Bundessozialgericht Urteil, 13. Juli 2017 - B 4 AS 17/16 R

ECLI:ECLI:DE:BSG:2017:130717UB4AS1716R0
bei uns veröffentlicht am13.07.2017

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 31. März 2016 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

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Im Streit sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit ab 5.9.2015.

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Der während des Revisionsverfahrens verstorbene frühere Kläger G (G), griechischer Staatsangehöriger, reiste im Dezember 2013 nach Deutschland ein und war im Zeitraum vom 1.12.2013 bis 15.10.2014 und vom 1.11.2014 bis 28.2.2015 jeweils in G beschäftigt, bevor er nach D verzog.

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Der Beklagte gewährte G für die Zeit vom 1.3. bis 31.8.2015 Leistungen nach dem SGB II. Seinen Weiterbewilligungsantrag lehnte er mit der Begründung ab, dass G ein alleiniges Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche habe und damit der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II eingreife(Bescheid vom 28.7.2015). Auf den Widerspruch des G bewilligte der Beklagte aufgrund einer vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung SGB II-Leistungen noch für die Zeit vom 1.9. bis 4.9.2015 (Bescheid vom 4.11.2015) und wies im Übrigen den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 16.10.2015).

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Das SG hat den Beklagten verurteilt, "dem Kläger Leistungen nach dem SGB II ab Antragstellung zu gewähren", und den Bescheid vom 28.7.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.10.2015 "entsprechend geändert" (Urteil vom 31.3.2016). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, G sei nicht gemäß § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 1 und 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, sondern nach § 2 Abs 2 Nr 1 Alt 1 iVm § 2 Abs 3 Satz 1 Nr 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) weiterhin freizügigkeitsberechtigt, weil er in jüngerer Vergangenheit zwei Beschäftigungsverhältnisse innegehabt habe, die zusammen länger als ein Jahr angedauert hätten. Dem stehe nicht entgegen, dass G nicht ununterbrochen mehr als ein Jahr tätig gewesen sei. Er habe seine Arbeitsstelle auch unfreiwillig verloren, was zwischen den Beteiligten unstreitig sei.

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Mit der vom SG zugelassenen und mit Zustimmung der Klägerseite eingelegten Sprungrevision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II iVm § 2 Abs 3 FreizügG/EU. G habe sich als Ausländer iS des § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II für die Zeit ab dem 5.9.2015 nicht mehr auf das Vorliegen eines Arbeitnehmerstatus berufen können. Bei zutreffendem Verständnis des § 2 Abs 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU erfordere eine Tätigkeit von "mehr als einem Jahr" eine ununterbrochene Beschäftigungsdauer, die hier nicht vorliege. Eine Kumulierung kurzfristiger Beschäftigungen werde der Zielsetzung des Gesetzes, nämlich einem hinreichend integrierten Arbeitnehmer die Freizügigkeit zu erhalten, nicht gerecht.

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Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 31. März 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Prozessbevollmächtigte des früheren Klägers beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

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Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Entscheidungsgründe

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Die statthafte (§ 161 Abs 2 Satz 2 SGG)und zulässige Sprungrevision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das SG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

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Mit dem Tod des G im Revisionsverfahren hat auf Klägerseite zwar ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes stattgefunden. Eine Unterbrechung des Verfahrens (vgl § 202 SGG iVm § 239 ZPO) ist jedoch nicht eingetreten, weil G durch seine Prozessbevollmächtigte vertreten war (§ 246 ZPO). Diese führt den Rechtsstreit für die noch unbekannten Rechtsnachfolger fort (vgl BSG vom 23.7.2014 - B 8 SO 14/13 R - BSGE 116, 210 = SozR 4-3500 § 28 Nr 9, RdNr 10 mwN).

11

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Urteil des SG vom 31.3.2016, mit dem dieses G unter Abänderung des angefochtenen Bescheides vom 28.7.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.10.2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zugesprochen hat. Die missverständliche Formulierung "ab Antragstellung" im Tenor des SG ist dahingehend auszulegen, dass sich die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von SGB II-Leistungen auf den Zeitraum ab 5.9.2015 bezieht. Was mit der Wendung "ab Antragstellung" zum Ausdruck kommen sollte, ergibt sich aus der Zusammenschau von Tenor, Tatbestand und Entscheidungsgründen (vgl BSG vom 8.2.2007 - B 9b SO 5/05 R - juris RdNr 14; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 136 RdNr 5c). Das SG wollte die Bewilligung von Leistungen erkennbar nicht "ab Antragstellung" - einem Zeitpunkt, der vom Vordergericht weder im Tatbestand noch in den Entscheidungsgründen näher bestimmt worden ist -, sondern ab 5.9.2015 zusprechen; denn wie das SG selbst ausführt, wurden G mit Bescheid vom 4.11.2015 SGB II-Leistungen bis einschließlich 4.9.2015 bewilligt.

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Gegen die vorbezeichneten Bescheide wendet sich die Klägerseite zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG), gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGG). Dem Leistungsantrag steht nicht entgegen, dass G für den streitigen Zeitraum bereits aufgrund stattgebender Entscheidungen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufige Leistungen erhalten hat (vgl BSG vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 47 RdNr 17).

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Im Rahmen des § 161 Abs 2 Satz 1 iVm § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist die unbeschränkte Sachprüfung durch das BSG innerhalb der Grenzen des durch den Antrag bestimmten Streitgegenstands eröffnet. Dieses hat deshalb auch jene rechtlichen Gesichtspunkte zu würdigen, die das SG hier - im Gegensatz zur umfangreicheren Prüfung der Sach- und Rechtslage im Beschluss der 19. Kammer des SG Düsseldorf über die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vom 1.10.2015 - unerörtert gelassen hat (vgl BSG vom 28.03.2000 - B 8 KN 3/98 U R - BSGE 86, 78 = SozR 3-1300 § 111 Nr 8, RdNr 13; Fichte in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 170 RdNr 14). Wegen des in zeitlicher Hinsicht unbegrenzt gestellten Antrags und der vollständigen Leistungsablehnung hatte das SG über den geltend gemachten Anspruch bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu entscheiden (stRspr, vgl BSG vom 1.6.2010 - B 4 AS 67/09 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 28 RdNr 13; BSG vom 17.10.2013 - B 14 AS 58/12 R - BSGE 114, 249-257 = SozR 4-4200 § 11 Nr 65, RdNr 11); allein der Weiterbewilligungsantrag vom 5.1.2016 begründet keine zusätzliche Zäsur in zeitlicher Hinsicht, da der Beklagte diesen nicht verbeschieden hat (vgl auch BSG vom 1.6.2010 - B 4 AS 67/09 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 28 RdNr 13; BSG vom 25.8.2011 - B 8 SO 19/10 R - juris RdNr 9).

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Auf Grundlage der bisherigen Feststellungen vermag der Senat allerdings nicht zu entscheiden, ob den Rechtsnachfolgern des G unter Berücksichtig von § 58 SGB I ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach Maßgabe des § 7 Abs 1 SGB II(in der bis zum 31.7.2016 geltenden Neufassung vom 13.5.2011, BGBl I 850, im folgenden: aF) über den 4.9.2015 hinaus zusteht.

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Zwar erfüllte G nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des SG im streitigen Zeitraum die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II. Er hatte das 15. Lebensjahr vollendet, die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht, war hilfebedürftig und hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit ist, soweit - wie hier - kein Feststellungsverfahren (vgl § 44a SGB II) eingeleitet worden ist, bereits aus rechtlichen Gründen anzunehmen (stRspr, vgl BSG vom 2.4.2014 - B 4 AS 26/13 R - BSGE 115, 210 = SozR 4-4200 § 15 Nr 3, RdNr 49; BSG vom 5.8.2015 - B 4 AS 9/15 R - juris RdNr 14).

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Noch nicht abschließend kann aber darüber befunden werden, ob G dem Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II aF unterlegen hat. Ausgenommen von Leistungen nach dem SGB II sind danach ua Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts(Nr 1) und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen (Nr 2). Das Gleichbehandlungsgebot des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) steht dem Leistungsausschluss wegen des von der Bundesregierung im Dezember 2011 erklärten Vorbehalts nicht entgegen (stRspr seit BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - BSGE 120, 139 = SozR 4-4200 § 7 Nr 46, RdNr 18 ff).

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Die Anwendbarkeit der hier allein in Betracht kommenden Ausschlussregelung des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II aF erfordert nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG stets eine Prüfung des Grundes bzw der Gründe für eine im streitigen Leistungszeitraum (weiterhin) bestehende materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht nach den - im Wege eines Günstigkeitsvergleichs - anwendbaren Regelungen des Aufenthaltsgesetzes(vgl § 11 Abs 1 Satz 11 FreizügG/EU; siehe hierzu BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 31 ff). Bereits das Vorliegen der Voraussetzungen für ein mögliches anderes bzw bestehendes Aufenthaltsrecht als ein solches aus dem Zweck der Arbeitsuche hindert sozialrechtlich die positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts "allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" iS von § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II aF bzw lässt den Leistungsausschluss "von vornherein" entfallen(stRspr, vgl BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28 RdNr 20 f; BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - BSGE 120, 139 = SozR 4-4200 § 7 Nr 46, RdNr 27). Über den Wortlaut der genannten Regelung hinaus sind auch diejenigen Unionsbürger "erst-recht" von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgenommen, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen. Die Vorschrift des § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II aF ist insoweit planwidrig lückenhaft(stRspr seit BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - BSGE 120, 149 = SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 19 ff; vgl BSG vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 47 RdNr 24; BSG vom 17.2.2016 - B 4 AS 24/14 R - juris RdNr 14).

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Ob sich G auf ein fortwirkendes Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer nach § 2 Abs 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU berufen konnte, vermag der Senat auf der Grundlage der Feststellungen des SG nicht abschließend zu entscheiden.

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Nach § 2 Abs 1 iVm Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU sind ua Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt, die sich im Bundesgebiet als Arbeitnehmer iS von Art 45 AEUV aufhalten wollen(vgl Hailbronner, Asyl- und Ausländerrecht, 4. Aufl 2016, RdNr 1434 ff; Epe in GK zum Aufenthaltsgesetz, § 2 RdNr 23 ff, Stand Oktober 2010). Arbeitnehmer ist danach jeder, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen (vgl EuGH vom 10.9.2014 - Rs C-270/13 - NVwZ 2014, 1508 ff, juris RdNr 28; EuGH vom 26.3.2015 - Rs C-316/13 - NZA 2015, 1444 ff, juris RdNr 27; BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 18; BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - BSGE 120, 149 = SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 26 mwN). Der Umstand, dass eine Person im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses nur sehr wenige Arbeitsstunden leistet, kann ein Anhaltspunkt dafür sein, dass die ausgeübten Tätigkeiten nur untergeordnet und unwesentlich sind; unabhängig von der begrenzten Höhe des aus einer Berufstätigkeit bezogenen Entgelts und des begrenzten Umfangs der insoweit aufgewendeten Arbeitszeit ist indes nicht auszuschließen, dass die Tätigkeit aufgrund einer Gesamtbewertung des betreffenden Arbeitsverhältnisses als tatsächlich und echt angesehen werden kann (vgl EuGH vom 4.2.2010 - Rs C-14/09 - Slg 2010, I-931 ff, juris RdNr 26; EuGH vom 1.10.2015 - Rs C-432/14 - ZESAR 2016, 222 ff, juris RdNr 24).

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Insoweit fehlen tatsächliche Feststellungen des SG zu den Tätigkeiten des G in Deutschland, die es erlauben würden zu beurteilen, ob diese Tätigkeiten eine Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Unionsrechts begründen konnten. Diese wird das SG im wiedereröffneten Ausgangsverfahren nachzuholen haben.

21

Sollte es zu dem Ergebnis gelangen, dass G als Arbeitnehmer anzusehen war, käme - entgegen der Auffassung der Beklagten - ein fortbestehendes Aufenthaltsrecht in Betracht. Denn das Recht zum Aufenthalt - im Sinne einer nachwirkenden Freizügigkeitsberechtigung - bleibt unberührt bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach mehr als einem Jahr Tätigkeit (vgl § 2 Abs 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU). In nationales Recht umgesetzt worden sind hiermit Vorgaben des Art 7 Abs 1 Buchst a) und Abs 3 Buchst b) der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (sog "Unionsbürgerrichtlinie", ABl EU Nr L 158, 77, berichtigt ABl EU Nr L 229, 35).

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§ 2 Abs 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU setzt keine ununterbrochene Tätigkeit von mehr als einem Jahr voraus. Auch durch Arbeitslosigkeit unterbrochene Tätigkeiten können das gesetzliche Erfordernis erfüllen (vgl SG Chemnitz vom 14.3.2017 - S 26 AS 405/17 ER - juris RdNr 7 ff; Leopold in jurisPK-SGB II, § 7 RdNr 99.12, Stand 8.6.2017; Brinkmann in Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl 2016, § 2 FreizügG/EU RdNr 49; Oberhäuser in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl 2016, § 2 FreizügG/EU RdNr 38; Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, § 2 FreizügG/EU RdNr 52, Stand 1.2.2017; aA OVG Nordrhein-Westfalen vom 22.5.2015 - 12 B 312/15 - juris; Hailbronner, Ausländerrecht, § 2 FreizügG/EU RdNr 85, Stand April 2013; Epe in GK-Aufenthaltsgesetz, § 2 FreizügG/EU RdNr 122, Stand Oktober 2010). Dies folgt aus einer an Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck sowie der Entstehungsgeschichte des FreizügG/EU ausgerichteten Gesetzesauslegung.

23

Entgegen der von dem Beklagten vertretenen Meinung steht dieser Auslegung zunächst nicht entgegen, dass die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Freizügigkeitsgesetz/EU (AVV FreizügG/EU) vom 3.2.2016 (GMBl 2016, 86) ebenso wie diejenige vom 26.10.2009 (GMBl 2009, 1270) unter Ziffer 2.3.1.2 davon ausgehen, nur nach einer durchgängigen Beschäftigung von einem Jahr oder länger bestehe das Freizügigkeitsrecht grundsätzlich fort und nur bei unmittelbar aneinander anschließenden Beschäftigungen für verschiedene Arbeitgeber seien die Beschäftigungszeiten zusammenzurechnen. Denn auf der Grundlage von Art 84 Abs 2 GG ergangene Verwaltungsvorschriften bilden im Verhältnis von Hoheitsträger und Bürger keinen rechtlichen Maßstab der gerichtlichen Überprüfung (vgl Kirchof in Maunz-Dürig, GG, Art 84 RdNr 178, Stand Januar 2011). Die Gerichte haben ihren Entscheidungen nur materielles Recht, zu dem Verwaltungsvorschriften nicht gehören, zugrunde zu legen und sind lediglich befugt, sich einer Gesetzesauslegung, die in einer Verwaltungsvorschrift vertreten wird, aus eigener Überzeugung anzuschließen (vgl BSG vom 30.9.2009 - B 9 VS 3/09 R - SozR 4-3200 § 82 Nr 1 RdNr 34 ff; BVerwG vom 26.6.2002 - 8 C 30.01 - BVerwGE 116, 332, 333).

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Die Annahme, dass ein fortwirkendes Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer nach § 2 Abs 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU erst nach ununterbrochener Tätigkeit von mehr als einem Jahr vorliegt, lässt sich nicht auf den Wortlaut des Gesetzes stützen. Mit der Wendung "nach mehr als einem Jahr Tätigkeit" wird ein deutlich weiterer Sachverhalt erfasst, der nicht auf das Merkmal einer durchgängigen Tätigkeit eingeengt werden kann. Der Gesetzestext hebt in diesem weiteren Sinne auf einen Durchlauf von Beschäftigungsmonaten und nicht auf aneinandergereihte Kalendermonate ab (vgl Oberhäuser in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl 2016, § 2 FreizügG/EU RdNr 38). Auch der Wortlaut der entsprechenden Bestimmung in Art 7 Abs 3 Buchst b) der Richtlinie 2004/38/EG, deren Umsetzung § 2 Abs 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU dient und in unionsrechtskonformer Übereinstimmung mit dieser nationales Recht auszulegen ist(vgl BSG vom 27.5.2014 - B 5 RE 8/14 R - juris RdNr 58 ff), spricht von lediglich "mehr als einjähriger Beschäftigung", nicht aber von der Dauer einer Beschäftigung von mehr als einem Jahr, die zudem nicht unterbrochen werden darf. Eine richtlinien- und damit unionrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts darf hinter diesem weiten Verständnis nicht zurückbleiben.

25

In dieselbe Richtung weisen systematische Erwägungen. Dass der europäische Gesetzgeber insbesondere auch das alternative Erfordernis ununterbrochener Beschäftigungszeiten im Blick gehabt hat, zeigt die Regelung des Art 17 Abs 1 lit c) der Richtlinie 2004/38/EG, die für den Fall einer dreijährigen "ununterbrochenen Erwerbstätigkeit" die Möglichkeit eines vorzeitigen Rechts auf Daueraufenthalt eröffnet. Zum Daueraufenthaltsrecht bestimmt Art 16 Abs 1 der Richtlinie 2004/38/EG, dass Unionsbürger, die sich rechtmäßig fünf Jahre lang "ununterbrochen" im Aufnahmemitgliedstaat/Bundesgebiet aufgehalten haben, ein Daueraufenthaltsrecht erwerben. Wenn der Gesetzgeber im Übrigen aber im Kontext von Regelungen über Tätigkeitszeiten von einem Erfordernis der "Ununterbrochenheit" absieht, ist davon auszugehen, dass diese (Nicht-)Regelung dem gesetzgeberischen Willen entspricht und es hierbei sein Bewenden hat.

26

Zudem stellt der nationale Gesetzgeber in Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgabe zum Daueraufenthaltsrecht in § 4a Abs 1 FreizügG/EU auf einen ständigen Aufenthalt von fünf Jahren und auch in Ausnahmeregelungen der Abs 2 bis 5 auf einen ständigen Aufenthalt in verkürzten Zeiträumen sowie ständige Tätigkeitszeiten ab(vgl § 4a Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU "während der letzten zwölf Monate im Bundesgebiet eine Erwerbstätigkeit ausgeübt"; § 4a Abs 2Nr 3 FreizügG/EU "drei Jahre ständig im Bundesgebiet tätig"). Als im Rahmen des RL-Umsetzungsgesetzes vom 19.8.2007 (BGBl I 1970) § 2 FreizügG/EU neu gefasst und § 4a FreizügG/EU in das Gesetz eingefügt worden ist, sah der Gesetzgeber keine Veranlassung das Kriterium einer ständigen oder (unionsrechtlich) ununterbrochenen Dauer einer Tätigkeit entsprechend der im Gesetz enthaltenen Begrifflichkeiten auch in § 2 Abs 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU - dessen Wortlaut im Zuge dieser Novellierung gerade eine präzisierende Ausgestaltung erfahren sollte(so ausdrücklich BT-Drucks 16/5065, S 208) - zu übernehmen. Der nationale Gesetzgeber war sich dieses Unterschieds also ersichtlich bewusst. Dies steht einer Korrektur dieser normativen Festlegung im Wege gerichtlicher Auslegung entgegen. Hinzu kommt, dass nur ein solches Normverständnis in Übereinstimmung mit dem allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatz steht, wonach Vorschriften über die zu den Grundlagen der Union gehörende Freizügigkeit der Unionsbürger - wozu auch die Richtlinie 2004/38/EG rechnet - weit und Ausnahmen hiervon eng auszulegen sind (vgl hierzu EuGH vom 29.4.2004 - Rs C-482/01 u C-493/01 < Orfanopoulos und Olivieri> - Slg 2004, I-5257 ff, juris RdNr 64; EuGH vom 16.1.2014 - Rs C-423/12 - InfAuslR 2014, 85 ff, juris RdNr 23).

27

Diese Auslegung des § 2 Abs 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU steht auch in Einklang mit dessen Satz 2 und nimmt dieser Regelung nicht ihre Bedeutung(so aber Hailbronner, Ausländerrecht, § 2 FreizügG/EU RdNr 85, Stand April 2013). Denn allein die Sonderregelung des Satzes 2 erfasst Fälle einer unfreiwilligen, durch die Agentur für Arbeit bestätigten Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung und lässt das fortwirkende Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer nach Abs 1 während der kürzeren Dauer von sechs Monaten unberührt.

28

Teleologische Gesichtspunkte stützen eine solche Auslegung ebenfalls. In gleicher Weise wie die Richtlinie 2004/38/EG dienen auch die Regelungen des FreizügG/EU der Erleichterung der Ausübung der Freizügigkeit, wobei die Maßnahmen der Mitgliederstaaten je nach Grad der Integration in das betreffende Land von der Ausdehnung des Aufenthaltsrechts bis zur Zuerkennung eines Daueraufenthaltsrechts reichen können (vgl Entwurfsbegründung der Kommission zur Unionsbürgerrichtlinie vom 23.5.2001, KOM <2001>257 endg S 2 f; BT-Drucks 15/420, S 103). Hat ein Unionsbürger Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats gefunden, stellt dies neben zeitlichen und territorialen Faktoren ein zu berücksichtigendes qualitatives Element im Zusammenhang mit dem Grad der Integration im Aufnahmemitgliedstaat dar (vgl auch EuGH vom 16.1.2014 - Rs C-378/12 - InfAuslR 2014, 81 ff, juris RdNr 25).

29

Der hiernach mit § 2 Abs 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU verfolgte Zweck, einem genügend in den Arbeitsmarkt integrierten Arbeitnehmer das Freizügigkeitsrecht bei Eintritt unfreiwilliger Arbeitslosigkeit zu erhalten, erfordert keine ununterbrochene Beschäftigungsdauer von "mehr als einem Jahr", um in der gebotenen Weise sichergestellt zu sein(so aber OVG Nordrhein-Westfalen vom 22.5.2015 - 12 B 312/15 - juris RdNr 20; Hailbronner, Ausländerrecht, § 2 FreizügG/EU RdNr 85, Stand April 2013). Strebt etwa ein Freizügigkeitsberechtigter in einem Beschäftigungsverhältnis einen Wechsel des Arbeitgebers an, so kann das Integrationsbestreben des Betroffenen nicht allein wegen dieses Ansinnens in Frage gestellt werden. Im Gegenteil kann ein Wechsel des Arbeitsplatzes trotz einer dadurch ggf entstehenden kürzeren Unterbrechung der Tätigkeit auf ein Integrationsbestreben hindeuten. Der Zwang, für die Dauer eines Jahres durchgehend in einem Arbeitsverhältnis zu verbleiben, kann sich andererseits als kontraproduktiv für die Integration des Unionsbürgers erweisen.

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Schließlich finden sich weder in der Entstehungsgeschichte der Richtlinie 2004/38/EG noch in der des FreizügG/EU Anhaltspunkte dafür, nur bei einer ununterbrochenen Tätigkeit von mehr als einem Jahr eine nachwirkende Freizügigkeitsberechtigung einzuräumen. Die Gesetzesmaterialien zum FreizügG/EU weisen lediglich darauf hin, dass "die Neufassung des Absatzes 3 den Art 7 Abs 3 der Freizügigkeitsrichtlinie umsetzt" (vgl BT-Drucks 16/5065, S 208). Wie aber bereits dargelegt, stellt Art 7 Abs 3 Buchst b) der Richtlinie 2004/38/EG auf den Erhalt der Erwerbstätigeneigenschaft des Unionsbürgers bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach "mehr als einjähriger Beschäftigung" ab, während sich das Unionsrecht allein in Art 17 Abs 1 lit c) der Richtlinie 2004/38/EG auf die Ununterbrochenheit einer Tätigkeit bezieht und letzteres Kriterium eben nicht Eingang in die Regelung eines fortwirkenden Aufenthaltsrechts als Arbeitnehmer gefunden hat. Setzt der nationale Gesetzgeber Art 7 Abs 3 Buchst b) der Richtlinie um, kann hinter dieser zurückbleibend nicht das Erfordernis einer ununterbrochen Tätigkeit von mehr als einem Jahr in die Bestimmung des § 2 Abs 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU hineingelesen werden.

31

Der vorliegende Fall einer nur einmaligen, kurzfristigen Unterbrechung von 15 Tagen im Verlauf einer insgesamt 14,5 Monate andauernden evtl Beschäftigung in zwei Tätigkeiten gibt keinen Anlass der weiteren Frage nachzugehen, ob der am Integrationsgedanken orientierten Zielsetzung des Gesetzes in § 2 Abs 3 Satz 1 Nr 2 FreizügG/EU auch dann noch entsprochen wäre, wenn in Addition zahlreicher kurzfristiger oder durch längere Zeiten unterbrochener Beschäftigungsverhältnisse es nur auf längere Sicht und eher zufällig zu einer Tätigkeit von "mehr als einem Jahr" käme.

32

Im wiedereröffneten Ausgangsverfahren wird das SG noch weitere Umstände zu beachten haben, die für den geltend gemachten Anspruch von Bedeutung sind. Im Revisionsverfahren ist zuletzt eine Erwerbsunfähigkeit des G aufgrund seiner schweren Krebserkrankung, die möglicherweise sogar zu seinem Tod geführt hat, deutlich geworden. Das SG wird somit aufzuklären haben, ob und ggf ab wann G möglicherweise nicht nur vorübergehend erkrankt und ob er wegen dieser Krankheit bereits dauerhaft aus dem Arbeitsleben ausgeschieden war. In diesem Fall wäre auch das Freizügigkeitsrecht als Arbeitnehmer nach § 2 Abs 3 FreizügG/EU erloschen, eine rechtliche Folge, die auch schon vor Inkrafttreten des FreizügG/EU bestanden hatte (vgl EuGH vom 26.5.1993 - Rs C-171/91 < Tsiotras> - Slg 1993, I-2925 ff, juris RdNr 16 ff; Hailbronner, Ausländerrecht, § 2 FreizügG/EU RdNr 81, Stand April 2013; Oberhäuser in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl 2016, § 2 FreizügG/EU RdNr 35 und 38; Epe in GK zum Aufenthaltgesetz, § 2 FreizügG/EU RdNr 29 und 121, Stand Oktober 2010; Franzen in Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl 2012, Art 45 AEUV RdNr 32).

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Ggf wird das SG auch darüber zu befinden haben, ob die Fortgeltung der Arbeitnehmereigenschaft einer festen zeitlichen Grenze unterliegt und diese nach einem Zeitraum von zwei Jahren zu ziehen ist, wie dies teilweise unter Verweis auf die Entstehungsgeschichte des Art 7 Abs 3 der Richtlinie 2004/38/EG vertreten wird (vgl BayLSG vom 20.6.2016 - L 16 AS 284/16 B ER - juris RdNr 27; Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl 2016, § 2 FreizügG/EU RdNr 107 ff; aA Oberhäuser in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl 2016, § 2 FreizügG/EU RdNr 38).

34

Des Weiteren enthält das Urteil des SG keine Feststellungen zum Tatbestandsmerkmal der unfreiwilligen, durch die zuständige Bundesagentur für Arbeit bestätigten Arbeitslosigkeit. Deren Bestätigung über die Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit ist jedoch Voraussetzung für das Fortbestehen des Freizügigkeitsrechts im Sinne einer konstitutiven Bedingung (vgl Tewocht in Beck´scher Online-Kommentar Ausländerrecht, § 2 FreizügG/EU RdNr 51, Stand 1.2.2017; Brinkmann in Huber, Aufenthaltsgesetz, 2. Aufl 2016, § 2 FreizügG/EU RdNr 50). Soweit das SG in diesem Zusammenhang ausführt, die Unfreiwilligkeit des Arbeitsplatzverlustes sei zwischen den Beteiligten "nicht streitig", verbindet sich hiermit keine Tatsachenfeststellung iS von § 163 SGG, die dem Revisionsgericht eine Prüfung des vom Vordergericht gezogenen Subsumtionsschlusses erlauben könnte(vgl BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 109/11 R - juris RdNr 26; Berchtold in Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2. Aufl 2016, § 6 RdNr 422).

35

Sollte das SG zu dem Ergebnis kommen, dass G ganz oder ggf ab einen bestimmten Zeitpunkt von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen war, wird es unter Berücksichtigung von § 59 SGB I(zur Vererblichkeit von Sozialhilfeansprüchen vgl BSG vom 23.7.2014 - B 8 SO 14/13 R - BSGE 116, 210-222 = SozR 4-3500 § 28 Nr 9, RdNr 12) über Ansprüche der Rechtsnachfolger auf existenzsichernde Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII iVm dem EFA zu befinden haben (vgl BSG vom 17.3.2016 - B 4 AS 32/15 R - juris RdNr 20), was eine Beiladung des Sozialhilfeträgers (so genannte unechte Beiladung <§ 75 Abs 2 2. Alt SGG>; vgl BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242, 244 f = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 11; BSG vom 25.4.2013 - B 8 SO 16/11 R - juris RdNr 10) erfordern würde.

36

Das SG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

Urteilsbesprechung zu Bundessozialgericht Urteil, 13. Juli 2017 - B 4 AS 17/16 R

Urteilsbesprechungen zu Bundessozialgericht Urteil, 13. Juli 2017 - B 4 AS 17/16 R

Referenzen - Gesetze

Bundessozialgericht Urteil, 13. Juli 2017 - B 4 AS 17/16 R zitiert 25 §§.

Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 54


(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 7 Leistungsberechtigte


(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die1.das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,2.erwerbsfähig sind,3.hilfebedürftig sind und4.ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschla

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 163


Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 202


Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfa

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 170


(1) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundessozialgericht die Revision zurück. Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision eb

Verordnung über das Europäische Abfallverzeichnis


Abfallverzeichnis-Verordnung - AVV

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 130


(1) Wird gemäß § 54 Abs. 4 oder 5 eine Leistung in Geld begehrt, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann auch zur Leistung nur dem Grunde nach verurteilt werden. Hierbei kann im Urteil eine einmalige oder laufende vorläufige Leistung angeordnet w

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 2 Grundsatz des Forderns


(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen müssen alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen. Eine erwerbsfähige leistungsberechtigte Person mu

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 7a Altersgrenze


Personen, die vor dem 1. Januar 1947 geboren sind, erreichen die Altersgrenze mit Ablauf des Monats, in dem sie das 65. Lebensjahr vollenden. Für Personen, die nach dem 31. Dezember 1946 geboren sind, wird die Altersgrenze wie folgt angehoben: für de

Zivilprozessordnung - ZPO | § 246 Aussetzung bei Vertretung durch Prozessbevollmächtigten


(1) Fand in den Fällen des Todes, des Verlustes der Prozessfähigkeit, des Wegfalls des gesetzlichen Vertreters, der Anordnung einer Nachlassverwaltung oder des Eintritts der Nacherbfolge (§§ 239, 241, 242) eine Vertretung durch einen Prozessbevollmäc

Zivilprozessordnung - ZPO | § 239 Unterbrechung durch Tod der Partei


(1) Im Falle des Todes einer Partei tritt eine Unterbrechung des Verfahrens bis zu dessen Aufnahme durch die Rechtsnachfolger ein. (2) Wird die Aufnahme verzögert, so sind auf Antrag des Gegners die Rechtsnachfolger zur Aufnahme und zugleich zur

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 161


(1) Gegen das Urteil eines Sozialgerichts steht den Beteiligten die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz zu, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und wenn sie von dem Sozialgericht im Urteil oder auf Antrag durch Beschluß zugelassen wird. D

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 44a Feststellung von Erwerbsfähigkeit und Hilfebedürftigkeit


(1) Die Agentur für Arbeit stellt fest, ob die oder der Arbeitsuchende erwerbsfähig ist. Der Entscheidung können widersprechen:1.der kommunale Träger,2.ein anderer Träger, der bei voller Erwerbsminderung zuständig wäre, oder3.die Krankenkasse, die be

Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU 2004 | § 2 Recht auf Einreise und Aufenthalt


(1) Freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen haben das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes. (2) Unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind:1.Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer oder zur

Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) - Allgemeiner Teil - (Artikel I des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015) - SGB 1 | § 58 Vererbung


Soweit fällige Ansprüche auf Geldleistungen nicht nach den §§ 56 und 57 einem Sonderrechtsnachfolger zustehen, werden sie nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs vererbt. Der Fiskus als gesetzlicher Erbe kann die Ansprüche nicht geltend ma

Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) - Allgemeiner Teil - (Artikel I des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015) - SGB 1 | § 59 Ausschluß der Rechtsnachfolge


Ansprüche auf Dienst- und Sachleistungen erlöschen mit dem Tod des Berechtigten. Ansprüche auf Geldleistungen erlöschen nur, wenn sie im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten weder festgestellt sind noch ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig ist.

Referenzen - Urteile

Bundessozialgericht Urteil, 13. Juli 2017 - B 4 AS 17/16 R zitiert oder wird zitiert von 25 Urteil(en).

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Bundessozialgericht Urteil, 17. März 2016 - B 4 AS 32/15 R

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Tenor Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. Juni 2015 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses

Bundessozialgericht Urteil, 17. Feb. 2016 - B 4 AS 24/14 R

bei uns veröffentlicht am 17.02.2016

Tenor Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. November 2013 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an

Bundessozialgericht Urteil, 20. Jan. 2016 - B 14 AS 35/15 R

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Tenor Auf die Revision des Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. Juni 2015 und des Sozialgerichts Köln vom 19. August 2014 aufgehoben sowie die Klagen geg

Bundessozialgericht Urteil, 03. Dez. 2015 - B 4 AS 43/15 R

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Tenor Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Dezember 2012 aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozi

Bundessozialgericht Urteil, 03. Dez. 2015 - B 4 AS 44/15 R

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Tenor Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Oktober 2013 insoweit aufgehoben, als er zur Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des L

Bundessozialgericht Urteil, 05. Aug. 2015 - B 4 AS 9/15 R

bei uns veröffentlicht am 05.08.2015

Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Februar 2015 wird zurückgewiesen.

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 22. Mai 2015 - 12 B 312/15

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Tenor Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt. Die Beschwerde wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Beschwerdeverfahrens. 1G r ü n d e : 2Der Antrag auf Bewilligung von Prozessko

Bundessozialgericht Urteil, 23. Juli 2014 - B 8 SO 14/13 R

bei uns veröffentlicht am 23.07.2014

Tenor Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 23. Mai 2013 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverw

Bundessozialgericht Urteil, 27. Mai 2014 - B 5 RE 8/14 R

bei uns veröffentlicht am 27.05.2014

Tenor Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 13. Februar 2013 aufgehoben und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Oktober 2011 geände

Bundessozialgericht Urteil, 02. Apr. 2014 - B 4 AS 26/13 R

bei uns veröffentlicht am 02.04.2014

Tenor Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 2. Juli 2012 aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg

Bundessozialgericht Urteil, 17. Okt. 2013 - B 14 AS 58/12 R

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Tenor Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Mai 2012 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht

Bundessozialgericht Urteil, 25. Apr. 2013 - B 8 SO 16/11 R

bei uns veröffentlicht am 25.04.2013

Tenor Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 4. Mai 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht

Bundessozialgericht Urteil, 30. Jan. 2013 - B 4 AS 54/12 R

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Tenor Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Mai 2012 und das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 3. März 2011 sowie der Bescheid der

Bundessozialgericht Urteil, 16. Mai 2012 - B 4 AS 109/11 R

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Bundessozialgericht Urteil, 25. Jan. 2012 - B 14 AS 138/11 R

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Tenor Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Mai 2011 wird zurückgewiesen. D

Bundessozialgericht Urteil, 25. Aug. 2011 - B 8 SO 19/10 R

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Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückve

Bundessozialgericht Urteil, 19. Okt. 2010 - B 14 AS 23/10 R

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Tenor Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. November 2009 wird zurückgewiesen.

Bundessozialgericht Urteil, 01. Juni 2010 - B 4 AS 67/09 R

bei uns veröffentlicht am 01.06.2010

Tatbestand 1 Streitig ist der Anspruch der Kläger auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Zeitraum vom 7.2.2006 bis 31.5.2006.
7 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundessozialgericht Urteil, 13. Juli 2017 - B 4 AS 17/16 R.

Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 24. Jan. 2017 - L 11 AS 914/16 B ER

bei uns veröffentlicht am 24.01.2017

Tenor I. Der Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 15.11.2016 wird aufgehoben, soweit die Beigeladene zur vorläufigen Zahlung von Leistungen über den 01.11.2016 hinaus verpflichtet worden ist. Der Antrag auf Erlass einer einstweil

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 26. Feb. 2019 - L 11 AS 899/18

bei uns veröffentlicht am 26.02.2019

Tenor I. Die Berufung des Beklagten gegen Ziffer I. des Urteils des Sozialgerichts Nürnberg vom 22.08.2018 wird zurückgewiesen. II. Mit Ausnahme des Berufungsverfahrens haben der Beklagte und die Beigeladene unter Abänderung von

Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 19. Juli 2018 - L 11 AS 329/18 B ER

bei uns veröffentlicht am 19.07.2018

Tenor I. Der Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 28.02.2018 wird aufgehoben, soweit der Antragsgegner zur vorläufigen Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts über Juni 2018 hinaus verpflichtet worden ist.

Sozialgericht Landshut Urteil, 31. Jan. 2018 - S 11 AS 624/16

bei uns veröffentlicht am 31.01.2018

Tenor I. Der Bescheid vom 23.09.2016 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 07.10.2016 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die bisher für den Zeitraum September bis November 2016 gezahlten Leistungen zu

Referenzen

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen haben das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes.

(2) Unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind:

1.
Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen,
1a.
Unionsbürger, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden,
2.
Unionsbürger, wenn sie zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt sind (niedergelassene selbständige Erwerbstätige),
3.
Unionsbürger, die, ohne sich niederzulassen, als selbständige Erwerbstätige Dienstleistungen im Sinne des Artikels 57 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union erbringen wollen (Erbringer von Dienstleistungen), wenn sie zur Erbringung der Dienstleistung berechtigt sind,
4.
Unionsbürger als Empfänger von Dienstleistungen,
5.
nicht erwerbstätige Unionsbürger unter den Voraussetzungen des § 4,
6.
Familienangehörige unter den Voraussetzungen der §§ 3 und 4,
7.
Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die ein Daueraufenthaltsrecht erworben haben.

(3) Das Recht nach Absatz 1 bleibt für Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätige unberührt bei

1.
vorübergehender Erwerbsminderung infolge Krankheit oder Unfall,
2.
unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit,
3.
Aufnahme einer Berufsausbildung, wenn zwischen der Ausbildung und der früheren Erwerbstätigkeit ein Zusammenhang besteht; der Zusammenhang ist nicht erforderlich, wenn der Unionsbürger seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren hat.
Bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung bleibt das Recht aus Absatz 1 während der Dauer von sechs Monaten unberührt.

(4) Das Nichtbestehen des Rechts nach Absatz 1 kann festgestellt werden, wenn feststeht, dass die betreffende Person das Vorliegen einer Voraussetzung für dieses Recht durch die Verwendung von gefälschten oder verfälschten Dokumenten oder durch Vorspiegelung falscher Tatsachen vorgetäuscht hat. Das Nichtbestehen des Rechts nach Absatz 1 kann bei einem Familienangehörigen, der nicht Unionsbürger ist, außerdem festgestellt werden, wenn feststeht, dass er dem Unionsbürger nicht zur Herstellung oder Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft nachzieht oder ihn nicht zu diesem Zweck begleitet. Einem Familienangehörigen, der nicht Unionsbürger ist, kann in diesen Fällen die Erteilung der Aufenthaltskarte oder des Visums versagt werden oder seine Aufenthaltskarte kann eingezogen werden. Entscheidungen nach den Sätzen 1 bis 3 bedürfen der Schriftform.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen müssen alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen. Eine erwerbsfähige leistungsberechtigte Person muss aktiv an allen Maßnahmen zu ihrer Eingliederung in Arbeit mitwirken, insbesondere einen Kooperationsplan abschließen. Im Rahmen der vorrangigen Selbsthilfe und Eigenverantwortung sollen erwerbsfähige leistungsberechtigte Personen eigene Potenziale nutzen und Leistungen anderer Träger in Anspruch nehmen.

(2) Erwerbsfähige Leistungsberechtigte und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen haben in eigener Verantwortung alle Möglichkeiten zu nutzen, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestreiten. Erwerbsfähige Leistungsberechtigte müssen ihre Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts für sich und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen einsetzen.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Gegen das Urteil eines Sozialgerichts steht den Beteiligten die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz zu, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und wenn sie von dem Sozialgericht im Urteil oder auf Antrag durch Beschluß zugelassen wird. Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag oder, wenn die Revision im Urteil zugelassen ist, der Revisionsschrift beizufügen.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 vorliegen. Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden. Die Ablehnung der Zulassung ist unanfechtbar.

(3) Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluß ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist oder der Frist für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung von neuem, sofern der Antrag in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war. Läßt das Sozialgericht die Revision durch Beschluß zu, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(4) Die Revision kann nicht auf Mängel des Verfahrens gestützt werden.

(5) Die Einlegung der Revision und die Zustimmung des Gegners gelten als Verzicht auf die Berufung, wenn das Sozialgericht die Revision zugelassen hat.

(1) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundessozialgericht die Revision zurück. Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision ebenfalls zurückzuweisen.

(2) Ist die Revision begründet, so hat das Bundessozialgericht in der Sache selbst zu entscheiden. Sofern dies untunlich ist, kann es das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht zurückverweisen, welches das angefochtene Urteil erlassen hat.

(3) Die Entscheidung über die Revision braucht nicht begründet zu werden, soweit das Bundessozialgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Dies gilt nicht für Rügen nach § 202 in Verbindung mit § 547 der Zivilprozeßordnung und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.

(4) Verweist das Bundessozialgericht die Sache bei der Sprungrevision nach § 161 zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, so kann es nach seinem Ermessen auch an das Landessozialgericht zurückverweisen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre. Für das Verfahren vor dem Landessozialgericht gelten dann die gleichen Grundsätze, wie wenn der Rechtsstreit auf eine ordnungsgemäß eingelegte Berufung beim Landessozialgericht anhängig geworden wäre.

(5) Das Gericht, an das die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

(1) Im Falle des Todes einer Partei tritt eine Unterbrechung des Verfahrens bis zu dessen Aufnahme durch die Rechtsnachfolger ein.

(2) Wird die Aufnahme verzögert, so sind auf Antrag des Gegners die Rechtsnachfolger zur Aufnahme und zugleich zur Verhandlung der Hauptsache zu laden.

(3) Die Ladung ist mit dem den Antrag enthaltenden Schriftsatz den Rechtsnachfolgern selbst zuzustellen. Die Ladungsfrist wird von dem Vorsitzenden bestimmt.

(4) Erscheinen die Rechtsnachfolger in dem Termin nicht, so ist auf Antrag die behauptete Rechtsnachfolge als zugestanden anzunehmen und zur Hauptsache zu verhandeln.

(5) Der Erbe ist vor der Annahme der Erbschaft zur Fortsetzung des Rechtsstreits nicht verpflichtet.

(1) Fand in den Fällen des Todes, des Verlustes der Prozessfähigkeit, des Wegfalls des gesetzlichen Vertreters, der Anordnung einer Nachlassverwaltung oder des Eintritts der Nacherbfolge (§§ 239, 241, 242) eine Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten statt, so tritt eine Unterbrechung des Verfahrens nicht ein; das Prozessgericht hat jedoch auf Antrag des Bevollmächtigten, in den Fällen des Todes und der Nacherbfolge auch auf Antrag des Gegners die Aussetzung des Verfahrens anzuordnen.

(2) Die Dauer der Aussetzung und die Aufnahme des Verfahrens richten sich nach den Vorschriften der §§ 239, 241 bis 243; in den Fällen des Todes und der Nacherbfolge ist die Ladung mit dem Schriftsatz, in dem sie beantragt ist, auch dem Bevollmächtigten zuzustellen.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 23. Mai 2013 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit sind höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit vom 1.5. bis 30.9.2011.

2

Die 1921 geborene und im Februar 2014 verstorbene E S (S) war schwerbehindert (Grad der Behinderung 60; Merkzeichen "G"); sie erhielt Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) entsprechend der Pflegestufe II. Sie wohnte seit 2009 bei ihrer 1940 geborenen Freundin E W (W) in deren Wohnung; W hatte sich bereit erklärt, die notwendige Pflege zu übernehmen.

3

Die Beklagte bewilligte S Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 1.1. bis 30.9.2011 (Bescheid vom 24.2.2011) in Höhe von 773,54 Euro monatlich (Regelbedarf in Höhe von 359 Euro; Mehrbedarf für ältere Menschen mit dem Merkzeichen "G" in Höhe von 61,03 Euro; Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 143,51 Euro; Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 210 Euro). Ab dem 1.4.2011 hob die Beklagte die Bewilligung unter Hinweis auf die geänderten Regelbedarfsstufen teilweise auf und bewilligte S nur noch Grundsicherungsleistungen in Höhe von insgesamt 693,98 Euro, dabei (neben den unverändert gebliebenen Leistungen für Unterkunft und den Beiträgen für die Kranken- und Pflegeversicherung) nur noch einen Regelsatz nach der Regelbedarfsstufe 3 in Höhe von 291 Euro sowie einen Mehrbedarf für ältere Menschen mit dem Merkzeichen "G" in Höhe von 49,47 Euro (Bescheid vom 29.3.2011); in der Folge gewährte sie für Juli, August und September 2011 unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für die dezentrale Warmwassererzeugung in Höhe von 6,69 Euro monatlich Leistungen nach dem SGB XII in Höhe von insgesamt 700,67 Euro (Bescheid vom 28.7.2011). Der zeitlich vor diesem Bescheid erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 14.10.2011 unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter).

4

Das Sozialgericht (SG) Detmold hat auf die dagegen erhobene Klage den Bescheid vom 29.3.2011 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 28.7.2011 und den Widerspruchsbescheid vom 14.10.2011 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, "S für den Zeitraum April bis September 2011 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren" (Urteil vom 23.5.2013). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG ausgeführt, es könne offenbleiben, ob S einen eigenen Haushalt oder einen gemeinsamen Haushalt mit W führe oder in dem Haushalt der W lebe und wie diese Konstellationen voneinander abzugrenzen seien. Denn S habe unabhängig davon einen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1. Die Regelbedarfsstufe 3 verstoße gegen Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG), weil die Leistungen für haushaltsangehörige Leistungsberechtigte nach dem SGB XII ab Vollendung des 25. Lebensjahrs geringer seien als für vergleichbare Leistungsberechtigte nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II); diese hätten Anspruch auf den vollen Regelbedarf. Einsparungen bei Führung eines gemeinsamen Haushalts könnten nur angenommen werden, wenn die zusammenlebenden Personen eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II oder eine Einsatzgemeinschaft im Sinne des SGB XII bildeten, was bei S und W nicht der Fall sei. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nach Art 100 Abs 1 GG sei entbehrlich, weil es sich bei der Anlage nach § 28 SGB XII, die die Regelbedarfsstufen enthalte, um eine Rechtsverordnung und nicht um ein förmliches Gesetz handele.

5

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Sprungrevision. Nachdem sie den Bescheid vom 29.3.2011 für April 2011 aufgehoben hat, macht sie wegen der Zeit ab 1.5.2011 geltend, dass die Regelbedarfsstufe 3 nicht gegen Art 3 Abs 1 GG verstoße, weil die Systemunterschiede zwischen SGB II und SGB XII eine unterschiedliche Behandlung der Leistungsempfänger rechtfertigten. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende wende sich an einen dem Grunde nach erwerbsfähigen Personenkreis, der nur vorübergehend der Unterstützung durch steuerfinanzierte Sozialleistungen bedürfe. Mit der Erwerbsfähigkeit gingen zahlreiche Pflichten bzw Obliegenheiten einher, die bei schuldhafter Verletzung Sanktionen nach sich zögen. Diese Pflichten träfen die Berechtigten nach dem SGB XII nicht. Schließlich werde das menschenwürdige Existenzminimum ua dadurch gesichert, dass der individuelle Bedarf im Einzelfall abweichend vom Regelsatz nach Maßgabe des § 27a Abs 4 Satz 1 SGB XII festzulegen sei.

6

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7
        

Der Prozessbevollmächtigte der früheren Klägerin beantragt, nachdem er die Klage für April 2011 zurückgenommen hat,

        

die Revision zurückzuweisen.

8

Er trägt vor, S habe sich von W Geld leihen müssen, weil sie, die S, von der Beklagten die notwendigen Mittel zum Lebensunterhalt nicht erhalten habe; der vom SG zutreffend zugesprochene Anspruch auf höhere Grundsicherungsleistungen sei also an die noch nicht bekannten Rechtsnachfolger vererbt worden.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Sprungrevision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das SG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 4 Satz 1 iVm Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz).

10

Mit dem Tod von S im Revisionsverfahren hat auf Klägerseite zwar ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes stattgefunden. Eine Unterbrechung des Verfahrens (vgl § 202 SGG iVm § 239 Zivilprozessordnung) ist jedoch nicht eingetreten, weil S durch ihren Prozessbevollmächtigten vertreten war (§ 246 ZPO). Er führt den Rechtsstreit für die noch unbekannten Rechtsnachfolger fort (vgl BGHZ 121, 263 ff, unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 5.2.1958 - IV ZR 204/57 -, LM Nr 10 zu § 325 ZPO).

11

Gegenstand des Klage- und Revisionsverfahrens sind der Bescheid der Beklagten vom 29.3.2011 und der während des Widerspruchsverfahrens erlassene Änderungsbescheid vom 28.7.2011 (vgl § 86 SGG) - wobei das SG prüfen mag, ob dieser den vorangegangenen Bescheid lediglich für Juli bis September 2011 oder bereits für die Zeit davor ersetzt und damit erledigt hat - beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.10.2011 (§ 95 SGG), gegen die sich der/die Rechtsnachfolger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage wenden (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4, § 56 SGG). Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist die richtige Klageart, obwohl sich die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen an § 48 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) misst. Geltend gemacht wird nämlich nicht nur, es sei mit Inkrafttreten der Neuregelungen durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG) vom 24.3.2011 (BGBl I 453) zum 1.1.2011 (vgl Art 14 Abs 1 RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG) keine Änderung zu Lasten der S, sondern wegen der Erhöhung der Regelbedarfe für Alleinstehende um 5 Euro und damit des Mehrbedarfs für ältere Leistungsberechtigte mit dem Merkzeichen "G" sowie der Einführung eines Mehrbedarfs für dezentrale Warmwasserbereitung zum selben Zeitpunkt eine Änderung zu ihren Gunsten eingetreten, der mit den angegriffenen Entscheidungen hätte Rechnung getragen werden müssen. Dieses Ziel (höhere Leistungen) kann nicht allein mit der Anfechtungsklage verwirklicht werden. Weder die verstorbene Klägerin noch deren Rechtsnachfolger haben den Streitgegenstand in der Sache beschränkt, sodass über die gesamten Grundsicherungsleistungen zu befinden ist.

12

Ob den unbekannten Rechtsnachfolgern/dem unbekannten Rechtsnachfolger in der Sache Ansprüche auf höhere Grundsicherungsleistungen gegen die kraft Heranziehung durch den zuständigen örtlichen Sozialhilfeträger in eigenem Namen handelnde Beklagte aus übergegangenem Recht zustehen, kann nicht entschieden werden. Das SG wird die bzw den Rechtsnachfolger zu ermitteln haben und sodann ggf die zur Akte gereichten Erklärungen der W auf inhaltliche Richtigkeit überprüfen müssen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 96, 18 ff), der sich der Senat anschließt, sind Sozialhilfeansprüche nach Maßgabe der §§ 58, 59 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) nämlich (nur) vererblich, wenn der Hilfebedürftige zu Lebzeiten seinen Bedarf mithilfe eines im Vertrauen auf die spätere Bewilligung von Sozialhilfe vorleistenden Dritten gedeckt hat, weil der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig geholfen oder Hilfe abgelehnt hat. Dem Erben obliegt auch die Begleichung der Nachlassschulden, und die Sozialhilfeleistungen fließen ihm in solchen Fällen gerade deshalb zu, um ihn in den Stand zu setzen, die aus der Hilfe des Dritten entstandenen Schulden des Sozialhilfeempfängers zu tilgen. Ein entsprechender Sachverhalt ist hier vorgetragen worden. Ist jedoch der Fiskus der gesetzliche Erbe, kann dieser die Ansprüche von vornherein nicht geltend machen (vgl § 58 Satz 2 SGB I). Bei der Tenorierung wird das SG zu beachten haben, dass eine Zahlung von Leistungen nur an die Rechtsnachfolger in Betracht kommt.

13

Es kann ebenfalls nicht abschließend entschieden werden, ob mit den zum 1.1.2011 in Kraft getretenen Gesetzesänderungen in den rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des (begünstigenden) Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist, wie dies § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X voraussetzt, und ob diese in Bezug auf die Höhe der bewilligten Leistungen (ggf ausschließlich) begünstigenden oder belastenden Charakter haben, weil ausreichende Feststellungen des SG zur Anspruchshöhe insgesamt fehlen. Gemäß § 19 Abs 2 SGB XII iVm § 41 Abs 1 und 2 SGB XII(jeweils in der Fassung, die die Norm mit dem RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG erhalten hat) erhalten Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die die maßgebliche Altersgrenze - hier das 65. Lebensjahr - erreicht haben, auf Antrag Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, wenn sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen nach den §§ 82 bis 84 und 90 SGB XII bestreiten können. Die Anspruchsvoraussetzungen für solche Leistungen dem Grunde nach erfüllte S, weil sie nach den Feststellungen des SG neben den - nicht zu berücksichtigenden (§ 13 Abs 5 SGB XI) - Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung kein Einkommen bezog und vermögenslos war.

14

Die Höhe der Ansprüche auf Grundsicherungsleistungen für die Zeit ab dem 1.1.2011 richtet sich nach § 42 Nr 1 SGB XII(in der Normfassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG), wobei sich eine Verminderung des Regelbedarfs aus Anlass der Neuregelung wegen der Übergangsregelung in § 137 SGB XII vor dem 1.4.2011 nicht zu Lasten der Betroffenen auswirken kann. Danach umfassen die Grundsicherungsleistungen unter anderem die Regelsätze nach den Regelbedarfsstufen der Anlage zu § 28 SGB XII; daneben ist § 27a Abs 3 und Abs 4 Satz 1 und 2 SGB XII(jeweils in der Normfassung dieses Gesetzes) anzuwenden. Zur Deckung des Regelbedarfs sind danach monatliche Regelsätze zu gewähren (§ 27a Abs 3 Satz 1 SGB XII). Gemäß der Anlage zu § 28 SGB XII erhält seit dem 1.1.2011 Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 in Höhe von 364 Euro eine erwachsene leistungsberechtigte Person, die als alleinstehende oder alleinerziehende Person einen eigenen Haushalt führt; dies gilt auch dann, wenn in diesem Haushalt eine oder mehrere weitere erwachsene Personen leben, die der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen sind. Leistungen der Regelbedarfsstufe 2 in Höhe von 328 Euro (mithin 90 vH der Regelbedarfsstufe 1) werden demgegenüber gewährt für jeweils zwei erwachsene Leistungsberechtigte, die als Ehegatten, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führen. Die Regelbedarfsstufe 3, die Leistungen in Höhe von 291 Euro (80 vH der Regelbedarfsstufe 1) vorsieht, gilt für eine erwachsene leistungsberechtigte Person, die weder einen eigenen Haushalt führt, noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führt. Für Kinder und Jugendliche sind - abhängig von ihrem Alter - die weiteren Regelbedarfsstufen 4 bis 6 gebildet.

15

Von der jeweils maßgeblichen Regelbedarfsstufe leitet sich auch die Höhe des Mehrbedarfs nach § 42 Nr 2 SGB XII iVm § 30 Abs 1 Nr 1 SGB XII(in der Normfassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG) - Merkzeichen "G" - ab, der S zustand, sofern nicht - wofür bislang keine Anhaltspunkte vorliegen - ein abweichender Bedarf bestand. Seit dem 1.1.2011 ist zudem für den Fall, dass Kosten für die Bereitung von Warmwasser wegen einer dezentralen Warmwasserversorgung nicht als Kosten der Heizung nach § 35 Abs 4 SGB XII abgedeckt werden, ein Mehrbedarf nach § 30 Abs 7 SGB XII iVm § 42 Nr 2 SGB XII zu bewilligen, dessen Höhe sich im Ausgangspunkt ebenfalls prozentual (2,3 vH) von der Höhe der maßgeblichen Regelbedarfsstufe ableitet(vgl § 30 Abs 7 Satz 2 Nr 1 SGB XII). Das SG wird deshalb ggf Feststellungen dazu nachholen müssen, ob die Wohnung der W im maßgeblichen Zeitraum über eine dezentrale Warmwasserversorgung verfügte. In letzterem Fall stand S ein (dann auch im Hinblick auf eine abweichende Höhe iS des § 30 Abs 7 Satz 2 SGB XII zu überprüfender) Mehrbedarf wegen der dezentralen Warmwasserversorgung schon von Mai 2011 an zu. Liegen die Voraussetzungen nicht vor, würde sich dies ggf kompensatorisch gegenüber sonstigen höheren Leistungen auswirken können.

16

Entgegen der Auffassung der Beklagten wird der notwendige Regelbedarf von S, die mit W in einem Haushalt lebte, ohne deren Partnerin zu sein, nicht von vornherein mit der Regelbedarfsstufe 3 beschrieben. Im Grundsatz richtet sich der Bedarf einer erwachsenen leistungsberechtigten Person nach der Regelbedarfsstufe 1 vielmehr auch dann, wenn sie mit einer anderen Person in einer Haushaltsgemeinschaft lebt, ohne dass eine Partnerschaft im Sinne der Regelbedarfsstufe 2 - also eine Ehe, eine eingetragene Lebenspartnerschaft oder eine eheähnliche bzw lebenspartnerschaftsähnliche Gemeinschaft - besteht. Dem gesetzlichen Leitbild liegt dabei die Vorstellung zugrunde, dass bei Zusammenleben mit anderen Personen in einer Wohnung in der Regel gemeinsam gewirtschaftet wird und also eine Haushaltsgemeinschaft vorliegt. Dementsprechend wird in § 39 Satz 1 1. Halbsatz SGB XII nF (ab 1.1.2011) vermutet, dass Personen bei Zusammenleben in einer Wohnung gemeinsam einen Haushalt führen. Diese Vermutung, die nicht durch § 43 Abs 1 2. Halbsatz bzw § 39 Satz 3 Nr 2 SGB XII ausgeschlossen wird, ist nicht schon dann widerlegt, wenn eine Person gegenüber anderen einen geringeren Beitrag an der Haushaltsführung leistet, selbst wenn für eine umfassende Haushaltsführung notwendige Fähigkeiten fehlen. Die Regelbedarfsstufe 3 kommt also im Falle des Zusammenlebens mit anderen (außerhalb von stationären Einrichtungen) erst zur Anwendung, wenn keinerlei eigenständige oder eine nur gänzlich unwesentliche Beteiligung an der Haushaltsführung vorliegt. Ausschließlich in diesem Fall ist der Haushalt, in dem die leistungsberechtigte Person lebt, ein "fremder Haushalt".

17

Dieses Ergebnis legt schon der Wortlaut der Vorschriften nahe; aus der Systematik des Gesetzes und seinem Zweck sowie der Entstehungsgeschichte der Vorschriften folgt eine entsprechende Auslegung vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG und Art 3 Abs 1 und Abs 3 Satz 2 GG indes zwingend. In der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 17/4095, S 39 ff) findet sich zwar ein weiter gehendes Verständnis (ebenso: Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 28 SGB XII RdNr 61; Bieback, ASR 2013, 15 ff; kritisch dagegen: Schmidt in Oestreicher, SGB II/SGB XII, Anh 2 zu § 28 SGB XII RdNr 70 ff, Stand November 2011; Gutzler in juris PraxisKommentar SGB XII, 2. Aufl 2014, § 27a SGB XII RdNr 79 ff; Münder, Soziale Sicherheit Extra, Sonderheft September 2011, 63, 82 f; Sartorius in Berlit/Conradis/Sartorius, Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl 2013, Kap 24 RdNr 51; Lenze in Lehr- und Praxiskommentar SGB XII, 9. Aufl 2012, Anh § 28 SGB XII RdNr 4 ff; Dauber in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, Anlage § 28 SGB XII RdNr 3, Stand August 2013). Hiernach wird die Haushaltsgemeinschaft typisierend als Zusammenleben eines Haushaltsvorstands mit weiteren erwachsenen Haushaltsangehörigen verstanden, von denen der zuerst genannte die haushaltsgebundenen Kosten alleine trägt, während die weiteren Haushaltsangehörigen deshalb einen geringeren Bedarf haben. Allein auf die Gesetzesbegründung kann bei der Auslegung aber nicht abgestellt werden; denn diese weiter gehende Wirkung würde zu verfassungswidrigen Ergebnissen führen. Ist von mehreren Auslegungen aber nur eine mit dem Grundgesetz vereinbar, muss diese gewählt werden (BVerfGE 112, 164, 182 f = SozR 4-7410 § 32 Nr 1 RdNr 32; vgl auch BSG SozR 4-5870 § 1 Nr 2 RdNr 19 mwN). Die Vorschriften sind deshalb orientiert an dem Gesetzeszweck einschränkend auszulegen; nur diese Auslegung belässt ihnen einen vernünftigen, dem erkennbaren Gesetzeszweck jedenfalls nicht zuwiderlaufenden Sinn.

18

Dem Wortlaut der Anlage zu § 28 SGB XII lässt sich nicht entnehmen, dass in Haushaltsgemeinschaften zwischen Erwachsenen, die nicht Partner sind, typisierend die eine Person der Regelbedarfsstufe 1 und die andere Person der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen wäre und im Ergebnis also Bedarfe nur in Höhe von 180 vH anerkannt würden; überdies findet sich keine Bestimmung, die erkennen ließe, dass in der vorliegenden Konstellation der S (und nicht der W im Falle ihrer Bedürftigkeit) lediglich Bedarfe nach der Regelbedarfsstufe 3 zustünden. Die vorliegende Gesetzesfassung beschreibt zunächst nur, dass die Regelbedarfsstufe 1 einer "alleinstehenden" Person auch dann zusteht, "wenn in diesem Haushalt eine oder mehrere weitere erwachsene Personen leben, die der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen sind". Dabei bringt das Merkmal "alleinstehend", das die Regelbedarfsstufe 1 kennzeichnet, zum Ausdruck, dass diese Person ohne festen Partner im Sinne der Regelbedarfsstufe 2, nicht dagegen ohne jeden (erwachsenen) Mitbewohner in dem Haushalt lebt; denn der Begriff "Alleinstehend" wird im allgemeinen Sprachgebrauch mit unverheiratet gleichgesetzt, also in Abgrenzung zu einer festen Partnerschaft gebraucht. Die Rechtsprechung zum SGB II, die wegen der Besonderheiten der Bedarfsgemeinschaft von einem normativen Verständnis des Begriffs ausgeht (BSG SozR 4-4200 § 20 Nr 2 RdNr 18), ist auf das SGB XII nicht zu übertragen. Dem zweiten Halbsatz kann andererseits nicht entnommen werden, dass ein Zusammenleben in Haushaltsgemeinschaft außerhalb einer Partnerschaft notwendig das Zusammenleben mit einer Person bedeutet, die dann der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen wäre. Die Formulierung verweist lediglich auf die Regelbedarfsstufe 3, ohne diese näher zu erläutern; sie kann nur klarstellende Bedeutung haben.

19

Aus der Formulierung der Regelbedarfsstufe 3 folgt nicht das Gegenteil. Die Regelbedarfsstufe 3 knüpft zunächst an das Leben in einem "fremden" Haushalt an, was das Zusammenleben in einer Haushaltsgemeinschaft im Grundsatz nicht erfasst. "Fremd" drückt als Adjektiv aus, dass eine Sache einem anderen gehört. Leben zwei erwachsene Personen in einem Haushalt, lebt jede Person nach dem allgemeinen Sprachverständnis aber weiterhin in ihrem eigenen, dh in einem ihr selbst zugehörigen Haushalt. Das Zusammenleben allein macht einen Haushalt nicht (schon) zu einem "fremden" Haushalt. Der Wortlaut der Regelbedarfsstufe 3 ließe in seiner 2. Alternative ("noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führt") zwar die Auslegung zu, dass zwei Personen, die einen gemeinsamen Haushalt führen, ohne Partner zu sein, nur die Regelbedarfsstufe 3 zukommt. Eine solche Auslegung, die bei zwei Haushaltsangehörigen denknotwendig zur Folge hätte, dass beiden Personen lediglich die Regelbedarfsstufe 3 zustünde, weil bei beiden keine Partnerschaft vorliegt, führt aber zu einem erkennbar verfassungswidrigen Ergebnis (im Einzelnen später).

20

Ausschließlich der Wortlaut der Regelbedarfsstufe 2 knüpft ausdrücklich an ein bestimmtes gemeinsames Zusammenleben (das nämlich zusätzlich die Kriterien einer Partnerschaft erfüllen muss) einen Regelbedarf von jeweils nur 90 vH für jede in der Partnerschaft lebende Person. Die Beschränkung auf diese Rechtsfolge nur bei Zusammenleben in Partnerschaften ist eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung, wie die Entwicklung der Vorschriften im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zeigt. Bereits im ursprünglichen Entwurf zum RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG ist an dem Begriff des Haushaltsvorstands, der bis zum 31.12.2010 noch in § 3 Abs 1 Satz 1 Regelsatzverordnung (RSV) verankert war, den das SGB II aber schon seit dem 1.1.2005 nicht mehr kannte (vgl im Einzelnen BSGE 103, 181 ff = SozR 4-3500 § 42 Nr 2), nicht mehr festgehalten worden. An seine Stelle ist der alleinstehende (bzw alleinerziehende) Leistungsberechtigte getreten. Demgegenüber war für alle Fälle der Haushaltsgemeinschaft die Zuordnung zur Regelbedarfsstufe 2 vorgesehen ("Ehegatten und Lebenspartner sowie andere erwachsene Leistungsberechtigte, die in einem gemeinsamen Haushalt leben und gemeinsam wirtschaften"; vgl BT-Drucks 17/3404, S 36, und zur Begründung S 130). Diese Fassung hätte mithin Fälle wie den vorliegenden dahin geregelt, dass in der Haushaltsgemeinschaft für beide Mitglieder der gleiche Bedarf besteht und dieser - wegen typisierend unterstellter Einsparmöglichkeiten - jeweils um 10 vH abgesenkt ist. Sie ist aber nicht Gesetz geworden; mit der endgültigen Fassung, die das RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG im Zuge der Ausschussberatungen erhalten hat, werden die Fälle der gemeinsamen Haushaltsführung außerhalb von Partnerschaften gerade nicht mehr in der Regelbedarfsstufe 2 der Anlage zu § 28 SGB XII erfasst.

21

Soweit in der Gesetzesbegründung zur Neufassung der Anlage zu § 28 SGB XII, die im Zuge der Beratungen des 11. Ausschusses für Arbeit und Soziales erfolgt ist, ausgeführt wird, mit der Umformulierung der Regelbedarfsstufe 1 - mithin der Anfügung des Halbsatzes "dies gilt auch dann, wenn in diesem Haushalt eine oder mehrere weitere erwachsene Personen leben, die der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen sind" - werde "folglich" an der im geltenden Recht als Haushaltsvorstand bezeichneten Funktion und der damit verbundenen Stellung im Haushalt außerhalb von Partnerkonstellationen festgehalten (BT-Drucks 17/4095, S 39), kommt dies in den Gesetz gewordenen Fassungen der Regelbedarfsstufen gerade nicht zum Ausdruck. Der Gesetzesbegründung lässt sich zwar die Vorstellung entnehmen, jedes Zusammenleben von Erwachsenen außerhalb von Partnerschaften, insbesondere, aber nicht ausschließlich im Familienverbund, sei typisierend dadurch gekennzeichnet, dass die mit der Führung des Haushalts verbundenen Kosten nur bei einer Person anfallen (BT-Drucks 17/4095, S 40). Ein Tatbestand im Gesetz, der diese typisierende Grundannahme - wie zuvor § 3 Abs 1 Satz 1 RSV - deutlich macht, ist jedoch nicht Gesetz geworden; er entspricht auch nicht dem neueren Verständnis des "Haushaltsvorstands".

22

Auf die bisherige verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zu diesem Begriff (vgl nur BVerwG, Beschluss vom 30.12.1965 - V B 152.65 -, FEVS 14, 241, 242) kann damit - entgegen der in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommenden Auffassung - nicht zurückgegriffen werden. Es ist dem Zusammenleben in Haushaltsgemeinschaften nach § 39 Satz 1 SGB XII, die durch das gemeinsame Wirtschaften aus einem Topf gekennzeichnet sind, im Grundsatz fremd, dass ein bestimmtes, nach generell-abstrakten Kriterien umschriebenes Mitglied (etwa das erwerbsfähige oder körperlich und/oder geistig nicht eingeschränkte Mitglied oder ein Elternteil) von vornherein einen höheren Beitrag zur Führung des Haushalts erbringt oder zu erbringen hätte, wie es der Begriff des "Haushaltsvorstands" voraussetzt. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hielt vor dem 1.1.2005 die Zuordnung als Haushaltsvorstand oder Haushaltsangehöriger zwar in allen Konstellationen des Zusammenlebens für möglich und machte dies allein von einer gemeinsamen Wirtschaftsführung im Sinne einer "Wirtschaftsgemeinschaft" abhängig, deren Vorliegen allerdings bei nicht miteinander verwandten oder verschwägerten Personen besonders sorgfältig zu prüfen war. Der Gesetzgeber des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG hat aber die Annahme einer Haushaltsersparnis durch das Zusammenleben mit einem "Haushaltsvorstand" gerade nicht regelhaft mit der Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse der zusammenlebenden Personen verbunden; eine entsprechende Prüfungsnotwendigkeit widerspräche auch der typisierenden Beschreibung von Bedarfen in den genannten Regelbedarfsstufen, die der Gesetzgeber aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität vorgenommen hat.

23

Das SGB II sieht folgerichtig eine Stellung des "Haushaltsvorstands" im Haushalt unverändert nicht vor (zur Problematik des Zusammenlebens von Leistungsberechtigten nach dem SGB XII und Leistungsberechtigten nach dem SGB II bereits BSGE 103, 181 ff = SozR 4-3500 § 42 Nr 2). Die Zuordnung zur Regelbedarfsstufe 3, geknüpft an den Begriff des "Haushaltsvorstands" im Sinne der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, würde zudem einen Zirkelschluss bedeuten: Es kann die Bestimmung des Bedarfs der Mitglieder einer Haushaltsgemeinschaft (im Sinne der Zuordnung zur Regelbedarfsstufe 1 oder 3) nicht im Ausgangspunkt in Abhängigkeit davon erfolgen, welche Entscheidung über die Verteilung von Mitteln ggf getroffen würde, wenn ein Mitglied seinen Bedarf nicht in gleichem Maße decken kann wie das andere Mitglied. Eine solche Entscheidung kann in Haushaltsgemeinschaften überhaupt erst getroffen werden, wenn entsprechende Mittel nicht gleichmäßig zufließen.

24

Allein die vom Senat vorgenommene Auslegung sichert die sozialrechtliche Funktion der Leistungen nach dem SGB XII, nämlich die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG (vgl dazu: BVerfGE 132, 134 ff RdNr 62 ff = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 88 ff; BVerfGE 125, 175, 221 ff = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 132 ff). Auch nach der Gesetzesbegründung soll die Regelbedarfsstufe 3 deshalb nur für Personen gelten, denen tatsächlich keine haushaltsgebundenen Kosten entstehen; es sollen ausdrücklich nur Konstellationen erfasst werden, "in denen es keine gemeinsame Tragung von Ausgaben zu gleichen Teilen gibt" (BT-Drucks 17/4095, S 40). Wie dargelegt kann aber allein aus dem Zusammenleben in einem Haushalt nicht typisierend geschlossen werden, dass die haushaltsgebundenen Kosten nur bei einer Person anfallen. Die gegenteilige, zwar in der Gesetzesbegründung, nicht hingegen im Wortlaut zum Ausdruck kommende Auffassung führt zu erkennbar verfassungswidrigen Ergebnissen. Sie hätte zur Folge, dass zwei Personen, die die Kosten des Haushalts gemeinsam tragen, beide also den Haushalt nicht als Haushaltsvorstand im hergebrachten Sinne führen, im Falle ihres Zusammenlebens, etwa in einer Wohngemeinschaft, lediglich die Regelbedarfsstufe 3 zustünde. Eine solche Schlechterstellung gegenüber Partnerschaften kann und soll erkennbar mit der Gesetzesneufassung nicht verbunden sein. Wie der ungedeckte Bedarf in solchen Fällen gesichert werden sollte, erschließt sich weder aus der Gesetzesbegründung noch aus dem Gesetz selbst. Die Möglichkeit der Bildung von Mischregelsätzen in solchen Fällen ist aber angesichts der dargestellten Gesetzgebungsgeschichte vom Willen des Gesetzgebers nicht gedeckt (so zum Ganzen auch Schmidt in Oestreicher, SGB II/SGB XII, Stand November 2011, Anh 2 zu § 28 SGB XII RdNr 70). Schließlich reicht auch die abweichende Regelsatzfestlegung nach § 27a Abs 4 Satz 1 SGB XII nicht aus, um tatsächlichen Verhältnissen in einem Haushalt, die regelmäßig denkbar sind, Rechnung zu tragen; denn diese setzt die zutreffende Typisierung der Lebensverhältnisse durch den Gesetzgeber voraus, weil sie eine Regelung ausdrücklich nur für atypische Situationen trifft ("seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht").

25

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Gesetz den Begriff der eigenen "Haushaltsführung" im Anschluss an die Formulierung der Regelbedarfsstufen in dem Sinne versteht, dass nur die hilfebedürftige Person, die die einzelnen Verrichtungen in einem Haushalt in einem gewissen Maße auch tatsächlich ausüben kann, der Regelbedarfsstufe 1 (und nicht der Regelbedarfsstufe 3) unterfallen soll (in diesem Sinne etwa LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 18.7.2012 - L 8 SO 13/12 B ER; zweifelnd Gutzler in jurisPK SGB XII, 2. Aufl 2014, § 27a SGB XII RdNr 80). Die zu fordernde Beteiligung an der Haushaltsführung muss sich vielmehr gerade an den jeweiligen individuellen Fähigkeiten orientieren. Eine andere Auslegung würde zu einer (indirekten) Ungleichbehandlung von behinderten Menschen führen und verstieße gegen Art 3 Abs 3 Satz 2 GG und damit gleichzeitig gegen das Diskriminierungsverbot in Art 5 Abs 2 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13.12.2006 (UN-Behindertenrechtskonvention , Gesetz vom 21.12.2008 - BGBl II 1419 -, in der Bundesrepublik in Kraft seit 26.3.2009 - BGBl II 812). Denn das Benachteiligungsverbot des Art 3 Abs 3 Satz 2 GG erschöpft sich nicht in der Anordnung, behinderte und nichtbehinderte Menschen rechtlich gleich zu behandeln. Vielmehr kann eine Benachteiligung auch bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt gegeben sein (vgl nur BVerfGE 128, 138 ff = SozR 4-2600 § 77 Nr 9 mwN).

26

Eine Auslegung, nach der entscheidend für die Zuordnung zur Regelbedarfsstufe 3 eine in bestimmter Weise dauerhaft eingeschränkte körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit des Leistungsberechtigten maßgeblich wäre, träfe zwar nicht alle behinderten Menschen gleichermaßen. Sie würde gleichwohl an die Schwere einer dauerhaften körperlichen, geistigen oder seelischen Einschränkung und damit an die Auswirkungen einer Behinderung anknüpfen (vgl den Behinderungsbegriff in § 2 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen -). Eine entsprechende Differenzierung fände auch keine Rechtfertigung gerade in den eingeschränkten Fähigkeiten der behinderten Person (dazu etwa BVerfGE 99, 341 ff); für die Wahrnehmung des in Rede stehenden Rechts sind bestimmte Fähigkeiten nicht unerlässliche Voraussetzung. Das mit Art 1 GG iVm Art 20 GG gewährleistete Recht auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz knüpft insbesondere nicht an die Erwerbsfähigkeit an. Es ist aber nicht erkennbar, welche Kompensation sich auf der Bedarfsseite für behinderte Menschen mit Beeinträchtigungen, die sich auf die Fähigkeit einen Haushalt zu führen auswirken, gerade durch das Zusammenleben mit einer anderen Person ergeben sollten, die eine Zuordnung zur Regelbedarfsstufe 3 rechtfertigen würde. Dies wird besonders deutlich, wenn beide Mitglieder des Haushalts einer ambulanten Rund-um-die-Uhr-Betreuung durch eine außenstehende Person bedürfen: Hier würde eine andere Sichtweise sogar zu der nicht zu rechtfertigenden Annahme führen, keiner dieser behinderten Personen stünde die Regelbedarfsstufe 1 zu. Soweit sich schließlich in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 17/4095, S 27 und 41) der Hinweis auf elterliche Unterhaltspflichten in Haushaltsgemeinschaften findet, sind solche Überlegungen von vornherein zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung einer Regelung ungeeignet, die gerade nicht typisierend an das Zusammenleben im Familienverbund anknüpft.

27

Eine verfassungsrechtlich zu beanstandende Schlechterstellung von Partnerschaften ist mit dieser Auslegung nicht verbunden. Es ist kein verfassungsrechtliches Gebot erkennbar, wonach für eine zusätzliche erwachsene Person im Haushalt, die in keiner partnerschaftlichen Beziehung zu einer anderen Person in diesem Haushalt steht, vor dem Hintergrund der Regelung für Paare und der Regelbedarfsermittlung für Einpersonenhaushalte gelten müsste, dass diese sozialhilferechtlich nicht als alleinstehende Person betrachtet werden kann (so aber wohl BT-Drucks 17/4095, S 40; wie hier Münder, Soziale Sicherheit Extra, Sonderheft September 2011, 63, 82). Zwar werden bei Partnern einer Lebensgemeinschaft im Sinne der Regelbedarfsstufe 2 insgesamt nur Bedarfe in Höhe von 180 vH anerkannt. Die besondere Stellung von Partnerschaften beruht indes nicht allein auf der Annahme der gemeinsamen Haushaltsführung, sondern auf der typisierenden Annahme eines Einstandswillens in dieser Partnerschaft, der darauf schließen lässt, dass nicht nur aus einem Topf gewirtschaftet wird, sondern das Ausgabeverhalten auch erkennen lässt, dass der Partner zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellt, bevor die Mittel für eigene Bedürfnisse eingesetzt werden (zur Zulässigkeit einer entsprechend typisierenden Annahme in Partnerschaften BVerfGE 87, 234 ff = SozR 3-4100 § 137 Nr 3). Dies rechtfertigt nicht nur die gesteigerten Einstandspflichten innerhalb von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft (vgl § 27 Abs 2 Satz 2 SGB XII und ergänzend das Verbot der Besserstellung von eheähnlicher und lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft in § 20 SGB XII).

28

Bereits nach der bisherigen Gesetzesfassung - im SGB XII wie im SGB II - war auch die Annahme einer weiter gehenden Einsparung bei den Ausgaben, als sie aus dem bloßen gemeinsamen Wirtschaften folgt, typisierend an eine solche Partnerschaft, also an das Bestehen des partnerschaftstypischen Einstandswillens, geknüpft (vgl BSGE 103, 181 ff RdNr 24 = SozR 4-3500 § 42 Nr 2). Es ist nicht erkennbar, dass insoweit nach der alten Rechtslage eine verfassungswidrige Schlechterstellung von Partnerschaften vorlag, die mit der Neufassung hätte beseitigt werden müssen. Das BVerfG hat die Annahme einer besonderen Ersparnis in Partnerschaften auch auf der Bedarfsseite, die in den 1990er Jahren auf Grundlage einer Auswertung des Ausgabeverhaltens in Partnerschaften - nicht in anderen Mehrpersonenhaushalten - entwickelt worden war, ausdrücklich gebilligt ( BVerfGE 125, 175 ff RdNr 189 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12); eine Ausweitung auf jede Mehrpersonenkonstellation unter Erwachsenen, die nicht Bedarfs- bzw Einsatzgemeinschaften sind und die auch in den zur Überprüfung stehenden Fassungen des SGB II und des SGB XII abweichend behandelt worden waren, hat es aber nicht gefordert. Ob die ursprünglich geplante Fassung der Regelbedarfsstufe 2, die jede Haushaltsführung in einer Mehrpersonenkonstellation erfasst hätte, verfassungsgemäß gewesen wäre, weil jede gemeinsame Haushaltsführung außerhalb von Bedarfs- und Einstandsgemeinschaften eine Ersparnis in gerade dieser Höhe mit sich bringt - wozu indes statistische Auswertungen fehlen (vgl BT-Drucks 17/3404, S 130, und BT-Drucks 17/4095, S 27) -, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden. Ebenso kann offen bleiben, ob die Einbeziehung erwerbsfähiger Erwachsener, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, in die Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II unter bestimmten Voraussetzungen verfassungsgemäß ist (dazu BSGE 110, 204 ff = SozR 4-4200 § 9 Nr 10).

29

Dem mit dieser Auslegung gewonnenen Ergebnis, wonach ein Zusammenleben auch außerhalb von Partnerschaften im Grundsatz eine gemeinschaftliche, gleichberechtigte Haushaltsführung ist, und das folglich bei beiden Personen dieselben Bedarfe annimmt, entspricht die gesetzliche Vermutung in § 39 Satz 1 1. Halbsatz SGB XII, wonach Personen (seit dem 1.1.2005 auch solche, die nicht miteinander verwandt oder verschwägert sind), die gemeinsam in einer Wohnung leben, gemeinsam wirtschaften und damit eine Haushaltsgemeinschaft bilden. Ob die doppelte Vermutungsregelung - die nämlich in § 39 Satz 1 2. Halbsatz SGB XII um eine Unterhaltsvermutung ergänzt ist - in allen Punkten verfassungsgemäß ist, kann im vorliegenden Zusammenhang offen bleiben. Nach den insoweit normierten Rückausnahmen (§ 39 Satz 3 Nr 2 SGB XII und § 43 Abs 1 2. Halbsatz SGB XII) kommt lediglich die belastende Auswirkung des § 39 Satz 1 SGB XII für Haushaltsgemeinschaften, die beispielsweise zur gegenseitigen Hilfe und Unterstützung von behinderten oder älteren Menschen als Wohngemeinschaften gebildet werden, nicht zur Anwendung. Denn die Rückausnahme soll ambulante Wohnformen, die durch Unterstützungsleistungen gekennzeichnet sind, finanziell stärken (vgl BT-Drucks 15/1514, S 61). Insoweit kommt nur die Unterhaltsvermutung des § 39 Satz 1 SGB XII nicht zur Anwendung; dementsprechend ist allein die Nichtgeltung dieser Unterhaltsvermutung in der Gesetzesbegründung zur Einführung der Regelbedarfsstufe 3 in Bezug genommen (vgl BT-Drucks 17/4095, S 40 f). Dies lässt die normative Grundannahme unberührt, wonach allein aus dem Sachverhalt des gemeinsamen Wohnens der Schluss auf das Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft zu ziehen ist, in der auch gemeinsam gewirtschaftet wird.

30

Dem kann schließlich nicht entgegengehalten werden, es verbleibe im Ergebnis der vom Senat vorgenommenen Auslegung für die Regelbedarfsstufe 3 kein Anwendungsbereich mehr. Die Regelbedarfsstufe 3 findet nämlich als Rechengröße bei der Bestimmung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in stationären Einrichtungen Anwendung; denn in diesem Fall trägt der Leistungsberechtigte keinerlei Verantwortung für einen "Haushalt" und hierfür auch keine (unmittelbaren) Kosten.

31

Im Übrigen kommt die Regelbedarfsstufe 3 zur Anwendung, wenn abweichend von der dargelegten gesetzlichen Vermutung in § 39 Satz 1 1. Halbsatz SGB XII keine Haushaltsgemeinschaft besteht. Ob dies bei klassischen Untermietverhältnissen, die sich durch die (vertraglich) ausgeschlossene Möglichkeit der Beteiligung an der Haushaltsführung auszeichnen, regelmäßig der Fall ist (so die Gesetzesbegründung; BT-Drucks 17/4095, S 40), kann offen bleiben; denn für eine solche Fallgestaltung ergeben sich hier keine Anhaltspunkte. Bei einem Zusammenleben, das anders als ein bloßes Untermietverhältnis gerade (auch) durch verstärkte Unterstützungsleistungen des einen Haushaltsangehörigen für den anderen gekennzeichnet ist, kann ein solcher Fall nur vorliegen, wenn bei dem körperlich und/oder geistig behinderten Mitbewohner keinerlei eigenständige oder eine nur gänzlich unwesentliche Beteiligung an der Haushaltsführung vorliegt. Ausschließlich in diesem Fall ist der Haushalt, in dem die leistungsberechtigte Person lebt, ein "fremder Haushalt". Ein solcher Sachverhalt wird nur ausnahmsweise vorliegen; denn schon die von den zusammenlebenden Personen gewünschte und geförderte Beteiligung an der Haushaltsführung im Rahmen der jeweiligen körperlich und/oder geistigen Fähigkeiten und ein darauf abgestimmter Ablauf in der Haushaltsführung genügen. Dies hat der Senat für die Konstellation des Zusammenlebens von Eltern mit ihren erwachsenen behinderten Kindern im Einzelnen dargestellt (Urteil vom 23.7.2014 - B 8 SO 31/12 R); entsprechende Vorstellungen über ein im Ausgangspunkt gleichberechtigtes Miteinanderleben mit der Folge eines gemeinsamen Haushalts iS des § 39 Satz 1 1. Halbsatz SGB XII sind auch auf Wohngemeinschaften, die durch (gegenseitige) Unterstützungsleistungen gekennzeichnet sind, übertragbar. Ob ein hiervon ausnahmsweise abweichender Sachverhalt überhaupt vorliegt, wird das SG nur zu prüfen haben, wenn zu diesem neuen rechtlichen Gesichtspunkt qualifizierter Vortrag der Beklagten erfolgt. Die Beweislast liegt insoweit bei der Beklagten, die sich auf das Vorliegen eines von der gesetzlichen Typik abweichenden Falls beruft.

32

Das SG wird über die Leistungshöhe insgesamt und ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Wird gemäß § 54 Abs. 4 oder 5 eine Leistung in Geld begehrt, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann auch zur Leistung nur dem Grunde nach verurteilt werden. Hierbei kann im Urteil eine einmalige oder laufende vorläufige Leistung angeordnet werden. Die Anordnung der vorläufigen Leistung ist nicht anfechtbar.

(2) Das Gericht kann durch Zwischenurteil über eine entscheidungserhebliche Sach- oder Rechtsfrage vorab entscheiden, wenn dies sachdienlich ist.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. Juni 2015 und des Sozialgerichts Köln vom 19. August 2014 aufgehoben sowie die Klagen gegen den Beklagten abgewiesen.

Die Beigeladene wird verurteilt, über die Ansprüche der Klägerin zu 1 vom 15. Februar 2013 bis zum 14. Mai 2013 und der Kläger zu 2 und 3 vom 9. März 2013 bis zum 14. Mai 2013 auf Leistungen nach dem SGB XII unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden sowie ihnen vom 15. Mai 2013 bis zum 30. September 2014 Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren.

Die Beigeladene hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits für alle Instanzen zu erstatten. Ansonsten haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit sind existenzsichernde Leistungen für Unionsbürger vom 15.2.2013 bis zum 30.9.2014.

2

Die Kläger sind bulgarische Staatsangehörige. Die 1989 geborene Klägerin zu 1 reiste am 15.11.2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie hatte in Bulgarien vier Jahre die Schule besucht und ein halbes Jahr als Putzfrau gearbeitet. Sie verfügte bei ihrer Einreise über keine deutschen Sprachkenntnisse. Zu diesem Zeitpunkt war sie mit den Klägern zu 2 und 3 schwanger. Bei einer Untersuchung am 4.12.2012 wurden eine Risikoschwangerschaft und ein Frühgeburtsrisiko festgestellt; errechneter Geburtstermin war der 29.3.2013. Die Klägerin zu 1 gebar am 9.3.2013 die Kläger zu 2 und 3.

3

Am 21.12.2012 stellte sie einen Leistungsantrag beim beklagten Jobcenter und gab an, sie sei wegen ihrer Schwangerschaft von ihrem Ex-Freund bedroht worden und deshalb nach Deutschland geflohen. Sie habe Schutz vor ihm suchen müssen und gehofft, Arbeit zu finden.

4

Ab 10.1.2013 war die Klägerin zu 1 und waren später auch die Kläger zu 2 und 3 ordnungsbehördlich untergebracht. Ein von der Ausländerbehörde der beigeladenen Stadt K. im April 2013 eingeleitetes Verfahren zur Feststellung des Verlusts des Aufenthalts- und Einreiserechts der Kläger wurde seit Mitte 2013 seitens der Behörde nicht weiter betrieben, nachdem die Klägerin zu 1 in diesem Verfahren ihr Schicksal geschildert hatte.

5

Den Leistungsantrag der Klägerin zu 1 vom 21.12.2012 lehnte der Beklagte unter Hinweis auf § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 1 und 2 SGB II ab(Bescheid vom 14.2.2013; Widerspruchsbescheid vom 13.3.2013). Am 6.8.2013 stellte die Klägerin zu 1 für sich und die Kläger zu 2 und 3 einen Weiterbewilligungsantrag, den der Beklagte unter Hinweis auf § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II ablehnte(Bescheid vom 15.8.2013; Widerspruchsbescheid vom 24.10.2013).

6

Aufgrund von stattgebenden Entscheidungen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem SG Köln zahlte der Beklagte der Klägerin zu 1 vom 21.2.2013 und später auch den Klägern zu 2 und 3 bis 21.8.2013 und ab 16.9.2013 ("längstens bis zum Abschluss des Rechtsstreits S 24 AS 1392/13") vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die gegen die Ablehnungen erhobenen Klagen vor dem SG (S 24 AS 1392/13 und S 24 AS 4485/13) verband dieses zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung und verurteilte den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide, der Klägerin zu 1 "Leistungen" ab 21.1.2013 und den Klägern zu 2 und 3 ab 9.3.2013 "nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen" (Urteil vom 19.8.2014). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II nicht anzuwenden sei, da dieser gegen höherrangiges europäisches Recht verstoße.

7

Am 27.10.2014 stellten die Kläger einen Weiterbewilligungsantrag, den der Beklagte ablehnte (Bescheid vom 7.11.2014; Widerspruchsbescheid vom 3.2.2015). Hiergegen ist Klage vor dem SG erhoben (S 19 AS 597/15).

8

Gegen seine Verurteilung durch das SG legte der Beklagte Berufung beim LSG Nordrhein-Westfalen ein. Im Berufungsverfahren lud das LSG die Stadt K. nach § 75 Abs 2 Alt 2 SGG bei, weil sie bei Ablehnung des Anspruchs als Träger der Sozialhilfe nach dem SGB XII als leistungspflichtig in Betracht komme. Die Berufung des Beklagten wies das LSG zurück (Urteil vom 1.6.2015), nachdem die Klägerin zu 1 ihr Leistungsbegehren auf die Zeit ab 15.2.2013 und das Leistungsbegehren aller Kläger auf die Zeit bis 30.9.2014 beschränkt und die weitergehende Klage zurückgenommen hatte. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin zu 1 erfülle im streitigen Zeitraum die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II und sei nicht nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 1 oder 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II greife nicht ein, weil die Klägerin zu 1 am 15.11.2012 eingereist und der Dreimonatszeitraum des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II zu Beginn des streitigen Zeitraums am 15.2.2013 bereits abgelaufen gewesen sei. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II greife nicht ein, denn die Klägerin zu 1 habe im streitigen Zeitraum kein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche innegehabt, weil ihre Arbeitsuche objektiv ohne begründete Aussicht auf Erfolg gewesen sei. Ihr hätten auch keine anderen Aufenthaltsrechte zugestanden. Auch die Kläger zu 2 und 3 hätten nicht über ein Aufenthaltsrecht verfügt. Auf Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht finde der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II keine Anwendung. Der Klägerin zu 1 stehe deshalb Alg II und den Klägern zu 2 und 3 Sozialgeld zu, denn sie hätten mit der Klägerin zu 1 als einer erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 SGB II gelebt.

9

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II, weil die Klägerin zu 1 ein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche herleiten könne. Der Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II erfasse zudem europarechtskonform auch EU-Ausländer, die wirtschaftlich inaktiv seien, ohne über ausreichende Existenzmittel und einen Krankenversicherungsschutz zu verfügen.

10

Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. Juni 2015 und des Sozialgerichts Köln vom 19. August 2014 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

11

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Beigeladene zu verurteilen, der Klägerin zu 1 vom 15. Februar 2013 bis zum 30. September 2014 und den Klägern zu 2 und 3 vom 9. März 2013 bis zum 30. September 2014 Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren.

12

Sie tragen ua vor, der Aufenthalt der Klägerin zu 1 sei auch humanitär bedingt, sodass § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II keine Anwendung finde.

13

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet. Die Urteile des LSG und des SG sind aufzuheben und die Klagen gegen den Beklagten abzuweisen, weil dieser zu Recht einen Anspruch der Kläger auf Leistungen nach dem SGB II abgelehnt hat. Jedoch sind die Klagen nicht insgesamt abzuweisen, sondern es ist als anderer leistungspflichtiger Träger nach § 75 Abs 2 Alt 2, Abs 5 SGG die Beigeladene als Sozialhilfeträger zu verurteilen, den Klägern im streitigen Zeitraum Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren.

15

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist die Aufhebung der Urteile des LSG und des SG, durch die der Beklagte zur Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II an die Kläger verurteilt worden ist, und damit letztlich das Begehren des Beklagten, die Klagen abzuweisen. Streitig ist nach den entsprechenden Erklärungen der Kläger vor dem LSG nur noch der Zeitraum für die Klägerin zu 1 vom 15.2.2013 und für die Kläger zu 2 und 3 ab Geburt vom 9.3.2013 bis jeweils zum 30.9.2014.

16

2. Zutreffende Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG). Als solche zulässig sind auch die Klagen der Kläger zu 2 und 3 gegen den Bescheid des Beklagten vom 14.2.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.3.2013 für den Zeitraum vom 9.3.2013 bis 31.7.2013. Dem steht nicht entgegen, dass beide in diesem Bescheid keine Erwähnung gefunden haben. Denn der Leistungsantrag der Klägerin zu 1 vom 21.12.2012 erfasste aufgrund von § 38 Abs 1 Satz 1 SGB II auch die Kläger zu 2 und 3 ab ihrer Geburt am 9.3.2013. Damit sind sie ebenfalls Adressaten der Leistungsablehnung durch den Bescheid vom 14.2.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.3.2013.

17

Zulässig ist auch der im Revisionsverfahren gestellte Hilfsantrag auf Verurteilung der Beigeladenen (vgl BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 13). Weder diesem Antrag noch dem mit dem Hauptantrag weiterverfolgten Leistungsantrag gegen den Beklagten steht entgegen, dass die Kläger für Teilzeiträume des streitigen Zeitraums bereits aufgrund stattgebender Entscheidungen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufige Leistungen erhalten haben (vgl BSG, aaO, RdNr 14).

18

3. Die Kläger haben im streitigen Zeitraum keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die Klägerin zu 1 erfüllt zwar die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II(dazu 4.), unterliegt jedoch dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II, der die EU-Ausländer umfasst, die weder über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung noch ein Aufenthaltsrecht verfügen(dazu 5.), was bei der Klägerin zu 1 der Fall ist, trotz eines in Betracht kommenden Aufenthaltsrechts aus humanitären Gründen (dazu 6.). Diesem Leistungsausschluss stehen nicht das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) (dazu 7.), das Recht der Europäischen Union (EU) (dazu 8.) oder das GG (dazu 9.) entgegen.

19

Doch sind den Klägern von der Beigeladenen Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren. Der Anwendbarkeit des SGB XII auf die Klägerin zu 1 steht § 21 Satz 1 SGB XII nicht entgegen(dazu 10.). Die Beigeladene muss sich die Kenntnis des Beklagten vom Existenzsicherungsbedarf der Klägerin zu 1 zurechnen lassen (dazu 11.). Zwar unterliegt die Klägerin zu 1 dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII und ist dieser mit dem EFA und dem EU-Recht vereinbar(dazu 12.), doch schließt dies nicht Ermessensleistungen nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII aus(dazu 13.). Ab 15.5.2013 kann die Klägerin zu 1 aufgrund einer Ermessensreduzierung auf null Leistungen nach dem SGB XII beanspruchen (dazu 14.). Für die Kläger zu 2 und 3 gilt im Ergebnis nichts anderes (dazu 15. und 16.).

20

4. Die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II erfüllte die 1989 geborene Klägerin zu 1 in der streitigen Zeit vom 15.2.2013 bis zum 30.9.2014 nach den Feststellungen des LSG (§ 163 SGG).

21

Sie war trotz ihrer Schwanger- und Mutterschaft erwerbsfähig nach § 8 Abs 1 SGB II und die fehlende deutsche Staatsangehörigkeit stand ihrer Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs 2 SGB II nicht entgegen, weil für sie als bulgarische Staatsangehörige die Möglichkeit, dass eine Beschäftigung erlaubt werden könnte, bestand und ausreicht(vgl BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 13 ff). Die Klägerin zu 1 war auch hilfebedürftig nach §§ 9, 11 ff SGB II, weil sie selbst nicht über zur Bedarfsdeckung ausreichendes zu berücksichtigendes Einkommen oder Vermögen verfügte und mit niemandem außer ihren Kindern, den Klägern zu 2 und 3, eine Bedarfsgemeinschaft bildete. Die vom LSG festgestellten Einnahmen der Klägerin zu 1 einschließlich des Elterngeldes ließen, insbesondere wegen der Höhe der festgestellten Bedarfe für Unterkunft und Heizung, ihre Hilfebedürftigkeit nicht entfallen. Die am 15.11.2012 in Deutschland eingereiste Klägerin zu 1 hatte hier auf der Grundlage der Feststellungen des LSG im streitigen Zeitraum ihren gewöhnlichen Aufenthalt (§ 30 Abs 3 Satz 1 SGB I).

22

5. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II ist auf die Klägerin zu 1 anzuwenden, weil diese sich weder auf eine Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, noch auf ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG berufen kann, das eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag.

23

Nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II sind "ausgenommen" - also keine leistungsberechtigten Personen iS des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II und ohne Leistungsberechtigung nach dem SGB II - nach Nr 1 Ausländerinnen und Ausländer, die in Deutschland keine Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder nicht nach § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts, nach Nr 2 Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen sowie nach Nr 3 Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG, wobei diese letzte Variante bei der Klägerin zu 1 von vornherein ausscheidet.

24

Über diese wortwörtlich geregelten Fälle hinaus umfasst der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II erst recht die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der EU, die keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (EU-Ausländer) und nicht über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG verfügen. Der erkennende 14. Senat schließt sich dem 4. Senat an, der dies unter Bezugnahme auf die Entstehungsgeschichte des Leistungsausschlusses, seine systematischen Zusammenhänge sowie den Sinn und Zweck der Vorschrift begründet hat (BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 19 ff; so bereits Urteile des Senats vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR, B 14 AS 18/14 R und B 14 AS 33/14 R). Es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass einerseits EU-Ausländer, die zB über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche verfügen, von Leistungen nach dem SGB II, die auch der Integration in den Arbeitsmarkt dienen sollen, ausgeschlossen sind, andererseits aber EU-Ausländern, die ohne Bereitschaft zu arbeiten oder ohne Aussicht auf Arbeit, also ohne materielle Freizügigkeitsberechtigung, und ohne ausreichende eigene finanzielle Mittel sich in Deutschland aufhalten, Leistungen nach dem SGB II zu erbringen sind.

25

Von den materiellen Freizügigkeitsberechtigungen nach dem FreizügG/EU zu unterscheiden ist die generelle Freizügigkeitsvermutung für EU-Ausländer, für deren rechtmäßige Einreise nach Deutschland ein gültiger Pass genügt (§ 2 Abs 5 FreizügG/EU). Aufgrund dieser generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt eines EU-Ausländers zumindest solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts aufgrund von § 5 Abs 4 FreizügG/EU bzw der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs 7 FreizügG/EU festgestellt und damit nach § 7 Abs 1 FreizügG/EU die sofortige Ausreisepflicht begründet hat(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 34 mwN).

26

6. Auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG, das eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag, kann sich die Klägerin zu 1 im streitigen Zeitraum nicht berufen.

27

a) Eine Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmerin oder als Selbstständige nach § 2 Abs 2 Nr 1 oder 2 FreizügG/EU scheidet mangels dahin gehender Aktivitäten der Klägerin zu 1 aus. Das Gleiche gilt für eine nachwirkende Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmerin oder selbstständige Erwerbstätige nach § 2 Abs 3 FreizügG/EU. Die Voraussetzungen für eine Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs 2 FreizügG/EU nach der Nr 3 oder 4 (Erbringer oder Empfänger von Dienstleistungen) sowie Nr 7 (Inhaber eines Daueraufenthaltsrechts) oder als Familienangehörige nach § 2 Abs 2 Nr 6, § 3 FreizügG/EU sind den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. Aufgrund ihrer Hilfebedürftigkeit iS des § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II scheidet auch eine Freizügigkeitsberechtigung der Klägerin zu 1 als nicht Erwerbstätige nach § 2 Abs 2 Nr 5, § 4 FreizügG/EU aus.

28

b) Ein Aufenthaltsrecht der Klägerin zu 1 nach dem AufenthG, insbesondere vermittels der Günstigkeitsregelung in § 11 Abs 1 Satz 11 FreizügG/EU, das eine Ausnahme vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II zu rechtfertigen vermag, ist aufgrund der Feststellungen des LSG nicht ersichtlich.

29

Denn vorliegend kommt allenfalls ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht aufgrund einer Aufenthaltserlaubnis aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen nach § 25 Abs 4 AufenthG wegen der Risikoschwangerschaft der Klägerin zu 1 bei ihrer Einreise nach Deutschland und der Geburt ihrer Kinder hier in Betracht, nicht aber ein Aufenthaltsrecht mit längerfristiger Bleibeperspektive, wie es sich zB aus den aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen einer bevorstehenden Familiengründung ergeben kann(vgl BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34; vgl auch BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR, RdNr 30 ff). Nur ein Aufenthaltsrecht, das eine längerfristige Bleibeperspektive vermittelt und das deshalb auch einer Eingliederung in den Arbeitsmarkt nicht entgegensteht, ist geeignet als Ausnahme zu § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II den Zugang zu Leistungen nach dem SGB II zu eröffnen. Ohne längerfristige Bleibeperspektive ist die Eröffnung des Zugangs zu diesen Leistungen einschließlich denen zur Eingliederung in Arbeit nicht sachgerecht. Die hier allenfalls in Betracht kommende Erteilung und ggf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 4 Satz 1 und 2 AufenthG mag mit einem erlaubten, aber nur vorübergehenden Aufenthalt zwar eine Antwort des Aufenthaltsrechts auf eine Krisensituation der Klägerin zu 1 bieten, lässt die Anwendung des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II auf sie nach dessen Sinn und Zweck indes unberührt.

30

7. Das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA steht diesem Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nicht entgegen. Denn das EFA ist weder nach seinem sachlichen (zur Nichtanwendbarkeit des EFA im Rahmen des SGB II aufgrund des von Deutschland erklärten Vorbehalts BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR, RdNr 18 ff) noch nach seinem persönlichen Anwendungsbereich einschlägig, weil die Klägerin zu 1 bulgarische Staatsangehörige und Bulgarien kein Unterzeichnerstaat dieses Abkommens ist.

31

8. Mit EU-Recht ist dieser Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II vereinbar, wie sich aus den Entscheidungen des EuGH vom 11.11.2014 (C-333/13 - Dano, NJW 2015, 145) und vom 15.9.2015 (C-67/14 - Alimanovic, SGb 2015, 638) ergibt. Auch wenn Alg II und Sozialgeld nach dem SGB II als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen iS des Art 70 VO (EG) Nr 883/2004 und als "Sozialhilfe" iS des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG eingeordnet werden, stehen Art 24 Abs 1 iVm Art 7 Abs 1 Buchst b RL 2004/38/EG und Art 4 VO (EG) Nr 883/2004 der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten (einschließlich ihrer Familienangehörigen) vom Bezug dieser Leistungen ausgeschlossen werden, sofern diesen Staatsangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht (EuGH Urteil vom 11.11.2014, aaO, RdNr 84). Gleiches gilt für Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten (einschließlich ihrer Familienangehörigen), die nach Deutschland eingereist sind, um Arbeit zu suchen, wenn sie nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder ihnen dieser Status erhalten geblieben ist (EuGH Urteil vom 15.9.2015, aaO, RdNr 63).

32

9. Verfassungsrechtliche Bedenken stehen diesem Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nicht entgegen. Der Leistungsausschluss ist insbesondere schon deshalb mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG vereinbar, weil der Klägerin zu 1 existenzsichernde Leistungen durch die Beigeladene nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII zu gewähren sind.

33

10. Die Leistungsvoraussetzungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 19 Abs 1, § 27 Abs 1 SGB XII erfüllte die Klägerin zu 1 nach den Feststellungen des LSG zu den Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II. Hinsichtlich der nach § 18 Abs 1 SGB XII erforderlichen Kenntnis des beigeladenen Sozialhilfeträgers ist auf die Kenntnis des beklagten Jobcenters zu verweisen(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 39 mwN).

34

11. Der Anwendbarkeit des SGB XII auf die Klägerin zu 1 steht § 21 Satz 1 SGB XII nicht entgegen.

35

Die Klägerin zu 1 war danach nicht von Leistungen für den Lebensunterhalt ausgeschlossen, weil die "Systemabgrenzung" zwischen SGB II und SGB XII nicht auf das schlichte Kriterium der Erwerbsfähigkeit reduziert werden kann, sondern differenzierter ist (BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 40 ff; BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR, RdNr 38; jeweils mwN). Im Sinne der mit § 5 Abs 2 Satz 1 SGB II korrespondierenden Abgrenzungsregelung des § 21 Satz 1 SGB XII sind nach dem SGB II "als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt" grundsätzlich die Personen nicht, die auch bei Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen des SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind. Diese Personen können Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII erhalten, wenn sie nicht auch durch das SGB XII von Leistungen ausgeschlossen sind (wie zB durch § 22 SGB XII, der § 7 Abs 5 und 6 SGB II entspricht, oder durch § 23 Abs 2 SGB XII, der § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB II entspricht).

36

Dagegen spricht nicht, dass in den Gesetzesmaterialien abweichende Regelungsvorstellungen zum Ausdruck gelangt sind. Denn soweit § 21 SGB XII ausweislich der Materialien durch die Anknüpfung an die Eigenschaft als Erwerbsfähige oder deren Angehörige nach dem SGB II eine eindeutige Abgrenzung leisten sollte(Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 5.9.2003, BT-Drucks 15/1514 S 57), ist diese allein auf das Kriterium der Erwerbsfähigkeit abstellende Abgrenzung der existenzsichernden Leistungssysteme in den gesetzlichen Abgrenzungsregelungen des SGB II und des SGB XII so nicht verwirklicht worden. Zudem sind diese seit ihrem Inkrafttreten am 1.1.2005 bereits mehrfach geändert worden.

37

12. Die Klägerin zu 1 unterliegt indes dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII. Danach haben Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, sowie ihre Familienangehörigen keinen Anspruch auf Sozialhilfe.

38

a) Zwar ist die Klägerin zu 1 nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG nicht eingereist, um iS des § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB XII Sozialhilfe zu erlangen. Hierfür wäre Voraussetzung, dass der Zweck, Sozialhilfe zu erlangen, den Einreiseentschluss geprägt hat (BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 45 mwN). Ein solcher finaler Zusammenhang ist hier nicht gegeben, denn die Klägerin zu 1 ist eingereist zu ihrem und zum Schutz ihrer ungeborenen Kinder vor ihrem Ex-Freund. Doch sind ebenso wie nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nach § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB XII EU-Ausländer, die weder über eine Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, noch ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG verfügen, vom Anspruch auf Sozialhilfe ausgeschlossen(BSG, aaO, RdNr 48 ff).

39

b) Das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA steht diesem Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nicht entgegen (zur Anwendbarkeit des EFA im Rahmen des SGB XII BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 59/13 R - juris RdNr 20 ff), weil die Klägerin zu 1 bulgarische Staatsangehörige und Bulgarien kein Unterzeichnerstaat dieses Abkommens ist. Durchgreifende Gründe, dieses völkerrechtliche Abkommen zwischen bestimmten Staaten, die zwar (mittlerweile) größtenteils zur EU gehören, auf die Staatsangehörigen auch anderer Mitgliedstaaten der EU auszudehnen (so wohl Eichenhofer, SGb 2011, 458), sind nicht zu erkennen (BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR, RdNr 34). Der Ausschluss vom Anspruch auf Sozialhilfe ist auch mit dem EU-Recht vereinbar; hier gilt nichts anderes wie zum Leistungsausschluss im SGB II.

40

13. Die Anwendung des Leistungsausschlusses nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII führt indes nicht zum Ausschluss auch von Ermessensleistungen nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII.

41

§ 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII beinhaltet, wie schon dem Wortlaut entnommen werden kann, nur einen Ausschluss von einem Anspruch auf Sozialhilfe iS des § 23 Abs 1 Satz 1 SGB XII, nicht aber von im Wege des Ermessens zu gewährenden Leistungen der Sozialhilfe, wie sie § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII vorsieht(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 51 f mwN, auch auf die Rspr des BVerwG zur Vorläufervorschrift in § 120 BSHG). Aufgrund dieser Ermessensregelung in § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII kommen für vom Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII erfasste Personen auch die Leistungen nach dem SGB XII in Betracht, auf die für nicht vom Leistungsausschluss erfasste Personen ein Anspruch nach § 23 Abs 1 Satz 1 SGB XII besteht. Dieses Verständnis des systematischen Verhältnisses von § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII zu § 23 Abs 1 Satz 1 und 3 SGB XII, das den Zugang zu den Leistungen nach dem SGB XII, insbesondere der Hilfe zum Lebensunterhalt, eröffnet, ist angezeigt in einer verfassungsrechtlichen Perspektive durch das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG(zu diesem grundlegend BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) bei einem tatsächlichen Aufenthalt eines Ausländers in Deutschland, gegen den ausländerbehördliche Maßnahmen nicht ergriffen werden, sondern dessen Aufenthalt faktisch geduldet wird (vgl zur Geltung des Grundrechts als Menschenrecht für ausländische Staatsangehörige, die sich in Deutschland aufhalten, BVerfG Urteil vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10 ua - BVerfGE 132, 134, insbesondere RdNr 63; dort auch RdNr 92 ff zur insoweit ohnehin nur begrenzten Relevanz der Aufenthaltsdauer).

42

Auf die Möglichkeit einer Heimkehr des Ausländers in sein Herkunftsland kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Diese Möglichkeit ist im Hinblick auf die Ausgestaltung des genannten Grundrechts als Menschenrecht schon verfassungsrechtlich jedenfalls solange unbeachtlich, wie der tatsächliche Aufenthalt in Deutschland von den zuständigen Behörden faktisch geduldet wird. Ungeachtet dessen findet der Verweis auf eine so verstandene Selbsthilfe in dieser Lage nach dem derzeit geltenden Recht auch sozialhilferechtlich keine Grundlage. Zwar erhält Sozialhilfe nach dem Nachranggrundsatz des § 2 Abs 1 SGB XII nicht, wer sich - vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens - selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Diese Vorschrift ist jedoch nach der Rechtsprechung des Sozialhilfesenats des BSG keine eigenständige Ausschlussnorm, sondern ihr kommt regelmäßig nur im Zusammenhang mit ergänzenden bzw konkretisierenden sonstigen Vorschriften des SGB XII Bedeutung zu; ein Leistungsausschluss ohne Rückgriff auf andere Normen des SGB XII ist mithin allenfalls in extremen Ausnahmefällen denkbar, etwa wenn sich der Bedürftige generell eigenen Bemühungen verschließt und Ansprüche ohne Weiteres realisierbar sind (stRspr; vgl zuletzt BSG Urteil vom 22.3.2012 - B 8 SO 30/10 R - BSGE 110, 301 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8, RdNr 25 mwN). Für die Annahme einer solchen Ausnahmelage fehlt indes - nachdem eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für einen Verweis auf die Rückkehr in das Heimatland nach geltendem Recht im SGB XII nicht besteht - ohne Begründung einer Ausreisepflicht des Ausländers als Ergebnis eines ausländerbehördlichen Verfahrens schon im Ansatz jeder Anhaltspunkt.

43

Auf dieser Grundlage hat die Klägerin zu 1 zunächst einen Anspruch gegen die Beigeladene auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Diese wird über das Leistungsbegehren der Klägerin zu 1 für die Zeit vom 15.2.2013 bis 14.5.2013 eine Ermessensentscheidung dem Grunde und der Höhe nach zu treffen haben. Bei dieser ist zu berücksichtigen, dass zum einen Ermessensgesichtspunkte dafür, Leistungen ganz abzulehnen, nicht ersichtlich sind, und zum anderen, dass neben den unmittelbar existenzsichernden Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 27 ff SGB XII auch Leistungen im Rahmen der Hilfen zur Gesundheit nach §§ 47 ff SGB XII in Betracht kommen, zumal für die in dieser Zeit hochschwangere Klägerin zu 1, die am 9.3.2013 ihre beiden Kinder gebar.

44

14. Ab 15.5.2013 stehen der Klägerin zu 1 sodann nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII aufgrund einer Ermessensreduzierung auf null Leistungen nach dem SGB XII zu.

45

Das Ermessen der Beigeladenen ist ab diesem Zeitpunkt dem Grunde und der Höhe nach auf null reduziert, weil sich der Aufenthalt der Klägerin zu 1 nach Ablauf von sechs Monaten tatsächlichem Aufenthalt in Deutschland so verfestigt hat, dass die Erbringung existenzsichernder Leistungen nur im Einzelfall nach Ermessen den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht mehr genügt (vgl BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 53 ff). Aufgrund dieser Anforderungen können EU-Ausländern nach Ablauf von sechs Monaten keine oder nur verminderte existenzsichernde Leistungen im Ermessenswege allenfalls gewährt werden, wenn sich ihr Aufenthalt trotz dieses Zeitablaufs entgegen dem Regelfall nicht verfestigt hat oder sie sich nur noch absehbar kurzzeitig in Deutschland aufhalten (vgl BSG, aaO, RdNr 58). Dies ist bei der Klägerin zu 1 nicht der Fall, nachdem die Ausländerbehörde das innerhalb der ersten sechs Monate eingeleitete Verlustfeststellungsverfahren aufgrund des Schicksals der Klägerin zu 1 nicht weiter betrieben und ihren weiteren Aufenthalt in Deutschland faktisch geduldet hat. Doch steht die Einleitung dieses Verlustfeststellungsverfahrens zugleich der ausnahmsweisen Annahme einer Aufenthaltsverfestigung abweichend vom Regelfall bereits vor Ablauf von sechs Monaten entgegen; eine Ermessensreduzierung auf null vor dem 15.5.2013 scheidet aus.

46

Mit der Verfestigung ihres tatsächlichen, von der Ausländerbehörde faktisch geduldeten Aufenthalts stehen der Klägerin zu 1 ausgehend vom Tag ihrer Einreise am 15.11.2012 nach Ablauf von sechs Monaten ab 15.5.2013 dem Grunde und der Höhe nach die gesetzlichen existenzsichernden Leistungen nach dem SGB XII zu. Auch insoweit gilt, dass diese Leistungen neben der Hilfe zum Lebensunterhalt auch die Hilfen zur Gesundheit nach dem SGB XII umfassen.

47

15. Für die am 9.3.2013 in Deutschland geborenen Kläger zu 2 und 3 gilt im Ergebnis nichts anderes. Sie haben keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II.

48

Abgesehen von dem hier nicht einschlägigen § 7 Abs 2 Satz 3 SGB II könnten sie einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II nur über eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 SGB II mit einer leistungsberechtigten Person haben. Die dafür vorliegend allein infrage kommende Klägerin zu 1 ist jedoch keine leistungsberechtigte Person nach dem SGB II, sondern - wie oben gezeigt - von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.

49

16. Doch sind ebenso wie für die Klägerin zu 1 auch für die Kläger zu 2 und 3 im streitigen Zeitraum Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren. Die Leistungsvoraussetzungen der Hilfe zum Lebensunterhalt erfüllten sie nach den Feststellungen des LSG zu den Voraussetzungen des § 7 Abs 2 Satz 1, Abs 3 Nr 4 SGB II.

50

Als Familienangehörige iS des § 3 Abs 1, Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU eines sich in Deutschland aufhaltenden EU-Ausländers unterliegen wie die Klägerin zu 1 zwar auch sie dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB XII. Für die Zeit vom 9.3.2013 bis 14.5.2013 haben sie indes wie die Klägerin zu 1 als deren mit ihr in einem Haushalt lebende Kinder aufgrund von § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII gegen die Beigeladene einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über Leistungen nach dem SGB XII. Ab 15.5.2013 stehen sodann auch ihnen aufgrund einer Ermessensreduzierung auf null dem Grunde und der Höhe nach die Leistungen nach dem SGB XII zu. Zwar hielten sie sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht länger als sechs Monate tatsächlich in Deutschland auf, doch kommen keine Ermessensgesichtspunkte dafür in Betracht, der Klägerin zu 1, ihrer Mutter, ab diesem Zeitpunkt Leistungen nach dem SGB XII im Wege einer Ermessensreduzierung auf null zuzuerkennen, den Klägern zu 2 und 3 aber noch nicht.

51

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Gegen das Urteil eines Sozialgerichts steht den Beteiligten die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz zu, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und wenn sie von dem Sozialgericht im Urteil oder auf Antrag durch Beschluß zugelassen wird. Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag oder, wenn die Revision im Urteil zugelassen ist, der Revisionsschrift beizufügen.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 vorliegen. Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden. Die Ablehnung der Zulassung ist unanfechtbar.

(3) Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluß ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist oder der Frist für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung von neuem, sofern der Antrag in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war. Läßt das Sozialgericht die Revision durch Beschluß zu, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(4) Die Revision kann nicht auf Mängel des Verfahrens gestützt werden.

(5) Die Einlegung der Revision und die Zustimmung des Gegners gelten als Verzicht auf die Berufung, wenn das Sozialgericht die Revision zugelassen hat.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

Tatbestand

1

Streitig ist der Anspruch der Kläger auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Zeitraum vom 7.2.2006 bis 31.5.2006.

2

Die Kläger sind verheiratet und bewohnen gemeinsam eine 60,95 m2 große Mietwohnung, für die sie eine Nettokaltmiete von 290,44 Euro, Nebenkosten von 68,64 Euro und eine Heizkostenpauschale von 66,87 Euro monatlich zu entrichten haben. Der Kläger zu 2 bezog bis 30.3.2006 Arbeitslosengeld (Alg) in Höhe von 19,60 Euro kalendertäglich. Im Februar 2006 erzielte er ein Nebeneinkommen von 165 Euro und von März bis Mai 2006 in Höhe von 100 Euro. Die Klägerin zu 1 erhielt bis 28.2.2006 kalendertäglich 23,55 Euro Alg und ab dem 1.3.2006 bis zum 31.8.2006 Überbrückungsgeld nach § 57 SGB III in Höhe von monatlich 1197,52 Euro für die Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit.

3

Am 7.2.2006 beantragten die Kläger die Gewährung von Arbeitslosengeld II (Alg II) bei der Beklagten. Sie gaben ua an, Beiträge für Kfz-Haftpflichtversicherungen des Klägers zu 2 in Höhe von 84,60 Euro und der Klägerin zu 1 in Höhe von 79,10 Euro vierteljährlich zu zahlen. 33,56 Euro wandte die Klägerin zu 1 ab dem 1.3.2006 für Beiträge zur freiwilligen Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung, 255,41 Euro für die freiwillige Kranken- und 31,24 Euro monatlich für die soziale Pflegeversicherung auf. Mit der selbstständigen Erwerbstätigkeit erwirtschafte sie lediglich Verluste.

4

Durch Bescheid vom 12.4.2006 lehnte die Beklagte die Gewährung der beantragten Leistungen mit der Begründung ab, die Kläger seien nicht hilfebedürftig. Sie könnten ihren Bedarf aus ihrem Einkommen decken. Als Bedarf legte die Beklagte eine Regelleistung (Ost) von jeweils 298 Euro zu Grunde. Die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung berücksichtigte sie in tatsächlicher Höhe minus eines Betrags von 11,76 Euro (1. Person 8,18 Euro und 2. Person 3,58 Euro) für die Warmwasserbereitung. Insgesamt bemaß sie den Bedarf mit 1010,19 Euro (596 Euro Regelleistung plus 414,19 Euro Leistungen für Unterkunft und Heizung). Dem sei das Einkommen der Kläger im Monat Februar 2006 aus Alg und Nebeneinkommen sowie im März 2006 aus Alg, Nebeneinkommen und Überbrückungsgeld und ab April 2006 schließlich aus Nebeneinkommen und Überbrückungsgeld gegenüberzustellen. Auch unter Absetzung der Freibeträge (100 Euro Grundfreibetrag und Freibetrag nach § 30 SGB II auf das Nebeneinkommen im Februar 2006; 100 Euro Grundfreibetrag auf das Nebeneinkommen und Versicherungspauschale von 30 Euro auf das Überbrückungsgeld ab März 2006; zusätzlich Abzug der Kfz-Versicherungsbeiträge ab April 2006 vom Überbrückungsgeld) übersteige das Einkommen der Kläger ihren Bedarf iS des SGB II. Den Widerspruch der Kläger wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 15.6.2006 zurück.

5

Ab August 2006 hat die Beklagte der Klägerin zu 1 einen Zuschuss zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung nach § 26 SGB II in Höhe von monatlich 28,76 Euro gewährt und nach Auslaufen des Leistungszeitraums für das Überbrückungsgeld am 31.8.2006 haben die Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 1036,19 Euro erhalten.

6

Das SG Dresden hat die Klage auf Grundsicherungsleistungen durch Gerichtsbescheid vom 5.3.2008 abgewiesen. Das Sächsische LSG hat die Berufung der Kläger hiergegen zurückgewiesen (Urteil vom 2.2.2009). Zwar betrage der Abzug für die Bereitung von Warmwasser unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung lediglich 10,74 Euro (2 x 5,37 Euro), sodass sich insgesamt ein Bedarf der Bedarfsgemeinschaft von 1012 Euro ergebe. Ansonsten seien die Berechnungen der Beklagten jedoch zutreffend. Das Überbrückungsgeld sei vollständig - unter Abzug der Versicherungspauschale - als Einkommen bei der Berechnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu berücksichtigen. Ebenso wie der Existenzgründungszuschuss nach § 421l SGB III habe auch das Überbrückungsgeld unterhaltssichernde Funktion und diene daher demselben Zweck wie die Existenzsicherungsleistung nach dem SGB II. Dieses folge bereits aus dem Wortlaut des § 57 Abs 1 SGB III. Soweit das Überbrückungsgeld nach § 57 Abs 1 SGB III auch für die soziale Sicherung in der Zeit der Existenzgründung vorgesehen sei, folge hieraus nicht, dass die im Überbrückungsgeld enthaltenen pauschalierten Sozialversicherungsbeiträge als zweckbestimmte Einnahmen iS des § 11 Abs 3 Buchst a SGB II von der Einkommensberücksichtigung auszunehmen seien. Zum einen sei der Leistungsempfänger nicht verpflichtet, sich sozialzuversichern. Zudem sei er als Aufstocker im SGB II zugleich in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung pflichtversichert, sodass er auch den für soziale Sicherung vorgesehenen Teil des Überbrückungsgeldes von vornherein nicht für die Beitragsentrichtung einsetzen müsse. Er sei dann insofern doppelt begünstigt. Zudem werde dem Bezieher von Überbrückungsgeld, der keine aufstockenden Leistungen nach dem SGB II erhalte, ein Zuschuss zu den freiwilligen Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung nach § 26 SGB II gewährt, wenn ihm nur wegen dieser Beiträge Hilfebedürftigkeit drohe. Auch im Hinblick auf den Beitrag zur freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung sei eine Zweckbestimmung iS des § 11 Abs 3 Buchst a SGB II nicht gegeben. Dieser Beitrag sei nach § 11 Abs 2 SGB II als Freibetrag vom Einkommen abzusetzen, im vorliegenden Fall seien derartige Beiträge jedoch nicht entrichtet worden.

7

Die Kläger haben die vom BSG zugelassene Revision eingelegt. Zur Begründung führen sie aus, nach dem Wortlaut des § 57 Abs 1 SGB III diene das Überbrückungsgeld eindeutig nicht allein der Lebensunterhaltssicherung, sondern teilweise auch der sozialen Sicherung in der Zeit der Existenzgründung. Zumindest letzterer Teil sei eine zweckbestimmte Einnahme, die nicht als Einkommen im Rahmen der Berechnung des Leistungsanspruchs nach dem SGB II berücksichtigt werden dürfe. Das Überbrückungsgeld sei auch nicht mit dem Existenzgründungszuschuss nach § 421l SGB III zu vergleichen. Es handele sich um unterschiedliche Leistungen, die nebeneinander im SGB III vorgesehen und unterschiedlich ausgestaltet gewesen seien. § 421l SGB III enthalte - anders als § 57 Abs 1 SGB III - keinen Hinweis auf eine zumindest teilweise Zweckbestimmung der Leistung, sodass die Überlegungen des 14. Senats in dem Urteil vom 6.12.2007 insoweit nicht zum Tragen kämen.

8

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sächsischen LSG vom 2.2.2009 und den Gerichtsbescheid des SG Dresden vom 5.3.2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12.4.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.6.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihnen im Zeitraum vom 7.2.2006 bis 31.5.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

9

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

10

Sie hält die Ausführungen des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision ist unbegründet.

12

Die Beklagte hat zu Recht die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Zeitraum vom 7.2. bis 31.5.2006 versagt. Das Einkommen der Kläger übersteigt im gesamten streitigen Zeitraum deren grundsicherungsrechtlichen Bedarf. Von März bis Mai 2006 hat die Beklagte zutreffend das der Klägerin zu 1 gewährte Überbrückungsgeld nach § 57 SGB III als Einkommen bei der Berechnung von Regelleistung und Leistungen für Unterkunft und Heizung berücksichtigt. Es ist auch nicht ein Teil der Leistung nach § 57 Abs 1 SGB III für "soziale Sicherung" pauschaliert oder in Höhe der tatsächlich entrichteten Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung als zweckbestimmte Einnahme iS des § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II von der Einkommensberücksichtigung auszunehmen. Auch dieser Leistungsanteil "soziale Sicherung" dient demselben Zweck wie Leistungen nach dem SGB II. Alg II-Leistungsbezieher sind "kostenlos" in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung abgesichert. Zudem sind im SGB II Instrumente zur Kompensation von Aufwendungen für eine darüber hinausgehende dem Grunde und der Höhe nach angemessene soziale Sicherung ausdrücklich vorgesehen. Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung für Selbstständige sind als dem Grunde nach angemessen iS des § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II vom Einkommen vor dessen Berücksichtigung bei der Berechnung des Alg II abzusetzen.

13

1. Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 12.4.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.6.2006, mit dem diese die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab dem 7.2.2006 abgelehnt hat. Grundsätzlich erstreckt sich bei einer vollständigen Versagung von Leistungen der streitige Leistungszeitraum zwar bis zur letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (vgl BSG Urteil vom 6.9.2007 - B 14/7b AS 28/06 R, SozR 4-4200 § 7 Nr 8; vom 16.5.2007 - B 11b AS 37/06 R, BSGE 98, 243 = SozR 4-4200 § 12 Nr 4). Da die Beklagte jedoch über den Anspruch der Kläger durch Bescheid vom 25.10.2006 für den Zeitraum ab dem 1.9.2006 erneut entschieden hat (vgl BSG Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 59/06 R) und die Kläger im Berufungsverfahren den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid nur im Hinblick auf die abgelehnte Leistungsgewährung bis zum 31.5.2006 angegriffen haben, ist der streitige Zeitraum hier vom 7.2. bis 31.5.2006 begrenzt. Eine weitere Eingrenzung des Streitgegenstandes haben die Kläger nicht vorgenommen, sodass der geltend gemachte Anspruch auf Alg II im streitigen Zeitraum unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu überprüfen ist.

14

2. Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG erfüllten die Kläger im streitigen Zeitraum die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1, 2 und 4 SGB II. Gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Nr 1), erwerbsfähig sind (Nr 2) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr 4). Sie waren jedoch nicht hilfebedürftig iS des § 9 Abs 1 SGB II, weil sie ihren Lebensunterhalt ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln aus dem zu berücksichtigenden Einkommen sichern konnten, insbesondere durch Sozialleistungen eines anderen Trägers.

15

a) Für den Monat Februar 2006 hat das LSG einen Leistungsanspruch der Kläger zutreffend abgelehnt. Zwar ist das LSG rechenfehlerhaft von einem Bedarf der Kläger in Höhe von 1012 Euro ausgegangen. Es hat die Regelleistung nach § 20 Abs 3 iVm § 20 Abs 2 Halbs 2 SGB II in der Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I 2954) mit 2 x 298 Euro angesetzt. Die Kosten für Unterkunft und Heizung (435,94 Euro brutto warm) minus des Abzugs für die Warmwasserbereitung (2 x 5,37 Euro; BSG Urteil vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 32/06 R, BSGE 100, 83 = SozR 4-4200 § 20 Nr 6) betragen insgesamt 425,20 Euro. Für jeden Kläger ergibt sich daher ein monatlicher Bedarf - unter Beachtung der Rundungsvorschrift des § 41 Abs 2 SGB II - in Höhe von 511 Euro, mithin ein Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft von 1022 Euro. Umgerechnet auf den im Februar 2006 nur 22-tägigen Leistungsanspruch (Antragstellung am 7.2.2006) folgt hieraus ein Gesamtbedarf von 862 Euro. Das Einkommen der Kläger überschreitet im Februar 2006 diesen Bedarf. Der Kläger zu 2 bezog vom 7.2. bis 28.2.2006 Alg in Höhe von 19,60 Euro (22 x 19,60 Euro = 431,20 Euro) und die Klägerin zu 1 von 23,55 Euro jeweils kalendertäglich (22 x 23,55 Euro = 518,10 Euro). Zudem erzielte der Kläger zu 2 Einkommen aus Erwerbstätigkeit in Höhe von 165 Euro, das bei der Leistungsberechnung nach Abzug des Grundfreibetrags von 100 Euro und des Freibetrags bei Erwerbstätigkeit nach § 30 SGB II mit 38,13 Euro zu berücksichtigen ist. Insgesamt verfügten sie damit über ein ihren Bedarf übersteigendes, berücksichtigungsfähiges Einkommen von 987,43 Euro.

16

b) Auch in den Monaten März bis Mai 2006 überstieg trotz des Wegfalls des Alg der Klägerin zu 1 ab 1.3.2006 und des Klägers zu 2 ab 31.3.2006 das Einkommen der Kläger deren grundsicherungsrechtlichen Bedarf. Das der Klägerin zu 1 gewährte Überbrückungsgeld nach § 57 SGB III in Höhe von monatlich 1197,52 Euro hat diesen Wegfall kompensiert. Im Gegensatz zur Auffassung der Kläger ist das Überbrückungsgeld auch der Leistungsberechnung als Einkommen zu Grunde zu legen.

17

Nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen und der Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem BVG. Das Überbrückungsgeld nach § 57 SGB II unterfällt keiner der in § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II benannten Ausnahmen. Es ist auch nicht als zweckbestimmte Leistung iS des § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II von der Einkommensberücksichtigung auszunehmen.

18

Nach § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II sind nicht als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen, … einem anderen Zweck als die Leistungen nach diesem Buch dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären. Das Überbrückungsgeld dient dem gleichen Zweck wie die Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (im Ergebnis ebenso: LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 13.2.2008 - L 32 B 59/08 AS ER; Hessisches LSG Beschluss vom 24.4.2007 - L 9 AS 284/06 ER, RdNr 42; LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 21.3.2007 - L 1 AS 19/06, RdNr 25; LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 23.12.2005 - L 2 B 84/05 AS ER, RdNr 22; SG Berlin Beschluss vom 28.7.2008 - S 159 AS 21256/08 ER, RdNr 22; SG Lüneburg vom 14.3.2008 - S 30 AS 308/08 ER; Brühl in LPK SGB II, 3. Aufl 2009, § 11 RdNr 67; Hengelhaupt jurisPR-SozR 18/2008, Anm 1; Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 22 RdNr 39; aA hinsichtlich des Anteils für "soziale Sicherung" wohl Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, Stand VIII/08, § 11 RdNr 266b; zT Ausführungen schon bezogen auf den Gründungszuschuss nach §§ 57, 58 SGB III, der die Leistungen "Überbrückungsgeld" und "Existenzgründungszuschuss" in einer Leistung zusammengefasst hat).

19

Sinn des § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II ist es zu verhindern, dass die besondere Zweckbestimmung einer Leistung durch Berücksichtigung als Einkommen im Rahmen des SGB II verfehlt wird, sowie dass für einen identischen Zweck Doppelleistungen erbracht werden( vgl BSG Urteil vom 5.9.2007 - B 11b AS 15/06 R, BSGE 99, 47, 57 = SozR 4-4200 § 11 Nr 5; BSG Urteil vom 6.12.2007 - B 14/7b AS 62/06 R und - B 14/7b AS 20/07 R zur Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung). Die Zweckbestimmung kann sich aus einer öffentlich-rechtlichen Norm ergeben (vgl BSG Urteil vom 6.12.2007 - B 14/7b AS 16/06 R, BSGE 99, 240, 248 = SozR 4-4200 § 11 Nr 8), jedoch können auch zweckbestimmte Einkünfte auf privatrechtlicher Grundlage darunter fallen (BSG Urteil vom 3.3.2009 - B 4 AS 47/08 R, BSGE 102, 295). Dient die zweckbestimmte Einnahme dem gleichen Zweck wie die Leistung nach dem SGB II, ist sie von vornherein nicht nach § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II als Einkommen von der Berücksichtigung bei der Leistungsberechnung auszunehmen. So liegt der Fall hier.

20

Aus dem Wortlaut des § 57 Abs 1 SGB III ergibt sich, dass die Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts bestimmt ist. Nach § 57 Abs 1 SGB III in der Fassung des 2. Gesetzes zur Änderung des SGB III und anderer Gesetze vom 21.7.1999 (BGBl I 1648) haben Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbstständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden oder vermeiden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Anspruch auf Überbrückungsgeld. Es liegt Zweckidentität mit den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vor. Auch das Alg II dient der Sicherung des Lebensunterhalts von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, soweit die Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig beseitigt werden kann (BT-Drucks 15/1516 S 56; vgl BSG Urteil vom 29.3.2007 - B 7b AS 12/06 R, SozR 4-4200 § 11 Nr 3 RdNr 17). Das Überbrückungsgeld nach § 57 SGB III unterscheidet sich damit nicht von dem Existenzgründungszuschuss nach § 421l SGB III, für den der 14. Senat des BSG bereits Zweckidentität angenommen hat ( BSG Urteil vom 6.12.2007 - B 14/7b AS 16/06 R, BSGE 99, 240, 248 = SozR 4-4200 § 11 Nr 8). Der erkennende Senat schließt sich den dortigen Ausführungen an.

21

Das Überbrückungsgeld des § 57 SGB III ist auch nicht deswegen im Hinblick auf seine Zweckbestimmung anders zu beurteilen als der Existenzgründungszuschuss des § 421l SGB III, weil in § 57 Abs 1 SGB III zugleich auch die Funktion der "sozialen Sicherung" genannt wird. Die Benennung eines Verwendungszwecks in einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift alleine führt nicht dazu, eine Leistung nach § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II von der Einkommensberücksichtigung nach dem SGB II auszunehmen, denn auch der Leistungsanteil "soziale Sicherung" des Überbrückungsgeldes findet sein Pendant in der Grundsicherungsleistung. Insoweit liegt ebenfalls Zweckidentität der Leistungen vor.

22

Die soziale Absicherung von Alg II-Empfängern ist eine Annex-Leistung zu der Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts. Alg II-Bezieher sind in der gesetzlichen Kranken- und Renten- sowie der sozialen Pflegeversicherung pflichtversichert, soweit sie nicht ausnahmsweise auf Grund vorhergehender Befreiungstatbestände hiervon ausgenommen sind (vgl § 26 Abs 1 und 2 SGB II in der hier anzuwendenden Fassung des 4. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003, BGBl I 2954). Das Alg II umfasst neben der Regelleistung die Beiträge zu den zuvor benannten Versicherungszweigen (BT-Drucks 15/1516, S 55). Die soziale Absicherung im SGB II erfolgt mithin durch die vom Grundsicherungsträger gezahlten Pflichtbeiträge und dient damit demselben Zweck wie die von dem Übergangsgeldbezieher gezahlten freiwilligen Beiträge.

23

Für gleichwohl gezahlte freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung sieht das SGB II - auch für Übergangsgeldempfänger - zudem eine Kompensationsmöglichkeit vor. § 26 Abs 3 SGB II(in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006, BGBl I 1706) ermöglicht einen Zuschuss des Grundsicherungsträgers zu diesen freiwilligen Beiträgen, wenn Hilfebedürftigkeit allein durch diese Aufwendungen entsteht. Diese am 1.8.2006 in Kraft getretene Regelung ist auch der Klägerin zu 1 zu Gute gekommen, allerdings noch nicht für den hier streitigen Zeitraum. Bis zum 1.8.2006 und heute - soweit Hilfebedürftigkeit nicht nur durch die Beitragszahlung eintritt - sind, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, die freiwilligen Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung während des Alg II-Bezugs vom Leistungsempfänger selbst zu tragen. Die Zahlung freiwilliger Beiträge während des Alg II-Bezugs ist nicht zur Existenzsicherung erforderlich, sodass es systemwidrig wäre, sie gleichwohl von der Berücksichtigung des zur Sicherung des Lebensunterhalts einzusetzenden Einkommens als zweckbestimmten Einnahmeanteil auszunehmen. Insoweit ist ein Gleichklang mit der spiegelbildlichen Vorschrift des § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II herzustellen. Auf Grund der während des Leistungsbezugs bestehenden Pflichtversicherung handelt es sich bei den freiwilligen Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung nicht um angemessene Beiträge iS des § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II; sie könnten also auch nicht vom Einkommen vor dessen Berücksichtigung in Abzug gebracht werden.

24

Grundsätzlich gilt für die Beiträge zur freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung nichts anderes. Mit dem Alg II-Bezug tritt nach § 3 Satz 1 Nr 3 Buchst a SGB VI Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ein. Die Kompensationsmöglichkeiten des § 26 Abs 1 SGB II sind jedoch im Hinblick auf die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung deutlich eingeschränkter als bei den Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung. Inwieweit hieraus eine andere Behandlung als die der Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung zu folgen hat (vgl den Sachverhalt des Urteils des 14. Senats des BSG vom 6.12.2007 - B 14/7b AS 16/06 R - BSGE 99, 240, 247 = SozR 4-4200 § 11 Nr 8), konnte der Senat hier jedoch dahinstehen lassen. Die Klägerin zu 1 hat nach den Feststellungen des LSG keine Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet.

25

Für die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gilt etwas anderes. Die grundsätzliche Unbestimmtheit im Hinblick auf den Verwendungszweck der "sozialen Sicherung", wie sie der 14. Senat zum Existenzgründungszuschuss ausführlich dargelegt hat, betrifft zwar den gesamten Teil "soziale Sicherung" der Leistung "Überbrückungsgeld", einschließlich seines Einsatzes zur Sicherung als Selbstständiger in der Arbeitslosenversicherung ( BSG Urteil vom 6.12.2007 - B 14/7b AS 16/06 R - BSGE 99, 240, 247 = SozR 4-4200 § 11 Nr 8). Daher ist auch insoweit nicht von einer zweckbestimmten Einnahme auszugehen, selbst dann nicht, wenn tatsächlich freiwillig Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichtet werden. Da andererseits Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung mit dem Alg II-Bezug nicht eintritt und durch die Entrichtung von freiwilligen Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung ein zeitnaher Anspruch auf eine andere Sozialleistung aufgebaut werden kann, handelt es sich bei freiwilligen Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung um dem Grunde nach angemessene Beiträge iS des § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II, die vom Einkommen vor dessen Berücksichtigung abgesetzt werden können.

26

Nach § 28a Abs 1 Nr 2 SGB III können Personen auf Antrag ein Versicherungspflichtverhältnis begründen, die eine selbstständige Tätigkeit mit einem Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich aufnehmen und ausüben. Diese Regelung kann dazu beitragen - sofern der Hilfebedürftige von ihr Gebrauch machen kann und Gebrauch macht - das zentrale Ziel des SGB II zu erreichen, die Hilfebedürftigkeit zu überwinden. Durch die Gewährung des Überbrückungsgeldes wird der Alg-Anspruch aufgezehrt und bei erneutem Eintritt von Arbeitslosigkeit verbleibt - ohne Pflichtversicherung als Selbstständiger - danach nur der Leistungsanspruch nach dem SGB II. Mit der Versicherung nach § 28a SGB III kann der Selbstständige - setzt er etwa die Beitragszahlung nach dem Auslaufen des Überbrückungsgeldanspruchs fort - jedoch nach zwölfmonatiger Beitragszahlung einen erneuten Alg-Anspruch erwerben. Auch wenn es sich insoweit nicht um eine gesetzliche Verpflichtung zur Versicherung handelt, so gebieten doch gerade die §§ 3 und 5 SGB II mit ihrer Forderung nach Beendigung der Hilfebedürftigkeit - auch durch Inanspruchnahme anderer Sozialleistungen - hier die Angemessenheit der Beitragszahlung iS des § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II anzunehmen.

27

c) Die Kläger haben jedoch selbst dann, wenn der von der Klägerin zu 1 nach den Feststellungen des LSG geleistete Beitrag zur Arbeitslosenversicherung in Höhe von 33,56 Euro vom Überbrückungsgeld abzusetzen wäre keinen Anspruch auf Alg II im Zeitraum vom 1.3. bis 31.5.2006.

28

Hinsichtlich der Bedarfsberechnung wird auf die obigen Ausführungen zum Monat Februar 2006 verwiesen. Auf der Einkommensseite waren im März 2006 das Alg des Klägers zu 2 in Höhe von 30 x 19,60 Euro = 588 Euro und das Überbrückungsgeld der Klägerin zu 1 in Höhe von 1197,52 Euro zu Grunde zu legen. Das Nebeneinkommen des Klägers zu 2 in Höhe von 100 Euro bleibt berücksichtigungsfrei - ihm ist der Grundfreibetrag nach § 11 Abs 2 Satz 2 SGB II entgegenzusetzen. Das Überbrückungsgeld ist zudem um die Versicherungspauschale in Höhe von 30 Euro zu bereinigen. Hieraus folgt ein Einkommen der Bedarfsgemeinschaft von 1755,52 Euro. Zieht man hiervon weiter die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von 33,56 Euro und - im Gegensatz zum Vorgehen der Beklagten - auch die Beiträge zur Kfz-Versicherung der Klägerin zu 1 von monatlich 26,37 Euro ab, steht dem Bedarf von 1022 Euro im Monat März 2006 ein Einkommen von 1695,59 Euro gegenüber.

29

In den Monaten April und Mai 2006 war zwar das Alg des Klägers zu 2 entfallen und sein Einkommen aus Erwerbstätigkeit in Höhe von 100 Euro hatte auch in diesem Zeitraum unberücksichtigt zu bleiben. Von dem Überbrückungsgeld der Klägerin zu 1 in Höhe von 1197,52 Euro sind wiederum 30 Euro für Versicherungen und die Kfz-Haftpflichtprämie in Abzug zu bringen. Es verbleiben alsdann 1141,15 Euro Einkommen. Bereinigt um die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung in Höhe von 33,56 Euro ergibt sich mit 1107,59 Euro immer noch ein den Bedarf der Kläger übersteigendes Einkommen.

30

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Mai 2012 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen, soweit das Landessozialgericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen hat.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt für den Zeitraum vom 13.7. bis 30.9.2005 höheres Arbeitslosengeld II (Alg II) nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) und anschließend die Leistung dem Grunde nach. Umstritten ist insbesondere, inwieweit eine von ihrem Ehemann bezogene Verletztenrente, wegen der Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) ruhen, als Einkommen zu berücksichtigen ist.

2

Die am 14.8.1948 geborene Klägerin ist mit dem am 13.9.1940 geborenen früheren Kläger zu 1 verheiratet. Der Ehemann der Klägerin wurde am 30.7.1996 im Rahmen seiner Berufstätigkeit Opfer eines Gewaltverbrechens. Durch den Vorfall hat er erhebliche dauerhafte Verletzungen davongetragen. Der Freistaat Sachsen erkannte das Attentat als Gewalttat nach dem OEG an, stellte Gesundheitsbeeinträchtigungen als Folgen dieser Tat nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE), heute: Grad der Schädigungsfolgen (GdS), von 100 vH fest und gewährte als Leistungen eine entsprechende Grundrente, Pflegezulage, Schwerstbeschädigtenzulage, Ausgleichsrente und einen Kinder- sowie Ehegattenzuschlag. Im Jahr 2000 erkannte die zuständige Berufsgenossenschaft (BG) das Attentat als Arbeitsunfall nach § 8 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) an und gewährte rückwirkend Pflegegeld sowie eine Verletztenrente. Wegen der Anrechnung der Verletztenrente nach dem SGB VII auf die Leistungen nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG und wegen weiterer Ansprüche schweben zwischen dem Ehemann und dem Freistaat Sachsen noch mehrere gerichtliche Verfahren.

3

Am 13.7.2005 beantragten die Klägerin und ihr Ehemann bei dem Beklagten, dem für ihren damaligen Wohnort zuständigen Jobcenter, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Zu diesem Zeitpunkt bezog der Ehemann von der BG monatlich eine Verletztenrente in Höhe von 3014,98 Euro und Pflegegeld in Höhe von 818,38 Euro und gab an, keine weiteren Einkünfte zu haben. Für seine private Krankenversicherung wandte er monatlich 587,27 Euro auf. Die Klägerin war zu Lasten des Freistaats Sachsen nach den Regelungen des BVG Mitglied einer gesetzlichen Krankenversicherung. Daneben bestand eine private Krankenzusatzversicherung, für die 213,48 Euro monatlich zu zahlen waren. Die Eheleute bewohnten eine Eigentumswohnung, nutzten aber zudem eine weitere eigene Wohnung in demselben Haus, wobei ein Zimmer jener Wohnung als Archiv diente. Für beide Wohnungen waren monatlich Schuldzinsen von 386,80 Euro an die Kreissparkasse und von 740 Euro an eine Bausparkasse zu zahlen. Die Grundsteuer für die überwiegend bewohnte Wohnung betrug jährlich 175,23 Euro, die Vorauszahlungen auf die Nebenkosten inklusive Heizung und Warmwasser betrugen 160 Euro monatlich. Der Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 15.7.2005). Einem monatlichen Bedarf von 2482,27 Euro, bestehend aus den Regelbedarfen von zusammen 622 Euro, der Krankenversicherung des Ehemanns von 587,27 Euro, Unterkunftskosten in Höhe von 1126 Euro sowie Nebenkosten in Höhe von 147 Euro (160 Euro abzüglich der Warmwasserpauschale), stehe ein Einkommen von 2984,98 Euro gegenüber, das sich aus der Verletztenrente von 3014,98 Euro abzüglich der Versicherungspauschale von 30 Euro zusammensetze. Der mit der Begründung, in der Verletztenrente seien sämtliche Leistungen nach dem OEG enthalten, die nicht als Einkommen auf andere Sozialleistungen angerechnet werden dürften und daher von der Verletztenrente abgesetzt werden müssten, erhobene Widerspruch wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 2.9.2005).

4

Die dagegen erhobenen Klagen hat das Sozialgericht (SG), das den örtlichen Träger der Sozialhilfe zum Rechtsstreit beigeladen hat, abgewiesen (Urteil vom 16.1.2008). Die Klage des früheren Klägers zu 1 wurde abgewiesen, weil er mit dem 12.9.2005 die Altersgrenze von 65 Jahren überschritten habe, außerdem sei er zuvor schon voll erwerbsgemindert gewesen, sodass ein Anspruch auf Alg II nicht bestehe. Die Klägerin sei nicht nach dem SGB II anspruchsberechtigt, weil sie nicht hilfebedürftig sei. Das Einkommen des Ehemanns reiche aus, um seinen und ihren Bedarf zu decken, denn die Verletztenrente sei in vollem Umfang anrechenbares Einkommen.

5

Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 16.5.2012 die Berufung des Ehemanns in vollem Umfang zurückgewiesen. Ansprüche nach dem SGB II stünden ihm aus den vom SG genannten Gründen nicht zu, Ansprüche nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) könnten nur gegen den Beigeladenen bestehen, mangels entsprechenden Antrags seien solche Ansprüche aber nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits. Die Klage der Klägerin sei hingegen zu einem Teil begründet. Sie erfülle die persönlichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Alg II. Für die Zeit ab Antragstellung vom 13.7. bis 30.9.2005 sei sie hilfebedürftig in Höhe von 556,90 Euro gewesen, denn aus verfassungsrechtlichen Erwägungen (Art 3 Abs 1 Grundgesetz ) sei der Teil der Verletztenrente des Ehemanns, der einer Grundrente nach § 31 BVG entspreche, anrechnungsfrei zu stellen; dies seien zunächst 621 Euro und ab September 2005 658 Euro monatlich gewesen. Zwar privilegiere § 11 Abs 1 Satz 1 Halbs 2 SGB II aF ausdrücklich nur die Grundrente nach dem BVG selbst und den Gesetzen, die das BVG für anwendbar erklärten, und eine analoge Anwendung auf die Verletztenrente sei wegen der bewussten Entscheidung des Gesetzgebers nicht möglich. Es sei aber aus Gleichbehandlungsgrundsätzen im Wege einer verfassungskonformen Auslegung der Teil der Verletztenrente als zweckbestimmte Einnahme nach § 11 Abs 3 Nr 1a SGB II aF abzusetzen, der der Höhe der Grundrente nach dem BVG entspreche, während weitere Beträge in Höhe der Schwerstbeschädigtenzulage, der Ausgleichsrente, des Berufsschadensausgleichs oder der Kinder- oder Ehegattenzulagen nicht von der Verletztenrente abgesetzt werden könnten. Für die Zeit vom 1.10.2005 bis Ende 2007 habe kein Anspruch mangels Hilfebedürftigkeit bestanden. Einem Anspruch gegen den Beklagten habe ab Ende 2007 der Umzug der Kläger aus dem Bezirk des Beklagten in einen anderen Landkreis, der sowohl örtlicher Sozialhilfeträger als auch zugelassener kommunaler Träger nach dem SGB II sei, entgegengestanden. Dort seien keine Leistungen beantragt worden.

6

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision. Sie rügt eine Verletzung von Art 3 Abs 1 GG iVm § 11 Abs 3 Nr 1a SGB II aF. Zu Unrecht sei das LSG davon ausgegangen, die Schwerstbeschädigtenzulage diene überwiegend der Sicherung des Lebensunterhalts. Die vom LSG herausgearbeiteten Besonderheiten der Beschädigtengrundrente träfen auch auf die Schwerstbeschädigtenzulage zu, die ebenfalls eine Entschädigung für die Beeinträchtigung der körperlichen Integrität darstelle und ebenso wie die Beschädigtengrundrente eine Leistung sei, welche die Allgemeinheit in Ansehung des von dem Berechtigten erbrachten Opfers erbringe. Dass auch die Schwerstbeschädigtenzulage zu den zweckbestimmten Einnahmen zähle, die einem anderen Zweck als dem des Alg II zu dienen bestimmt seien, ergebe sich auch aus den Durchführungshinweisen der Bundesagentur für Arbeit für die Anwendung des SGB II. Daher sei hier ebenso eine verfassungskonforme Auslegung notwendig. Dasselbe gelte auch für die Ausgleichsrente für Schwerbeschädigte. Insoweit habe der Gesetzgeber selbst angeordnet, dass die Leistung ganz oder teilweise einem anderen Zweck dienen solle als die Leistungen nach dem SGB II. Da es sich bei dem Zuschlag für Ehegatten um einen Zuschlag zur Ausgleichsrente handele, sei auch dieser im Wege der verfassungskonformen Auslegung ein Teil, der von der Verletztenrente als zweckbestimmte Einnahme abzusetzen sei. Es ergebe sich als Ergebnis bei der Einkommensberechnung für die Eheleute kein Einkommensüberhang für die Klägerin, sondern eine Unterdeckung ihres Bedarfs, sodass sie Anspruch auf weitere Leistungen nach dem SGB II habe.

7

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Mai 2012 und des Sozialgerichts Stuttgart vom 16. Januar 2008 zu ändern sowie den Bescheid des Beklagten vom 15. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. September 2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 13. Juli bis 30. September 2005 höheres Arbeitslosengeld II und für die Zeit vom 1. Oktober 2005 bis zum 16. Mai 2012 überhaupt Arbeitslosengeld II zu zahlen.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Der Beigeladene hat sich nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision der Klägerin hat im Sinne der Aufhebung der zweitinstanzlichen Entscheidung, soweit ihre Berufung zurückgewiesen worden ist, und der Zurückverweisung der Sache an das LSG Erfolg (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz). Auf der Grundlage der Feststellungen des LSG kann nicht abschließend entschieden werden, ob der Klägerin ein Anspruch auf höheres Alg II und anschließend auf Alg II dem Grunde nach zusteht.

11

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid des beklagten Jobcenters des ursprünglichen Wohnorts der Klägerin vom 15.7.2005, mit dem Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für sie und für ihren Ehemann nach dem SGB II vollständig abgelehnt wurden, in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.9.2005. Gegen die genannten Bescheide haben sich die Klägerin und zunächst auch ihr Ehemann in zulässiger Weise mit einer Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 SGG)gewandt, wobei nur eine Verurteilung dem Grunde nach beantragt wurde. Während das SG einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II vollständig verneint hat, hat das LSG den Beklagten zur Zahlung von 556,90 Euro an die Klägerin für den Zeitraum vom 13.7.2005 bis zum 30.9.2005 verurteilt und die Berufungen im Übrigen zurückgewiesen. Die allein die Revision führende Klägerin begehrt nunmehr ab dem Zeitpunkt der Antragstellung am 13.7.2005 bis zum 30.9.2005, also dem Zeitraum, für den das LSG ihr Leistungen zugesprochen hatte, höheres Alg II und für den Zeitraum danach überhaupt Alg II. Dabei ist wegen des in zeitlicher Hinsicht unbegrenzt gestellten Antrags und der vollständigen Leistungsablehnung grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG für das Ende des streitbefangenen Zeitraums maßgeblich (stRspr seit BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 30; vgl Krasney/ Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, VII. Kap RdNr 98). Diese fand am 16.5.2012 statt.

12

2. Der Begründetheit der Revision steht nicht entgegen, dass die Klägerin und ihr Ehemann ab einem nicht genau bezeichneten Zeitpunkt Ende Dezember 2007 durch einen Umzug in einen anderen Landkreis nicht mehr der örtlichen Zuständigkeit des beklagten Jobcenters unterfielen (vgl § 36 SGB II)und sie an ihrem neuen Wohnort keinen Leistungsantrag gestellt haben (vgl zum Antragserfordernis § 37 Abs 1 SGB II). Zwar ist der Beklagte seit ihrem Wegzug nicht mehr der örtlich zuständige Leistungsträger, sodass es an der Passivlegitimation hinsichtlich des Leistungsbegehrens fehlt. Die örtliche Zuständigkeit ist jedoch kein anspruchsbegründendes Element, weshalb der Antrag der Klägerin trotz Umzugs bis zur letzten mündlichen Verhandlung fortwirkt und über den geltend gemachten Anspruch auch entschieden werden kann, vielmehr sind weitere örtlich zuständige Leistungsträger im wiedereröffneten Berufungsverfahren beizuladen.

13

3. Die Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um abschließend darüber entscheiden zu können, ob der Klägerin die begehrte Leistung dem Grunde nach zusteht. Nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II(idF des Kommunalen Optionsgesetzes vom 30.7.2004 - BGBl I 2014: im Folgenden: SGB II aF) erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Nr 1), die erwerbsfähig (Nr 2) und hilfebedürftig (Nr 3) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr 4). Den Feststellungen in dem angefochtenen Urteil kann zwar entnommen werden, dass die Klägerin die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II hinsichtlich des Lebensalters, der Erwerbsfähigkeit und des gewöhnlichen Aufenthalts im streitgegenständlichen Zeitraum erfüllt hat, allerdings sind die Ausführungen des LSG zur Hilfebedürftigkeit der Klägerin nicht durch entsprechende Sachverhaltsfeststellungen getragen.

14

a) Nach § 9 Abs 1 SGB II aF ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus zu berücksichtigendem Einkommen und Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhält. Nach § 9 Abs 2 Satz 1 SGB II ist bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ua auch das Einkommen des Partners zu berücksichtigen, nach Satz 3 dieser Vorschrift gilt jede Person einer Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig, wenn in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt ist.

15

Die Klägerin, die mit ihrem Ehemann zusammengelebt hat, bildete mit diesem im streitigen Zeitraum eine Bedarfsgemeinschaft (vgl § 7 Abs 3 SGB II). Zur Prüfung eines Anspruchs der Klägerin ist daher der Bedarf beider Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft einerseits und das der Bedarfsgemeinschaft zufließende Einkommen und das eventuell vorhandene Vermögen andererseits gegenüberzustellen. Dabei stehen die Tatsachen, dass der Ehemann dauerhaft voll erwerbsgemindert war, am 13.9.2005 die Altersgrenze nach § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II überschritt und selbst keine Leistungen nach dem SGB II erhalten konnte, seiner Einbeziehung in die Bedarfsgemeinschaft nicht entgegen(stRspr, vgl zuletzt BSG Urteil vom 16.4.2013 - B 14 AS 71/12 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 12). Die Prüfung der Hilfebedürftigkeit der Klägerin ist nach den Grundsätzen durchzuführen, die das Bundessozialgericht (BSG) für sog gemischte Bedarfsgemeinschaften entwickelt hat (vgl grundlegend BSG Urteil vom 15.4.2008 - B 14/7b AS 58/06 R - juris RdNr 29 ff, SozR 4-4200 § 9 Nr 5). Danach ist in einem ersten Schritt der Bedarf der Klägerin zu bestimmen und in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob und in welchem Umfang dem Bedarf der Klägerin eigenes Einkommen oder Einkommen ihres Ehemanns sowie verwertbares Vermögen entgegensteht.

16

b) Der Bedarf der Klägerin setzte sich zusammen aus dem Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts (früher: Regelleistung, § 20 SGB II aF) und den Bedarfen für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II). Als Bedarf der Klägerin hat das LSG zunächst zutreffend - durch Verweis auf das Urteil des SG - die Regelleistung für Eheleute in Höhe von damals je 311 Euro zugrunde gelegt und ausgeführt, Beiträge für die private Krankenzusatzversicherung der Klägerin seien nicht zu berücksichtigen, da diese gesetzlich krankenversichert sei. Anhaltspunkte für einen Mehrbedarf (§ 21 SGB II) sind nicht zu erkennen.

17

Die Feststellungen hinsichtlich der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung reichen jedoch für eine abschließende Bedarfsermittlung nicht aus. Das LSG hat, ausgehend davon, dass die Klägerin mit ihrem Ehemann zwei Eigentumswohnungen bewohnte, die tatsächlichen Kosten, bestehend aus Schuldzinsen, Grundsteuer und Nebenkosten inklusive Heizkosten mit 1301,80 Euro beziffert, sodass auf die Klägerin bei Aufteilung nach Kopfteilen 650,90 Euro entfallen würden. Diese Summe ist schon deshalb nicht zutreffend, weil das LSG die Grundsteuer von jährlich 175,23 Euro (für die "überwiegend bewohnte" Wohnung) auf einen Monatsbetrag von 14,60 Euro umgelegt hat, was der ständigen Rechtsprechung des BSG widerspricht (vgl zB BSG Urteil vom 24.2.2011 - B 14 AS 61/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 44 RdNr 20). Darüber hinaus sind ungeachtet der Tatsache, dass in der Regel die tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II aF für die ersten sechs Monate übernommen werden müssen, wenn keine Kostensenkung möglich ist oder es - wie hier - bereits an einer Kostensenkungsaufforderung fehlt, jedenfalls keine ausreichenden Feststellungen zur Angemessenheit getroffen worden, weder hinsichtlich der Frage, ob zwei Wohnungen, von denen die eine möglicherweise auch teilweise geschäftlich genutzt wird, überhaupt in die Unterkunftskosten Eingang finden können, noch hinsichtlich der Frage der benutzten Wohnfläche, die das LSG ungeprüft nach der subjektiven Schätzung der Klägerin zugrunde gelegt hat.

18

Die nicht ausreichenden Feststellungen hinsichtlich des Bedarfs für Unterkunft und Heizung haben auch insoweit Auswirkungen, als nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Hilfebedürftigkeit der Klägerin verwertbares Vermögen entgegengestanden hat. Als einzusetzendes Vermögen gemäß § 12 Abs 1 SGB II kommt die zweite Eigentumswohnung in Betracht. Ggf wäre noch zu klären, ob eine mögliche Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich wäre oder eine besondere Härte darstellen würde (§ 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II).

19

Feststellungen hinsichtlich des Bedarfs für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach dem Umzug fehlen vollständig.

20

c) Für die Beurteilung, ob der Klägerin weitere Ansprüche nach dem SGB II zustehen, kommt es auch auf den Bedarf ihres mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Ehemanns an. Im Ansatz zutreffend ist für den Ehemann ebenfalls ein Regelbedarf von 311 Euro zugrunde gelegt worden, ebenso ein Mehrbedarf für gehbehinderte Menschen in Höhe von 17 % des maßgeblichen Regelsatzes in Höhe von 52,87 Euro. Zu Recht hat das LSG des Weiteren auf der Bedarfsseite die Kosten für die private Kranken- und Pflegeversicherung des Ehemannes in Höhe von 587,27 Euro berücksichtigt, weil dieser nach den Feststellungen des LSG unter keinem Gesichtspunkt gesetzlich kranken- und pflegeversichert und ihm eine freiwillige gesetzliche Krankenversicherung nicht möglich war. Der Gesamtbedarf des Ehemannes kann aber nicht festgestellt werden, weil hinsichtlich der Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung die schon bei der Klägerin erörterten Feststellungen fehlen.

21

4. Da es vorliegend allein um Ansprüche der Klägerin geht und diese nach den Feststellungen des LSG nicht über Einkommen verfügte, wird im wieder aufgenommenen Berufungsverfahren nach Feststellung der Bedarfe für beide Eheleute zu klären sein, ob bzw in welchem Umfang Einkommen des Ehemanns bei der Klägerin zu berücksichtigen ist, denn nur das den Bedarf des nicht leistungsberechtigten Mitglieds übersteigende Einkommen ist auf die hilfebedürftigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu verteilen (BSG Urteil vom 15.4.2008 - B 14/7b AS 58/06 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 5 RdNr 47 ff). Dem noch zu ermittelnden Bedarf des Ehemanns steht als Einkommen ab Juli 2005 die ihm in Höhe von 3014,98 Euro monatlich gezahlte Verletztenrente gegenüber. Ab Oktober 2005 kam die Altersrente in Höhe von damals 520,96 Euro hinzu, die aber zu einer Absenkung der Verletztenrente führte. Das LSG hat zutreffend das dem Ehemann gezahlte monatliche Pflegegeld in Höhe von 818,38 Euro als zweckbestimmte Einnahme gemäß § 11 Abs 3 Nr 1a SGB II aF angesehen und nicht als Einkommen berücksichtigt sowie die Versicherungspauschale von 30 Euro abgesetzt.

22

a) Bei der Ermittlung des einzusetzenden Einkommens des Ehemannes hat das LSG zu Recht dessen Verletztenrente nicht in voller Höhe als Einkommen berücksichtigt, sondern den Teil der Verletztenrente nach den §§ 56 ff SGB VII anrechnungsfrei gestellt, der der Grundrente nach den §§ 30, 31 Abs 1 BVG entspricht, einschließlich des Alterserhöhungsbetrags(§ 31 Abs 1 Satz 2 BVG). Hierfür bedarf es nicht einer Begründung über die Zuschreibung einer Zweckbestimmung nach § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II aF, sondern das Ergebnis folgt bereits aus einer verfassungskonformen Auslegung des § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II aF(heute § 11a Abs 1 SGB II).

23

aa) § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II aF ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass unter den Tatbestand "Grundrente nach dem BVG und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen" auch der Anteil einer Verletztenrente zu fassen ist, hinsichtlich dessen eine Grundrente nach dem OEG iVm dem BVG gemäß § 65 Abs 1 BVG ruht.

24

Dies widerspricht weder dem Urteil des BSG vom 5.9.2007 (B 11b AS 15/06 R - BSGE 99, 47 = SozR 4-4200 § 11 Nr 5), wonach eine direkte Anwendung des § 11 Abs 1 Satz 1 Halbs 2 SGB II aF auf die Verletztenrente angesichts der Gesetzesgeschichte und des klaren Wortlauts ebenso wie eine analoge Anwendung der Vorschrift ausscheidet, noch der Rechtsprechung, dass eine Privilegierung der Verletztenrente sowohl gemäß § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II aF als auch gemäß § 11 Abs 3 Nr 1 und 2 SGB II aF ausscheidet(BSG Urteil vom 6.12.2007 - B 14/7b AS 62/06 R -; BSG Urteil vom 17.3.2009 - B 14 AS 15/08 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 20 RdNr 13; Urteil vom 14.2.2013 - B 14 AS 198/11 R -). Es erfolgt keine analoge Anwendung des § 11 Abs 1 Satz 1 Halbs 2 SGB II aF auf die Verletztenrente, sondern das Tatbestandsmerkmal "Grundrente nach dem BVG" wird - entsprechend dem Gesetzeswortlaut - durchgängig auf die Grundrente nach dem BVG und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen, angewendet, auch wenn der Anspruch auf diese Rente ruht, weil sie auf derselben Ursache beruht wie die Verletztenrente(§ 65 Abs 1 BVG). Damit steht die hiesige Entscheidung im Einklang mit den genannten Entscheidungen des BSG, die eine Besserstellung der Verletztenrente ablehnen und insofern keine Verletzung des Gleichheitsgebots aus Art 3 Abs 1 GG sehen, denn alle Entscheidungen betrafen "reine Verletztenrenten" ohne Ruhenswirkung nach dem BVG.

25

bb) Der Ehemann war in entsprechender Anwendung des BVG (§ 1 Abs 1 OEG)Anspruchsberechtigter einer Grundrente nach dem OEG iVm §§ 30, 31 Abs 1 BVG, die er ursprünglich auch erhalten hat. Diese Grundrente wird ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen sowie gesellschaftliche oder berufliche Stellung gezahlt (vgl Dau in Knickrehm, HK - Gesamtes soziales Entschädigungsrecht, § 31 BVG, RdNr 1)und ihr kommt nach der Gesetzesbegründung (vgl BT-Drucks 1/1333, S 43, 45; BT-Drucks 3/1239, S 21) eine besondere Stellung deshalb zu, weil sie eine Entschädigung für die Beeinträchtigung der körperlichen Integrität darstellt und Mehraufwendungen ausgleichen soll, die der Geschädigte infolge der Schädigung gegenüber einem gesunden Menschen hat. Dass Rentenansprüche nach dem BVG gemäß § 65 BVG ggf zum Ruhen gebracht werden, hat seinen Grund darin, dass Doppelleistungen ausgeschlossen werden sollen. Aus dem Zusammenhang von § 3 Abs 4 OEG und § 4 Abs 1 Nr 2 SGB VII ergibt sich, dass Gewaltopfern eine daneben bestehende Verletztenrente nicht vorenthalten werden soll, weil diese ggf höher ist als die Versorgung nach dem BVG. Die Ruhensregelung soll nur verhindern, dass sich durch Addition eine unangemessen hohe Versorgung ergibt, während aus dem Zusammenspiel der Normen ersichtlich ist, dass der Zweck nicht darin liegen soll, den Personen, die Ansprüche nach beiden Leistungssystemen haben, insgesamt niedrigere Leistungen zu gewähren, als wenn sie nur nach dem OEG iVm dem BVG abgesichert wären.

26

Dies entspricht auch der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Nichtannahmebeschluss vom 16.3.2011 (1 BvR 591/08 und 1 BvR 593/08) entschieden, es handele sich um eine sachlich gerechtfertigte Ungleichbehandlung, wenn zwischen den Beziehern einer Grundrente nach dem BVG, die nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II aF nicht als Einkommen berücksichtigt werde, und den Beziehern einer Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung, die nach dem SGB II in vollem Umfang als Einkommen berücksichtigt werde, unterschieden werde. Dabei hat das BVerfG deutlich gemacht, dass die Grundrente, anders als die Verletztenrente, zu einem anderen Zweck als der Sicherung des Lebensunterhalts gezahlt werde. Der Entscheidung ist aber zu entnehmen, dass die Verfassungsmäßigkeit der Anrechnung einer Verletztenrente nur für den Fall angenommen wird, dass es sich tatsächlich nur um eine Verletztenrente nach den Vorschriften des SGB VII aufgrund eines Arbeitsunfalls handelt, nicht aber um eine Fallgestaltung wie die vorliegende, in der die Verletztenrente einen grundsätzlich (fort-)bestehenden Anspruch auf eine Grundrente nach dem BVG zum Ruhen bringt.

27

b) Die Schwerstbeschädigtenzulage nach § 31 Abs 5 BVG in der bis zum 30.6.2007 gültigen Fassung (nunmehr § 31 Abs 4 BVG) nimmt nicht an der Privilegierung der Grundrente im Rahmen der Leistungsberechnung nach dem SGB II teil, da § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II aF ausdrücklich nur auf die Grundrente nach dem BVG verweist und eine Ausdehnung auf weitere im BVG vorgesehene Leistungen nicht vorgenommen werden kann(ebenso Schmidt in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 11a RdNr 6; Striebinger in Gagel, SGB II/SGB III, Stand März 2013, § 11a SGB II RdNr 8; ggf aA Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, Stand IV/13, § 11a RdNr 76, der eine Gleichstellung erwägt). Das BVerfG hat in seinem Urteil zur Ungleichbehandlung der versorgungsberechtigten Kriegsopfer in den alten und den neuen Bundesländern gemäß § 84a BVG ausgeführt, die Feststellung der Verletzung des Art 3 Abs 1 GG beschränke sich auf die Grundrente nach § 31 Abs 1 Satz 1 BVG und könne nicht auf andere Leistungen nach dem BVG erstreckt werden(BVerfG Urteil vom 14.3.2000 - 1 BvR 284/96 und 1 BvR 1659/96 - BVerfGE 102, 41 = SozR 3-3100 § 84a Nr 3). In der Folge hat zwar der 9. Senat des BSG in seinem Urteil vom 12.6.2003 (B 9 V 2/02 R - BSGE 91, 114 = SozR 4-3100 § 84a Nr 1) entschieden, die Schwerstbeschädigtenzulage sei in verfassungskonformer Auslegung des § 84a Satz 3 BVG ebenso wie die Beschädigtengrundrente in den neuen Bundesländern ab 1.1.1999 ohne Absenkung zu zahlen, diese Entscheidung bezog sich jedoch nur auf die Höhe der zu zahlenden Schwerstbeschädigtenzulage im Rahmen der Fortentwicklung der genannten Entscheidung des BVerfG. Im Übrigen ist aber dargelegt worden, dass es sich bei der Schwerstbeschädigtenzulage um einen Versorgungsanspruch eigener Art handele, der gerade nicht mit dem Anspruch auf Beschädigtengrundrente identisch sei. Letzteres spricht für eine Beschränkung der Privilegierung in § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II aF auf die Grundrente nach dem BVG.

28

Die Schwerstbeschädigtenzulage ist auch nicht als zweckbestimmte Einnahme gemäß § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II aF von der Berücksichtigung als Einkommen auszunehmen. Die genannte Vorschrift will verhindern, dass eine sich aus einer öffentlich-rechtlichen Norm oder einer privatrechtlichen Grundlage ergebende besondere Zweckbestimmung einer Leistung durch Berücksichtigung im Rahmen des SGB II verfehlt wird und dass für einen identischen Zweck Doppelleistungen erbracht werden (vgl nur BSG Urteil vom 6.12.2007 - B 14/7b AS 16/06 R - BSGE 99, 240, 242 = SozR 4-4200 § 11 Nr 8; BSG Urteil vom 18.1.2011 - B 4 AS 90/10 R -). Der Schwerstbeschädigtenzulage wird aber gerade kein bestimmter Zweck zugemessen, vielmehr wird sie gezahlt, um außergewöhnlich schwer Betroffenen für den erlittenen Integritätsverlust Genugtuung zu leisten (Dau, aaO, § 31 BVG, RdNr 8). Da der Gesetzgeber im Rahmen der Berücksichtigung von Einkommen nach dem SGB II grundsätzlich sämtliche Einnahmen erfassen will, gilt dies auch für Zahlungen wie die Schwerstbeschädigtenzulage, mit der der Betroffene ohne Beachtung irgendeines Zwecks nach Belieben verfahren kann.

29

c) Die Ausgleichsrente nach § 32 BVG ist ebenfalls von der Privilegierung bei der Einkommensberücksichtigung ausgenommen. Die Ausgleichsrente ist ebenso wie die im Urteil des BVerfG vom 14.3.2000 (aaO) thematisierte Kleiderverschleißpauschale (§ 15 BVG) rein materiell ausgerichtet, sodass sie sich von der Grundrente nach dem BVG mit ihrem immateriellen Gehalt unterscheidet (vgl BSG Urteile vom 5.9.2007 - B 11b AS 15/06 R - BSGE 99, 47 = SozR 4-4200 § 11 Nr 5, RdNr 33 und vom 6.12.2007 - B 14/7b AS 62/06 R - juris RdNr 30). Die Ausgleichsrente wird bei fehlender Erwerbstätigkeit gezahlt und soll den allgemeinen Lebensunterhalt unabhängig von der Sozialhilfe auf einem Mindestniveau sichern (Dau, aaO, § 32 BVG RdNr 1 und 2). Eine verfassungskonforme Auslegung des § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II aF mit dem Ziel einer Ausdehnung auf die Ausgleichsrente scheidet angesichts dieses Unterschieds aus. Gleiches gilt für eine Nichtberücksichtigung der Ausgleichsrente nach § 11 Abs 3 SGB II aF, weil sie einen anderen Zweck als die Leistungen nach dem SGB II verfolgt. Der Zweck der Ausgleichsrente besteht vielmehr ebenso wie die Leistungen nach dem SGB II in der Existenzsicherung des Leistungsempfängers.

30

d) Da der Zuschlag für Ehegatten nach § 33a BVG, den die Klägerin ebenfalls anrechnungsfrei gestellt haben möchte, einen Teil der Ausgleichsrente darstellt und einkommensabhängig gezahlt wird, ist die Revision auch insofern nicht begründet; es gelten die Ausführungen unter c).

31

5. Das LSG wird im wieder eröffneten Berufungsverfahren zunächst die Bedarfe der Klägerin und ihres Ehemanns und sodann das Einkommen des Ehemanns unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze zu ermitteln haben. Sollte das zu berücksichtigende Einkommen des Ehemannes den Bedarf der Klägerin nicht in vollem Umfang abdecken, hat diese - falls nicht Hilfebedürftigkeit durch zumutbaren Einsatz von Vermögen entfällt - einen Anspruch auf (weitere) Leistungen nach dem SGB II. Das LSG wird auch über die Kosten des Rechtsstreits zu befinden haben.

Tatbestand

1

Streitig ist der Anspruch der Kläger auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Zeitraum vom 7.2.2006 bis 31.5.2006.

2

Die Kläger sind verheiratet und bewohnen gemeinsam eine 60,95 m2 große Mietwohnung, für die sie eine Nettokaltmiete von 290,44 Euro, Nebenkosten von 68,64 Euro und eine Heizkostenpauschale von 66,87 Euro monatlich zu entrichten haben. Der Kläger zu 2 bezog bis 30.3.2006 Arbeitslosengeld (Alg) in Höhe von 19,60 Euro kalendertäglich. Im Februar 2006 erzielte er ein Nebeneinkommen von 165 Euro und von März bis Mai 2006 in Höhe von 100 Euro. Die Klägerin zu 1 erhielt bis 28.2.2006 kalendertäglich 23,55 Euro Alg und ab dem 1.3.2006 bis zum 31.8.2006 Überbrückungsgeld nach § 57 SGB III in Höhe von monatlich 1197,52 Euro für die Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit.

3

Am 7.2.2006 beantragten die Kläger die Gewährung von Arbeitslosengeld II (Alg II) bei der Beklagten. Sie gaben ua an, Beiträge für Kfz-Haftpflichtversicherungen des Klägers zu 2 in Höhe von 84,60 Euro und der Klägerin zu 1 in Höhe von 79,10 Euro vierteljährlich zu zahlen. 33,56 Euro wandte die Klägerin zu 1 ab dem 1.3.2006 für Beiträge zur freiwilligen Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung, 255,41 Euro für die freiwillige Kranken- und 31,24 Euro monatlich für die soziale Pflegeversicherung auf. Mit der selbstständigen Erwerbstätigkeit erwirtschafte sie lediglich Verluste.

4

Durch Bescheid vom 12.4.2006 lehnte die Beklagte die Gewährung der beantragten Leistungen mit der Begründung ab, die Kläger seien nicht hilfebedürftig. Sie könnten ihren Bedarf aus ihrem Einkommen decken. Als Bedarf legte die Beklagte eine Regelleistung (Ost) von jeweils 298 Euro zu Grunde. Die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung berücksichtigte sie in tatsächlicher Höhe minus eines Betrags von 11,76 Euro (1. Person 8,18 Euro und 2. Person 3,58 Euro) für die Warmwasserbereitung. Insgesamt bemaß sie den Bedarf mit 1010,19 Euro (596 Euro Regelleistung plus 414,19 Euro Leistungen für Unterkunft und Heizung). Dem sei das Einkommen der Kläger im Monat Februar 2006 aus Alg und Nebeneinkommen sowie im März 2006 aus Alg, Nebeneinkommen und Überbrückungsgeld und ab April 2006 schließlich aus Nebeneinkommen und Überbrückungsgeld gegenüberzustellen. Auch unter Absetzung der Freibeträge (100 Euro Grundfreibetrag und Freibetrag nach § 30 SGB II auf das Nebeneinkommen im Februar 2006; 100 Euro Grundfreibetrag auf das Nebeneinkommen und Versicherungspauschale von 30 Euro auf das Überbrückungsgeld ab März 2006; zusätzlich Abzug der Kfz-Versicherungsbeiträge ab April 2006 vom Überbrückungsgeld) übersteige das Einkommen der Kläger ihren Bedarf iS des SGB II. Den Widerspruch der Kläger wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 15.6.2006 zurück.

5

Ab August 2006 hat die Beklagte der Klägerin zu 1 einen Zuschuss zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung nach § 26 SGB II in Höhe von monatlich 28,76 Euro gewährt und nach Auslaufen des Leistungszeitraums für das Überbrückungsgeld am 31.8.2006 haben die Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 1036,19 Euro erhalten.

6

Das SG Dresden hat die Klage auf Grundsicherungsleistungen durch Gerichtsbescheid vom 5.3.2008 abgewiesen. Das Sächsische LSG hat die Berufung der Kläger hiergegen zurückgewiesen (Urteil vom 2.2.2009). Zwar betrage der Abzug für die Bereitung von Warmwasser unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung lediglich 10,74 Euro (2 x 5,37 Euro), sodass sich insgesamt ein Bedarf der Bedarfsgemeinschaft von 1012 Euro ergebe. Ansonsten seien die Berechnungen der Beklagten jedoch zutreffend. Das Überbrückungsgeld sei vollständig - unter Abzug der Versicherungspauschale - als Einkommen bei der Berechnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu berücksichtigen. Ebenso wie der Existenzgründungszuschuss nach § 421l SGB III habe auch das Überbrückungsgeld unterhaltssichernde Funktion und diene daher demselben Zweck wie die Existenzsicherungsleistung nach dem SGB II. Dieses folge bereits aus dem Wortlaut des § 57 Abs 1 SGB III. Soweit das Überbrückungsgeld nach § 57 Abs 1 SGB III auch für die soziale Sicherung in der Zeit der Existenzgründung vorgesehen sei, folge hieraus nicht, dass die im Überbrückungsgeld enthaltenen pauschalierten Sozialversicherungsbeiträge als zweckbestimmte Einnahmen iS des § 11 Abs 3 Buchst a SGB II von der Einkommensberücksichtigung auszunehmen seien. Zum einen sei der Leistungsempfänger nicht verpflichtet, sich sozialzuversichern. Zudem sei er als Aufstocker im SGB II zugleich in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung pflichtversichert, sodass er auch den für soziale Sicherung vorgesehenen Teil des Überbrückungsgeldes von vornherein nicht für die Beitragsentrichtung einsetzen müsse. Er sei dann insofern doppelt begünstigt. Zudem werde dem Bezieher von Überbrückungsgeld, der keine aufstockenden Leistungen nach dem SGB II erhalte, ein Zuschuss zu den freiwilligen Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung nach § 26 SGB II gewährt, wenn ihm nur wegen dieser Beiträge Hilfebedürftigkeit drohe. Auch im Hinblick auf den Beitrag zur freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung sei eine Zweckbestimmung iS des § 11 Abs 3 Buchst a SGB II nicht gegeben. Dieser Beitrag sei nach § 11 Abs 2 SGB II als Freibetrag vom Einkommen abzusetzen, im vorliegenden Fall seien derartige Beiträge jedoch nicht entrichtet worden.

7

Die Kläger haben die vom BSG zugelassene Revision eingelegt. Zur Begründung führen sie aus, nach dem Wortlaut des § 57 Abs 1 SGB III diene das Überbrückungsgeld eindeutig nicht allein der Lebensunterhaltssicherung, sondern teilweise auch der sozialen Sicherung in der Zeit der Existenzgründung. Zumindest letzterer Teil sei eine zweckbestimmte Einnahme, die nicht als Einkommen im Rahmen der Berechnung des Leistungsanspruchs nach dem SGB II berücksichtigt werden dürfe. Das Überbrückungsgeld sei auch nicht mit dem Existenzgründungszuschuss nach § 421l SGB III zu vergleichen. Es handele sich um unterschiedliche Leistungen, die nebeneinander im SGB III vorgesehen und unterschiedlich ausgestaltet gewesen seien. § 421l SGB III enthalte - anders als § 57 Abs 1 SGB III - keinen Hinweis auf eine zumindest teilweise Zweckbestimmung der Leistung, sodass die Überlegungen des 14. Senats in dem Urteil vom 6.12.2007 insoweit nicht zum Tragen kämen.

8

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sächsischen LSG vom 2.2.2009 und den Gerichtsbescheid des SG Dresden vom 5.3.2008 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12.4.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.6.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihnen im Zeitraum vom 7.2.2006 bis 31.5.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

9

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

10

Sie hält die Ausführungen des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision ist unbegründet.

12

Die Beklagte hat zu Recht die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Zeitraum vom 7.2. bis 31.5.2006 versagt. Das Einkommen der Kläger übersteigt im gesamten streitigen Zeitraum deren grundsicherungsrechtlichen Bedarf. Von März bis Mai 2006 hat die Beklagte zutreffend das der Klägerin zu 1 gewährte Überbrückungsgeld nach § 57 SGB III als Einkommen bei der Berechnung von Regelleistung und Leistungen für Unterkunft und Heizung berücksichtigt. Es ist auch nicht ein Teil der Leistung nach § 57 Abs 1 SGB III für "soziale Sicherung" pauschaliert oder in Höhe der tatsächlich entrichteten Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung als zweckbestimmte Einnahme iS des § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II von der Einkommensberücksichtigung auszunehmen. Auch dieser Leistungsanteil "soziale Sicherung" dient demselben Zweck wie Leistungen nach dem SGB II. Alg II-Leistungsbezieher sind "kostenlos" in der gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung abgesichert. Zudem sind im SGB II Instrumente zur Kompensation von Aufwendungen für eine darüber hinausgehende dem Grunde und der Höhe nach angemessene soziale Sicherung ausdrücklich vorgesehen. Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung für Selbstständige sind als dem Grunde nach angemessen iS des § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II vom Einkommen vor dessen Berücksichtigung bei der Berechnung des Alg II abzusetzen.

13

1. Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 12.4.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.6.2006, mit dem diese die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab dem 7.2.2006 abgelehnt hat. Grundsätzlich erstreckt sich bei einer vollständigen Versagung von Leistungen der streitige Leistungszeitraum zwar bis zur letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz (vgl BSG Urteil vom 6.9.2007 - B 14/7b AS 28/06 R, SozR 4-4200 § 7 Nr 8; vom 16.5.2007 - B 11b AS 37/06 R, BSGE 98, 243 = SozR 4-4200 § 12 Nr 4). Da die Beklagte jedoch über den Anspruch der Kläger durch Bescheid vom 25.10.2006 für den Zeitraum ab dem 1.9.2006 erneut entschieden hat (vgl BSG Urteil vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 59/06 R) und die Kläger im Berufungsverfahren den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid nur im Hinblick auf die abgelehnte Leistungsgewährung bis zum 31.5.2006 angegriffen haben, ist der streitige Zeitraum hier vom 7.2. bis 31.5.2006 begrenzt. Eine weitere Eingrenzung des Streitgegenstandes haben die Kläger nicht vorgenommen, sodass der geltend gemachte Anspruch auf Alg II im streitigen Zeitraum unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu überprüfen ist.

14

2. Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG erfüllten die Kläger im streitigen Zeitraum die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1, 2 und 4 SGB II. Gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Nr 1), erwerbsfähig sind (Nr 2) und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr 4). Sie waren jedoch nicht hilfebedürftig iS des § 9 Abs 1 SGB II, weil sie ihren Lebensunterhalt ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln aus dem zu berücksichtigenden Einkommen sichern konnten, insbesondere durch Sozialleistungen eines anderen Trägers.

15

a) Für den Monat Februar 2006 hat das LSG einen Leistungsanspruch der Kläger zutreffend abgelehnt. Zwar ist das LSG rechenfehlerhaft von einem Bedarf der Kläger in Höhe von 1012 Euro ausgegangen. Es hat die Regelleistung nach § 20 Abs 3 iVm § 20 Abs 2 Halbs 2 SGB II in der Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I 2954) mit 2 x 298 Euro angesetzt. Die Kosten für Unterkunft und Heizung (435,94 Euro brutto warm) minus des Abzugs für die Warmwasserbereitung (2 x 5,37 Euro; BSG Urteil vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 32/06 R, BSGE 100, 83 = SozR 4-4200 § 20 Nr 6) betragen insgesamt 425,20 Euro. Für jeden Kläger ergibt sich daher ein monatlicher Bedarf - unter Beachtung der Rundungsvorschrift des § 41 Abs 2 SGB II - in Höhe von 511 Euro, mithin ein Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft von 1022 Euro. Umgerechnet auf den im Februar 2006 nur 22-tägigen Leistungsanspruch (Antragstellung am 7.2.2006) folgt hieraus ein Gesamtbedarf von 862 Euro. Das Einkommen der Kläger überschreitet im Februar 2006 diesen Bedarf. Der Kläger zu 2 bezog vom 7.2. bis 28.2.2006 Alg in Höhe von 19,60 Euro (22 x 19,60 Euro = 431,20 Euro) und die Klägerin zu 1 von 23,55 Euro jeweils kalendertäglich (22 x 23,55 Euro = 518,10 Euro). Zudem erzielte der Kläger zu 2 Einkommen aus Erwerbstätigkeit in Höhe von 165 Euro, das bei der Leistungsberechnung nach Abzug des Grundfreibetrags von 100 Euro und des Freibetrags bei Erwerbstätigkeit nach § 30 SGB II mit 38,13 Euro zu berücksichtigen ist. Insgesamt verfügten sie damit über ein ihren Bedarf übersteigendes, berücksichtigungsfähiges Einkommen von 987,43 Euro.

16

b) Auch in den Monaten März bis Mai 2006 überstieg trotz des Wegfalls des Alg der Klägerin zu 1 ab 1.3.2006 und des Klägers zu 2 ab 31.3.2006 das Einkommen der Kläger deren grundsicherungsrechtlichen Bedarf. Das der Klägerin zu 1 gewährte Überbrückungsgeld nach § 57 SGB III in Höhe von monatlich 1197,52 Euro hat diesen Wegfall kompensiert. Im Gegensatz zur Auffassung der Kläger ist das Überbrückungsgeld auch der Leistungsberechnung als Einkommen zu Grunde zu legen.

17

Nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen und der Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem BVG. Das Überbrückungsgeld nach § 57 SGB II unterfällt keiner der in § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II benannten Ausnahmen. Es ist auch nicht als zweckbestimmte Leistung iS des § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II von der Einkommensberücksichtigung auszunehmen.

18

Nach § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II sind nicht als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen, … einem anderen Zweck als die Leistungen nach diesem Buch dienen und die Lage des Empfängers nicht so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach diesem Buch nicht gerechtfertigt wären. Das Überbrückungsgeld dient dem gleichen Zweck wie die Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (im Ergebnis ebenso: LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 13.2.2008 - L 32 B 59/08 AS ER; Hessisches LSG Beschluss vom 24.4.2007 - L 9 AS 284/06 ER, RdNr 42; LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 21.3.2007 - L 1 AS 19/06, RdNr 25; LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 23.12.2005 - L 2 B 84/05 AS ER, RdNr 22; SG Berlin Beschluss vom 28.7.2008 - S 159 AS 21256/08 ER, RdNr 22; SG Lüneburg vom 14.3.2008 - S 30 AS 308/08 ER; Brühl in LPK SGB II, 3. Aufl 2009, § 11 RdNr 67; Hengelhaupt jurisPR-SozR 18/2008, Anm 1; Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 22 RdNr 39; aA hinsichtlich des Anteils für "soziale Sicherung" wohl Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, Stand VIII/08, § 11 RdNr 266b; zT Ausführungen schon bezogen auf den Gründungszuschuss nach §§ 57, 58 SGB III, der die Leistungen "Überbrückungsgeld" und "Existenzgründungszuschuss" in einer Leistung zusammengefasst hat).

19

Sinn des § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II ist es zu verhindern, dass die besondere Zweckbestimmung einer Leistung durch Berücksichtigung als Einkommen im Rahmen des SGB II verfehlt wird, sowie dass für einen identischen Zweck Doppelleistungen erbracht werden( vgl BSG Urteil vom 5.9.2007 - B 11b AS 15/06 R, BSGE 99, 47, 57 = SozR 4-4200 § 11 Nr 5; BSG Urteil vom 6.12.2007 - B 14/7b AS 62/06 R und - B 14/7b AS 20/07 R zur Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung). Die Zweckbestimmung kann sich aus einer öffentlich-rechtlichen Norm ergeben (vgl BSG Urteil vom 6.12.2007 - B 14/7b AS 16/06 R, BSGE 99, 240, 248 = SozR 4-4200 § 11 Nr 8), jedoch können auch zweckbestimmte Einkünfte auf privatrechtlicher Grundlage darunter fallen (BSG Urteil vom 3.3.2009 - B 4 AS 47/08 R, BSGE 102, 295). Dient die zweckbestimmte Einnahme dem gleichen Zweck wie die Leistung nach dem SGB II, ist sie von vornherein nicht nach § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II als Einkommen von der Berücksichtigung bei der Leistungsberechnung auszunehmen. So liegt der Fall hier.

20

Aus dem Wortlaut des § 57 Abs 1 SGB III ergibt sich, dass die Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts bestimmt ist. Nach § 57 Abs 1 SGB III in der Fassung des 2. Gesetzes zur Änderung des SGB III und anderer Gesetze vom 21.7.1999 (BGBl I 1648) haben Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbstständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden oder vermeiden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Anspruch auf Überbrückungsgeld. Es liegt Zweckidentität mit den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vor. Auch das Alg II dient der Sicherung des Lebensunterhalts von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, soweit die Hilfebedürftigkeit nicht anderweitig beseitigt werden kann (BT-Drucks 15/1516 S 56; vgl BSG Urteil vom 29.3.2007 - B 7b AS 12/06 R, SozR 4-4200 § 11 Nr 3 RdNr 17). Das Überbrückungsgeld nach § 57 SGB III unterscheidet sich damit nicht von dem Existenzgründungszuschuss nach § 421l SGB III, für den der 14. Senat des BSG bereits Zweckidentität angenommen hat ( BSG Urteil vom 6.12.2007 - B 14/7b AS 16/06 R, BSGE 99, 240, 248 = SozR 4-4200 § 11 Nr 8). Der erkennende Senat schließt sich den dortigen Ausführungen an.

21

Das Überbrückungsgeld des § 57 SGB III ist auch nicht deswegen im Hinblick auf seine Zweckbestimmung anders zu beurteilen als der Existenzgründungszuschuss des § 421l SGB III, weil in § 57 Abs 1 SGB III zugleich auch die Funktion der "sozialen Sicherung" genannt wird. Die Benennung eines Verwendungszwecks in einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift alleine führt nicht dazu, eine Leistung nach § 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB II von der Einkommensberücksichtigung nach dem SGB II auszunehmen, denn auch der Leistungsanteil "soziale Sicherung" des Überbrückungsgeldes findet sein Pendant in der Grundsicherungsleistung. Insoweit liegt ebenfalls Zweckidentität der Leistungen vor.

22

Die soziale Absicherung von Alg II-Empfängern ist eine Annex-Leistung zu der Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts. Alg II-Bezieher sind in der gesetzlichen Kranken- und Renten- sowie der sozialen Pflegeversicherung pflichtversichert, soweit sie nicht ausnahmsweise auf Grund vorhergehender Befreiungstatbestände hiervon ausgenommen sind (vgl § 26 Abs 1 und 2 SGB II in der hier anzuwendenden Fassung des 4. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003, BGBl I 2954). Das Alg II umfasst neben der Regelleistung die Beiträge zu den zuvor benannten Versicherungszweigen (BT-Drucks 15/1516, S 55). Die soziale Absicherung im SGB II erfolgt mithin durch die vom Grundsicherungsträger gezahlten Pflichtbeiträge und dient damit demselben Zweck wie die von dem Übergangsgeldbezieher gezahlten freiwilligen Beiträge.

23

Für gleichwohl gezahlte freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung sieht das SGB II - auch für Übergangsgeldempfänger - zudem eine Kompensationsmöglichkeit vor. § 26 Abs 3 SGB II(in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006, BGBl I 1706) ermöglicht einen Zuschuss des Grundsicherungsträgers zu diesen freiwilligen Beiträgen, wenn Hilfebedürftigkeit allein durch diese Aufwendungen entsteht. Diese am 1.8.2006 in Kraft getretene Regelung ist auch der Klägerin zu 1 zu Gute gekommen, allerdings noch nicht für den hier streitigen Zeitraum. Bis zum 1.8.2006 und heute - soweit Hilfebedürftigkeit nicht nur durch die Beitragszahlung eintritt - sind, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, die freiwilligen Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung während des Alg II-Bezugs vom Leistungsempfänger selbst zu tragen. Die Zahlung freiwilliger Beiträge während des Alg II-Bezugs ist nicht zur Existenzsicherung erforderlich, sodass es systemwidrig wäre, sie gleichwohl von der Berücksichtigung des zur Sicherung des Lebensunterhalts einzusetzenden Einkommens als zweckbestimmten Einnahmeanteil auszunehmen. Insoweit ist ein Gleichklang mit der spiegelbildlichen Vorschrift des § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II herzustellen. Auf Grund der während des Leistungsbezugs bestehenden Pflichtversicherung handelt es sich bei den freiwilligen Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung nicht um angemessene Beiträge iS des § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II; sie könnten also auch nicht vom Einkommen vor dessen Berücksichtigung in Abzug gebracht werden.

24

Grundsätzlich gilt für die Beiträge zur freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung nichts anderes. Mit dem Alg II-Bezug tritt nach § 3 Satz 1 Nr 3 Buchst a SGB VI Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ein. Die Kompensationsmöglichkeiten des § 26 Abs 1 SGB II sind jedoch im Hinblick auf die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung deutlich eingeschränkter als bei den Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung. Inwieweit hieraus eine andere Behandlung als die der Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung zu folgen hat (vgl den Sachverhalt des Urteils des 14. Senats des BSG vom 6.12.2007 - B 14/7b AS 16/06 R - BSGE 99, 240, 247 = SozR 4-4200 § 11 Nr 8), konnte der Senat hier jedoch dahinstehen lassen. Die Klägerin zu 1 hat nach den Feststellungen des LSG keine Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet.

25

Für die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gilt etwas anderes. Die grundsätzliche Unbestimmtheit im Hinblick auf den Verwendungszweck der "sozialen Sicherung", wie sie der 14. Senat zum Existenzgründungszuschuss ausführlich dargelegt hat, betrifft zwar den gesamten Teil "soziale Sicherung" der Leistung "Überbrückungsgeld", einschließlich seines Einsatzes zur Sicherung als Selbstständiger in der Arbeitslosenversicherung ( BSG Urteil vom 6.12.2007 - B 14/7b AS 16/06 R - BSGE 99, 240, 247 = SozR 4-4200 § 11 Nr 8). Daher ist auch insoweit nicht von einer zweckbestimmten Einnahme auszugehen, selbst dann nicht, wenn tatsächlich freiwillig Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichtet werden. Da andererseits Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung mit dem Alg II-Bezug nicht eintritt und durch die Entrichtung von freiwilligen Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung ein zeitnaher Anspruch auf eine andere Sozialleistung aufgebaut werden kann, handelt es sich bei freiwilligen Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung um dem Grunde nach angemessene Beiträge iS des § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II, die vom Einkommen vor dessen Berücksichtigung abgesetzt werden können.

26

Nach § 28a Abs 1 Nr 2 SGB III können Personen auf Antrag ein Versicherungspflichtverhältnis begründen, die eine selbstständige Tätigkeit mit einem Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich aufnehmen und ausüben. Diese Regelung kann dazu beitragen - sofern der Hilfebedürftige von ihr Gebrauch machen kann und Gebrauch macht - das zentrale Ziel des SGB II zu erreichen, die Hilfebedürftigkeit zu überwinden. Durch die Gewährung des Überbrückungsgeldes wird der Alg-Anspruch aufgezehrt und bei erneutem Eintritt von Arbeitslosigkeit verbleibt - ohne Pflichtversicherung als Selbstständiger - danach nur der Leistungsanspruch nach dem SGB II. Mit der Versicherung nach § 28a SGB III kann der Selbstständige - setzt er etwa die Beitragszahlung nach dem Auslaufen des Überbrückungsgeldanspruchs fort - jedoch nach zwölfmonatiger Beitragszahlung einen erneuten Alg-Anspruch erwerben. Auch wenn es sich insoweit nicht um eine gesetzliche Verpflichtung zur Versicherung handelt, so gebieten doch gerade die §§ 3 und 5 SGB II mit ihrer Forderung nach Beendigung der Hilfebedürftigkeit - auch durch Inanspruchnahme anderer Sozialleistungen - hier die Angemessenheit der Beitragszahlung iS des § 11 Abs 2 Nr 3 SGB II anzunehmen.

27

c) Die Kläger haben jedoch selbst dann, wenn der von der Klägerin zu 1 nach den Feststellungen des LSG geleistete Beitrag zur Arbeitslosenversicherung in Höhe von 33,56 Euro vom Überbrückungsgeld abzusetzen wäre keinen Anspruch auf Alg II im Zeitraum vom 1.3. bis 31.5.2006.

28

Hinsichtlich der Bedarfsberechnung wird auf die obigen Ausführungen zum Monat Februar 2006 verwiesen. Auf der Einkommensseite waren im März 2006 das Alg des Klägers zu 2 in Höhe von 30 x 19,60 Euro = 588 Euro und das Überbrückungsgeld der Klägerin zu 1 in Höhe von 1197,52 Euro zu Grunde zu legen. Das Nebeneinkommen des Klägers zu 2 in Höhe von 100 Euro bleibt berücksichtigungsfrei - ihm ist der Grundfreibetrag nach § 11 Abs 2 Satz 2 SGB II entgegenzusetzen. Das Überbrückungsgeld ist zudem um die Versicherungspauschale in Höhe von 30 Euro zu bereinigen. Hieraus folgt ein Einkommen der Bedarfsgemeinschaft von 1755,52 Euro. Zieht man hiervon weiter die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von 33,56 Euro und - im Gegensatz zum Vorgehen der Beklagten - auch die Beiträge zur Kfz-Versicherung der Klägerin zu 1 von monatlich 26,37 Euro ab, steht dem Bedarf von 1022 Euro im Monat März 2006 ein Einkommen von 1695,59 Euro gegenüber.

29

In den Monaten April und Mai 2006 war zwar das Alg des Klägers zu 2 entfallen und sein Einkommen aus Erwerbstätigkeit in Höhe von 100 Euro hatte auch in diesem Zeitraum unberücksichtigt zu bleiben. Von dem Überbrückungsgeld der Klägerin zu 1 in Höhe von 1197,52 Euro sind wiederum 30 Euro für Versicherungen und die Kfz-Haftpflichtprämie in Abzug zu bringen. Es verbleiben alsdann 1141,15 Euro Einkommen. Bereinigt um die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung in Höhe von 33,56 Euro ergibt sich mit 1107,59 Euro immer noch ein den Bedarf der Kläger übersteigendes Einkommen.

30

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 21. Mai 2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit sind Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) ab 5.8.2005.

2

Der 1947 geborene Kläger bezieht eine Erwerbsminderungsrente. Er ist Inhaber einer Kapitallebensversicherung mit einem Rückkaufswert zum 1.10.2005 in Höhe von 7938,60 Euro, für die Beiträge in Höhe von 8911,23 Euro eingezahlt wurden. Mit dem Versicherungsunternehmen wurde ab 12.9.2005 ein unwiderruflicher Verwertungsausschluss vereinbart, wonach eine "Verwertung der Ansprüche aus dem Vertrag vor dem Ruhestand in Höhe von zurzeit 11 600 Euro, maximal 200 Euro je vollendetem Lebensjahr des Versicherungsnehmers und seines Partners, höchstens 13 000 Euro pro Person, vertraglich ausgeschlossen" sei. Noch vor der Vereinbarung eines Verwertungsausschlusses, am 5.8.2005, hatte er bei dem Beklagten (ergänzend) Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung beantragt. Der Beklagte lehnte den Antrag unter Hinweis auf den Rückkaufswert der Lebensversicherung mangels Bedürftigkeit ab (Bescheid vom 20.9.2005; Widerspruchsbescheid vom 6.12.2005).

3

Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 4.9.2006; Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 21.5.2010). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, der Kläger könne seinen notwendigen Lebensunterhalt neben der zu berücksichtigenden Erwerbsminderungsrente durch die Verwertung der Lebensversicherung decken. Der Verwertung der Lebensversicherung stehe, soweit der Rückkaufswert über den Freibetrag in Höhe von 2600 Euro hinausgehe, § 90 Abs 2 SGB XII nicht entgegen, und sie bedeute für den Kläger auch keine Härte iS des § 90 Abs 3 SGB XII. Eine solche werde nicht durch die von dem Kläger behauptete Zweckbestimmung der Alterssicherung im Rahmen der Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung begründet, weil kein hierzu erforderlicher atypischer Lebenssachverhalt vorliege. Auch die Höhe des Rückkaufswertes im Verhältnis zu den eingezahlten Beiträgen rechtfertige nicht die Annahme einer Härte. Der Rückkaufswert zum 1.10.2005 bleibe um knapp 11 % hinter der Summe der eingezahlten Beiträge zurück. Der damit verbundene wirtschaftliche Verlust sei nicht offensichtlich unwirtschaftlich. Der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) sei zu entnehmen, dass eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit noch nicht erreicht sei, wenn der Rückkaufswert um 12,9 % hinter den eingezahlten Beiträgen zurückbleibe. Ohnedies bestehe im Rahmen des SGB XII eine weiter gehende Verwertungsobliegenheit. Ob der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zu folgen sei, wonach eine Härte selbst dann nicht vorliege, wenn der Rückkaufswert um mehr als die Hälfte hinter den eingezahlten Beiträgen zurückbleibe, könne offen bleiben. Soweit der Kläger mit dem Versicherungsunternehmen einen zivilrechtlich wirksamen Verwertungsausschluss vereinbart habe, rechtfertige dies nur eine darlehensweise Gewährung von Leistungen, die der Kläger indes ausdrücklich abgelehnt habe. Das danach einzusetzende Vermögen stehe der Annahme von Hilfebedürftigkeit entgegen, bis es verbraucht sei. Die Annahme eines fiktiven Vermögensverbrauchs sei mit der Rechtsnatur der Sozialhilfe nicht vereinbar.

4

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 90 Abs 3 SGB XII. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG zur Verwertung von Kapitallebensversicherungen im Rahmen des SGB II sei eine Härte zu bejahen. Ein Härtefall liege vor, wenn ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger kurz vor dem Rentenalter seine Ersparnisse für die Altersvorsorge einsetzen müsse, weil seine Rentenversicherung Lücken wegen selbstständiger Tätigkeit aufweise. Er habe angesichts seiner Erwerbsminderung bis zum Eintritt in das Rentenalter keine Altersvorsorge mehr betreiben können.

5

Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid des Beklagten vom 20.9.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.12.2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm ab 5.8.2005 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung als Zuschuss zu zahlen.

6

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des Klägers ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz). Es fehlen hinreichende tatsächliche Feststellungen (§ 163 SGG), die es dem Senat ermöglichen, die Voraussetzung eines Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB XII zu prüfen. Das LSG hat sich in seiner Entscheidung allein mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Kläger verwertbares Vermögen besitzt. Auch die hierzu getroffenen Feststellungen genügen allerdings nicht, um einen Leistungsanspruch zu verneinen.

9

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 20.9.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids (§ 95 SGG)vom 6.12.2005 - einer Beteiligung sozial erfahrener Dritter (§ 116 Abs 2 SGB XII) bedurfte es insoweit nach § 8 Abs 2 des Hessischen Ausführungsgesetzes zum SGB XII (HAG/SGB XII) vom 20.12.2004 (GVBl I, 488, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Hessischen OFFENSIV-Gesetzes und anderer Rechtsvorschriften vom 10.6.2011 - GVBl I 302) nicht -, mit dem Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung abgelehnt wurden. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG iVm § 56 SGG). Streitbefangen ist (nur) der Zeitraum ab Antragstellung am 5.8.2005. Über den Zeitraum vom 1. bis zum 4.8.2005 ist trotz der Vorschrift des § 44 Abs 1 Satz 2 SGB XII, wonach bei der Erstbewilligung der Bewilligungszeitraum am Ersten des Monats beginnt, in dem der Antrag gestellt worden ist, nicht zu befinden, weil der Kläger seinen Klageantrag ausdrücklich auf die Zeit ab 5.8.2005 beschränkt hat. Wird eine Leistung - wie hier - ohne zeitliche Beschränkung abgelehnt, ist über die gesamte bis zu dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt verstrichene Zeit zu befinden (BSG SozR 4-3500 § 21 Nr 1 RdNr 8 mwN), und zwar unter Berücksichtigung aller tatsächlichen oder rechtlichen Änderungen (etwa des mit dem Versicherungsunternehmen vereinbarten Verwertungsausschlusses ab 12.9.2005, dazu s unten), es sei denn, der Kläger hat zwischenzeitlich einen neuen Antrag auf Leistungen nach dem SGB XII gestellt. Dann hätte sich der angefochtene Bescheid für die von einem auf diesen Antrag ergangenen neuen Bescheid (der nicht Gegenstand des Verfahrens nach § 96 SGG würde) erfasste Zeit erledigt(BSG aaO).

10

Nach § 19 Abs 2 SGB XII(ursprünglich idF, die die Norm durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022 - erhalten hat, ab 1.1.2008 in der Normfassung des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20.4.2007 - BGBl I 554 - und ab 1.1.2011 in der Normfassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 - BGBl I 453) iVm § 41 SGB XII(ursprünglich in der Normfassung des Gesetzes vom 27.12.2003 - aaO -, ab 7.12.2006 in der Normfassung des Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 2.12.2006 - BGBl I 2670, ab 1.1.2008 in der Normfassung des Gesetzes vom 20.4.2007 - aaO - und ab 1.1.2011 in der Normfassung des Gesetzes vom 24.3.2011 - aaO) können Personen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Alter und bei dauerhafter Erwerbsminderung mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die das 65. Lebensjahr bzw die angehobene Altersgrenze vollendet haben oder das 18. Lebensjahr vollendet haben, unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert iS von § 43 Abs 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) sind und bei denen unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann, auf Antrag Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII erhalten.

11

Den tatsächlichen Feststellungen des LSG ist schon nicht zu entnehmen, ob der Kläger, der im maßgebenden Zeitraum die für eine Leistungsberechtigung erforderliche Altersgrenze nicht erreicht hat, dauerhaft voll erwerbsgemindert ist. Entsprechende Feststellungen sind auch nicht im Hinblick auf den Bezug der Erwerbsminderungsrente entbehrlich. Allein aus dem Leistungsbezug kann weder geschlossen werden, dass das Leistungsvermögen unter drei Stunden täglich gesunken ist (§ 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI), noch dass die Erwerbsminderung auf Dauer besteht. Selbst wenn der Rentenversicherungsträger nach § 45 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB XII(ursprünglich idF des Gesetzes vom 27.12.2003, aaO, und ab 1.1.2008 des Gesetzes vom 20.4.2007, aaO) bzw ab 1.1.2009 § 45 Satz 1 und 2 SGB XII(idF des Gesetzes zur Neuregelung des Wohngeldrechts und zur Änderung des Sozialgesetzbuches vom 24.9.2008 - BGBl I 1856 - und ab 1.1.2011 in der Fassung des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 3.8.2010 - BGBl I 1112) mit Bindungswirkung für den Sozialhilfeträger auf dessen Ersuchen die medizinischen Voraussetzungen einer Erwerbsminderung prüft oder - was ein Ersuchen des Rentenversicherungsträgers entbehrlich macht (§ 45 Abs 1 Satz 3 Nr 1 SGB XII bzw ab 1.1.2009 § 45 Satz 3 Nr 1 SGB XII) - schon im Rahmen eines Antrags auf Erwerbsminderungsrente entsprechende Feststellungen getroffen wurden, ist daran das Gericht nicht gebunden (BSGE 106, 62 ff RdNr 14 ff, insbesondere 16 = SozR 4-3500 § 82 Nr 6; Blüggel in juris PraxisKommentar SGB XII , § 45 SGB XII RdNr 40). Soweit Leistungen (allein) mangels Dauerhaftigkeit der Erwerbsminderung ausscheiden sollten, kommt bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen allerdings nachrangig (§ 19 Abs 2 Satz 3 bzw ab 1.1.2011 § 19 Abs 2 Satz 2 SGB XII) Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII in Betracht (BSGE 104, 207 ff RdNr 16 = SozR 4-3530 § 6 Nr 1).

12

Ob der Kläger seinen notwendigen Lebensunterhalt aus Einkommen (§§ 82 bis 84 SGB XII)und Vermögen (§ 90 SGB XII)beschaffen kann, kann der Senat anhand der Feststellung des LSG ebenfalls nur eingeschränkt prüfen. Die Erwerbsminderungsrente ist jedenfalls als einzusetzendes Einkommen zu berücksichtigen. Mangels entsprechender Feststellungen des LSG kann aber keine Aussage darüber getroffen werden, ob und in welcher Höhe Absetzbeträge nach § 82 Abs 2 SGB XII (hier insbesondere nach Nr 3) Berücksichtigung finden können.

13

Ob die Kapitallebensversicherung als Vermögen zu berücksichtigen ist, lässt sich ebenso wenig abschließend beurteilen. Nach § 90 Abs 1 SGB XII(in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003, aaO) ist das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen. Vermögen sind alle beweglichen und unbeweglichen Güter und Rechte in Geld oder Geldeswert; umfasst werden auch Forderungen bzw Ansprüche gegen Dritte (BSGE 100, 131 ff RdNr 15 = SozR 4-3500 § 90 Nr 3), soweit sie nicht normativ dem Einkommen zuzurechnen sind. Vermögen des Klägers ist damit zum einen sein Hauptleistungsanspruch gegen das Versicherungsunternehmen aus der Kapitallebensversicherung zum Zeitpunkt ihres Ablaufs am 1.8.2012, zum anderen sind Vermögen auch alle aus dieser vertraglichen Beziehung resultierenden Rückabwicklungsansprüche nach Auflösung dieses Vertrags, etwa durch eine Kündigung (zum maßgebenden Zeitpunkt s unten).

14

Ob diese Ansprüche im Sinne der gesetzlichen Regelung verwertbar sind, beurteilt sich unter rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten; der Vermögensinhaber muss über das Vermögen verfügen dürfen, aber auch verfügen können. Beide Aspekte verlangen darüber hinaus eine Berücksichtigung der zeitlichen Dimension, innerhalb der das Vermögen (voraussichtlich) verwertet werden kann (BSGE 100, 131 ff RdNr 15 = SozR 4-3500 § 90 Nr 3; Mecke in jurisPK-SGB XII, § 90 SGB XII RdNr 36 und § 91 SGB XII RdNr 11; Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl 2010, § 90 SGB XII RdNr 17; Brühl/Geiger in Lehr- und Praxiskommentar SGB XII § 90 SGB XII RdNr 10). Kann der Vermögensinhaber das Vermögen nicht in angemessener Zeit verwerten, verfügt er nicht über bereite Mittel (vgl auch zum SGB II BSG SozR 4-4200 § 12 Nr 12 RdNr 21 f). Feststellungen des LSG zu der Frage der Verwertbarkeit der Lebensversicherung fehlen. Das LSG ist wegen des vereinbarten Verwertungsausschlusses offensichtlich davon ausgegangen, dass die Lebensversicherung zwar nicht sofort verwertet werden kann, dies aber im Hinblick auf die Regelung des § 91 SGB XII nichts an ihrer Berücksichtigung ändert, sondern nur zu einer darlehensweisen Gewährung der Leistungen führt. Dem ist im Hinblick auf das genannte zeitliche Moment nur dann zu folgen, wenn eine Verwertung in absehbarer Zeit erfolgen kann.

15

Nach der Rechtsprechung des 14. Senats des BSG ist von einer generellen Unverwertbarkeit iS des § 12 Abs 1 SGB II auszugehen, wenn völlig ungewiss ist, wann eine für die Verwertbarkeit notwendige Bedingung eintritt. Maßgebend für die Prognose, dass ein rechtliches oder tatsächliches Verwertungshindernis wegfällt, ist danach im Regelfall der Zeitraum, für den die Leistungen bewilligt werden, also regelmäßig der sechsmonatige Bewilligungszeitraum des § 41 Abs 1 Satz 4 SGB II(BSG SozR 4-4200 § 12 Nr 12 RdNr 23), mit der Folge, dass nach Ablauf des jeweiligen Bewilligungsabschnitts eine neue Prognoseentscheidung ohne Bindung an die vorangegangene Einschätzung zu treffen ist (BSG aaO). Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat mit der Maßgabe an, dass wegen der gesteigerten Verwertungsobliegenheit für den Bereich der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung auf den gesetzlich vorgesehenen Bewilligungszeitraum von zwölf Kalendermonaten (§ 44 Abs 1 Satz 1 SGB XII) abzustellen ist, der dann allerdings auch bei der Hilfe zum Lebensunterhalt den Maßstab bilden muss, etwa wenn wegen eines Leistungsausschlusses nach § 41 Abs 4 SGB XII nur diese Leistung in Betracht kommt(dazu siehe unten). Darüber hinaus greift das Zeitmoment nicht nur in den Fällen, in denen völlig ungewiss ist, wann eine für die Verwertbarkeit notwendige Bedingung eintritt, sondern auch dann, wenn zwar konkret feststeht, wann über den Vermögenswert verfügt werden kann (Fälligkeit, Kündigung …), der Zeitpunkt aber außerhalb eines angemessenen Zeitrahmens liegt, in welchem noch der Einsatz bereiter Mittel angenommen werden kann. Ob in diesen Fällen ebenfalls ein Zeitraum von zwölf Monaten oder - wofür einiges spricht - abhängig vom Einzelfall ein in der Regel deutlich längerer Zeitabschnitt zugrunde zu legen ist, bedarf erst nach Feststellung entsprechender Umstände einer Entscheidung.

16

Angesichts des vereinbarten Verwertungsausschlusses ist bei der Frage der Verwertbarkeit und des maßgebenden Zeitrahmens jedenfalls zwischen dem Zeitraum bis zum Wirksamwerden der Vereinbarung über den Verwertungsausschluss und dem sich daran anschließenden Zeitraum ab 12.9.2005 zu unterscheiden. Bis zum 11.9.2005 kommt als Verwertungsalternative insbesondere die Kündigung des Versicherungsvertrages, bei der der Rückkaufswert von der Versicherung ausgekehrt wird, oder die Beleihung der Lebensversicherung in Betracht. Die Verwertung hätte insoweit wohl auch in absehbarer Zeit erfolgen können; das LSG mag dies ggf verifizieren.

17

Für die Zeit ab 12.9.2005 scheidet eine Kündigung des Versicherungsvertrages aus. Der Verwertungsausschluss iS des § 165 Abs 3 Versicherungsvertragsgesetz(VVG in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954; jetzt § 168 VVG) erfasst aber nur die vorzeitige Kündigung der Kapitallebensversicherung vor dem Eintritt in den Ruhestand und rechtfertigt nicht den Schluss einer (generellen) Unverwertbarkeit iS des § 90 Abs 1 SGB XII; denn das Vermögen ist auch dann verwertbar, wenn seine Gegenstände übertragen oder belastet werden können (BSG SozR 4-4200 § 12 Nr 12 RdNr 20). Der Vereinbarung zwischen dem Versicherungsunternehmen und dem Kläger ist nicht zu entnehmen, dass auch eine Verwertung Dritten gegenüber - etwa durch Verkauf (privatrechtliche Abtretung der Forderung gegen die Versicherung) oder Beleihung der Lebensversicherung - ausgeschlossen ist, der Kläger also in der Verfügung über seine Forderung generell und nicht nur gegen das Versicherungsunternehmen beschränkt ist und er eine etwaige Aufhebung der Beschränkung auch nicht erreichen könnte. Das LSG wird deshalb weitere von dem Verwertungsausschluss nicht erfasste Verwertungsmöglichkeiten zu prüfen haben. Ob allerdings für solche Verwertungsmöglichkeiten die Prognose getroffen werden kann, dass die Verwertung in einem angemessenen Zeitraum (siehe oben) möglich ist, bleibt den weiteren Ermittlungen des LSG vorbehalten.

18

Das Verwertungsverbot führt - anders als im Recht des SGB II (§ 12 Abs 2 Nr 3 SGB II) -auch nicht zu einer Privilegierung des der Altersvorsorge dienenden Vermögens. § 90 SGB XII kennt keine entsprechende Regelung. Es bedarf insoweit auch nicht aus Gleichbehandlungsgründen zum Zwecke der Harmonisierung der beiden Grundsicherungssysteme einer Heranziehung der Härtefallregelung des § 90 Abs 3 SGB XII(vgl etwa zu diesem Gesichtspunkt BSGE 100, 139 ff RdNr 16 = SozR 4-3500 § 82 Nr 4). Sinn und Zweck der Verschonung solchen Vermögens im SGB II ist es, erwerbsfähige Hilfebedürftige, die sich nur für einen (in der Regel) überschaubaren Zeitraum im Leistungsbezug befinden, davor zu schützen, dass sie Vermögen, das sie (nachweislich) für ihre Altersvorsorge bestimmt haben, vorher zum Bestreiten des Lebensunterhalts einsetzen müssen (BT-Drucks 15/1749, S 31; Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 12 RdNr 47). Die Situation im SGB XII gestaltet sich schon deshalb anders, weil der Sozialhilfe - insbesondere die hier im Streit stehenden Leistungen nach §§ 41 ff SGB XII - beziehende Personenkreis wegen Alters oder Behinderung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist und schon deshalb (typisierend) keine Rechtfertigung existiert, gerade für solche Lebensabschnitte angespartes Vermögen zu verschonen.

19

Soweit das LSG zu dem Ergebnis gelangt, dass wegen der mit dem Versicherungsunternehmen getroffenen Vereinbarung eine Verwertung der Lebensversicherung ausgeschlossen ist und das Vermögen auch nicht nach § 90 Abs 3 SGB XII privilegiert wäre(dazu unten), wird es zu prüfen haben, ob - unterstellt, die Voraussetzungen für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung liegen im Übrigen vor - ein Leistungsanspruch nach § 41 Abs 4 SGB XII ausscheidet. Die Regelung sieht einen Leistungsausschluss für Personen vor, die in den letzten zehn Jahren die Bedürftigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben. Der vom LSG festgestellte Sachverhalt könnte es nahelegen, diese Voraussetzungen zu bejahen. Ein etwaiger Leistungsausschluss erstreckt sich allerdings nicht auf die dann ggf zu erbringende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII. Hier wäre dann nur zu prüfen, ob der Anspruch auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche nach § 26 Abs 1 Nr 1 SGB XII einzuschränken ist ("soll"). Ggf kann auch Kostenersatz nach § 103 SGB XII verlangt werden.

20

Kommt das LSG zu dem Ergebnis, dass das Vermögen rechtlich und tatsächlich verwertbar ist, unterfällt es - unabhängig davon, in welcher Form eine Verwertung erfolgen kann - nicht dem Katalog geschützter Vermögensgüter des § 90 Abs 2 SGB XII. Nach § 90 Abs 2 Nr 1 SGB XII darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, das aus öffentlichen Mitteln zum Aufbau oder zur Sicherung einer Lebensgrundlage oder zur Gründung eines Hausstandes dient. Die Regelung setzt schon ihrem Wortlaut nach voraus, dass das Vermögen aus öffentlichen Mitteln stammt. Hierzu zählen zB Aufbaudarlehen nach dem Lastenausgleichsgesetz. Aus öffentlichen Mitteln ist eine Zuwendung dann gewährt, wenn ihre Zahlung den Haushalt des Bundes, eines Landes, einer Gemeinde oder einer Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts belastet (vgl nur Mecke in jurisPK-SGB XII, § 90 SGB XII RdNr 50). Hieran fehlt es.

21

Die Lebensversicherung ist auch kein Schonvermögen nach § 90 Abs 2 Nr 2 SGB XII. Danach darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Kapitals einschließlich seiner Erträge abhängig gemacht werden, das der zusätzlichen Altersvorsorge iS des § 10a oder des Abschnitts XI des Einkommensteuergesetzes dient und dessen Ansammlung staatlich gefördert wurde. Das Kapital, das der zusätzlichen Altersvorsorge dient, ist nur insoweit geschützt, als es aus staatlich geförderten Beiträgen im Sinne des Altersvermögensgesetzes gebildet wurde. Zusätzliche Kapitalanlagen folgen den allgemeinen Regelungen, dh, der Sozialhilfeträger hat zu prüfen, ob der Einsatz des Vermögens eine Härte darstellen würde (BT-Drucks 14/4595, S 72 zu Art 8 Nr 4; zur Härte siehe im Folgenden). Bei der von dem Kläger abgeschlossenen Lebensversicherung handelt es sich jedenfalls nicht um nach Bundesrecht ausdrücklich zur Altersvorsorge gefördertes Vermögen. Erforderlich ist insoweit nach geltendem Recht zumindest, dass der Sicherung ein nach § 5 Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz(AltZertG vom 26.6.2001 - BGBl I 1322) durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht zertifizierter Altersvorsorgevertrag zugrunde liegt (BSG, Urteil vom 15.4.2008 - B 14/7b AS 52/06 R - juris RdNr 20).

22

Ob die Verwertung der Lebensversicherung eine Härte iS des § 90 Abs 3 SGB XII darstellen würde, lässt sich wiederum nicht abschließend beurteilen. Auch hier wird das LSG zwischen den Zeiträumen vor und nach Wirksamwerden der Vereinbarung über den Verwertungsausschluss sowie der Form der Verwertung der Lebensversicherung unterscheiden müssen. Nach § 90 Abs 3 SGB XII darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Der Begriff der Härte ist zunächst im Zusammenhang mit den Vorschriften über das Schonvermögen nach § 90 Abs 2 SGB XII zu sehen, dh, das Ziel der Härtevorschrift muss in Einklang mit den Bestimmungen über das Schonvermögen stehen, nämlich dem Sozialhilfeempfänger einen gewissen Spielraum in seiner wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit zu erhalten(BSG SozR 4-3500 § 90 Nr 1 RdNr 15), um ihn soweit wie möglich auch zu befähigen, unabhängig von Sozialhilfeleistungen zu leben (vgl § 1 Satz 2 SGB XII). Während die Vorschriften über das Schonvermögen typische Lebenssachverhalte regeln, bei denen es als unbillig erscheint, die Sozialhilfe vom Einsatz bestimmter Vermögensgegenstände abhängig zu machen, regelt § 90 Abs 3 SGB XII atypische Fallgestaltungen, die mit den Regelbeispielen des § 90 Abs 2 SGB XII vergleichbar sind und zu einem den Leitvorstellungen des § 90 Abs 2 SGB XII entsprechenden Ergebnis führen(BSG aaO; BVerwGE 23, 149, 158 f). Eine Härte liegt vor, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls, wie zB der Art, Schwere und Dauer der Hilfe, des Alters, des Familienstands oder der sonstigen Belastungen des Vermögensinhabers und seiner Angehörigen eine typische Vermögenslage deshalb zur besonderen wird, weil die soziale Stellung des Hilfesuchenden insbesondere wegen seiner Behinderung, Krankheit oder Pflegebedürftigkeit nachhaltig beeinträchtigt ist (BSG aaO; BVerwGE 32, 89, 93).

23

Der Einsatz einer Kapitallebensversicherung zur Bestreitung des Lebensunterhalts ist jedoch ohne das Hinzutreten weiterer besonderer Umstände kein derartiger atypischer Sachverhalt im Sinne von § 90 Abs 3 SGB XII. Hierfür genügt nicht schon der Umstand, dass die Kapitallebensversicherung der Altersvorsorge zu dienen bestimmt ist (subjektive Zweckbestimmung). Hätte der Gesetzgeber Kapitallebensversicherungen, die der Altersversorgung dienen, von einer Verwertung ausnehmen wollen, hätte er dies in § 90 Abs 2 SGB XII geregelt. Demnach sind nur besondere, bei anderen Hilfebedürftigen regelmäßig nicht anzutreffende Umstände beachtlich und in ihrem Zusammenwirken zu prüfen. Bei einer Kumulation von Risiken und Belastungen kann es naheliegen, vom Vorliegen einer Härte iS von § 90 Abs 3 SGB XII auszugehen(so zum Recht des SGB II BSGE 103, 146 RdNr 21 = SozR 4-4200 § 12 Nr 14). Dabei genügt es aber nicht - wie der Kläger meint - darauf hinzuweisen, dass er wegen der Erwerbsminderung bis zum Eintritt in das Rentenalter keine Altersvorsorge mehr betreiben könne; denn dies ist für den Personenkreis, der Leistungen nach §§ 41 ff SGB XII beansprucht und noch nicht die maßgebende Altersgrenze erreicht hat, nicht nur typisch, sondern sogar zwingend. Ob darüber hinaus Umstände vorliegen, die bei einer Gesamtschau den Schluss auf eine Härte zulassen, vermag der Senat angesichts fehlender Feststellungen des LSG nicht zu beurteilen. Insbesondere kann bei einem langjährig Selbstständigen, der von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist und privat Vorsorge betreiben und die mit den Not- und Wechselfällen des Lebens verbundenen Risiken selbst absichern muss, der Zwang zur Verwertung der Lebensversicherung bei Häufung belastender Umstände (Versorgungslücke, Behinderung, gesundheitliche Leistungsfähigkeit, Lebensalter, Ausbildung, atypische Erwerbsbiografie) eine Härte iS von § 90 Abs 3 SGB XII darstellen(BSGE 103, 146 ff RdNr 20 ff = SozR 4-4200 § 12 Nr 14). Dabei ist im Einzelfall auch die Höhe der ggf nur ergänzend zu erbringenden Sozialhilfe, deren voraussichtliche Dauer und eine etwa bestehende Möglichkeit, von Sozialhilfeleistungen unabhängig zu sein, mit einzubeziehen (Mecke in jurisPK-SGB XII, § 90 SGB XII RdNr 105).

24

Soweit es den Ertrag aus der zu verwertenden Lebensversicherung betrifft, kann auf deren Rückkaufswert nur für die Zeit bis zum Wirksamwerden der Vereinbarung über den Verwertungsausschluss abgestellt werden. Insoweit ist das LSG auch zu Recht davon ausgegangen, dass eine Härte nicht allein dadurch begründet wird, dass der Rückkaufswert der Lebensversicherung geringer ist als die eingezahlten Beiträge. Es ist zwar kein Grund ersichtlich, Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkte bei der Härteregelung gänzlich außen vor zu lassen (BSGE 100, 131 RdNr 25 = SozR 4-3500 § 90 Nr 3); diese rechtfertigen aber - jedenfalls bezogen auf den Rückkaufswert - vorliegend nicht die Annahme einer Härte. Ob hierbei die Kriterien, die zum Arbeitslosenhilferecht und zum SGB II für die Verwertung von Lebensversicherungen entwickelt worden sind (BSG SozR 4-4220 § 6 Nr 2 RdNr 13; SozR 4-4200 § 12 Nr 5 RdNr 12, 20, 21 und 23 mwN), zu übernehmen sind, bedarf gegenwärtig keiner Entscheidung, weil der Verlust bei Verwertung der Lebensversicherung durch Auszahlung des Rückkaufswertes nach den Feststellungen des LSG von etwas über 10 vH - bezogen auf die eingezahlten Beträge - liegt, sodass die für die Annahme einer Härte erforderliche Schwelle auch nach der Rechtsprechung zum SGB II nicht überschritten wird. Der 14. Senat des BSG hat die Grenze der offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit iS des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II bei einem Verlust von 12,9 % noch nicht als erreicht angesehen(BSGE 100, 196 ff RdNr 34 = SozR 4-4200 § 12 Nr 8). Zudem ist im Rahmen des SGB XII - wovon das LSG zu Recht ausgeht - ein strengerer Maßstab beim Vermögenseinsatz als im SGB II anzulegen, weil - anders als dort - typisierend davon auszugehen ist, dass der Personenkreis, der Leistungen nach §§ 41 ff SGB XII bezieht, angesichts fehlender Erwerbsmöglichkeiten im Alter und bei dauerhafter Erwerbsminderung nicht nur vorübergehend auf die Leistungen angewiesen ist und von ihm - wie bereits ausgeführt - deshalb der Einsatz von Vermögen in gesteigertem Maß erwartet werden kann. Dies zeigen auch die im SGB II gegenüber § 90 Abs 2 Nr 9 SGB XII deutlich höheren Freibeträge. Deshalb hat die Rechtsprechung des BVerwG unter Geltung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG), das die Unwirtschaftlichkeit der Verwertung in § 88 Abs 3 BSHG wie auch § 90 Abs 3 SGB XII nicht ausdrücklich erwähnte, einen besonders strengen Maßstab angelegt(BVerwGE 106, 105, 110; 121, 34, 35 ff).

25

Welchen Ertrag der Kläger für die Zeit ab 12.9.2005 im Falle einer möglichen Verwertung erzielen kann sowie in welcher Form eine solche Verwertung ab diesem Zeitpunkt realistischerweise erwartet werden kann, lässt sich den Feststellungen des LSG nicht entnehmen. Deshalb kann der Senat nicht beurteilen, ob jedenfalls beginnend mit der Vereinbarung des Verwertungsausschlusses eine Härte iS von § 90 Abs 3 SGB XII anzunehmen ist. Dies gilt auch deshalb, weil bei der Härtefallprüfung auch die Umstände eine Rolle spielen, die ggf zur Anwendung des § 90 Abs 3 SGB XII führen (hier der Verwertungsausschluss), und deshalb die Gewährung von Leistungen erst ermöglichen. Wie bereits erwähnt, führt das vorsätzliche bzw grob fahrlässige Herbeiführen der Leistungsvoraussetzungen (§ 103 Abs 1 SGB XII) anders als bei den Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nicht zu einem Entfallen des Leistungsanspruchs, sondern nur zu einer Erstattungspflicht (aufgrund eines Bescheids). Wenn der Kläger den Verwertungsausschluss allerdings in der Absicht (direkter Vorsatz) vereinbart hätte, die Gewährung von Sozialhilfe herbeizuführen, muss die § 26 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB XII innewohnende Wertung des Gesetzes in die Prüfung der Härte mit einfließen, ohne dass es - wie ansonsten für eine Absenkung erforderlich - eines entsprechenden Verwaltungsaktes bedürfte(vgl dazu BSGE 100, 131 ff RdNr 23 = SozR 4-3500 § 90 Nr 3, auch zur Berücksichtigung des § 103 SGB XII im Rahmen der Unwirtschaftlichkeit als Härtefall). Zum gegenwärtigen Zeitpunkt (ohne die notwendigen tatsächlichen Feststellungen) ist es untunlich, darüber zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen eine Härte unter Berücksichtigung eines (im Vergleich zum SGB II) im Recht des SGB XII anzulegenden strengeren Maßstabs beim Vermögenseinsatz vorliegt und inwieweit unter der Geltung des SGB XII ggf der Rechtsprechung des BVerwG zu folgen ist.

26

Der Verwertbarkeit der Lebensversicherung wird allerdings - unabhängig in welcher Form sie erfolgt - durch § 90 Abs 2 Nr 9 SGB XII eine Grenze gesetzt. Danach darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder der Verwertung kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte abhängig gemacht werden. Nach § 96 Abs 2 SGB XII kann das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (, heute das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ) durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats die Höhe der Barbeträge oder sonstigen Geldwerte im Sinne dieser Vorschrift bestimmen. Hiervon hat das BMGS mit der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs 2 Nr 9 des SGB XII(DV § 90 SGB XII; BGBl I 1988, 150, hier idF des Art 15 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022) Gebrauch gemacht und nach § 1 DV § 90 SGB XII Grundfreibeträge vorgesehen.

27

Nur soweit der (Rückkaufs-)Wert der Lebensversicherung den für den Kläger geltenden Grundfreibetrag übersteigt, unterfällt das Vermögen der Verwertung. Maßgebender Stichtag ist dabei der 5.8.2005, der Tag, ab dem Sozialhilfe geltend gemacht wird, nicht aber - wovon das LSG ausgegangen ist - der Rückkaufswert zum 1.10.2005. Die erforderlichen Feststellungen wird das LSG ggf nachzuholen haben. Steht der konkrete Wert der Lebensversicherung zum Stichtag und damit auch der über den Schonbetrag des § 90 Abs 2 Nr 9 SGB XII hinausgehende Betrag fest, scheidet für die Folgezeit nach dem 5.8.2005 ein fiktiver Verbrauch von Vermögenswerten in Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage aus (BVerwGE 106, 105 ff); dies bedeutet, dass das Vermögen so lange zu berücksichtigen ist, als es noch vorhanden und nicht bis zur Grenze des § 90 Abs 2 Nr 9 SGB XII verbraucht wurde. Spätere Änderungen (etwa das Verwertungsverbot ab 12.9.2005), die eine Verwertung erschweren oder einen geringeren bzw höheren Ertrag bei der Verwertung des Vermögens zur Folge haben, also Einfluss auf den Wert des Vermögens nehmen, sind dabei allerdings zu berücksichtigen. Etwas anderes gilt im Übrigen nur, wenn im Bedarfszeitraum Sozialhilfe als Darlehen erbracht wird; dann muss die Gewährung der Sozialhilfe in Form eines Darlehens ein Ende finden, wenn die Belastungen den Verkehrswert des Vermögensgegenstandes erreichen (BVerwGE 47, 103, 113). Denn anderenfalls stünde der Darlehensnehmer schlechter als derjenige, der sein Vermögen verwertet und im Anschluss daran Hilfe zum Lebensunterhalt erhält. Ein Darlehen hat der Kläger aber nicht in Anspruch genommen, sondern ausdrücklich abgelehnt.

28

Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Soweit fällige Ansprüche auf Geldleistungen nicht nach den §§ 56 und 57 einem Sonderrechtsnachfolger zustehen, werden sie nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs vererbt. Der Fiskus als gesetzlicher Erbe kann die Ansprüche nicht geltend machen.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

Personen, die vor dem 1. Januar 1947 geboren sind, erreichen die Altersgrenze mit Ablauf des Monats, in dem sie das 65. Lebensjahr vollenden. Für Personen, die nach dem 31. Dezember 1946 geboren sind, wird die Altersgrenze wie folgt angehoben:

für den
Geburtsjahrgang
erfolgt eine
Anhebung
um Monate
auf den Ablauf des Monats,
in dem ein Lebensalter
vollendet wird von
1947165 Jahren und 1 Monat
1948265 Jahren und 2 Monaten
1949365 Jahren und 3 Monaten
1950465 Jahren und 4 Monaten
1951565 Jahren und 5 Monaten
1952665 Jahren und 6 Monaten
1953765 Jahren und 7 Monaten
1954865 Jahren und 8 Monaten
1955965 Jahren und 9 Monaten
19561065 Jahren und 10 Monaten
19571165 Jahren und 11 Monaten
19581266 Jahren
19591466 Jahren und 2 Monaten
19601666 Jahren und 4 Monaten
19611866 Jahren und 6 Monaten
19622066 Jahren und 8 Monaten
19632266 Jahren und 10 Monaten
ab 19642467 Jahren.

(1) Die Agentur für Arbeit stellt fest, ob die oder der Arbeitsuchende erwerbsfähig ist. Der Entscheidung können widersprechen:

1.
der kommunale Träger,
2.
ein anderer Träger, der bei voller Erwerbsminderung zuständig wäre, oder
3.
die Krankenkasse, die bei Erwerbsfähigkeit Leistungen der Krankenversicherung zu erbringen hätte.
Der Widerspruch ist zu begründen. Im Widerspruchsfall entscheidet die Agentur für Arbeit, nachdem sie eine gutachterliche Stellungnahme eingeholt hat. Die gutachterliche Stellungnahme erstellt der nach § 109a Absatz 4 des Sechsten Buches zuständige Träger der Rentenversicherung. Die Agentur für Arbeit ist bei der Entscheidung über den Widerspruch an die gutachterliche Stellungnahme nach Satz 5 gebunden. Bis zu der Entscheidung über den Widerspruch erbringen die Agentur für Arbeit und der kommunale Träger bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

(1a) Der Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme nach Absatz 1 Satz 4 bedarf es nicht, wenn der zuständige Träger der Rentenversicherung bereits nach § 109a Absatz 2 Satz 2 des Sechsten Buches eine gutachterliche Stellungnahme abgegeben hat. Die Agentur für Arbeit ist an die gutachterliche Stellungnahme gebunden.

(2) Die gutachterliche Stellungnahme des Rentenversicherungsträgers zur Erwerbsfähigkeit ist für alle gesetzlichen Leistungsträger nach dem Zweiten, Dritten, Fünften, Sechsten und Zwölften Buch bindend; § 48 des Zehnten Buches bleibt unberührt.

(3) Entscheidet die Agentur für Arbeit, dass ein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht besteht, stehen ihr und dem kommunalen Träger Erstattungsansprüche nach § 103 des Zehnten Buches zu, wenn der oder dem Leistungsberechtigten eine andere Sozialleistung zuerkannt wird. § 103 Absatz 3 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, dass Zeitpunkt der Kenntnisnahme der Leistungsverpflichtung des Trägers der Sozialhilfe, der Kriegsopferfürsorge und der Jugendhilfe der Tag des Widerspruchs gegen die Feststellung der Agentur für Arbeit ist.

(4) Die Agentur für Arbeit stellt fest, ob und in welchem Umfang die erwerbsfähige Person und die dem Haushalt angehörenden Personen hilfebedürftig sind. Sie ist dabei und bei den weiteren Entscheidungen nach diesem Buch an die Feststellung der Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung durch den kommunalen Träger gebunden. Die Agentur für Arbeit stellt fest, ob die oder der erwerbsfähige Leistungsberechtigte oder die dem Haushalt angehörenden Personen vom Bezug von Leistungen nach diesem Buch ausgeschlossen sind.

(5) Der kommunale Träger stellt die Höhe der in seiner Zuständigkeit zu erbringenden Leistungen fest. Er ist dabei und bei den weiteren Entscheidungen nach diesem Buch an die Feststellungen der Agentur für Arbeit nach Absatz 4 gebunden. Satz 2 gilt nicht, sofern der kommunale Träger zur vorläufigen Zahlungseinstellung berechtigt ist und dies der Agentur für Arbeit vor dieser Entscheidung mitteilt.

(6) Der kommunale Träger kann einer Feststellung der Agentur für Arbeit nach Absatz 4 Satz 1 oder 3 innerhalb eines Monats schriftlich widersprechen, wenn er aufgrund der Feststellung höhere Leistungen zu erbringen hat. Der Widerspruch ist zu begründen; er befreit nicht von der Verpflichtung, die Leistungen entsprechend der Feststellung der Agentur für Arbeit zu gewähren. Die Agentur für Arbeit überprüft ihre Feststellung und teilt dem kommunalen Träger innerhalb von zwei Wochen ihre endgültige Feststellung mit. Hält der kommunale Träger seinen Widerspruch aufrecht, sind die Träger bis zu einer anderen Entscheidung der Agentur für Arbeit oder einer gerichtlichen Entscheidung an die Feststellung der Agentur für Arbeit gebunden.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 2. Juli 2012 aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 12. Juli 2010 zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungs- und Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob der Kläger einen Anspruch auf Erstattung seiner Aufwendungen für nicht gedeckte Unterkunftskosten im Zeitraum 1.11.2008 bis 31.7.2010 hat.

2

Der 1975 geborene Kläger studierte nach Mittlerer Reife und beendeter Berufsausbildung zum Versicherungskaufmann im Jahre 2002 für ein Semester an der Hochschule für Wirtschaft und Politik. In der Folgezeit bezog er zunächst Sozialhilfe und ab 2005 Alg II. In Absprache mit der Rechtsvorgängerin des Beklagten führte er das Studium ab Sommersemester 2008 an der Universität H. als Nachfolgerin der Hochschule für Wirtschaft und Politik fort. Am 10.4.2008 schlossen Kläger und Beklagter eine Eingliederungsvereinbarung (EinglVb) ab, die eine Gültigkeitsklausel "bis 10.10.2008 soweit zwischenzeitlich nichts anderes vereinbart wird" enthielt. Darin wurde unter anderem vereinbart:

"1. Leistungen Jobcenter R.

* Sonstiges

        

- Für die Dauer des geplanten Studiums von bis zu 3 Jahren wird Arbeitslosengeld II als Unterstützung zur beruflichen Integration im bisherigen Umfang weiter gezahlt. Sollte sich herausstellen, dass das Studium aus gesundheitlichen Gründen nicht wie geplant fortgesetzt werden kann, wird ein Rehaverfahren eingeleitet.

Kommt der zuständige Träger seinen in der Eingliederungsvereinbarung festgelegten Pflichten nicht nach, ist ihm innerhalb einer Frist von 4 Wochen das Recht der Nacherfüllung einzuräumen. Ist eine Nachbesserung tatsächlich nicht möglich, muss er folgende Ersatzmaßnahme anbieten: /.

2. Bemühungen Herr D.K.

D.K. verpflichtet sich,

* Aus-/Weiterbildung/Anpassung

        

- Nachholen des Studienabschlusses

* Sonstiges

        

- Es ist erforderlich, dass eine sofortige Mitteilung bei der Arbeitsvermittlung erfolgt, wenn sich herausstellt, dass das Studium nicht wie geplant aus gesundheitlichen Gründen fortgeführt werden kann."

        

Neben allgemeinen Verpflichtungen zur Mitteilung von Änderungen und Bestimmungen betreffend den Aufenthalt außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereiches enthielt die EinglVb ferner eine formularmäßige Rechtsfolgenbelehrung.

3

Mit erneuter Aufnahme des Studiums erhielt der Kläger nach § 13 Abs 1 Nr 2 BAföG als Studierender an einer Hochschule Ausbildungsförderungsleistungen in Höhe von monatlich 333 Euro bzw später 366 Euro. Ergänzt wurde diese nach § 13 Abs 2 Nr 2 BAföG um einen Zuschuss zum Unterkunftsbedarf von 133 Euro bzw später 146 Euro und nach § 13 Abs 3 BAföG von weiteren 72 Euro monatlich.

4

Nachdem der Kläger sich am 21.4.2008 wegen der Übernahme des Semesterbeitrags an den Beklagten gewandt hatte, teilte dieser am 24.4.2008 mit, die in der EinglVb zugesagte Unterstützung für die gesamte Dauer des Studiums könne nicht aufrecht erhalten werden. Bei Aufnahme eines Studiums entfalle der Anspruch auf Alg II. Lediglich "im Härtefall" könnten auf Antragstellung "Kosten für Miete und Unterkunft" gewährt werden. Falls der Kläger sein Studium "nach der Probezeit" fortführe, erlösche der Leistungsanspruch spätestens zum Ende des Bewilligungszeitraums am 31.8.2008. Seinen Widerspruch hiergegen begründete der Kläger damit, dass die Wiederaufnahme des Studiums derzeit die einzige erfolgversprechende Eingliederungsmöglichkeit darstelle.

5

Der Beklagte bewilligte durch Bescheid vom 18.9.2008 einen Zuschuss zu den ungedeckten Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 296 Euro monatlich für die Zeit vom 1.5.2008 bis zum 31.10.2008. Deren Fortzahlung lehnte er mit der Begründung ab, der Kläger habe keinen Leistungsanspruch nach dem SGB II, denn er sei von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen. Er absolviere eine dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung nach dem BAföG. Die Anspruchsvoraussetzungen für einen Zuschuss zu den Unterkunftskosten nach § 22 Abs 7 SGB II(hier in der bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung, aF) seien nicht erfüllt. Der Kläger lebe im eigenen Haushalt und nicht in demjenigen der Eltern (Bescheid vom 12.11.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.2.2009).

6

Am 28.1.2010 beantragte der Kläger eine Rente wegen Erwerbsminderung, die die Deutsche Rentenversicherung Bund zunächst ab dem 1.8.2010 befristet und später unbefristet für die Zeit ab dem 1.1.2010 bewilligte.

7

Das SG hat die Klage auf einen Zuschuss zu den ungedeckten Unterkunftskosten abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 12.7.2010). Auf die Berufung des Klägers hat das LSG den Gerichtsbescheid aufgehoben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 12.11.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 23.2.2009 verurteilt, dem Kläger die nicht anderweitig gedeckten Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für den Zeitraum vom 1.11.2008 bis zum 31.7.2010 zu erstatten (Urteil vom 2.7.2012). Der Kläger habe einen unmittelbaren Anspruch auf Erfüllung aus der EinglVb vom 10.4.2008. Diese vertragliche Verpflichtung sei in der Folgezeit durch Bewilligungsentscheidungen umzusetzen gewesen. Das Leistungsversprechen des Beklagten sei nach dem objektiven Empfängerhorizont so auszulegen, dass es über den 10.10.2008 hinaus gültig gewesen sei. Die EinglVb sei auch wirksam zustande gekommen. Ein Nichtigkeitsgrund liege nicht vor. Eine EinglVb könne, solange sie nicht nichtig sei, grundsätzlich auch Vereinbarungen über Förderungen von Aus- und Weiterbildung enthalten, die nach dem SGB III nicht förderungsfähig seien. Der Beklagte habe die EinglVb auch nicht wirksam gekündigt.

8

Der Beklagte rügt mit seiner vom erkennenden Senat zugelassenen Revision eine Verletzung von § 15 SGB II. Der Kläger könne sich für den geltend gemachten Anspruch nicht auf die EinglVb berufen, denn diese sei nichtig. Der zulässige Regelungsinhalt der EinglVb beschränke sich ausschließlich auf Leistungen zur Eingliederung in Arbeit, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts seien kein zulässiger Regelungsgegenstand. Auch die Leistungsvoraussetzungen des § 22 Abs 7 SGB II aF hätten nicht vorgelegen. Mit der zum 1.1.2010 rückwirkend festgestellten Erwerbsminderung sei die Zuständigkeit des Beklagten zudem vollständig entfallen.

9

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 2. Juli 2012 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 12. Juli 2010 zurückzuweisen.

10

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

11

Er führt zur Begründung aus, dass die EinglVb nach den Feststellungen des LSG nicht bis zum 10.10.2008 befristet gewesen sei, sodass sich sein Leistungsanspruch unmittelbar aus der Vereinbarung ergäbe. In einer EinglVb könnten auch Regelungen über gebundene Leistungen, etwa solche zur Sicherung des Lebensunterhaltes, getroffen werden. Die EinglVb sei ggf als Zusicherung auszulegen, sodass dem Auszubildenden im Falle der Hilfebedürftigkeit passive Leistungen nach dem SGB II zu gewähren seien. Sein Anspruch gründe im Übrigen auf § 22 Abs 7 SGB II aF. Der Ausschluss von Studierenden, die nicht bei ihren Eltern wohnten, verstoße gegen Art 3 Abs 1 GG, weil es hierfür keine tragfähige Begründung gebe. Eine Ungleichbehandlung bestehe auch gegenüber Schülern, die nicht bei ihren Eltern wohnten, die gleichwohl einen Anspruch auf Zuschuss zu den ungedeckten angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 7 SGB II aF hätten. Es läge auch ein Verstoß gegen Art 1 iVm Art 20 GG vor, denn die Bedarfssätze im BAföG unterschritten das Existenzminimum. Er könne im konkreten Fall zudem aufgrund seiner Erkrankung nicht selbst durch Erwerbstätigkeit für seinen Lebensunterhalt sorgen. Schlussendlich folge der geltend gemachte Anspruch aus § 7 Abs 5 S 2 SGB II aF. Es liege hier ein besonderer Härtefall vor, denn das Studium sei die einzige Möglichkeit, einen Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden.

12

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie führt aus, ein Anspruch des Klägers gegen sie komme bereits deswegen nicht in Betracht, weil er im streitgegenständlichen Zeitraum kein Leistungsberechtigter nach dem SGB XII gewesen sei. Ferner sei ein Anspruch nach § 22 SGB XII ausgeschlossen.

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet.

14

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die streitgegenständlichen Leistungen gegen den Beklagten. Weder kann er sich mit Erfolg auf § 22 Abs 1 S 1 SGB II(3.) oder § 22 Abs 7 S 1 SGB II aF(4.), noch auf die EinglVb vom 10.4.2008 oder eine hierin zu erblickende Zusicherung iS des § 34 SGB X als Anspruchsgrundlage für einen Zuschuss zu den Unterkunftskosten berufen(5.). Er hat auch keinen Erfolg mit seinem Begehren auf eine darlehensweise Übernahme der Aufwendungen für Unterkunft nach § 22 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 7 Abs 5 S 2 SGB II aF(6.). Ebenso wenig kann er Leistungen nach dem SGB XII hierfür von der Beigeladenen beanspruchen (7.).

15

1. Streitgegenstand ist ein Anspruch des Klägers auf Leistungen für ungedeckte Kosten für Unterkunft und Heizung vom 1.11.2008 bis 31.7.2010 als Zuschuss oder Darlehen. Da allein der Beklagte Revision gegen das Urteil des LSG eingelegt hat, ist der Streitgegenstand hierauf beschränkt. Bei den Leistungen für Unterkunft und Heizung handelt es sich um abtrennbare Verfügungen (vgl nur BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 18 f). An der Zulässigkeit derart beschränkter Rechtsmittel hat sich durch die Neufassung des § 19 Abs 1 SGB II aufgrund des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG vom 24.3.2011 (BGBl I 453) zumindest für laufende Verfahren über vor dem 1.1.2011 abgeschlossene Bewilligungsabschnitte nichts geändert (vgl BSG Urteil vom 13.4.2011 - B 14 AS 106/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 46, RdNr 11).

16

2. Der Kläger verfolgt sein Begehren zutreffend mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) bzw kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG), soweit der Anspruch auf § 22 Abs 1 S 1 SGB II, § 22 Abs 7 S 1 SGB II aF bzw § 22 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 7 Abs 5 S 2 SGB II aF und § 22 Abs 1 S 2 SGB XII oder § 34 SGB X gründet. Im Hinblick auf die EinglVb vom 10.4.2008 als Rechtsgrundlage des von ihm geltend gemachten Anspruchs ist zulässige Klageart die allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG).

17

3. Der Kläger hat keinen Anspruch auf einen Zuschuss zu den anderweitig nicht gedeckten Unterkunftskosten gegen den Beklagten auf Grundlage von § 22 Abs 1 S 1 SGB II. Nach § 22 Abs 1 S 1 SGB II(idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954, der insofern seit dem Inkrafttreten am 1.1.2005 bis zum Ende des hier streitigen Zeitraumes nicht geändert worden ist) werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Dem Anspruch des Klägers auf diese Leistungen steht bereits seine fehlende Leistungsberechtigung entgegen. Dahinstehen kann insoweit, dass das LSG keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen hat, ob der Kläger im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum erwerbsfähig iS des § 7 Abs 1 S 1 Nr 2 iVm § 8 SGB II und hilfebedürftig iS des § 7 Abs 1 S 1 Nr 3 iVm § 9 SGB II war. Er war von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 7 Abs 5 S 1 SGB II aF ausgeschlossen.

18

Gemäß § 7 Abs 5 S 1 SGB II(idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954, der insofern seit dem Inkrafttreten am 1.1.2005 bis zum Ende des hier streitigen Zeitraumes nicht geändert worden ist) haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der §§ 60 bis 62 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, einschließlich solcher zur Deckung des Bedarfs durch die Kosten für Unterkunft und Heizung(§ 19 S 1 SGB II aF). Dem Ausschluss des § 7 Abs 5 S 1 SGB II aF liegt dabei die Erwägung zugrunde, dass bereits die Ausbildungsförderung nach dem BAföG oder eine Förderung gemäß §§ 60 bis 62 SGB III auch die Kosten des Lebensunterhalts umfasst und die Grundsicherung nach dem SGB II nicht dazu dienen soll, durch Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts das Betreiben einer dem Grunde nach anderweitig förderungsfähigen Ausbildung zu ermöglichen. Die Ausschlussregelung im SGB II soll die nachrangige Grundsicherung (vgl § 3 Abs 3 SGB II)mithin davon befreien, eine - versteckte - Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene zu ermöglichen. Es sollen nicht mehrere Träger zur Deckung ein und desselben Bedarfs zuständig sein (BSG Urteil vom 6.9.2007 - B 14/7b AS 36/06 R - BSGE 99, 67 = SozR 4-4200 § 7 Nr 6, RdNr 18; BSG Urteil vom 30.9.2008 - B 4 AS 28/07 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 9 RdNr 14).

19

Nach den Feststellungen des LSG absolvierte der Kläger während des streitgegenständlichen Zeitraums eine Ausbildung in der Form eines Studiums iS des § 7 Abs 5 S 1 SGB II aF iVm § 2 Abs 1 S 1 Nr 6 BAföG an der Universität H., die im konkreten Fall auch durch Leistungen nach dem BAföG gefördert worden ist. Dass der Kläger bereits über einen Berufsabschluss verfügt hat, steht der Einordnung des Studiums als Ausbildung iS des § 7 Abs 5 S 1 SGB II aF nicht entgegen. Es handelte sich dabei insbesondere nicht um eine Maßnahme der Weiterbildung iS von § 77 SGB III aF(idF des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002, BGBl I 4607), die keinen Ausschluss von SGB II-Leistungen begründet (BSG Urteil vom 30.8.2010 - B 4 AS 97/09 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 19 RdNr 18 ff, unter Bezugnahme auf stRspr BVerwG, etwa BVerwG Urteil vom 7.6.1989 - 5 C 3/86 - BVerwGE 82, 125).

20

Die Abgrenzung zwischen Aus- und Weiterbildung richtet sich ausschließlich nach objektiven Kriterien unter Berücksichtigung des Charakters der Maßnahme. Entscheidend ist insoweit der Weg, auf dem das Ziel erreicht werden soll (BSG Urteil vom 29.1.2008 - B 7/7a AL 68/06 R - BSGE 100, 6 = SozR 4-4300 § 60 Nr 1, RdNr 10). Weiterbildungsangebote sollen grundsätzlich auf dem bereits vorhandenen beruflichen Wissen aufbauen. Es handelt sich insoweit um die Fortsetzung oder Wiederaufnahme organisierten Lernens nach dem Abschluss der ersten Ausbildungsphase oder sonstiger beruflicher Betätigung ohne vorherigen Berufsabschluss, das deswegen vielfach - wenn auch nicht zwingend - mit einer verkürzten Ausbildungsdauer einhergeht (vgl § 85 Abs 2 SGB III aF; BSG Urteil vom 30.8.2010, aaO, RdNr 23 mwN auf die stRspr des BSG).

21

Nach den Feststellungen des LSG war die abgeschlossene Berufsausbildung ausschließlich Zugangsvoraussetzung für den gewählten Studiengang, sowohl zur Erlangung der allgemeinen Hochschulreife, als auch eines Bachelors of Arts in Sozialökonomie. Das Studium schloss nicht insofern an die Kenntnisse aus der Berufsausbildung an, als das an der Universität vermittelte Wissen auf ihnen aufbaute oder einen unmittelbaren Bezug zu diesen Kenntnissen hatte. Der formale Ausbildungsabschluss war vielmehr nur erforderlich, um zur Aufnahmeprüfung und nach deren Bestehen zum Studium zugelassen zu werden, vergleichbar der allgemeinen Hochschulreife, erworben durch das Abitur.

22

Da der Kläger Studierender an einer Hochschule war, kann er auch die Rückausnahmen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 6 SGB II(idF des 22. Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes <22. BAföGÄndG> vom 23.12.2007, BGBl I 3254, 3258, der insofern seit dem Inkrafttreten am 1.1.2008 bis zum Ende des hier streitigen Zeitraumes nicht geändert worden ist), die Schüler betreffen, nicht für sich in Anspruch nehmen.

23

4. Ebenso wenig hat der Kläger einen Anspruch gegen den Beklagten auf Gewährung ergänzender Leistungen für ungedeckte Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 7 S 1 SGB II aF als Zuschuss. Nach § 22 Abs 7 S 1 SGB II aF(eingeführt durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006, BGBl I 1706, der insofern seit dem Inkrafttreten am 1.1.2007 bis zum Ende des hier streitigen Zeitraumes nicht geändert worden ist; nunmehr: § 27 Abs 3 SGB II) steht abweichend von § 7 Abs 5 S 1 SGB II aF Auszubildenden, die Berufsausbildungsbeihilfe oder Ausbildungsgeld nach dem SGB III oder Leistungen nach dem BAföG erhalten und deren Bedarf sich nach § 65 Abs 1, § 66 Abs 3, § 101 Abs 3, § 105 Abs 1 Nr 1, 4, § 106 Abs 1 Nr 2 SGB III oder nach § 12 Abs 1 Nr 2, Abs 2 und 3, § 13 Abs 1 iVm Abs 2 Nr 1 BAföG bemisst, ein Zuschuss zu ihren ungedeckten angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung zu(§ 22 Abs 1 S 1 SGB II). Unabhängig von den mangelnden Feststellungen des LSG zum Hilfebedarf des Klägers im Hinblick auf die Unterkunftskosten dem Grunde nach und ggf dessen Höhe, erfüllt er bereits die persönlichen Voraussetzungen des § 22 Abs 7 S 1 SGB II aF nicht.

24

Der Kläger bezog nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) Leistungen nach dem BAföG, wobei sich sein Bedarf nach § 13 Abs 1 Nr 2, Abs 2 Nr 2 BAföG(bis zum 31.7.2008 idF des Gesetzes zur Reform und Verbesserung der Ausbildungsförderung - Ausbildungsförderungsreformgesetz vom 19.3.2001, BGBl I 390, und ab 1.8.2008 idF des 22. BAföGÄndG vom 23.12.2007, BGBl I 3254) bemaß. Damit erhielt er Leistungen als Studierender an einer Hochschule, der nicht bei seinen Eltern wohnt (§ 13 Abs 1 Nr 2, Abs 2 Nr 2, Abs 3 BAföG). § 22 Abs 7 S 1 SGB II aF findet jedoch nur auf Studierende Anwendung, deren Bedarf sich nach § 13 Abs 1, Abs 2 Nr 1 BAföG bemisst, also auf solche, die eine Ausbildung in einer der in § 13 Abs 1 Nr 2 BAföG genannten Einrichtungen absolvieren und bei ihren Eltern wohnen.

25

Eine Anwendung von § 22 Abs 7 S 1 SGB II aF auf die vom Kläger repräsentierte Personengruppe über den Wortlaut der Norm hinaus kommt nicht in Betracht. Es handelt sich hierbei um eine abschließende Aufzählung (hiervon ist bereits der 14. Senat im Urteil vom 19.8.2010 - B 14 AS 24/09 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 20 RdNr 20-21 ausgegangen; ebenso BSG Urteil vom 6.9.2007 - B 14/7b AS 36/06 R - BSGE 99, 67 = SozR 4-4200 § 7 Nr 6, RdNr 28) und für eine analoge Anwendung der Vorschrift auf die hier vorliegende Fallkonstellation fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke.

26

Der Gesetzgeber hat bewusst nur für den Personenkreis ergänzende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vorgesehen, der entweder während einer Berufsausbildung außerhalb des Elternhauses wohnt und nur Anspruch auf eine Förderung nach § 65 Abs 1 SGB III iVm dem niedrigeren Leistungssatz nach § 13 Abs 1 Nr 1 BAföG hat(vgl Fallkonstellation, die der Entscheidung des erkennenden Senats vom 22.3.2010 zugrunde lag - B 4 AS 69/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 32 RdNr 13)oder der als Studierender bei den Eltern lebt und nur Unterkunftsleistungen nach § 13 Abs 2 Nr 1 BAföG erhält. In beiden Fällen können typischerweise Lücken bei der Finanzierung der Unterkunftskosten entstehen. Die ergänzenden Leistungen für Studierende, die im Haushalt der Eltern wohnen, sollen zu den dort anfallenden Kosten für die Unterkunft und Heizung beitragen, weil die Eltern den auf das studierende Kind entfallenden Wohnkostenanteil mitzutragen haben. Sind die Eltern selbst hilfebedürftig, haben sie nach dem SGB II nur kopfteilig Anspruch auf Unterkunfts- und Heizkostenleistungen, sodass der auf das studierende Kind entfallende Anteil an den Wohnkosten ansonsten ungedeckt bliebe (BT-Drucks 16/1410, S 23).

27

Soweit der Kläger geltend macht, der Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach Art 1 iVm Art 20 GG (vgl BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12, RdNr 134 - SGB II-Regelleistung; BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 7.7.2010 - 1 BvR 2556/09 - SozR 4-4200 § 11 Nr 33) erfordere seine Einbeziehung in den Kreis der nach § 22 Abs 7 S 1 SGB II aF Leistungsberechtigten, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Der Kläger beruft sich darauf, aus Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG folge die staatliche Garantie der Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins erforderlich seien (vgl BVerfGE 82, 60 <80>; BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12, RdNr 135). Insoweit übersieht er jedoch, dass er zur Finanzierung seines Lebensunterhalts staatliche Mittel in Gestalt der Leistungen nach dem BAföG erhalten hat, insbesondere erhöhte Unterkunftsleistungen. Für Studierende, die in einer Unterkunft außerhalb des Elternhauses wohnen, sah § 13 Abs 3 BAföG im hier streitigen Zeitraum(idF des Art 1 Nr 6 AföRG, Ausbildungsförderungsreformgesetz vom 19.3.2001, BGBl I 390, mWv 1.4.2001) im Fall der Unterdeckung bei den Unterkunftskosten eine pauschalierte Erhöhung der Leistungen hierfür um 72 Euro monatlich auf insgesamt 218 Euro vor. Inwieweit auch im BAföG - wie im SGB II - die Deckung der angemessenen tatsächlichen Aufwendungen gewährleistet werden müsste (vgl zur Pauschalierung und Typisierung in der Ausbildungsförderung: BVerwG Urteil vom 30.6.2010 - 5 C 3/09 - juris RdNr 32), bedurfte hier keiner Prüfung. Der Kläger begehrt vorliegend ausschließlich Leistungen nach dem SGB II. Das SGB II sah jedoch wegen der Pauschalierung bei den Unterkunftskosten im BAföG nur in genau definierten Härtefällen eine Aufstockung der Ausbildungsförderungsleistungen durch § 22 Abs 7 S 1 SGB II aF vor. Soweit der Kläger - wie zuvor dargelegt - über die geregelten Ausnahmefälle des § 22 Abs 7 S 1 SGB II aF hinaus einen weitergehenden gesetzlich nicht vorgesehenen Anspruch geltend macht, rügt er daher keine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung des Existenzminimums, sondern eine Verletzung von Art 3 Abs 1 GG.

28

Art 3 Abs 1 GG erfordert hier jedoch keine verfassungskonforme Anwendung des § 22 Abs 7 S 1 SGB II aF dergestalt, dass Studierende, die außerhalb des Elternhauses wohnen, in den Kreis der nach dieser Vorschrift Leistungsberechtigten aus Gleichheitsgründen einzubeziehen wären. Grundsätzlich verletzt eine Norm, durch welche eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten verschieden behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten, zwar den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG (vgl BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 7.7.2010 - 1 BvR 2556/09 - SozR 4-4200 § 11 Nr 33, juris RdNr 17 f mwN). Es mangelt hier jedoch bereits an der Vergleichbarkeit der vom Kläger benannten Personengruppen, der bei den Eltern lebenden Studierenden bzw Auszubildenden mit eigenem Haushalt und den Studierenden mit eigenem Haushalt. Es liegen derartige Unterschiede zwischen ihnen vor, dass eine Gleichbehandlung nicht geboten ist.

29

Die Bedarfslagen beider Gruppen unterscheiden sich deutlich. Den vom Kläger hier zum Vergleich herangezogenen Personengruppen von Studierenden, Schülern und Auszubildenden standen niedrigere Leistungen zur Ausbildungsförderung nach dem BAföG bzw dem SGB III iVm den Vorschriften des BAföG als Studierenden mit eigenem Haushalt zu. Studierende, die im Elternhaus lebten, erhielten nach § 13 Abs 2 Nr 1 BAföG nur einen abgesenkten Beitrag zu ihren Unterkunftskosten, zwischen dem 1.8.2008 und dem 27.10.2010 betrug dieser 48 Euro (22. BAföGÄndG vom 23.12.2007 mWv 1.8.2008, BGBl I 3254). Studierenden mit einer Unterkunft außerhalb des Elternhauses konnten hingegen in dem zuvor benannten Zeitraum nach § 13 Abs 2 Nr 2 iVm § 13 Abs 3 BAföG bis zu 218 Euro zur Finanzierung ihrer Unterkunft und insgesamt maximal 584 Euro gewährt werden. Bei Schülern, beispielsweise in einer Fachoberschulklasse, mit einem eigenen Haushalt (höchste im BAföG vorgesehene Ausbildungsförderungsleistung für Schüler), konnte der im Gesamtbedarf nach § 12 Abs 2 S 1 Nr 2 BAföG von 459 Euro im streitigen Zeitraum enthaltene Unterkunftsanteil von 57 Euro maximal um 72 Euro erhöht werden, sodass ihnen höchstens 531 Euro als Gesamtleistung zur Verfügung stand. Entsprechendes gilt, soweit der Kläger sich mit einem Auszubildenden vergleichen wollte, der Leistungen zur Berufsausbildung nach dem SGB III bezieht und außerhalb des Elternhauses wohnt, gleichwohl aber einen Anspruch auf Leistungen nach § 22 Abs 7 S 1 SGB II aF haben konnte. Die Berufsausbildungsbeihilfe bemaß sich für diesen Auszubildenden im hier streitigen Zeitraum (AföRG vom 19.3.2001, BGBl I 390, mWv 1.4.2001) nach § 13 Abs 1 Nr 1 BAföG, also einem niedrigeren Satz als demjenigen, der für Studierende an einer Hochschule zugrunde zu legen war(§ 13 Abs 1 Nr 2 BAföG). An diese unterschiedlichen Bedarfslagen durfte der Gesetzgeber mit § 22 Abs 7 S 1 SGB II aF anknüpfen.

30

Der Kläger konnte ausschließlich aus individuellen Gründen die ihm entstehenden Unterkunftsaufwendungen nicht mit der ihm gewährten Ausbildungsförderung decken. Er erfuhr jedoch durch § 22 Abs 7 S 1 SGB II aF keine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf die Leistungshöhe nach dem BAföG gegenüber anderen Studierenden der maßgeblichen Vergleichsgruppe, dh den Studierenden, die außerhalb des Elternhauses leben.

31

5. Dem Kläger steht schließlich auch kein Leistungsanspruch gegen den Beklagten auf Grundlage der EinglVb vom 10.4.2008 zu. Eine EinglVb scheidet zwar nicht grundsätzlich als Anspruchsgrundlage für Leistungen nach dem SGB II aus (vgl nur BSG Urteil vom 6.12.2012 - B 11 AL 15/11 R - BSGE 112, 241 = SozR 4-1300 § 59 Nr 1, RdNr 18). Vorliegend kann der Kläger sich jedoch nicht auf sie berufen. Dabei kann offenbleiben, ob der erkennende Senat an die Feststellung des LSG gebunden ist, das Leistungsversprechen des Beklagten in der EinglVb habe nach dem objektiven Empfängerhorizont die Laufzeit über den 10.10.2008 hinaus modifiziert. Denn der Beklagte konnte sich nicht bindend in Gestalt einer EinglVb nach § 15 SGB II zur Erbringung von Leistungen für Unterkunft und Heizung als Teil des Alg II verpflichten.

32

§ 15 Abs 1 S 1 SGB II(idF des Kommunalen Optionsgesetzes vom 30.7.2004, BGBl I 2014, der insofern seit dem Inkrafttreten am 1.1.2005 bis zum Ende des hier streitigen Zeitraumes nicht geändert worden ist) bestimmt: "Die Agentur für Arbeit soll im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jedem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen die für seine Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren ...". Im vorliegenden Fall hat sich der Beklagte nach Ziff 1 der EinglVb verpflichtet, für die Dauer des geplanten Studiums von bis zu drei Jahren Alg II als Unterstützung zur beruflichen Integration im bisherigen Umfang zu gewähren. Der Kläger sollte im Gegenzug das Studium wieder aufnehmen und den Studienabschluss nachholen. Dass der Kläger seiner Verpflichtung insoweit nachgekommen ist, als er im streitigen Zeitraum an der Hochschule studiert hat, kann den Feststellungen des LSG mit ausreichender Sicherheit entnommen werden. Ebenso steht fest, dass der Beklagte seiner Verpflichtung nur bis zum 31.10.2008 nachgekommen ist. Die Leistungsablehnung durch den Beklagten für den hier streitigen Zeitraum ist jedoch nicht zu beanstanden. Die EinglVb vom 10.4.2008 war von Anfang an nichtig.

33

a) Es ist höchstrichterlich noch nicht entschieden, welche Rechtsqualität der EinglVb nach § 15 SGB II zukommt. Der erkennende Senat neigt jedoch in Fortführung der bislang vorliegenden Rechtsprechung des 11. und 14. Senats dazu, die EinglVb nach § 15 SGB II der Rechtsform des öffentlich-rechtlichen Vertrags zuzuordnen (vgl BSG Urteil vom 6.12.2012 - B 11 AL 15/11 R - BSGE 112, 241 = SozR 4-1300 § 59 Nr 1, RdNr 20; BSG Urteil vom 14.2.2013 - B 14 AS 195/11 R - BSGE 113, 70 = SozR 4-4200 § 15 Nr 2, RdNr 18; BSG Urteil vom 22.8.2013 - B 14 AS 75/12 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-4200 § 16 Nr 13 und BSGE vorgesehen, juris RdNr 19), konkret der Form eines subordinationsrechtlichen Austauschvertrags gemäß § 53 Abs 1 S 2, § 55 SGB X(vgl im Einzelnen zur hM in der Literatur, die einen öffentlich-rechtlichen Vertrag - zT unter Einordnung als sog "hinkender", "unechter" Austauschvertrag - befürwortet: Banafsche, SR 2013, 121, 126 ff; Berlit in Münder, LPK-SGB II, 5. Aufl 2013, § 15 RdNr 8; Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 55 RdNr 4; Fuchsloch in Gagel, SGB II/SGB III, § 15 SGB II RdNr 21 f, 109 ff, Stand VI/2006; Huckenbeck in Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl 2011, § 15 RdNr 5; Kador in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 15 RdNr 8; Lahne in Hohm, Gemeinschaftskomm zum SGB II, § 15 RdNr 11, Stand VII/2012; Müller in Hauck/Noftz, SGB II, K § 15 RdNr 34, 37, 59 ff, Stand VII/2012; Sonnhoff in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 3. Aufl 2012, § 15 RdNr 22 ff; Weinreich, SGb 2012, 513, 519). Hieraus folgt, dass sich die rechtliche Beurteilung vertraglicher Störungen nach § 40 Abs 1 S 1 SGB II iVm §§ 53 ff SGB X richtet(vgl ebenfalls unter Angabe des Meinungsstandes BSG Urteil vom 6.12.2012 - B 11 AL 15/11 R - BSGE 112, 241 = SozR 4-1300 § 59 Nr 1, RdNr 21 ff),mit der Konsequenz, dass vorliegend die gesamte EinglVb nichtig ist (§ 58 Abs 3 SGB X). Der Kläger kann daher nicht mit Erfolg einen Anspruch auf ergänzende Unterkunftsleistungen aus der EinglVb herleiten.

34

Der vereinbarten Verpflichtung des Beklagten in Ziff 1 der EinglVb, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts während der Dauer des geplanten Studiums zu zahlen, steht das Vertragsformverbot gemäß § 53 Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB X entgegen. Gemäß § 53 Abs 1 S 1 SGB X kann ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts durch Vertrag begründet, geändert oder aufgehoben werden, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Die Verwaltung hat dabei stets den rechtsstaatlichen Vorrang des Gesetzes zu beachten (Art 20 Abs 3 GG). Sofern der Verwaltung eine bestimmte Handlungsform eindeutig durch Gesetz vorgegeben wird, hat sie dies nach Art 20 Abs 3 GG zu beachten, ihr steht vor allem unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit gegenüber den von ihrem Handeln Betroffenen insoweit keine Gestaltungsfreiheit zu.

35

Die Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung als Teil der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts - geregelt in den §§ 19 ff SGB II - durch einen öffentlich-rechtlichen Vertrag in Gestalt einer EinglVb nach § 15 SGB II - gleichsam ausgehandelt zwischen den beiden an dem Vertrag beteiligten - ist rechtlich nicht zulässig(so auch die einhellige Meinung im Schrifttum: vgl Berlit in Münder, LPK-SGB II, 5. Aufl 2013, § 15 RdNr 22; Fuchsloch in Gagel, SGB II/SGB III, § 15 SGB II RdNr 54 ff, Stand VI/2006; Huckenbeck in Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl 2011, § 15 RdNr 24; Knickrehm in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Komm zum Sozialrecht, 3. Aufl 2013, § 15 RdNr 15; Lahne in Hohm, Gemeinschaftskomm zum SGB II, § 15 RdNr 25, Stand VII/2012; Müller in Hauck/Noftz, SGB II, K § 15 RdNr 41, Stand VII/2012; Pfohl in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylblG, § 15 RdNr 9, Stand VII/2011; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 15 RdNr 22; Stark in Estelmann, SGB II, § 15 RdNr 52, Stand VII/2008; Bieback, VSSR 2013, 301, 304; Weinreich, SGb 2012, 513, 517; in diese Richtung sind auch Banafsche, SR 2013, 121, 134 und Kretschmer, Das Recht der Eingliederungsvereinbarung des SGB II, 2012, 211 f zu verstehen; Kador in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 15 RdNr 22 bejaht eine mögliche Regelung mit jedoch nur klarstellender Funktion). Dies folgt aus dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte, dem systematischen Zusammenhang, in dem § 15 SGB II steht, sowie dessen Sinn und Zweck.

36

Nach dem Wortlaut von § 15 Abs 1 S 1 SGB II soll - als Regelfall - die Agentur für Arbeit im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jedem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen die für seine Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren. Gemäß § 1 Abs 3 SGB II umfasst die Grundsicherung für Arbeitsuchende Leistungen zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit insbesondere durch Eingliederung in Arbeit(Nr 1 - so genannte aktive Leistungen) und zur Sicherung des Lebensunterhalts (Nr 2 - so genannte passive Leistungen, vgl auch BT-Drucks 15/1516, S 54). Beide Leistungsformen sind von einander zu unterscheiden (vgl auch § 19a Abs 1 SGB I). § 15 Abs 1 S 1 SGB II bezieht sich ausschließlich auf die aktiven Leistungen. So soll in der EinglVb insbesondere vereinbart werden, welche Leistungen der Erwerbsfähige zur Eingliederung in Arbeit erhält, welche Bemühungen er in welcher Häufigkeit mindestens unternehmen muss und in welcher Form er seine Bemühungen nachzuweisen hat (§ 15 Abs 1 S 2 Nr 1, 2 SGB II). Soweit der Kläger meint, aus § 15 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB II - die Bestimmung, welche Leistungen Dritter, insbesondere Träger anderer Sozialleistungen, der erwerbsfähige Hilfebedürftige zu beantragen hat - schließen zu können, dass auch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts Regelungsgegenstand der EinglVb sein könnten, verkennt er, dass sich auch dieser Beispielsfall eines Vereinbarungsinhalts nur auf die Beantragung von Eingliederungsleistungen bezieht. Für andere Leistungen hält das SGB II die Vorschriften des § 5 Abs 3 und § 12a SGB II vor. Dies wird durch die Gesetzesbegründung bestätigt. Danach enthält die EinglVb verbindliche Aussagen zum Fördern und Fordern des Erwerbsfähigen, insbesondere zu den abgesprochenen Leistungen zur Eingliederung in Arbeit und Mindestanforderungen an die eigenen Bemühungen um berufliche Eingliederung nach Art und Umfang (BT-Drucks 15/1516, S 54).

37

Dieser Befund wird durch die systematische Stellung des § 15 SGB II innerhalb des grundsicherungsrechtlichen Leistungssystems bestätigt. § 15 SGB II findet sich im Kap 3, Abschn 1 "Leistungen zur Eingliederung in Arbeit". Die Vorschrift leitet damit nach § 14 SGB II, dem vorangestellten Grundsatz des Förderns, als verfahrenssteuernde Vorschrift den Abschn 1 - "Leistungen zur Eingliederung in Arbeit" ein. Ihr folgen die Regelungen über die einzelnen Leistungen zur Eingliederung, mit dem Kernstück des § 16 SGB II. Damit hat der Gesetzgeber der Verwaltung zugleich auch systematisch einen abschließenden Katalog möglicher Inhalte einer EinglVb vorgegeben. Da die Unterkunftsleistungen als Teil der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem 2. Abschn des 3. Kap ausdrücklich keine Leistungen zur Eingliederung in Arbeit darstellen, können sie damit auch nicht zulässiger Inhalt einer EinglVb sein. Der Verwaltung wird diese Handlungsform für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Gesetzgeber nicht eröffnet.

38

Die in der EinglVb vereinbarten Leistungen sollen den Leistungsberechtigten zudem unabhängig machen von den passiven Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, zumindest den Anspruch auf diese iS des § 3 Abs 1 S 1 SGB II mindern. Ihr Zweck ist es mithin - im Idealfall -, dass sich die Gewährung von passiven Leistungen erübrigt. Dem widerspräche es, wenn Alg II oder Teile dessen zugleich Gegenstand der EinglVb sein könnten. Der Leistungsberechtigte müsste sich ansonsten "vertraglich" verpflichten, Eingliederungsbemühungen zu unternehmen, um die vom Beklagten zugesagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts entbehrlich zu machen. Ihn träfe die Vertragspflicht, sich darum zu bemühen, dass sein Vertragspartner von seiner zugesagten Leistungsverpflichtung frei wird. Diese Zweckrichtung liegt dem gesetzlichen Konzept der EinglVb ersichtlich nicht zugrunde. Aufgrund der von Anfang an vorliegenden Nichtigkeit der EinglVb vom 10.4.2008 kommt es nicht mehr darauf an, ob der Beklagte sich von dieser durch das Schreiben vom 24.4.2008 wirksam gelöst hat (§ 59 SGB X).

39

b) Selbst wenn man die EinglVb nicht als öffentlich-rechtlichen Vertrag bewerten wollte, ergäbe sich kein anderes Ergebnis.

40

aa) Soweit die Auffassung vertreten wird, bei der EinglVb handele es sich um einen öffentlich-rechtlichen Teilvertrag oder um eine öffentlich-rechtliche Zusatzvereinbarung (Stark in Estelmann, SGB II, § 15 RdNr 30, Stand VII/2008) oder eine normersetzende öffentlich-rechtliche Handlungsform sui generis (Spellbrink, Sozialrecht aktuell 2006, 52, 54) und die §§ 53 ff SGB X - entsprechend - herangezogen werden sollen(hierzu BSG Urteil vom 6.12.2012 - B 11 AL 15/11 R - BSGE 112, 241 = SozR 4-1300 § 59 Nr 1, RdNr 22), ergibt sich die Nichtigkeit der konkret vorliegenden EinglVb aus den genannten Gründen zum Vertragsformverbot (vgl a). Sofern das Handeln der Verwaltung durch EinglVb nach diesen Ansichten ähnlich wie ein Verwaltungsakt zu kontrollieren sein soll (vgl Spellbrink, Sozialrecht aktuell 2006, 52, 54), folgt die Unwirksamkeit direkt aus dem rechtsstaatlichen Gebot des Gesetzesvorrangs nach Art 20 Abs 3 GG. Die zum Vertragsformverbot nach § 53 Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB X gemachten Ausführungen zu Art 20 Abs 3 GG gelten für diese Ansicht unmittelbar.

41

bb) Auch soweit Ziff 1 der EinglVb der Rechtsform nach als Zusicherung iS von § 34 SGB X anzusehen sein sollte(vgl zur Einordnung von EinglVb als Zusicherungen grundsätzlich Knickrehm in Schuler-Harms, Konsensuale Handlungsformen im Sozialleistungsrecht, 2012, 43, 52), ergäbe sich kein anderes Ergebnis. Eine Zusicherung, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Gegenzug zur Absolvierung eines Studiums oder dessen Abschluss zu gewähren, wäre ebenfalls nichtig. Gemäß § 34 Abs 1 S 1 SGB X ist eine Zusicherung eine von der zuständigen Behörde erteilte Zusage, einen bestimmten Verwaltungsakt später zu erlassen oder zu unterlassen. Auf die Unwirksamkeit der Zusicherung findet nach § 34 Abs 2 SGB X ua § 40 SGB X Anwendung. Gemäß § 40 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. So liegt der Fall hier.

42

Der Kläger hat sich in Ziff 2 der EinglVb - im Gegenzug zur Zusage der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts - zu Eingliederungsbemühungen verpflichtet und der Beklagte hat diese Verpflichtung zur Bedingung seiner Zusicherung gemacht. Dies wird dem Anspruch auf Gewährleistung des Existenzminimums iS des Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG nicht gerecht. Vielmehr ist Alg II bei Vorliegen der gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen als gesetzlich gebundene Leistung verpflichtend zu erbringen. Es besteht insoweit keinerlei Disponibilität, insbesondere nicht in dem Sinne, dass die Bewilligung passiver Leistungen, die im Kern zwar nicht voraussetzungslos, jedoch unverfügbar sind (vgl BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12, RdNr 133), durch eine Vereinbarung zwischen dem Grundsicherungsträger und dem Leistungsberechtigten von einem bestimmten Verhalten des Letzteren abhängig gemacht wird. Damit würden diese Leistungen von vornherein und vollständig unter die "aufschiebende Bedingung" eines gewünschten Verhaltens gestellt. Dies würde zudem - ohne gesetzliche Grundlage - eine dem Verfassungsrang der passiven Leistungen widersprechende Zulassung von so genannten "Workfare-Elementen" bedeuten (vgl dazu auch BSG Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 60/07 R - BSGE 102, 201 = SozR 4-4200 § 16 Nr 4, RdNr 20). Eingriffe in die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wegen eines "Fehlverhaltens" des Leistungsberechtigten im Rahmen der Eingliederungsbemühungen dürfen indes wegen der verfassungsrechtlich abgesicherten Gewährleistung des Existenzminimums ausschließlich auf gesetzlicher Grundlage erfolgen, also nach geltendem Recht durch die Vorschriften der §§ 31 f SGB II, welche sich ihrerseits erst nachträglich auf bereits bewilligte Leistungen auswirken.

43

Es ist auch nicht anzunehmen, dass der Beklagte seine Leistungen vorliegend ohne die Gegenleistung des Klägers hätte erbringen wollen. Dies gilt auch, soweit der Kläger sich in der EinglVb nicht nur zur Durchführung des Studiums, sondern auch zu dessen Abschluss verpflichtete. Diese Verpflichtungen des Klägers stellen unzulässige Bedingungen für eine Zusicherung des Beklagten dar. Im Falle eines Abbruchs der Bildungsmaßnahme enthält § 15 Abs 3 SGB II zudem eine Sondervorschrift in Form eines Schadensersatzanspruchs.

44

Dieser Fehler einer Zusicherung war bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände auch offensichtlich. Die gesetzlichen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sollen die Lebensgrundlage der Leistungsempfänger sichern und gründen auf der Gewährleistung aus Art 1 iVm Art 20 GG. Sie unterliegen keinem Gestaltungsspielraum der Verwaltung. Es stellt einen von jedem Urteilsfähigen erkennbaren Fehler dar, wenn eine Zusicherung der Erbringung dieser Leistungen von der Durchführung und dem Abschluss eines Studiums abhängig gemacht werden würde (vgl Roos in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 40 RdNr 10).

45

6. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Erstattung der ungedeckten Unterkunftsaufwendungen in Form eines Darlehens nach § 22 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 7 Abs 5 S 2 SGB II aF. Nach § 7 Abs 5 S 2 SGB II aF können Auszubildende iS des § 7 Abs 5 S 1 SGB II aF in besonderen Härtefällen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen erhalten. Der Senat konnte dahin stehen lassen, ob ein vormals Leistungsberechtigter nach dem Ausscheiden aus dem Leistungsbezug für die Vergangenheit noch Leistungen zur Existenzsicherung in Darlehensform beanspruchen kann. Es liegt hier bereits kein "Härtefall" iS der bisherigen Rechtsprechung des BSG vor.

46

So haben die für die Angelegenheiten der Grundsicherung zuständigen Senate in der Vergangenheit den Härtefall wie folgt umschrieben: Ein Härtefall könne insbesondere dann angenommen werden, wenn wegen einer Ausbildungssituation Hilfebedarf entstanden sei, der nicht durch BAföG oder Berufsausbildungsbeihilfe gedeckt werden könne und deswegen begründeter Anlass für die Annahme bestehe, dass die vor dem Abschluss stehende Ausbildung nicht beendet werde und damit das Risiko zukünftiger Erwerbslosigkeit drohe. Eine weitere Ausnahme kann nach der Rechtsprechung des 14. Senats anerkannt werden, wenn die bereits weit fortgeschrittene und bisher kontinuierlich betriebene Ausbildung aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls wegen einer Behinderung oder Krankheit gefährdet ist (BSG Urteil vom 6.9.2007 - B 14/7b AS 28/06 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 8 RdNr 36). Die Behinderung oder Krankheit soll dabei nur in Bezug auf die Verzögerung der Ausbildung angeführt werden können. Hinzukommen müsse auch in dieser Konstellation, dass die Ausbildung (nun) in absehbarer Zeit zu Ende gebracht werde. Schließlich ist ein besonderer Härtefall angenommen worden, wenn nur eine nach den Vorschriften des BAföG förderungsfähige Ausbildung objektiv belegbar die einzige Zugangsmöglichkeit zum Arbeitsmarkt darstellt und der Berufsabschluss nicht auf andere Weise, insbesondere durch eine Maßnahme der beruflichen Weiterbildung, erreichbar ist (BSG Urteil vom 6.9.2007 - B 14/7b AS 36/06 R - BSGE 99, 67 = SozR 4-4200 § 7 Nr 6, RdNr 24; BSG Urteil vom 6.9.2007 - B 14/7b AS 28/06 R = SozR 4-4200 § 7 Nr 8 RdNr 37; zusammenfassend s BSG Urteil vom 1.7.2009 - B 4 AS 67/08 R - unter Hinweis auf weitere Rechtsprechung, juris RdNr 19 bis 21).

47

Soweit es die beiden ersten Fallkonstellationen betrifft, war das Studium des Klägers zumindest zu Beginn des hier streitigen Zeitraumes nicht weit fortgeschritten oder stand vor dem Ende. Angesichts der vom Kläger erfolgreich absolvierten Berufsausbildung zum Versicherungskaufmann ist ferner zweifelhaft, inwieweit das Studium - prognostisch zu Beginn des streitigen Zeitraumes - die einzige Möglichkeit des Zugangs zum Arbeitsmarkt gewesen sein könnte. Allerdings mangelt es an konkreten Feststellungen des LSG zu den Studienfortschritten und zum gesundheitlichen Zustand des Klägers und dessen beruflicher Perspektive. Unabhängig hiervon kann jedoch nicht angenommen werden, dass mangelnde finanzielle Mittel die Gefahr der vorzeitigen Beendigung des Studiums - auch unter Berücksichtigung gesundheitlicher Einschränkungen - hervorgerufen haben. Der Kläger hat Ausbildungsförderung nach dem BAföG im Höchstsatz erhalten, sodass zwar möglicherweise ungedeckte "Spitzen" im Bedarf vorhanden waren. Ein "besonderer" Härtefall iS des § 7 Abs 5 S 2 SGB II aF liegt jedoch erst dann vor, wenn im Einzelfall Umstände hinzutreten, die einen Ausschluss von der Ausbildungsförderung durch Hilfe zum Lebensunterhalt auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck als übermäßig hart, dh als unzumutbar oder in hohem Maße unbillig, erscheinen lassen(BSG Urteil vom 30.9.2008 - B 4 AS 28/07 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 9 RdNr 20 mwN). Die Situation des Klägers unterscheidet sich jedoch - soweit es die hier ausschließlich geltend gemachten Unterkunftskosten betrifft - nicht von der anderer Studierender mit Anspruch auf Leistungen nach dem BAföG im Höchstsatz, sodass die Annahme einer "besonderen Härte" iS des § 7 Abs 5 S 2 SGB II aF auszuschließen ist.

48

7. Dem Kläger steht auch gegen die Beigeladene kein Anspruch auf Gewährung von Leistungen für seine ungedeckten Aufwendungen durch Unterkunft und Heizung zu. Weder ist die Beigeladene im streitigen Zeitraum für die begehrten Leistungen zuständig, noch bestünde materiell-rechtlich ein Anspruch auf sie.

49

Der Senat hat nach § 44a Abs 1 S 3 SGB II(hier idF des Gesetzes zur Änderung des Betriebsrentengesetzes und anderer Gesetze vom 2.12.2006, BGBl I 2742 mWv 1.8.2006) von der Erwerbsfähigkeit des Klägers für den streitigen Zeitraum auszugehen. Danach hatten die Agentur für Arbeit und der kommunale Träger bis zu einer Entscheidung der Einigungsstelle über die Erwerbsfähigkeit Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu erbringen. § 44a Abs 1 S 3 SGB II enthielt insoweit nicht nur die Anordnung einer vorläufigen Leistung, sondern nach der Rechtsprechung des 7b Senats des BSG eine Nahtlosigkeitsregelung nach dem Vorbild des § 125 SGB III(BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 19). Der Leistungsberechtigte ist auf diese Weise nicht nur bei einem schon bestehenden Streit zwischen den Leistungsträgern bis zu einer Entscheidung der Einigungsstelle nach deren Anrufung, sondern bereits im Vorfeld so zu stellen, als wäre er erwerbsfähig. Nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung darf der Beklagte fehlende Erwerbsfähigkeit nicht annehmen, ohne den zuständigen Sozialhilfeträger eingeschaltet zu haben. Dies ist hier nicht der Fall gewesen (s auch BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 20).

50

Unabhängig hiervon käme als Anspruchsgrundlage im Übrigen allein § 22 Abs 1 S 2 SGB XII in Betracht. Gemäß § 22 Abs 1 S 1 SGB XII(idF des Gesetzes zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 2.12.2006, BGBl I 2670, der insofern seit dem Inkrafttreten am 7.12.2006 bis zum Ende des hier streitigen Zeitraumes nicht geändert worden ist) haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der §§ 60 bis 62 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII. In besonderen Härtefällen können Leistungen nach dem Dritten oder Vierten Kapitel als Beihilfe oder Darlehen gewährt werden (§ 22 Abs 1 S 2 SGB XII). Sofern der Kläger für den gesamten streitigen Zeitraum grundsätzlich leistungsberechtigt nach dem SGB XII gewesen sein sollte, wäre er zunächst als Ausbildungsförderung nach dem BAföG beziehender Auszubildender aufgrund des § 22 Abs 1 S 1 SGB XII von den Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung ausgeschlossen gewesen. Insoweit gelten die zu § 7 Abs 5 S 1 SGB II aF gemachten Ausführungen(s unter 3.) entsprechend. Anhaltspunkte für einen in der Person des Klägers begründeten besonderen Härtefall iS des § 22 Abs 1 S 2 SGB XII sind - ausgehend von voller Erwerbsminderung - unter Berücksichtigung der Ausführungen unter 6. ebenfalls nicht vorhanden.

51

8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Februar 2015 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig sind höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für behinderte Menschen während der Teilnahme an einer Maßnahme zur Teilhabe am Arbeitsleben.

2

Der 1954 geborene Kläger hat die Staatsangehörigkeit Bosnien-Herzegowinas und verfügt über eine zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigende Niederlassungserlaubnis. In Deutschland war er zuletzt von Oktober 2005 bis Ende 2006 als Ofen- bzw Kaminbauer beschäftigt und erhält - nach dem Bezug von Alg nach dem SGB III bis Mitte 2009 - laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Bei ihm ist ein GdB von 20 (Einzel-GdB 20 vH für eine Sehminderung links, 10 vH für eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule und 10 vH für eine arterielle Verschlusskrankheit des rechten Beins sowie Teilverlust der 1. und 2. Zehe rechts) anerkannt (Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales vom 3.8.2011). Er kann drei bis unter sechs Stunden täglich arbeiten. In dem Zeitraum vom 1.1.2012 bis 31.12.2012 bewilligte der Beklagte zunächst Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalt in Höhe von 706,54 Euro monatlich (Bescheide vom 1.12.2011 und 24.5.2012: KdU in Höhe von 332,54 Euro, Regelbedarf 374 Euro) und vom 1.1.2013 bis 31.12.2013 in Höhe von 714,54 Euro (Bescheide vom 24.11.2012 und 29.5.2013).

3

In den Eingliederungsvereinbarungen vom 8.2.2012, 24.4.2013 und 23.10.2013 hatte sich der Kläger verpflichtet, für jeweils sechs Monate ("je nach Eignung im Initiativzentrum oder den Teilprojekten") an dem Projekt BINS50plus (Beschäftigungsinitiative Süd für über 50-Jährige) teilzunehmen. Wie bereits seit September 2009 nahm er in der Zeit vom 14.2.2012 bis 13.2.2014 das Teilprojekt "Kurs finden 50plus" wahr. Dieses Teilprojekt war nach allgemeiner Beschreibung mit berufs- und gesundheitsorientierenden sowie frei wählbaren Inhalten verbunden und beinhaltete ein dreitägiges "Profilpass-Gruppenseminar", die Teilnahme an dem Kursprogramm über zwei Semester (Halbjahre) mit drei Kursen je Semester aus den Themenbereichen Gesundheitsprävention, Persönlichkeitsentwicklung, gesellschaftliche Integration, Allgemeinbildung und berufliche/künstlerische/sprachliche Entwicklung sowie individuelle Beratung und Coaching (zweimal monatlich nach Vereinbarung). Als "Grundlagen und Ziele" waren Würdigung und Akzeptanz der Lebensleistung, Stärkung der Selbstverantwortung, persönliche Aktivierung, individuelle Unterstützung und begleitende Beratung benannt. Tatsächlich nahm der Kläger im streitigen Zeitraum an zwölf, teils nur eintägigen Kursen (Kontakt und Grenzen, Arbeit im Künstleratelier, Thai Chi für Anfänger, Bogenschießen, Furcht und Angst, Wut und Aggression, Malen und Zeichnen an Orten mit besonderer Energie, Wertschätzung und Akzeptanz, Kontakt und Grenzen, Angst ist die Kraft, gnostische Evangelien und spielerische Monotypie - Bildermaltechnik aus dem 17. Jahrhundert) teil. Die Fahrtkosten wurden erstattet.

4

Den auf die Bewilligungszeiträume seit 1.1.2012 bezogenen Überprüfungsantrag des Klägers vom August 2013 zur Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen Behinderung und der Erbringung von Teilhabeleistungen iS des § 21 Abs 4 SGB II lehnte der Beklagte ab(Bescheid vom 4.9.2013; Widerspruchsbescheid vom 15.11.2013), bewilligte jedoch gleichzeitig für die Zeiträume vom 1.1.2012 bis 31.12.2013 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für Warmwasserbereitung. Mit vier Änderungsbescheiden vom 4.9.2013 wurde das Alg II in jedem Monat um den rückwirkend anerkannten "Mehrbedarf Warmwasser" (in 2012 monatlich 8,60 Euro, in 2013 monatlich 8,87 Euro) angehoben.

5

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 12.2.2014). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 26.2.2015). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Bewilligungsbescheide seien rechtmäßig. Der Kläger habe in dem streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf höhere Leistungen gehabt. Weder sei eine Leistung nach § 54 Abs 1 Nr 1 bis 3 SGB XII (Schulbildung, schulische Ausbildung, sonstige Ausbildung) erbracht worden noch liege eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 SGB IX vor. Es fehle an einem behinderungsspezifischen Inhalt, der notwendigen Regelförmigkeit der Maßnahme und einem organisatorischen Rahmen, der eine regelmäßige und nicht unerhebliche zeitliche Beanspruchung des Teilnehmers sowie eine Ausrichtung der Aktivitäten der Teilnehmer auf die Teilhabe am Arbeitsleben beinhalte. Bei BINS50plus handele es sich auch nicht um eine sonstige Hilfe zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben iS des § 21 Abs 4 SGB II. Auch bei derartigen Hilfen müsse es sich um regelförmige Maßnahmen und solche Hilfen handeln, die final auf die Ziele des § 33 Abs 1 SGB IX, also den Ausgleich behinderungsspezifischer Nachteile, ausgerichtet seien. Es sei weder eine regelmäßige, nicht unerhebliche zeitliche Beanspruchung des Teilnehmers gewährleistet noch die erforderliche Ausrichtung der Aktivitäten auf die Teilhabe am Arbeitsleben.

6

Mit seiner Revision macht der Kläger geltend, bei BINS50plus handele es sich jedenfalls um eine sonstige Hilfe für die Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder sogar um eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. Die Teilnahme an einer regelförmigen Maßnahme sei gegeben, weil das Projekt jedenfalls weit über das hinausgehe, was auch nicht behinderten erwerbsfähigen Leistungsberechtigten bei der Vermittlung und Beratung durch den Grundsicherungsträger abverlangt werde. Die Maßnahme habe einen organisatorischen Mindestrahmen und sei auch eine solche iS des § 33 SGB IX. Wie der Leistungsbeschreibung und der Zielsetzung einer Integration in den Arbeitsmarkt zu entnehmen sei, diene die Maßnahme der Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit befähigten. Die Maßnahme müsse abstrakt, nicht hinsichtlich der einzelnen wahrgenommenen Kurse, beurteilt werden.

7

Der Kläger beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Februar 2015 und des Sozialgerichts Augsburg vom 12. Februar 2014 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung der Bescheide vom 4. September 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. November 2013 zu verpflichten, ihm unter weitergehender Abänderung der Bescheide vom 1. Dezember 2011, 24. Mai 2012, 24. November 2012 und 29. Mai 2013 in der Zeit von 14. Februar 2012 bis 31. Dezember 2013 höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen Behinderung nach § 21 Abs 4 SGB II zu bewilligen.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er vertritt die Ansicht, es sei zwischen dem abstrakt-generellen Ziel der Maßnahme und deren konkret-individueller Ausgestaltung sowie der Inanspruchnahme durch die Teilnehmer zu unterscheiden. Die Maßnahme BINS50plus sei in hohem Maße individualisiert, weshalb hinsichtlich der Einordnung eine Gesamtschau der belegten Kurse stattfinden müsse. Die von dem Kläger ausgewählten Kurse hätten jeweils nur einen Tag gedauert und wiesen keinen Bezug zur Arbeitsmarkt- oder Berufsorientierung aus.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das LSG ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger in dem streitigen Zeitraum keinen Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen der Erbringung einer Teilhabeleistung oder einer Leistung der Eingliederungshilfe hat.

11

Streitgegenstand des Revisionsverfahrens in zeitlicher Hinsicht sind höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 14.2.2012 bis 31.12.2013, weil der Kläger die Überprüfung der ursprünglichen Bewilligungsbescheide nach seinem ausdrücklichen Klageantrag auf den Zeitraum ab Beginn der Maßnahme BINS50plus (14.2.2012) bis zum 31.12.2013 (Ende der durch die Bescheide vom 4.9.2013 erfassten Bewilligungsabschnitte) beschränkt hat. Gegenstand des Verfahrens ist daher zunächst der Bescheid vom 4.9.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.11.2013, mit dem der Beklagte ausdrücklich auf den Überprüfungsantrag des Klägers vom 14.8.2013 Bezug genommen, einen "Mehrbedarf Warmwasser" anerkannt und die Erbringung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs 4 SGB II abgelehnt hat. In rechtlicher Einheit hiermit stehen die vier - den Zeitraum vom 1.1.2012 bis 31.12.2013 betreffenden - Bewilligungsbescheide vom 4.9.2013, die gleichfalls in das Verfahren einbezogen sind (vgl zur Annahme einer rechtlichen Einheit im Sinne eines einheitlichen Bescheides wegen zeitlich und inhaltlich korrespondierender Verwaltungsakte BSG Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS 6/12 R - BSGE 112, 221 = SozR 4-1300 § 45 Nr 12, RdNr 28; BSG Beschluss vom 16.4.2013 - B 14 AS 206/12 B - RdNr 8; vgl zu möglichen Konstellationen einer rechtlichen Einheit im Asylbewerberleistungsrecht: BSG Urteil vom 30.10.2013 - B 7 AY 7/12 R - BSGE 114, 302 ff = SozR 4-3520 § 1a Nr 1, RdNr 15; vgl auch BSG Urteil vom 20.5.2014 - B 1 KR 3/14 R - BSGE 116, 31 = SozR 4-2500 § 272 Nr 1, RdNr 11 f zur Annahme einer rechtlichen Einheit bei Korrektur- und Jahresausgleichsbescheiden zum Risikostrukturausgleich).

12

Der Kläger hat den Streitgegenstand nach dem Inhalt seiner Erklärung in der mündlichen Verhandlung vor dem SG und seinen Anträgen in zulässiger Weise insofern beschränkt, als Unterkunftskosten nicht im Streit stehen. Da diese Abtrennung auch nach der Neufassung des SGB II zum 1.1.2011 möglich ist (vgl BSG Urteil vom 4.6.2014 - B 14 AS 42/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 78 RdNr 10), sind allein die Höhe der weiteren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen (BSG Urteil vom 22.3.2010 - B 4 AS 59/09 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 9 RdNr 11). Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, dass eine Begrenzung des Streitgegenstandes nicht bezogen auf die Leistungen für Mehrbedarfe erfolgen kann. Die Überprüfung der Bewilligungsentscheidungen ist hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts iS des § 19 S 1 Nr 1 SGB II vielmehr dem Grunde und der Höhe nach vorzunehmen.

13

Zutreffende Klageart ist hier die Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und Abs 4 iVm § 56 SGG). Der Kläger begehrt mit der Anfechtungsklage die Teilaufhebung (Änderung) des eine weitergehende Rücknahme der ursprünglichen Bewilligungsentscheidungen ablehnenden Bescheides vom 4.9.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.11.2013. Die Verpflichtungsklage ist auf die Änderung der im Zeitpunkt des Überprüfungsantrags von August 2013 bereits bestandskräftigen Ausgangsbescheide vom 1.12.2001, 24.5.2012, 24.11.2012 und 29.5.2013 idF durch die einen Mehrbedarf wegen dezentraler Warmwasserversorgung im Wege des Überprüfungsverfahrens berücksichtigenden Bescheide vom 4.9.2013 gerichtet (vgl BSG Urteil vom 18.11.2014 - B 4 AS 4/14 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 9 RdNr 11 mwN). Die ursprünglichen Bewilligungsbescheide sind auf der Grundlage des § 44 SGB X zu überprüfen. Diese Bescheide sind nicht rechtswidrig iS des § 44 SGB X, weil der Kläger keine höheren Leistungen beanspruchen konnte. Entsprechend ist auch die als auf die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, also über den von dem Beklagten bewilligten Betrag hinaus, gerichtet auszulegende Leistungsklage (§ 123 SGG) ohne Erfolg. Vorliegend sind in den die streitigen Zeiträume regelnden Bescheiden keine Sozialleistungen iS von § 44 Abs 1 SGB X zu Unrecht nicht erbracht worden. Nach § 44 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.

14

Nach den Feststellungen des LSG erfüllte der Kläger zwar die Anspruchsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 S 1 SGB II. Er war hilfebedürftig (§ 9 SGB II) und hatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit ist, soweit - wie hier - kein Feststellungsverfahren eingeleitet worden ist, bereits aus rechtlichen Gründen anzunehmen (vgl Senatsurteil vom 2.4.2014 - B 4 AS 26/13 R - BSGE 115, 210 = SozR 4-4200 § 15 Nr 3, RdNr 49; BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 20; BSG Urteil vom 25.9.2014 - B 8 SO 6/13 R - SozR 4-4200 § 44a Nr 1). Auch Einschränkungen seiner Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs 2 SGB II sind wegen der vorhandenen Niederlassungserlaubnis nicht gegeben; die Voraussetzungen für einen Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II liegen nicht vor. Der Beklagte hat dem Kläger zutreffend Leistungen für den Regelbedarf nach § 20 Abs 2 SGB II als Alleinstehender (374 Euro in 2012 und 382 Euro in 2013) sowie für den Mehrbedarf wegen dezentraler Warmwassererzeugung nach § 21 Abs 7 SGB II (2,3 % des maßgeblichen Regelbedarfs; 8,60 Euro bzw 8,79 Euro) bewilligt. Einen Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II wegen eines Mehrbedarfs aufgrund der Teilnahme an einer Teilhabeleistung hat er nicht.

15

Nach § 21 Abs 4 SGB II wird bei erwerbsfähigen behinderten Leistungsberechtigten, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 SGB IX sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 54 Abs 1 S 1 Nr 1 bis 3 SGB XII erbracht werden, ein Mehrbedarf von 35 Prozent des nach § 20 SGB II maßgebenden Regelbedarfs anerkannt. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG erfüllt der Kläger die Anspruchsvoraussetzungen insofern, als er zum Kreis der erwerbsfähigen behinderten Leistungsberechtigten gehört. Auch ist nach dem Inhalt der Eingliederungsvereinbarungen davon auszugehen und ausreichend, dass seine Teilnahme an den Kursen des Projektes BINS50plus auf Veranlassung des Beklagten erfolgte (vgl zu diesem Erfordernis: BSG Urteil vom 23.3.2010 - B 4 AS 59/09 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 9 RdNr 15).

16

Die vom Berufungsgericht festgestellte tatsächliche Teilnahme des Klägers an zwölf, teils nur eintägigen Kursen der Volkshochschule A (VHS) im Rahmen des Projektes "Kurs finden 50plus" in dem hier streitigen Zeitraum erfüllte jedoch nicht die Anforderungen, die an eine den Mehrbedarf für Behinderte auslösende Teilhabeleistung in den drei Alternativen des § 21 Abs 4 SGB II zu stellen sind. Die Annahme einer Maßnahme der Eingliederungshilfe scheidet von vornherein aus. Die von § 54 Abs 1 S 1 Nr 1 bis 3 SGB XII in Bezug genommenen Maßnahmen beinhalten eine angemessene Schulbildung(Nr 1), die Hilfe zur schulischen Ausbildung für einen angemessenen Beruf (Nr 2) und die Hilfe zur Ausbildung für eine sonstige angemessene Tätigkeit (Nr 3). Sie sind damit - für Leistungsberechtigte mit abgeschlossener Schulbildung - ausdrücklich auf einen bestimmten Beruf oder eine angemessene Tätigkeit gerichtete Maßnahmen.

17

Des Weiteren kann dahingestellt bleiben, ob die Teilnahme des Klägers an dem Projekt BINS50plus nach dessen inhaltlicher Ausgestaltung als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben oder als sonstige Hilfe zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben einzuordnen ist. Das LSG hat zugrunde gelegt, dass es für die Annahme einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 SGB IX neben der Regelförmigkeit der Maßnahme(dazu sogleich) auch an einer behinderungsspezifischen Ausrichtung fehle. Soweit das LSG davon ausgegangen ist, dass es sich bei der Teilnahme des Klägers an den Kursen um "allgemeine Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit" handele, bleibt allerdings offen, ob Rechtsgrundlage der Bewilligung im Falle behinderter Teilnehmer - wie hier dem Kläger - § 16 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 45 SGB III oder § 16 Abs 1 S 2 SGB II iVm §§ 115 Nr 1, 45 SGB III war. Erfolgt die Bewilligung einer Teilhabeleistung aufgrund einer Behinderung, ist allerdings regelmäßig davon auszugehen, dass es sich um eine Teilhabeleistung iS des § 33 SGB IX handelt(vgl zur ansonsten erforderlichen Prüfung, welches die nach Inhalt und Schwerpunkt der Maßnahme zutreffende Rechtsgrundlage wäre: BSG Urteil vom 15.12.2010 - B 14 AS 44/09 R - FEVS 62, 541 ff; BSG Urteil vom 6.4.2011 - B 4 AS 3/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 11 RdNr 21, 25 zur Bewertung von allgemeinen Beratungs- und Betreuungsleistungen sowie einer psychotherapeutischen Behandlung).

18

Jedenfalls könnte die Maßnahme BINS50plus den "sonstigen Hilfen" iS des § 21 Abs 4 SGB II zugeordnet werden, die innerhalb dieser Mehrbedarfsregelung gleichwertig neben den Leistungen nach § 33 SGB IX aufgeführt werden(BSG Urteil vom 6.4.2011 - B 4 AS 3/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 11 RdNr 22). Ein Kausalitätserfordernis in dem Sinne, dass eine nach § 21 Abs 4 SGB II den Mehrbedarf auslösende Maßnahme nur vorliegt, wenn diese selbst schon nach ihrer abstrakten Ausgestaltung speziell auf die Bedürfnisse von behinderten Menschen zugeschnitten ist, ist nicht zugrundezulegen. Der behinderungsbedingte Mehrbedarf knüpft vielmehr typisierend an die Teilnahme an einer Maßnahme an, durch die der Mensch mit Behinderung besser in das Erwerbsleben integriert werden kann (Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII, AsylbLG, § 21 RdNr 41, Stand April 2012; LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 12.3.2007 - L 19 AS 41/06 - FEVS 58, 515 ff). Ein damit verbundener Mehrbedarf ist möglicherweise sogar umfassender als bei einer nicht speziell oder vorrangig auf die Bedürfnisse von Behinderten ausgerichteten Maßnahme.

19

Bezogen auf beide Leistungsarten fehlt es aber an einer Teilnahme an einer regelförmigen besonderen Maßnahme, die nach der Rechtsprechung der beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG für den Mehrbedarf für erwerbsfähige behinderte Leistungsberechtigte vorausgesetzt wird und die allein geeignet ist, einen Mehrbedarf beim behinderten Leistungsberechtigten in seiner vom Gesetzgeber angenommenen Zielrichtung auszulösen. Insofern hat der Senat bereits entschieden, dass auch die "sonstigen Hilfen" iS des § 21 Abs 4 SGB II über das hinausgehen müssen, was dem Jobcenter etwa im Rahmen des § 14 SGB II als allgemeine Unterstützungsaufgabe zugewiesen ist. Auch aus systematischen Gründen muss eine gewisse Gleichwertigkeit gefordert werden und darf eine sonstige Hilfe hinsichtlich ihrer Ausgestaltung nicht hinter den Anforderungen zurückstehen, die an die konkret in § 21 Abs 4 SGB II benannten Maßnahmen nach § 33 SGB IX und § 54 Abs 1 Nr 1 bis 3 SGB XII zu stellen sind(BSG Urteil vom 6.4.2011 - B 4 AS 3/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 11 RdNr 22; BSG Urteil vom 22.3.2010 - B 4 AS 59/09 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 9 RdNr 20).

20

Das Erfordernis der Teilnahme an einer regelförmigen besonderen Maßnahme folgt aus dem Wortlaut und dem aus der Entstehungsgeschichte der Norm herzuleitenden spezifischen Sinn und Zweck dieser Mehrbedarfsregelung. Insofern weist bereits die Formulierung des § 21 Abs 4 S 2 SGB II ("nach Beendigung der dort genannten Maßnahmen während einer angemessenen Übergangszeit") aus, dass sich die Leistungserbringung innerhalb eines organisatorischen Rahmens vollziehen muss, der eine Bezeichnung als "Maßnahme" rechtfertigt. Auch aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift folgt eine einschränkende Auslegung. Die Vorschrift zum Mehrbedarf für behinderte Leistungsberechtigte bei Inanspruchnahme einer Teilhabeleistung geht zurück auf Regelungen im BSHG. Insofern hatte das Recht der Eingliederungshilfe in § 41 Abs 2 S 2 BSHG(idF vom 30.6.1961, BGBl I 815) vorgesehen, dass für Behinderte, die nicht mehr im volksschulpflichtigen Alter waren, für den laufenden Lebensunterhalt ein Mehrbedarf von mindestens 50 vH des maßgebenden Regelbedarfs anzuerkennen war, wenn der Lebensunterhalt nach Regelsätzen bemessen war. Die enge Anlehnung an den Leistungsumfang der vormaligen Ausbildungsbeihilfe belegt, dass der Mehrbedarf an strukturierte Maßnahmen geknüpft war, die jedenfalls vom Grundsatz geeignet waren, einen zusätzlichen Bedarf hervorzurufen (vgl BSG Urteil vom 23.3.2010 - B 4 AS 59/09 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 9 RdNr 19 f mwN; BSG Urteil vom 15.12.2010 - B 14 AS 44/09 R - FEVS 62, 541; BSG Urteil vom 6.4.2011 - B 4 AS 3/10 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 11 RdNr 20). Dieses Erfordernis bestätigend enthält die Parallelregelung des § 30 Abs 4 SGB XII zu entsprechendem Mehrbedarf im SGB XII eine strikte Anknüpfung ausschließlich an die strukturierten Maßnahmen des § 54 Abs 1 Nr 1 bis 3 SGB XII und unterstreicht damit das Erfordernis einer regelförmigen besonderen Maßnahme.

21

Der Senat hat hiervon ausgehend bereits entschieden, dass für den Begriff der regelförmigen besonderen Maßnahme die Grundsätze herangezogen werden können, die das BSG zum Begriff der förderungsfähigen Maßnahme im Recht der Weiterbildungsförderung im Arbeitsförderungsrecht entwickelt hat (BSG Urteil vom 23.3.2010 - B 4 AS 59/09 R - SozR 4-4200 § 21 Nr 9 RdNr 21 ff). Hiernach ist wesentlich für eine Maßnahme, dass ein mit der Förderung angestrebtes Maßnahmeziel formuliert wird, diese regelmäßig auf eine auf dem Arbeitsmarkt einsetzbare Qualifikation gerichtet ist (BSG Urteil vom 23.6.1981 - 7 RAr 18/80, RdNr 33) und ihr ein festgelegter Lehrplan zugrunde liegt, in dem einzelne unselbständige Bestandteile in einem engen zeitlichen, inhaltlichen und organisatorischen Zusammenhang stehen. Erforderlich ist eine organisatorische Verbundenheit, die unterschiedliche Veranstaltungen in aller Regel schon im Vorhinein als einheitliche Maßnahme ausgewiesen sein lässt (BSG Urteil vom 20.6.1978 - 7 RAr 11/77 - SozR 4100 § 41 Nr 34, S 84; BSG Urteil vom 14.2.1985 - 7 RAr 96/83 - BSGE 58, 44, 47 = SozR 4100 § 34 Nr 12, S 27; Reichel in jurisPR-SozR 16/2010, Anm 2) Bei sinngemäßer Übertragung dieser Grundsätze müssen auch bei einer den Mehrbedarf nach § 21 Abs 4 SGB II auslösenden Maßnahme deren einzelne Elemente von vornherein nach Inhalt und Dauer als einheitliche Maßnahme ausgewiesen sein und entsprechend ihrer Ausgestaltung, insbesondere auch hinsichtlich ihres zeitlichen Umfangs, geeignet sein, den Mehrbedarf in seiner vom Gesetzgeber historisch angenommenen Zielrichtung auszulösen.

22

Diese Schwelle erreichen die von dem Kläger tatsächlich wahrgenommenen Veranstaltungen des Projektes BINS50plus nicht. Besteht - wie hier - eine weitgehend freie Gestaltbarkeit der Bestandteile einer Maßnahme zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung, findet - entgegen dem Revisionsvorbringen - keine "abstrakte" Betrachtung im Sinne einer Einbeziehung weiterer möglicher Inhalte des Projekts statt. Bei der Prüfung der Regelförmigkeit der Maßnahme zugrundezulegen ist vielmehr die konkrete tatsächliche Ausgestaltung, die der Kläger im Einvernehmen mit dem SGB II-Träger gewählt hat. Insofern handelt es sich um einzelne, nicht in einem fachlichen oder inhaltlichen Zusammenhang mit dem finalen Ziel einer Teilhabe am Arbeitsleben stehende, teils nur eintägige Veranstaltungen je Halbjahr. Zwar können mit diesen einzelne - auch außerberufliche - Fähigkeiten gefördert werden. Der Beklagte weist jedoch zu Recht darauf hin, dass die weitestgehend freigestellte Wahl von Kursen an der VHS A im Mittelpunkt steht. Da ein zeitlicher Mindestumfang der einzelnen Kurse nicht festgelegt wurde, ist schon nach dem Umfang der zeitlichen Einbindung des Klägers nicht erkennbar, dass die Maßnahme von vornherein strukturiert, etwa durch bestimmte, aufeinander aufbauende Lehrinhalte, Praktika und Prüfungen, verfolgt worden ist. Die stattdessen intendierte offene Ausgestaltung des Projekts BINS50plus entspricht dem Charakter der Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung nach § 45 SGB III in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011 (BGBl I 2854). In einer gegenüber abschließenden und strukturierten Leistungskatalogen für Bildungsmaßnahmen nach den Vorgängerregelungen (insbesondere im AFG) veränderten Begrifflichkeit können nunmehr unter "Maßnahmen" alle Instrumente verstanden werden, die durch Einschaltung Dritter die berufliche Orientierung, Reintegration und Stabilisierung fördern (Bieback in Gagel, SGB II/SGB III, § 45 RdNr 55, Stand März 2013). Diese erfüllen jedoch wegen ihrer unterschiedlichen Ausgestaltung nicht von vornherein zugleich die Anforderungen, die an strukturierte Teilhabeleistungen iS der Mehrbedarfsregelung des § 21 Abs 4 SGB II zu stellen sind.

23

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Dezember 2012 aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Aufhebung einer laufenden Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für Mai 2012.

2

Die Kläger sind schwedische Staatsangehörige. Die 1966 in Bosnien geborene Klägerin zu 1 reiste im Juni 2010 mit ihren Kindern, der im Mai 1994 geborenen Klägerin zu 2 sowie den in den Jahren 1998 und 1999 geborenen Klägern zu 3 und 4, erneut in die Bundesrepublik ein. Die Klägerin zu 1, die im streitigen Zeitraum Kindergeld für die Kläger zu 2 bis 4 bezog, erhielt am 1.7.2010 eine Bescheinigung nach § 5 FreizügG/EU, diejenigen für die weiteren Kläger datieren vom 11.7.2011. Mit Ausnahme eines weiteren im Jahre 2005 in Schweden geborenen Kindes, für das wegen des Bezugs von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz SGB II-Leistungen nicht streitig sind, sind die Kinder (Kläger zu 2 bis 4) während eines vorangegangenen langjährigen Aufenthalts in Deutschland (B.) geboren.

3

Die erwerbsfähigen Klägerinnen zu 1 und 2 waren seit erneuter Einreise im Juni 2010 in kürzeren Beschäftigungen bzw Arbeitsgelegenheiten von weniger als einem Jahr tätig, jedoch nicht mehr in der Zeit ab Mai 2011. Im Übrigen bezogen die Kläger SGB II-Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die der Beklagte zuletzt für die Zeit vom 1.12.2011 bis 31.5.2012 unter Beachtung des Gleichbehandlungsgebots des Art 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) bewilligte (Bescheid vom 7.9.2011 idF der Änderungsbescheide vom 26.11.2011 und 9.12.2011).

4

Unter Hinweis auf den von der Bundesrepublik Deutschland im November 2011 erklärten Vorbehalt zum EFA hob der Beklagte die SGB II-Bewilligungen für den Monat Mai 2012 in vollem Umfang auf (Bescheid vom 2.4.2012; Widerspruchsbescheid vom 29.6.2012). Das SG hat diese Bescheide aufgehoben (Urteil vom 19.12.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ua ausgeführt, die Kläger könnten auch im Mai 2012 SGB II-Leistungen beanspruchen, weil eine wesentliche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen nicht eingetreten sei. Zwar begründeten - bezogen auf die Klägerinnen zu 1 und 2 - "die Arbeitszeiten - für beide jeweils nicht mindestens sechs Monate seit Juni 2010 - kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht" und vermittele für beide "jeweils nach Beendigung der Beschäftigungen wieder ausschließlich die Arbeitsuche das Aufenthaltsrecht, so auch im Mai 2012". Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II greife jedoch nicht, weil Art 4 VO (EG) Nr 883/2004 jede Ungleichbehandlung von Unionsbürgern gegenüber den eigenen Staatsangehörigen bei den besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen untersage. Unabhängig hiervon werde die Ausschlussregelung weiterhin durch das speziellere Gleichbehandlungsgebot des Art 1 des EFA verdrängt.

5

Mit seiner Sprungrevision macht der Beklagte geltend, der Ausschluss von SGB II-Leistungen verstoße nicht gegen EU-Recht. Bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II handele es sich um "Sozialhilfeleistungen" iS des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG, weshalb ein Leistungsausschluss für Arbeitsuchende möglich sei. § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II verstoße nicht gegen die VO (EG) Nr 883/2004. Auch das EFA stehe dem Leistungsausschluss nicht entgegen, weil der von der Bundesregierung erklärte Vorbehalt wirksam sei.

6

Mit Beschluss vom 12.12.2013 (B 4 AS 9/13 R) hat der Senat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH ua die Frage vorgelegt, ob - ggf in welchem Umfang - Einschränkungen des Gleichbehandlungsgebots des Art 4 der VO (EG) Nr 883/2004 durch Bestimmungen in nationalen Rechtsvorschriften in Umsetzung des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG möglich seien, nach denen der Zugang zu besonderen beitragsunabhängigen Leistungen ausnahmslos nicht bestehe, wenn sich ein Aufenthaltsrecht des Unionsbürgers in dem anderen Mitgliedstaat allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe. Hierzu hat der EuGH mit Urteil vom 15.9.2015 (Rs C-67/14 - SGb 2015, 638 ff) entschieden, dass Art 24 RL 2004/38/EG und Art 4 VO (EG) Nr 883/2004 dahin auszulegen seien, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstünden, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die sich in der von Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG erfassten Situation befänden, vom Bezug bestimmter "besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen" iS von Art 70 Abs 2 VO (EG) Nr 883/2004 ausgeschlossen würden, während Staatsangehörige des betreffenden Mitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befänden, diese Leistungen erhielten.

7

Der Beklagte beantragt weiterhin,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Dezember 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

9

Sie beziehen sich ua auf die Ausführungen des Generalanwalts beim EuGH Wathelet (Schlussanträge vom 26.3.2015 in der Rs C-67/14) zu möglichen anderen Aufenthaltsrechten der Kläger.

Entscheidungsgründe

10

Die Sprungrevision ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG (vgl § 170 Abs 4 SGG) begründet, weil die bisher getroffenen Feststellungen (§ 163 SGG) keine abschließende Entscheidung darüber zulassen, ob die Aufhebung der SGB II-Leistungsbewilligungen für den Monat Mai 2012 rechtmäßig war.

11

1. Die Revision des Beklagten ist zulässig. Gemäß § 161 Abs 1 S 1 SGG steht den Beteiligten die Sprungrevision zu, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und sie vom SG zugelassen worden ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Das SG hat die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz im Tenor des angefochtenen Urteils ausdrücklich zugelassen. Der Beklagte hat auch das Schriftformerfordernis des § 161 Abs 1 S 2 SGG erfüllt, weil er seiner Revisionsschrift die Zustimmung der Kläger zur Einlegung der Sprungrevision im Original beigefügt hat.

12

2. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid vom 2.4.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.6.2012, soweit der Beklagte mit diesem die Bewilligung von SGB II-Leistungen für die Kläger zu 1 bis 4 für den Monat Mai 2012 aufgehoben hat. Hiergegen wenden sich diese zu Recht mit der isolierten Anfechtungsklage (§ 54 SGG).

13

3. a) Der Bescheid vom 2.4.2012 idF des Widerspruchsbescheids vom 29.6.2012 ist formell rechtmäßig. Vor Erlass des Aufhebungsbescheids sind die Kläger ordnungsgemäß angehört worden. Nach § 24 SGB X ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Dies sind alle Tatsachen, die zum Ergebnis der Verwaltungsentscheidung beigetragen haben, dh auf die sich die Verwaltung auch gestützt hat (vgl nur Urteil des Senats vom 28.3.2013 - B 4 AS 59/12 R - BSGE 113, 184 ff = SozR 4-1300 § 45 Nr 13, RdNr 15). Die Kläger haben sich jedenfalls in ihrer Widerspruchsbegründung konkret zu den Gründen für die beabsichtigte Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Zukunft äußern können.

14

b) Der angefochtene Bescheid genügt auch den Anforderungen an die Bestimmtheit von Verwaltungsakten. Als materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung verlangt das Bestimmtheitserfordernis nach § 33 Abs 1 SGB X, dass der Verfügungssatz nach seinem Regelungsgehalt vollständig, klar und in sich widerspruchsfrei ist. Dieses Erfordernis bezieht sich sowohl auf den Verfügungssatz der Entscheidung als auch auf den Adressaten des Verwaltungsaktes (vgl BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 20/09 R - BSGE 105, 194 = SozR 4-4200 § 31 Nr 2, RdNr 13 mwN; BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 30/09 R - SozR 4-4200 § 31 Nr 3 RdNr 16 mwN; BSG Urteil vom 7.7.2011 - B 14 AS 153/10 R - BSGE 108, 289 ff = SozR 4-4200 § 38 Nr 2, RdNr 31). Zwar ist der Bescheid vom 2.4.2012 ausdrücklich nur an die Klägerin zu 1 gerichtet. Bereits der erste Satz der Begründung regelt jedoch erkennbar, dass auch die Bewilligungen für die Kinder der Klägerin, also die Kläger zu 2 bis 4, aufgehoben werden sollten. Dies ergibt sich auch aus dem Umstand, dass der Beklagte die von ihm aufgehobenen Bescheide ausdrücklich bezeichnet hat und diese auch SGB II-Leistungen an die weiteren Kläger beinhalteten (zum Rückgriff auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte vgl nur Urteil des Senats vom 28.3.2013 - B 4 AS 59/12 R - BSGE 113, 184 = SozR 4-1300 § 45 Nr 13, RdNr 16 mwN).

15

4. a) Der Senat kann nicht abschließend beurteilen, ob der angefochtene Bescheid materiell rechtmäßig ist. Rechtsgrundlage für die Aufhebung der mit den Bescheiden vom 7.9.2011, 26.11.2011 und 9.12.2011 bewilligten SGB II-Leistungen für den Monat Mai 2012 ist hier allein § 40 SGB II iVm § 48 Abs 1 S 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Zwar war die Bewilligung anfänglich rechtmäßig, sodass eine Rücknahme nach § 45 SGB X nicht in Betracht kam; eine wesentliche Änderung ist jedoch durch den von der Bundesregierung erklärten Vorbehalt zum EFA eingetreten.

16

b) Bei Erlass der Bewilligungsbescheide bestand ein Anspruch der Kläger auf SGB II-Leistungen. Das SG hat - für den Senat bindend - festgestellt, dass sämtliche Kläger die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 S 1 SGB II erfüllten. Soweit das SG weiter angenommen hat, dass die Klägerinnen zu 1 und 2 im streitigen Monat Mai 2012 weiterhin als Arbeitsuchende iS von § 2 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU anzusehen waren(vgl zu den Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts zur Arbeitsuche: BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 31 ff mwN; BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 17 ff; BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 26 mwN), stand der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II ihren Ansprüchen anfänglich schon deshalb nicht entgegen, weil er durch Art 1 EFA vom 11.12.1953 (BGBl II 1956, 564) verdrängt wurde.

17

c) Nach Art 1 des Abkommens, das ua die Bundesrepublik Deutschland und Schweden unterzeichnet haben, ist jeder der Vertragschließenden verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge (im Folgenden als "Fürsorge" bezeichnet) zu erbringen, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind. Das EFA ist durch das Zustimmungsgesetz vom 15.5.1956 (BGBl II 563) in innerstaatlich anwendbares, Rechte und Pflichten begründendes Recht transformiert worden (BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 24; BVerwG Urteil vom 18.5.2000 - 5 C 29/98 - BVerwGE 111, 200, 201). Als unmittelbar geltendes und spezielleres Bundesrecht schließt Art 1 EFA einen Leistungsausschluss für Staatsangehörige der Vertragsstaaten bei den von dem Abkommen erfassten Fürsorgeleistungen aus. Zu diesen Fürsorgeleistungen (vgl Begriffsbestimmung in Art 2 Abs a Nr i EFA) gehörte historisch die Sozialhilfe nach dem BSHG als "klassische" Fürsorgeleistung im Sozialleistungssystem der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einschränkung hinsichtlich der Gleichstellung ist nach Einführung des BSHG nur bezüglich der Leistungen nach § 30 BSHG (Hilfe zum Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlage) und nach § 72 BSHG (Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten) erfolgt(vgl Anhänge I und II zum EFA, Fassung ab 1.2.1991, BGBl II 686). Trotz der Neuordnungen im Recht der Existenzsicherung zum 1.1.2005 durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I 2954 ff) und das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 (BGBl I 3022), die auch das Außerkrafttreten des BSHG beinhalteten (vgl dessen Art 68), ist die Bundesrepublik ihrer Verpflichtung zur Mitteilung geänderter bzw neuer Rechtsvorschriften im Bereich der Fürsorge nach Art 16 EFA nicht nachgekommen. Dies berücksichtigend hat der 14. Senats des BSG das Gleichbehandlungsgebot auch auf die zum 1.1.2005 neu geschaffenen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erstreckt (BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 32, 35).

18

5. a) Aufgrund des von der Bundesregierung zum EFA erklärten Vorbehalts ist jedoch eine wesentliche Änderung iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB X eingetreten. Zwar hielten sich die Klägerinnen zu 1 und 2 weiterhin "erlaubt" iS des Gleichbehandlungsgebots des Art 1 EFA im Bundesgebiet auf, weil sie weiterhin über eine Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitsuchende verfügten (vgl zum "erlaubten Aufenthalt" iS des EFA Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 59/13 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Einer weiteren Inländergleichbehandlung bezogen auf die hier allein streitigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II stand jedoch der von der Bundesregierung am 19.12.2011 erklärte Vorbehalt entgegen. Eine Verletzung von Vorschriften des EFA, die aufgrund seiner Umsetzung als Bundesrecht als revisibles Recht (§ 162 SGG) unmittelbar für die gesamte Bundesrepublik Deutschland gelten (vgl BSG Urteil vom 23.9.2004 - B 10 EG 3/04 R - BSGE 93, 194 = SozR 4-7833 § 1 Nr 6, RdNr 3 mwN), ist mit dem Vorbehalt nicht verbunden.

19

b) Der Vorbehalt ist formell wirksam erklärt worden. Nach Art 16 Abs b EFA hat jeder Vertragschließende dem Generalsekretär des Europarats alle neuen Rechtsvorschriften mitzuteilen, die in Anhang I noch nicht aufgeführt sind (Satz 1). Gleichzeitig mit dieser Mitteilung kann der Vertragschließende Vorbehalte hinsichtlich der Anwendung dieser Rechtsvorschriften auf die Staatsangehörigen der anderen Vertragschließenden machen (Satz 2). Nach Art 16 Abs c EFA hat der Generalsekretär des Europarats den übrigen Vertragschließenden alle Mitteilungen, die ihm nach den Bestimmungen der Absätze a und b zugehen, zur Kenntnis zu bringen. Auf der Grundlage dieser Regelung hat die Bundesregierung am 19.12.2011 gegen die Anwendung des SGB II im Rahmen des EFA gegenüber dem Europarat folgenden Vorbehalt angebracht: "Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland übernimmt keine Verpflichtung, die im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - in der jeweils geltenden Fassung vorgesehenen Leistungen an Staatsangehörige der übrigen Vertragsstaaten in gleicher Weise und unter den gleichen Bedingungen wie den eigenen Staatsangehörigen zuzuwenden" (idF der Bekanntmachung vom 31.1.2012, BGBl II 144, berichtigt durch die Bekanntmachung zum Europäischen Fürsorgeabkommen vom 3.4.2012, BGBl II 470). Gleichzeitig hat sie erstmals die Regelungen des SGB II als neue Fürsorgevorschriften notifiziert. Der Vorbehalt wurde den übrigen vertragschließenden Parteien des Fürsorgeabkommens nach Art 16 Buchst c EFA zur Kenntnis gebracht (s zur Veröffentlichung auf den Seiten des Europarats http://conventions.coe.int SEV Nr 014).

20

c) Entgegen der Ansicht des SG musste der notifizierte Vorbehalt nicht durch ein entsprechendes Gesetz nach Art 59 Abs 2 S 1 GG im innerstaatlichen Recht umgesetzt werden. Nach Art 59 Abs 2 S 1 GG bedürfen Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf die Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in Form eines Bundesgesetzes. Dies gilt nicht nur für Gesetze, sondern auch für Handlungen, die konkludent eine Änderung des Vertragsinhalts bewirken und soweit ein "Vertragsänderungswille" feststellbar ist (Pernice in Dreier, GG, 3. Aufl 2015, Art 59 RdNr 36). Eine solche Änderung bereits in Bundesrecht umgesetzter völkervertraglicher Verpflichtungen liegt hier jedoch nicht vor. Die Ermächtigung zur Erklärung von nachträglichen Vorbehalten bei Gesetzesänderungen der Vertragsstaaten im Bereich der Fürsorge nach Inkrafttreten des Abkommens ist den Vertragsstaaten vielmehr von vornherein und ausdrücklich eingeräumt worden (vgl Art 16 Abs b S 2 EFA, Denkschrift zum Europäischen Fürsorgeabkommen und dem Zusatzprotokoll, BT-Drucks II/1882, S 23; Ausschussdrucksache 17<11>881, S 1).

21

Art 16 EFA bringt zum Ausdruck, dass die Vertragsstaaten des EFA die Entscheidung darüber, welche nationalen Fürsorgeleistungen bei einer Änderung der nationalen Gesetzgebung in welchem Umfang in die Inländergleichbehandlung einbezogen werden (sollen), dem jeweils vertragschließenden Staat übertragen wollten. Auch wenn der 14. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 19.10.2010 davon ausgegangen ist, dass es sich sowohl bei den Regelleistungen nach dem SGB II als auch bei der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII um "Fürsorge" im Sinne des EFA handelt (B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 32), hinderte dies die Bundesregierung nicht an der Anbringung eines Vorbehalts unter Berücksichtigung der erst durch die Rechtsprechung des 14. Senats höchstrichterlich geklärten Zuordnung der SGB II-Leistungen. Es war ihr unbenommen, für die Hilfebedürftigen aus den EFA-Staaten die Anwendbarkeit des SGB II als eines von mehreren Existenzsicherungssystemen auszuschließen. Insbesondere waren mit der Einführung des SGB II materielle und über redaktionelle hinausgehende Änderungen insofern verbunden, als die Grundsicherung für Arbeitsuchende mit einer stärkeren Erwerbszentrierung, begleitenden Vermittlungstätigkeiten (s Eingliederungsvereinbarung) und einem - durch die Zusammenführung mit der ehemaligen Arbeitslosenhilfe bedingt - deutlich günstigeren Einsatz von Einkommen und Vermögen verbunden ist.

22

d) Der im Vorbehalt erklärte Ausschluss bei SGB II-Leistungen ist auch nicht als Einschränkung der durch das innerstaatlich umgesetzte EFA materiell gewährleisteten Inländergleichbehandlung (BVerwG Urteil vom 18.5.2000 - 5 C 29/98 - BVerwGE 111, 200 ff, 206) unwirksam und daher weiterhin für den Leistungsanspruch der Kläger unbeachtlich. Es handelt sich bei den SGB II-Vorschriften um "neue Rechtsvorschriften" iS der Vorbehaltsregelung des Art 16 Buchst b S 2 EFA.

23

Zwar war das SGB II - in seinen hier maßgeblichen leistungsrechtlichen Bestimmungen - im Dezember 2011 bereits seit einigen Jahren in Kraft. Der Begriff der "neuen Rechtsvorschriften" begründet aber keine "(Ausschluss-)Frist" zur Anbringung des Vorbehalts nach nationalem Inkrafttreten eines neuen Gesetzes. Vielmehr steht der Begriff der "neuen Rechtsvorschriften" in einem Zusammenhang damit, ob das Gesetz bzw die konkrete Fürsorgeleistung bereits im Anhang I zum EFA erfasst worden ist. Unter Berücksichtigung dessen muss die Mitteilung "neuer Rechtsvorschriften" nach Art 16 Buchst b S 1 EFA nicht unverzüglich nach dem innerstaatlichen Inkrafttreten dieser Normen, sondern kann - wie hier zeitgleich mit der Erklärung eines Vorbehalts - auch zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen.

24

e) In der Erklärung kann auch keine eine Unwirksamkeit des Vorbehalts herbeiführende "faktische Kündigung" iS des Art 24 EFA, also eine den Vertragsstaaten nicht über eine bloße Vorbehaltserklärung erlaubte einseitige Lösung bereits vorbestehender völkerrechtlicher Verpflichtungen - in der Auslegung durch die Rechtsprechung des 14. Senats des BSG - gesehen werden. Die Staatsangehörigen der EFA-Mitgliedstaaten haben weiterhin einen Anspruch auf SGB XII-Leistungen unter Außerachtlassung der nur für Ausländer geltenden Ausschlussregelung des § 23 Abs 3 SGB XII, weil ein Vorbehalt für die Hilfe zum Lebensunterhalt nicht erklärt worden ist. Leistungen nach dem SGB XII sind für den Personenkreis der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, für welche die Ausschlussregelungen des SGB II eingreifen, auch nicht aus Gründen des nationalen Rechts ausgeschlossen (vgl hierzu ausführlich Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 36 ff; vgl auch Ausschussdrucksache 17<11>881 vom 25.4.2012 - Schriftlicher Bericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Erklärung eines Vorbehalts gegen die Anwendung des Europäischen Fürsorgeabkommens , S 2 zu möglichen SGB XII-Ansprüchen für EFA-Staatsangehörige; aA Steffen/Keßler, ZAR 2012, 245, 246) (vgl hierzu ausführlich Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 36 ff; vgl auch Ausschussdrucksache 17<11>881 vom 25.4.2012 - Schriftlicher Bericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Erklärung eines Vorbehalts gegen die Anwendung des Europäischen Fürsorgeabkommens , S 2 zu möglichen SGB XII-Ansprüchen für EFA-Staatsangehörige; aA Steffen/Keßler, ZAR 2012, 245, 246).

25

f) Liegt demnach eine wesentliche Änderung durch den von der Bundesregierung erklärten Vorbehalt vor, können sich die Kläger - für einen weiter bestehenden Anspruch auf SGB II-Leistungen - auch nicht darauf beziehen, dass der Ausschluss von arbeitsuchenden Unionsbürgern in ihrem Fall gegen europäisches Recht (Art 24 RL 2004/38/EG und Art 4 der VO Nr 883/2004) verstößt. Nach der Entscheidung des EuGH in dieser Sache (Urteil vom 15.9.2015 - Rs C-67/14 - SGb 2015, 638 ff) ist als geklärt anzusehen, dass der in § 7 Abs 1 S 2 SGB II normierte, ausnahmslose Ausschluss von SGB II-Leistungen auch bereits im Bundesgebiet beschäftigt gewesene Unionsbürgerinnen und Unionsbürger erfasst, die weniger als ein Jahr gearbeitet haben. Haben diese - wie hier die Klägerinnen zu 1 und 2 - nach Ablauf der Aufrechterhaltung ihrer Erwerbstätigeneigenschaft für den Zeitraum von sechs Monaten erneut ein Aufenthaltsrecht nur (noch) zur Arbeitsuche, steht der nachfolgende ausnahmslose Ausschluss von SGB II-Leistungen (vgl Frage 2 des Vorlagebeschlusses des Senats vom 12.12.2013 - B 4 AS 9/13 R) unabhängig von der Dauer des rein tatsächlichen gewöhnlichen Aufenthalts der (wieder) Arbeitsuchenden im Bundesgebiet sowie deren familiärer Umstände nach dieser Entscheidung des EuGH im Einklang mit Art 4 der VO (EG) Nr 883/2004 und Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG.

26

6. Der Senat konnte dennoch nicht abschließend beurteilen, ob die durch den Vorbehalt zum EFA bewirkte Änderung in den rechtlichen Verhältnissen iS von § 48 Abs 1 S 1 SGB X wesentlich war, der Verwaltungsakt also dem Grunde oder der Höhe nach so nicht mehr ergehen dürfte(vgl Brandenburg in jurisPK-SGB X, 2013, § 48 RdNr 60; BSG Urteil vom 3.10.1989 - 10 RKg 7/89 - BSGE 65, 301, 302 = SozR 1300 § 48 Nr 60 "wahre Rechtslage"). Es sind bisher nicht getroffene Feststellungen zu möglichen anderen Aufenthaltsrechten der Klägerinnen zu 1 und 2 im Monat Mai 2012 erforderlich.

27

a) Nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG erfordert die Anwendbarkeit der Ausschlussregelung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II eine Prüfung des Grundes bzw der Gründe für eine im streitigen Leistungszeitraum (weiterhin) bestehende Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU bzw eines Aufenthaltsrechts nach den - im Wege eines Günstigkeitsvergleichs - anwendbaren Regelungen des Aufenthaltsgesetzes(§ 11 Abs 1 S 11 FreizügG/EU; vgl hierzu BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 31 ff). Bereits das Vorliegen der Voraussetzungen für ein anderes materiell bestehendes Aufenthaltsrecht als ein solches aus dem Zweck der Arbeitsuche hindert sozialrechtlich die positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts "allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" iS von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II(BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 31 f; BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 17 ff)bzw lässt den Leistungsausschluss "von vornherein" entfallen (BSG Urteil vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28 RdNr 20 f). Ein anderes Aufenthaltsrecht iS des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II kann sich auch aus einem - bei der Klägerin zu 2 - eigenständigen oder - im Falle der Klägerin zu 1 - abgeleiteten Aufenthaltsrecht nach der unionsrechtlichen Regelung des Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 ergeben(vgl BVerwG EuGH-Vorlage vom 13.7.2010 - 1 C 15/09 - juris RdNr 29; ein Verbleiberecht bereits unmittelbar aus Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 bejahend auch Epe in GK-AufenthG, § 3 FreizügG/EU RdNr 63 ff, Stand 7/2013; ebenso zu einem eigenständigen Aufenthaltsrecht des Kindes eines Wanderarbeitnehmers zusammen mit dem Recht auf Zugang zur Ausbildung bejahend auch Brechmann in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl 2011, Art 45 AEUV RdNr 91 f).

28

b) Zwar hat das SG ausgeführt, dass bei den Klägerinnen zu 1 und 2 auch im streitigen Monat Mai 2012 wieder ausschließlich "die Arbeitsuche das Aufenthaltsrecht" vermittelte. Hierin liegt jedoch keine Tatsachenfeststellung entsprechend den og Anforderungen, wie sie von der zeitlich überwiegend erst nach dem angegriffenen Urteil ergangenen Rechtsprechung des BSG zur Auslegung der Ausschlussregelung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II formuliert worden sind. Zudem sind Aufenthaltsrechte nach Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 bisher nicht Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung des BSG gewesen.

29

7. Bei seiner Entscheidung wird das LSG demnach bei möglichen Aufenthaltsrechten der Klägerinnen Folgendes zugrunde zu legen haben (§ 170 Abs 5 SGG):

Nach Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 können Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen. Nach Aufhebung der VO (EWG) Nr 1612/68 durch Art 41 VO (EU) Nr 492/2011 des EU-Parlaments und dessen Rates vom 5.4.2011 (ABl EU Nr L 141/1 vom 27.5.2011) übernimmt Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 insofern inhaltsgleich die bisherige Regelung des Art 12 Abs 1 VO (EWG) Nr 1612/68 (EuGH Urteil vom 6.9.2012 - Rs - C-147/11 und 148/11 - EAS Teil C VO Nr 1612/68 Art 12 Nr 13, RdNr 4).

30

Dieses - historisch an die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Schaffung bestmöglicher Bedingungen für die Integration der Familie des Wanderarbeitnehmers im Aufnahmemitgliedstaat anknüpfende - Ausbildungsrecht des Kindes (vgl EuGH Urteil vom 17.9.2002 - Rs C-413/99 - Slg 2002, I-7091 ff, juris RdNr 51 ff) setzt voraus, dass dieses Kind "in Ausbildung" mit seinen Eltern oder einem Elternteil in einem Mitgliedstaat in der Zeit lebte, in der dort zumindest ein Elternteil als Arbeitnehmer wohnte. Der Erwerb des Ausbildungsrechts ist an den Status als Kind eines Arbeitnehmers gebunden (EuGH Urteil vom 21.6.1988 - Rs C-197/86 - Slg 1988, 3105 ff, juris RdNr 30; EuGH Urteil vom 4.5.1995 - Rs C-7/94 - Slg 1995, I-1031 ff, juris RdNr 27; EuGH Urteil vom 14.6.2012 - Rs C-542/09 - EAS Teil C AEUV Art 45 Nr 3, RdNr 50 f; vgl auch EuGH Urteil vom 6.9.2012 - Rs C-147/11 und C-148/11 - EAS Teil C VO Nr 1612/68 Art 12 Nr 13, RdNr 30 zur ausschließlichen Anwendbarkeit des Art 12 VO Nr 1612/68 auf Kinder von Arbeitnehmern). Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH impliziert das Ausbildungsrecht aus Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 gleichzeitig ein eigenständiges Aufenthaltsrecht der sich weiterhin in Ausbildung befindlichen Kinder, das grundsätzlich bis zum Abschluss der Ausbildung und insbesondere besteht, solange sie tatsächlich im Aufnahmemitgliedstaat in das Schulsystem eingegliedert sind (EuGH Urteil vom 17.9.2002 - Rs C-413/99 - Slg 2002, I-7091 ff, juris RdNr 53 f; EuGH Urteil vom 13.6.2013 - Rs C-45/12 - EAS Teil C VO Nr 1408/71 Art 1 Nr 16, juris RdNr 46 und 52; EuGH Urteil vom 23.2.2010 - Rs C-480/08 - Slg 2010, I-1107, juris RdNr 36 und 53).

31

Soweit und solange die regelmäßig minderjährigen Kinder eines Arbeitnehmers oder ehemaligen Arbeitnehmers für die Wahrnehmung ihrer Ausbildungsrechte aus Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 weiterhin der Anwesenheit und der Fürsorge des Elternteils bedürfen, um ihre Ausbildung fortsetzen und abschließen zu können, besteht darüber hinaus in gleicher Weise für den Elternteil, der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich wahrnimmt, ein abgeleitetes Recht auf Aufenthalt aus Art 10 VO (EG) Nr 492/2011. Dies hat der EuGH damit begründet, dass die Versagung der Möglichkeit für die Eltern, während der Ausbildung ihrer Kinder im Aufnahmemitgliedstaat zu bleiben, geeignet sein könnte, den Kindern ein - ihnen vom Unionsgesetzgeber zuerkanntes - Recht zu nehmen (EuGH Urteil vom 13.6.2013 - Rs C-45/12 - EAS Teil C VO Nr 1408/71 Art 1 Nr 16, juris RdNr 46; EuGH Urteil vom 23.2.2010 - Rs C-480/08 - Slg 2010, I-1107, juris RdNr 36, 53, 86). Ohne Belang ist, ob die Eltern der betreffenden Kinder inzwischen geschieden sind oder der die elterliche Sorge tatsächlich wahrnehmende Elternteil nicht mehr Wanderarbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat ist (vgl EuGH Urteil vom 8.5.2013 - Rs C-529/11 - EAS Teil C VO Nr 1612/68 Art 12 Nr 14, RdNr 27 mwN; Brinkmann in Huber, AufenthG, 2010, § 3 FreizügG/EU RdNr 19; Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 3 FreizügG/EU RdNr 60 ff).

32

Die einmal erworbenen Ausbildungs- und Aufenthaltsrechte der Kinder bzw der (sorgeberechtigten bzw die tatsächliche Sorge ausübenden) Elternteile bestehen nach der Rechtsprechung des EuGH unabhängig von den in der RL 2004/38/EG festgelegten Voraussetzungen ausreichender Existenzmittel sowie eines umfassenden Krankenversicherungsschutzes (§ 4 FreizügG/EU) fort und sind autonom gegenüber den unionsrechtlichen Bestimmungen anzuwenden, die die Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat regeln (EuGH Urteil vom 23.2.2010 - Rs C-310/08 - Slg 2010, I-1065, juris RdNr 42 ff, 50; EuGH Urteil vom 23.2.2010 - Rs C-480/08 - Slg 2010, I-1107, juris RdNr 53 ff; Brinkmann in Huber, AufenthG, 2010, § 3 FreizügG/EU RdNr 20 mwN; Kloesel/Christ/Häußer, Aufenthalts- und Ausländerrecht, § 3 FreizügG/EU RdNr 104, Stand Juli 2011; Epe in GK-AufenthG, § 3 RdNr 67, Stand Juli 2013; Brechmann in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl 2011, Art 45 AEUV RdNr 91 f). Insofern hat der EuGH der Entstehungsgeschichte (vgl KOM <2003> 199 endg S 7) und den Inhalten der RL 2004/38/EG entnommen, dass der Anwendungsbereich des Art 12 VO (EWG) Nr 1612/68 in seiner Auslegung durch den EuGH gerade nicht eingeschränkt werden sollte (vgl EuGH Urteil vom 23.2.2010 - Rs C-310/08 - Slg 2010, I-1065, juris RdNr 46 mwN). Art 12 Abs 3 RL 2004/38/EG in seiner Anknüpfung an die EuGH-Rechtsprechung (vgl EuGH Urteil vom 17.9.2002 - Rs C-413/99 - Slg 2002, I-7091, juris RdNr 63) - im deutschen Recht umgesetzt durch § 3 Abs 4 FreizügG(vgl BT-Drucks 16/5065 S 210) - bestätigt dies. Hiernach führt der Wegzug des Unionsbürgers aus dem Aufnahmemitgliedstaat oder sein Tod weder für seine Kinder noch für den Elternteil, der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich wahrnimmt, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, bis zum Abschluss der Ausbildung zum Verlust des Aufenthaltsrechts, wenn sich die Kinder im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten und in einer Bildungseinrichtung zu Ausbildungszwecken eingeschrieben sind (vgl hierzu auch Kloesel/Christ/Häußer, Aufenthalts- und Ausländerrecht, § 3 FreizügG/EU RdNr 101, Stand Juli 2011; Epe in GK-AufenthG, § 3 FreizügG/EU RdNr 60, Stand 7/2013).

33

Näher zu prüfen ist daher, welchen Umfang und Charakter die vom SG angesprochenen "Arbeitszeiten" der Klägerin zu 1 im Bundesgebiet hatten und ob es sich hierbei um Beschäftigungen als Arbeitnehmerin iS von Art 10 der VO (EU) Nr 492/2011 handelte (vgl zur gemeinschaftlichen Bedeutung des Arbeitnehmerbegriffs zB EuGH Urteil vom 19.11.2002 - Rs C-188/00 - Slg 2002, I-10691, juris RdNr 32; Epe in GK-AufenthG, § 3 FreizügG/EU RdNr 66, Stand 7/2013 mwN). Ausgehend von seinem rechtlichen Ausgangspunkt hat das SG hierzu bisher keine Feststellungen treffen können, sondern lediglich - zusammenfassend für die Klägerinnen zu 1 und 2 - ausgeführt, dass die "Arbeitszeiten - für beide jeweils nicht mindestens sechs Monate seit Juni 2010 - kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht europarechtlich begründeten".

34

Voraussetzung solcher Aufenthaltsrechte wegen fortdauernder Ausbildungen der Kläger zu 3 und/oder 4 ist weiter, dass diese im streitigen Zeitraum ihre bereits während einer etwaigen Beschäftigung der Klägerin zu 1 als Arbeitnehmerin wahrgenommenen Schulausbildungen in einer in Deutschland gelegenen Einrichtung weiterhin regelmäßig nachgekommen sind (vgl zum Schulbesuch insb Epe in GK-AufenthG, § 3 FreizügG/EU RdNr 61 f, Stand 7/2013 mwN). Schließlich muss die Klägerin zu 1 als Elternteil die elterliche Sorge tatsächlich ausgeübt haben, was hier jedoch naheliegt.

35

Auch bezogen auf die erst während des Aufhebungsmonats Mai 2012 volljährig gewordene Klägerin zu 2 wird das LSG noch feststellen müssen, ob ihr ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach der VO (EU) Nr 492/2011 zustand. Anders als bei der Klägerin zu 1 kann sich ihre Freizügigkeitsberechtigung nicht aus derjenigen der Kläger zu 3 und 4 ableiten, weil die Geschwister im Verhältnis zu einem stammberechtigten Unionsbürger keine Familienangehörigen iS des § 3 Abs 2 FreizügG/EU und des Art 2 Nr 2 RL 2004/38/EG sind(vgl - auch zur Berücksichtigung familiärer Umstände - BVerwG Urteil vom 13.6.2013 - 10 C 16/12 - InfAuslR 2013, 364 ff). Zu klären ist ggf auch, ob sie im Mai 2012 ein Aufenthaltsrecht aus einer etwaigen Aufenthalts- bzw Freizügigkeitsberechtigung ihres Vaters ableiten konnte.

36

Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Mai 2012 und das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 3. März 2011 sowie der Bescheid der Beklagten vom 28. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2010 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 6. Juli 2010 bis 4. Oktober 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu zahlen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 6.7.2010 bis 4.10.2010.

2

Die 1988 geborene Klägerin bulgarischer Staatsangehörigkeit reiste am 28.7.2009 mit einem bulgarischen Reisepass über den Grenzübergang Gradina (Bulgarien) aus und zu einem späteren, nicht exakt bekannten Zeitpunkt in die Bundesrepublik ein. Einwohnermelderechtlich wurde sie erstmals am 8.4.2010 "aus Bulgarien kommend" in Stuttgart erfasst. In der Zeit vor dem 8.4.2010 verfügte sie nicht über eine Arbeitserlaubnis und war nicht als Beschäftigte (bei einer Einzugsstelle oder der Minijobzentrale) gemeldet. Die Klägerin war seit Januar 2010 schwanger und wurde am 27.10.2010 von einem Mädchen entbunden. Am 6.7.2010 beantragte sie bei dem Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Bei Antragstellung gab sie an, Vater des erwarteten Kindes sei ihr Lebensgefährte. Zu diesem Zeitpunkt hatte dieser als griechischer Staatsangehöriger einen mehr als achtjährigen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland zurückgelegt. Die Klägerin wies durch eine Urkunde des Jugendamts vom 20.7.2010 die Anerkennung der Vaterschaft nach. Über eine von ihr am 21.7.2010 bei der BA beantragte Erteilung einer Arbeitsgenehmigung-EU ohne Bezug zu einer konkreten Beschäftigung wurde zunächst nicht entschieden.

3

Der Beklagte lehnte den Antrag auf Leistungen nach dem SGB II ab (Bescheid vom 28.7.2010; Widerspruchsbescheid vom 10.8.2010). Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 3.3.2011). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 16.5.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Klägerin verfüge über einen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Nach allen Erkenntnissen des Verfahrens habe sie bereits im Streitzeitraum beabsichtigt, in Deutschland zu bleiben. Ihr Aufenthalt sei auch in einer Weise verfestigt gewesen, dass von seiner Dauerhaftigkeit auszugehen sei. Die Anmietung einer Wohnung mit dem Lebensgefährten sei geplant gewesen. Das erwartete Kind habe von seiner Geburt an die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben dürfen, weil sein Vater einen mehr als achtjährigen rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland zurückgelegt habe. Die Klägerin sei nicht aus Rechtsgründen iS von § 8 Abs 2 SGB II als erwerbsunfähig einzustufen gewesen. Auch ein Unionsbürger, der noch nicht die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit genieße, sondern einer Arbeitserlaubnis bedürfe, sei zumindest dann erwerbsfähig iS von § 8 SGB II, wenn der Erlaubnisvorbehalt allein aus Nachrangigkeitsgründen bestehe und daher zumindest eine Arbeitserlaubnis-EU erteilt werden könne. Dies sei bei der Klägerin der Fall.

4

Der Leistungsanspruch sei jedoch nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II ausgeschlossen, weil die Klägerin im streitigen Zeitraum allenfalls aus Gründen der Arbeitsuche aufenthaltsberechtigt gewesen sei. Andere Aufenthaltsgründe lägen nicht vor. Insbesondere sei die Klägerin in Deutschland nicht als oder wie eine Arbeitnehmerin beschäftigt gewesen. Im Hinblick auf ihr Kind habe die Klägerin kein Aufenthaltsrecht als Familienangehörige erwerben können, weil sie erst ab Geburt des Kindes "Verwandte" iS von § 3 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU gewesen sei. Ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot aus Art 4 iVm Art 70 der Verordnung (EG) Nr 883/2004 liege nicht vor. Dieses trete hinter die Regelung in Art 24 Abs 2 der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG) zurück. Zur Sozialhilfe iS des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG zählten auch die Regelleistung und die Leistungen für Unterkunft und Heizung nach den §§ 20, 22 SGB II sowie - im Fall der Klägerin - die Mehrbedarfsleistungen für Schwangere. Diesen Leistungen fehle der spezifische Bezug zum Arbeitsmarkt, der einen Vorrang der VO (EG) Nr 883/2004 gegenüber der FreizügRL begründe. § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II iVm Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG sei als speziellere Regelung anwendbar. Auch ein Verstoß des § 7 Abs 1 S 2 SGB II gegen die Regelungen des EFA sei nicht ersichtlich, weil Bulgarien nicht Signatarstaat sei.

5

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin, das Berufungsurteil trage dem Schutz des ungeborenen Lebens nicht ausreichend Rechnung. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zu den aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen der bevorstehenden Vaterschaft eines bereits im Bundesgebiet lebenden Ausländers hinsichtlich seines ungeborenen Kindes sei übertragbar. Dies folge aus dem Schutz der Familie nach Art 6 Abs 1 GG und der aus Art 2 Abs 2 S 1 und Art 1 Abs 1 GG abzuleitenden Schutzpflicht für die Gesundheit der werdenden Mutter und des ungeborenen Kindes. Es sei dem Vater zu ermöglichen, den in § 1615f BGB festgelegten Unterhalt als Naturalunterhalt zu erbringen. Dass der Unionsgesetzgeber eine solche Situation nicht vorhergesehen habe, führe allenfalls dazu, dass sich das Aufenthaltsrecht nicht aus dem Sekundär- sondern dem Primärrecht ergebe. Die werdende Mutter habe in der Zeit der Schwangerschaft einen aufenthaltsrechtlich geschützten Anspruch auf Beistand durch den "werdenden" Vater. Leistungsansprüche im Rahmen der sozialen Koordinierung seien durch die Unionsbürger-Richtlinie nicht ausgeschlossen, weil der EuGH soziale Ansprüche aus dem Freizügigkeitsregime und aus den Regelungen über die sozialrechtliche Koordinierung als konkurrierende behandele.

6

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Sozialgerichts Stuttgart vom 3. März 2011 und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. Mai 2012 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 28. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. August 2010 zu verurteilen, ihr Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 6. Juli 2010 bis 4. Oktober 2010 zu gewähren.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

8

Die Klägerin könne über die Schwangerschaft keine Eigenschaft als Familienangehörige konstruieren. Zwar stünden sich - vor Erklärung des Vorbehalts der Bundesregierung - aus Rumänien und Bulgarien stammende EU-Bürger bei Leistungen nach dem SGB II schlechter als Ausländer, die gleichzeitig EFA-Staatsangehörige seien. Dieses unterschiedliche Ergebnis verstoße jedoch nicht gegen Unionsrecht, weil es durch die (befristet) eingeschränkte Freizügigkeit bulgarischer Staatsangehöriger gerechtfertigt sei, die insoweit auch das ansonsten unionsrechtlich geltende Diskriminierungsverbot einschränke.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Die Vorinstanzen und der Beklagte haben einen Anspruch der Klägerin auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu Unrecht verneint.

10

1. Streitgegenstand sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die der Beklagte mit Bescheid vom 28.7.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.8.2010 abgelehnt hat. Die Klägerin hat den streitigen Zeitraum ausdrücklich auf die Zeit vom 6.7.2010 bis 4.10.2010 beschränkt.

11

2. Die Klägerin erfüllte im streitigen Zeitraum sämtliche Anspruchsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 bis 4 SGB II und war auch nicht nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II von den SGB II-Leistungen ausgeschlossen.

12

Leistungen nach dem SGB II erhalten nach § 7 Abs 1 S 1 SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Die Klägerin bewegte sich innerhalb der Altersgrenzen des § 7 Abs 1 Nr 1 SGB II und war nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG(§ 163 SGG) hilfebedürftig nach § 7 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB II.

13

3. Die Klägerin war auch erwerbsfähig iS von § 7 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II iVm § 8 SGB II. Nach § 8 Abs 1 SGB II ist erwerbsfähig, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf (nicht) absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. IS von § 8 Abs 1 SGB II können Ausländerinnen und Ausländer nur erwerbstätig sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte(§ 8 Abs 2 SGB II) .

14

Nach den Feststellungen des LSG standen körperliche Gründe iS von § 8 Abs 1 SGB II einer Erwerbsfähigkeit nicht entgegen. Das Berufungsgericht ist weiter zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin nicht iS von § 8 Abs 2 SGB II als erwerbsunfähig anzusehen war. Zwar bleibt für EU-Bürger der zum 1.1.2007 beigetretenen Staaten Bulgarien und Rumänien (vgl Vertrag über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumänien zur Europäischen Union vom 25.4.2005 ) die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art 45 AEUV) für eine Übergangsfrist von sieben Jahren bis zum 31.12.2013 in der Weise beschränkt, dass die bestehenden nationalen Regelungen für den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für ausländische Staatsangehörige auch für diese neuen EU-Bürger beibehalten wurden. Staatsangehörige dieser Länder können sich nach dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU als Art 2 des ZuwanderungsG vom 30.7.2004 ; vgl § 1 Abs 2 Nr 1 AufenthG) grundsätzlich frei innerhalb der EU bewegen, benötigen zur Beschäftigungsaufnahme in Deutschland in der Übergangszeit aber weiterhin eine Arbeitsgenehmigung-EU (§ 284 Abs 1 S 2 SGB III idF des Gesetzes vom 7.12.2006, BGBl I 2814).

15

Die Klägerin war nicht im Besitz einer Arbeitsgenehmigung. Es ist jedoch ausreichend, dass ihr vorbehaltlich der Vorlage eines konkreten, überprüfbaren Stellenangebots eines künftigen Arbeitgebers im streitigen Zeitraum die Aufnahme einer Beschäftigung hätte erlaubt werden können. Soweit das SG eine Erwerbsfähigkeit ohne weitere Ermittlungen mit der Begründung verneint hat, dass keine konkrete und realisierbare Möglichkeit zur Erteilung einer Arbeitsgenehmigung/EU bestanden habe, unterstellt es zu Unrecht, dass in jedem Einzelfall eine konkret-rechtliche Möglichkeit der Beschäftigungsaufnahme geprüft werden muss. Für die Annahme, dass eine Beschäftigung iS des § 8 Abs 2 SGB II erlaubt ist oder erlaubt werden könnte, reicht es jedoch aus, wenn die Aufnahme einer Tätigkeit im Sinne einer rechtlich-theoretischen Möglichkeit mit einer Zustimmung zur Beschäftigungsaufnahme durch die BA erlaubt sein könnte, auch wenn dies bezogen auf einen konkreten Arbeitsplatz durch die Verfügbarkeit geeigneter bevorrechtigter Bewerber(§ 39 Abs 2 AufenthG) verhindert wird. Unabhängig hiervon ist Unionsbürgern, also auch Rumänen und Bulgaren, Vorrang gegenüber Drittstaatsangehörigen einzuräumen ("Gemeinschaftsprivileg" HK-AuslR/Clodius, 1. Aufl 2008, Anhang zum FreizügG/§ 284 SGB III RdNr 19). Dass auf eine abstrakt-rechtliche Möglichkeit der Erteilung einer Arbeitsgenehmigung abzustellen ist, ergibt sich nunmehr auch aus dem mit Wirkung zum 1.4.2011 (BGBl I 453) eingefügten § 8 Abs 2 S 2 SGB II. Dieser bestimmt, dass die rechtliche Möglichkeit, eine Beschäftigung vorbehaltlich einer Zustimmung nach § 39 AufenthG aufzunehmen, ausreichend ist(BT-Drucks 15/1749 S 31 "Klarstellung"; BT-Drucks 15/1516 S 52).

16

Einen solchen - gegenüber deutschen Staatsangehörigen und uneingeschränkt freizügigkeitsberechtigten EU-Bürgern - nachrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt hatte die Klägerin im streitigen Zeitraum, weil ihr eine Arbeitsgenehmigung/EU nach § 284 Abs 3 SGB III iVm § 39 Abs 2 Nr 1 AufenthG, etwa für eine Tätigkeit als Hilfskraft(vgl hierzu auch Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 13 RdNr 44), hätte erteilt werden können. Staatsangehörige aus den neuen EU-Beitrittsländern, die - wie die Klägerin - seit längerer Zeit in Deutschland wohnen, sind nicht als "Neueinreisende" iS von § 284 Abs 4 SGB III (mit "Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland") anzusehen, für die weitergehende Beschränkungen gelten(Dienelt aaO).

17

4. Die Klägerin verfügte im streitigen Zeitraum auch über einen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet iS von § 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II.

18

Nach § 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II iVm § 30 Abs 3 S 2 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Diese Definition gilt für alle Sozialleistungsbereiche des Sozialgesetzbuchs, soweit sich nicht aus seinen besonderen Teilen etwas anderes ergibt (§ 37 SGB I). Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist in erster Linie nach den objektiv gegebenen tatsächlichen Verhältnissen im streitigen Zeitraum zu beurteilen (BSG SozR 3-1200 § 30 Nr 5 S 8). Entscheidend ist, ob der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland ist. Dauerhaft ist ein solcher Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist. Mit einem Abstellen auf den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse im Gebiet der Bundesrepublik soll - auch im Sinne einer Missbrauchsabwehr - ausgeschlossen werden, dass ein Wohnsitz zur Erlangung von Sozialleistungen im Wesentlichen nur formal begründet, dieser jedoch tatsächlich weder genutzt noch beibehalten werden soll (Schlegel in jurisPK-SGB I, 2. Aufl 2012, § 30 RdNr 24 mit Verweis auf BT-Drucks 7/3786 S 5 zu § 30; zur Begründung eines Wohnsitzes "nach den faktischen Verhältnissen" iS von Art 1 lit j VO (EG) 883/2004 unter Einbeziehung der Definition in Art 11 VO (EG) Nr 987/2009 und Abgrenzung zur "legal residence in Directive 2004/38" Frings, Grundsicherungsleistungen für Unionsbürger unter dem Einfluss der VO (EG) Nr 883/2004 in ZAR, 2012, 317 ff, 322).

19

Jedenfalls für den Bereich des SGB II läuft es der Vereinheitlichung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts zuwider, wenn unter Berufung auf eine sog Einfärbungslehre vor allem des früheren 4. Senats des BSG (vgl hierzu BSG SozR 3-1200 § 30 Nr 21 S 45 ff; ähnlich BSG SozR 3-2600 § 56 Nr 7 S 31 ff; anders für die Familienversicherung nach § 10 SGB V: BSGE 80, 209 ff, 211 f = BSG SozR 3-2500 § 10 Nr 12 S 52 f) dem Gesetzeswortlaut nicht zu entnehmende Tatbestandsmerkmale im Sinne von rechtlichen Erfordernissen zum Aufenthaltsstatus aufgestellt werden (vgl Schlegel in jurisPK-SGB I, 2. Aufl 2012, § 30 RdNr 26, 50 ff)und damit einzelnen Personengruppen der Zugang zu existenzsichernden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts versperrt wird. Zudem hat der Gesetzgeber diese Rechtsprechung nur in Teilbereichen, etwa beim Kinder-, Erziehungs- und Elterngeld, aufgegriffen und einen Anspruch von einem definierten Aufenthaltsstatus abhängig gemacht (vgl zB § 1 Abs 7 BEEG; § 1 Abs 6 BErzGG idF bis zum 31.12.2006; zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Differenzierungskriterien: BVerfGE 111, 176 ff = SozR 4-7833 § 1 Nr 4). Ein diesen Regelungen entsprechendes, also zu dem gewöhnlichen Aufenthalt hinzutretendes Anspruchsmerkmal im Sinne des Innehabens einer bestimmten Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU bzw eines bestimmten Aufenthaltstitels nach dem AufenthG fehlt im SGB II. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II in einer anderen Regelungssystematik ein Ausschlusskriterium von SGB II-Leistungen nur für diejenigen Ausländer vorgesehen, deren "Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt".

20

Unabhängig hiervon liegt eine fehlende Dauerhaftigkeit des Aufenthalts im Sinne einer nicht vorhandenen Zukunftsoffenheit bei Unionsbürgern regelmäßig nicht vor, weil ihr Aufenthalt nicht nach einer bereits vorliegenden Entscheidung der dafür allein zuständigen Ausländerbehörde auflösend befristet oder auflösend bedingt ist. Zwar verfügte die Klägerin - anders als in den vom 14. Senat des BSG entschiedenen Fallgestaltungen (BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21 RdNr 13; BSG SozR 4-4200 § 7 Nr 28 RdNr 17) -offenbar (Feststellungen des LSG hierzu fehlen) nicht über eine Freizügigkeitsbescheinigung (§ 5 FreizügG/EU; entfallen durch Art 1 des Gesetzes zur Änderung des FreizügigkeitsG/EU und weitere aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21.1.2013 ). Einer solchen Bescheinigung kommt aber lediglich deklaratorische Bedeutung zu, weil sich das Freizügigkeitsrecht unmittelbar aus Gemeinschaftsrecht ergibt (BT-Drucks 15/420 S 101; BSG SozR 4-4200 § 7 Nr 28 RdNr 17; BVerwGE 110, 40, 53: subjektiv-öffentliches Unionsbürgerrecht unabhängig vom Zweck seiner Inanspruchnahme). Auch bei Staatsangehörigen aus den neuen Mitgliedstaaten kann der Aufenthalt während der Übergangsphase nur unter den Voraussetzungen der §§ 5 Abs 5, 6 und 7 FreizügG/EU wegen des Wegfalls, des Verlustes oder des Nichtbestehens des Freizügigkeitsrechts, also nach Durchführung eines Verwaltungsverfahren, beendet werden(Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 2. Aufl 2011, § 13 RdNr 57, 61; OVG Bremen Beschluss vom 21.1.2011 - 1 B 242/10, juris-RdNr 4). Das Aufenthaltsrecht besteht, solange der Aufnahmemitgliedstaat nicht durch einen nationalen Rechtsakt festgestellt hat, dass der Unionsbürger bestimmte vorbehaltene Bedingungen iS des Art 21 AEUV nicht erfüllt (Harms in Kommentar zum Zuwanderungsrecht, 1. Aufl 2008, § 2 FreizügG RdNr 4 mwN).

21

Auch § 13 FreizügG/EU steht der Vermutung einer Freizügigkeit nicht entgegen. Danach findet, soweit ua nach Maßgabe des Vertrags vom 25.4.2005 über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Europäischen Union (BGBl II 1146) abweichende Regelungen anwendbar sind, das FreizügG/EU Anwendung, wenn die Beschäftigung durch die BA gemäß § 284 Abs 1 SGB III genehmigt wurde. Trotz des unklaren Wortlauts des § 13 FreizügG/EU schränkt der Umstand, dass die Beitrittsverträge nationale Übergangsmaßnahmen im Hinblick auf den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt innerhalb eines längstens sieben Jahre dauernden Zeitraums durch die Mitgliedstaaten zulassen, nicht grundsätzlich das Freizügigkeitsrecht der neuen Unionsbürger ein(OVG Hamburg Beschluss vom 21.1.2011 - 1 B 242/10, juris-RdNr 4; HK-AuslR/Geyer, 1. Aufl 2008, § 13 FreizügG RdNr 2).

22

5. Der Anspruch auf SGB II-Leistungen ist auch nicht nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II ausgeschlossen. Ausgenommen von Leistungen nach dem SGB II sind danach ua Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts (Nr 1) und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen (Nr 2). Nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) greift der Anspruchsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II schon deshalb nicht, weil die Klägerin unmittelbar nach Verlassen Bulgariens Ende Juli 2009 nach Deutschland eingereist ist und sich seitdem im Bundesgebiet aufgehalten hat, bevor sie im April 2010 einwohnermelderechtlich erfasst wurde.

23

6. a) Auch § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II schließt einen Anspruch der Klägerin nicht aus, weil sich ihr Aufenthaltsrecht im streitigen Zeitraum nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergab. Die Ausschlussregelung erfordert - zur Umsetzung des Willens des Gesetzgebers bei Unionsbürgern regelmäßig eine "fiktive Prüfung" des Grundes bzw der Gründe ihrer Aufenthaltsberechtigung. Bereits das Vorhandensein der Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts aus einem anderen Grund als dem Zweck der Arbeitsuche hindert die von der Rechtsprechung des BSG geforderte positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts "allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" iS von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II. Ein solcher Fall liegt hier vor, weil sich aus der bevorstehenden Geburt des Kindes der Klägerin ein anderes Aufenthaltsrecht ergeben konnte.

24

b) Unbesehen des subjektiv-öffentlichen Unionsbürgerrechts nach der RL 2004/38/EG und dem deutschen FreizügG/EU erfordert eine dem Willen des Gesetzgebers entsprechende Anwendung des Ausschlusstatbestandes des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II eine "fiktive Prüfung", ob - im Falle von Unionsbürgern - ein Aufenthaltsrecht allein zum Zweck der Arbeitsuche bestand oder daneben auch andere Aufenthaltszwecke den Aufenthalt des Unionsbürgers im Inland rechtfertigen konnten. Dies ergibt sich aus der für die Auslegung der Vorschrift wesentlichen Entstehungsgeschichte der Ausschlussregelung.

25

Den Gesetzesmaterialien zu § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist zu entnehmen, dass von der "Option" des Art 24 Abs 2 iVm Art 14 Abs 4 der RL 2004/38/EG auch im Bereich des SGB II Gebrauch gemacht werden sollte(BT-Drucks 16/5065 S 234; siehe auch BT-Drucks 16/688 S 13). Trotz des Kontextes, in welchem die Regelung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II erlassen wurde, nämlich der Erweiterung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern zu einer allgemeinen Freizügigkeit für alle Unionsbürger durch die RL 2004/38/EG, wollte der bundesdeutsche Gesetzgeber neben den von Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG unstreitig erfassten Sozialhilfeleistungen auch SGB II-Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausschließen. Deren Einordnung als Sozialhilfeleistungen iS von Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG ist allerdings fraglich. Die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG haben die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts entsprechend ihrer Aufnahme in den Anhang der VO (EG) Nr 883/2004 als "besondere beitragsunabhängige Geldleistungen" nach Art 4 iVm Art 70 VO (EG) Nr 883/2004, nicht jedoch als Leistungen der "sozialen Fürsorge" iS von Art 3 Abs 5a) VO (EG) Nr 883/2004 angesehen. Sie haben darauf hingewiesen, dass durch das Erfordernis der Erwerbsfähigkeit ein Bezug zu den Leistungen bei Arbeitslosigkeit bestehe (BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21 RdNr 29; BSGE 107, 206 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 22 RdNr 20 f; vgl auch EuGH Urteil vom 4.9.2009 - Rs C-22/08 - SozR 4-6035 Art 39 Nr 5, RdNr 43; siehe aber auch BVerwG Urteil vom 31.5.2012 - 10 C 8/12 juris RdNr 25 mwN, zur Einordnung von SGB II-Leistungen als aufenthaltsrechtlich schädliche Sozialhilfeleistungen iS des Art 7 Abs 1 Buchst b der RL 2004/38/EG, wobei dies "nicht zwingend deckungsgleich" mit dem in Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG genannten Begriff der Sozialhilfe sein müsse; kritisch hierzu Breidenbach in ZAR 2011, 235 ff).

26

Ungeachtet der insofern bestehenden Zweifel an der europarechtlichen Zulässigkeit des nicht nach dem Grad der Verbindung des arbeitsuchenden Unionsbürgers zum Arbeitsmarkt des Aufnahmestaats und seinem beruflich möglichen Zugang zum Arbeitsmarkt differenzierenden sowie zeitlich unbefristeten Ausschlusses der arbeitsuchenden Unionsbürger von SGB II-Leistungen ist § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II als Ausschlussregelung von existenzsichernden Sozialleistungen jedenfalls eng auszulegen. Auch aus dem Aufbau der Norm ist abzuleiten, dass positiv feststellt werden muss, dass dem Ausländer ein Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik Deutschland zusteht (BSG SozR 4-4200 § 7 Nr 28).

27

c) Jedenfalls nicht erfasst von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II werden Unionsbürger, bei denen die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht nach dem FreizügG/EU oder ggf dem begrenzt subsidiär anwendbaren AufenthG (siehe hierzu unten) aus anderen Gründen als dem Zweck der Arbeitsuche vorliegen. Insofern ist der Regelung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II immanent, dass der Ausschluss nur Unionsbürger trifft, die sich ausschließlich und ggf schon vor einer Meldung beim Jobcenter auch eigeninitiativ um eine Beschäftigung bemüht haben, nicht jedoch diejenigen erfasst, die sich auch auf ein anderes Aufenthaltsrecht berufen können.

28

Da Unionsbürger für die Einreise keines Visums und für den Aufenthalt keines Aufenthaltstitels (§ 2 Abs 4 S 1 FreizügG/EU) bedürfen, kann bei ihnen der ausländerrechtlich anerkannte Aufenthaltszweck nicht unmittelbar einem entsprechenden Dokument mit möglicher Tatbestandswirkung für das SGB II entnommen werden. Vor dem Hintergrund einer - bis zur Feststellung des Nichtbestehens oder des Verlusts einer Freizügigkeitsberechtigung - bestehenden Freizügigkeitsvermutung von Unionsbürgern und der bereits damit verbundenen Vermutung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts (vgl Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 12 RdNr 34) kann bei dieser Personengruppe nicht darauf abgestellt werden, ob das Aufenthaltsrecht in einem Aufenthaltstitel dokumentiert ist. Zwar kann ein in einer ggf bis zum 28.1.2013 deklaratorisch erteilten Bescheinigung gemäß § 5 Abs 1 FreizügG/EU (aF) angegebener Aufenthaltszweck ein wesentliches Indiz für den Aufenthaltsgrund sein. Unionsbürger sind jedoch nicht verpflichtet, die Rechtmäßigkeit ihres Aufenthalts durch eine entsprechende Bescheinigung nachzuweisen (BVerwG Urteil vom 16.11.2010 - 1 C 17/09, BVerwGE 138, 122 ff). Entscheidend ist das Vorliegen der Voraussetzungen für ein weiteres Aufenthaltsrecht. Auch soweit der Aufenthalt aus einem anderen materiell bestehenden Aufenthaltsrecht als dem Zweck der Arbeitsuche nicht beendet werden könnte, hindert dies sozialrechtlich die positive Feststellung eines "Aufenthaltsrechts allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" iS von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II.

29

Seine Feststellung, die Klägerin sei im streitigen Zeitraum "ab dem 6.7.2010 in Deutschland allenfalls aus Gründen der Arbeitsuche aufenthaltsberechtigt", hat das Berufungsgericht vorrangig damit begründet, dass ein Aufenthaltsrecht wegen einer fortwirkenden Arbeitnehmereigenschaft nicht bestanden habe (vgl zu dem hierfür regelmäßig angenommen Zeitraum von sechs Monaten: § 2 Abs 3 S 1 Nr 2 iVm § 2 Abs 3 S 2 FreizügG/EU; EuGH Urteil vom 4.6.2009 - C-22/08, C-23/08 - SozR 4-6035 Art 39 Nr 5, RdNr 32; BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 18). Ob sich die Klägerin bis zum Beginn des streitigen Zeitraums auf ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche berufen konnte, hat das LSG nicht erörtert. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist ein arbeitsuchender EU-Bürger solange freizügigkeitsberechtigt, wie er mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht, wobei das Gemeinschaftsrecht die Länge des angemessenen Zeitraums nicht regelt. Allerdings ist es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, dem Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der zum Zweck der Stellensuche in sein Gebiet eingereist ist, auszuweisen, wenn dieser nach sechs Monaten keine Stelle gefunden hat, sofern der Betroffene nicht nachweist, dass er weiterhin und mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht (EuGH Urteil vom 26.2.1991 - C-292/89 ; so auch Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 2 FreizügG/EU RdNr 56).

30

Auch wenn die Klägerin wegen des im streitigen Zeitraum hinzutretenden SGB II-Antrags und der damit verbundenen Verpflichtung, alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen und aktiv an allen Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit mitwirken (§ 2 Abs 1 S 1 und 2 SGB II), als Arbeitsuchende anzusehen ist, hindert dies nicht die Annahme eines Aufenthaltsrechts auch aus einem anderen Aufenthaltsgrund (vgl zum zulässigen Wechsel der Aufenthaltszwecke während des Aufenthalts: HK-AuslR/Geyer, 2008, § 5 FreizügG/EU RdNr 3). Auch der Verlust des Freizügigkeitsrechts kann erst festgestellt werden, wenn die Freizügigkeitsberechtigung nicht aus anderen Gründen besteht (Huber, AufenthaltsG, 2010, § 5 FreizügG/EU RdNr 15). Ein solches bereits vor SGB II-Antragstellung hinzugetretenes weiteres Aufenthaltsrecht der Klägerin im Bundesgebiet liegt hier vor.

31

d) Die Klägerin konnte sich nach den besonderen Einzelfallumständen in dem hier streitigen Zeitraum wegen der zu erwartenden Geburt des Kindes auch auf ein anderes Aufenthaltsrecht iS des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II berufen.

32

§ 11 Abs 1 S 5 FreizügG/EU in der bis zum 30.6.2011 geltenden Fassung vom 19.8.2007 (BGBl I 1970) bestimmt, dass das - grundsätzlich nur noch für Drittstaatsangehörige geltende - AufenthG weiterhin auch auf Unionsbürger Anwendung findet, wenn es eine günstigere Regelung vermittelt als das FreizügG/EU. Bei dem anzustellenden Günstigkeitsvergleich ist keine abstrakt wertende Betrachtung in Bezug auf die gesamte Rechtsstellung anzustellen. Vielmehr knüpft der Vergleich iS einer den konkreten Einzelfall in den Blick nehmenden Betrachtung an einzelne Merkmale an (Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 11 RdNr 28).

33

Nach dem insoweit anwendbaren § 7 Abs 1 S 3 AufenthG kann - unabhängig von der ansonsten geforderten Bindung der Aufenthaltserlaubnis an konkrete, im AufenthG genannte Aufenthaltszwecke(§ 7 Abs 1 S 2 AufenthG) - in begründeten Fällen im Wege einer Ermessensentscheidung eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen von diesem Gesetz nicht genannten Aufenthaltszweck erteilt werden. Allerdings ist das LSG zu Recht davon ausgegangen, dass eheähnlich zusammenlebende heterosexuelle Paare weder aus dem Auffangtatbestand des § 7 Abs 1 S 3 AufenthG noch aus dem europäischem Recht ein Aufenthaltsrecht zur Familienzusammenführung ableiten können, weil der Familiennachzug in § 3 FreizügG/EU und den §§ 27 ff AufenthG abschließend geregelt ist. Da nichteheliche Lebensgemeinschaften von den ausdrücklichen Regelungen gerade nicht erfasst sind, ist die Anwendung von § 7 Abs 1 S 3 AufenthG grundsätzlich gesperrt(vgl BVerwG Urteil vom 27.2.1996 - 1 C 41/93 - BVerwGE 100, 287 ff; Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 7 AufentG RdNr 20).

34

Die - hier im Rahmen der Ausschlussklausel des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II - bei Unionsbürgern nur zu prüfenden Voraussetzungen eines anderen Aufenthaltsrechts sind aber wegen der bevorstehenden Geburt des Kindes gegeben. Insofern handelt es sich um ein Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen, das aus dem Zusammenleben der Partner mit einem gemeinsamen Kind oder dem Kind eines Partners folgt. Diese Personengruppen bilden jeweils eine Familie iS des Art 6 GG und der §§ 27 Abs 1, 28 Abs 1, 29 und 32 AufenthG und können sich auch auf den Schutz aus Art 8 der Konvention des Europarates zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten(MRK) berufen (vgl auch Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 7 AufenthG RdNr 20).

35

Eine solche Konstellation, die einen anderen Aufenthaltszweck als denjenigen der Arbeitsuche vermitteln kann, kann auch in einer bevorstehenden Familiengründung liegen. Insofern wird in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zum AufenthG angenommen, dass der bevorstehenden Geburt eines Kindes aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen für den Aufenthaltsstatus eines Elternteils zukommen können. Die anstehende Vaterschaft eines bereits im Bundesgebiet lebenden Ausländers hinsichtlich des ungeborenen Kindes einer deutschen, aber auch ausländischen Staatsangehörigen kann aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen im Sinne eines Abschiebungshindernisses begründen, wenn entweder der Schutz der Familie nach Art 6 Abs 1 GG und die aus Art 2 Abs 2 S 1 und Art 1 Abs 1 GG abzuleitende Schutzpflicht für die Gesundheit der werdenden Mutter und des Kindes dies gebieten, oder wenn beide Elternteile bereits in Verhältnissen leben, welche eine gemeinsame Übernahme der elterlichen Verantwortung sicher erwarten lassen und eine (vorübergehende) Ausreise zur Durchführung eines Sichtvermerkverfahrens nicht zumutbar ist. Dies gilt zumindest mit der Vaterschaftsanerkennung und der Zustimmung der Mutter (§§ 1592 Nr 2, 1595 Abs 1 BGB) sowie einer gemeinsamen Sorgerechtserklärung (OVG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 23.2.2012 - 2 S 94.11, 2 M 70.2 M 70.11 - RdNr 3 ff; Sächsisches OVG Beschluss vom 2.10.2009 - 3 B 482/09 - InfAuslR 2010, 27 ff: vgl auch VG Dresden Beschluss vom 11.6.2008 - 3 L 279/08 - RdNr 10 zum Abschiebungsschutz für eine werdende ausländische Mutter). Insofern tritt die staatliche Verpflichtung aus Art 6 Abs 1 GG iVm Abs 2 GG ein (OVG Hamburg Beschluss vom 14.8.2008 - 4 Bs 84/08 - InfAuslR 2009, 16 ff). Von der Schutzpflicht des Staates aus Art 6 GG ist insbesondere die Rechtsposition des Kindes sowie dessen Anspruch auf Ermöglichung bzw Aufrechterhaltung eines familiären Bezugs zu beiden Elternteilen von Geburt an betroffen (BVerfG FamRZ 2006, 187 ff; BVerfG NVwZ 2006, 682, 683 zum Familienschutz; BVerfGE 80, 81 ff).

36

Diese aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen einer bevorstehenden Familiengründung bestanden auch im Falle der Klägerin. Es wäre ihr weniger als vier Monate vor dem errechneten Geburtstermin nicht mehr zumutbar gewesen, sich von dem Vater des Kindes unter zumindest vorübergehender Aufgabe des familiären Zusammenhalts und mit dem Risiko einer zeitgerechten Rückkehr zur Geburt zu trennen. Auch in der hier vorliegenden Fallgestaltung soll verhindert werden, dass ein Kind in dem ersten Jahr nach seiner Geburt entgegen Art 6 Abs 1 GG von der Erziehungsleistung eines seiner Elternteile ausgeschlossen wird. Für die aufenthaltsrechtlichen Schutzwirkungen aus Art 6 GG und damit auch ihre Vorwirkungen ist dabei nicht vorrangig auf formal-rechtliche familiäre Bindungen, sondern auf die tatsächliche Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern im Wege einer Einzelfallbetrachtung abzustellen (BVerfG FamRZ 2006, 187 ff, RdNr 18 mwN). Nach den Feststellungen des LSG hat die Klägerin bereits bei Antragstellung angegeben, dass ihr Kind von dem Lebensgefährten sei, mit dem die Anmietung einer gemeinsamen Wohnung geplant sei. Es ergab sich daher schon für die Zeit vor der Anerkennung der Vaterschaft eine vorwirkende Schutzwirkung, die ein Aufenthaltsrecht der Klägerin wegen des bevorstehenden familiären Zusammenlebens begründen konnte.

37

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Mai 2011 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger für das Revisionsverfahren.

Tatbestand

1

Die Kläger begehren Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum vom 19.1. bzw 2.2. bis zum 30.9.2009.

2

Die am 24.9.1990 geborene Klägerin zu 1 ist polnische Staatsangehörige. Sie reiste im Oktober 2004 mit ihren Eltern nach Deutschland ein und lebt seitdem ununterbrochen in Berlin. Am 23.7.2008 stellte die Bundesagentur für Arbeit der Klägerin zu 1 eine unbefristete Arbeitsberechtigung-EU für berufliche Tätigkeiten jeder Art aus. Ab dem 14.11.2008 war die Klägerin zu 1 in der Wohnung S Straße 9 gemeldet, wo sie eine Nettokaltmiete in Höhe von 200 Euro und Betriebskostenvorauszahlungen in Höhe von 140 Euro zu leisten hatte. Am 13.1.2009 stellte das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten eine Bescheinigung nach § 5 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) für die Klägerin zu 1 aus. Diese beantragte am 19.1.2009 Leistungen nach dem SGB II. Der Kläger zu 2 wurde am 2.2.2009 geboren, er hat ebenfalls die polnische Staatsbürgerschaft. Die Klägerin zu 1 erhielt seit der Geburt Elterngeld in Höhe von 300 Euro und Kindergeld in Höhe von 164 Euro. Außerdem zahlte der Kindsvater Unterhalt in Höhe von 200 Euro monatlich. Weitere Einnahmen wurden nicht erzielt.

3

Mit Bescheid vom 11.3.2009 lehnte der Beklagte den Leistungsantrag der Klägerin zu 1 mit der Begründung ab, sie sei von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, weil sie ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland lediglich zur Arbeitsuche habe. Mit Bescheid vom 7.5.2009 bewilligte der Beklagte den Klägern aufgrund eines Beschlusses des Sozialgerichts (SG) vom 30.4.2009 in einem Eilverfahren darlehensweise Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 30.3.2009 bis September 2009. Den gegen die Ablehnung des Leistungsantrags eingelegten Widerspruch der Kläger wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.5.2009 zurück.

4

Zur Begründung ihrer dagegen beim SG erhobenen Klage führen die Kläger aus, der Vater der Klägerin zu 1 habe seit der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im Oktober 2004 als Selbstständiger gearbeitet. Die Eltern der Klägerin zu 1 hätten sich im Jahr 2006 getrennt. Sie habe weiterhin bis zur Geburt ihres Kindes mit ihrem Vater zusammengewohnt. Sie habe nach der Geburt des Klägers zu 2 die Gesamtschule, an der sie die 9. Klasse besucht habe, verlassen, einen Schulabschluss habe sie nicht erreicht. Sie sei während ihrer Schulzeit weder in irgend einer Form beruflich tätig gewesen, noch habe sie in der Zwischenzeit eine Ausbildung aufgenommen. Sie plane aber, den Hauptschulabschluss nachzuholen, sobald ihr Sohn in den Kindergarten komme.

5

Mit dem angegriffenen Urteil vom 24.5.2011 hat das SG der Klage stattgegeben. Die Klägerin zu 1 gehöre zu dem grundsätzlich leistungsberechtigten Personenkreis. Ein Leistungsanspruch scheitere auch nicht daran, dass die Klägerin zu 1 von Leistungen nach dem SGB II als Ausländerin, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe, ausgeschlossen sei. Zwar lägen nach dem Wortlaut der Vorschrift die Voraussetzungen für einen Leistungsausschluss vor. Auf sonstige Aufenthaltsrechte könne sich die Klägerin zu 1 nicht berufen. Insbesondere könne sie kein Aufenthaltsrecht von ihren Eltern ableiten, weil sie im streitgegenständlichen Zeitraum nicht mehr mit ihren Eltern zusammengewohnt habe und auch noch kein Daueraufenthaltsrecht erlangt habe, da sie sich noch keine fünf Jahre in Deutschland aufgehalten habe.

6

Die Vorschrift des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II sei jedoch europarechtskonform einschränkend dahingehend auszulegen, dass sie nur dann Anwendung finde, wenn die Arbeitsuche bereits Zweck der Einreise gewesen sei. Die Einreise und die Arbeitsuche würden final verknüpft, auf einen später arbeitsuchend werdenden Unionsbürger, der zu einem anderen Zweck eingereist sei, finde die Vorschrift bei europarechtskonformer Auslegung keine Anwendung.

7

Das SG hat in seinem Urteil die Sprungrevision zugelassen, die der Beklagte eingelegt hat, nachdem die Prozessbevollmächtigte der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG nach Belehrung der Einlegung der Sprungrevision zugestimmt hatte.

8

Der Beklagte ist der Ansicht, § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II stelle nicht auf den Zweck der Einreise, sondern auf den Zweck des Aufenthalts ab. Auch wenn die Klägerin zu 1 im Oktober 2004 nicht zum Zweck der Arbeitsuche in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei, sondern ihre Eltern begleitet habe, so bestehe aber das damalige Aufenthaltsrecht gemäß § 3 Abs 1 FreizügG/EU im hier streitigen Zeitraum nicht mehr und wirke auch nicht fort. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II sei jedenfalls dann auch auf Unionsbürger anwendbar, wenn diese Leistungen begehrten, die nicht den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern, sondern den Lebensunterhalt sichern sollten.

9

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Mai 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

10

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

11

Sie halten die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

12

Die rechtzeitig eingelegte und auch ansonsten zulässige Revision des Beklagten (§§ 161, 164 Sozialgerichtsgesetz) ist unbegründet. Das SG hat den Beklagten im Ergebnis zu Recht verurteilt, den Klägern dem Grunde nach Leistungen nach dem SGB II als Zuschuss zu gewähren.

13

1. Das beklagte Jobcenter ist gemäß § 70 Nr 1 SGG beteiligtenfähig. Der Kläger zu 2 wird als nicht prozessfähiger Minderjähriger (§ 71 Abs 1 und 2 SGG) durch die Klägerin zu 1 vertreten, die die elterliche Sorge allein ausübt (§ 1629 Abs 1 Satz 3 Bürgerliches Gesetzbuch; vgl BSG Urteil vom 2.7.2009 - B 14 AS 54/08 R - BSGE 104, 48 = SozR 4-1500 § 71 Nr 2 RdNr 21).

14

2. Streitgegenstand des Verfahrens sind Ansprüche der Kläger auf Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende, die der Beklagte mit Bescheid vom 11.3.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.5.2009 abgelehnt hat. Die Kläger haben den streitigen Zeitraum ausdrücklich auf die Zeit ab Antragstellung am 19.1.2009 bis zum 30.9.2009 beschränkt. Das SG hat entsprechend dem Klägerantrag bezüglich dieses Zeitraums entschieden, insoweit ist der Beklagte beschwert. Im Revisionsverfahren haben die Kläger den Antrag bezüglich des Klägers zu 2 weiter dahin begrenzt, dass Leistungen für ihn erst ab dem Tag seiner Geburt geltend gemacht werden.

15

3. Die Kläger haben einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 7 Abs 1 und Abs 3 Nr 4 sowie § 9 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I 1706) und des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (RL-UmsetzungsG 2007) vom 19.8.2007 (BGBl I 1970). Die Klägerin zu 1 gehört zu dem grundsätzlich leistungsberechtigten Personenkreis (dazu unter a); der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II greift nicht durch(dazu unter b).

16

a) Die Klägerin zu 1 ist Leistungsberechtigte gemäß § 7 Abs 1 Nr 1 bis 4 SGB II. Da sie am 24.9.1990 geboren ist, hatte sie im Zeitpunkt der Antragstellung am 19.1.2009 das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht. Sie ist nach den Feststellungen des SG erwerbsfähig (§ 8 Abs 1 und 2 SGB II) und hilfebedürftig, denn sie bezieht zusammen mit dem Kläger zu 2 lediglich Elterngeld in Höhe von 300 Euro und Kindergeld in Höhe von monatlich 164 Euro sowie Unterhaltszahlungen des Kindsvaters in Höhe von 200 Euro monatlich, was ihren Bedarf nicht vollständig deckt.

17

Die Klägerin zu 1 verfügt gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB II iVm § 30 Abs 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) auch über einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Einen gewöhnlichen Aufenthalt hat danach jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Die Klägerin zu 1 erfüllt in tatsächlicher Hinsicht diese Voraussetzung des gewöhnlichen Aufenthalts, denn sie ist bereits im Oktober 2004 nach Deutschland eingereist und hielt sich somit im Zeitpunkt der Antragstellung ca 4 ¼ Jahre in Deutschland auf und lebt seit der Einreise ununterbrochen in Berlin. Es kann darüber hinaus weiter offenbleiben, ob der Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" bei Ausländern durch zusätzliche aufenthaltsrechtliche Voraussetzungen eingeschränkt wird. Für den Anwendungsbereich des SGB II besteht jedenfalls kein Anlass, an den Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts in rechtlicher Hinsicht weitere Anforderungen zu stellen, wenn - wie vorliegend - eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 FreizügG/EU erteilt wurde und deren Verlust nicht festgestellt worden ist(vgl näher BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21).

18

b) Die Klägerin zu 1 ist auch nicht nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift sind ausgenommen von Leistungen nach dem SGB II zunächst Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbstständige oder aufgrund des § 2 Abs 3 des FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, und des weiteren Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt und ihre Familienangehörigen sowie zuletzt Leistungsberechtigte nach § 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).

19

Die Klägerin zu 1 ist als polnische Staatsangehörige Ausländerin im Sinne der genannten Vorschrift. Sie ist nicht leistungsberechtigt nach § 1 AsylbLG und hält sich nach den Feststellungen des SG seit Oktober 2004, also länger als drei Monate in der Bundesrepublik Deutschland auf. Sie ist aber auch nicht nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen, denn ihr Aufenthaltsrecht ergibt sich nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche. Sie besitzt vielmehr ein anderes Aufenthaltsrecht, das den Leistungsausschluss von vornherein entfallen lässt (dazu unter aa). Dieses Aufenthaltsrecht ist nicht nachträglich durch Veränderung der persönlichen Lebensbedingungen verloren gegangen (dazu unter bb).

20

aa) Aus dem Wortlaut des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2("Aufenthaltsrecht <…> allein aus dem Zweck der Arbeitsuche"; vgl auch BT-Drucks 16/688, 13) ergibt sich, dass der Leistungsausschluss von vornherein nicht eingreift, wenn sich ein Ausländer auf ein anderes Aufenthaltsrecht als das zum Zweck der Arbeitsuche berufen kann. Aus dem Aufbau der Norm ist abzuleiten, dass positiv festgestellt werden muss, dass ein Ausländer sich allein zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, denn nur dann kann auch der Leistungsausschluss festgestellt werden.

21

Vorliegend hat die Klägerin zu 1 ein (abgeleitetes) Aufenthaltsrecht als Familienangehörige gemäß § 3 FreizügG/EU. Sie ist als 14-jährige Jugendliche und somit als noch nicht 21 Jahre alte Verwandte in absteigender Linie (§ 3 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU)mit ihren Eltern in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Ungeachtet der Frage, ob - wovon die Klägerin zu 1 und der Beklagte ausgehen - sie ihr Aufenthaltsrecht von ihrem Vater als selbstständigem Erwerbstätigen ableiten konnte (§ 2 Abs 2 Nr 2 FreizügG/EU), bestand jedenfalls für die Familie ein Recht auf Einreise und Aufenthalt nach § 2 Abs 1 und Abs 2 Nr 5 FreizügG/EU iVm § 4 FreizügG/EU. Während das SG es offengelassen hat, ob die Eltern der Klägerin zu 1 tatsächlich einer selbstständigen oder nichtselbstständigen Beschäftigung nachgegangen sind, hat es aber jedenfalls festgestellt, dass bis zum Jahr 2009 weder die Klägerin zu 1 noch ihre Eltern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts erhalten hatten. Damit konnten sie auch als nichterwerbstätige Unionsbürger ein Aufenthaltsrecht in Deutschland begründen. Als Familienangehörige hatte die Klägerin zu 1 das Recht, ihre Eltern bzw ihren Vater zu begleiten oder ihm nachzuziehen (§ 3 Abs 1 Satz 1 FreizügG/EU bzw § 4 FreizügG/EU; vgl HK-AuslR/Hoffmann, 1. Aufl 2008, § 3 FreizügG/EU RdNr5).

22

bb) Dieses vom Zweck der Arbeitsuche unabhängige Aufenthaltsrecht hat die Klägerin zu 1 nicht wieder verloren. Aus den Worten "begleiten" bzw "nachziehen" in § 3 Abs 1 bzw § 4 FreizügG/EU kann nicht der Schluss gezogen werden, dass - wie das SG meint - das Aufenthaltsrecht als Familienangehöriger nur besteht, wenn der freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger, hier die Eltern bzw der Vater, und der begleitende Familienangehörige auf Dauer in einer gemeinsamen Wohnung wohnen(so aber früher Hailbronner, Aufenthaltsbeschränkungen gegenüber EG-Angehörigen, ZAR 1985, 108, 114). Diese Interpretation beruhte auf dem ursprünglich in der Vorläuferregelung (Art 10, 11 VO Nr 1612/68) verwendeten Begriff "Wohnung nehmen". Die Interpretation dieses Begriffs "Wohnung nehmen" in dem Sinne, dass ein gemeinsamer Wohnsitz vorhanden sein musste, war aber bereits nach altem Recht zweifelhaft. Art 10 Abs 1 VO (EWG) Nr 1612/68 verlangte nämlich nicht, dass die Familie in einer Wohnung zusammenlebt. Er enthielt lediglich die Formulierung "dürfen … Wohnung nehmen", was der Übersetzung aus dem englischen bzw französischen Text entspricht ("have the right to install" bzw "ont le droit de s´ínstaller"; siehe dazu Epe in GK-AufenthG, Stand Oktober 2010, § 3 FreizügG/EU RdNr 34). Die Formulierung einer Möglichkeit durch das Verb "dürfen", die eine Wahlfreiheit belässt, legt nahe, dass es sich hier nicht um eine tatbestandlich normierte Voraussetzung handelt. Damit wurde die Begründung einer häuslichen Gemeinschaft wenigstens zum Zeitpunkt des Nachzugs bereits unter Geltung der VO (EWG) Nr 1612/68) als nicht zwingend erforderlich angesehen (so Epe, aaO, RdNr 34; einschränkend Dienelt in Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl 2011, § 3 FreizügG/EU RdNr 12, der die Ansicht vertritt, dass grundsätzlich zunächst eine gemeinsame Wohnung vorhanden sein muss, diese Anforderung aber nur vorübergehend gilt).

23

Dass ein ständiger gemeinsamer Wohnsitz nicht als Tatbestandsmerkmal für das abgeleitete Aufenthaltsrecht als Familienangehöriger zugrunde gelegt werden kann, ergab sich im Übrigen auch bereits nach altem Recht aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), insbesondere in dem Urteil des EuGH vom 17.9.2002 (C-413/99 - Baumbast und R - EuGHE I 2002, 7091). Der EuGH hat dort entschieden, dass aus Art 10 und Art 12 der VO Nr 1612/68 folgt, dass bei einer Scheidung der Eltern die Kinder des ersten Ehemannes weiterhin dazu berechtigt sind, im Aufnahmemitgliedstaat zu wohnen und dort unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaates ihren Schulbesuch fortzusetzen. Es wurde dabei ausdrücklich festgestellt, dass die Tatsache, dass die Kinder des ersten Ehemannes nicht ständig bei diesem wohnen, ihre Rechte nicht berühren.

24

Mit der Neufassung des § 3 Abs 1 FreizügG/EU durch das RL-UmsetzungsG 2007 war diesbezüglich eine Rechtsänderung nicht verbunden. Dementsprechend ist aus den Worten "begleiten" bzw "nachziehen" in § 3 Abs 1 FreizügG/EU weiterhin nicht der Schluss zu ziehen, dass stets eine gemeinsamen Wohnung vorhanden sein muss. Vielmehr ist ein Familienangehöriger nicht verpflichtet, bei dem Freizügigkeitsberechtigten zu wohnen (so HK-AuslR/Hoffmann, aaO, § 3 FreizügG/EU RdNr 4 f mwN; Epe in GK-AufenthG, aaO, § 3 FreizügG/EU RdNr 34 ff mwN; Harich, jurisPR-SozR 24/2011, Anm 1: Arbeitslosengeld II auch im Ausland?).

25

Allein der Umstand, dass die Klägerin zu 1 vor Geburt des Klägers zu 2 aus ihrem Elternhaus ausgezogen ist und eine eigene Wohnung angemietet hat, lässt das abgeleitete Aufenthaltsrecht als Familienangehörige somit nicht entfallen.

26

c) Damit ist auch der Kläger zu 2 leistungsberechtigt, weil er mit der Klägerin zu 1 in Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs 3 Nr 4 SGB II) lebt und aus den genannten Gründen keiner der Ausschlussgründe des § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II eingreift.

27

d) Auf die vom SG vorgenommene europarechtskonforme Auslegung von § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II dahingehend, dass der Leistungsausschluss nur eingreifen soll, wenn bei der Einreise die Arbeitsuche der alleinige Zweck gewesen ist, er dagegen keine Anwendung finden soll, wenn ein Unionsbürger später arbeitsuchend wird, kommt es hier nicht mehr an. Die Verurteilung des Beklagten zur Leistungsgewährung ergibt sich direkt aus § 7 Abs 1 Satz 1 iVm § 9 SGB II und für den Kläger zu 2 aus § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II. Da der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II vorliegend überhaupt nicht durchgreift, kann auch die weitergehende Frage offenbleiben, ob im Rahmen des Leistungsausschlusses zwischen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und Leistungen zur Eingliederung in Arbeit zu unterscheiden ist, wie dies etwa auch der nunmehr durch die VO (EG) Nr 988/2009 festgelegte Anhang X zur VO (EG) Nr 883/2004 nahelegt(vgl dazu Harich, aaO, Abschnitt D).

28

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Dezember 2012 aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Aufhebung einer laufenden Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für Mai 2012.

2

Die Kläger sind schwedische Staatsangehörige. Die 1966 in Bosnien geborene Klägerin zu 1 reiste im Juni 2010 mit ihren Kindern, der im Mai 1994 geborenen Klägerin zu 2 sowie den in den Jahren 1998 und 1999 geborenen Klägern zu 3 und 4, erneut in die Bundesrepublik ein. Die Klägerin zu 1, die im streitigen Zeitraum Kindergeld für die Kläger zu 2 bis 4 bezog, erhielt am 1.7.2010 eine Bescheinigung nach § 5 FreizügG/EU, diejenigen für die weiteren Kläger datieren vom 11.7.2011. Mit Ausnahme eines weiteren im Jahre 2005 in Schweden geborenen Kindes, für das wegen des Bezugs von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz SGB II-Leistungen nicht streitig sind, sind die Kinder (Kläger zu 2 bis 4) während eines vorangegangenen langjährigen Aufenthalts in Deutschland (B.) geboren.

3

Die erwerbsfähigen Klägerinnen zu 1 und 2 waren seit erneuter Einreise im Juni 2010 in kürzeren Beschäftigungen bzw Arbeitsgelegenheiten von weniger als einem Jahr tätig, jedoch nicht mehr in der Zeit ab Mai 2011. Im Übrigen bezogen die Kläger SGB II-Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, die der Beklagte zuletzt für die Zeit vom 1.12.2011 bis 31.5.2012 unter Beachtung des Gleichbehandlungsgebots des Art 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) bewilligte (Bescheid vom 7.9.2011 idF der Änderungsbescheide vom 26.11.2011 und 9.12.2011).

4

Unter Hinweis auf den von der Bundesrepublik Deutschland im November 2011 erklärten Vorbehalt zum EFA hob der Beklagte die SGB II-Bewilligungen für den Monat Mai 2012 in vollem Umfang auf (Bescheid vom 2.4.2012; Widerspruchsbescheid vom 29.6.2012). Das SG hat diese Bescheide aufgehoben (Urteil vom 19.12.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ua ausgeführt, die Kläger könnten auch im Mai 2012 SGB II-Leistungen beanspruchen, weil eine wesentliche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen nicht eingetreten sei. Zwar begründeten - bezogen auf die Klägerinnen zu 1 und 2 - "die Arbeitszeiten - für beide jeweils nicht mindestens sechs Monate seit Juni 2010 - kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht" und vermittele für beide "jeweils nach Beendigung der Beschäftigungen wieder ausschließlich die Arbeitsuche das Aufenthaltsrecht, so auch im Mai 2012". Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II greife jedoch nicht, weil Art 4 VO (EG) Nr 883/2004 jede Ungleichbehandlung von Unionsbürgern gegenüber den eigenen Staatsangehörigen bei den besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen untersage. Unabhängig hiervon werde die Ausschlussregelung weiterhin durch das speziellere Gleichbehandlungsgebot des Art 1 des EFA verdrängt.

5

Mit seiner Sprungrevision macht der Beklagte geltend, der Ausschluss von SGB II-Leistungen verstoße nicht gegen EU-Recht. Bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II handele es sich um "Sozialhilfeleistungen" iS des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG, weshalb ein Leistungsausschluss für Arbeitsuchende möglich sei. § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II verstoße nicht gegen die VO (EG) Nr 883/2004. Auch das EFA stehe dem Leistungsausschluss nicht entgegen, weil der von der Bundesregierung erklärte Vorbehalt wirksam sei.

6

Mit Beschluss vom 12.12.2013 (B 4 AS 9/13 R) hat der Senat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH ua die Frage vorgelegt, ob - ggf in welchem Umfang - Einschränkungen des Gleichbehandlungsgebots des Art 4 der VO (EG) Nr 883/2004 durch Bestimmungen in nationalen Rechtsvorschriften in Umsetzung des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG möglich seien, nach denen der Zugang zu besonderen beitragsunabhängigen Leistungen ausnahmslos nicht bestehe, wenn sich ein Aufenthaltsrecht des Unionsbürgers in dem anderen Mitgliedstaat allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergebe. Hierzu hat der EuGH mit Urteil vom 15.9.2015 (Rs C-67/14 - SGb 2015, 638 ff) entschieden, dass Art 24 RL 2004/38/EG und Art 4 VO (EG) Nr 883/2004 dahin auszulegen seien, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstünden, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die sich in der von Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG erfassten Situation befänden, vom Bezug bestimmter "besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen" iS von Art 70 Abs 2 VO (EG) Nr 883/2004 ausgeschlossen würden, während Staatsangehörige des betreffenden Mitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befänden, diese Leistungen erhielten.

7

Der Beklagte beantragt weiterhin,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Dezember 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

9

Sie beziehen sich ua auf die Ausführungen des Generalanwalts beim EuGH Wathelet (Schlussanträge vom 26.3.2015 in der Rs C-67/14) zu möglichen anderen Aufenthaltsrechten der Kläger.

Entscheidungsgründe

10

Die Sprungrevision ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung an das LSG (vgl § 170 Abs 4 SGG) begründet, weil die bisher getroffenen Feststellungen (§ 163 SGG) keine abschließende Entscheidung darüber zulassen, ob die Aufhebung der SGB II-Leistungsbewilligungen für den Monat Mai 2012 rechtmäßig war.

11

1. Die Revision des Beklagten ist zulässig. Gemäß § 161 Abs 1 S 1 SGG steht den Beteiligten die Sprungrevision zu, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und sie vom SG zugelassen worden ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Das SG hat die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz im Tenor des angefochtenen Urteils ausdrücklich zugelassen. Der Beklagte hat auch das Schriftformerfordernis des § 161 Abs 1 S 2 SGG erfüllt, weil er seiner Revisionsschrift die Zustimmung der Kläger zur Einlegung der Sprungrevision im Original beigefügt hat.

12

2. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid vom 2.4.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.6.2012, soweit der Beklagte mit diesem die Bewilligung von SGB II-Leistungen für die Kläger zu 1 bis 4 für den Monat Mai 2012 aufgehoben hat. Hiergegen wenden sich diese zu Recht mit der isolierten Anfechtungsklage (§ 54 SGG).

13

3. a) Der Bescheid vom 2.4.2012 idF des Widerspruchsbescheids vom 29.6.2012 ist formell rechtmäßig. Vor Erlass des Aufhebungsbescheids sind die Kläger ordnungsgemäß angehört worden. Nach § 24 SGB X ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Dies sind alle Tatsachen, die zum Ergebnis der Verwaltungsentscheidung beigetragen haben, dh auf die sich die Verwaltung auch gestützt hat (vgl nur Urteil des Senats vom 28.3.2013 - B 4 AS 59/12 R - BSGE 113, 184 ff = SozR 4-1300 § 45 Nr 13, RdNr 15). Die Kläger haben sich jedenfalls in ihrer Widerspruchsbegründung konkret zu den Gründen für die beabsichtigte Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Zukunft äußern können.

14

b) Der angefochtene Bescheid genügt auch den Anforderungen an die Bestimmtheit von Verwaltungsakten. Als materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung verlangt das Bestimmtheitserfordernis nach § 33 Abs 1 SGB X, dass der Verfügungssatz nach seinem Regelungsgehalt vollständig, klar und in sich widerspruchsfrei ist. Dieses Erfordernis bezieht sich sowohl auf den Verfügungssatz der Entscheidung als auch auf den Adressaten des Verwaltungsaktes (vgl BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 20/09 R - BSGE 105, 194 = SozR 4-4200 § 31 Nr 2, RdNr 13 mwN; BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 30/09 R - SozR 4-4200 § 31 Nr 3 RdNr 16 mwN; BSG Urteil vom 7.7.2011 - B 14 AS 153/10 R - BSGE 108, 289 ff = SozR 4-4200 § 38 Nr 2, RdNr 31). Zwar ist der Bescheid vom 2.4.2012 ausdrücklich nur an die Klägerin zu 1 gerichtet. Bereits der erste Satz der Begründung regelt jedoch erkennbar, dass auch die Bewilligungen für die Kinder der Klägerin, also die Kläger zu 2 bis 4, aufgehoben werden sollten. Dies ergibt sich auch aus dem Umstand, dass der Beklagte die von ihm aufgehobenen Bescheide ausdrücklich bezeichnet hat und diese auch SGB II-Leistungen an die weiteren Kläger beinhalteten (zum Rückgriff auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte vgl nur Urteil des Senats vom 28.3.2013 - B 4 AS 59/12 R - BSGE 113, 184 = SozR 4-1300 § 45 Nr 13, RdNr 16 mwN).

15

4. a) Der Senat kann nicht abschließend beurteilen, ob der angefochtene Bescheid materiell rechtmäßig ist. Rechtsgrundlage für die Aufhebung der mit den Bescheiden vom 7.9.2011, 26.11.2011 und 9.12.2011 bewilligten SGB II-Leistungen für den Monat Mai 2012 ist hier allein § 40 SGB II iVm § 48 Abs 1 S 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Zwar war die Bewilligung anfänglich rechtmäßig, sodass eine Rücknahme nach § 45 SGB X nicht in Betracht kam; eine wesentliche Änderung ist jedoch durch den von der Bundesregierung erklärten Vorbehalt zum EFA eingetreten.

16

b) Bei Erlass der Bewilligungsbescheide bestand ein Anspruch der Kläger auf SGB II-Leistungen. Das SG hat - für den Senat bindend - festgestellt, dass sämtliche Kläger die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 S 1 SGB II erfüllten. Soweit das SG weiter angenommen hat, dass die Klägerinnen zu 1 und 2 im streitigen Monat Mai 2012 weiterhin als Arbeitsuchende iS von § 2 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU anzusehen waren(vgl zu den Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts zur Arbeitsuche: BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 31 ff mwN; BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 17 ff; BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 26 mwN), stand der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II ihren Ansprüchen anfänglich schon deshalb nicht entgegen, weil er durch Art 1 EFA vom 11.12.1953 (BGBl II 1956, 564) verdrängt wurde.

17

c) Nach Art 1 des Abkommens, das ua die Bundesrepublik Deutschland und Schweden unterzeichnet haben, ist jeder der Vertragschließenden verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge (im Folgenden als "Fürsorge" bezeichnet) zu erbringen, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind. Das EFA ist durch das Zustimmungsgesetz vom 15.5.1956 (BGBl II 563) in innerstaatlich anwendbares, Rechte und Pflichten begründendes Recht transformiert worden (BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 24; BVerwG Urteil vom 18.5.2000 - 5 C 29/98 - BVerwGE 111, 200, 201). Als unmittelbar geltendes und spezielleres Bundesrecht schließt Art 1 EFA einen Leistungsausschluss für Staatsangehörige der Vertragsstaaten bei den von dem Abkommen erfassten Fürsorgeleistungen aus. Zu diesen Fürsorgeleistungen (vgl Begriffsbestimmung in Art 2 Abs a Nr i EFA) gehörte historisch die Sozialhilfe nach dem BSHG als "klassische" Fürsorgeleistung im Sozialleistungssystem der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einschränkung hinsichtlich der Gleichstellung ist nach Einführung des BSHG nur bezüglich der Leistungen nach § 30 BSHG (Hilfe zum Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlage) und nach § 72 BSHG (Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten) erfolgt(vgl Anhänge I und II zum EFA, Fassung ab 1.2.1991, BGBl II 686). Trotz der Neuordnungen im Recht der Existenzsicherung zum 1.1.2005 durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I 2954 ff) und das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 (BGBl I 3022), die auch das Außerkrafttreten des BSHG beinhalteten (vgl dessen Art 68), ist die Bundesrepublik ihrer Verpflichtung zur Mitteilung geänderter bzw neuer Rechtsvorschriften im Bereich der Fürsorge nach Art 16 EFA nicht nachgekommen. Dies berücksichtigend hat der 14. Senats des BSG das Gleichbehandlungsgebot auch auf die zum 1.1.2005 neu geschaffenen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende erstreckt (BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 32, 35).

18

5. a) Aufgrund des von der Bundesregierung zum EFA erklärten Vorbehalts ist jedoch eine wesentliche Änderung iS des § 48 Abs 1 S 1 SGB X eingetreten. Zwar hielten sich die Klägerinnen zu 1 und 2 weiterhin "erlaubt" iS des Gleichbehandlungsgebots des Art 1 EFA im Bundesgebiet auf, weil sie weiterhin über eine Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitsuchende verfügten (vgl zum "erlaubten Aufenthalt" iS des EFA Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 59/13 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Einer weiteren Inländergleichbehandlung bezogen auf die hier allein streitigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II stand jedoch der von der Bundesregierung am 19.12.2011 erklärte Vorbehalt entgegen. Eine Verletzung von Vorschriften des EFA, die aufgrund seiner Umsetzung als Bundesrecht als revisibles Recht (§ 162 SGG) unmittelbar für die gesamte Bundesrepublik Deutschland gelten (vgl BSG Urteil vom 23.9.2004 - B 10 EG 3/04 R - BSGE 93, 194 = SozR 4-7833 § 1 Nr 6, RdNr 3 mwN), ist mit dem Vorbehalt nicht verbunden.

19

b) Der Vorbehalt ist formell wirksam erklärt worden. Nach Art 16 Abs b EFA hat jeder Vertragschließende dem Generalsekretär des Europarats alle neuen Rechtsvorschriften mitzuteilen, die in Anhang I noch nicht aufgeführt sind (Satz 1). Gleichzeitig mit dieser Mitteilung kann der Vertragschließende Vorbehalte hinsichtlich der Anwendung dieser Rechtsvorschriften auf die Staatsangehörigen der anderen Vertragschließenden machen (Satz 2). Nach Art 16 Abs c EFA hat der Generalsekretär des Europarats den übrigen Vertragschließenden alle Mitteilungen, die ihm nach den Bestimmungen der Absätze a und b zugehen, zur Kenntnis zu bringen. Auf der Grundlage dieser Regelung hat die Bundesregierung am 19.12.2011 gegen die Anwendung des SGB II im Rahmen des EFA gegenüber dem Europarat folgenden Vorbehalt angebracht: "Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland übernimmt keine Verpflichtung, die im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - in der jeweils geltenden Fassung vorgesehenen Leistungen an Staatsangehörige der übrigen Vertragsstaaten in gleicher Weise und unter den gleichen Bedingungen wie den eigenen Staatsangehörigen zuzuwenden" (idF der Bekanntmachung vom 31.1.2012, BGBl II 144, berichtigt durch die Bekanntmachung zum Europäischen Fürsorgeabkommen vom 3.4.2012, BGBl II 470). Gleichzeitig hat sie erstmals die Regelungen des SGB II als neue Fürsorgevorschriften notifiziert. Der Vorbehalt wurde den übrigen vertragschließenden Parteien des Fürsorgeabkommens nach Art 16 Buchst c EFA zur Kenntnis gebracht (s zur Veröffentlichung auf den Seiten des Europarats http://conventions.coe.int SEV Nr 014).

20

c) Entgegen der Ansicht des SG musste der notifizierte Vorbehalt nicht durch ein entsprechendes Gesetz nach Art 59 Abs 2 S 1 GG im innerstaatlichen Recht umgesetzt werden. Nach Art 59 Abs 2 S 1 GG bedürfen Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf die Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in Form eines Bundesgesetzes. Dies gilt nicht nur für Gesetze, sondern auch für Handlungen, die konkludent eine Änderung des Vertragsinhalts bewirken und soweit ein "Vertragsänderungswille" feststellbar ist (Pernice in Dreier, GG, 3. Aufl 2015, Art 59 RdNr 36). Eine solche Änderung bereits in Bundesrecht umgesetzter völkervertraglicher Verpflichtungen liegt hier jedoch nicht vor. Die Ermächtigung zur Erklärung von nachträglichen Vorbehalten bei Gesetzesänderungen der Vertragsstaaten im Bereich der Fürsorge nach Inkrafttreten des Abkommens ist den Vertragsstaaten vielmehr von vornherein und ausdrücklich eingeräumt worden (vgl Art 16 Abs b S 2 EFA, Denkschrift zum Europäischen Fürsorgeabkommen und dem Zusatzprotokoll, BT-Drucks II/1882, S 23; Ausschussdrucksache 17<11>881, S 1).

21

Art 16 EFA bringt zum Ausdruck, dass die Vertragsstaaten des EFA die Entscheidung darüber, welche nationalen Fürsorgeleistungen bei einer Änderung der nationalen Gesetzgebung in welchem Umfang in die Inländergleichbehandlung einbezogen werden (sollen), dem jeweils vertragschließenden Staat übertragen wollten. Auch wenn der 14. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 19.10.2010 davon ausgegangen ist, dass es sich sowohl bei den Regelleistungen nach dem SGB II als auch bei der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII um "Fürsorge" im Sinne des EFA handelt (B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 32), hinderte dies die Bundesregierung nicht an der Anbringung eines Vorbehalts unter Berücksichtigung der erst durch die Rechtsprechung des 14. Senats höchstrichterlich geklärten Zuordnung der SGB II-Leistungen. Es war ihr unbenommen, für die Hilfebedürftigen aus den EFA-Staaten die Anwendbarkeit des SGB II als eines von mehreren Existenzsicherungssystemen auszuschließen. Insbesondere waren mit der Einführung des SGB II materielle und über redaktionelle hinausgehende Änderungen insofern verbunden, als die Grundsicherung für Arbeitsuchende mit einer stärkeren Erwerbszentrierung, begleitenden Vermittlungstätigkeiten (s Eingliederungsvereinbarung) und einem - durch die Zusammenführung mit der ehemaligen Arbeitslosenhilfe bedingt - deutlich günstigeren Einsatz von Einkommen und Vermögen verbunden ist.

22

d) Der im Vorbehalt erklärte Ausschluss bei SGB II-Leistungen ist auch nicht als Einschränkung der durch das innerstaatlich umgesetzte EFA materiell gewährleisteten Inländergleichbehandlung (BVerwG Urteil vom 18.5.2000 - 5 C 29/98 - BVerwGE 111, 200 ff, 206) unwirksam und daher weiterhin für den Leistungsanspruch der Kläger unbeachtlich. Es handelt sich bei den SGB II-Vorschriften um "neue Rechtsvorschriften" iS der Vorbehaltsregelung des Art 16 Buchst b S 2 EFA.

23

Zwar war das SGB II - in seinen hier maßgeblichen leistungsrechtlichen Bestimmungen - im Dezember 2011 bereits seit einigen Jahren in Kraft. Der Begriff der "neuen Rechtsvorschriften" begründet aber keine "(Ausschluss-)Frist" zur Anbringung des Vorbehalts nach nationalem Inkrafttreten eines neuen Gesetzes. Vielmehr steht der Begriff der "neuen Rechtsvorschriften" in einem Zusammenhang damit, ob das Gesetz bzw die konkrete Fürsorgeleistung bereits im Anhang I zum EFA erfasst worden ist. Unter Berücksichtigung dessen muss die Mitteilung "neuer Rechtsvorschriften" nach Art 16 Buchst b S 1 EFA nicht unverzüglich nach dem innerstaatlichen Inkrafttreten dieser Normen, sondern kann - wie hier zeitgleich mit der Erklärung eines Vorbehalts - auch zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen.

24

e) In der Erklärung kann auch keine eine Unwirksamkeit des Vorbehalts herbeiführende "faktische Kündigung" iS des Art 24 EFA, also eine den Vertragsstaaten nicht über eine bloße Vorbehaltserklärung erlaubte einseitige Lösung bereits vorbestehender völkerrechtlicher Verpflichtungen - in der Auslegung durch die Rechtsprechung des 14. Senats des BSG - gesehen werden. Die Staatsangehörigen der EFA-Mitgliedstaaten haben weiterhin einen Anspruch auf SGB XII-Leistungen unter Außerachtlassung der nur für Ausländer geltenden Ausschlussregelung des § 23 Abs 3 SGB XII, weil ein Vorbehalt für die Hilfe zum Lebensunterhalt nicht erklärt worden ist. Leistungen nach dem SGB XII sind für den Personenkreis der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, für welche die Ausschlussregelungen des SGB II eingreifen, auch nicht aus Gründen des nationalen Rechts ausgeschlossen (vgl hierzu ausführlich Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 36 ff; vgl auch Ausschussdrucksache 17<11>881 vom 25.4.2012 - Schriftlicher Bericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Erklärung eines Vorbehalts gegen die Anwendung des Europäischen Fürsorgeabkommens , S 2 zu möglichen SGB XII-Ansprüchen für EFA-Staatsangehörige; aA Steffen/Keßler, ZAR 2012, 245, 246) (vgl hierzu ausführlich Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, RdNr 36 ff; vgl auch Ausschussdrucksache 17<11>881 vom 25.4.2012 - Schriftlicher Bericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Erklärung eines Vorbehalts gegen die Anwendung des Europäischen Fürsorgeabkommens , S 2 zu möglichen SGB XII-Ansprüchen für EFA-Staatsangehörige; aA Steffen/Keßler, ZAR 2012, 245, 246).

25

f) Liegt demnach eine wesentliche Änderung durch den von der Bundesregierung erklärten Vorbehalt vor, können sich die Kläger - für einen weiter bestehenden Anspruch auf SGB II-Leistungen - auch nicht darauf beziehen, dass der Ausschluss von arbeitsuchenden Unionsbürgern in ihrem Fall gegen europäisches Recht (Art 24 RL 2004/38/EG und Art 4 der VO Nr 883/2004) verstößt. Nach der Entscheidung des EuGH in dieser Sache (Urteil vom 15.9.2015 - Rs C-67/14 - SGb 2015, 638 ff) ist als geklärt anzusehen, dass der in § 7 Abs 1 S 2 SGB II normierte, ausnahmslose Ausschluss von SGB II-Leistungen auch bereits im Bundesgebiet beschäftigt gewesene Unionsbürgerinnen und Unionsbürger erfasst, die weniger als ein Jahr gearbeitet haben. Haben diese - wie hier die Klägerinnen zu 1 und 2 - nach Ablauf der Aufrechterhaltung ihrer Erwerbstätigeneigenschaft für den Zeitraum von sechs Monaten erneut ein Aufenthaltsrecht nur (noch) zur Arbeitsuche, steht der nachfolgende ausnahmslose Ausschluss von SGB II-Leistungen (vgl Frage 2 des Vorlagebeschlusses des Senats vom 12.12.2013 - B 4 AS 9/13 R) unabhängig von der Dauer des rein tatsächlichen gewöhnlichen Aufenthalts der (wieder) Arbeitsuchenden im Bundesgebiet sowie deren familiärer Umstände nach dieser Entscheidung des EuGH im Einklang mit Art 4 der VO (EG) Nr 883/2004 und Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG.

26

6. Der Senat konnte dennoch nicht abschließend beurteilen, ob die durch den Vorbehalt zum EFA bewirkte Änderung in den rechtlichen Verhältnissen iS von § 48 Abs 1 S 1 SGB X wesentlich war, der Verwaltungsakt also dem Grunde oder der Höhe nach so nicht mehr ergehen dürfte(vgl Brandenburg in jurisPK-SGB X, 2013, § 48 RdNr 60; BSG Urteil vom 3.10.1989 - 10 RKg 7/89 - BSGE 65, 301, 302 = SozR 1300 § 48 Nr 60 "wahre Rechtslage"). Es sind bisher nicht getroffene Feststellungen zu möglichen anderen Aufenthaltsrechten der Klägerinnen zu 1 und 2 im Monat Mai 2012 erforderlich.

27

a) Nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG erfordert die Anwendbarkeit der Ausschlussregelung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II eine Prüfung des Grundes bzw der Gründe für eine im streitigen Leistungszeitraum (weiterhin) bestehende Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU bzw eines Aufenthaltsrechts nach den - im Wege eines Günstigkeitsvergleichs - anwendbaren Regelungen des Aufenthaltsgesetzes(§ 11 Abs 1 S 11 FreizügG/EU; vgl hierzu BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 31 ff). Bereits das Vorliegen der Voraussetzungen für ein anderes materiell bestehendes Aufenthaltsrecht als ein solches aus dem Zweck der Arbeitsuche hindert sozialrechtlich die positive Feststellung eines Aufenthaltsrechts "allein aus dem Zweck der Arbeitsuche" iS von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II(BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 31 f; BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 ff = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 17 ff)bzw lässt den Leistungsausschluss "von vornherein" entfallen (BSG Urteil vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28 RdNr 20 f). Ein anderes Aufenthaltsrecht iS des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II kann sich auch aus einem - bei der Klägerin zu 2 - eigenständigen oder - im Falle der Klägerin zu 1 - abgeleiteten Aufenthaltsrecht nach der unionsrechtlichen Regelung des Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 ergeben(vgl BVerwG EuGH-Vorlage vom 13.7.2010 - 1 C 15/09 - juris RdNr 29; ein Verbleiberecht bereits unmittelbar aus Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 bejahend auch Epe in GK-AufenthG, § 3 FreizügG/EU RdNr 63 ff, Stand 7/2013; ebenso zu einem eigenständigen Aufenthaltsrecht des Kindes eines Wanderarbeitnehmers zusammen mit dem Recht auf Zugang zur Ausbildung bejahend auch Brechmann in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl 2011, Art 45 AEUV RdNr 91 f).

28

b) Zwar hat das SG ausgeführt, dass bei den Klägerinnen zu 1 und 2 auch im streitigen Monat Mai 2012 wieder ausschließlich "die Arbeitsuche das Aufenthaltsrecht" vermittelte. Hierin liegt jedoch keine Tatsachenfeststellung entsprechend den og Anforderungen, wie sie von der zeitlich überwiegend erst nach dem angegriffenen Urteil ergangenen Rechtsprechung des BSG zur Auslegung der Ausschlussregelung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II formuliert worden sind. Zudem sind Aufenthaltsrechte nach Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 bisher nicht Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung des BSG gewesen.

29

7. Bei seiner Entscheidung wird das LSG demnach bei möglichen Aufenthaltsrechten der Klägerinnen Folgendes zugrunde zu legen haben (§ 170 Abs 5 SGG):

Nach Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 können Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen. Nach Aufhebung der VO (EWG) Nr 1612/68 durch Art 41 VO (EU) Nr 492/2011 des EU-Parlaments und dessen Rates vom 5.4.2011 (ABl EU Nr L 141/1 vom 27.5.2011) übernimmt Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 insofern inhaltsgleich die bisherige Regelung des Art 12 Abs 1 VO (EWG) Nr 1612/68 (EuGH Urteil vom 6.9.2012 - Rs - C-147/11 und 148/11 - EAS Teil C VO Nr 1612/68 Art 12 Nr 13, RdNr 4).

30

Dieses - historisch an die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Schaffung bestmöglicher Bedingungen für die Integration der Familie des Wanderarbeitnehmers im Aufnahmemitgliedstaat anknüpfende - Ausbildungsrecht des Kindes (vgl EuGH Urteil vom 17.9.2002 - Rs C-413/99 - Slg 2002, I-7091 ff, juris RdNr 51 ff) setzt voraus, dass dieses Kind "in Ausbildung" mit seinen Eltern oder einem Elternteil in einem Mitgliedstaat in der Zeit lebte, in der dort zumindest ein Elternteil als Arbeitnehmer wohnte. Der Erwerb des Ausbildungsrechts ist an den Status als Kind eines Arbeitnehmers gebunden (EuGH Urteil vom 21.6.1988 - Rs C-197/86 - Slg 1988, 3105 ff, juris RdNr 30; EuGH Urteil vom 4.5.1995 - Rs C-7/94 - Slg 1995, I-1031 ff, juris RdNr 27; EuGH Urteil vom 14.6.2012 - Rs C-542/09 - EAS Teil C AEUV Art 45 Nr 3, RdNr 50 f; vgl auch EuGH Urteil vom 6.9.2012 - Rs C-147/11 und C-148/11 - EAS Teil C VO Nr 1612/68 Art 12 Nr 13, RdNr 30 zur ausschließlichen Anwendbarkeit des Art 12 VO Nr 1612/68 auf Kinder von Arbeitnehmern). Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH impliziert das Ausbildungsrecht aus Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 gleichzeitig ein eigenständiges Aufenthaltsrecht der sich weiterhin in Ausbildung befindlichen Kinder, das grundsätzlich bis zum Abschluss der Ausbildung und insbesondere besteht, solange sie tatsächlich im Aufnahmemitgliedstaat in das Schulsystem eingegliedert sind (EuGH Urteil vom 17.9.2002 - Rs C-413/99 - Slg 2002, I-7091 ff, juris RdNr 53 f; EuGH Urteil vom 13.6.2013 - Rs C-45/12 - EAS Teil C VO Nr 1408/71 Art 1 Nr 16, juris RdNr 46 und 52; EuGH Urteil vom 23.2.2010 - Rs C-480/08 - Slg 2010, I-1107, juris RdNr 36 und 53).

31

Soweit und solange die regelmäßig minderjährigen Kinder eines Arbeitnehmers oder ehemaligen Arbeitnehmers für die Wahrnehmung ihrer Ausbildungsrechte aus Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 weiterhin der Anwesenheit und der Fürsorge des Elternteils bedürfen, um ihre Ausbildung fortsetzen und abschließen zu können, besteht darüber hinaus in gleicher Weise für den Elternteil, der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich wahrnimmt, ein abgeleitetes Recht auf Aufenthalt aus Art 10 VO (EG) Nr 492/2011. Dies hat der EuGH damit begründet, dass die Versagung der Möglichkeit für die Eltern, während der Ausbildung ihrer Kinder im Aufnahmemitgliedstaat zu bleiben, geeignet sein könnte, den Kindern ein - ihnen vom Unionsgesetzgeber zuerkanntes - Recht zu nehmen (EuGH Urteil vom 13.6.2013 - Rs C-45/12 - EAS Teil C VO Nr 1408/71 Art 1 Nr 16, juris RdNr 46; EuGH Urteil vom 23.2.2010 - Rs C-480/08 - Slg 2010, I-1107, juris RdNr 36, 53, 86). Ohne Belang ist, ob die Eltern der betreffenden Kinder inzwischen geschieden sind oder der die elterliche Sorge tatsächlich wahrnehmende Elternteil nicht mehr Wanderarbeitnehmer im Aufnahmemitgliedstaat ist (vgl EuGH Urteil vom 8.5.2013 - Rs C-529/11 - EAS Teil C VO Nr 1612/68 Art 12 Nr 14, RdNr 27 mwN; Brinkmann in Huber, AufenthG, 2010, § 3 FreizügG/EU RdNr 19; Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 3 FreizügG/EU RdNr 60 ff).

32

Die einmal erworbenen Ausbildungs- und Aufenthaltsrechte der Kinder bzw der (sorgeberechtigten bzw die tatsächliche Sorge ausübenden) Elternteile bestehen nach der Rechtsprechung des EuGH unabhängig von den in der RL 2004/38/EG festgelegten Voraussetzungen ausreichender Existenzmittel sowie eines umfassenden Krankenversicherungsschutzes (§ 4 FreizügG/EU) fort und sind autonom gegenüber den unionsrechtlichen Bestimmungen anzuwenden, die die Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat regeln (EuGH Urteil vom 23.2.2010 - Rs C-310/08 - Slg 2010, I-1065, juris RdNr 42 ff, 50; EuGH Urteil vom 23.2.2010 - Rs C-480/08 - Slg 2010, I-1107, juris RdNr 53 ff; Brinkmann in Huber, AufenthG, 2010, § 3 FreizügG/EU RdNr 20 mwN; Kloesel/Christ/Häußer, Aufenthalts- und Ausländerrecht, § 3 FreizügG/EU RdNr 104, Stand Juli 2011; Epe in GK-AufenthG, § 3 RdNr 67, Stand Juli 2013; Brechmann in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl 2011, Art 45 AEUV RdNr 91 f). Insofern hat der EuGH der Entstehungsgeschichte (vgl KOM <2003> 199 endg S 7) und den Inhalten der RL 2004/38/EG entnommen, dass der Anwendungsbereich des Art 12 VO (EWG) Nr 1612/68 in seiner Auslegung durch den EuGH gerade nicht eingeschränkt werden sollte (vgl EuGH Urteil vom 23.2.2010 - Rs C-310/08 - Slg 2010, I-1065, juris RdNr 46 mwN). Art 12 Abs 3 RL 2004/38/EG in seiner Anknüpfung an die EuGH-Rechtsprechung (vgl EuGH Urteil vom 17.9.2002 - Rs C-413/99 - Slg 2002, I-7091, juris RdNr 63) - im deutschen Recht umgesetzt durch § 3 Abs 4 FreizügG(vgl BT-Drucks 16/5065 S 210) - bestätigt dies. Hiernach führt der Wegzug des Unionsbürgers aus dem Aufnahmemitgliedstaat oder sein Tod weder für seine Kinder noch für den Elternteil, der die elterliche Sorge für die Kinder tatsächlich wahrnimmt, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, bis zum Abschluss der Ausbildung zum Verlust des Aufenthaltsrechts, wenn sich die Kinder im Aufnahmemitgliedstaat aufhalten und in einer Bildungseinrichtung zu Ausbildungszwecken eingeschrieben sind (vgl hierzu auch Kloesel/Christ/Häußer, Aufenthalts- und Ausländerrecht, § 3 FreizügG/EU RdNr 101, Stand Juli 2011; Epe in GK-AufenthG, § 3 FreizügG/EU RdNr 60, Stand 7/2013).

33

Näher zu prüfen ist daher, welchen Umfang und Charakter die vom SG angesprochenen "Arbeitszeiten" der Klägerin zu 1 im Bundesgebiet hatten und ob es sich hierbei um Beschäftigungen als Arbeitnehmerin iS von Art 10 der VO (EU) Nr 492/2011 handelte (vgl zur gemeinschaftlichen Bedeutung des Arbeitnehmerbegriffs zB EuGH Urteil vom 19.11.2002 - Rs C-188/00 - Slg 2002, I-10691, juris RdNr 32; Epe in GK-AufenthG, § 3 FreizügG/EU RdNr 66, Stand 7/2013 mwN). Ausgehend von seinem rechtlichen Ausgangspunkt hat das SG hierzu bisher keine Feststellungen treffen können, sondern lediglich - zusammenfassend für die Klägerinnen zu 1 und 2 - ausgeführt, dass die "Arbeitszeiten - für beide jeweils nicht mindestens sechs Monate seit Juni 2010 - kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht europarechtlich begründeten".

34

Voraussetzung solcher Aufenthaltsrechte wegen fortdauernder Ausbildungen der Kläger zu 3 und/oder 4 ist weiter, dass diese im streitigen Zeitraum ihre bereits während einer etwaigen Beschäftigung der Klägerin zu 1 als Arbeitnehmerin wahrgenommenen Schulausbildungen in einer in Deutschland gelegenen Einrichtung weiterhin regelmäßig nachgekommen sind (vgl zum Schulbesuch insb Epe in GK-AufenthG, § 3 FreizügG/EU RdNr 61 f, Stand 7/2013 mwN). Schließlich muss die Klägerin zu 1 als Elternteil die elterliche Sorge tatsächlich ausgeübt haben, was hier jedoch naheliegt.

35

Auch bezogen auf die erst während des Aufhebungsmonats Mai 2012 volljährig gewordene Klägerin zu 2 wird das LSG noch feststellen müssen, ob ihr ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach der VO (EU) Nr 492/2011 zustand. Anders als bei der Klägerin zu 1 kann sich ihre Freizügigkeitsberechtigung nicht aus derjenigen der Kläger zu 3 und 4 ableiten, weil die Geschwister im Verhältnis zu einem stammberechtigten Unionsbürger keine Familienangehörigen iS des § 3 Abs 2 FreizügG/EU und des Art 2 Nr 2 RL 2004/38/EG sind(vgl - auch zur Berücksichtigung familiärer Umstände - BVerwG Urteil vom 13.6.2013 - 10 C 16/12 - InfAuslR 2013, 364 ff). Zu klären ist ggf auch, ob sie im Mai 2012 ein Aufenthaltsrecht aus einer etwaigen Aufenthalts- bzw Freizügigkeitsberechtigung ihres Vaters ableiten konnte.

36

Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Oktober 2013 insoweit aufgehoben, als er zur Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 11. Oktober 2010 bis 7. November 2011 verurteilt worden ist.

Insoweit wird die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20. November 2012 zurückgewiesen.

Die Beigeladene wird verurteilt, den Klägern Hilfe zum Lebensunterhalt für den Zeitraum vom 11. Oktober 2010 bis 7. November 2011 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beigeladene hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Ansonsten haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit steht die Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Kläger im Zeitraum vom 11.10.2010 bis 7.11.2011.

2

Die Kläger sind rumänische Staatsangehörige. Die Kläger zu 1 und 2 zogen 2008 mit ihren beiden gemeinsamen Kindern - geboren 1992 und im Februar 1995 (Kläger zu 3) - von Rumänien bzw über Belgien nach Deutschland. Sie verfügen seit November 2008 über eine Freizügigkeitsbescheinigung/EU und die Kläger zu 1 und 2 seit Ende 2011 (nach dreijährigem Aufenthalt) über eine unbefristete Arbeitsberechtigung. Der Kläger zu 1 hatte in Rumänien eine Schlosserlehre absolviert, war dann zur Armee eingezogen worden und arbeitete 1993 bis 1995 als Taxifahrer sowie anschließend als Tagelöhner in der Landwirtschaft. Ein von ihm 1992/1993 in Deutschland gestellter Asylantrag wurde abschlägig beschieden. Seine Ehefrau ging in Rumänien keiner Erwerbstätigkeit nach. Sie übt seit dem 8.11.2012 eine mit 200 Euro netto monatlich geringfügig entlohnte Beschäftigung aus. Bis Ende 2010 verkauften die Kläger zu 1 und 2 die Obdachlosenzeitung "Fifty-Fifty" zu einem Abgabepreis von 1,80 Euro und einem "Einkaufspreis" von 0,90 Euro. Der Differenzbetrag von rund je 120 Euro im Monat verblieb bei ihnen. Der Kläger zu 1 hatte vom 13.10.2008 bis 29.10.2009 ein Gewerbe angemeldet ("Abbruch- und Entkernungsarbeiten, Hilfsarbeiten auf Baustellen"), das er jedoch nicht betrieb und mit dem er auch keine Einkünfte erzielte. Für die beiden Söhne erhielten die Eheleute Kindergeld in Höhe von je 184 Euro. Die Söhne besuchten in Deutschland die Schule.

3

Erstmals Ende 2009 lehnte der Beklagte die Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bindend ab. Ein erneuter Antrag der Kläger vom 11.10.2010, den sie mit der Einreise zur Arbeitsuche begründeten, wurde vom Beklagten ebenfalls abschlägig beschieden (Bescheid vom 19.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010). Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hiergegen verpflichtete das LSG den Beklagten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 17.5.2011 bis maximal zum 17.11.2011 zu erbringen. Dies führte der Beklagte durch Bescheide vom 14.6., 7.7., 26.7. und 1.8.2011 aus. Ebenso vollzog sich das Verfahren nach einem weiteren Antrag der Kläger vom 7.11.2011 (ablehnender Bescheid vom 15.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2011, Ausführungsbescheide des Beklagten vom 22.6.2012 nach dem Erlass einer einstweiligen Anordnung des LSG für den Zeitraum vom 23.11.2011 bis 30.6.2012). Am 14.1.2013, der Höhe nach geändert durch Bescheid vom 5.2.2013, bewilligte der Beklagte den Klägern die begehrten Leistungen ab dem 1.11.2012, also seit dem Monat der Aufnahme der Beschäftigung durch die Klägerin zu 2.

4

Die gegen den Bescheid vom 19.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010 erhobene Klage hat das SG durch Urteil vom 20.11.2012 unter Hinweis darauf, dass die Kläger nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II von Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen seien, abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das LSG dieses Urteil geändert und den Beklagten unter Änderung der benannten Bescheide verurteilt, den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften für den Zeitraum vom 11.10.2010 bis 7.11.2011 zu bewilligen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II greife im Falle der Kläger nicht. Sie verfügten über kein materielles Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland. Der Sohn der Kläger zu 1 und 2 (Kläger zu 3) sei im streitigen Zeitraum Schüler gewesen. Die Kläger zu 1 und 2 seien keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen. Das vom Kläger zu 1 angemeldete Gewerbe sei nie betrieben und es seien keine Einkünfte daraus erzielt worden. Der Verkauf der Obdachlosenzeitung stelle keine Beschäftigung dar, die zu einem Status als Arbeitnehmer geführt haben könne. Es handele sich dabei um eine untergeordnete Tätigkeit, die nicht in einem Arbeitsverhältnis verrichtet worden sei. Die Kläger zu 1 und 2 seien auch nicht arbeitsuchend gewesen, denn sie hätten allein wegen der Sprachbarrieren keine Chance auf Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt gehabt. Daher komme es auch nicht darauf an, dass die Kläger vor dem 1.10.2011 über eine unbefristete Freizügigkeitsberechtigung/EU verfügt hätten. Auf einen EU-Bürger ohne materielles Aufenthaltsrecht finde der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II keine Anwendung. Dies erschließe sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, die auf den Aufenthaltszweck "allein zur Arbeitsuche" abstelle. Eine erweiternde Auslegung im Sinne des Erst-Recht-Schlusses komme wegen des Ausnahmecharakters des Ausschlusses nicht in Betracht. Die Vorschrift sei nicht analogiefähig. Es liege keine unbeabsichtigte Regelungslücke vor. Dass der aus dem mangelnden Aufenthaltsrecht folgende Ausweisungsgrund nicht vollzogen werde, sei kein Grund, EU-Bürger von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in erweiternder Auslegung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II auszuschließen(Urteil des LSG vom 10.10.2013).

5

Der Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und begründet sie damit, dass das Urteil des LSG § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II verletze. Die dortige Auslegung der Vorschrift führe dazu, dass ausgerechnet Personen, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht oder kaum integrierbar seien, vom Leistungsausschluss für arbeitsuchende Unionsbürger nicht betroffen würden.

6

Er beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Oktober 2013 aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20. November 2012 zurückzuweisen.

7

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Beigeladene zu verurteilen, ihnen Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII im Zeitraum vom 11. Oktober 2010 bis 7. November 2011 zu gewähren.

8

Sie halten die Ausführungen des LSG für zutreffend. Zwar sei nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Alimanovic nun klargestellt, dass der in § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II formulierte Leistungsausschluss europarechtskonform sei. Dies betreffe jedoch nicht die Kläger. Bei ihnen liege es näher, einen Vergleich zu der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Dano zu ziehen, wonach wirtschaftlich nicht aktiven Unionsbürgern anderer Mitgliedstaaten keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu erbringen seien. Insoweit mangele es jedoch an einer einfachgesetzlichen Regelung im deutschen Recht.

9

Die Beigeladene hat keinen eigenen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG, soweit es den Beklagten zur Leistungserbringung verurteilt hat, begründet. Die Beigeladene ist verpflichtet, die Existenzsicherung der Kläger nach den Vorschriften des SGB XII zu gewährleisten.

11

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (2.). Sie können jedoch Hilfe zum Lebensunterhalt von der Beigeladenen nach § 23 Abs 1 S 3 SGB XII beanspruchen (3.).

12

1. Streitgegenstand ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die der Beklagte durch Bescheid vom 19.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010 abgelehnt hat. Der streitige Zeitraum beginnt mit der Antragstellung am 11.10.2010, als dem "Türöffner" für das Verwaltungsverfahren (zuletzt BSG vom 24.4.2015 - B 4 AS 22/14 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 71 RdNr 17), und endet, da die Kläger ihr Begehren im zweitinstanzlichen Gerichtsverfahren bis zu diesem Zeitpunkt beschränkt haben, mit der erneuten Antragstellung am 7.11.2011. Die die Entscheidungen des LSG im vorläufigen Rechtsschutz ausführenden Bescheide des Beklagten sind, wie das LSG zutreffend befunden hat, nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden(vgl BSG vom 27.6.2013 - B 10 EG 2/12 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 21 RdNr 20 mwN; s auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 96 RdNr 4b unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des BSG).

13

Unschädlich ist auch, dass die Kläger im Berufungsverfahren, trotz der Beiladung der Stadt Gelsenkirchen, nicht zumindest hilfsweise deren Verurteilung oder Verpflichtung zur Leistungserbringung nach dem SGB XII beantragt haben. Im Falle der - hier vom LSG vorgenommenen notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 2. Alt SGG (unechte notwendige Beiladung) - ist zumindest davon auszugehen, dass die Kläger hilfsweise die Verurteilung der Beigeladenen begehren (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 75 RdNr 18a; weitergehend BSG vom 28.5.2015 - B 7 AY 4/12 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen - RdNr 10). Denn nach § 75 Abs 5 SGG darf der beigeladene Träger verurteilt werden, obwohl er nicht verklagt ist. Mit der Vorschrift des § 75 Abs 2 2. Alt iVm Abs 5 SGG unterstellt der Gesetzgeber, dass der Kläger zwar in erster Linie die Verurteilung des beklagten Trägers, hilfsweise jedoch auch die jedes anderen in Frage kommenden Trägers begehrt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Kläger diese Verurteilung ausdrücklich ablehnt ( BSG vom 15.1.1959 - 4 RJ 111/57 - BSGE 9, 67, 70; BSG vom 2.11.2000 - B 11 AL 25/00 R - RdNr 25). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Bei dem im Revisionsverfahren gestellten Hilfsantrag auf Verurteilung der Beigeladenen handelt es sich aus diesen Gründen auch nicht um eine an sich im Revisionsverfahren nach § 168 S 1 SGG nicht mehr zulässige Klageänderung im Sinne der Klageerweiterung(vgl hierzu BSG vom 30.1.1985 - 2 RU 69/83 - SozR 1500 § 168 Nr 3; BSG vom 4.2.1965 - 11/1 RA 312/63 - SozR Nr 27 zu § 75 SGG; s auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 168 RdNr 2c und § 75 RdNr 12a).

14

Ebenso wenig wird die Zulässigkeit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage dadurch berührt, dass die Kläger bereits vorläufige Leistungen erhalten haben. Dies war zum einen nur für einen Teil des hier streitigen Zeitraums der Fall (BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 12 zur Unzulässigkeit bei dem Ausscheiden jeglichen Zahlungsanspruchs). Zum anderen hat sich der Rechtsstreit nach der ständigen Rechtsprechung des BSG auch nicht teilweise dadurch erledigt, dass für den Fall der nunmehr beantragten hilfsweisen Verurteilung der Beigeladenen die Leistungserbringung des Sozialhilfeträgers bereits (teilweise) als erfüllt iS des § 107 Abs 1 SGB X gilt(BSG vom 8.8.1990 - 11 RAr 79/88 - SozR 3-1300 § 104 Nr 3 S 4 f; BSG vom 9.9.1993 - 7/9b RAr 28/92 - BSGE 73, 83, 84 f = SozR 3-4100 § 58 Nr 5 S 11; BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 12).

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2. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gegen den Beklagten. Sie sind unabhängig von der bestehenden Hilfebedürftigkeit iS des § 7 Abs 1 S 1 Nr 3 iVm § 9 SGB II, ihres gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland(§ 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II; vgl zum Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34 RdNr 17 ff)und der Erfüllung der Altersgrenzen des § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II im streitigen Zeitraum zumindest durch die Kläger zu 1 und 2 sowie deren Erwerbsfähigkeit(§ 7 Abs 1 S 1 Nr 2 iVm § 8 SGB II - auch nach § 8 Abs 2 SGB II, weil ihnen als Rumänen trotz seinerzeit nur eingeschränkter Arbeitnehmerfreizügigkeit als EU-Ausländern die Aufnahme einer Beschäftigung hätte erlaubt werden können, vgl BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 14 ff)von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufgrund von § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II(idF vom 28.8.2007 durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007, BGBl I 1970, 2008) ausgeschlossen. Danach sind von den benannten Leistungen ausgenommen 1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts und 2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt und ihre Familienangehörigen.

16

a) Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II unterfallen die Kläger nicht einer Ausnahme von der Leistungsberechtigung nach § 7 Abs 1 S 1 SGB II. Sie haben sich im streitigen Zeitraum vom 11.10.2010 bis 7.11.2011 bereits mehr als drei Monate in Deutschland aufgehalten, denn sie sind im Herbst des Jahres 2008 eingereist. Ihr Aufenthaltsrecht ergibt sich auch nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche. So sind die Kläger zu 1 und 2 zwar zur Arbeitsuche in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Für den hier streitigen Zeitraum folgt hieraus jedoch kein materielles Aufenthaltsrecht mehr. Sie waren nicht mehr arbeitsuchend iS des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II.

17

Der Begriff der "Arbeitsuche" ist im vorliegenden Kontext freizügigkeitsrechtlich geprägt. Der Gesetzgeber hat in § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II - anders als in § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II - zwar nicht ausdrücklich Bezug auf die Regelungen des FreizügG/EU genommen. Aus der Verknüpfung mit dem "Aufenthaltsrecht" folgt jedoch bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift, dass die dortigen Regelungen sowie die der RL 2004/38/EG zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der "Arbeitsuche" heranzuziehen sind. Dies wird durch den Gesetzentwurf zur Änderung des S 2 des § 7 Abs 1 SGB II(BT-Drucks 16/5065 S 234; Änderung des SGB II zum 28.8.2007 durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007, BGBl I 1970, 2008) bestätigt. Danach sollten mit den Neuregelungen in § 7 Abs 1 S 2 SGB II die Unionsbürgerrichtlinie RL 2004/38/EG im Leistungsrecht umgesetzt und insbesondere von der Möglichkeit des Leistungsausschlusses nach Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG Gebrauch gemacht werden. Diese Norm regelt, dass vom Grundsatz der Gleichbehandlung aller Unionsbürger abgewichen werden kann, wenn die betreffende Person weder Arbeitnehmer, noch Selbstständiger oder deren Familienangehöriger ist und sie diesen Status nicht erhalten konnte (vgl hierzu Art 7 Abs 3 Buchst b und c RL 2004/38/EG). Sofern sie als Arbeitsuchende in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates eingereist ist, sieht die Richtlinie durch Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG solange eine Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts als Arbeitsuchende vor, solange sie nachweisen kann, dass sie weiterhin Arbeit sucht und sie eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden. Diese Regelung hat der Gesetzgeber zwischenzeitlich (mW ab dem 9.12.2014, BGBl I 1922) ins FreizügG/EU übernommen. In dessen § 2 Abs 2 S 1 Nr 1a FreizügG/EU ist nunmehr geregelt, dass freizügigkeitsberechtigt Unionsbürger sind, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Der dies tragende Grundgedanke der Aussicht auf Aufnahme einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist jedoch wegen der Gründung des Normtextes des § 7 Abs 1 S 2 SGB II auf der RL 2004/38/EG auch bereits im streitigen Zeitraum zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Arbeitsuche heranzuziehen.

18

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs ist die Annahme des LSG revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass sich die Freizügigkeitsberechtigung der Kläger zu 1 und 2 im streitigen Zeitraum nicht mehr allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergab. Auf Grundlage der Anhörung der Kläger in der mündlichen Verhandlung sowie beigezogener Auskünfte und Beratungsvermerke der BA ist das LSG zu dem Ergebnis gelangt, dass sie im streitigen Zeitraum keine realistische Chance auf Erlangung eines Arbeitsplatzes hatten. Die Kläger zu 1 und 2 verfügten nicht über eine verwertbare berufliche Qualifikation oder Ausbildung, nennenswerte Berufserfahrung und deutsche Sprachkenntnisse. Diese fehlenden Kenntnisse stellten ein erhebliches Hindernis bei der Arbeitsuche dar. Zudem war zu berücksichtigen, dass ihre Berechtigung, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, im streitigen Zeitraum zusätzlich noch durch das Erfordernis einer Arbeitsgenehmigung-EU iS des § 284 SGB III(in den hier einschlägigen Fassungen vom 7.12.2006 BGBl I 2814 und vom 20.12.2011 mWv 1.5.2011 BGBl I 2854) iVm der Arbeitserlaubnis-EU nach § 39 Abs 2 S 1 Nr 1 Buchst b AufenthG(in den hier einschlägigen Fassungen vom 25.2.2008, BGBl I 162 und 20.12.2011, mWv 1.5.2011 BGBl I 2854, 2921) - für Unionsbürger aus Rumänien in der ersten Beitrittszeit - beschränkt war. Danach brauchte die BA der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung nur zuzustimmen, wenn für die Beschäftigung deutsche Arbeitnehmer sowie Ausländer, die diesen hinsichtlich der Arbeitsaufnahme rechtlich gleichgestellt waren, oder andere Ausländer, die nach dem Recht der Europäischen Union einen Anspruch auf vorrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt hatten, nicht zur Verfügung standen. Die begründete Aussicht, dass diese beim Fehlen jeglicher Qualifikation der Arbeitsuchenden, wie vorliegend, zur Verfügung stehen, hat das LSG ohne Rechtsfehler negiert. Da die Kläger sich zu Beginn des hier streitigen Zeitraums zudem bereits mehr als zwei Jahre in Deutschland aufgehalten hatten, ohne eine Erwerbstätigkeit ausgeübt zu haben, unterliegt der vom LSG weiter gezogene Schluss der objektiv nicht bestehenden Aussicht der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit keinen durchgreifenden Zweifeln (vgl zum zeitlichen Umfang der materiellen Freizügigkeitsberechtigung der Arbeitsuche: EuGH Rs Antonissen vom 26.2.1991 - C-292/89 RdNr 21; s auch Devetzi, EuR 2014, 638, 642; Lehmann, ZAR 2015, 212, 215; Thym, NJW 2015, 130, 133).

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b) Die Kläger waren jedoch, auch wenn sie nicht den ausdrücklich normierten Ausnahmen des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II unterfallen, gleichwohl von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen. Denn sie verfügten über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des FreizügG/EU oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht. Damit unterfielen sie "erst-recht" dem Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II. Die Vorschrift ist insoweit planwidrig lückenhaft, als sie nicht ausdrücklich den Ausschluss auch derjenigen normiert, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen, weil sie einen Leistungsausschluss schon für solche Ausländer anordnet, die sich auf eine solche materielle Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des FreizügG/EU berufen können.

20

Der "Erst-Recht-Schluss" ist eine Untergruppe oder ein Spezialfall des Analogieschlusses. Die analoge Anwendung einfachgesetzlicher Vorschriften ist eine anerkannte Methode der richterlichen Rechtsfortbildung und verfassungsrechtlich unter Beachtung der Schranken des Art 20 Abs 3 GG zulässig. Denn hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, darf der Richter diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen, die so im Parlament nicht erreichbar war (BVerfG vom 3.4.1990 - 1 BvR 1186/89 - BVerfGE 82, 6, 11). Daher setzt der Analogieschluss voraus, dass das Gesetz - hier im Hinblick auf eine bestimmte Personengruppe - lückenhaft, also angesichts der erkennbaren Regelungsabsicht des Gesetzgebers "planwidrig" unvollständig ist (vgl dazu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 373, 375; s nur BSG vom 25.6.2009 - B 10 EG 8/08 R - BSGE 103, 291 = SozR 4-7837 § 2 Nr 2 RdNr 31 mwN). Es muss an der nach dem Regelungsplan des Gesetzes zu erwartenden Regel mangeln (BVerwG vom 11.9.2008 - 2 B 43/08 - Buchholz 237.7 § 23 NWLBG Nr 1 mwN). Dem "Erst-Recht-Schluss" selbst liegt dabei die Erwägung zugrunde, die analoge Anwendung sei immer dann gerechtfertigt, wenn die rechtspolitischen Gründe (Normzwecke) einer Vorschrift bei einem nicht geregelten Lebenssachverhalt noch stärker gegeben sind als bei dem geregelten Normtatbestand (vgl nur Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8. Aufl 2015, RdNr 898). Dies ist hier im Hinblick auf Unionsbürger oder Ausländer, die über keine Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen, der Fall, wie sich aus der Entstehungsgeschichte der Ausschlussregelung, ihrem systematischen Zusammenhang sowie dem Sinn und Zweck der benannten Vorschrift erschließt (vgl zur Feststellung des Regelungsplans des Gesetzgebers bei einer Unvollständigkeit des Gesetzes, Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 373).

21

(aa) Nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II in der ab dem 1.1.2005 geltenden Fassung des Gesetzes zur optionalen Trägerschaft von Kommunen nach dem SGB II (vom 30.7.2004, BGBl I 2014) waren Ausländer unter den Voraussetzungen des § 8 Abs 2 SGB II leistungsberechtigt. Ein Ausschluss oder eine Beschränkung der Leistungsberechtigung für Unionsbürger waren mithin nicht vorgesehen. Mit der Neufassung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II durch das Gesetz zur Änderung des 2. Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (vom 24.3.2006, BGBl I 558) ergänzt durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (vom 19.8.2007, BGBl I 2008) erfolgte dann ein grundlegender Paradigmenwechsel. Es sollte von der Option des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG Gebrauch gemacht werden (BT-Drucks 16/5065 S 234). Für Unionsbürger, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen, sollte eine weitere leistungsrechtliche Hürde geschaffen werden, sofern sie wegen des vorbehaltlosen Aufenthalts in den ersten drei Monaten oder allein zum Zweck der Arbeitsuche freizügigkeitsberechtigt sind (BT-Drucks 16/5065 S 234; BT-Drucks 16/688 S 13). Leistungsberechtigt sollten sie nur sein, wenn sie über eine von § 7 Abs 1 S 2 SGB II nicht erfasste Freizügigkeitsberechtigung oder ein sonstiges Aufenthaltsrecht verfügen. Hieraus folgt umgekehrt, dass nicht freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Unionsbürger nach dem gesetzgeberischen Plan von vornherein nicht leistungsberechtigt sein sollten.

22

(bb) Dies entspricht auch der Binnensystematik und der Verknüpfung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II mit dem im Gesetzentwurf unter Bezug genommenen Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG. Danach ist der Aufnahmemitgliedstaat - unter Hintanstellung des Gleichbehandlungsgrundsatzes - nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG (Zeitraum der Arbeitsuche, s unter 2.a) einen Anspruch auf Sozialhilfe (…) zu gewähren. Das Gleichbehandlungsgebot, also auch die Verpflichtung zur Gleichbehandlung bei der Gewährung existenzsichernder Leistungen, gilt mithin umgekehrt grundsätzlich nur dann, wenn eine Freizügigkeitsberechtigung des Unionsbürgers im Sinne der Richtlinie gegeben ist. Zugleich wird im Hinblick auf den Aufenthalt in den ersten drei Monaten und zur Arbeitsuche durch den Hinweis auf Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG eine Ausnahme normiert. Mit der Einfügung der Nr 1 und 2 in den S 2 des § 7 Abs 1 SGB II sollte demnach von den unionsrechtlich eröffneten Ausschlussgründen auch bei Bestehen einer Freizügigkeitsberechtigung Gebrauch gemacht werden. Hierin fügt sich die Systematik der Rückausnahmen in § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II für freizügigkeitsberechtigte Arbeitnehmer und Selbstständige sowie ihre Familienangehörigen ein. Dementsprechend haben die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG im Hinblick auf Nr 2 des § 7 Abs 1 S 2 SGB II bisher schon unter Bezug auf § 11 FreizügG/EU (Regelung der Anwendung des AufenthG) angenommen, dass in Fällen, in denen ein anderes Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG - auch neben dem zum Zwecke der Arbeitsuche - besteht, etwa aus anderen familiären Gründen, der Ausschluss ebenfalls nicht eingreift(BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 30 ff; BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28, RdNr 20 ff).

23

Dass der Gesetzgeber es planwidrig unterlassen hat, auch die nicht freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigten Ausländer ausdrücklich von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auszuschließen, belegt auch die nachfolgende Kontrollüberlegung zu dem System der Eingliederungsleistungen im SGB II. Nach der Grundkonzeption des SGB II ist es Ziel dieser Leistungen, dass leistungsberechtigte Personen ohne eine Erwerbstätigkeit bei der Aufnahme einer solchen unterstützt werden, also Arbeit zu finden und, wenn sie bisher erfolglos Arbeit gesucht haben, dies mit einer Unterstützung durch Eingliederungsleistungen erfolgreich zu tun. Wenn ein EU-Ausländer aber Leistungen nach §§ 16 ff SGB II für eine erfolgreiche Arbeitsuche erhält, liegen die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II (wieder) vor. Dass ein solcher Zirkelschluss vom Gesetzgeber gewollt war, kann nicht angenommen werden. Es ist daher vielmehr davon auszugehen, dass es seinem Plan entsprach, in den Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II auch die Ausländer einzubeziehen, die keine oder objektiv ohne Erfolgsaussichten Arbeit suchen.

24

(cc) Auch wäre es sinnwidrig und würde der sozialpolitischen Zweckrichtung der Regelung widersprechen, hätten gerade nicht materiell freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Ausländer einen Rechtsanspruch auf diese Leistungen, weil sie nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift nicht von Leistungen ausgeschlossen sind. Sie sind vielmehr, weil ihre Leistungsberechtigung im eigentlichen Sinne nicht gewollt war, "erst-recht" von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen. Mit der Ausschlussregelung sollte ein Zuzug von Ausländern in den SGB II-Leistungsbezug verhindert werden, soweit keine Verpflichtung zur Gleichbehandlung mit Inländern besteht (vgl BT-Drucks 16/5065 S 234). Nur wer als Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt ist - über das Aufenthaltsrecht in den ersten drei Monaten und zur Arbeitsuche hinaus - sollte daher einen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen aus dem SGB II erhalten, etwa aufstockend neben der Tätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger, während der nachgehenden Statuserhaltung oder als deren Familienangehörige. Nach Ablauf der ersten drei Monate des Aufenthalts sei, so die Begründung im Gesetzentwurf, das weitere Aufenthaltsrecht vom Aufenthaltszweck abhängig und damit auch die Leistungsberechtigung nach dem SGB II. So sollte sichergestellt werden, dass durch die Neuregelung im Freizügigkeitsgesetz/EU - die RL 2004/38/EG umsetzend - keine Regelungslücke entsteht (vgl BT-Drucks 16/5065 S 234). Die materielle Freizügigkeits- oder Aufenthaltsberechtigung kann damit nicht hinweggedacht werden, ohne dass die Ausschlussregelung ihren Sinn verlöre.

25

c) Die Kläger konnten sich nicht auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung berufen.

26

(aa) Die Kläger waren nicht als Arbeitnehmer freizügigkeitsberechtigt. Der Begriff des Arbeitnehmers in § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist, wie die Wortverbindung in dessen Nr 1 zum FreizügG/EU bereits zeigt, ebenfalls europarechtlich geprägt; durch dieses Gesetz wird die, die Freizügigkeitsrechte der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen innerhalb der Union regelnde RL 2004/38/EG - auf Grundlage der Europäischen Verträge - in das nationale Recht umgesetzt (Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, Vorbemerkung 0.1.2 zum Freizügigkeitsgesetz/EU). Eine kodifizierte Definition des Arbeitnehmerbegriffs findet sich im Europarecht zwar nicht. Es ist daher auf die Ausprägung dessen zurückzugreifen, die er auf Grundlage der Rechtsprechung des EuGH erfahren hat. Die Arbeitnehmereigenschaft wird danach bei der Ausübung einer tatsächlichen und echten Tätigkeit als gegeben angesehen, was gestützt auf objektive Kriterien und in einer Gesamtbetrachtung aller Umstände, die die Art der in Rede stehenden Tätigkeiten und des fraglichen Arbeitsverhältnisses betreffen, festzustellen ist (EuGH Rs Ninni-Orasche vom 6.11.2003 - C-413/01 RdNr 24; EuGH vom 21.2.2013 - C-46/12 RdNr 39 ff; Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 2 FreizügG/EU RdNr 37; Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 9. Edition, Stand XI/2015, § 2 FreizügG/EU RdNr 18 ff). Um Arbeitnehmer zu sein, muss die betreffende Person während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringen, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Dabei sind nicht nur Gesichtspunkte wie die Arbeitszeit und die Höhe der Vergütung zu berücksichtigen, sondern auch solche wie der Anspruch auf bezahlten Urlaub, die Geltung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Anwendung des Tarifvertrags in der jeweils gültigen Fassung auf den Arbeitsvertrag sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses (EuGH Rs Genc vom 4.2.2010 - C-14/09 RdNr 27). Dies bedeutet, dass eine Integration in den Betrieb des Arbeitgebers gegeben sein muss, bei der die betreffende Person unter der Weisung oder Aufsicht eines Dritten steht, der die zu erbringenden Leistungen und/oder die Arbeitszeiten vorschreibt und dessen Anordnungen durch den Arbeitnehmer zu befolgen sind (vgl Hoffmann in Hofmann/Hoffmann, HK-AuslR, 1. Aufl 2008, § 2 FreizügG/EU RdNr 8). Unter Anwendung dieses Maßstabs und auf Grundlage seiner Feststellungen hat das LSG vorliegend die Arbeitnehmereigenschaft der Kläger zu 1 und 2 zutreffend verneint.

27

Die Kläger zu 1 und 2 haben die Obdachlosenzeitung "Fifty-Fifty" verkauft. Das LSG hat festgestellt, dass damit ein wirtschaftlicher Güteraustausch nicht verbunden gewesen sei, jedenfalls sei dies nicht der prägende Hauptzweck der Tätigkeit gewesen. Vielmehr habe es sich um eine dem Betteln gleichgestellte Tätigkeit gehandelt, die - nach einem Hinweis in dieser Zeitung - unter genehmigungsfreiem Gemeingebrauch des öffentlichen Straßenraumes erfolgte. Die Kläger zu 1 und 2 unterlagen auch nicht den Weisungen der karitativen Organisationen, die diese Zeitung herausgeben. Sie "kauften" die Zeitschriften bei den Herausgebern zum Zwecke des Straßenverkaufs und konnten - ohne weitere Weisungen zu deren Vertrieb - den Differenzbetrag zum Verkaufspreis zur eigenen Verfügung behalten.

28

(bb) Eine selbstständige Erwerbstätigkeit ist - ebenfalls unter Berücksichtigung der europarechtlichen Implikationen - jede Art der wirtschaftlichen Tätigkeit, die in eigener Verantwortung und weisungsfrei erfolgt (Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 9. Edition, Stand XI/2015, § 2 FreizügG/EU RdNr 32). Eine Gewinnerzielungsabsicht muss nicht vorrangiges oder einziges Ziel sein, sie muss aber vorhanden sein. Rein karitative Tätigkeiten fallen nicht hierunter; die Tätigkeit muss daher erwerbsorientiert sein, wobei alle Tätigkeiten erfasst werden, sofern sie mit einer entgeltlichen Gegenleistung verbunden sind und eine Teilnahme am Wirtschaftsleben darstellen (EuGH Rs Sodemare vom 17.6.1997 - C-70/95 RdNr 25; vgl auch Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 2 FreizügG/EU RdNr 78; Müller-Graff in Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl 2012, Art 49 AEUV RdNr 13). Der Selbstständige, der sich auf das Freizügigkeitsrecht der Niederlassungsfreiheit im Sinne der Art 49 ff AEUV berufen kann, muss auch tatsächlich eine wirtschaftliche Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit ausüben (EuGH Rs Factortame vom 25.7.1991 - C-221/89 RdNr 34; Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 9. Edition, Stand XI/2015, § 2 FreizügG/EU RdNr 33)und damit wirtschaftlich in einen anderen Mitgliedstaat integriert sein (Brinkmann in Huber, AufenthG, 1. Aufl 2010, § 2 FreizügG/EU RdNr 29).

29

Diese Voraussetzungen sind nach den zuvor dargelegten Bedingungen, unter denen die Kläger zu 1 und 2 dem Verkauf der Obdachlosenzeitung nachgegangen sind, nicht gegeben. Aber auch mit dem von dem Kläger zu 1 angemeldeten Gewerbebetrieb: "Abbruch- und Entkernungsarbeiten, Hilfsarbeiten auf Baustellen" erfüllte er nicht die Voraussetzungen um den Status als niedergelassener selbstständiger Erwerbstätiger erlangt zu haben. Er hat ausweislich der Feststellungen des LSG erklärt, das Gewerbe nie betrieben und auch keinen Gewinn erzielt zu haben. Abgesehen davon, dass er allein mit der Anmeldung des Gewerbebetriebes nicht am wirtschaftlichen Leben teilgenommen hat, war diese offensichtlich unter Zugrundelegung der getroffenen Feststellungen nicht erwerbsorientiert.

30

(cc) Damit entfällt zugleich der nachgehende Schutz als Arbeitnehmer oder Selbstständiger iS des § 2 Abs 3 FreizügG/EU für die Kläger zu 1 und 2. Danach bleibt für Arbeitnehmer und selbstständig Erwerbstätige die Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU unberührt ua bei(2.) unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbstständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbstständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit (S 1). Bei weniger als einem Jahr Beschäftigung gilt dies auch, jedoch nur während der Dauer von sechs Monaten nach der Beendigung der Tätigkeit (S 2). Ebenso wenig haben folglich die Familienangehörigen eine vom Status als Arbeitnehmer oder Selbstständiger abgeleitete Freizügigkeitsberechtigung iS des § 2 FreizügG/EU innegehabt.

31

(dd) Die Kläger waren auch nicht als nichterwerbstätige Unionsbürger iS des § 4 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Danach haben nicht erwerbstätige Unionsbürger, ihre Familienangehörigen und ihre Lebenspartner, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, das Recht nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Zwar hat das LSG keine Feststellungen zum Krankenversicherungsschutz der Kläger getroffen. Dass sie nicht über ausreichende Existenzmittel verfügten, zeigt sich jedoch bereits daran, dass sie hilfebedürftig iS des § 7 Abs 1 Nr 3 iVm § 9 SGB II waren(vgl zum Maßstab der "nicht ausreichenden Existenzmittel": Thym, NJW 2015, 130, 132).

32

(ee) Anhaltspunkte für ein anderes Aufenthaltsrecht im Sinne des AufenthG sind ebenfalls nicht ersichtlich oder vorgebracht (vgl zum Vorliegen eines anderen Aufenthaltsrechts nur: BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 30 ff; BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28, RdNr 20 ff).

33

(ff) Der fehlenden materiellen Freizügigkeitsberechtigung steht auch nicht entgegen, dass die Kläger zu 1 und 2 nach den bindenden Feststellungen des LSG im Besitz einer Freizügigkeitsbescheinigung/EU nach § 5 Abs 1 FreizügG/EU idF des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union(vom 19.8.2007, BGBl I 1970) waren. Das Ausstellen einer solchen Bescheinigung, die mit Wirkung zum 29.1.2013 im Übrigen abgeschafft worden ist (Streichung des § 5 Abs 1 FreizügG/EU in der vorbenannten Fassung durch das Gesetz zur Änderung des FreizügG/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21.1.2013, BGBl I 86), lässt keine Rückschlüsse auf das Bestehen einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung zu.

34

Ihre Ausstellung hatte allein deklaratorische Bedeutung (BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 20; Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 5 FreizügG/EU RdNr 4; noch offengelassen BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 13; s jedoch BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28 RdNr 17). Auch solange § 5 Abs 1 FreizügG/EU idF vom 19.8.2007 noch in Kraft war, erfolgte die Prüfung der Freizügigkeitsberechtigung nach den Kriterien des § 2 FreizügG/EU. Das Freizügigkeitsrecht wurde und wird originär durch den EG-Vertrag/EUV/AEUV und seine Durchführungsbestimmungen begründet und nicht durch die Ausstellung der Aufenthaltskarte (EuGH Rs Dias vom 21.7.2011 - C-325/09 - RdNr 48; s auch VG Augsburg vom 5.6.2008 - Au 1 S 08.450 - juris-RdNr 35, 36). So war umgekehrt in der Vergangenheit die Ausstellung der Bescheinigung über das Freizügigkeitsrecht keine Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Unionsbürgers im Bundesgebiet. Aufgrund der generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt desjenigen Unionsbürgers, der schon bei seiner Einreise ins Bundesgebiet keinen Freizügigkeitstatbestand erfüllt hat, solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts in entsprechender Anwendung des § 5 Abs 5 FreizügG/EU in der bis Januar 2013 geltenden Fassung oder nunmehr aufgrund von § 5 Abs 4 FreizügG/EU bzw der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs 7 FreizügG/EU festgestellt hat. Erst die ausländerbehördliche Nichtbestehens- bzw Verlustfeststellung führt zur sofortigen Ausreisepflicht nach § 7 Abs 1 FreizügG/EU. Bis dahin darf sich ein Unionsbürger unabhängig vom Vorliegen einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 FreizügG/EU aufgrund der generellen Freizügigkeitsvermutung im Bundesgebiet aufhalten, ohne ausreisepflichtig zu sein(vgl BT-Drucks 16/5065 S 211 zu Art 2 Nr 8 Buchst a Doppelbuchst aa).

35

(d) Diese Auslegung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II ist auch europarechtskonform. Der EuGH hat sowohl in der Rechtssache Dano (vom 11.11.2014 - C-333/13) als auch in der Rechtssache Alimanovic (vom 15.9.2015 - C-67/14) in den hier gegebenen Fallkonstellationen die Zulässigkeit der Verknüpfung des Ausschlusses von Unionsbürgern anderer Mitgliedstaaten von existenzsichernden Leistungen mit dem Bestehen eines Aufenthaltsrechts im Sinne der RL 2004/38/EG ausdrücklich anerkannt. Nach seiner Rechtsprechung sind Art 24 Abs 1 der RL 2004/38/EG iVm ihrem Art 7 Abs 1 Buchst b und Art 4 VO 883/2004/EG dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug bestimmter "besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen" im Sinne des Art 70 Abs 2 VO 883/2004/EG ausgeschlossen werden, während Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten, sofern den betreffenden Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht (EuGH Rs Dano vom 11.11.2014 - C-333/13 RdNr 84). In der Rechtssache Alimanovic hat der EuGH insoweit betont, dass Unionsbürger anderer EU-Staaten, die nach Deutschland eingereist sind, um Arbeit zu suchen, vom deutschen Gesetzgeber vom Bezug von Alg II oder Sozialgeld ausgeschlossen werden können, selbst wenn diese Leistungen als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen im Sinne des Art 70 VO 883/2004/EG eingeordnet werden (EuGH Rs Alimanovic vom 15.9.2015 - C-67/14 RdNr 63). Beim Alg II und Sozialgeld handele es sich um Leistungen der "Sozialhilfe" im Sinne des Art 24 Abs 2 der RL 2004/38/EG. Danach haben die Aufnahmestaaten jedoch keine Verpflichtung zur Gleichbehandlung ihrer Staatsangehörigen und solcher anderer EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf einen Anspruch auf Sozialhilfe, wenn Letztere nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder ihnen dieser Status erhalten geblieben ist bzw Familienangehörige dieser sind (s hierzu auch Kingreen in NVwZ 2015, 1503, 1505 f; Padé in jM 2015, 414, 415).

36

3. Den Klägern steht jedoch ein Recht auf Existenzsicherung durch Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII gemäß § 23 Abs 1 S 3 SGB XII in gesetzlicher Höhe gegen die Beigeladene zu.

37

a) Die Kläger waren leistungsberechtigt im Sinne des Sozialhilferechts, weil sie im streitigen Zeitraum ihren Lebensunterhalt nicht iS des § 19 Abs 1 SGB XII iVm § 27 Abs 1 SGB XII aus eigenen Kräften und Mitteln decken konnten.

38

Nach § 19 Abs 1 SGB XII ist Personen Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten können. Dies war bei den Klägern, wie eingangs dargelegt, im streitigen Zeitraum der Fall. Ihr Bedarf im sozialhilferechtlichen Sinne ist dem Grunde nach zwar teilweise dadurch gedeckt worden, dass sie - durch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zugesprochene SGB II-Leistungen - den leistungslosen Zeitraum überstanden haben (vgl BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 16/08 R - BSGE 104, 213 = SozR 4-1300 § 44 Nr 20, RdNr 14 mwN). Insoweit greift für einen Teil des streitigen Zeitraums die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X ein.

39

b) Einem Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII stand auch eine mangelnde Kenntnis der Beigeladenen von der Bedürftigkeit der Kläger im streitigen Zeitraum nicht entgegen. Die Kläger haben zwar "nur" Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bei dem Beklagten beantragt. Die nach § 18 Abs 1 SGB XII erforderliche Kenntnis der Beigeladenen von dem Bedarf der Kläger liegt jedoch gleichwohl vor. Die Beigeladene muss sich insoweit die Kenntnis des Beklagten aufgrund des Antrags auf SGB II-Leistungen nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG zurechnen lassen (BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 66/13 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 42 RdNr 25; BSG vom 13.2.2014 - B 8 SO 58/13 B - SozR 4-3500 § 25 Nr 4 RdNr 8; BSG vom 26.8.2008 - B 8/9b SO 18/07 R - SozR 4-3500 § 18 Nr 1 RdNr 22 ff).

40

c) Ebenso wenig waren die Kläger nach § 21 S 1 SGB XII von der Hilfe zum Lebensunterhalt ausgeschlossen. § 21 S 1 SGB XII bestimmt, dass Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten. Die Kläger waren im streitigen Zeitraum nicht dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II, weil sie dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II unterfielen. Dies führt dazu, sie dem System des SGB XII zuzuweisen. Die Erwerbsfähigkeit zumindest der Kläger zu 1 und 2 steht dem nicht entgegen.

41

Schon der Wortlaut des § 21 S 1 SGB XII stellt nicht ausschließlich auf das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit ab, sondern berücksichtigt einen Leistungsanspruch nach dem SGB II dem Grunde nach. Ist mithin ein Erwerbsfähiger wegen des Vorliegens der Voraussetzungen eines Leistungsausschlusses nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II, folgt hieraus nicht zwangsläufig ein Leistungsausschluss nach dem SGB XII (BSG vom 25.9.2014 - B 8 SO 6/13 R - BSGE = SozR 4-4200 § 44a Nr 1, RdNr 11). Die "Systemabgrenzung" erfordert vielmehr eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Leistungsausschlüsse (Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 21 RdNr 26, 34; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB XII, § 21 RdNr 46, Stand I/2014; so im Ergebnis auch Coseriu in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 23 RdNr 64). Im Grundsatz gilt für die Systemzuweisung aufgrund der Erwerbszentriertheit des SGB II, dass derjenige, der von dem auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ausgerichteten Leistungssystem des SGB II ausgeschlossen werden soll, dem System des SGB XII zugewiesen wird.

42

Auf dieser Grundlage hat das BSG bereits für andere in § 7 SGB II geregelte Leistungsausschlüsse ausdrücklich entschieden, dass die "Anwendungssperre" des § 21 S 1 SGB XII nicht greift(vgl Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 21 RdNr 34 ff). Dies gilt nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate sowohl für den Leistungsausschluss wegen einer den Regelbedarf unterschreitenden ausländischen Rentenleistung als auch den Leistungsausschluss eines Erwerbsfähigen wegen der Unterbringung in einer stationären Einrichtung oder in einem Krankenhaus nach § 7 Abs 4 S 1 SGB II. Sie sind iS des § 21 SGB XII nach dem SGB II dem Grunde nach nicht mehr leistungsberechtigt und bei Bedürftigkeit auf "die auf gleicher Grundlage wie im SGB II bemessenen und daher vom Umfang im Wesentlichen identischen Leistungen der Sozialhilfe" verwiesen(BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 20; BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 66/13 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 42 RdNr 10, 24; vgl auch BSG vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen - RdNr 47: vorzeitige Altersrente nach Aufforderung durch den Grundsicherungsträger). In gleicher Weise hat der für das Sozialhilferecht zuständige 8. Senat des BSG für den Leistungsausschluss bei Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneten Freiheitsentziehung entschieden. Erwerbsfähige Hilfebedürftige, die einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 S 2 SGB II unterfallen, können grundsätzlich Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII beanspruchen(BSG vom 12.12.2013 - B 8 SO 24/12 R - SozR 4-3500 § 67 Nr 1 RdNr 20).

43

Bezogen auf den Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II gilt nichts anderes(Berlit in Berlit/Conradis/Sartorius, Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl 2013, Kap 12 RdNr 54; Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 21 RdNr 35). Der Ausschluss von Personen, die nicht oder nicht mehr über eine Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche verfügen, vom erwerbszentrierten Leistungssystem des SGB II führt dazu, die Sperrwirkung des § 21 SGB XII entfallen zu lassen.

44

d) Allerdings steht dem Rechtsanspruch der Kläger auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII ein Ausschluss aufgrund der Regelung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII entgegen.

45

(aa) Die Kläger sind zwar nicht iS des § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB XII eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen. Es mangelt hier insoweit an dem finalen Zusammenhang zwischen Einreise und Sozialhilfebezug (vgl BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 25). Dieser Zusammenhang liegt vor, wenn der Zweck, Sozialhilfe zu erlangen, den Einreiseentschluss geprägt hat. Wie das BVerwG dies bereits zu der wortgleichen Vorschrift des § 120 Abs 3 S 1 BSHG entschieden hat, bezeichnet schon die Konjunktion "um (…) zu (…)" ein ziel- und zweckgerichtetes Handeln und damit eine Zweck-Mittel-Relation, in der die Einreise das Mittel und die Inanspruchnahme von Sozialhilfe den mit ihr verfolgten Zweck bildet(vgl BVerwG vom 4.6.1992 - 5 C 22/87 - BVerwGE 90, 212, 214; im Anschluss daran etwa LSG Berlin-Brandenburg vom 10.9.2009 - L 23 SO 117/06 - juris-RdNr 27 f; LSG Nordrhein-Westfalen vom 12.1.2009 - L 20 B 58/08 AY - juris-RdNr 25 ff; LSG Niedersachsen-Bremen vom 27.11.2008 - L 8 SO 173/08 ER - juris-RdNr 20 f). Dabei wird diese Zweck-Mittel-Relation jedoch auch dann als gegeben angesehen, wenn die Einreise des Ausländers auf verschiedenen Motiven beruht, der Zweck der Inanspruchnahme für den Einreiseentschluss jedoch von prägender Bedeutung gewesen, also nicht nur neben vorrangigen anderen Zwecken billigend in Kauf genommen worden ist (Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr 46, Stand VI/2012).

46

So liegt der Fall nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG hier nicht. Es ist keine Zweck-Mittel-Relation im eben dargelegten Sinne gegeben, denn die Kläger zu 1 und 2 sind zur Arbeitsuche eingereist. Das LSG hat dies - wenn auch die Erfolgsaussichten der Arbeitsuche für den hier streitigen Zeitraum verneinend - ausdrücklich festgestellt. So haben die Kläger zu 1 und 2, wie das LSG unter Hinweis auf die Beratungsvermerke in den Akten ausgeführt hat, mehrfach Deutschkurse beantragt und sich auch sonst um Eingliederungsleistungen bemüht. Sie haben auch nicht schon bei der Einreise oder kurz danach, sondern erstmals nach rund einem Jahr ihres Aufenthalts in Deutschland und dann erneut rund noch einmal ein weiteres Jahr später existenzsichernde Leistungen beantragt. Der Kläger zu 3 folgt dem als Familienangehöriger.

47

(bb) Die Kläger unterfallen auch nicht dem Wortlaut der Alt 2 des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII. Sie verfügten - wie unter 2.a) dargelegt - im streitigen Zeitraum nicht mehr über ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche. Dies ist nach dem Wortlaut des § 23 Abs 3 SGB XII jedoch Voraussetzung für den Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII. Der Ausschluss tritt danach nur dann ein, wenn ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche im streitigen Zeitraum tatsächlich gegeben ist.

48

(cc) Ebenso wie oben zum Leistungsausschluss im SGB II dargelegt, sind jedoch auch nach § 23 Abs 3 S 1 SGB XII nichtfreizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Ausländer von den existenzsichernden Leistungen der Sozialhilfe ausgenommen(offengelassen BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 25; aA Herbst in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und der Sozialhilfe, Band 1 Teil II, Stand VIII/2013, § 23 SGB XII RdNr 47b; Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr 54d, Stand VI/2012).

49

Im Entwurf des Gesetzes zur Änderung des SGB XII und anderer Gesetze vom 25.9.2006 (BT-Drucks 16/2711 S 10) wird darauf hingewiesen, dass die Einfügung der Alt 2 in § 23 Abs 3 S 1 SGB XII einen der Regelung im SGB II entsprechenden Leistungsausschluss für Ausländer normiere und damit zugleich sicherstelle, dass Ausländer, die nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende hätten, auch aus dem SGB XII keine Ansprüche herleiten könnten. § 7 Abs 1 S 2 SGB II in der damaligen Fassung lautete: Ausgenommen sind Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt [und] ihre Familienangehörigen (…)(idF des Gesetzes zur Änderung des SGB II und anderer Gesetze vom 24.3.2006, BGBl I 558 mWv 1.4.2006). Es sollte damit Art 24 Abs 2 iVm Art 14 Abs 4 Buchst b der RL 2004/38/EG umgesetzt werden (BT-Drucks 16/2711 S 10). Nach Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG ist der Aufnahmemitgliedstaat - unter Hintanstellung des Gleichbehandlungsgrundsatzes - nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG (Zeitraum der Arbeitsuche, s unter 2.a) einen Anspruch auf Sozialhilfe (…) zu gewähren. Die dort vorgenommene Abgrenzung zwischen den gleich zu behandelnden Personengruppen und denen, die aus europarechtlicher Sicht von den Aufnahmestaaten von der Sozialhilfe ausgeschlossen werden dürfen, erfolgt, indem der Personenkreis der Freizügigkeitsberechtigten, die der Gleichbehandlung unterfallen, positiv benannt wird. Im Umkehrschluss ergibt sich, dass neben denen, die freizügigkeitsberechtigt wegen der Arbeitsuche sind und denen der Aufnahmestaat gleichwohl keine Sozialhilfeleistungen zu erbringen braucht, dies auch für die Nichtfreizügigkeitsberechtigten gilt. Sie unterfallen nicht dem Gleichbehandlungsgebot.

50

Soweit spätere Versuche, eine weitergehende Anpassung der Rechtslage des SGB II an das SGB XII zu bewirken, nicht erfolgreich waren (s nur BT-Drucks 16/2711 S 16; BT-Drucks 16/2753 S 1, 2; BT-Drucks 16/5527 S 15, 23; BT-Drucks 16/239 S 13, 17), sprechen diese Versuche und die Reaktionen hierauf nicht für das Erfordernis einer anderen Wertung im Hinblick auf den "Erst-Recht-Schluss" im SGB XII als im SGB II. Die zuvor beschriebene Anpassung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII war ausreichend, um die gewünschte Parallele zum SGB II für die hier zu beurteilenden Fälle zu ermöglichen. Insbesondere bedurfte es keiner Reaktion auf die Änderung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 (BGBl I, 1970 mWv 28.8.2007). Die Umstrukturierung des S 2 und die Einfügung der Nr 1 in § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist für das SGB XII ohne Bedeutung.

51

e) Zwar ist Rechtsfolge des Ausschlusses nach § 23 Abs 3 S 1 SGB XII, dass trotz des tatsächlichen Aufenthalts im Inland kein Rechtsanspruch auf ua Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 23 Abs 1 S 1 SGB XII besteht. In einem solchen Fall des Ausschlusses können jedoch nach § 23 Abs 1 S 3 SGB XII Leistungen der Sozialhilfe gewährt werden, wenn dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Ausschlussregelung, denn sie nimmt lediglich Bezug auf den "Anspruch" auf Sozialhilfe. Dementsprechend hat bereits das BVerwG zu der Vorschrift des § 120 Abs 3 S 1 Alt 1 BSHG befunden, dass Ausländer, die dem Leistungsausschluss unterfielen, weil sie eingereist seien, um Sozialhilfe zu erlangen, lediglich von einem Rechtsanspruch ua auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 120 Abs 1 S 1 BSHG ausgeschlossen seien(BVerwG vom 10.12.1987 - 5 C 32/85 - BVerwGE 78, 314, 316 f; Schellhorn/Jirasek/Seipp, Kommentar zum BSHG, 16. Aufl 2002, § 25 RdNr 10, § 120 RdNr 16; so auch Krahmer in LPK-BSHG, 6. Aufl 2003, § 25 RdNr 7; Birk in ders, § 120 RdNr 47). Insoweit gilt für die Regelung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII, die der Gesetzgeber in Kenntnis der Rechtsprechung des BVerwG im Wesentlichen inhaltsgleich ausgestaltet hat(BT-Drucks 15/1514 S 58), nichts anderes (vgl BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 28; s auch Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 23 SGB XII RdNr 76, Stand XII/2008; Birk in LPK-SGB XII, 10. Aufl 2015, § 23 RdNr 20; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 23 RdNr 42; differenzierend Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr 50, Stand VI/2012, der einen Rechtsanspruch auf die im Einzelfall gebotenen Leistungen annimmt, um zu einem Gleichklang mit § 1a AsylbLG zu gelangen).

52

Der Ausschluss nur von dem Rechtsanspruch auf die in S 1 des § 23 Abs 1 SGB XII benannten Leistungen erschließt sich auch aus dem - im Übrigen gegenüber § 120 BSHG unveränderten - systematischen Verhältnis der Regelungen der Sätze 1 und 3 in Abs 1 des § 23 SGB XII zueinander. Durch § 23 Abs 1 S 1 SGB XII erhält der Ausländer ausschließlich unter der Voraussetzung, dass er sich tatsächlich im Inland aufhält, einen Rechtsanspruch auf Leistungen der Sozialhilfe nach einem reduzierten Leistungskatalog, aber der Höhe nach uneingeschränkt. Hiervon sollen diejenigen, die die Ausschlusstatbestände des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII erfüllen, ausgeschlossen werden, nicht jedoch von dem der Sozialhilfe systemimmanenten grundsätzlichen Anspruch auf Hilfe bei bedrohter Existenzsicherung(s hierzu BVerwG vom 14.3.1985 - 5 C 145/83 - BVerwGE 71, 139; BVerwG vom 10.12.1987 - 5 C 32/85 - BVerwGE 78, 314, 317 ff). Diesem Personenkreis sollen daher nur nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens Leistungen der Sozialhilfe erbracht werden können, aber eben auch solche Leistungen, die nach S 1 des § 23 Abs 1 SGB XII vom Rechtsanspruch ausgenommen worden sind, soweit im Einzelfall geboten.

53

f) Das Ermessen des Sozialhilfeträgers ist jedoch in einem Fall wie dem vorliegenden, dem Grunde und der Höhe nach hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt auf Null reduziert. Dies ist immer dann der Fall, wenn sich das Aufenthaltsrecht des ausgeschlossenen Ausländers verfestigt hat - regelmäßig ab einem sechsmonatigen Aufenthalt in Deutschland. Dies folgt aus der Systematik des § 23 Abs 3 S 1 Alt 2 SGB XII im Verhältnis zu § 23 Abs 1 S 1 und 3 SGB XII sowie verfassungsrechtlichen Erwägungen.

54

So bezieht sich der ausdrückliche Ausschluss der Alt 2 des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII auf den im Freizügigkeitsgesetz/EU zeitlich begrenzten Vorgang der Arbeitsuche. Unter 2.a) ist bereits dargelegt worden, dass die Freizügigkeitsberechtigung zum Zwecke der Arbeitsuche nach dem Ablauf von sechs Monaten gemäß § 2 Abs 1a FreizügG/EU idF des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften vom 2.12.2014 (BGBl I 1922) endet, wenn nicht weiterhin eine begründete Aussicht auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit besteht. Diese Begrenzung der Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche dient nach den Gesetzesmaterialien der Umsetzung von Unionsrecht in seiner Auslegung durch den EuGH, der entschieden habe, dass die Mitgliedstaaten berechtigt seien, das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche auf einen angemessenen Zeitraum zu begrenzen, wobei der EuGH von einem Zeitraum von sechs Monaten ausgegangen sei (BT-Drucks 18/2581 S 15 zu Art 1 Nr 1 Buchst b; vgl dazu bereits BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 29). Mit dem auf den konkreten Einzelfall abstellenden Zusatz - "darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden" - nimmt die Neuregelung lediglich die Formulierung in Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG auf, enthält jedoch mit der allgemein geltenden zeitlichen Begrenzung - "für bis zu sechs Monate" - eine Typisierung. Für diese typisierte Dauer einer Arbeitsuche von sechs Monaten nach der Einreise liegt eine Aufenthaltsverfestigung noch nicht vor, weil hinter der zeitlichen Begrenzung die Erwartung steht, es handele sich um einen angemessenen Zeitraum, die Erfolgsaussichten einer Arbeitsuche in einem anderen Mitgliedstaat ohne Aufenthaltsverfestigung zu prüfen.

55

Werden diese Erwartungen enttäuscht und bleibt der tatsächliche Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nach Ablauf von sechs Monaten bestehen, tritt im Regelfall eine Aufenthaltsverfestigung ein, der nach geltendem Recht ausländerbehördlich entgegengetreten werden kann. Bestand nie eine Freizügigkeitsberechtigung wegen eines Aufenthalts zur Arbeitsuche oder besteht diese nach Ablauf von sechs Monaten mangels begründeter Aussichten, eingestellt zu werden, nicht mehr, kann durch die Ausländerbehörde der Verlust der Freizügigkeitsberechtigung durch Verwaltungsakt festgestellt werden (Verlustfeststellung nach § 5 Abs 4 S 1 FreizügG/EU). Erst die förmliche Verlustfeststellung begründet nach § 7 Abs 1 S 1 FreizügG/EU die sofortige Ausreisepflicht, wenn nicht Rechtsschutz in Anspruch genommen wird(vgl BT-Drucks 16/5065 S 211 zu Art 2 Nr 8 Buchst a Doppelbuchst aa). In tatsächlicher Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass von der rechtlichen Möglichkeit der Verlustfeststellung nur in geringem Umfang Gebrauch gemacht wird (Thym, NZS 2014, 81, 87; BT-Drucks 17/13322 S 19). Zur Prüfung der Voraussetzungen einer Verlustfeststellung kann die zuständige Ausländerbehörde im Übrigen nach § 5 Abs 2 S 1 FreizügG/EU bereits frühzeitig, nämlich drei Monate nach der Einreise, verlangen, dass die Voraussetzungen nach § 2 Abs 1 FreizüG/EU glaubhaft gemacht werden.

56

Ist hiernach typisierend von einer Aufenthaltsverfestigung auszugehen, ist die Ermessenausübung jedoch daran zu messen, dass der Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt im Sozialhilferecht ansonsten weder nach dem Grund der Einreise, noch nach Berechtigung oder Dauer des Aufenthalts fragt. Bei der Leistungsgewährung nach dem SGB XII kommt es in erster Linie auf die Tatsache einer gegenwärtigen Hilfebedürftigkeit an (BSG vom 10.11.2011 - B 8 SO 12/10 R - SozR 4-3500 § 30 Nr 4 RdNr 26; BVerwG vom 2.6.1965 - V C 63.64 - BVerwGE 21, 208, 211; vgl auch Berlit in Berlit/Conradis/Sartorius, Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl 2013, Kap 7 RdNr 24). Es reicht nach dem Wortlaut des § 23 Abs 1 S 1 SGB XII allein der tatsächliche Aufenthalt in Deutschland aus. Dem Leistungsberechtigten, der über kein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche mehr verfügt und "erst-recht" von dem Rechtsanspruch auf "Sozialhilfeleistungen" iS des § 23 Abs 1 S 1 SGB XII ausgeschlossen ist, mangelt es wie jedem anderen Ausländer, der sich tatsächlich im Inland aufhält - zunächst einmal ohne Freizügigkeits- oder Aufenthaltsberechtigung - an einer Aufenthaltsperspektive. Um den Gleichklang mit Letzterem zu erreichen, ist es folgerichtig, zumindest im Hinblick auf die Hilfe zum Lebensunterhalt durch eine Ermessensreduktion, bei verfestigtem Aufenthalt zu denselben Leistungen zu gelangen. Dieses nach Ablauf von regelmäßig sechs Monaten durch ein Vollzugsdefizit des Ausländerrechts bewirkte Faktum eines verfestigten tatsächlichen Aufenthalts des Unionsbürgers im Inland ist unter Berücksichtigung auch der verfassungsrechtlichen Vorgaben kein zulässiges Kriterium, die Entscheidung über die Gewährung existenzsichernder Leistungen dem Grunde und der Höhe nach in das Ermessen des Sozialhilfeträgers zu stellen.

57

Das BVerfG hat in seiner Entscheidung zum AsylbLG (vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134) im Anschluss und in Weiterentwicklung der grundlegenden Entscheidung vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12)Grundlagen und Umfang des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums näher ausgeformt. Wenn Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlten, weil sie weder aus einer Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen oder durch Zuwendungen Dritter zu erlangen seien, sei der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür Hilfebedürftigen zur Verfügung stünden. Als Menschenrecht - und dies ist hier entscheidend - stehe dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten, gleichermaßen zu (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 159 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 89, unter Hinweis auf BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12). Eine pauschale Differenzierung nach dem Aufenthaltsstatus hat das BVerfG im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung der existenzsichernden Leistungen ausdrücklich abgelehnt (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 164 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 99). Insoweit komme es für eine abweichende Bedarfsbestimmung darauf an, ob etwa wegen eines nur kurzfristigen Aufenthalts konkrete Minderbedarfe gegenüber Hilfeempfängern mit Daueraufenthaltsrecht nachvollziehbar festgestellt und bemessen werden könnten. Hierbei sei etwa zu berücksichtigen, ob durch die Kürze des Aufenthalts Minderbedarfe durch Mehrbedarfe kompensiert werden könnten, die typischerweise gerade unter den Bedingungen eines nur vorübergehenden Aufenthalts anfielen. Dies lässt sich während des Bestehens eines Aufenthaltsrechts allein zum Zwecke der Arbeitsuche über die Ermessensleistung des § 23 Abs 1 S 3 SGB XII regulieren, nicht jedoch bei verfestigtem Aufenthalt. Denn ließen sich - so das BVerfG - tatsächlich spezifische Minderbedarfe bei einem nur kurzfristigen, nicht auf Dauer angelegten Aufenthalt feststellen, und wolle der Gesetzgeber die existenznotwendigen Leistungen für eine Personengruppe deshalb gesondert bestimmen, müsse er sicherstellen, dass die gesetzliche Umschreibung dieser Gruppe hinreichend zuverlässig tatsächlich nur diejenigen erfasse, die sich regelmäßig nur kurzfristig in Deutschland aufhielten. Eine Beschränkung auf etwaige Minderbedarfe für Kurzaufenthalte komme dann nicht mehr in Betracht, wenn der tatsächliche Aufenthalt die Spanne eines Kurzaufenthalts deutlich überschritten habe. Für diese Fälle sei ein zeitnaher Übergang zu den existenzsichernden Leistungen für Normalfälle vorzusehen (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 164 ff = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 99 ff). Dies begründet im Regelfall eine Ermessensreduktion auf Null und damit eine Anpassung der Hilfe zum Lebensunterhalt für diejenigen, die sich nicht nur kurzfristig im Inland aufhalten. Denn im Übrigen weist das BVerfG darauf hin, dass eine Regelung zur Existenzsicherung vor der Verfassung nur Bestand habe, wenn Bedarfe durch Anspruchsnormen gesichert würden (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 162 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 96).

58

Tatsächliche Hinweise darauf, dass von einer Ermessensreduzierung trotz des Zeitablaufs ausnahmsweise abzusehen ist, sind den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. Derartige Umstände können insbesondere vorliegen, wenn die tatsächlichen Lebensumstände des Unionsbürgers darauf schließen lassen, dass er nicht auf Dauer im Inland verweilen wird. Gleiches gilt, wenn die Ausländerbehörde bereits konkrete Schritte zur Beendigung des Aufenthalts eingeleitet hat. Demgegenüber haben sich die Kläger im streitigen Zeitraum bereits mehr als zwei Jahre in Deutschland aufgehalten, ohne dass derartige Maßnahmen im Raum standen.

59

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. Juni 2015 und des Sozialgerichts Köln vom 19. August 2014 aufgehoben sowie die Klagen gegen den Beklagten abgewiesen.

Die Beigeladene wird verurteilt, über die Ansprüche der Klägerin zu 1 vom 15. Februar 2013 bis zum 14. Mai 2013 und der Kläger zu 2 und 3 vom 9. März 2013 bis zum 14. Mai 2013 auf Leistungen nach dem SGB XII unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden sowie ihnen vom 15. Mai 2013 bis zum 30. September 2014 Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren.

Die Beigeladene hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits für alle Instanzen zu erstatten. Ansonsten haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit sind existenzsichernde Leistungen für Unionsbürger vom 15.2.2013 bis zum 30.9.2014.

2

Die Kläger sind bulgarische Staatsangehörige. Die 1989 geborene Klägerin zu 1 reiste am 15.11.2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie hatte in Bulgarien vier Jahre die Schule besucht und ein halbes Jahr als Putzfrau gearbeitet. Sie verfügte bei ihrer Einreise über keine deutschen Sprachkenntnisse. Zu diesem Zeitpunkt war sie mit den Klägern zu 2 und 3 schwanger. Bei einer Untersuchung am 4.12.2012 wurden eine Risikoschwangerschaft und ein Frühgeburtsrisiko festgestellt; errechneter Geburtstermin war der 29.3.2013. Die Klägerin zu 1 gebar am 9.3.2013 die Kläger zu 2 und 3.

3

Am 21.12.2012 stellte sie einen Leistungsantrag beim beklagten Jobcenter und gab an, sie sei wegen ihrer Schwangerschaft von ihrem Ex-Freund bedroht worden und deshalb nach Deutschland geflohen. Sie habe Schutz vor ihm suchen müssen und gehofft, Arbeit zu finden.

4

Ab 10.1.2013 war die Klägerin zu 1 und waren später auch die Kläger zu 2 und 3 ordnungsbehördlich untergebracht. Ein von der Ausländerbehörde der beigeladenen Stadt K. im April 2013 eingeleitetes Verfahren zur Feststellung des Verlusts des Aufenthalts- und Einreiserechts der Kläger wurde seit Mitte 2013 seitens der Behörde nicht weiter betrieben, nachdem die Klägerin zu 1 in diesem Verfahren ihr Schicksal geschildert hatte.

5

Den Leistungsantrag der Klägerin zu 1 vom 21.12.2012 lehnte der Beklagte unter Hinweis auf § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 1 und 2 SGB II ab(Bescheid vom 14.2.2013; Widerspruchsbescheid vom 13.3.2013). Am 6.8.2013 stellte die Klägerin zu 1 für sich und die Kläger zu 2 und 3 einen Weiterbewilligungsantrag, den der Beklagte unter Hinweis auf § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II ablehnte(Bescheid vom 15.8.2013; Widerspruchsbescheid vom 24.10.2013).

6

Aufgrund von stattgebenden Entscheidungen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem SG Köln zahlte der Beklagte der Klägerin zu 1 vom 21.2.2013 und später auch den Klägern zu 2 und 3 bis 21.8.2013 und ab 16.9.2013 ("längstens bis zum Abschluss des Rechtsstreits S 24 AS 1392/13") vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die gegen die Ablehnungen erhobenen Klagen vor dem SG (S 24 AS 1392/13 und S 24 AS 4485/13) verband dieses zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung und verurteilte den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide, der Klägerin zu 1 "Leistungen" ab 21.1.2013 und den Klägern zu 2 und 3 ab 9.3.2013 "nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen" (Urteil vom 19.8.2014). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II nicht anzuwenden sei, da dieser gegen höherrangiges europäisches Recht verstoße.

7

Am 27.10.2014 stellten die Kläger einen Weiterbewilligungsantrag, den der Beklagte ablehnte (Bescheid vom 7.11.2014; Widerspruchsbescheid vom 3.2.2015). Hiergegen ist Klage vor dem SG erhoben (S 19 AS 597/15).

8

Gegen seine Verurteilung durch das SG legte der Beklagte Berufung beim LSG Nordrhein-Westfalen ein. Im Berufungsverfahren lud das LSG die Stadt K. nach § 75 Abs 2 Alt 2 SGG bei, weil sie bei Ablehnung des Anspruchs als Träger der Sozialhilfe nach dem SGB XII als leistungspflichtig in Betracht komme. Die Berufung des Beklagten wies das LSG zurück (Urteil vom 1.6.2015), nachdem die Klägerin zu 1 ihr Leistungsbegehren auf die Zeit ab 15.2.2013 und das Leistungsbegehren aller Kläger auf die Zeit bis 30.9.2014 beschränkt und die weitergehende Klage zurückgenommen hatte. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin zu 1 erfülle im streitigen Zeitraum die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II und sei nicht nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 1 oder 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II greife nicht ein, weil die Klägerin zu 1 am 15.11.2012 eingereist und der Dreimonatszeitraum des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB II zu Beginn des streitigen Zeitraums am 15.2.2013 bereits abgelaufen gewesen sei. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II greife nicht ein, denn die Klägerin zu 1 habe im streitigen Zeitraum kein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche innegehabt, weil ihre Arbeitsuche objektiv ohne begründete Aussicht auf Erfolg gewesen sei. Ihr hätten auch keine anderen Aufenthaltsrechte zugestanden. Auch die Kläger zu 2 und 3 hätten nicht über ein Aufenthaltsrecht verfügt. Auf Unionsbürger ohne materielles Aufenthaltsrecht finde der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II keine Anwendung. Der Klägerin zu 1 stehe deshalb Alg II und den Klägern zu 2 und 3 Sozialgeld zu, denn sie hätten mit der Klägerin zu 1 als einer erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 SGB II gelebt.

9

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II, weil die Klägerin zu 1 ein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche herleiten könne. Der Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II erfasse zudem europarechtskonform auch EU-Ausländer, die wirtschaftlich inaktiv seien, ohne über ausreichende Existenzmittel und einen Krankenversicherungsschutz zu verfügen.

10

Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. Juni 2015 und des Sozialgerichts Köln vom 19. August 2014 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

11

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Beigeladene zu verurteilen, der Klägerin zu 1 vom 15. Februar 2013 bis zum 30. September 2014 und den Klägern zu 2 und 3 vom 9. März 2013 bis zum 30. September 2014 Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren.

12

Sie tragen ua vor, der Aufenthalt der Klägerin zu 1 sei auch humanitär bedingt, sodass § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II keine Anwendung finde.

13

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Entscheidungsgründe

14

Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet. Die Urteile des LSG und des SG sind aufzuheben und die Klagen gegen den Beklagten abzuweisen, weil dieser zu Recht einen Anspruch der Kläger auf Leistungen nach dem SGB II abgelehnt hat. Jedoch sind die Klagen nicht insgesamt abzuweisen, sondern es ist als anderer leistungspflichtiger Träger nach § 75 Abs 2 Alt 2, Abs 5 SGG die Beigeladene als Sozialhilfeträger zu verurteilen, den Klägern im streitigen Zeitraum Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren.

15

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist die Aufhebung der Urteile des LSG und des SG, durch die der Beklagte zur Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II an die Kläger verurteilt worden ist, und damit letztlich das Begehren des Beklagten, die Klagen abzuweisen. Streitig ist nach den entsprechenden Erklärungen der Kläger vor dem LSG nur noch der Zeitraum für die Klägerin zu 1 vom 15.2.2013 und für die Kläger zu 2 und 3 ab Geburt vom 9.3.2013 bis jeweils zum 30.9.2014.

16

2. Zutreffende Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG). Als solche zulässig sind auch die Klagen der Kläger zu 2 und 3 gegen den Bescheid des Beklagten vom 14.2.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.3.2013 für den Zeitraum vom 9.3.2013 bis 31.7.2013. Dem steht nicht entgegen, dass beide in diesem Bescheid keine Erwähnung gefunden haben. Denn der Leistungsantrag der Klägerin zu 1 vom 21.12.2012 erfasste aufgrund von § 38 Abs 1 Satz 1 SGB II auch die Kläger zu 2 und 3 ab ihrer Geburt am 9.3.2013. Damit sind sie ebenfalls Adressaten der Leistungsablehnung durch den Bescheid vom 14.2.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.3.2013.

17

Zulässig ist auch der im Revisionsverfahren gestellte Hilfsantrag auf Verurteilung der Beigeladenen (vgl BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 13). Weder diesem Antrag noch dem mit dem Hauptantrag weiterverfolgten Leistungsantrag gegen den Beklagten steht entgegen, dass die Kläger für Teilzeiträume des streitigen Zeitraums bereits aufgrund stattgebender Entscheidungen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufige Leistungen erhalten haben (vgl BSG, aaO, RdNr 14).

18

3. Die Kläger haben im streitigen Zeitraum keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die Klägerin zu 1 erfüllt zwar die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II(dazu 4.), unterliegt jedoch dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II, der die EU-Ausländer umfasst, die weder über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung noch ein Aufenthaltsrecht verfügen(dazu 5.), was bei der Klägerin zu 1 der Fall ist, trotz eines in Betracht kommenden Aufenthaltsrechts aus humanitären Gründen (dazu 6.). Diesem Leistungsausschluss stehen nicht das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) (dazu 7.), das Recht der Europäischen Union (EU) (dazu 8.) oder das GG (dazu 9.) entgegen.

19

Doch sind den Klägern von der Beigeladenen Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren. Der Anwendbarkeit des SGB XII auf die Klägerin zu 1 steht § 21 Satz 1 SGB XII nicht entgegen(dazu 10.). Die Beigeladene muss sich die Kenntnis des Beklagten vom Existenzsicherungsbedarf der Klägerin zu 1 zurechnen lassen (dazu 11.). Zwar unterliegt die Klägerin zu 1 dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII und ist dieser mit dem EFA und dem EU-Recht vereinbar(dazu 12.), doch schließt dies nicht Ermessensleistungen nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII aus(dazu 13.). Ab 15.5.2013 kann die Klägerin zu 1 aufgrund einer Ermessensreduzierung auf null Leistungen nach dem SGB XII beanspruchen (dazu 14.). Für die Kläger zu 2 und 3 gilt im Ergebnis nichts anderes (dazu 15. und 16.).

20

4. Die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II erfüllte die 1989 geborene Klägerin zu 1 in der streitigen Zeit vom 15.2.2013 bis zum 30.9.2014 nach den Feststellungen des LSG (§ 163 SGG).

21

Sie war trotz ihrer Schwanger- und Mutterschaft erwerbsfähig nach § 8 Abs 1 SGB II und die fehlende deutsche Staatsangehörigkeit stand ihrer Erwerbsfähigkeit nach § 8 Abs 2 SGB II nicht entgegen, weil für sie als bulgarische Staatsangehörige die Möglichkeit, dass eine Beschäftigung erlaubt werden könnte, bestand und ausreicht(vgl BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 13 ff). Die Klägerin zu 1 war auch hilfebedürftig nach §§ 9, 11 ff SGB II, weil sie selbst nicht über zur Bedarfsdeckung ausreichendes zu berücksichtigendes Einkommen oder Vermögen verfügte und mit niemandem außer ihren Kindern, den Klägern zu 2 und 3, eine Bedarfsgemeinschaft bildete. Die vom LSG festgestellten Einnahmen der Klägerin zu 1 einschließlich des Elterngeldes ließen, insbesondere wegen der Höhe der festgestellten Bedarfe für Unterkunft und Heizung, ihre Hilfebedürftigkeit nicht entfallen. Die am 15.11.2012 in Deutschland eingereiste Klägerin zu 1 hatte hier auf der Grundlage der Feststellungen des LSG im streitigen Zeitraum ihren gewöhnlichen Aufenthalt (§ 30 Abs 3 Satz 1 SGB I).

22

5. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II ist auf die Klägerin zu 1 anzuwenden, weil diese sich weder auf eine Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, noch auf ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG berufen kann, das eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag.

23

Nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II sind "ausgenommen" - also keine leistungsberechtigten Personen iS des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II und ohne Leistungsberechtigung nach dem SGB II - nach Nr 1 Ausländerinnen und Ausländer, die in Deutschland keine Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder nicht nach § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts, nach Nr 2 Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen sowie nach Nr 3 Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG, wobei diese letzte Variante bei der Klägerin zu 1 von vornherein ausscheidet.

24

Über diese wortwörtlich geregelten Fälle hinaus umfasst der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II erst recht die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der EU, die keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (EU-Ausländer) und nicht über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG verfügen. Der erkennende 14. Senat schließt sich dem 4. Senat an, der dies unter Bezugnahme auf die Entstehungsgeschichte des Leistungsausschlusses, seine systematischen Zusammenhänge sowie den Sinn und Zweck der Vorschrift begründet hat (BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 19 ff; so bereits Urteile des Senats vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR, B 14 AS 18/14 R und B 14 AS 33/14 R). Es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass einerseits EU-Ausländer, die zB über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche verfügen, von Leistungen nach dem SGB II, die auch der Integration in den Arbeitsmarkt dienen sollen, ausgeschlossen sind, andererseits aber EU-Ausländern, die ohne Bereitschaft zu arbeiten oder ohne Aussicht auf Arbeit, also ohne materielle Freizügigkeitsberechtigung, und ohne ausreichende eigene finanzielle Mittel sich in Deutschland aufhalten, Leistungen nach dem SGB II zu erbringen sind.

25

Von den materiellen Freizügigkeitsberechtigungen nach dem FreizügG/EU zu unterscheiden ist die generelle Freizügigkeitsvermutung für EU-Ausländer, für deren rechtmäßige Einreise nach Deutschland ein gültiger Pass genügt (§ 2 Abs 5 FreizügG/EU). Aufgrund dieser generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt eines EU-Ausländers zumindest solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts aufgrund von § 5 Abs 4 FreizügG/EU bzw der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs 7 FreizügG/EU festgestellt und damit nach § 7 Abs 1 FreizügG/EU die sofortige Ausreisepflicht begründet hat(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 34 mwN).

26

6. Auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, oder ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG, das eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag, kann sich die Klägerin zu 1 im streitigen Zeitraum nicht berufen.

27

a) Eine Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmerin oder als Selbstständige nach § 2 Abs 2 Nr 1 oder 2 FreizügG/EU scheidet mangels dahin gehender Aktivitäten der Klägerin zu 1 aus. Das Gleiche gilt für eine nachwirkende Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmerin oder selbstständige Erwerbstätige nach § 2 Abs 3 FreizügG/EU. Die Voraussetzungen für eine Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs 2 FreizügG/EU nach der Nr 3 oder 4 (Erbringer oder Empfänger von Dienstleistungen) sowie Nr 7 (Inhaber eines Daueraufenthaltsrechts) oder als Familienangehörige nach § 2 Abs 2 Nr 6, § 3 FreizügG/EU sind den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. Aufgrund ihrer Hilfebedürftigkeit iS des § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II scheidet auch eine Freizügigkeitsberechtigung der Klägerin zu 1 als nicht Erwerbstätige nach § 2 Abs 2 Nr 5, § 4 FreizügG/EU aus.

28

b) Ein Aufenthaltsrecht der Klägerin zu 1 nach dem AufenthG, insbesondere vermittels der Günstigkeitsregelung in § 11 Abs 1 Satz 11 FreizügG/EU, das eine Ausnahme vom Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II zu rechtfertigen vermag, ist aufgrund der Feststellungen des LSG nicht ersichtlich.

29

Denn vorliegend kommt allenfalls ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht aufgrund einer Aufenthaltserlaubnis aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen nach § 25 Abs 4 AufenthG wegen der Risikoschwangerschaft der Klägerin zu 1 bei ihrer Einreise nach Deutschland und der Geburt ihrer Kinder hier in Betracht, nicht aber ein Aufenthaltsrecht mit längerfristiger Bleibeperspektive, wie es sich zB aus den aufenthaltsrechtlichen Vorwirkungen einer bevorstehenden Familiengründung ergeben kann(vgl BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34; vgl auch BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR, RdNr 30 ff). Nur ein Aufenthaltsrecht, das eine längerfristige Bleibeperspektive vermittelt und das deshalb auch einer Eingliederung in den Arbeitsmarkt nicht entgegensteht, ist geeignet als Ausnahme zu § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II den Zugang zu Leistungen nach dem SGB II zu eröffnen. Ohne längerfristige Bleibeperspektive ist die Eröffnung des Zugangs zu diesen Leistungen einschließlich denen zur Eingliederung in Arbeit nicht sachgerecht. Die hier allenfalls in Betracht kommende Erteilung und ggf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 4 Satz 1 und 2 AufenthG mag mit einem erlaubten, aber nur vorübergehenden Aufenthalt zwar eine Antwort des Aufenthaltsrechts auf eine Krisensituation der Klägerin zu 1 bieten, lässt die Anwendung des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II auf sie nach dessen Sinn und Zweck indes unberührt.

30

7. Das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA steht diesem Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nicht entgegen. Denn das EFA ist weder nach seinem sachlichen (zur Nichtanwendbarkeit des EFA im Rahmen des SGB II aufgrund des von Deutschland erklärten Vorbehalts BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR, RdNr 18 ff) noch nach seinem persönlichen Anwendungsbereich einschlägig, weil die Klägerin zu 1 bulgarische Staatsangehörige und Bulgarien kein Unterzeichnerstaat dieses Abkommens ist.

31

8. Mit EU-Recht ist dieser Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II vereinbar, wie sich aus den Entscheidungen des EuGH vom 11.11.2014 (C-333/13 - Dano, NJW 2015, 145) und vom 15.9.2015 (C-67/14 - Alimanovic, SGb 2015, 638) ergibt. Auch wenn Alg II und Sozialgeld nach dem SGB II als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen iS des Art 70 VO (EG) Nr 883/2004 und als "Sozialhilfe" iS des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG eingeordnet werden, stehen Art 24 Abs 1 iVm Art 7 Abs 1 Buchst b RL 2004/38/EG und Art 4 VO (EG) Nr 883/2004 der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten (einschließlich ihrer Familienangehörigen) vom Bezug dieser Leistungen ausgeschlossen werden, sofern diesen Staatsangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht (EuGH Urteil vom 11.11.2014, aaO, RdNr 84). Gleiches gilt für Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten (einschließlich ihrer Familienangehörigen), die nach Deutschland eingereist sind, um Arbeit zu suchen, wenn sie nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder ihnen dieser Status erhalten geblieben ist (EuGH Urteil vom 15.9.2015, aaO, RdNr 63).

32

9. Verfassungsrechtliche Bedenken stehen diesem Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nicht entgegen. Der Leistungsausschluss ist insbesondere schon deshalb mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG vereinbar, weil der Klägerin zu 1 existenzsichernde Leistungen durch die Beigeladene nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII zu gewähren sind.

33

10. Die Leistungsvoraussetzungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 19 Abs 1, § 27 Abs 1 SGB XII erfüllte die Klägerin zu 1 nach den Feststellungen des LSG zu den Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II. Hinsichtlich der nach § 18 Abs 1 SGB XII erforderlichen Kenntnis des beigeladenen Sozialhilfeträgers ist auf die Kenntnis des beklagten Jobcenters zu verweisen(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 39 mwN).

34

11. Der Anwendbarkeit des SGB XII auf die Klägerin zu 1 steht § 21 Satz 1 SGB XII nicht entgegen.

35

Die Klägerin zu 1 war danach nicht von Leistungen für den Lebensunterhalt ausgeschlossen, weil die "Systemabgrenzung" zwischen SGB II und SGB XII nicht auf das schlichte Kriterium der Erwerbsfähigkeit reduziert werden kann, sondern differenzierter ist (BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 40 ff; BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR, RdNr 38; jeweils mwN). Im Sinne der mit § 5 Abs 2 Satz 1 SGB II korrespondierenden Abgrenzungsregelung des § 21 Satz 1 SGB XII sind nach dem SGB II "als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt" grundsätzlich die Personen nicht, die auch bei Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen des SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind. Diese Personen können Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII erhalten, wenn sie nicht auch durch das SGB XII von Leistungen ausgeschlossen sind (wie zB durch § 22 SGB XII, der § 7 Abs 5 und 6 SGB II entspricht, oder durch § 23 Abs 2 SGB XII, der § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB II entspricht).

36

Dagegen spricht nicht, dass in den Gesetzesmaterialien abweichende Regelungsvorstellungen zum Ausdruck gelangt sind. Denn soweit § 21 SGB XII ausweislich der Materialien durch die Anknüpfung an die Eigenschaft als Erwerbsfähige oder deren Angehörige nach dem SGB II eine eindeutige Abgrenzung leisten sollte(Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 5.9.2003, BT-Drucks 15/1514 S 57), ist diese allein auf das Kriterium der Erwerbsfähigkeit abstellende Abgrenzung der existenzsichernden Leistungssysteme in den gesetzlichen Abgrenzungsregelungen des SGB II und des SGB XII so nicht verwirklicht worden. Zudem sind diese seit ihrem Inkrafttreten am 1.1.2005 bereits mehrfach geändert worden.

37

12. Die Klägerin zu 1 unterliegt indes dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII. Danach haben Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, sowie ihre Familienangehörigen keinen Anspruch auf Sozialhilfe.

38

a) Zwar ist die Klägerin zu 1 nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG nicht eingereist, um iS des § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB XII Sozialhilfe zu erlangen. Hierfür wäre Voraussetzung, dass der Zweck, Sozialhilfe zu erlangen, den Einreiseentschluss geprägt hat (BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 45 mwN). Ein solcher finaler Zusammenhang ist hier nicht gegeben, denn die Klägerin zu 1 ist eingereist zu ihrem und zum Schutz ihrer ungeborenen Kinder vor ihrem Ex-Freund. Doch sind ebenso wie nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II nach § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB XII EU-Ausländer, die weder über eine Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, noch ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG verfügen, vom Anspruch auf Sozialhilfe ausgeschlossen(BSG, aaO, RdNr 48 ff).

39

b) Das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA steht diesem Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 nicht entgegen (zur Anwendbarkeit des EFA im Rahmen des SGB XII BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 59/13 R - juris RdNr 20 ff), weil die Klägerin zu 1 bulgarische Staatsangehörige und Bulgarien kein Unterzeichnerstaat dieses Abkommens ist. Durchgreifende Gründe, dieses völkerrechtliche Abkommen zwischen bestimmten Staaten, die zwar (mittlerweile) größtenteils zur EU gehören, auf die Staatsangehörigen auch anderer Mitgliedstaaten der EU auszudehnen (so wohl Eichenhofer, SGb 2011, 458), sind nicht zu erkennen (BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR, RdNr 34). Der Ausschluss vom Anspruch auf Sozialhilfe ist auch mit dem EU-Recht vereinbar; hier gilt nichts anderes wie zum Leistungsausschluss im SGB II.

40

13. Die Anwendung des Leistungsausschlusses nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII führt indes nicht zum Ausschluss auch von Ermessensleistungen nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII.

41

§ 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII beinhaltet, wie schon dem Wortlaut entnommen werden kann, nur einen Ausschluss von einem Anspruch auf Sozialhilfe iS des § 23 Abs 1 Satz 1 SGB XII, nicht aber von im Wege des Ermessens zu gewährenden Leistungen der Sozialhilfe, wie sie § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII vorsieht(BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 51 f mwN, auch auf die Rspr des BVerwG zur Vorläufervorschrift in § 120 BSHG). Aufgrund dieser Ermessensregelung in § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII kommen für vom Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII erfasste Personen auch die Leistungen nach dem SGB XII in Betracht, auf die für nicht vom Leistungsausschluss erfasste Personen ein Anspruch nach § 23 Abs 1 Satz 1 SGB XII besteht. Dieses Verständnis des systematischen Verhältnisses von § 23 Abs 3 Satz 1 SGB XII zu § 23 Abs 1 Satz 1 und 3 SGB XII, das den Zugang zu den Leistungen nach dem SGB XII, insbesondere der Hilfe zum Lebensunterhalt, eröffnet, ist angezeigt in einer verfassungsrechtlichen Perspektive durch das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG(zu diesem grundlegend BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12) bei einem tatsächlichen Aufenthalt eines Ausländers in Deutschland, gegen den ausländerbehördliche Maßnahmen nicht ergriffen werden, sondern dessen Aufenthalt faktisch geduldet wird (vgl zur Geltung des Grundrechts als Menschenrecht für ausländische Staatsangehörige, die sich in Deutschland aufhalten, BVerfG Urteil vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10 ua - BVerfGE 132, 134, insbesondere RdNr 63; dort auch RdNr 92 ff zur insoweit ohnehin nur begrenzten Relevanz der Aufenthaltsdauer).

42

Auf die Möglichkeit einer Heimkehr des Ausländers in sein Herkunftsland kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Diese Möglichkeit ist im Hinblick auf die Ausgestaltung des genannten Grundrechts als Menschenrecht schon verfassungsrechtlich jedenfalls solange unbeachtlich, wie der tatsächliche Aufenthalt in Deutschland von den zuständigen Behörden faktisch geduldet wird. Ungeachtet dessen findet der Verweis auf eine so verstandene Selbsthilfe in dieser Lage nach dem derzeit geltenden Recht auch sozialhilferechtlich keine Grundlage. Zwar erhält Sozialhilfe nach dem Nachranggrundsatz des § 2 Abs 1 SGB XII nicht, wer sich - vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens - selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Diese Vorschrift ist jedoch nach der Rechtsprechung des Sozialhilfesenats des BSG keine eigenständige Ausschlussnorm, sondern ihr kommt regelmäßig nur im Zusammenhang mit ergänzenden bzw konkretisierenden sonstigen Vorschriften des SGB XII Bedeutung zu; ein Leistungsausschluss ohne Rückgriff auf andere Normen des SGB XII ist mithin allenfalls in extremen Ausnahmefällen denkbar, etwa wenn sich der Bedürftige generell eigenen Bemühungen verschließt und Ansprüche ohne Weiteres realisierbar sind (stRspr; vgl zuletzt BSG Urteil vom 22.3.2012 - B 8 SO 30/10 R - BSGE 110, 301 = SozR 4-3500 § 54 Nr 8, RdNr 25 mwN). Für die Annahme einer solchen Ausnahmelage fehlt indes - nachdem eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für einen Verweis auf die Rückkehr in das Heimatland nach geltendem Recht im SGB XII nicht besteht - ohne Begründung einer Ausreisepflicht des Ausländers als Ergebnis eines ausländerbehördlichen Verfahrens schon im Ansatz jeder Anhaltspunkt.

43

Auf dieser Grundlage hat die Klägerin zu 1 zunächst einen Anspruch gegen die Beigeladene auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Diese wird über das Leistungsbegehren der Klägerin zu 1 für die Zeit vom 15.2.2013 bis 14.5.2013 eine Ermessensentscheidung dem Grunde und der Höhe nach zu treffen haben. Bei dieser ist zu berücksichtigen, dass zum einen Ermessensgesichtspunkte dafür, Leistungen ganz abzulehnen, nicht ersichtlich sind, und zum anderen, dass neben den unmittelbar existenzsichernden Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 27 ff SGB XII auch Leistungen im Rahmen der Hilfen zur Gesundheit nach §§ 47 ff SGB XII in Betracht kommen, zumal für die in dieser Zeit hochschwangere Klägerin zu 1, die am 9.3.2013 ihre beiden Kinder gebar.

44

14. Ab 15.5.2013 stehen der Klägerin zu 1 sodann nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII aufgrund einer Ermessensreduzierung auf null Leistungen nach dem SGB XII zu.

45

Das Ermessen der Beigeladenen ist ab diesem Zeitpunkt dem Grunde und der Höhe nach auf null reduziert, weil sich der Aufenthalt der Klägerin zu 1 nach Ablauf von sechs Monaten tatsächlichem Aufenthalt in Deutschland so verfestigt hat, dass die Erbringung existenzsichernder Leistungen nur im Einzelfall nach Ermessen den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht mehr genügt (vgl BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung vorgesehen in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43, RdNr 53 ff). Aufgrund dieser Anforderungen können EU-Ausländern nach Ablauf von sechs Monaten keine oder nur verminderte existenzsichernde Leistungen im Ermessenswege allenfalls gewährt werden, wenn sich ihr Aufenthalt trotz dieses Zeitablaufs entgegen dem Regelfall nicht verfestigt hat oder sie sich nur noch absehbar kurzzeitig in Deutschland aufhalten (vgl BSG, aaO, RdNr 58). Dies ist bei der Klägerin zu 1 nicht der Fall, nachdem die Ausländerbehörde das innerhalb der ersten sechs Monate eingeleitete Verlustfeststellungsverfahren aufgrund des Schicksals der Klägerin zu 1 nicht weiter betrieben und ihren weiteren Aufenthalt in Deutschland faktisch geduldet hat. Doch steht die Einleitung dieses Verlustfeststellungsverfahrens zugleich der ausnahmsweisen Annahme einer Aufenthaltsverfestigung abweichend vom Regelfall bereits vor Ablauf von sechs Monaten entgegen; eine Ermessensreduzierung auf null vor dem 15.5.2013 scheidet aus.

46

Mit der Verfestigung ihres tatsächlichen, von der Ausländerbehörde faktisch geduldeten Aufenthalts stehen der Klägerin zu 1 ausgehend vom Tag ihrer Einreise am 15.11.2012 nach Ablauf von sechs Monaten ab 15.5.2013 dem Grunde und der Höhe nach die gesetzlichen existenzsichernden Leistungen nach dem SGB XII zu. Auch insoweit gilt, dass diese Leistungen neben der Hilfe zum Lebensunterhalt auch die Hilfen zur Gesundheit nach dem SGB XII umfassen.

47

15. Für die am 9.3.2013 in Deutschland geborenen Kläger zu 2 und 3 gilt im Ergebnis nichts anderes. Sie haben keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II.

48

Abgesehen von dem hier nicht einschlägigen § 7 Abs 2 Satz 3 SGB II könnten sie einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II nur über eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 SGB II mit einer leistungsberechtigten Person haben. Die dafür vorliegend allein infrage kommende Klägerin zu 1 ist jedoch keine leistungsberechtigte Person nach dem SGB II, sondern - wie oben gezeigt - von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.

49

16. Doch sind ebenso wie für die Klägerin zu 1 auch für die Kläger zu 2 und 3 im streitigen Zeitraum Leistungen nach dem SGB XII zu gewähren. Die Leistungsvoraussetzungen der Hilfe zum Lebensunterhalt erfüllten sie nach den Feststellungen des LSG zu den Voraussetzungen des § 7 Abs 2 Satz 1, Abs 3 Nr 4 SGB II.

50

Als Familienangehörige iS des § 3 Abs 1, Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU eines sich in Deutschland aufhaltenden EU-Ausländers unterliegen wie die Klägerin zu 1 zwar auch sie dem Leistungsausschluss nach § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 2 SGB XII. Für die Zeit vom 9.3.2013 bis 14.5.2013 haben sie indes wie die Klägerin zu 1 als deren mit ihr in einem Haushalt lebende Kinder aufgrund von § 23 Abs 1 Satz 3 SGB XII gegen die Beigeladene einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über Leistungen nach dem SGB XII. Ab 15.5.2013 stehen sodann auch ihnen aufgrund einer Ermessensreduzierung auf null dem Grunde und der Höhe nach die Leistungen nach dem SGB XII zu. Zwar hielten sie sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht länger als sechs Monate tatsächlich in Deutschland auf, doch kommen keine Ermessensgesichtspunkte dafür in Betracht, der Klägerin zu 1, ihrer Mutter, ab diesem Zeitpunkt Leistungen nach dem SGB XII im Wege einer Ermessensreduzierung auf null zuzuerkennen, den Klägern zu 2 und 3 aber noch nicht.

51

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. November 2013 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 3.11.2010 bis zum 19.6.2011.

2

Die Kläger sind rumänische Staatsangehörige. Die 1978 geborenen Kläger zu 1 und 2 leben seit 1992 zusammen, ohne verheiratet zu sein; der im November 1997 geborene Kläger zu 3, der im streitigen Zeitraum eine Schule besuchte und für den sie Kindergeld erhielten, ist ihr gemeinsamer Sohn.

3

Der Kläger zu 1 besuchte in Rumänien vier Jahre die Schule. Er verfügt über keine Berufsausbildung und besitzt einen Führerschein der Klasse B. Von 1999 bis 2008 lebte und arbeitete er als Saisonarbeiter in der Tomatenernte in Belgien. Ende September 2008 kam er nach Deutschland und wohnt seit dem 25.9.2009 in G Für die Zeit vom 19.3. bis zum 19.6.2009 wurde ihm eine Freizügigkeitsbescheinigung erteilt. Nachdem die Stadt G zunächst die erneute Ausstellung einer Freizügigkeitsbescheinigung verweigert hatte, wurde ihm eine solche erneut am 17.6.2011 ausgestellt. Im Besitz einer unbefristeten Arbeitsberechtigung/EU ist er seit Oktober 2011.

4

Die Klägerin zu 2 erlernte nach vierjährigem Schulbesuch in Rumänien keinen Beruf. In der Zeit von 1999 bis 2008 lebte sie mit den Klägern in Belgien. Seit September 2009 bis zur zwangsweisen Räumung der Wohnung im Juni 2011 bewohnte die Familie eine Wohnung in G Die Klägerin zu 2 besuchte 2010 für etwa acht Monate einen Integrationskurs (Deutschkurs) und ist seit Januar 2012 mit Unterbrechungen als Reinigungskraft mit einem monatlichen Entgelt in Höhe von 100 Euro bzw - ab Februar - 200 Euro monatlich tätig.

5

Neben einer Unterstützung durch caritative Einrichtungen (Diakonie, Tafel) und Familienangehörige erzielten die Kläger eigene Einkünfte (120 bis 130 Euro monatlich) durch die Verbreitung der Obdachlosenzeitung "fiftyfifty", die von mehreren Wohlfahrtsverbänden herausgegeben wird. Die Verteiler der Zeitschrift erhalten einen Ausweis, aus dem hervorgeht, dass "fiftyfifty"-Vertreiber von materieller Armut betroffen sind. Die Zeitung wurde im streitigen Zeitraum vom Verlag für 0,90 Euro an die Vertreiber ausgegeben und für 1,80 Euro verkauft.

6

Nachdem die Kläger zunächst bis Oktober 2010 SGB II-Leistungen erhalten hatten, lehnte der Beklagte ihren Antrag vom 3.11.2010 ab (Bescheid vom 9.11.2010; Widerspruchsbescheid vom 29.12.2010). Die Klage hatte keinen Erfolg (Urteil des SG vom 20.11.2012). Auf ihre Berufung hat das LSG das erstinstanzliche Urteil geändert und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 9.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.12.2010 verurteilt, "den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Regelleistung und Kosten der Unterkunft) für die Zeit vom 3.11.2010 bis zum 19.6.2011 unter Anrechnung monatlichen Einkommens der Kläger zu 1 und 2 von jeweils 130 Euro und des Klägers zu 3 von 184 Euro (Kindergeld) nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren" (Urteil vom 28.11.2013). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, dass die Kläger zu 1 und 2 zwar die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 S 1 SGB II erfüllten, jedoch wegen eines Aufenthalts allein zur Arbeitsuche von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen seien. Hieran ändere die längere Arbeitslosigkeit der Kläger zu 1 und 2 nichts. Die Arbeitsuche der Kläger zu 1 und 2 sei prognostisch nicht ohne begründete Aussicht auf Erfolg gewesen. Sie möge sich, wie die lange Zeit der Arbeitslosigkeit zeige, schwierig gestaltet haben. Sie möge auch deshalb von vornherein weniger Aussicht auf Erfolg versprochen haben, weil die Kläger nicht auf eine Berufsausbildung verweisen könnten. Trotzdem seien sie in ihrem bisherigen Aufenthaltsstaat Belgien über Jahre im ersten Arbeitsmarkt beschäftigt gewesen. Angesichts ihrer bisherigen Erwerbsbiografie sei nicht ersichtlich, dass ihre Bemühungen auf dem deutschen Arbeitsmarkt im Leistungszeitraum von vornherein objektiv nicht hätten erfolgreich sein können/sollen, zumindest wieder als Saisonarbeiter tätig zu sein. Bei der Bewertung der längeren Zeit erfolgloser Bemühungen sei zudem zu berücksichtigen, dass die Kläger nur in der Zeit des geregelten Leistungsbezugs durch den Beklagten bei der Arbeitsuche durch sog aktivierende Leistungen unterstützt worden seien. Vor diesem Hintergrund seien die Eigenbemühungen jedenfalls nach Durchlaufen eines Integrationskurses auch zum Erlernen der deutschen Sprache für die Klägerin erfolgreich, die sich nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck deutlich besser verständigen könne; beim Kläger zu 1, der diesen Kurs erst noch absolvieren werde, dauerten sie an. Gleichwohl hätten die Kläger einen Leistungsanspruch nach dem SGB II, denn der Leistungsausschluss sei europarechtswidrig, weil er gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art 4 der Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO Nr 883/2004) verstoße.

7

Mit seiner hiergegen gerichteten Revision macht der Beklagte geltend, ein Anwendungsvorrang europäischen Sekundärrechts bestehe nicht. Es sei grundsätzlich Sache der Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaats, die Voraussetzungen für einen Anspruch auf besondere beitragsunabhängige Geldleistungen festzulegen.

8

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 28. November 2013 aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20. November 2012 zurückzuweisen.

9

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

10

Sie machen geltend, mit sekundärem Gemeinschaftsrecht sei es nicht vereinbar, dass ein Unionsbürger, der sich allein zur Arbeitsuche zulässig in Deutschland aufhalte oder aufgehalten habe, ohne dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen eingeleitet seien, automatisch und ohne Möglichkeit einer weiteren Einzelfallprüfung unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen werde.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Das Urteil des LSG ist aufzuheben, soweit der Beklagte zur Erbringung von SGB II-Leistungen verurteilt worden ist. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (2). Der Senat kann aber nicht abschließend entscheiden, weil das Verfahren an dem in der Revisionsinstanz fortwirkenden Mangel leidet, dass das LSG den für eine mögliche Leistung nach §§ 27 ff SGB XII zuständigen Sozialhilfeträger nicht nach § 75 Abs 2 2. Alt SGG - mit der Möglichkeit der Verurteilung nach § 75 Abs 5 SGG - beigeladen hat(3).

12

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Urteil des LSG vom 28.11.2013, das Urteil des SG vom 20.11.2012 sowie der SGB II-Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ablehnende Bescheid des Beklagten vom 9.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.12.2010. In zeitlicher Hinsicht haben die Kläger den geltend gemachten Anspruch auf den Zeitraum vom 3.11.2010 bis 19.6.2011 unter Berücksichtigung der Rechtsprechung der beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate beschränkt, wonach ein nachfolgender Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, hier derjenige vom 20.6.2011, den im sozialgerichtlichen Verfahren streitigen Leistungszeitraum begrenzt (vgl nur BSG Urteil vom 1.6.2010 - B 4 AS 67/09 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 28 RdNr 13 mwN).

13

2. a) Die Kläger haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gegen den Beklagten. Unbesehen ihrer Hilfebedürftigkeit iS des § 7 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB II iVm § 9 SGB II, ihres gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland(§ 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II; vgl zum Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 17 ff)und der Erfüllung der Altersgrenzen des § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II im streitigen Zeitraum zumindest durch die Kläger zu 1 und 2 sowie deren Erwerbsfähigkeit(§ 7 Abs 1 S 1 Nr 2 iVm § 8 SGB II - auch nach § 8 Abs 2 SGB II, weil ihnen als Rumänen trotz seinerzeit nur eingeschränkter Arbeitnehmerfreizügigkeit als EU-Ausländern die Aufnahme einer Beschäftigung hätte erlaubt werden können - vgl BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 14 ff)sind sie von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufgrund von § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II(idF vom 28.8.2007 durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007, BGBl I 1970, 2008) ausgeschlossen. Danach sind von den benannten Leistungen ausgenommen 1. Ausländerinnen und Ausländer, Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige, die weder in der Bundesrepublik Deutschland noch aufgrund des § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts und 2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen. Der Ausschlussgrund des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II kommt wegen des durchgehenden Aufenthalts der Kläger im Bundesgebiet seit September 2009 von vornherein nicht in Betracht.

14

b) Die Kläger zu 1 und 2 unterfallen jedoch dem Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II iS von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II. Es kann hier dahinstehen, ob sie im streitigen Zeitraum weiterhin - entsprechend den Feststellungen und rechtlichen Wertungen des LSG - über eine materielle Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitsuchende verfügten (vgl zum rechtlichen Maßstab für die Voraussetzungen eines unionsrechtlich geprägten Aufenthaltsrechts zur Arbeitsuche iS des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II und dessen möglichen Verlust nunmehr BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43 vorgesehen, RdNr 16 ff mwN; siehe auch BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 29 ff mwN). Soweit sie über eine solche Freizügigkeitsberechtigung verfügen sollten, wären sie - hiervon ist auch bereits das LSG ausgegangen - ebenso wie für den Fall, dass keine Freizügigkeitsberechtigung mehr gegeben sein sollte, nicht leistungsberechtigt iS des § 7 Abs 2 Nr 2 SGB II. Nach der Rechtsprechung der beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG sind - über den Wortlaut der genannten Regelung hinaus - auch diejenigen Unionsbürger "erst-recht" von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgenommen, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen. Die Vorschrift des § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist insoweit planwidrig lückenhaft, als sie nicht ausdrücklich den Ausschluss auch derjenigen normiert, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen, weil sie einen Leistungsausschluss schon für solche Ausländer anordnet, die sich auf eine solche materielle Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des FreizügG/EU berufen können(vgl ausführlich Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43 vorgesehen, RdNr 19 ff; BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - RdNr 20 zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; BSG Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R - RdNr 24 zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, auch zur Abgrenzung einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung von der generellen Freizügigkeitsvermutung).

15

In dieser Auslegung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II ist die Ausschlussregelung nach den Entscheidungen des EuGH in der Rechtssache Dano(Urteil vom 11.11.2014 - C-333/13 - NZS 2015, 20 ff) und in der Rechtssache Alimanovic (Urteil vom 15.9.2015 - C-67/14 - SGb 2015, 638 ff) europarechtskonform (vgl auch Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43 vorgesehen, RdNr 35; BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - RdNr 35 zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; BSG Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R - RdNr 31 zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Eine vom Berufungsgericht mit Bezug auf die Entscheidung des EuGH vom 19.9.2013 (C-140/12 ) noch gesehene Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls im Sinne einer Verhältnismäßigkeitsprüfung des SGB II-Leistungsausschlusses ist in den genannten Entscheidungen des EuGH nicht mehr gefordert worden. Vielmehr wurde betont, dass "ein Zeitraum von sechs Monaten nach Beendigung einer Erwerbstätigkeit, in dem der Anspruch auf Sozialhilfe aufrechterhalten" bleibe, eine "Rechtssicherheit und Transparenz" gewährleistende Regelung sei, die "zugleich im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" stehe (Urteil vom 15.9.2015 - C-67/14 - juris RdNr 61; vgl auch Eichenhofer in ZESAR 2016, 37, 38).

16

c) Unter Berücksichtigung der Feststellungen des LSG liegen bei den Klägern zu 1 und 2 auch nicht die Voraussetzungen für eine andere materielle Freizügigkeitsberechtigung als diejenige zur Arbeitsuche bzw für ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG, insbesondere vermittels der Günstigkeitsregelung in § 11 Abs 1 FreizügG/EU, vor(vgl zu dem Prüfungsmaßstab im Rahmen der Ausschlussklausel des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II insofern: BSG Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 34), das eine Ausnahme vom Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag. Sie waren - wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat - insbesondere nicht als Arbeitnehmer freizügigkeitsberechtigt (vgl zu dem europarechtlich geprägten Begriff des Arbeitnehmers in § 7 Abs 1 S 2 SGB II und die Ablehnung der Arbeitnehmereigenschaft in einem gleichgelagerten Sachverhalt bei Verkauf der Obdachlosenzeitschrift "fiftyfifty" - Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43 vorgesehen, RdNr 26 ff). Die Kläger unterfallen daher dem Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II iS von § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II.

17

3. Verfassungsrechtliche Bedenken stehen dem Leistungsausschluss der Kläger nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II nicht entgegen, weil für sie - nach der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung der beiden für die Grundsicherung zuständigen Senate des BSG - existenzsichernde Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII seitens des zuständigen Sozialhilfeträgers(nach so genannter unechter notwendiger Beiladung <§ 75 Abs 2 2. Alt SGG>; vgl nur BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242, 245 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 12; BSG Urteil vom 25.4.2013 - B 8 SO 16/11 R - RdNr 10) in Betracht kommen (vgl zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt: Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43 vorgesehen; BSG Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

18

Über diesen Anspruch konnte der Senat jedoch nicht abschließend befinden. Es sind insoweit rechtliche und - bezogen auf den Sozialhilfeanspruch - tatsächliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die im bisherigen Klageverfahren noch nicht erörtert werden konnten. Dies betrifft ggf auch Feststellungen des LSG zur aufenthaltsrechtlichen Situation der Kläger in dem hier streitigen Zeitraum (vgl BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - RdNr 55 ff - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43 vorgesehen). Zwar haben die Kläger die unterbliebene unechte notwendige Beiladung in der Revisionsinstanz im Wege der Verfahrensgegenrüge geltend gemacht (BSG Urteil vom 7.2.2002 - B 7 AL 28/01 R - ZfS 2002, 238; BSGE 61, 197, 199 = SozR 7323 § 9 Nr 1 S 2; BSGE 59, 284, 290 = SozR 2200 § 539 Nr 114 S 323; BSG SozR 1500 § 75 Nr 47; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 170 RdNr 4a mwN). Von der nach § 168 S 2 SGG eröffneten Möglichkeit, den zuständigen Sozialhilfeträger mit seiner Zustimmung noch im Revisionsverfahren beizuladen, hat der Senat jedoch aus den soeben dargelegten Gründen keinen Gebrauch gemacht. Eine abschließende Entscheidung würde daher auch das rechtliche Gehör (§ 62 SGG) des beizuladenden Sozialhilfeträgers verletzen (vgl BSG Urteil vom 2.2.2010 - B 8 SO 20/08 R - RdNr 11).

19

Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. November 2009 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Revisionsverfahren.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1.3.2009 bis zum 11.11.2009. Zwischen den Beteiligten ist insbesondere streitig, ob der Kläger als französischer Staatsangehöriger von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist, weil sich sein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt.

2

Der 1971 geborene Kläger reiste am 18.12.2007 in die Bundesrepublik ein. Der französische Träger der Arbeitslosenversicherung hatte ihm zuvor auf dem Vordruck E 303 bescheinigt, dass er unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit habe. Seit diesem Tag wohnt er in Berlin. Der Kläger meldete sich am 28.1.2008 bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) arbeitslos und bezog zunächst bis zum 17.3.2008 Arbeitslosengeld. In der Folgezeit erhielt er ab dem 28.4.2008 und - bis auf wenige Tage Unterbrechung - bis zum 28.2.2009 Arbeitslosengeld II (Alg II). Seit dem 2.6.2008 ist er im Besitz einer Bescheinigung nach § 5 des Gesetzes über die Allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern(Freizügigkeitsgesetz/EU ).

3

Vom 1.2.2008 bis zum 23.6.2008 übte der Kläger eine Tätigkeit als Handwerkshelfer mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 7,5 Stunden und einem monatlichen Entgelt von 100 Euro aus. Das Arbeitsverhältnis endete nach einer Kündigung durch den Arbeitgeber. Zum 1.1.2009 meldete der Kläger ein Gewerbe "An- u. Verkauf, Trödel-Kafé, Kaffeeausschank" an. Da jedoch kein Vertrag über die Anmietung der Geschäftsräume zustande kam, zerschlug sich das Geschäftsgründungsvorhaben am 5.1.2009. Die Abmeldung des Gewerbes erfolgte erst im April 2009 "rückwirkend" zum 1.1.2009.

4

Am 9.2.2009 stellte der Kläger bei dem Beklagten einen Fortzahlungsantrag für den Zeitraum ab dem 1.3.2009. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 31.3.2009 und Widerspruchsbescheid vom 27.7.2009 mit der Begründung ab, der Kläger sei nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II inzwischen von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen, weil er alleine wegen seiner Eigenschaft als Arbeitsuchender freizügigkeitsberechtigt sei. Nach dem Ende seiner Beschäftigung sei er gemäß § 2 Abs 3 Satz 2 FreizügG/EU nur für die Dauer von weiteren sechs Monaten leistungsberechtigt nach dem SGB II gewesen.

5

Die Klage blieb ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts vom 20.10.2009). Auf die Berufung des Klägers haben sich die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht (LSG) am 11.11.2009 hinsichtlich der Kosten der Unterkunft verglichen. Im Übrigen hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und den Beklagten unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verurteilt, dem Kläger Alg II in Form der Regelleistung für die Zeit vom 1.3.2009 bis zum 11.11.2009 dem Grunde nach zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei leistungsberechtigt nach dem SGB II. Dem stehe der Leistungsausschluss in § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II nicht entgegen. Zwar ergebe sich das Aufenthaltsrecht des Klägers im streitigen Zeitraum alleine aus dem Zweck der Arbeitsuche (§ 2 Abs 2 Nr 1 Alt 2 FreizügG/EU). Ein Wegfall dieses Aufenthaltsrechts komme nur dann in Betracht, wenn aufgrund objektiver Umstände davon auszugehen sei, dass der Unionsbürger keinerlei ernsthafte Absichten verfolge, eine Beschäftigung aufzunehmen. Davon könne im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden. Auch könne letztlich dahinstehen, ob der Leistungsausschluss wegen Verstoßes gegen europäisches Gemeinschaftsrecht unanwendbar sei. Dies hänge maßgeblich davon ab, ob Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II als "Sozialhilfe" im Sinne von Art 24 Abs 2 der so genannten Unionsbürgerrichtlinie ( Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004, ABl 2004 L Nr 158, 77) anzusehen seien. Diese Frage bedürfe hier aber keiner abschließenden Entscheidung, weil der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II für solche Hilfebedürftigen einschränkend auszulegen sei, die durch das Europäische Fürsorgeabkommen( vom 11.12.1953 BGBl II 1956, 564) begünstigt würden. Nach Art 1 EFA habe der Kläger danach Anspruch auf "Fürsorge" wie ein deutscher Staatsangehöriger, der sich im Inland gewöhnlich aufhalte. Als Leistungen der Fürsorge seien nach dem Außerkrafttreten des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) am 31.12.2004 nicht nur die im Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), sondern auch die im SGB II für Hilfebedürftige geregelten Leistungen anzusehen. Unerheblich sei, dass die Bundesrepublik Deutschland entgegen der sich aus Art 16 Abs a) und b) des EFA ergebenden Verpflichtung dem Generalsekretär des Europarates das Außerkrafttreten des BSHG bislang nicht mitgeteilt habe, weil die im Anhang I des Abkommens genannte Aufzählung der entsprechenden Fürsorgegesetze lediglich eine klarstellende Bedeutung zukomme. Auch sei nicht entscheidungserheblich, ob das EFA zur Vermeidung von Wanderungsbewegungen aus einem Sozialleistungssystem in ein anderes nur auf diejenigen Ausländer Anwendung finde, die sich zur Zeit des Eintritts der Hilfebedürftigkeit bereits in dem um Hilfe angegangenen Staat erlaubt aufhielten, weil der Kläger zum Zeitpunkt der Einreise noch über ausreichende Mittel zur Existenzsicherung verfügte habe.

6

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner vom LSG zugelassenen Revision. Er rügt eine Verletzung des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II und weist darauf hin, dass der Leistungsausschluss der Umsetzung des in Art 24 Abs 2 UBRL geregelten Vorbehalts diene. Diese Regelungen seien neuer und damit vorrangig vor dem EFA aus dem Jahr 1953. Zwar handele es sich bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II um "Sozialhilfe" iS des Art 24 Abs 2 UBRL. Das SGB II könne aber neben dem SGB XII gleichwohl nicht als "weiteres" Nachfolgegesetz zum BSHG angesehen werden. Denn im Wesentlichen habe das SGB II die Nachfolge der zuvor im Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) geregelten Arbeitslosenhilfe (Alhi) angetreten. Die Alhi aber sei dem EFA nicht unterfallen. Im Übrigen finde das EFA nur auf die im Anhang von den Vertragsstaaten gemeldeten nationalen Fürsorgegesetze Anwendung.

7

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. November 2009 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Oktober 2009 zurückzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält das mit der Revision angegriffene Urteil für zutreffend und weist ergänzend darauf hin, dass ein Anspruch auch dann bestünde, wenn er nicht durch das EFA begünstigt würde. Denn der Leistungsausschluss verstoße auch gegen europäisches Primärrecht. Bei den Leistungen nach dem SGB II handele es sich um finanzielle Leistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats erleichtern sollen. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sei insoweit das Gleichbehandlungsgebot zu beachten.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision ist unbegründet.

11

Das LSG hat zutreffend entschieden, dass dem Kläger für den Zeitraum vom 1.3.2009 bis zum 11.11.2009 ein Anspruch auf Gewährung der Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zusteht. Der Kläger erfüllt die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II(dazu unter 2). Seinem Anspruch steht der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II nicht entgegen(dazu unter 3).

12

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 31.3.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.7.2009, mit dem der Beklagte die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit ab dem 1.3.2009 abgelehnt hat. Der streitige Zeitraum erstreckt sich in Fällen ablehnender Verwaltungsentscheidungen bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht (vgl nur Urteil des Senats vom 7.5.2009 - B 14 AS 41/07 R - juris mwN), hier also bis zum 11.11.2009. Die Beteiligten haben darüber hinaus den Streitgegenstand im Berufungsverfahren zulässigerweise beschränkt, indem sie über die Kosten der Unterkunft einen Teilvergleich abgeschlossen haben (vgl zur Zulässigkeit einer solchen Begrenzung des Streitgegenstandes nur BSGE 97, 217, 223 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, jeweils RdNr 19 sowie zuletzt Urteil des Senats vom 21.12.2009 - B 14 AS 42/08 R -, zur Veröffentlichung vorgesehen).

13

2. Der Kläger erfüllt nach den Feststellungen des LSG die Leistungsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II. Er ist gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 2 iVm § 8 SGB II erwerbsfähig und - nach den den Senat bindenden Feststellungen des LSG(§ 163 Sozialgerichtsgesetz) - auch hilfebedürftig gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 iVm § 9 SGB II. Der Kläger verfügt gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB II iVm § 30 Abs 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) auch über einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Er ist bereits Ende 2007 in die Bundesrepublik eingereist. Seitdem hält er sich hier unter Umständen auf, die erkennen lassen, dass er nicht nur vorübergehend verweilt. Offen bleiben kann hier, ob der an tatsächlichen Umständen zu messende Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes bei Ausländern durch zusätzliche rechtliche Voraussetzungen eingeschränkt wird (BSG SozR 3-2600 § 56 Nr 7 S 34). Zur alten Rechtslage bis zum 1.4.2006 hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass Ausländer, die tatsächlich dauerhaft im Inland verweilen, nur dann einen gewöhnlichen Aufenthalt haben, wenn sie sich berechtigterweise hier aufhalten (BSG aaO; BSGE 65, 261, 263 f = SozR 7833 § 1 Nr 7; vgl - speziell zu § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB II - auch BSGE 98, 243, 246 f = SozR 4-4200 § 12 Nr 4, jeweils RdNr 19; Valgolio in Hauck/Noftz, Stand Juni 2010, § 7 SGB II RdNr 95; kritisch zu der Verrechtlichung des rein tatsächlichen Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 7 RdNr 11).

14

Dass der Kläger sich rechtmäßig in der Bundesrepublik aufhält, ergibt sich bereits daraus, dass er über eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 FreizügG/EU verfügt(aA Hessisches LSG, FEVS 59, 110, 115 f). Gegen eine Rechtmäßigkeit des Aufenthalts spricht auch nicht, dass dieser Bescheinigung nach dem Wortlaut der Vorschrift ("… über das Aufenthaltsrecht ausgestellt") nur deklaratorischer Charakter im Hinblick auf das sich unmittelbar aus Gemeinschaftsrecht ergebende Freizügigkeitsrecht zukommt (vgl nur statt aller Geyer in HK-AuslR, 2008, § 5 FreizügG/EU RdNr 1)und es sich um keinen Aufenthaltstitel handelt (vgl § 2 Abs 4 Satz 1 FreizügG/EU). Denn es entspricht der gesetzlichen Konzeption des Freizügigkeitsrechts, von der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts auszugehen, solange die Ausländerbehörde nicht von ihrer Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, den Verlust oder das Nichtbestehen des Aufenthaltsrechts nach § 5 Abs 5 FreizügG/EU festzustellen und die Bescheinigung über das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht einzuziehen(so auch die gesetzliche Begründung zum Zuwanderungsgesetz, vgl BT-Drucks 15/420, 106; vgl auch die Hinweise der Bundesagentur für Arbeit zu § 7 SGB II in der Fassung vom 20.1.2010, Ziffer 7.2d, sowie Ziffer 5.5.1.3. der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Freizügigkeitsgesetz/EU vom 26.10.2009, GMBl 2009, 1270). Die Ausreisepflicht nach § 7 Abs 1 Satz 1 FreizügG/EU wird erst mit dieser Verlustfeststellung begründet.

15

3. Der Kläger ist auch nicht nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift sind ausgenommen von Leistungen nach dem SGB II zunächst Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbstständige noch auf Grund des § 2 Abs 3 des FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, des Weiteren Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen sowie zuletzt Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG).

16

Der Kläger ist als französischer Staatsangehöriger Ausländer im Sinne dieser Vorschrift. Er ist aber nicht leistungsberechtigt nach § 1 AsylbLG und hält sich nach den Feststellungen des LSG bereits seit Ende des Jahres 2007 in der Bundesrepublik auf. Er ist auch nicht deswegen nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II von Leistungen ausgeschlossen, weil sich sein Aufenthaltsrecht alleine aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt(dazu unter a). Denn dieser Leistungsausschluss ist auf den Kläger als Staatsangehörigen eines Vertragsstaates des EFA vom 11.12.1953 (BGBl II 1956, 564) nicht anwendbar (dazu unter b).

17

a) Das Aufenthaltsrecht des Klägers ergibt sich gemäß § 2 Abs 2 Nr 1 Alt 2 FreizügG/EU alleine aus dem Zweck der Arbeitsuche. Denn auf ein anderes Aufenthaltsrecht, das - wie sich aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt ("Aufenthaltsrecht […] allein aus dem Zweck der Arbeitsuche"; vgl auch BT-Drucks 16/688, 13) - den Leistungsausschluss von vornherein entfallen lassen würde, kann sich der Kläger nicht berufen.

18

Der Kläger ist insbesondere nicht als Arbeitnehmer, Selbstständiger oder Nicht-Erwerbstätiger freizügigkeitsberechtigt. Auch steht ihm (noch) kein Daueraufenthaltsrecht zu. Als "Arbeitnehmer" im Sinne von § 2 Abs 2 Nr 1 Alt 1 FreizügG/EU ist der Kläger nicht (mehr) aufenthaltsberechtigt. Während seiner Tätigkeit als Handwerkshelfer war er es, weil auch derjenige Arbeitnehmer im Sinne des Freizügigkeitsrechts ist, der nur über ein geringfügiges, das Existenzminimum nicht deckendes, Einkommen verfügt. Nach der Rechtsprechung des EuGH zu Art 39 EG (hier anwendbar in der Fassung des Vertrages von Nizza, BGBl II 2001, 1666 - der Vertrag von Lissabon ist erst zum 1.12.2009 in Kraft getreten, BGBl II 2009, 1223) fällt jeder Arbeitnehmer, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt - mit Ausnahme derjenigen Arbeitnehmer, deren Tätigkeit einen so geringen Umfang hat, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellt - unter die Vorschriften über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (vgl ua EuGH, Rs 139/85 [Kempf], Slg 1986, 1741 [Rz 9 ff]; Rs 53/81 [Levin], Slg 1982, 1035 [Rz 17]; C-213/05 [Geven], Slg 2007, I-6347 [Rz 16]; so nun auch Ziffer 2.2.1.1. der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des BMI zum FreizügG/EU; vgl zum gemeinschaftsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff ausführlich Epe in GK-AufenthG, § 2 FreizügG/EU RdNr 31 ff mwN). Zwar blieb dem Kläger gemäß § 2 Abs 3 Satz 2 FreizügG/EU seine Erwerbstätigeneigenschaft und damit sein Freizügigkeitsrecht "als Arbeitnehmer" für die Dauer von sechs Monaten nach der arbeitgeberseitigen Kündigung erhalten. Dieser Zeitraum war aber bereits abgelaufen, als er für den hier streitgegenständlichen Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes beantragte.

19

Dem Kläger stand auch zu keinem Zeitpunkt ein Aufenthaltsrecht als selbstständig Tätiger nach § 2 Abs 1 Nr 2 FreizügG/EU zu. Dies setzt voraus, dass eine Tätigkeit als Selbstständiger im Aufnahmemitgliedstaat tatsächlich ausgeübt wird (vgl Art 7 Abs 1 Buchst a Alt 2 UBRL). Zwar ist auch insoweit nicht erforderlich, dass der Gewinn aus der selbstständigen Tätigkeit das notwendige Existenzminimum deckt (vgl zuletzt zB OVG Bremen Beschluss vom 21.6.2010 - 1 B 137/10 - juris). Voraussetzung ist aber nach Art 43 EGV, dass eine wirtschaftliche Tätigkeit auf unbestimmte Zeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat tatsächlich ausgeübt wird (EuGH, C-221/89 [Factortame], Slg 1991, I-3905 [Rz 20]), sodass alleine ein formaler Akt (EuGH, aaO, Rz 21; Bröhmer in Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 3. Aufl 2007, Art 43 EG RdNr 12), wie die Registrierung eines Gewerbes nicht ausreichend ist. Ein weitergehendes Stadium aber hat die selbstständige Tätigkeit des Klägers nicht erreicht.

20

Der Kläger ist darüber hinaus nicht als Nicht-Erwerbstätiger, zu denen freizügigkeitsberechtigte Arbeitsuchende nicht zählen, nach § 2 Abs 2 Nr 5 iVm § 4 Satz 1 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt, weil es ihm insoweit an ausreichenden Existenzmitteln fehlt. Schließlich hat der Kläger auch noch kein Daueraufenthaltsrecht nach § 2 Abs 2 Nr 7 iVm § 4a FreizügG/EU erworben.

21

b) Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II ist allerdings hier deswegen nicht anwendbar, weil der Kläger sich auf das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA berufen kann(ebenso LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 14.1.2008 - L 8 SO 88/07 ER - FEVS 59, 369, 373 ff; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 14.1.2010 - L 14 AS 1565/09 B ER - juris; SG Berlin Urteil vom 25.3.2010 - S 26 AS 8114/08 - juris; Brühl/Schoch in LPK-SGB II, 3. Aufl 2009, § 7 RdNr 35; Valgolio in Hauck/Noftz, § 7 SGB II RdNr 128, Stand Juni 2010; aA Bayerisches LSG Beschluss vom 4.5.2009 - L 16 AS 130/09 B ER - juris; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 23.12.2009 - L 34 AS 1350/09 B ER - juris; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 25.11.2008 - L 5 B 801/08 AS ER - juris; SG Reutlingen Urteil vom 29.4.2008 - S 2 AS 2952/07 - juris; Schumacher in Oestreicher, SGB II/SGB XII, Stand Februar 2010, § 7 SGB II, RdNr 11a; offen gelassen von LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 26.2.2010 - L 6 B 154/09 AS ER - juris; LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 16.7.2008 - L 19 B 111/08 AS ER - juris; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 11.1.2010 - L 25 AS 1831/09 B ER - juris; LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 30.5.2008 - L 14 B 282/08 AS ER - juris).

22

Nach Art 1 des Abkommens, das unter anderem die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich (und daneben Belgien, Dänemark, Estland, Griechenland, Irland, Island, Italien, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Portugal, Schweden, Spanien, die Türkei und Großbritannien) unterzeichnet haben, ist jeder der Vertragschließenden verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind.

23

Bei dieser Vorschrift handelt es sich um unmittelbar geltendes Bundesrecht (dazu unter aa), dessen Anwendbarkeit im konkreten Fall insbesondere kein jüngeres und deshalb vorrangig anzuwendendes Recht entgegensteht (dazu unter bb). Darüber hinaus steht seiner Anwendung nicht entgegen, dass inzwischen an die Stelle des Abkommens europäisches Koordinationsrecht getreten wäre (dazu unter cc). Auch liegen im Einzelnen die Voraussetzungen des Gleichbehandlungsgebots nach Art 1 EFA vor. Denn bei der beanspruchten Regelleistung nach § 20 SGB II handelt es sich um Fürsorge im Sinne des EFA(dd). Die Vorschrift des § 20 SGB II findet in Ermangelung eines von der Bundesrepublik abgegebenen Vorbebehalts auch auf die Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten Anwendung(ee). Der Kläger hält sich in der Bundesrepublik zudem erlaubt im Sinne von Art 1 EFA auf (ff). Das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA findet schließlich auch nicht alleine auf solche Staatsangehörige anderer Vertragsstaaten Anwendung, die sich bereits vor Eintritt der Hilfebedürftigkeit im Aufenthaltsstaat aufgehalten haben (gg).

24

aa) Der Kläger kann sich auf Art 1 EFA als unmittelbar geltendes Bundesrecht berufen. Der Bundestag hat mit dem mit Zustimmung des Bundesrats beschlossenen Gesetz vom 15.5.1956 (BGBl II 563) dem Europäischen Fürsorgeabkommen zugestimmt (vgl Art 59 Abs 2 Satz 1 Grundgesetz ) und dadurch dessen Inhalt insoweit in innerstaatlich anwendbares, Rechte und Pflichten des Einzelnen begründendes (revisibles) Bundesrecht transformiert, als die Vertragsbestimmungen nach Wortlaut, Zweck und Inhalt wie innerstaatliche Gesetzesvorschriften rechtliche Wirkungen auszulösen geeignet sind (vgl BVerfGE 29, 348, 360; BVerwGE 44, 156, 160). Dies trifft auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art 1 des EFA zu (so auch Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 18.5.2000 - 5 C 29/98 - BVerwGE 111, 200, 201; Urteil vom 14.3.1985 - 5 C 145/83 - BVerwGE 71, 139, 142; LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 14.1.2008 - L 8 SO 88/07 ER - FEVS 59, 369; OVG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 13.12.1999 - 16 A 5587/97 - juris; vgl auch Bayerischer VGH, FEVS 48, 74 ff; OVG Lüneburg, FEVS 49, 118, 119; Hessischer VGH, FEVS 51, 190 ff; Schraml, Das Sozialhilferecht der Ausländerinnen und Ausländer, 1992, S 75; Schuler, Der Einfluss des Europäischen Fürsorgeabkommens auf den sozialhilfe- und aufenthaltsrechtlichen Status der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländer in Barwig/Lörcher/Schumacher , Familiennachzug von Ausländern auf dem Hintergrund völkerrechtlicher Verträge, S 67, 69; aA Kokott, Die Staatsangehörigkeit als Unterschiedsmerkmal für soziale Rechte von Ausländern in Hailbronner , Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts, S 25, 33).

25

bb) Entgegen der Ansicht der Revision ist das EFA auch nicht in dem Sinne "überholt", dass seiner Anwendung neuere, denselben Sachverhalt regelnde gesetzliche Vorschriften entgegenstehen. Das Völkervertragsrecht wird gemäß Art 59 Abs 2 GG im Range von Bundesgesetzen umgesetzt. Aus dieser Rangzuweisung folgt, dass deutsche Gerichte das EFA wie anderes Gesetzesrecht des Bundes im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung zu beachten und anzuwenden haben (so BVerfGE 111, 307 ff zur Europäischen Menschenrechtskonvention ). Innerstaatliches Recht ist grundsätzlich so auszulegen, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht entsteht. Dies entspricht dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes (vgl BVerfG aaO sowie BVerfGE 58, 1, 34; 59, 63, 89). Das einfache (Sozial-)Recht bietet darüber hinaus mit § 30 Abs 2 SGB I eine Vorschrift zur Lösung von möglichen Konflikten zwischen nationalem Recht und (transformiertem) Völkerrecht. § 30 Abs 2 SGB I beschränkt sich nicht auf die Regelung des gewöhnlichen Aufenthalts, sondern beinhaltet einen allgemeinen Rechtsgrundsatz(BSG, InfAuslR 2001, 181, 182; BSGE 52, 210, 213 = SozR 6180 Art 13 Nr 3 S 10). Bereits aus diesem Grund steht der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II entgegen der Ansicht der Revision der Verpflichtung zur Gleichbehandlung nach dem EFA nicht entgegen.

26

Im Übrigen hat das LSG zu Recht darauf hingewiesen, dass Art 1 EFA im Hinblick auf den persönlichen Anwendungsbereich spezieller ist. Die Vorschrift richtet sich gerade nicht an alle Ausländer (deren Aufenthaltsrecht sich aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt), sondern nur an Staatsangehörige der Vertragsstaaten. Darüber hinaus sind Gesetze auch dann im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland auszulegen und anzuwenden, wenn sie zeitlich später erlassen worden sind als ein geltender völkerrechtlicher Vertrag. Es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen will (vgl BVerfGE 74, 358, 370 sowie - speziell zum EFA - BVerwGE 111, 200, 211). Ein solcher gesetzgeberischer Wille des späteren Gesetzgebers zur Abweichung vom EFA ist hier nicht erkennbar. Des Weiteren überzeugt auch das Argument der Revision nicht, § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II sei deshalb vorrangig vor dem EFA, weil § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II der Umsetzung des Art 24 Abs 2 UBRL diene(BT-Drucks 16/688 S 13), einer Vorschrift, an der sowohl Frankreich als auch die Bundesrepublik beteiligt waren (so aber auch LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 15.4.2010 - L 13 AS 1124/10 ER-B - juris). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass diejenigen Mitglieder des Rats der Europäischen Union, die zugleich Vertragsstaaten des EFA sind, mit der in Art 24 Abs 2 UBRL eingeräumten Möglichkeit der nur beschränkten Leistung von Sozialhilfe an Freizügigkeitsberechtigte zugleich für ihren Zuständigkeitsbereich ein Abkommen des Europarats außer Kraft setzen wollten.

27

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass das EFA selbst den Konfliktfall bereits regelt: Nach Art 18 EFA stehen die Bestimmungen des Abkommens solchen nationalen Vorschriften nicht entgegen, die für die Beteiligten günstiger sind. Dass eine Abweichung vom EFA zu Lasten des durch das EFA geschützten Personenkreises damit nicht zulässig ist, liegt dabei auf der Hand. Wenn die Bundesrepublik die sich aus dem EFA ergebenden Verpflichtungen nicht mehr tragen will, steht ihr nach Art 24 EFA die Möglichkeit offen, das Abkommen innerhalb der dort genannten Frist zu kündigen. Hiervon hat sie bislang keinen Gebrauch gemacht.

28

cc) Der Anwendbarkeit des EFA steht das koordinierende Sekundärrecht der Europäischen Union nicht entgegen (so aber Bayerisches LSG Beschluss vom 12.3.2008 - L 7 B 1104/07 AS ER - FEVS 60, 178).Gemeinschaftsrechtlicher Maßstab für den hier streitgegenständlichen Zeitraum (1.3.2009 bis 11.11.2009) ist die Kollisionsregel des Art 6 der "alten" Wanderarbeitnehmerverordnung EWG Nr 1408/71, weil die Nachfolgeverordnung (EG) Nr 883/2004 vom 29.4.2004 (ABl 2004 Nr L 166, 1 ff) gemäß deren Art 91 Satz 2 erst ab dem Inkrafttreten einer Durchführungsverordnung galt. Die Verordnung (EG) Nr 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.9.2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ist aber erst am 1.5.2010 in Kraft (Art 97 der VO Nr 987/2009) getreten. Nach der Kollisionsregel in Art 6 EWGV 1408/71 tritt die Verordnung im Rahmen ihres persönlichen und sachlichen Geltungsbereichs an die Stelle bestimmter (völkerrechtlicher) Abkommen über die soziale Sicherheit.

29

Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unterfallen entweder gemäß Art 4 Abs 2a EWGV 1408/71 iVm dem Anhang IIA, Buchst E - entgegen dem Anwendungsausschluss für die Sozialhilfe nach Art 4 Abs 4 EWGV 1408/71 und mit konstitutiver Wirkung (vgl EuGH, Rs C-20/96 [Snares], Slg 1997, I-6082 [Rz 30]; differenzierend Rs C-215/99 [Jauch], Slg 2001, I-1901 [Rz 21] = SozR 3-6050 Art 10a Nr 1 S 5 f) - als so genannte besondere beitragsunabhängige Geldleistungen (so genannte "Mischleistungen", dazu ausführlich Beschorner, ZESAR 2009, 320 ff) bzw - soweit dem Grunde nach die Voraussetzungen nach § 24 Abs 1 SGB II vorliegen - als Leistungen bei Arbeitslosigkeit gemäß Art 4 Abs 1 Buchst g EWGV 1408/71 dem sachlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung.

30

Ob auch der persönliche Anwendungsbereich der Verordnung eröffnet ist, bedarf dagegen keiner Entscheidung. Denn die Kollisionsregel des Art 6 EWGV 1408/71 greift hier ohnehin nicht ein. Die Kollisionsregel des Art 6 EWGV 1408/71 ist nämlich nur anwendbar auf "Abkommen über die soziale Sicherheit", worunter nach der Begriffsbestimmung des Art 1 Buchst k) EWGV 1408/71 nur Vereinbarungen für die in Art 4 Abs 1 und 2 der Verordnung bezeichneten Zweige und Systeme zu verstehen sind. Art 4 Abs 2a VO 1408/71 ist dort gerade nicht genannt.

31

Darüber hinaus gilt die Kollisionsregel des Art 6 EWGV ohnehin nicht schrankenlos. Vielmehr kann es gemeinschaftsrechtlich geboten sein, eine Günstigkeitsprüfung vorzunehmen (EuGH, Rs C-227/89 [Rönfeldt], Slg 1991, I-323 [Rz 29] = SozR 3-6030 Art 48 Nr 3 S 8; ausführlich Steinmeyer in Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 4. Aufl 2005, Art 6 VO 1408/71 RdNr 10 ff). Weiterhin erscheint es zweifelhaft, ob Abkommen des Europarats überhaupt unter die Kollisionsregel fallen (vgl insoweit Steinmeyer, aaO, Art 7 VO 1408/71 RdNr 1; allerdings zu der ausdrücklich in die Verordnung aufgenommenen Ausnahmeregelung des Art 7 Abs 1 Buchst b im Hinblick auf das sog Vorläufige Europäische Abkommen vom 11.12.1953 über die soziale Sicherheit). Hinzu kommt, dass nichts dafür spricht, dass die EWGV 1408/71, für die sich vor allem die Notwendigkeit der Klärung des Verhältnisses zwischen Koordinationsrecht und Sozialversicherungsabkommen ergab, ein internationales Fürsorgeabkommen außer Kraft setzen wollte. Hier greift vielmehr der Anwendungsausschluss auf die Sozialhilfe nach Art 4 Abs 4 VO 1408/71.

32

dd) Bei der hier noch streitgegenständlichen (siehe oben 1.) Regelleistung nach § 20 SGB II handelt es sich um "Fürsorge" im Sinne von Art 1 EFA. Ausweislich der Begriffsbestimmung in Art 2 Abs a Nr i EFA meint "Fürsorge" im Sinne des Abkommens jede Fürsorge, die jeder der Vertragschließenden nach den in dem jeweiligen Teile seines Gebietes geltenden Rechtsvorschriften gewährt und wonach Personen ohne ausreichende Mittel die Mittel für ihren Lebensbedarf sowie die Betreuung erhalten, die ihre Lage erfordert. Ausgenommen sind beitragsfreie Renten und Leistungen zugunsten der Kriegsopfer und der Besatzungsgeschädigten. Nach Art 2 Abs b EFA sind die Rechtsvorschriften, die in den Gebieten der Vertragschließenden, auf die dieses Abkommen Anwendung findet, in Kraft sind, sowie die von den Vertragschließenden formulierten Vorbehalte in den Anhängen I und II zum Abkommen aufgeführt.

33

Die Regelleistung nach § 20 SGB II als Bestandteil der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach diesem Gesetz stellt ein solches, im Falle der Bedürftigkeit gewährtes "Mittel für den Lebensbedarf" dar(vgl auch Urteil des Senats vom 31.10.2007 - B 14/11b AS 5/07 R - BSGE 99, 170 = SozR 4-4200 § 24 Nr 1, wo im Hinblick auf das SGB II von einer "steuerfinanzierten Fürsorgeleistung" die Rede ist; vgl auch BT-Drucks 15/1516 S 56: "nachrangige Fürsorgeleistung"). Denn das SGB II ist - anders als bis zum 1.1.2005 die Alhi als Lohnersatzleistung (vgl zuletzt § 195 SGB III) - ein bedarfsabhängiges Leistungssystem (vgl Urteil des Senats vom 31.10.2007 - B 14 AS 30/07 R - SozR 4-4200 § 24 Nr 2). Darüber hinaus ist die Fürsorgegesetzgebung in der Bundesrepublik nach dem Außerkrafttreten des BSHG zum 1.1.2005 auch nicht auf die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII (idR iVm § 42 Satz 1 SGB XII) beschränkt. Sozialhilfe und Grundsicherung für Arbeitsuchende unterscheiden sich zwar nach ihrem Adressatenkreis. Das SGB II verliert dadurch aber nicht seinen Charakter als Fürsorgegesetz.

34

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass im Anhang I zum EFA in der Fassung der Erklärung des ständigen Vertreters der Bundesrepublik Deutschland an den Generalsekretär des Europarats vom 26.10.2001 als anzuwendende Fürsorgegesetze noch immer (und entgegen der Verpflichtung der Bundesrepublik zur Mitteilung geänderter bzw neuer Rechtsvorschriften gemäß Art 16 Abs a und b EFA) das BSHG in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.3.1994 (BGBl I 646, 2975), "zuletzt" geändert durch Art 12 des Gesetzes vom 13.9.2001 (BGBl I 2376, 2398), und die §§ 27, 32 bis 35 und 41 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII), jeweils iVm § 39 SGB VIII, sowie die §§ 3, 19 und 69 des Infektionsschutzgesetzes genannt werden. Denn die Aufzählung der Fürsorgegesetze in der Anlage I ist nicht konstitutiv (so auch BVerwG Urteil vom 18.5.2000 - 5 C 29/98 - BVerwGE 111, 200, 206; LSG Niedersachsen-Bremen, FEVS 59, 369, 374; Mangold/Pattar, VSSR 2008, 243, 261; aA Bayerisches LSG Beschluss vom 4.5.2009 - L 16 AS 130/09 B ER - juris, sowie Schumacher in Oestreicher, SGB II/SGB XII, Stand Februar 2010, § 7 SGB II, RdNr 11a). Dies entspricht auch der Rechtsansicht der Bundesregierung bei Ratifizierung des Abkommens (vgl die Denkschrift des BMI und des Bundesministers des Auswärtigen zum Europäischen Fürsorgeabkommen und dem Zusatzprotokoll, BT-Drucks 2/1882, 23: "Die Aufführung der Fürsorgegesetze im Anhang I dient der Klarstellung, damit sich die übrigen Vertragschließenden den notwendigen Überblick verschaffen können." Vgl darüber hinaus den am 21.11.2001 vom Ministerkomitee des Europarats verabschiedeten "Explanatory Report" zum EFA, Rz 49). Dafür spricht zuletzt Art 2 Abs a Nr ii EFA. Hiernach haben die Begriffe "Staatsangehörige" und "Gebiet" die Bedeutung, die ihnen von den Vertragschließenden in gesonderten Erklärungen zugewiesen werden. Demgegenüber definiert Art 2 Abs a Nr i EFA den Begriff der Fürsorge eigenständig (Mangold/Pattar, aaO, 260).

35

ee) Die Bundesrepublik Deutschland hat bis jetzt keinen Vorbehalt hinsichtlich der Anwendung des SGB II auf die Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten abgegeben (vgl Art 16 Abs b Satz 2 EFA). Nach dem bislang abgegebenen Vorbehalt übernimmt die Bundesrepublik Deutschland keine Verpflichtung, die im BSHG "in der jeweils geltenden Fassung" vorgesehene Hilfe zum Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlage (vgl § 30 BSHG) und die dort vorgesehene Hilfe zur Überwindung besonderer sozialen Schwierigkeiten (vgl § 72 BSHG) an Staatsangehörige der übrigen Vertragsstaaten in gleicher Weise und unter den gleichen Bedingungen wie den eigenen Staatsangehörigen zu gewähren, ohne gleichwohl auszuschließen, dass diese Hilfen in geeigneten Fällen gewährt werden können (vgl Neubekanntmachung des Anhangs II zum EFA, BGBl II 2001, 1098). Es bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, ob dieser Vorbehalt nach dem Außerkrafttreten des BSHG durch Gesetz vom 27.12.2003 (BGBl I 3022) mit Wirkung vom 1.1.2005 "dynamisch" im Sinne einer Anwendung auf die Nachfolgegesetzgebung anzuwenden ist. Denn bereits im Hinblick auf die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 2. Abschnitt des BSHG hatte sich die Bundesrepublik gerade nicht die Möglichkeit der Ungleichbehandlung der Staatsangehörigen der Vertragsstaaten vorbehalten. Mit der Regelleistung nach § 20 SGB II beansprucht der Kläger aber alleine eine solche, den Lebensunterhalt sichernde, Hilfe.

36

ff) Der Kläger hält sich auch "erlaubt" im Sinne des Art 1 EFA in der Bundesrepublik auf. Dabei kann an dieser Stelle dahinstehen, ob - wie es der Rechtsprechung des BVerwG zum BSHG entsprach (vgl nur BVerwGE 71, 139, 143 ff) - sich das Merkmal des erlaubten Aufenthalts nach Art 11 Abs a Satz 1 EFA bestimmt und dem Anhang insoweit konstitutive Wirkung zukommt. Bedenken könnten sich unter anderem deshalb ergeben, weil die - nach der Schlussformel des Abkommens im Gegensatz zur deutschen Fassung - verbindliche englische Fassung des EFA zwischen "lawfully present" nach Art 1 EFA und - enger - "lawfully resident" im Sinne der Rückschaffungsvorschriften nach Art 6 EFA unterscheidet. Art 11 definiert aber nur den Begriff "residence". Beides wird im Deutschen mit Aufenthalt übersetzt (wobei dann bei Art 6 EFA auf einen "gewöhnlichen" Aufenthalt abgestellt wird). Nach dem Abkommenstext spricht also einiges dafür, dass zwischen dem sozialrechtlichen Gleichbehandlungsgebot und dem Ausweisungsschutz im Hinblick auf die Qualität "des Aufenthalts" differenziert werden sollte.

37

Diese Frage bedarf aber deshalb keiner Entscheidung, weil sich der Kläger auch bei Zugrundelegung der Rechtsprechung des BVerwG "erlaubt" in der Bundesrepublik aufhielt. Nach Art 11 Abs a Satz 1 EFA gilt der Aufenthalt eines Ausländers im Gebiet eines der Vertragschließenden solange als erlaubt im Sinne des Abkommens, als der Beteiligte im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis oder einer anderen in den Rechtsvorschriften des betreffenden Staates vorgesehenen Erlaubnis ist, auf Grund welcher ihm der Aufenthalt in diesem Gebiet gestattet ist. Dabei kam dem im Anhang III zum EFA angeführten Verzeichnis der Urkunden, die als Nachweis des Aufenthalts im Sinne des Art 11 EFA anerkannt werden, nach der Rechtsprechung des BVerwG ein rechtsbegründender (konstitutiver) Charakter in der Weise zu, dass mit den dort aufgeführten Urkunden die Erlaubnistatbestände abschließend genannt seien, aufgrund derer der Aufenthalt des ausländischen Staatsangehörigen im Sinne des Abkommens als erlaubt gelte (BVerwGE 71, 139, 144). Auch nach der Rechtsprechung des BVerwG war es aber als unerheblich anzusehen, wenn die Bezeichnung eines Aufenthaltstitels lediglich redaktionell angepasst wurde (BVerwG, aaO). Indiz für eine lediglich andere Bezeichnung kann dabei auch das völkervertragliche Verhalten der Bundesrepublik Deutschland sein. Denn wenn sie den Generalsekretär des Europarates von einer Änderung ihrer Gesetzgebung nicht unterrichtet hat, obwohl sie nach Art 16 Abs a EFA hierzu verpflichtet gewesen wäre, ist sie augenscheinlich davon ausgegangen, die gesetzliche Änderung berühre nicht den Inhalt des Anhangs III (BVerwGE 111, 200, 204).

38

Der Kläger verfügt über eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 FreizügG/EU. Im Anhang III des EFA ist demgegenüber noch von einer "Aufenthaltserlaubnis für Angehörige eines Mitgliedstaats der EWG" die Rede (BGBl II 2001, 1100). Dies entspricht der Rechtslage nach § 1 Abs 4 des Gesetzes über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (AufenthG/EWG) in der Fassung des Gesetzes vom 9.7.1990 (BGBl I 1354), aufgehoben mit Wirkung vom 1.1.2005 durch das Zuwanderungsgesetz 2004 vom 30.7.2004 (BGBl I 1950). Nach dieser Vorschrift erhielten freizügigkeitsberechtigte Angehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaften eine so genannte Aufenthaltserlaubnis-EG. Eines Aufenthaltstitels bedarf es nach § 2 Abs 4 Satz 1 FreizügG/EU, Art 8 UBRL nicht mehr. An die Stelle der Aufenthaltserlaubnis-EG ist insoweit die Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 FreizügG/EU getreten. Der Aufenthalt des Klägers "gilt" aus diesem Grund als erlaubt im Sinne des Art 11 EFA. Dies entspricht auch der Praxis der Ausländerbehörden, wonach von der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts auszugehen ist, bis eine Verlustfeststellung mit entsprechender Einziehung der Aufenthaltsbescheinigung nach § 5 Abs 5 FreizügG/EU erfolgt(vgl bereits oben 2.).

39

gg) Der Senat vermag schließlich auch keinen rechtlichen Ansatzpunkt dafür zu erkennen, das EFA nur auf diejenigen Ausländer anzuwenden, die sich zur Zeit des Eintritts der Hilfebedürftigkeit bereits in dem um Hilfe angegangenen Staat erlaubt aufhielten und mithin nicht auf diejenigen, die als bereits bedürftige Personen in einen Vertragsstaat einreisten (so aber LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 8.1.2010 - L 34 AS 2082/09 B ER, L 34 AS 2086/09 B PKH -, unter Verweis auf OVG Berlin Beschluss vom 22.4.2003 - 6 S 9.03 - FEVS 55, 186, 190). Mithin kommt es nicht darauf an, ob dem Kläger ein irgendwie geartetes "missbräuchliches Verhalten" vorgeworfen werden kann, als er etwas mehr als vier Monate nach seiner Einreise (nämlich nach Auslaufen seines Anspruchs auf Gewährung von Arbeitslosengeld nach dem SGB III) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II beantragt hat. Der gesetzliche Rahmen des BSHG (und nunmehr des SGB XII) war ein gänzlich anderer. Nach § 120 Abs 1 Satz 1 BSHG war Ausländern, die sich in der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich aufhielten, Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren. Nach § 120 Abs 3 Satz 1 BSHG(jetzt § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB XII in der Fassung des Gesetzes vom 2.12.2006, BGBl I 2670) hatten Ausländer, die sich in die Bundesrepublik Deutschland begeben haben, um Sozialhilfe zu erlangen, keinen Anspruch. In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung entsprach es offenbar allgemeiner Ansicht, § 120 Abs 3 Satz 1 BSHG auch auf vom EFA geschützte Personen anzuwenden(so OVG Berlin aaO unter Verweis auf die Denkschrift zum EFA, BT-Drucks 2/1882, 23; vgl auch Hamburgisches OVG Beschluss vom 8.2.1989 - Bs IV 8/89 -, NVwZ-RR 1990, 141 ff; OVG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 25.4.1985 - 8 A 266/84 -, NDV 1985, 367 ff; aA VG Würzburg Urteil vom 21.2.1990 - W 3 K 88.1363 -, NDV 1990, 187 ff).

40

Es überzeugt nicht, eine - etwa § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB XII vergleichbare - Regelung in das SGB II "hineinzulesen", wobei eine auf diese Weise vorgenommene Geltungserweiterung (Analogie) insbesondere auch vor dem Hintergrund des § 31 SGB I bedenklich erscheint. Im Übrigen dürfte die praktische Bedeutung eines solchen Anspruchsverlustes gering sein, weil das BVerwG jedenfalls im Rahmen der Vorgängernorm (§ 120 Abs 1 Satz 1 Halbs 1 BSHG in der Fassung vom 24.5.1983, BGBl I 613) einen finalen Zusammenhang im Sinne einer "prägenden Bedeutung" zwischen dem Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme von Sozialhilfe (BVerwG Urteil vom 4.6.1992 - 5 C 22/87 - FEVS 43, 113 ff) verlangt hat. Schließlich hat auch die zu Art 1 EFA teilweise vertretene Ansicht, einen Aufenthalt zeitlich vor dem Eintritt der Hilfebedürftigkeit zu fordern (siehe oben), in dem Abkommen selbst keinen Ausdruck gefunden. Denn Art 1 EFA stellt allein auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts ab, nicht aber auf eine bestimmte zeitliche Abfolge.

41

Da der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II auf den Kläger mithin bereits aufgrund der vorrangigen Geltung des Gleichbehandlungsgebotes nach Art 1 EFA keine Anwendung findet, bedarf es an dieser Stelle keiner Entscheidung, ob der Leistungsausschluss zudem wegen Verstoßes gegen gemeinschaftsrechtliche Vorgaben unanwendbar ist.

42

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Oktober 2013 insoweit aufgehoben, als er zur Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 11. Oktober 2010 bis 7. November 2011 verurteilt worden ist.

Insoweit wird die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20. November 2012 zurückgewiesen.

Die Beigeladene wird verurteilt, den Klägern Hilfe zum Lebensunterhalt für den Zeitraum vom 11. Oktober 2010 bis 7. November 2011 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beigeladene hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Ansonsten haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit steht die Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Kläger im Zeitraum vom 11.10.2010 bis 7.11.2011.

2

Die Kläger sind rumänische Staatsangehörige. Die Kläger zu 1 und 2 zogen 2008 mit ihren beiden gemeinsamen Kindern - geboren 1992 und im Februar 1995 (Kläger zu 3) - von Rumänien bzw über Belgien nach Deutschland. Sie verfügen seit November 2008 über eine Freizügigkeitsbescheinigung/EU und die Kläger zu 1 und 2 seit Ende 2011 (nach dreijährigem Aufenthalt) über eine unbefristete Arbeitsberechtigung. Der Kläger zu 1 hatte in Rumänien eine Schlosserlehre absolviert, war dann zur Armee eingezogen worden und arbeitete 1993 bis 1995 als Taxifahrer sowie anschließend als Tagelöhner in der Landwirtschaft. Ein von ihm 1992/1993 in Deutschland gestellter Asylantrag wurde abschlägig beschieden. Seine Ehefrau ging in Rumänien keiner Erwerbstätigkeit nach. Sie übt seit dem 8.11.2012 eine mit 200 Euro netto monatlich geringfügig entlohnte Beschäftigung aus. Bis Ende 2010 verkauften die Kläger zu 1 und 2 die Obdachlosenzeitung "Fifty-Fifty" zu einem Abgabepreis von 1,80 Euro und einem "Einkaufspreis" von 0,90 Euro. Der Differenzbetrag von rund je 120 Euro im Monat verblieb bei ihnen. Der Kläger zu 1 hatte vom 13.10.2008 bis 29.10.2009 ein Gewerbe angemeldet ("Abbruch- und Entkernungsarbeiten, Hilfsarbeiten auf Baustellen"), das er jedoch nicht betrieb und mit dem er auch keine Einkünfte erzielte. Für die beiden Söhne erhielten die Eheleute Kindergeld in Höhe von je 184 Euro. Die Söhne besuchten in Deutschland die Schule.

3

Erstmals Ende 2009 lehnte der Beklagte die Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bindend ab. Ein erneuter Antrag der Kläger vom 11.10.2010, den sie mit der Einreise zur Arbeitsuche begründeten, wurde vom Beklagten ebenfalls abschlägig beschieden (Bescheid vom 19.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010). Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hiergegen verpflichtete das LSG den Beklagten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 17.5.2011 bis maximal zum 17.11.2011 zu erbringen. Dies führte der Beklagte durch Bescheide vom 14.6., 7.7., 26.7. und 1.8.2011 aus. Ebenso vollzog sich das Verfahren nach einem weiteren Antrag der Kläger vom 7.11.2011 (ablehnender Bescheid vom 15.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.11.2011, Ausführungsbescheide des Beklagten vom 22.6.2012 nach dem Erlass einer einstweiligen Anordnung des LSG für den Zeitraum vom 23.11.2011 bis 30.6.2012). Am 14.1.2013, der Höhe nach geändert durch Bescheid vom 5.2.2013, bewilligte der Beklagte den Klägern die begehrten Leistungen ab dem 1.11.2012, also seit dem Monat der Aufnahme der Beschäftigung durch die Klägerin zu 2.

4

Die gegen den Bescheid vom 19.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010 erhobene Klage hat das SG durch Urteil vom 20.11.2012 unter Hinweis darauf, dass die Kläger nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II von Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen seien, abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das LSG dieses Urteil geändert und den Beklagten unter Änderung der benannten Bescheide verurteilt, den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften für den Zeitraum vom 11.10.2010 bis 7.11.2011 zu bewilligen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II greife im Falle der Kläger nicht. Sie verfügten über kein materielles Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland. Der Sohn der Kläger zu 1 und 2 (Kläger zu 3) sei im streitigen Zeitraum Schüler gewesen. Die Kläger zu 1 und 2 seien keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen. Das vom Kläger zu 1 angemeldete Gewerbe sei nie betrieben und es seien keine Einkünfte daraus erzielt worden. Der Verkauf der Obdachlosenzeitung stelle keine Beschäftigung dar, die zu einem Status als Arbeitnehmer geführt haben könne. Es handele sich dabei um eine untergeordnete Tätigkeit, die nicht in einem Arbeitsverhältnis verrichtet worden sei. Die Kläger zu 1 und 2 seien auch nicht arbeitsuchend gewesen, denn sie hätten allein wegen der Sprachbarrieren keine Chance auf Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt gehabt. Daher komme es auch nicht darauf an, dass die Kläger vor dem 1.10.2011 über eine unbefristete Freizügigkeitsberechtigung/EU verfügt hätten. Auf einen EU-Bürger ohne materielles Aufenthaltsrecht finde der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II keine Anwendung. Dies erschließe sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, die auf den Aufenthaltszweck "allein zur Arbeitsuche" abstelle. Eine erweiternde Auslegung im Sinne des Erst-Recht-Schlusses komme wegen des Ausnahmecharakters des Ausschlusses nicht in Betracht. Die Vorschrift sei nicht analogiefähig. Es liege keine unbeabsichtigte Regelungslücke vor. Dass der aus dem mangelnden Aufenthaltsrecht folgende Ausweisungsgrund nicht vollzogen werde, sei kein Grund, EU-Bürger von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in erweiternder Auslegung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II auszuschließen(Urteil des LSG vom 10.10.2013).

5

Der Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und begründet sie damit, dass das Urteil des LSG § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II verletze. Die dortige Auslegung der Vorschrift führe dazu, dass ausgerechnet Personen, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht oder kaum integrierbar seien, vom Leistungsausschluss für arbeitsuchende Unionsbürger nicht betroffen würden.

6

Er beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. Oktober 2013 aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 20. November 2012 zurückzuweisen.

7

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Beigeladene zu verurteilen, ihnen Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII im Zeitraum vom 11. Oktober 2010 bis 7. November 2011 zu gewähren.

8

Sie halten die Ausführungen des LSG für zutreffend. Zwar sei nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Alimanovic nun klargestellt, dass der in § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II formulierte Leistungsausschluss europarechtskonform sei. Dies betreffe jedoch nicht die Kläger. Bei ihnen liege es näher, einen Vergleich zu der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Dano zu ziehen, wonach wirtschaftlich nicht aktiven Unionsbürgern anderer Mitgliedstaaten keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu erbringen seien. Insoweit mangele es jedoch an einer einfachgesetzlichen Regelung im deutschen Recht.

9

Die Beigeladene hat keinen eigenen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG, soweit es den Beklagten zur Leistungserbringung verurteilt hat, begründet. Die Beigeladene ist verpflichtet, die Existenzsicherung der Kläger nach den Vorschriften des SGB XII zu gewährleisten.

11

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (2.). Sie können jedoch Hilfe zum Lebensunterhalt von der Beigeladenen nach § 23 Abs 1 S 3 SGB XII beanspruchen (3.).

12

1. Streitgegenstand ist die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, die der Beklagte durch Bescheid vom 19.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.12.2010 abgelehnt hat. Der streitige Zeitraum beginnt mit der Antragstellung am 11.10.2010, als dem "Türöffner" für das Verwaltungsverfahren (zuletzt BSG vom 24.4.2015 - B 4 AS 22/14 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 71 RdNr 17), und endet, da die Kläger ihr Begehren im zweitinstanzlichen Gerichtsverfahren bis zu diesem Zeitpunkt beschränkt haben, mit der erneuten Antragstellung am 7.11.2011. Die die Entscheidungen des LSG im vorläufigen Rechtsschutz ausführenden Bescheide des Beklagten sind, wie das LSG zutreffend befunden hat, nicht nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden(vgl BSG vom 27.6.2013 - B 10 EG 2/12 R - SozR 4-7837 § 2 Nr 21 RdNr 20 mwN; s auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 96 RdNr 4b unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des BSG).

13

Unschädlich ist auch, dass die Kläger im Berufungsverfahren, trotz der Beiladung der Stadt Gelsenkirchen, nicht zumindest hilfsweise deren Verurteilung oder Verpflichtung zur Leistungserbringung nach dem SGB XII beantragt haben. Im Falle der - hier vom LSG vorgenommenen notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 2. Alt SGG (unechte notwendige Beiladung) - ist zumindest davon auszugehen, dass die Kläger hilfsweise die Verurteilung der Beigeladenen begehren (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 75 RdNr 18a; weitergehend BSG vom 28.5.2015 - B 7 AY 4/12 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen - RdNr 10). Denn nach § 75 Abs 5 SGG darf der beigeladene Träger verurteilt werden, obwohl er nicht verklagt ist. Mit der Vorschrift des § 75 Abs 2 2. Alt iVm Abs 5 SGG unterstellt der Gesetzgeber, dass der Kläger zwar in erster Linie die Verurteilung des beklagten Trägers, hilfsweise jedoch auch die jedes anderen in Frage kommenden Trägers begehrt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Kläger diese Verurteilung ausdrücklich ablehnt ( BSG vom 15.1.1959 - 4 RJ 111/57 - BSGE 9, 67, 70; BSG vom 2.11.2000 - B 11 AL 25/00 R - RdNr 25). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Bei dem im Revisionsverfahren gestellten Hilfsantrag auf Verurteilung der Beigeladenen handelt es sich aus diesen Gründen auch nicht um eine an sich im Revisionsverfahren nach § 168 S 1 SGG nicht mehr zulässige Klageänderung im Sinne der Klageerweiterung(vgl hierzu BSG vom 30.1.1985 - 2 RU 69/83 - SozR 1500 § 168 Nr 3; BSG vom 4.2.1965 - 11/1 RA 312/63 - SozR Nr 27 zu § 75 SGG; s auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 168 RdNr 2c und § 75 RdNr 12a).

14

Ebenso wenig wird die Zulässigkeit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage dadurch berührt, dass die Kläger bereits vorläufige Leistungen erhalten haben. Dies war zum einen nur für einen Teil des hier streitigen Zeitraums der Fall (BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 12 zur Unzulässigkeit bei dem Ausscheiden jeglichen Zahlungsanspruchs). Zum anderen hat sich der Rechtsstreit nach der ständigen Rechtsprechung des BSG auch nicht teilweise dadurch erledigt, dass für den Fall der nunmehr beantragten hilfsweisen Verurteilung der Beigeladenen die Leistungserbringung des Sozialhilfeträgers bereits (teilweise) als erfüllt iS des § 107 Abs 1 SGB X gilt(BSG vom 8.8.1990 - 11 RAr 79/88 - SozR 3-1300 § 104 Nr 3 S 4 f; BSG vom 9.9.1993 - 7/9b RAr 28/92 - BSGE 73, 83, 84 f = SozR 3-4100 § 58 Nr 5 S 11; BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 12).

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2. Die Kläger haben keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gegen den Beklagten. Sie sind unabhängig von der bestehenden Hilfebedürftigkeit iS des § 7 Abs 1 S 1 Nr 3 iVm § 9 SGB II, ihres gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland(§ 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II; vgl zum Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34 RdNr 17 ff)und der Erfüllung der Altersgrenzen des § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II im streitigen Zeitraum zumindest durch die Kläger zu 1 und 2 sowie deren Erwerbsfähigkeit(§ 7 Abs 1 S 1 Nr 2 iVm § 8 SGB II - auch nach § 8 Abs 2 SGB II, weil ihnen als Rumänen trotz seinerzeit nur eingeschränkter Arbeitnehmerfreizügigkeit als EU-Ausländern die Aufnahme einer Beschäftigung hätte erlaubt werden können, vgl BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 14 ff)von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufgrund von § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II(idF vom 28.8.2007 durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007, BGBl I 1970, 2008) ausgeschlossen. Danach sind von den benannten Leistungen ausgenommen 1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts und 2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt und ihre Familienangehörigen.

16

a) Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II unterfallen die Kläger nicht einer Ausnahme von der Leistungsberechtigung nach § 7 Abs 1 S 1 SGB II. Sie haben sich im streitigen Zeitraum vom 11.10.2010 bis 7.11.2011 bereits mehr als drei Monate in Deutschland aufgehalten, denn sie sind im Herbst des Jahres 2008 eingereist. Ihr Aufenthaltsrecht ergibt sich auch nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche. So sind die Kläger zu 1 und 2 zwar zur Arbeitsuche in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Für den hier streitigen Zeitraum folgt hieraus jedoch kein materielles Aufenthaltsrecht mehr. Sie waren nicht mehr arbeitsuchend iS des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II.

17

Der Begriff der "Arbeitsuche" ist im vorliegenden Kontext freizügigkeitsrechtlich geprägt. Der Gesetzgeber hat in § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II - anders als in § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II - zwar nicht ausdrücklich Bezug auf die Regelungen des FreizügG/EU genommen. Aus der Verknüpfung mit dem "Aufenthaltsrecht" folgt jedoch bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift, dass die dortigen Regelungen sowie die der RL 2004/38/EG zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der "Arbeitsuche" heranzuziehen sind. Dies wird durch den Gesetzentwurf zur Änderung des S 2 des § 7 Abs 1 SGB II(BT-Drucks 16/5065 S 234; Änderung des SGB II zum 28.8.2007 durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007, BGBl I 1970, 2008) bestätigt. Danach sollten mit den Neuregelungen in § 7 Abs 1 S 2 SGB II die Unionsbürgerrichtlinie RL 2004/38/EG im Leistungsrecht umgesetzt und insbesondere von der Möglichkeit des Leistungsausschlusses nach Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG Gebrauch gemacht werden. Diese Norm regelt, dass vom Grundsatz der Gleichbehandlung aller Unionsbürger abgewichen werden kann, wenn die betreffende Person weder Arbeitnehmer, noch Selbstständiger oder deren Familienangehöriger ist und sie diesen Status nicht erhalten konnte (vgl hierzu Art 7 Abs 3 Buchst b und c RL 2004/38/EG). Sofern sie als Arbeitsuchende in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaates eingereist ist, sieht die Richtlinie durch Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG solange eine Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts als Arbeitsuchende vor, solange sie nachweisen kann, dass sie weiterhin Arbeit sucht und sie eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden. Diese Regelung hat der Gesetzgeber zwischenzeitlich (mW ab dem 9.12.2014, BGBl I 1922) ins FreizügG/EU übernommen. In dessen § 2 Abs 2 S 1 Nr 1a FreizügG/EU ist nunmehr geregelt, dass freizügigkeitsberechtigt Unionsbürger sind, die sich zur Arbeitsuche aufhalten, für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Der dies tragende Grundgedanke der Aussicht auf Aufnahme einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ist jedoch wegen der Gründung des Normtextes des § 7 Abs 1 S 2 SGB II auf der RL 2004/38/EG auch bereits im streitigen Zeitraum zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Arbeitsuche heranzuziehen.

18

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs ist die Annahme des LSG revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass sich die Freizügigkeitsberechtigung der Kläger zu 1 und 2 im streitigen Zeitraum nicht mehr allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergab. Auf Grundlage der Anhörung der Kläger in der mündlichen Verhandlung sowie beigezogener Auskünfte und Beratungsvermerke der BA ist das LSG zu dem Ergebnis gelangt, dass sie im streitigen Zeitraum keine realistische Chance auf Erlangung eines Arbeitsplatzes hatten. Die Kläger zu 1 und 2 verfügten nicht über eine verwertbare berufliche Qualifikation oder Ausbildung, nennenswerte Berufserfahrung und deutsche Sprachkenntnisse. Diese fehlenden Kenntnisse stellten ein erhebliches Hindernis bei der Arbeitsuche dar. Zudem war zu berücksichtigen, dass ihre Berechtigung, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, im streitigen Zeitraum zusätzlich noch durch das Erfordernis einer Arbeitsgenehmigung-EU iS des § 284 SGB III(in den hier einschlägigen Fassungen vom 7.12.2006 BGBl I 2814 und vom 20.12.2011 mWv 1.5.2011 BGBl I 2854) iVm der Arbeitserlaubnis-EU nach § 39 Abs 2 S 1 Nr 1 Buchst b AufenthG(in den hier einschlägigen Fassungen vom 25.2.2008, BGBl I 162 und 20.12.2011, mWv 1.5.2011 BGBl I 2854, 2921) - für Unionsbürger aus Rumänien in der ersten Beitrittszeit - beschränkt war. Danach brauchte die BA der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Beschäftigung nur zuzustimmen, wenn für die Beschäftigung deutsche Arbeitnehmer sowie Ausländer, die diesen hinsichtlich der Arbeitsaufnahme rechtlich gleichgestellt waren, oder andere Ausländer, die nach dem Recht der Europäischen Union einen Anspruch auf vorrangigen Zugang zum Arbeitsmarkt hatten, nicht zur Verfügung standen. Die begründete Aussicht, dass diese beim Fehlen jeglicher Qualifikation der Arbeitsuchenden, wie vorliegend, zur Verfügung stehen, hat das LSG ohne Rechtsfehler negiert. Da die Kläger sich zu Beginn des hier streitigen Zeitraums zudem bereits mehr als zwei Jahre in Deutschland aufgehalten hatten, ohne eine Erwerbstätigkeit ausgeübt zu haben, unterliegt der vom LSG weiter gezogene Schluss der objektiv nicht bestehenden Aussicht der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit keinen durchgreifenden Zweifeln (vgl zum zeitlichen Umfang der materiellen Freizügigkeitsberechtigung der Arbeitsuche: EuGH Rs Antonissen vom 26.2.1991 - C-292/89 RdNr 21; s auch Devetzi, EuR 2014, 638, 642; Lehmann, ZAR 2015, 212, 215; Thym, NJW 2015, 130, 133).

19

b) Die Kläger waren jedoch, auch wenn sie nicht den ausdrücklich normierten Ausnahmen des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II unterfallen, gleichwohl von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen. Denn sie verfügten über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des FreizügG/EU oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht. Damit unterfielen sie "erst-recht" dem Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II. Die Vorschrift ist insoweit planwidrig lückenhaft, als sie nicht ausdrücklich den Ausschluss auch derjenigen normiert, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen, weil sie einen Leistungsausschluss schon für solche Ausländer anordnet, die sich auf eine solche materielle Freizügigkeitsberechtigung im Sinne des FreizügG/EU berufen können.

20

Der "Erst-Recht-Schluss" ist eine Untergruppe oder ein Spezialfall des Analogieschlusses. Die analoge Anwendung einfachgesetzlicher Vorschriften ist eine anerkannte Methode der richterlichen Rechtsfortbildung und verfassungsrechtlich unter Beachtung der Schranken des Art 20 Abs 3 GG zulässig. Denn hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, darf der Richter diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen, die so im Parlament nicht erreichbar war (BVerfG vom 3.4.1990 - 1 BvR 1186/89 - BVerfGE 82, 6, 11). Daher setzt der Analogieschluss voraus, dass das Gesetz - hier im Hinblick auf eine bestimmte Personengruppe - lückenhaft, also angesichts der erkennbaren Regelungsabsicht des Gesetzgebers "planwidrig" unvollständig ist (vgl dazu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 373, 375; s nur BSG vom 25.6.2009 - B 10 EG 8/08 R - BSGE 103, 291 = SozR 4-7837 § 2 Nr 2 RdNr 31 mwN). Es muss an der nach dem Regelungsplan des Gesetzes zu erwartenden Regel mangeln (BVerwG vom 11.9.2008 - 2 B 43/08 - Buchholz 237.7 § 23 NWLBG Nr 1 mwN). Dem "Erst-Recht-Schluss" selbst liegt dabei die Erwägung zugrunde, die analoge Anwendung sei immer dann gerechtfertigt, wenn die rechtspolitischen Gründe (Normzwecke) einer Vorschrift bei einem nicht geregelten Lebenssachverhalt noch stärker gegeben sind als bei dem geregelten Normtatbestand (vgl nur Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8. Aufl 2015, RdNr 898). Dies ist hier im Hinblick auf Unionsbürger oder Ausländer, die über keine Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen, der Fall, wie sich aus der Entstehungsgeschichte der Ausschlussregelung, ihrem systematischen Zusammenhang sowie dem Sinn und Zweck der benannten Vorschrift erschließt (vgl zur Feststellung des Regelungsplans des Gesetzgebers bei einer Unvollständigkeit des Gesetzes, Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl 1991, S 373).

21

(aa) Nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II in der ab dem 1.1.2005 geltenden Fassung des Gesetzes zur optionalen Trägerschaft von Kommunen nach dem SGB II (vom 30.7.2004, BGBl I 2014) waren Ausländer unter den Voraussetzungen des § 8 Abs 2 SGB II leistungsberechtigt. Ein Ausschluss oder eine Beschränkung der Leistungsberechtigung für Unionsbürger waren mithin nicht vorgesehen. Mit der Neufassung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II durch das Gesetz zur Änderung des 2. Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (vom 24.3.2006, BGBl I 558) ergänzt durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (vom 19.8.2007, BGBl I 2008) erfolgte dann ein grundlegender Paradigmenwechsel. Es sollte von der Option des Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG Gebrauch gemacht werden (BT-Drucks 16/5065 S 234). Für Unionsbürger, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen, sollte eine weitere leistungsrechtliche Hürde geschaffen werden, sofern sie wegen des vorbehaltlosen Aufenthalts in den ersten drei Monaten oder allein zum Zweck der Arbeitsuche freizügigkeitsberechtigt sind (BT-Drucks 16/5065 S 234; BT-Drucks 16/688 S 13). Leistungsberechtigt sollten sie nur sein, wenn sie über eine von § 7 Abs 1 S 2 SGB II nicht erfasste Freizügigkeitsberechtigung oder ein sonstiges Aufenthaltsrecht verfügen. Hieraus folgt umgekehrt, dass nicht freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Unionsbürger nach dem gesetzgeberischen Plan von vornherein nicht leistungsberechtigt sein sollten.

22

(bb) Dies entspricht auch der Binnensystematik und der Verknüpfung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II mit dem im Gesetzentwurf unter Bezug genommenen Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG. Danach ist der Aufnahmemitgliedstaat - unter Hintanstellung des Gleichbehandlungsgrundsatzes - nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG (Zeitraum der Arbeitsuche, s unter 2.a) einen Anspruch auf Sozialhilfe (…) zu gewähren. Das Gleichbehandlungsgebot, also auch die Verpflichtung zur Gleichbehandlung bei der Gewährung existenzsichernder Leistungen, gilt mithin umgekehrt grundsätzlich nur dann, wenn eine Freizügigkeitsberechtigung des Unionsbürgers im Sinne der Richtlinie gegeben ist. Zugleich wird im Hinblick auf den Aufenthalt in den ersten drei Monaten und zur Arbeitsuche durch den Hinweis auf Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG eine Ausnahme normiert. Mit der Einfügung der Nr 1 und 2 in den S 2 des § 7 Abs 1 SGB II sollte demnach von den unionsrechtlich eröffneten Ausschlussgründen auch bei Bestehen einer Freizügigkeitsberechtigung Gebrauch gemacht werden. Hierin fügt sich die Systematik der Rückausnahmen in § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II für freizügigkeitsberechtigte Arbeitnehmer und Selbstständige sowie ihre Familienangehörigen ein. Dementsprechend haben die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG im Hinblick auf Nr 2 des § 7 Abs 1 S 2 SGB II bisher schon unter Bezug auf § 11 FreizügG/EU (Regelung der Anwendung des AufenthG) angenommen, dass in Fällen, in denen ein anderes Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG - auch neben dem zum Zwecke der Arbeitsuche - besteht, etwa aus anderen familiären Gründen, der Ausschluss ebenfalls nicht eingreift(BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 30 ff; BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28, RdNr 20 ff).

23

Dass der Gesetzgeber es planwidrig unterlassen hat, auch die nicht freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigten Ausländer ausdrücklich von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auszuschließen, belegt auch die nachfolgende Kontrollüberlegung zu dem System der Eingliederungsleistungen im SGB II. Nach der Grundkonzeption des SGB II ist es Ziel dieser Leistungen, dass leistungsberechtigte Personen ohne eine Erwerbstätigkeit bei der Aufnahme einer solchen unterstützt werden, also Arbeit zu finden und, wenn sie bisher erfolglos Arbeit gesucht haben, dies mit einer Unterstützung durch Eingliederungsleistungen erfolgreich zu tun. Wenn ein EU-Ausländer aber Leistungen nach §§ 16 ff SGB II für eine erfolgreiche Arbeitsuche erhält, liegen die Voraussetzungen des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II (wieder) vor. Dass ein solcher Zirkelschluss vom Gesetzgeber gewollt war, kann nicht angenommen werden. Es ist daher vielmehr davon auszugehen, dass es seinem Plan entsprach, in den Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II auch die Ausländer einzubeziehen, die keine oder objektiv ohne Erfolgsaussichten Arbeit suchen.

24

(cc) Auch wäre es sinnwidrig und würde der sozialpolitischen Zweckrichtung der Regelung widersprechen, hätten gerade nicht materiell freizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Ausländer einen Rechtsanspruch auf diese Leistungen, weil sie nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift nicht von Leistungen ausgeschlossen sind. Sie sind vielmehr, weil ihre Leistungsberechtigung im eigentlichen Sinne nicht gewollt war, "erst-recht" von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen. Mit der Ausschlussregelung sollte ein Zuzug von Ausländern in den SGB II-Leistungsbezug verhindert werden, soweit keine Verpflichtung zur Gleichbehandlung mit Inländern besteht (vgl BT-Drucks 16/5065 S 234). Nur wer als Unionsbürger freizügigkeitsberechtigt ist - über das Aufenthaltsrecht in den ersten drei Monaten und zur Arbeitsuche hinaus - sollte daher einen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen aus dem SGB II erhalten, etwa aufstockend neben der Tätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbstständiger, während der nachgehenden Statuserhaltung oder als deren Familienangehörige. Nach Ablauf der ersten drei Monate des Aufenthalts sei, so die Begründung im Gesetzentwurf, das weitere Aufenthaltsrecht vom Aufenthaltszweck abhängig und damit auch die Leistungsberechtigung nach dem SGB II. So sollte sichergestellt werden, dass durch die Neuregelung im Freizügigkeitsgesetz/EU - die RL 2004/38/EG umsetzend - keine Regelungslücke entsteht (vgl BT-Drucks 16/5065 S 234). Die materielle Freizügigkeits- oder Aufenthaltsberechtigung kann damit nicht hinweggedacht werden, ohne dass die Ausschlussregelung ihren Sinn verlöre.

25

c) Die Kläger konnten sich nicht auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung berufen.

26

(aa) Die Kläger waren nicht als Arbeitnehmer freizügigkeitsberechtigt. Der Begriff des Arbeitnehmers in § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist, wie die Wortverbindung in dessen Nr 1 zum FreizügG/EU bereits zeigt, ebenfalls europarechtlich geprägt; durch dieses Gesetz wird die, die Freizügigkeitsrechte der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen innerhalb der Union regelnde RL 2004/38/EG - auf Grundlage der Europäischen Verträge - in das nationale Recht umgesetzt (Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, Vorbemerkung 0.1.2 zum Freizügigkeitsgesetz/EU). Eine kodifizierte Definition des Arbeitnehmerbegriffs findet sich im Europarecht zwar nicht. Es ist daher auf die Ausprägung dessen zurückzugreifen, die er auf Grundlage der Rechtsprechung des EuGH erfahren hat. Die Arbeitnehmereigenschaft wird danach bei der Ausübung einer tatsächlichen und echten Tätigkeit als gegeben angesehen, was gestützt auf objektive Kriterien und in einer Gesamtbetrachtung aller Umstände, die die Art der in Rede stehenden Tätigkeiten und des fraglichen Arbeitsverhältnisses betreffen, festzustellen ist (EuGH Rs Ninni-Orasche vom 6.11.2003 - C-413/01 RdNr 24; EuGH vom 21.2.2013 - C-46/12 RdNr 39 ff; Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 2 FreizügG/EU RdNr 37; Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 9. Edition, Stand XI/2015, § 2 FreizügG/EU RdNr 18 ff). Um Arbeitnehmer zu sein, muss die betreffende Person während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringen, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Dabei sind nicht nur Gesichtspunkte wie die Arbeitszeit und die Höhe der Vergütung zu berücksichtigen, sondern auch solche wie der Anspruch auf bezahlten Urlaub, die Geltung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Anwendung des Tarifvertrags in der jeweils gültigen Fassung auf den Arbeitsvertrag sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses (EuGH Rs Genc vom 4.2.2010 - C-14/09 RdNr 27). Dies bedeutet, dass eine Integration in den Betrieb des Arbeitgebers gegeben sein muss, bei der die betreffende Person unter der Weisung oder Aufsicht eines Dritten steht, der die zu erbringenden Leistungen und/oder die Arbeitszeiten vorschreibt und dessen Anordnungen durch den Arbeitnehmer zu befolgen sind (vgl Hoffmann in Hofmann/Hoffmann, HK-AuslR, 1. Aufl 2008, § 2 FreizügG/EU RdNr 8). Unter Anwendung dieses Maßstabs und auf Grundlage seiner Feststellungen hat das LSG vorliegend die Arbeitnehmereigenschaft der Kläger zu 1 und 2 zutreffend verneint.

27

Die Kläger zu 1 und 2 haben die Obdachlosenzeitung "Fifty-Fifty" verkauft. Das LSG hat festgestellt, dass damit ein wirtschaftlicher Güteraustausch nicht verbunden gewesen sei, jedenfalls sei dies nicht der prägende Hauptzweck der Tätigkeit gewesen. Vielmehr habe es sich um eine dem Betteln gleichgestellte Tätigkeit gehandelt, die - nach einem Hinweis in dieser Zeitung - unter genehmigungsfreiem Gemeingebrauch des öffentlichen Straßenraumes erfolgte. Die Kläger zu 1 und 2 unterlagen auch nicht den Weisungen der karitativen Organisationen, die diese Zeitung herausgeben. Sie "kauften" die Zeitschriften bei den Herausgebern zum Zwecke des Straßenverkaufs und konnten - ohne weitere Weisungen zu deren Vertrieb - den Differenzbetrag zum Verkaufspreis zur eigenen Verfügung behalten.

28

(bb) Eine selbstständige Erwerbstätigkeit ist - ebenfalls unter Berücksichtigung der europarechtlichen Implikationen - jede Art der wirtschaftlichen Tätigkeit, die in eigener Verantwortung und weisungsfrei erfolgt (Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 9. Edition, Stand XI/2015, § 2 FreizügG/EU RdNr 32). Eine Gewinnerzielungsabsicht muss nicht vorrangiges oder einziges Ziel sein, sie muss aber vorhanden sein. Rein karitative Tätigkeiten fallen nicht hierunter; die Tätigkeit muss daher erwerbsorientiert sein, wobei alle Tätigkeiten erfasst werden, sofern sie mit einer entgeltlichen Gegenleistung verbunden sind und eine Teilnahme am Wirtschaftsleben darstellen (EuGH Rs Sodemare vom 17.6.1997 - C-70/95 RdNr 25; vgl auch Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 2 FreizügG/EU RdNr 78; Müller-Graff in Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl 2012, Art 49 AEUV RdNr 13). Der Selbstständige, der sich auf das Freizügigkeitsrecht der Niederlassungsfreiheit im Sinne der Art 49 ff AEUV berufen kann, muss auch tatsächlich eine wirtschaftliche Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit ausüben (EuGH Rs Factortame vom 25.7.1991 - C-221/89 RdNr 34; Tewocht in Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 9. Edition, Stand XI/2015, § 2 FreizügG/EU RdNr 33)und damit wirtschaftlich in einen anderen Mitgliedstaat integriert sein (Brinkmann in Huber, AufenthG, 1. Aufl 2010, § 2 FreizügG/EU RdNr 29).

29

Diese Voraussetzungen sind nach den zuvor dargelegten Bedingungen, unter denen die Kläger zu 1 und 2 dem Verkauf der Obdachlosenzeitung nachgegangen sind, nicht gegeben. Aber auch mit dem von dem Kläger zu 1 angemeldeten Gewerbebetrieb: "Abbruch- und Entkernungsarbeiten, Hilfsarbeiten auf Baustellen" erfüllte er nicht die Voraussetzungen um den Status als niedergelassener selbstständiger Erwerbstätiger erlangt zu haben. Er hat ausweislich der Feststellungen des LSG erklärt, das Gewerbe nie betrieben und auch keinen Gewinn erzielt zu haben. Abgesehen davon, dass er allein mit der Anmeldung des Gewerbebetriebes nicht am wirtschaftlichen Leben teilgenommen hat, war diese offensichtlich unter Zugrundelegung der getroffenen Feststellungen nicht erwerbsorientiert.

30

(cc) Damit entfällt zugleich der nachgehende Schutz als Arbeitnehmer oder Selbstständiger iS des § 2 Abs 3 FreizügG/EU für die Kläger zu 1 und 2. Danach bleibt für Arbeitnehmer und selbstständig Erwerbstätige die Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU unberührt ua bei(2.) unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit oder Einstellung einer selbstständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbstständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit (S 1). Bei weniger als einem Jahr Beschäftigung gilt dies auch, jedoch nur während der Dauer von sechs Monaten nach der Beendigung der Tätigkeit (S 2). Ebenso wenig haben folglich die Familienangehörigen eine vom Status als Arbeitnehmer oder Selbstständiger abgeleitete Freizügigkeitsberechtigung iS des § 2 FreizügG/EU innegehabt.

31

(dd) Die Kläger waren auch nicht als nichterwerbstätige Unionsbürger iS des § 4 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Danach haben nicht erwerbstätige Unionsbürger, ihre Familienangehörigen und ihre Lebenspartner, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, das Recht nach § 2 Abs 1 FreizügG/EU, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen. Zwar hat das LSG keine Feststellungen zum Krankenversicherungsschutz der Kläger getroffen. Dass sie nicht über ausreichende Existenzmittel verfügten, zeigt sich jedoch bereits daran, dass sie hilfebedürftig iS des § 7 Abs 1 Nr 3 iVm § 9 SGB II waren(vgl zum Maßstab der "nicht ausreichenden Existenzmittel": Thym, NJW 2015, 130, 132).

32

(ee) Anhaltspunkte für ein anderes Aufenthaltsrecht im Sinne des AufenthG sind ebenfalls nicht ersichtlich oder vorgebracht (vgl zum Vorliegen eines anderen Aufenthaltsrechts nur: BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 30 ff; BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28, RdNr 20 ff).

33

(ff) Der fehlenden materiellen Freizügigkeitsberechtigung steht auch nicht entgegen, dass die Kläger zu 1 und 2 nach den bindenden Feststellungen des LSG im Besitz einer Freizügigkeitsbescheinigung/EU nach § 5 Abs 1 FreizügG/EU idF des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union(vom 19.8.2007, BGBl I 1970) waren. Das Ausstellen einer solchen Bescheinigung, die mit Wirkung zum 29.1.2013 im Übrigen abgeschafft worden ist (Streichung des § 5 Abs 1 FreizügG/EU in der vorbenannten Fassung durch das Gesetz zur Änderung des FreizügG/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21.1.2013, BGBl I 86), lässt keine Rückschlüsse auf das Bestehen einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung zu.

34

Ihre Ausstellung hatte allein deklaratorische Bedeutung (BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 20; Dienelt in Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl 2013, § 5 FreizügG/EU RdNr 4; noch offengelassen BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - BSGE 107, 66 = SozR 4-4200 § 7 Nr 21, RdNr 13; s jedoch BSG vom 25.1.2012 - B 14 AS 138/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 28 RdNr 17). Auch solange § 5 Abs 1 FreizügG/EU idF vom 19.8.2007 noch in Kraft war, erfolgte die Prüfung der Freizügigkeitsberechtigung nach den Kriterien des § 2 FreizügG/EU. Das Freizügigkeitsrecht wurde und wird originär durch den EG-Vertrag/EUV/AEUV und seine Durchführungsbestimmungen begründet und nicht durch die Ausstellung der Aufenthaltskarte (EuGH Rs Dias vom 21.7.2011 - C-325/09 - RdNr 48; s auch VG Augsburg vom 5.6.2008 - Au 1 S 08.450 - juris-RdNr 35, 36). So war umgekehrt in der Vergangenheit die Ausstellung der Bescheinigung über das Freizügigkeitsrecht keine Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Unionsbürgers im Bundesgebiet. Aufgrund der generellen Freizügigkeitsvermutung muss der Aufenthalt desjenigen Unionsbürgers, der schon bei seiner Einreise ins Bundesgebiet keinen Freizügigkeitstatbestand erfüllt hat, solange als rechtmäßig angesehen werden, bis die zuständige Ausländerbehörde das Nichtbestehen des Freizügigkeitsrechts in entsprechender Anwendung des § 5 Abs 5 FreizügG/EU in der bis Januar 2013 geltenden Fassung oder nunmehr aufgrund von § 5 Abs 4 FreizügG/EU bzw der Missbrauchstatbestände in § 2 Abs 7 FreizügG/EU festgestellt hat. Erst die ausländerbehördliche Nichtbestehens- bzw Verlustfeststellung führt zur sofortigen Ausreisepflicht nach § 7 Abs 1 FreizügG/EU. Bis dahin darf sich ein Unionsbürger unabhängig vom Vorliegen einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung nach § 2 FreizügG/EU aufgrund der generellen Freizügigkeitsvermutung im Bundesgebiet aufhalten, ohne ausreisepflichtig zu sein(vgl BT-Drucks 16/5065 S 211 zu Art 2 Nr 8 Buchst a Doppelbuchst aa).

35

(d) Diese Auslegung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II ist auch europarechtskonform. Der EuGH hat sowohl in der Rechtssache Dano (vom 11.11.2014 - C-333/13) als auch in der Rechtssache Alimanovic (vom 15.9.2015 - C-67/14) in den hier gegebenen Fallkonstellationen die Zulässigkeit der Verknüpfung des Ausschlusses von Unionsbürgern anderer Mitgliedstaaten von existenzsichernden Leistungen mit dem Bestehen eines Aufenthaltsrechts im Sinne der RL 2004/38/EG ausdrücklich anerkannt. Nach seiner Rechtsprechung sind Art 24 Abs 1 der RL 2004/38/EG iVm ihrem Art 7 Abs 1 Buchst b und Art 4 VO 883/2004/EG dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, nach der Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten vom Bezug bestimmter "besonderer beitragsunabhängiger Geldleistungen" im Sinne des Art 70 Abs 2 VO 883/2004/EG ausgeschlossen werden, während Staatsangehörige des Aufnahmemitgliedstaats, die sich in der gleichen Situation befinden, diese Leistungen erhalten, sofern den betreffenden Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten im Aufnahmemitgliedstaat kein Aufenthaltsrecht nach der RL 2004/38/EG zusteht (EuGH Rs Dano vom 11.11.2014 - C-333/13 RdNr 84). In der Rechtssache Alimanovic hat der EuGH insoweit betont, dass Unionsbürger anderer EU-Staaten, die nach Deutschland eingereist sind, um Arbeit zu suchen, vom deutschen Gesetzgeber vom Bezug von Alg II oder Sozialgeld ausgeschlossen werden können, selbst wenn diese Leistungen als besondere beitragsunabhängige Geldleistungen im Sinne des Art 70 VO 883/2004/EG eingeordnet werden (EuGH Rs Alimanovic vom 15.9.2015 - C-67/14 RdNr 63). Beim Alg II und Sozialgeld handele es sich um Leistungen der "Sozialhilfe" im Sinne des Art 24 Abs 2 der RL 2004/38/EG. Danach haben die Aufnahmestaaten jedoch keine Verpflichtung zur Gleichbehandlung ihrer Staatsangehörigen und solcher anderer EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf einen Anspruch auf Sozialhilfe, wenn Letztere nicht Arbeitnehmer oder Selbstständige sind oder ihnen dieser Status erhalten geblieben ist bzw Familienangehörige dieser sind (s hierzu auch Kingreen in NVwZ 2015, 1503, 1505 f; Padé in jM 2015, 414, 415).

36

3. Den Klägern steht jedoch ein Recht auf Existenzsicherung durch Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII gemäß § 23 Abs 1 S 3 SGB XII in gesetzlicher Höhe gegen die Beigeladene zu.

37

a) Die Kläger waren leistungsberechtigt im Sinne des Sozialhilferechts, weil sie im streitigen Zeitraum ihren Lebensunterhalt nicht iS des § 19 Abs 1 SGB XII iVm § 27 Abs 1 SGB XII aus eigenen Kräften und Mitteln decken konnten.

38

Nach § 19 Abs 1 SGB XII ist Personen Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten können. Dies war bei den Klägern, wie eingangs dargelegt, im streitigen Zeitraum der Fall. Ihr Bedarf im sozialhilferechtlichen Sinne ist dem Grunde nach zwar teilweise dadurch gedeckt worden, dass sie - durch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zugesprochene SGB II-Leistungen - den leistungslosen Zeitraum überstanden haben (vgl BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 16/08 R - BSGE 104, 213 = SozR 4-1300 § 44 Nr 20, RdNr 14 mwN). Insoweit greift für einen Teil des streitigen Zeitraums die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X ein.

39

b) Einem Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII stand auch eine mangelnde Kenntnis der Beigeladenen von der Bedürftigkeit der Kläger im streitigen Zeitraum nicht entgegen. Die Kläger haben zwar "nur" Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bei dem Beklagten beantragt. Die nach § 18 Abs 1 SGB XII erforderliche Kenntnis der Beigeladenen von dem Bedarf der Kläger liegt jedoch gleichwohl vor. Die Beigeladene muss sich insoweit die Kenntnis des Beklagten aufgrund des Antrags auf SGB II-Leistungen nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG zurechnen lassen (BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 66/13 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 42 RdNr 25; BSG vom 13.2.2014 - B 8 SO 58/13 B - SozR 4-3500 § 25 Nr 4 RdNr 8; BSG vom 26.8.2008 - B 8/9b SO 18/07 R - SozR 4-3500 § 18 Nr 1 RdNr 22 ff).

40

c) Ebenso wenig waren die Kläger nach § 21 S 1 SGB XII von der Hilfe zum Lebensunterhalt ausgeschlossen. § 21 S 1 SGB XII bestimmt, dass Personen, die nach dem SGB II als Erwerbsfähige oder als Angehörige dem Grunde nach leistungsberechtigt sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten. Die Kläger waren im streitigen Zeitraum nicht dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II, weil sie dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II unterfielen. Dies führt dazu, sie dem System des SGB XII zuzuweisen. Die Erwerbsfähigkeit zumindest der Kläger zu 1 und 2 steht dem nicht entgegen.

41

Schon der Wortlaut des § 21 S 1 SGB XII stellt nicht ausschließlich auf das Vorliegen von Erwerbsfähigkeit ab, sondern berücksichtigt einen Leistungsanspruch nach dem SGB II dem Grunde nach. Ist mithin ein Erwerbsfähiger wegen des Vorliegens der Voraussetzungen eines Leistungsausschlusses nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II, folgt hieraus nicht zwangsläufig ein Leistungsausschluss nach dem SGB XII (BSG vom 25.9.2014 - B 8 SO 6/13 R - BSGE = SozR 4-4200 § 44a Nr 1, RdNr 11). Die "Systemabgrenzung" erfordert vielmehr eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Leistungsausschlüsse (Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 21 RdNr 26, 34; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB XII, § 21 RdNr 46, Stand I/2014; so im Ergebnis auch Coseriu in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 23 RdNr 64). Im Grundsatz gilt für die Systemzuweisung aufgrund der Erwerbszentriertheit des SGB II, dass derjenige, der von dem auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ausgerichteten Leistungssystem des SGB II ausgeschlossen werden soll, dem System des SGB XII zugewiesen wird.

42

Auf dieser Grundlage hat das BSG bereits für andere in § 7 SGB II geregelte Leistungsausschlüsse ausdrücklich entschieden, dass die "Anwendungssperre" des § 21 S 1 SGB XII nicht greift(vgl Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 21 RdNr 34 ff). Dies gilt nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate sowohl für den Leistungsausschluss wegen einer den Regelbedarf unterschreitenden ausländischen Rentenleistung als auch den Leistungsausschluss eines Erwerbsfähigen wegen der Unterbringung in einer stationären Einrichtung oder in einem Krankenhaus nach § 7 Abs 4 S 1 SGB II. Sie sind iS des § 21 SGB XII nach dem SGB II dem Grunde nach nicht mehr leistungsberechtigt und bei Bedürftigkeit auf "die auf gleicher Grundlage wie im SGB II bemessenen und daher vom Umfang im Wesentlichen identischen Leistungen der Sozialhilfe" verwiesen(BSG vom 16.5.2012 - B 4 AS 105/11 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 30 RdNr 20; BSG vom 2.12.2014 - B 14 AS 66/13 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 42 RdNr 10, 24; vgl auch BSG vom 19.8.2015 - B 14 AS 1/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen - RdNr 47: vorzeitige Altersrente nach Aufforderung durch den Grundsicherungsträger). In gleicher Weise hat der für das Sozialhilferecht zuständige 8. Senat des BSG für den Leistungsausschluss bei Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneten Freiheitsentziehung entschieden. Erwerbsfähige Hilfebedürftige, die einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 S 2 SGB II unterfallen, können grundsätzlich Leistungen für den Lebensunterhalt nach dem SGB XII beanspruchen(BSG vom 12.12.2013 - B 8 SO 24/12 R - SozR 4-3500 § 67 Nr 1 RdNr 20).

43

Bezogen auf den Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 SGB II gilt nichts anderes(Berlit in Berlit/Conradis/Sartorius, Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl 2013, Kap 12 RdNr 54; Eicher in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl 2014, § 21 RdNr 35). Der Ausschluss von Personen, die nicht oder nicht mehr über eine Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche verfügen, vom erwerbszentrierten Leistungssystem des SGB II führt dazu, die Sperrwirkung des § 21 SGB XII entfallen zu lassen.

44

d) Allerdings steht dem Rechtsanspruch der Kläger auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII ein Ausschluss aufgrund der Regelung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII entgegen.

45

(aa) Die Kläger sind zwar nicht iS des § 23 Abs 3 Satz 1 Alt 1 SGB XII eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen. Es mangelt hier insoweit an dem finalen Zusammenhang zwischen Einreise und Sozialhilfebezug (vgl BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 25). Dieser Zusammenhang liegt vor, wenn der Zweck, Sozialhilfe zu erlangen, den Einreiseentschluss geprägt hat. Wie das BVerwG dies bereits zu der wortgleichen Vorschrift des § 120 Abs 3 S 1 BSHG entschieden hat, bezeichnet schon die Konjunktion "um (…) zu (…)" ein ziel- und zweckgerichtetes Handeln und damit eine Zweck-Mittel-Relation, in der die Einreise das Mittel und die Inanspruchnahme von Sozialhilfe den mit ihr verfolgten Zweck bildet(vgl BVerwG vom 4.6.1992 - 5 C 22/87 - BVerwGE 90, 212, 214; im Anschluss daran etwa LSG Berlin-Brandenburg vom 10.9.2009 - L 23 SO 117/06 - juris-RdNr 27 f; LSG Nordrhein-Westfalen vom 12.1.2009 - L 20 B 58/08 AY - juris-RdNr 25 ff; LSG Niedersachsen-Bremen vom 27.11.2008 - L 8 SO 173/08 ER - juris-RdNr 20 f). Dabei wird diese Zweck-Mittel-Relation jedoch auch dann als gegeben angesehen, wenn die Einreise des Ausländers auf verschiedenen Motiven beruht, der Zweck der Inanspruchnahme für den Einreiseentschluss jedoch von prägender Bedeutung gewesen, also nicht nur neben vorrangigen anderen Zwecken billigend in Kauf genommen worden ist (Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr 46, Stand VI/2012).

46

So liegt der Fall nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG hier nicht. Es ist keine Zweck-Mittel-Relation im eben dargelegten Sinne gegeben, denn die Kläger zu 1 und 2 sind zur Arbeitsuche eingereist. Das LSG hat dies - wenn auch die Erfolgsaussichten der Arbeitsuche für den hier streitigen Zeitraum verneinend - ausdrücklich festgestellt. So haben die Kläger zu 1 und 2, wie das LSG unter Hinweis auf die Beratungsvermerke in den Akten ausgeführt hat, mehrfach Deutschkurse beantragt und sich auch sonst um Eingliederungsleistungen bemüht. Sie haben auch nicht schon bei der Einreise oder kurz danach, sondern erstmals nach rund einem Jahr ihres Aufenthalts in Deutschland und dann erneut rund noch einmal ein weiteres Jahr später existenzsichernde Leistungen beantragt. Der Kläger zu 3 folgt dem als Familienangehöriger.

47

(bb) Die Kläger unterfallen auch nicht dem Wortlaut der Alt 2 des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII. Sie verfügten - wie unter 2.a) dargelegt - im streitigen Zeitraum nicht mehr über ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche. Dies ist nach dem Wortlaut des § 23 Abs 3 SGB XII jedoch Voraussetzung für den Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII. Der Ausschluss tritt danach nur dann ein, wenn ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche im streitigen Zeitraum tatsächlich gegeben ist.

48

(cc) Ebenso wie oben zum Leistungsausschluss im SGB II dargelegt, sind jedoch auch nach § 23 Abs 3 S 1 SGB XII nichtfreizügigkeits- oder aufenthaltsberechtigte Ausländer von den existenzsichernden Leistungen der Sozialhilfe ausgenommen(offengelassen BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 25; aA Herbst in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und der Sozialhilfe, Band 1 Teil II, Stand VIII/2013, § 23 SGB XII RdNr 47b; Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr 54d, Stand VI/2012).

49

Im Entwurf des Gesetzes zur Änderung des SGB XII und anderer Gesetze vom 25.9.2006 (BT-Drucks 16/2711 S 10) wird darauf hingewiesen, dass die Einfügung der Alt 2 in § 23 Abs 3 S 1 SGB XII einen der Regelung im SGB II entsprechenden Leistungsausschluss für Ausländer normiere und damit zugleich sicherstelle, dass Ausländer, die nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II keinen Anspruch auf Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende hätten, auch aus dem SGB XII keine Ansprüche herleiten könnten. § 7 Abs 1 S 2 SGB II in der damaligen Fassung lautete: Ausgenommen sind Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt [und] ihre Familienangehörigen (…)(idF des Gesetzes zur Änderung des SGB II und anderer Gesetze vom 24.3.2006, BGBl I 558 mWv 1.4.2006). Es sollte damit Art 24 Abs 2 iVm Art 14 Abs 4 Buchst b der RL 2004/38/EG umgesetzt werden (BT-Drucks 16/2711 S 10). Nach Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG ist der Aufnahmemitgliedstaat - unter Hintanstellung des Gleichbehandlungsgrundsatzes - nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG (Zeitraum der Arbeitsuche, s unter 2.a) einen Anspruch auf Sozialhilfe (…) zu gewähren. Die dort vorgenommene Abgrenzung zwischen den gleich zu behandelnden Personengruppen und denen, die aus europarechtlicher Sicht von den Aufnahmestaaten von der Sozialhilfe ausgeschlossen werden dürfen, erfolgt, indem der Personenkreis der Freizügigkeitsberechtigten, die der Gleichbehandlung unterfallen, positiv benannt wird. Im Umkehrschluss ergibt sich, dass neben denen, die freizügigkeitsberechtigt wegen der Arbeitsuche sind und denen der Aufnahmestaat gleichwohl keine Sozialhilfeleistungen zu erbringen braucht, dies auch für die Nichtfreizügigkeitsberechtigten gilt. Sie unterfallen nicht dem Gleichbehandlungsgebot.

50

Soweit spätere Versuche, eine weitergehende Anpassung der Rechtslage des SGB II an das SGB XII zu bewirken, nicht erfolgreich waren (s nur BT-Drucks 16/2711 S 16; BT-Drucks 16/2753 S 1, 2; BT-Drucks 16/5527 S 15, 23; BT-Drucks 16/239 S 13, 17), sprechen diese Versuche und die Reaktionen hierauf nicht für das Erfordernis einer anderen Wertung im Hinblick auf den "Erst-Recht-Schluss" im SGB XII als im SGB II. Die zuvor beschriebene Anpassung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII war ausreichend, um die gewünschte Parallele zum SGB II für die hier zu beurteilenden Fälle zu ermöglichen. Insbesondere bedurfte es keiner Reaktion auf die Änderung des § 7 Abs 1 S 2 SGB II durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 (BGBl I, 1970 mWv 28.8.2007). Die Umstrukturierung des S 2 und die Einfügung der Nr 1 in § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist für das SGB XII ohne Bedeutung.

51

e) Zwar ist Rechtsfolge des Ausschlusses nach § 23 Abs 3 S 1 SGB XII, dass trotz des tatsächlichen Aufenthalts im Inland kein Rechtsanspruch auf ua Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 23 Abs 1 S 1 SGB XII besteht. In einem solchen Fall des Ausschlusses können jedoch nach § 23 Abs 1 S 3 SGB XII Leistungen der Sozialhilfe gewährt werden, wenn dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Ausschlussregelung, denn sie nimmt lediglich Bezug auf den "Anspruch" auf Sozialhilfe. Dementsprechend hat bereits das BVerwG zu der Vorschrift des § 120 Abs 3 S 1 Alt 1 BSHG befunden, dass Ausländer, die dem Leistungsausschluss unterfielen, weil sie eingereist seien, um Sozialhilfe zu erlangen, lediglich von einem Rechtsanspruch ua auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 120 Abs 1 S 1 BSHG ausgeschlossen seien(BVerwG vom 10.12.1987 - 5 C 32/85 - BVerwGE 78, 314, 316 f; Schellhorn/Jirasek/Seipp, Kommentar zum BSHG, 16. Aufl 2002, § 25 RdNr 10, § 120 RdNr 16; so auch Krahmer in LPK-BSHG, 6. Aufl 2003, § 25 RdNr 7; Birk in ders, § 120 RdNr 47). Insoweit gilt für die Regelung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII, die der Gesetzgeber in Kenntnis der Rechtsprechung des BVerwG im Wesentlichen inhaltsgleich ausgestaltet hat(BT-Drucks 15/1514 S 58), nichts anderes (vgl BSG vom 18.11.2014 - B 8 SO 9/13 R - BSGE = SozR 4-3500 § 25 Nr 5, RdNr 28; s auch Adolph in Linhart/Adolph, SGB II/SGB XII/AsylbLG, § 23 SGB XII RdNr 76, Stand XII/2008; Birk in LPK-SGB XII, 10. Aufl 2015, § 23 RdNr 20; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 23 RdNr 42; differenzierend Schlette in Hauck/Noftz, SGB XII, § 23 RdNr 50, Stand VI/2012, der einen Rechtsanspruch auf die im Einzelfall gebotenen Leistungen annimmt, um zu einem Gleichklang mit § 1a AsylbLG zu gelangen).

52

Der Ausschluss nur von dem Rechtsanspruch auf die in S 1 des § 23 Abs 1 SGB XII benannten Leistungen erschließt sich auch aus dem - im Übrigen gegenüber § 120 BSHG unveränderten - systematischen Verhältnis der Regelungen der Sätze 1 und 3 in Abs 1 des § 23 SGB XII zueinander. Durch § 23 Abs 1 S 1 SGB XII erhält der Ausländer ausschließlich unter der Voraussetzung, dass er sich tatsächlich im Inland aufhält, einen Rechtsanspruch auf Leistungen der Sozialhilfe nach einem reduzierten Leistungskatalog, aber der Höhe nach uneingeschränkt. Hiervon sollen diejenigen, die die Ausschlusstatbestände des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII erfüllen, ausgeschlossen werden, nicht jedoch von dem der Sozialhilfe systemimmanenten grundsätzlichen Anspruch auf Hilfe bei bedrohter Existenzsicherung(s hierzu BVerwG vom 14.3.1985 - 5 C 145/83 - BVerwGE 71, 139; BVerwG vom 10.12.1987 - 5 C 32/85 - BVerwGE 78, 314, 317 ff). Diesem Personenkreis sollen daher nur nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens Leistungen der Sozialhilfe erbracht werden können, aber eben auch solche Leistungen, die nach S 1 des § 23 Abs 1 SGB XII vom Rechtsanspruch ausgenommen worden sind, soweit im Einzelfall geboten.

53

f) Das Ermessen des Sozialhilfeträgers ist jedoch in einem Fall wie dem vorliegenden, dem Grunde und der Höhe nach hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt auf Null reduziert. Dies ist immer dann der Fall, wenn sich das Aufenthaltsrecht des ausgeschlossenen Ausländers verfestigt hat - regelmäßig ab einem sechsmonatigen Aufenthalt in Deutschland. Dies folgt aus der Systematik des § 23 Abs 3 S 1 Alt 2 SGB XII im Verhältnis zu § 23 Abs 1 S 1 und 3 SGB XII sowie verfassungsrechtlichen Erwägungen.

54

So bezieht sich der ausdrückliche Ausschluss der Alt 2 des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII auf den im Freizügigkeitsgesetz/EU zeitlich begrenzten Vorgang der Arbeitsuche. Unter 2.a) ist bereits dargelegt worden, dass die Freizügigkeitsberechtigung zum Zwecke der Arbeitsuche nach dem Ablauf von sechs Monaten gemäß § 2 Abs 1a FreizügG/EU idF des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften vom 2.12.2014 (BGBl I 1922) endet, wenn nicht weiterhin eine begründete Aussicht auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit besteht. Diese Begrenzung der Freizügigkeitsberechtigung zur Arbeitsuche dient nach den Gesetzesmaterialien der Umsetzung von Unionsrecht in seiner Auslegung durch den EuGH, der entschieden habe, dass die Mitgliedstaaten berechtigt seien, das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche auf einen angemessenen Zeitraum zu begrenzen, wobei der EuGH von einem Zeitraum von sechs Monaten ausgegangen sei (BT-Drucks 18/2581 S 15 zu Art 1 Nr 1 Buchst b; vgl dazu bereits BSG vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R - BSGE 113, 60 = SozR 4-4200 § 7 Nr 34, RdNr 29). Mit dem auf den konkreten Einzelfall abstellenden Zusatz - "darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden" - nimmt die Neuregelung lediglich die Formulierung in Art 14 Abs 4 Buchst b RL 2004/38/EG auf, enthält jedoch mit der allgemein geltenden zeitlichen Begrenzung - "für bis zu sechs Monate" - eine Typisierung. Für diese typisierte Dauer einer Arbeitsuche von sechs Monaten nach der Einreise liegt eine Aufenthaltsverfestigung noch nicht vor, weil hinter der zeitlichen Begrenzung die Erwartung steht, es handele sich um einen angemessenen Zeitraum, die Erfolgsaussichten einer Arbeitsuche in einem anderen Mitgliedstaat ohne Aufenthaltsverfestigung zu prüfen.

55

Werden diese Erwartungen enttäuscht und bleibt der tatsächliche Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nach Ablauf von sechs Monaten bestehen, tritt im Regelfall eine Aufenthaltsverfestigung ein, der nach geltendem Recht ausländerbehördlich entgegengetreten werden kann. Bestand nie eine Freizügigkeitsberechtigung wegen eines Aufenthalts zur Arbeitsuche oder besteht diese nach Ablauf von sechs Monaten mangels begründeter Aussichten, eingestellt zu werden, nicht mehr, kann durch die Ausländerbehörde der Verlust der Freizügigkeitsberechtigung durch Verwaltungsakt festgestellt werden (Verlustfeststellung nach § 5 Abs 4 S 1 FreizügG/EU). Erst die förmliche Verlustfeststellung begründet nach § 7 Abs 1 S 1 FreizügG/EU die sofortige Ausreisepflicht, wenn nicht Rechtsschutz in Anspruch genommen wird(vgl BT-Drucks 16/5065 S 211 zu Art 2 Nr 8 Buchst a Doppelbuchst aa). In tatsächlicher Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass von der rechtlichen Möglichkeit der Verlustfeststellung nur in geringem Umfang Gebrauch gemacht wird (Thym, NZS 2014, 81, 87; BT-Drucks 17/13322 S 19). Zur Prüfung der Voraussetzungen einer Verlustfeststellung kann die zuständige Ausländerbehörde im Übrigen nach § 5 Abs 2 S 1 FreizügG/EU bereits frühzeitig, nämlich drei Monate nach der Einreise, verlangen, dass die Voraussetzungen nach § 2 Abs 1 FreizüG/EU glaubhaft gemacht werden.

56

Ist hiernach typisierend von einer Aufenthaltsverfestigung auszugehen, ist die Ermessenausübung jedoch daran zu messen, dass der Rechtsanspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt im Sozialhilferecht ansonsten weder nach dem Grund der Einreise, noch nach Berechtigung oder Dauer des Aufenthalts fragt. Bei der Leistungsgewährung nach dem SGB XII kommt es in erster Linie auf die Tatsache einer gegenwärtigen Hilfebedürftigkeit an (BSG vom 10.11.2011 - B 8 SO 12/10 R - SozR 4-3500 § 30 Nr 4 RdNr 26; BVerwG vom 2.6.1965 - V C 63.64 - BVerwGE 21, 208, 211; vgl auch Berlit in Berlit/Conradis/Sartorius, Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl 2013, Kap 7 RdNr 24). Es reicht nach dem Wortlaut des § 23 Abs 1 S 1 SGB XII allein der tatsächliche Aufenthalt in Deutschland aus. Dem Leistungsberechtigten, der über kein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche mehr verfügt und "erst-recht" von dem Rechtsanspruch auf "Sozialhilfeleistungen" iS des § 23 Abs 1 S 1 SGB XII ausgeschlossen ist, mangelt es wie jedem anderen Ausländer, der sich tatsächlich im Inland aufhält - zunächst einmal ohne Freizügigkeits- oder Aufenthaltsberechtigung - an einer Aufenthaltsperspektive. Um den Gleichklang mit Letzterem zu erreichen, ist es folgerichtig, zumindest im Hinblick auf die Hilfe zum Lebensunterhalt durch eine Ermessensreduktion, bei verfestigtem Aufenthalt zu denselben Leistungen zu gelangen. Dieses nach Ablauf von regelmäßig sechs Monaten durch ein Vollzugsdefizit des Ausländerrechts bewirkte Faktum eines verfestigten tatsächlichen Aufenthalts des Unionsbürgers im Inland ist unter Berücksichtigung auch der verfassungsrechtlichen Vorgaben kein zulässiges Kriterium, die Entscheidung über die Gewährung existenzsichernder Leistungen dem Grunde und der Höhe nach in das Ermessen des Sozialhilfeträgers zu stellen.

57

Das BVerfG hat in seiner Entscheidung zum AsylbLG (vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134) im Anschluss und in Weiterentwicklung der grundlegenden Entscheidung vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12)Grundlagen und Umfang des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums näher ausgeformt. Wenn Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlten, weil sie weder aus einer Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen oder durch Zuwendungen Dritter zu erlangen seien, sei der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür Hilfebedürftigen zur Verfügung stünden. Als Menschenrecht - und dies ist hier entscheidend - stehe dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhielten, gleichermaßen zu (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 159 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 89, unter Hinweis auf BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12). Eine pauschale Differenzierung nach dem Aufenthaltsstatus hat das BVerfG im Hinblick auf die konkrete Ausgestaltung der existenzsichernden Leistungen ausdrücklich abgelehnt (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 164 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 99). Insoweit komme es für eine abweichende Bedarfsbestimmung darauf an, ob etwa wegen eines nur kurzfristigen Aufenthalts konkrete Minderbedarfe gegenüber Hilfeempfängern mit Daueraufenthaltsrecht nachvollziehbar festgestellt und bemessen werden könnten. Hierbei sei etwa zu berücksichtigen, ob durch die Kürze des Aufenthalts Minderbedarfe durch Mehrbedarfe kompensiert werden könnten, die typischerweise gerade unter den Bedingungen eines nur vorübergehenden Aufenthalts anfielen. Dies lässt sich während des Bestehens eines Aufenthaltsrechts allein zum Zwecke der Arbeitsuche über die Ermessensleistung des § 23 Abs 1 S 3 SGB XII regulieren, nicht jedoch bei verfestigtem Aufenthalt. Denn ließen sich - so das BVerfG - tatsächlich spezifische Minderbedarfe bei einem nur kurzfristigen, nicht auf Dauer angelegten Aufenthalt feststellen, und wolle der Gesetzgeber die existenznotwendigen Leistungen für eine Personengruppe deshalb gesondert bestimmen, müsse er sicherstellen, dass die gesetzliche Umschreibung dieser Gruppe hinreichend zuverlässig tatsächlich nur diejenigen erfasse, die sich regelmäßig nur kurzfristig in Deutschland aufhielten. Eine Beschränkung auf etwaige Minderbedarfe für Kurzaufenthalte komme dann nicht mehr in Betracht, wenn der tatsächliche Aufenthalt die Spanne eines Kurzaufenthalts deutlich überschritten habe. Für diese Fälle sei ein zeitnaher Übergang zu den existenzsichernden Leistungen für Normalfälle vorzusehen (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 164 ff = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 99 ff). Dies begründet im Regelfall eine Ermessensreduktion auf Null und damit eine Anpassung der Hilfe zum Lebensunterhalt für diejenigen, die sich nicht nur kurzfristig im Inland aufhalten. Denn im Übrigen weist das BVerfG darauf hin, dass eine Regelung zur Existenzsicherung vor der Verfassung nur Bestand habe, wenn Bedarfe durch Anspruchsnormen gesichert würden (BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134, 162 = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 96).

58

Tatsächliche Hinweise darauf, dass von einer Ermessensreduzierung trotz des Zeitablaufs ausnahmsweise abzusehen ist, sind den Feststellungen des LSG nicht zu entnehmen. Derartige Umstände können insbesondere vorliegen, wenn die tatsächlichen Lebensumstände des Unionsbürgers darauf schließen lassen, dass er nicht auf Dauer im Inland verweilen wird. Gleiches gilt, wenn die Ausländerbehörde bereits konkrete Schritte zur Beendigung des Aufenthalts eingeleitet hat. Demgegenüber haben sich die Kläger im streitigen Zeitraum bereits mehr als zwei Jahre in Deutschland aufgehalten, ohne dass derartige Maßnahmen im Raum standen.

59

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Beschwerdeverfahrens.


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Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 13. Februar 2013 aufgehoben und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Oktober 2011 geändert.

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin ein Anspruch auf einen Zuschuss zu den Aufwendungen für ihre in der Schweiz durchgeführte freiwillige Krankenversicherung nach § 106 Abs 1 SGB VI zusteht.

2

Die am 28.8.1938 geborene Klägerin hat ihren Wohnsitz in der Schweiz.

3

Im Juni 1998 stellte die Klägerin einen Antrag auf Altersrente nach Vollendung des 60. Lebensjahres. In diesem verneinte sie die Fragen, ob sie Zuschüsse zu den Aufwendungen zur Krankenversicherung/Pflegeversicherung beantrage. Die Beklagte lehnte den Antrag mangels Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ab.

4

Auf den Antrag der Klägerin von Januar 2001 bewilligte die Beklagte ihr unter Berücksichtigung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Soziale Sicherheit vom 25.2.1964 mit Bescheid vom 14.6.2001 Altersrente für langjährig Versicherte mit Wirkung ab dem 1.9.2001. Der Bescheid enthält den Hinweis, dass von einer gesetzlichen Krankenversicherung der Klägerin in ihrem Wohnstaat auszugehen sei und daher Kranken- sowie Pflegeversicherungsbeiträge aus der Rente nicht einbehalten würden.

5

Mit Bescheid vom 12.10.2004 stellte die Beklagte die Altersrente mit Wirkung ab 1.6.2002 nach den Verordnungen (EWG) Nr 1408/71 und Nr 574/72 unter Wiederholung des Hinweises zur Krankenversicherung der Klägerin neu fest.

6

Mit Schreiben vom 29.5.2009 - bei der Beklagten eingegangen am 8.6.2009 - beantragte die Klägerin "einen Zuschuss zum (freiwilligen) Krankenversicherungsbeitrag gem. § 106 SGB VI" bei der Schweizer Groupe Mutuel. Nach der von der Klägerin überreichten Bescheinigung dieser Versicherung vom 8.6.2009 besteht die Krankenversicherung seit 1.1.1999, ist die Mitgliedschaft sowohl obligatorisch als auch freiwillig und umfasst ua die Kosten ambulanter Arztbehandlung, stationärer Krankenhausbehandlung, Aufwendungen für Arzneien und Heilmittel sowie die zahnärztliche Behandlung bzw Zahnersatz. Die monatliche Beitrags- und Prämienhöhe belief sich insgesamt im Jahr 2006 auf 607,40 CHF, im Jahr 2007 auf 610,20 CHF, im Jahr 2008 auf 685,40 CHF und im Jahr 2009 auf 701,60 CHF. In der Bescheinigung bestätigt die Krankenversicherung zugleich, dass sie der Aufsicht der Schweiz unterliege und auf die Krankenversicherungsleistungen ein Rechtsanspruch bestehe, der weder von der Bedürftigkeit des Versicherungsnehmers noch von der Disposition Dritter abhänge. Mit Bescheid vom 16.6.2009 lehnte die Beklagte den Antrag für die Zeit "vom 1.6.2009 - laufend" ab. Zur Begründung wies sie darauf hin, dass die Klägerin aufgrund einer ausländischen gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sei bzw von einem Einwohnerpflichtkrankenversicherungssystem erfasst werde. Dies schließe gemäß § 106 Abs 1 S 2 SGB VI ab dem 1.5.2007 den Zuschuss zur Krankenversicherung aus.

7

Mit ihrem hiergegen eingelegten Widerspruch berief sich die Klägerin auf eine Vielzahl vergleichbarer (positiv beschiedener) Verfahren und wies sinngemäß darauf hin, in ihrem Antrag auch einen Beratungsfehler im Zusammenhang mit der Beantragung von Altersrente im Januar 2001 geltend gemacht zu haben.

8

Mit Ergänzungsbescheid vom 24.8.2009 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung eines Beitragszuschusses bereits für Zeiten ab 1.6.2002 ab, weil die Voraussetzungen eines Herstellungsanspruchs nicht gegeben seien und wies mit Widerspruchsbescheid vom 16.2.2010 den Widerspruch der Klägerin gegen die Bescheide vom 16.6.2009 und 24.8.2009 als unbegründet zurück.

9

Das SG Berlin hat mit Urteil vom 20.10.2011 den Bescheid vom 16.6.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.2.2010 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin einen Zuschuss zur Krankenversicherung für die Zeit ab 1.6.2009 zu gewähren. Die Klage gegen den Bescheid vom 24.8.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.2.2010 hat das SG dagegen abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Gewährung eines Zuschusses lägen für die Zeit ab 1.6.2009 vor. Für die Zeit davor habe die Klägerin dagegen keinen Anspruch auf Gewährung eines Beitragszuschusses zur Krankenversicherung. Ein solcher folge insbesondere nicht aus den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs.

10

Die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten hat das LSG Berlin-Brandenburg mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des angefochtenen Urteils neu gefasst werde: Die Bescheide vom 16.6.2009 und vom 24.8.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.2.2010 würden teilweise aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab dem 1.6.2009 monatlich einen Zuschuss zu ihren Aufwendungen für die bei der Groupe Mutuel bestehende Krankenversicherung zu zahlen (Urteil vom 13.2.2013). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe hinsichtlich des allein noch streitgegenständlichen Zeitraums seit dem 1.6.2009 einen Anspruch auf Gewährung eines Zuschusses zu ihren Krankenversicherungsaufwendungen bei der Groupe Mutuel. Streitgegenständlich seien insoweit - anders als vom SG tenoriert - die Bescheide vom 16.6.2009 und 24.8.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.2.2010, was im Urteilsausspruch entsprechend klarzustellen gewesen sei. Die Voraussetzungen des § 106 Abs 1 S 1 SGB VI lägen vor. Die Klägerin gehöre zu dem von § 106 Abs 1 S 1 SGB VI begünstigten Personenkreis, weil sie seit dem 1.9.2001 eine Altersrente von der Beklagten beziehe. Sie habe auch einen Beitragszuschuss zu ihren Krankenversicherungsaufwendungen beantragt (§ 108 iVm § 99 Abs 1 S 2 SGB VI) und sei bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen iS der 2. Alternative der Norm versichert. Die Groupe Mutuel stehe zwar nicht unter deutscher, jedoch unter der Aufsicht der Schweiz, was nach Art 10 Abs 1 VO (EWG) Nr 1408/71, die im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz Anwendung finde, ausreichend sei. Der Versicherungsschutz sei zudem mit dem der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung vergleichbar, weil ausweislich der schriftlichen Bestätigung der Groupe Mutuel vom 8.6.2009 ua die Kosten für ambulante Arztbehandlung, stationäre Krankenhausbehandlung, Arznei- und Heilmittel sowie zahnärztliche Behandlung bzw Zahnersatz seit Versicherungsbeginn im Jahr 1999 versichert seien.

11

Der Anspruch der Klägerin sei auch nicht gemäß § 106 Abs 1 S 2 SGB VI ausgeschlossen. Das Versicherungsverhältnis in der schweizerischen obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKPV) begründe keine gleichzeitige Pflichtversicherung in einer ausländischen gesetzlichen Krankenversicherung. Es fehle zum einen am Kriterium der Gleichzeitigkeit. Zum anderen liege keine Pflichtkrankenversicherung im Sinne der Norm vor. Es müsse differenziert werden, ob jemand lediglich verpflichtet sei, einen Krankenversicherungsschutz zu begründen (wie in der Schweiz), oder ob jemand aufgrund gesetzlicher Vorschriften (wie in der Bundesrepublik Deutschland) automatisch in einer gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sei. Die Rechtslage in der Schweiz entspreche der seit dem 1.1.2009 in der Bundesrepublik Deutschland nach § 193 Abs 3 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) bestehenden Rechtslage. Schließlich lasse sich die von der Beklagten vertretene Auffassung, wonach die Versicherung in der OKPV die Gewährung eines Zuschusses ausschließe, mit Sinn und Zweck des § 106 SGB VI nicht vereinbaren. Bei Annahme einer Pflichtversicherung käme nur ein Anspruch nach § 249a SGB V in Betracht. Dieser stünde aber - so das LSG sinngemäß - einem Auslandsrentner nicht zu. Damit wäre der Rentenbezieher trotz seiner eigentumsrechtlich geschützten Position auf Beteiligung der Beklagten an den Aufwendungen zu seiner Krankenversicherung von einer entsprechenden Leistung gänzlich ausgeschlossen.

12

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 106 SGB VI. Hierzu trägt sie im Wesentlichen vor: Ob die Klägerin Anspruch auf einen Zuschuss nach § 106 SGB VI habe, hänge nach dem Wortlaut der Norm davon ab, ob es sich bei der OKPV nach dem schweizerischen Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) um eine gesetzliche Pflichtkrankenversicherung handele. Dies sei der Fall. Die OKPV erfasse alle Personen mit Wohnsitz in der Schweiz. Diese müssten sich innerhalb von drei Monaten nach Wohnsitznahme oder Geburt versichern oder versichern lassen, wenn sie selbst keine Verträge schließen könnten. Die Versicherungspflicht ende in der Schweiz, wenn die Bedingungen hierfür nicht mehr erfüllt seien. Träger der OKPV könnten zwar juristische Personen sowohl des öffentlichen als auch des privaten Rechts sein. Diese unterlägen aber hinsichtlich der von der Krankenversicherungspflicht erfassten Personen, des Leistungskatalogs, der Voraussetzungen der Leistungserbringung usw denselben gesetzlichen Regelungen. Wie in der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland hätten die Versicherten nicht die Wahl, ob sie eine Versicherung nach dem KVG abschließen wollten oder nicht. Die Versicherten genössen nur in sehr beschränktem Umfang Wahlfreiheiten. Insbesondere sei das Beitrags- und Leistungsrecht im Rahmen der OKPV im Gesetz zwingend festgeschrieben. Weitere Details sprächen ebenfalls für eine Gleichsetzung der schweizerischen OKPV mit der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung. So sei insbesondere die für beide Vertragspartner geltende privatrechtliche Vertragsfreiheit weitgehend aufgehoben und könnten die Versicherten die Krankenkasse wie in Deutschland wechseln, während dem Versicherungsunternehmen im Regelfall kein Kündigungsrecht zustehe.

13

Zudem sei auch das Kriterium der Gleichzeitigkeit gegeben, weil die Klägerin in der OKPV pflichtversichert sei und gleichzeitig eine zusätzliche private Krankenversicherung nach dem schweizerischen Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz - VVG) abgeschlossen habe.

14

Die Rechtsauffassung des LSG, dass eine Pflichtkrankenversicherung in der OKPV zweifellos keinen Anspruch auf Übernahme eines Beitragsanteils nach § 249a SGB V begründe, sei mit dem Urteil des EuGH vom 6.7.2000 (C-73/99, Movrin - SozR 3-6050 Art 10 Nr 6) nicht vereinbar. Der EuGH habe in diesem festgestellt, dass die Rentenversicherungsträger, die sich bei den in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversicherten Inlandsrentnern gemäß § 249a SGB V an der Tragung der Krankenversicherungsbeiträge zu beteiligen hätten, eine solche Zulage entsprechend § 249a SGB V auch an Rentner zahlen müssten, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnten und dort der Krankenversicherungspflicht unterlägen. Daher könne bei einer Pflichtversicherung in einer ausländischen Krankenversicherung - entsprechend dem deutschen Recht - kein Anspruch auf einen Zuschuss nach § 106 SGB VI bestehen.

15

Entgegen der Auffassung des LSG sei die OKPV schließlich auch nicht mit der seit dem 1.1.2009 in Deutschland bestehenden Basisversicherung nach § 193 VVG iVm § 12 Versicherungsaufsichtsgesetz zu vergleichen. Die Versicherung nach § 193 VVG sei keine gesetzliche Krankenversicherung. Sie gehöre in den Bereich der privaten Krankenversicherung, die insgesamt nach privatrechtlichen Grundsätzen organisiert sei.

16

Die Beklagte beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 13. Februar 2013 aufzuheben sowie das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Oktober 2011 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

17

Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Entscheidungsgründe

18

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Das Rechtsmittel hat zum Teil schon aus prozessrechtlichen Gründen Erfolg (A.I. und II.). Im Übrigen sind die angefochtenen Entscheidungen nicht mit der materiellen Rechtslage vereinbar (A.III.).

19

A.I. Soweit das LSG den Tenor des erstinstanzlichen Urteils "neu gefasst" und den Bescheid vom 24.8.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.2.2010 teilweise aufgehoben hat, hat es § 202 S 1 SGG iVm § 528 S 2 ZPO verletzt, nach dem das Urteil des ersten Rechtszugs nur insoweit abgeändert werden darf, als dies beantragt ist. Das Risiko des Berufungsklägers beläuft sich daher im äußersten Fall auf die Zurückweisung der Berufung, nicht aber auch auf die Aufhebung des Urteils, soweit er im erstinstanzlichen Verfahren erfolgreich gewesen ist (BSG SozR 4-2700 § 9 Nr 13 RdNr 12; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 123 RdNr 5a). Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 23.1.2012 beantragt, das Urteil des SG Berlin vom 20.10.2011 aufzuheben, soweit die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 16.6.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.2.2010 verurteilt worden ist, der Klägerin einen Zuschuss zur Krankenversicherung für die Zeit ab 1.6.2009 zu gewähren, und die Klage auch insoweit abzuweisen. Diesen Antrag hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 13.2.2013 mit der Formulierung wiederholt, das Urteil des SG Berlin vom 20.10.2011 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen. Anhaltspunkte dafür, dass diesem Antrag ein anderer Sinngehalt als dem im Schriftsatz vom 23.1.2012 gestellten Antrag zukommen könnte, sind der Gerichtsakte des LSG nicht zu entnehmen.

20

Das LSG ist über diesen Antrag hinausgegangen, indem es auch den Bescheid vom 24.8.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.2.2010 in dem oben dargelegten Umfang aufgehoben hat.

21

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts überschneiden sich die Bescheide vom 16.6.2009 und 24.8.2009 hinsichtlich ihres Regelungsgehalts nicht. Während der Bescheid vom 16.6.2009 einen Antrag der Klägerin auf Gewährung eines Beitragszuschusses nach § 106 Abs 1 SGB VI für die Zeit vom "1.6.2009 - laufend" verneint, enthält der Bescheid vom 24.8.2009 eine entsprechende Regelung für die Zeit vom 1.6.2002 bis 31.5.2009. Zwar benennt der Bescheid vom 24.8.2009 ausdrücklich nur den Anfangszeitpunkt des geregelten Zeitraums. Eine Auslegung des Bescheids ergibt jedoch, dass er lediglich eine ergänzende Entscheidung für den durch den Bescheid vom 16.6.2009 noch nicht erfassten Zeitraum trifft. Mit dem Bescheid vom 24.8.2009 wird der Antrag der Klägerin vom 8.6.2009 "in Ergänzung zum Bescheid vom 16.6.2009 auch abgelehnt, soweit (er) auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch" gestützt wird. Diese Ausführungen sind vom Empfängerhorizont eines verständigen und die Zusammenhänge berücksichtigenden Beteiligten (BSG SozR 4-5075 § 3 Nr 1 RdNr 15 mwN) dahin zu verstehen, dass mit dem Bescheid vom 24.8.2009 ein Beitragszuschuss auch für den vor der Antragstellung Juni 2009 liegenden Zeitraum abgelehnt wird.

22

Die Klage gegen den Bescheid vom 24.8.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.2.2010 hat das SG Berlin abgewiesen, ohne dass die Klägerin dieses Urteil mit der Berufung angegriffen hat. Das LSG hätte sich daher darauf beschränken müssen, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

23

Zwar hat die Beklagte eine Verletzung des § 202 S 1 SGG iVm § 528 S 2 ZPO nicht gerügt. Verstöße gegen diese Vorschrift hat das Revisionsgericht indes auch ohne Rüge bei zulässiger Revision von Amts wegen zu berücksichtigen (BGHZ 36, 316, 319; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 34. Aufl 2013, § 528 RdNr 7).

24

II. Das LSG hat - wie schon das SG - die Beklagte verurteilt, der Klägerin "einen Zuschuss zu ihren Aufwendungen für die bei der Groupe Mutuel bestehende Krankenversicherung" zu zahlen. Dieser Tenor umfasst eine Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines Zuschusses auch für die bei dem Versicherungsträger durchgeführte obligatorische Krankenversicherung. Insoweit gehen die vorinstanzlichen Entscheidungen über das Klagebegehren der Klägerin hinaus und verletzen damit § 123 SGG. Die Klägerin hat mit der Klageschrift vom 5.5.2010 ebenso wie zuvor mit ihrem Schreiben vom 29.5.2009 lediglich einen Zuschuss zu ihrer freiwilligen bzw privaten Krankenversicherung nach § 106 SGB VI beantragt. Allein hierüber befindet der Bescheid vom 16.6.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.2.2010. Eine über diesen Regelungsgegenstand hinausgehende Klage wäre bereits unzulässig gewesen.

25

Zwar hat die Beklagte eine Verletzung des § 123 SGG nicht gerügt. Einen Verstoß gegen diese Vorschrift und damit eine Verkennung des Streitgegenstands hat der erkennende Senat aber von Amts wegen zu beachten. Hierbei handelt es sich um einen Mangel, der im Revisionsverfahren derart fortwirkt, dass er bei Nichtbeachtung auch das Verfahren des Revisionsgerichts fehlerhaft machen würde (vgl allgemein BSG SozR 4-1500 § 155 Nr 1 RdNr 31), weshalb seine Überprüfung dem Belieben der Beteiligten entzogen ist (vgl allgemein BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, RdNr 13).

26

III. Der Bescheid der Beklagten vom 16.6.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.2.2010 ist entgegen der Auffassung der Vorinstanzen rechtmäßig. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Gewährung eines Zuschusses zu den Aufwendungen für ihre freiwillige bzw private Krankenversicherung zu.

27

Auf der Grundlage der vom LSG getroffenen Tatsachenfeststellungen ist zwar nicht entscheidbar, ob die Anspruchsvoraussetzungen des § 106 Abs 1 S 1 SGB VI erfüllt sind. Gleichwohl ist eine Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht nach § 170 Abs 2 SGG entbehrlich. Denn selbst wenn die Voraussetzungen des S 1 gegeben wären, stünde der Klägerin der geltend gemachte Anspruch nicht zu. Es ist zumindest der Ausschlussgrund des § 106 Abs 1 S 2 SGB VI in der hier maßgeblichen Fassung des Art 1 Nr 33 des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersgrenze an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz) vom 20.4.2007 (BGBl I 554) verwirklicht.

28

1. Gemäß § 106 Abs 1 S 1 SGB VI erhalten Rentenbezieher, die freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung oder bei einem Krankenversicherungsunternehmen, das der deutschen Aufsicht unterliegt, versichert sind, zu ihrer Rente einen Zuschuss zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung.

29

Zu Recht hat das LSG festgestellt, dass die Klägerin zu dem berechtigten Personenkreis im Sinne der Vorschrift gehört, weil sie seit dem 1.9.2001 eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht (Bescheid vom 14.6.2001). Hingegen ist für den erkennenden Senat nicht beurteilbar, ob es sich bei der Groupe Mutuel um ein Krankenversicherungsunternehmen iS von § 106 Abs 1 S 1 SGB VI handelt.

30

Krankenversicherungsunternehmen im Sinne der Vorschrift sind alle (deutschen oder ausländischen) Versicherungsunternehmen, die eine Krankenversicherung durchführen und nicht Träger der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung sind, mögen sie im Übrigen privat oder öffentlich-rechtlich organisiert sein (vgl BSGE 14, 116, 118 = SozR Nr 2 zu § 381 RVO; BSGE 27, 129, 130, 131 = SozR Nr 15 zu § 381 RVO; BSG SozR 2200 § 385 Nr 11 S 50 zu § 534 Abs 1 RVO und § 173a RVO; BSGE 58, 224, 225 = SozR 2600 § 239 Nr 1 zu § 239 Abs 1 S 1 RKG, § 534 RVO und § 173a Abs 1 RVO; s auch KomGRV, § 106 SGB VI RdNr 4, Stand: März 2009).

31

Zwar ist offensichtlich, dass die Schweizer Groupe Mutuel nicht Träger der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung ist, und angesichts der genannten Vorgaben unschädlich, dass das Berufungsgericht keine bzw zumindest keine nachvollziehbaren Feststellungen dazu getroffen hat, ob die Groupe Mutuel privat- oder öffentlich-rechtlich organisiert ist. Entscheidungserheblich iS des § 106 Abs 1 S 1 SGB VI, den Feststellungen des LSG aber nicht entnehmbar, ist dagegen, ob dieses Unternehmen auch eine private Krankenversicherung iS des § 106 Abs 1 S 1 SGB VI durchführt.

32

Nicht jede private Versicherung - gleich welchen Umfangs - ist eine Krankenversicherung iS des § 106 Abs 1 S 1 SGB VI und damit zuschusspflichtig(vgl BSGE 20, 159, 161 = SozR Nr 5 zu § 381 RVO; BSG Urteil vom 2.8.1989 - 1 RA 33/88 - SozR 2200 § 1304e Nr 22 S 34 = Juris RdNr 16).

33

Zwar ist nicht erforderlich, dass die private Krankenversicherung des Rentenbeziehers eine Vollversicherung ist, die nach Art und Höhe Leistungen gewährt wie die gesetzliche Krankenversicherung bei versicherungspflichtigen Rentnern (vgl Peters in Kasseler Komm, Sozialversicherungsrecht, § 106 SGB VI RdNr 10, Stand: Dezember 2010). Im Interesse zumindest einer gewissen Vergleichbarkeit mit der ebenfalls zuschusspflichtigen freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung, die eine Vollversicherung ist, ist in Fortführung der zu § 1304e RVO entwickelten Rechtsprechung des BSG aber eine Krankenversicherung von nennenswerter Bedeutung zu verlangen(BSGE 50, 61 = SozR 2200 § 1304e Nr 5 in einem Auslandsfall und allgemein BSG Urteil vom 2.8.1989 - 1 RA 33/88 - SozR 2200 § 1304e Nr 22 S 34 = Juris RdNr 16). Hiervon dürfte jedenfalls dann auszugehen sein, wenn die private Versicherung einen Teilbereich der im SGB V vorgesehenen Leistungen bei Krankheit - entweder ambulante, stationäre oder zahnärztliche Behandlung, Heil- und Hilfsmittel, Arzneien, medizinische Leistungen zur Rehabilitation oder Ähnliches - abdeckt (vgl Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, Teil II Bd 2, § 106 SGB VI RdNr 22, Stand: 01/08).

34

Welche Leistungen die private Krankenversicherung der Klägerin erbringt, lässt sich den Feststellungen des LSG nicht entnehmen.

35

Zwar führt das Berufungsgericht im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 106 Abs 1 S 1 SGB VI aus, der Versicherungsschutz der Klägerin bei der Groupe Mutuel umfasse ausweislich der schriftlichen Bestätigung des Versicherungsträgers vom 8.6.2009 ua die Kosten für ambulante Arztbehandlung, stationäre Krankenhausbehandlung, Arznei- und Heilmittel sowie zahnärztliche Behandlung bzw Zahnersatz und ordnet damit alle genannten Leistungen einer einzigen Versicherung, der "bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen im Sinne der zweiten Alternative des § 106 Abs. 1 Satz 1 SGB VI" bestehenden Versicherung zu. Diese Aussagen lassen sich indes nicht mit anderen Abschnitten des Urteils vereinbaren und binden daher mangels Widersprüchlichkeit bzw Unklarheit das BSG nicht (vgl nur BSG SozR 4-2500 § 192 Nr 4 RdNr 16; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 163 RdNr 2 mwN). So weist das Berufungsurteil an anderer Stelle darauf hin, dass die Mitgliedschaft der Klägerin in der Groupe Mutuel sowohl obligatorisch als auch freiwillig sei und ua die vorstehend aufgeführten Leistungen umfasse. Ferner beziffert das LSG monatliche "Gesamt"beitragshöhen bzw "Gesamt"prämienhöhen für die Jahre 2006 bis 2009. Diese Ausführungen zeigen, dass die Klägerin bei der Groupe Mutuel zwei Versicherungen unterhält, und zwar die obligatorische Krankenversicherung sowie eine weitere freiwillige bzw private Krankenversicherung. Dies führt das LSG am Ende seiner Entscheidung selbst aus. Bestehen aber zwei Versicherungen, bedarf es der Klärung, welche dieser beiden welche der in der Bescheinigung der Groupe Mutuel vom 8.6.2009 genannten Versicherungsleistungen erfasst.

36

Sollte die Klägerin bei der Groupe Mutuel eine private Krankenversicherung mit einem nicht ausreichenden Krankenversicherungsschutz unterhalten, lägen die Voraussetzungen des § 106 Abs 1 S 1 SGB VI nicht vor.

37

Anderenfalls wäre den Anforderungen der Norm genügt. Zu Recht hat das LSG hinsichtlich der weiteren Voraussetzung des § 106 Abs 1 S 1 SGB VI ausgeführt, es sei ausreichend im Sinne der Vorschrift, dass die Groupe Mutuel der schweizerischen Aufsicht untersteht.

38

Nach Art 10 Abs 1 der im Februar 2010 noch in Kraft befindlichen VO (EWG) Nr 1408/71, die im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz Anwendung findet (Art 8 iVm Anhang II Abschn A Nr 1 des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit vom 21.6.1999 , durch Zusatzprotokoll auf die am 1.5.2004 beigetretenen Mitgliedstaaten erweitert), dürfen die Geldleistungen bei Alter, auf die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten ein Anspruch besteht, nicht deshalb gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, weil der Berechtigte im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates als des Staates wohnt, in dessen Gebiet der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat. Daher kann weder die Entstehung noch die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf die in dieser Bestimmung genannten Leistungen allein deshalb verneint werden, weil der Betroffene nicht im Gebiet des Mitgliedstaats wohnt, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat (EuGH, aaO, S 19 mwN). Zu den Geldleistungen bei Alter iS der Art 1 Buchst t und Art 10 Abs 1 VO (EWG) Nr 1408/71 zählt auch ein im Recht eines Mitgliedstaates vorgesehener Zuschuss zu den Aufwendungen zur Krankenversicherung (EuGH, aaO).

39

Unter Berücksichtigung dieser im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz zu berücksichtigenden Vorgaben ist ausreichend, wenn das ausländische Krankenversicherungsunternehmen, bei dem der Rentenbezieher versichert ist, der Aufsicht des Mitgliedstaates oder gleichgestellten Staates unterliegt, in dem das Krankenversicherungsunternehmen seinen Sitz hat (vgl auch Peters, aaO, § 106 SGB VI RdNr 12, Stand: Dezember 2010). Ansonsten liefe die von Art 10 Abs 1 VO (EWG) Nr 1408/71 gewährleistete Exportierbarkeit einer Geldleistung im Alter bei Rentenbeziehern, die in einem anderen Mitgliedstaat oder gleichgestellten Staat wohnen und bei einem dort ansässigen Krankenversicherungsunternehmen versichert sind, letztlich wegen ihrer Wohnsitznahme leer.

40

Sollten die Voraussetzungen des § 106 Abs 1 S 1 SGB VI vorliegen, wäre der Anspruch der Klägerin jedoch gleichwohl ausgeschlossen, weil der Ausschlussgrund des § 106 Abs 1 S 2 SGB VI verwirklicht ist.

41

2. Gemäß § 106 Abs 1 S 2 SGB VI in der mit Wirkung vom 1.5.2007 geltenden Fassung des Art 1 Nr 33 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.4.2007 (BGBl I 554) erhalten Rentenbezieher den Zuschuss nicht, wenn sie gleichzeitig in einer in- oder ausländischen gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind.

42

a) Die schweizerische OKPV ist eine ausländische gesetzliche Krankenversicherung, die die Klägerin als Pflichtmitglied erfasst. Dies ergibt sich unter Berücksichtigung der Vorschriften des schweizerischen KVG im Vergleich mit den im vorliegenden Zusammenhang wesentlichen Merkmalen der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung.

43

Zwar ist ausländisches Recht nicht revisibel (vgl § 162 SGG), sodass das Revisionsgericht grundsätzlich an die Feststellungen des Tatsachengerichts, die darauf beruhende Rechtsauslegung und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen gebunden ist (BSGE 68, 184, 187 = SozR 3-2400 § 18a Nr 2 mwN; BSGE 80, 295, 298 f = SozR 3-4100 § 142 Nr 1; BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 7 RdNr 25; BSGE 102, 211 = SozR 4-4300 § 142 Nr 4, RdNr 14). Dies gilt jedoch nicht, wenn das Tatsachengericht eine ausländische Rechtsnorm übersehen und in der angefochtenen Entscheidung nicht gewürdigt hat; denn dann handelt es sich nicht um die Überprüfung der Auslegung einer irrevisiblen Norm, sondern um die Anwendung des geltenden Rechts auf einen vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt (BSGE 71, 163, 165 = SozR 3-5050 § 15 Nr 4; BSGE 100, 1 = SozR 4-3250 § 33 Nr 1, RdNr 14; BSGE 102, 211 = SozR 4-4300 § 142 Nr 4, RdNr 14; Leitherer, aaO, § 162 RdNr 6c). Aus diesem Grund ist der erkennende Senat zur Anwendung der Vorschriften des KVG befugt. Das LSG hat - ausgenommen Art 3 Abs 1 KVG - keine Norm dieses Gesetzes seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Ebenso ist der erkennende Senat berechtigt, generelle Tatsachen - wie die Strukturen einer Krankenversicherung - selbst festzustellen (vgl hierzu allgemein Leitherer, aaO, § 163 RdNr 7 mwN).

44

aa) Die OKPV ist zunächst eine gesetzliche Krankenversicherung.

45

Sie ist eine "Versicherung" ua gegen das Risiko der "Krankheit" (Art 1a Abs 1 und Abs 2 Buchst a KVG). Sie erbringt bei Eintritt eines Versicherungsfalls Kosten für Leistungen (insbesondere Art 24, 25 und 31 KVG), an denen sich die Versicherten beteiligen müssen (Art 64 KVG). Dafür erhebt sie Beiträge (Prämien) von den Versicherten (Art 61 KVG; vgl auch Gerlinger, Das Schweizer Modell der Krankenversicherung - Zu den Auswirkungen der Reform von 1996, 2003, S 8 zu Nr 2.2). Sie ist also - ebenso wie die deutsche gesetzliche Krankenversicherung - keine Einrichtung eines staatlichen Gesundheitswesens mit Versorgungscharakter (vgl Peters, aaO, Vor § 1 SGB V RdNr 17, Stand: Juni 2007). Die OKPV ist auch eine "gesetzliche" Krankenversicherung. Sie ist - wie die deutsche gesetzliche Krankenversicherung - bis in Einzelheiten gesetzlich geregelt (vgl Peters, aaO, Vor § 1 SGB V RdNr 19). Das KVG enthält Vorschriften über die Versicherungspflicht (2. Titel, 1. Kapitel), die Organisation (2. Titel, 2. Kapitel), die Leistungen (2. Titel, 3. Kapitel), die Leistungserbringer (2. Titel, 4. Kapitel) und die Finanzierung (2. Titel, 5. Kapitel). Die OKPV ist schließlich auch eine soziale Krankenversicherung (Art 1a Abs 1 KVG).

46

bb) Die schweizerische OKPV ist zudem eine Pflichtversicherung iS des § 106 Abs 1 S 2 SGB VI.

47

Bei der Beurteilung von Ansprüchen der Auslandsrentner hat die Rechtsprechung wiederholt ua hinsichtlich der Prüfung einer gesetzlichen Pflichtversicherung den möglicherweise anders gelagerten Verhältnissen im Ausland Rechnung getragen. Insoweit wird lediglich vorausgesetzt, dass die ausländische gesetzliche Krankenversicherung wenigstens annähernd mit der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung vergleichbar ist (BSG SozR 2200 § 381 Nr 22 S 56; BSGE 47, 64, 65 = SozR 2200 § 381 Nr 30).

48

Dies trifft auf die schweizerische OKPV unter dem Gesichtspunkt der Pflichtversicherung zu.

49

Zwar beginnt die Pflichtversicherung in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung kraft Gesetzes mit der Verwirklichung eines bestimmten Tatbestandes, während in der Schweiz Versicherungspflicht besteht, aufgrund derer sich alle Personen mit dortigem Wohnsitz versichern müssen (Art 3 Abs 1 KVG), was den Abschluss eines Versicherungsvertrages erfordert.

50

Dieser Unterschied ist allerdings unwesentlich und steht einer Bewertung der OKPV als einer mit der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung annähernd vergleichbaren Versicherung unter dem Gesichtspunkt der Pflichtversicherung nicht entgegen.

51

Sowohl Pflichtversicherung als auch Versicherungspflicht bewirken, dass die von ihnen erfassten Personen verbindlich einer Versicherung zugeführt werden. Dass der Versicherungspflicht nach dem KVG auch tatsächlich nachgekommen wird, wird nicht dem freiwilligen Entschluss der Betroffenen überlassen, sondern durch Rechtszwang sichergestellt (Johannes W. Pichler in ders, Pflichtversicherung oder Versicherungspflicht in der Krankenversicherung, 2001, S 1, 15). Personen, die ihrer Versicherungspflicht nicht rechtzeitig nachkommen, werden von den zuständigen kantonalen Behörden einem Versicherer zugewiesen (Art 6 Abs 2 KVG). Die Versicherer müssen in ihrem örtlichen Tätigkeitsbereich jede versicherungspflichtige Person aufnehmen (Art 4 Abs 2 KVG). Dieser Kontrahierungszwang bewirkt, dass Alters-, Geschlechts-, Gesundheits- oder ethnische Selektionen ausgeschlossen sind (vgl auch Johannes W. Pichler, aaO, S 16 und Richner in Johannes W. Pichler, aaO, S 41, 53) und damit jede versicherungspflichtige Person tatsächlich einen Versicherungsschutz erhält.

52

Der Versicherungsschutz wird auch nicht dadurch vermindert, dass die OKPV von Krankenkassen, die sowohl juristische Personen des öffentlichen als auch des privaten Rechts sein können (Art 11 Buchst a iVm Art 12 Abs 1 KVG), und zudem von privaten Versicherungsunternehmen (Art 11 Buchst b KVG) betrieben wird.

53

Abgesehen davon, dass alle Versicherer die Bewilligung zur Durchführung der sozialen Krankenversicherung benötigen (Art 13 KVG) und jede versicherungspflichtige Person aufnehmen müssen (Art 4 Abs 2 KVG), können sie auch keiner versicherten Person kündigen (Richner, aaO, S 53). Solange die Versicherungspflicht dauert, müssen sie die Versicherten behalten (vgl Art 5 Abs 3 KVG). Nur die Versicherten können den Versicherer wechseln (Art 7 Abs 1 bis 3 KVG), es sei denn, die Versicherer führen die soziale Krankenversicherung nicht mehr durch (Art 7 Abs 4 KVG). Auch in diesem Fall droht den Versicherten allerdings nicht der Verlust der Krankenversicherung. Zwar entzieht die zuständige Behörde einem Versicherer die Bewilligung zur Durchführung der sozialen Krankenversicherung, wenn er darum ersucht oder die gesetzlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt (Art 13 Abs 3 S 1 KVG). Der Entzug wird aber erst dann wirksam, wenn alle Versicherten von anderen Versicherern übernommen worden sind (Art 13 Abs 3 S 2 KVG). Auch gelten bezüglich der sozialen Krankenversicherung für alle Versicherer, dh sowohl für die privaten und öffentlich-rechtlichen Krankenkassen als auch die privaten Versicherungsunternehmen, identische Grundsätze (Richner, aaO, S 54).

54

cc) Die OKPV ist schließlich nicht mit der Versicherung nach § 193 Abs 3 des deutschen VVG vergleichbar. Ebenso wie die deutsche gesetzliche Krankenversicherung ist die OKPV eine vorrangige Versicherung, die - mit geringfügigen Ausnahmen - die gesamte Wohnbevölkerung erfasst (vgl Maurer/Scartazzini/Hürzeler, Bundessozialversicherungsrecht, 3. Aufl 2009, S 284 RdNr 2). Demgegenüber stellt sich die Versicherung nach § 193 Abs 3 VVG als Auffangversicherung dar, die lediglich den Teil der Wohnbevölkerung betrifft, der keine andere Absicherung im Krankheitsfall hat(Langheid in Römer/Langheid, VVG, 4. Aufl 2014, § 193 RdNr 23); dieser Teil beläuft sich auf unter 10 %. Die Versicherungspflicht nach § 193 Abs 3 S 1 VVG gilt ua nicht für Personen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert oder versicherungspflichtig sind(§ 193 Abs 3 S 2 Nr 1 VVG). Allein die gesetzliche Krankenversicherung schützt aber über 90 % der Wohnbevölkerung (Peters, aaO, § 1 SGB V RdNr 4, Stand: Juni 2007).

55

dd) Der Bewertung der schweizerischen OKPV als Pflichtversicherung kann letztendlich nicht entgegengehalten werden, ein derartiges Ergebnis komme schon deswegen nicht in Betracht, weil für Auslandsrentner zweifellos kein Beitragsanteil nach § 249a SGB V zu tragen sei und damit in derartigen Fällen ein Anspruch auf Beteiligung der Beklagten an den Aufwendungen für ihre Krankenversicherung gänzlich ausgeschlossen sei.

56

Abgesehen davon, dass diese Rechtsauffassung mit der Entscheidung des EuGH vom 6.7.2000 (aaO) nicht vereinbar ist, genügen derartige "Ergebnisauslegungen" nicht den anerkannten Auslegungsgrundsätzen und verbieten sich insoweit von selbst. Die vom LSG vorgenommene Interpretation des § 106 Abs 1 S 2 SGB VI unter Berücksichtigung des § 249a SGB V vermengt unzulässig die Anwendungsbereiche beider Normen und ist weder verfassungs- noch unionsrechtlich geboten.

57

§ 106 Abs 1 SGB VI einerseits und § 249a SGB V andererseits sind selbstständige Vorschriften, die für Rentenbezieher unter bestimmten Voraussetzungen zu unterschiedlichen Rechtsfolgen (Zuschuss zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung oder anteilige hälftige Beitragstragung) hinsichtlich unterschiedlicher Versicherungen (freiwillige gesetzliche Krankenversicherung bzw private Krankenversicherung oder in- oder ausländische gesetzliche Pflichtkrankenversicherung) führen. Ihre Auslegung hat unabhängig voneinander zu erfolgen. Verfassungs- oder unionsrechtliche Zweifelsfragen bei der einen Vorschrift berühren die andere Vorschrift nicht, sondern sind vielmehr begrenzt auf die jeweilige Norm zu beurteilen.

58

Aus der Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts (vgl BVerfGE 75, 223, 237; Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl 2012, Art 23 RdNr 27; Streinz in ders, EUV/AEUV, 2. Aufl 2012, Art 4 EUV RdNr 33, jeweils mwN) ergibt sich kein anderes Ergebnis.

59

Die unionsrechtskonforme Auslegung unterliegt den gleichen Grenzen wie die verfassungskonforme Auslegung (BAGE 105, 32, 48 f; Jarass, aaO). Diese darf einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz keinen entgegengesetzten Sinn verleihen oder den normativen Gehalt der auszulegenden Norm nicht grundlegend neu bestimmen (BVerfGE 71, 81, 105; 90, 263, 275; 109, 279, 316 f). Mit diesen Grenzen zulässiger Auslegung wäre es nicht vereinbar, die eindeutig getrennten Anwendungsbereiche des § 106 Abs 1 SGB VI einerseits und des § 249a SGB V andererseits miteinander zu vermengen.

60

Eine derartige Auslegung hat auch der EuGH im Urteil vom 6.7.2000 (aaO) nicht vorgenommen. Statthafter Gegenstand einer Auslegungs- oder Gültigkeitsfrage im Vorabentscheidungsverfahren nach Art 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sind Rechtssätze des Unionsrechts (vgl Ehricke in Streinz, aaO, Art 267 AEUV RdNr 13, 17). Fragen der Auslegung nationalen Rechts sind daher ausgenommen (vgl zB EuGH Urteil vom 3.10.2000 - C-58/98, Corsten - Juris RdNr 24; EuGH Urteil vom 2.6.2005 - C-136/03, Dörr und Ünal - Juris RdNr 46). Dementsprechend hat sich der EuGH in dem dem Urteil vom 6.7.2000 zugrunde liegenden Vorabentscheidungsverfahren (aaO) auch nur mit den Fragen beschäftigt, ob eine im Recht eines Mitgliedstaates vorgesehene Beteiligung eines Rentenversicherers an den Beiträgen zur Krankenversicherung eine Geldleistung bei Alter iS von Art 1 Buchst t und Art 10 Abs 1 VO (EWG) Nr 1408/71 darstellt, und ob diese Leistung unter Berücksichtigung unionsrechtlicher Bestimmungen dem in einem anderen Mitgliedstaat wohnenden und dort der Krankenversicherungspflicht unterliegenden Rentner verwehrt werden darf.

61

§ 106 Abs 1 SGB VI ist weder verfassungs- noch unionsrechtlich zu beanstanden.

62

Inländischer Prüfungsmaßstab ist insoweit entgegen der Ansicht des LSG nicht Art 14 Abs 1 GG, weil es nicht um einen staatlichen Eingriff in eine geschützte Rechtsposition der Klägerin geht. Prüfungsmaßstab ist vielmehr Art 3 Abs 1 GG, nach dem einem Auslandsrentner ein Beitragszuschuss zuzuerkennen ist, wenn bei vergleichbarer Sachlage, die in Anknüpfung an die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale der maßgeblichen Vorschriften zu beurteilen ist, auch einem Inlandsrentner diese Leistungen zu gewähren wären (so schon im Ergebnis BSG SozR 2200 § 381 Nr 23). Da die Pflichtmitgliedschaft eines Inlandsrentners in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung die Gewährung eines Beitragszuschusses ausschließt, ist es nicht zu beanstanden, wenn die Pflichteinbeziehung in ein ausländisches gesetzliches Krankenschutzsystem dieselbe Wirkung hat.

63

Nichts anderes gilt unter Berücksichtigung von Unionsrecht.

64

Dem zur Auslegung unionsrechtlicher Vorschriften ergangenen Urteil des EuGH vom 6.7.2000 (aaO) liegt der Rechtsgedanke zugrunde, dass dem Auslandsrentner nichts versagt werden darf, worauf er als Inlandsrentner einen Anspruch hätte. Als Inlandsrentnerin und Pflichtmitglied in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung stünde der Klägerin aber ebenfalls kein Anspruch aus § 106 Abs 1 SGB VI zu.

65

Ob auch § 249a SGB V mit verfassungs- und unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist, falls eine Beteiligung der Rentenversicherungsträger nach dieser Vorschrift an den Kosten einer ausländischen Pflichtkrankenversicherung ausscheiden sollte, die wie die schweizerische obligatorische Krankenversicherung Beiträge als Kopfprämien(Art 61 KVG) erhebt, hat der Senat nicht zu entscheiden. Streitgegenstand des anhängigen Verfahrens ist allein ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung eines Zuschusses zu ihrer freiwilligen bzw privaten Kranken(zusatz)versicherung nach § 106 Abs 1 SGB VI und nicht die anteilige Tragung ihrer Beiträge zur obligatorischen Krankenversicherung nach § 249a SGB V.

66

b) Unterhielte die Klägerin eine freiwillige bzw private Krankenzusatzversicherung bei der Groupe Mutuel mit einem ausreichenden Krankenversicherungsschutz iS des § 106 Abs 1 S 1 SGB VI - nur dann wären die Anspruchsvoraussetzungen der Norm erfüllt -, wäre auch das Kriterium der Gleichzeitigkeit gegeben.

67

Der Ausschlusstatbestand des § 106 Abs 1 S 2 SGB VI ist unter dem Gesichtspunkt der Gleichzeitigkeit verwirklicht, wenn neben der privaten Krankenzusatzversicherung zeitgleich Versicherungspflicht in einer in- oder ausländischen gesetzlichen Krankenversicherung besteht(vgl Peters, aaO, § 106 SGB VI RdNr 13, Stand: Dezember 2010). Die Klägerin unterliegt aufgrund ihrer Wohnsitznahme in der Schweiz der Versicherungspflicht in der OKPV und wäre zeitgleich bei demselben Krankenversicherungsträger freiwillig krankenzusatzversichert.

68

B. Der Senat kann in der Sache entscheiden, obwohl die Klägerin im Revisionsverfahren nicht vertreten ist, sodass sie sich nicht äußern konnte. Einer Entscheidung steht der Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs iS von § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG nicht entgegen.

69

Eine Versagung rechtlichen Gehörs liegt nicht vor, weil die Klägerin nicht von den ihr im Verfahrensrecht eröffneten Möglichkeiten Gebrauch gemacht hat, sich rechtliches Gehör zu verschaffen (stRspr BSG Beschluss vom 25.11.2008 - B 5 R 308/08 B - Juris RdNr 7; BVerwG Beschluss vom 31.8.1988 - 4 B 153/88 - Juris RdNr 10, jeweils mwN).

70

Sollte die Klägerin bedürftig sein, hätte sie einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragen können, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Da die Beklagte das Rechtsmittel der Revision eingelegt hat, hätte diesem Antrag ohne Prüfung der Erfolgsaussichten der Rechtsverteidigung (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 119 Abs 1 S 2 ZPO) stattgegeben werden müssen. Ist die Klägerin nicht bedürftig im Sinne des Gesetzes, wäre es ihre prozessuale Obliegenheit gewesen, zur Ermöglichung der Teilnahme am Revisionsverfahren einen Rechtsanwalt mit der Vertretung ihrer Interessen auf eigene Kosten zu beauftragen.

71

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Beschwerdeverfahrens.


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Das Bundessozialgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, außer wenn in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Mai 2011 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Höhe der Leistungen für Unterkunft und Heizung des Klägers in der Zeit vom 1.2.2010 bis 31.7.2010.

2

Der 1970 geborene Kläger bewohnt eine 55 qm große Wohnung in H. Ab dem 1.8.2009 betrug die monatliche Grundmiete 270 Euro. Die Betriebskostenvorauszahlung belief sich auf 100 Euro monatlich sowie die Heizkostenvorauszahlung auf 53 Euro monatlich. Die Warmwasseraufbereitung erfolgte zentral über die Heizungsanlage.

3

Die Rechtsvorgängerin des Beklagten (nachfolgend: Beklagter) gewährte dem Kläger für die Zeit vom 1.8.2009 bis 31.1.2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, ua Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 416,21 Euro (370 Euro Bruttokaltmiete + 53 Euro Heizkostenvorauszahlung abzüglich eines Warmwasserabschlages in Höhe von 6,79 Euro). Mit Schreiben vom 22.7.2009 wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass die monatliche Kaltmiete in Höhe von 270 Euro sowie die monatlichen kalten Nebenkosten in Höhe von 100 Euro den von ihm für angemessen erachteten Umfang überstiegen und forderte zur Kostensenkung auf. Der angemessene Höchstbetrag für die Kaltmiete belaufe sich auf 213,75 Euro (45 qm x 4,75 Euro/qm) sowie für die kalten Nebenkosten auf 90 Euro (45 qm x 2 Euro/qm). Er beabsichtige, ab dem 1.2.2010 nur noch die angemessenen Unterkunftskosten zu berücksichtigen.

4

Mit Bescheid vom 13.1.2010 bewilligte der Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 1.2.2010 bis 31.7.2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, wovon mtl 349,96 Euro auf die Kosten der Unterkunft und Heizung (Nettokaltmiete 213,75 Euro + 90 Euro kalte BK + Heizkosten 46,21 Euro) entfielen. Auf den gegen die Höhe der bewilligten Kosten der Unterkunft und Heizung erhobenen Widerspruch des Klägers änderte der Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 13.1.2010 teilweise ab und gewährte - unter Berücksichtigung monatlicher Heizkosten von 46,53 Euro (Heizkosten 53 Euro abzüglich Warmwasser in Höhe von 6,47 Euro) - nunmehr Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 350,28 Euro. Im Übrigen wies er den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 1.3.2010).

5

Das SG hat den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 13.1.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.3.2010 verurteilt, dem Kläger von Februar bis Juli 2010 Leistungen nach dem SGB II unter Zugrundelegung einer angemessenen Nettokaltmiete in Höhe von 237,50 Euro und angemessenen Betriebskosten in Höhe von 100 Euro zuzüglich angemessener Heizkosten zu bewilligen (Urteil vom 17.11.2010). Das LSG hat die von dem Beklagten erhobene Berufung mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beklagte verurteilt wird, dem Kläger weitere Kosten der Unterkunft in Höhe von 33,75 Euro monatlich für die Zeit vom 1.2.2010 bis 31.7.2010 zu bewilligen (Urteil vom 16.5.2011). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Das SG habe zutreffend eine Grundmiete von 237,50 Euro monatlich als angemessen iS von § 22 Abs 1 S 1 SGB II angesehen. Es sei dabei richtigerweise von einer angemessenen Wohnungsgröße von 50 qm für einen Alleinstehenden ausgegangen. Zur Überzeugung des Senats sei die angemessene Wohnfläche im Rahmen der Produkttheorie anhand der im streitigen Bewilligungszeitraum aktuell gültigen Verwaltungsvorschriften des Landes Nordrhein-Westfalen zur Belegung von gefördertem Wohnraum zu bestimmen. Dies entspreche der ständigen Rechtsprechung des BSG, wonach für die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze in Ermangelung anderweitiger Erkenntnisquellen grundsätzlich an die anerkannten Wohnraumgrößen für Wohngeldberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau und deshalb an die für die Belegung von gefördertem Wohnraum maßgebenden Vorschriften anzuknüpfen sei. Für die Belegung von gefördertem Wohnraum seien ab dem 1.1.2010 in Nordrhein-Westfalen die in Nr 8.2 der Wohnungsnutzungsbestimmungen (WNB) angesetzten Werte maßgeblich, mithin für einen Ein-Personen-Haushalt 50 qm. Andere Erkenntnisquellen zur Bestimmung der angemessenen Wohnraumgröße im unteren Segment des Wohnungsmarktes seien nicht ersichtlich. Auch das BSG gehe von einer möglichen Dynamisierung der Werte als Folge von Änderungen der maßgeblichen Verwaltungsvorschriften aus. Es habe dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit eine überragende Bedeutung beigemessen und eine Heranziehung anderweitiger Verwaltungsregelungen zur Bestimmung der Wohnflächen nur dann für vertretbar angesehen, wenn aktuelle Verwaltungsvorschriften zu § 10 WoFG nicht existierten, was vorliegend jedoch nicht der Fall sei. Hierbei habe das BSG an die Rechtsprechung des BVerwG angeknüpft. Durch die Anhebung des Wertes von 45 qm auf 50 qm im Land Nordrhein-Westfalen sei lediglich eine Anpassung an die in anderen Bundesländern übliche Praxis erfolgt. Weiter habe das SG den Vergleichsraum mit dem Stadtgebiet der kreisangehörigen Stadt H. zutreffend festgestellt. Unter Zugrundelegung dessen könne vorliegend als den Wohnungsstandard widerspiegelnder, abstrakt angemessener Quadratmeterpreis ein Betrag von 4,75 Euro/qm angesetzt werden, dessen Angemessenheit zwischen den Beteiligten unstreitig gestellt sei. Die Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von 100 Euro monatlich habe der Beklagte in voller Höhe zu übernehmen.

6

Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 22 Abs 1 SGB II. Das LSG habe sich zur Bestimmung der angemessenen Wohnfläche zu Unrecht auf Nr 8.2 der WNB gestützt. Vielmehr sei auch nach Inkrafttreten der WNB weiterhin auf die Verwaltungsvorschriften zum Wohnungsbindungsgesetz und mithin auf eine angemessene Wohnfläche für Alleinstehende von 45 qm abzustellen. Dies entspreche dem Willen des Gesetzgebers. Diesem habe bei Einführung des SGB II zum 1.1.2005 die damalige Situation vor Augen gestanden. Anhaltspunkte für eine sich am Wohnungsbauförderungsrecht orientierende Dynamisierung seien nicht ersichtlich. Es sei nicht nachvollziehbar, warum die für Hilfebedürftige angemessene Wohnfläche sich mit der Zeit ändern solle, zumal § 22 Abs 1 SGB II und das Wohnraumförderungsrecht unterschiedliche Zwecke verfolgten. Auch Gründe der Rechtssicherheit und Praktikabilität sprächen nicht für die Anwendung der aktuellen WNB. Im Übrigen fehle es für die Anpassung der abstrakt angemessenen Wohnfläche an der Notwendigkeit. Im Gegensatz zu der Höhe der Regelleistung dürfte sich an der Fläche, die ein Mensch für ein menschenwürdiges Dasein benötige, nichts mehr ändern. Soweit in bestimmten Situationen ein erhöhter Wohnflächenbedarf bestehe, habe dies bereits nach altem Recht berücksichtigt werden können.

7

Der Beklagte beantragt,
die Urteile des Sozialgerichts Aachen vom 17. November 2010 und des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Mai 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält die Ausführungen der Vorinstanzen für zutreffend.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung (§ 170 Abs 2 S 2 SGG)begründet. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des LSG kann der Senat nicht abschließend entscheiden, in welcher Höhe dem Kläger in der Zeit vom 1.2.2010 bis 31.7.2010 Leistungen für Unterkunft und Heizung zustehen.

11

1.a) Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid vom 13.1.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1.3.2010, mit dem der Beklagte dem Kläger im streitigen Zeitraum ua Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 350,28 Euro (213,75 Euro Nettokaltmiete, 90 Euro kalte Betriebskosten, 53 Euro Heizkosten abzüglich 6,47 Euro Warmwasserabschlag) bewilligt hat und gegen den der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG) vorgeht. Da sich vorliegend nur der Beklagte mit der Berufung gegen das beide Beteiligte beschwerende Urteil des SG gewandt hat, war ein über die Verurteilung hinausgehender Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung schon nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens.

12

b) Der Kläger hat den Streitgegenstand zulässigerweise auf die Leistungen der Unterkunft und Heizung beschränkt. Bei diesen handelt es sich um abtrennbare Verfügungen des Gesamtbescheids, ohne dass eine weitere Aufspaltung in die Leistungen für Unterkunft und Heizung rechtlich möglich ist (stRspr seit BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 18 f). Dies gilt zumindest für laufende Verfahren über vor dem 1.1.2011 abgeschlossene Bewilligungsabschnitte (BSG Urteil vom 13.4.2011 - B 14 AS 106/10 R - RdNr 11 - SozR 4-4200 § 22 Nr 46; Urteil des Senats vom 20.12.2011 - B 4 AS 19/11 R - RdNr 11 - zur Veröffentlichung vorgesehen).

13

2. Unter Berücksichtigung der bisherigen Ausführungen hat das BSG jedoch den Anspruch des Klägers auf Leistungen für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs 1 S 1 SGB II unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen. Insoweit mangelt es jedoch an hinreichenden Feststellungen des LSG. Das LSG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass durch das "Unstreitigstellen" bestimmter Teilaspekte des Anspruchs auf Leistungen der Unterkunft und Heizung - hier der abstrakt angemessenen Nettokaltmiete und den abstrakt angemessenen kalten Betriebskosten - es einer weiteren Darlegung dieser Aspekte nicht bedurfte.

14

Leistungen für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind (§ 22 Abs 1 S 1 SGB II). Der Begriff der "Angemessenheit" unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle (BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3; BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 27, RdNr 21; BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 42, RdNr 20; BSG Urteil vom 20.12.2011 - B 4 AS 19/11 R - zur Veröffentlichung vorgesehen). Zur Festlegung der abstrakt angemessenen Leistungen für die Unterkunft ist zunächst die angemessene Wohnungsgröße und der maßgebliche örtliche Vergleichsraum zu ermitteln. Angemessen ist eine Wohnung weiter nur dann, wenn sie nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entspricht und keinen gehobenen Wohnstandard aufweist, wobei es genügt, dass das Produkt aus Wohnfläche und Standard, das sich in der Wohnungsmiete niederschlägt, angemessen ist (BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 20; BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 27, RdNr 15, 17; BSG Urteil vom 20.12.2011 - B 4 AS 19/11 R , RdNr 14 - zur Veröffentlichung vorgesehen).

15

Soweit die tatsächlichen Aufwendungen des Leistungsberechtigten für seine Unterkunft die angemessene Referenzmiete überschreiten, sind diese - falls vom Leistungsberechtigten entsprechende sachliche Gründe vorgebracht werden - solange zu berücksichtigen, wie es ihm konkret nicht möglich oder nicht zumutbar ist, durch Anmietung einer als angemessen eingestuften Wohnung, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate (§ 22 Abs 1 S 2 SGB II aF, der durch die Einführung des neuen S 2 durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 - BGBl I 1706 - ohne inhaltliche Änderung zu S 3 wurde; vgl BSG Urteil vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R - BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19, RdNr 29; BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 27, RdNr 30).

16

Der Senat folgt dem LSG bei der Festlegung der angemessenen Wohnungsgröße und des Vergleichsraums. Diese Feststellungen allein genügen allerdings nicht zur Bestimmung der angemessenen Nettokaltmiete.

17

3. Das LSG ist zu Recht davon ausgegangen, dass als angemessene Wohnungsgröße für einen Ein-Personen-Haushalt eine Wohnfläche von 50 qm zu berücksichtigen ist. Bei der Bestimmung der angemessenen Wohnfläche ist - entsprechend der vom LSG vorgenommenen Auslegung des Landesrechts - in Nordrhein-Westfalen ab dem 1.1.2010 auf die in Nr 8.2 der WNB (MBl NRW 2010, 1) festgesetzten Werte zurückzugreifen. Diese sehen für einen Ein-Personen-Haushalt anstelle von bisher 45 qm eine Wohnfläche von 50 qm vor.

18

Zur Festlegung der angemessenen Wohnfläche ist auf die Wohnraumgrößen für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau abzustellen (stRspr seit BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3, RdNr 19; zuletzt BSG Urteil vom 20.12.2011 - B 4 AS 19/11 R , RdNr 17 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Maßgeblich sind die im streitigen Zeitraum gültigen Bestimmungen (BSG Urteil vom 22.9.2009 - B 4 AS 70/08 R - RdNr 14 f; BSG Urteil vom 26.5.2011 - B 14 AS 86/09 R - RdNr 18; BSG Urteil vom 20.12.2011 - B 4 AS 19/11 R - RdNr 17). Die Angemessenheit der Wohnungsgröße richtete sich damit grundsätzlich nach den Werten, die die Länder aufgrund von § 10 Wohnraumförderungsgesetz vom 13.9.2001 (BGBl I 2379) (bzw zu der vorherigen Vorschrift des § 5 Abs 2 Wohnungsbindungsgesetz) festgelegt hatten. Maßgeblich für Nordrhein-Westfalen war damit Ziff 5.7.1 der Verwaltungsvorschriften des Landes Nordrhein-Westfalen zum Wohnungsbindungsgesetz (VV-WoBindG) vom 8.3.2002 in der geänderten Fassung vom 21.9.2006 (Runderlass des Ministeriums für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport, Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8.3.2002, 396, 400; vgl nur BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 27 - RdNr 16; BSG Urteil vom 20.12.2011 - B 4 AS 19/11 R - RdNr 17). Zum 1.1.2010 ist im Zuge der Föderalismusreform mit dem Gesetz zur Förderung und Nutzung von Wohnraum für das Land Nordrhein-Westfalen (WFNG-NRW) (Art 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Föderalismusreform im Wohnungswesen vom 8.12.2009) das WoFG in Nordrhein-Westfalen abgelöst worden. Gleichzeitig sind mit dem Runderlass des Ministeriums für Bauen und Verkehr vom 12.12.2009 Wohnraumnutzungsbestimmungen (WNB, MBl NRW 2010, 1) zum Vollzug der Teile 4 bis 6 des WFNG NRW erlassen worden und in Kraft getreten. Diese ersetzen die bisherigen VV-WoBindG. Nach Nr 19 S 2 der WNB treten die VV-WoBindG mit Ausnahme der Nr 8 bis 8b.3 und 22 und der Anlage mit Ablauf des 31.12.2009 außer Kraft. Für die Belegung von gefördertem Wohnraum (vgl § 18 WFNG NRW, der Nachfolgevorschrift zu § 27 WoFG - vgl LT-Drucks 14/9394, S 96) sind ab dem 1.1.2010 daher die in Nr 8.2 der WNB angesetzten Werte für Wohnflächen maßgeblich.

19

Dass - wie der Beklagte einwendet - der mit der Angemessenheitsprüfung verbundene Zweck im Rahmen des § 22 SGB II mit den Zwecken des sozialen Wohnungsbaus nicht übereinstimme, wird durch den Rückgriff auf die von den Ländern erlassenen Vorschriften zum sozialen Wohnungsbau ohnehin bewusst in Kauf genommen(vgl bereits BSG Urteil vom 22.9.2009 - B 4 AS 70/08 R - RdNr 15). Insoweit kommt dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit eine überragende Bedeutung zu. Wie der erkennende Senat bereits entschieden hat, ist eine Heranziehung anderweitiger Verwaltungsregelungen zur Bestimmung der Wohnfläche nur dann vertretbar, wenn aktuelle Verwaltungsvorschriften zu § 10 WoFG nicht existieren(vgl BSG Urteil vom 22.9.2009 - B 4 AS 70/08 R). Dies ist auf die Situation in NRW im streitigen Zeitraum zu übertragen. Das WFNG-NRW ist zum 1.1.2010 an die Stelle des WoFG und somit auch des § 10 WoFG getreten. Mit § 18 WFNG-NRW existiert für den Wohnungsberechtigungsschein eine Nachfolgevorschrift zu § 27 WoFG(vgl LT-Drucks 14/9394, 96), der in Abs 4 auf die Bestimmungen der Länder zur maßgeblichen Wohnungsgröße verwies. Welche Wohnungsgröße iS des § 18 Abs 2 WFNG-NRW in der Regel angemessen ist, bestimmt nunmehr Ziffer 8.2 der WNB. Mithin existiert eine aktuelle Bestimmung zur Wohnungsfläche im sozialen Wohnungsbau, die anzuwenden ist.

20

Zudem ist zu berücksichtigen, dass Leistungsberechtigte nach dem SGB II zumindest Teil der Zielgruppe der sozialen Wohnraumförderung sind. Hierauf hat bereits der ebenfalls für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständige 14. Senat des BSG hingewiesen (BSG Urteil vom 26.5.2011 - B 14 AS 86/09 R - RdNr 19). Demnach folgt aus § 1 Abs 2 WoFG, dass Zielgruppe der sozialen Wohnraumförderung Haushalte sind, die sich am Markt nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können und auf Unterstützung angewiesen sind; insbesondere Haushalte mit geringem Einkommen. Hierzu gehören auch Haushalte, deren Mitglieder Leistungen nach dem SGB II beziehen. Nichts anderes ergibt sich aus der im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorschrift des § 2 WFNG-NRW.

21

Auch liegt der Schluss nahe, dass - soweit in Nordrhein-Westfalen die Vorschriften über die Wohnflächen gegenüber der bisherigen Regelung erhöht werden - eine entsprechende Anzahl kleinerer Wohnungen für Mieterhaushalte im sozialen Wohnungsbau tatsächlich nicht vorhanden ist. Hieraus folgt, dass solche Wohnungen dann aber auch nicht für Leistungsberechtigte nach dem SGB II zur Verfügung stehen (vgl BSG Urteil vom 26.5.2011 - B 14 AS 86/09 R - RdNr 18).

22

Demgegenüber ergibt sich aus der Gesetzesbegründung zu § 22 SGB II(BT-Drucks 15/1516, S 57) - entgegen der Auffassung des Beklagten - nicht, dass die Ermittlung der angemessenen Wohnfläche keinen Veränderungen unterworfen werden sollte. Es heißt dort lediglich, dass die Kosten der Unterkunft und Heizung wie in der Sozialhilfe in tatsächlicher, angemessener Höhe berücksichtigt werden, wobei sie den am Maßstab der Sozialhilfepraxis ausgerichteten - angemessenen - Umfang nur dann und solange übersteigen dürfen, wie es dem allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder zuzumuten ist, die Aufwendungen für die Unterkunft zu senken. Wie der Beklagte selbst ausführt, entsprach es der sozialhilferechtlichen Praxis, die durch das BVerwG bestätigt wurde (vgl BVerwG Urteil vom 21.1.1993 - 5 C 3/91 - BVerwGE 92, 1, 3; BVerwG Urteil vom 17.11.1994 - 5 C 11/93 - BVerwGE 97, 110, 112 f), dass die Frage nach der sozialhilferechtlich angemessenen Wohnfläche anhand der Kriterien der Förderungswürdigkeit im sozialen Wohnungsbau nach den hierfür geltenden Vorschriften unter Rückgriff auf die Verwaltungsvorschriften der Länder zu § 5 Abs 2 WoBindG zu beantworten war. Diese Vorschriften wurden sodann zum 1.1.2002 durch das WoFG mit entsprechenden Durchführungsbestimmungen abgelöst, auf die in der Folgezeit grundsätzlich abzustellen war (vgl BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R, aaO). Nicht anders verhält es sich, wenn durch den Übergang der Gesetzeskompetenz vom Bund auf die Länder landesrechtliche Vorschriften das WoFG abgelöst haben und entsprechende neue Durchführungsvorschriften erlassen worden sind.

23

Auch die Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 26.10.2010 (BT-Drucks 17/3404, S 101) geht grundsätzlich von der Maßgeblichkeit der aktuellen Vorschriften zum sozialen Wohnungsbau aus. Durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 (BGBl I 453) ist zum 1.4.2011 die Möglichkeit des Verordnungsgebers auf Grundlage des § 27 SGB II(idF des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006, BGBl I 1706) eine bundeseinheitliche Bestimmung angemessener Wohnungsgrößen durch Verordnung zu erlassen (vgl BSG Urteil vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R - BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19, RdNr 18; Urteile vom 22.9.2009 - B 4 AS 70/08 R - RdNr 16 und - B 4 AS 18/09 R - BSGE 104, 192 = SozR 4-4200 § 22 Nr 30, RdNr 14) -, weggefallen. Stattdessen können die Länder, die Kreise und kreisfreien Städte nun durch Gesetz ermächtigt oder verpflichtet werden, durch Satzung zu bestimmen, in welcher Höhe Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in ihrem Gebiet angemessen sind (vgl § 22a SGB II). In der Satzung ist auch zu bestimmen, welche Wohnfläche entsprechend der Struktur des örtlichen Wohnungsmarktes als angemessen anerkannt wird (vgl § 22b Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II). Nach der Gesetzesbegründung soll sich die Festlegung angemessener Wohnflächen an den Wohnflächen orientieren, die auf dem örtlichen Markt für Haushalte im Niedrigeinkommensbereich ohne Transferleistungen üblich sind. In Ballungsräumen könne in der Regel davon ausgegangen werden, dass die von Personen im Niedrigeinkommensbereich bewohnten Wohnungen durchschnittlich kleiner seien als die Werte der aktuellen Wohnungsbauförderung. Seien belastbare Daten hierzu nicht verfügbar, könnten der Festsetzung hilfsweise die landesrechtlichen Wohnraumförderbestimmungen zugrunde gelegt werden (vgl dazu BSGE 97, 254 ff = SozR 4-4200 § 22 Nr 3).

24

4. Nach den Feststellungen des LSG ist die Heranziehung des Stadtgebiets der Stadt H. als maßgeblicher Vergleichsraum nicht zu beanstanden. Es handelt sich danach um einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich (zu den Anforderungen an den maßgeblichen Vergleichsraum siehe nur BSG Urteil vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R - BSGE 102, 263 = SozR § 22 Nr 19, RdNr 21).

25

5. Der Senat kann aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG jedoch nicht abschließend beurteilen, ob der von den Vorinstanzen zugrunde gelegte Quadratmeterpreis von 4,75 Euro und mithin eine monatliche Nettokaltmiete von 237,50 Euro abstrakt angemessen sind.

26

Eine rechtliche Einschränkung des Prüfungsumfangs durch das "Unstreitigstellen" bestimmter unselbstständiger Berechnungselemente innerhalb eines einheitlichen Anspruchs auf die abstrakte Rechtsfrage, welche Wohnungsgröße im Rahmen der Anwendung der Produkttheorie zugrunde zu legen ist, ist nicht möglich. Das "Unstreitigstellen" solcher Teilaspekte hat nicht zur Folge, dass das Gericht hieran gebunden ist (vgl BSG Urteil vom 13.5.2009 - B 4 AS 58/08 R - BSGE 103, 153 = SozR 4-4200 § 12 Nr 13, RdNr 12; BSG Urteil vom 23.8.2011 - B 14 AS 165/10 R - RdNr 16 - SozR 4-4200 § 11 Nr 43). Derartige Erklärungen entbinden das Gericht nicht davon darzulegen, welchen Streitstoff es nach eigener Überzeugungsbildung für maßgebend hält. Durch entsprechende Erklärungen geben die Beteiligten lediglich zum Ausdruck, dass sie von einem bestimmten Sachverhalt ausgehen und die tatsächlichen Grundlagen des Rechtsstreits insoweit aus ihrer Sicht geklärt sind. Dies steuert die Amtsermittlungspflicht des Gerichts (BSG Urteil vom 13.5.2009 - B 4 AS 58/08 R - BSGE 103, 153 = SozR 4-4200 § 12 Nr 13, RdNr 13; BSG Urteil vom 19.2.2009 - B 4 AS 68/07 R - BSGE 102, 258 = SozR 4-4225 § 1 Nr 1, RdNr 10). Nur wenn die Annahme naheliegt, dass weitere oder abweichende Tatsachen für die Entscheidung des Rechtsstreits von Bedeutung sind, muss das Gericht in eine weitere Ermittlung des tatsächlichen Streitstoffs einsteigen. Von der Pflicht zur nachvollziehbaren Darlegung einzelner Anspruchselemente entbinden solche Erklärungen jedoch hingegen nicht.

27

Hieran fehlt es vorliegend, denn das LSG hat es unterlassen nachvollziehbar darzulegen, warum der vom Beklagten angesetzte Quadratmeterpreis von 4,75 Euro abstrakt angemessen ist und insofern den vom BSG aufgestellten Anforderungen an ein schlüssiges Konzept (vgl BSG Urteil vom 22.9.2009 - B 4 AS 18/09 R - BSGE 104, 192 = SozR 4-4200 § 22 Nr 30, RdNr 18; BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 27, RdNr 26; vgl auch BSG Urteil vom 18.6.2008 - B 14/7b AS 44/06 R - RdNr 7 und BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 42) entspricht. Diese Feststellung ist jedoch - gemeinsam mit Feststellungen zur angemessenen Wohnungsgröße und zum Vergleichsraum - zur Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten nach § 22 Abs 1 SGB II unerlässlich. Dies wird das LSG im wiederöffneten Berufungsverfahren nachzuholen haben.

28

Das LSG wird abschließend auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Ansprüche auf Dienst- und Sachleistungen erlöschen mit dem Tod des Berechtigten. Ansprüche auf Geldleistungen erlöschen nur, wenn sie im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten weder festgestellt sind noch ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig ist.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 23. Mai 2013 aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Im Streit sind höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit vom 1.5. bis 30.9.2011.

2

Die 1921 geborene und im Februar 2014 verstorbene E S (S) war schwerbehindert (Grad der Behinderung 60; Merkzeichen "G"); sie erhielt Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung - (SGB XI) entsprechend der Pflegestufe II. Sie wohnte seit 2009 bei ihrer 1940 geborenen Freundin E W (W) in deren Wohnung; W hatte sich bereit erklärt, die notwendige Pflege zu übernehmen.

3

Die Beklagte bewilligte S Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 1.1. bis 30.9.2011 (Bescheid vom 24.2.2011) in Höhe von 773,54 Euro monatlich (Regelbedarf in Höhe von 359 Euro; Mehrbedarf für ältere Menschen mit dem Merkzeichen "G" in Höhe von 61,03 Euro; Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 143,51 Euro; Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 210 Euro). Ab dem 1.4.2011 hob die Beklagte die Bewilligung unter Hinweis auf die geänderten Regelbedarfsstufen teilweise auf und bewilligte S nur noch Grundsicherungsleistungen in Höhe von insgesamt 693,98 Euro, dabei (neben den unverändert gebliebenen Leistungen für Unterkunft und den Beiträgen für die Kranken- und Pflegeversicherung) nur noch einen Regelsatz nach der Regelbedarfsstufe 3 in Höhe von 291 Euro sowie einen Mehrbedarf für ältere Menschen mit dem Merkzeichen "G" in Höhe von 49,47 Euro (Bescheid vom 29.3.2011); in der Folge gewährte sie für Juli, August und September 2011 unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für die dezentrale Warmwassererzeugung in Höhe von 6,69 Euro monatlich Leistungen nach dem SGB XII in Höhe von insgesamt 700,67 Euro (Bescheid vom 28.7.2011). Der zeitlich vor diesem Bescheid erhobene Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 14.10.2011 unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter).

4

Das Sozialgericht (SG) Detmold hat auf die dagegen erhobene Klage den Bescheid vom 29.3.2011 in der Gestalt des Änderungsbescheids vom 28.7.2011 und den Widerspruchsbescheid vom 14.10.2011 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, "S für den Zeitraum April bis September 2011 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren" (Urteil vom 23.5.2013). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG ausgeführt, es könne offenbleiben, ob S einen eigenen Haushalt oder einen gemeinsamen Haushalt mit W führe oder in dem Haushalt der W lebe und wie diese Konstellationen voneinander abzugrenzen seien. Denn S habe unabhängig davon einen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1. Die Regelbedarfsstufe 3 verstoße gegen Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG), weil die Leistungen für haushaltsangehörige Leistungsberechtigte nach dem SGB XII ab Vollendung des 25. Lebensjahrs geringer seien als für vergleichbare Leistungsberechtigte nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II); diese hätten Anspruch auf den vollen Regelbedarf. Einsparungen bei Führung eines gemeinsamen Haushalts könnten nur angenommen werden, wenn die zusammenlebenden Personen eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des SGB II oder eine Einsatzgemeinschaft im Sinne des SGB XII bildeten, was bei S und W nicht der Fall sei. Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nach Art 100 Abs 1 GG sei entbehrlich, weil es sich bei der Anlage nach § 28 SGB XII, die die Regelbedarfsstufen enthalte, um eine Rechtsverordnung und nicht um ein förmliches Gesetz handele.

5

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Sprungrevision. Nachdem sie den Bescheid vom 29.3.2011 für April 2011 aufgehoben hat, macht sie wegen der Zeit ab 1.5.2011 geltend, dass die Regelbedarfsstufe 3 nicht gegen Art 3 Abs 1 GG verstoße, weil die Systemunterschiede zwischen SGB II und SGB XII eine unterschiedliche Behandlung der Leistungsempfänger rechtfertigten. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende wende sich an einen dem Grunde nach erwerbsfähigen Personenkreis, der nur vorübergehend der Unterstützung durch steuerfinanzierte Sozialleistungen bedürfe. Mit der Erwerbsfähigkeit gingen zahlreiche Pflichten bzw Obliegenheiten einher, die bei schuldhafter Verletzung Sanktionen nach sich zögen. Diese Pflichten träfen die Berechtigten nach dem SGB XII nicht. Schließlich werde das menschenwürdige Existenzminimum ua dadurch gesichert, dass der individuelle Bedarf im Einzelfall abweichend vom Regelsatz nach Maßgabe des § 27a Abs 4 Satz 1 SGB XII festzulegen sei.

6

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7
        

Der Prozessbevollmächtigte der früheren Klägerin beantragt, nachdem er die Klage für April 2011 zurückgenommen hat,

        

die Revision zurückzuweisen.

8

Er trägt vor, S habe sich von W Geld leihen müssen, weil sie, die S, von der Beklagten die notwendigen Mittel zum Lebensunterhalt nicht erhalten habe; der vom SG zutreffend zugesprochene Anspruch auf höhere Grundsicherungsleistungen sei also an die noch nicht bekannten Rechtsnachfolger vererbt worden.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Sprungrevision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das SG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 4 Satz 1 iVm Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz).

10

Mit dem Tod von S im Revisionsverfahren hat auf Klägerseite zwar ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes stattgefunden. Eine Unterbrechung des Verfahrens (vgl § 202 SGG iVm § 239 Zivilprozessordnung) ist jedoch nicht eingetreten, weil S durch ihren Prozessbevollmächtigten vertreten war (§ 246 ZPO). Er führt den Rechtsstreit für die noch unbekannten Rechtsnachfolger fort (vgl BGHZ 121, 263 ff, unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 5.2.1958 - IV ZR 204/57 -, LM Nr 10 zu § 325 ZPO).

11

Gegenstand des Klage- und Revisionsverfahrens sind der Bescheid der Beklagten vom 29.3.2011 und der während des Widerspruchsverfahrens erlassene Änderungsbescheid vom 28.7.2011 (vgl § 86 SGG) - wobei das SG prüfen mag, ob dieser den vorangegangenen Bescheid lediglich für Juli bis September 2011 oder bereits für die Zeit davor ersetzt und damit erledigt hat - beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.10.2011 (§ 95 SGG), gegen die sich der/die Rechtsnachfolger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage wenden (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4, § 56 SGG). Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist die richtige Klageart, obwohl sich die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidungen an § 48 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) misst. Geltend gemacht wird nämlich nicht nur, es sei mit Inkrafttreten der Neuregelungen durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG) vom 24.3.2011 (BGBl I 453) zum 1.1.2011 (vgl Art 14 Abs 1 RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG) keine Änderung zu Lasten der S, sondern wegen der Erhöhung der Regelbedarfe für Alleinstehende um 5 Euro und damit des Mehrbedarfs für ältere Leistungsberechtigte mit dem Merkzeichen "G" sowie der Einführung eines Mehrbedarfs für dezentrale Warmwasserbereitung zum selben Zeitpunkt eine Änderung zu ihren Gunsten eingetreten, der mit den angegriffenen Entscheidungen hätte Rechnung getragen werden müssen. Dieses Ziel (höhere Leistungen) kann nicht allein mit der Anfechtungsklage verwirklicht werden. Weder die verstorbene Klägerin noch deren Rechtsnachfolger haben den Streitgegenstand in der Sache beschränkt, sodass über die gesamten Grundsicherungsleistungen zu befinden ist.

12

Ob den unbekannten Rechtsnachfolgern/dem unbekannten Rechtsnachfolger in der Sache Ansprüche auf höhere Grundsicherungsleistungen gegen die kraft Heranziehung durch den zuständigen örtlichen Sozialhilfeträger in eigenem Namen handelnde Beklagte aus übergegangenem Recht zustehen, kann nicht entschieden werden. Das SG wird die bzw den Rechtsnachfolger zu ermitteln haben und sodann ggf die zur Akte gereichten Erklärungen der W auf inhaltliche Richtigkeit überprüfen müssen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 96, 18 ff), der sich der Senat anschließt, sind Sozialhilfeansprüche nach Maßgabe der §§ 58, 59 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) nämlich (nur) vererblich, wenn der Hilfebedürftige zu Lebzeiten seinen Bedarf mithilfe eines im Vertrauen auf die spätere Bewilligung von Sozialhilfe vorleistenden Dritten gedeckt hat, weil der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig geholfen oder Hilfe abgelehnt hat. Dem Erben obliegt auch die Begleichung der Nachlassschulden, und die Sozialhilfeleistungen fließen ihm in solchen Fällen gerade deshalb zu, um ihn in den Stand zu setzen, die aus der Hilfe des Dritten entstandenen Schulden des Sozialhilfeempfängers zu tilgen. Ein entsprechender Sachverhalt ist hier vorgetragen worden. Ist jedoch der Fiskus der gesetzliche Erbe, kann dieser die Ansprüche von vornherein nicht geltend machen (vgl § 58 Satz 2 SGB I). Bei der Tenorierung wird das SG zu beachten haben, dass eine Zahlung von Leistungen nur an die Rechtsnachfolger in Betracht kommt.

13

Es kann ebenfalls nicht abschließend entschieden werden, ob mit den zum 1.1.2011 in Kraft getretenen Gesetzesänderungen in den rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des (begünstigenden) Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist, wie dies § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X voraussetzt, und ob diese in Bezug auf die Höhe der bewilligten Leistungen (ggf ausschließlich) begünstigenden oder belastenden Charakter haben, weil ausreichende Feststellungen des SG zur Anspruchshöhe insgesamt fehlen. Gemäß § 19 Abs 2 SGB XII iVm § 41 Abs 1 und 2 SGB XII(jeweils in der Fassung, die die Norm mit dem RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG erhalten hat) erhalten Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die die maßgebliche Altersgrenze - hier das 65. Lebensjahr - erreicht haben, auf Antrag Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, wenn sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen nach den §§ 82 bis 84 und 90 SGB XII bestreiten können. Die Anspruchsvoraussetzungen für solche Leistungen dem Grunde nach erfüllte S, weil sie nach den Feststellungen des SG neben den - nicht zu berücksichtigenden (§ 13 Abs 5 SGB XI) - Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung kein Einkommen bezog und vermögenslos war.

14

Die Höhe der Ansprüche auf Grundsicherungsleistungen für die Zeit ab dem 1.1.2011 richtet sich nach § 42 Nr 1 SGB XII(in der Normfassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG), wobei sich eine Verminderung des Regelbedarfs aus Anlass der Neuregelung wegen der Übergangsregelung in § 137 SGB XII vor dem 1.4.2011 nicht zu Lasten der Betroffenen auswirken kann. Danach umfassen die Grundsicherungsleistungen unter anderem die Regelsätze nach den Regelbedarfsstufen der Anlage zu § 28 SGB XII; daneben ist § 27a Abs 3 und Abs 4 Satz 1 und 2 SGB XII(jeweils in der Normfassung dieses Gesetzes) anzuwenden. Zur Deckung des Regelbedarfs sind danach monatliche Regelsätze zu gewähren (§ 27a Abs 3 Satz 1 SGB XII). Gemäß der Anlage zu § 28 SGB XII erhält seit dem 1.1.2011 Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 1 in Höhe von 364 Euro eine erwachsene leistungsberechtigte Person, die als alleinstehende oder alleinerziehende Person einen eigenen Haushalt führt; dies gilt auch dann, wenn in diesem Haushalt eine oder mehrere weitere erwachsene Personen leben, die der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen sind. Leistungen der Regelbedarfsstufe 2 in Höhe von 328 Euro (mithin 90 vH der Regelbedarfsstufe 1) werden demgegenüber gewährt für jeweils zwei erwachsene Leistungsberechtigte, die als Ehegatten, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führen. Die Regelbedarfsstufe 3, die Leistungen in Höhe von 291 Euro (80 vH der Regelbedarfsstufe 1) vorsieht, gilt für eine erwachsene leistungsberechtigte Person, die weder einen eigenen Haushalt führt, noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führt. Für Kinder und Jugendliche sind - abhängig von ihrem Alter - die weiteren Regelbedarfsstufen 4 bis 6 gebildet.

15

Von der jeweils maßgeblichen Regelbedarfsstufe leitet sich auch die Höhe des Mehrbedarfs nach § 42 Nr 2 SGB XII iVm § 30 Abs 1 Nr 1 SGB XII(in der Normfassung des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG) - Merkzeichen "G" - ab, der S zustand, sofern nicht - wofür bislang keine Anhaltspunkte vorliegen - ein abweichender Bedarf bestand. Seit dem 1.1.2011 ist zudem für den Fall, dass Kosten für die Bereitung von Warmwasser wegen einer dezentralen Warmwasserversorgung nicht als Kosten der Heizung nach § 35 Abs 4 SGB XII abgedeckt werden, ein Mehrbedarf nach § 30 Abs 7 SGB XII iVm § 42 Nr 2 SGB XII zu bewilligen, dessen Höhe sich im Ausgangspunkt ebenfalls prozentual (2,3 vH) von der Höhe der maßgeblichen Regelbedarfsstufe ableitet(vgl § 30 Abs 7 Satz 2 Nr 1 SGB XII). Das SG wird deshalb ggf Feststellungen dazu nachholen müssen, ob die Wohnung der W im maßgeblichen Zeitraum über eine dezentrale Warmwasserversorgung verfügte. In letzterem Fall stand S ein (dann auch im Hinblick auf eine abweichende Höhe iS des § 30 Abs 7 Satz 2 SGB XII zu überprüfender) Mehrbedarf wegen der dezentralen Warmwasserversorgung schon von Mai 2011 an zu. Liegen die Voraussetzungen nicht vor, würde sich dies ggf kompensatorisch gegenüber sonstigen höheren Leistungen auswirken können.

16

Entgegen der Auffassung der Beklagten wird der notwendige Regelbedarf von S, die mit W in einem Haushalt lebte, ohne deren Partnerin zu sein, nicht von vornherein mit der Regelbedarfsstufe 3 beschrieben. Im Grundsatz richtet sich der Bedarf einer erwachsenen leistungsberechtigten Person nach der Regelbedarfsstufe 1 vielmehr auch dann, wenn sie mit einer anderen Person in einer Haushaltsgemeinschaft lebt, ohne dass eine Partnerschaft im Sinne der Regelbedarfsstufe 2 - also eine Ehe, eine eingetragene Lebenspartnerschaft oder eine eheähnliche bzw lebenspartnerschaftsähnliche Gemeinschaft - besteht. Dem gesetzlichen Leitbild liegt dabei die Vorstellung zugrunde, dass bei Zusammenleben mit anderen Personen in einer Wohnung in der Regel gemeinsam gewirtschaftet wird und also eine Haushaltsgemeinschaft vorliegt. Dementsprechend wird in § 39 Satz 1 1. Halbsatz SGB XII nF (ab 1.1.2011) vermutet, dass Personen bei Zusammenleben in einer Wohnung gemeinsam einen Haushalt führen. Diese Vermutung, die nicht durch § 43 Abs 1 2. Halbsatz bzw § 39 Satz 3 Nr 2 SGB XII ausgeschlossen wird, ist nicht schon dann widerlegt, wenn eine Person gegenüber anderen einen geringeren Beitrag an der Haushaltsführung leistet, selbst wenn für eine umfassende Haushaltsführung notwendige Fähigkeiten fehlen. Die Regelbedarfsstufe 3 kommt also im Falle des Zusammenlebens mit anderen (außerhalb von stationären Einrichtungen) erst zur Anwendung, wenn keinerlei eigenständige oder eine nur gänzlich unwesentliche Beteiligung an der Haushaltsführung vorliegt. Ausschließlich in diesem Fall ist der Haushalt, in dem die leistungsberechtigte Person lebt, ein "fremder Haushalt".

17

Dieses Ergebnis legt schon der Wortlaut der Vorschriften nahe; aus der Systematik des Gesetzes und seinem Zweck sowie der Entstehungsgeschichte der Vorschriften folgt eine entsprechende Auslegung vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG und Art 3 Abs 1 und Abs 3 Satz 2 GG indes zwingend. In der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 17/4095, S 39 ff) findet sich zwar ein weiter gehendes Verständnis (ebenso: Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl 2014, § 28 SGB XII RdNr 61; Bieback, ASR 2013, 15 ff; kritisch dagegen: Schmidt in Oestreicher, SGB II/SGB XII, Anh 2 zu § 28 SGB XII RdNr 70 ff, Stand November 2011; Gutzler in juris PraxisKommentar SGB XII, 2. Aufl 2014, § 27a SGB XII RdNr 79 ff; Münder, Soziale Sicherheit Extra, Sonderheft September 2011, 63, 82 f; Sartorius in Berlit/Conradis/Sartorius, Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl 2013, Kap 24 RdNr 51; Lenze in Lehr- und Praxiskommentar SGB XII, 9. Aufl 2012, Anh § 28 SGB XII RdNr 4 ff; Dauber in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, Anlage § 28 SGB XII RdNr 3, Stand August 2013). Hiernach wird die Haushaltsgemeinschaft typisierend als Zusammenleben eines Haushaltsvorstands mit weiteren erwachsenen Haushaltsangehörigen verstanden, von denen der zuerst genannte die haushaltsgebundenen Kosten alleine trägt, während die weiteren Haushaltsangehörigen deshalb einen geringeren Bedarf haben. Allein auf die Gesetzesbegründung kann bei der Auslegung aber nicht abgestellt werden; denn diese weiter gehende Wirkung würde zu verfassungswidrigen Ergebnissen führen. Ist von mehreren Auslegungen aber nur eine mit dem Grundgesetz vereinbar, muss diese gewählt werden (BVerfGE 112, 164, 182 f = SozR 4-7410 § 32 Nr 1 RdNr 32; vgl auch BSG SozR 4-5870 § 1 Nr 2 RdNr 19 mwN). Die Vorschriften sind deshalb orientiert an dem Gesetzeszweck einschränkend auszulegen; nur diese Auslegung belässt ihnen einen vernünftigen, dem erkennbaren Gesetzeszweck jedenfalls nicht zuwiderlaufenden Sinn.

18

Dem Wortlaut der Anlage zu § 28 SGB XII lässt sich nicht entnehmen, dass in Haushaltsgemeinschaften zwischen Erwachsenen, die nicht Partner sind, typisierend die eine Person der Regelbedarfsstufe 1 und die andere Person der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen wäre und im Ergebnis also Bedarfe nur in Höhe von 180 vH anerkannt würden; überdies findet sich keine Bestimmung, die erkennen ließe, dass in der vorliegenden Konstellation der S (und nicht der W im Falle ihrer Bedürftigkeit) lediglich Bedarfe nach der Regelbedarfsstufe 3 zustünden. Die vorliegende Gesetzesfassung beschreibt zunächst nur, dass die Regelbedarfsstufe 1 einer "alleinstehenden" Person auch dann zusteht, "wenn in diesem Haushalt eine oder mehrere weitere erwachsene Personen leben, die der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen sind". Dabei bringt das Merkmal "alleinstehend", das die Regelbedarfsstufe 1 kennzeichnet, zum Ausdruck, dass diese Person ohne festen Partner im Sinne der Regelbedarfsstufe 2, nicht dagegen ohne jeden (erwachsenen) Mitbewohner in dem Haushalt lebt; denn der Begriff "Alleinstehend" wird im allgemeinen Sprachgebrauch mit unverheiratet gleichgesetzt, also in Abgrenzung zu einer festen Partnerschaft gebraucht. Die Rechtsprechung zum SGB II, die wegen der Besonderheiten der Bedarfsgemeinschaft von einem normativen Verständnis des Begriffs ausgeht (BSG SozR 4-4200 § 20 Nr 2 RdNr 18), ist auf das SGB XII nicht zu übertragen. Dem zweiten Halbsatz kann andererseits nicht entnommen werden, dass ein Zusammenleben in Haushaltsgemeinschaft außerhalb einer Partnerschaft notwendig das Zusammenleben mit einer Person bedeutet, die dann der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen wäre. Die Formulierung verweist lediglich auf die Regelbedarfsstufe 3, ohne diese näher zu erläutern; sie kann nur klarstellende Bedeutung haben.

19

Aus der Formulierung der Regelbedarfsstufe 3 folgt nicht das Gegenteil. Die Regelbedarfsstufe 3 knüpft zunächst an das Leben in einem "fremden" Haushalt an, was das Zusammenleben in einer Haushaltsgemeinschaft im Grundsatz nicht erfasst. "Fremd" drückt als Adjektiv aus, dass eine Sache einem anderen gehört. Leben zwei erwachsene Personen in einem Haushalt, lebt jede Person nach dem allgemeinen Sprachverständnis aber weiterhin in ihrem eigenen, dh in einem ihr selbst zugehörigen Haushalt. Das Zusammenleben allein macht einen Haushalt nicht (schon) zu einem "fremden" Haushalt. Der Wortlaut der Regelbedarfsstufe 3 ließe in seiner 2. Alternative ("noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führt") zwar die Auslegung zu, dass zwei Personen, die einen gemeinsamen Haushalt führen, ohne Partner zu sein, nur die Regelbedarfsstufe 3 zukommt. Eine solche Auslegung, die bei zwei Haushaltsangehörigen denknotwendig zur Folge hätte, dass beiden Personen lediglich die Regelbedarfsstufe 3 zustünde, weil bei beiden keine Partnerschaft vorliegt, führt aber zu einem erkennbar verfassungswidrigen Ergebnis (im Einzelnen später).

20

Ausschließlich der Wortlaut der Regelbedarfsstufe 2 knüpft ausdrücklich an ein bestimmtes gemeinsames Zusammenleben (das nämlich zusätzlich die Kriterien einer Partnerschaft erfüllen muss) einen Regelbedarf von jeweils nur 90 vH für jede in der Partnerschaft lebende Person. Die Beschränkung auf diese Rechtsfolge nur bei Zusammenleben in Partnerschaften ist eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung, wie die Entwicklung der Vorschriften im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zeigt. Bereits im ursprünglichen Entwurf zum RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG ist an dem Begriff des Haushaltsvorstands, der bis zum 31.12.2010 noch in § 3 Abs 1 Satz 1 Regelsatzverordnung (RSV) verankert war, den das SGB II aber schon seit dem 1.1.2005 nicht mehr kannte (vgl im Einzelnen BSGE 103, 181 ff = SozR 4-3500 § 42 Nr 2), nicht mehr festgehalten worden. An seine Stelle ist der alleinstehende (bzw alleinerziehende) Leistungsberechtigte getreten. Demgegenüber war für alle Fälle der Haushaltsgemeinschaft die Zuordnung zur Regelbedarfsstufe 2 vorgesehen ("Ehegatten und Lebenspartner sowie andere erwachsene Leistungsberechtigte, die in einem gemeinsamen Haushalt leben und gemeinsam wirtschaften"; vgl BT-Drucks 17/3404, S 36, und zur Begründung S 130). Diese Fassung hätte mithin Fälle wie den vorliegenden dahin geregelt, dass in der Haushaltsgemeinschaft für beide Mitglieder der gleiche Bedarf besteht und dieser - wegen typisierend unterstellter Einsparmöglichkeiten - jeweils um 10 vH abgesenkt ist. Sie ist aber nicht Gesetz geworden; mit der endgültigen Fassung, die das RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG im Zuge der Ausschussberatungen erhalten hat, werden die Fälle der gemeinsamen Haushaltsführung außerhalb von Partnerschaften gerade nicht mehr in der Regelbedarfsstufe 2 der Anlage zu § 28 SGB XII erfasst.

21

Soweit in der Gesetzesbegründung zur Neufassung der Anlage zu § 28 SGB XII, die im Zuge der Beratungen des 11. Ausschusses für Arbeit und Soziales erfolgt ist, ausgeführt wird, mit der Umformulierung der Regelbedarfsstufe 1 - mithin der Anfügung des Halbsatzes "dies gilt auch dann, wenn in diesem Haushalt eine oder mehrere weitere erwachsene Personen leben, die der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen sind" - werde "folglich" an der im geltenden Recht als Haushaltsvorstand bezeichneten Funktion und der damit verbundenen Stellung im Haushalt außerhalb von Partnerkonstellationen festgehalten (BT-Drucks 17/4095, S 39), kommt dies in den Gesetz gewordenen Fassungen der Regelbedarfsstufen gerade nicht zum Ausdruck. Der Gesetzesbegründung lässt sich zwar die Vorstellung entnehmen, jedes Zusammenleben von Erwachsenen außerhalb von Partnerschaften, insbesondere, aber nicht ausschließlich im Familienverbund, sei typisierend dadurch gekennzeichnet, dass die mit der Führung des Haushalts verbundenen Kosten nur bei einer Person anfallen (BT-Drucks 17/4095, S 40). Ein Tatbestand im Gesetz, der diese typisierende Grundannahme - wie zuvor § 3 Abs 1 Satz 1 RSV - deutlich macht, ist jedoch nicht Gesetz geworden; er entspricht auch nicht dem neueren Verständnis des "Haushaltsvorstands".

22

Auf die bisherige verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung zu diesem Begriff (vgl nur BVerwG, Beschluss vom 30.12.1965 - V B 152.65 -, FEVS 14, 241, 242) kann damit - entgegen der in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommenden Auffassung - nicht zurückgegriffen werden. Es ist dem Zusammenleben in Haushaltsgemeinschaften nach § 39 Satz 1 SGB XII, die durch das gemeinsame Wirtschaften aus einem Topf gekennzeichnet sind, im Grundsatz fremd, dass ein bestimmtes, nach generell-abstrakten Kriterien umschriebenes Mitglied (etwa das erwerbsfähige oder körperlich und/oder geistig nicht eingeschränkte Mitglied oder ein Elternteil) von vornherein einen höheren Beitrag zur Führung des Haushalts erbringt oder zu erbringen hätte, wie es der Begriff des "Haushaltsvorstands" voraussetzt. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hielt vor dem 1.1.2005 die Zuordnung als Haushaltsvorstand oder Haushaltsangehöriger zwar in allen Konstellationen des Zusammenlebens für möglich und machte dies allein von einer gemeinsamen Wirtschaftsführung im Sinne einer "Wirtschaftsgemeinschaft" abhängig, deren Vorliegen allerdings bei nicht miteinander verwandten oder verschwägerten Personen besonders sorgfältig zu prüfen war. Der Gesetzgeber des RBEG/SGB II/SGB XII-ÄndG hat aber die Annahme einer Haushaltsersparnis durch das Zusammenleben mit einem "Haushaltsvorstand" gerade nicht regelhaft mit der Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse der zusammenlebenden Personen verbunden; eine entsprechende Prüfungsnotwendigkeit widerspräche auch der typisierenden Beschreibung von Bedarfen in den genannten Regelbedarfsstufen, die der Gesetzgeber aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität vorgenommen hat.

23

Das SGB II sieht folgerichtig eine Stellung des "Haushaltsvorstands" im Haushalt unverändert nicht vor (zur Problematik des Zusammenlebens von Leistungsberechtigten nach dem SGB XII und Leistungsberechtigten nach dem SGB II bereits BSGE 103, 181 ff = SozR 4-3500 § 42 Nr 2). Die Zuordnung zur Regelbedarfsstufe 3, geknüpft an den Begriff des "Haushaltsvorstands" im Sinne der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, würde zudem einen Zirkelschluss bedeuten: Es kann die Bestimmung des Bedarfs der Mitglieder einer Haushaltsgemeinschaft (im Sinne der Zuordnung zur Regelbedarfsstufe 1 oder 3) nicht im Ausgangspunkt in Abhängigkeit davon erfolgen, welche Entscheidung über die Verteilung von Mitteln ggf getroffen würde, wenn ein Mitglied seinen Bedarf nicht in gleichem Maße decken kann wie das andere Mitglied. Eine solche Entscheidung kann in Haushaltsgemeinschaften überhaupt erst getroffen werden, wenn entsprechende Mittel nicht gleichmäßig zufließen.

24

Allein die vom Senat vorgenommene Auslegung sichert die sozialrechtliche Funktion der Leistungen nach dem SGB XII, nämlich die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip des Art 20 Abs 1 GG (vgl dazu: BVerfGE 132, 134 ff RdNr 62 ff = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 RdNr 88 ff; BVerfGE 125, 175, 221 ff = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr 132 ff). Auch nach der Gesetzesbegründung soll die Regelbedarfsstufe 3 deshalb nur für Personen gelten, denen tatsächlich keine haushaltsgebundenen Kosten entstehen; es sollen ausdrücklich nur Konstellationen erfasst werden, "in denen es keine gemeinsame Tragung von Ausgaben zu gleichen Teilen gibt" (BT-Drucks 17/4095, S 40). Wie dargelegt kann aber allein aus dem Zusammenleben in einem Haushalt nicht typisierend geschlossen werden, dass die haushaltsgebundenen Kosten nur bei einer Person anfallen. Die gegenteilige, zwar in der Gesetzesbegründung, nicht hingegen im Wortlaut zum Ausdruck kommende Auffassung führt zu erkennbar verfassungswidrigen Ergebnissen. Sie hätte zur Folge, dass zwei Personen, die die Kosten des Haushalts gemeinsam tragen, beide also den Haushalt nicht als Haushaltsvorstand im hergebrachten Sinne führen, im Falle ihres Zusammenlebens, etwa in einer Wohngemeinschaft, lediglich die Regelbedarfsstufe 3 zustünde. Eine solche Schlechterstellung gegenüber Partnerschaften kann und soll erkennbar mit der Gesetzesneufassung nicht verbunden sein. Wie der ungedeckte Bedarf in solchen Fällen gesichert werden sollte, erschließt sich weder aus der Gesetzesbegründung noch aus dem Gesetz selbst. Die Möglichkeit der Bildung von Mischregelsätzen in solchen Fällen ist aber angesichts der dargestellten Gesetzgebungsgeschichte vom Willen des Gesetzgebers nicht gedeckt (so zum Ganzen auch Schmidt in Oestreicher, SGB II/SGB XII, Stand November 2011, Anh 2 zu § 28 SGB XII RdNr 70). Schließlich reicht auch die abweichende Regelsatzfestlegung nach § 27a Abs 4 Satz 1 SGB XII nicht aus, um tatsächlichen Verhältnissen in einem Haushalt, die regelmäßig denkbar sind, Rechnung zu tragen; denn diese setzt die zutreffende Typisierung der Lebensverhältnisse durch den Gesetzgeber voraus, weil sie eine Regelung ausdrücklich nur für atypische Situationen trifft ("seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht").

25

Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Gesetz den Begriff der eigenen "Haushaltsführung" im Anschluss an die Formulierung der Regelbedarfsstufen in dem Sinne versteht, dass nur die hilfebedürftige Person, die die einzelnen Verrichtungen in einem Haushalt in einem gewissen Maße auch tatsächlich ausüben kann, der Regelbedarfsstufe 1 (und nicht der Regelbedarfsstufe 3) unterfallen soll (in diesem Sinne etwa LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 18.7.2012 - L 8 SO 13/12 B ER; zweifelnd Gutzler in jurisPK SGB XII, 2. Aufl 2014, § 27a SGB XII RdNr 80). Die zu fordernde Beteiligung an der Haushaltsführung muss sich vielmehr gerade an den jeweiligen individuellen Fähigkeiten orientieren. Eine andere Auslegung würde zu einer (indirekten) Ungleichbehandlung von behinderten Menschen führen und verstieße gegen Art 3 Abs 3 Satz 2 GG und damit gleichzeitig gegen das Diskriminierungsverbot in Art 5 Abs 2 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13.12.2006 (UN-Behindertenrechtskonvention , Gesetz vom 21.12.2008 - BGBl II 1419 -, in der Bundesrepublik in Kraft seit 26.3.2009 - BGBl II 812). Denn das Benachteiligungsverbot des Art 3 Abs 3 Satz 2 GG erschöpft sich nicht in der Anordnung, behinderte und nichtbehinderte Menschen rechtlich gleich zu behandeln. Vielmehr kann eine Benachteiligung auch bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt gegeben sein (vgl nur BVerfGE 128, 138 ff = SozR 4-2600 § 77 Nr 9 mwN).

26

Eine Auslegung, nach der entscheidend für die Zuordnung zur Regelbedarfsstufe 3 eine in bestimmter Weise dauerhaft eingeschränkte körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit des Leistungsberechtigten maßgeblich wäre, träfe zwar nicht alle behinderten Menschen gleichermaßen. Sie würde gleichwohl an die Schwere einer dauerhaften körperlichen, geistigen oder seelischen Einschränkung und damit an die Auswirkungen einer Behinderung anknüpfen (vgl den Behinderungsbegriff in § 2 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen -). Eine entsprechende Differenzierung fände auch keine Rechtfertigung gerade in den eingeschränkten Fähigkeiten der behinderten Person (dazu etwa BVerfGE 99, 341 ff); für die Wahrnehmung des in Rede stehenden Rechts sind bestimmte Fähigkeiten nicht unerlässliche Voraussetzung. Das mit Art 1 GG iVm Art 20 GG gewährleistete Recht auf Sicherung einer menschenwürdigen Existenz knüpft insbesondere nicht an die Erwerbsfähigkeit an. Es ist aber nicht erkennbar, welche Kompensation sich auf der Bedarfsseite für behinderte Menschen mit Beeinträchtigungen, die sich auf die Fähigkeit einen Haushalt zu führen auswirken, gerade durch das Zusammenleben mit einer anderen Person ergeben sollten, die eine Zuordnung zur Regelbedarfsstufe 3 rechtfertigen würde. Dies wird besonders deutlich, wenn beide Mitglieder des Haushalts einer ambulanten Rund-um-die-Uhr-Betreuung durch eine außenstehende Person bedürfen: Hier würde eine andere Sichtweise sogar zu der nicht zu rechtfertigenden Annahme führen, keiner dieser behinderten Personen stünde die Regelbedarfsstufe 1 zu. Soweit sich schließlich in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 17/4095, S 27 und 41) der Hinweis auf elterliche Unterhaltspflichten in Haushaltsgemeinschaften findet, sind solche Überlegungen von vornherein zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung einer Regelung ungeeignet, die gerade nicht typisierend an das Zusammenleben im Familienverbund anknüpft.

27

Eine verfassungsrechtlich zu beanstandende Schlechterstellung von Partnerschaften ist mit dieser Auslegung nicht verbunden. Es ist kein verfassungsrechtliches Gebot erkennbar, wonach für eine zusätzliche erwachsene Person im Haushalt, die in keiner partnerschaftlichen Beziehung zu einer anderen Person in diesem Haushalt steht, vor dem Hintergrund der Regelung für Paare und der Regelbedarfsermittlung für Einpersonenhaushalte gelten müsste, dass diese sozialhilferechtlich nicht als alleinstehende Person betrachtet werden kann (so aber wohl BT-Drucks 17/4095, S 40; wie hier Münder, Soziale Sicherheit Extra, Sonderheft September 2011, 63, 82). Zwar werden bei Partnern einer Lebensgemeinschaft im Sinne der Regelbedarfsstufe 2 insgesamt nur Bedarfe in Höhe von 180 vH anerkannt. Die besondere Stellung von Partnerschaften beruht indes nicht allein auf der Annahme der gemeinsamen Haushaltsführung, sondern auf der typisierenden Annahme eines Einstandswillens in dieser Partnerschaft, der darauf schließen lässt, dass nicht nur aus einem Topf gewirtschaftet wird, sondern das Ausgabeverhalten auch erkennen lässt, dass der Partner zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellt, bevor die Mittel für eigene Bedürfnisse eingesetzt werden (zur Zulässigkeit einer entsprechend typisierenden Annahme in Partnerschaften BVerfGE 87, 234 ff = SozR 3-4100 § 137 Nr 3). Dies rechtfertigt nicht nur die gesteigerten Einstandspflichten innerhalb von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft (vgl § 27 Abs 2 Satz 2 SGB XII und ergänzend das Verbot der Besserstellung von eheähnlicher und lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft in § 20 SGB XII).

28

Bereits nach der bisherigen Gesetzesfassung - im SGB XII wie im SGB II - war auch die Annahme einer weiter gehenden Einsparung bei den Ausgaben, als sie aus dem bloßen gemeinsamen Wirtschaften folgt, typisierend an eine solche Partnerschaft, also an das Bestehen des partnerschaftstypischen Einstandswillens, geknüpft (vgl BSGE 103, 181 ff RdNr 24 = SozR 4-3500 § 42 Nr 2). Es ist nicht erkennbar, dass insoweit nach der alten Rechtslage eine verfassungswidrige Schlechterstellung von Partnerschaften vorlag, die mit der Neufassung hätte beseitigt werden müssen. Das BVerfG hat die Annahme einer besonderen Ersparnis in Partnerschaften auch auf der Bedarfsseite, die in den 1990er Jahren auf Grundlage einer Auswertung des Ausgabeverhaltens in Partnerschaften - nicht in anderen Mehrpersonenhaushalten - entwickelt worden war, ausdrücklich gebilligt ( BVerfGE 125, 175 ff RdNr 189 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12); eine Ausweitung auf jede Mehrpersonenkonstellation unter Erwachsenen, die nicht Bedarfs- bzw Einsatzgemeinschaften sind und die auch in den zur Überprüfung stehenden Fassungen des SGB II und des SGB XII abweichend behandelt worden waren, hat es aber nicht gefordert. Ob die ursprünglich geplante Fassung der Regelbedarfsstufe 2, die jede Haushaltsführung in einer Mehrpersonenkonstellation erfasst hätte, verfassungsgemäß gewesen wäre, weil jede gemeinsame Haushaltsführung außerhalb von Bedarfs- und Einstandsgemeinschaften eine Ersparnis in gerade dieser Höhe mit sich bringt - wozu indes statistische Auswertungen fehlen (vgl BT-Drucks 17/3404, S 130, und BT-Drucks 17/4095, S 27) -, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden. Ebenso kann offen bleiben, ob die Einbeziehung erwerbsfähiger Erwachsener, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, in die Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II unter bestimmten Voraussetzungen verfassungsgemäß ist (dazu BSGE 110, 204 ff = SozR 4-4200 § 9 Nr 10).

29

Dem mit dieser Auslegung gewonnenen Ergebnis, wonach ein Zusammenleben auch außerhalb von Partnerschaften im Grundsatz eine gemeinschaftliche, gleichberechtigte Haushaltsführung ist, und das folglich bei beiden Personen dieselben Bedarfe annimmt, entspricht die gesetzliche Vermutung in § 39 Satz 1 1. Halbsatz SGB XII, wonach Personen (seit dem 1.1.2005 auch solche, die nicht miteinander verwandt oder verschwägert sind), die gemeinsam in einer Wohnung leben, gemeinsam wirtschaften und damit eine Haushaltsgemeinschaft bilden. Ob die doppelte Vermutungsregelung - die nämlich in § 39 Satz 1 2. Halbsatz SGB XII um eine Unterhaltsvermutung ergänzt ist - in allen Punkten verfassungsgemäß ist, kann im vorliegenden Zusammenhang offen bleiben. Nach den insoweit normierten Rückausnahmen (§ 39 Satz 3 Nr 2 SGB XII und § 43 Abs 1 2. Halbsatz SGB XII) kommt lediglich die belastende Auswirkung des § 39 Satz 1 SGB XII für Haushaltsgemeinschaften, die beispielsweise zur gegenseitigen Hilfe und Unterstützung von behinderten oder älteren Menschen als Wohngemeinschaften gebildet werden, nicht zur Anwendung. Denn die Rückausnahme soll ambulante Wohnformen, die durch Unterstützungsleistungen gekennzeichnet sind, finanziell stärken (vgl BT-Drucks 15/1514, S 61). Insoweit kommt nur die Unterhaltsvermutung des § 39 Satz 1 SGB XII nicht zur Anwendung; dementsprechend ist allein die Nichtgeltung dieser Unterhaltsvermutung in der Gesetzesbegründung zur Einführung der Regelbedarfsstufe 3 in Bezug genommen (vgl BT-Drucks 17/4095, S 40 f). Dies lässt die normative Grundannahme unberührt, wonach allein aus dem Sachverhalt des gemeinsamen Wohnens der Schluss auf das Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft zu ziehen ist, in der auch gemeinsam gewirtschaftet wird.

30

Dem kann schließlich nicht entgegengehalten werden, es verbleibe im Ergebnis der vom Senat vorgenommenen Auslegung für die Regelbedarfsstufe 3 kein Anwendungsbereich mehr. Die Regelbedarfsstufe 3 findet nämlich als Rechengröße bei der Bestimmung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in stationären Einrichtungen Anwendung; denn in diesem Fall trägt der Leistungsberechtigte keinerlei Verantwortung für einen "Haushalt" und hierfür auch keine (unmittelbaren) Kosten.

31

Im Übrigen kommt die Regelbedarfsstufe 3 zur Anwendung, wenn abweichend von der dargelegten gesetzlichen Vermutung in § 39 Satz 1 1. Halbsatz SGB XII keine Haushaltsgemeinschaft besteht. Ob dies bei klassischen Untermietverhältnissen, die sich durch die (vertraglich) ausgeschlossene Möglichkeit der Beteiligung an der Haushaltsführung auszeichnen, regelmäßig der Fall ist (so die Gesetzesbegründung; BT-Drucks 17/4095, S 40), kann offen bleiben; denn für eine solche Fallgestaltung ergeben sich hier keine Anhaltspunkte. Bei einem Zusammenleben, das anders als ein bloßes Untermietverhältnis gerade (auch) durch verstärkte Unterstützungsleistungen des einen Haushaltsangehörigen für den anderen gekennzeichnet ist, kann ein solcher Fall nur vorliegen, wenn bei dem körperlich und/oder geistig behinderten Mitbewohner keinerlei eigenständige oder eine nur gänzlich unwesentliche Beteiligung an der Haushaltsführung vorliegt. Ausschließlich in diesem Fall ist der Haushalt, in dem die leistungsberechtigte Person lebt, ein "fremder Haushalt". Ein solcher Sachverhalt wird nur ausnahmsweise vorliegen; denn schon die von den zusammenlebenden Personen gewünschte und geförderte Beteiligung an der Haushaltsführung im Rahmen der jeweiligen körperlich und/oder geistigen Fähigkeiten und ein darauf abgestimmter Ablauf in der Haushaltsführung genügen. Dies hat der Senat für die Konstellation des Zusammenlebens von Eltern mit ihren erwachsenen behinderten Kindern im Einzelnen dargestellt (Urteil vom 23.7.2014 - B 8 SO 31/12 R); entsprechende Vorstellungen über ein im Ausgangspunkt gleichberechtigtes Miteinanderleben mit der Folge eines gemeinsamen Haushalts iS des § 39 Satz 1 1. Halbsatz SGB XII sind auch auf Wohngemeinschaften, die durch (gegenseitige) Unterstützungsleistungen gekennzeichnet sind, übertragbar. Ob ein hiervon ausnahmsweise abweichender Sachverhalt überhaupt vorliegt, wird das SG nur zu prüfen haben, wenn zu diesem neuen rechtlichen Gesichtspunkt qualifizierter Vortrag der Beklagten erfolgt. Die Beweislast liegt insoweit bei der Beklagten, die sich auf das Vorliegen eines von der gesetzlichen Typik abweichenden Falls beruft.

32

Das SG wird über die Leistungshöhe insgesamt und ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. Juni 2015 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 8.1.2013 bis 31.5.2013.

2

Die 1981 geborene Klägerin spanischer Staatsangehörigkeit ist am 28.2.2012 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist (Freizügigkeitsbescheinigung vom 28.2.2012). Gemeinsam mit einer weiteren Person bewohnte sie seit 1.3.2012 in Berlin eine 2,5-Zimmer-Wohnung mit einer Wohnfläche von 73 qm und einer Mietbelastung von insgesamt 750 Euro, von der sie einen Anteil in Höhe von 375 Euro trägt. Anlässlich ihres Antrags auf SGB II-Leistungen vom 10.5.2012 überreichte sie eine Anmeldung ihrer Arbeitgeberin M. C. bei der Minijobzentrale ("Haushaltsscheck") vom 22.4.2012 zu einer Beschäftigung ab 18.4.2012 mit einem monatlichen Arbeitsentgelt in Höhe von 400 Euro. Sie reichte Rechnungen vom 29.5.2012 für eine 30-stündige Betreuung der Kinder der Arbeitgeberin zu einem Entgelt von 250 Euro, jeweils für die Monate April und Mai 2012, ein. Später teilte die Klägerin mit, sie habe für den Monat Juli 2012 noch ein Entgelt in Höhe von 80 Euro für zehn Stunden Kinderbetreuung erhalten. Die Tätigkeit endete zum 7.7.2012 (Schreiben der Klägerin vom 7.7.2012; Abmeldung zum 7.7.2012).

3

Nachdem die Klägerin zunächst bis Ende November 2012 SGB II-Leistungen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erhalten hatte, lehnte der Beklagte ihren SGB II-Antrag vom 26.10.2012 ab (Bescheid vom 7.12.2012; Widerspruchsbescheid vom 12.3.2013). Im sozialgerichtlichen Verfahren erkannte er mit einem von der Klägerin angenommenen Teilanerkenntnis einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1.12.2012 bis 7.1.2013 an. Sodann hat das SG den Bescheid vom 7.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.3.2013 aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, der Klägerin auch für die Zeit vom 8.1.2013 bis zum 31.5.2013 Leistungen in Höhe von 757 Euro monatlich zu erbringen (Urteil vom 7.11.2013).

4

Das LSG hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 18.6.2015). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Klägerin sei nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II von SGB II-Leistungen ausgeschlossen, weil sich ihr Aufenthaltsrecht im maßgeblichen Zeitraum allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergeben habe. Der Leistungsausschluss erfasse auch Unionsbürger nach Verlust des fortwirkenden Status als Arbeitnehmer. Jedenfalls in der vorliegenden Fallgestaltung sei der Senat von der Europarechtswidrigkeit des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II nicht überzeugt. Da die Klägerin nach dem Verlust der lediglich knapp drei Monate ausgeübten geringfügigen Tätigkeit im weiteren Verlauf erfolglos nach Arbeit gesucht habe, liege eine Verbindung mit dem Arbeitsmarkt in Deutschland nicht mehr vor. Auch sonstige Gründe, die nach Prüfung des vorliegenden Einzelfalls eine Leistung nach dem SGB II (zB wegen familiärer Kontakte) ausnahmsweise notwendig gemacht hätten, seien nicht gegeben. Aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA) ergebe sich kein Anspruch. Einer Beiladung des Sozialhilfeträgers habe es nicht bedurft. Die Leistungssysteme des SGB II und des SGB XII ständen nicht in einem Vorrang-Nachrang-Verhältnis, sondern schlössen sich gegenseitig aus.

5

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II. Durch die Entscheidung des EuGH vom 15.9.2015 sei die Frage der Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II nicht abschließend entschieden. Die Ausschlussregelung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II sei einer einschränkenden Auslegung insofern zugänglich, als sie jedenfalls Unionsbürgerinnen und Unionsbürger nicht erfasse, die bereits eine Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt aufgebaut hätten. Dies treffe auf sie zu, weil sie einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sei und Pflichten aus einer Eingliederungsvereinbarung erfülle. Zudem sei die - hier ab 8.1.2013 - eingreifende, fixe Sechsmonatsgrenze des § 7 Abs 1 S 2 SGB II iVm § 2 Abs 3 S 2 FreizügG/EU in Art 7 Abs 3 lit c der UnionsbürgerRL nicht angelegt. Unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der nicht nur im Europarecht verankert sei, sondern auch aus dem Grundgesetz folge, müsse geprüft werden, ob die Begrenzung auf maximal sechs Monate verhältnismäßig sei. Einer Anwendbarkeit des Leistungsausschlusses stehe das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA entgegen. Die Klägerin rügt weiter eine fehlende Beiladung des Sozialhilfeträgers. Da sich der von der Bundesregierung gegen das EFA erklärte Vorbehalt nur auf SGB II-Leistungen beziehe, seien - in entsprechender Auslegung des innerstaatlichen Rechts - SGB XII-Leistungen zu erbringen.

6

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. Juni 2015 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. November 2013 zurückzuweisen, hilfsweise den beizuladenden Sozialhilfeträger zu verpflichten, ihr für den Zeitraum vom 8. Januar 2013 bis 31. Mai 2013 Leistungen nach dem SGB XII zu erbringen.

7

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er vertritt mit Bezug auf das Urteil des EuGH vom 15.9.2015 (Rs C-67/14 ) die Ansicht, dass die Klägerin von SGB II-Leistungen ausgeschlossen sei und die Berücksichtigung persönlicher Umstände bei einer Fallgestaltung wie derjenigen der Klägerin nicht erforderlich sei.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Zwar ist das LSG zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin in dem hier streitigen Zeitraum vom 8.1.2013 bis 31.5.2013 keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II hat, weil sie dem Ausschluss hiervon nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II unterliegt. Der Senat kann aber nicht abschließend entscheiden, weil als anderer leistungspflichtiger Träger nach § 75 Abs 2 Alt 2 SGG der zuständige Sozialhilfeträger in Betracht kommt, dessen Beiladung das LSG nach der nunmehr im Revisionsverfahren erfolgten Rüge der Klägerin nachzuholen hat.

10

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Urteil des LSG vom 18.6.2015, das Urteil des SG vom 7.11.2013 sowie der SGB II-Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ablehnende Bescheid des Beklagten vom 7.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.3.2013. In zeitlicher Hinsicht hat die Klägerin den geltend gemachten Anspruch auf den Zeitraum vom 8.1.2013 bis 31.5.2013 beschränkt.

11

2. a) Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gegen den Beklagten. Zwar lässt sich dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG entnehmen, dass sie die im SGB II normierten Anspruchsvoraussetzungen im streitigen Zeitraum erfüllte. Sie ist jedoch von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufgrund von § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 und 2 SGB II(idF vom 28.8.2007 durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007, BGBl I 1970, 2008) ausgeschlossen. Danach sind von den benannten Leistungen ausgenommen 1. Ausländerinnen und Ausländer, Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbstständige, die weder in der Bundesrepublik Deutschland noch aufgrund des § 2 Abs 3 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts und 2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen. Der Ausschlussgrund des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II kommt wegen des durchgehenden Aufenthalts der Klägerin im Bundesgebiet seit Februar 2012 von vornherein nicht in Betracht.

12

b) Die Klägerin unterfällt jedoch dem Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II. In dem streitigen Zeitraum kann sie sich weder auf eine materielle Freizügigkeitsberechtigung nach dem FreizügG/EU, die nicht von diesem Leistungsausschluss umfasst ist, noch auf ein Aufenthaltsrecht nach dem AufenthG berufen, das eine Ausnahme von dem Leistungsausschluss zu rechtfertigen vermag. Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, dass eine etwaige - zuvor durch die Tätigkeiten der Klägerin im Bundesgebiet erworbene - Erwerbstätigeneigenschaft im streitigen Zeitraum jedenfalls nicht mehr erhalten geblieben ist und andere Aufenthaltsrechte nicht vorliegen.

13

Zeitliche Grenzen der Fortgeltung der Arbeitnehmereigenschaft ergeben sich aus § 2 Abs 3 S 2 FreizügG/EU. Hiernach bleibt ein entsprechender Status als Arbeitnehmerin (oder Selbstständige) "bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung … während der Dauer von sechs Monaten unberührt". Im Falle der Klägerin war dieser Zeitraum am 7.1.2013 abgelaufen. Auf europarechtlicher Ebene bestimmt Art 7 Abs 3 Buchst c RL 2004/38/EG, dass einem Erwerbstätigen, wenn er sich bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrags oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung stellt, seine Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten aufrechterhalten bleibt. Während dieses Zeitraums behält der betreffende Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat sein Aufenthaltsrecht nach Art 7 der Richtlinie und kann sich auf das in Art 24 Abs 1 RL 2004/38/EG verankerte Gleichbehandlungsgebot berufen.

14

Soweit die Klägerin meint, die Richtlinie gebe die Möglichkeit einer weiteren Abstufung vor, wenn der Zeitraum von sechs Monaten unzureichend sei, um die Rechte und Pflichten eindeutig zu erfassen, folgt hieraus kein über die Umsetzung in § 2 Abs 3 S 2 FreizügG/EU hinausgehender Gestaltungsauftrag an den nationalen Gesetzgeber. Dies ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte der Regelung. Die erweiterte Regelung des Art 8 Abs VII c des Kommissionsentwurfs zur UnionsbürgerRL (vgl KOM <2001>257 endg: "c) er sich bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit infolge des Ablaufs seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrags dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung stellt; in diesem Fall bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten aufrechterhalten; hat er Anspruch auf eine Arbeitslosenleistung, bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft erhalten, bis der Anspruch erlischt") (vgl KOM <2001>257 endg: "c) er sich bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit infolge des Ablaufs seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrags dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung stellt; in diesem Fall bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten aufrechterhalten; hat er Anspruch auf eine Arbeitslosenleistung, bleibt die Erwerbstätigeneigenschaft erhalten, bis der Anspruch erlischt") ist nicht in die Endfassung der RL übernommen worden (vgl Dienelt in Bergmann/ Dienelt, 11. Aufl 2016, § 2 FreizügG/EU RdNr 107 ff, 112 f). Entsprechend hat der EuGH sowohl in seinem Urteil vom 4.6.2009 (Rs C-22/08/Rs C-23/08 juris RdNr 32) als auch in seinem Urteil vom 15.9.2015 (Rs C-67/14 juris RdNr 61) betont, dass "ein Zeitraum von sechs Monaten nach Beendigung einer Erwerbstätigkeit, in dem der Anspruch auf Sozialhilfe aufrechterhalten" bleibe, eine "Rechtssicherheit und Transparenz" gewährleistende Regelung sei, die "zugleich im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" stehe. Ausdrücklich wird betont, dass "§ 7 Abs 1 SGB II in Verbindung mit § 2 Abs 3 FreizügG/EU als auch Art 7 Abs 3 Buchst c der Richtlinie 2004/38" auf einen Zeitraum von sechs Monaten nach Beendigung einer Erwerbstätigkeit abstelle(Urteil vom 15.9.2015 - Rs C-67/14 juris RdNr 61).

15

c) Soweit die Klägerin - entsprechend den Feststellungen des LSG, dass sich für sie ein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe - ab 8.1.2013 weiterhin über eine Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitsuchende verfügt hat, wäre sie ebenso wie für den Fall, dass keine Freizügigkeitsberechtigung mehr gegeben sein sollte, nicht leistungsberechtigt iS des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II. Nach der Rechtsprechung der beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG sind - über den Wortlaut der genannten Regelung hinaus - auch diejenigen Unionsbürger "erst-recht" von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgenommen, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen. Die Vorschrift des § 7 Abs 1 S 2 SGB II ist insoweit planwidrig lückenhaft, als sie nicht ausdrücklich den Ausschluss auch derjenigen normiert, die über keine materielle Freizügigkeitsberechtigung oder ein anderes materielles Aufenthaltsrecht verfügen, weil sie einen Leistungsausschluss schon für solche Ausländer anordnet, die sich auf eine solche materielle Freizügigkeitsberechtigung iS des FreizügG/EU berufen können(vgl ausführlich Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43 vorgesehen - RdNr 19 ff; BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen - RdNr 20; BSG Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen - RdNr 24, auch zur Abgrenzung einer materiellen Freizügigkeitsberechtigung von der generellen Freizügigkeitsvermutung).

16

d) In dieser Auslegung des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II ist die Ausschlussregelung nach den Ent-scheidungen des EuGH in der Rechtssache Dano(Urteil vom 11.11.2014 - C-333/13 NZS 2015, 20 ff) und in der Rechtssache Alimanovic (Urteil vom 15.9.2015 - C-67/14 - SGb 2015, 638 ff) europarechtskonform (vgl auch Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43 vorgesehen - RdNr 35; BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen - RdNr 35; BSG Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen - RdNr 31). Weiter ist als geklärt anzusehen, dass der nach dem Wortlaut des § 7 Abs 1 S 2 SGB II normierte, ausnahmslose Ausschluss der Arbeitsuchenden von SGB II-Leistungen auch bereits im Bundesgebiet beschäftigt gewesene Unionsbürgerinnen und Unionsbürger erfasst, die weniger als ein Jahr gearbeitet haben. Haben diese - wie hier die Klägerin nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) - nach Ablauf der Aufrechterhaltung ihrer Erwerbstätigeneigenschaft für den Zeitraum von sechs Monaten erneut ein Aufenthaltsrecht nur (noch) zur Arbeitsuche, steht der nachfolgende ausnahmslose Ausschluss von SGB II-Leistungen (vgl Frage 2 des Vorlagebeschlusses des Senats vom 12.12.2013 - B 4 AS 9/13 R) unabhängig von der Dauer des rein tatsächlichen gewöhnlichen Aufenthalts der (wieder) Arbeitsuchenden im Bundesgebiet sowie deren familiärer Umstände nach dieser Entscheidung des EuGH im Einklang mit den europarechtlichen Vorgaben des Art 4 der VO (EG) Nr 883/2004 und Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG. Der Hinweis der Klägerin, dass der Beklagte sie durch Abschluss der Eingliederungsvereinbarung im Mai 2012 verpflichtet habe, an einem durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geförderten und im Juni 2013 erfolgreich beendeten Integrationskurs in Vollzeit teilzunehmen, kann daher - unbesehen des Umstandes, ob dies neuer und damit nicht zu berücksichtigender Vortrag im Revisionsverfahren ist - keine Berücksichtigung finden.

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e) Zudem hat der EuGH in seinem Urteil vom 15.9.2015 zugrunde gelegt, dass die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nicht (gleichzeitig) als finanzielle Leistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats erleichtern sollen, eingestuft werden können, sondern ausschließlich als "Sozialhilfe" iS von Art 24 Abs 2 RL 2004/38/EG anzusehen sind (Rs C-67/14 SGb 2015, 638 ff; bestätigt durch EuGH Urteil vom 25.2.2016 - C-299/14 - juris RdNr 37). Die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG haben sich dem angeschlossen, weshalb - anders als die Klägerin es sieht - ein Verstoß gegen das in Art 45, 18 AEUV enthaltene Diskriminierungsverbot bei finanziellen Leistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats erleichtern sollen, nicht diskutiert wird. Entgegen ihrer Ansicht ist der Leistungsausschluss auch nicht aufgrund einer Ungleichbehandlung als spanische Staatsangehörige gegenüber denjenigen Österreichs, die nach Art 2 Abs 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Fürsorge- und Jugendwohlfahrtspflege vom 17.1.1966 Anspruch auf Fürsorgeleistungen ohne Vorbehaltserklärung hätten, unanwendbar. Insofern hat der 14. Senat des BSG zu Recht darauf verwiesen, dass durchgreifende Gründe dafür, ein anspruchsbegründendes völkerrechtliches Abkommen zwischen bestimmten Staaten, die zwar (mittlerweile) größtenteils zur EU gehören, auf die Staatsangehörigen auch anderer Mitgliedstaaten der EU auszudehnen, nicht zu erkennen sind (vgl BSG Urteil vom 16.12.2015 - B 14 AS 15/14 R - RdNr 33 f zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen). Die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit ist ein typisches Merkmal völkerrechtlicher Verträge, ohne dass alle völkerrechtlichen Verträge, die Deutschland geschlossen hat, automatisch anspruchsbegründend auch für alle in Deutschland lebenden EU-Ausländer gelten (BSG aaO).

18

f) Bezogen auf die SGB II-Leistungen kann sich die Klägerin - nach Erklärung des Vorbehalts durch die Bundesregierung am 19.12.2011 - im streitigen Zeitraum auch nicht mehr auf das Gleichbehandlungsgebot des Art 1 EFA berufen (vgl hierzu im Einzelnen Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 43/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen - RdNr 18 ff; vgl auch BSG Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen).

19

g) Verfassungsrechtliche Bedenken stehen dem Leistungsausschluss der Klägerin nach § 7 Abs 1 S 2 SGB II nicht entgegen, weil für sie - nach der zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung der beiden für die Grundsicherung zuständigen Senate des BSG - existenzsichernde Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII seitens des zuständigen Sozialhilfeträgers(nach so genannter unechter notwendiger Beiladung <§ 75 Abs 2 2. Alt SGG>; vgl nur BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242, 245 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 12; BSG Urteil vom 25.4.2013 - B 8 SO 16/11 R - juris RdNr 10) in Betracht kommen (vgl zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt: Urteil des Senats vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-4200 § 7 Nr 43 vorgesehen; BSG Urteil vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen).

20

3. Nach der Rechtsprechung der beiden für die Grundsicherung zuständigen Senate des BSG wird das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren nach Beiladung des Sozialhilfeträgers (so genannte unechte notwendige Beiladung <§ 75 Abs 2 2. Alt SGG>; vgl nur BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R - BSGE 97, 242, 247 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1, RdNr 12; BSG Urteil vom 25.4.2013 - B 8 SO 16/11 R - juris RdNr 10) prüfen müssen, ob die Klägerin existenzsichernde Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII beanspruchen kann.

21

Die Klägerin hat die unterbliebene unechte notwendige Beiladung in der Revisionsinstanz geltend gemacht. Von der nach § 168 S 2 SGG eröffneten Möglichkeit, den zuständigen Sozialhilfeträger mit seiner Zustimmung noch im Revisionsverfahren beizuladen, hat der Senat gleichwohl keinen Gebrauch gemacht. Bei der zu treffenden Entscheidung sind auch rechtliche und nicht geprüfte - einen möglichen Sozialhilfeanspruch betreffende - tatsächliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die im bisherigen Klageverfahren noch nicht erörtert werden konnten. Insbesondere fehlen Feststellungen des LSG zu einer Hilfebedürftigkeit der Klägerin, insbesondere zum Vorhandensein von Einkommen oder Vermögen, nach den Maßstäben des SGB XII.

22

Sind die Leistungsvoraussetzungen der Hilfe zum Lebensunterhalt erfüllt, wird das Berufungsgericht allerdings davon ausgehen können, dass Sozialhilfeleistungen in Form der Hilfe zum Lebensunterhalt im Wege einer Gleichstellung mit inländischen Staatsangehörigen weiterhin zu erbringen sind. Bezogen auf diese Leistungen hat die Bundesregierung keinen Vorbehalt zum EFA erklärt. Die Ausschlussregelung des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII findet von vornherein keine Anwendung. Die Gleichbehandlung erfordert einen erlaubten Aufenthalt des Staatsangehörigen aus einem Vertragsstaat des EFA-Angehörigen, der hier jedenfalls bei einem vom LSG festgestellten Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche gegeben ist (vgl hierzu BSG Urteil vom 3.12.2015 - B 4 AS 59/13 R - juris RdNr 20 ff).

23

Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 4. Mai 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen, soweit die Entscheidung den Anspruch des Klägers gegen den Beklagten betrifft.

Tatbestand

1

Im Streit ist (nur noch) die Erstattung von Kosten in Höhe von insgesamt 391 676,91 Euro für Leistungen der Hilfe zur Pflege (386 745,54 Euro) und der Eingliederungshilfe (4931,37 Euro) nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII), die der klagende Landkreis H in der Zeit vom 1.5.2007 bis 30.9.2009 an T S (S) erbracht hat.

2

Der 1967 geborene erwerbsunfähige S leidet an einer neuromuskulären Muskeldystrophie vom Typ Duchenne. Bei ihm sind ein Grad der Behinderung von 100 durch das zuständige Versorgungsamt und die Pflegestufe III mit besonderem Härtefall durch die Pflegekasse festgestellt worden; seit Februar 1999 bezieht er vom Rentenversicherungsträger eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Bis Anfang 1987 wohnte er in der Stadt M und verzog im März 1987 in die Stadt H, danach zum 1.9.1994 nach W (im Landkreis H). Von April 1987 bis einschließlich August 2003 erhielt er von der Stadt M (der früheren Beklagten zu 2) im Rahmen der Hilfe zur häuslichen Pflege nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) Pflegegeld; außerdem wurden die Kosten des Zimmers für eine Betreuungsperson (Assistenzzimmer) und für eine besondere Pflegekraft (Arbeiterwohlfahrt H) übernommen sowie Hilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft (Kfz-Hilfe) bis maximal 100 Euro monatlich (zuletzt Bescheid vom 17.6.2003) gewährt. Ab 1.9.2003 wurden die Leistungen durch den Kläger erbracht, der ab 1.1.2003 auch Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem Grundsicherungsgesetz zahlte.

3

Wegen einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zog S am 1.5.2007 (wieder) nach M Einen (an ihn weitergeleiteten) Antrag auf Fortzahlung der bisher erbrachten Leistungen lehnte die Stadt M unter Hinweis auf die Regelung des § 98 Abs 5 SGB XII ab, wonach bei ambulant betreuten Wohnmöglichkeiten der Träger der Sozialhilfe (für alle Leistungen) örtlich zuständig sei (und bleibe), der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt zuständig gewesen sei oder gewesen wäre. Nachdem sich auch der Kläger und der Landschaftsverband Westfalen-Lippe nicht für zuständig hielten, gewährte schließlich der Kläger die beantragten Leistungen, weil er im Rahmen eines Eilverfahrens vor dem Sozialgericht (SG) H verpflichtet worden war, vorläufig Leistungen im bisherigen Umfang über den 30.4.2007 hinaus bis zur Klärung der Zuständigkeit, längstens bis 31.8.2007, zu gewähren. Im Hinblick auf die weiterhin umstrittene Zuständigkeit erbrachte er Leistungen auch in der Zeit danach bis 30.9.2009. Am 24.5.2007 und erneut im Oktober 2007 machte er jedoch gegenüber der Stadt M einen Erstattungsanspruch geltend, den diese nach Bezifferung der Sozialhilfeaufwendungen für die Monate Mai bis August 2007 (47 446,31 Euro) ablehnte.

4

Die am 14.2.2008 gegen den (jetzt noch allein) beklagten Kreis M erhobene und am 15.9.2008 auf die Stadt M (frühere Beklagte zu 2) erweiterte Klage ist erfolgreich gewesen. Das SG hat den Beklagten verurteilt, dem Kläger die Kosten der Hilfe zur Pflege in Höhe von insgesamt 386 775,54 Euro sowie die Kosten der Eingliederungshilfe in Höhe von insgesamt 4931,37 Euro für die Zeit vom 1.5.2007 bis 30.9.2009 jeweils zuzüglich Zinsen zu erstatten; die Stadt M ist verurteilt worden, dem Kläger die Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in Höhe von insgesamt 9188,44 Euro für die Zeit vom 1.5.2007 bis 30.9.2009 zuzüglich Zinsen zu erstatten (Urteil des SG vom 5.11.2009). Die sachliche Zuständigkeit richte sich nach Landesrecht. Danach seien der Beklagte für Leistungen der Hilfe zur Pflege und der Eingliederungshilfe und die Stadt M als "Delegationsbehörde" für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sachlich zuständig. Die hiergegen eingelegten Berufungen des Beklagten sowie der Stadt M waren nur hinsichtlich der Verurteilungen zur Zahlung von Zinsen erfolgreich; im Übrigen hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg die Berufungen zurückgewiesen (Urteil des LSG vom 4.5.2011). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG - auf die Gründe des Urteils des SG verweisend - ausgeführt, die Erstattungsansprüche ergäben sich aus § 2 Abs 3 iVm § 102 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X), weil der Kläger nach einem Wechsel der Zuständigkeit vorläufig die Leistungen habe erbringen müssen. Nach dem Umzug des S ergebe sich die örtliche Zuständigkeit aus der allgemeinen Regelung des § 98 Abs 1 SGB XII, die auf den tatsächlichen Aufenthalt - hier M bzw bei Grundsicherungsleistungen auf den gewöhnlichen Aufenthalt abstelle. § 98 Abs 5 SGB XII finde keine Anwendung, weil betreutes Wohnen im Sinne dieser Vorschrift eine konzeptionelle Verknüpfung von Wohnung und ambulanter Betreuung voraussetze.

5

Mit seiner Revision - die Stadt M hat die zunächst ebenfalls eingelegte Revision zurückgenommen - rügt der Beklagte eine Verletzung des § 97 Abs 2 SGB XII iVm § 2 Landesausführungsgesetz zum SGB XII für das Land Nordrhein-Westfalen - NRW - (AG-SGB XII) vom 16.12.2004 (Gesetz- und Verordnungsblatt 816) iVm § 2 Abs 1 Nr 2 Ausführungsverordnung zum SGB XII für das Land NRW (AV-SGB XII) vom 16.12.2004 (GVBl 817) sowie des § 98 Abs 5 SGB XII und macht Verfahrensfehler geltend. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts handele es sich bei den Leistungen, die S erhalten habe, um Leistungen in Form ambulant betreuter Wohnmöglichkeiten, für die der Kläger nach § 98 Abs 5 SGB XII zuständig sei; eine konzeptionelle Verknüpfung von Wohnung und ambulanter Betreuung sei nicht erforderlich. Selbst wenn die Ansicht des LSG zur örtlichen Zuständigkeit zuträfe, richte sich ein etwaiger Erstattungsanspruch gleichwohl gegen den Landschaftsverband Westfalen-Lippe, weil dieser nach § 2 Abs 1 Nr 2 AV-SGB XII zuständig sei. Der von den Vorinstanzen angenommene Gleichlauf örtlicher und sachlicher Zuständigkeit bestehe schon deshalb nicht, weil § 2 Abs 1 Nr 2 AV-SGB XII andere Begrifflichkeiten verwende. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe sei deshalb auch notwendig beizuladen gewesen; dabei wäre offenbar geworden, dass sich der "Kläger" ursprünglich zunächst an den Landschaftsverband gewandt und diesem gegenüber den "vermeintlichen Erstattungsanspruch" geltend gemacht habe. Diese Forderung habe der Landschaftsverband allein mangels örtlicher Zuständigkeit zurückgewiesen und den Antrag an den nach seiner Auffassung gemäß § 1 baden-württembergisches Gesetz zur Ausführung des SGB XII zuständigen überörtlichen Träger, den Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg, weitergeleitet, der als "zweitangegangener" Träger nach § 14 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) zuständig geworden sei.

6

Der Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG und des SG abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz), weil das Verfahren an einem von dem Beklagten gerügten Verfahrensmangel (fehlende Beiladung des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe) leidet und tatsächliche Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) für eine abschließende Entscheidung fehlen.

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Das LSG hätte den Landschaftsverband Westfalen-Lippe als möglichen anderen Leistungsverpflichteten gemäß § 75 Abs 2 Satz 1 2. Alt SGG (unechte notwendige Beiladung) beiladen müssen. Nach dieser Vorschrift sind Dritte beizuladen, wenn sich im Verfahren ergibt, dass bei der Ablehnung des Anspruchs ein anderer Versicherungsträger, ein Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende, ein Träger der Sozialhilfe oder in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts ein Land als leistungspflichtig in Betracht kommt. Hierfür ist es nicht erforderlich, dass es für das LSG als erkennendes Gericht bereits feststeht, dass der Beklagte nicht leistungspflichtig ist; vielmehr genügt die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Leistungsverpflichteten (BSGE 97, 242 ff, RdNr 11 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1; BSG SozR 1500 § 75 Nr 74 S 92; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 75 RdNr 12). Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut der Norm ("in Betracht kommt") als auch aus dem Sinn der Regelung. Die Frage der Notwendigkeit der Beiladung eines anderen Leistungsträgers kann nicht von der umfassenden Prüfung der Begründetheit der Klage abhängig gemacht und auf diese Weise durch das entscheidende Gericht für das Rechtsmittelgericht präjudiziert werden. Die Beiladung verfolgt nämlich (auch) das Ziel, rechtzeitig eine umfassende Klärung überhaupt erst herbeizuführen (Leitherer, aaO, RdNr 12a).

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Vorliegend besteht nach den vom LSG selbst verwerteten Sachverhalt unter Berücksichtigung des maßgebenden Landesrechts die ernsthafte Möglichkeit, dass der Landschaftsverband Westfalen-Lippe an Stelle des Beklagten erstattungspflichtig ist. Die Ausführungen des LSG sind insoweit teilweise nicht nachvollziehbar, teilweise widersprüchlich. So wird schon nicht deutlich, weshalb die Stadt M einen beim Kläger gestellten Antrag auf Fortgewährung der bisher erbrachten Leistungen für die Zeit ab 1.5.2007 abgelehnt haben soll (Bescheid vom 26.3.2007), gegen den nicht der um Hilfe nachsuchende S, sondern der Kläger selbst am 16.4.2007 Widerspruch eingelegt haben soll. Dem Urteil des LSG ist jedenfalls zu entnehmen, dass nicht nur der Beklagte und die Stadt M angegangen worden sind, sondern auch der Landschaftsverband Westfalen-Lippe. Demgemäß hat das LSG festgestellt, dass der Kläger "in einem an den Landschaftsverband gerichteten Schreiben" auf § 98 Abs 1 SGB XII verwiesen habe, weil es sich bei dem Hilfefall um Hilfe zur Pflege handele. Das LSG hat andererseits aber trotz Ablehnung der Voraussetzungen des § 98 Abs 5 SGB XII den Landschaftsverband nicht in seine Überlegungen, geschweige denn ins Verfahren, einbezogen. Dies hätte umso näher gelegen, als neben Grundsicherungsleistungen sowohl Pflegeleistungen als auch Eingliederungshilfeleistungen betroffen waren, für die - legt man die Rechtsauffassung des LSG zugrunde, dass § 98 Abs 5 SGB XII keine Anwendung findet - nach dem Landesrecht in NRW (AV-SGB XII) unterschiedliche Leistungsträger - auch der Landschaftsverband - als sachlich zuständige Sozialhilfeträger - von der Heranziehung anderer Behörden einmal abgesehen - in Betracht kommen können, ohne dass das LSG dies geprüft hat.

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Ohnehin sind die Ausführungen zum Landesrecht nicht nachvollziehbar und beziehen sich nur auf die Zuständigkeit für Leistungen des Ambulant-betreuten-Wohnens. Das LSG hat das Landesrecht außerdem keiner erkennbaren (eigenen) Prüfung unterzogen, sondern sich den Gründen des Urteils des SG angeschlossen. Dieses ging zwar von der sachlichen Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers unter Hinweis auf § 2 Abs 1 Nr 2 AV-SGB XII aus für alle Leistungen der Eingliederungshilfen nach § 54 SGB XII für behinderte Menschen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, außerhalb einer teilstationären oder stationären Einrichtung, die mit dem Ziel geleistet werden sollen, selbstständiges Wohnen zu ermöglichen oder zu sichern. Es hat dann aber - ohne schlüssige Begründung - den Tatbestand des § 2 Abs 1 Nr 2 AV-SGB XII offensichtlich mit einem - vom SG verneinten - Ambulant-betreuten-Wohnen gleichgesetzt.

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Schließlich könnte eine Zuständigkeit des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe zumindest für die Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft in Form einer Kfz-Hilfe nach § 2 Abs 2 Nr 4 AV-SGB XII gegeben sein; diese Zuständigkeitsregelung haben weder SG noch LSG geprüft oder ausgelegt. Angesichts dieser gesamten Umstände, der Widersprüche und der unvollständigen bzw unterlassenen Auslegung des Landesrechts durfte das LSG eine mögliche Verpflichtung des Landschaftsverbands zur Leistung nicht von vornherein ausschließen und hätte ihn nach § 75 Abs 2 2. Alt SGG beiladen müssen, um eine abschließende Klärung herbeizuführen.

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Auf welche Anspruchsgrundlage ein eventueller Erstattungsanspruch gestützt werden kann, bedarf weiterer, unterschiedlicher Feststellungen - insbesondere zum genauen Verfahrensablauf bei Geltendmachung der Ansprüche durch S im Hinblick auf § 14 SGB IX -, sodass eine genauere Auseinandersetzung mit den einzelnen, denkbaren Anspruchsnormen untunlich ist. Insoweit hat der Senat auch davon abgesehen, die endgültigen Ermittlungen zur Antragstellung und zur Zuständigkeit und die notwendige Beiladung des Landschaftsverbands selbst vorzunehmen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG), weil sie die Auslegung von Landesrecht erfordert hätte, um den (örtlich) und sachlich zuständigen Leistungsträger zu bestimmen. Deshalb kann offen bleiben, ob der Senat an die Auslegung des nicht revisiblen Landesrechts (§ 162 SGG) durch das LSG überhaupt gebunden ist (vgl § 202 SGG iVm § 560 Zivilprozessordnung; dazu allgemein Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 162 RdNr 7 ff mwN), wenn die Feststellungen des Berufungsgerichts den gerügten Verfahrensfehler einer unterlassenen notwendigen echten Beiladung betreffen.

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Zwar ist eine Beiladung im Revisionsverfahren mit Zustimmung des Beizuladenden möglich (§ 168 Satz 2 SGG). Die Beiladung selbst kann jedoch dem LSG überlassen werden, wenn auch ohne den verfahrensrechtlichen Mangel der unterbliebenen Beiladung der Rechtsstreit - wie hier - aus anderen Gründen ohnedies zurückverwiesen werden müsste (vgl: BSGE 97, 242 ff RdNr 17 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1; BSGE 103, 39 ff RdNr 14 = SozR 4-2800 § 10 Nr 1). Den Feststellungen des LSG kann ua nicht die korrekte (rechtmäßige) Höhe des Erstattungsanspruchs entnommen werden (vgl dazu BSGE 109, 56 ff RdNr 10 = SozR 4-3500 § 98 Nr 1). Vor einer Beiladung ist der Senat indes gehindert, über die von der Revision aufgeworfenen materiellrechtlichen Fragen für das LSG bindend (§ 170 Abs 5 SGG) zu entscheiden, weil anderenfalls das rechtliche Gehör (§ 62 SGG; Art 103 Abs 1 Grundgesetz, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention) des Beizuladenden verletzt würde (vgl: BSGE 97, 242 ff RdNr 17 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1; BSGE 103, 39 ff RdNr 14 = SozR 4-2800 § 10 Nr 1).

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Gleichwohl sei darauf hingewiesen, dass ein Erstattungsanspruch jedenfalls nicht daran scheitert, dass der Kläger nach § 98 Abs 5 SGB XII für die erbrachten Leistungen ohnehin zuständig wäre. Nach § 98 Abs 5 Satz 1 SGB XII bleibt für Leistungen ambulant betreuter Wohnmöglichkeiten der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, der vor Eintritt in diese Wohnform zuletzt örtlich zuständig war. Hierzu hat der Senat hat bereits entschieden, dass Leistungen ambulant betreuter Wohnformen entgegen der Auffassung des LSG keine konzeptionelle Verknüpfung von Wohnungsgewährung und (ambulanter) Betreuung voraussetzen (BSGE 109, 56 ff = SozR 4-3500 § 98 Nr 1). Die Eingrenzung der von dieser Leistungsform umfassten Hilfen hat in erster Linie anhand des Zwecks der Hilfen zu erfolgen. Sinn der Betreuungsleistungen beim Betreuten-Wohnen ist nicht die gegenständliche Zurverfügungstellung der Wohnung, sondern (nur) die Förderung der Selbstständigkeit und Selbstbestimmung bei Erledigung der alltäglichen Angelegenheiten im eigenen Wohn- und Lebensbereich in Form einer kontinuierlichen Betreuung (BSG, aaO, RdNr 15). Ob bei S diese Voraussetzungen vorliegen, wofür vieles spricht, mag das LSG entscheiden.

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§ 98 Abs 5 Satz 1 SGB XII findet jedoch nach seinem Satz 2 selbst dann keine Anwendung, wenn - wie der Beklagte meint - S Leistungen in Formen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten vor und nach seinem Umzug nach M erhalten hat; danach bleiben vor Inkrafttreten des SGB XII begründete Zuständigkeiten unberührt. Die Vorschrift ist so zu verstehen, dass in Fällen eines vor dem 1.1.2005 eingetretenen und fortbestehenden Leistungsfalls des Betreuten-Wohnens die vor dem 1.1.2005 geltenden Regelungen des BSHG über die örtliche Zuständigkeit weitergelten (BSG, aaO, RdNr 18). Dies bedeutet für "Altfälle", dass beim Umzug in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Sozialhilfeträgers § 97 Abs 1 BSHG zur Anwendung kommt. So dürfte der Fall hier liegen, weil eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung wohl bereits lange vor dem 1.1.2005 erforderlich war und sich auch in der Folgezeit an der Leistungsart an sich (nach dem Umzug nach M) nichts geändert hat. Der Einwand des Beklagten, der Gesundheitszustand des S habe sich nach dem 1.1.2005 verschlechtert, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Bereits im Jahr 2000 hat die Pflegekasse die Pflegestufe 3 mit besonderem Härtefall festgestellt. Dementsprechend hat der Kläger zuletzt durch Bescheid vom 17.6.2003 die Kosten für besondere Pflegekräfte (Arbeiterwohlfahrt) und sogar die Kosten für ein Assistenzzimmer übernommen. Diese Leistungen entsprechen den ab 1.1.2005 und im streitbefangenen Zeitraum übernommenen Leistungen. Selbst wenn sich der Pflegeaufwand im Laufe der Zeit erhöht haben sollte, änderte dies nichts daran, dass derselbe Bedarfsfall wohl bereits lange vor dem 1.1.2005 eingetreten war. Eine Anwendung des § 2 Abs 3 SGB X - wie vom LSG angenommen - dürfte jedoch ausscheiden, weil die Regelung des § 97 Abs 1 BSHG bzw § 98 Abs 1 SGB XII über die Zuständigkeit bei Weitererbringung der Leistung außerhalb des eigenen Zuständigkeitsbereichs spezieller sind.

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Ob darüber hinaus der vom Beklagten gerügte Aufklärungsmangel vorliegt, kann dahinstehen, weil das Verfahren ohnedies zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen wird. Das LSG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden und dabei wegen der erforderlichen Einheitlichkeit der Kostenentscheidung die Revisionsrücknahme des früheren Beklagten zu 2 zu berücksichtigen haben.