Finanzgericht Nürnberg Beschluss, 15. Aug. 2018 - 2 V 888/18

bei uns veröffentlicht am15.08.2018

Gericht

Finanzgericht Nürnberg

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.

Gründe

I.

Streitig ist in der Hauptsache die Kürzung des Vorsteuerabzugs aufgrund der Ergebnisse einer Fahndungsprüfung.

Die Antragstellerin ist eine GmbH, die im Kraftfahrzeughandel tätig war. Wollte ein im EU-Ausland ansässiger Unternehmer ein Fahrzeug von einem deutschen Unternehmer erwerben, der deutsche Unternehmer aber nicht innergemeinschaftlich liefern, bot sich die Antragstellerin gegen eine Provision als Zwischenhändlerin an und traf mit den Beteiligten Vereinbarungen, die dazu führen sollten, dass eine steuerpflichtige Lieferung des inländischen Verkäufers an die Antragstellerin und eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung von der Antragstellerin an den ausländischen Erwerber vorlagen. Die Verkäufer behielten sich das Eigentum an den Fahrzeugen bis zur vollständigen Zahlung des Kaufpreises vor. Die Antragstellerin schloss noch vor der Zahlung des Kaufpreises und der Abholung der Fahrzeuge beim Verkäufer Kaufverträge mit den Erwerbern, in denen sie erklärte, dass die Fahrzeuge in ihrem Eigentum stünden, und beauftragte danach regelmäßig die Erwerber, die Fahrzeuge bei dem Verkäufer abzuholen und den Kaufpreis in bar zu bezahlen. In ihrer Umsatzsteuererklärung 2014 berücksichtigte sie – neben anderen, im einstweiligen Rechtsschutz nicht mehr streitigen Vorsteuerbeträgen – ……. € Vorsteuer aus Eingangsrechnungen über die Lieferung von zwanzig Fahrzeugen, für die Ausgangsrechnungen über steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen an drei Firmen in Ungarn (A Kft, 1), der Slowakei (B., 2) und Tschechien (C., 3) vorliegen, die alle vom gleichen Geschäftsführer (Herrn D) vertreten wurden. Neben den Belegen für eine Lieferkette unter Beteiligung der Antragstellerin gibt es für diese Fahrzeuge auch Belege über eine andere, davon unabhängige Lieferkette, die überwiegend beim Hersteller beginnt und etwas früher als die Lieferkette unter Beteiligung der Antragstellerin ebenfalls zu einer der drei genannten Firmen führt. Die Umsatzsteuererklärung 2014 wirkte nach Zustimmung des Antragsgegners (des Finanzamts) als Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung. Die Antragstellerin stellte ihren Geschäftsbetrieb vor mehreren Jahren ein und verfügt derzeit über kein nennenswertes Vermögen.

Am 27.10.2017 erließ das Finanzamt für die Antragstellerin aufgrund einer Fahndungsprüfung einen geänderten Umsatzsteuerbescheid für 2014, in dem es den zuvor gewährten Vorsteuerabzug kürzte, da die Antragstellerin lediglich Vermittlerin gewesen sei und keine Lieferungen empfangen und ausgeführt habe. Dagegen legte die Antragstellerin Einspruch ein, über den noch nicht entschieden ist. Am 19.12.2017 beantragte die Antragstellerin bei dem erkennenden Gericht erstmals die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des aufgrund der Fahndungsprüfung geänderten Umsatzsteuerbescheids für 2014. Diesen Antrag begründete sie unter anderem mit Schriftsatz vom 22.01.2018, in dem sie mitteilte, dass ihr der Ermittlungsbericht der Steuerfahndung vorliege, und zu dem Bericht Stellung nahm. Mit Beschluss vom 12.04.2018 2 V 1572/17 gewährte der Senat die begehrte AdV in Höhe eines Teilbetrags und lehnte sie im Übrigen – in Höhe eines Teilbetrags von ……. € – ab, da er bei summarischer Betrachtung keine ernstlichen Zweifel hatte, dass den vorgenannten zwanzig Eingangsrechnungen kein tatsächlicher Leistungsaustausch zugrunde lag. Ein ebenfalls aufgrund der Fahndungsprüfung eingeleitetes Steuerstrafverfahren gegen den Geschäftsführer der Klägerin wurde in der Folge eingestellt. Einen erneuten Antrag auf AdV in Höhe des vom Senat nicht ausgesetzten Teilbetrags lehnte das Finanzamt ab. Die Antragstellerin beantragte daraufhin auch bei dem erkennenden Gericht erneut AdV in Höhe des noch nicht ausgesetzten Teilbetrags, hilfsweise im gleichen Umfang die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung.

Zur Begründung bringt die Antragstellerin vor, die Steuerfahndung habe den Sachverhalt fehlerhaft ermittelt und unzureichend gewürdigt. Ihr Geschäftsführer habe alle zwanzig Fahrzeuge nach der Abholung beim Verkäufer auf ihrem Betriebsgrundstück in Augenschein genommen. Dafür bietet sie ihren Geschäftsführer und ihre ehemaligen Geschäftspartner als Zeugen an. Die Kürzung des Vorsteuerabzugs sei zudem rechnerisch fehlerhaft. Ergänzend macht sie einen Anspruch auf einstweiligen Aufschub der Vollstreckung geltend, weil sie in Höhe des noch nicht ausgesetzten Teilbetrags beantragt habe, den Vorsteuerabzug aus Billigkeitsgründen zu gewähren, und sie im Falle der Vollstreckung voraussichtlich die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragen müsse.

Am 30.07.2018 erließ das Finanzamt einen abermals geänderten Umsatzsteuerbescheid, in dem es den von der Antragstellerin beanstandeten Rechenfehler berichtigte und die Umsatzsteuer um 4.406,73 € herabsetzte.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

den Beschluss vom 12.04.2018 2 V 1572/17 wegen Aussetzung der Vollziehung des Umsatzsteuerbescheids für 2014 zu ändern und die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheids 2014 vom 30.07.2018 für die Dauer des Einspruchsverfahrens in voller Höhe auszusetzen,

hilfsweise,

die Vollstreckung des Umsatzsteuerbescheids 2014 vom 30.07.2018 für die Dauer des Einspruchsverfahrens einstweilen einzustellen.

Das Finanzamt beantragt,

den Antrag abzulehnen.

II.

Der Antrag ist abzulehnen, da er im Hauptantrag unzulässig, im Hilfsantrag unbegründet ist.

1. Der geänderte Umsatzsteuerbescheid vom 30.07.2018 wurde analog § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Verfahrens. Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt, so wird nach § 68 Satz 1 FGO der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. § 68 FGO gilt entsprechend im gerichtlichen Aussetzungsverfahren und zwar auch dann, wenn das Vorverfahren in der Hauptsache noch nicht abgeschlossen ist (BFH-Beschlüsse vom 16.06.2011 IV B 120/10, BFHE 233, 317, BStBl. II 2011, 855, Rz 33 ff.; vom 12.09.2011 VIII B 70/09, BFH/NV 2012, 229, Rz 7). Ist der AdV-Antrag unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO nicht vorliegen, steht dies der Anwendung des § 68 FGO nicht entgegen (vgl. BFH-Beschluss vom 05.07.2011 IV S 11/10, BFH/NV 2011, 1894, Rz 14 ff.). Soweit der geänderte Verwaltungsakt keine neue Beschwer enthält und auf unveränderter tatsächlicher und rechtlicher Grundlage ergeht, widerspräche eine nochmalige vollumfängliche Prüfung in einem neuen AdV-Verfahren grundsätzlich dem Regelungszweck des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO. So verhält es sich im Streitfall.

2. Der Hauptantrag ist unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO für eine Änderung des Beschlusses vom 12.04.2017 nicht vorliegen. Er gebietet im Übrigen auch keine Änderung des Beschlusses nach § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO.

a) Das Gericht der Hauptsache kann nach § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO Beschlüsse über Anträge nach § 69 Abs. 3 und Abs. 5 Satz 3 FGO jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen. „Umstände“ in diesem Sinne können Tatsachen und Beweismittel sein, die nach Ablehnung der AdV entstanden oder bekannt geworden sind. Dasselbe gilt, wenn eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage inzwischen höchstrichterlich (anders) entschieden worden oder inzwischen ein die entscheidungserhebliche Rechtsfrage betreffender Vorlagebeschluss ergangen ist (BFH-Beschluss vom 21.10.2013 V B 68/13, BFH/NV 2014, 173, Rz 12).

b) Die Antragstellerin hat keine Umstände im vorgenannten Sinne vorgebracht. Teilweise wiederholt sie in der Antragsbegründung früheres Vorbringen, teilweise versucht sie, bisher nicht geltend gemachte Fehler und Schwächen des Ermittlungsberichts nachzuweisen. Dieser Ermittlungsbericht lag ihr aber ausweislich ihres Schriftsatzes vom 22.01.2018 rechtzeitig vor dem Senatsbeschluss vom 12.04.2018 2 V 1572/17 vor und sie hatte Gelegenheit, sich damit inhaltlich auseinanderzusetzen. Die Einstellung des Steuerstrafverfahrens ist kein neues Beweismittel, sondern das Ergebnis einer Beweis- und rechtlichen Würdigung. Auch der nunmehr angebotene Zeugenbeweis rechtfertigt keinen neuen Antrag. Die Entscheidung im AdV-Verfahren ergeht aufgrund des Prozessstoffs, der sich aus den dem Gericht vorliegenden Unterlagen, insbesondere den Akten und den präsenten Beweismitteln ergibt (st. Rspr., z. B. BFH-Beschluss vom 10.01.2013 XI B 33/12, BFH/NV 2013, 783, Rz 19; siehe auch BFH-Beschluss vom 20.07.2012 V B 82/11, BFHE 237, 545, BStBl. II 2012, 809, Rz 32). Ein Zeuge ist kein präsentes Beweismittel. Die von der Antragstellerin zitierte Rechtsprechung zur Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist im Zivilprozess (BGH-Beschluss vom 17.01.2012 VIII ZB 42/11, juris) beruht auf den Beweisregeln des Hauptsacheverfahrens (vgl. BGH-Beschlüsse vom 07.12.1999 VI ZB 30/99, NJW 2000, 814, unter II.2.und II.3.; vom 07.05.2002 I ZB 30/01, juris, unter III.2.; vom 24.02.2010 XII ZB 129/09, HFR 2010, 869, unter II.2.b.aa.) und ist daher, anders als die Antragstellerin meint, auf AdV-Verfahren nicht übertragbar. Selbst wenn der Zeugenbeweis statthaft sein sollte, hätte die Antragstellerin ihre Geschäftspartner schon in dem Verfahren 2 V 1572/18 als Zeugen benennen können.

c) Eine nochmalige Sachentscheidung von Amts wegen ist nicht veranlasst. Die Änderung der Aussetzungsentscheidung von Amts wegen nach § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO ist nach neuerer Rechtsprechung zwar nicht an die Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO geknüpft, bedarf aber erheblicher Gründe. Andernfalls würden sowohl § 128 Abs. 3 FGO als auch § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO umgangen (BFH-Beschluss vom 13.05.2015 X S 9/15, BFH/NV 2015, 1099, Rz 17; ähnlich Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, FGO, § 69 Rz 1217 f.; Gosch in Gosch, FGO, § 69 Rz 331.1; enger wohl BFH-Beschlüsse vom 07.07.1992 V S 3/90, BFH/NV 1995, 327, unter II.2., zu 3 69 Abs. 3 Satz 5 FGO a,F. und Art. 3 Abs. 7 Satz 2 VGFGEntlG; vom 25.10.1994 VIII B 101/94, BFH/NV 1995, 611, unter 5.). Erhebliche Gründe in diesem Sinne liegen nur vor, wenn die ursprüngliche AdV-Entscheidung auf einer Verletzung von Verfahrensgrundrechten beruht. Hieran fehlt es im Streitfall.

aa) Die Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes –GG) eröffnet keinen unbegrenzten Rechtsweg. Das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) fordert, dass jeder Rechtsstreit um der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens willen irgendwann ein Ende findet, selbst wenn er möglicherweise unrichtig entschieden wurde. Wann dies der Fall ist, entscheidet das Gesetz (Plenarbeschluss des BVerfG vom 30. April 2003 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395, unter C.I.2.; BFH-Beschluss vom 28.10.2016, BFH/NV 2017, 306, Rz 9). Unabhängig von der Rechtsschutzgarantie gebietet bei der erstmaligen Verletzung von Verfahrensgrundrechten durch ein Gericht der allgemeine Justizgewährungsanspruch die Möglichkeit (weiteren) gerichtlichen Rechtsschutzes (Plenarbeschluss des BVerfG in BVerfGE 107, 395, unter C.I.3.b.bb.(2)).

bb) Aus der Entstehungsgeschichte und dem inneren Zusammenhang des § 69 Abs. 6 FGO ergibt sich, dass auch eine Sachentscheidung über die Änderung eines AdV-Beschlusses von Amts wegen grundsätzlich nur aufgrund veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände in Betracht kommt. Allein die Möglichkeit einer abweichenden Würdigung reicht nicht aus. Anderenfalls würde § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO in unzulässiger Weise umgangen.

(1) § 69 Abs. 6 FGO wurde durch das Gesetz zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 21.12.1992 (FGOÄndG, BGBl. I 1992, 2109) geschaffen. § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO führt weitgehend § 69 Abs. 3 Satz 5 FGO in der bis zum 31.12.1992 geltenden Fassung fort, § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO entspricht Art. 3 § 7 Abs. 2 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31.03.1978 (VGFGEntlG, BGBl. I 1978, 446). Art. 3 § 7 Abs. 2 VGFGEntlG war im Regierungsentwurf des VGFGEntlG nicht enthalten, sondern geht auf eine Anregung des Bundesrats zurück, der Bundesregierung und Bundestag im weiteren Gesetzgebungsverfahren folgten (vgl. BT-Drs. 8/842, S. 37, BT-Drs. 8/1530, S. 9, 13). Aus der Stellungnahme des Bundesrats (BT-Drs. 8/842, S. 37) ergibt sich, dass die Beteiligten schon vor Einführung des Art. 3 § 7 Abs. 2 VGFGEntlG eine Aufhebung oder Änderung von Amts wegen anregen konnten. Art. 3 § 7 Abs. 2 VGFGEntlG sollte die Finanzgerichte entlasten, indem sie die nochmalige inhaltliche Überprüfung eines AdV-Beschlusses allgemein von besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen abhängig machte. Es ist nicht erkennbar, dass sich dieser Regelungszweck durch die Überführung in § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO geändert haben sollte (a. A. wohl Gosch in Gosch, FGO, § 69 Rz 331.1, dort Fn 627). Die Gesetzesmaterialien zum FGOÄndG enthalten dafür keinen Anhaltspunkt. Die Zielrichtung des FGOÄndG, eine „Straffung, Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens“ herbeizuführen (BT-Drs. 12/1061, S. 1) spricht dagegen. Durch § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO soll verhindert werden, dass sich das Gericht wiederholt mit denselben Aussetzungsbegehren befassen muss (BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 1894, Rz 17).

(2) Vor diesem Hintergrund ist § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO nicht als Erweiterung, sondern als Beschränkung der durch § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO eröffneten Möglichkeiten zur Änderung oder Aufhebung von AdV-Beschlüssen zu verstehen. Die Zusammenfassung in einem Absatz verdeutlicht, dass die Regelungen nach der Vorstellung des Gesetzgebers nicht unabhängig voneinander verstanden werden können. Müsste das Gericht den Antrag eines Beteiligten, der den Anforderungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO nicht genügt, gleichwohl zum Anlass nehmen, die ursprüngliche AdV-Entscheidung von Amts wegen inhaltlich zu überprüfen, könnte der Entlastungszweck des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO nicht erreicht werden.

cc) Beruht der ursprüngliche AdV-Beschluss auf einer Verletzung von Verfahrensgrundrechten, ist über die Aufhebung oder Änderung von Amts wegen auch unabhängig von Umständen im Sinne des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO in der Sache zu entscheiden. Dies folgt aus dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch, da die Beteiligten den gebotenen Rechtsschutz gegen die Verletzung von Verfahrensgrundrechten sonst nicht zuverlässig erlangen könnten. Während die Beteiligten im Hauptsacheverfahren Verfahrensfehler mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend machen können (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO), gibt es im AdV-Verfahren dafür kein zulassungsfreies Rechtsmittel. Eine Anhörungsrüge (§ 133a FGO) kommt, soweit sie nicht ohnehin durch § 69 Abs. 6 FGO ausgeschlossen ist (vgl. Ratschow in Gräber, FGO, 8. Auflage, § 133a Rz 8; a.A. Bergkemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler, FGO, § 133a Rz 11; Rüsken in Gosch, FGO, § 133a FGO Rz 20), nur bei Gehörsverstößen, nicht bei der Verletzung anderer Verfahrensgrundrechte in Betracht (BFH-Beschluss vom 17.06.2005 VI S 3/05 BFHE 209, 419, BStBl. II 2005, 614, unter II.2.).

dd) Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall keine erneute Sachentscheidung über AdV des Umsatzsteuerbescheids 2014 zu treffen, da weder dargelegt noch sonst ersichtlich ist, dass der Senatsbeschluss vom 12.04.2018 2 V 1572/17 auf einer Verletzung von Verfahrensgrundrechten beruhen könnte. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin war der Senat insbesondere nicht gehalten, ihr Gelegenheit zu geben, durch Vernehmung ihres Geschäftsführers den Zeugenbeweis anzutreten, dass bestimmte Fahrzeuge, deren Lieferung nach Auffassung des Finanzamts nur belegmäßig fingiert wurde, auf ihrem Firmengrundstück vorgefahren wurden. Der Zeugenbeweis ist, wie ausgeführt (unter b.), im AdV-Verfahren schon nicht statthaft. Unabhängig davon kam es für den Senatsbeschluss vom 12.04.2018 2 V 1572/17 nicht darauf an, ob die genannten Fahrzeuge auf dem Firmengrundstück der Antragstellerin vorgefahren wurden. Wie unter 3.b.cc. (S. 12 Mitte) des genannten Beschlusses ausgeführt, wäre das Vorfahren auf dem Firmengrundstück kein Anhaltspunkt für eine tatsächliche und nicht nur fingierte Lieferung.

d) Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass eine Änderung des Senatsbeschlusses vom 12.04.2018 2 V 1572/17 auch in der Sache nicht in Betracht käme. Aufgrund des zulässigen Hilfsantrags (dazu sogleich) hatte der Senat Gelegenheit, die maßgebenden Fragen nochmals in der Sache zu prüfen und gelangte im Ergebnis zu keiner für die Antragstellerin günstigeren Würdigung (siehe insbesondere unter 3.b.bb.(2)). Die dokumentierten Vereinbarungen der Antragstellerin mit den inländischen Veräußerern und den ausländischen Erwerbern lassen es zudem äußerst zweifelhaft erscheinen, ob die Erwerber selbst dann, wenn tatsächlich ein Leistungsaustausch stattfand, mittels Besitzkonstitut Eigentum erwerben konnten, wie die Antragstellerin in dem Verfahren 2 V 1572/17 vorbrachte. Die Vereinbarungen enthalten für ein solches Besitzkonstitut keine Anhaltspunkte. Stattdessen behauptete die Antragstellerin in ihren Vereinbarungen mit den ausländischen Erwerbern, dass sie Eigentümerin der Fahrzeuge sei, obwohl sich die Veräußerer das Eigentum bis zur vollständigen Zahlung des Kaufpreises vorbehalten hatten und die Veräußerer nach dem eigenen Vortrag der Antragstellerin den Kaufpreis erst „anschließend“ an die Vereinbarung zwischen Antragstellerin und Erwerber erhielten.

3. Der Hilfsantrag ist unbegründet. Die Antragstellerin hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.

a) Auf Antrag kann das Gericht nach § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Voraussetzung für einen erfolgreichen Antrag ist, dass der Antragsteller einen Grund für die zu treffende Regelung (sog. Anordnungsgrund) und den Anspruch, aus dem er sein Begehren herleitet (sog. Anordnungsanspruch), schlüssig dargelegt und deren tatsächliche Voraussetzungen glaubhaft gemacht hat (BFH-Beschluss vom 24.05.2016 V B 123/15, BFH/NV 2016, 1253, Rz 40). Anordnungsanspruch ist der Anspruch aus dem Rechtsverhältnis, der vom Antragsteller in der Hauptsache verfochten wird oder werden soll (BFH-Beschluss vom 17.08.2012 III B 26/12, BFH/NV 2012, 1963, Rz 15).

b) Die Antragstellerin hat keinen Anordnungsanspruch schlüssig dargelegt. Ein solcher Anspruch ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass eine einstweilige Einschränkung oder Beschränkung der Vollstreckung aus dem abermals geänderten Umsatzsteuerbescheid in Betracht kommen könnte. Soweit im Einzelfall die Vollstreckung unbillig ist, kann die Vollstreckungsbehörde sie nach § 258 der Abgabenordnung einstweilen einstellen oder beschränken oder eine Vollstreckungsmaßnahme aufheben.

aa) Ein Vollstreckungsaufschub kommt – entgegen der Auffassung der Antragstellerin – nur bei einer lediglich vorübergehenden Zahlungsunfähigkeit in Betracht (so auch BFH-Beschluss vom 07.10.1992 VII B 92/92, juris). Würde der Steueranspruch voraussichtlich erst nach mehreren Jahren beglichen, kann kein Vollstreckungsaufschub gewährt werden (BFH-Beschluss vom 21.04.2009 I B 178/08, BFH/NV 2009, 1596, Rz 8). Allein, dass die beabsichtigte Vollstreckung die Einleitung eines Insolvenzverfahrens nach sich ziehen würde, rechtfertigt keinen Vollstreckungsaufschub (BFH-Urteil vom 31.05.2005 VII R 62/04, BFH/NV 2005, 1743, unter 2.d.). Die Antragstellerin ist weitgehend vermögenslos und ihr Geschäftsbetrieb weitgehend eingestellt. Es ist daher nicht ersichtlich, dass sie fällige Steuerschulden zeitnah begleichen könnte, so dass ein Vollstreckungsaufschub nicht in Betracht kommt.

bb) Die Vollstreckung erscheint – soweit dies im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu entscheiden ist – auch nicht deswegen unbillig, weil die Antragstellerin beim Finanzamt den Vorsteuerabzug im Billigkeitsverfahren beantragt hat. Hat der Steuerpflichtige eine Billigkeitsmaßnahme beantragt, sind Vollstreckungsmaßnahmen unbillig, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Finanzamt dem Antrag entsprechen wird (vgl. Jatzke in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 258 Rz 16). Im Streitfall ist dies nicht zu erwarten.

(1) Zwar kann der Vorsteuerabzug auch beim Fehlen einer materiellen oder formellen Voraussetzung aufgrund besonderer Verhältnisse des Einzelfalls unter Vertrauensschutzgesichtspunkten zu gewähren sein. Die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit sind Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung und müssen von den Mitgliedstaaten bei der Ausübung der Befugnisse, die ihnen die Gemeinschaftsrichtlinien einräumen, beachtet werden (BFH-Beschlüsse vom 06.04.2016 V R 25/15, BFHE 254, 139, Rz 43; XI R 20/14, BFHE 254, 152, Rz 33). Vorsteuerabzug unter Vertrauensschutzgesichtspunkten setzt voraus, dass der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer gutgläubig war und alles getan hat, was von ihm in zumutbarer Weise verlangt werden kann, um die Richtigkeit der Rechnungsangaben zu überprüfen (BFH-Beschluss in BFHE 254, 139, Rz 46). Der Vertrauensschutz bezieht sich nur auf die Richtigkeit der Rechnungsangaben, nicht auf die Erbringung der Leistung selbst. Art. 168 Buchst. a und Art. 203 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sowie die Grundsätze der steuerlichen Neutralität und des Vertrauensschutzes sind dahin auszulegen, dass sie es nicht verbieten, dass dem Empfänger einer Rechnung das Recht, die in dieser Rechnung ausgewiesene Mehrwertsteuer abzuziehen, versagt wird, wenn die Umsätze, auf die sich die Rechnung bezieht, nicht tatsächlich bewirkt worden sind (EuGH-Beschluss vom 04.07.2013 C-572/11 Menidzherski biznes reshenia, ECLI:EU:C:2013:456, juris; offengelassen von BFH-Beschluss vom 13.10.2014 V B 19/14, BFH/NV 2015, 243).

(2) Im Streitfall kann die Antragstellerin nach diesen Grundsätzen mit hoher Wahrscheinlichkeit schon deswegen keinen Vorsteuerabzug aus Gründen des Vertrauensschutzes beanspruchen, weil der streitigen Vorsteuer keine Lieferungen zugrunde liegen und Vertrauensschutzerwägungen schon deswegen ausgeschlossen sind. Die Antragstellerin konnte auch im hiesigen Verfahren nicht nachvollziehbar darlegen, wie es in einer Reihe von Fällen innerhalb eines vergleichsweise kurzen Zeitraums zum mehrfachen Erwerb des gleichen Fahrzeugs durch den gleichen Erwerber oder durch mehrere miteinander verflochtene Erwerber kommen konnte. Sie vermochte auch nicht zu erklären, weshalb die (vermeintlichen) Veräußerer und Erwerber jeweils zunächst fiktive Leistungen abrechnen sollten, ohne die Antragstellerin einzuschalten, für den tatsächlichen Leistungsaustausch dann aber auf die Antragstellerin zurückgreifen sollten. Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, ob die Fahrzeuge, wie die Antragstellerin anspricht, im Ausland zugelassen wurden, bevor der Geschäftsführer der Antragstellerin sie in Augenschein nahm. Zwar wäre eine ausländische Zulassung ein weiterer Anhaltspunkt gewesen, dass die Lieferkette unter Beteiligung der Antragstellerin nur fingiert war. Das Fehlen einer ausländischen Zulassung deutet aber nicht umgekehrt darauf hin, dass die Lieferkette nicht fingiert gewesen sei. Es liegt vielmehr nahe, dass der Erwerber das Fahrzeug bewusst erst nach Abschluss der fiktiven Lieferung weiterverkaufte oder selbst zuließ, weil er sonst aus der fiktiven Lieferung keinen Vorteil ziehen konnte.

4. Die Kostenentscheidung folgt § 136 Abs. 1 FGO. Zwar ist das Finanzamt – dem Rechtsgedanken des § 138 FGO entsprechend – im Sinne des § 136 Abs. 1 FGO teilweise unterlegen, weil es den geänderten Umsatzsteuerbescheid vom 27.10.2017 während des Antragsverfahrens abermals geändert und die Umsatzsteuer um 4.406,73 € herabgesetzt hat, um einen von der Antragstellerin beanstandeten Rechenfehler zu berichtigen. Es ist aber im Sinne des § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO nur zu einem geringen Teil unterlegen. § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO ist anwendbar, wenn der unterliegende Beteiligte bei einer Kostenteilung nach § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO weniger als 5 v.H. der Kosten des Verfahrens zu tragen hätte und kein hoher Streitwert vorliegt (BFH-Urteil vom 20.04.2005 X R 53/04, BFHE 210, 100, BStBl. II 2005, 698, unter II.7.). Ein Unterliegen in Höhe von fast 10.000 DM war vor Einführung des Euro nicht mehr geringfügig (BFH-Urteil vom 10.06.1988 III R 18/85, BFH/NV 1989, 348, unter II.5.). Im finanzgerichtlichen Verfahren wegen AdV ist der Streitwert mit 10 v.H. des Betrags zu bemessen, dessen Aussetzung begehrt wird (vgl. Beschlüsse vom 26.04.2001 V S 24/00, BFHE 194, 358, BStBl II 2001, 498; vom 14.12.2007 IX E 17/07, BFHE 220, 22, BStBl II 2008, 199; vom 04.05.2011 VII S 60/10, BFH/NV 2011, 1721; vom 06.09.2012 VII E 12/12, BFH/NV 2013, 211; ebenso Sächsisches Finanzgericht, Beschluss vom 21.01.2015 8 Ko 1625/14, juris). Nach diesen Grundsätzen betrifft das Unterliegen des Finanzamts nur einen geringen Teil, da der Rechenfehler nur rund 2% des ursprünglich streitigen Betrags und einen Streitwert von 440,67 € ausmacht.

Urteilsbesprechung zu Finanzgericht Nürnberg Beschluss, 15. Aug. 2018 - 2 V 888/18

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Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Ein Einspruch gegen den neuen Verwaltungsakt ist insoweit ausgeschlossen. Die Finanzbehörde hat dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts zu übermitteln. Satz 1 gilt entsprechend, wenn

1.
ein Verwaltungsakt nach § 129 der Abgabenordnung berichtigt wird oder
2.
ein Verwaltungsakt an die Stelle eines angefochtenen unwirksamen Verwaltungsakts tritt.

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Festsetzungen von Verzögerungsgeldern.

2

Im Rahmen der Durchführung einer Außenprüfung forderte der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) mit Schreiben vom 1. März 2010, 8. und 21. April 2010 --Letzteres unter Fristsetzung bis zum 27. April 2010-- gemäß § 200 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) auf, Buchführungsunterlagen und Datenträger vorzulegen. Für den Fall der nicht fristgerechten Vorlage drohte das FA in dem Schreiben vom 21. April 2010 die Festsetzung eines Verzögerungsgelds in Höhe von jeweils 2.500 € an.

3

Bis zum Fristablauf überreichte die Antragstellerin lediglich einen Datenträger.

4

Mit Bescheid vom 1. Juni 2010 setzte das FA der Antragstellerin gegenüber ein Verzögerungsgeld in Höhe von 2.500 € fest.

5

Den dagegen eingelegten Einspruch und den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) lehnte das FA ab.

6

Die gegen den Bescheid vom 1. Juni 2010 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung erhobene Klage ist beim Finanzgericht (FG) unter dem Aktenzeichen 3 K 1235/10 anhängig.

7

Mit weiterem Schreiben vom 21. Juni 2010 forderte das FA die Antragstellerin erneut auf, die Buchführungsunterlagen bis zum 29. Juni 2010 vorzulegen. In dem Schreiben wies das FA auf die Möglichkeit der Festsetzung eines Verzögerungsgelds gemäß § 146 Abs. 2b AO hin.

8

Mit Bescheid vom 29. Juni 2010 setzte das FA der Antragstellerin gegenüber ein (weiteres) Verzögerungsgeld in Höhe von 3.000 € fest, da diese der (erneuten) Aufforderung vom 21. Juni 2010 nicht nachgekommen sei.

9

Dagegen hat die Antragstellerin Sprungklage erhoben, der das FA jedoch nicht zugestimmt hat. Eine Einspruchsentscheidung ist bislang nicht ergangen. Den gleichfalls gestellten Antrag auf AdV lehnte das FA ab.

10

Am 7. September 2010 beantragte die Antragstellerin die AdV der Bescheide vom 1. Juni 2010 und vom 29. Juni 2010 beim FG.

11

Während des anhängigen Verfahrens ersetzte das FA mit Bescheiden vom 1. Oktober 2010 die Bescheide vom 1. Juni 2010 und vom 29. Juni 2010, jeweils verbunden mit der ausdrücklichen Feststellung, dass die Festsetzung des Verzögerungsgelds nach erneuter Überprüfung bestehen bleibe. In den Bescheiden vom 1. Oktober 2010 hat das FA umfassend zu seinen Ermessenserwägungen Stellung genommen.

12

Das FG hat die Vollziehung der Bescheide vom 1. Oktober 2010 ausgesetzt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

13

Die Bescheide vom 1. Oktober 2010 seien in entsprechender Anwendung des § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des Verfahrens geworden. Der Antrag sei angesichts des Begehrens der Antragstellerin dahingehend auszulegen, dass nunmehr die AdV der Bescheide vom 1. Oktober 2010 begehrt werde.

14

Der Antrag sei begründet, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bescheide bestünden.

15

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 1. Juni 2010 in der geänderten Fassung vom 1. Oktober 2010 bestünden deshalb, weil das FA im Rahmen der neuerlichen Ausübung seines Ermessens unberücksichtigt gelassen habe, dass zwischenzeitlich mit der Festsetzung eines höheren Verzögerungsgelds ein relevantes Ereignis eingetreten sei. Es treffe deshalb nicht zu, wenn das FA von einer erstmaligen Sanktionsmaßnahme ausgehe.

16

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 29. Juni 2010 in der geänderten Fassung vom 1. Oktober 2010 bestünden insoweit, als das FA die mehrfache Festsetzung eines Verzögerungsgelds wegen fortdauernder Nichtvorlage derselben angeforderten Unterlagen i.S. des § 200 Abs. 1 AO auf § 146 Abs. 2b AO gestützt habe. Eine ausdrückliche diesbezügliche Regelung finde sich in § 146 Abs. 2b AO nicht. Es sei auch kein Verweis auf § 332 Abs. 3 AO enthalten, wonach eine erneute Zwangsgeldandrohung wegen derselben Verpflichtung möglich sei. Eine analoge Anwendung dieser Regelung verbiete sich wegen der unterschiedlichen Zielsetzung von Verzögerungsgeld und Zwangsgeld.

17

Zudem seien ernstliche Zweifel dadurch begründet, dass das FA mit den seiner Auffassung nach aussichtslosen Anträgen auf AdV der Prüfungsanordnung bei der Ermessensentscheidung sachfremde Umstände berücksichtigt habe.

18

Mit der vom FG zugelassenen (§ 128 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 115 Abs. 2 FGO) Beschwerde macht das FA geltend, dass die Änderungsbescheide vom 1. Oktober 2010 rechtmäßig seien.

19

Im Rahmen der Ermessensausübung bei dem Änderungsbescheid vom 1. Oktober 2010, soweit er die erstmalige Festsetzung des Verzögerungsgelds betroffen habe, sei die weitere Festsetzung eines Verzögerungsgelds nicht zu berücksichtigen gewesen. Beide Festsetzungen hätten auf verschiedenen Mitwirkungsverlangen beruht und seien daher unabhängig voneinander zu beurteilen.

20

Auch die Festsetzung eines erneuten Verzögerungsgelds sei rechtmäßig, da die Sanktion nach dem Wortlaut des § 146 Abs. 2b AO an die jeweilige Aufforderung anknüpfe. Anders als beim Zwangsgeld werde daher nicht dieselbe Pflichtverletzung sanktioniert.

21

Auch habe das FA zu Recht im Rahmen der Ermessensentscheidung berücksichtigt, dass die Antragstellerin durch eine Reihe von Anträgen auf AdV der Prüfungsanordnung, welche wegen der eingetretenen Bestandskraft aussichtslos gewesen seien, die Durchführung der Außenprüfung zu verhindern gesucht habe. Vollstreckungsmaßnahmen hätten grundsätzlich zu unterbleiben, soweit über einen Aussetzungsantrag noch nicht entschieden worden sei. Im Übrigen seien diese Ausführungen erkennbar nur ergänzend und nicht tragend gewesen.

22

Das FA beantragt sinngemäß,

den Beschluss des FG aufzuheben und die Anträge auf AdV der Bescheide vom 1. Oktober 2010 als unbegründet abzulehnen.

23

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

die Beschwerde zurückzuweisen.

24

Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus:

Solange der Verwaltungsakt --hier Anforderung von Buchführungsunterlagen-- nicht bestandskräftig und über ein diesbezügliches Aussetzungsverfahren noch nicht entschieden worden sei, könne kein Verzögerungsgeld festgesetzt werden. Es sei auch nicht zulässig, das Verzögerungsgeld zu vervielfachen, indem es auf mehrere Verpflichtungen atomisiert werde - hier Datenträger und Buchführungsunterlagen.

25

Die Ermessenserwägungen hätten spätestens im Rahmen der Einspruchsentscheidung dargelegt werden müssen. Eine Nachholung in einem finanzgerichtlichen Verfahren sei nicht möglich. Das FA habe zudem nicht dargelegt, welche konkrete zeitliche Verzögerung eingetreten sei.

26

Die Verzögerungsgelder seien auch fehlerhaft gegen die Antragstellerin festgesetzt worden. Zutreffend hätten sich die Bescheide gegen die gemäß § 34 AO für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten zuständigen Geschäftsführer (hier die Gesellschafter) der Antragstellerin richten müssen.

27

Die Festsetzung eines erneuten Verzögerungsgelds sei auch deshalb unzulässig, weil über die erste Festsetzung noch nicht bestandskräftig entschieden worden sei. Auch sei die Zeitspanne zwischen den beiden Festsetzungsbescheiden zu kurz bemessen. Zudem sei zweifelhaft, ob die mehrfache Festsetzung eines Verzögerungsgelds wegen fortdauernder Nichtvorlage derselben Unterlagen von § 146 Abs. 2b AO gedeckt sei.

28

Im Übrigen könne ein Verzögerungsgeld nur im Zusammenhang mit einer Buchführungsverlagerung nach § 146 Abs. 2a AO festgesetzt werden.

Entscheidungsgründe

29

II. 1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen.

30

a) Die Aussetzung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182, seitdem ständige Rechtsprechung). Die AdV setzt nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (vgl. BFH-Beschluss vom 6. November 2008 IV B 126/07, BFHE 223, 294, BStBl II 2009, 156).

31

b) Die Entscheidung über einen Antrag auf AdV ergeht wegen dessen Eilbedürftigkeit aufgrund des Prozessstoffs, der sich aus den dem Gericht vorliegenden Unterlagen, insbesondere den Akten der Finanzbehörde und präsenten Beweismitteln ergibt (BFH-Beschluss vom 21. Juli 1994 IX B 78/94, BFH/NV 1995, 116). Aus diesen Unterlagen hat das Gericht seine Feststellungen zum Sachverhalt zu treffen. Im Beschwerdeverfahren gegen die Entscheidung über einen Antrag auf AdV durch das FG hat der BFH als Tatsachengericht grundsätzlich selbst die Befugnis und Pflicht zur Tatsachenfeststellung (BFH-Beschluss in BFHE 223, 294, BStBl II 2009, 156, m.w.N.).

32

c) Die Beschwerde ist statthaft, weil das FG sie zugelassen hat (§ 128 Abs. 3 FGO). Der BFH ist daran --abgesehen von Fällen greifbarer Gesetzeswidrigkeit-- gebunden (BFH-Beschluss vom 6. Februar 2009 IV B 125/08, BFH/NV 2009, 760, m.w.N.).

33

d) Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, dass die Bescheide vom 1. Oktober 2010 in entsprechender Anwendung des § 68 Satz 1 FGO zum Gegenstand des Verfahrens geworden sind.

34

§ 68 Satz 1 FGO greift u.a. dann ein, wenn ein angefochtener Verwaltungsakt aus formellen Gründen aufgehoben und inhaltsgleich wiederholt wird. Dies gilt gleichermaßen auch dann, wenn der ursprüngliche Bescheid keine hinreichenden Ausführungen zur Ermessensausübung enthält und diese in dem "ersetzenden" Bescheid nachgeholt werden (BFH-Urteil vom 16. Dezember 2008 I R 29/08, BFHE 224, 195, BStBl II 2009, 539, m.w.N.). Der Anwendungsbereich des § 68 FGO ist auch eröffnet, wenn die Hauptsache sich noch im Vorverfahren befindet und der Änderungsbescheid gemäß § 365 Abs. 3 AO Gegenstand des Vorverfahrens geworden ist (BFH-Beschluss vom 25. Oktober 1994 VIII B 101/94, BFH/NV 1995, 611).

35

Die Bescheide vom 1. Oktober 2010 sind in ihrem Regelungsausspruch inhaltsgleich mit den Bescheiden vom 1. Juni 2010 und vom 29. Juni 2010. In den Bescheiden vom 1. Oktober 2010 sind lediglich die Ermessenserwägungen nachgeholt worden. Die ersetzenden Bescheide sind daher entsprechend § 68 Satz 1 FGO zum Gegenstand des Verfahrens geworden.

36

2. Vorliegend bestehen bei summarischer Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 1. Juni 2010 in der geänderten Fassung vom 1. Oktober 2010.

37

Das FA hat die Festsetzung des Verzögerungsgelds in Höhe von 2.500 € wegen Nichtvorlage der Buchführungsunterlagen zu Recht auf § 146 Abs. 2b AO gestützt.

38

a) Nach der Regelung des § 146 Abs. 2b AO kann ein Verzögerungsgeld von 2.500 € bis 250.000 € festgesetzt werden, wenn ein Steuerpflichtiger der Aufforderung zur Rückverlagerung seiner elektronischen Buchführung oder seinen Pflichten nach § 146 Abs. 2a Satz 4 AO, zur Einräumung des Datenzugriffs nach § 147 Abs. 6 AO, zur Erteilung von Auskünften oder zur Vorlage angeforderter Unterlagen i.S. des § 200 Abs. 1 AO im Rahmen einer Außenprüfung innerhalb einer ihm bestimmten angemessenen Frist nach Bekanntgabe durch die zuständige Finanzbehörde nicht nachkommt oder er seine elektronische Buchführung ohne Bewilligung der zuständigen Finanzbehörde ins Ausland verlagert hat.

39

Das Verzögerungsgeld wurde durch Art. 10 Nr. 8 des Jahressteuergesetzes 2009 vom 19. Dezember 2008 (BGBl I 2008, 2794) --JStG 2009-- mit Wirkung vom 25. Dezember 2008 (Art. 39 Abs. 1, Abs. 8 JStG 2009) als neue steuerliche Nebenleistung (§ 3 Abs. 4 AO) eingeführt. Die Einführung des Verzögerungsgelds stand im engen Kontext mit der ebenfalls durch das JStG 2009 eingeführten Regelung in § 146 Abs. 2a AO. Danach kann das Finanzamt dem Steuerpflichtigen unter bestimmten Voraussetzungen bewilligen, seine Buchführung in das Ausland zu verlagern. Für den Fall, dass die Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen, kann die Bewilligung widerrufen und die unverzügliche Rückverlagerung verlangt werden (§ 146 Abs. 2a Satz 3 AO). Um den Steuerpflichtigen in diesem Fall zu einer zeitnahen Rückverlagerung der Buchführung anzuhalten, ist die Möglichkeit der Festsetzung eines Verzögerungsgelds normiert worden.

40

Über diesen direkten Normzusammenhang hinaus kann nach dem zuvor dargelegten Wortlaut ein Verzögerungsgeld aber auch dann verhängt werden, wenn ein Steuerpflichtiger einer Aufforderung des Finanzamts zur Erteilung von Auskünften oder zur Vorlage angeforderter Unterlagen i.S. von § 200 Abs. 1 AO im Rahmen einer Außenprüfung innerhalb einer angemessenen Frist nicht nachkommt (Urteil des Schleswig-Holsteinischen FG vom 1. Februar 2011  3 K 64/10, Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 846; ebenso Geißler, Neue Wirtschaftsbriefe 2009, 4076; Klein/Rätke, AO, 10. Aufl., § 146 Rz 5b; Gebbers, Die steuerliche Betriebsprüfung 2009, 130). Es erscheint zwar systematisch missglückt, die Regelung des Verzögerungsgelds wegen der Verletzung von Mitwirkungspflichten bei einer Außenprüfung mit einem Verzögerungsgeld im Zusammenhang mit anderen Verpflichtungen zu verbinden. Sie hätte, worauf Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 146 AO Rz 51 zutreffend hinweist, besser in § 200 AO verortet werden sollen. Angesichts des eindeutigen Wortlauts kann aber allein aus der unzureichenden systematischen Verortung nicht darauf geschlossen werden, dass ein Verzögerungsgeld nur im Zusammenhang mit einer ohne Bewilligung der Finanzbehörde erfolgten Verlagerung der Buchführung ins Ausland oder unterbliebener Rückverlagerung der Buchführung aus dem Ausland festgesetzt werden darf (so aber Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 146 AO Rz 51). Dieses Verständnis der Norm wird durch die Gesetzesbegründung gestützt. Danach soll das Verzögerungsgeld im Falle der Verletzung von Mitwirkungspflichten gleichermaßen gelten, um eine Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen, die ihre Bücher und sonstigen Aufzeichnungen im Ausland führen, gegenüber solchen Steuerpflichtigen, die dies im Inland tun, zu vermeiden (vgl. BTDrucks 16/10189, S. 81). Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob eine Erstreckung des Verzögerungsgelds auch auf Fälle sonstiger Mitwirkungsverletzungen aus Gründen der Gleichbehandlung überhaupt erforderlich gewesen wäre (ablehnend Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 146 AO Rz 51).

41

b) Der Tatbestand des § 146 Abs. 2b AO ist vorliegend erfüllt. Gegenüber der Antragstellerin ist mit Bescheid vom 9. Mai 2008 eine Außenprüfung angeordnet worden. Der Bescheid ist nach Abschluss des dagegen gerichteten Klage- und Revisionszulassungsverfahrens bestandskräftig (siehe BFH-Beschluss vom 19. November 2009 IV B 62/09, BFH/NV 2010, 595).

42

aa) Das FA durfte deshalb die Aufforderung an die Antragstellerin vom 1. März 2010, 8. und 21. April 2010 zur Vorlage der Buchführungsunterlagen zuletzt bis zum 27. April 2010 erlassen. Die relativ kurze Frist war angesichts der besonderen Umstände des Streitfalls noch angemessen. Zum einen war die Antragstellerin bereits mehrmals zur Vorlage der Buchführungsunterlagen aufgefordert worden. Zum anderen hat die Antragstellerin durch selbst mit nicht statthaften Anträgen verbundene Rechtsbehelfe gegen sämtliche Mitwirkungsverlangen des Prüfers fortwährend Verzögerungen bewirkt.

43

bb) Der Festsetzung des Verzögerungsgelds steht nicht entgegen, dass die Antragstellerin die Aufforderung zur Vorlage der Buchführungsunterlagen mit Rechtsmitteln angegriffen hat. Maßgeblich ist allein, dass die Aufforderung vollziehbar war. Nach Aktenlage wurden die Anträge auf AdV der Aufforderungen zur Vorlage der Buchführungsunterlagen abgelehnt.

44

cc) Im Streitfall bedarf es keiner Ausführungen dazu, ob und inwieweit § 146 Abs. 2b AO eine Vervielfachung der Festsetzung des Verzögerungsgelds dadurch ermöglicht, dass sich die vorherige Aufforderung auf eine Vielzahl von Unterlagen erstreckt. Denn das FA hat in dem Bescheid vom 1. Juni 2010 in der geänderten Fassung vom 1. Oktober 2010 nur den Mindestbetrag von 2.500 € festgesetzt, so dass sich das Problem einer Vervielfachung des Verzögerungsgelds nicht stellt.

45

dd) Der Bescheid über die Festsetzung des Verzögerungsgelds ist ebenso wie die Aufforderung zur Vorlage der Buchführungsunterlagen zutreffend an die Antragstellerin als Inhaltsadressatin gerichtet worden. Insoweit kann für diese Bescheide nichts anderes gelten als für die Prüfungsanordnung. Unterhält eine Personengesellschaft einen Gewerbebetrieb (§ 193 Abs. 1 AO), ist sie selbst Prüfungssubjekt und damit Inhaltsadressatin der Prüfungsanordnung nicht nur für die Steuern, die sie persönlich schuldet (z.B. Gewerbesteuer und Umsatzsteuer), sondern gleichermaßen im Hinblick auf die gesondert und einheitlich festzustellenden Einkünfte ihrer Gesellschafter (BFH-Urteil vom 26. Juni 2007 IV R 75/05, Deutsches Steuerrecht/ Entscheidungsdienst 2008, 341). Auch im Streitfall war die Prüfungsanordnung zutreffend an die Antragstellerin als Inhaltsadressatin gerichtet. Entsprechend oblagen ihr auch die Mitwirkungspflichten im Zusammenhang mit der Durchführung der Außenprüfung.

46

ee) Der Senat hat bei summarischer Prüfung schließlich auch keine ernstlichen Zweifel daran, dass das FA sein Entschließungsermessen im Hinblick auf das Ob einer Festsetzung des Verzögerungsgelds und sein Auswahlermessen im Hinblick auf die Höhe des Verzögerungsgelds zutreffend ausgeübt hat.

47

Das FA musste beim Erlass des Bescheids vom 1. Oktober 2010, mit dem der Bescheid vom 1. Juni 2010 geändert bzw. ersetzt worden ist, im Rahmen der Ermessensausübung nicht berücksichtigen, dass zwischenzeitlich ein höheres Verzögerungsgeld festgesetzt worden ist. Anders als das FG meint, ist die Festsetzung eines weiteren Verzögerungsgelds jedenfalls im Streitfall kein relevantes Ereignis, welches in die Ermessenserwägungen des ersten Bescheids miteinzubeziehen gewesen wäre.

48

Zutreffend weist das FA darauf hin, dass beide Bescheide auf voneinander unabhängigen Mitwirkungsverlangen beruhen, nämlich einerseits den Aufforderungen vom 1. März 2010, 8. und 21. April 2010 und andererseits der Aufforderung vom 21. Juni 2010. Zwar liegt es nahe, dass die erstmalige Festsetzung eines Verzögerungsgelds in die Ermessenserwägung (Auswahlermessen) im Rahmen der betragsmäßigen Festsetzung eines weiteren Verzögerungsgelds einzufließen hat, soweit eine weitere Festsetzung dem Grunde nach überhaupt zulässig ist (dazu unter II.3.). Umgekehrt kann die Festsetzung eines weiteren Verzögerungsgelds aber keinerlei Einfluss auf die erstmalige Festsetzung eines Verzögerungsgelds haben. Die Ermessenserwägungen sind vielmehr ausschließlich auf diesen erstmalig verwirklichten Sachverhalt zu beziehen. Später eintretende Umstände sind auch nicht dann im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen, wenn, wie im Streitfall, das FA die zunächst unterlassenen Ermessenserwägungen in einem Änderungs- bzw. Ersetzungsbescheid zu einem Zeitpunkt nachholt, in dem ein weiteres Verzögerungsgeld bereits festgesetzt worden ist. Denn ungeachtet der zwischenzeitlich eingetretenen Änderungen müssen sich die Ermessenserwägungen ausschließlich auf den Sachverhalt beziehen, der im Zeitpunkt des Erlasses des ersten Festsetzungsbescheids verwirklicht war.

49

3. Bei summarischer Prüfung bestehen indes ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 29. Juni 2010 in der Fassung vom 1. Oktober 2010.

50

a) Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die mehrfache Festsetzung eines Verzögerungsgelds wegen fortdauernder Nichtvorlage derselben angeforderten Unterlagen i.S. des § 200 Abs. 1 AO von § 146 Abs. 2b AO gedeckt ist (für zulässig erachtet von tom Suden, § 146 Abs. 2a und 2b AO: Das trojanische Pferd im Steuerrecht, Die Steuerberatung 2009, 207; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 22. April 2010, Deutsches Steuerrecht 2011, 676).

51

Die Zulässigkeit einer mehrfachen Festsetzung wegen derselben Verpflichtung lässt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck der Regelung des § 146 Abs. 2b AO entnehmen. Das Verzögerungsgeld soll nach der Gesetzesbegründung den Steuerpflichtigen zur zeitnahen Mitwirkung anhalten. Es steht damit in einem Konkurrenzverhältnis zu dem Zwangsgeld gemäß § 328 Abs. 1, § 329 AO. Für das Zwangsgeld enthält § 332 Abs. 3 AO die ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung, es erneut wegen derselben Verpflichtung anzudrohen, wenn das zunächst angedrohte Zwangsgeld erfolglos geblieben ist. Das Schweigen des Gesetzgebers zu der Möglichkeit einer erneuten Festsetzung eines Verzögerungsgelds deutet daher darauf hin, dass ein Verzögerungsgeld wegen derselben Verpflichtung nur einmal festgesetzt werden kann. Eine analoge Anwendung des § 332 Abs. 3 AO kommt nach Auffassung des Senats nicht in Betracht, weil nicht zu erkennen ist, dass das Fehlen einer Regelung zur wiederholten Festsetzung eines Verzögerungsgelds auf einem Versehen des Gesetzgebers beruht. Es fehlt damit an der für eine analoge Gesetzesanwendung erforderlichen planwidrigen Regelungslücke.

52

b) Da das FA noch nicht über den Einspruch gegen den Bescheid vom 29. Juni 2010 in der Fassung vom 1. Oktober 2010 entschieden hat, beschränkt der Senat in Ausübung seines Ermessens die AdV des Bescheids vom 29. Juni 2010 in der geänderten Fassung vom 1. Oktober 2010 bis zum Abschluss des Einspruchsverfahrens.

Tatbestand

1

I. Mit notariellem Ehevertrag vom 4. November 1994 beendeten der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller zu 1.) und seine damalige Ehefrau, die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin zu 2. (Antragstellerin zu 2.), ihren bisherigen Güterstand der Zugewinngemeinschaft und vereinbarten Gütertrennung. Der bis zu diesem Vertrag entstandene Zugewinn der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin zu 2. wurde auf 600.000 DM festgelegt. Der Antragsteller zu 1. verpflichtete sich, der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin zu 2. diesen Betrag zinslos bis spätestens 31. Dezember 1999 als Ausgleichsbetrag zu zahlen. Der Antragsteller zu 1. verpflichtete sich zudem eine Grundschuld zur Sicherung des Zugewinnausgleichsanspruchs der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin zu 2. in Höhe von 600.000 DM zu beantragen und dieses Grundpfandrecht samt Zinsen an die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin zu 2. zur Sicherung des Zahlungsversprechens abzutreten. Er zahlte im Jahr 2002 (Streitjahr) der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin zu 2. 600.000 DM.

2

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) ermittelte in Bezug auf die erhaltene Zahlung in Höhe von 600.000 DM auf der Grundlage des § 12 Abs. 3 des Bewertungsgesetzes (BewG) einen Zinszufluss bei der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin zu 2. im Jahr 2002 in Höhe von 72.092 €. Diesen Betrag setzte das FA als zusätzliche Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) an. Dagegen legten der Antragsteller zu 1. und die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin zu 2. Einspruch ein und beantragten zugleich die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Nachzahlungsbetrages ohne Sicherheitsleistungen. Dies lehnte das FA ab. Das Finanzgericht (FG) setzte die Vollziehung des streitigen Nachzahlungsbetrags mit Beschluss vom 6. April 2009 ohne Sicherheitsleistungen aus und ließ die Beschwerde gegen diese Entscheidung zu. Das FA legte gegen den Beschluss des FG Beschwerde ein.

3

Am … April 2009 verstarb die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin zu 2. Die Antragstellerin zu 2. trat die Gesamtrechtsnachfolge an.

4

Mit Bescheid vom 9. Oktober 2009 änderte das FA den streitigen Einkommensteuerbescheid hinsichtlich unstreitiger Beteiligungserträge. Die Höhe der Kapitaleinkünfte blieb unberührt.

5

Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 31. Dezember 2009 wurde über das Vermögen des Antragstellers zu 1. das Insolvenzverfahren eröffnet.

Entscheidungsgründe

6

II. 1. Die gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) statthafte Beschwerde des FA führt aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Denn Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens war der Einkommensteuerbescheid 2002 vom 12. Dezember 2008. An dessen Stelle ist während des Beschwerdeverfahrens der Änderungsbescheid vom 9. Oktober 2009 getreten. Damit liegt dem Beschluss des FG ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde mit der Folge, dass die gewährte AdV ebenfalls gegenstandslos geworden ist (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 25. Oktober 1994 VIII B 101/94, BFH/NV 1995, 611).

7

Der Bescheid vom 9. Oktober 2009 ist analog § 68 Satz 1 FGO Gegenstand des AdV-Verfahrens geworden. Denn § 68 FGO gilt entsprechend im gerichtlichen Aussetzungsverfahren und zwar auch dann, wenn das Vorverfahren der Hauptsache noch nicht abgeschlossen ist (BFH-Beschluss in BFH/NV 1995, 611). Eine Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Entscheidung ist zwar zulässig (Senatsbeschluss vom 26. März 1991 VIII B 83/90, BFHE 163, 510, BStBl II 1991, 463), aber vorliegend nicht zweckmäßig. Die Sache ist spruchreif. Die Feststellungen des FG und die vorliegenden Akten reichen auch im Hinblick auf den geänderten Einkommensteuerbescheid aus, um über den Aussetzungsantrag abschließend entscheiden zu können. Insbesondere betrafen die vom FA durchgeführten Änderungen nicht die allein streitigen Einkünfte der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin zu 2. aus Kapitalvermögen.

8

2. Die Beschwerde des FA ist in der Sache hinsichtlich des Antrags auf AdV des Antragstellers zu 1. begründet. Denn dieser Antrag ist unzulässig, weil es am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis mangelt. Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis fehlt u.a. dann, wenn wegen eines laufenden Insolvenzverfahrens keine Zwangsvollstreckung stattfinden könnte (BFH-Beschluss vom 15. Februar 2002 XI S 32/01, BFH/NV 2002, 940). Über das Vermögen des Antragstellers zu 1. wurde am 31. Dezember 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet, welches bisher nicht beendet ist. Folglich droht derzeit keine Zwangsvollstreckung des FA in das Vermögen des Antragstellers zu 1. Der Umstand, dass die Unzulässigkeit des Antrags erst nach dem Beschluss der Vorinstanz eingetreten ist, hat keine Auswirkung auf das Ergebnis. Denn für die Prüfung der Begründetheit der Beschwerde ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung maßgeblich (BFH-Beschlüsse vom 15. Mai 2009 IV B 24/09, BFH/NV 2009, 1402; vom 12. Februar 1969 VII B 60/66, BFHE 95, 84, BStBl II 1969, 318).

9

3. Die Beschwerde des FA bleibt in Bezug auf den Aussetzungsantrag der Antragstellerin zu 2. in der Sache ohne Erfolg. Die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides für 2002 vom 9. Oktober 2009 ist aufgrund dieses Antrags ohne Sicherheitsleistung auszusetzen. Denn der Senat hat ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Ansatzes der Zinsanteile der gestundeten Zugewinnausgleichsforderung als Kapitalerträge.

10

a) Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei der summarischen Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (BFH-Beschlüsse vom 26. April 2004 VI B 43/04, BFH/NV 2004, 1257; vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182).

11

b) Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für eine AdV der streitigen Einkommensteuer auf die Kapitaleinkünfte der Antragstellerin zu 2. vor. Bei summarischer Prüfung sprechen gewichtige Argumente dafür, dass das FA bezüglich der Antragstellerin zu 2. zu Unrecht Zinsen für die Stundung der Ausgleichsforderung als Einnahmen aus Kapitalvermögen der Einkommensteuer unterworfen hat. Zwar sind die tatbestandlichen Voraussetzungen dafür dem Grunde nach erfüllt (s. unter II.3.b aa dieses Beschlusses). Jedoch kommt zugleich eine Schenkung der Antragstellerin zu 2. im Sinne des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG) in Betracht (s. unter II.3.b bb dieses Beschlusses). Um eine Doppelbesteuerung dem Grunde nach zu verhindern, muss die Ertragsbesteuerung in derartigen Konstellationen zurücktreten (s. unter II.3.b cc dieses Beschlusses).

12

aa) Bei grundsätzlicher Betrachtung hat die Antragstellerin zu 2. durch die Stundung der Zugewinnausgleichsforderung Einnahmen aus Kapitalvermögen erzielt.

13

(1) Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG bezieht, wer Kapitalvermögen gegen Entgelt zur Nutzung überlässt (BFH-Urteil vom 13. Oktober 1987 VIII R 156/84, BFHE 151, 512, BStBl II 1988, 252). Dabei ist unerheblich, ob die zu Grunde liegende Kapitalforderung selbst steuerbar ist. Nach der Rechtsprechung des BFH fließen mit der Rückzahlung einer länger als ein Jahr gestundeten Forderung auch dann (einkommen-)steuerbare Zinsen zu, wenn die Unverzinslichkeit der Forderung explizit vereinbart wurde (BFH-Beschluss vom 8. Januar 1998 VIII B 76/96, BFH/NV 1998, 963, m.w.N.). In diesem Fall ist der Rückzahlungsbetrag grundsätzlich in einen nicht steuerbaren Tilgungs- und in einen steuerbaren Zinsanteil gemäß § 12 Abs. 3 BewG aufzuteilen (BFH-Urteile vom 26. Juni 1996 VIII R 67/95, BFH/NV 1997, 175; vom 17. März 2010 X R 38/06, BFHE 229, 163, BStBl II 2011, 622). Eine unverzinsliche Kapitalforderung i.S. des § 12 Abs. 3 BewG liegt vor, wenn zum einen Zinsen nicht vereinbart werden und zum anderen die Forderung bereits entstanden ist, aber nicht binnen eines Jahres getilgt wurde (Eisele in Rössler/Troll, BewG, § 12 Rz 41).

14

(2) Würde die Beurteilung allein auf die vorstehenden Grundsätze gestützt, könnten der Antragstellerin zu 2. Zinsen in der vom FA ermittelten Höhe zuzurechnen sein. Denn die Zugewinnausgleichsforderung ist eine auf Geld gerichtete Kapitalforderung. Der Anspruch auf diese Ausgleichszahlung entstand mit Vollzug des Güterstandswechsels und damit mit Abschluss des Ehevertrages (§ 1378 Abs. 3 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--). Der Ehevertrag beinhaltet weiterhin eine Vereinbarung über eine zinslose Stundung der Ausgleichszahlung über fünf Jahre zu einem bestimmten Termin. Für die Einordnung als gestundete Kapitalforderung ist unerheblich, dass der Antragsteller zu 1. berechtigt war, die Forderung jederzeit zu erfüllen.

15

bb) Allerdings kann der vorliegende Sachverhalt auch die Voraussetzungen einer Schenkung i.S. des § 1 Abs. 1 des ErbStG erfüllen.

16

(1) Nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH kann in der unentgeltlichen Überlassung einer Kapitalsumme auf Zeit eine Schenkung i.S. des ErbStG liegen (BFH-Urteil vom 31. März 2010 II R 22/09, BFHE 229, 374, BStBl II 2010, 806, m.w.N.). Gegenstand der Schenkung bzw. freigebigen Zuwendung ist nicht ein konkreter Ertrag, der dem Zuwendenden entgeht, sondern die dem Verzicht auf die eigene Nutzungsmöglichkeit seitens des Zuwendenden korrespondierende Gewährung der Nutzungsmöglichkeit durch den Zuwendungsempfänger (BFH-Urteil vom 12. Juli 1979 II R 26/78, BFHE 128, 266, BStBl II 1979, 631). Dabei ist für die Einordnung als freigebige Zuwendung i.S. des § 7 Abs. 1 ErbStG unerheblich, dass die Überlassung von Kapital zivilrechtlich keine Schenkung ist (BFH-Urteil vom 30. März 1994 II R 105/93, BFH/NV 1995, 70). Ob eine Kapitalüberlassung aus erbschaftsteuerrechtlicher Sicht unentgeltlich erfolgt, beurteilt sich allein nach zivilrechtlichen Kriterien. Danach ist eine Kapitalüberlassung unentgeltlich, wenn der Erwerb nicht von einer ihn ausgleichenden Gegenleistung abhängt (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27. November 1991 IV ZR 164/90, Neue Juristische Wochenschrift 1992, 564). Eine sich danach ergebende Unentgeltlichkeit der Kapitalüberlassung zwischen Ehegatten wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Verzicht auf Zinsen eine ehebedingte unbenannte Zuwendung ist (BFH-Urteil in BFH/NV 1995, 70).

17

(2) Vorliegend sind nach einer summarischen Prüfung die Voraussetzungen einer freigebigen Zuwendung erfüllt. Denn die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin zu 2. hat eine Kapitalforderung objektiv unentgeltlich auf eine bestimmte Zeit ihrem Ehegatten, dem Antragsteller zu 1., überlassen. Sie hat sich damit der Nutzungsmöglichkeit dieses Kapitals für die Zeit der Stundung begeben. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Gegenleistung an die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin zu 2. vereinbart wurde. Zudem hat sich die Rechtsvorgängerin der Antragstellerin zu 2. dahingehend eingelassen, dass sie ihrem Ehemann eine --entgeltliche-- Kreditaufnahme ersparen wollte. Folglich sprechen auch die Motive für eine freigebige Zuwendung. Da der Zugewinnausgleichsanspruch vorliegend zudem ehevertraglich anerkannt wurde, ist er nach § 852 Abs. 2 der Zivilprozessordnung auch pfändbar (MünchKommBGB/Koch, 5. Aufl., § 1378 Rz 18). Damit ist für eine Ausnahmekonstellation --wie dem Verzicht auf die Geltendmachung eines Pflichtteils-- kein Raum (vgl. zur Ausnahme BFH-Urteil in BFHE 229, 374, BStBl II 2010, 806).

18

Die Steuerbarkeit der freigebigen Zuwendung der Antragstellerin zu 2. ist auch nicht gemäß § 5 Abs. 2 ErbStG ausgeschlossen. Diese Norm betrifft nur den Zugewinnausgleichsanspruch selbst, nicht aber eine zinslose Stundung desselben (Kapp/Ebeling, § 5 ErbStG Rz 76).

19

cc) Grundsätzlich ist es tatbestandlich ausgeschlossen, mit derselben Handlung sowohl eine freigebige Zuwendung zu verwirklichen (§ 7 ErbStG) als auch wirtschaftlich am Markt teilzunehmen (§ 2 EStG; Zugmaier in Herrmann/Heuer/Raupach, § 2 EStG Rz 33). Vorliegend unterfällt jedoch ein und derselbe Lebenssachverhalt tatbestandlich sowohl der Einkommen- als auch der Schenkungsteuer. In diesem Fall hat bei summarischer Prüfung die Ertragsbesteuerung zurückzutreten. Es fehlt bei der Antragstellerin zu 2. an einer Handlung, die auf das Erzielen von Einnahmen am Markt gerichtet ist. Wenn jemand einer anderen Person etwas schenken möchte, ist seine Handlung gerade keine Erwerbshandlung, denn sie ist nicht auf Einkünfteerzielung am Markt, also auf einen Hinzuerwerb von Einkommen, ausgelegt (Kirchhof, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 2 Rz A 117). Fehlt es jedoch an der notwendigen Erwerbshandlung, kommt eine Erfassung von Erträgen als Einkünfte im Sinne des EStG grundsätzlich nicht in Betracht.

20

4. Die Vollziehung der streitigen Einkommensteuer ist ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.

21

a) Die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ist regelmäßig ohne Sicherheitsleistung auszusetzen, wenn seine Rechtmäßigkeit ernstlich zweifelhaft ist und keine konkreten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass bei einem Unterliegen des Antragstellers im Hauptsacheverfahren die Durchsetzung des Steueranspruchs gefährdet wäre (BFH-Beschluss vom 19. Oktober 2009 XI B 60/09, BFH/NV 2010, 58). Auch entfällt das öffentliche Interesse an einer Sicherheitsleistung, wenn mit Gewissheit oder großer Wahrscheinlichkeit ein für den Steuerpflichtigen günstiger Prozessausgang zu erwarten ist (vgl. BFH-Beschluss vom 10. Februar 2010 V S 24/09, BFH/NV 2010, 930).

22

b) Nach diesen Grundsätzen kommt eine Sicherheitsleistung nicht in Betracht. Denn zum einen ist vorliegend mit großer Wahrscheinlichkeit mit einem für die Antragstellerin zu 2. positiven Verfahrensausgang zu rechnen. Zum anderen hat das FA nicht dargelegt, dass der Steueranspruch im Fall des Unterliegens der Antragstellerin zu 2. gefährdet wäre. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Gefahr bestünde, dass die (jetzige) Antragstellerin zu 2. --als Gesamtrechtsnachfolgerin ihrer Mutter, der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin zu 2.,-- zu einer späteren Zeit nicht in der Lage sein wird, den Steueranspruch zu erfüllen. Das FA hat sich über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Antragstellerin zu 2. jedoch nicht geäußert.

23

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO (vgl. BFH-Beschluss vom 6. August 1971 III B 7/71, BFHE 103, 126, BStBl II 1972, 17), wobei die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten bei verbundenen Verfahren getrennt werden müssen (BFH-Beschluss vom 13. Dezember 1999 III B 15/99, BFH/NV 2000, 827).

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Ein Einspruch gegen den neuen Verwaltungsakt ist insoweit ausgeschlossen. Die Finanzbehörde hat dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts zu übermitteln. Satz 1 gilt entsprechend, wenn

1.
ein Verwaltungsakt nach § 129 der Abgabenordnung berichtigt wird oder
2.
ein Verwaltungsakt an die Stelle eines angefochtenen unwirksamen Verwaltungsakts tritt.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Antragstellerin (Antragstellerin) ist atypisch stille Gesellschafterin der heutigen X-GmbH. Für das Streitjahr 2000 wurden der Antragstellerin nach Durchführung einer Außenprüfung verrechenbare Verluste in Höhe von … DM zugewiesen und nach § 15a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gesondert und einheitlich festgestellt. Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte vor dem Finanzgericht (FG) Erfolg. Der Beklagte und Antragsgegner (das Finanzamt --FA--) hat gegen das Urteil die vom FG zugelassene Revision eingelegt, die unter dem Az. IV R 18/10 beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängig ist.

2

Die Antragstellerin begehrt die Aufhebung der Vollziehung des angefochtenen Bescheids und hat einen entsprechenden Antrag an den BFH als Gericht der Hauptsache gerichtet. Bereits im Einspruchsverfahren hatte die Antragstellerin zunächst beim FA und anschließend beim FG die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des angefochtenen Bescheids über die Feststellung des verrechenbaren Verlusts bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung beantragt. Den Antrag hatte das FG mit Beschluss vom 8. Juni 2006 abgelehnt und die Beschwerde gegen den Beschluss nicht zugelassen. Nach Ablehnung eines erneuten Aussetzungsantrags wegen neuer Beweismittel durch das FA mit Bescheid vom 7. November 2006 stellte die Antragstellerin nach Klageerhebung im Hauptsacheverfahren erneut einen Antrag auf AdV bis einen Monat nach Zustellung des FG-Urteils beim FA, der ebenfalls abgelehnt wurde (Bescheid vom 6. Februar 2007). Im Februar 2008 beantragte die Antragstellerin nochmals beim FG die AdV bis einen Monat nach Zustellung des Urteils. Der Antrag wurde mit Beschluss vom 6. März 2008 abgelehnt. In gleicher Weise lehnte das FG einen erneut im Juli 2008 gestellten Antrag auf AdV als unzulässig ab (Beschluss vom 7. Oktober 2008).

3

Mit dem jetzt beim BFH gestellten Antrag auf Aufhebung der Vollziehung macht die Antragstellerin geltend, das stattgebende Urteil des FG im Hauptsachverfahren sei eine neue Tatsache, die einen erneuten Antrag auf Aufhebung der Vollziehung nach § 69 Abs. 6 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) rechtfertige. Aus dem Urteil sei zugleich zu entnehmen, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestünden. Aufgrund dessen sei die Vollziehung des Bescheids mit Wirkung vom ersten Tag seiner Vollziehbarkeit an aufzuheben.

4

Die Antragstellerin hat beantragt, die Vollziehung des geänderten Bescheids über die gesonderte und einheitliche Feststellung des verrechenbaren Verlustes gemäß § 15a Abs. 4 EStG für 2000 vom 29. September 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Oktober 2007 ab Vollziehbarkeit (4. November 2005) aufzuheben.

5

Das FA hat beantragt, den Antrag abzulehnen.

6

Es hält den Antrag für unzulässig, weil die Antragstellerin nach Ergehen des FG-Urteils keinen erneuten Antrag auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung bei der Behörde gestellt habe. Einem solchen Antrag wäre stattgegeben worden.

7

Auf Anregung des Berichterstatters hat das FA mit Bescheid vom 23. März 2011 die Vollziehung des angefochtenen Bescheids ab dem 4. März 2010 bis einen Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung des BFH im Hauptsacheverfahren aufgehoben bzw. ausgesetzt.

8

Beide Verfahrensbeteiligte haben daraufhin erklärt, mit dem Bescheid vom 23. März 2011 habe sich die Hauptsache des Verfahrens nicht erledigt. Das FA hält insoweit an seiner Auffassung fest, dass der an den BFH gerichtete Antrag unzulässig sei. Die Antragstellerin macht geltend, dem Antrag sei nicht vollständig entsprochen worden, weil die Aufhebung der Vollziehung mit Wirkung ab dem 4. November 2005 begehrt werde.

Entscheidungsgründe

9

II. Der Antrag auf Aufhebung der Vollziehung wird abgelehnt.

10

1. Aufhebung der Vollziehung für den Zeitraum des Revisionsverfahrens

11

Der Senat betrachtet den Antrag, soweit er sich auf die Zeit seit Ergehen des FG-Urteils erstreckt, als erstmaligen Antrag auf Aufhebung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 FGO im jetzigen Verfahrensabschnitt des Revisionsverfahrens. Insoweit liegt keine Wiederholung eines früheren Antrags auf Aufhebung der Vollziehung vor, weil mit den früheren Anträgen jeweils AdV bis zum Ende des jeweils aktuellen Verfahrensabschnitts beantragt worden war.

12

Für den Zeitraum des Revisionsverfahrens ist das Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin durch Erledigung der Hauptsache entfallen. Denn insoweit entspricht der Bescheid vom 23. März 2011 in vollem Umfang dem Begehren der Antragstellerin. Er betrifft die Aufhebung der Vollziehung ab dem 4. März 2010 (Datum des FG-Urteils), erstreckt sich also auf den gesamten Zeitraum des Revisionsverfahrens. Mit dem Wegfall des Rechtsschutzinteresses ist der Antrag der Antragstellerin unzulässig geworden; er ist deshalb aus diesem Grund abzulehnen.

13

2. Aufhebung der Vollziehung für den Zeitraum vom 4. November 2005 bis zum 3. März 2011

14

a) Der Bescheid vom 23. März 2011 ist in analoger Anwendung des § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens geworden. Wird ein angefochtener Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens (§ 68 Satz 1 FGO). Über ihren auf Anfechtungsbegehren bezogenen Wortlaut hinaus wird diese Regelung analog auf Verpflichtungsanträge angewendet (BFH-Urteil vom 5. Juli 1991 III R 3/87, BFHE 165, 143, BStBl II 1991, 854); sie gilt insbesondere auch im Verfahren auf AdV nach § 69 FGO (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 5. November 1971 IV R 242/70, BFHE 103, 546, BStBl II 1972, 218; BFH-Beschluss vom 17. März 2009 X S 11/09, juris). Dementsprechend tritt nicht nur ein geänderter Bescheid über die AdV an die Stelle eines angefochtenen Aussetzungsbescheids, sondern es wird auch ein im Antragsverfahren erstmals erlassener, aber nach Ansicht des Antragstellers unzureichender Bescheid über die AdV zum Gegenstand des Antragsverfahrens. Das Antragsbegehren richtet sich dann auf Änderung des Bescheids und weiter gehende AdV.

15

b) Der Antrag ist insoweit unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO nicht vorliegen.

16

aa) Ist ein Steuerverwaltungsakt Gegenstand eines Klageverfahrens, so kann das Gericht der Hauptsache nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO dessen Vollziehung unter bestimmten Umständen aussetzen. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen worden, so kann das Gericht außerdem die erfolgte Vollziehung aufheben (§ 69 Abs. 3 Satz 3 FGO). Gericht der Hauptsache ist der BFH, wenn der angefochtene Verwaltungsakt Gegenstand eines beim BFH anhängigen Verfahrens ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 23. Januar 1985 I S 4/84, BFH/NV 1987, 385, und vom 14. August 1997 X B 108/97, BFH/NV 1998, 68).

17

Die gerichtliche Entscheidung über einen Antrag auf AdV erwächst nicht in materieller Rechtskraft (s. etwa BFH-Beschluss vom 10. August 1978 IV B 41/77, BFHE 125, 356, BStBl II 1978, 584). Das Gericht der Hauptsache kann daher einen einmal ergangenen Beschluss jederzeit ändern oder aufheben (§ 69 Abs. 6 Satz 1 FGO). Die Beteiligten können die Aufhebung oder Änderung jedoch nur wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen (§ 69 Abs. 6 Satz 2 FGO). Dadurch wird verhindert, dass sich das Gericht wiederholt mit denselben Aussetzungsbegehren befassen muss. Diese Einschränkung gilt erst recht in der Revisionsinstanz; andernfalls könnte durch wiederholte Aussetzungsanträge die Vorschrift des § 128 Abs. 3 FGO unterlaufen werden, nach der die Beschwerde gegen die Entscheidung des FG über den Antrag auf AdV nur statthaft ist, wenn das FG sie zugelassen hat (BFH-Beschluss vom 17. Oktober 2001 IV S 2/01, BFH/NV 2002, 218, m.w.N.; Gosch in Beermann/Gosch, FGO § 69 Rz 331.1).

18

bb) Die hiernach zu fordernden Voraussetzungen für die Zulässigkeit eines wiederholten Antrags auf AdV liegen im Streitfall nicht vor. Das FG hat mehrfach frühere Aussetzungsanträge der Antragstellerin rechtskräftig abgelehnt. Seither sind keine veränderten Umstände i.S. des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO eingetreten. Das finanzgerichtliche Urteil selbst ist in Bezug auf zurückliegende Zeiträume kein solcher Umstand. Dies gilt nicht nur im Fall eines klageabweisenden und vom Antragsteller mit einer Revision angefochtenen Urteils (BFH-Beschluss vom 2. Juni 2005 III S 12/05, BFH/NV 2005, 1834), sondern auch in dem hier gegebenen Fall, dass das Urteil zugunsten des Antragstellers ausgefallen ist und vom FA mit der Revision angefochten wird.

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

Tatbestand

1

I. Mit Beschluss vom 30. Juni 2011  2 V 332/11 hatte das Finanzgericht (FG) einen Antrag des Klägers, Revisionsklägers und Antragstellers (Antragsteller) auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) der Umsatzsteuer-Änderungsbescheide 1998 bis 2001 vom 21. Juni 2007 abgelehnt, ohne die Beschwerde zum Bundesfinanzhof (BFH) zuzulassen.

2

Die Klage in derselben Sache wies das FG mit --dem am 10. April 2013 zugestellten-- Urteil vom 20. Februar 2013  2 K 1037/10 als unbegründet ab, ließ jedoch die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) zu, und zwar im Hinblick auf die Frage des Umfangs eines möglichen Zeugenbeweises bei vollständigem Verlust sämtlicher Belege.

3

Der Antragsteller legte mit Schriftsatz vom 7. Mai 2013 Revision ein (V R 23/13) und beantragte mit Schreiben vom 8. Juli 2013 beim BFH die AdV der Umsatzsteuerbescheide 1998 bis 2001.

4

Der Antragsteller ist der Auffassung, es lägen veränderte Umstände i.S. des § 69 Abs. 6 FGO vor: Das FG sei ursprünglich davon ausgegangen, dass für die Anerkennung des Vorsteuerabzugs bei Verlust sämtlicher Belege eine nach Streitjahren getrennte Aufstellung vorzulegen sei, aus welchen Lieferungen und Leistungen der Vorsteuerabzug begehrt werde. Hierzu müssten Angaben zum Leistungsgegenstand, Leistungszeitpunkt und zur Höhe des Entgelts gemacht werden. Auf der Grundlage der Diskussion in der mündlichen Verhandlung sei das FG insoweit von dieser Auffassung abgerückt, als es --trotz Abweisung der Klage-- hinsichtlich der Frage des Umfangs des Zeugenbeweises ausdrücklich die Revision zum BFH zugelassen habe. Durch die Zulassung der Revision seien veränderte Umstände gegeben, die eine AdV rechtfertigen.

5

An der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung bestünden ernstliche Zweifel, da das Urteil des FG formelles und materielles Bundesrecht verletze.

Entscheidungsgründe

6

II. Der Antrag auf AdV ist unzulässig.

7

1. Das Gericht der Hauptsache kann nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO auf Antrag die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen und nach § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO Aussetzungsbeschlüsse über Anträge nach § 69 Abs. 3 FGO jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen (§ 69 Abs. 6 Satz 2 FGO).

8

a) Da die Entscheidung des Gerichts über einen Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO nicht in materieller Rechtskraft erwächst, steht es dem Antragsteller frei, jederzeit einen neuen Antrag zu stellen. Die Zulässigkeit eines solchen Folgeantrags ist allerdings an die Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO gebunden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 24. Februar 2005 VIII B 216/03, BFH/NV 2005, 1328 Leitsatz 1; vom 18. September 1996 I B 39/96, BFH/NV 1997, 247; vom 25. März 1998 IX S 27/97, BFH/NV 1998, 1115; vom 13. Oktober 1999 I S 4/99, BFHE 190, 34, BStBl II 2000, 86; vom 24. August 2004 VIII S 1/04, juris). Eine erneute Entscheidung in der Sache kann der Antragsteller also nur wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände herbeiführen.

9

b) Diese Einschränkung gilt auch dann, wenn in der Hauptsache inzwischen ein Verfahren beim BFH als dem Gericht der Hauptsache anhängig ist und der erneute Antrag deshalb beim BFH gestellt wird. Es wäre nicht gerechtfertigt, den Beteiligten allein wegen des zwischenzeitlich eingetretenen Zuständigkeitswechsels eine Rechtsschutzmöglichkeit zu eröffnen, die das Gesetz ihnen gegenüber dem erstinstanzlichen Gericht versagt. Andernfalls könnte durch wiederholte Aussetzungsanträge die Vorschrift des § 128 Abs. 3 FGO unterlaufen werden, nach der die Beschwerde gegen den eine Aussetzung ablehnenden Beschluss des FG nur statthaft ist, wenn das FG sie zugelassen hat (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1998, 1115; vom 4. November 1996 IX S 7/96, BFH/NV 1997, 492). Diese Regelung zielt darauf ab, dass ein einmal vom FG entschiedenes Verfahren auf AdV nicht ohne Zutun des FG an den BFH herangetragen werden soll. Damit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn eine Anfechtung der in der Hauptsache ergangenen FG-Entscheidung eine solche Möglichkeit letztlich doch eröffnen würde. Hierdurch könnte die vom Gesetz vorgegebene grundsätzliche Beschränkung des einstweiligen Rechtsschutzes auf eine Instanz für eine Vielzahl von Fällen unterlaufen werden (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1998, 1115). Im Ergebnis kann deshalb auch ein --zutreffenderweise beim BFH gestellter-- erneuter Antrag auf AdV nur nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO statthaft sein (vgl. BFH-Beschluss vom 24. August 2004 VIII S 1/04, juris).

10

c) Da der BFH als Gericht der Hauptsache sowohl für die Entscheidung über einen neuen Antrag als auch für die Änderung oder Aufhebung des vom FG erlassenen Beschlusses zuständig ist (vgl. Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 69 FGO Rz 1194; Gosch in Beermann/Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, § 69 FGO Rz 335; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rz 164) und für beide Anträge dieselbe Einschränkung des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO gilt, kann der Senat offen lassen, ob das Rechtsschutzbegehren des Klägers als Aussetzungs- oder Änderungsantrag auszulegen ist.

11

2. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO liegen im Streitfall nicht vor.

12

a) Nach dieser Vorschrift ist die Zulässigkeit des Antrags von veränderten Umständen (Alt. 1) oder von zwar unveränderten Umständen abhängig, die aber im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemacht worden sind (Alt. 2). "Umstände" in diesem Sinne können Tatsachen und Beweismittel sein, die nach Ablehnung der AdV entstanden oder bekannt geworden sind. Dasselbe gilt, wenn eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage inzwischen höchstrichterlich (anders) entschieden worden oder inzwischen ein die entscheidungserhebliche Rechtsfrage betreffender Vorlagebeschluss ergangen ist (vgl. Koch in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 69 Rz 199; Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 69 FGO Rz 166, jeweils m.w.N.).

13

b) Der Antragsteller hat nicht vorgetragen und es ist auch den Akten nicht zu entnehmen, dass im Anschluss an die AdV-Entscheidung des FG vom 30. Juni 2011 Umstände eingetreten oder erkennbar geworden wären, die den entscheidungserheblichen Sachverhalt oder die maßgebliche Rechtslage in einem neuen Licht erscheinen ließen. Seit dem 30. Juni 2011 haben sich weder die entscheidungserheblichen Normen des Umsatzsteuergesetzes --UStG-- (§§ 14, 15 UStG) geändert noch ist eine Entscheidung des BFH ergangen, nach der sich die Rechtslage für die Beurteilung der Frage nach einer Anerkennung des Vorsteuerabzugs bei Verlust sämtlicher Belege anders als bisher darstellt.

14

c) Eine Änderung der maßgeblichen Rechtslage kann --entgegen der Ansicht des Antragstellers-- auch nicht darin gesehen werden, dass das FG die Revision zum BFH wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zugelassen hat. Abgesehen davon, dass selbst eine gegenüber dem Aussetzungsbeschluss veränderte rechtliche Beurteilung durch das FG im Hauptsacheverfahren hierfür nicht genügen würde (vgl. Dumke in Schwarz, Kommentar zur FGO, § 69 Rz 112a; Gosch in Beermann/Gosch, a.a.O., § 69 FGO Rz 331), ist das FG im Hauptsacheverfahren bei seiner Rechtsansicht geblieben und hat die Klage demgemäß abgewiesen. Die Zulassung der Revision durch das FG ermöglicht dem BFH zwar eine entscheidungserhebliche Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, stellt selbst aber noch keine Änderung der maßgeblichen Rechtslage i.S. des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO dar.

Tatbestand

1

I. Der Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) betrieb in den Streitjahren 2003 bis 2006 ein Fotolabor in gemieteten Räumen.

2

Nach den --im Wesentlichen unstreitigen-- Feststellungen einer Betriebsprüfung war u.a. die Buchführung in den Streitjahren nicht ordnungsgemäß. Weiterhin war nach Ansicht des Prüfers der Vorsteuerabzug aus den Mietzahlungen nicht anzuerkennen, weil die Miete nur unregelmäßig gezahlt worden sei. Daran vermochte auch eine nachträglich vom Antragsteller beigebrachte "Aufstellung" des Vermieters vom 10. Juli 2009 "über die Mieten, die für die Räume ... in den vergangenen Jahren zu zahlen waren" und die insbesondere auch die Streitjahre umfasste, sowie eine weitere Aufstellung des Vermieters vom 5. August 2009, nichts zu ändern.

3

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt  -FA-) schloss sich den Schlussfolgerungen des Prüfers an und erließ am 26. Juli 2011 entsprechend geänderte Umsatzsteuerbescheide. Gegen die Änderungsbescheide legte der Antragsteller fristgerecht Einspruch ein, über den das FA noch nicht entschieden hat. Einen zugleich gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) lehnte das FA ab. Dem hiergegen eingelegten Einspruch des Antragstellers half das FA nur zu einem geringen Teil ab.

4

Das Finanzgericht (FG) gab dem daraufhin bei ihm gestellten Antrag auf AdV mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 1115 veröffentlichten Beschluss überwiegend statt. Über die bereits durch das FA verfügte AdV hinaus seien die Umsatzsteuerbeträge aus einer um 10.600 € niedrigeren Zuschätzung pro Jahr zu ermitteln und die Umsatzsteuer damit um jährlich 1.696 € zu vermindern; in dieser Höhe sei AdV zu gewähren. Es bestünden ferner ernstliche Zweifel daran, dass der Vorsteuerabzug für die Mieten der Geschäftsräume vollständig versagt werden durfte. Bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung könnten die Bestätigungen des Vermieters über die geschuldete und insgesamt zu zahlende Miete unter Berücksichtigung des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 15. Juli 2010 C 368/09  --Pannon Gép--   (Slg. 2010, I 7467, Umsatzsteuer-Rundschau  -UR-  2010, 693) ausreichend sein, um die Angaben im Mietvertrag so zu konkretisieren, dass ein Vorsteuerabzug erfolgen könne. Der Höhe nach sei die AdV entsprechend diesen Aufstellungen zu gewähren. Das gelte aber nur für die Kaltmieten, da nur für diese nach dem Mietvertrag Umsatzsteuer geschuldet werde.

5

Hiergegen wendet sich das FA mit der vom FG zugelassenen Beschwerde. Nach der ständigen Rechtsprechung reiche ein Miet-  oder Pachtvertrag, in dem lediglich das Entgelt und die Umsatzsteuer für eine (monatliche) Teilleistung i.S. des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) ausgewiesen seien, nur dann für den Vorsteuerabzug aus, wenn die Leistungsabschnitte durch monatliche Zahlungsaufforderungen oder Bankbelege konkretisiert würden. Die Funktion als rechnungsergänzende Unterlage könnten danach nur schriftliche Belege erfüllen. Derartige Belege hätten hinsichtlich der monatlichen Teilleistungen zum Zeitpunkt der Betriebsprüfung aber nicht vorgelegen.

6

Das FA beantragt,

den Beschluss des FG vom 16. Februar 2012 aufzuheben, soweit dort AdV auch hinsichtlich des streitigen Vorsteuerabzugs für die Mieten der Geschäftsräume gewährt worden ist, und zwar in Höhe von 6.034,92 € für 2003, 6.034,92 € für 2004, 3.004,32 € für 2005 und 2.398,32 € für 2006, und den Antrag insoweit als unbegründet zurückzuweisen.

7

Der Antragsteller hat keine Stellungnahme abgegeben und keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

8

II. Die gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässige Beschwerde des FA ist begründet. Unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses in dem vom FA begehrten Umfang wird das Verfahren insoweit an das FG zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

9

1. Nach § 128 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen bereits dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung seit dem Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; BFH-Beschluss vom 8. April 2009 I B 223/08, BFH/NV 2009, 1437). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (vgl. BFH-Beschluss vom 7. September 2011 I B 157/10, BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590, Rz 12, m.w.N.). Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (BFH-Beschluss in BFHE 235, 215, BStBl II 2012, 590, Rz 12).

10

2. Ob sich aus dem EuGH-Urteil  --Pannon Gép-- (Slg. 2010, I 7467, UR 2010, 693) für den Fall der Rechnungsberichtigung eine Rückwirkung auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungserteilung ergibt, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden und finanzgerichtlich sowie im Schrifttum umstritten (vgl. BFH-Beschluss vom 20. Juli 2012 V B 82/11, BFHE 237, 545, BStBl II 2012, 809, Rz 24 ff.). Dies bedarf vorliegend aber keiner Entscheidung. Denn das FG hat verkannt, dass die "Aufstellung" des Vermieters vom 10. Juli 2009 allenfalls dann eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnungsberichtigung für die Streitjahre darstellen könnte, wenn für die Streitjahre bereits erste, wenn auch unvollständige oder unrichtige Rechnungen ausgestellt worden waren, die berichtigt werden könnten. Die Rechnungsberichtigung ist von einer erstmaligen Rechnungserteilung abzugrenzen (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 237, 545, BStBl II 2012, 809, Rz 33).

11

3. Nach der Rechtsprechung des BFH kann die gesonderte Inrechnungstellung von Umsatzsteuer, die gemäß den in den Streitjahren anzuwendenden Vorschriften des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 2003 bzw. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sätze 1 und 2 UStG 2004 beim Rechnungsempfänger zum Vorsteuerabzugsanspruch führen kann, zwar grundsätzlich auch Bestandteil eines Vertrags sein.

12

a) Hinsichtlich der Anerkennung eines Vertrags als (für Zwecke des Vorsteuerabzugs vollständiges) Abrechnungspapier ist aber Zurückhaltung geboten (vgl. BFH-Beschluss vom 7. Juli 1988 V B 72/86, BFHE 154, 197, BStBl II 1988, 913, unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 4. März 1982 V R 55/80, BFHE 135, 133, BStBl II 1982, 317). Denn im Hinblick auf die besondere steuerrechtliche Verantwortung des Ausstellers muss die Inrechnungstellung von Umsatzsteuer in solchen Fällen  --wie auch sonst-- eindeutig, klar und in jedem Falle unbedingt sein. Einerseits verschafft der Abrechnende dem Empfänger der Abrechnung eine der Vorsteuerabzugsvoraussetzungen i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG, andererseits schuldet er nach in den Streitjahren geltenden § 14 Abs. 2 und 3 UStG (2003) bzw. § 14c UStG (2004) den ausgewiesenen Steuerbetrag.

13

Maßgeblich ist, dass sich aus den in dem entsprechenden Abrechnungspapier enthaltenen Angaben tatsächlicher Art --ggf. unter Heranziehung weiterer Erkenntnismittel-- entnehmen lässt, welche konkret bestimmten Leistungen dem begehrten Anspruch auf Vorsteuerabzug zugrunde liegen (BFH-Urteil vom 24. September 1987 V R 50/85, BFHE 153, 65, BStBl II 1988, 688, unter II.5. a.E.).

14

b) Bei Verträgen über --wie im Streitfall-- Dauerleistungen (z.B. Mietverträgen) wird nach der Rechtsprechung der abgerechnete Leistungsgegenstand, nämlich die Vermietung für einen bestimmten Zeitraum (z.B. Monat), als Teilleistung i.S. von § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Sätze 2 und 3 UStG erst durch die monatlichen Zahlungsaufforderungen oder -belege konkretisiert. Erst damit erhält die im Vertrag vereinbarte Monatsmiete (einschließlich gesondert ausgewiesenem Umsatzsteuerbetrag) die erforderlichen tatsächlichen Ergänzungen, aufgrund derer eine für den Vorsteuerabzug ausreichende Leistungsbeschreibung angenommen werden kann (vgl. BFH-Entscheidungen in BFHE 154, 197, BStBl II 1988, 913; vom 9. September 1993 V R 42/91, BFHE 173, 231, BStBl II 1994, 269; vom 7. November 2000 V R 49/99, BFHE 194, 270, BStBl II 2008, 493; vom 4. Februar 2008 V B 170/06, BFH/NV 2008, 829).

15

Ohne Konkretisierung stellt ein auf eine Dauerleistung gerichteter Vertrag allein keine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung über einen bestimmten Leistungsgegenstand dar. Erst ab dem Zeitpunkt, ab dem die gebotene Konkretisierung erfolgt ist, sei es durch eine monatliche Zahlungsaufforderung oder durch andere Zahlungsbelege, kann vom --erstmaligen-- Vorliegen einer zum Vorsteuerabzug berechtigenden Rechnung gesprochen werden.

16

4. Im Streitfall hat das FG für die Streitjahre zwar --zu Recht-- das Vorliegen eines Mietvertrags festgestellt, in dem die auf die Mietzahlungen entfallende Umsatzsteuer offen ausgewiesen wird, nicht aber das Vorliegen der vorbezeichneten Belege, die erst die notwendige Konkretisierung der erbrachten Leistung herbeiführen könnten. Ob --wie es das FG für möglich gehalten hat-- die erst nachträglich angefertigte Aufstellung des Vermieters vom 10. Juli 2009 als ein den Anforderungen der Rechtsprechung genügender Zahlungsbeleg angesehen werden könnte, kann dahinstehen, denn sie stellt jedenfalls nicht die gebotene Konkretisierung des Leistungsgegenstands in den Streitjahren dar.

17

Die Aufstellung kann auch nicht als ein auf die Streitjahre zurückwirkender Zahlungsbeleg in dem Sinne verstanden werden, dass damit die für den Vorsteuerabzug notwendige Konkretisierung des Leistungsgegenstands als --rückwirkend-- bereits in den Streitjahren erbracht anzusehen wäre. Denn dies stünde im Widerspruch zu § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 2003 bzw. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sätze 1 und 2 UStG 2004, wonach die Ausübung des Vorsteuerabzugs voraussetzt, dass der Unternehmer im Abzugsjahr eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt, die bei einem Mietvertrag, in dem ein monatliches Mietentgelt zzgl. Umsatzsteuer vereinbart ist, wiederum nur in Verbindung mit entsprechenden monatlichen Abrechnungsbelegen (z.B. Bankbelegen) zu bejahen ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE 194, 270, BStBl II 2008, 493).

18

5. Der Senat kann nicht entscheiden, ob eine Vollziehungsaussetzung für die Streitjahre insoweit in Betracht kommt, als das FA den Vorsteuerabzug mit der Begründung zur Gänze versagt hat, die Miete sei nicht regelmäßig monatlich gezahlt worden, der zeitliche Umfang der Leistung sei nicht leicht und eindeutig erkennbar, es sei kein Steuerausweis vorgenommen worden und Zahlungen seien in nicht unerheblichem Umfang bar vorgenommen worden.

19

a) Zwar ergeht die Entscheidung über einen Antrag auf AdV wegen dessen Eilbedürftigkeit aufgrund des Prozessstoffs, der sich aus den dem Gericht vorliegenden Unterlagen, insbesondere den Akten und den präsenten Beweismitteln ergibt, aus denen das Gericht seine Feststellungen zum Sachverhalt zu treffen hat und es besteht im Beschwerdeverfahren für den BFH als Tatsachengericht grundsätzlich selbst die Befugnis und Pflicht zur Tatsachenfeststellung.

20

Dies steht aber nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. z.B. Beschluss vom 3. März 2009 X B 197/08, BFH/NV 2009, 961) einer Zurückverweisung des Verfahrens zur ergänzenden Tatsachenfeststellung durch das FG nach den §§ 132, 155 FGO i.V.m. § 572 Abs. 3 der Zivilprozessordnung nicht entgegen, wenn nach den Umständen des Einzelfalls die Feststellungen besser durch das FG getroffen werden können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der BFH als Revisions- und Beschwerdegericht in erster Linie die Aufgabe hat, die Entscheidungen der Finanzgerichte zu überprüfen, wohingegen die Finanzgerichte dem Rechtsuchenden den ersten Zugang zum Richter zu bieten haben (BFH-Beschluss in BFHE 237, 545, BStBl II 2012, 809, Rz 31).

21

b) Danach ist die Sache an das FG zur ergänzenden Tatsachenfeststellung zurückzuverweisen. Denn den Unterlagen der Betriebsprüfung, auf die das FG nicht eingegangen ist, ist zu entnehmen, dass Belege vorgelegen haben und tatsächliche Zahlungen in nennenswertem Umfang vorgenommen worden sind. Dem Senat ist es weder anhand der vorliegenden Akten noch anhand der präsenten Beweismittel mit vertretbarem Aufwand möglich festzustellen, in welchem Umfang damit die erforderlichen tatsächlichen Ergänzungen vorliegen, anhand deren eine für den Vorsteuerabzug ausreichende Leistungsbeschreibung angenommen werden kann (vgl. BFH-Entscheidungen in BFHE 194, 270, BStBl II 2008, 493; in BFH/NV 2008, 829). Insoweit war der Beschluss des FG aufzuheben und die Sache an das FG zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen.

22

Das FG wird bei der weiteren Prüfung zu beachten haben, dass Miet- und Pachtverträge --wie ausgeführt-- zwar nur dann für den Vorsteuerabzug ausreichen, wenn die Leistungsabschnitte durch schriftliche Unterlagen ergänzt werden, aus denen sich leicht und eindeutig der zeitliche Umfang der Leistungen ergibt. Daraus folgt aber nicht, dass Belege über unregelmäßige monatliche Zahlungen nicht geeignet sein könnten, Auskunft über den zeitlichen Umfang der zugrunde liegenden Leistungen zu geben. Dem Umstand, dass die Miete nur unregelmäßig gezahlt worden ist, lässt sich jedenfalls nicht entnehmen, dass die gebotene Konkretisierung hinsichtlich der in dem Mietvertrag vereinbarten Mietzahlungen unmöglich wäre. Entsprechen die belegten tatsächlichen Zahlungen den in dem Vertrag vereinbarten, so erscheint es ferner unerheblich, ob die Umsatzsteuer in dem Zahlungsbeleg offen ausgewiesen wird; denn der Beleg soll nach der Rechtsprechung lediglich Nachweis über den abgerechneten Leistungsgegenstand erbringen.

Tatbestand

1

I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) ist als Schadensregulierer bei Unfällen mit Kraftfahrzeugen, die bei ausländischen Versicherungsgesellschaften versichert sind, tätig. Nach dem in dieser Streitsache ergangenen Beschluss des Finanzgerichts (FG) war "Auftraggeber" der Antragstellerin ein inländischer Verein, bei dem es sich um eine Einrichtung der deutschen Autohaftpflichtversicherer zur Abwicklung von Autohaftpflichtfällen im Rahmen des sog. Grüne-Karte-Systems handelt. Dabei übernahm der Verein die Pflichten eines Haftpflichtversicherers für ausländische Kraftfahrzeuge in Deutschland. Der Verein regulierte die Schadensfälle nicht selbst, sondern übertrug die Abwicklung des Falles insbesondere privaten Schadensregulierern wie z.B. der Antragstellerin, die dann "im Auftrage" des Vereins tätig wurden.

2

Die Antragstellerin hatte für die Streitjahre (2005 bis 2008) Umsatzsteuer-Voranmeldungen abgegeben und darin ihre Umsätze als Schadensregulierer nicht der Umsatzsteuer unterworfen, da sich der Ort ihrer Leistungen nicht im Inland befunden habe. Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung für die Voranmeldungszeiträume Januar 2007 bis Mai 2007 ging der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) demgegenüber davon aus, dass die Tätigkeit der Antragstellerin lediglich Verwaltungscharakter gehabt habe und mit der Tätigkeit eines Rechtsanwalts nicht vergleichbar sei, so dass die von der Antragstellerin erbrachten Leistungen Inlandsumsätze seien. Das FA erhöhte dementsprechend die steuerpflichtigen Inlandsumsätze unter Verminderung der nichtsteuerbaren Auslandsumsätze für die Streitjahre 2005 bis 2008 in den Umsatzsteueränderungsbescheiden vom 22. November 2010 in Höhe von insgesamt 141.940 €. Dabei versagte das FA für das Streitjahr 2007 auch den Vorsteuerabzug aus Eingangsleistungen im Zusammenhang mit zwei steuerpflichtigen Mietverhältnissen, da die dem Vorsteuerabzug zugrunde liegenden Rechnungen fehlerhaft gewesen seien.

3

Gegen die Änderungsbescheide legte die Antragstellerin am 23. Dezember 2010 Einspruch ein, über den das FA noch nicht entschieden hat. Einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) lehnte das FA ab. Auch hiergegen legte die Antragstellerin Einspruch ein, dem das FA nur insoweit abhalf, als es die bisher als nichtsteuerbar behandelten Auslandsumsätze nicht mehr als Entgelt, sondern als Gegenleistung für steuerpflichtige Inlandsleistungen ansah und AdV in Höhe von 27.702,78 € gewährte.

4

Das FG gab daraufhin dem bei ihm hinsichtlich der weiteren Steuernachforderung gestellten Antrag auf AdV mit seinem in "Entscheidungen der Finanzgerichte" (EFG) 2011, 1930 veröffentlichten Beschluss ganz überwiegend statt. Ein Unternehmen, das für ausländische Versicherungsunternehmen die Schadensregulierung bei Kraftfahrzeugunfällen im Inland vornehme, erbringe Rechtsdienstleistungen i.S. von § 2 Abs. 1 des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) und übe damit eine anwaltsähnliche Tätigkeit i.S. von § 3a Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 Nr. 3 des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG) aus. Eine "ähnliche Leistung" i.S. des § 3a Abs. 4 Nr. 3 UStG könne auch vorliegen, wenn sie keine Beratungsleistung darstelle. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin habe die Rechnungsberichtigung nach § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG i.V.m. § 31 Abs. 5 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) für die Vorsteuerkorrektur aber nur ex nunc-Wirkung. Der erst nach Ablauf der Streitjahre erfolgten Rechnungskorrektur komme daher keine Rückwirkung zu.

5

Hiergegen wendet sich das FA mit der vom FG zugelassenen Beschwerde. Die Tätigkeit der Antragstellerin sei nicht mit der eines Rechtsanwalts vergleichbar. Sie könne keine Interessenvertretung übernehmen und sei kein Organ der Rechtspflege. Die von der Antragstellerin nur rudimentär vorgenommene rechtliche Beurteilung sei nur eine Nebenleistung.

6

Das FA beantragt,
den Beschluss des FG aufzuheben und den Antrag in vollem Umfang als unbegründet zurückzuweisen.

7

Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässige Beschwerde des FA ist überwiegend begründet. Unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses wird der Antrag auf AdV zur Umsatzsteuer 2005, 2006 und 2008 als unbegründet zurückgewiesen. Im Übrigen wird das Verfahren an das FG zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Entgegen dem Beschluss des FG bestehen keine ernstlichen Zweifel an der inländischen Steuerpflicht der durch die Antragstellerin erbrachten Leistungen bei der Schadensregulierung. Der Senat kann aber für das Streitjahr 2007 nicht abschließend entscheiden, ob ernstliche Zweifel an der Versagung des Vorsteuerabzugs bestehen.

9

1. Nach § 128 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen bereits dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung seit dem Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; BFH-Beschluss vom 8. April 2009 I B 223/08, BFH/NV 2009, 1437). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (vgl. BFH-Beschluss vom 7. September 2011 I B 157/10, BFH/NV 2012, 95, unter II.2., m.w.N.). Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (BFH-Beschluss in BFH/NV 2012, 95, unter II.2.).

10

2. Entgegen dem Beschluss des FG bestehen keine ernstlichen Zweifel am Vorliegen eines inländischen Leistungsorts gemäß § 3a Abs. 1 UStG. Die Voraussetzungen für eine hiervon abweichende Ortsbestimmung gemäß § 3a Abs. 4 Nr. 3 UStG liegen entgegen dem Beschluss des FG nicht vor, da die Leistungen der Antragstellerin bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht als ähnliche Beratungsleistungen im Sinne dieser Vorschrift anzusehen sind.

11

a) Nach § 3a Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Nr. 3 UStG in seiner in den Streitjahren geltenden Fassung wurden die sonstigen Leistungen aus der Tätigkeit als Rechtsanwalt, Patentanwalt, Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer, Sachverständiger, Ingenieur, Aufsichtsratsmitglied, Dolmetscher und Übersetzer sowie ähnliche Leistungen anderer Unternehmer, insbesondere die rechtliche, wirtschaftliche und technische Beratung dort ausgeführt, wo der Empfänger sein Unternehmen betreibt. § 3a Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Nr. 3 UStG ist entsprechend dem ihm unionsrechtlich zugrunde liegenden Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dritter Gedankenstrich der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) auszulegen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 9. Februar 2012 V R 20/11, juris). Danach gilt als Ort der Leistungen von Beratern, Ingenieuren, Studienbüros, Anwälten, Buchprüfern und sonstiger ähnlicher Leistungen sowie der Datenverarbeitung und der Überlassung von Informationen der Ort, an dem der Empfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat. Für die Streitjahre 2007 und 2008 folgt dies aus Art. 56 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG (MwStSystRL).

12

b) Der Senat braucht im Streitfall nicht zu entscheiden, ob die Anwendung von § 3a Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Nr. 3 UStG im Streitfall bereits daran scheitert, dass der Verein als "Auftraggeber" im Inland Empfänger der von der Antragstellerin erbrachten Leistungen war (zur Bestimmung der Person des Leistungsempfängers nach dem der Leistung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis vgl. z.B. BFH-Urteil vom 18. Februar 2009 V R 82/07, BFHE 225, 198, BStBl II 2009, 876, unter II.2.a aa). Unabhängig hiervon kommt die Anwendung des Empfängerortprinzips nicht in Betracht, da die Antragstellerin keine sonstige Leistung i.S. von § 3a Abs. 4 Nr. 3 UStG erbracht hat.

13

aa) Der bei richtlinienkonformer Auslegung von § 3a Abs. 4 Nr. 3 UStG zu berücksichtigende Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dritter Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG bezieht sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) nicht auf Berufe, sondern "zieht die in dieser Bestimmung aufgeführten Berufe heran, um die dort angesprochenen Arten von Leistungen zu definieren" (EuGH-Urteile vom 16. September 1997 C-145/96, von Hoffmann, Slg. 1997, I-4857 Rdnr. 15, und vom 7. Oktober 2010 C-222/09, Kronospan Mielec, BFH/NV 2010, 2377 Rdnr. 19). Dabei muss es sich um Leistungen handeln, die hauptsächlich und gewöhnlich im Rahmen eines dieser Berufe erbracht werden (EuGH-Urteile von Hoffmann in Slg. 1997, I-4857 Rdnr. 16, und Kronospan Mielec in BFH/NV 2010, 2377 Rdnr. 20; BFH-Urteil vom 10. November 2010 V R 40/09, BFH/NV 2011, 1026, unter II.1.c).

14

Darüber hinaus bezieht sich der Begriff der sonstigen ähnlichen Leistungen i.S. von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dritter Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG nicht auf ein Element, das den in dieser Bestimmung aufgeführten unterschiedlichen Tätigkeiten gemeinsam ist, sondern auf Leistungen, die irgendeiner dieser Tätigkeiten --bei gesonderter Betrachtung-- ähnlich sind. Dabei ist eine Leistung dann einer in dieser Bestimmung aufgeführten Tätigkeit ähnlich, wenn beide Tätigkeiten dem gleichen Zweck dienen (vgl. EuGH-Urteile vom 6. März 1997 C-167/95, Linthorst, Pouwels en J. Scheren, Slg. 1997, I-1195 Rdnrn. 19 bis 22; von Hoffmann in Slg. 1997, I-4857 Rdnrn. 20 und 21, und vom 6. Dezember 2007 C-401/06, Kommission/Deutschland, Slg. 2007, I-10609 Rdnr. 31). Dies ist bei der richtlinienkonformen Auslegung der Tatbestandsmerkmale "rechtliche, wirtschaftlich und technische Beratung gemäß § 3a Abs. 4 Nr. 3 UStG" zu berücksichtigen.

15

Danach entsprechen z.B. die Leistungen eines Testamentsvollstreckers nicht denen eines Rechtsanwalts. Denn während die Leistungen des Rechtsanwalts vor allem der Rechtspflege dienen, sind die Leistungen der Testamentsvollstrecker wirtschaftlicher Art und dienen der Bewertung und Verteilung des Vermögens des Erblassers sowie dem Schutz dieses Vermögens und der Fruchtziehung aus diesem (EuGH-Urteil Kommission/ Deutschland in Slg. 2007, I-10609 Rdnr. 39).

16

bb) Im Streitfall bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass ein von § 3a Abs. 1 UStG abweichender Leistungsort nach § 3a Abs. 4 Nr. 3 UStG aufgrund einer Ähnlichkeit mit einer Rechtsanwaltsleistung nicht in Betracht kommt. Denn die Rechtsanwaltsleistung wird durch das Handeln zur Rechtspflege geprägt, während die Leistungen der Antragstellerin bei der Schadensregulierung --ähnlich einer Testamentsvollstreckung-- eher wirtschaftlicher Art sind, dem Vermögensschutz der Versicherung dienen und insoweit Vermögensbetreuungscharakter haben.

17

cc) Für ihre Gegenauffassung kann sich die Antragstellerin auch nicht auf die vom FG gezogene Parallele zum RDG berufen. Der Senat hat im Streitfall nicht zu entscheiden, ob die Antragstellerin Rechtsdienstleistungen i.S. von § 2 Abs. 1 RDG erbracht hat und danach in konkreten fremden Angelegenheiten mit einer rechtlichen Prüfung des Einzelfalls tätig war.

18

Selbst wenn zugunsten der Antragstellerin unterstellt wird, dass sie Rechtsdienstleistungen i.S. von § 2 Abs. 1 RDG erbracht hat, scheitert eine Anwendung von § 3a Abs. 4 Nr. 3 UStG zu ihren Gunsten zumindest daran, dass Schwerpunkt ihrer Leistungstätigkeit keine Rechtsdienstleistungen sind, wie sie hauptsächlich und gewöhnlich im Rahmen einer Anwaltstätigkeit erbracht werden. Hierfür spricht bereits, dass der Antragstellerin die Erbringung von Rechtsdienstleistungen weder nach den §§ 6 ff. RDG als nicht registrierte Person noch nach den §§ 10 ff. RDG als registrierte Person erlaubt war. Sie durfte daher gemäß § 5 Abs. 1 RDG Rechtsdienstleistungen nur im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit erbringen, wenn die Rechtsdienstleistung als Nebenleistung zu einem "Berufs- oder Tätigkeitsbild" gehört, wobei sich das Vorliegen einer Nebenleistung nach ihrem Inhalt, dem Umfang und dem sachlichen Zusammenhang mit der Haupttätigkeit unter Berücksichtigung der Rechtskenntnisse, die für die Haupttätigkeit erforderlich sind, beurteilt.

19

Im Rahmen der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung ist dabei davon auszugehen, dass die Antragstellerin die ihr nach dem RDG zustehenden Befugnisse nicht überschritten hat. Soweit sie Rechtsdienstleistungen erbracht haben sollte, handelte es sich daher bei diesen nur um "Nebenleistungen" zu der Haupttätigkeit eines gewerblichen Schadensregulierers. Dass nur eine Nebenleistung und damit nur ein Teilaspekt mit einer durch Rechtsanwälte erbrachten Leistung vergleichbar ist, reicht indes zur Begründung einer ähnlichen Leistung nicht aus.

20

3. Der Senat kann demgegenüber nicht entscheiden, ob eine Vollziehungsaussetzung für das Streitjahr 2007 insoweit in Betracht kommt, als das FA den Vorsteuerabzug mit der Begründung versagt hat, der Antragstellerin seien für die von ihr bezogenen Leistungen unvollständige oder unrichtige Rechnungen ausgestellt worden und einer erst späteren Rechnungsberichtigung komme keine Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Rechnungserteilung zu. Insoweit war der Beschluss des FG aufzuheben und die Sache an das FG zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen.

21

a) Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG setzt die Ausübung des Vorsteuerabzugs voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Die Regelung beruht unionsrechtlich auf Art. 17 Abs. 2 Buchst. a und Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG sowie in den Streitjahren 2007 und 2008 auf Art. 168 Buchst. a und Art. 178 Buchst. a MwStSystRL.

22

b) Bei der Beantwortung der Frage, ob eine Rechnungsberichtigung mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungserteilung erfolgen kann, ist das Urteil des EuGH vom 15. Juli 2010 C-368/09, Pannon Gép (Slg. 2010, I-7467) zu berücksichtigen.

23

aa) Nach dem EuGH-Urteil Pannon Gép in Slg. 2010, I-7467 steht das Unionsrecht "einer nationalen Regelung oder Praxis entgegen, nach der die nationalen Behörden einem Steuerpflichtigen das Recht, den für ihm erbrachte Dienstleistungen geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuerbetrag von der von ihm geschuldeten Mehrwertsteuer als Vorsteuer abzuziehen, mit der Begründung absprechen, dass die ursprüngliche Rechnung, die zum Zeitpunkt der Vornahme des Vorsteuerabzugs in seinem Besitz war, ein falsches Datum des Abschlusses der Dienstleistung aufgewiesen habe und dass die später berichtigte Rechnung und die die ursprüngliche Rechnung aufhebende Gutschrift nicht fortlaufend nummeriert gewesen seien (...), wenn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt sind und der Steuerpflichtige der betreffenden Behörde vor Erlass ihrer Entscheidung eine berichtigte Rechnung zugeleitet hat, in der das zutreffende Datum des Abschlusses der genannten Dienstleistung vermerkt war, auch wenn diese Rechnung und die die ursprüngliche Rechnung aufhebende Gutschrift keine fortlaufende Nummerierung aufweisen".

24

bb) Ob sich hieraus eine Rückwirkung für den Fall der Rechnungsberichtigung auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungserteilung ergibt, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden und finanzgerichtlich sowie im Schrifttum umstritten.

25

(1) Mehrere FGs (Niedersächsisches FG, Urteil vom 25. Oktober 2010  5 K 425/08, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2011, 1337, Rev. eingelegt, Az. des BFH: XI R 41/10; ebenso Beschluss des FG Berlin-Brandenburg vom 22. Februar 2011  5 V 5004/11, EFG 2011, 1295; Urteil des FG Köln vom 13. Juli 2011  2 K 2695/10, juris, und Beschluss des FG Hamburg vom 6. Dezember 2011  2 V 149/11, sowie Huschens, Umsatz- und Verkehrsteuer-Recht --UVR-- 2010, 333; Meurer, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2010, 2442, und wohl auch Nieskens, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2010, 693) gehen davon aus, dass einer Rechnungsberichtigung auch unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils Pannon Gép in Slg. 2010, I-7467 keine Rückwirkung zukommt, da sich der EuGH nicht ausdrücklich zur Frage der Rückwirkung geäußert habe (Huschens, UVR 2010, 333, 335, und Meurer, DStR 2010, 2442, 2443), nach dem nationalen Recht des diese Rechtssache betreffenden Ausgangsverfahrens die Möglichkeit einer Rechnungskorrektur mit Rückwirkung bestehe (Huschens, UVR 2010, 333, 336) und § 31 Abs. 5 UStDV nur zum Ausdruck bringen solle, dass das Fehlen oder die Unrichtigkeit von Rechnungsangaben nicht zu einem endgültigen Verlust des Vorsteuerabzugs führt (Huschens, UVR 2010, 333, 336).

26

(2) Demgegenüber kann das EuGH-Urteil Pannon Gép in Slg. 2010, I-7467 unter Berücksichtigung des dieser Rechtssache zugrunde liegenden Sachverhalts auch dahingehend zu verstehen sein, dass das FA nicht berechtigt ist, den in dieser Rechtssache streitigen Vorsteuerabzug für das Jahr 2007 durch einen in 2009 ergangenen Nachforderungsbescheid zu versagen, wenn dem FA im Zeitpunkt des Erlasses dieses Bescheides eine bereits in 2008 erfolgte Rechnungsberichtigung vorliegt (für ernstliche Zweifel z.B. Beschluss des FG Nürnberg vom 7. Oktober 2010  2 V 802/2009, EFG 2011, 1113; Beschluss des FG des Saarlandes vom 16. Februar 2012  2 V 1343/11, EFG 2012, 1115, Beschwerde eingelegt, Az. des BFH: XI B 33/12; vgl. auch Martin, BFH/PR 2010, 388; Sterzinger, UR 2010, 700; Wäger, DStR 2010, 1478, und Wagner, UVR 2010, 311).

27

c) Ob einer Rechnungsberichtigung unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils Pannon Gép in Slg. 2010, I-7467 Rückwirkung auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungserteilung zukommen kann, hat der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung offengelassen (BFH-Urteil vom 2. September 2010 V R 55/09, BFHE 231, 332, BStBl II 2011, 235, unter II.5.). Diese Frage ist auch im Streitfall, der ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes betrifft, nicht abschließend zu entscheiden.

28

Für das Vorliegen der im Streitfall allein entscheidungserheblichen ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des vom FA festgesetzten Steueranspruchs trotz der vom FG angenommenen Rechnungsberichtigung spricht nun, dass eine derartige Rückwirkung mit dem Wortlaut des § 31 Abs. 5 UStDV vereinbar ist (vgl. Widmann, UR 2009, 249, 250; Widmann in Plückebaum/ Malitzky, UStG, § 14 Rz 114, und Wagner, in Sölch/Ringleb, UStG, § 14 Rz 484 ff.) und der EuGH in seinem Urteil Pannon Gép in Slg. 2010, I-7467 für eine vergleichbare Fallkonstellation ebenfalls eine Rückwirkung der Rechnungsberichtigung zu bejahen scheint.

29

Die gleichwohl an der Bedeutung des EuGH-Urteils Pannon Gép in Slg. 2010, I-7467 bestehenden Zweifel, wie z.B. die Frage, wie diese Entscheidung mit der EuGH-Rechtsprechung zu vereinbaren ist, nach der der erstmaligen Rechnungserteilung keine Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Leistungserbringung zukommt (EuGH-Urteil vom 29. April 2004 C-152/02, Terra Baubedarf-Handel, Slg. 2004, I-5583), lassen die ernstlichen Zweifel nicht entfallen. Insbesondere erscheint es durchaus möglich, dass der Steuerpflichtige entsprechend dem EuGH-Urteil Terra Baubedarf-Handel in Slg. 2004, I-5583 das Recht auf Vorsteuerabzug erst ausüben kann, wenn ihm eine Rechnung vorliegt, dass diese Rechnung bei Fehlern oder Unvollständigkeiten aber auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungserteilung berichtigt werden kann. Der von Huschens in UVR 2010, 333, 336 befürchtete Wertungswiderspruch, dass eine Rechnungsberichtigung zu einem Vorsteuerabzug mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Leistungserbringung führen könne, entsteht dann nicht.

30

d) Der Senat kann über die Frage, ob danach im Streitfall ernstliche Zweifel an dem festgesetzten Steueranspruch bestehen, gleichwohl nicht selbst entscheiden.

31

aa) Die Entscheidung über einen Antrag auf AdV ergeht wegen dessen Eilbedürftigkeit aufgrund des Prozessstoffs, der sich aus den dem Gericht vorliegenden Unterlagen, insbesondere den Akten und den präsenten Beweismitteln ergibt, aus denen das Gericht seine Feststellungen zum Sachverhalt zu treffen hat. Zwar besteht im Beschwerdeverfahren über die Ablehnung eines Antrags auf AdV durch das FG für den BFH als Tatsachengericht grundsätzlich selbst die Befugnis und Pflicht zur Tatsachenfeststellung. Dies steht aber nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 3. März 2009 X B 197/08, BFH/NV 2009, 961) einer Zurückverweisung des Verfahrens zur ergänzenden Tatsachenfeststellung durch das FG nach §§ 132, 155 FGO i.V.m. § 572 Abs. 3 der Zivilprozessordnung nicht entgegen, wenn nach den Umständen des Einzelfalls die Feststellungen besser durch das FG getroffen werden können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der BFH als Revisions- und Beschwerdegericht in erster Linie die Aufgabe hat, die Entscheidungen der FG zu überprüfen, wohingegen die FG dem Rechtsuchenden den ersten Zugang zum Richter zu bieten haben.

32

bb) Danach ist die Sache an das FG zur ergänzenden Tatsachenfeststellung zurückzuverweisen. Das FG hat zu den Mängeln der der Antragstellerin zunächst vorliegenden Rechnungen keinerlei Feststellungen getroffen. Im Streitfall ist es dem Senat auch weder anhand der vorliegenden Akten noch anhand der präsenten Beweismittel feststellbar, wie die Mängel, die die der Antragstellerin zunächst erteilten Rechnungen aufwiesen, später behoben worden sind.

33

Insoweit ist zu beachten, dass, wenn die Möglichkeit einer Rückwirkung der Rechnungsberichtigung auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungserteilung zu bejahen ist, die Rechnungsberichtigung aber von einer erstmaligen Rechnungserteilung abzugrenzen ist. Hierzu sind weitere Feststellungen zu treffen. Dabei kann das FG von der Berichtigung einer bereits zuvor erteilten Rechnung jedenfalls dann ausgehen, wenn das zunächst erteilte "Dokument", das später berichtigt werden soll, zumindest die Merkmale des Rechnungsbegriffs des § 14c UStG aufweist und daher Angaben zum Rechnungsaussteller, zum Leistungsempfänger, zur Leistungsbeschreibung, zum Entgelt und zur gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer enthält (BFH-Urteil vom 17. Februar 2011 V R 39/09, BFHE 233, 94, BStBl II 2011, 734, unter II.c bb ddd).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
I ZB 30/01
vom
7. Mai 2002
in dem Rechtsstreit
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 7. Mai 2002 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Erdmann und die Richter Dr. v. UngernSternberg
, Pokrant, Dr. Büscher und Dr. Schaffert

beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluß des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 19. Oktober 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 7.925,13 ? (= 15.520,-- DM) festgesetzt.

Gründe:


I. Der Kläger hat gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts vom 24. November 1999, das ihm am 14. Dezember 1999 zugestellt worden ist, durch seine Prozeßbevollmächtigten am 14. Januar 2000 per Telefax Berufung eingelegt. Nach dem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist teilte der stellver-
tretende Vorsitzende des Berufungssenats den Prozeûbevollmächtigten des Klägers mit, es sei beabsichtigt, die Berufung als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht rechtzeitig begründet worden sei. Auf dieses am 14. März 2000 zugestellte Schreiben hin beantragte Rechtsanwalt Dr. A. für den Kläger mit am 24. März 2000 eingegangenem Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, wobei er zugleich einen Abdruck der in seinen Akten befindlichen Berufungsbegründung vorlegte. Zur Begründung trug er vor, man habe, nachdem die Berufungsbegründung bereits am 7. Februar 2000 fertiggestellt und am 9. Februar 2000 geändert worden sei, in der Kanzlei zugewartet, ob der Kläger noch Änderungswünsche gehabt habe. Da dies bis zum Dienstende der Sekretariatsmitarbeiter am Tag des Fristablaufs nicht der Fall gewesen sei, habe er, Dr. A., soweit erinnerlich, die Berufungsbegründung an diesem Tag auf dem Nachhauseweg in den Nachtbriefkasten des Oberlandesgerichts eingeworfen. Die Richtigkeit dieser Angabe werde an Eides Statt versichert.
II. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe die Frist zur Berufungsbegründung versäumt, weil der entsprechende Schriftsatz erst am 24. März 2000 bei Gericht eingegangen sei, die Berufungsbegründungsfrist aber schon am 14. Februar 2000 geendet habe. Der Wiedereinsetzungsantrag des Klägers sei unbegründet, weil sich aus seinem Vortrag nicht hinreichend ergebe, daû eine unverschuldete Fristversäumung vorliege. Der Zusatz "soweit erinnerlich" in dem auffallend knappen Vorbringen seines Prozeûbevollmächtigten weise eine deutliche Einschränkung des Vorbringens auf. Offen bleibe insbesondere, ob sich der Prozeûbevollmächtigte an den geltend gemachten Vorgang mit der für eine
Wiedereinsetzung notwendigen Gewiûheit erinnere. Auûerdem gehe aus dem Vorbringen nicht deutlich hervor, ob sich der Prozeûbevollmächtigte beim Einwerfen der Sendung nochmals versichert habe, um welches Schriftstück es sich gehandelt habe.
Gegen diesen ihm am 6. November 2001 zugestellten Beschluû hat der Kläger durch seine Prozeûbevollmächtigten am 20. November 2001 Beschwerde eingelegt. Mit ihr greift er insbesondere die vom Berufungsgericht vorgenommene Würdigung der von seinem Prozeûbevollmächtigten Dr. A. abgegebenen Erklärung an.
III. Die gemäû § 519 b Abs. 2 Halbsatz 2, § 547, § 577 Abs. 2 Satz 1 und 2 ZPO a.F. statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und damit zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Die Berufung des Klägers wäre rechtzeitig begründet worden und damit zulässig, wenn - wie der Kläger vorbringt - davon auszugehen wäre, daû die Berufungsbegründungsschrift bereits am 14. Februar 2000 in den Nachtbriefkasten des Berufungsgerichts eingeworfen worden und nachfolgend im Bereich des Gerichts verlorengegangen war. Dem stünde der Umstand nicht entgegen, daû auf diesem Schriftsatz nach dem Vortrag des Klägers das gerichtliche Aktenzeichen gefehlt hat; denn aufgrund der in dem Schriftsatz enthaltenen Angaben über die Parteien des Rechtsstreits war seine Zuordnung zu dem mit der Berufungseinlegung eingeleiteten Rechtsstreit vor dem Oberlandesgericht gleichwohl ohne weiteres möglich.
2. Das Berufungsgericht hat den dem Kläger als Rechtsmittelführer insoweit obliegenden vollen Beweis (vgl. BGH, Beschl. v. 4.6.1992 - IX ZB 10/92, NJW-RR 1992, 1338, 1339; Beschl. v. 7.12.1999 - VI ZB 30/99, NJW 2000, 814; Urt. v. 24.4.2001 - VI ZR 258/00, NJW 2001, 2722, 2723, jeweils m.w.N.) aufgrund der Angaben in der eidesstattlichen Versicherung des Rechtsanwalts Dr. A. als nicht erbracht angesehen. In einem solchen Falle ist die insoweit gebotene Prüfung lediglich unter Heranziehung dieser Versicherung nicht möglich. Vielmehr könnte eine abschlieûende prozeûordnungsgemäûe Klärung der Frage, ob die Berufungsbegründung rechtzeitig bei Gericht eingereicht worden war, nur nach einer die volle Überzeugungsbildung ermöglichenden Beweiserhebung durch Vernehmung des Rechtsanwalts Dr. A. erfolgen. Zwar hat sich der Kläger im bisherigen Verfahren - wegen seines Irrtums, die vorgelegte Versicherung sei ausreichend - nicht auf die Vernehmung dieses Zeugen berufen. Indessen wäre bereits das Berufungsgericht, hätte es das aufgezeigte verfahrensrechtliche Erfordernis erkannt, von Amts wegen gehalten gewesen, den Kläger darauf hinzuweisen, daû zur Prüfung der Zulässigkeit seines Rechtsmittels das vorgelegte Glaubhaftmachungsmittel nicht ausreichte. Es hätte daher schon im Berufungsverfahren dem Kläger Gelegenheit gegeben werden müssen, Zeugenbeweis anzutreten (BGH NJW 2000, 814).
Bei dieser Sachlage sieht der Senat davon ab, das zur Klärung der Frage , ob die Berufung rechtzeitig begründet worden ist, erforderliche Beweisverfahren selbst durchzuführen. Vielmehr erscheint es angebracht, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, der auf dem aufgezeigten Verfahrensfehler beruhen kann, die Sache zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (BGH NJW 2000, 814 f.).
3. Das Berufungsgericht wird daher im wiedereröffneten Berufungsverfahren - einen entsprechenden Beweisantritt des Klägers vorausgesetzt - Rechtsanwalt Dr. A. als Zeugen zu der Frage zu vernehmen haben, ob dieser, wie der Kläger geltend macht, die Berufungsbegründung am 14. Februar 2000 in den Nachtbriefkasten des Berufungsgerichts eingeworfen hat. Sollte die durchzuführende Beweisaufnahme dieses nicht ergeben, wäre mit Blick auf die Regelung in § 85 Abs. 2 ZPO auch für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wie sie der Kläger beantragt hat, kein Raum.
Erdmann v. Ungern-Sternberg Pokrant
Büscher Schaffert

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 129/09
vom
24. Februar 2010
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO §§ 233 B, 236 Abs. 2 C
Wenn das Beschwerdegericht im Verfahren der Wiedereinsetzung einer eidesstattlichen
Versicherung keinen Glauben schenkt, muss es den Antragsteller darauf hinweisen
und entsprechenden Zeugenbeweis erheben (im Anschluss an den Senatsbeschluss
vom 11. November 2009 - XII ZB 174/08 - FamRZ 2010, 122).
BGH, Beschluss vom 24. Februar 2010 - XII ZB 129/09 - OLG Bremen
AG Bremen-Blumenthal
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Februar 2010 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, den Richter Prof. Dr. Wagenitz, die Richterin
Dr. Vézina und die Richter Dose und Dr. Klinkhammer

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des 5. Zivilsenats - Senat für Familiensachen - des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen vom 30. Juni 2009 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Beschwerdewert: 1.000 €

Gründe:

I.

1
Die Parteien streiten um den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich. Mit Beschluss vom 24. März 2009 hat das Amtsgericht den Antragsgegner verpflichtet , an die Antragstellerin eine monatliche Ausgleichsrente in Höhe von 1.154,50 € zu zahlen. Der Beschluss ist dem Antragsgegner am 30. März 2009 zugestellt worden. Mit einem am 7. Mai 2009 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz hat der Antragsgegner gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde eingelegt, diese zugleich begründet und wegen Versäumnis der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Dem Schriftsatz war zur Glaubhaftmachung eine eidesstattliche Versicherung der ReNo-Fachangestellten des Verfahrensbevollmächtigen des Antragsgegners beigefügt, wonach diese am 27. April 2009 eine an das Oberlandesgericht gerichtete Beschwerdeschrift geprüft, eingetütet und frankiert sowie kurz vor 18.00 Uhr bei der Postfiliale abgegeben hat. Auf Verfügung des Oberlandesgerichts legte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 2. Juni 2009 eine ergänzende eidesstattliche Versicherung der ReNo-Fachangestellten vor.
2
Das Oberlandesgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch des Antragsgegners zurückgewiesen und die sofortige Beschwerde verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners.

II.

3
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
4
Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsurteil vom 16. Dezember 2009 - XII ZR 50/08 - zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt m.w.N.).
5
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO i.V.m. § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
6
Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 151, 221, 227 m.w.N. sowie Senatsbeschlüsse vom 9. Februar 2005 - XII ZR 225/04 - FamRZ 2005, 791, 792 m.w.N. und vom 18. Juli 2007 - XII ZB 32/07 - FamRZ 2007, 1722) dient das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in besonderer Weise dazu, den Rechtsschutz und das rechtliche Gehör zu garantieren. Daher gebieten es die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. auch BVerfGE 88, 118, 123 ff.). Gegen diesen Grundsatz verstößt die angefochtene Entscheidung.
7
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
8
a) Im Ansatz zu Recht geht das Oberlandesgericht davon aus, dass dem Antragsgegner Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen wäre, wenn sein Verfahrensbevollmächtigter bereits am 27. April 2009 die Beschwerdeschrift per Post an das Oberlandesgericht abgeschickt hätte, ohne dass sie dort angekommen ist. Denn dem Rechtsmittelführer dürfen Verzögerungen oder sonstige Fehler bei der Briefbeförderung oder Briefzustellung durch die Deutsche Post AG nicht als Verschulden zugerechnet werden. Er darf vielmehr darauf vertrauen, dass die Postlaufzeiten eingehalten werden, die seitens der Deutschen Post AG für den Normalfall festgelegt werden. In seinem Verantwortungsbereich liegt es allein, das Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß aufzugeben, dass es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Deutschen Post AG den Empfänger fristgerecht erreichen kann (Senatsbeschluss vom 18. Juli 2007 - XII ZB 32/07 - FamRZ 2007, 1722, 1723). Eine am (Montag) 27. April 2009 aufgegebene Postsendung hätte diesen Anforderungen im Hinblick auf die am 30. April 2009 ablaufende Beschwerdefrist genügt.
9
b) Soweit das Oberlandesgericht den eidesstattlichen Versicherungen der ReNo-Fachangestellten und des Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners keine hinreichende Glaubhaftmachung für Fertigung und Absendung einer Beschwerdeschrift am 27. April 2009 entnommen hat, hält dies den Angriffen der Rechtsbeschwerde hingegen nicht stand. Die Entscheidung verstößt insoweit gegen die Verfahrensgrundrechte des Antragsgegners auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes und auf rechtliches Gehör.
10
aa) Die Entscheidung kann schon deswegen keinen Bestand haben, weil das Berufungsgericht der eidesstattlichen Versicherung der ReNoFachangestellten keinen Glauben geschenkt hat, ohne dem Antragsgegner Gelegenheit zu entsprechendem Beweisantritt zu geben. Denn wenn das Beschwerdegericht einer eidesstattlichen Versicherung im Verfahren der Wiedereinsetzung keinen Glauben schenkt, muss es den Antragsteller darauf hinweisen und ihm Gelegenheit geben, entsprechenden Zeugenbeweis anzutreten (BGH Beschluss vom 7. Mai 2002 - I ZB 30/01 - veröffentlicht bei Juris).
11
Unabhängig davon hätte das Oberlandesgericht prüfen müssen, ob in der Vorlage der eidesstattlichen Versicherung zugleich ein Beweisangebot auf Vernehmung der ReNo-Fachangestellten als Zeugin zu den darin genannten Tatsachen liegt (Senatsbeschluss vom 11. November 2009 - XII ZB 174/08 - FamRZ 2010, 122 f. m.w.N.). Dann liefe die Ablehnung der Wiedereinsetzung ohne die vorherige Vernehmung der Zeugin auf eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung hinaus (vgl. insoweit BGH Beschluss vom 19. November 2008 - IV ZR 341/07 - ZfSch 2009, 159).
12
bb) Aber auch sonst hält die angefochtene Entscheidung den Angriffen der Rechtsbeschwerde nicht stand, weil sie gegen anerkannte Regeln der Beweiswürdigung verstößt.
13
Schon soweit das Oberlandesgericht es nicht für nachvollziehbar hält, wie sich eine Mitarbeiterin einer Rechtsanwaltskanzlei "nach über einer Woche" noch im Einzelnen mit genauem Datum an die Aufgabe bestimmter Schriftstücke erinnern könne, überzeugt dies nicht. Die hier relevante Zeit vom 27. April bis zum 7. Mai 2009 ist nicht so lang, dass sie ernsthafte Zweifel an dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherung wecken könnte. Auf ausdrückliche Nachfrage hatte die ReNo-Fachangestellte ihre konkrete Erinnerung an den Vorgang hier zusätzlich mit der Namensähnlichkeit des Mandanten und eines Rechtsanwalts in der Kanzlei begründet. Die konkrete Erinnerung an diesen Vorgang hat das Oberlandesgericht deswegen auch nicht in Zweifel gezogen.
14
Die Zweifel des Oberlandesgerichts an dem genannten Datum der Aufgabe zur Post teilt der Senat nicht. Dabei ist von der eidesstattlichen Versicherung der ReNo-Fachangestellten auszugehen, wonach die an das Oberlandesgericht gerichtete Beschwerdeschrift am 27. April 2009 kurz vor 18:00 Uhr bei der Postfiliale in Bremen-Blumenthal aufgegeben wurde. Im Hinblick auf diesen eindeutigen Inhalt wäre die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts nur dann haltbar, wenn die eidesstattliche Versicherung wahrheitswidrig abgegeben wurde. Hierfür hat das Oberlandesgericht keine Anhaltspunkte aufgezeigt. Dass die ReNo-Fachangestellte das Datum der Aufgabe zur Post durch Einsicht in die in den Handakten befindliche Beschwerdeschrift vom 27. April 2009 mit eigenem Abvermerk rekonstruiert hat, kann das Gewicht der strafbewehrten eidesstattlichen Versicherung nicht erschüttern. Insoweit weist die Beschwerdebegründung zu Recht darauf hin, dass § 378 ZPO für den Zeugenbeweis sogar ausdrücklich die Einsicht in Aufzeichnungen und andere Unterlagen vorsieht, um dem Zeugen die Erinnerung an seine Wahrnehmungen zu erleichtern.
15
Dass der Abvermerk in der Handakte kein Datum trägt, steht dem Wahrheitsgehalt ebenfalls nicht entgegen. Denn nach dem Beschwerdevortrag des Antragsgegners werden fristwahrende Schriftsätze im Büro des Antragsgegnervertreters von der übrigen Post getrennt behandelt und von der dafür zuständigen ReNo-Fachangestellten abends zur Post gebracht. Wenn die ReNoFachangestellte daraus nach wenig mehr als einer Woche im Rückschluss die Erkenntnis gezogen hat, der Brief sei von ihr an dem Tag zur Post gegeben, an dem er gefertigt wurde, ist dieser Schluss durchaus überzeugend. An besondere Umstände, die dem im Ausnahmefall entgegenstehen könnten, hätte sich die ReNo-Fachangestellte nach so kurzer Zeit vermutlich erinnern können.
16
cc) Schließlich fehlt hier auch dem Ausgangspunkt des Oberlandesgerichts , wonach es einen ungewöhnlichen Vortrag darstelle, dass gerade zwei Schriftsätze an einem Tag abhanden gekommen seien, die Grundlage. Ob mit der Durchschrift der Beschwerdeschrift an den Antragsgegner am 27. April 2009 ein weiterer Schriftsatz abgeschickt wurde, hat das Oberlandesgericht nicht festgestellt. Auf die Information des eigenen Mandanten sind die Sorgfaltsanforderungen an die Absendung der Beschwerdeschrift auch nicht übertragbar.
17
Unabhängig davon kann die Anzahl abhanden gekommener Briefe jedenfalls dann nicht gegen die eidesstattlichen Versicherungen sprechen, wenn - wie der Antragsgegner durch Vorlage eines Zeitungsberichts belegt hat - seinerzeit im Bezirk des Oberlandesgerichts eine größere Anzahl an Briefen und Päckchen beim Transport von Postfilialen zum Verteilzentrum abhanden gekommen sind.
18
c) Sollte das Berufungsgericht auch unter Berücksichtigung des erheblichen Beweiswerts der eidesstattlichen Versicherungen nicht zu einer hinreichend glaubhaft gemachten Absendung der Beschwerdeschrift am 27. April 2009 gelangen, wird es den Antragsgegner darauf hinweisen und die angebotenen Beweise erheben müssen.
Hahne Wagenitz Vézina Dose Klinkhammer

Vorinstanzen:
AG Bremen-Blumenthal, Entscheidung vom 24.03.2009 - 71b F 29/08 -
OLG Bremen, Entscheidung vom 30.06.2009 - 5 UF 49/09 -

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

(1) Gegen die Entscheidungen des Finanzgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an den Bundesfinanzhof zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.

(2) Prozessleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über die Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse nach §§ 91a und 93a, Beschlüsse über die Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen, Sachverständigen und Dolmetschern, Einstellungsbeschlüsse nach Klagerücknahme sowie Beschlüsse im Verfahren der Prozesskostenhilfe können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

(3) Gegen die Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 und 5 und über einstweilige Anordnungen nach § 114 Abs. 1 steht den Beteiligten die Beschwerde nur zu, wenn sie in der Entscheidung zugelassen worden ist. Für die Zulassung gilt § 115 Abs. 2 entsprechend.

(4) In Streitigkeiten über Kosten ist die Beschwerde nicht gegeben. Das gilt nicht für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision.

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Tatbestand

1

I. Die Antragstellerin und ihr im Streitjahr verstorbener Ehemann betrieben in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts ein Hotel. Sie erwirtschafteten von Beginn an Verluste. Im Wege einer tatsächlichen Verständigung kamen sie mit dem Antragsgegner überein, dass der Hotelbetrieb vom Veranlagungszeitraum 1994 an als Liebhaberei zu qualifizieren sei. Mit Bescheid vom 12. November 2001 über die gesonderte und einheitliche Feststellung der in einem Betrieb beim Übergang zur Liebhaberei ruhenden stillen Reserven stellte das Finanzamt (FA) --der Verständigung entsprechend-- die stillen Reserven für die Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens insgesamt auf 2.933.815 DM fest. … 2008 veräußerte die Antragstellerin das Hotel für 1.850.000 €. Laut notariellem Vertrag entfielen davon auf das Grundstück 350.000 €, auf die Gebäude 1.500.000 €. Nach dem Vortrag der Antragstellerin handelte es sich um einen Notverkauf wegen Überschuldung auf Veranlassung der Hausbank. Während die Antragstellerin in der Einkommensteuererklärung 2008 einen Veräußerungsverlust von 911.311 € geltend machte, berücksichtigte das FA auch die festgestellten stillen Reserven für das Hotelgrundstück in Höhe von 1.492.497 € und kam so zu einem Veräußerungsgewinn in Höhe von 581.186 €, den es nach Maßgabe von § 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes der Steuer unterwarf.

2

Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) vertrat in seinem Urteil vom 16. Oktober 2014 die Auffassung --der sich der Antragsgegner mittlerweile anschließt--, dass richtigerweise ein Veräußerungsgewinn in Höhe von 1.500.036 € (2.933.815 DM) zu versteuern gewesen wäre, der den zum 31. Dezember 1993 festgestellten stillen Reserven entspreche. Das gelte unabhängig davon, wie hoch der Veräußerungspreis tatsächlich gewesen sei. Aufgrund des Verböserungsverbots bleibe es bei der vorliegenden Festsetzung.

3

Mit Beschluss vom 28. Juli 2014  11 V 1573/14 A(E) hatte das FG einen Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) mit einer Begründung, die der späteren Urteilsbegründung entspricht, abgelehnt und die Beschwerde nicht zugelassen.

4

Auf die Beschwerde der Antragstellerin gegen das Urteil des FG wegen Nichtzulassung der Revision, die sie auf die grundsätzliche Bedeutung u.a. einer Rechtsfrage zur Gewinnrealisierung gestützt hat, hat der Senat die Revision durch Beschluss vom 21. April 2015 X B 150/14 zugelassen.

5

Mit einem am 5. Mai 2015 eingegangenen Schriftsatz beantragt die Antragstellerin unter Hinweis auf § 69 Abs. 6 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die AdV des angefochtenen Einkommensteuerbescheids ohne Sicherheitsleistung. Der Antragsgegner habe bereits Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen, die die wirtschaftliche Existenz der Antragstellerin gefährdeten und zu Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einer Grundschuldgläubigerin in Grundstücke geführt hätten. Nachdem der Senat die Revision zugelassen habe, seien Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Urteils zu vermuten.

6

Eine Stellungnahme des Antragsgegners ist bisher nicht eingegangen.

Entscheidungsgründe

7

II. 1. Der Antrag ist unzulässig, da die Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO nicht vorliegen.

8

a) Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Das ist im gegenwärtigen Verfahrensstadium der Bundesfinanzhof (BFH). Nachdem allerdings bereits das FG über einen entsprechenden Antrag der Antragstellerin entschieden hat, wäre ein erneuter Antrag auf AdV nur unter denjenigen Voraussetzungen statthaft, unter denen nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO eine Änderung jener Entscheidung verlangt werden könnte. Die Einschränkungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO gelten nach ständiger Rechtsprechung des BFH nicht nur dann, wenn das FG erneut angerufen wird, sondern auch dann, wenn das FG die ursprüngliche Entscheidung erlassen hat, inzwischen aber der BFH Gericht der Hauptsache geworden ist, da andernfalls die Einschränkungen der Beschwerdemöglichkeit durch § 128 Abs. 3 FGO umgangen würden (vgl. i.E. BFH-Beschlüsse vom 8. März 2013 III S 2/12, BFH/NV 2013, 960, sowie vom 21. Oktober 2013 V B 68/13, BFH/NV 2014, 173, jeweils m.w.N.).

9

Nach § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO kann das Gericht der Hauptsache Beschlüsse betreffend die AdV jederzeit ändern oder aufheben. Nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO kann jedoch der Beteiligte die Änderung oder Aufhebung lediglich wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

10

b) Solche Umstände liegen nach Aktenlage nicht vor. Es kann sich dabei zum einen um Tatsachen oder Beweismittel handeln (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2014, 173). Dafür hat die Antragstellerin nichts vorgetragen. Auch von Amts wegen ist nichts ersichtlich, da die streitige Frage der Gewinnrealisierung eine reine Rechtsfrage ist. Als Umstände i.S. des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO gelten zwar auch Veränderungen der Rechtslage. Solche Veränderungen können beispielsweise vorliegen, wenn das Gesetz mit Wirkung auch für den Streitzeitraum geändert wurde, wenn eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage inzwischen höchstrichterlich (anders) entschieden worden ist, wenn ein die entscheidungserhebliche Rechtsfrage betreffender Vorlagebeschluss oder ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union ergangen ist (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2014, 173, sowie vom 25. November 2014 VII B 65/14, BFHE 247, 182, BStBl II 2015, 207). Eine solche Änderung der Rechtslage ist im Streitfall jedoch nicht zu verzeichnen.

11

aa) Wird nach einem Beschluss, der die AdV mangels ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts abgelehnt hat, die Revision zugelassen, so stellt dies noch keine Änderung der Rechtslage dar. Insbesondere bewirkt sie keine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, sondern ermöglicht diese höchstens. Es handelt sich lediglich um eine Entscheidung über die Existenz eines Zulassungsgrundes nach § 115 Abs. 2 FGO und damit um die Öffnung einer weiteren Instanz. Das gilt auch, wenn, wie hier, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen wurde. Diese Zulassung ist weder Entscheidung noch Präjudiz für den Ausgang des Revisionsverfahrens.

12

bb) Zwar ist zutreffend, dass die Zulassung der Revision insbesondere wegen grundsätzlicher Bedeutung Zweifel an der Beurteilung der Rechtslage dokumentiert, die im Allgemeinen auch ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO begründen dürften. Wäre die Beurteilung des Streitfalles zweifelsfrei, so kommt zwar die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO, nicht aber die Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO in Betracht. Hätte das Gericht von Beginn an die Rechtslage im Streitfall für zweifelhaft gehalten, so hätte es wohl vorbehaltlich der verfahrensrechtlichen Voraussetzungen die AdV ausgesprochen.

13

Der Wandel in der rechtlichen Beurteilung in der Weise, dass das Gericht die Rechtslage zunächst als zweifelsfrei, anschließend als zweifelhaft beurteilt, ist aber keine Änderung der Rechtslage in dem eingangs genannten Sinne. Zum einen stellt selbst eine Änderung in der Beurteilung der Rechtslage noch keine Änderung der Rechtslage dar (ausdrücklich im Falle einer Revisionszulassung durch das FG BFH-Beschluss in BFH/NV 2014, 173, m.w.N.). Zum anderen bringt das Gericht mit einer Revisionszulassung schon nicht die Änderung seiner rechtlichen Beurteilung in der Hauptsache zum Ausdruck. Es bekundet im Falle der Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nur, dass es eine vormals für unzweifelhaft erachtete Rechtslage insoweit für zweifelhaft hält, als es die Klärung im Revisionsverfahren für geboten hält. Das ist keine Änderung der Rechtslage.

14

Wäre ein derartiger inhaltlicher Meinungswandel, der sich noch nicht einmal auf die eigentliche Beurteilung der Rechtslage in der Hauptsache bezieht, sondern allenfalls auf das Ausmaß der diesbezüglichen Gewissheit, bereits eine Änderung der Umstände i.S. des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO, so liefen die Einschränkungen dieser Vorschrift leer. Mit dieser Maßgabe könnte der Beteiligte die Aufhebung oder Änderung einer AdV-Entscheidung stets bereits dann beantragen, wenn er ahnt oder darauf hofft, dass das Gericht seine Einschätzung, die zum Erlass der bisherigen AdV-Entscheidung geführt hat, geändert hat oder ändern will.

15

cc) Es stellt keinen rechtserheblichen Unterschied dar, ob das FG oder der BFH die Revision zugelassen hat. Die in § 115 Abs. 2 FGO aufgestellten Maßstäbe für die Revisionszulassung sind für beide Instanzen dieselben. Der Revisionszulassung durch den BFH liegt ebenso wenig eine Änderung der Rechtslage zugrunde wie der Zulassung durch das FG. Eine Differenz besteht lediglich in dem Ausmaß der rechtlichen Gewissheit.

16

Der Sprung im Instanzenzug ändert hieran nichts. Die Anwendbarkeit des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO in denjenigen Fällen, in denen nach einer Entscheidung des FG über die AdV der BFH mittlerweile Gericht der Hauptsache geworden ist, zeigt, dass der BFH nicht im Rahmen eines neuen Verfahrens über die AdV entscheidet. Vielmehr handelt es sich um eine Fortsetzung des bisherigen AdV-Verfahrens und damit um einen Teil eines einheitlichen Verfahrens. Dann aber ist es gleichgültig, welches Gericht die Revisionszulassung ausgesprochen hat. Mit einer anderen Beurteilung dieser Frage würde dem BFH aufgegeben, auf einen äußerlich auf § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO gestützten Antrag wie auf eine Beschwerde über die AdV zu entscheiden. Dies umginge an dieser Stelle wiederum die Einschränkungen der Beschwerdemöglichkeit in § 128 Abs. 3 FGO, aus der sich ergibt, dass im Rahmen der Entscheidung über die AdV der BFH seine eigene Auffassung nur dann an die Stelle der Auffassung des FG setzen kann, wenn das FG die Beschwerde zugelassen hat.

17

2. Der Senat wird gesondert prüfen, ob von Amts wegen eine Änderung der AdV-Entscheidung gemäß § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO und die Gewährung von AdV mit oder ohne Sicherheitsleistung veranlasst ist. Er weist vorsorglich darauf hin, dass auch dann, wenn die Entscheidung von Amts wegen nicht an die Einschränkungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO geknüpft ist, die Änderung nicht im Belieben des Gerichts steht, sondern erhebliche Gründe für eine derartige Änderung vorliegen müssen (vgl. dazu Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 69 FGO Rz 1219; Seer in Tipke/Kruse, Finanzgerichtsordnung, § 69 Rz 162). Andernfalls würden sowohl § 128 Abs. 3 FGO als auch § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO umgangen.

18

3. Soweit der Antragsgegner aufgrund der Kürze der Zeit bisher kaum Gelegenheit zur Stellungnahme hatte, ist er nicht beschwert.

19

4. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Die Entscheidung über den Antrag nach § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO ist unselbständiger Bestandteil des Verfahrens nach § 69 Abs. 3 FGO. Das Gerichtskostengesetz enthält keinen besonderen Gebührentatbestand für diesen Antrag.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.

(1) Auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten ist das Verfahren fortzuführen, wenn

1.
ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und
2.
das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung findet die Rüge nicht statt.

(2) Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.

(3) Den übrigen Beteiligten ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(4) Ist die Rüge nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form oder Frist erhoben, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.

(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können. Für den Ausspruch des Gerichts ist § 343 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden.

(6) § 131 Abs. 1 Satz 2 ist entsprechend anzuwenden.

(1) Durch Erhebung der Klage wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts vorbehaltlich des Absatzes 5 nicht gehemmt, insbesondere die Erhebung einer Abgabe nicht aufgehalten. Entsprechendes gilt bei Anfechtung von Grundlagenbescheiden für die darauf beruhenden Folgebescheide.

(2) Die zuständige Finanzbehörde kann die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Auf Antrag soll die Aussetzung erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Aussetzung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Soweit die Vollziehung eines Grundlagenbescheides ausgesetzt wird, ist auch die Vollziehung eines Folgebescheides auszusetzen. Der Erlass eines Folgebescheides bleibt zulässig. Über eine Sicherheitsleistung ist bei der Aussetzung eines Folgebescheides zu entscheiden, es sei denn, dass bei der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheides die Sicherheitsleistung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, tritt an die Stelle der Aussetzung der Vollziehung die Aufhebung der Vollziehung. Bei Steuerbescheiden sind die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

(3) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen; Absatz 2 Satz 2 bis 6 und § 100 Abs. 2 Satz 2 gelten sinngemäß. Der Antrag kann schon vor Erhebung der Klage gestellt werden. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen. Absatz 2 Satz 8 gilt entsprechend. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(4) Der Antrag nach Absatz 3 ist nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Finanzbehörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(5) Durch Erhebung der Klage gegen die Untersagung des Gewerbebetriebes oder der Berufsausübung wird die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts gehemmt. Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, kann die hemmende Wirkung durch besondere Anordnung ganz oder zum Teil beseitigen, wenn sie es im öffentlichen Interesse für geboten hält; sie hat das öffentliche Interesse schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die hemmende Wirkung wiederherstellen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(6) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(7) Lehnt die Behörde die Aussetzung der Vollziehung ab, kann das Gericht nur nach den Absätzen 3 und 5 Satz 3 angerufen werden.

(1) Auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten ist das Verfahren fortzuführen, wenn

1.
ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und
2.
das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Gegen eine der Endentscheidung vorausgehende Entscheidung findet die Rüge nicht statt.

(2) Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.

(3) Den übrigen Beteiligten ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

(4) Ist die Rüge nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form oder Frist erhoben, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.

(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können. Für den Ausspruch des Gerichts ist § 343 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden.

(6) § 131 Abs. 1 Satz 2 ist entsprechend anzuwenden.

(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

(2) Für den Erlass einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(3) Für den Erlass einstweiliger Anordnungen gelten die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozessordnung sinngemäß.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluss.

(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle des § 69.

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Thüringer Finanzgerichts vom 26. Februar 2015 1 V 846/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.

Tatbestand

1

I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist eine von den Eheleuten A und B am …. April 2011 errichtete Stiftung bürgerlichen Rechts. Die Stiftung wurde mit einem Geldbetrag von 5.000 € und mit Werken der Bildenden Kunst aus dem Eigentum der Stifter zu Anschaffungskosten von ca. 121.000 € ausgestattet, die in einer Anlage zum Stiftungsgeschäft aufgeführt waren. Die Stiftung wurde vom Landesinnenministerium 2011 anerkannt. Am …. Juli 2011 erteilte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) eine vorläufige Bescheinigung über die Anerkennung der Gemeinnützigkeit der Antragstellerin.

2

Die Satzung der Stiftung vom April 2011 lautet auszugsweise wie folgt:

             "... .§ 2 Stiftungszweck

(1) Die Stiftung verfolgt ausschließlich gemeinnützige Zwecke i. S. des Abschnitts steuerbegünstigte Zwecke der AO.
(2) Zweck der Stiftung ist die Bewahrung und Förderung von bildender Kunst schwerpunktmäßig aus der geographischen Mitte Deutschlands.
Der Stiftungszweck wird insbesondere verwirklicht durch:
a) Förderung von Vorhaben der bildenden Kunst in der geographischen Mitte Deutschlands
b)Unterstützung und Durchführung von künstlerischen Veranstaltungen und Förderprojekten
c) Vergabe von künstlerischen Förderprojekten
d) Gewährung von Stipendien
e) Zurverfügungstellung von Werken der Stiftung im Rahmen von öffentlichen Ausstellungen und Leihgaben."

3

Im Gründungsjahr 2011 und im Folgejahr 2012 erstreckte sich die Tätigkeit der Antragstellerin überwiegend auf die Beschaffung weiterer Gemälde sowie die Begleitung von Kunstprojekten, auch unter Gewährung von Stipendien. Entsprechend dem Stiftungszweck wurden weitere Bilder zu Anschaffungskosten von ca. 82.000 € und ca. 96.000 € hinzuerworben.

4

Nach Eingang der Erklärungen zur Körperschaftsteuer und zur Gewerbesteuer für 2011 Ende März 2013 bestätigte das FA die Gemeinnützigkeit mit Bescheid vom …. Mai 2013. In den Erläuterungen zu diesem Bescheid wurde die Antragstellerin aufgefordert mitzuteilen, wo die Bilder gelagert würden. Nachdem die Antragstellerin hierzu die private Wohnadresse der Stifter angegeben hatte, gelangte das FA zu der Auffassung, dass die Bilder den Verfügungsbereich der Stifter nie verlassen hätten und kündigte mit einem Schreiben vom …. September 2013 an, die zuvor anerkannte Gemeinnützigkeit rückwirkend ab 2011 wieder zu versagen. Daraufhin teilte Herr A dem Antragsgegner in einem Gespräch mit, dass die Bilder ab Juli 2013 in einer von ihm dafür eigens angemieteten Wohnung in der W-Straße in X gelagert würden. Durch die Gründung der Stiftung habe er auch den Verkauf der Bilder durch seine Erben verhindern wollen.

5

Zuwendungen (Spenden) habe die Antragstellerin in den Streitjahren ausschließlich von den Stiftern sowie von diesen nahestehenden Unternehmen erhalten. Dafür habe die Antragstellerin entsprechende Spendenbescheinigungen erteilt. Die Spenden beliefen sich im Jahr 2011 auf 229.355 € und im Jahr 2012 auf 195.710 €.

6

Unter Würdigung dieser Umstände erließ das FA am …. Juli 2014 einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geänderten Körperschaftsteuerbescheid für 2011 und einen erstmaligen Körperschaftsteuerbescheid für 2012, in denen es Körperschaftsteuer jeweils auf 0 € festsetzte und den Feststellungsbescheid über die Gemeinnützigkeit rückwirkend wieder aufhob.

7

Auf die hiergegen mit Zustimmung des FA erhobene Sprungklage gab das Finanzgericht (FG) im Hinblick auf das Streitjahr 2011 der unter dem Aktenzeichen 1 K 487/14 geführten Klage statt und wies die Klage im Übrigen als unbegründet ab. Das FG ließ gegen sein Urteil die Revision (V R 51/15) wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu.

8

Auf die entsprechenden Anträge der Antragstellerin beschloss das FG am 26. Februar 2015 unter dem Aktenzeichen 1 V 846/14, die Vollziehung des Änderungsbescheides vom 2. Juli 2014 über Körperschaftsteuer und den Solidaritätszuschlag für 2011 auszusetzen. Im Übrigen lehnte es die begehrte Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Körperschaftsteuerbescheides für 2012 vom …. Juli 2014 sowie die im Wege der einstweiligen Anordnung begehrte Anerkennung der Gemeinnützigkeit ab. Das FG ließ gegen seinen Beschluss (1 V 846/14) die Beschwerde zu.

9

Die Antragstellerin legte hiergegen Beschwerde ein, zu deren Begründung sie im Wesentlichen Folgendes ausführt:

10

Nach § 2 Abs. 2 der Satzung der Antragstellerin seien als Stiftungszwecke die Bewahrung und Förderung von bildender Kunst schwerpunktmäßig aus der geographischen Mitte Deutschlands festgelegt. In der Satzung seien darüber hinaus die nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 AO notwendigen Voraussetzungen für die Selbstlosigkeit eindeutig festgeschrieben. Diese würden eindeutig von der Antragstellerin verwirklicht. Zur Glaubhaftmachung werde die Satzung der Stiftung von 2011 als Anlage beigefügt.

11

Der festgelegte Stiftungzweck unterfalle somit dem Anwendungsbereich von § 52 Abs. 2 Nr. 5 AO. Die Voraussetzungen für die Selbstlosigkeit und damit die Anerkennung der Gemeinnützigkeit seien vollständig erfüllt. Ein rein eigenwirtschaftliches Interesse der Stifter stehe keineswegs im Vordergrund des Handelns der Antragstellerin und sei auch in keiner Weise gegeben.

12

Kunst sei nach Auffassung der Stifter ein zu bewahrendes Gemeingut, das für die Fortschreibung der Kunstgeschichte und der Geschichte der Menschheit bewahrt werden müsse. Die Stifter hätten daher eigene Kunstwerke allein mit einem Anschaffungswert von 122.205 € in die Stiftung eingebracht.

13

Mit Errichtung der Stiftung hätten die Stifter die Kunstwerke getrennt, indem sie diese nicht in der Wohnung der Stifter, sondern in separaten, ursprünglich gewerblich genutzten Räumen im Haus der Stifter im Erdgeschoss der Z-Straße in X aufbewahrt hätten. Die Wohnung der Stifter befinde sich in der ersten und zweiten Etage dieses Gebäudes, nicht jedoch im Erdgeschoss. Ab dem …. Juli 2013 hätten Räumlichkeiten in der S-Straße angemietet und ein Bildlager eingerichtet werden können. Dieses Bildlager erfülle die notwendigen Anforderungen für eine Bewahrung der Kunstwerke. So seien die Lagerflächen durchgängig beheizbar, so dass die Voraussetzungen für eine Langzeitlagerung bei geringer Luftfeuchte gegeben seien.

14

Das FA verkenne, dass Ausstellungen mit einem großen zeitlichen Vorlauf vorbereitet würden. In diesem Zusammenhang seien Versicherungsfragen zu klären, ebenso Fragen der Rahmung, Systeme der Bildhängung, des Transports und Ähnliches. So seien im streitgegenständlichen Zeitraum z.B. eine Ausstellung im Museum sowie zwei weitere Ausstellungen organisiert worden.

15

Der Direktor der Museen habe mit einem Schreiben vom Juni 2014 ausdrücklich für das Entgegenkommen und das großzügige Engagement bei der Ausstellung gedankt. Dies sei mit der Hoffnung auf ein weiteres gemeinsames Projekt mit der Künstlerin C verbunden worden.

16

Die aufgezeigten Tätigkeiten gingen bereits deutlich über bloße Vorbereitungen in der Verwirklichung des Satzungswecks hinaus. Die Antragstellerin habe Erstellungsbeteiligungen von Künstlern vorbereitet, die zwischenzeitlich im Jahr 2014 realisiert worden seien. Außerdem habe sie u.a. das eine Ausstellung begleitende Katalogbuch gefördert. Zudem sei eine Stipendienförderung für eine Künstlerin im Rahmen des Stiftungsprojektes "Y" erfolgt. Das Kunstbuch sei 2012 fertig gestellt und aufgrund seiner einmaligen Aufbereitung von einer unabhängigen Sachverständigenkommission zur Aufnahme in das Deutsche Literaturarchiv vorgeschlagen worden, so dass es damit der Allgemeinheit auf Dauer zugänglich sei.

17

Im Übrigen könne ohnehin jedes Museum nur einen geringen Bestand seiner Werke im Ausstellungsbereich zugänglich machen; ein Teil der Werke befände sich regelmäßig in einem Lager. So verhalte es sich auch bei der Antragstellerin.

18

Es könne der Antragstellerin nicht zum Nachteil gereichen, dass sie die erhaltenen Spenden zum Erwerb neuer Kunstwerke verwendet habe; denn der Ankauf neuer Werke entspreche gerade ihrem Satzungszweck.

19

Auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei hiernach begründet.

20

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, abweichend von dem Beschluss des FG vom 26. Februar 2015  1 V 846/14

1. die Vollziehung betreffend den Bescheid für 2012 über Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag vom …. Juli 2014 auszusetzen und

2. das FA im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Gemeinnützigkeit der Antragstellerin anzuerkennen.

21

Das FA beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

22

II. Die Beschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen.

23

1. Die Entscheidung des FG, die begehrte AdV bezogen auf den Körperschaftsteuerbescheid für 2012 vom 2. Juli 2012 abzulehnen, ist nicht zu beanstanden.

24

a) Nach § 128 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsaktes bestehen (1. Alternative) oder wenn die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (2. Alternative).

25

Ernstliche Zweifel i.S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheides neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. Januar 2016 V B 87/15, BFHE 252, 187, Rz 13 m.w.N.). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (BFH-Beschluss in BFHE 252, 187, Rz 13, m.w.N.). Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe i.S. einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 20. Juli 2012 V B 82/11, BFHE 237, 545, BStBl II 2012, 809, Rz 9, m.w.N., und in BFHE 252, 187, Rz 13, m.w.N.). Auch eine AdV wegen unbilliger Härte setzt u.a. voraus, dass Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehen. Sind derartige Zweifel ausgeschlossen oder fast ausgeschlossen, kommt eine AdV aufgrund der 2. Alternative des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO selbst dann nicht in Betracht, wenn die Vollziehung eine unbillige Härte zur Folge haben kann (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 28. Oktober 2004 I B 95/04, BFH/NV 2005, 160, unter II.1., m.w.N.).

26

b) Gemessen daran hat das FG zu Recht angenommen, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer AdV nicht vorliegen, weil keine hinreichenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitbefangenen Körperschaftsteuerbescheides für 2012 bestehen.

27

aa) Nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) sind Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die nach der Satzung, dem Stiftungsgeschäft oder der sonstigen Verfassung und nach der tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen (§§ 51 bis 68 AO). Gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 AO verfolgt eine Körperschaft gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Eine Förderung oder Unterstützung geschieht nach § 55 Abs. 1 AO selbstlos, wenn dadurch nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke --z.B. gewerbliche Zwecke oder sonstige Erwerbszwecke-- verfolgt werden und im Übrigen die weiteren in § 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 AO genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Nach der Rechtsprechung handelt eine Körperschaft selbstlos, wenn sie weder selbst noch zugunsten ihrer Mitglieder eigennützige oder eigenwirtschaftliche Zwecke verfolgt (BFH-Urteil vom 13. Dezember 1978 I R 39/78, BFHE 127, 330, BStBl II 1979, 482).

28

Dabei trägt eine Körperschaft, die eine Steuerbefreiung oder Steuerermäßigung wegen Verfolgung steuerbegünstigter Zwecke begehrt, die Feststellungslast für die Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass sie die Voraussetzungen der Steuerbefreiung oder Steuerermäßigung erfüllt (z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 160).

29

bb) Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen hat das FG im Streitfall zu Recht angenommen, dass das eigennützige bzw. eigenwirtschaftliche Interesse der Stifter im Vordergrund des Handelns der Antragstellerin steht, so dass es an der gebotenen Selbstlosigkeit i.S. von § 55 Abs. 1 AO mangelt.

30

(1) Das FG hat hierzu ausgeführt, dass der Stifter und Vorstand der Antragstellerin Herr A sich unstreitig aufgrund seiner Kunst- und Sammelleidenschaft seit Jahren in diesem Bereich engagiert habe. Sein Eigeninteresse liege im Sammeln und Besitzen von Kunstgegenständen aus der geographischen Mitte Deutschlands. Dieses Interesse habe Herr A mit der Gründung der Stiftung weiterverfolgt. Denn auch nach der Übertragung seiner privat angeschafften Kunstwerke an die Stiftung habe sich für ihn faktisch nichts geändert, weil er nach wie vor den unmittelbaren Besitz an diesen Kunstwerken --ebenso wie an den von der Antragstellerin in den Streitjahren angeschafften Kunstwerken-- habe. Dies beruhe darauf, dass sich sämtliche Kunstwerke noch bis Juli 2013 in den Wohnräumen von Herrn A befunden hätten. Auch danach seien die Kunstwerke in einer von diesem in der Nähe angemieteten Wohnung gelagert worden.

31

Die Allgemeinheit habe in dieser Zeit kaum einen Nutzen an den Kunstwerken gehabt, da ihnen diese --abgesehen von wenigen Kunstwerken als Leihgaben bei Kunstausstellungen-- nicht zugänglich gemacht worden seien. Gegen das Vorliegen der Selbstlosigkeit spreche auch, dass durch die in § 7 der Satzung enthaltene Regelung bereits sichergestellt sei, dass die Stiftung und damit auch der unmittelbare Besitz am Stiftungsvermögen für die nächsten zwei Generationen ausschließlich in der Familienhand der Stifter verbleibe. Daran ändere auch der in § 12 der Satzung vorgesehene Anfall des Vermögens der Stiftung bei Auflösung derselben auf andere gemeinnützige Einrichtungen nichts, weil diese Regelung lediglich den in § 55 Abs. 1 Nr. 4 AO vorgesehenen Mindestvorgaben für die Anerkennung der Selbstlosigkeit entspreche.

32

Nach Auffassung des erkennenden Senats sind diese Ausführungen des FG zur fehlenden Selbstlosigkeit bei der gebotenen summarischen Betrachtung nicht zu beanstanden.

33

(2) Auch die Tatsache, dass infolge der vom FG zugelassenen Revision unter dem Aktenzeichen V R 51/15 beim BFH ein Revisionsverfahren in dem Rechtsstreit der Hauptsache geführt wird, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn aus der bloßen Zulassung der Revision ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheides (Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 69 Rz 161, m.w.N.).

34

(3) Dem stehen auch nicht die von der Antragstellerin erhobenen Einwendungen entgegen.

35

Die nach Darstellung der Antragstellerin gebotene "Bewahrung von Gemeingut von Kunst und Kultur" steht im Einklang mit dem aufgezeigten eigennützigen Interesse der Stifter an der Anschaffung und dem Sammeln der Kunstwerke und vermag Letzteres daher nicht zu entkräften. Dasselbe gilt für den Hinweis der Antragstellerin, dass die Kunstwerke durch die Stiftung auf Dauer dem Vermögen der Stifter entzogen seien mit der Maßgabe, dass das Stiftungsvermögen zugleich nach § 4 Abs. 2 der Satzung in seinem Bestand dauernd und ungeschmälert zu erhalten sei; denn dieser Umstand bedeutet angesichts der Lagerung der Kunstwerke im Erdgeschoss des eigenen Wohnhauses bzw. in hierfür später angemieteten Räumlichkeiten nicht, dass die Stifter ihren tatsächlichen Besitz --und damit auch ihren durch jederzeitigen Zugang möglichen eigennützigen Genuss-- an den früheren und von der Stiftung neu erworbenen Kunstwerken der Sammlung in irgendeiner Form grundsätzlich eingeschränkt hätten.

36

Zwar hat die Antragstellerin mit der Vorbereitung und Durchführung einzelner Ausstellungen die Kunstwerke zum Teil --und nur zeitweise-- auch der Allgemeinheit zum Kunstgenuss zur Verfügung gestellt. Dies bedeutet aber gleichfalls nicht, dass die Stifter hierdurch dauerhaft ihre eigennützigen Motive zur Aufrechterhaltung und dem weiteren Ausbau ihrer --ihnen selbst stets zugänglichen-- Kunstsammlung eingeschränkt oder gar aufgegeben hätten, zumal die an die jeweiligen Künstler zum Teil vergebenen Stipendien nicht nach Maßgabe allgemein zugänglicher Vergabekriterien erfolgten, sondern --so die unbestrittenen Ausführungen des FG-- auf dem entsprechenden "Gutdünken" der Stifter beruhten.

37

Auch der Hinweis auf die Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 23. Juli 2003 I R 29/02, BFHE 203, 251, BStBl II 2003, 930) mit dem Ziel der Verfolgung gemeinnütziger Zwecke durch vorbereitende Tätigkeiten führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar hat der BFH insoweit geklärt, dass bereits Tätigkeiten einer neu gegründeten Körperschaft, die die Verwirklichung der steuerbegünstigten Satzungszwecke nur vorbereiten, ausreichen, um die tätigkeitsbezogenen Voraussetzungen der Steuerbefreiung zu erfüllen (BFH-Urteil in BFHE 203, 251, BStBl II 2003, 930, Rz 16). Dies ändert aber nichts daran, dass im Hinblick auf den steuerbegünstigten Satzungszweck auch die Voraussetzungen der Selbstlosigkeit i.S. von § 55 Abs. 1 AO erfüllt sein müssen, woran es im Streitfall mangelt.

38

(4) Schließlich kommt auch keine Gewährung der AdV wegen unbilliger Härte nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO in Betracht. Abgesehen davon, dass die Antragstellerin dies selbst nicht geltend gemacht hat, sind im Streitfall Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Körperschaftsteuerbescheides für 2012 bei der gebotenen summarischen Betrachtung ganz bzw. fast ausgeschlossen.

39

2. Das FG hat ferner zu Recht den Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung i.S. von § 114 Abs. 1 FGO im Hinblick auf die begehrte vorläufige Anerkennung der Gemeinnützigkeit abgelehnt.

40

a) Gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Voraussetzung für einen erfolgreichen Antrag ist, dass der Antragsteller einen Grund für die zu treffende Regelung (sog. Anordnungsgrund) und den Anspruch, aus dem er sein Begehren herleitet (sog. Anordnungsanspruch), schlüssig dargelegt und deren tatsächliche Voraussetzungen glaubhaft gemacht hat. Fehlt es an einer der beiden Voraussetzungen, kann die einstweilige Anordnung nicht ergehen (§ 114 Abs. 3 FGO i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung; BFH-Beschluss vom 22. Dezember 2006 VII B 121/06, BFHE 216, 38, BStBl II 2009, 839, Rz 12, m.w.N.).

41

b) Im Streitfall ist der Eilantrag aber unbegründet, weil die Antragstellerin schon keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat.

42

Ein Anordnungsgrund ist gegeben, wenn die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Betroffenen durch die Ablehnung der beantragten Maßnahme unmittelbar bedroht ist (BFH-Urteil in BFHE 216, 38, BStBl II 2009, 839, Rz 17, m.w.N.). Die für den Erlass einer Anordnung geltend gemachten Gründe müssen jedenfalls ähnlich gewichtig und bedeutsam sein wie die im Gesetz ausdrücklich Genannten ("wesentliche Nachteile" und "drohende Gewalt"). Sie müssen so schwerwiegend sein, dass sie eine einstweilige Anordnung unabweisbar machen (BFH-Urteil in BFHE 216, 38, BStBl II 2009, 839, Rz 17, m.w.N.).

43

Die Antragstellerin hat hierzu lediglich vorgetragen, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung notwendig sei, da bei dessen Ablehnung die wirtschaftliche Existenz der Antragstellerin gefährdet wäre, weil bei Nichtanerkennung der Gemeinnützigkeit mit existenznotwendigen Spendengeldern nicht mehr zu rechnen sei. Zudem bestehe Existenzgefährdung bei Festsetzung von Schenkungsteuer.

44

Dieses in keiner Weise glaubhaft gemachte und lediglich allgemein gehaltene Vorbringen genügt den aufgezeigten Anforderungen nicht, zumal das FA in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen hat, dass der eingereichten Gewinnermittlung für das Streitjahr 2012 zu entnehmen sei, dass die satzungsgemäßen Zwecke und die anderen laufenden Ausgaben durchaus eine gewisse Zeit aus dem vorhandenen Geldvermögen finanziert werden könnten.

45

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Tatbestand

1

I. Die Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) gewährt dem Vater (V) der am … Juni 1989 geborenen T Kindergeld. T ist schwerbehindert (GdB 100 %, Merkzeichen G). Sie lebt im Haushalt des V, der zugleich ihr Betreuer ist, und arbeitet in einer Behindertenwerkstatt.

2

Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) gewährt T Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Höhe von derzeit 302,68 €. V leistet gemäß § 94 Abs. 2 SGB XII für seine Tochter einen monatlichen Unterhaltsbeitrag in Höhe von 30,80 €.

3

Außerdem zahlt der Antragsteller für T Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII i.V.m. § 41 des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch in Höhe von monatlich 1.031,91 € an die Werkstätten für behinderte Menschen.

4

Mit Schreiben vom 12. Juli 2010 beantragte der Rechtsvorgänger des Antragstellers, das gegenüber dem V für T festgesetzte Kindergeld an ihn abzuzweigen. Mit Bescheid vom 4. August 2010 lehnte die Familienkasse den Antrag nach Anhörung des Kindergeldberechtigten ab, da V den vorgeschriebenen Kostenbeitrag entrichte und ihm weitere Kosten für T entstünden.

5

In dem hiergegen geführten Einspruchsverfahren bezifferte V die ihm im Zeitraum von Dezember 2008 bis Juni 2010 für den Unterhalt der T entstandenen Aufwendungen.

6

Die Familienkasse wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 28. Februar 2011 als unbegründet zurück, da V seine Unterhaltspflicht erfülle.

7

Hiergegen erhob der Antragsteller Klage. Die Familienkasse nahm nach Abweisung des Abzweigungsantrages im August 2010 die Kindergeldzahlung wieder auf und zahlt das Kindergeld fortlaufend an V aus. Sie beabsichtigt auch nicht, die Auszahlung des Kindergeldes bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren einzustellen.

8

Mit Schreiben vom 29. November 2011 beantragte der Antragsteller bei der Familienkasse "die Aussetzung der Vollziehung des Bewilligungsbescheides über die Gewährung von Kindergeld ... gemäß § 361 Abs. 2 Abgabenordnung und somit die vorläufige Einstellung der Kindergeldzahlung". Die Familienkasse lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 12. Dezember 2011 als unzulässig ab.

9

Den mit Schriftsatz vom 4. Januar 2012 gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wies das Finanzgericht (FG) zurück.

10

Mit der Beschwerde, verfolgt der Antragsteller sein Begehren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung weiter. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass die Familienkasse das Kindergeld weiter auszahle. Bereits ausgezahltes Kindergeld könne nicht mehr abgezweigt werden, so dass für den Antragsteller keine Möglichkeit bestehe, seine Ansprüche durchzusetzen. Die FG-Entscheidung verstoße gegen die im Senatsurteil vom 9. Februar 2009 III R 37/07 (BFHE 224, 290, BStBl II 2009, 928) aufgestellten Grundsätze, da sie davon ausgehe, dass bei volljährigen behinderten Kindern, die in den Haushalt des Kindergeldberechtigten aufgenommen worden sind, grundsätzlich davon ausgegangen werden könne, dass der Kindergeldberechtigte Unterhaltsleistungen erbringe, die den Betrag des Kindergeldes übersteigen würden.

11

Der Antragsteller beantragt sinngemäß, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Einstellung der Auszahlung des Kindergeldes bis zu einer endgültigen Entscheidung über den Abzweigungsantrag im Hauptsacheverfahren anzuordnen.

12

Die Familienkasse beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

13

II. Die Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet; die tatsächlichen Grundlagen des erhobenen Anspruchs sind auch im Beschwerdeverfahren nicht hinreichend dargetan worden.

14

1. Nach § 114 Abs. 1 Sätze 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des betreffenden Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Satz 2).

15

Diese gesetzlichen Grundlagen für den Erlass von einstweiligen Anordnungen nach § 114 Abs. 1 FGO unterscheiden sich u.a. darin, dass im erstgenannten Falle (Satz 1) die Sicherung eines bestehenden Zustands (Sicherungsanordnung) und im zweiten Falle (Satz 2) eine Verbesserung der bisherigen Rechtsposition in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (Regelungsanordnung) erreicht werden kann. Dagegen stimmen beide Grundlagen insoweit überein, als auch für die einstweilige Anordnung gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO aufgrund der Verweisung in § 114 Abs. 3 FGO auf Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) der Antragsteller den Anspruch und den Grund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung glaubhaft zu machen hat (vgl. §§ 920 Abs. 2 und 294 ZPO), wobei als Anspruch in diesem Sinne der Anspruch aus dem Rechtsverhältnis anzusehen ist, der vom Antragsteller in der Hauptsache verfochten wird oder werden soll (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 12. Januar 1993 VII B 169/92, BFH/NV 1994, 554, m.w.N.).

16

2. Seiner verfahrensmäßigen Last der hinreichenden Darlegung und Glaubhaftmachung ist der Antragsteller zumindest in Beziehung auf den Anordnungsanspruch auch in der Beschwerdeinstanz nicht nachgekommen, so dass nach den unter 1. dargelegten Grundsätzen unentschieden bleiben kann, auf welche der beiden gesetzlichen Grundlagen im Falle der Stattgabe eine einstweilige Anordnung zu stützen wäre.

17

Als Anspruch im erörterten Sinne kommt allein das vom Antragsteller geltend gemachte Recht in Betracht, von der Familienkasse gemäß § 74 Abs. 1 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) die Abzweigung des zugunsten des V festgesetzten Kindergeldes an sich zu verlangen.

18

Da es sich bei der Entscheidung über die Abzweigung um eine Ermessensentscheidung der Familienkasse handelt, ist dem FG nach § 102 FGO nur eine auf Ermessensfehler beschränkte Überprüfungsmöglichkeit eingeräumt (z.B. Senatsurteil vom 9. Februar 2009 III R 38/07, BFH/NV 2009, 1107, unter II.3.a). Wird im Hauptsacheverfahren eine im Ermessen der Behörde stehende Entscheidung begehrt, so besteht nach der Rechtsprechung des BFH ein Anordnungsanspruch nicht erst, wenn nach dem Vorbringen zur Begründung der einstweiligen Anordnung der Ermessensspielraum soweit eingeengt ist, dass nur eine dem Antragsteller günstige Ermessensentscheidung in Betracht kommt, sondern bereits dann, wenn danach für eine ihm günstige Ermessensentscheidung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht (z.B. BFH-Beschluss vom 12. Februar 1991 VII B 170/90, BFH/NV 1992, 42, unter II.2., m.w.N.).

19

3. Im Streitfall besteht unter den gegebenen Umständen keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass dem Begehren des Antragstellers auf Abzweigung des Kindergeldes stattgegeben werden wird.

20

a) Nach § 74 Abs. 1 Sätze 1, 3 und 4 EStG kann das für ein Kind festgesetzte Kindergeld an die Stelle ausgezahlt werden, die dem Kind Unterhalt gewährt, wenn der Kindergeldberechtigte ihm gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt, mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist oder nur Unterhalt in Höhe eines Betrags zu leisten braucht, der geringer ist als das für die Auszahlung in Betracht kommende Kindergeld.

21

b) Der Kindergeldberechtigte V ist als Verwandter in gerader Linie nach den §§ 1601 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zur Gewährung von Unterhalt verpflichtet, da T sich nicht selbst unterhalten kann. Der Unterhaltsanspruch umfasst nach § 1610 Abs. 2 BGB den gesamten Lebensbedarf. Dazu gehört auch der behinderungsbedingte Mehrbedarf der T.

22

aa) Die Unterhaltsverpflichtung wird nicht durch die Gewährung von Eingliederungshilfe an T ausgeschlossen, da es sich um eine subsidiäre Sozialleistung handelt, die den Unterhaltspflichtigen nicht von seiner Verpflichtung befreien soll (Senatsurteil vom 23. Februar 2006 III R 65/04, BFHE 212, 481, BStBl II 2008, 753, unter II.1.a, m.w.N.). Der Unterhaltsanspruch des Kindes, für das Sozialleistungen gewährt werden, geht grundsätzlich nach § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in Höhe der geleisteten Aufwendungen auf den Sozialleistungsträger über. Die Verpflichtung zur Unterhaltsgewährung bleibt auch insoweit bestehen, als der Unterhaltsanspruch eines volljährigen behinderten Kindes --wie im Streitfall-- nach § 94 Abs. 2 Sätze 1 und 3 SGB XII nur in Höhe eines Betrags von 26 € monatlich --bzw. des an die jeweilige Kindergelderhöhung angepassten Betrags-- auf den Sozialleistungsträger übergeht (Senatsurteil in BFHE 224, 290, BStBl II 2009, 928, unter II.1.a). Denn diese Regelung hat nur zur Folge, dass der gesetzliche Übergang des Unterhaltsanspruchs auf den Sozialleistungsträger, soweit er den Betrag von 26 € überschreitet, ausgeschlossen ist, setzt also voraus, dass überhaupt ein Unterhaltsanspruch besteht.

23

bb) Die Unterhaltsverpflichtung wird auch nicht wegen der für T gewährten Grundsicherungsleistungen wegen Erwerbsminderung ausgeschlossen. Wie der Senat mit Urteil vom 17. Dezember 2008 III R 6/07 (BFHE 224, 228, BStBl II 2009, 926, unter II.1.) entschieden hat, zählen zum unterhaltsrechtlich maßgeblichen Einkommen des Kindes auch Grundsicherungsleistungen, soweit sie nicht subsidiär sind. Sofern das Einkommen der Eltern unter der nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB XII geltenden Grenze von 100.000 € liegt, bleiben die gegen sie bestehenden Unterhaltsansprüche des Kindes unberücksichtigt. Daher mindern die Grundsicherungsleistungen den unterhaltsrechtlichen Bedarf des Kindes. § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB XII steht jedoch nur der Anrechnung von Unterhaltsansprüchen, nicht jedoch der Berücksichtigung von tatsächlich geleisteten Unterhaltszahlungen entgegen. Zum Einkommen des Grundsicherungsberechtigten gehören deshalb tatsächlich an ihn erbrachte Unterhaltszahlungen, selbst wenn das Einkommen des Unterhaltsverpflichteten die Einkommensgrenze des § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB XII unterschreitet (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20. Dezember 2006 XII ZR 84/04, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 2007, 1158).

24

cc) V ist seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachgekommen, da er die von dem Sozialleistungsträger erbrachten Kosten --mit Ausnahme des Kostenbeitrags in Höhe von 30,80 €-- nicht übernommen hat. Ob er diese Kosten trotz Leistungsfähigkeit oder mangels Leistungsfähigkeit nicht übernommen hat, kann dahingestellt bleiben, da nach § 74 Abs. 1 Sätze 1 und 3 EStG dem Grunde nach in beiden Fällen eine Abzweigung in Betracht kommt.

25

c) Zu Recht ist das FG für Zwecke des einstweiligen Rechtsschutzes davon ausgegangen, dass ein Ermessensfehler ausscheidet, da allein die Ablehnung der Abzweigung ermessensgerecht war (sog. Ermessensreduzierung auf Null).

26

aa) Nach der Rechtsprechung des Senats sind bei der Ausübung des Ermessens, ob und in welcher Höhe das Kindergeld an den --dem Kind anstelle des Kindergeldberechtigten Unterhalt gewährenden-- Sozialleistungsträger abzuzweigen ist, auch geringe Unterhaltsleistungen der Eltern zu berücksichtigen. Sind die Leistungen mindestens so hoch wie das Kindergeld, wird eine Abzweigung jedoch nicht als ermessensgerecht angesehen (Senatsurteil in BFHE 212, 481, BStBl II 2008, 753, unter II.2., m.w.N.).

27

bb)Im vorliegenden Fall war das Kind --anders als in dem Sachverhalt, der der von dem Antragsteller zitierten Entscheidung in BFHE 224, 290, BStBl II 2009, 928 zugrunde lag-- nicht vollstationär untergebracht, sondern befand sich nur tagsüber in der Behindertenwerkstatt. Über Nacht und an den freien Tagen befand sich T im Haushalt des Kindergeldberechtigten. Im Unterschied zu dem der Entscheidung in BFHE 224, 228, BStBl II 2009, 926 (unter II.2.) zugrunde liegenden Sachverhalt war der auf das Kind entfallende Anteil an den Kosten für Unterkunft und Heizung nach den von dem Antragsteller nicht bestrittenen Feststellungen des FG auch nicht in die für T gewährte Leistung der Grundsicherung nach dem SGB XII einbezogen. Vielmehr erbrachte V insoweit selbst Unterhaltsleistungen gegenüber T.

28

cc) Wie der Senat in der Entscheidung in BFHE 224, 290, BStBl II 2009, 928 (unter II.3.a) ausgeführt hat, ist zwar die Berücksichtigung fiktiver Kosten des Kindergeldberechtigten ausgeschlossen. Handelt es sich indessen --wie im Streitfall-- um tatsächlich entstandene Kosten für die Unterkunft, sind diese näher zu beziffern oder gegebenenfalls zu schätzen. Nach Aktenlage hat V die Kosten für die der T überlassenen Räumlichkeiten im Dachgeschoss seines Hauses mit 350 € zzgl. 50 € Nebenkosten beziffert, diese Kosten jedoch nicht nachgewiesen bzw. glaubhaft gemacht. Somit ist für Zwecke des einstweiligen Rechtsschutzes zunächst eine Schätzung der dem V entstandenen Aufwendungen vorzunehmen. Der Senat hat aus Gründen der Vereinfachung insoweit keine Bedenken, für die Frage der Bewertung der T überlassenen Unterkunft auf die Verordnung über die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Zuwendungen des Arbeitgebers als Arbeitsentgelt (Sozialversicherungsentgeltverordnung --SvEV--) in der jeweils geltenden Fassung zurückzugreifen. Der Wert einer als Sachbezug zur Verfügung gestellten Unterkunft wird gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 SvEV i.d.F. vom 2. Dezember 2011 (BGBl I 2011, 2453) auf monatlich 212 € festgelegt. Unter zusätzlicher Berücksichtigung des von V geleisteten Kostenbeitrags in Höhe von 30,80 € hat der Kindergeldberechtigte bereits Unterhaltsaufwendungen getragen, die den gesetzlichen Kindergeldbetrag von 184 € deutlich überschreiten. Es kann daher auch dahingestellt bleiben, ob V darüber hinaus weitere Aufwendungen entstanden sind. Eine Abzweigung scheidet folglich nach der sich aus § 74 Abs. 1 Satz 3 Alternative 2 EStG ergebenden gesetzlichen Wertung aus (vgl. Senatsurteil in BFHE 212, 481, BStBl II 2008, 753, unter II.2., m.w.N.).

Soweit im Einzelfall die Vollstreckung unbillig ist, kann die Vollstreckungsbehörde sie einstweilen einstellen oder beschränken oder eine Vollstreckungsmaßnahme aufheben.

Tatbestand

1

I. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) auf Gewährung des Betriebsausgaben- und Vorsteuerabzugs aus Schulungsleistungen eines Subunternehmers abgewiesen, der diese im Rahmen eines Subventionsbetruges ganz oder teilweise nicht erbracht hatte. Der Kläger wurde wegen leichtfertiger Unterstützung eines Subventionsbetruges rechtskräftig verurteilt, weil er Stundennachweise, Schulungsberichte und Teilnahmezertifikate erstellte, ohne zu prüfen, ob die Schulungen tatsächlich stattgefunden hatten. Dies ergebe sich aus Zeugenaussagen, wonach die Schulungen nicht den Umfang hatten, wie in den Stundennachweisen angegeben. Der Betriebsausgaben- und Vorsteuerabzug setze die tatsächliche Erbringung einer Leistung voraus, woran es fehle. Zu einer Teilschätzung sei das FG nicht in der Lage, weil nicht ansatzweise feststellbar sei, inwieweit die abgezeichneten Schulungsleistungen tatsächlich erbracht worden seien. Dem Antrag auf Vernehmung der Polizeibeamtin B sei nicht zu entsprechen, weil das Ergebnis der strafrechtlichen Ermittlungen unstreitig sei.

2

Der X. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat die Streitsache wegen Umsatzsteuer abgetrennt und den Rechtsstreit insoweit an den für Umsatzsteuer zuständigen V. Senat verwiesen.

Entscheidungsgründe

3

II. Die Beschwerde des Klägers wegen der Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg. Gründe, die eine Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache oder wegen Verfahrensfehlern zulassen, liegen nicht vor (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

4

1. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH hat eine Sache grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung des Rechts berührt. Es muss sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln. Die Rechtsfrage muss in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsbedürftig und im Streitfall auch klärbar sein (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 14. August 2001 XI B 57/01, BFH/NV 2002, 51). Diese Voraussetzungen müssen gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO in der Beschwerdebegründung dargelegt werden.

5

a) Der Kläger hat als grundsätzlich bedeutsam die Rechtsfrage hervorgehoben, ob "der Betriebsausgabenabzug auch dann mangels betrieblicher Veranlassung zu versagen ist, wenn der rechnungsstellende Leistungserbringer seiner Leistungspflicht zwar nicht nachkommt, dies aber für den Betriebsausgabenabzug begehrenden Leistungsnehmer unerkannt blieb". Diesem Vortrag durch den fachkundigen Rechtsvertreter des Klägers lässt sich nach Wortlaut und Begründung eine grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage für das Umsatzsteuerrecht nicht entnehmen.

6

b) Im Übrigen wäre diese Frage --bezogen auf einen Gutglaubensschutz beim Vorsteuerabzug-- für den Streitfall nicht entscheidungserheblich. Denn es ist durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) geklärt, dass "Wirtschaftsteilnehmer, die alle Maßnahmen treffen, die vernünftigerweise von ihnen verlangt werden können, um sicherzustellen, dass ihre Umsätze nicht in einen Betrug --sei es eine Mehrwertsteuerhinterziehung oder ein sonstiger Betrug-- einbezogen sind, auf die Rechtmäßigkeit dieser Umsätze vertrauen können, ohne Gefahr zu laufen, ihr Recht auf Vorsteuerabzug zu verlieren" (EuGH-Urteil vom 6. Juli 2006 C-439/04 und C-440/04, Kittel und Recolta, BFH/NV 2006, Beilage 4, 454 Rz 51). Ein Vertrauensschutz komme jedoch nur dann in Betracht, wenn der Steuerpflichtige die Einbeziehung in einen Betrug "weder kannte noch kennen konnte" (EuGH-Urteil in BFH/NV 2006, Beilage 4, 454 Rz 43). Die fahrlässige Unkenntnis von der Einbeziehung in einen Betrug schließt somit nach der EuGH-Rechtsprechung einen Gutglaubensschutz aus. Da der Kläger nach den Feststellungen des FG wegen "leichtfertiger Unterstützung eines Subventionsbetruges verurteilt" worden ist, käme es auf die Rechtsfrage, ob ein Vertrauensschutz auch bei in Rechnung gestellter, jedoch nicht erbrachter Leistung gewährt werden kann, mangels guten Glaubens nicht an.

7

2. Die Revision ist auch nicht wegen Verfahrensfehlern zuzulassen.

8

a) Entgegen dem Klägervortrag ist das FG nicht entgegen dem klaren Inhalt der Akten zu unzutreffenden Sachverhaltsfeststellungen gelangt, weil es Unterlagen nicht berücksichtigt habe, in denen Mitarbeiter die tatsächliche Durchführung von Schulungsmaßnahmen bestätigt haben. Das FG hat vielmehr ausgeführt, dass es die Teilnehmerlisten an Schulungen deshalb nicht berücksichtige, weil im Strafverfahren Zeugen ausgesagt hätten, dass die Schulungen nicht oder nicht den Umfang gehabt hätten, wie sie in den Stundennachweisen angegeben worden seien. Es hat damit die Stundennachweise berücksichtigt, ihnen nur wegen inhaltlicher Bedenken keinen Beweiswert zugesprochen. Darin liegt kein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten.

9

b) Das FG hat auch nicht verfahrensfehlerhaft Beweisanträge übergangen.

10

Nach § 76 Abs. 1 FGO hat das FG den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und dabei die erforderlichen Beweise zu erheben (§ 81 Abs. 1 Satz 2 FGO). Ein ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn das angebotene Beweismittel untauglich ist, wenn es auf die Beweistatsache nach der Rechtsauffassung des FG nicht ankommt oder wenn die Beweistatsache als wahr unterstellt werden kann (vgl. dazu z.B. BFH-Beschlüsse vom 19. März 2014 XI B 144/13, BFH/NV 2014, 1064, sowie vom 27. Oktober 2004 XI B 182/02, BFH/NV 2005, 564).

11

Der Kläger rügt die Nichtvernehmung der Polizeibeamtin B zum Beweis der Tatsachen, dass der Kläger wegen grob fahrlässigen Subventionsbetruges verurteilt worden sei und dass er Schulungen bescheinigt habe, obwohl diese tatsächlich nicht im vollen Umfang ausgeführt worden waren. Zur Erheblichkeit der unterlassenen Zeugeneinvernahme für die Entscheidung trägt der Kläger vor, der Betriebsausgabenabzug wäre nicht versagt worden, wenn das FG die Zeugin gehört hätte und diese bestätigt hätte, dass der Kläger "gutgläubig" gewesen sei. Abgesehen davon, dass diese Begründung den Betriebsausgabenabzug und nicht den hier streitigen Vorsteuerabzug betrifft, liegt kein Verfahrensfehler vor, weil diese Tatsachen vom FG als wahr unterstellt und in seinen Tatbestand aufgenommen hat, denn es ist davon ausgegangen, dass der Kläger grob fahrlässig Schulungsmaßnahmen bestätigt habe, die nicht oder nicht in vollem Umfang tatsächlich stattgefunden haben. Es hat aus diesen Tatsachen lediglich andere rechtliche Schlussfolgerungen gezogen. Damit ist kein Verfahrensfehler dargelegt.

12

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.

(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.

(1) Ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, so entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens durch Beschluss; der bisherige Sach- und Streitstand ist zu berücksichtigen.

(2) Soweit ein Rechtsstreit dadurch erledigt wird, dass dem Antrag des Steuerpflichtigen durch Rücknahme oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts stattgegeben oder dass im Fall der Untätigkeitsklage gemäß § 46 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 innerhalb der gesetzten Frist dem außergerichtlichen Rechtsbehelf stattgegeben oder der beantragte Verwaltungsakt erlassen wird, sind die Kosten der Behörde aufzuerlegen. § 137 gilt sinngemäß.

(3) Der Rechtsstreit ist auch in der Hauptsache erledigt, wenn der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Erledigungserklärung enthaltenden Schriftsatzes widerspricht und er vom Gericht auf diese Folge hingewiesen worden ist.

(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.

(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.

Tatbestand

1

I. Der Kläger, Revisionskläger und Antragsteller (Antragsteller) war mit einem Geschäftsanteil von 50 % als Kommanditist an der … GmbH & Co. KG (KG) beteiligt. Geschäftsführender Komplementär war die … GmbH, die u.a. vom Antragsteller vertreten wurde. Die KG betrieb auf einem seit dem 2. Juli 2002 im Eigentum einer anderen GmbH & Co. KG stehenden Grundstück einen Autohandel. Dieses Grundstück ist mit einem Erbbaurecht mit Veräußerungsbeschränkung durch Zustimmung des Grundstückseigentümers zugunsten einer GmbH & Co. KG (A-KG) belastet. Der Antragsteller und Herr … sind an der A-KG als Kommanditisten und an der Komplementär-GmbH zu je 50 % beteiligt. Die A-KG überließ das Grundstück mit Gebäude pachtweise der KG.

2

Im Oktober 2001 wurde die KG zahlungsunfähig. Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 1. Januar 2002 wurde über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet. Wegen rückständiger Umsatzsteuer der KG für das Jahr 2000 und für Dezember 2001 erließ der Beklagte, Revisionsbeklagte und Antragsgegner (das Finanzamt --FA--) am 24. Mai 2004 zwei auf § 74 der Abgabenordnung (AO) gestützte Haftungsbescheide, in denen die Haftung gegenständlich auf das Erbbaurecht am Grundstück beschränkt wurde. In Bezug auf den Haftungsbescheid wegen Umsatzsteuer für das Jahr 2000 erließ das FA zugleich gemäß § 219 AO eine Zahlungsaufforderung.

3

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass der Antragsteller zu Recht als Haftungsschuldner nach § 74 AO in Anspruch genommen worden sei.

4

Das FG hat in seiner Entscheidung die Revision zugelassen, die der Antragsteller mit Schriftsatz vom 6. Mai 2010 eingelegt hat (beim Bundesfinanzhof --BFH-- geführt unter dem Az. VII R 28/10).

5

Mit Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 6. Dezember 2010 hat das FA den Anteil des Antragstellers als Gesellschafter an dem Gesellschaftsvermögen der A-KG unter Einschluss des Auseinandersetzungsguthabens sowie dessen Anspruch auf Auszahlung der ihm von der Gesellschaft darlehensweise oder aufgrund anderer Vereinbarung hingegebenen oder belassenen Beträge gepfändet und die Einziehung verfügt.

6

Unter Bezugnahme auf die Revisionsbegründung hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom … gemäß § 69 der Finanzgerichtsordnung die Anträge gestellt, die Pfändungs- und Einziehungsverfügung des FA vom … Az. … aufzuheben und die Vollziehung des angefochtenen Haftungsbescheids vom … in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.

7

Der beschließende Senat hat mit Beschluss vom 7. Januar 2011 VII S 60/10 (BFH/NV 2011, 567) antragsgemäß entschieden.

8

Der Antragsteller begehrt die Festsetzung des Streitwerts. Er ist der Ansicht, dass die von ihm gestellten Anträge getrennt zu würdigen seien und dass der Streitwert hinsichtlich beider Anträge insgesamt … € betrage. Dabei sei hinsichtlich des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) von einem Streitwert in Höhe von 25 % der Haftungssumme auszugehen. Auf entsprechende Nachfrage des Berichterstatters hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 26. April 2011 mitgeteilt, dass wesentlicher Vermögensgegenstand der A-KG das Erbbaurecht sei, das noch … Jahre Bestand habe. Der jährliche Erbauzins betrage ca. … €. Bei einem Bewertungsfaktor von … ergebe sich ein rechnerischer Wertansatz für das Erbbaurecht, der die Haftungssumme bei weitem übersteige. Im Übrigen verfüge die A-KG über erhebliche Vermögenswerte. Ausweislich des Jahresabschlusses zum 31. Dezember 2009 habe sich das Aktivvermögen auf 666.654,13 € belaufen. Verbindlichkeiten gegenüber den Gesellschaftern bestanden in Höhe von 327.861,27 €. Es bestünden daher keine Zweifel, dass die gesamte Haftungssumme aus den gepfändeten Vermögensgegenständen hätte befriedigt werden können.

9

Das FA ist dagegen der Ansicht, dass nur der Antrag auf AdV zu berücksichtigen sei. Dieser betrage lediglich 10 % der Haftungssumme; folglich 60.215 €. Das Anlagevermögen der A-KG sei mit einem Buchwert von 129.569 € bilanziert worden. Zum 31. Dezember 2009 habe die Kommanditeinlage des Antragstellers 150.000 € betragen, die Forderung gegenüber der Gesellschaft sei mit 163.930 € ausgewiesen worden. Aus der Bilanz sei der aktuelle Wert des Erbbaurechts sowie der Forderung gegenüber der Gesellschaft zum Zeitpunkt der Pfändung nicht ersichtlich.

Entscheidungsgründe

10

II. Der Streitwert des Verfahrens war insgesamt auf 664.757 € festzusetzen.

11

1. Nach § 63 Abs. 2 Satz 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) setzt in der Finanzgerichtsbarkeit das Prozessgericht den Wert des Streitgegenstands durch Beschluss fest, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen erachtet.

12

2. In Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist der Streitwert grundsätzlich nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen (§ 52 Abs. 1 GKG).

13

a) Im Streitfall hat der Antragsteller zwei voneinander getrennt zu beurteilende Anträge gestellt. Zum einen begehrte er AdV eines Haftungsbescheids, zum anderen die Aufhebung einer bereits getroffenen Vollstreckungsmaßnahme. Aus der AdV des angefochtenen Haftungsbescheids folgt nicht ohne Weiteres, dass mit dieser Entscheidung auch die angefochtene Pfändungs- und Einziehungsverfügung als aufgehoben zu betrachten ist. Vielmehr bedarf es zur Aufhebung dieses Verwaltungsakts einer gesonderten Anordnung des Gerichts, die der Senat auch getroffen hat. Daraus folgt, dass die beiden Anträge hinsichtlich ihres jeweiligen Streitwerts getrennt zu würdigen sind.

14

b) Will ein Haftungsschuldner die Aufhebung eines Haftungsbescheids erreichen, ist für die Festsetzung des Streitwerts die im Haftungsbescheid in der Fassung der Einspruchsentscheidung festgestellte Haftungssumme maßgeblich (Senatsbeschluss vom 24. November 1994 VII E 7/94, BFH/NV 1995, 720). In Rechtsstreitigkeiten über die AdV von Steuerbescheiden beträgt der Streitwert nach ständiger Rechtsprechung des BFH regelmäßig 10 % des Betrags, für den die AdV beantragt wird (BFH-Beschluss vom 26. April 2001 V S 24/00, BFHE 194, 358, BStBl II 2001, 498, und Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., Vor § 135 Streitwert-ABC Aussetzung der Vollziehung). Diese Rechtsprechung ist auf die AdV von Haftungsbescheiden zu übertragen. Im Streitfall hat das FA die Haftungssumme für Umsatzsteuer für den Voranmeldungszeitraum 2001 auf 602.155 € festgesetzt. Darüber hinaus hat es in Bezug auf die Umsatzsteuer 2000 ein Leistungsgebot über 2.170 € erlassen. Der Streitwert für den AdV-Antrag beträgt demnach 10 % von 604.325 €, also 60.432 €.

15

c) In Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit einer Forderungspfändung ist der Streitwert im Allgemeinen nach dem Betrag zu bemessen, zu dessen Beitreibung die Pfändung ausgebracht worden ist, also nach der Höhe der zu vollstreckenden Forderung (Senatsbeschluss vom 26. Januar 1998 VII B 180/96, BFH/NV 1998, 879). Etwas anderes gilt nur, wenn die Vollstreckung hinsichtlich dieser Forderung nicht zum vollen Erfolg führt und sich der Wert der gepfändeten Forderung als niedriger erweist. In diesem Fall ist der Streitwert lediglich nach dem tatsächlichen finanziellen Erfolg der Pfändungsverfügung zu bemessen (Senatsbeschluss in BFH/NV 1998, 879). Im Streitfall hat die Pfändung zum Erfolg geführt, nämlich zur Pfändung des Anteils des Antragstellers am Gesellschaftsvermögen der A-KG unter Einschluss des Auseinandersetzungsguthabens sowie des Anspruchs auf Auszahlung der von der Gesellschaft darlehensweise oder aufgrund anderer Vereinbarung hingegebenen oder belassenen Beträge. Bei einer solch umfangreichen Pfändung ist es gerechtfertigt, als Streitwert den Betrag anzunehmen, zu dessen Beitreibung die Vollstreckungsmaßnahme getroffen worden ist (im Streitfall 604.325 €), zumal die ergänzenden Ausführungen des Antragstellers zur Höhe des Erbbauzinses, zur verbleibenden Restlaufzeit und zu den Vermögensverhältnissen der A-KG die Werthaltigkeit der gepfändeten Forderungen und Rechte belegen. Deren Verwertung hätte zur vollständigen Beitreibung der sich aus dem angefochtenen Haftungsbescheid ergebenden Forderungen offensichtlich ausgereicht.

Tatbestand

1

I. Der dem Kostenansatz zugrunde liegende Rechtsstreit betraf einen Antrag der Kostenschuldnerin und Erinnerungsführerin (Kostenschuldnerin), mit dem diese die Aufhebung der Vollziehung (AdV) einer für den Monat Juni 2011 abgegebenen Steueranmeldung über Kernbrennstoffsteuer in Höhe von … € (= über 30.000.000 €) begehrte. Das Finanzgericht (FG) gab diesem Antrag statt und hob die Vollziehung der angefochtenen Steueranmeldung ohne Sicherheitsleistung auf. Mit Beschluss vom 9. März 2012 VII B 171/11 (BFHE 236, 206, BStBl II 2012, 418) hat der Bundesfinanzhof (BFH) die Entscheidung des FG aufgehoben und den Antrag auf AdV abgelehnt. Die Kosten des gesamten Verfahrens wurden der Kostenschuldnerin auferlegt. Mit Kostenrechnung vom 29. März 2012 hat die Kostenstelle des BFH die für das Verfahren zu entrichtenden Gerichtskosten mit … € angesetzt, wobei sie --ausgehend von der vollen Höhe des Aussetzungsbetrags-- einen Streitwert in Höhe von 10 v.H. dieses Betrags und somit … € (= unter 30.000.000 €) zugrunde gelegt hat.

2

Dagegen wendet sich die Kostenschuldnerin mit ihrer Erinnerung. Sie ist der Ansicht, der Berechnung des Streitwerts sei der in § 39 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) festgelegte Höchststreitwert von 30 Mio. € zugrunde zu legen. Erst auf Grundlage dieses beschränkten Hauptsachestreitwerts sei der Streitwert für das AdV-Verfahren zu bemessen. Der von der Kostenstelle des BFH gewählte Ansatz würde dazu führen, dass sich ab einem Streitwert von 300 Mio. € die Streitwerte des Hauptsacheverfahrens und des AdV-Verfahrens entsprechen würden. Dieses Ergebnis widerspreche dem Sinn des reduzierten Streitwerts in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes.

Entscheidungsgründe

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II. Die Erinnerung hat keinen Erfolg.

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1. Gemäß § 53 Abs. 2 Nr. 3 GKG ist der Streitwert eines Verfahrens nach § 69 Abs. 3, 5 der Finanzgerichtsordnung nach § 52 Abs. 1 und 2 GKG zu bestimmen. Soweit nichts anderes bestimmt ist, ist der Streitwert in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen (§ 52 Abs. 1 GKG). Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist im finanzgerichtlichen AdV-Verfahren der Streitwert mit 10 v.H. des Betrags zu bemessen, dessen Aussetzung begehrt wird (vgl. Beschlüsse vom 14. Dezember 2007 IX E 17/07, BFHE 220, 22, BStBl II 2008, 199; vom 26. April 2001 V S 24/00, BFHE 194, 358, BStBl II 2001, 498, und vom 4. Mai 2011 VII S 60/10, BFH/NV 2011, 1721).

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2. Im vorliegenden Fall hat die Kostenschuldnerin die Aufhebung der Vollziehung einer Steueranmeldung in Höhe von … € (= über 30.000.000 €) begehrt. Die Bedeutung des Hauptsacheverfahrens, in dem die Kostenschuldnerin eine endgültige Freistellung von der Zahlungspflicht begehrt, ergibt sich demnach aus diesem Steuerbetrag.

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Allerdings ist zu beachten, dass der Streitwert nach § 39 Abs. 2 GKG höchstens 30 Mio. € beträgt. Dabei handelt es sich um einen absoluten Höchstwert, der allgemein gilt (Hartmann, Kostengesetze, 42. Aufl., § 39 GKG Rz 5). Ausweislich der Gesetzesbegründung soll die allgemeine Wertgrenze verhindern, dass bei hohen Streitwerten unverhältnismäßig hohe Gebühren entstehen. Mit der Neuregelung wird das mit der Prozessführung verbundene Kostenrisiko für die Parteien in Verfahren mit hohen Streitwerten auf ein angemessenes Maß zurückgeführt (BTDrucks 15/1971, S. 154). Die typisierende Begrenzung des Streitwerts auf 30 Mio. € ist unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Februar 2007  1 BvR 910/05, 1 BvR 1389/05, BVerfGE 118, 1).

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In finanzgerichtlichen AdV-Verfahren ist der Höchstwert in der Weise zu berücksichtigen, dass der zunächst aufgrund der Bedeutung der Rechtssache ermittelte und sodann auf 10 v.H. reduzierte Steuerbetrag diesen Höchstwert nicht überschreiten darf. Dadurch wird dem Anliegen des Gesetzgebers auch in AdV-Verfahren Rechnung getragen. Der Wortlaut des § 52 Abs. 1 GKG ist eindeutig und lässt eine von ihm abweichende Bestimmung des Höchststreitwerts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht zu. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass für das Hauptsacheverfahren und das AdV-Verfahren unterschiedlich hohe Gebührensätze vorgesehen sind. Für ein AdV-Verfahren können maximal zwei Gebühren anfallen.

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Dass sich bei Verfahren über Steuerforderungen in Höhe von mindestens 300 Mio. € identische Streitwerte für das Hauptsacheverfahren und das Verfahren, mit dem vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, ergeben, ist eine vom Gesetzgeber in Kauf genommene Rechtsfolge der typisierenden Regelung. Jedenfalls hat der Gesetzgeber davon abgesehen, für Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine von § 52 GKG i.V.m. § 39 Abs. 2 GKG abweichende Regelung zu treffen.

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Im Streitfall hat die Kostenstelle den Streitwert mit … € (= unter 30.000.000 €) angesetzt, so dass die Streitwertgrenze des § 39 Abs. 2 GKG nicht überschritten wird.

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3. Das Verfahren über die Erinnerung ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 66 Abs. 8 GKG).