Bundesgerichtshof Urteil, 12. Juni 2014 - X ZR 104/13

bei uns veröffentlicht am12.06.2014
vorgehend
Amtsgericht Hannover, 533 C 4600/12, 31.01.2013
Landgericht Hannover, 12 S 18/13, 17.07.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X Z R 1 0 4 / 1 3 Verkündet am:
12. Juni 2014
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. Juni 2014 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck,
die Richter Dr. Grabinski, Dr. Bacher, Hoffmann und die Richterin Schuster

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das am 17. Juli 2013 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Kläger verlangen die Leistung von Ausgleichzahlungen in Höhe von 500 € pro Person nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a, Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. EU L 46 vom 17. Februar 2004, S. 1 ff.; nachfolgend: Fluggastrechteverordnung oder Verordnung).
2
Die Kläger buchten bei der Beklagten eine Flugreise von Frankfurt am Main nach Mahón (Menorca) und zurück. Der Hinflug sollte am 6. Oktober 2011 um 19.50 Uhr starten, planmäßige Ankunft war 21.55 Uhr. Tatsächlich startete die Maschine erst nach 23.00 Uhr und landete am folgenden Tag nach 1.00 Uhr. Der Rückflug sollte am 13. Oktober 2011 um 22.50 Uhr beginnen; die Landung in Frankfurt war für 0.55 Uhr vorgesehen. Der Flug startete jedoch erst am 14. Oktober 2011 gegen 2.00 Uhr und traf nach 4.00 Uhr in Frankfurt ein. Ursache der Verspätung waren beim Hinflug eine Überlastung des griechischen Luftraums wegen infolge eines Streiks oder krankheitsbedingt fehlender Fluglotsen und beim Rückflug Radarausfälle im griechischen Luftraum. Diese Störungen betrafen den dem Hinflug der Kläger vorangegangenen Flug des eingesetzten Flugzeugs von Rhodos nach Frankfurt und die dem Rückflug vorangegangenen Flüge des eingesetzten Flugzeugs von Frankfurt nach Rhodos und zurück.
3
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Kläger, mit der sie die geltend gemachten Ansprüche weiterverfolgen.

Entscheidungsgründe:


4
Die zulässige Revision bleibt in der Sache ohne Erfolg.
5
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, den Klägern stehe kein Anspruch auf die begehrte Ausgleichszahlung zu.
6
Die Verspätung beider Flüge sei auf außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung zurückzuführen, die die Beklagte nicht habe beeinflussen können. Sie habe sich im Rahmen des Zumutbaren bemüht, ein Subcharterunternehmen zu verpflichten. Infolge des Bedarfs auch anderer Fluggesellschaften nach Ersatzmaschinen sei der Markt für Subcharterflüge ausgeschöpft gewesen. Bei Überprüfung der Zumutbarkeit der zu treffenden Maßnahmen seien auch die vorangegangenen Flüge des eingesetzten Flug- zeugs zu berücksichtigen. Ersatzmaschinen habe die Beklagte nichtvorhalten müssen. Ein derartiger Aufwand sei unverhältnismäßig und führe zu einer wirtschaftlich nicht nachvollziehbaren Verteuerung der Flugpreise.
7
II. Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
8
Den Klägern steht kein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a, Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung zu. Zwar mussten die Reisenden sowohl beim Hinflug als auch beim Rückflug eine Ankunftsverspätung von mehr als drei Stunden hinnehmen, was grundsätzlich einen Ausgleichsanspruch nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung begründet (EuGH, Urteil vom 19. November 2009 - C-402/07, Slg. 2009, I-10923 = NJW 2010, 43 = RRa 2009, 282 - Sturgeon/Condor; Urteil vom 23. Oktober 2012 - C-581/10, NJW 2013, 671 = RRa 2012, 272 - Nelson/Lufthansa; BGH, Urteil vom 18. Februar 2010 - Xa ZR 95/06, NJW 2010, 2281 = RRa 2010, 93; Urteil vom 7. Mai 2013 - X ZR 127/11, RRa 2013, 237 = NJW-RR 2013, 1065). Die Verspätung ist jedoch durch von der Beklagten nicht zu vermeidende außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung verursacht worden, die diesen Anspruch ausschließen.
9
1. Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass ein überlasteter Luftraum aufgrund Fluglotsenmangels sowie Radarausfälle geeignet waren , außergewöhnliche Umstände im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung zu begründen.
10
a) Der Begriff der außergewöhnlichen Umstände, der weder in Art. 2 noch in sonstigen Vorschriften der Verordnung definiert ist, bedeutet nach seinem Wortlaut, dass die gegebenenfalls zu einem Wegfall der Ausgleichspflicht führenden Umstände außergewöhnlich sind, das heißt nicht dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entsprechen, sondern außerhalb dessen liegen, was üblicher- weise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist oder verbunden sein kann. Es sollen Ereignisse erfasst werden, die nicht zum Luftverkehr gehören, sondern als jedenfalls in der Regel von außen kommende besondere Umstände seine ordnungs- und planmäßige Durchführung beeinträchtigen oder unmöglich machen können. Umstände, die im Zusammenhang mit einem dem Luftverkehr störenden Vorfall wie einem technischen Defekt auftreten , können nur dann als außergewöhnlich im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung qualifiziert werden, wenn sie auf ein Vorkommnis zurückgehen, das wie die in Erwägungsgrund 14 der Verordnung aufgezählten nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens und aufgrund seiner Natur oder Ursache von diesem tatsächlich nicht zu beherrschen ist (EuGH, Urteil vom 22. Dezember 2008 - C-549/09, NJW 2009, 347 = RRa 2009, 35 Rn. 23 - Wallentin-Hermann/Alitalia; Urteil Sturgeon/Condor, aaO; Urteil vom 31. Januar 2013 - C-12/11, NJW 2013, 921 = RRa 2013, 81 - McDonagh/Ryanair). Der Bundesgerichtshof hat hieraus abgeleitet, dass technische Defekte, wie sie beim Betrieb eines Flugzeugs typischerweise auftreten , grundsätzlich keine außergewöhnliche Umstände begründen, sondern Teil der normalen Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind (BGH, Urteil vom 12. November 2009 - X ZR 76/07, NJW 2010, 1070 = RRa 2010, 34 Rn. 23; Urteil vom 21. August 2012 - X ZR 138/11, BGHZ 194, 258 Rn. 16; Urteil vom 24. September 2013 - X ZR 160/12, NJW 2014, 861 = RRa 2014, 25 Rn. 10). Dabei unterliegt die Prüfung, ob ein technisches Problem auf ein Vorkommnis zurückzuführen ist, das nicht Teil der normalen Ausführung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens und von ihm tatsächlich nicht zu beherrschen ist, dem nationalen Richter (EuGH - Wallentin-Hermann/Alitalia, aaO Rn. 27); sie ist grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters (BGHZ 194, 258 Rn. 17; BGH, NJW 2014, 861 Rn. 11).
11
Die für technische Defekte entwickelten Maßstäbe sind auch dann heranzuziehen , wenn Vorkommnisse wie etwa die in Erwägungsgrund 14 beispiel- haft genannten Fälle politischer Instabilität, mit der Durchführung eines Flugs nicht zu vereinbarende Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken und den Betrieb eines Luftfahrtunternehmens beeinträchtigende Streiks als Ursache außergewöhnlicher Umstände in Betracht kommen (zum Fall der Ankündigung eines Pilotenstreiks als Ursache außergewöhnlicher Umstände vgl. BGHZ 194, 258 Rn. 17).
12
b) Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen , dass sowohl eine Überlastung des Luftraums als auch ein weitreichender Radarausfall in diesem Sinne außergewöhnliche Umstände begründen konnten.
13
(1) Bei der Überlastung des griechischen Luftraums wegen fehlender Fluglotsen und den eingetretenen Radarausfällen, die zu Verspätungen bei den Griechenlandflügen und infolgedessen auch zu Verzögerungen bei nachfolgend vorgesehenen Umläufen führten, handelt es sich um Umstände, die die Luftverkehrsabläufe im europäischen Luftraum beeinträchtigten, da die Sicherheit des Luftverkehrs trotz der gegebenen widrigen Umstände aufrechterhalten werden musste und Verspätungen bei den unmittelbar betroffenen Flügen mithin jedenfalls von den Luftverkehrsunternehmen nicht verhindert werden konnten. (Primäre ) Ursache der Verspätungen waren folglich von außen auf den gesamten Flugbetrieb und auf die normale Tätigkeit der Luftverkehrsunternehmen einwirkende Umstände. Wie sonstige Ausfälle und Beeinträchtigungen bei der Überwachungs- und Sicherungstätigkeit der Fluglotsen und bei dem für den sicheren Flugbetrieb unerlässlichen Einsatz der Radaranlage konnten die ausfallbedingten Gegebenheiten von dem einzelnen Luftverkehrsunternehmen weder beherrscht noch beeinflusst werden (vgl. grundsätzlich zu den Auswirkungen eines Streiks BGHZ 194, 258 Rn. 19, 20).
14
(2) Dem steht auch nicht entgegen, dass die von den Klägern gebuchten Flüge von dem Ausfall der Fluglotsen und der Radarkontrolle nicht unmittelbar betroffen waren. Entgegen der Auffassung der Revision sind jedenfalls Störungen , die am selben Tag bei vorangegangenen Flügen des eingesetzten Flugzeugs auftreten, bei der Annahme außergewöhnlicher Umstände im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung zu berücksichtigen.
15
Weder Wortlaut noch Sinn und Zweck der Vorschrift rechtfertigen die Annahme, außergewöhnliche Umstände müssten unmittelbar (auch) denjenigen Flug betreffen, bei dem sich die außergewöhnlichen Umstände in Gestalt einer notwendig werdenden Annullierung oder einer großen Verspätung auswirken. Denn bei Flugzeugen, die auf Kurz- und Mittelstrecken eingesetzt werden, sind mehrere Umläufe an demselben Tag üblich, um eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung des Flugzeugs zu ermöglichen. Die Fluggastrechteverordnung setzt diese wie andere übliche wirtschaftliche und technische Gegebenheiten des Luftverkehrs voraus und will sie weder unterbinden noch steuern. Wenn daher auch bei Aufbietung aller zumutbaren Maßnahmen nicht verhindert werden kann, dass außergewöhnliche Umstände eine Annullierung erforderlich machen oder die erhebliche Verspätung von Flügen verursachen, kann es nicht darauf ankommen, ob die betreffenden Umstände unmittelbar auf den betroffenen Flug einwirken oder sich als Auswirkung einer Beeinträchtigung bei einem der vorangegangenen Umläufe darstellen.
16
Dieses Normverständnis wird durch Erwägungsgrund 15 der Verordnung gestützt. Danach soll von außergewöhnlichen Umständen ausgegangen werden , wenn eine Entscheidung des "Flugverkehrsmanagements" zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag zur Folge hat, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeugs zu einer großen Verspätung , einer Verspätung bis zum nächsten Tag oder zu einer Annullierung kommt. Danach legt auch der Verordnungsgeber zugrunde, dass ein Flugzeug üblicherweise an einem Tag bei mehreren Flügen eingesetzt wird und dass sich außergewöhnliche Umstände in einem solchen Fall auch auf Folgeflüge auswirken können.
17
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache Finnair/Lassooy (EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2012 - C-22/11, NJW 2013, 361 = RRa 2012, 281 Abs. 37 - Finnair/ Lassooy). In dem dort entschiedenen Fall hatte das Luftverkehrsunternehmen mehrere Flüge an mehreren, einem bereits beendeten Streik nachfolgenden Tagen umorganisiert und dem Kläger die Beförderung verweigert, weil es an seiner Stelle einen von dem Streik betroffenen Fluggast befördern wollte. Der Gerichtshof hat hierin keine Rechtfertigung für die Beförderungsverweigerung gesehen und ausgesprochen, dass einem Luftverkehrsunternehmen nicht erlaubt werden könne, unter Berufung auf das Interesse anderer Fluggäste, in angemessener Zeit befördert zu werden, den Kreis der Fälle, in denen es berechtigt wäre, einem Fluggast die Beförderung zu verweigern, erheblich zu erweitern (Rn. 34). Abgesehen davon, dass Art. 4 der Verordnung ohnehin eine Beförderungsverweigerung aufgrund außergewöhnlicher Umstände nicht vorsieht , war der von dem Kläger Lassooy gebuchte Flug von den außergewöhnlichen Umständen auch nicht betroffen.
18
2. Gegebenheiten wie der in Rede stehende Ausfall der Luftverkehrskontrolle begründen nicht zwangsläufig außergewöhnliche Umstände, auf die die Annullierung oder große Verspätung zurückgeht. Dies ist vielmehr nur dann der Fall, wenn das Luftverkehrsunternehmen trotz Ergreifung aller zumutbaren Maßnahmen die Annullierung oder große Verspätung nicht verhindern kann oder sie auch mit diesen Maßnahmen nicht hätte verhindern können (EuGH, Wallentin-Hermann/Alitalia Rn. 22; BGHZ 194, 258 Rn. 11). Das Luftverkehrsunternehmen muss mithin alles ihm Mögliche und Zumutbare tun, um zu vermeiden , dass es durch Umstände wie den im Streitfall zu beurteilenden Ausfall von Personal oder einer sicherheitsrelevanten Flughafeneinrichtung genötigt ist, einen Flug zu annullieren, oder der Flug nur mit einer großen Verspätung durchgeführt werden kann, deren Folgen für den Fluggast einer Annullierung gleichkommen.
19
a) Die Vielzahl denkbarer außergewöhnlicher Umstände sowie die Unübersehbarkeit des Ausmaßes und der Dauer der hierdurch verursachten Beeinträchtigungen machen es dabei unmöglich, von den Luftverkehrsunternehmen zu verlangen, für jede denkbare Störung des Luftverkehrs in einer Weise gerüstet zu sein, die es erlaubt, durch den Einsatz zusätzlicher Flugzeuge und gegebenenfalls auch zusätzlichen Personals dafür zu sorgen, dass Annullierungen und diesen in den Folgen gleichkommende große Verspätungen stets vermieden werden können. Denn dies erforderte einen unwirtschaftlichen Aufwand , der von den Luftverkehrsunternehmen zu Lasten der Verbraucher über die Beförderungspreise gedeckt werden müsste und im Übrigen Art. 5 Abs. 3 der Verordnung im Wesentlichen seines Anwendungsbereichs beraubte. Wenn die Fluggastrechteverordnung nach Erwägungsgrund 1 ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherstellen soll und Erwägungsgrund 12 das Ärgernis und die Unannehmlichkeiten anspricht, die durch eine Annullierung - und eine ihr in den Folgen gleichkommende Ankunftsverspätung - entstehen und gegebenenfalls durch eine Ausgleichszahlung verringert werden sollen, will der Verordnungsgeber lediglich sicherstellen, dass die Luftverkehrsunternehmen auch unter außergewöhnlichen Umständen alle ihnen in dieser Situation zur Verfügung stehenden und zumutbaren Möglichkeiten ausschöpfen, um ihren Verpflichtungen gegenüber ihren Fluggästen möglichst uneingeschränkt nachzukommen und Annullierungen oder große Verspätungen zu vermeiden.
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b) Welche Maßnahmen einem Luftverkehrsunternehmen zuzumuten sind, um zu vermeiden, dass außergewöhnliche Umstände zu einer erheblichen Verspätung eines Fluges führen oder Anlass zu seiner Annullierung geben, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls; die Zumutbarkeit ist situati- onsabhängig zu beurteilen (EuGH, Wallentin-Hermann/Alitalia, aaO Rn. 40, 42; Urteil vom 12. Mai 2011 - C-294/10, NJW 2011, 2865 = RRa 2011, 125 - Eglītis und Ratnieks/Air Baltic Rn. 30). Zum einen kommt es darauf an, welche Vorkehrungen ein Luftverkehrsunternehmen nach guter fachlicher Praxis treffen muss, damit nicht bereits bei gewöhnlichem Ablauf des Luftverkehrs geringfügige Beeinträchtigungen das Luftverkehrsunternehmen außer Stande setzen, seinen vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen und den Flugplan im Wesentlichen einzuhalten (nachfolgend zu (1)). Zum anderen muss das Luftverkehrsunternehmen , wenn eine mehr als geringfügige Beeinträchtigung tatsächlich eintritt oder erkennbar einzutreten droht, alle ihm in dieser Situation zu Gebote stehenden Maßnahmen ergreifen, um nach Möglichkeit zu verhindern, dass hieraus eine Annullierung oder große Verspätung resultiert (nachfolgend zu (2)). Hingegen begründet die Fluggastrechteverordnung keine Verpflichtung der Luftverkehrsunternehmen, ohne konkreten Anlass Vorkehrungen wie etwa das Vorhalten von Ersatzflugzeugen zu treffen, um den Folgen außergewöhnlicher Umstände begegnen zu können (nachfolgend zu (3)).
21
(1) Ein Luftverkehrsunternehmen muss seinen Flugplan so ausgestalten, dass es unter gewöhnlichen Umständen in der Lage ist, seinen vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen und seine Fluggäste auf den gebuchten Flügen ohne wesentliche Verzögerungen zu befördern (BGH, NJW 2014, 861 = RRa 2014, 25 Rn. 20, 21). Das Luftverkehrsunternehmen muss mithin eine Flotte vorhalten, mit der es, sofern keine außergewöhnlichen Umstände auftreten , in der Lage ist, den Flugplan einzuhalten. Da mit kleineren Beeinträchtigungen der Betriebsabläufe stets zu rechnen ist, bedarf es dabei einer gewis- sen Zeitreserve zwischen zwei Flügen (EuGH, Eglītis und Ratnieks/Air Baltic, aaO Rn. 28). Da die Maßnahmen für das betroffene Luftverkehrsunternehmen in persönlicher, technischer und wirtschaftlicher Hinsicht tragbar sein müssen (EuGH, Wallentin-Hermann/Alitalia, aaO Rn. 40, 42; Eglītis und Ratnieks/Air Baltic, aaO Rn. 29), muss die Zeitreserve indessen nicht so bemessen sein, dass sich mit ihr auch jede außergewöhnliche Beeinträchtigung auffangen lässt (EuGH, Eglītis und Ratnieks/Air Baltic, aaO Rn. 31); dies wäre wirtschaftlich unsinnig, und hierfür gäbe es angesichts der Vielgestaltigkeit möglicher Konstellationen auch keinen praktisch handhabbaren Maßstab.
22
(2) Treten jedoch außergewöhnliche Umstände auf oder zeichnet sich hinreichend konkret ab, dass solche Umstände demnächst auftreten werden, muss das Luftverkehrsunternehmen versuchen, gravierende Beeinträchtigungen des Flugplans nach Möglichkeit zu vermeiden. Es kann daher in dieser Situation etwa gehalten sein, verfügbare Flugzeuge Dritter zu chartern, um die vorgesehenen Flüge ohne wesentliche Verzögerungen durchführen zu können. Auch insoweit gilt, dass die Maßnahmen zumutbar sein müssen.
23
(3) Vom Einzelfall losgelöste Vorsorgemaßnahmen für den eventuellen Eintritt außergewöhnlicher Umstände müssen hingegen grundsätzlich nicht ergriffen werden. Wenn der Unionsgerichtshof betont, dass die zu treffenden Maßnahmen der Situation angepasst und zu dem Zeitpunkt, zu dem die außergewöhnlichen Umstände auftreten, für das betroffene Luftverkehrsunternehmen tragbar sein müssen (EuGH, Wallentin-Hermann/Alitalia, aaO Rn. 40, 42; Eglītis und Ratnieks/Air Baltic, aaO Rn. 29), trägt er damit dem Umstand Rechnung, dass sich nur mit Blick auf eine konkrete Situation abschätzen lässt, in welchem Umfang und mit welcher Zielrichtung Maßnahmen erforderlich sind, um trotz außergewöhnlicher Umstände Beeinträchtigungen des Flugplans nach Möglichkeit zu vermeiden oder zumindest zu mildern. Da Art und Umfang der sinnvollen Maßnahmen von der Natur und der Reichweite des eingetretenen oder drohenden außergewöhnlichen Umstands und damit auch von Umfang und Dauer der Betroffenheit der Fluggäste abhängen, lässt sich mit Blick hierauf auch ein deutlich zuverlässigerer Maßstab für die Zumutbarkeit oder Unzumutbarkeit bestimmter Maßnahmen gewinnen. Für postulierte vom Einzelfall unabhängige Vorkehrungen gegen die Folgen außergewöhnlicher Umstände fehlte es hinge- gen an einem handhabbaren Maßstab. Die Fluggastrechteverordnung enthält hierzu keine Vorgaben, und es stünde im Widerspruch zu der unionsrechtlich gebotenen flexiblen und situationsabhängigen Beurteilung der Zumutbarkeit, würden sie gleichwohl für geboten erachtet.
24
Dies verdeutlicht insbesondere der von den Parteien im Streitfall diskutierte Gesichtspunkt, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang ein Luftverkehrsunternehmen Ersatzflugzeuge vorhalten muss. Für die Formulierung von Anforderungen an die Vorhaltung fehlt nicht nur ein aus der Verordnung oder sonstigen Rechtsvorschriften ableitbarer Maßstab. Es müsste vielmehr auch der Versuch scheitern, einen solchen Maßstab aus der betrieblichen Praxis der Luftverkehrsunternehmen abzuleiten, da Art und Umfang der sinnvollen personellen und sachlichen betrieblichen Reserven vom Zuschnitt des einzelnen Betriebs , der Zusammensetzung der Flotte und einer Vielzahl weiterer Umstände abhängen. Eine Beeinträchtigung des von der Fluggastrechteverordnung angestrebten hohen Schutzniveaus ergibt sich hieraus nicht, da dieses nicht durch erhöhte Anforderungen an die Organisation und Zuverlässigkeit des Flugbetriebs erreicht werden soll, sondern dadurch, dass den Fluggästen in den in der Verordnung geregelten Fällen Unterstützungsleistungen und gegebenenfalls Ausgleichszahlungen zustehen. Hat etwa ein technischer Defekt eine Annullierung oder große Verspätung zur Folge, hat das Luftverkehrsunternehmen hierfür unabhängig davon einzustehen, ob es etwa durch größere sachliche Ressourcen die Annullierung oder Verspätung wegen dieses Defekts hätte vermeiden können. Umgekehrt gilt aber auch in den Fällen außergewöhnlicher Umstände , dass allein die vorhandenen oder in der gegebenen Situation erreichbaren Ressourcen den Maßstab für die zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung einer Annullierung oder großen Verspätung bilden.
25
3. Die Würdigung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe alle zumutbaren Maßnahmen im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung ergriffen, um die Verspätung der von den Klägern gebuchten Flüge zu vermeiden, hält hiernach der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.
26
a) Zu der Möglichkeit, Aushilfsgerät und Aushilfspersonal einzusetzen, hat das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf seinen Hinweisbeschluss vom 16. April 2013 festgestellt, dass die Beklagte den Folgen der beeinträchtigten Kontrolle des Luftverkehrs im griechischen Luftraum durch Beschaffung eines Ersatzflugzeugs zu begegnen versuchte, was jedoch nur für zwei weitere Flüge, nicht aber für die hier in Rede stehenden Flüge gelang, nicht zuletzt deswegen, weil durch die Ausfälle im griechischen Luftraum ein Mangel an verfügbaren Flugzeugen herrschte. Diese Auswirkung des Fluglotsenmangels auf den gesamten Flugverkehr kann der Beklagten nicht angelastet werden. Soweit die Revision beanstandet, die Beklagte habe zu ihren Bemühungen um die Charterung eines Flugzeugs nicht ausreichend vorgetragen, setzt sie sich zu der nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffenen Feststellung des Berufungsgerichts in Widerspruch, dass der Beklagten die Beschaffung weiterer Ersatzflugzeuge nicht möglich war.
27
b) Zur Vorhaltung von Ersatzflugzeugen als Reserve für den Störfall war die Beklagte wie ausgeführt nicht verpflichtet.
28
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Meier-Beck Grabinski Die Richter Dr. Bacher und Hoffmann können wegen Urlaubsabwesenheit nicht unterschreiben. Meier-Beck Schuster
Vorinstanzen:
AG Hannover, Entscheidung vom 31.01.2013 - 533 C 4600/12 -
LG Hannover, Entscheidung vom 17.07.2013 - 12 S 18/13 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 12. Juni 2014 - X ZR 104/13

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IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 127/11 Verkündet am:
7. Mai 2013
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (FluggastrechteVO) Art. 3 Abs. 1, Art. 7

a) Den Fluggästen eines verspäteten, nach Art. 3 Abs. 1 in den Anwendungsbereich
der Fluggastrechteverordnung fallenden Flugs steht ein Ausgleichsanspruch
nach Art. 7 zu, soweit sie infolge der Verspätung ihr individuelles
Endziel mit einer Verspätung von mindestens drei Stunden erreichen.

b) Dies gilt auch, wenn die verspätete Ankunft am Endziel darauf beruht, dass
infolge der Flugverspätung ein selbst nicht in den Anwendungsbereich der
Verordnung fallender oder selbst nicht verspäteter Anschlussflug verpasst
wird.
BGH, Urteil vom 7. Mai 2013 - X ZR 127/11 - LG Berlin
AG Wedding
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 7. Mai 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die
Richterin Mühlens und die Richter Gröning, Hoffmann und Dr. Deichfuß

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil der Zivilkammer 85 des Landgerichts Berlin vom 20. September 2011 aufgehoben und das Urteil des Amtsgerichts Wedding vom 31. März 2011 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.200 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. März 2010 zu zahlen. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus eigenem und abgetretenem Recht eines Mitreisenden auf eine Ausgleichszahlung in Höhe von jeweils 600 € nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (im Folgenden: Fluggastrechteverordnung) in Anspruch.
2
Die Reisenden buchten bei der Beklagten für den 20. Januar 2010 eine Flugreise von Berlin-Tegel über Madrid nach San José (Costa Rica). Der Start des von der Beklagten durchgeführten Fluges von Berlin nach Madrid erfolgte mit einer Verspätung von eineinhalb Stunden, was dazu führte, dass die Reisenden den Anschlussflug nach San José nicht mehr erreichten, weil der Einsteigevorgang bereits beendet war, als sie an dem betreffenden Ausgang ankamen. Sie wurden erst am folgenden Tag nach San José befördert.
3
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin das Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:


4
Die zulässige Revision hat Erfolg und führt zur antragsgemäßen Verurteilung der Beklagten.
5
I. Das Berufungsgericht hat den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Ausgleichszahlungen nach Art. 4 Abs. 3, Art. 7 FluggastrechteVO wegen der Verspätung des Zubringerflugs und des dadurch bedingten Nichterreichens des Anschlussflugs verneint. Einem Fluggast, der einen Flug wegen eines verspäteten Zubringerflugs nicht erreiche, stehe kein Anspruch auf eine Ausgleichsleistung wegen Nichtbeförderung zu; Zubringerflug und Anschlussflug seien nach gefestigter Rechtsprechung grundsätzlich isoliert zu betrachten. Ein Anspruch wegen einer Beförderungsverweigerung komme auch nicht deshalb in Betracht, weil die Beklagte die Reisenden in Madrid trotz der verspäteten Ankunft noch hätte an Bord nehmen müssen. Selbst wenn sich das Flugzeug nach San José, wie die Klägerin behaupte, noch in der Parkposition am Flugsteig befunden habe, als die Reisenden den Ausgang erreichten, habe eine Beförderungsverweigerung nicht vorgelegen, da sich die Reisenden erst nach Abschluss des Einsteigevorgangs am Ausgang eingefunden hätten. Dies sei nicht mehr rechtzeitig gewesen.
6
II. Diese Beurteilung hält zwar für sich genommen der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand, der Klägerin stehen jedoch die geltend gemachten Ansprüche wegen der durch die Verspätung des Zubringerfluges verursachten erheblichen Verspätung bei der Ankunft am Endziel der Flugreise zu.
7
1. Die Fluggastrechteverordnung ist anwendbar, da die Reisenden auf einem Flughafen in Deutschland einen Flug, nämlich den ersten gebuchten Flug von Berlin nach Madrid, angetreten haben (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a FluggastrechteVO ).
8
2. Der verspätete Abflug dieses Flugs hat dazu geführt, dass die Reisenden ihr Endziel San José erst einen Tag nach der geplanten Ankunft erreicht haben. Dies begründet auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen den mit der Klage geltend gemachten Ausgleichsanspruch nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c Satz 2 FluggastrechteVO; die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 2 Buchst. c FluggastrechteVO für eine Kürzung des Ausgleichsanspruchs liegen nicht vor.
9
a) Wie der Unionsgerichtshof in der Rechtssache C-402/07 (Urteil vom 19. November 2009, NJW 2010, 43 = RRa 2009, 282 - Sturgeon/Condor) auf die Vorlage des Bundesgerichtshofs entschieden und die Große Kammer mit Urteil vom 23. Oktober 2012 (C-581/10 - Nelson/Lufthansa) bestätigt hat, können nicht nur die Fluggäste annullierter Flüge, sondern auch die Fluggäste verspäteter Flüge den in Art. 7 der Verordnung vorgesehenen Anspruch auf Ausgleich geltend machen, wenn sie infolge der Verspätung einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, weil sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftverkehrsunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen. Auf eine weitere Vorlage des Senats hat der Unionsgerichtshof mit Urteil vom 26. Februar 2013 (C-11/11 - Air France/Folkerts) ferner entschieden, dass dieser Anspruch nicht voraussetzt, dass die verspätete Erreichung des Endziels darauf beruht, dass sich der Abflug des verspäteten Flugs um die in Art. 6 Abs. 1 Buchst. a bis c FluggastrechteVO genannten Zeiten verzögert hat. Es genügt daher, dass der verspätete Abflug in Berlin dafür ursächlich war, dass die Reisenden den Anschlussflug von Madrid nach San José nicht mehr erreichen konnten und infolgedessen ihr Endziel erst mit eintägiger Verspätung erreicht haben.
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b) Entgegen der Auffassung der Revision beruht dieses Ergebnis nicht darauf, dass die Flugreise von Berlin nach San José als ein einziger Flug anzusehen wäre. Flug im Sinne der Verordnung ist vielmehr, wie der Bundesgerichtshof im Einzelnen begründet hat, der Luftbeförderungsvorgang, mit dem ein Luftverkehrsunternehmen die Gesamtheit der Fluggäste dieses Luftbeförderungsvorgangs auf einer von ihm angebotenen und zur Buchung zur Verfügung gestellten Flugroute von dem Startflughafen zum Landeflughafen befördert (BGH, Urteil vom 13. November 2012 - X ZR 12/12, NJW 2013, 682 = RRa 2013, 19; Urteil vom 28. Mai 2009 - Xa ZR 113/08, NJW 2009, 2743). Der Flug von Berlin nach Madrid ist mithin im Ausgangspunkt von dem (Anschluss-)Flug von Madrid nach San José zu unterscheiden. Hiervon geht auch das Urteil des Unionsgerichtshofs vom 26. Februar 2013 aus (s. nur Rn. 16, 18).
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Die Selbständigkeit der Flüge ändert indessen nichts daran, dass nach Art. 7 Abs. 1 Satz 2 FluggastrechteVO für die Beurteilung der Frage, ob die Verspätung den für eine Ausgleichszahlung vorausgesetzten Umfang erreicht hat und in welcher Höhe hierfür ein Ausgleich zu erbringen ist, nicht das Ziel des einzelnen Flugs, sondern der letzte Zielort oder (gleichbedeutend) das Endziel (Art. 2 Buchst. h FluggastrechteVO) maßgeblich ist, an dem der Fluggast infolge der Verspätung später als zur planmäßigen Ankunftszeit ankommt. Hiermit trägt die Verordnung dem Umstand Rechnung, dass die Annullierung oder Verspätung eines Flugs die einzelnen Fluggäste unterschiedlich stark beeinträchtigen kann, je nachdem, wie sie sich auf die Erreichung des individuel- len Endziels ihrer Flugreise auswirkt (BGH, Urteil vom 13. November 2012, aaO Rn. 15)
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c) Den von der Klägerin geltend gemachten Ausgleichsansprüchen steht es auch nicht entgegen, dass der Anschlussflug von Madrid nach San José, dem Endziel der Flugreise, selbst nicht verspätet war.
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Zwar hat der Unionsgerichtshof in seinem Urteil vom 26. Februar 2013 gemeint, dass die Fluggastrechteverordnung "zwei unterschiedliche Fälle der Verspätung eines Flugs" betreffe (aaO Rn. 28) und aus der Definition des Endziels gefolgert, dass es im Fall eines Fluges mit Anschlussflügen für die Zwecke der in Art. 7 FluggastrechteVO vorgesehenen Ausgleichszahlung allein auf die Verspätung ankomme, die gegenüber der planmäßigen Ankunftszeit am Endziel , d. h. dem Zielort des letzten Fluges des betreffenden Fluggasts, festgestellt werde (aaO Rn. 35). Er hat demgemäß in seiner Antwort auf die Vorlagefrage ausgeführt, dass die Zahlung nicht vom Vorliegen einer Verspätung beim Abflug und somit nicht von der Einhaltung der in Art. 6 FluggastrechteVO aufgeführten Voraussetzungen abhänge. Dies bedeutet jedoch nur, dass eine Abflugverspätung und insbesondere eine Abflugverspätung, die das in Art. 6 bezeichnete Ausmaß überschreitet, nicht notwendige Voraussetzung des Ausgleichsanspruchs ist, und darf nicht dahin missverstanden werden, dass die Abflugverspätung den Ausgleichsanspruch nicht begründen könnte, wenn der Anschlussflug zum Endziel für sich genommen nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt oder selbst nicht mit Verspätung ausgeführt worden ist. Vielmehr hat der Gerichtshof seine Rechtsprechung zum Ausgleichsanspruch bei Verspätung gerade für den Fall des infolge einer solchen Verspätung verpassten Anschlussflugs weiterentwickelt. Das Urteil vom 26. Februar 2013 ändert mithin nichts daran, dass Fluggäste, die auf einem Flughafen auf dem Gebiet eines Mitgliedstaats der Union einen Flug antreten, eine Ausgleichszahlung beanspruchen können, wenn der verspätete Abflug dieses Flugs zur Folge hat, dass das Endziel mit einer Verspätung von mindestens drei Stunden erreicht wird.
Der gleiche Anspruch besteht, wenn der Flug zwar pünktlich abgeht, aber - etwa wegen einer außerplanmäßigen Zwischenlandung - gleichwohl unpünktlich ankommt und dies wiederum dazu führt, dass das Endziel mit einer Verspätung von mindestens drei Stunden erreicht wird; auch dann liegt nach dem Urteil Air France/Folkerts ein verspäteter (Erst-)Flug vor. Hingegen kann eine Störung, die erst bei einem Anschlussflug auftritt, für den die Verordnung nach Art. 3 Abs. 1 nicht gilt, einen Ausgleichsanspruch auch dann nicht begründen, wenn sie dazu führt, dass das Endziel mit erheblicher Verspätung erreicht wird (BGH, Urteil vom 13. November 2012, aaO Rn. 17).
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3. Der Einwand der Revisionsbeklagten, die Auslegung der Fluggastrechteverordnung durch die Rechtsprechung des Unionsgerichtshofs sei von den der Europäischen Union zugewiesenen Kompetenzen nicht mehr gedeckt und deshalb von Verfassungs wegen nicht zu befolgen, führt zu keiner anderen Beurteilung.
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a) Zunächst stellt sich im Streitfall nicht die Frage nach den Grenzen der Zuständigkeit der Europäischen Union, die hinsichtlich der Fluggastrechteverordnung und der in ihr geregelten Rechte und Pflichten der Luftverkehrsunternehmen und der Fluggäste außer Zweifel steht. Es ist auch nicht zweifelhaft, dass das Unionsrecht einen Ausgleichsanspruch für den Fall einer großen Verspätung vorsehen kann, so dass nicht in Betracht kommt, dass der Unionsgerichtshof durch die entsprechende Auslegung der Fluggastrechteverordnung in der Union nicht übertragene Kompetenzen der Mitgliedstaaten eingegriffen haben könnte.
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b) Der Senat könnte daher die Fluggastrechteverordnung nicht anders auslegen, ohne dem Unionsgerichtshof die Frage der Vereinbarkeit seiner Rechtsprechung mit dem Primärrecht der Europäischen Union vorzulegen. Hierzu besteht jedoch keine Veranlassung.
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In ihrem Urteil vom 23. Oktober 2012 (C-581/10 - Nelson/Lufthansa) hat die Große Kammer des Gerichtshofs die Gleichstellung der durch große Verspätungen betroffenen Passagiere mit den Passagieren annullierter Flüge nochmals ausführlich begründet. Sie hat insbesondere darauf hingewiesen, dass Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Nr. iii der Verordnung dem Luftverkehrsunternehmen einen gewissen Spielraum einräume, dem Fluggast eines spät annullierten Fluges eine anderweitige Beförderung anbieten zu können, ohne ihm einen Ausgleich zahlen zu müssen. Auch wenn das Luftverkehrsunternehmen die ihm eingeräumten Möglichkeiten in vollem Umfang nutze, dürfe jedoch die Gesamtdauer der angebotenen anderweitigen Beförderung die planmäßige Dauer des annullierten Fluges nicht um drei Stunden oder mehr übersteigen; bei Überschreitung dieser Grenze seien dem Fluggast zwingend Ausgleichszahlungen zu leisten. Dagegen räume keine Bestimmung der Fluggastrechteverordnung ausdrücklich den Fluggästen verspäteter Flüge einen solchen Anspruch auf eine Ausgleichsleistung ein, auch wenn sie ihr Endziel erst drei Stunden nach der geplanten Ankunftszeit und noch später erreichten. Der (primärrechtliche) Grundsatz der Gleichbehandlung verlange indessen, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleichbehandelt werden, sofern eine solche Behandlung nicht - wie hier nicht - objektiv gerechtfertigt sei (aaO Rn. 31-33).
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Aus der - allerdings nicht maßgeblichen - Sicht des deutschen Rechts handelt es sich hierbei um eine durch das Primärrecht zusätzlich gestützte Analogie. Der Bundesgerichtshof hat es in seinem Vorlagebeschluss im Fall "Sturgeon" für möglich gehalten, dass eine erhebliche Verzögerung des Abflugs als Annullierung des Flugs anzusehen sein könne und den Ausgleichsanspruch wegen Annullierung auslöse, da eine nicht erkennbar vom Verordnungsgeber gewollte Schutzlücke aufträte, wenn auch eine erhebliche, im Vorlagefall mehr als 24 Stunden betragende Verspätung keinen Ausgleichsanspruch auslöse und es die Luftverkehrsunternehmen jedenfalls in gewissem Umfang in der Hand hätten, die Rechtsfolgen einer Annullierung durch - in der Dauer nicht begrenzte - Verschiebungen der Abflugzeit zu umgehen (BGH, Beschluss vom 17. Juli 2007 - X ZR 95/06, NJW 2007, 3437 Rn. 18 ff.). Diesem Ansatz ist der Unionsgerichtshof nicht gefolgt, weil die Verordnung eine zeitliche Grenze für Verspätungen nicht bestimmt hat, hat aber gleichwohl die Rechtsfolgen einer Annullierung in angepasster Form für anwendbar erklärt. Diese methodische Differenz ist nicht geeignet, den Vorwurf einer Missachtung der Bindung des Richters an das Gesetz zu begründen. Vielmehr hat sich der Unionsgerichtshof der richterlichen Aufgabe gestellt, diejenige Lücke zu füllen, die der Verordnungstext dadurch gelassen hat, dass er einerseits auch für erheblich verspätete Flüge keinen Ausgleichsanspruch vorsieht und andererseits kein objektives, dem Einfluss des betroffenen Luftverkehrsunternehmens entzogenes Kriterium dafür formuliert, wann eine Verspätung unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der Verordnung wie oder als eine Annullierung angesehen werden muss. Dementsprechend sieht nunmehr auch der Vorschlag der Kommission vom 13. März 2013 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rats zur Änderung der Fluggastrechteverordnung (COM (2013) 130 final) vor, für große Verspätungen in Art. 6 Abs. 2 und für verpasste Anschlussflüge in einem neuen Art. 6a zeitliche Grenzen für die verzögerte Ankunft am Endziel zu bestimmen, jenseits deren ein Ausgleichsanspruch nach Art. 7 FluggastrechteVO bestehen soll.
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Vor diesem Hintergrund ist es nur folgerichtig, wenn der Unionsgerichtshof in seinem Urteil vom 26. Februar 2013 (C-11/11 - Air France/Folkerts) bei verspäteten Flügen für den Ausgleichsanspruch nur die verspätete Ankunft in den Blick nimmt. Mit der Schaffung eines von der Verordnung nicht vorgesehenen Tatbestands der Ankunftsverspätung hat dies nichts zu tun. Vielmehr entspricht es dem Regelungskonzept der Fluggastrechteverordnung, dass es bei einem erheblich verspäteten Flug für die am Abflugort zu erbringenden Unterstützungsleistungen nach den Art. 8 und 9 auf die Abflugzeit, beim Ausgleichs- anspruch aber - nicht anders als bei der Annullierung - auf die für das Maß der Beeinträchtigung maßgebliche Ankunftszeit ankommt.
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III. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 286 Abs. 1, 288 BGB, § 91 Abs. 1 ZPO.
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Vorinstanzen:
AG Wedding, Entscheidung vom 31.03.2011 - 8a C 10/10 -
LG Berlin, Entscheidung vom 20.09.2011 - 85 S 113/11 -
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Der Bundesgerichtshof hat hieraus abgeleitet, dass technische Defekte, wie sie beim Betrieb eines Flugzeugs typischerweise auftreten, grundsätzlich keine außergewöhnlichen Umstände begründen, und zwar auch dann nicht, wenn das Luftverkehrsunternehmen alle vorgeschriebenen oder sonst bei Beachtung der erforderlichen Sorgfalt gebotenen Wartungsarbeiten frist- und ordnungsgemäß ausgeführt hat. Solche Defekte sind Teil der normalen Tätigkeit des betroffenen Luftverkehrsunternehmens (BGH, Urteil vom 12. November 2009 - Xa ZR 76/07, NJW 2010, 1070 = RRa 2010, 34, Rn. 23). Anders verhält es sich dann, wenn ein technischer Defekt ein nicht beherrschbares Vorkommnis zur Folge hat, das außerhalb des Rahmens der normalen Betriebstätigkeit des Luftverkehrsunternehmens liegt. Dies kann sich zum einen daraus ergeben, dass nicht nur ein einzelnes Flugzeug betroffen ist, sondern der gesamte über einen Flughafen abgewickelte Luftverkehr oder die gesamte Flotte eines Luftverkehrsunternehmens, beispielsweise weil die technischen Einrichtungen eines Flughafens versagen oder ein versteckter Fabrikationsfehler die gesamte oder einen wesentlichen Teil der Flotte des Luftverkehrsunternehmens betrifft. Solche Fälle sind nicht Teil der normalen Betriebstätigkeit; in diesen Fällen kommt der Luftverkehr oder die Betriebstätigkeit eines oder mehrerer Luftverkehrsunternehmen vielmehr ganz oder teilweise zum Erliegen. Die Außergewöhnlichkeit der Umstände kann sich zum anderen aber auch aus der Natur eines - gegebenenfalls nur ein einzelnes Flugzeug betreffenden - Vorkommnisses ergeben, das wie ein Sabotageakt oder ein terroristischer Anschlag außerhalb dessen liegt, womit im Rahmen der normalen Betriebstätigkeit eines Luftverkehrsunternehmens gerechnet werden muss.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)