Landgericht München I Endurteil, 15. Juni 2016 - 9 O 18711/13

bei uns veröffentlicht am15.06.2016

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien um Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche aufgrund einer medizinischen Behandlung.

Der am ...1964 geborene Kläger stellte sich am 23.02.2009 bei der Beklagte zu 1) wegen belastungsabhängiger Schmerzen im rechten Fuß vor. Der Kläger berichtete über eine Fußfehlstellung mit massiven Beschwerden seit vielen Jahren. Ein mitgebrachtes MRT vom 21.01.2009 zeigte eine inkomplette Sehnenruptur des Muskulus Tibialis posterior. Eine von Beklagtenseite veranlasste Röntgenaufnahme des rechten oberen Sprunggelenks in drei Ebenen unter Belastung führte zur Diagnose eines erworbenen Pes planovalgus rechts mit Tibialis posterior Dysfunktion Grad II. Eine fortgeschrittene Arthrose im Sprunggelenk ergab sich nicht. Der klinische Befund zeigte ein geringes Schonhinken rechts. Im Barfußgang war die Pes planovalgus Fehlstellung deutlich erkennbar. Dem Kläger wurde daraufhin eine komplexe Rückfußkorrektur rechts, gelenkerhaltend im Sinne einer kombinierten Calcaneus-Verlängerungs- und Verschiebungsosteotomie mit lateraler Beckenkammspan-Interposition, einem FDL-Transfer sowie einer plantarisierenden Metatarsale I-Osteotomie empfohlen. Dem Kläger wurde im Hinblick auf die geplante Operation ein Aufklärungsbogen mit nach Hause gegeben.

Am 19.05.2009 wurde der Kläger bei der Beklagten zu 1) stationär aufgenommen und noch am gleichen Tag anhand des in den Krankenunterlagen befindlichen Aufklärungsbogens ein Aufklärungsgespräch geführt, in welchem unstreitig jedenfalls der Ablauf der Operation sowie die Schnittführung anhand eines Fußschemas erläutert sowie allgemeine Operationsrisiken besprochen wurden. Der Kläger hat den Aufklärungsbogen am 19.05.2009 unterschrieben. Betreffend dessen näheren Inhalts wird auf diesen Bezug genommen.

Am 20.05.2009 erfolgte entsprechend der vorgeschlagenen Operationsmethode eine Korrektur der Fußfehlstellung. Am 30.05.2009 wurde der Kläger aus der Klinik entlassen.

Bei der Wiedervorstellung am 18.06.2009 wurde der Kirschner-Draht zur Transfixierung des Calcaneo-Cuboidal-Gelenks entfernt, da sich die Eintrittsstelle gerötet zeigte. Außerdem wurden beim Kläger diffuse stechende Schmerzen diagnostiziert. Weitere Vorstellungen wegen fortbestehender Beschwerden erfolgten am 09.07.2009, 24.08.2009, 17.09.2009, 17.11.2009 und 24.11.2009. Beim Kläger zeigte sich ein auffälliges Gehen über den Außenknöchel mit deutlichem Schmerzhinken bei Einschränkung der Beweglichkeit im unteren Sprunggelenk sowie eine Druckschmerzhaftigkeit im Bereich des Sinus tarsi. Eine konservative Therapie mit Mobilisierung des unteren Sprunggelenks, Ultraschall und Kräftigungsübungen brachte keine Erleichterung. Am 22.02.2010 erfolgte deshalb eine Metallentfernung, eine Entfernung der entzündeten Schleimhaut sowie eine Abtragung von Knochenkanten. Eine deutliche Verbesserung des Gesundheitszustands des Klägers zeigte sich nicht. Ein MRT vom 05.07.2010 ergab eine degenerative Veränderung der Knorpelfläche im unteren Sprunggelenk als Ursache für die anhaltenden Beschwerden des Klägers. Der Beklagte zu 2) empfahl mit Schreiben vom 02.08.2010 weitere konservative Behandlung, der Kläger stellte sich jedoch nicht mehr bei den Beklagten vor, sondern ließ sich anderweitig behandeln.

Nach einer Schmerztherapie vom 07.10.2010-08.12.2010 wurde am 18.04.2011 eine Calcaneusvalgisations-Osteotomie mit Entnahme des Keils mit Schraubenfixation, Neurolyse und Dekompression des N. Peronaeus superfecialis unter Einlage einer Gentafolie vorgenommen. Sodann erfolgte am 15.02.2012 eine Materialentfernung am rechten Calcaneus. Die Schmerzen bestanden fort. Im weiteren Verlauf wurde eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren festgestellt sowie ein posttraumatischer Schmerz bei Sprunggelenksarthrose rechts mit ausgeprägter neuropathischer Komponente.

Der Kläger behauptet:

  • Die durchgeführte Operation sei nicht indiziert gewesen, nachdem konservative Behandlungsmöglichkeiten zuvor nicht ausgeschöpft worden seien. Zudem hätte zur genauen Abklärung der Ursachen für die Beschwerden vor der Indikationsstellung zur Operation noch eine Computertomographie durchgeführt werden müssen, welche die Notwendigkeit einer konservativen Therapie bestätigt hätte, da noch keine fortgeschrittene Arthrose im Sprunggelenk vorlag.

  • Außerdem sei die Operation selbst fehlerhaft gewesen, da der Beklagte zu 2) eine Überkorrektur des Calcaneus vorgenommen habe. Insofern handle es sich jeweils um grobe Behandlungsfehler.

  • Gleich nach der Operation hätten sich starke Schmerzen und eine zuvor nicht vorhandene Fußfehlstellung gezeigt. Der Beklagte zu 2) hätte infolgedessen frühzeitig eine Revisionsoperation veranlassen müssen, um eine weitere Verschlechterung des Krankheitsbildes zu verhindern.

  • Darüber hinaus sei er von den Beklagten zu 2) und zu 3) nicht über sämtliche Risiken der geplanten Therapie aufgeklärt worden, insbesondere nicht über die Gefahr einer Arthrose, die mögliche Notwendigkeit einer späteren Versteifung des Fußgelenks, erheblich schlimmere postoperative Schmerzen oder eine postoperative Fehlstellung des Fußes, und auch nicht über die Möglichkeit einer konservativen Therapie sowie darüber, dass die angewandte Operationsmethode neu und noch nicht etabliert sei und daher noch keine gesicherten medizinischen Erfahrungssätze existierten. Vielmehr sei der geplante Eingriff verharmlost und als komplikationslos sowie alternative Behandlungsmöglichkeiten als ungeeignet dargestellt worden. Wäre er ordnungsgemäß aufgeklärt worden, hätte er von der Operation am 20.05.2009 abgesehen.

  • Seit den Revisionsoperationen leide er an fortbestehenden Schmerzen, müsse schmerztherapeutisch behandelt werden und habe seinen Beruf aufgeben müssen, zumal er schmerzbedingt nicht mehr Auto fahren könne. Voraussichtlich werde er sich einer weiteren Operation, namentlich einer Arthrodese, unterziehen müssen mit zu erwartenden Folgebeeinträchtigungen weiterer Gelenke. Aufgrund dieser Prognose leide er unter depressiven Zuständen und Angststörungen und müsse psychotherapeutisch behandelt werden. Seine Beeinträchtigungen rechtfertigten ein Schmerzensgeld in Höhe von EUR 73.912,00. Darüber hinaus sei und werde ihm auch künftig ein Haushaltsführungs- und Erwerbsminderungsschaden entstehen.

Der Kläger beantragt daher:

  • 1.Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld zu bezahlen, welches in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch in Höhe von Euro 73.912,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.

  • 2.Die Beklagten werden wegen der bisherigen vermehrten Haushaltsführungsbedürfnisse im Zeitraum Juni 2009 bis einschl. Mai 2013 gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger einen Betrag von 30.702,24 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

  • 3.Für die Folgen der vermehrten Haushaltsführungsbedürfnisse werden die Beklagten gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger ab Juni 2013 bis längstens 28.01.2039 (Eintritt ins 75. Lebensjahr) eine angemessene, monatliche Geldrente, welche in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch in Höhe von 639,63 Euro pro Monat zu zahlen.

  • 4.Die Beklagten werden wegen der bisherigen Erwerbsminderung im Zeitraum Juni 2009 bis einschl. Mai 2013 gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 173.240,00 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

  • 5.Für die Folgen der geminderten Erwerbsfähigkeit werden die Beklagten gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger ab Juni 2013 bis längstens 28.01.2039 (Eintritt ins 75. Lebensjahr) eine angemessene, monatlich Geldrente, welche in das Ermessen des Gerichtes gestellt wird, mindestens jedoch in Höhe von 3.605,00 Euro pro Monat zu zahlen.

  • 6.Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche weiteren, materiellen und im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen, welche diesem aus der ärztlichen Behandlung im Hause der Beklagten im Zeitraum vom Februar 20090 bis Mai 2009 entstanden sind und noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

  • 7.Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klagepartei (zwecks Weiterleitung an die Rechtsschutzversicherung ...) für bereits entstandene, außergerichtliche Rechtsanwaltskosten eine Nebenforderung von 8.716,90 Euro (= 2,5 RVG-Geschäftsgebühr zzgl. Euro 20,- Auslagen zzgl. 19 % USt) nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen

Die Beklagten beantragen

Klageabweisung.

Sie tragen vor, die durchgeführte Operation sei medizinisch indiziert gewesen und entsprechend dem Stand der Wissenschaft durchgeführt worden, eine Überkorrektur sei nicht erfolgt. Ein Behandlungsfehler sei nicht gegeben, erst recht kein grober. Außerdem sei der Kläger von der Beklagten zu 3) bereits bei der Erstvorstellung umfassend aufgeklärt worden sowie erneut präoperativ in einem über dreißigminütigen Gespräch anhand des Aufklärungsbogens ausführlich über sein Krankheitsbild, operative und konservative Therapiealternativen sowie etwaige Risiken. Insbesondere habe man über eine Abstützung des Fußes mittels Einlagen und eine dauerhafte Versorgung mit orthopädischem Schuhwerk gesprochen, was wegen der bereits erfolglos getragenen Einlagen künftig jedoch nicht mehr angezeigt gewesen sei. Auch habe aufgrund der Zeiträume zwischen Aufklärung und Operation genug Zeit bestanden, sich das weitere Vorgehen gut zu überlegen.

Betreffend die weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch informatorische Anhörung des Klägers und der Beklagten zu 3), uneidliche Einvernahme der Zeugen ... und ... sowie Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens. Betreffend das Ergebnis der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das schriftliche Sachverständigengutachten vom 17.08.2015 sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.04.2016.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

I.

Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadensersatz, und zwar weder unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung der ärztlichen Pflichten aus dem Behandlungsvertrag (§§ 611, 280 BGB), noch nach Deliktsrecht (§§ 823 ff. BGB). Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahmen stellt sich die streitgegenständliche Behandlung durch die Beklagten nicht als fehlerhaft dar und der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf eine Verletzung von Aufklärungspflichten berufen.

1. Die streitgegenständliche Behandlung war nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht fehlerhaft.

Der Arzt schuldet dem Patienten diejenige Behandlung, die dem zum Zeitpunkt der Behandlung anerkannten und gesicherten Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht. Objektiver Maßstab dafür ist der Standard eines berufserfahrenen Facharztes, also das zum Behandlungszeitpunkt in der ärztlichen Praxis und Erfahrung bewährte, nach naturwissenschaftlicher Erkenntnis gesicherte, von einem durchschnittlichen Facharzt verlangte Maß an Kenntnis und Können (BGH, Urteil v. 19.04.2000 - Az. 3 StR 442/99 - Rz. 37 - alle Entscheidungen, sofern nicht anders gekennzeichnet, zitiert nach juris-Datenbank). Der Standard gibt Auskunft darüber, welches Verhalten von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt in der konkreten Behandlungssituation aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs im Zeitpunkt der Behandlung erwartet werden kann. Er repräsentiert den jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der ärztlichen Erfahrung, der zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat (BGH, Urteil v. 15.04.2014 - Az. VI ZR 382/12 - Rz. 11).

Gemessen an diesen Kriterien lässt der am 20.05.2009 durchgeführte Eingriff in orthopädisch-chirurgischer Hinsicht keinen Behandlungsfehler erkennen.

1.1. Die Beweisaufnahme hat keine fehlende Indikation für die am 20.05.2009 durchgeführte Operation ergeben. Eine weitere Befundung durch Anfertigung einer zusätzlichen CT-Aufnahme war nicht veranlasst.

In den Krankenunterlagen ist insofern anlässlich der Erstvorstellung des Klägers bei den Beklagten unter dem Datum 23.02.2009 vermerkt: „(...) berichtet seit November 2008 über belastungsabhängige Schmerzen hinter dem Innenknöchel rechts, mit zunehmender Fußfehlstellung rechts. Einlagen werden getragen, diese erbrachten jedoch keine wesentliche Beschwerdelinderung. Es bestehen weiterhin chronisch brennende Schmerzen im rechten Fuß“. In Übereinstimmung hiermit hat der Kläger im Rahmen seiner mündlichen Anhörung angegeben, dass in der Vergangenheit weder Spritzen noch Einlagen geholfen hätten. Auch habe er das Tragen von Einlagen in normalen Schuhen immer als beschwerlich und unangenehm empfunden und deshalb auch in der Zeit zwischen der Erstvorstellung am 23.02.2009 und der Operation am 20.05.2009 keine Einlagen mehr getragen, zumal er sowieso davon ausgegangen sei, operiert zu werden. Wie lange er diese zuvor getragen hatte, wisse er nicht mehr. Ferner ist als klinischer Befund festgehalten ein deutlicher Druckschmerz im Verlauf der Tibialis posterior-Sehne. Der Befundbericht der mitgebrachten Kernspin-Untersuchung dokumentiert eine inkomplette Sehnenruptur des M. tibialis posterior. Von Beklagtenseite wurde die Diagnose „Erworbener Pes planovalgus rechts mit Tibialis posterior Dysfunktion Grad II“ gestellt.

Ausgehend von der zitierten Dokumentation in der Patientenakte, welche vom Kläger bestätigt wurde, sowie dem Befund in dem vom Kläger zur Erstvorstellung mitgebrachten MRT-Untersuchung vom 21.01.2009 und den im Hause der Beklagten gefertigten Röntgenbildern des rechten Fußes belastet in drei Ebenen, einschließlich OSG belastet in drei Ebenen, welche keine arthrotischen Veränderungen der Gelenke erkennen ließen, ist der Sachverständige zu dem Ergebnis gelangt, dass die von Beklagtenseite empfohlene Operation medizinisch indiziert gewesen sei. Dies hat er sowohl in seinem schriftlichen Gutachten vom 17.08.2015 ausgeführt, als auch im Rahmen seiner mündlichen Anhörung unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers bestätigt. Insbesondere sei auch das Tragen einer Orthese weder üblich noch gleichermaßen indiziert, da diese die Stehfehlstellung nicht beseitigen könne und einem sportlich aktiven Menschen auch nicht zumutbar sei, längere Zeit mit einer solchen zu gehen. Lediglich dann, wenn eine Operation aus medizinischen Gründen nicht in Betracht komme, sei die Orthese eine echte Alternative. Entsprechendes gelte für eine Gipsversorgung oder Walker-Versorgung, da sie die Fußfehlstellung nicht korrigiere und die aus der Fehlstellung resultierenden Schmerzen nicht beseitige. Ob Einlagen den gewünschten Erfolg brächten, könne man nach 2-3 Monaten sagen.

Auch sei eine weitere CT-Untersuchung zur Diagnosestellung nicht erforderlich gewesen, da zum einen in den angefertigten Röntgenbildern die Stellung der Knochen sehr gut zu sehen gewesen sei, zum anderen eine schnittgebende Diagnostik in Form eines MRT vorgelegen habe und ein ausreichend dokumentierter klinischer Befund erhoben worden sei.

Ebenso sei das Ausmaß der durchgeführten Operation angemessen gewesen. Zur pathologischen Begutachtung eingeschicktes Material der Tibialis posterior-Sehne rechts ergab laut Untersuchungsbericht „Sehnenanteile mit älterer Rissbildung“, was laut Sachverständigem ebenfalls für das Vorliegen einer Stadium II Dysfunktion spreche. Das gewählte Verfahren einer kombinierten Calcaneus-Verlängerungs- und Verschiebungs-Osteotomie mit lateraler Beckenkammspan-Interposition, eines FDL Transfers sowie einer plantarisierdenen Metatarsale I Osteotomie sei in diesem Fall geeignet gewesen, die vorhandene Fußfehlstellung und Sehnendysfunktion adäquat zu behandeln. Insbesondere werde bei einer Dysfunktion Stadium II grundsätzlich gelenkerhaltend operiert, was bei diesem Stadium gerade noch möglich sei, und es würden auch regelmäßig beide korrigierenden Eingriffe kombiniert angewandt, da es bei einer isolierten Calcaneus-Verschiebe-Osteotomie mit Transfer der Flexor digitorum longus-Sehne gerade bei kräftiger gebauten Erwachsenen häufig zu einem Rezidiv käme, weswegen dieser Eingriff gerne mit einer Verlängerung der lateralen Säule in Form der Calcaneus-Verlängerungsosteotomie ergänzt werde, um die Belastung des Fußes mehr knöchern als weichteilig abzustützen. Häufigeres Problem sei eher, dass die Korrektur nicht hält. Insofern sei es nicht indiziert gewesen, zunächst nur eine Osteotomie auszuprobieren und - abhängig von deren Erfolg - später die zweite durchzuführen, da dies dem Patient nicht zumutbar sei. Es sei Aufgabe des Arztes, die zutreffende Korrektur präoperativ zu entscheiden und sich dem gewünschten Ziel nicht schrittweise anzunähern. Außerdem müsse man die langen Heilungszeiten und die Operationsrisiken bedenken. Eine echte Alternative sei noch die Arthrodese.

Bei der gewählten Operationsmethode handle es sich auch nicht um ein Neulandverfahren, sondern um eine bewährte Operationstechnik, deren Erfolge auch durch entsprechende Studien näher belegt seien. Das vorliegend gewählte Operationsverfahren sei dabei als Standardverfahren immer zuerst angebracht, obwohl bekannt sei, dass nicht vermieden werden könne, dass es häufig nach mehreren Jahren doch noch zu einer erforderlichen Versteifung des Gelenks kommen würde.

Insofern schließt sich das Gericht den Feststellungen des Sachverständigen vollumfänglich an. Die Ausführungen des Sachverständigen sind schlüssig und nachvollziehbar. Das Gutachten wertet die gegenwärtig vorliegenden Informationen umfassend aus; formal ist es folgerichtig und plausibel aufgebaut. Auch die Parteien haben keine Einwände gegen das Gutachten erhoben. Der Sachverständige selbst ist dem Gericht aus mehreren Verfahren als sorgfältiger und fachkundiger Gutachter bekannt.

Aus den dargelegten Gründen geht das Gericht daher davon aus, dass die streitgegenständliche Operation indiziert war.

1.2. Die streitgegenständliche Operation wurde nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch lege artis durchgeführt.

Zwar sei es laut Sachverständigem im Rahmen der streitgegenständlichen Operation zu einer Überkorrektur bei der Verlängerungsosteotomie gekommen. Dies ergebe sich aus den bei den Beklagten dokumentierten Bewegungs- und Funktionseinschränkungen des Fußes sowie insbesondere den am 04.04.2011 in de... sowie am 21.11.2014 im Rahmen der Begutachtung erstellten Röntgenbildern, welche jeweils eine varische Stellung zwischen Fersenbeinachse und Schienbeinachse von 14° bzw. 9,2° zeigten, letztere außerdem eine valgische Stellung zwischen Schienbeinachse und Fersenbeinachse von 10°. Jedoch sei die gebotene Sorgfaltspflicht während der Operation beachtet worden, insbesondere das operative Ergebnis durch eine Röntgenausnahme in Belastungssimulation durch Aufpressen des Fußes auf eine plane Platte überprüft worden. Die wirkliche Belastungssituation eines Menschen beim Gang und beim Stand könne jedoch im Liegen niemals simuliert werden. Tatsächlich könne die exakte Belastungssituation erst nach knöcherner Ausheilung, Abnahme des Walkers und physiologischem Laufen mit Konfektiosschuhen bzw. im Barfußgang festgestellt werden. Insofern sei es trotz größter Sorgfalt möglich, dass es im Rahmen der Operation zu einer Überkorrektur kommen kann. Die Verlängerung der lateralen Säule mit Einbringen eines Beckenkammspans einer Stärke von 7 mm spreche dabei eher für eine moderate und zurückhaltende Verlängerung. Insgesamt sei in der gesamten Behandlung des Klägers trotz Überkorrektur keine Abweichung vom fachärztlichen Standard zu sehen, so dass sich zusammenfassend kein Behandlungsfehler ergebe, sondern sich eine mögliche Komplikation verwirklicht habe.

Auch insofern schließt sich das Gericht den schlüssigen und nachvollziehbaren sowie gut begründeten Ausführungen des Sachverständigen an und geht mit diesem davon aus, dass die erfolgte Überkorrektur nicht als Behandlungsfehler zu werten ist.

1.3. Nach der Beweisaufnahme kann ferner nicht davon ausgegangen werden, dass postoperativ Anlass für eine Revisionsoperation bestand oder sonst mangelhaft auf die Beschwerden des Klägers reagiert wurde.

Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass gebotene Befunde ausreichend erhoben und mit der durchgeführten Arthrolyse des unteren Sprunggelenks angemessen reagiert worden sei, aber auch der zweite operative Eingriff kein für den Kläger zufriedenstellendes Ergebnis gebracht habe. Insgesamt sei die erfolgte Nachbehandlung nicht zu beanstanden.

Mündlich hat der Sachverständige hierzu ergänzend dargelegt, dass bei der stattgehabten Operation Heilungszeiten von 3-6 Monaten absolute Regel seien, aber auch ein dreiviertel Jahr noch innerhalb der Norm liege. Aus seiner Sicht sei die Reaktion im Februar in Form einer Arthrolyse sowie Schraubenentfernung ausreichend gewesen, zumal im Anschluss eine Verbesserung der Situation dokumentiert sei. Mehr habe man nicht machen müssen, da auch die Situation in so einer postoperativen Phase nicht immer ganz eindeutig sei und es auch sein könne, dass sich diese Überkorrektur erst später weiterentwickelt hat. Ob und inwiefern die Überkorrektur bei den postoperativen Beschwerden tatsächlich eine Rolle gespielt habe, könne nicht abschließend und zuverlässig beurteilt werden, wenn auch die Überkorrektur für das schlechte Gangbild sicher ein Grund gewesen sei. Auch weitere Befunde hätten postoperativ nicht erholt werden müssen. Spätere Operationen hätten letztlich ebenfalls nicht zu einer zufriedenstellenden Verbesserung der Beschwerden geführt.

Die Kammer folgt auch in diesem Punkt den fundierten Ausführungen des Sachverständigen. Ein Behandlungsfehler im Rahmen der Nachbehandlung ist damit nicht festzustellen.

2. Schließlich konnte auch nicht zur Überzeugung des Gerichts festgestellt werden, dass der Kläger mangelhaft aufgeklärt wurde, weder über die Indikation der geplanten Operation noch über deren Chancen und Risiken.

Grundsätzlich muss ein Patient vor der Durchführung eines Heileingriffs aufgeklärt werden und darin einwilligen; der ohne wirksame Einwilligung durchgeführte Heileingriff stellt eine rechtswidrige Körperverletzung gem. § 823 Abs. 1 BGB und zugleich auch eine Verletzung der vertraglichen Pflichten gem. §§ 611, 280 BGB dar (vgl. z.B. BGH, Urteil v. 07.02.2012 - Az. VI ZR 63/11 - Rz. 10; Staudinger/Hager, BGB, Neubearbeitung 2009, § 823, Rz. I 76). Der Patient muss also - zumindest im Großen und Ganzen - wissen, worin er einwilligt (BGH, Urteil v. 07.02.1984 - Az. VI ZR 174/82 - Rz. 21). Er soll zu einer Risikoabwägung in der Lage sein, wozu er der grundlegenden Informationen bedarf. Der Arzt ist also zu einer Grundaufklärung verpflichtet. Die notwendigen Informationen bestehen in der Diagnose, der Art und dem Verlauf des geplanten Eingriffs, seinen notwendigen oder zumindest möglichen Folgen, der Art der Belastung, die für die Unversehrtheit seines Körpers und seiner Lebensführung auf den Patienten zukommen können, der Wahrscheinlichkeit der Risiken sowie namentlich den Alternativen, mögen sie im Absehen von der Behandlung oder in einer anderen Behandlungsmethode bestehen (Staudinger/Hager, a.a.O., Rz. I 83). Die Beweislast für eine ordnungsgemäße Aufklärung und die Einwilligung des Patienten trifft nach allgemeinen Beweislastregeln den Behandler (vgl. z.B. BGH, Urteil v. 14.06.1994 - Az. VI ZR 178/93 - Rz. 22; Staudinger/Hager, a.a.O., § 823, Rz. I 127).

Diesen Maßstab zugrunde gelegt, geht die Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme von einer ausreichenden Aufklärung des Klägers durch den Zeugen ... und die Beklagte zu 3) aus.

2.1. Ausgangspunkt dafür ist zunächst der in den Behandlungsunterlagen befindliche Aufklärungsbogen, welcher auf den 19.05.2009 datiert und vom Kläger unterschrieben wurde. Der Aufklärungsbogen weist zunächst auf verschiedene Behandlungsmöglichkeiten hin, wobei als erstes eine konservative Behandlung mit Einlagen aufgeführt ist, welche jedoch nicht mit einem Kreuz versehen wurde. Dieses ist vielmehr auf S. 2 bei den Behandlungsalternativen „Verstärkung der Tibialis posterior Sehne“ und „Knöchern Umstellung des Fersenbeins (Calcaneus Verschiebeosteotomie)“, „Knöcherne Verlängerung des Fersenbeins (Calcaneusverlängerungsosteotomie)“ und „Knöcherne Umstellung eines Fußwurzelknochens (Plantarisierende Osteotomie)“ gesetzt worden, welche sodann ausführlicher beschrieben werden. Sodann erfolgt auf S. 4 eine Aufklärung über allgemeine Risiken, wobei auch darauf hingewiesen wird, dass es im Rahmen von Operationen, welche die Stellung der Gelenke verändern, zu Funktionsstörungen, die bis zur vollständigen Einsteifung des Gelenks führen könne, kommen kann, Auf S. 5 folgt eine weitere Aufklärung über spezielle Risiken der operativen Behandlung. Ferner finden sich auf der 1. Seite des Aufklärungsbogens zwei handschriftliche Vermerke, wovon einer auf den 19.05.2009 datiert ist.

Im Arztbericht vom 12.03.2009 zum Termin vom 23.02.2009 ist dokumentiert, dass eine „ausführliche Aufklärung über das Krankheitsbild sowie über operative und konservative Therapiealternativen“ erfolgt sei sowie, dass dem Kläger bereits an diesem Tag der in den Behandlungsunterlagen enthaltene Aufklärungsbogen mitgegeben worden sei.

Der Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt, dass der Aufklärungsbogen umfassend sei, wenn auch handschriftliche Einträge, außer der durchzuführenden Operation, fehlten. Insofern weist er jedoch darauf hin, dass der Kläger bei der Begutachtung berichtet habe, dass der Beklagte zu 2) auch Skizzen über die Operation gefertigt habe, diese sich jedoch nicht bei den Akten befänden. Insgesamt stuft er die in der Krankenakte befindliche Aufklärung jedoch als umfassend und verständlich sowohl hinsichtlich der geplanten Operation als auch konservativer Behandlungsmethoden und auch möglicher Risiken ein. Insbesondere sie auch das Risiko einer Überkorrektur hinreichend deutlich gemacht. Seiner Auffassung nach vermittelte er im Großen und Ganzen eine ausreichende Aufklärung über die Operation und deren Folgen. Zudem weist er darauf hin, dass der Kläger fast 3 Monate ab dem ersten Gespräch Zeit hatte, um sich ggf. eine zweite Meinung einzuholen. Insgesamt hält der Sachverständige daher die Dokumentation der wesentlichen Gesprächsinhalte im Aufklärungs- und Anamneseboge aus medizinsicher Sicht für ausreichend.

2.2. Allerdings ist die Vorlage eines Aufklärungsbogens alleine für den Nachweis einer ordnungsgemäßen Aufklärung nicht ausreichend. Maßgeblich ist vielmehr stets das mündliche Aufklärungsgespräch. Die Kammer hat daher in der mündlichen Verhandlung hierzu Beweis erhoben.

Der Kläger hat im Rahmen seiner informatorischen Anhörung erklärt, es sei schon über allgemeine Risiken bei Operationen gesprochen worden, jedoch könne er sich nicht mehr genau erinnern, ob auch über Einzelheiten wie Über- und Unterkorrektur gesprochen wurde. Jedenfalls habe ihm der Beklagte zu 2) gesagt, dass die empfohlene Operation das Non-plus-Ultra sei und er nach der Operation besser auf dem Fuß gehen könne, als je zuvor und es keine Alternative zu einer Operation gebe. Eine Sehnenverpflanzung habe er abgelehnt, da dann die Gefahr bestehe, dass diese reiße. Er habe gute Erfahrungen mit dieser Operationsmethode gemacht und es stehe nicht zu erwarten, dass es wirklich Probleme geben würde, die auf Dauer bestünden. Dies müsse wohl bereits beim ersten Gespräch besprochen worden sein.

Die Zeugin ... hat in Ergänzung hierzu angegeben, ihren Mann am 19.05.2009 ins Krankenhaus gefahren zu haben und bei einem von einem Mann geführten Aufklärungsgespräch anwesend gewesen zu sein, die das Aufklärungsgespräch führende Person jedoch weder in dem Zeugen ... noch die Beklagte zu 3) wiederzuerkennen. Insgesamt habe sie nur eingeschränkte Erinnerungen. Sie wisse eigentlich nur noch, dass dieses Gespräch Hoffnung vermittelt habe. Bei dem Gespräch sei sehr genau beschrieben worden, was gemacht werden solle. An weitere Details könne sie sich nicht erinnern. Sie hätten nach dem Gespräch das Fußschema mit nach Hause bekommen und dieses immer wieder besprochen. Insofern könne sie sich an mindestens zwei lose Blätter mit Fußskizzen bzw. Zeichnungen mit Pfeilen darauf erinnern, nicht aber an ein Textblatt. Von Risiken habe sie nichts gewusst.

Die informatorisch gehörte Beklagte zu 3) hat angegeben, sich zwar noch an den Kläger erinnern zu können, das Gespräch vom 23.02.2009 jedoch nur noch anhand des Arztbriefes vom 12.03.2009 nachvollziehen zu können. Regelmäßig sei es so, dass sie den Patienten nach Beschwerden frage, ihn untersuche und sich die vorhandenen Befunde anschaue. Vorliegend habe sie es noch für nötig erachtet, Röntgenbilder anzufertigen. Wenn die Situation geklärt sei, bespreche sie mit dem Patienten, was zu machen sei, wobei sie immer zunächst auf die Möglichkeit einer konservativen Behandlung eingehe. Vorliegend könne sie dem Arztbrief entnehmen, dass eine konservative Behandlung mit Einlagen nicht erfolgreich gewesen sei. In Abgrenzung zu konservativen Möglichkeiten habe sie auch operative Möglichkeiten mit dem Patient besprochen undhierbei auch die gelenkerhaltende Operation von einer möglichen Versteifung abgegrenzt, welche häufig biomechanische Probleme aufweise und zudem immer noch als letzter Rettungsanker bliebe, wenn die gelenkerhaltende Operation fehlschlagen sollte. Dann habe sie über den Ablauf der Operation sowie Chancen und Risiken sowie die Länge des Klinikaufenthalts und die anschließende Arbeitsunfähigkeit gesprochen. Bei größeren Operationen lege sie der Aufklärung den Aufklärungsbogen zugrunde. Laut Artzbrief sei ein solcher auch übergeben und wohl auch schon ein Operationstermin vereinbart worden. Anhand des Aufklärungsbogens würden sodann erst die allgemeinen und dann die speziellen Risiken erläutert, wobei sie immer auch auf die Möglichkeit einer Über- bzw. Unterkorrektur eingehe und darauf hinweise, dass das Risiko einer ausbleibenden Heilung bestehe. Ein solches Gespräch dauere etwa 20 Minuten, der Termin insgesamt 30 Minuten und länger. Später würden die Operationsindikationen auch nochmal im Team besprochen.

Der Zeuge ... hat ausgesagt, sich zwar nicht mehr an das Aufklärungsgespräch vom 19.05.2009 erinnern zu können, jedoch aus den Unterlagen entnehmen zu können, dass er dieses geführt habe. Der Patient sei dreimal aufgeklärt worden und zwar am 19.05.2009 einmal durch ... und einmal durch ihn, was er aus den handschriftlichen Vermerken auf der ersten Seite des Aufklärungsbogens entnehme könne. Der obere Vermerk stamme von ihm, der untere von .... Bei seiner Aufklärung unterteile er zwischen allgemeinen und speziellen Risiken, vorliegend in Anbetracht der Diagnose über das Nichtverheilen der Knochen, über das Versagen des Sehnentransplantats, Über- und Unterkorrektur, Restbeschwerden, dann Überbeweglichkeit, Bewegungseinschränkungen, fortschreitende Arthrose, ferner würden Therapiealternativen und die Nachbehandlung besprochen. Er gehe davon aus, dass er das Gespräch anhand eines in der Regel mitgeführten Fußskeletts geführt habe, zumindest habe er eine Zeichnung dabei gehabt. Auch werde von ihm unter Berücksichtigung der Vorgehensweise die Möglichkeit der Osteotomie durch Einsatz eines Beckenkammspans näher dargestellt. Außerdem erkläre er genau, was eine Überkorrektur bedeuten könne. Den Aufklärungsbogen habe er dabei wohl neu ausgefüllt, da dieser seines Wissens dem Kläger bereits im Februar mitgegeben, aber nicht wieder mitgebracht worden sei. Im Rahmen der Aufklärung sage er eigentlich nichts zur Häufigkeit möglicher Komplikationen, wenn hierzu etwas gefragt werde, weise er jedoch immer darauf hin, dass es dieses Risiko tatsächlich geben könne, sie sich in ihrem Hause jedoch im Vergleich zu durchschnittlichen deutschlandweiten Zahlen eher in einem unterem Risikospektrum befinde. Sie würden darauf hingewiesen, die Patienten immer offen über mögliche Risiken zu informieren.

Die Kammer folgt hierbei den nachvollziehbaren und in sich widerspruchsfreien Angaben der Beklagten zu 3) und des Zeugen .... Beide waren erkennbar um eine möglichst wahrheitsgetreue Widergabe ihrer Erinnerungen bemüht und räumten hierbei auch ein, dass und inwiefern sie sich nicht mehr an Einzelheiten erinnern konnten, sondern sich auf ein regelhaftes Verhalten in derartigen Fällen und auf die Behandlungsunterlagen stützten. Die Kammer zweifelt weder an der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben, noch an der Glaubwürdigkeit des Zeugen und der Beklagten zu 3). Das Gericht verkennt hierbei auch nicht, dass die im Rahmen einer informatorischen Anhörung gemachten Angaben einer Partei nicht als Beweismittel verwertet werden dürfen. Das Gericht folgt insofern jedoch der herrschenden Rechtsprechung, wonach die Ergebnisse einer Anhörung ohne weiteres im Rahmen einer Beweiswürdigung verwertet werden dürfen (KG Berlin, Beschluss vom 06.10.2008, 12 U 196/08). Insbesondere werden die Angaben des Zeugen und der Beklagten zu 3) auch durch die schriftliche Behandlungsdokumentation, insbesondere den Aufklärungsbogen und den Arztbrief vom 12.03.2009 gestützt. Auch der Kläger und die Zeugin ... haben mit ihren Aussagen die Schilderung des Zeugen ... und der Beklagten zu 3) letztlich nicht in Abrede gestellt, sondern eingeräumt, dass über die geplante Operation gesprochen wurde, man sich an nähere Details hinsichtlich einer etwaigen Risikoaufklärung jedoch nicht mehr erinnern könne, ebensowenig bei welchem Termin und durch wen die Aufklärung letztlich erfolgten.

Die Aufklärung durch den Zeuge ... und die Beklagte zu 3) erweist sich dabei als ausreichend. Der Sachverständige ist insofern - wie bereits ausgeführt - zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger aufgrund der stattgehabten Aufklärung im Großen und Ganzen über die geplante Operation und deren Folgen Bescheid gewusst und ausreichend Überlegungszeit gehabt habe.

Nachdem es sich bei der streitgegeständlichen Operation laut Sachverständigem - wie bereits dargelegt - nicht um eine experimentelle Vorgehensweise handelte, war auch hierüber nicht gesondert aufzuklären.

Insgesamt lässt sich aus den dargelegten Gründen kein Aufklärungsmangel feststellen, so dass der Kläger auch unter diesem Gesichtspunkt keinen Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld gegen die Beklagten hat.

3. Die Kammer hat sich in fachorthopädisch-unfallchirurgischer Hinsicht von ... sachverständig beraten lassen und folgt seinen überzeugenden und gut begründeten Ausführungen. Die schriftlichen Ausführungen des Sachverständigen, aber auch die mündlichen Erläuterungen ließen eine gründliche und sorgfältige Auseinandersetzung mit dem Akteninhalt, dem Parteivorbringen und den Fragestellungen erkennen. Das Gutachten ist von großer Sachkenntnis und praktischer Erfahrung getragen und gut und nachvollziehbar begründet. Die Ausführungen des Sachverständigen sind verständlich und insgesamt überzeugend. Die Kammer schließt sich ihnen daher uneingeschränkt an. Die Ausführung des Sachverständigen wurden auch von den Parteien nicht mehr in Frage gestellt.

Aus den genannten Gründen ist die Klage daher insgesamt abzuweisen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.

Urteilsbesprechung zu Landgericht München I Endurteil, 15. Juni 2016 - 9 O 18711/13

Urteilsbesprechungen zu Landgericht München I Endurteil, 15. Juni 2016 - 9 O 18711/13

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht


(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung


(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. (2) Schadensersatz weg

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 823 Schadensersatzpflicht


(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. (2) Di

Zivilprozessordnung - ZPO | § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung


Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur
Landgericht München I Endurteil, 15. Juni 2016 - 9 O 18711/13 zitiert 7 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht


(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung


(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. (2) Schadensersatz weg

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 823 Schadensersatzpflicht


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Zivilprozessordnung - ZPO | § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung


Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 611 Vertragstypische Pflichten beim Dienstvertrag


(1) Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. (2) Gegenstand des Dienstvertrags können Dienste jeder Art sein.

Referenzen - Urteile

Landgericht München I Endurteil, 15. Juni 2016 - 9 O 18711/13 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).

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Bundesgerichtshof Urteil, 07. Feb. 2012 - VI ZR 63/11

bei uns veröffentlicht am 07.02.2012

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VI ZR 63/11 Verkündet am: 7. Februar 2012 Holmes Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR:

Bundesgerichtshof Urteil, 15. Apr. 2014 - VI ZR 382/12

bei uns veröffentlicht am 15.04.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VI ZR 382/12 Verkündet am: 15. April 2014 Böhringer-Mangold Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja BGB §

Referenzen

(1) Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.

(2) Gegenstand des Dienstvertrags können Dienste jeder Art sein.

(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.

(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 382/12
Verkündet am:
15. April 2014
Böhringer-Mangold
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Handlungsanweisungen in Leitlinien ärztlicher Fachgremien oder Verbände dürfen
nicht unbesehen mit dem medizinischen Standard gleichgesetzt werden.
Dies gilt in besonderem Maße für Leitlinien, die erst nach der zu beurteilenden
medizinischen Behandlung veröffentlicht worden sind. Leitlinien ersetzen kein
Sachverständigengutachten. Zwar können sie im Einzelfall den medizinischen
Standard für den Zeitpunkt ihres Erlasses zutreffend beschreiben; sie können
aber auch Standards ärztlicher Behandlung fortentwickeln oder ihrerseits veralten.
BGH, Urteil vom 15. April 2014 - VI ZR 382/12 - OLG Braunschweig
LG Braunschweig
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 15. April 2014 durch den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Wellner,
die Richterin Diederichsen, den Richter Pauge und die Richterin von Pentz

für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten zu 2 als Streithelferin der Klägerin gegen das Teilurteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 12. Juli 2012 wird zurückgewiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens und der Nebenintervention trägt die Beklagte zu 2. Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch.
2
Die Mutter der Klägerin wurde am 22. Juni 1995 in der 27. Schwangerschaftswoche wegen vorzeitiger Wehen und einer Cervixinsuffizienz in dem von der Beklagten zu 1 betriebenen Krankenhaus aufgenommen. Ihr wurden Bettruhe und wehenhemmende Medikamente (Partusisten) verordnet. Nachdem am 27. Juni 1995 der Muttermund bereits 3 cm geöffnet und die Fruchtblase prolabiert war, unternahmen die Ärzte der Beklagten zu 1 am 28. Juni 1995 den Versuch , den Muttermund operativ zu verschließen. Hierbei kam es zu einer erheb- lichen Blutung bei der Mutter und zum vorzeitigen Blasensprung, weshalb beschlossen wurde, eine Notsectio durchzuführen. Da es sich um eine Zwillingsschwangerschaft handelte, wurden zwei Neonatologen aus dem von der Beklagten zu 2 betriebenen Klinikum angefordert, die um 12.50 Uhr eintrafen. Die Klägerin wurde um 12.59 Uhr als zweites Zwillingsmädchen mit einem Gewicht von 920 Gramm und einer Größe von 38 cm geboren. Als sie vom Operationstisch zum Reanimationsplatz getragen wurde, tropfte aus dem sie umhüllenden Tuch Blut. Bei der weiteren Behandlung und Untersuchung wurde ein Einriss der Nabelschnur zwischen dem Körper der Klägerin und der Nabelklemme festgestellt. Es wurden eine zweite Nabelklemme zwischen dem Nabel und dem Einriss gesetzt und 17 ml Erythrozyten-Konzentrat verabreicht. Um 13.45 Uhr wurde die Klägerin in das von der Beklagten zu 2 getragene Klinikum transportiert , wo sie insgesamt weitere 25 ml Erythrozyten-Konzentrat erhielt. Die Klägerin leidet u.a. an einer spastischen Tetraparese und an einer fokalen Epilepsie.
3
Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzverpflichtung der Beklagten gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht mit Grund- und Teilurteil vom 18. Dezember 2008 dem Feststellungsantrag gegen beide Beklagten entsprochen und den Leistungsantrag dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Dieses Urteil ist hinsichtlich der Beklagten zu 2 rechtskräftig. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zu 1 hat der erkennende Senat das Grundund Teilurteil mit Beschluss vom 30. November 2010 aufgehoben, soweit zum Nachteil der Beklagten zu 1 erkannt worden ist, und hat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Mit Teilurteil vom 12. Juli 2012 hat das Oberlandesgericht die Berufung der Klägerin gegen das landgerichtliche Urteil in Bezug auf die Beklagte zu 1 zurückgewiesen. Die Beklagte zu 2 ist daraufhin dem Rechtsstreit auf Seiten der Kläge- rin als Nebenintervenientin beigetreten. Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision begehrt sie die Verurteilung der Beklagten zu 1.

Entscheidungsgründe:

A.

4
Nach Auffassung des Berufungsgerichts stehen der Klägerin gegen die Beklagte zu 1 keine Schadensersatzansprüche zu. Es sei insbesondere nicht behandlungsfehlerhaft gewesen, die Mutter der Klägerin in dem von der Beklagten zu 1 betriebenen Krankenhaus der Grundversorgung aufzunehmen und zu behandeln. Es sei nicht festzustellen, dass es im Behandlungszeitpunkt bereits einen medizinischen Standard gegeben habe, der die Verlegung von Risikoschwangeren in ein Perinatalzentrum gefordert habe. Nach den nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. T. sei es im Juni 1995 noch nicht medizinischer Konsens gewesen, dass eine Frau, bei der eine Hochrisikoschwangerschaft festgestellt worden sei, vor der Geburt möglichst in ein Perinatalzentrum verlegt werden müsse. Es habe seinerzeit noch keine widerspruchsfreien Aussagen und Empfehlungen gegeben. Aus der Präambel der kurz nach der Behandlung der Mutter der Klägerin im November 1995 veröffentlichten Leitlinien der einschlägigen geburtsmedizinischen Fachgesellschaft , der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (nachfolgend: DGGG), gehe klar hervor, dass die Konsensbildung noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Vielmehr sei der Diskussionsprozess in der medizinischen Fachwelt jedenfalls im Jahr 1995 noch so in Gang gewesen, dass von der DGGG eine Leitlinie veröffentlicht worden sei, die es dem betroffenen Krankenhaus in eigener Sachprüfung erlaubt habe, zu beurteilen, ob eine Empfehlung zur Aufnahme in ein Perinatalzentrum ausgesprochen werden müsse oder nicht. Die Beklagte zu 1 habe auch über die nötigen personellen und apparativen Möglichkeiten verfügt, um die Mutter der Klägerin sachgerecht zu behandeln. Das Krankenhaus der Beklagten zu 1 sei personell hinreichend besetzt gewesen, da bei der Geburt ein geburtshilflicher Facharzt, zwei Neonatologen und ein Anästhesist zugegen gewesen seien. Darüber hinaus seien alle dem damaligen ärztlichen und organisatorischen Standard entsprechenden Maßnahmen ergriffen worden, die auch in einer Einrichtung der Maximalversorgung ergriffen worden wären, um den speziellen Risiken des vorliegenden Geburtsfalles Rechnung zu tragen.
5
Soweit der Sachverständige Prof. Dr. F. im Gegensatz zu dem Sachverständigen Prof. Dr. T. eine Verlegung von Hochrisiko-Schwangeren in Perinatalzentren bereits für das Jahr 1995 gefordert habe, fehle es an einer hinreichend nachvollziehbaren Grundlage. Der Beschluss des Vorstandes DGGG vom Juni 1991 enthalte bloße Empfehlungen, die sich noch nicht zum Standard herausgebildet hätten. Die erstmals am 1. September 1996 erstellte Leitlinie der Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin "Antepartaler Transport von Risiko-Schwangeren" könne den medizinischen Standard für die mehr als ein Jahr zurückliegende Behandlung nicht indizieren. Soweit die Leitlinie der Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin "Aufgaben des Neugeborenen-Notarztdienstes" vom 8. Dezember 1993 eine obligate Aufklärung der Risiko-Schwangeren über die Notwendigkeit einer pränatalen Verlegung formuliere, stehe die Leitlinie jedenfalls im Widerspruch zu der 1995 veröffentlichten Leitlinie der DGGG. Schließlich belege der Umstand, dass die Sachverständigen Prof. Dr. F., Prof. Dr. V. (Schlichtungsgutachter) und Prof. Dr. P. (Privatgutachter) einerseits und die Sachverständigen Prof. Dr. T., Prof. Dr. W. (Schlichtungsgutachter) und Prof. Dr. J. andererseits unterschiedliche Auffassungen vertreten hätten, dass sich im Jahre 1995 noch kein entsprechender Standard etabliert habe.
6
Jedenfalls gebe es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass ein etwaiger Behandlungsfehler als schlechterdings unverständlich und damit grob qualifiziert werden könne. Da nicht feststellbar sei, worauf die Schädigung der Klägerin letztlich zurückzuführen sei - ihre Schädigung könne auch allein auf ihre Frühgeburtlichkeit als solche zurückzuführen sein -, scheide eine Haftung der Beklagten zu 1 unter dem Gesichtspunkt des Übernahmeverschuldens aus.
7
Gleiches gelte für den Vorwurf eines fehlerhaften Umgangs mit der Nabelklemme. Zwar habe bei der Klägerin an der Nabelschnur eine durch eine Nabelklemme verursachte Verletzung vorgelegen. Die Nabelklemme sei auch durch einen Mitarbeiter der Beklagten zu 1 gesetzt worden. Es könne aber nicht festgestellt werden, dass die Verletzung durch einen groben Behandlungsfehler verursacht worden sei. Es sei nicht ausgeschlossen, dass die Nabelklemme zunächst ordnungsgemäß gesetzt worden und erst anschließend - z.B. durch das Einschlagen des Kindes in Tücher, seine Übergabe oder das insgesamt damit verbundene Hantieren mit ihm - aus ihrer Grundstellung gebracht worden oder unter Zug geraten sei. Ein solcher Ablauf sei nicht als grob fehlerhaft zu bewerten. Angesichts der besonderen Verletzlichkeit der Nabelschnur eines geringgewichtigen Frühgeborenen und der Eilbedürftigkeit der Versorgung handle es sich um ein Szenario im Grenzbereich zwischen Verwirklichung behandlungsspezifischer Risiken und einem Behandlungsfehler.

B.

I.

8
Die von der Beklagten zu 2 als Streithelferin der Klägerin eingelegte Revision ist zulässig. Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagte zu 2 dem Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin in den Vorinstanzen nicht beigetreten war und die Klägerin selbst keine Revision eingelegt hat. Denn nach § 66 Abs. 2 ZPO kann die Nebenintervention in jeder Lage des Rechtsstreits bis zur rechtskräftigen Entscheidung, auch in Verbindung mit der Einlegung eines Rechtsmittels , erfolgen. Die Beklagte zu 2 hat mit - innerhalb der für die Klägerin laufenden Revisionsfrist eingegangenen - Schriftsätzen vom 27. und 30. August 2012 den Beitritt auf Seiten der Klägerin erklärt und Revision eingelegt. Die Revision ist auch nicht deshalb unzulässig, weil die Beklagte zu 2 durch die Abweisung der gegen die Beklagte zu 1 gerichteten Klage nicht selbst beschwert ist. Das Rechtsmittel eines Streithelfers ist nämlich stets ein Rechtsmittel für die Hauptpartei ; für die Beurteilung, ob die zu erreichende Rechtsmittelsumme und die erforderliche Beschwer gegeben sind, kommt es allein auf sie an (vgl. Senatsurteil vom 9. März 1993 - VI ZR 249/92, VersR 1993, 625, 626; BGH, Urteile vom 15. Juni 1989 - VII ZR 227/88, VersR 1989, 932; vom 16. Januar 1997 - I ZR 208/94, VersR 1997, 1020 Rn. 19 f.).

II.

9
Die Revision ist aber nicht begründet. Die Beurteilung des Berufungsgerichts , wonach der Klägerin gegen die Beklagte zu 1 keine Schadensersatzansprüche aus §§ 611, 278, 823 Abs. 1, § 831 Abs. 1 Satz 1, § 847 BGB a.F. wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung zustehen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
10
1. Die Revision wendet sich ohne Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts , den Ärzten der Beklagten zu 1 sei nicht deshalb ein Behandlungsfehler vorzuwerfen, weil sie die Mutter der Klägerin in dem von der Beklagten zu 1 betriebenen Krankenhaus der Grundversorgung aufgenommen und behandelt haben, statt ihr die Aufnahme in einem Perinatalzentrum nahezulegen.
11
a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Übernahme der Behandlung der Mutter der Klägerin nur dann als Behandlungsfehler qualifiziert werden kann, wenn sie dem im Zeitpunkt der Behandlung bestehenden medizinischen Standard zuwiderlief (vgl. Senatsurteile vom 8. Juli 2003 - VI ZR 304/02, VersR 2003, 1256; vom 21. Dezember 2010 - VI ZR 284/09, BGHZ 188, 29 Rn. 9, 12). Der Standard gibt Auskunft darüber, welches Verhalten von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt in der konkreten Behandlungssituation aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs im Zeitpunkt der Behandlung erwartet werden kann. Er repräsentiert den jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der ärztlichen Erfahrung, der zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat (vgl. Senatsurteile vom 22. September 1987 - VI ZR 238/86, BGHZ 102, 17, 24 f.; vom 29. November 1994 - VI ZR 189/93, VersR 1995, 659, 660 mwN; vom 16. März 1999 - VI ZR 34/98, VersR 1999, 716, 718; vom 16. Mai 2000 - VI ZR 321/98, BGHZ 144, 296, 305 f.; Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 6. Auflage, Kap. X Rn. 6; Wenzel/Müller, Der Arzthaftungsprozess, Rn. 1426 ff.; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 12. Aufl., Rn. 157 ff., 174; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Auflage, B Rn. 2 ff.; Dressler, FS Geiß, S. 379 f., jeweils mwN).
12
b) Ohne Erfolg macht die Revision geltend, nach dem im Zeitpunkt der Behandlung im Juni 1995 bestehenden medizinischen Standard sei es geboten gewesen, der Mutter der Klägerin die Aufnahme in einem Perinatalzentrum nahezulegen bzw. sie in ein solches Zentrum zu verlegen.
13
aa) Die Ermittlung des Standards ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, der sich dabei auf die medizinische Bewertung des Behandlungsgeschehens durch einen Sachverständigen aus dem betroffenen medizinischen Fachgebiet stützen muss. Das Ergebnis dieser tatrichterlichen Würdigung kann revisionsrechtlich nur auf Rechts- und Verfahrensfehler überprüft werden, also insbesondere darauf, ob ein Verstoß gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze vorliegt, das Gericht den Begriff des medizinischen Standards verkannt oder den ihm unterbreiteten Sachverhalt nicht erschöpfend gewürdigt hat (vgl. Senat, Urteil vom 27. März 2007 - VI ZR 55/05, BGHZ 172, 1 Rn. 17 ff.; Beschlüsse vom 16. Oktober 2007 - VI ZR 229/06, VersR 2008, 221 Rn. 13; vom 28. März 2008 - VI ZR 57/07, GesR 2008, 361). Derartige Rechtsfehler liegen nicht vor.
14
bb) Das Berufungsgericht ist nach Einholung von Gutachten der geburtsmedizinischen Sachverständigen Prof. Dr. F. und Prof. Dr. T. und - teils mehrfacher - Anhörung dieser Sachverständigen sowie der pädiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. J., Prof. Dr. V. (Schlichtungsgutachter) und Prof. Dr. P. (Privatgutachter) auf der Grundlage einer umfassenden Gesamtwürdigung zu dem Ergebnis gekommen, es könne nicht festgestellt werden, dass es im Behandlungszeitpunkt bereits einen medizinischen Standard gegeben habe, der die Verlegung von Risikoschwangeren in ein Perinatalzentrum gefordert habe. Es konnte sich bei dieser Beurteilung in vollem Umfang auf die Angaben des geburtsmedizinischen Sachverständigen Prof. Dr. T. stützen. Dieser hat im Rahmen seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 7. Juni 2012 ausgeführt, es habe in der Zeit von 1989 bis 1995 einen Diskussionsprozess über die Zentralisierung von Risikogeburten gegeben, der noch nicht zu einem festen Ergebnis geführt habe. Es habe zwar - vor allem von Seiten der Neonatologen - vernünftige Argumente für die Zentralisierung von Risikogeburten gegeben , nicht hingegen eine Evidenz durch Zahlen. Die Fachwelt im hier maß- geblichen Fachbereich der Gynäkologen und geburtshilflichen Ärzte sei im Zeitraum bis 1995 einschließlich noch nicht einheitlich überzeugt gewesen. Dies werde u.a. durch die seitens der DGGG als der maßgeblichen Vertreterin für die Leitlinienbildung im November 1995 veröffentlichten "Mindestanforderungen an prozessuale, strukturelle und organisatorische Voraussetzungen für geburtshilfliche Abteilungen" belegt. Darin sei eine Empfehlung, Risiko-Schwangerschaften auf keinen Fall in Kliniken der Grundversorgung aufzunehmen, gerade nicht ausgesprochen worden. Ziffer 3.4.2 empfehle die Regionalisierung von Hochrisikofällen vielmehr nur für solche, deren Bewältigung offenbar und voraussehbar die personellen und organisatorischen Möglichkeiten des Krankenhauses übersteige. Auch der Einleitung der "Mindestanforderungen" - Stand Dezember 2011 - sei zu entnehmen, dass erst viel später das zum Standard geworden sei, was 1995 gefordert worden sei. Denn danach hätten die "Mindestanforderungen" von 1995 dazu beigetragen, das Niveau der klinischen geburtshilflichen Versorgung zu verbessern, und definierten den heute gebotenen Standard der Versorgung. Die Forderungen im Beschluss des Vorstandes der DGGG von Juni 1991 seien als Vorstufe zu den Leitlinien zu sehen, die sich noch nicht als Standard durchgesetzt hätten, sondern zur Verbesserung des Standards für die Zukunft erhoben worden seien. Die Umsetzung dieser Forderungen sei zum damaligen Zeitpunkt in Deutschland gar nicht möglich gewesen, weil die dafür erforderlichen Strukturen noch nicht vorhanden gewesen seien. Was die Fachgesellschaften anderer Fachbereiche gefordert hätten, könne nicht standardbildend für die hier zu entscheidende Frage sein.
15
cc) Die gegen die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.
16
(1) Die Revision rügt ohne Erfolg, das Berufungsgericht habe den Charakter von Leitlinien verkannt und deshalb Handlungsanweisungen in Quellen aus der Zeit nach der Behandlung rechtsfehlerhaft keine Bedeutung beigemessen.
17
(a) Entgegen der Auffassung der Revision fassen Leitlinien nicht nur das zusammen, was bereits zuvor medizinischer Standard war. Handlungsanweisungen in Leitlinien ärztlicher Fachgremien oder Verbände dürfen nicht unbesehen mit dem medizinischen Standard gleichgesetzt werden. Dies gilt in besonderem Maße für Leitlinien, die erst nach der zu beurteilenden medizinischen Behandlung veröffentlicht worden sind. Leitlinien ersetzen kein Sachverständigengutachten. Zwar können sie im Einzelfall den medizinischen Standard für den Zeitpunkt ihres Erlasses zutreffend beschreiben; sie können aber auch Standards ärztlicher Behandlung fortentwickeln oder ihrerseits veralten (vgl. zum Ganzen: Senat, Urteil vom 15. Februar 2000 - VI ZR 48/99, BGHZ 144, 1, 9; Beschlüsse vom 28. März 2008 - VI ZR 57/07, GesR 2008, 361; vom 7. Februar 2011 - VI ZR 269/09, VersR 2011, 1202; Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier /Lipp, aaO Rn. 9 f.; ders., LMK 2012, 327738; Hart in Rieger/Dahm/ Katzenmeier/Steinhilper, HK-AKM, KZA 530, Rn. 5, 16 ff. [Stand: Februar 2011]; Wenzel/Müller, aaO Rn. 1483 ff.; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 12. Aufl., Rn. 157 ff., 174; Geiß/Greiner, aaO, B Rn. 2 ff.; Frahm/Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl., Rn. 89; Glanzmann in Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 287 ZPO Rn. 25; Dressler, FS Geiß, S. 379, 380 f.; Stöhr, FS Hirsch, S. 431 ff.; Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 4. Aufl., B 41 ff., 72, jeweils mwN).
18
Entsprechendes gilt für Handlungsanweisungen in klinischen Leitfäden oder Lehrbüchern. Entgegen der Auffassung der Revision geben auch sie nicht stets einen bereits zuvor bestehenden medizinischen Standard wieder.
19
(b) Vor diesem Hintergrund ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden , dass das Berufungsgericht weder die am 1. September 1996 erstellte Leitlinie der Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin "Antepartaler Transport von Risiko-Schwangeren" noch die vom Sachverständigen Prof. Dr. F. vorgelegten Lehrbuchauszüge aus dem Jahr 1997 als geeignet angesehen hat, um dessen Angaben zum Bestehen eines entsprechenden Standards bereits im Juni 1995 maßgeblich zu stützen.
20
(2) Ohne Erfolg rügt die Revision als willkürlich, dass das Berufungsgericht den Angaben des Sachverständigen Professor Dr. F. nicht im Hinblick auf die Leitlinie der Gesellschaft für Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin "Aufgaben des Neugeborenen-Notarztdienstes" vom 8. Dezember 1993 den Vorzug gegenüber den Angaben des Prof. Dr. T gegeben hat. Zwar bestimmt Ziffer 3 dieser Leitlinie, dass Schwangere mit hohen Risiken über die Möglichkeit und Notwendigkeit einer präpartalen Verlegung aufzuklären sind; dabei sind als Beispiel für eine Hochrisikoschwangerschaft insbesondere Wehen vor der 33. Woche aufgeführt. Die Frage, welches Verhalten von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt in der konkreten Behandlungssituation im Zeitpunkt der Behandlung erwartet werden kann, bestimmt sich indes aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachgebiets und nicht derjenigen anderer Fachbereiche (vgl. Senatsurteile vom 22. September 1987 - VI ZR 238/86, BGHZ 102, 17, 24 f.; vom 29. November 1994 - VI ZR 189/93, VersR 1995, 659, 660 mwN; vom 16. März 1999 - VI ZR 34/98, VersR 1999, 716, 718; vom 16. Mai 2000 - VI ZR 321/98, BGHZ 144, 296, 305 f.). Die Ärzte der Beklagten zu 1 waren nicht als Neonatologen, sondern im Fachbereich Gynäkologie und Geburtshilfe tätig. Die in diesem Fachgebiet zuständige Fachgesellschaft, die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, hatte aber im November 1995 und damit kurz nach der Geburt der Klägerin mit der Leitlinie "Mindestanforderungen an prozessuale , strukturelle und organisatorische Voraussetzungen für geburtshilfliche Abteilungen" Handlungsanweisungen herausgegeben, die inhaltlich hinter den Forderungen der Leitlinie "Aufgaben des Neugeborenen-Notarztdienstes" zurückblieben und die dem betroffenen Krankenhaus die Beurteilung überließen, ob eine Verlegung der Schwangeren in ein Perinatalzentrum erfolgen musste. Gemäß Ziffer 3.4.2 war die geburtshilfliche Abteilung zur Regionalisierung nur solcher Hochrisikofälle verpflichtet, deren Bewältigung offenbar und voraussehbar die personellen und organisatorischen Möglichkeiten des Krankenhauses überstieg. Unter anderem aus dieser Leitlinie 1995 sowie aus der Einleitung ihrer Neufassung, Stand 2011, hat der Sachverständige Professor Dr. T. abgeleitet , dass im Zeitpunkt der Behandlung im Juni 1995 im maßgeblichen Fachbereich der Gynäkologie und Geburtshilfe noch nicht der erforderliche Konsens bestanden habe, dass Hochrisiko-Schwangeren vor der Geburt die Aufnahme in einem Perinatalzentrum nahezulegen war bzw. sie in ein solches Zentrum zu verlegen waren. Dabei hat der Sachverständige ausdrücklich auch den Beschluss des Vorstands der DGGG von Juni 1991 in seine Erwägungen miteinbezogen , in dem empfohlen wird, innerhalb der drei Ebenen der Krankenhausversorgung - Grundversorgung, Schwerpunktkrankenhaus und Krankenhaus in der Maximalversorgung - stärker als bisher eine graduelle und dem Bedarf angepasste Verschiebung von Risikofällen in die nächst höhere Versorgungsstufe vorzunehmen und entsprechend den Mutterschaftsrichtlinien auch in Verdachtsfällen ein Perinatalzentrum zu konsultieren. Er hat den Beschluss als fordernde Vorstufe zu den Leitlinien mit Empfehlungscharakter qualifiziert; die darin ausgesprochenen Empfehlungen hätten sich noch nicht als Standard durchgesetzt, sondern der Verbesserung des Standards für die Zukunft gedient. Bei dieser Sachlage ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass sich das Berufungsgericht von der Existenz eines entsprechenden medizinischen Standards im Jahr 1995 nicht überzeugt hat. Soweit die Revision geltend macht, es habe von Seiten der Fachgesellschaften und Mediziner bei Vorliegen einer Risiko- schwangerschaft schon 1995 offensichtlich kein Zweifel an dem Erfordernis der Aufnahme in einem Krankenhaus der Maximalversorgung bzw. in einem Perinatalzentrum bestanden, versucht sie lediglich in unzulässiger Weise, die tatrichterliche Würdigung durch ihre eigene zu ersetzen.
21
(3) Die Revision wendet sich auch ohne Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Mutter der Klägerin habe nicht deshalb in ein Perinatalzentrum verlegt werden müssen, weil die Beklagte zu 1 nicht über die personellen und apparativen Möglichkeiten zur Betreuung von Risikogeburten verfügt habe. Ihre Rüge, die personellen Voraussetzungen seien nicht gegeben gewesen , weil die Neonatologen nicht "bereitgestanden", sondern erst hätten herbeigerufen werden müssen, ist nicht begründet. Entscheidend ist, dass die Möglichkeit bestand, das Geburtshelferteam rechtzeitig durch das Hinzuziehen von Neonatologen zu verstärken. Dies war der Fall. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts waren bei der Geburt der Klägerin zwei Neonatologen zugegen.
22
Soweit die Revision geltend macht, in einer Einrichtung der Maximalversorgung sei von einer anderen Arbeits- und Vorgehensweise als in einem Krankenhaus der Grundversorgung auszugehen, übersieht sie, dass der Sachverständige Prof. Dr. T. in seinem schriftlichen Gutachten die bei der Mutter der Klägerin ergriffenen Behandlungsmaßnahmen im Einzelnen untersucht, mit der hypothetischen Behandlung in einer Einrichtung der Maximalversorgung verglichen hat und zu dem Schluss gekommen ist, dass alle dem damaligen ärztlichen und organisatorischen Standard entsprechenden Maßnahmen ergriffen worden sind, die auch in einer Einrichtung der Maximalversorgung durchgeführt worden wären, um den speziellen Risiken des vorliegenden Geburtsfalles Rechnung zu tragen. Insoweit erhebt die Revision keine Beanstandungen.
23
Auch der Umstand, dass im Krankenhaus der Beklagten zu 1 ein Blutdruckmessgerät für die nichtinvasive Blutdruckmessung bei Säuglingen nicht zur Verfügung stand, stellt die tatrichterliche Würdigung nicht in Frage. Sie wird von den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. T. im Rahmen seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung vom 7. Juni 2012 getragen, wonach im Streitfall in Bezug auf die technische Ausstattung und die räumliche Situation keine wesentlich andere Situation bestanden habe, als wenn die Mutter der Klägerin in der von der Beklagten zu 2 betriebenen Geburtsklinik der Maximalversorgung aufgenommen worden wäre. Dass eine präpartale Verlegung der Mutter der Klägerin in ein Perinatalzentrum nur wegen des Nichtvorhandenseins eines Blutdruckmessgeräts für die nichtinvasive Blutdruckmessung medizinisch nicht geboten war, wird auch durch die - von der Revision herangezogenen und der (rechtskräftigen) Verurteilung der Beklagten zu 2 zugrunde liegenden - Angaben des pädiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. B. bestätigt. Dieser gab nämlich nicht nur an, dass ein entsprechendes Blutdruckmessgerät nicht zur Verfügung stand. Vielmehr führte er auch aus, dass die Höhe des Blutverlustes der Klägerin durch andere Maßnahmen im Krankenhaus der Beklagten zu 1 hätte festgestellt werden können. Insbesondere habe die Hämoglobinkonzentration durch einen zentralen Zugang bestimmt oder der Blutdruck durch Dekonnektion des Nabelvenenkatheters geschätzt werden können. Darüber hinaus habe der Volumenmangel auch durch eine Femoralispulsmessung und die Beobachtung der Kapillarfüllungszeit festgestellt werden können. Gestützt auf diese Beurteilung hat das Berufungsgericht das Unterlassen dieser Maßnahmen durch die hinzugezogenen Neonatologen als - teilweise grob - behandlungsfehlerhaft angesehen und die Haftung der Beklagten zu 2 bejaht.
24
(4) Die Tatsache, dass in den dem Senatsurteil vom 14. Dezember 1993 (VI ZR 67/93, VersR 1994, 480) und dem Urteil des Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 16. Mai 1994 (7 U 211/91) zugrunde liegenden Fällen die Nicht- verlegung einer Risiko-Schwangeren in ein Perinatalzentrum von den Sachverständigen als behandlungsfehlerhaft angesehen worden ist, musste das Berufungsgericht nicht zu einer anderen Beurteilung veranlassen. Denn diesen Fällen lagen jeweils anders gelagerte Sachverhalte zugrunde. Insbesondere waren - anders als im Streitfall - bei der Geburt jeweils keine Neonatologen zugegen.
25
(5) Die weiteren Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
26
2. Die Revision rügt auch ohne Erfolg, das Berufungsgericht habe die Verletzung der Nabelschnur der Klägerin, - soweit sie darauf zurückgeführt werden könne, dass die ordnungsgemäß gesetzte Nabelklemme durch die Ärzte der Beklagten zu 1 nachträglich aus ihrer Grundstellung gebracht worden sei, - zu Unrecht als nicht grob fehlerhaft bewertet. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht nicht verkannt, dass die Beurteilung, ob ein Behandlungsfehler als grob oder nicht grob einzustufen ist, eine juristische Wertung ist, die dem Tatrichter und nicht dem Sachverständigen obliegt (vgl. Senatsurteil vom 25. Oktober 2011 - VI ZR 139/10, VersR 2012, 362 Rn. 9 mwN). Es hat den Ausführungen des Sachverständigen lediglich nicht die erforderliche tatsächliche Grundlage entnommen, um das Behandlungsgeschehen als grob fehlerhaft zu qualifizieren. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Nachdem das Berufungsgericht den Sachverständigen Prof. Dr. T. zur Schwere des Behandlungsfehlers in der mündlichen Verhandlung vom 7. Juni 2012 ausführlich angehört und dieser das nach dem Setzen der Nabelklemme liegende Behandlungsgeschehen im Grenzbereich zwischen Verwirklichung behandlungsspezifischer Risiken und einem Behandlungsfehler angesiedelt hatte, bestand entgegen der Auffassung der Revision auch kein Anlass, den Sachverständigen nochmals zu befragen.

III.

27
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 101 Abs. 1 ZPO. Galke Wellner Diederichsen Pauge von Pentz
Vorinstanzen:
LG Braunschweig, Entscheidung vom 11.12.2003 - 4 O 371/02 -
OLG Braunschweig, Entscheidung vom 12.07.2012 - 1 U 1/04 -

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.

(1) Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.

(2) Gegenstand des Dienstvertrags können Dienste jeder Art sein.

(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.

(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 63/11 Verkündet am:
7. Februar 2012
Holmes
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
BGB § 823 Aa; § 249 Bb; ZPO § 286 A, G

a) Besteht die Pflichtverletzung in einer Unterlassung, ist diese für den Schaden
nur dann kausal, wenn pflichtgemäßes Handeln den Eintritt des Schadens
verhindert hätte. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür trägt regelmäßig der
Geschädigte.

b) Die haftungsbegrenzende Rechtsfigur des hypothetischen Kausalverlaufs bei
rechtmäßigem Alternativverhalten kommt erst dann zum Tragen, wenn die
Ursächlichkeit der durchgeführten rechtswidrigen Behandlung für den behaupteten
Schaden festgestellt und mithin die Haftung grundsätzlich gegeben
ist.
BGH, Urteil vom 7. Februar 2012 - VI ZR 63/11 - OLG Köln
LG Köln
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 10. Januar 2012 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Zoll
und Wellner, die Richterin Diederichsen und den Richter Stöhr

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 2. Februar 2011 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger nimmt die Beklagten für durch seine Geburt entstandene Gesundheitsschäden in Anspruch.
2
Die Mutter des Klägers suchte in der 25. Schwangerschaftswoche aufgrund der Überweisung mit der Therapieempfehlung "Tokolyse und Cerclage" durch den die Schwangerschaft betreuenden niedergelassenen Gynäkologen das örtliche Krankenhaus auf. Nach einer Erstversorgung wurde sie am 17. Mai 1993 in die Frauenklinik der Beklagten zu 1 verlegt. Dort wurden bis zum 19. Mai 1993 eine intravenöse Tokolyse und eine Celestan-Prophylaxe durch- geführt. Am 19. Mai 1993 untersuchte der Beklagte zu 2 die Mutter des Klägers zur Klärung der Indikation für eine Cerclage. Wegen einer Infektion wurde von der Cerclage abgesehen und strikte Bettruhe verordnet. Ab dem 24. Mai 1993 war die Infektion abgeklungen. Die bisherige Behandlung wurde trotzdem fortgesetzt. Am 30. Mai 1993 um 21.30 Uhr musste die Schwangerschaft durch sectio beendet werden. Der Kläger wurde um 22.26 Uhr in schlaffem, zyanotischem Zustand ohne Eigenatmungsbestrebungen geboren. Das Geburtsgewicht betrug 960 g bei einer Körperlänge von 38 cm und einem Kopfumfang von 26 cm. Der Kläger wurde in das Perinatalzentrum verlegt. Am 31. Mai 1993 trat bei ihm eine Hirnblutung 4. Grades auf. Der Kläger stützt, nachdem er anfänglich den Beklagten Behandlungsfehler angelastet hatte, nunmehr sein Schadensersatzbegehren auf eine wegen unterbliebener Aufklärung seiner Mutter über die Möglichkeit der Cerclage rechtswidrige Fortführung der konservativen Behandlung.
3
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert, den Schmerzensgeldanspruch dem Grunde nach zugesprochen und die Ersatzpflicht der Beklagten für entstandene und künftig entstehende materielle Schäden unter Vorbehalt der auf Dritte übergegangenen Ansprüche festgestellt. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision begehren die Beklagten, das landgerichtliche Urteil wiederherzustellen.

Entscheidungsgründe:

I.

4
Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
5
Die Behandlung der Mutter des Klägers sei jedenfalls ab dem 24. Mai 1993 wegen einer mangels ordnungsgemäßer Aufklärung unwirksamen Einwilligung in die Fortsetzung der konservativen Behandlung rechtswidrig gewesen. Zwar sei anfänglich eine Cerclage aufgrund der bei der Schwangeren aufgetretenen Infektion kontraindiziert gewesen. Nach dem Abklingen der Infektion wäre eine solche aber in Frage gekommen. Darüber hätte die Mutter des Klägers aufgeklärt werden müssen. Die konservative Behandlung einerseits und die Cerclage andererseits hätten unterschiedliche Chancen und Risiken mit sich gebracht und seien beide als Mittel in Betracht gekommen, den Frühgeburtsbestrebungen bei der Mutter des Klägers entgegenzuwirken. Die Cerclage habe die Möglichkeit einer Stabilisierung mit der Folge der Verlängerung der Tragezeit geboten. Allerdings hätten die Risiken einer Verletzung der Fruchtblase und des Wiederaufflammens der Infektion bestanden. Eine Tragezeitverlängerung sei bei der konservativen Behandlung, die eine geringere mechanische Stabilisierung geboten habe, nicht ausgeschlossen. Zwar habe der Sachverständige betont, dass er persönlich eine Cerclage auch in der Zeit ab dem 24. Mai 1993 wegen des hohen Risikos der Verletzung der Fruchtblase und der aus seiner Sicht fehlenden Vorteile gegenüber der konservativen Behandlung nicht vorgenommen hätte. Doch hätte die weitere Verfahrensweise unter Aufklärung über die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten mit der Patientin besprochen werden müssen. Die insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten hätten nicht dargelegt und bewiesen, dass die Mutter des Klägers sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung für die Fortsetzung der konservativen Behandlung entschieden hätte. Aufgrund der persönlichen Anhörung der Mutter des Klägers sei plausibel, dass diese im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung über die zur Verfügung stehenden Behandlungsalternativen in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre. Die Behandlung der Mutter des Klägers sei dementsprechend jedenfalls ab dem 24. Mai 1993 nicht mehr von ihrer Einwilligung gedeckt und damit rechtswidrig.
6
Es sei auch davon auszugehen, dass die Frühgeburt des Klägers und die damit verbundenen gravierenden gesundheitlichen Schäden zumindest mit auf der rechtswidrigen Fortsetzung der konservativen Behandlung der Mutter beruhen. Mit dem konservativen Behandlungsregime sollte zwar den Frühgeburtsbestrebungen entgegengewirkt und erreicht werden, dass die Tragezeit so lange wie möglich verlängert würde. Dazu sei dieses Behandlungsregime allerdings letztlich nicht geeignet gewesen. Es sei vielmehr trotz des konservativen Behandlungsregimes zu der Frühgeburt des Klägers mit den damit verbundenen gravierenden Folgen gekommen. Der Annahme der Kausalität der rechtswidrigen Behandlung für den eingetretenen Schaden stehe nicht entgegen, dass die Geburt des Klägers auch bei Durchführung einer Cerclage möglicherweise bereits am 30. Mai 1993 eingetreten wäre. Insoweit liege die Annahme eines hypothetischen Kausalverlaufs im Falle des rechtmäßigen Alternativverhaltens zugrunde, für den die Behandlerseite beweispflichtig sei. Die Beklagten trügen das Beweisrisiko dafür, dass es auch nach einer Cerclage in gleicher Weise zu der Frühgeburt des Klägers gekommen wäre. Ein solcher Beweis sei nicht geführt. Der Beklagte zu 2 hafte für die Behandlung der Mutter des Klägers als verantwortlicher und an der Behandlung beteiligter Oberarzt. Die Beklagten hätten ihren erstinstanzlichen Vortrag, dass der Beklagte zu 2 die Klägerin ab dem 19. Mai 1993 nicht mehr persönlich untersucht und behandelt habe , nicht aufrechterhalten und nicht mehr in Abrede gestellt, dass der Beklagte zu 2 als zuständiger Oberarzt für die Behandlung der Mutter des Klägers auch nach dem 19. Mai 1993 verantwortlich gewesen sei.

II.

7
Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
8
1. Das Berufungsgericht hat den Ursachenzusammenhang zwischen der infolge der unterlassenen Aufklärung rechtswidrigen, aber aus ärztlicher Sicht vertretbaren Fortsetzung der konservativen Behandlung der Mutter des Klägers und den geltend gemachten Schäden aufgrund einer unzutreffenden Zuweisung der Darlegungs- und Beweislast bejaht. Das rügt die Revision mit Recht.
9
a) Das Berufungsgericht hätte dem Vortrag des Klägers nachgehen müssen, dass bei Durchführung der Cerclage, in die seine Mutter bei pflichtgemäßer Aufklärung eingewilligt hätte, die extreme Frühgeburt und die damit verbundenen gravierenden Gesundheitsschäden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden wären. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts handelt es sich dabei nicht um die Behauptung eines hypothetischen Kausalverlaufs bei rechtmäßigem Alternativverhalten, sondern um Darlegungen des Klägers zur Kausalität der infolge der unterbliebenen Aufklärung rechtswidrigen Fortsetzung der konservativen Behandlung für den geltend gemachten Schaden. Nach allgemeinen prozessrechtlichen Grundsätzen trägt dafür der Kläger und nicht die Beklagtenseite die Darlegungs- und Beweislast.
10
aa) Nach gefestigten Rechtsprechungsgrundsätzen trifft in den Fällen, in denen aus einem Aufklärungsversäumnis des Arztes Schadensersatzansprüche hergeleitet werden, die Behauptungs- und Beweislast für die ordnungsgemäße Aufklärung den Arzt. Der Patient trägt hingegen die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Schadensfolge, für die er Ersatz verlangt, auch wirklich durch den eigenmächtigen Eingriff des Arztes verursacht worden ist und nicht auf anderes zurückgeht (vgl. Senatsurteil vom 1. Oktober 1985 - VI ZR 19/84, VersR 1986, 183 und vom 13. Januar 1987 - VI ZR 82/86, VersR 1987, 667, 668; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 6. Aufl., Kap. C Rn. 147; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 11. Aufl., Rn. 702 mwN). Der Beweis, dass der ohne rechtswirksame Einwilligung vorgenommene ärztliche Eingriff bei dem Patienten auch zu einem Schaden geführt hat, ist ebenso wie im Fall des Behandlungsfehlers Sache des Patienten. Es besteht kein Sachgrund, bei Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht den Arzt insoweit beweismäßig schlechter zu stellen. Dieser Grundsatz gilt sowohl bei der Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht über die Risiken eines Eingriffs wie auch über bestehende Behandlungsalternativen (Selbstbestimmungsaufklärung). Der Patient hat nicht nur in den Fällen, in denen die rechtswidrige Behandlung in einem Eingriff, beispielsweise in einer Operation, liegt, sondern auch in den Fällen der rechtswidrigen Fortsetzung konservativer Behandlungsmethoden trotz Bestehens gleichwertiger Behandlungsalternativen zu beweisen, dass die bei ihm vorgenommene Behandlung ursächlich für den geltend gemachten Schaden geworden ist. Dies gilt auch dann, wenn - wie im Streitfall - Schadensersatzansprüche nicht aus der konservativen Behandlung hergeleitet werden, sondern daraus, dass weitergehende Behandlungsmaßnahmen unterblieben sind. Eine Unterlassung ist für den Schaden nur dann kausal, wenn pflichtgemäßes Handeln den Eintritt des Schadens verhindert hätte (vgl. BGH, Urteile vom 30. Januar 1961 - III ZR 225/59, BGHZ 34, 206, 215; vom 5. Juli 1973 - VII ZR 12/73, BGHZ 61, 118, 120 auch zur Umkehr der Beweislast im - hier nicht gegebenen Fall - eines groben Behandlungsfehlers; vom 19. Februar 1975 - VIII ZR 144/73, BGHZ 64, 46, 51; vom 22. März 1990 - IX ZR 128/89, WM 1990, 1161, 1163 und vom 17. Oktober 2002 - IX ZR 3/01, WM 2002, 2325, 2326 Rn. 11). Die bloße Möglichkeit , ebenso eine gewisse Wahrscheinlichkeit genügt nach § 286 ZPO nicht.
11
bb) Im Streitfall besteht die Pflichtverletzung in der Unterlassung der Beklagten , die Mutter des Klägers nach dem Abklingen der Infektion über die Behandlungsalternative einer Cerclage aufzuklären. Mithin hat der Kläger darzule- gen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass bei pflichtgemäßer Aufklärung seiner Mutter mittels der Cerclage die Geburt in einer für seine Entwicklung maßgeblichen Weise verzögert und der durch seine frühe Geburteingetretene Schaden vermieden worden wäre.
12
Hierzu hat der Kläger vorgetragen, dass seine Mutter bei entsprechender Aufklärung sich ohne Zweifel für die Cerclage entschieden hätte. Bei Durchführung der Cerclage hätten die extreme Frühgeburt des Klägers und die damit verbundenen gravierenden Gesundheitsschäden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert werden können. Die Beklagten haben dem entgegen gesetzt, eine Cerclage hätte die Schwangerschaft nicht verlängert. Sie haben damit den Kausalzusammenhang bestritten (vgl. BGH, Urteil vom 17. Oktober 2002 - IX ZR 3/01, aaO Rn. 12).
13
cc) Dieser Vortrag kann nicht als Einwand eines hypothetischen Kausalverlaufs bei rechtmäßigem Alternativverhalten verstanden werden, was das Berufungsgericht irrigerweise angenommen hat. Ein solcher Einwand setzt die Feststellung voraus, dass das vom Schädiger zu verantwortende Verhalten für den Schaden kausal geworden ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. Oktober 1995 - KZR 3/95, NJW 1996, 311, 312; Urteil vom 17. Oktober 2002 - IX ZR 3/01 aaO; Larenz, Schuldrecht Bd. I, 14. Aufl., S. 527; Staudinger/Schiemann (2005) BGB, § 249 Rn. 102, 107). Danach erst betrifft er die unter Umständen auftretende Frage, ob die auf der Pflichtverletzung beruhenden Folgen dem Schädiger billigerweise auch zugerechnet werden können (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juli 1992 - IX ZR 256/91, NJW 1992, 2694, 2695; vom 24. Oktober 1995 - KZR 3/95, aaO und vom 17. Oktober 2002 - IX ZR 3/01 aaO).
14
Darum handelt es sich hier nicht. Der Vortrag des Klägers bezieht sich auf die den Anspruchsgrund betreffende Frage der Kausalität. Dafür ist der Klä- ger nach allgemeinen Grundsätzen beweispflichtig, abgesehen von den Fällen der Beweislastumkehr wie beispielsweise bei einem groben Behandlungsfehler. Den Beklagten fällt hingegen die Beweislast für entlastenden Vortrag - wie etwa zum Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens - erst dann zu, wenn der Ursachenzusammenhang zwischen Pflichtwidrigkeit und eingetretenem Schaden feststeht (vgl. Baumgärtel, Handbuch der Beweislast Bd. I, 2. Aufl., Anh. § 282 BGB Rn. 30).
15
b) Das Urteil beruht mithin auf einer unzutreffenden Zuweisung der Darlegungs - und Beweislast. Richtigerweise obliegt es dem Kläger, darzulegen und zu beweisen, dass - nachdem das Berufungsgericht die hypothetische Einwilligung der Mutter in die Cerclage angenommen hat - nach der Cerclage die Geburt in einer für seine Entwicklung maßgeblichen Weise verzögert worden wäre. Für eine Verlagerung der Beweislast für den Ursachenzusammenhang auf die Beklagten ist insoweit kein Raum. Mit seiner Auffassung kann sich das Berufungsgericht auch nicht auf das Urteil des erkennenden Senats vom 15. März 2005 (VI ZR 313/03, VersR 2005, 836 f.) stützen. Dort wurde aus prozessrechtlichen Gründen für das Revisionsverfahren unterstellt, dass die geklagten Beschwerden (entsprechend dem tatsächlichen Verlauf der Behandlung) zumindest mit auf der Fortsetzung der konservativen Behandlung beruhten (Senatsurteil vom 15. März 2005 - VI ZR 313/03, aaO unter 3. b aa). In dem von der Revisionserwiderung herangezogenen Senatsurteil vom 6. Dezember 1998 (VI ZR 132/88, BGHZ 106, 153 ff.) stand der Kausalzusammenhang im Revisionsverfahren nicht in Frage.
16
2. Das Berufungsurteil begegnet außerdem hinsichtlich der Verurteilung des Beklagten zu 2 durchgreifenden Bedenken. Die Auffassung des Berufungsgerichts , dass der Beklagte zu 2 seine Verantwortlichkeit in der zweiten Instanz nicht mehr in Abrede gestellt habe, steht in Widerspruch zur Feststellung im Tatbestand des Berufungsurteils, dass die Beklagten ihren Vortrag in erster Instanz wiederholt und vertieft haben. Der Beklagte zu 2 hat im Schriftsatz vom 28. September 2009 vorgetragen, dass er die Mutter des Klägers nach dem 19. Mai 1993 nicht mehr behandelt habe. Am 19. Mai 1993 war jedenfalls die Cerclage medizinisch nicht indiziert, weil die Schwangere an einer Infektion litt. Somit traf den Beklagten zu 2 auch keine Aufklärungspflicht. Umstände, aus denen sich eine persönliche Haftung des Beklagten zu 2 im Übrigen ergibt, sind nicht festgestellt. Über den Vortrag des Beklagten zu 2, dass er zum maßgeblichen Zeitpunkt am 24. Mai 1993 nicht mit der Betreuung der Schwangeren befasst war, durfte das Berufungsgericht danach nicht hinweggehen.

III.

17
Nach alledem ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zur weiteren Sachaufklärung und erneuter Entscheidung zurückzuverweisen. Galke Zoll Wellner Diederichsen Stöhr
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 07.01.2009 - 25 O 497/04 -
OLG Köln, Entscheidung vom 02.02.2011 - 5 U 15/09 -

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.

Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.