Landgericht München I Beschluss, 12. Feb. 2015 - 7 O 9443/12

bei uns veröffentlicht am12.02.2015

Gericht

Landgericht München I

Tenor

Das Verfahren wird bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Nichtigkeitsklage der Beklagten zu 1 vom 13. September 2012 gegen den deutschen Teil des europäischen Patents 845 124 B 1 (derzeit anhängig beim Bundesgerichtshof mit dem Az. X ZR 21/14) ausgesetzt.

Gründe

A.

Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen Verletzung ihrer Rechte aus dem deutschen Teil des europäischen Patents 845 124 B 1 in Anspruch. Betroffen ist im Kern der Internet-Kartendienst, den die Beklagte zu 2 unter der Bezeichnung „Google Maps“ anbietet.

Die Parteien

Die Klägerin ist ein multinationaler Software- und Hardwarehersteller. Die Beklagten zu 1 und zu 3 vertrieben unter anderem Mobiltelefone und Tablet-Computer. Die Beklagte zu 2 betreibt unter anderem eine gleichnamige Suchmaschine und einen Onlinekartendienst.

Das Klagepatent

Das Klagepatent wurde am 15. August 1996 angemeldet. Es nimmt die Priorität vom 16. August 1995 (GB 9 516762) in Anspruch. Der Hinweis auf die Patenterteilung erfolgte am 17. Mai 2000.

1. A method of operating a computer system, the method comprising the steps of:

storing on a map server computer (11) map data representative of a map of a geographical area; storing on the map server computer (11) coordinate data indicative of the spatial coordinates of at least one point associated with the geographical area represented by the map, so as to enable correlation of points on the map with their corresponding geographical location;

storing on an information server computer (12) information data relating to at least one place of interest within the geographical area, said information data including data representative of the spatial coordinates of the place of interest within the area:

transmitting a map request to the map server computer (11) from a client computer (10), and transmitting from the map server computer (11) to the client computer (10) in response to the map request the map data; utilising the map data to display an image of the map on a visual display unit (1) associated with 1he client computer (10);

transmitting an information request to the information server computer (12) from the client computer (10), and transmitting from the information server computer (12) to the client computer (10) in response to the information request the information data relating to at least one place of interest within 1he geographical area; and, displaying the information data relating to at least one place of interest on the visual display unit (1).

Patentanspruch 1 lautet in der deutschen Übersetzung wie folgt:

1. Verfahren zum Betreiben eines Computersystems, wobei das Verfahren die folgenden Schritte aufweist:

Speichern von Kartendaten auf einem Karten-Servercomputer (11), welche eine Karte eines geographischen Gebiets darstellen:

Speichern von Koordinatendaten auf dem Karten-Servercomputer (11), welche die räumlichen Koordinaten mindestens eines Punkts anzeigen, welcher dem durch die Karte dargestellten, geographischen Gebiet zugeordnet ist, so dass eine Korrelation von Punkten auf der Karte mit ihrem entsprechenden geographischen Ort ermöglicht wird;

Speichern von Informationsdaten auf einem Informations-Servercomputer (12), welche sich auf mindestens eine interessierende Stelle in dem geographischen Gebiet beziehen, wobei die Informationsdaten Daten beinhalten, welche die räumlichen Koordinaten der interessierenden Stelle Innerhalb des Gebiets darstellen;

Übermitteln einer Kartenanfrage von einem Client-Computer (10) an den Karten-Servercomputer (11) und Übermitteln der Kartendaten von dem Karten-Servercomputer (11) an den Client-Computer (10) in Reaktion auf die Kartenanfrage;

Verwenden der Kartendaten zum Anzeigen einer Abbildung der Karte auf einer visuellen Anzeigeeinheit (1), die dem Client-Computer (10) zugeordnet ist;

Übermitteln einer Informationsanfrage an den Informations-Servercomputer (12) von dem Client-Computer (10) und Übermitteln der Informationsdaten von dem Informations-Servercomputer (12) an den Client-Computer (10) in Reaktion auf die Informationsanfrage, die sich auf mindestens eine interessierende Stelle Innerhalb des geographischen Gebiets beziehen; und

Anzeigen der Informationsdaten, die sich auf mindestens eine interessierende Stelle auf der visuellen Anzeigeeinheit (1) beziehen.

4. A method according to any of claims 1 to 3, including the step of superimposing information relating to the place of interest on the image on the visual display unit, at a position on the image corresponding to the location of the place of interest on the map.

Patentanspruch 4 lautet in der deutschen Übersetzung wie folgt:

4, Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 3, mit dem Schritt des Überlagerns von Information, die sich auf die interessierende Stelle bezieht, auf die Abbildung auf der visuellen Anzeigeeinheit, in einer Position auf der Abbildung, die dem Ort der interessierenden Stelle auf der Karte entspricht.

Patentanspruch 14 lautet im englischen Original wie folgt:

14. A computer system, the computer system comprising:

a map server computer (11) for storing map data representative of a map of a geographical area and coordinate data representative of the spatial coordinates of at least one point lying within the area represented by the map: an information server computer (12) for storing information data representative of at least one place of interest within the geographical area, said data including data representative of the spatial coordinates of the place of interest within the area, and,

a client computer (10), the client computer (10) having a visual display unit (1); wherein the client computer (10) includes

means for transmitting a map request to the map server computer (11) to request transfer to the client computer (10) of the map data,

means for displaying an image of the map on the visual display unit (1), and

means for transmitting an information request to the information server computer (12) to identify places of interest known to it and lying within the geographical area,

wherein the information server computer (12) includes means for transmitting to the client computer (10) in response to the information request the data representative of at least one place of interest within the geographical area, and

wherein the client computer (10) includes means for displaying said data associated with the place of interest on the visual display unit (1).

Patentanspruch 14 lautet in der deutschen Übersetzung wie folgt:

14. Computersystem, wobei das Computersystem aufweist:

einen Karten-Servercomputer (11) zum Speichern von Kartendaten, welche eine Karte eines geographischen Gebiets darstellen, und Koordinatendaten, welche die räumlichen Koordinaten mindestens eines Punkts darstellen, welcher in dem Gebiet, welches durch die Karte dargestellt ist, liegt;

einen Informations-Servercomputer (12) zum Speichern von Informationsdaten, welche mindestens eine interessierende Stelle innerhalb des geographischen Gebiets darstellen, wobei die Daten Daten beinhalten, welche die räumlichen Koordinaten der interessierenden Stelle innerhalb des Gebiets darstellen; und

einen Client-Computer (10), wobei der Client-Computer (10) eine visuelle Anzeigeeinheit (1) aufweist;

wobei der Client-Computer (10) beinhaltet:

eine Einrichtung zum Übermitteln einer Kartenanfrage an den Karten-Servercomputer (11), um eine Übertragung der Kartendaten an den Client-Computer (10) anzufordern;

eine Einrichtung zum Anzeigen einer Abbildung der Karte auf der visuellen Anzeigeeinheit (1); und

eine Einrichtung zum Übertragen einer Informationsanfrage an den Informations-Servercomputer (12), um ihm bekannte und innerhalb des geographischen Gebiets liegende interessierende Stellen zu identifizieren.

wobei der Informations-Servercomputer (12) eine Einrichtung zur Übermittlung der Daten, welche mindestens eine interessierende Stelle innerhalb des geographischen Gebiets darstellen, an den Client-Computer (10) in Reaktion auf die Informationsanfrage beinhaltet; und

wobei der Client-Computer (10) eine Einrichtung beinhaltet zum Anzeigen der Daten, die der interessierenden Stelle auf der visuellen Anzeigeeinheit (1) zugeordnet sind.

Patentanspruch 17 lautet im englischen Original wie folgt:

17. A computer system according to any of claims 14 to 16, wherein the client computer (10) includes means for superimposing information relating to the place of interest on the image on the visual display unit (1), at a position on the image corresponding to the location of the place of Interest on the map.

Patentanspruch 17 lautet in der deutschen Übersetzung wie folgt:

17. Computersystem nach einem der Ansprüche 14 bis 16, wobei der Client-Computer (10) eine Einrichtung zum Überlagern von Information, welche sich auf die interessierende Stelle auf der Abbildung auf der visuellen Anzeigeeinheit (1) bezieht, auf eine Position auf der Abbildung, die dem Ort der interessierenden Stelle auf der Karte entspricht, beinhaltet.

Die angegriffene Ausführungsform

Die Beklagte zu 2 betreibt verschiedene Internet-Server, auf denen Daten für die Anzeige von Karten und Informationen gespeichert sind.

Nach dem Starten von „Google Maps“ (entweder über die sog. App „Maps“ oder durch Aufrufen z. B. der Webseite http://m...com) und nach Eingabe einer Suchanfrage des Nutzers (z. B. „München McDonalds“) wurde von dem Client-Computer des Nutzers eine Anfrage an einen Server gesendet, der unter der Domain http://m...com erreichbar war. Die Anfrage des Client-Computers hatte bei der Suche nach „München McDonalds“ z. B. die folgend wiedergegebene Form (Anlage K26, S. 11, Abb. 4.4):

http://m...com/m...

Als Antwort auf diese Anfrage erhielt der Client-Computer ein HTML-Dokument (vgl. Exhibit 3 zur Anlage B4). Das HTML-Dokument enthielt - vergleichbar mit einem Kochrezept - Anweisungen für die Darstellung des Suchergebnisses. Mit dem HTML-Dokument waren der Kartenausschnitt, die Position der Marker, der anzuzeigende Text und weitere anzuzeigende Objekte, Grafiken und Links eindeutig festgelegt. Eine fertige, umfassende Grafikdatei in Form eines Kartenausschnitts mit Markierungen und Einträgen wurde nicht übermittelt. In dem gesendeten HTML-Dokument waren Informationen für die Darstellung der Karte mit allen Markierungen und sonstigen Einträgen und Informationen in Form von Anweisungen enthalten. Das HTML-Dokument umfasste eine Liste von Anweisungen, die dann von dem Client abgearbeitet wurden. Für den Fall, dass der Client-Computer nicht (bereits) über die erforderlichen Kartendaten verfügte, sendete dieser weitere Anfragen (in Form von Teil-Kartenanfragen an Server der G. Inc. (z. B. http://m...com), wodurch eine bestimmte Kachel der entsprechenden Karte angefordert wurde. Diese Anfrage wurde automatisch ohne das Zutun des Nutzers von der Applikation/Software „Google Maps“ gesendet. Die auf diese Anfrage gelieferten Daten entsprachen denen einer Kachel wie z. B. der im Folgenden wiedergegebenen:

Bild

Um mehrere Kacheln für eine große Karte zu erhalten, stellte die Anwendung „Google Maps“ mehrere Anfragen an verschiedene Adressen der Art http://m...l, wobei der Platzhalter* z. B. die Werte von 0 - 1 annahm. Die G. Inc. hatte ihre Daten für Karten nicht als Raster- bzw. Pixelgrafiken gespeichert (abgesehen von einem temporären Caching bestimmter häufig angefragter Kacheln in einem flüchtigen Speicher), sondern sie hatte lediglich Rendering-Informationen gespeichert, aus denen dann in jedem einzelnen Fall eine png-Datei erstellt wurde. Die auf dem Client-Computer erhaltenen Kartendaten und Informationsdaten wurden schließlich auf dem Bildschirm angezeigt.

Angegriffen wurden von der Klägerin vor allem folgende Mobiltelefone, Smartphones und Tablets des Typs:

Der Gang des Verfahrens

Der Vortrag der Klägerin

Die Klägerin trägt vor, dass die „Google Maps“-App, die bei Aufrufen des Dienstes über den Internetbrowser auf dem Client-Computer genutzt werde, bzw. die vorinstallierte „Maps“-App automatisch auf dem Client-Computer abliefen und selbstständig zahlreiche Verfahrensschritte durchführten. Vor allem ...

Schließlich meint die Klägerin, der Rechtsstreit sei nicht auszusetzen, weil die Nichtigerklärung des Klagepatents evident unrichtig sei und das Verletzungsgericht diese Unrichtigkeit auch verlässlich erkennen könne, weil ihm die auftretenden technischen Fragen in Anbetracht des Sachvortrags der Parteien zugänglich seien und von ihm auf der Grundlage ausreichender Erfahrung in der Beurteilung technischer und patentrechtlicher Sachverhalte abschließend beantwortet werden könnten. Vielmehr werde das Klagepatent in dem anhängigen Nichtigkeitsberufungsverfahren vor dem Bundesgerichtshof aufrechterhalten werden - jedenfalls in dem im Verletzungsverfahren beschränkt geltend gemachten Umfang. Rechtsfehlerhaft sei das Bundespatentgericht davon ausgegangen, dass ...

Die klägerischen Anträge in historischer Reihenfolge

Der zuletzt gestellte Klageantrag Die Klägerin stellt zuletzt folgende Anträge:

A. Die Beklagten werden verurteilt,

I. es ... jeweils zu unterlassen,

1. Verfahren zum Betreiben eines Computersystems in der Bundesrepublik Deutschland anzuwenden, wobei das Verfahren die folgenden Schritte aufweist.

2. Computersysteme, in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen und/oder zu gebrauchen und/oder zu den genannten Zwecken einzuführen und/oder zu besitzen, wobei das Computersystem aufweist ...

II.

der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen und in einer geordneten Aufstellung unter Vorlage von Belegen, wie Rechnungen oder Lieferscheinen oder Quittungen, schriftlich darüber Rechnung zu legen, unter Beifügung der Auskunft als Datei eines üblichen Datenverarbeitungssystems, beispielsweise als Excel Tabelle, in welchem Umfang sie die unter Ziff. A.I. bezeichneten Handlungen, die Beklagte zu 1) seit dem 22. Juli 2009, die Beklagte zu 2) seit dem 17. Juni 2000, die Beklagte zu 3) seit dem 12. März 2007, jeweils bis zum 13. Oktober 2014, begangen haben, und zwar unter Angabe .

III.

der ... darüber Auskunft zu erteilen und in einer geordneten Aufstellung unter Vorlage von Belegen, wie Rechnungen oder Lieferscheinen oder Quittungen, schriftlich darüber Rechnung zu legen, unter Beifügung der Auskunft als Datei eines üblichen Datenverarbeitungssystems, beispielsweise als Excel Tabelle, in welchem Umfang sie die unter Ziff. A.I. bezeichneten Handlungen seit dem 14. Oktober 2014 begangen haben, und zwar unter Angabe.

IV.

nur die Beklagten zu 1) und zu 3), die vorstehend unter Ziff. A.I.2. bezeichneten, in Verkehr gebrachten, durch die Beklagte zu 1) seit dem 22. Juli 2009, durch die Beklagte zu 3) seit dem 12. März 2007, Client-Computer, insbesondere ..., als Teil der Computersysteme gemäß Ziff. A.I.2. gegenüber den gewerblichen Abnehmern unter Hinweis auf den gerichtlich festgestellten patentverletzenden Zustand der Erzeugnisse mit der verbindlichen Zusage mittels schriftlichen Rückrufschreibens aus den Vertriebswegen zurückzurufen, etwaige Entgelte zu erstatten sowie notwendige Verpackungs- und Transportkosten sowie mit der Rückgabe verbundene Zoll- und Lagerkosten zu übernehmen, oder diese Erzeugnisse aus den Vertriebswegen endgültig zu entfernen.

V.

nur die Beklagten zu 1) und zu 3), die in ihrem unmittelbaren und/oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum befindlichen, vorstehend unter Ziff. A.I.2. bezeichneten Client-Computer, insbesondere ..., als Teil der Computersysteme gemäß Ziff. A.I.2. auf eigene Kosten zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von der Klägerin zu benennenden oder zu beauftragenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten zu 1) und zu 3) herauszugeben.

VI.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten - soweit sie als Mittäter handeln, als Gesamtschuldner - verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dem früheren Patentinhaber ... im Zeitraum vom 17. Juni 2000 bis zum 12. Dezember 2007 durch die in Ziff. A.I. bezeichneten Handlungen, der Beklagten zu 2) seit dem 17. Juni 2000, der Beklagten zu 3) seit dem 12. März 2007, entstanden ist und ihr selbst seit dem 13. Dezember 2007 durch diese Handlungen sowie durch die Handlungen der Beklagten zu 1) seit dem 22. Juli 2009, jeweils bis zum 13. Oktober, entstanden ist.

VII.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten - soweit sie als Mittäter handeln, als Gesamtschuldner - verpflichtet sind, der ... allen Schaden zu ersetzen, der ihr selbst durch die in Ziff. A.I. bezeichneten Handlungen seit dem 14. Oktober 2014 entstanden ist und künftig entstehen wird.

B. hilfsweise zu Ziff. A.:

Die Beklagten zu 1) und zu 3) werden verurteilt, ...

C. hilfsweise zu Ziff. A.:

Die Beklagte zu 2) wird verurteilt,

Der Antrag der Beklagten

Die Beklagten beantragen:

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Das Verfahren wird bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Nichtigkeitsklage der Beklagten zu 1 vom 13. September 2012 gegen den deutschen Teil des europäischen Patents 845 124 B 1 derzeit anhängig beim Bundesgerichtshof mit dem Az. X ZR 21/14 ausgesetzt.

3. Der Beklagten zu 2 ist es im Falle eine Verurteilung gestattet, die Vollstreckung des Unterlassungsanspruchs durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung der Klägerin abzuwenden.

Der Vortrag der Beklagten

Die Beklagten tragen vor, dass ...

Schließlich und hilfsweise meinen die Beklagten, das Verletzungsverfahren sei auszusetzen. Das Bundespatentgericht habe in seiner Entscheidung vom 27. Februar 2014 (Anlage B 39) das Klagepatent zu Recht vernichtet, weil das Klagepatent ausgehend von der Druckschrift D8 zumindest nahegelegt sei. Zu Recht gehe das Bundespatentgericht davon aus, dass ...

B.

I.

Das Klagepatent bezieht sich auf Computersysteme und Verfahren zum Betreiben von Computersystemen, besonders in Bezug auf das World Wide Web. Vor allem ermöglicht die klagepatentgemäße Erfindung dem Benutzer, seinen Computer oder sein Mobiltelefon zur mobilen Karten-Navigation zu nutzen und Informationen über geographisch zugeordnete „interessierende Orte“, sogenannte „places of interest“ (POIs), zu erhalten, wobei die Daten zur Berechnung der Karten und der „interessanten Orte“ aus dem Internet heruntergeladen werden können.

II.

In Übereinstimmung mit dem Bundespatentgericht (Anlage K 40, Seite 49) definiert die Kammer den hier einschlägigen Fachmann als einen berufserfahrenen, in der Entwicklung von Geoinformationssystemen bewanderten Softwareentwickler mit Hochschulabschluss, der Kenntnisse in Client-Server-basierten Netzwerken, etwa dem Internet bzw. dem World Wide Web „WWW“ besitzt. Dieser Fachmann verfügt außerdem über Kenntnisse aus den Bereichen Navigation und Global Positioning System (GPS).

III.

Zum Stand der Technik referiert das Klagepatent in seiner Beschreibung Folgendes:

I.

1. Das Internet bestehe aus einer großen Anzahl von Host- bzw. Server-Computern, auf welche ein Client-Computer mit Hilfe von Browsern zugreife, um Informationen zu erhalten. Verschiedene aus dem Stand der Technik bekannte Standard-Protokolle ermöglichten den Informationsaustausch zwischen Server und Client. Die Standard-Protokolle stellten die Voraussetzung dafür dar, dass Anfragen von vielen Client-Computern nach bestimmten Informationen formuliert und über das Internet an den Computer gesendet würden, welcher die relevanten Informationen bereithalte und diese unter Verwendung derselben Protokolle an den anfragenden Client-Computer zurücksende. Das im World Wide Web verwendete Protokoll sei ein vereinbarter Standard, der als „HyperText Transfer Protocol“ (HTTP) bekannt sei. Die Sprache, in welcher Web-Seiten erzeugt werden, sei als „HyperText Markup Language“ (HTML) bekannt (Anlage K1, Absätze [0001 - 0005]). Ein Vorteil des World Wide Web als Werbemedium bestehe darin, dass unzählige Clients auf einen Server unabhängig von dessen geografischem Standort zugreifen könnten (Anlage K1, Absatz [0007]).

2. Als weiteren Stand der Technik führt das Klagepatent ein Dokument von Arikawa zum Thema „Personal dynamic maps based on distributed geographic information servers“ an. Dieses mache als ein Navigationssystem für ein Fahrzeug ein Verfahren der Konstruktion von dynamischen Karten durch Kombinieren von visuellen Schichten bekannt, die sich auf mehrere geografische Datenbanken bezögen, welche die geografischen Daten als Konzeptobjekte speicherten (Anlage K1, Absatz [0010]).

Außerdem wird in der Beschreibung noch auf den Xerox PARC Map Server (Anlage K6) sowie auf zwei Schriften EP-A-0239143 (EP 239 143, Anlage K7) und EP-A-0379198 (EP 379198, Anlage K8) hingewiesen (Anlage K1, Absatz [0011 0013]).

IV.

Das Klagepatent kritisiert an diesem Stand der Technik als nachteilig, dass aufgrund des zum Zeitrang des Klagepatents bestehenden Aufbaus des World Wide Webs Fragen über Orte und deren spezifische Nachbarschaft nicht zufriedenstellend beantwortet werden könnten. Der Anwender könne mittels der bekannten Systeme und Verfahren beispielsweise keine Antwort auf die Frage „Wo ist das nächstgelegene Hamburger-Restaurant?“ erhalten.

Ferner kritisiert das Klagepatent folgende zwei Probleme der Geoinformationssysteme (GIS) als nachteilig: Zum einen mangele es an Kompatibilität von geographischen Anfragen/Antworten an bzw. aus verschiedenen Quellen, weil kein singuläres, standardisiertes geographisches Referenzmodell bestehe und der Datenaustausch auf dieses beschränkt sei (Anlage K1, Absatz [0068]). Zum anderen müsste man sich bei Informationen bereitstellenden Servern um die Rechte an Karten oder an Kartensoftware kümmern, wenn diese Server ebenfalls geografische Informationen mit anbieten wollten (Anlage K1, Absatz [0069]).

V.

Vor diesem Hintergrund spricht das Klagepatent das Problem an, den Zugang von Nutzern des Internets (insbesondere des World Wide Web) zu Internetressourcen zu vereinfachen, wobei die Hauptunterscheidung zwischen unterschiedlichen interessierenden Orten geographisch sein soll (Anlage K1, Absatz [0009]).

VI.

Das Klagepatent schlägt zur Lösung der genannten Aufgabe ein Verfahren nach dem erteilten Patentanspruch 1 vor, der nach seinen Merkmalen wie folgt gegliedert werden kann:

1. Verfahren zum Betreiben eines Computersystems

1.1 Das Verfahren weist den Schritt des Speicherns von Kartendaten auf einem Karten-Servercomputer (11) auf, welche eine Karte eines geografischen Gebiets darstellen.

1.2 Das Verfahren weist den Schritt des Speicherns von Koordinatendaten auf dem Karten-Servercomputer (11) auf, welche die räumliche Koordinaten mindestens eines Punkts anzeigen, welcher dem durch die Karte dargestellten, geografischen Gebiet zugeordnet ist, so dass eine Korrelation von Punkten auf der Karte mit ihren entsprechenden geografischen Ort ermöglicht wird.

1.3 Das Verfahren weist den Schritt des Speicherns von Informationsdaten auf einem Informations-Servercomputer (12) auf, welche sich, auf mindestens eine interessierende Stelle in dem geografischen Gebiet beziehen, wobei die Informationsdaten Daten beinhalten, welche die räumlichen Koordinaten der interessierenden Stelle innerhalb des Gebiets darstellen.

1.4.1 Das Verfahren weist den Schritt des Übermittelns einer Kartenanfrage von einem Client-Computer (10) an den Karten-Servercomputer (11) auf.

1.4.2 Das Verfahren weist den Schritt des Übermittelns der Kartendaten von dem Karten-Servercomputer (11) an den Client-Computer (10) in Reaktion auf die Kartenanfrage auf.

1.5 Das Verfahren weist den Schritt des Verwendens der Kartendaten zum Anzeigen einer Abbildung der Karte auf einer visuellen Anzeigeeinheit (1) auf, die dem Client-Computer (10) zugeordnet ist.

1.6.1 Das Verfahren weist den Schritt des Übermittelns einer Informationsabfrage an den Informations-Servercomputer (12) vom dem Client-Computer (10) auf.

1.6.2 Das Verfahren weist den Schritt des Übermittelns der Informationsdaten auf, die sich auf mindestens eine interessierende Stelle innerhalb desgeografischen Gebiets beziehen, von dem Informations-Servercomputer (12) an den Client-Computer in Reaktion auf die Informationsabfrage.

1.7 Das Verfahren weist den Schritt des Anzeigens der Informationsdaten auf, die sich auf mindestens eine interessierende Stelle auf der visuellen Anzeigeeinheit (1) beziehen.

Außerdem werde diese Aufgabe durch das Computersystem nach dem unabhängigen Patentanspruch 14 gelöst, der nach seinen Merkmalen wie folgt gegliedert werden kann:

14 Computersystem

14.1 Das Computersystem weist einen Karten-Servercomputer (11) zum Speichern von Kartendaten auf, welche eine Karte eines geografischen Gebiets darstellen, und [zum Speichern von] Koordinationsdaten, welche die räumlichen Koordinaten mindestens eines Punkts darstellen, welcher in dem Gebiet liegt, welches durch die Karte dargestellt ist.

14.2 Das Computersystem weist einen Informations-Servercomputer (12) zum Speichern von Informationsdaten auf, welche mindestens eine interessierende Stelle innerhalb des geografischen Gebiets darstellen, wobei die Daten Daten beinhalten, welche die räumlichen Koordinaten der interessierenden Stelle innerhalb des Gebiets darstellen.

14.3 Das Computersystem weist einen Client-Computer (10) auf, wobei der Client-Computer (10) eine visuelle Anzeigeeinheit (1) aufweist.

14.3.1 Der Client-Computer (10) beinhaltet eine Einrichtung zum Übermitteln einer Kartenanfrage an den Karten-Servercomputer (11), um eine Übertragung der Kartendaten an den Client-Computer (10) anzufordern.

14.3.2 Der Client-Computer (10) beinhaltet eine Einrichtung zum Anzeigen einer Abbildung der Karte auf der visuellen Anzeigeeinheit (1).

14.3.3 Der Client-Computer (10) beinhaltet eine Einrichtung zum Übertragen einer Informationsanfrage an den Informations-Servercomputer (12), um ihn bekannte und innerhalb des geografischen Gebiets liegende interessierende Stelle zu identifizieren.

14.4 Der Informations-Servercomputer (12) beinhaltet eine Einrichtung zur Übermittlung der Daten an den Client-Computer (10) in Reaktion auf die Informationsanfrage, wobei die Daten mindestens eine interessierende Stelle innerhalb des geografischen Gebiets darstellen.

14.5 Der Client-Computer (10) beinhaltet eine Einrichtung zum Anzeigen der Daten, die der interessierenden Stelle auf der visuellen Anzeigeeinheit (1) zugeordnet sind.

VII.

Aus den erteilten Patentansprüchen 1 und 14 ergibt sich die nachfolgend dargestellte

technische Lehre, wobei im Folgenden allein Patentanspruch 1 erörtert wird, weil Patentanspruch 14 inhaltlich nicht über Patentanspruch 1 hinausgeht. Für Patentanspruch 14 gilt das Ausgeführte entsprechend.

Der Schutzbereich eines Europäischen Patents wird nach Art. 69 EPÜ durch die Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung heranzuziehen. Hierbei ist funktionsorientiert und aus der Sicht des angesprochenen Fachmanns auszulegen, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Patentschrift ihr eigenes Lexikon bilden kann. Soweit sich aber einzelne Beschreibungsstellen nicht (mehr) auf den Anspruch lesen, sind sie bei der Anspruchsauslegung nicht zu berücksichtigen (vgl. BGH GRUR 2012, 701, Rn. 23 ff. - Okklusionsvorrichtung).

1. Merkmal 1.1: Auf einem Karten-Servercomputer werden Kartendaten gespeichert, die eine Karte eines geographischen Gebiets darstellen.

a. In Übereinstimmung mit dem Bundespatentgericht versteht die Kammer unter Kartendaten solche Daten, die eine verkleinerte Abbildung der Erdoberfläche beschreiben, also eine „bearbeitete Darstellung der Realität“ in Form einer Karte eines geographischen Gebiets wiedergeben. Dem steht Absatz [0030] des Klagepatents (Anlage K1) nicht entgegen. In dieser Beschreibungsstelle wird zwar beschrieben, dass die Kartenantwort vom Kartenserver in einem beliebigen der verschiedenen Grafikformate, z. B. „GIF“ oder „JPEG“, geliefert werde. Doch ist eine Festlegung auf diese Grafikformate oder überhaupt auf Grafikdateien nicht zwingend. Zwingend ist allein, dass sich aus den gelieferten Daten eine Darstellung des geographischen Gebiets ergibt, ggf. durch weitere software-technische Bearbeitungen.

b. Diese Kartendaten stellt klagepatentgemäß der Karten-Servercomputer zur Verfügung. Sie sind z. B. auf ihm in Standard-Datenbanken gespeichert. Der Karten-Servercomputer fungiert z. B. als klassischer Server (z. B. als Webserver für die Kommunikation über das Internet), um die Anfragen von Client-Computern erkennen und beantworten zu können.

c. In der Beschreibung des Klagepatents wird ferner ausgeführt, dass der Karten-Servercomputer z. B. von einem Anbieter elektronischer Karten (z. B. von „Multimap“) betrieben werde (Anlage K1, Absatz [0041]).

2. Merkmal 1.2: Der Karten-Servercomputer speichert zusätzlich zu den Kartendaten noch Koordinatendaten, die die räumlichen Koordinaten mindestens eines Punktes auf dem durch die Karte dargestellten Bereich darstellen. Dies ist notwendig, um einen Zusammenhang von Punkten auf der Karte mit ihrem entsprechenden geographischen Ort herzustellen. Der Karten-Servercomputer speichert diese räumlichen Koordinaten, z. B. Längen- und Breitengrade, eines Referenzpunktes der Karte, um die Koordinaten eines beliebigen anderen Punktes auf der Karte bestimmen zu können.

3. Merkmal 1.3: Informationsdaten werden auf einem Informations-Servercomputer gespeichert. Die Informationsdaten beziehen sich auf mindestens eine interessierende Stelle im geographischen Gebiet. Die Informationsdaten enthalten dazu Daten, die die räumlichen Koordinaten der interessierenden Stelle innerhalb des Gebiets darstellen.

Informationsdaten können der Name einer besonderen Stelle (z. B. eines Restaurants) innerhalb des durch die Karte abgedeckten Gebiets sein. Ferner ist dazu dann z. B. auch der Längen- und Breitengrad dieser interessierenden Stelle hinterlegt.

Aus der Beschreibung des Klagepatents ergibt sich ferner, dass Informations-Servercomputer z. B. von den Anbietern verschiedenster Waren und Dienstleistungen betrieben werden könnten, z. B. von einer Fastfoodkette oder einer Bank (Anlage K1, Absatz [0043] und [0056]).

4. Merkmal 1.4.1: Es wird eine Kartenanfrage von einem Client-Computer an den Karten-Servercomputer übermittelt.

Entsprechend der Beschreibung kann die Kartenanfrage z. B. folgende Parameter enthalten: Länge, Breite und Maßstab der Karte sowie deren Abmessungen in horizontalen und vertikalen Pixeln (Anlage K1, Absatz [0042]).

5. Merkmal 1.4.2: In Reaktion auf die Kartenanfrage werden Kartendaten von dem Karten-Servercomputer an den Client-Computer übermittelt. Die Kartendaten können dazu z. B. in Form einer Bilddatei vorliegen, die in einem gängigen Format für einen Austausch von Bildern im Internet codiert ist (Anlage K1, Absatz [0030]).

6. Merkmal 1.5: Die übermittelten Kartendaten werden verwendet, um eine Abbildung der Karte auf einer visuellen Anzeigeeinheit anzuzeigen, die dem Client-Computer zugeordnet ist.

Das Klagepatent beschreibt als Client-Computer einen stationären PC, ein Navigationssystem in einem Fahrzeug, einen PDA oder ein Mobiltelefon (Anlage K1, Absatz [0060]).

7. Merkmal 1.6.1: Der Client-Computer übermittelt eine Informationsanfrage an den Informations-Servercomputer. Diese Anfrage kann z. B. Informationen zu bestimmten

7. Kategorien, wie Restaurants oder Hotels anfordern. Die entsprechende Suchanfrage kann u. a. Längen- und Breitengrad desjenigen Ortes umfassen, zu dem die weiteren Informationen gefunden werden sollen (Anlage K1, Absatz [0043]).

8. Merkmal 1.6.2: Als Reaktion auf die Informationsanfrage werden Informationsdaten vom Informations-Servercomputer an den Client-Computer zurückgeschickt. Die Informationsdaten beziehen sich dabei auf eine interessierende Stelle innerhalb des geographischen Gebiets. Die generierte Informationsantwort kann z. B. in einem HTML Dokument bestehen, welches Informationen zu Restaurants oder Hotels aber auch Referenzen auf weitere Objekte, wie etwa Überlagerungs-Piktogramme, enthält, die im Zusammenhang mit einem bestimmten Ort stehen (Anlage K1, Absätze [0049 0051]).

9. Merkmal 1.7: Zunächst fällt auf, dass in der deutschen Übersetzung des Patentanspruchs 1 ein Übersetzungsfehler enthalten ist. Vergleicht man diese Fassung mit dem allein maßgeblichen englischen Wortlaut (Art. 70 Abs. 1 EPÜ), ergibt sich, dass die Informationsdaten, die sich auf eine interessierende Stelle beziehen, richtigerweise auf der visuellen Anzeigeeinheit des Client-Computers dargestellt werden und sich das Anzeigen nicht auf mindestens eine interessierende Stelle auf der visuellen Anzeigeeinheit bezieht. Insofern weist die deutsche Übersetzung einen nicht korrekten Bezug aus.

Die richtige deutsche Übersetzung von Merkmal 1.7 lautet: „Das Verfahren weist den Schritt des Anzeigens der Informationsdaten, die sich auf mindestens eine interessierende Stelle beziehen, auf der visuellen Anzeigeeinheit (1) auf.“

10. Zwischen dem Patentanspruch 1 und der Beschreibung der Erfindung besteht eine Abweichung darin, dass die Beschreibung detaillierter und konkreter ist. Dies beschränkt aber den Schutzgegenstand nicht, weil diese Merkmale keine des Patentanspruchs 1 sind. Weder das Erfordernis, dass es sich um wechselseitig unabhängige Quellen handeln, noch das Erfordernis, dass Speichern von Karten- und Informationsdaten auf dedizierten Servercomputern erfolgen müsse, findet im Patentanspruch einen Niederschlag.

a. Patentanspruch 1 ist weiter gefasst und eine Einschränkung auf wechselseitig voneinander unabhängige Datenquellen ist darin nicht enthalten. Zwar wird im Klagepatent beschrieben, dass sich der Nutzer in diesem klagepatentgemäßen System über seinen Client-Computer einerseits Kartendaten von dem Karten-Servercomputer und andererseits Informationsdaten (z. B. zu bestimmten Fastfood-Restaurants) von einem anderen Informations-Servercomputer beschaffe und diese Beschreibungsstelle wird mit Figur 3 des Klagepatents (Anlage K1) veranschaulicht:

Bild

Außerdem wird auch beschrieben, dass es sich bei dem Karten-Servercomputer und dem Informations-Servercomputer um voneinander unabhängige Datenquellen handele (Anlage K1, Absatz [0033] „mutually independent sources“). Doch ist diese Beschreibungsstelle in Bezug auf den Patentanspruch so zu lesen, dass die klagepatentgemäße technische Lehre auch wechselseitig voneinander unabhängige Datenquellen erfasst; auf diese beschränkt ist sie aber nicht. Im Patentanspruch 1 findet sich kein Hinweis auf ein solch enges Verständnis. Vor allem ist das Erfordernis „mutually independent sources“ bzw. „wechselseitig voneinander unabhängige Datenquellen“ nicht im Anspruch enthalten

b. Patentanspruch 1 ist auch nicht so eng zu verstehen, dass das Speichern von Karten- und Informationsdaten auf dedizierten Servercomputern erfolgen müsse. Zwar könnte diesbezüglich dem Wortlaut von Patentanspruch 1 eine gewisse körperliche, strukturelle Vorgabe entnommen werden, weil der Fachmann dem Merkmal „Server-Computer“ sowohl Softwareeigenschaften („Server“) als auch Hardwareeigenschaften („Computer“) entnehmen könnte. Doch ist aus Sicht der Kammer dieses Verständnis zu eng, weil die in den Patentansprüchen enthaltene technische Lehre grundsätzlich funktional zu verstehen ist. Bei einem funktionalen Verständnis der Merkmale „Karten-Servercomputer“ und „Informations-Servercomputer“ ergibt sich, dass diese „Server“ lediglich funktional getrennt sein müssen und getrennte Anfragen und Antworten möglich sein müssen, die erst im Client-Computer zusammengesetzt werden. Auch nach diesem Verständnis von Patentanspruch 1 wird der Schutzgegenstand noch hinreichend bestimmt und vor allem bleibt es erheblich, wohin die jeweiligen Anfragen nach Karten- und Informationsdaten gerichtet sind, von wem sie beantwortet werden und wo die entsprechenden Daten für die Karten und Informationen jeweils gespeichert werden. Ein Informations-Servercomputer ist seiner Funktion nach eine Quelle für Informationsdaten und an diese Informationsquelle werden die klagepatentgemäßen Anfragen gerichtet und diese Quelle beantwortet sie auch. Gleiches gilt für das Merkmal Karten-Servercomputer. Ein Karten-Servercomputer ist funktional eine Quelle für Kartendaten und an diesen werden die klagepatentgemäßen Anfragen gerichtet und dieser beantwortet sie auch. Karten- und Informations-Servercomputer brauchen daher keine physisch getrennten Bauteile zu sein, vielmehr reicht eine funktionale Trennung aus. Der Begriffsbestandteil „Computer“ weist insofern keinen eigenständigen technischen Sinn auf, weil das Klagepatent die Worte „Servercomputer“ und „Server“ synonym verwendet. So spricht die Beschreibung des Klagepatents an zahlreichen Stellen nicht vom „Karten-Servercomputer“, sondern vom „Kartenserver“ [0018, 0019, 0020, 0023] und vom „Kartenserver (11)“ [0029, 0030, 0031, 0058]. Gleiches gilt für „Informations-Servercomputer“ und „Informationsserver“ [0018, 0020, 0022, 0024, 0025, 0026] und „Informationsserver (12)“ [0039, 0053, 0058].

C.

Das Verfahren war aufgrund des Hilfsantrags der Beklagten gemäß § 148 ZPO auszusetzen. Aufgrund des anhängigen Patentnichtigkeitsverfahrens ist aus der Sicht der Kammer eine Vernichtung des Klagepatents nicht nur möglich, sondern mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Die Prüfung der Patentverletzung durch die Beklagten zu 1 - 3 konnte im vorliegenden Einzelfall entfallen, weil die Vorgreiflichkeit gemäß § 148 ZPO hier zu unterstellen ist.

I.

Die Kammer geht dazu von folgenden Rechtsgrundsätzen aus:

1. Eine Aussetzung eines Patentverletzungsverfahrens nach § 148 ZPO setzt zum einen die Vorgreiflichkeit eines anderweitig anhängigen Verfahrens über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses voraus. Bei Patentverletzungsverfahren ist das anderweitige Verfahren in der Regel ein Patentnichtigkeitsverfahren. Da in der Regel der Aussetzungsantrag von den Beklagten im Patentverletzungsverfahrens hilfsweise zum Antrag auf Klageabweisung geltend gemacht wird, muss zunächst grundsätzlich geklärt werden, ob die Beklagten eine Patentverletzung begehen, bevor über den Aussetzungsantrag entschieden werden kann. Aus Gründen der Prozessökonomie kann jedoch ausnahmsweise eine Vorgreiflichkeit unterstellt werden (Cepl in Cepl/Voß, ZPO, 1. Auflage, 2015, § 148 Rn. 50).

2. Zum anderen hat das Gericht eine Ermessensentscheidung unter umfassender Abwägung der einschlägigen Interessen der Parteien zu treffen, weil aufgrund des Wortlauts von § 148 ZPO die Aussetzungsentscheidung ins freie Ermessen des Gerichts gestellt ist („kann“).

Folgende Erfahrungssätze sind im Patentverletzungsverfahren diesbezüglich anerkannt:

a. Die Erhebung einer Nichtigkeitsklage stellt als solches noch keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen, weil dies faktisch darauf hinaus laufen würde, dem Angriff auf das Klagepatent eine dem Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen, die dem Gesetz fremd ist (vgl. BGH GRUR 1987, 284 -Transportfahrzeug). Die Interessen der Parteien sind vielmehr gegeneinander abzuwägen, wobei grundsätzlich dem Interesse des Patentinhabers an der Durchsetzung seines erteilten Patents Vorrang gebührt. Angesichts des Umstandes, dass ein Patent seinem Inhaber nur ein zeitlich begrenztes absolutes Recht verleiht und dass ein wesentlicher Teil dieses Rechts, nämlich der Unterlassungsanspruch gegenüber dem Patentverletzer durch eine Aussetzung der Verhandlung des Verletzungsrechtsstreits praktisch suspendiert werden würde, kommt eine Aussetzung wegen eines gegen das Klagepatent anhängigen Nichtigkeitsverfahrens nur dann in Betracht, wenn eine Vernichtung des Klageschutzrechts nicht nur möglich, sondern mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.

b. Wurde ein Klagepatent im Laufe eines Verletzungsprozesses im parallelen Rechtsbestandsverfahren erstinstanzlich für nichtig erklärt, ist das Verletzungsgericht an diese Entscheidung nicht gebunden. In der Regel ist aber eine Aussetzung bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Nichtigkeitsverfahren veranlasst (OLG München InstGE 3, 62, 63 - Aussetzung bei Nichtigkeitsurteil II; Cepl in Cepl/Voß, ZPO, § 148 Rn. 129), weil der Entscheidung eines sachkundigen Spruchkörpers ein besonderes Gewicht zukommt (OLG Düsseldorf BeckRS 2008, 07892 (dort unter Ziffer 4.); Cepl in Cepl/Voß, ZPO, § 148 Rn. 129).

c. Eine solche erstinstanzliche Vernichtung des Klagepatents vermag aber ausnahmsweise dann keine Aussetzung zu rechtfertigen, wenn das Nichtigkeitsurteil evident unrichtig ist, das Verletzungsgericht dies aufgrund eigener Sachkunde verlässlich und abschließend beurteilen kann und mit Sicherheit zu erwarten ist, dass das Urteil des Bundespatentgerichts in der Berufung beim Bundesgerichtshof keinen Bestand haben wird (OLG Düsseldorf GRUR-RR 2009, 329, 331 - Olanzapin). In solchen Fällen bedarf es also der Diagnose (evident unrichtiges Urteil) und der Prognose (mit Sicherheit wird das Urteil des Bundespatentgerichts in der Berufung beim Bundesgerichtshof keinen Bestand haben).

d. Der Kammer ist bewusst, dass die Olanzapin-Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf in einem einstweiligen Verfügungsverfahren ergangen ist. Die dargestellten Rechtsgrundsätze gelten nach Ansicht der Kammer aber auch im Hauptsacheverfahren, wo sie entsprechende Anwendung finden.

II.

Unter Anwendung dieser Grundsätze war das hiesige Verfahren auszusetzen, weil die Entscheidung im Nichtigkeitsverfahren vorgreiflich ist und aus der Sicht der Kammer eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, dass das Klagepatent vernichtet werden wird. Die erstinstanzliche Entscheidung des Bundespatentgerichts, mit der das Klagepatent vernichtet wurde, ist nicht evident unrichtig.

1. Im vorliegenden Einzelfall ist von der Vorgreiflichkeit des Patentnichtigkeitsverfahrens auszugehen. Das Stufenverhältnis zwischen dem Hauptantrag auf Klageabweisung und dem hilfsweise gestellten Aussetzungsantrag steht dem nicht entgegen. Im Haupttermin am 7. März 2013 erteilte die Kammer den Hinweis, dass sie nach vorläufiger Prüfung aufgrund des Stands des Verfahrens zu diesem Zeitpunkt hinsichtlich der damals noch uneingeschränkten Patentansprüche 1 und 14 von einer Patentbenutzung durch die angegriffene Ausführungsform ausgehe. Seitdem konzentrierte sich der Streit der Parteien ausschließlich auf die Rechtsbeständigkeit des Klagepatents und die Klägerin führte zahlreiche eingeschränkte Fassungen des Klagepatents in das Nichtigkeitsverfahren ein. Trotz des Klageabweisungsantrags als Hauptantrag konnte die Vorgreiflichkeit des Patentnichtigkeitsverfahrens hier unterstellt werden, weil die Beklagten selbst anregten, das Gericht möge im Rahmen der Aussetzungsentscheidung vom Vorliegen der Vorgreiflichkeit ausgehen (Schriftsatz vom 24. November 2014, Seite 2, Rn. 5 = Bl. 757 d. A.). Hier greift die zivilprozessuale Dispositionsmaxime. Da es um ihren Antrag und um ihre Rechtsverteidigung ging, konnten die Beklagten die primäre Geltung des Klageabweisungsantrags insofern zurückstellen und den (direkten) Weg zur Aussetzungsentscheidung eröffnen. Zudem entspricht dieses Vorgehen dem Streit der Parteien und ist aus prozessökonomischen Gründen sinnvoll, weil eine detaillierte und damit sehr umfangreiche Prüfung und Begründung hinsichtlich der Frage entfallen kann, in welchem konkreten Umfang die Beklagten im Rahmen der von der Klägerin gestellten Haupt- und Hilfsanträge wegen einer Patentverletzung zu verurteilen sind.

2. Die Kammer übt ihr Ermessen nach Abwägung der Interessen beider Seiten dahingehend aus, dass eine Aussetzung des Rechtsstreits veranlasst ist. Für die Kammer steht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit fest, dass das Klagepatent in den hier geltend gemachten Fassungen im Patentnichtigkeitsverfahren vernichtet werden wird. So hat auch das Bundespatentgericht in erster Instanz im Patentnichtigkeitsverfahren entschieden. Der in der Entscheidung des Bundespatentgerichts ausgesprochene Tenor ist aus Sicht der Kammer nicht evident falsch. Es ist auch nicht mit Sicherheit zu erwarten, dass das Urteil des Bundespatentgerichts in der Berufung beim Bundesgerichtshof keinen Bestand haben wird. Der vom OLG Düsseldorf in der Olanzapin-Entscheidung beurteilte Sonderfall ist vorliegend nicht gegeben.

a. Hinsichtlich der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit geht die Kammer von folgenden Rechtsgrundsätzen aus:

Nur wenn eine Erfindung neu ist, kommt es überhaupt auf eine Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit an. Erfinderische Tätigkeit liegt vor, wenn sich die zu beurteilende Erfindung nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Dies ist anhand objektiver Kriterien zu prüfen. Es ist zu klären, welchen tatsächlichen Beitrag die Erfindung im Vergleich zum Stand der Technik leistet. Keine erfinderische Tätigkeit liegt vor, wenn die technische Lehre nicht über die normale technologische Weiterentwicklung hinausgeht, sondern sich lediglich und ohne weiteres oder folgerichtig aus dem bisherigen Stand der Technik ergibt (Haedicke/Timmann/Nägerl, Handbuch des Patentrechts, 1. Auflage, 2012, § 2 Rn. 559). Bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit ist die Gesamtheit der Lösungsmerkmale, d. h. die Kombination sämtlicher Merkmale der beanspruchten Erfindung in ihrem technischen Zusammenhang zugrunde zu legen (BGH GRUR 2007, 1055, 1059 - Papiermaschinengewebe; Haedicke/Timmann/Nägerl, Handbuch des Patentrechts, 1. Auflage, 2012, § 2 Rn. 542). Die Merkmale einer Merkmalskombination müssen deshalb in ihrem technischen Zusammenhang gesehen werden (BGH GRUR 1994, 357, 358 - Muffelofen; Haedicke/Timmann/Nägerl, Handbuch des Patentrechts, 1. Auflage, 2012, § 2 Rn. 542).

Abzustellen ist bei der Prüfung auf den im konkreten Fall relevanten Durchschnittsfachmann. Dessen Sicht zum Zeitrang der Erfindung ist einzunehmen und zu fragen, was einschlägiger Stand der Technik war und ob er angesichts dessen, unter Berücksichtigung seines Fachwissens und ohne Kenntnis der Erfindung zur beanspruchten Erfindung in naheliegender Weise gelangt wäre. Es ist unzulässig, eine rückschauende Betrachtungsweise anzustellen, weil sie sich der Kenntnis der beanspruchten Erfindung bedient (BGH GRUR 2001, 232, 234 - Brieflocher; Haedicke/Timmann/Nägerl, Handbuch des Patentrechts, 1. Auflage, 2012, § 2 Rn. 548). So kann eine Erfindung trotzdem erfinderisch sein, auch wenn sie in der Rückschau als Anwendung eines vorbekannten Prinzips erkannt wird, sofern die Kenntnis vom Prinzip nicht ausreichte, um in naheliegender Weise zur beanspruchten Erfindung zu gelangen (Haedicke/Timmann/Nägerl, Handbuch des Patentrechts, 1. Auflage, 2012, § 2 Rn. 548).

Anhand des Prüfungsmaßstabs des Bundesgerichtshofs sind zum einen die Überlegungen des Fachmanns zu ermitteln, die er anstellen muss, um die Unterscheidungsmerkmale, durch die sich die beanspruchte Erfindung von der Entgegenhaltung unterscheidet, aus weiteren Offenbarungsquellen zu entnehmen oder mithilfe seines Fachwissens aufzufinden. Zum anderen ist zu untersuchen, ob der Fachmann eine Veranlassung hatte, die in den weiteren Offenbarungsquellen aufgefundenen Anregungen aufzunehmen und bei der Weiterentwicklung der bekannten Lehre in Richtung der beanspruchten Lehre zu berücksichtigen. Damit ein von den bisherigen beschrittenen Wegen abweichender Ansatz naheliegt, bedarf es in der Regel zusätzlicher, über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinausgehender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstige Anlässe dafür, die Lösung des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung zu suchen (BGH GRUR 2013, 363, Rn. 27 - Polymerzusammensetzung). Einer solchen Veranlassung bedarf es in der Regel nicht, in denen für den Fachmann aufgrund seines Fachwissens auf der Hand liegt, was zu tun ist (Haedicke/Timmann/Nägerl, Handbuch des Patentrechts, 1. Auflage, 2012, § 2 Rn. 565). In diese Richtung weist auch die neuere Entscheidung des Bundesgerichtshofs, wonach eine maschinenbautechnische Lösung, die als ein generelles, für eine Vielzahl von Anwendungsfällen in Betracht zu ziehendes Mittel ihrer Art nach zum allgemeinen Fachwissen des angesprochenen Ingenieurs gehört, eine Veranlassung zu ihrer Heranziehung vielmehr bereits dann begründen kann, wenn sich die Nutzung ihrer Funktionalität in dem zu beurteilenden Zusammenhang als objektiv zweckmäßig darstellt und keine besonderen Umstände feststellbar sind, die eine Anwendung aus fachlicher Sicht als nicht möglich, mit Schwierigkeiten verbunden oder sonst untunlich erscheinen lassen (BGH GRUR 2014, 647, Rn. 26 - Farbversorgungssystem; strenger wohl noch BGH GRUR 2010, 407, Rn. 17 - Einteilige Öse).

Ist es nötig, die dem Fachmann vertrauten Wege des routinemäßigen Handelns und Denkens auf seinem Fachgebiet zu verlassen, um zur beanspruchten Erfindung zu gelangen, spricht dies für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit (BGH GRUR 1999, 145, 148 - Stoßwellen-Lithotripter, Haedicke/Timmann/Nägerl, Handbuch des Patentrechts, 1. Auflage, 2012, § 2 Rn. 567). Brauchte der Fachmann hingegen diese Wege nicht zu verlassen, spricht dies gegen eine erfinderische Tätigkeit. Dass ein technischer Sachverhalt zum allgemeinen Fachwissen gehört, belegt für sich noch nicht, dass es für den Fachmann nahegelegen hat, sich bei der Lösung eines bestimmten technischen Problems dieser Kenntnis zu bedienen, weil der Fachmann z. B. aus bestimmten Gründen davon abgehalten werden kann, diese Kenntnis im konkreten Fall anzuwenden (BGH GRUR 2009, 743, Rn. 37 - Air-bag-Auslösesteuerung; Haedicke/Timmann/Nägerl, Handbuch des Patentrechts, 1. Auflage, 2012, § 2 Rn. 561).

Ergibt sich für den Fachmann aus dem zum Zeitrang der beanspruchten Erfindung bekannten Stand der Technik etwas in naheliegender Weise, was unter die im Patentanspruch definierte Erfindung fällt, ist der betreffende Patentanspruch als Ganzes wegen eines Mangels an erfinderischer Tätigkeit nicht patentierbar; so reicht ein einzig naheliegender Weg zur beanspruchten Erfindung, auch wenn die beanspruchte Erfindung zugleich eine nicht naheliegende Lösung eines anderen Problems darstellt (BGH GRUR 2003, 693, 695 -Hochdruckreiniger; Haedicke/Timmann/Nägerl, Handbuch des Patentrechts, 1. Auflage, 2012, § 2 Rn. 562).

b. Die Ausführungen des Bundespatentgerichts zum Offenbarungsgehalt der Entgegenhaltung D8 werden von den Parteien nicht angegriffen. Angegriffen wird von der hiesigen Klägerin jedoch die rechtliche Wertung des Bundespatentgerichts, wonach die beanspruchte Erfindung wegen der Druckschrift D8 nicht erfinderisch sei.

c. Auch aus Sicht der Kammer mangelt es der im Klagepatent enthaltenen technischen Lehre sowohl im Haupt- als auch im Hilfsantrag an erfinderischer Tätigkeit.

aa. Zur Prüfung der erfinderischen Tätigkeit kommt es allein deswegen, weil auch die Kammer - genauso wie das Bundespatentgericht - von einer engen Definition von „Kartendaten“ ausgeht. Als Kartendaten können nicht bereits die räumlichen ADTs (z. B. Raster ADTs) angesehen werden, vielmehr enthalten klagepatentgemäße Kartendaten - also Daten von Karten - Daten für eine möglichst genaue Abbildung von Geländeformen und von anderen sichtbaren Details. Diese sind im Front-End des Clients gespeichert und stammen nicht vom Server.

bb. Um zur klagepatentgemäßen technischen Lehre zu gelangen, brauchte der Fachmann die ihm auf seinem Fachgebiet vertrauten Wege des routinemäßigen Denken und Handelns nicht zu verlassen. Die Entgegenhaltung D8 gehört zum Stand der Technik. Aus Sicht der Kammer handelt es sich bei dieser Entgegenhaltung um den nächstliegenden Stand der Technik. Im Vergleich dazu leistet die klagepatentgemäße technische Lehre (sowohl im hier geltend gemachten Haupt- als auch im Hilfsantrag) im Wesentlichen tatsächlich lediglich den technischen Beitrag, dass Kartendaten nicht nur clientseitig gespeichert werden und abrufbar sind, sondern serverseitig auf dem Kartenservercomputer vorgehalten werden. Über eine normale technologische Entwicklung geht dieser Beitrag nicht hinaus. Er ist vielmehr ein für den Fachmann routinemäßiger Schritt. Er weicht von den bisher beschrittenen Wegen kaum ab. Ihn zu gehen, gehört zum Fachwissen des Fachmanns. Die jeweiligen Vor- und Nachteile dieses Wegs sind dem Fachmann bekannt.

Eine serverseitige Vorhaltung der Kartendaten vorzusehen, lag für den Fachmann aufgrund seines Fachwissens zum Zeitrang der Klagepatents nahe. Zum einen wurden in der Entgegenhaltung D8 Informationsdaten bereits serverseitig (auf dem klagepatentgemäßen Informationsservercomputer) vorgehalten. Zum anderen hatte der hier relevante Durchschnittsfachmann hinreichende Kenntnisse von einer Client-Server-Architektur. Sie gehörte als generelle technische Lösung nicht nur zum allgemeinen Fachwissen des hiesigen Fachmanns zum Zeitrang des Klagepatents, sondern sie macht hier sogar per definitionem einen gewichtigen Teil der fachmännischen Eigenschaften aus. Die Durchführung einer dezentralen (serverseitigen) Speicherung von Daten gehörte zum Standardrepertoire des angesprochenen Fachmanns. Diese technische Lösung kommt grundsätzlich für eine Vielzahl von Anwendungsfällen in Betracht, weil sie ein Grundprinzip der Datenhaltung beschreibt.

Der Einsatz dieser Funktionalität (serverseitige Datenhaltung von Kartendaten) ist ferner grundsätzlich objektiv zweckmäßig, um auf einfacherem Wege eine Aktualisierung der Kartendaten durchzuführen und deren Pflege zu vereinfachen, indem statt auf jedem Client allein auf dem Kartenservercomputer die Kartendaten in einer neuen Version aufgespielt werden müssen. Eine zentrale Datenhaltung bietet den Vorteil, dass alle Client-Computer auf dasselbe Kartenmaterial zugreifen können und es nicht darauf ankommt, wo die Daten physisch gespeichert sind. Ein Erfordernis für eine Aktualisierung der Kartendaten kann z. B. in einer Änderung der Auflösung der Kartendaten liegen. So liegen Kartendaten in immer höherer Auflösung vor und sind zu speichern. Damit ist das Argument der Klägerin widerlegt, dass eine Änderung von Kartendaten und ein Austausch der Karten praktisch kein Problem der Entgegenhaltung D8 sei.

Außerdem bestehen auch keine Schwierigkeiten, die eine solche serverseitige Kartendatenhaltung als untunlich erkennen lassen. Vor allem war es wegen der damals tatsächlich geringeren Übertragungsgeschwindigkeiten nicht untunlich, die Kartendaten serverseitig vorzuhalten. Zwar waren zum Zeitrang des Klagepatents sicherlich die im Internet erreichbaren Übertragungsgeschwindigkeiten deutlich langsamer, als sie es heute sind. Doch ist dies kein Hindernis. Denn diese geringen Geschwindigkeiten galten auch für das Klagepatent und dieses sieht darin selbst kein erhebliches technisches Problem, dessen Umsetzung unmöglich, mit Schwierigkeiten verbunden oder untunlich wäre. So befasst sich das Klagepatent mit diesem Aspekt auch überhaupt nicht. Es ordnet vielmehr die (mobile) Übertragung von Kartendaten als Stand der Technik ein (Klagepatent [0011 und 0013]). Außerdem war der Fachmann zur damaligen Zeit bereit, ganz andere Warte- und Bearbeitungszeiten zu akzeptieren, als er dies heute wäre. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass sich die Entgegenhaltung D8 mit Fragen der Datenkomprimierung befasst (Anlage D8, S. 564, rechte Spalte) und allein die Kacheln abgerufen werden, die benötigt werden, um den Datenaustausch so gering wie möglich zu halten (Anlage D8, S. 563, rechte Spalte).

Schließlich lehrt auch die Entgegenhaltung D8 von der (karten-)serverseitigen Vorhaltung der Kartendaten nicht Weg. Dies trifft weder für die in der Entgegenhaltung D8 gelehrte Datenstruktur zu, noch betrifft dies den Umstand, dass die Entgegenhaltung D8 allein den Paradise-Server kennt. Zwar wird in der Entgegenhaltung D8 beschrieben, dass die Kartendaten auf dem Client gespeichert sind. Doch gibt die Entgegenhaltung D8 nicht zwingend vor, wo die Kartendaten gespeichert sind. Erst recht bestimmt die Entgegenhaltung D8 nicht, dass eine serverseitige Speicherung der Kartendaten ausgeschlossen ist. Die Auswahl des Speicherorts hat keinen Einfluss auf die Ausführbarkeit der Entgegenhaltung D8. Der Fachmann ist damit frei, wo und wie er sie speichern will. Zudem werden in der Entgegenhaltung ausdrücklich verschiedene räumliche ADTs offenbart und separat abgelegt, die auch getrennt abgefragt werden können. Ergänzend ist zu berücksichtigen, dass die Entgegenhaltung D8 mehrere Paradise-Server kennt (Anlage D8, S. 560, rechte Spalte, Figur 2 „Other Paradise Servers“) und wegen der gebotenen funktionalen Auslegung des Klagepatentanspruchs sogar eine gemeinsame Speicherung der Kartendaten und Informationsdaten auf einem physischen Server ausreichen würde.

cc. Auch unter Berücksichtigung der Gesamtheit der klagepatentgemäßen Lösungsmerkmale in ihrem technischen Zusammenhang ist das Vorsehen einer serverseitigen Speicherung und Abfrage der Kartendaten innerhalb einer Client-Server-Architektur und mit Blick auf ein (überlagerndes) Anzeigen der Informationsdaten, die sich auf die interessierende Stelle beziehen, (auf der visuellen Anzeigeeinheit, in einer Position auf der Abbildung, die dem Ort der interessierenden Stelle auf der Karte entspricht) naheliegend.

dd. Die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 4. Dezember 2014 geäußerte Befürchtung trifft nicht zu: Es ist keine verbotene rückschauende Betrachtungsweise gegeben, weil sich die obige Bewertung nicht der Kenntnis der beanspruchten Erfindung bedient, sondern sich diese Kenntnis von der Erfindung gerade aus dem Fachwissen des Fachmanns ergibt.

ee. Offenbleiben kann hier, ob - wie von der Klägerin gerügt - weitere Hilfsanträge vom Bundespatentgericht falsch entschieden worden sind, weil diese nicht Gegenstand des hiesigen Verfahrens sind.

ff. Schließlich bedingt auch die von der Klägerin gerügte Verletzung rechtlichen Gehörs keinen evidenten Fehler des Urteils des Bundespatentgerichts, der in diesem Verfahren zu beachten wäre. Zwar macht die Klägerin geltend, dass ein Teil der von ihr in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundespatentgericht am 27. Februar 2014 gestellten Hilfsanträge nicht diskutiert worden sei und deswegen die Klägerin keine hinreichende Stellung habe nehmen können. Dies gelte vor allem für die Hilfsanträge 4a, 5a, 6a, 7a und 8a. Doch greift dieser Einwand nicht durch. Diese Hilfsanträge sind nicht Gegenstand des hiesigen Verfahrens. Deren rechtliche Behandlung seitens des Bundespatentgerichts ist daher für dieses Verfahren unbeachtlich.

d. Bereits aufgrund der obigen Wertung kann die Kammer (gerade) nicht mit Sicherheit erwarten, dass das Urteil des Bundespatentgerichts in der Berufung beim Bundesgerichtshof keinen Bestand haben wird. Zudem ist im Rahmen der nach der Olanzapin-Rechtsprechung von der Kammer zu treffenden Prognoseentscheidung der eingeschränkte Prüfungsmaßstab des Bundesgerichtshofs bei Berufungen gegen Urteile des Bundespatentgerichts nach dem neuen Berufungsrecht zu berücksichtigen, § 119 PatG.

e. Das Verfahren vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundespatentgerichts im Nichtigkeitsverfahren auszusetzen, entspricht schließlich auch der grundsätzlichen Wertung der Rechtsprechung des Bundesgerichtsgerichtshofs, wonach es grundsätzlich geboten ist, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, die Zwangsvollstreckung aus einem Verletzungsurteil nach §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO gegen Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen, wenn das Klagepatent durch das erstinstanzlich zur Beurteilung seiner Rechtsbeständigkeit berufene Bundespatentgericht bereits für nichtig erklärt worden ist (BGH, Beschluss vom 16.09.2014, Az. X ZR 61/13 - Kurznachrichten).

Urteilsbesprechung zu Landgericht München I Beschluss, 12. Feb. 2015 - 7 O 9443/12

Urteilsbesprechungen zu Landgericht München I Beschluss, 12. Feb. 2015 - 7 O 9443/12

Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 148 Aussetzung bei Vorgreiflichkeit


(1) Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde

Zivilprozessordnung - ZPO | § 719 Einstweilige Einstellung bei Rechtsmittel und Einspruch


(1) Wird gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil der Einspruch oder die Berufung eingelegt, so gelten die Vorschriften des § 707 entsprechend. Die Zwangsvollstreckung aus einem Versäumnisurteil darf nur gegen Sicherheitsleistung einges
Landgericht München I Beschluss, 12. Feb. 2015 - 7 O 9443/12 zitiert 6 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 148 Aussetzung bei Vorgreiflichkeit


(1) Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde

Zivilprozessordnung - ZPO | § 719 Einstweilige Einstellung bei Rechtsmittel und Einspruch


(1) Wird gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil der Einspruch oder die Berufung eingelegt, so gelten die Vorschriften des § 707 entsprechend. Die Zwangsvollstreckung aus einem Versäumnisurteil darf nur gegen Sicherheitsleistung einges

Patentgesetz - PatG | § 119


(1) Ergibt die Begründung des angefochtenen Urteils zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Berufung zurückzuweisen. (2) Insoweit die Berufung für begründet erachtet wir

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Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Sept. 2014 - X ZR 61/13

bei uns veröffentlicht am 16.09.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS X Z R 6 1 / 1 3 vom 16. September 2014 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR: ja Kurznachrichten ZPO § 719 a) Ist der Verletzungsbeklagte durch ein vorläufig vollstreckbares Urteil, ge

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(1) Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.

(2) Das Gericht kann ferner, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von Feststellungszielen abhängt, die den Gegenstand eines anhängigen Musterfeststellungsverfahrens bilden, auf Antrag des Klägers, der nicht Verbraucher ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Musterfeststellungsverfahrens auszusetzen sei.

(1) Ergibt die Begründung des angefochtenen Urteils zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Berufung zurückzuweisen.

(2) Insoweit die Berufung für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. Wird das Urteil wegen eines Mangels des Verfahrens aufgehoben, so ist zugleich das Verfahren insoweit aufzuheben, als es durch den Mangel betroffen wird.

(3) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Nichtigkeitssenat erfolgen.

(4) Das Patentgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(5) Der Bundesgerichtshof kann in der Sache selbst entscheiden, wenn dies sachdienlich ist. Er hat selbst zu entscheiden, wenn die Sache zur Endentscheidung reif ist.

(1) Wird gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil der Einspruch oder die Berufung eingelegt, so gelten die Vorschriften des § 707 entsprechend. Die Zwangsvollstreckung aus einem Versäumnisurteil darf nur gegen Sicherheitsleistung eingestellt werden, es sei denn, dass das Versäumnisurteil nicht in gesetzlicher Weise ergangen ist oder die säumige Partei glaubhaft macht, dass ihre Säumnis unverschuldet war.

(2) Wird Revision gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil eingelegt, so ordnet das Revisionsgericht auf Antrag an, dass die Zwangsvollstreckung einstweilen eingestellt wird, wenn die Vollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde und nicht ein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegensteht. Die Parteien haben die tatsächlichen Voraussetzungen glaubhaft zu machen.

(3) Die Entscheidung ergeht durch Beschluss.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X Z R 6 1 / 1 3
vom
16. September 2014
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Kurznachrichten

a) Ist der Verletzungsbeklagte durch ein vorläufig vollstreckbares Urteil, gegen
das Einspruch oder Berufung eingelegt worden ist, wegen Patentverletzung
verurteilt, ist es grundsätzlich geboten, die Zwangsvollstreckung aus diesem
Urteil gemäß § 719 Abs. 1 und § 707 ZPO gegen Sicherheitsleistung einstweilen
einzustellen, wenn das Klagepatent im Patentnichtigkeitsverfahren
durch das Bundespatentgericht für nichtig erklärt worden ist.

b) Unter den gleichen Voraussetzungen ist die Zwangsvollstreckung in entsprechender
Anwendung von § 719 Abs. 1 ZPO auch im Revisionsverfahren und
im Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision gegen
Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen.
BGH, Beschluss vom 16. September 2014 - X ZR 61/13 - OLG München
LG München I
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. September 2014
durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Dr. Grabinski,
Dr. Bacher, Hoffmann und die Richterin Schuster

beschlossen:
Die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts München I vom 25. Mai 2012 und aus dem Urteil des Oberlandesgerichts München vom 25. April 2013 wird gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 4 Millionen Euro einstweilen eingestellt.

Gründe:


I. Das Landgericht hat die Beklagte wegen Verletzung des mit Wirkung
1
für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 304 891 (Klagepatents) durch eine Kurznachrichtenfunktion von Mobiltelefonen zur Unterlassung , Auskunftserteilung, Vernichtung und Rückruf verurteilt sowie die Verpflichtung der Beklagten zum Schadensersatz festgestellt. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Dagegen hat die Beklagte Beschwerde mit dem Ziel der Zulassung der Revision erhoben, über die der Senat noch nicht entschieden hat. Unterdessen hat das Bundespatentgericht auf die während des landgerichtlichen Verfahrens erhobene Nichtigkeitsklage der Beklagten mit Urteil vom 7. Mai 2014 (6 Ni 12/14) das Klagepatent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt. Vor Zustellung dieses Urteils hat die Beklagte beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem angefochtenen Berufungsurteil einstweilen gegen Si- cherheitsleistung einzustellen. Diesen Antrag hat der Senat mit Beschluss vom 8. Juli 2014 (X ZR 61/13, juris - nicht zu ersetzender Nachteil) zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Anhörungsrüge der Beklagten. II. Die zulässige Anhörungsrüge ist unbegründet. Sie ist jedoch zugleich
2
als Gegenvorstellung anzusehen und führt im Hinblick auf die sich aus den nunmehr vorliegenden Entscheidungsgründen des patentgerichtlichen Urteils ergebende veränderte Sachlage zur einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung. 1. Die Zwangsvollstreckung aus einem wegen Patentverletzung verur3 teilenden Erkenntnis ist nach § 719 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 707 Abs. 1 ZPO vom Landgericht oder vom Berufungsgericht grundsätzlich gegen Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen, wenn das Klagepatent durch (nicht rechtskräftiges) Urteil des Patentgerichts für nichtig erklärt wird. Wenn das Klagepatent mit einer Patentnichtigkeitsklage angegriffen ist,
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verurteilt das Verletzungsgericht auch dann, wenn es eine Verletzung des in Kraft stehenden Patents bejaht, grundsätzlich nur dann wegen Patentverletzung , wenn es eine Nichtigerklärung nicht für (überwiegend) wahrscheinlich hält; andernfalls setzt es die Verhandlung des Rechtsstreits nach § 148 ZPO aus, bis jedenfalls erstinstanzlich über die Klage auf Nichtigerklärung des Patents entschieden ist. Denn eine - vorläufig vollstreckbare - Verpflichtung des Verletzungsbeklagten zu Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung sowie Vernichtung patentgemäßer Erzeugnisse ist regelmäßig nicht zu rechtfertigen, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten steht, dass dieser Verurteilung durch die Nichtigerklärung des Klagepatents die Grundlage entzogen werden wird. Der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in Verbindung mit den Grundrechten folgende und damit verfassungsrechtlich verbürgte Justizgewährungsanspruch (s. nur BVerfGE 88, 118, 123) gebietet, dem Verletzungsbeklagten wirkungsvollen Rechtsschutz zur Verfügung zu stellen, wenn er sich gegen den Angriff aus dem Klagepatent mit einem Gegenangriff gegen den Rechtsbestand dieses Patents zur Wehr setzen will. Dies erfordert nicht nur eine effektive Möglichkeit, diesen Angriff selbst durch eine Klage auf Nichtigerklärung führen zu können, sondern auch eine angemessene Berücksichtigung des Umstands, dass in diesem Angriff auch ein - und gegebenenfalls das einzige - Verteidigungsmittel gegen die Inanspruchnahme aus dem Patent liegen kann. Wegen der gesetzlichen Regelung, die für die Ansprüche nach §§ 139 ff. PatG lediglich ein in Kraft stehendes Patent verlangt und für die Beseitigung dieser Rechtsposition nur die in die ausschließliche Zuständigkeit des Patentgerichts fallende Nichtigkeitsklage zur Verfügung stellt, kann der Angriff gegen das Klagepatent anders als in anderen Rechtsordnungen nicht als Einwand im Verletzungsverfahren oder durch Erhebung einer Widerklage auf Nichtigerklärung geführt werden. Dies darf indessen nicht dazu führen, dass diesem Angriff jede Auswirkung auf das Verletzungsverfahren versagt wird. Die Aussetzung des Verletzungsstreits ist vielmehr grundsätzlich geboten, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass das Klagepatent der erhobenen Nichtigkeitsklage nicht standhalten wird. Ist der Verletzungsbeklagte bereits durch ein vorläufig vollstreckbares Ur5 teil wegen Patentverletzung verurteilt, reicht jedoch die Aussetzung allein nicht aus, um einer wahrscheinlichen Nichtigerklärung des Klagepatents Rechnung zu tragen. Vielmehr erschüttert die Erwartung des Verletzungsgerichts, das Klagepatent werde für nichtig erklärt werden, zugleich die Grundlage eines bereits ergangenen, auf Patentverletzung erkennenden Urteils oder Versäumnisurteils in einem solchen Maße, dass es grundsätzlich geboten ist, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, die Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil nach §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO gegen Sicherheitsleistung einstweilen einzustel- len. Dies ist regelmäßig angezeigt, wenn das Klagepatent durch das erstinstanzlich zur Beurteilung seiner Rechtsbeständigkeit berufene Bundespatentgericht bereits für nicht erklärt worden ist. Dem entspricht auch die obergerichtliche Einstellungspraxis (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. Juli 2008 - 2 U 90/06, InstGE 9, 173 - Herzklappenringprothese). Eine andere Einschätzung kann im Einzelfall geboten sein, wenn sich
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aus den Gründen der patentgerichtlichen Entscheidung gewichtige Anhaltspunkte dafür ergeben, dass diese einer Überprüfung im Berufungsverfahren aller Voraussicht nach nicht standhalten wird. Dies kommt jedoch allenfalls in Ausnahmefällen in Betracht. 2. Hat das Patentgericht - wie im Streitfall - das Klagepatent für nichtig
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erklärt, ist die Zwangsvollstreckung auch dann in entsprechender Anwendung der §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO gegen Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen , wenn das Verletzungsverfahren vom Berufungsgericht bereits entschieden und aufgrund einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision oder einer zugelassenen Revision beim Bundesgerichtshof anhängig ist. Die Einstellungsmöglichkeit nach den §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO tritt insoweit neben die von der Beklagten in erster Linie erstrebte und im Senatsbeschluss vom 8. Juli 2014 erörterte Einstellung nach § 719 Abs. 2 ZPO, deren Voraussetzungen, wie in diesem Beschluss näher ausgeführt wurde, nicht erfüllt sind. Zwar ist die Möglichkeit, die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstre8 ckung auch dann anzuordnen, wenn der Schuldner nicht glaubhaft machen kann, dass ihm die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde, nach dem Wortlaut des § 719 Abs. 1 ZPO an sich nur dann eröffnet, wenn gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil der Einspruch oder die Berufung eingelegt wird. Die Vorschrift ist im Revisionsverfahren und im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde aber entsprechend anzuwenden, wenn das Klagepatent erstinstanzlich für nichtig erklärt worden ist. Sinn und Zweck der Differenzierung zwischen den Voraussetzungen des
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§ 719 Abs. 1 und des § 719 Abs. 2 ZPO ist es, der erhöhten Richtigkeitsgewähr Rechnung zu tragen, die der Gesetzgeber, ähnlich wie in § 708 Nr. 10 und § 717 Abs. 3 ZPO einerseits und in §§ 709, 717 Abs. 2 ZPO andererseits mit Berufungsurteilen verbindet. Sie trägt den Besonderheiten der Verschränkung von Patentverletzungsprozess und Patentnichtigkeitsverfahren, die sich aus dem "Trennungsprinzip" ergibt, nicht hinreichend Rechnung. Die sich daraus ergebende planwidrige Regelungslücke ist durch entsprechende Anwendung von § 719 Abs. 1 ZPO auszufüllen. Im Verletzungsrechtsstreit muss die Frage der Aussetzung nach § 148
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ZPO und damit die Frage, ob eine erhobene Nichtigkeitsklage hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, in jeder Instanz erneut geprüft werden, und zwar unter Berücksichtigung des jeweiligen Standes des Patentnichtigkeitsverfahrens. Die Beurteilung dieser Frage bietet aber keine vergleichbare Richtigkeitsgewähr wie die Beurteilung der Rechtslage im Übrigen, weil die Entscheidung über die Nichtigkeitsklage nicht dem Verletzungsrichter, sondern in erster Instanz dem Patentgericht obliegt. Gibt das Patentgericht der Nichtigkeitsklage statt, so wird die Richtigkeitsgewähr eines Berufungsurteils aus gleichsam außerhalb dieses Urteils liegenden Gründen erschüttert, und zwar in gleichem Maße wie die Richtigkeitsgewähr eines entsprechenden erstinstanzlichen Urteils. Für die der Regelung in § 719 Abs. 1 und 2 ZPO zugrunde liegende Differenzierung ist angesichts dessen insoweit kein Raum. Vielmehr muss die Regelung des § 719 Abs. 1 ZPO entsprechend herangezogen werden, wenn gegen ein Berufungsurteil Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt worden ist.
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3. Nach diesen Grundsätzen ist auch im Streitfall die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Berufungsurteil und dem Urteil des Landgerichts München I anzuordnen. Der dem angefochtenen Berufungsurteil zugrunde liegenden Einschät12 zung, die Nichtigkeitsklage werde voraussichtlich erfolglos bleiben, ist mit dem Urteil des Patentgerichts die Grundlage entzogen. Die nunmehr vorliegenden Entscheidungsgründe dieses Urteils enthalten keine Anhaltspunkte dafür, dass dieses offensichtlich unrichtig ist. Vor diesem Hintergrund ist die Vollstreckung aus dem angefochtenen Urteil in entsprechender Anwendung von § 719 Abs. 1 ZPO gegen Sicherheitsleistung einstweilen einzustellen. Besondere Umstände, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung nahelegen könnten, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich. Auch die Erklärung der Klägerin, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Nichtigkeitsverfahrens keine weiteren Vollstreckungsmaßnahmen aus den Verletzungsurteilen vorzunehmen, verschafft der Beklagten schon deshalb keine Rechtsposition, die vergleichbar der einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung wäre, weil sie unter dem unbestimmten Vorbehalt einer "unveränderten Sachlage" abgegeben wurde.
Meier-Beck Grabinski Bacher
Hoffmann Schuster

Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 25.05.2012 - 7 O 19334/11 -
OLG München, Entscheidung vom 25.04.2013 - 6 U 2420/12 -