohne Bedeutung, dass er als Versammlungsleiter seine Stimme dennoch gezählt hat. Bei der gerichtlichen Überprüfung der Wirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen, die die Abberufung oder die Kündigung des Anstellungsvertrags eines GesellschafterGeschäftsführers einer GmbH aus wichtigem Grund betreffen, ist darauf abzustellen , ob tatsächlich ein wichtiger Grund im Zeitpunkt der Beschlussfassung vorlag oder nicht (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 1969 - II ZR 200/67, WM 1969, 808, 809; Urteil vom 20. Dezember 1982 - II ZR 110/82, BGHZ 86, 177, 181 f.; Urteil vom 27. Oktober 1986 - II ZR 74/85, NJW 1987, 1889; Beschluss vom 10. Dezember 2007 - II ZR 289/06, ZIP 2008, 694 Rn. 4; vgl. auch BGH, Urteil vom 28. Januar 1985 - II ZR 79/84, WM 1985, 567, 568, 570; ebenso RGZ 138, 98, 104). Das Vorliegen des wichtigen Grunds hat im Rechtsstreit derjenige darzulegen und zu beweisen, der sich darauf beruft (BGH, Urteil vom 27. April 2009 - II ZR 167/07, ZIP 2009, 1158 Rn. 35).
15
Wenn ein abstimmungserhebliches Stimmverbot in Frage steht, kommt es im Rechtsstreit allein auf das tatsächliche Vorliegen des wichtigen Grunds an. Das Gericht darf nicht schon aufgrund der schlüssigen Behauptung von einem Abberufungsgrund ausgehen, über dessen Vorliegen die Parteien gerade streiten. Eine Anfechtungsklage des Mehrheitsgesellschafters gegen seine Abberufung als Geschäftsführer kann in Folge dessen nicht schon abgewiesen werden, weil die Stimme des Betroffenen vermeintlich zu Recht nicht gezählt wurde. Denn dann würde das Vorliegen eines wichtigen Grundes gerade nicht geklärt und dem Betroffenen der Rechtsschutz verweigert. Das tatsächliche Vorliegen eines wichtigen Grundes ist auch für die positive Beschlussfeststellungsklage gegen einen die Abberufung mit den Stimmen des Betroffenen ablehnenden Beschluss von Bedeutung, weil das Gericht das Zustandekommen eines wirksamen Beschlusses nur feststellen kann, wenn ein wichtiger Grund für die Abberufung tatsächlich vorliegt. Für die Kündigung des Anstellungsvertrags aus wichtigem Grund gilt nichts anderes (MünchKommGmbHG/Drescher, 2. Aufl., § 47 Rn. 163; vgl. auch OLG Zweibrücken, GmbHR 1998, 373, 374; OLG Naumburg, NZG 2000, 44, 46; OLG Karlsruhe, NZG 2000, 264, 265; OLG Stuttgart, GmbHR 2013, 803, 806; Grunewald, Festschrift Zöllner, 1998, S. 177, 183; BeckOK GmbHG/Heilmeier, Stand: 1. Juni 2016, § 38 Rn. 63, 65; Michalski/Terlau, GmbHG, 2. Aufl., § 38 Rn. 61; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, 19. Aufl., § 38 Rn. 17; MünchKommGmbHG/Stephan/Tieves, 2. Aufl., § 38 Rn. 78; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 11. Aufl., § 46 Rn. 76). Deshalb kann die Anfechtungsklage gegen die die Abberufung und die Kündigung des Anstellungsvertrags ablehnenden Beschlüsse nicht losgelöst vom tatsächlichen Vorliegen eines wichtigen Grunds mit der formalen Begründung Erfolg haben, der als Versammlungsleiter bestimmte Gesellschafter-Geschäftsführer der Beklagten hätte seine ablehnende Stimme allein auf die Behauptung eines wichtigen Grunds durch den Kläger hin nicht zählen dürfen.
16
2. In revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise hat das Berufungsgericht festgestellt, dass bei der Gesellschafterversammlung am 13. November 2014 kein wichtiger Grund für die sofortige Abberufung und die außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrags des Geschäftsführers der Beklagten vorgelegen hat.
17
a) Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass ein wichtiger Grund sowohl für die Abberufung als auch für die Kündigung dann vorliegt, wenn die weitere Tätigkeit des Geschäftsführers für die Gesellschaft, insbesondere aufgrund grober Pflichtverletzungen, unzumutbar geworden ist (BGH, Urteil vom 28. Januar 1985 - II ZR 79/84, GmbHR 1985, 256, 258). Eine solche Feststellung erfordert eine Abwägung der betroffenen Interessen aufgrund aller Umstände des Einzelfalls (BGH, Urteil vom 19. Oktober 1987 - II ZR 97/87, ZIP 1988, 47, 48; Beschluss vom 10. Dezember 2007 - II ZR 289/06, ZIP 2008, 694 Rn. 2). Die Feststellung, Würdigung und Abwägung ist Aufgabe des Tatrichters (BGH, Urteil vom 28. Januar 1985 - II ZR 79/84, GmbHR 1985, 256, 258; Beschluss vom 10. Dezember 2007 - II ZR 289/06, ZIP 2008, 694 Rn. 2). Das Revisionsgericht kann die tatrichterliche Wertung nur daraufhin überprüfen, ob der Rechtsbegriff des wichtigen Grundes richtig erkannt und die Grenzen des dem Tatrichter eingeräumten Ermessens bei der Würdigung des von ihm festgestellten Sachverhalts eingehalten worden sind; ein Ermessensfehler liegt insbesondere dann vor, wenn wesentliche Tatsachen außer Acht gelassen oder nicht vollständig gewürdigt worden sind (BGH, Urteil vom 9. März 1992 - II ZR 102/91, ZIP 1992, 539, 540).
18
b) Dies vorausgesetzt ist die tatrichterliche Wertung nicht zu beanstanden. Eine Verletzung des Rechts des Klägers auf rechtliches Gehör liegt in diesem Zusammenhang nicht vor. Davon abgesehen, dass es angesichts der Vielzahl der gegenüber dem Geschäftsführer der Beklagten vom Kläger erhobenen Vorwürfe bereits fraglich ist, ob es eine Gehörsverletzung dargestellt hätte, wenn sich das Berufungsgericht nicht ausdrücklich mit dem Vortrag des Klägers befasst hätte, der Geschäftsführer der Beklagten habe ihm, dem Kläger, vorgespiegelt , die Entwürfe der Rangrücktrittserklärungen stammten von der Bank, hat sich bereits das Landgericht ausdrücklich mit diesem Umstand befasst. Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang zu Recht berücksichtigt, dass der Kläger die Erklärungen nicht unterschrieben hat. Ein eventuell vorwerfbares Verhalten des Geschäftsführers der Beklagten ist somit folgenlos geblieben. Es handelt sich um eine die Grenzen des tatrichterlichen Ermessens nicht über- schreitende Würdigung, folgenlose Vorgänge aus dem Jahr 2011 unter Hinweis auf den Zeitablauf als irrelevant für das Vorliegen eines wichtigen Grunds am 13. November 2014 zu erachten. Auf den Zeitpunkt der sicheren Kenntnis des Klägers davon, dass die Entwürfe der Rangrücktrittserklärungen nicht von der Bank stammten, kommt es dabei nicht an.
Drescher Born Sunder Bernau Grüneberg
Vorinstanzen:
LG Gera, Entscheidung vom 02.07.2015 - 1 HKO 238/14 -
OLG Jena, Entscheidung vom 16.03.2016 - 2 U 537/15 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 04. Apr. 2017 - II ZR 77/16

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(1) Die Bestellung der Geschäftsführer ist zu jeder Zeit widerruflich, unbeschadet der Entschädigungsansprüche aus bestehenden Verträgen.

(2) Im Gesellschaftsvertrag kann die Zulässigkeit des Widerrufs auf den Fall beschränkt werden, daß wichtige Gründe denselben notwendig machen. Als solche Gründe sind insbesondere grobe Pflichtverletzung oder Unfähigkeit zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung anzusehen.

(3) Der Geschäftsführer hat das Recht, um den Widerruf seiner Bestellung zu ersuchen, wenn er wegen Mutterschutz, Elternzeit, der Pflege eines Familienangehörigen oder Krankheit seinen mit der Bestellung verbundenen Pflichten vorübergehend nicht nachkommen kann und mindestens ein weiterer Geschäftsführer bestellt ist. Macht ein Geschäftsführer von diesem Recht Gebrauch, muss die Bestellung dieses Geschäftsführers

1.
widerrufen und dabei die Wiederbestellung nach Ablauf des Zeitraums der in § 3 Absatz 1 und 2 des Mutterschutzgesetzes genannten Schutzfristen zugesichert werden,
2.
in den Fällen der Elternzeit, der Pflege eines Familienangehörigen oder der Krankheit widerrufen und dabei die Wiederbestellung nach einem Zeitraum von bis zu drei Monaten entsprechend dem Verlangen des Geschäftsführers zugesichert werden; von dem Widerruf der Bestellung kann abgesehen werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt.
In den in Satz 2 Nummer 2 genannten Fällen kann die Bestellung des Geschäftsführers auf dessen Verlangen für einen Zeitraum von bis zu zwölf Monaten widerrufen werden. § 77a Absatz 2 findet auf Bestellungen während des Zeitraums nach den Sätzen 2 oder 3 keine Anwendung, wenn das Beteiligungsgebot ohne den Widerruf eingehalten wäre.

14
aa) Nach § 47 Abs. 4 Satz 2 Fall 1 GmbHG hat ein Gesellschafter bei einer Beschlussfassung, die die Vornahme eines Rechtsgeschäfts gegenüber ihm betrifft, kein Stimmrecht. Dazu gehören auch einseitige oder rechtsge- schäftsähnliche Handlungen (BGH, Urteil vom 9. Juli 1990 - II ZR 9/90, ZIP 1990, 1194) und damit eine ihm gegenüber zu erklärende Kündigung eines Vertragsverhältnisses.
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a) Das Berufungsgericht hat - unterstellt man, wie geboten, den Vortrag des Klägers revisionsrechtlich als richtig - rechtsfehlerhaft die Stimmen von R. K. bei der Abstimmung über die Abberufung und von C. K. bei der Abstimmung zum Widerruf der Prokura berücksichtigt. Sie unterlagen jeweils nach § 47 Abs. 4 GmbHG einem Stimmverbot, weil sie nach dem entsprechenden Vortrag des Klägers gemeinschaftlich ihre Pflichten verletzt und damit einen Grund für die Abberufung bzw. den Widerruf der Prokura gegeben haben soll, weil sie ihn am 20. August 2003 in bewusstem und gewollten Zu- sammenwirken hintergangen und von seiner Mitwirkung an Gesellschafterbeschlüssen ausgeschlossen haben.
13
1. Das Berufungsgericht ist allerdings zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger in Bezug auf die ersten drei Tagesordnungspunkte vom Stimmrecht ausgeschlossen war. Nach dem Rechtsgedanken des § 47 Abs. 4 GmbHG ist es einem Gesellschafter verwehrt, als Richter in eigener Sache abzustimmen. Das gilt sowohl für die Einziehung des Geschäftsanteils aus einem in der Person des Gesellschafters liegenden wichtigen Grund (Bayer in Lutter/ Hommelhoff, GmbHG 17. Aufl. § 47 Rn. 40; Scholz/K. Schmidt, GmbHG 10. Aufl. § 47 Rn. 138; ebenso für die Ausschließung BGHZ 9, 157, 178; offen gelassen von BGH, Urteil vom 20. Dezember 1976 - II ZR 115/75, WM 1977, 192) als auch für seine Abberufung als Geschäftsführer aus wichtigem Grund (BGHZ 86, 178 f.) und die außerordentliche Kündigung seines GeschäftsführerAnstellungsvertrages (BGH, Urteil vom 27. Oktober 1986 - II ZR 74/85, NJW 1987, 1889). So liegt der Fall hier. Die angekündigten Beschlüsse sollten jeweils wegen eines in der Person des Klägers liegenden wichtigen Grundes gefasst werden.
28
a) Das Berufungsgericht hat - unterstellt man, wie geboten, den Vortrag des Klägers revisionsrechtlich als richtig - rechtsfehlerhaft die Stimmen von R. K. bei der Abstimmung über die Abberufung und von C. K. bei der Abstimmung zum Widerruf der Prokura berücksichtigt. Sie unterlagen jeweils nach § 47 Abs. 4 GmbHG einem Stimmverbot, weil sie nach dem entsprechenden Vortrag des Klägers gemeinschaftlich ihre Pflichten verletzt und damit einen Grund für die Abberufung bzw. den Widerruf der Prokura gegeben haben soll, weil sie ihn am 20. August 2003 in bewusstem und gewollten Zu- sammenwirken hintergangen und von seiner Mitwirkung an Gesellschafterbeschlüssen ausgeschlossen haben.