Bundesgerichtshof Urteil, 22. Mai 2007 - VI ZR 35/06

bei uns veröffentlicht am22.05.2007
vorgehend
Landgericht München II, 1 MO 2439/02, 02.08.2005
Oberlandesgericht München, 1 U 4453/05, 19.01.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 35/06 Verkündet am:
22. Mai 2007
Holmes,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Bei Anwendung einer Außenseitermethode ist grundsätzlich der Sorgfaltsmaßstab
eines vorsichtigen Arztes entscheidend.
Zum Umfang der Aufklärungspflicht des Arztes bei Anwendung einer solchen Methode.
BGH, Urteil vom 22. Mai 2007 - VI ZR 35/06 - OLG München
LG München II
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 22. Mai 2007 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter Dr. Greiner
, Wellner, Pauge und Stöhr

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 19. Januar 2006 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Beklagte zu 1 verpflichtet ist, der Klägerin alle mit dem am 6. März 2001 an der Klägerin vorgenommenen Eingriff und den diesem Eingriff folgenden ärztlichen Behandlungen am 7. und 8. März 2001 ursächlich zusammenhängenden materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, soweit die Schadensersatzansprüche nicht auf öffentliche Versicherungsträger übergegangen sind. Die Gerichtskosten der ersten und zweiten Instanz trägt die Klägerin zu 2/3, der Beklagte zu 1 zu 1/3; von den Gerichtskosten der Revisionsinstanz tragen die Klägerin 2/7, der Beklagte zu 1 5/7. Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen diese selbst 2/3, der Beklagte zu 1 1/3. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2 und 3 trägt die Klägerin. Der Beklagte zu 1 trägt seine eigenen außergerichtlichen Kosten selbst.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten zu 1 (künftig: der Beklagte) Schadensersatz wegen Komplikationen bei der Behandlung eines Bandscheibenvorfalls. Der Beklagte ist niedergelassener Orthopäde, der Bandscheibenbeschwerden mit dem sog. Racz-Katheter behandelt. Bei dieser Behandlung wird über einen Epiduralkatheter im Spinalkanal ein "Cocktail" aus einem Lokalanästhetikum , einem Corticoid, einem Enzym und einer Kochsalzlösung im Bereich des von einem Bandscheibenvorfall betroffenen Segments eingespritzt.
2
Der Beklagte führte solche Eingriffe in der chirurgischen Klinik im Kreiskrankenhaus der früheren Beklagten zu 3 aus. Die frühere Beklagte zu 2 arbeitete im Jahr 2001 als Stationsärztin in dieser chirurgischen Klinik.
3
Die Klägerin litt an einem Bandscheibenvorfall, einer Spinalkanalstenose, einem chronischen Schmerzsyndrom und an einem Facettengelenksyndrom. Auf Anraten ihres Orthopäden stellte sie sich bei dem Beklagten vor, der mit ihr am 26. Februar 2001 ein Aufklärungsgespräch führte. In der von der Klägerin unterzeichneten, vorgefertigten "Operationsaufklärung und Einwilligung" sind als "Risiken" und mögliche Komplikationen der Operation unter anderem die "Möglichkeit einer Querschnittslähmung und einer Blasen- und Mastdarmstörung" angeführt und handschriftlich unterstrichen. Von einer konventionellen Bandscheibenoperation riet der Beklagte ab.
4
Der Beklagte legte den Katheter am 6. März 2001. Die erste Einspritzung des "Cocktails" erfolgte unmittelbar nach der Operation noch im Wachraum. In der Nacht zum 7. März 2001 und am Morgen dieses Tages traten starke Schmerzen auf. Die Verabreichung der Schmerzmittel Tramal und Imbun führte zu keiner nennenswerten Besserung. Der Beklagte wurde telefonisch unterrichtet. Er ordnete eine zweite Infiltration an. Am Nachmittag hatte die Klägerin er- neut starke Schmerzen. Bei einem weiteren Telefonat gab der Beklagte die Anweisung, den Katheter um 1 cm zurückzuziehen. Darauf verminderte sich der Schmerz umgehend und der Zustand der Klägerin besserte sich. Am Abend des 7. März 2001 traten jedoch Taubheitsgefühle am Gesäß und linken Bein der Klägerin auf, worauf diese die Stationsärztin hinwies. Am 8. März 2001 wurde eine dritte Infiltration gesetzt. Gleich zu Beginn kam es zu starken krampfartigen Schmerzen der Klägerin, besonders in der linken Kniekehle außen und im Unterschenkel. Nach etwa eineinhalb Stunden zog die Beklagte zu 2 den Katheter mitsamt der Nadel heraus. In der Folgezeit zeigte sich bei der Klägerin eine Blasen- und Mastdarmstörung in streitigem Umfang.
5
Die Klägerin hat vorgebracht, die Komplikation sei auf Fehler des Beklagten und der Stationsärztin zurückzuführen. Sie hat außerdem eine unzulängliche Aufklärung beanstandet und die Feststellung begehrt, alle drei Beklagten seien zum Ersatz sämtlicher materieller und immaterieller Schäden verpflichtet, die mit den Eingriffen vom 6., 7. und 8. März 2001 ursächlich zusammenhingen. Ihre Klage hatte keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht München hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat lediglich hinsichtlich des Beklagten zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel gegen diesen weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

6
Das Berufungsgericht hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, ein Behandlungsfehler des Beklagten sei nicht nachweisbar. Der Eingriff sei 2001 zumindest relativ indiziert gewesen. Das Verfahren habe zum Teil gute Therapieerfolge aufgewiesen, während Zahl und Schwere der bekannten Nebenwirkungen gering gewesen sei. Das technische Vorgehen des Beklagten bei der Einbringung des Katheters am 6. März 2001 sei nicht zu beanstanden. Ein Befunderhebungsfehler des Beklagten durch Beschränkung auf telefonische Anweisungen und die Unterlassung einer persönlichen Untersuchung am 7. März 2001 sei zu verneinen.
7
Allerdings habe das Berufungsgericht keinen Zweifel daran, dass die Entscheidung des Beklagten, die Behandlung nach Auftreten der Schmerzen nicht abzubrechen, zu der Blasen- und Mastdarmstörung der Klägerin geführt habe. Aus diesem Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Beklagten und dem Schaden der Klägerin könne jedoch nicht auf das Vorliegen eines Behandlungsfehlers geschlossen werden, den der Sachverständige verneint habe. Leitlinien für die Schmerzbehandlung mit dem Racz-Katheter gebe es nicht.
8
Auch eine Verletzung der dem Beklagten obliegenden Aufklärungspflicht sei nicht festzustellen. Der Beklagte habe die Klägerin ausweislich des Einwilligungsformulars über die Risiken einer Blasen- und Mastdarmstörung bis zur Querschnittlähmung hingewiesen und damit die Gefahren der Behandlung nicht verharmlost. Auch über eine konventionelle Bandscheibenoperation habe der Beklagte mit der Klägerin gesprochen. Die Klägerin sei zudem erst nach ergebnisloser konventioneller Schmerzbehandlung an den Beklagten verwiesen worden. Der Beklagte habe die Klägerin zwar nicht darüber aufgeklärt, dass die Methode Racz eine neuartige, wissenschaftlich umstrittene Art der Schmerztherapie sei. Er habe aber auf das Misserfolgsrisiko der Methode hingewiesen. Das Landgericht habe zudem zu Recht einen Entscheidungskonflikt der Klägerin verneint. Ein Hinweis, dass es sich um eine verhältnismäßig neue Methode mit statistisch nicht abgesicherter Wirksamkeit handle, würde die Klägerin von der Behandlung nicht abgehalten haben. Die beklagten Folgen seien extrem selten. Der Klägerin sei auch bekannt gewesen, dass die Schmerzbehandlung nach Racz von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht bezahlt werde.

II.

9
Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
10
1. Allerdings bestehen aus Rechtsgründen keine Bedenken dagegen, dass das Berufungsgericht die Entscheidung des Beklagten für die Therapie mit dem sogenannten Racz-Katheter (minimal-invasive epidurale WirbelsäulenKathetertechnik nach Prof. Racz; vgl. Altendorfer, Orthopädie & Rheuma 2003, 22 f.; Klakow-Franck/Rheinberger, DÄBl 2003, A 1022 f.) zur Linderung oder Behebung der Schmerzen der Klägerin nicht beanstandet und in der Therapiewahl keinen Behandlungsfehler sieht.
11
a) Zwar handelt es sich bei dieser Behandlungsmethode nach den Feststellungen des Berufungsgerichts um eine symptombezogene Schmerztherapie , die damals neuartig war und wissenschaftlich umstritten ist. Wissenschaftliche Auswertungen mit statistischer Aussagekraft über die Wirksamkeit der Therapie fehlten jedenfalls im Jahr 2001.
12
b) Die Anwendung einer nicht allgemein anerkannten Heilmethode ist aber grundsätzlich erlaubt und führt nicht ohne weitere Umstände zu einer Haftung des Behandlers (vgl. Senat, BGHZ 113, 297, 301 m.w.N). Die Therapiewahl ist primär Sache des Arztes, dem die Rechtsprechung bei seiner Entscheidung ein weites Ermessen einräumt für den Fall, dass praktisch gleichwertige Methoden zur Verfügung stehen (vgl. Senat, BGHZ 102, 17, 22; 106, 153, 157; Urteile vom 24. November 1987 - VI ZR 65/87 - VersR 1988, 190, 191; vom 15. März 2005 - VI ZR 313/03 - VersR 2005, 836).
13
Der Arzt ist bei der Wahl der Therapie auch nicht stets auf den jeweils sichersten therapeutischen Weg festgelegt. Allerdings muss ein höheres Risiko in den besonderen Sachzwängen des konkreten Falles oder in einer günstigeren Heilungsprognose eine sachliche Rechtfertigung finden (vgl. Senat, BGHZ 168, 103, 105 f.; Urteil vom 7. Juli 1987 - VI ZR 146/86 - VersR 1988, 82, 83; Katzenmeier , Arzthaftung, S. 311 zu FN 237; Laufs, Arztrecht, 5. Aufl., Rn. 486; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 5. Aufl., Rn. B 9, B 37). Jedenfalls hat der Arzt alle bekannten und medizinisch vertretbaren Sicherungsmaßnahmen anzuwenden , die eine erfolgreiche und komplikationsfreie Behandlung gewährleisten , und muss um so vorsichtiger vorgehen, je einschneidender ein Fehler sich für den Patienten auswirken kann (vgl. Senat, Urteil vom 9. Juli 1985 - VI ZR 8/84 - VersR 1985, 969, 970).
14
Nach diesen Grundsätzen ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden , wenn das Berufungsgericht in der Wahl der Racz-Methode keinen Behandlungsfehler gesehen hat. Die Anwendung dieser Behandlungsmethode war im konkreten Fall relativ indiziert. Das Verfahren wies - nach den von der Revision nicht beanstandeten Feststellungen des Berufungsgerichts - bei Schmerzpatienten zum Teil gute Therapieerfolge auf, während Zahl und Schwere der bekannten Nebenwirkungen gering waren. Die Klägerin hatte lang dauernde Schmerzen und lehnte eine Bandscheibenoperation ab. Die Spinalkanalstenose sprach nach dem Wissensstand des Jahres 2001 nicht gegen die Erfolgsaussichten des Eingriffs. Dann aber war dem Beklagten die Wahl dieser Therapie gestattet, auch wenn sie neuartig und umstritten und ihre Wirksamkeit statistisch nicht abgesichert war.
15
c) Ferner ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht im Anschluss an das - sachverständig beratene - Landgericht einen Behandlungsfehler beim Setzen des Epiduralkatheters verneint. Die Revision erhebt insoweit keine Beanstandungen.
16
2. Durchgreifenden Bedenken begegnen jedoch die Ausführungen, mit denen das Berufungsgericht für die Fortsetzung der Behandlung am 7. März 2001 nach dem Auftreten von Schmerzen einen Behandlungsfehler verneint.
17
a) Die Anwendung einer Außenseitermethode unterscheidet sich - wie die Anwendung neuer Behandlungsmethoden oder die Vornahme von Heilversuchen an Patienten mit neuen Medikamenten - von herkömmlichen, bereits zum medizinischen Standard gehörenden Therapien vor allem dadurch, dass in besonderem Maße mit bisher unbekannten Risiken und Nebenwirkungen zu rechnen ist. Deshalb erfordert die verantwortungsvolle medizinische Abwägung einen besonders sorgfältigen Vergleich zwischen den zu erwartenden Vorteilen und ihren abzusehenden, zu vermutenden oder aufgetretenen Nachteilen unter besonderer Berücksichtigung des Wohles des Patienten. Der behandelnde Arzt muss zwar nicht stets den sichersten therapeutischen Weg wählen, doch muss bei Anwendung einer solchen Methode - wie bereits erwähnt - ein höheres Risiko für den Patienten in besonderem Maße eine sachliche Rechtfertigung in den Sachzwängen des konkreten Falles oder in einer günstigeren Heilungsprognose finden. Die sich hieraus ergebende Abwägung ist kein einmaliger Vorgang bei Beginn der Behandlung, sondern muss jeweils erneut vorgenommen werden , sobald neue Erkenntnisse über mögliche Risiken und Nebenwirkungen vorliegen, über die sich der behandelnde Arzt ständig, insbesondere auch durch unverzügliche Kontrolluntersuchungen zu informieren hat (vgl. Senat, Urteile vom 13. Juni 2006 - VI ZR 323/04 - VersR 2006, 1073; vom 27. März 2007 - VI ZR 55/05 - beide zum Abdruck in BGHZ bestimmt).
18
Diese Verpflichtung zur Überprüfung der Behandlungsmethode gilt erst recht, wenn im Verlauf der Behandlung Komplikationen auftreten. In diesem Fall muss der Arzt sich über deren Ursache vergewissern und darf die Behandlung nur fortsetzen, wenn auszuschließen ist, dass die Komplikationen durch die Behandlung verursacht sind.
19
Nach diesen Grundsätzen waren beim Auftreten starker Schmerzen bei der Klägerin anlässlich einer zur Schmerztherapie vorgenommenen neuartigen Behandlung erhöhte Vorsicht, eine genaue Untersuchung auf die Ursache der Beeinträchtigungen und die erforderlichen Maßnahmen zur Vermeidung bleibender Schäden geboten. Auch durfte der Beklagte sich unter den gegebenen Umständen trotz ärztlicher Betreuung der Patientin im Krankenhaus nicht auf telefonische Anweisungen beschränken, sondern musste sich persönlich von ihrer Beeinträchtigung und deren Ursachen vergewissern (vgl. Senat, Urteil vom 20. Februar 1979 - VI ZR 48/78 - VersR 1979, 376 ff.). Diese Pflicht des behandelnden Arztes zu besonderer Vorsicht hat auch der Sachverständige bestätigt. Bei Anwendung einer Behandlungsmethode außerhalb des medizinischen Standards ist Maßstab für die erforderliche Sorgfalt ein vorsichtiger Arzt.
20
b) In rechtlicher Hinsicht obliegt die Bewertung eines Behandlungsgeschehens als fehlerhaft dem Tatrichter, der sich freilich in medizinischer Hinsicht auf Sachverständige zu stützen hat. Die Tatsachenfeststellung ist Aufgabe des Richters in eigener Verantwortung. Er muss sich darauf einstellen, dass manche Sachverständige Behandlungsfehler nur zurückhaltend ansprechen, wie im vorliegenden Fall. Die deutliche Distanzierung des Sachverständigen vom Vorgehen des Beklagten in der Sache und seine einschränkende Formulierung "kein richtiger Behandlungsfehler" hätten dem Berufungsgericht Anlass geben müssen, die Äußerungen des Sachverständigen kritisch zu hinterfragen und sowohl den für eine solche Behandlung geltenden Sorgfaltsmaßstab als auch den Begriff des Behandlungsfehlers mit dem Sachverständigen zu erörtern , gegebenenfalls sogar ein anderes Gutachten einzuholen (vgl. Senat, Urteile vom 27. September 1977 - VI ZR 162/76 - VersR 1978, 41, 42 f.; vom 19. Januar 1993 - VI ZR 60/92 - VersR 1993, 835, 836; vom 14. Dezember 1993 - VI ZR 67/93 - VersR 1994, 480, 482).
21
Jedenfalls war das Berufungsgericht nicht an die Verneinung eines Behandlungsfehlers durch den Sachverständigen gebunden, zumal diese auch in der Form nicht eindeutig war und mit "kein richtiger Behandlungsfehler" eine deutliche Relativierung seiner Beurteilung enthielt.
22
c) Unter diesen Umständen liegt es auf der Hand, hier einen haftungsbegründenden Fehler des Beklagten anzunehmen, ohne dass es darauf ankommt, dass für diese Behandlungsmethode keine Leitlinien bestanden haben. Abschließender Beurteilung bedarf diese Frage jedoch nicht.
23
3. Der Beklagte haftet für die Behandlung insgesamt und die daraus entstandenen und künftig entstehenden Schäden der Klägerin jedenfalls deshalb, weil die Behandlung ohne wirksame Einwilligung der Klägerin erfolgt ist und daher rechtswidrig war. Die Ansicht des Berufungsgerichts, der Beklagte habe die ihm obliegende Aufklärungspflicht nicht verletzt, hält den Angriffen der Revision gleichfalls nicht stand.
24
a) Die Anwendung einer sogenannten "Außenseitermethode" erfordert zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten dessen Aufklärung über das Für und Wider dieser Methode. Einem Patienten müssen nicht nur die Risiken und die Gefahr eines Misserfolges des Eingriffs erläutert werden, sondern er ist auch darüber aufzuklären, dass der geplante Eingriff (noch) nicht medizinischer Standard ist und seine Wirksamkeit statistisch (noch) nicht abgesichert ist. Der Patient muss wissen, auf was er sich einlässt, um abwägen zu können, ob er die Risiken einer (eventuell - wie hier - nur relativ indizierten) Behandlung und deren Erfolgsaussichten im Hinblick auf seine Befindlichkeit vor dem Eingriff eingehen will (vgl. Senat, Urteil vom 27. März 2007 - VI ZR 55/05 - aaO; Katzenmeier, aaO, S. 312; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 10. Aufl., Rn. 387; Geiß/Greiner, aaO, Rn. C 39).
25
b) Eine diesen Grundsätzen entsprechende Aufklärung ist unstreitig nicht erfolgt.
26
Zwar hat der Beklagte die Klägerin über die schwerwiegenden Risiken einer Querschnittlähmung sowie einer Blasen- und Mastdarmstörung aufgeklärt. Auch wurde die Klägerin über die Möglichkeit der Erfolglosigkeit des Eingriffs belehrt, wie das Berufungsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise aus der Unterstreichung der Wörter "persistierende Beschwerden" im Aufklärungsformular und der Aussage des Ehemannes der Klägerin als Zeugen vor dem Landgericht entnimmt.
27
Der Beklagte hat die Klägerin aber unstreitig nicht darüber belehrt, dass es sich bei der Methode Racz um eine neuartige, wissenschaftlich umstrittene Art der Schmerztherapie handelte, die (noch) nicht medizinischer Standard, deren Wirksamkeit statistisch nicht abgesichert war und die der Sachverständige als "klinisch-experimentell" bezeichnet hat. Eine solche Aufklärung wäre jedoch nach obigen Grundsätzen erforderlich gewesen und war angesichts der lediglich relativen Indikation und auch angesichts der bei der Klägerin vorbekannten Besonderheit einer Spinalkanalstenose im konkreten Fall unverzichtbar, selbst wenn die Stenose damals noch nicht als Kontraindikation erkannt war. Die Aufklärung über das Risiko eines Misserfolgs, die das Berufungsgericht als ausreichend angesehen hat, konnte demgegenüber nicht genügen, weil sie die Patientin weder über die Gefahr einer Verschlechterung ihres Zustands noch über die insgesamt unerforschte Wirkweise der Methode und ihre umstrittene Wirksamkeit in Kenntnis setzte.
28
c) Nach allem war die Aufklärung der Klägerin nicht ausreichend, weil sie eine unrichtige Vorstellung von der Schaden-Nutzen-Relation vermittelte (vgl. Senat, BGHZ 144, 1, 8; Urteile vom 7. April 1992 - VI ZR 192/91 - VersR 1992, 960, 961 f.; vom 2. November 1993 - VI ZR 245/92 - VersR 1994, 104, 105). An der haftungsbegründenden Kausalität der Behandlung durch den Beklagten bestehen nach den beanstandungsfrei getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts keine Zweifel.
29
Eine Haftung des Beklagten für die bei der Klägerin aufgetretene Blasenund Mastdarmstörung wird auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin über diese Komplikationsmöglichkeit aufgeklärt worden war. Die Klägerin hat unwidersprochen vorgetragen, dass sie sich bei vollständiger Aufklärung überhaupt nicht auf die Behandlung eingelassen hätte, und damit geltend gemacht, dass sie bei vollständiger Aufklärung von dieser Behandlung abgesehen hätte. Anders als in dem der Entscheidung des Senats vom 13. Juni 2006 (- VI ZR 323/04 - BGHZ 168, 103 ff.) zugrunde liegenden Sachverhalt hätte die Klägerin daher diese Behandlung insgesamt abgelehnt (zum haftungsrechtlichen Zurechnungszusammenhang vgl. Senat, Urteil vom 30. Januar 2001 - VI ZR 353/99 - VersR 2001, 592).
30
d) Auf eine hypothetische Einwilligung der Klägerin durfte das Berufungsgericht seine Entscheidung schon deshalb nicht stützen, weil nicht festgestellt und nicht ersichtlich ist, dass der Beklagte sich auf eine hypothetische Einwilligung der Klägerin auch im Falle ordnungsgemäßer Aufklärung berufen hat (vgl. Senat, Urteile vom 7. April 1992 - VI ZR 192/91 - VersR 1992, 960, 962; vom 9. November 1993 - VI ZR 248/92 - VersR 1994, 682, 684; vom 14. Juni 1994 - VI ZR 260/93 - VersR 1994, 1302; vom 9. Juli 1996 - VI ZR 101/95 - VersR 1996, 1239, 1240).
31
Die Revision wendet sich im Übrigen mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine hypothetische Einwilligung der Klägerin in die Behandlung nach Racz angenommen hat, weil die Klägerin einen Entscheidungskonflikt nicht plausibel dargetan habe. Das Berufungsgericht stellt zu hohe Anforderungen an die Plausibilität eines Entscheidungskonflikts bei Anwendung einer Außenseitermethode (vgl. Senat, Urteil vom 27. März 2007 - VI ZR 55/05 - aaO). Die Klägerin hatte vorgetragen, bei ordnungsgemäßem Hinweis darauf, dass es sich um eine Behandlungsmethode außerhalb des medizinischen Standards handelte, hätte sie die Behandlung nicht ausführen lassen; sie wäre notfalls in eine Schmerzklinik gegangen. Damit hatte sie einen Entscheidungskonflikt ausreichend plausibel gemacht.
32
e) Die Behandlung der Klägerin durch den Beklagten war somit mangels ordnungsgemäßer Aufklärung über die Anwendung einer "Außenseitermethode" von Anfang an rechtswidrig. Der Beklagte haftet daher für alle aus der Behandlung entstehenden materiellen und immateriellen Schäden der Klägerin.
33
f) Eine für die Klage auf Feststellung der Ersatzverpflichtung des Beklagten ausreichende Möglichkeit künftiger Schäden (vgl. Senat, Urteil vom 9. Januar 2007 - VI ZR 133/06 - GesR 2007, 165) ist nach den Ausführungen des Berufungsgerichts in der Blasen- und Mastdarmstörung der Klägerin festgestellt.
34
4. Nach allem ist das angefochtene Urteil aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der erkennende Senat hat in der Sache abschließend zu entscheiden, da die Aufhebung wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des § 823 Abs. 1 BGB auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).
35
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Müller Greiner Wellner Pauge Stöhr
Vorinstanzen:
LG München II, Entscheidung vom 02.08.2005 - 1 MO 2439/02 -
OLG München, Entscheidung vom 19.01.2006 - 1 U 4453/05 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 22. Mai 2007 - VI ZR 35/06

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 22. Mai 2007 - VI ZR 35/06

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen


(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last. (2) Das Ger

Zivilprozessordnung - ZPO | § 563 Zurückverweisung; eigene Sachentscheidung


(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen. (2) Das Berufungsgerich

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 823 Schadensersatzpflicht


(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. (2) Di
Bundesgerichtshof Urteil, 22. Mai 2007 - VI ZR 35/06 zitiert 6 §§.

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(1) Insoweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Wird das Urteil wegen eines Mangels des Verfahrens aufgehoben, so ist zugleich das Verfahren insoweit aufzuheben, als es durch den Mangel betroffen

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(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
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Holmes,
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der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Zur Arzthaftung wegen Behandlungs- und Aufklärungsfehlern im Zusammenhang mit
einem Heilversuch mit einem neuen, erst im Laufe der Behandlung zugelassenen
Arzneimittel.
BGH, Urteil vom 27. März 2007 - VI ZR 55/05 - OLG Karlsruhe
LG Offenburg
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 27. März 2007 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter
Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 2. Februar 2005 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Der Kläger, der seit seiner frühen Kindheit an Epilepsie leidet, nimmt die Beklagten auf Schadensersatz wegen Behandlungs- und Aufklärungsfehlern im Zusammenhang mit der Verabreichung eines neuen Medikaments der Streithelferin der Beklagten in Anspruch, weil dieses bei ihm zu irreparablen Augenschäden geführt habe.
2
Die Beklagte zu 1 ist Trägerin eines Epilepsiezentrums, in dem der Kläger seit 1985 von dem dort als Arzt angestellten Beklagten zu 2 medikamentös behandelt wurde. Nachdem der Kläger 1989 eine ihm vorgeschlagene neurologische Operation zur Reduzierung der Zahl seiner Anfälle (monatlich etwa 4 bis 10) abgelehnt hatte, schlug ihm der Beklagte zu 2 Ende September 1991 vor, neben dem bisher verabreichten Medikament P. zur Reduzierung der Anfallsneigung ein neues, in den USA entwickeltes Medikament V. einzunehmen. Dieses war zu diesem Zeitpunkt weder in den USA noch in Deutschland, jedoch in einigen anderen europäischen Staaten als Arzneimittel zugelassen. Eine bei der Beklagten zu 1 laufende klinische Prüfung mit den Phasen I bis IV, in welche der Kläger nicht einbezogen wurde, befand sich zu diesem Zeitpunkt in der Phase III. Durch die Einnahme des neuen Medikaments, dem weder ein Beipackzettel beigefügt noch auf dessen Verpackung Hersteller oder Inhaltsstoffe vermerkt waren, reduzierte sich die Zahl der epileptischen Anfälle beim Kläger deutlich. Am 19. Dezember 1991 erfolgte die Zulassung des Medikaments in Deutschland, wo es die Streithelferin der Beklagten inzwischen unter dem Namen S. vertreibt. In der Anlage zum Zulassungsbescheid ("Wortlaut der für die Verpackungsbeilage vorgesehenen Angaben") wurde unter anderem darauf hingewiesen, dass Langzeitauswirkungen von V. auf das visuelle System und okulomotorische Leistungen (Sehfunktion) beim Menschen noch nicht untersucht worden seien, weshalb periodische (z.B. monatliche) Kontrollen des Sehvermögens angezeigt seien.
3
Ende März/Anfang April 1992 stellte der Kläger eine Beeinträchtigung seines Sehvermögens fest und begab sich deshalb in die Behandlung eines Augenarztes. Als sich die Beeinträchtigung nach einem Anfall am 10. April 1992 verschlimmerte, überwies ihn der Augenarzt an die Universitäts-Augenklinik F., wo der Kläger vom 16. bis 27. April 1992 ambulant behandelt wurde. Vor Beginn der ambulanten Behandlung rief der Kläger den Beklagten zu 2 am 15. April 1992 an und berichtete ihm von den seit dem 13. April 1992 aufgetretenen Sehstörungen auf dem linken Auge sowie von der bevorstehenden Untersuchung in der Universitäts-Augenklinik. Der Beklagte zu 2 bat den Kläger daraufhin, ihn am 21. April 1992 telefonisch über das Ergebnis der Untersuchungen zu benachrichtigen. Mit Schreiben vom 4. Mai 1992 an Dr. D., den damaligen Mitarbeiter des Beklagten zu 2, berichtete die UniversitätsAugenklinik über die Untersuchungen und Behandlung des Klägers, teilte als Diagnose eine "AION" (anteriore ischämische Opticusneuropathie) mit und äußerte den Verdacht, dass diese medikamenteninduziert sei.
4
Der Kläger wurde anschließend vom 28. April 1992 bis zum 9. Juli 1992 stationär im Epilepsiezentrum der Beklagten zu 1 behandelt. Dabei erhielt er zunächst weiter das Medikament V. und wegen der Sehstörungen Cortison. Der Beklagte zu 2 veranlasste - nach einem Telefonat mit dem medizinischen Leiter der Streithelferin der Beklagten - die Durchführung eines Lymphozytentransformationstests (LTT) an der Universitätsklinik T., wo eine dafür erforderliche Blutprobe des Klägers am 8. Mai 1992 einging. Nach einer telefonischen Information über das Ergebnis wurde am 27. Mai 1992 die Verabreichung des Medikaments V. beendet und auch auf einen in den Krankenakten unter dem 2. Juli 1992 dokumentierten Wunsch des Klägers, wieder das Medikament S. zu erhalten , nicht mehr fortgesetzt.
5
Der Kläger führt seine bleibende Augenschädigung und den damit verbundenen Verlust seines Arbeitsplatzes als Lagerist auf schädliche Nebenwirkungen des ihm verabreichten Medikaments V. (S.) zurück und behauptet, weder vor Beginn der Behandlung über die fehlende Zulassung des Medikaments, noch während der Behandlung über dessen Risiken, insbesondere nach dem Eintreten von Sehstörungen, aufgeklärt worden zu sein. Hätte er von Anfang gewusst, dass eine Zulassung des Medikaments noch nicht vorgelegen habe, hätte er von einer Einnahme Abstand genommen. Des Weiteren wirft der Kläger dem Beklagten zu 2 einen für seine Augenschädigung ursächlichen (groben) Behandlungsfehler vor, weil dieser das Medikament nach dem Auftreten von Sehstörungen nicht sofort abgesetzt habe.
6
Das Landgericht hat die auf Schmerzensgeld in vorgestellter Größenordnung von 35.790,43 €, Verdienstausfall vom 1. April 1993 bis zum 31. Dezember 2004 in Höhe von 65.942,84 € und Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden gerichtete Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

7
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, es spreche zwar viel dafür, dass die Einnahme des Medikaments V. die Augenschäden des Klägers verursacht habe. Dies könne jedoch letztlich offen bleiben, weil sich auch bei unterstellter Ursächlichkeit keine Haftung der Beklagten wegen Behandlungs- und Aufklärungsfehlern ergebe. Bei der Entscheidung Ende September 1991, dem Kläger das zu diesem Zeitpunkt noch nicht zugelassene Medikament V. zu verabreichen , habe der Beklagte zu 2 lediglich gewusst, dass Langzeitauswirkungen dieses Mittels auf das visuelle System und okulomotorische Leistungen (Sehvermögen) beim Menschen noch nicht untersucht gewesen seien. Dagegen hätten keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass ihm irgendetwas über aufgetretene Gesichtsfeldstörungen nach Einnahme des Medikaments bekannt gewesen sei oder hätte sein müssen. Der Beklagte zu 2 habe es zwar fehlerhaft unterlassen, nach etwa 6 Monaten eine - erst dann erforderliche - Kontrolle des Sehvermögens des Klägers anzuordnen. Dies sei jedoch folgenlos geblieben, weil der Kläger sich zu diesem Zeitpunkt wegen der aufgetretenen Sehstörungen selbst in augenärztliche Behandlung begeben habe. Ob nach dem Schreiben der Universitäts-Augenklinik F. vom 4. Mai 1992 in der Weitergabe des Medikaments ein einfacher Behandlungsfehler zu sehen sei, könne ebenfalls offen bleiben. Denn der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass ein entsprechend früheres Absetzen des Medikaments die Augenschädigung verhindert hätte. Der Sachverständige Prof. Dr. A. habe keine Aussage dazu machen können , wie die Entwicklung gewesen wäre, wenn man das Medikament schon früher abgesetzt hätte. Eine Umkehr der Beweislast komme dem Kläger nicht zu Gute, weil insoweit kein grober Behandlungsfehler vorliege. Der Entscheidung des Beklagten zu 2, die Medikamententherapie fortzusetzen, liege eine Güterabwägung zugrunde, die zum damaligen Zeitpunkt vertretbar gewesen sei, weil das Medikament die Anfallshäufigkeit beim Kläger reduziert habe. Jedenfalls aber sei die Entscheidung kein Fehler gewesen, der einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen dürfe. Was die Aufklärungspflichten anbelange , habe der Beklagte zu 2 diese zwar sowohl vor Beginn der Verabreichung des Medikaments als auch nach Erhalt des Arztbriefes vom 4. Mai 1992 verletzt. Der Kläger hätte jedoch der Einnahme des Medikaments im Sinne einer hypothetischen Einwilligung auch zugestimmt, wenn er zuvor darauf hingewiesen worden wäre, dass dieses in Deutschland noch nicht zugelassen und grundsätzlich mit Nebenwirkungen unbekannter Art zu rechnen sei. Der Kläger habe bei seiner Anhörung diesbezüglich nicht plausibel gemacht, dass er in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre. Soweit es um die Verletzung der Aufklärungspflichten nach dem Auftreten der Sehstörungen des Klägers gehe, scheitere eine Haftung der Beklagten wiederum daran, dass der Kläger den Nachweis der Kausalität einer Fortsetzung der Medikation für die bei ihm eingetretenen Augenschäden nicht habe führen können.

II.

8
Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
A. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerhaft eine Haftung der Beklagten wegen eines Behandlungsfehlers verneint.
10
1. Das Berufungsgericht geht allerdings ohne Rechtsfehler davon aus, dass allein die Verabreichung des noch nicht in Deutschland zugelassenen Medikaments im September 1991 noch keinen Behandlungsfehler darstellte.
11
a) Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Urteil vom 13. Juni 2006 - VI ZR 323/04 - VersR 2006, 1073) darf die Anwendung einer neuen Behandlungsmethode erfolgen, wenn die verantwortliche medizinische Abwägung und ein Vergleich der zu erwartenden Vorteile dieser Methode und ihrer abzusehenden und zu vermutenden Nachteile mit der standardgemäßen Behandlung unter Berücksichtigung des Wohles des Patienten die Anwendung der neuen Methode rechtfertigt. Anhaltspunkte für eine in diesem Sinne fehlerhafte oder ungenügende Abwägung durch die Behandlungsseite zum Zeitpunkt des Beginns der Medikation macht die Revision selbst nicht geltend und sind auch nicht ersichtlich. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts reduzierte sich die Zahl der epileptischen Anfälle des Klägers nach der Einnahme des Medikaments deutlich; gefährliche Nebenwirkungen, insbesondere eine Beeinträchtigung des Sehvermögens, waren damals noch nicht bekannt.
12
b) Die Tatsache, dass das Medikament nicht nur neu, sondern auch in Deutschland noch nicht zugelassen war, vermag unter den Umständen des Streitfalles keine abweichende Beurteilung zu rechtfertigen. Die Zulassung eines Medikaments gibt lediglich ein Verkehrsfähigkeitsattest und löst eine Vermutung für die Verordnungsfähigkeit in der konkreten Therapie aus (vgl. Hart MedR 1991, 300, 304 f.). Der individuelle Heilversuch mit einem zulassungspflichtigen , aber noch nicht zugelassenen Medikament wird durch das Arzneimittelgesetz nicht verboten. Seine Zulässigkeit ist deshalb arzthaftungsrechtlich nach allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen. Danach begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht auf Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen, dass sich die klinische Prüfung in Phase III befand und das Medikament kurz vor seiner Zulassung in Deutschland stand, in der Verabreichung des noch nicht zugelassenen Medikaments als solcher im September 1991 noch keinen Behandlungsfehler gesehen hat.
13
2. Die Beurteilung des Berufungsgerichts ist jedoch rechtsfehlerhaft, soweit es meint, für eine Haftung wegen des weiteren Verhaltens des Beklagten zu 2 während der Medikation wäre ein grober Behandlungsfehler mit einer Umkehr der Beweislast dahingehend erforderlich, dass ein früherer Abbruch der Medikation den Eintritt der Augenschäden verhindert hätte.
14
a) Das Berufungsgericht sieht es nach dem Ergebnis seiner Beweisaufnahme als nahe liegend an, dass die Verabreichung des Medikaments V. für die beim Kläger eingetretenen Augenschäden ursächlich gewesen sei. Dabei geht es auch zutreffend davon aus, dass nach den Umständen des Streitfalles nach den vom Senat im so genannten Lues-Fall (BGHZ 11, 227) entwickelten Grundsätzen ein Anscheinsbeweis für die Kausalität sprechen könnte. Kann ein festgestelltes Krankheitsbild (theoretisch) die Folge verschiedener Ursachen sein, liegen aber nur für eine dieser möglichen Ursachen konkrete Anhaltspunk- te vor, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für diese Ursache, selbst wenn sie im Vergleich zu den anderen möglichen Ursachen relativ selten ist und das festgestellte Krankheitsbild nur eine zwar mögliche, aber keine typische Folge dieser Ursache ist. Da das Berufungsgericht die Kausalitätsfrage letztlich offen gelassen hat, ist für die revisionsrechtliche Prüfung zu Gunsten des Klägers zu unterstellen, dass die Verabreichung des Medikaments insgesamt ursächlich für die bei ihm festgestellten Augenschäden war.
15
b) Das Berufungsgericht lässt es weiter dahinstehen, ob in der Zeit ab dem 5. Mai 1992 nach Eingang des Arztbriefes der Universitäts-Augenklinik vom 4. Mai 1992 mit dem darin geäußerten Verdacht eines medikamenteninduzierten "AION" ein einfacher Behandlungsfehler zu sehen sei. Ein solcher ist mithin für die revisionsrechtliche Überprüfung ebenfalls zu unterstellen.
16
c) Bei dieser Sachlage ist die Auffassung des Berufungsgerichts rechtsfehlerhaft , eine Haftung der Beklagten scheitere jedenfalls daran, dass kein grober Behandlungsfehler in der weiteren Verabreichung des Medikaments ab dem 5. Mai 1992 vorliege. Denn bei feststehender Kausalität zwischen der Verabreichung des Medikaments und den eingetretenen Augenschäden des Klägers würde grundsätzlich auch ein einfacher Behandlungsfehler zur Begründung einer Haftung der Beklagten ausreichen. Soweit das Berufungsgericht dies mit der Erwägung verneint, der Kläger könne den Nachweis nicht führen, dass ein Abbruch der Medikation ab dem 5. Mai 1992 etwas an Art und Ausmaß der Augenschäden geändert hätte, verkennt es die Beweislast die sich ergäbe, wenn - wie im Streitfall - ein neues Medikament mit unbekannten Risiken verabreicht wird und ein solches Risiko sich tatsächlich verwirklicht. Stünde nämlich fest, dass die behandlungsfehlerhafte Verabreichung des Medikaments ein Behandlungsfehler war und dass sie im Ergebnis zu einem Gesundheitsschaden des Patienten geführt hat, so hätte die Behandlungsseite zu beweisen, dass der Gesundheitsschaden nach Art und Ausmaß auch bei rechtzeitigem Absetzen des Medikaments eingetreten wäre.
17
3. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken unterliegt auch die Beurteilung des Berufungsgerichts, mit der es einen Behandlungsfehler im Zusammenhang mit der Verabreichung des Medikaments vor dem 5. Mai 1992 verneint. Die Beurteilung , ob ein Behandlungsfehler vorliegt, ist zwar grundsätzlich Sache des Tatrichters und revisionsrechtlicher Überprüfung nur eingeschränkt zugänglich. Das Berufungsgericht ist jedoch bei seiner Beurteilung unter den besonderen Umständen des Streitfalles von einem fehlerhaften, weil zu geringen Sorgfaltsmaßstab ausgegangen.
18
a) Die Anwendung neuer Behandlungsmethoden bzw. - wie hier - die Vornahme von Heilversuchen an Patienten mit neuen Medikamenten unterscheidet sich von herkömmlichen, bereits zum medizinischen Standard gehörenden Therapien vor allem dadurch, dass in besonderem Maße mit bisher unbekannten Risiken und Nebenwirkungen zu rechnen ist. Deshalb erfordert die verantwortungsvolle medizinische Abwägung einen - im Verhältnis zur standardgemäßen Behandlung - besonders sorgfältigen Vergleich zwischen den zu erwartenden Vorteilen und ihren abzusehenden oder zu vermutenden Nachteilen unter besonderer Berücksichtigung des Wohles des Patienten (vgl. Senatsurteil vom 13. Juni 2006 - VI ZR 323/04 - aaO). Diese Abwägung ist kein einmaliger Vorgang bei Beginn der Behandlung, sondern muss jeweils erneut vorgenommen werden, sobald neue Erkenntnisse über mögliche Risiken und Nebenwirkungen vorliegen, über die sich der behandelnde Arzt ständig zu informieren hat. Dabei muss er unverzüglich Kontrolluntersuchungen vornehmen, wenn sich Risiken für den Patienten abzeichnen, die zwar nach Ursache, Art und Umfang noch nicht genau bekannt sind, jedoch bei ihrem Eintreten zu schweren Gesundheitsschäden führen können.
19
b) Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht beachtet, soweit es einen Behandlungsfehler wegen Nichtbefolgens der Empfehlung zu Kontrollen des Sehvermögens in der mit dem Zulassungsbescheid herausgegebenen Fachinformation erst nach einem halben Jahr in Erwägung zieht.
20
Das Berufungsgericht geht zwar zutreffend davon aus, dass es zu den Sorgfaltspflichten eines Arztes bei einem Heilversuch mit einem noch nicht zugelassenen Medikament gehört, sich nach erfolgter Zulassung (hier: am 19. Dezember 1991) über die vom Hersteller bzw. vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte empfohlenen Vorsichtsmaßnahmen zu informieren. Diese bestanden im Streitfall insbesondere in dem Hinweis, dass Langzeitauswirkungen von V. auf das visuelle System und okulomotorische Leistungen (Sehfunktion) beim Menschen noch nicht untersucht worden seien, weshalb periodische (z.B. monatliche) Kontrollen des Sehvermögens angezeigt seien. Der Auffassung des Berufungsgerichts, aus dieser Formulierung werde deutlich , dass solche Vorsichtsmaßnahmen nicht als zwingend geboten anzusehen gewesen seien und schon gar nicht Kontrollen in monatlichen Abständen, kann aus Rechtsgründen nicht gefolgt werden.
21
Durch den Hinweis in der Gebrauchsinformation wurden die Möglichkeit und die Stoßrichtung bisher unbekannter Risiken hinreichend deutlich, nämlich eine Schädigung des Sehvermögens. Werden hierbei vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als Vorsichtsmaßnahme regelmäßige "z.B. monatliche" Kontrollen des Sehvermögens für angezeigt erachtet, so liegt auf der Hand, dass der behandelnde Arzt dies sofort zu beachten hat und nicht erst nach sechs Monaten. Darüber hinaus setzen regelmäßige Kontrollen des Sehvermögens sinnvollerweise voraus, dass zu Beginn der Behandlung ein Augenstatus erhoben wird, um spätere Veränderungen überhaupt feststellen zu können. Da der Kläger im Streitfall das Medikament bereits seit Ende September 1991 erhalten hatte, ohne dass zu Beginn der Behandlung ein Augenstatus erhoben und weitere Kontrollen des Sehvermögens durchgeführt worden waren, hätte der Beklagte zu 2 dies bei Bekanntwerden der entsprechenden Empfehlung zum Zeitpunkt der Zulassung des Medikaments nachholen müssen. Keinesfalls durfte er sich über die empfohlenen Vorsichtsmaßnahmen und noch dazu über einen Zeitraum von sechs Monaten hinwegsetzen und das Medikament unkontrolliert weiter verabreichen.
22
Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich auch nicht - wie das Berufungsgericht meint - aus der aktuellen Gebrauchsinformation (Stand 2002), die nunmehr lediglich Kontrollen des Sehvermögens in sechsmonatigen Abständen vorsieht. Zum einen wird dabei übersehen, dass darin auch Gesichtsfelduntersuchungen vor Behandlungsbeginn empfohlen werden. Darüber hinaus wird nicht hinreichend berücksichtigt, dass zum damaligen Zeitpunkt der Zeitablauf bis zu einer Realisierung des möglichen Risikos noch nicht bekannt war und deshalb die in der Gebrauchsinformation zum Zulassungsbescheid vorgeschlagenen Vorsichtsmaßnahmen maßgebend waren. Schließlich kommt es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht darauf an, ob nach dem zwischenzeitlichen Wissensstand nicht beweisbar wäre, dass die Augenschäden beim Kläger schon früher aufgetreten und feststellbar gewesen wären. Denn bei der unkontrollierten Weitergabe des Medikaments von der Bekanntgabe des Zulassungsbescheides im Dezember 1991 an handelt es sich um einen Behandlungsfehler und nicht nur um einen Befunderhebungsfehler. Muss aber revisionsrechtlich unterstellt werden, dass die Verabreichung des Medikaments für die beim Kläger eingetretenen Augenschäden ursächlich war, kann auch ein einfacher Behandlungsfehler zu diesem früheren Zeitpunkt eine Haftung der Beklagten rechtfertigen.
23
4. Die Begründung, mit der das Berufungsgericht einen groben Behandlungsfehler in der Weiterverabreichung des Medikaments ab dem 5. Mai 1992 verneint, hält den Angriffen der Revision ebenfalls nicht stand.
24
a) Zwar richtet sich die Einstufung eines ärztlichen Fehlverhaltens als grob nach den gesamten Umständen des Einzelfalls, deren Würdigung weitgehend im tatrichterlichen Bereich liegt. Revisionsrechtlich ist jedoch sowohl nachzuprüfen, ob das Berufungsgericht den Begriff des groben Behandlungsfehlers verkannt, als auch, ob es bei der Gewichtung dieses Fehlers erheblichen Prozessstoff außer Betracht gelassen oder verfahrensfehlerhaft gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. etwa Senatsurteil vom 28. Mai 2002 - VI ZR 42/01 - VersR 2002, 1026 m.w.N.).
25
b) Das Berufungsgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass ein grober Behandlungsfehler neben einem eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse die Feststellung voraussetzt, dass der Arzt einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. etwa Senat BGHZ 159, 48, 53). Soweit es jedoch weiter meint, es gehöre auch zum Wesen eines solchen Fehlers, dass er die Aufklärung des Behandlungsverlaufs besonders erschwert habe, so steht dies nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats. Wie der Senat in seinem Urteil BGHZ 159, 48 klargestellt hat, handelt es sich bei dieser Erwägung lediglich um das Motiv für eine Beweislastumkehr bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers, nicht jedoch um eine zusätzliche Voraussetzung im konkreten Einzelfall. Ein grober Behandlungsfehler, der geeignet ist, einen Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, führt grundsätzlich zu einer Umkehr der objektiven Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsscha- den. Dafür reicht aus, dass der grobe Behandlungsfehler geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen; nahe legen oder wahrscheinlich machen muss der Fehler den Schaden hingegen nicht.
26
c) Des Weiteren hat das Berufungsgericht - wie bereits ausgeführt - den erhöhten Sorgfaltsmaßstab bei einem Heilversuch mit einem noch nicht zugelassenen bzw. in der Zulassungsphase befindlichen neuen Medikament nicht beachtet, durch den sich auch geringere Anforderungen an die Bejahung eines groben Behandlungsfehlers ergeben.
27
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts musste der Beklagte zu 2 spätestens seit der Zulassung des Medikaments am 19. Dezember 1991 mit Auswirkungen des Medikaments auf das visuelle System und die Sehfunktion beim Menschen rechnen, denn in dem "Wortlaut der für die Packungsbeilage vorgesehenen Angaben" wurde diesbezüglich zur Vorsicht und zur Durchführung periodischer Kontrollen des Sehvermögens aufgefordert. Nachdem beim Kläger nach etwa einem halben Jahr Ende März/Anfang April 1992 tatsächlich Sehstörungen auftraten und aus dem Schreiben der Universitäts-Augenklinik F. vom 4. Mai 1992 hervorging, dass eine dort diagnostizierte anteriore ischämische Opticusneuropathie (AION) möglicherweise medikamenteninduziert sei, bestand der hinreichende Verdacht, dass beim Kläger eine in ihren Auswirkungen noch nicht überschaubare, bislang unbekannte Nebenwirkung des Medikaments aufgetreten sein könnte, die bei einer Fortsetzung der Medikation eine schwere Schädigung des Sehvermögens befürchten ließ.
28
Das Berufungsgericht führt hierzu aus, der gerichtliche Sachverständige habe bei seiner mündlichen Anhörung zu der Diagnose "AION" erklärt, diese beinhalte die Gefahr einer Erblindung, und zwar könne dabei auch ohne eine weitere allmähliche Entwicklung schlagartig "das Licht ausgehen". Aus diesem Grunde würde man bei einer Güterabwägung, wenn Behandlungsalternativen bestünden, ein neues Medikament absetzen und lieber eine erhöhte Anfallshäufigkeit in Kauf nehmen, wenn der Verdacht bestehe, dass die Erkrankung im Zusammenhang mit dem Mittel stehe. Soweit dann der Sachverständige nach weiterer Befragung meinte, die festgestellten Symptome seien gar nicht so gravierend gewesen und die Abklärung der üblichen in Betracht kommenden Risikofaktoren für die im Allgemeinen sehr schwierigen Ursachenfeststellungen bei einer "AION" sei im Sinne eines Standardscreenings angesprochen, ohne dass schon irgendein Zusammenhang mit dem Medikament hergestellt worden sei, war diese Äußerung nicht geeignet, die Güterabwägung zu Gunsten einer Fortsetzung der Medikation entscheidend zu beeinflussen. Die Revision weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass es nicht um die Schwere der bereits festgestellten Symptome und die genauere Abklärung ihrer Ursachen ging, sondern um die Vermeidung möglicher irreparabler Schäden durch eine fortgesetzte Verabreichung des Medikaments.
29
Da es sich um einen Heilversuch mit einem neuen Medikament handelte, bei dem mit unbekannten Gefahren und Risiken gerechnet werden musste, hätte der von einer Universitäts-Augenklinik geäußerte Verdacht auf die ernstzunehmende Möglichkeit eines medikamenteninduzierten Eintritts irreparabler Schäden für das Sehvermögen des Klägers grundsätzlich im Rahmen der erneut erforderlichen Güterabwägung dazu führen müssen, aus Sicherheitsgründen im Interesse der Gesundheit des Patienten vorrangig einen zumindest vorläufigen sofortigen Abbruch der Medikation bis zum Vorliegen weiterer Untersuchungsergebnisse in Betracht zu ziehen. Insbesondere lässt das Berufungsurteil eine Begründung dafür vermissen, weshalb es nicht zumindest eine Aussetzung der Weiterbehandlung mit dem neuen Medikament bis zum Vorliegen des in Auftrag gegebenen Lymphozytenstimulationstests (LTT), von dem man sich weitere Aufklärung versprach und der schließlich zum endgültigen Absetzen des Medikaments führte, angesichts der erheblichen Gesundheitsrisiken für das Sehvermögen des Klägers zwingend für geboten hielt. Dies gilt umso mehr, als nach den Feststellungen des Berufungsgerichts dieser Test offensichtlich in gleicher Weise hätte durchgeführt werden können, wenn das Medikament nach der Entnahme der ersten Blutprobe vorläufig abgesetzt worden wäre. Im Hinblick auf die Tatsache, dass dessen Ergebnis schon drei bis vier Wochen später vorlag, bedurfte es mithin besonderer Umstände, die eine Fortsetzung der Medikation für diesen Zeitraum verständlich erscheinen ließen. Das Berufungsgericht führt hierfür lediglich allgemein die deutlich reduzierte Anfallshäufigkeit beim Kläger auf, ohne - wie die Revision mit Recht rügt - Stellung dazu genommen zu haben, welche alternative Behandlungsmöglichkeiten mit anderen Medikamenten in Betracht kamen, um die Anfälle bzw. die Häufigkeit ihres Auftretens beim Kläger in vertretbaren Grenzen zu halten. Das Berufungsgericht wird - falls es auf das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers noch ankommen sollte - erneut mit sachverständiger Hilfe zu prüfen haben, ob es aus objektiver Sicht noch verständlich ist, dass das Medikament nach Vorliegen des Schreibens der Universitäts-Augenklinik vom 4. Mai 1992 nicht zumindest vorläufig bis zum Vorliegen des Untersuchungsergebnisses des in Auftrag gegebenen Lymphozytenstimulationstests abgesetzt wurde.
30
B. Auch die Begründung, mit der das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten wegen Verletzung der Aufklärungspflicht verneint hat, ist nicht frei von Rechtsfehlern.
31
1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Arzt, der eine neue und noch nicht allgemein eingeführte Behandlung mit einem neuen, noch nicht zugelassenen Medikament mit ungeklärten Risiken anwenden will, den Patienten nicht nur über die noch fehlende Zulassung, sondern auch darüber aufzuklären hat, dass unbekannte Risiken derzeit nicht auszu- schließen sind (vgl. Senatsurteil vom 13. Juni 2006 - VI ZR 323/04 - aaO m.w.N.). Dies ist erforderlich, um den Patienten in die Lage zu versetzen, für sich sorgfältig abzuwägen, ob er sich nach der herkömmlichen Methode mit bekannten Risiken behandeln lassen möchte oder nach der neuen Methode unter besonderer Berücksichtigung der in Aussicht gestellten Vorteile und der noch nicht in jeder Hinsicht bekannten Gefahren.
32
Nach dem damaligen Kenntnisstand musste zwar der Kläger noch nicht speziell auf das Risiko einer Augenschädigung hingewiesen werden; es fehlte aber nach den Feststellungen des Berufungsgerichts der Hinweis, dass das einzunehmende Medikament noch keine arzneimittelrechtliche Zulassung besaß und deshalb mit unbekannten Risiken zu rechnen war.
33
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Recht dagegen, dass das Berufungsgericht eine hypothetische Einwilligung des Klägers in die Verabreichung des noch nicht zugelassenen Medikaments angenommen hat.
34
a) Das Berufungsgericht ist insoweit zwar im Ansatz von der Rechtsprechung des erkennenden Senats ausgegangen, wonach sich die Behandlungsseite - allerdings nur unter strengen Voraussetzungen - darauf berufen kann, dass der Patient auch bei Erteilung der erforderlichen Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte (vgl. etwa Urteil vom 15. März 2005 - VI ZR 289/03 - VersR 2005, 834, 835 f. m.w.N.). Hat sie dies substantiiert dargelegt, muss der Kläger nachvollziehbar plausibel machen, warum er auch bei zureichender Aufklärung in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre. Dazu hat das Berufungsgericht im Streitfall den Kläger auch - wie dies grundsätzlich erforderlich ist - persönlich angehört.
35
b) Gleichwohl halten seine Ausführungen zur hypothetischen Einwilligung der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand, weil es zu hohe Anforderun- gen an die Plausibilität eines Entscheidungskonflikts bei der Verabreichung eines noch nicht zugelassenen Medikaments gestellt hat.
36
An die Voraussetzungen einer hypothetischen Einwilligung sind schon bei der "normalen Standardbehandlung" strenge Anforderungen zu stellen, damit das Aufklärungs- bzw. Selbstbestimmungsrecht des Patienten nicht unterlaufen wird (Senat, Urteile vom 5. Februar 1991 - VI ZR 108/90 - VersR 1991, 547, 548; vom 14. Juni 1994 - VI ZR 260/93 - VersR 1994, 1302; vom 17. März 1998 - VI ZR 74/97 - VersR 1998, 766, 767, jeweils m.w.N.). Da es sich bei einem Heilversuch mit einem noch nicht zugelassenen Medikament letztlich um einen medizinischen Versuch - wenngleich zu individuell-therapeutischen Zwecken - handelt, sind für das Vorliegen einer hypothetischen Einwilligung besonders strenge Maßstäbe anzulegen (ähnlich Hart MedR 1994, 94, 102; Bender aaO, 512 Fn. 9; Giesen aaO, S. 23, Fischer in FS für Deutsch, S. 545, 556 ff.). Dies wird dadurch bestätigt, dass die §§ 40 ff. AMG bei einer klinischen Prüfung eines neuen, noch nicht zugelassenen Medikaments grundsätzlich eine schriftliche Einwilligungserklärung des Patienten vorsehen. Das Arzneimittelgesetz war zwar im vorliegenden Fall nicht unmittelbar anwendbar, weil der Einsatz des Medikaments außerhalb einer im Haus der Beklagten zu 1 durchgeführten klinischen Prüfung erfolgte (vgl. zur damaligen Fassung des AMG vom 24. August 1976 nach dem Vierten Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 11. April 1990 - Laufs NJW 1993, 1497, 1498 Fn. 29; so auch heute : vgl. Kloesel/Cyran, AMG, 101. Akt.-Lief. 2006, § 40 RN 25; Deutsch VersR 2005, 1009 ff.). Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass das Selbstbestimmungsrecht des Patienten und die erhöhten Anforderungen an eine wirksame tatsächliche Einwilligung über die (vorschnelle) Annahme einer hypothetischen Einwilligung in einen Heilversuch außerhalb des klinischen Prüfungsverfahrens umgangen werde.
37
Nach den Ausführungen des Berufungsgerichts hat sich der Kläger darauf berufen, dass er dann, wenn er gewusst hätte, dass das Medikament noch nicht zugelassen gewesen sei und deshalb die Gefahr noch nicht bekannter Nebenwirkungen bestanden hätte, dieses Mittel nicht genommen hätte bzw. in einen ernsten Entscheidungskonflikt geraten wäre, weil er wegen seiner bereits vorhandenen schweren Erkrankung nicht bereit gewesen sei, das Risiko einer weiteren Schädigung einzugehen. Dies genügte grundsätzlich, um einen Entscheidungskonflikt bei einem Heilversuch mit einem noch nicht zugelassenen Medikament plausibel zu machen und der Behandlungsseite die Beweislast dafür aufzubürden, dass sich der Patient bei hinreichender Aufklärung gleichwohl für den Heilversuch entschieden hätte. Soweit das Berufungsgericht darüber hinaus weitere Plausibilitätsüberlegungen anstellt, verkennt es, dass bei der Plausibilität des Entscheidungskonflikts auf die persönliche Entscheidungssituation des jeweiligen Patienten abzustellen ist. Was aus ärztlicher Sicht sinnvoll und erforderlich gewesen wäre und wie ein "vernünftiger Patient" sich verhalten haben würde, ist hingegen grundsätzlich nicht entscheidend (vgl. etwa Senatsurteil vom 17. März 1998 - VI ZR 74/97 - VersR 1998, 766). Der Tatrichter darf seine eigene Beurteilung des Konflikts nicht an die Stelle derjenigen des Patienten setzen (vgl. Senatsurteil vom 1. Februar 2005 - VI ZR 174/03 - VersR 2005, 694).

III.

38
Nach alledem war das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen , damit es die noch erforderlichen Feststellungen nachholen kann. Müller Greiner Wellner Pauge Stöhr
Vorinstanzen:
LG Offenburg, Entscheidung vom 11.07.1995 - 3 O 490/94 -
OLG Karlsruhe in Freiburg, Entscheidung vom 02.02.2005 - 13 U 134/95 -

(1) Insoweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Wird das Urteil wegen eines Mangels des Verfahrens aufgehoben, so ist zugleich das Verfahren insoweit aufzuheben, als es durch den Mangel betroffen wird.

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.

(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.

(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.

(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.

(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.

(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn

1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder
2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.