Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 22. Sept. 2016 - L 7 R 2329/15

bei uns veröffentlicht am22.09.2016

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 29. April 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch des Klägers auf eine Rente wegen Erwerbsminderung streitig.
Der 1962 geborene Kläger schloss im Jahr 1982 eine Ausbildung als Tiefbaufacharbeiter ab und war in der Folgezeit in verschiedenen Arbeitsverhältnissen versicherungspflichtig beschäftigt, unterbrochen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit. Zuletzt war der Kläger als Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes vom 9. August 2010 bis zum 31. Dezember 2012 versicherungspflichtig beschäftigt. Vom 14. November 2012 bis zum 30. Januar 2013 bezog er Krankengeld, sodann vom 30. Januar 2013 bis 6. März 2013 Übergangsgeld, vom 7. März 2013 bis zum 22. September 2013 Arbeitslosengeld, vom 23. September 2013 bis zum 8. September 2014 wieder Krankengeld und sodann vom 9. September 2014 bis zum 21. Mai 2015 erneut Arbeitslosengeld.
Vom 30. Januar 2013 bis 6. März 2013 absolvierte der Kläger eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme in der Psychosomatischen Klinik S. W. Im Entlassungsbericht vom 14. März 2013 stellte der Leitende Arzt B. die Diagnosen einer rezidivierenden depressiven Störung mit gegenwärtig mittelgradiger Episode, eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung (impulsiver Typ) sowie einer Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr. Der Kläger wurde arbeitsfähig entlassen. Weil der Kläger auf der Suche nach einer neuen Arbeit Hilfe benötige, seien Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben beantragt worden.
Eine daraufhin von der Beklagten bewilligte, am 6. August 2013 begonnene und auf die Dauer von drei Monaten angelegte Maßnahme zur Berufsfindung und Eignungsabklärung im beruflichen Trainingszentrum R.-N. der SRH W. musste der Kläger laut der im Abschlussbericht enthaltenen fachärztlichen Stellungnahme der Psychiaterin Dr. M.-W. vom 7. November 2013 bereits am 19. August 2013 krankheitsbedingt vorzeitig abbrechen. Danach befand er sich vom 21. August 2013 bis zum 17. Oktober 2013 in stationärer Behandlung in der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des Psychiatrischen Zentrums N., wo er mit den Diagnosen rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADHS), Schlafapnoe, Adipositas und Tinnitus aurium entlassen wurde (Arztbrief des leitenden Arztes L. vom 15. November 2013).
Am 9. Oktober 2013 beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung. Im Selbsteinschätzungsbogen (M 3) gab der Kläger folgendes an: „Durch die zwölf Stunden Nachtschicht täglich war ich zuerst einmal dauernd erschöpft. Der Druck im Geschäft und das Mobbing hat mich zunehmend kranker gemacht. So war es bisher bei jeder Arbeitsstelle. Mir ging es schlecht und ich habe die Stelle gewechselt. Deshalb war ich selten länger an einem Arbeitsplatz“.
In dem von der Beklagten daraufhin eingeholten sozialmedizinischen Gutachten vom 4. Dezember 2013 stellte der Internist Dr. B. folgende Diagnosen:
- Rezidivierende depressive Störung, zuletzt mittelgradige Episode, derzeit in Teilremission.
- Erworbenes ADHS, deutlich gebessert unter Ritalin-Therapie.
- Morbide androide Adipositas ohne Begleit- oder Folgeerkrankungen.
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- Belastungsabhängige LWS-Beschwerden.
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- Ehemalige Alkoholkrankheit: Seit 1994 abstinent.
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Nach Entlassung aus der Rehabilitationsmaßnahme im März 2013 habe sich keine Verschlechterung ergeben. Der Kläger sei zwar nicht mehr leistungsfähig als Sicherheitsdienstmitarbeiter, aber vollschichtig leistungsfähig für rückengerechte, körperlich mittelschwere Tätigkeiten ohne besonderen Nervenstress.
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Mit Bescheid vom 5. Dezember 2013 lehnte die Beklagte den Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung ab. Den hiergegen am 23. Dezember 2013 eingelegten Widerspruch wies sie nach Einholung weiterer Befundberichte der behandelnden Ärzte mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 2014 zurück und führte u.a. aus, Hinweise auf eine aktive Alkoholkrankheit ergäben sich aus den eingeholten Berichten sowie den vorliegenden Unterlagen nicht.
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Hiergegen hat der Kläger am 27. Juni 2014 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens durch Dr. S., Facharzt für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie. Im Gutachten vom 4. Dezember 2014 hat Dr. S. folgende Diagnosen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet genannt:
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1. Mittelgradiges depressives Syndrom auch mit reaktiven Zuflüssen bei biographischen und sozialen Belastungen.
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2. Ängstliche und abhängige Persönlichkeitsstörung.
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3. Zustand nach Alkoholabhängigkeitserkrankung, gegenwärtig gelegentlicher Konsum ohne Anhalt für eine Abhängigkeit.
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4. Anamnestisch ADHS, medikamentös behandelt.
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5. Meralgia parästhetica beidseits.
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Als sonstige Diagnosen hat er ein obstruktives Schlafapnoe-Syndrom mit nächtlicher Ventilationstherapie, Adipositas Grad III sowie eine Sehbehinderung genannt. Auf Wunsch des Klägers sei die Ehefrau bei der Anamneseerhebung anwesend gewesen, die körperliche Untersuchung sei alleine erfolgt. Der psychische Beschwerdekomplex habe sich nach dem sehr belastenden Ereignis am letzten Arbeitsplatz derart verstärkt, dass ein aufgehobenes Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestehe. Das Erleben der Gegenwart in Zusammenhang mit einer möglichen beruflichen Tätigkeit und auch der persönlichen Fähigkeiten hinsichtlich einer beruflichen Tätigkeit sei beim Kläger deutlich negativ getönt schon im Sinne einer Blockade. Es bestehe eine gegenwärtig und vorläufig deutlich erhöhte psychische Vulnerabilität, was z.B. den Umgang mit Vorgesetzten und die Zusammenarbeit in der Gruppe deutlich erschweren würde. Die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit bzw. die Teilnahme an Maßnahmen zur beruflichen Integration würden gegenwärtig und vorläufig zu einer erheblichen Exacerbation der psychischen Symptomatik führen. Das festgestellte aufgehobene Leistungsvermögen bestehe seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit am 3. Oktober 2012. Während des laufenden Rentenverfahrens habe sich keine wesentliche Änderung ergeben. Der Kläger sei jedoch noch in der Lage, mindestens viermal täglich mehr als 500 m in weniger als 20 Minuten zurückzulegen. Er könne uneingeschränkt öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten benutzen und sei auch in der Lage, einen PKW zu führen. Eine Nachuntersuchung sollte Mitte 2016 erfolgen. Der Zeitraum von anderthalb Jahren sei ausreichend lang, damit eine entsprechende Konsolidierung des psychischen Befindens erreicht werden könne.
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Die Beklagte ist dieser Beurteilung unter Bezugnahme auf die sozialmedizinische Stellungnahme der Fachärztin für Psychosomatische Medizin, Psychotherapie, Fachärztin für Labormedizin Dr. D. vom 9. Januar 2015 entgegengetreten. Dem von Dr. S. erhobenen Querschnittsbefund des Klägers bezüglich seiner Antriebs- und Gestaltungskompetenzen in seinem Alltag sei zu entnehmen, dass der Kläger über einen strukturierten Tagesablauf verfüge. Er kümmere sich um den Haushalt, kaufe ein, renoviere die Wohnung, kümmere sich um die fünfjährige Tochter, nehme seine eigenen Interessen wahr und gehe am Wochenende mit der Familie zum Wandern. In der ergänzenden Stellungnahme vom 6. Februar 2015 ist Dr. S. bei seiner Leistungsbeurteilung geblieben. Es könne nicht von der Alltagsgestaltung zwangsläufig auf das Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt geschlossen werden. Dieser Beurteilung hat Dr. D. in der weiteren sozialmedizinischen Stellungnahme vom 2. März 2015 widersprochen.
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Mit Gerichtsbescheid vom 29. April 2015 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 5. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Juni 2014 verurteilt, dem Kläger ausgehend von einem Leistungsfall am 24. November 2014 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. Juni 2015 bis zum 30. Juni 2016 zu gewähren. Zur Begründung hat es sich auf die Beurteilung des Sachverständigen Dr. Sch. im Gutachten vom 4. Dezember 2014 gestützt. Dem stünden auch nicht die von Dr. D. genannten Einwände hinsichtlich eines strukturierten Tagesablaufs des Klägers entgegen. Diese habe die Ausführungen des Gutachters zum Teil nur beschränkt und verkürzt und damit sinnverändernd wiedergegeben. Denn der Sachverständige habe ausgeführt, der Kläger führe die genannten Tätigkeiten nur aus wie er es könne, der Kläger beschreibe ein sprunghaftes Verhalten, er fange Dinge an und beende sie nicht, manchmal mache er auch gar nichts. Die zeitliche Begrenzung beruhe darauf, dass der Sachverständige ausgeführt habe, ein Zeitraum von anderthalb Jahren seit der Begutachtung erscheine ausreichend, um eine entsprechende Konsolidierung des psychischen Befindens des Klägers zu erreichen.
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Gegen den am 6. Mai 2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 1. Juni 2015 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Sie trägt vor, gegen die Verwertbarkeit des von Dr. Sch. erstatteten Gutachtens spreche, dass die Ehefrau des Klägers bei der gutachterlichen Untersuchung zumindest teilweise zugegen gewesen sei und steuernd bei der Untersuchung mitgewirkt habe. Auch inhaltlich sei das Gutachten nicht schlüssig. Zudem sprächen die vom Gutachter benannten Aktivitäten des Klägers gegen eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit.
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Die Beklagte beantragt,
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den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 29. April 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
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Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Er hat weiter vorgetragen, nach Kenntnis von der Berufungseinlegung durch die Beklagte habe er einen Zusammenbruch erlitten und deshalb stationär in der Psychiatrischen Klinik der N.-O.-Kliniken M. aufgenommen werden müssen. Im dortigen Arztbrief über die stationäre Behandlung des Klägers vom 23. bis 29. Juni 2015 hat der Leitende Arzt L. die Diagnosen einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome sowie schädlichen Gebrauch von Alkohol gestellt. Der Kläger sei aufgrund fachärztlicher Einweisung bei Exacerbation einer depressiven Symptomatik zur stationären Aufnahme gekommen. Als Belastungsfaktor habe ein Rechtsstreit mit der Rentenkasse identifiziert werden können. Insgesamt sei es dem Kläger schwer gefallen, sich in das psychosomatisch-psychotherapeutische Setting zu integrieren. So habe er mehrfach den Nutzen der verordneten Therapien in Frage gestellt und wiederholt zur Teilnahme aktiviert werden müssen. Im Verlauf sei deutlich geworden, dass die Aufnahme fremdmotiviert - nämlich auf Anraten der Ehefrau - erfolgt sei und somit eine Behandlungskompliance bei fehlender Zielsetzung fragwürdig erscheine. Am 29. Juni 2015 habe der Kläger plötzlich den Wunsch nach Entlassung geäußert und angegeben, bereits am Folgetag einen Termin bei seinem behandelnden Psychotherapeuten vereinbart zu haben sowie sich regelmäßig in fachpsychiatrischer Behandlung zu befinden.
29 
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens durch Dr. H., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie, Forensische Psychiatrie, Chefarzt der Klinik für Suchttherapie am Klinikum am W. W.. Im Gutachten vom 11. Februar 2016 hat Dr. H. ausgeführt, der Kläger habe Sensibilitätsstörungen und zeitweilige Missempfindungen beklagt, die sich auf eine Meralgia parästhetica beidseits beziehen ließen. Überdauernde funktionelle Leistungseinschränkungen ergäben sich hieraus nicht; ansonsten habe sich kein neurologisches Krankheitsbild gezeigt. Auf psychiatrischem Fachgebiet sei rückblickend davon auszugehen, dass diagnostisch die Kriterien für das Vorliegen einer hyperkinetischen Störung (ICD 10 F 90.0: einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung) erfüllt worden seien. Im derzeit behandelten Zustand sei keine persistierende Symptomatik dieser Störung aufgefallen, insbesondere hätten sich auch keine Störungen der Aufmerksamkeit und Konzentration gezeigt. In der Vergangenheit seien ohne Zweifel die Kriterien für das Vorliegen einer Alkoholabhängigkeit erfüllt gewesen, aktuell berichte der Kläger über einen unregelmäßig stattfindenden Alkoholkonsum drei- bis viermal im Monat. Die Kriterien für das Vorliegen eines schädlichen Gebrauchs würden nicht eindeutig erfüllt, Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Abhängigkeit hätten sich nicht ergeben. Weiter liege eine depressive Erkrankung vor bei aktuell leichter depressiver Episode im Grenzbereich zu einer mittelgradigen depressiven Episode. Die Kriterien für das Vorliegen einer mittelgradigen depressiven Episode seien nicht in vollem Umfang erfüllt, eine schwere depressive Episode liege nicht vor. Ein phasenhafter Krankheitsverlauf im Sinne einer rezidivierenden depressiven Störung habe sich auch auf ausdrückliches Nachfragen nicht herausarbeiten lassen. Eine Erkrankung aus dem Spektrum der somatoformen Störungen habe sich ebenso wenig nachweisen lassen wie eine Angsterkrankung oder eine posttraumatische Belastungsstörung oder eine Persönlichkeitsstörung von Krankheitswert. Kognitive Leistungseinschränkungen lägen nicht vor; Auffassung, Konzentration, Durchhaltevermögen und Gedächtnis seien intakt. Zu vermeiden seien Akkordarbeit, Nachtarbeit oder Arbeiten unter besonderem Zeitdruck. Gleiches gelte für besonders hohe Ansprüche an Auffassung und Konzentration sowie für besonders hohe Verantwortung und besonders hohe geistige Beanspruchung. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen sei der Kläger noch in der Lage, die noch möglichen Tätigkeiten mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Besondere Arbeitsbedingungen wie vermehrte Arbeitspausen oder eine besondere Gestaltung des Arbeitsplatzes seien nicht erforderlich. Eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes und der Leistungsfähigkeit im Zuge des laufenden Rentenverfahrens sei nicht zu erkennen.
30 
Nachdem der Kläger hiergegen eingewandt hatte, es sei nicht erkennbar, welche Kriterien der Sachverständige hinsichtlich des Problemkreises „schädlicher Gebrauch von Alkohol“ angewandt habe und auch die maßgeblichen Kriterien für das Vorliegen einer mittelgradigen depressiven Episode nicht benannt worden seien, so dass nicht nachvollziehbar sei, ob eine vollständige Überprüfung erfolgt sei, hat Dr. H. in der ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 17. Mai 2016 ausgeführt, die Diagnose eines schädlichen Gebrauchs von Alkohol erfordere eine tatsächliche Schädigung der psychischen oder physischen Gesundheit des Konsumenten. Dies habe sich nicht nachweisen lassen. Im Hinblick auf depressive Episoden jedweden Schweregrades werde im ICD 10 zunächst eine gedrückte Stimmung, ein Interessenverlust, eine Freudlosigkeit und eine Verminderung des Antriebs aufgeführt, wobei die Verminderung der Energie zur erhöhten Ermüdbarkeit und Aktivitätseinschränkung führe und deutliche Müdigkeit oft nach nur kleinen Anstrengungen aufträten. Des Weiteren seien folgende sieben Symptome aufgeführt:
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1. Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit.
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2. Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen.
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3.Schuldgefühle und Gefühle von Wertlosigkeit (sogar bei leichten depressiven Episoden).
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4. Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven.
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5. Gedanken oder erfolgte Selbstverletzung oder Suizidhandlungen.
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6. Schlafstörungen.
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7. Verminderter Appetit.
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Die Stellung der Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode setze gemäß ICD 10 voraus, dass einige Symptome in ihrem Schweregrad besonders ausgeprägt seien oder dass durchgehend ein besonders weites Spektrum von Symptomen vorhanden sei. Diese Bedingungen seien beim Kläger nicht erfüllt.
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Der Senat hat weiter die behandelnden Therapeuten des Klägers als sachverständige Zeugen gehört. Der Psychotherapeut, Familientherapeut E. hat in der sachverständigen Zeugenaussage vom 20. Mai 2016 ausgeführt, der Kläger komme seit dem 5. Februar 2014 regelmäßig im Abstand von zwei bis drei Wochen in seine Praxis. Es hätten ausschließlich psychotherapeutische Gespräche stattgefunden. Als Diagnosen hat er eine rezidivierende depressive Störung, ein ADHS sowie Adipositas gestellt. Er habe beim Kläger immer dann Verschlechterungen des Gesundheitszustands feststellen können, wenn deutliche Anforderungen an ihn gestellt worden seien (z.B. Teilnahme an angeordneten Gutachten, Besuche bei Behörden oder Ärzten, Anforderungen seitens des Arbeitsamtes). Zudem habe der Kläger zeitweise einen problematischen Alkoholgebrauch, auch im Zusammenhang mit den an ihn gestellten Anforderungen. Mitte 2015 bis Ende 2015 habe der Kläger leichte Fortschritte bezüglich seiner familiären Situation gemacht. Er habe sich mehr um seine Tochter kümmern und leichte Aufgaben im Haushalt übernehmen können. Seit Anfang des Jahres (mit Beginn einer weiteren Verschärfung seines Rechtsstreits mit der Rentenkasse) seien diese Fortschritte akut wieder in Gefahr. Der Facharzt für Psychiatrie Dr. J. hat in der sachverständigen Zeugenaussage vom 17. Mai 2016 angegeben, der Kläger habe vom 18. Oktober 2012 bis 28. Januar 2016 in seiner Behandlung gestanden, zunächst wegen massiver Arbeitsplatzkonflikte mit dem direkten Vorgesetzten. Beim Erstkontakt habe eine agitiert-depressive Symptomatik bei vermutlich impulsiver Primärpersönlichkeit sowie derzeit zunehmende Alkoholabhängigkeit bestanden ohne Psychose oder Störungen der Kognition. Am 22. Juni 2015 habe ein agitiert-depressives Syndrom mit innerer Unruhe, dem Gefühl der Rastlosigkeit und des Getriebenseins mit ängstlich-sorgenvoller Stimmung, Ein- und Durchschlafstörungen mit morgendlichem Früherwachen und vielen Alpträumen bestanden. Bei der letzten Konsultation am 28. Januar 2016 sei der Kläger leicht dysphorisch, ratlos und resignativ gewesen. Der psychische Zustand habe sich als fluktuierend und das Befinden subjektiv als sehr schwankend herausgestellt. Eine abschließende Beurteilung über den gesamten Behandlungsverlauf sei nicht möglich, da der Kläger nach Abschluss der tagesklinischen Behandlung im Krankenhaus M. dort in der Psychiatrischen Institutsambulanz weiterbehandelt worden sei. Beigefügt war der Laborbefund vom 30. Juli 2015.
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Die Beklagte hat hierzu vorgetragen, eine adäquate medikamentöse Therapie der psychischen Erkrankungen finde nicht statt, der Kläger schöpfe medikamentöse Behandlungsoptionen nicht aus. Auch könne der im Bericht der N.-O.-Kliniken als Belastungsfaktor in den Vordergrund gerückte Rechtsstreit mit der „Rentenkasse“ keinen Rentenanspruch begründen.
41 
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
42 
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
43 
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 144 Abs. 1 Satz 2, 151 Abs. 1 SGG) der Beklagten, über die der Senat ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist begründet.
44 
Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist der Bescheid vom 5. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Juni 2014 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab dem 1. Oktober 2013 abgelehnt hat. Dagegen wendet sich der Kläger statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG) und begehrt die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) macht der Kläger zu Recht nicht geltend, da er am 24. Dezember 1962 geboren ist und deshalb nicht zum Kreis der Anspruchsberechtigten gehört (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).
45 
Die Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg.
46 
Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung gemäß Gesetz vom 20. April 2007 [BGBl. I, S. 554] haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind auch Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt (§ 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI). Versicherte haben nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn neben den oben genannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen eine teilweise Erwerbsminderung vorliegt. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
47 
Der Kläger hat die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren sowie die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bezogen auf den Zeitpunkt der Rentenantragstellung erfüllt, was auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Der Kläger ist jedoch nicht erwerbsgemindert.
48 
Auf nervenärztlichem Gebiet besteht beim Kläger eine depressive Erkrankung mit phasenweise leichter bis mittelgradiger Ausprägung. Darüber hinaus bestehen eine hyperkinetische Störung in Form eines ADHS (ICD 10 F 90.0: Einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung), die medikamentös behandelt wird. Eine in der Vergangenheit vorliegende Alkoholabhängigkeit liegt nach Therapie im Jahr 1994 und anschließender 14-jähriger Abstinenz nicht mehr vor. Der Kläger trinkt zwar wieder drei- bis viermal monatlich Alkohol (nach seinen Angaben ein bis zwei Glas Wein oder zwei Gläser Rum mit Cola). Die Kriterien für das Vorliegen einer Abhängigkeit oder eines schädlichen Gebrauchs werden hierdurch jedoch nicht erfüllt, wie Dr. H. überzeugend ausgeführt hat. Auf neurologischem Fachgebiet besteht eine Meralgia parästhetica beidseits in Form von Sensibilitätsstörungen und zeitweiligen Missempfindungen; hieraus ergeben sich jedoch keine überdauernden funktionellen Leistungseinschränkungen. Weiter bestehen ein Schlafapnoe-Syndrom, das mit einer nächtlichen Atemmaske behandelt wird, sowie Adipositas. Darüber hinaus liegen belastungsabhängige LWS-Beschwerden vor, die jedoch keine Behandlungsbedürftigkeit begründen.
49 
Der Kläger ist damit noch in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung und ohne besondere Stressbelastung im Umfang von zumindest sechs Stunden arbeitstäglich in Normalschicht auszuüben. Der Senat stützt sich hierbei auf das von Dr. B. im Verwaltungsverfahren erstellte Gutachten vom 4. Dezember 2013, das im Wege des Urkundenbeweises verwertet wird, sowie das von Dr. H. am 11. Februar 2016 erstellte nervenärztliche Gutachten und dessen ergänzende gutachterliche Stellungnahme vom 17. Mai 2016.
50 
Soweit Dr. Sch. im Gutachten vom 4. Dezember 2014 zu der Beurteilung gelangt ist, das berufliche Leistungsvermögen des Klägers sei derzeit aufgehoben, folgt dem der Senat nicht. Gegen das Gutachten bestehen schon methodische Bedenken, da die Ehefrau des Klägers bei der Anamneseerhebung anwesend war. Soweit der Klägervertreter hierzu vorgetragen hat, der Kläger habe ein Recht auf Anwesenheit eines Beistandes anlässlich der Untersuchung (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Februar 2010 - L 31 R 1292/09 B; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 23. Februar 2006 - L 4 B 33/06 SB; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. Juli 2006 - L 5 KR 39/05), betrifft dies andere Sachverhalte und ist in dieser Allgemeinheit auch nicht zutreffend. Das LSG Berlin-Brandenburg hat in der angeführten Entscheidung vielmehr gerade ausgeführt, es entspreche den Regeln der psychiatrischen Begutachtung, die Anwesenheit Dritter bei der Exploration abzulehnen (LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O. - juris Rdnr. 5). Dies entspricht auch dem Stand der Wissenschaft. Bei der psychiatrischen Begutachtung ist grundsätzlich die Anwesenheit dritter Personen während der Exploration und der Untersuchung kontraproduktiv und kann den Aufbau einer Beziehung zwischen Proband und Gutachter stören. Dabei ist auch zu bedenken, dass bei Anwesenheit von Angehörigen die Mitteilungen des Probanden verfälscht sein können, sodass diese Personen während des gutachtlichen Gesprächs nicht anwesend sein sollten (Ventzlaff/Förster, Psychiatrische Begutachtung, 6. Aufl. 2015, S. 17). Vielmehr kann vor oder nach der Exploration mit den Angehörigen gesprochen werden. Selbst bei der grundsätzlich möglichen Anwesenheit eines Prozessvertreters bei der gutachtlichen Untersuchung ist jedoch vorab eindeutig abzustimmen, dass die Rechtsvertreter bzw. Beistände zuhören, aber keinesfalls in das Gespräch eingreifen (Ventzlaff/Förster, a.a.O.). Diese Kriterien an eine gutachterliche Untersuchung erfüllt das von Dr. Sch. erstattete Gutachten nicht, da dieser im Rahmen der Exploration des Klägers auch dessen Ehefrau miteinbezogen hat.
51 
Gegen das Vorliegen einer durchgehenden schwerwiegenderen Depression, welche der Ausübung einer sechsstündigen Tätigkeit entgegenstehen könnte, spricht zudem, dass eine medikamentöse Therapie insoweit nicht durchgeführt wird. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) werden psychische Erkrankungen erst dann rentenrechtlich relevant, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant und stationär) davon auszugehen ist, dass ein Versicherter die psychischen Einschränkungen dauerhaft nicht überwinden kann, und zwar weder aus eigener Kraft noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe (BSG, Urteil vom 12. September 1990 - 5 RJ 88/89; Urteil vom 29. Februar 2006 - B 13 RJ 31/05; Bayerisches LSG, Urteil vom 21. Januar 2015 - L 19 R 394/10 - alle juris). Die möglichen Behandlungsoptionen sind insoweit nicht ausgeschöpft. Insoweit fand bei der Aufnahme in die N.-O.-Kliniken am 23. Juni 2015 lediglich eine Medikation mit ASS 100 und Medikinet statt, jedoch keine Medikation wegen der depressiven Erkrankung.
52 
Auch der von Dr. H. erhobene Tagesablauf hat keine Hinweise auf eine schwerwiegendere Depression ergeben. Wenn seine Frau in Frühschicht arbeitet, steht der Kläger mit ihr um 5.00 Uhr auf. An Tagen mit Spätschicht steht er um 6.30 Uhr auf und richtet die Tochter für die Schule. Sodann versorgt er den Haushalt und ist am PC, um sich zu informieren, zu lesen und Rollenspiele zu spielen, und zwar teilweise mehrere Stunden. Am Mittag kocht er für die Familie. Den Nachmittag verbringt er wieder häufig mit Rollenspielen am PC. Die Wochenenden werden verbracht mit gemeinsamen familiären Aktivitäten, letztlich limitiert durch die finanziellen Verhältnisse. Beim Kläger ist es zwar im Zusammenhang mit dem Verlust des letzten Arbeitsplatzes zu einer krisenhaften Situation gekommen. Auslöser waren die sehr hohe zeitliche Belastung mit langen Schichtzeiten und unregelmäßigen Diensten (Dreischichtdienst), verbunden mit langen Gehstrecken bis zu 15 km während einer Schicht, die Konfliktsituation mit einem Vorgesetzten sowie die Nichtverlängerung des Zeitarbeitsvertrages. Aus der anschließenden Rehabilitationsmaßnahme ist der Kläger jedoch arbeitsfähig und damit mit einem Leistungsvermögen von sechs Stunden arbeitstäglich entlassen worden. Die Berufsfindungsmaßnahme im SRH W. hat der Kläger ausweislich der fachärztlichen Stellungnahme der Dr. M.-W. vom 7. November 2013 wegen somatischer Beschwerden abgebrochen. Bei der nachfolgenden stationären Behandlung in den N.-O.-Kliniken ist erstmals ein ADHS diagnostiziert und die Behandlung mit Medikinet begonnen worden, worauf sich eine zügige deutliche Besserung der Symptomatik gezeigt hat, die auch vom Kläger bestätigt worden ist und die auch der sachverständigen Zeugenaussage des behandelnden Arztes Dr. J. vom 17. Mai 2016 entnommen werden kann. Dieser hat denn auch als Befund bei der letzten Konsultation am 28. Januar 2016 lediglich angegeben, der Kläger sei leicht dysphorisch, ratlos und resignativ, eine schwerwiegendere Depression hat er dagegen nicht bescheinigt. Zur Überzeugung des Senats hat es sich damit um eine einmalige Episode im Zusammenhang mit der Beendigung des letzten Arbeitsverhältnisses gehandelt.
53 
Zusammenfassend sind dem Kläger somit körperlich mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in wechselnder Körperhaltung ohne Akkordarbeit oder Nachtschicht, besonderen Zeitdruck und ohne hohe Ansprüche an Auffassung und Konzentration sowie ohne besonders hohe Verantwortung oder geistige Beanspruchung noch mindestens sechs Stunden täglich möglich. Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R - juris) liegen beim Kläger nicht vor. Die genannten qualitativen Einschränkungen sind weder in ihrer Art noch in ihrer Summe geeignet, die Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes zu begründen. Im Regelfall kann davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der nach seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch körperlich leichte Tätigkeiten (wenn auch mit qualitativen Einschränkungen) mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen erwerbstätig sein kann. Denn dem Versicherten ist es mit diesem Leistungsvermögen in der Regel möglich, diejenigen Verrichtungen auszuführen, die in ungelernten Tätigkeiten in der Regel gefordert werden, wie z. B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw. (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. Urteil vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 79/09 R - BSGE 109, 189). Auch die Wegefähigkeit des Klägers ist nicht eingeschränkt. Mit dem festgestellten Leistungsvermögen ist er somit weder voll noch teilweise erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI.
54 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
55 
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.

Gründe

 
43 
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 144 Abs. 1 Satz 2, 151 Abs. 1 SGG) der Beklagten, über die der Senat ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist begründet.
44 
Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist der Bescheid vom 5. Dezember 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Juni 2014 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab dem 1. Oktober 2013 abgelehnt hat. Dagegen wendet sich der Kläger statthaft mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG) und begehrt die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) macht der Kläger zu Recht nicht geltend, da er am 24. Dezember 1962 geboren ist und deshalb nicht zum Kreis der Anspruchsberechtigten gehört (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).
45 
Die Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg.
46 
Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung gemäß Gesetz vom 20. April 2007 [BGBl. I, S. 554] haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind auch Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt (§ 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI). Versicherte haben nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn neben den oben genannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen eine teilweise Erwerbsminderung vorliegt. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
47 
Der Kläger hat die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren sowie die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bezogen auf den Zeitpunkt der Rentenantragstellung erfüllt, was auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Der Kläger ist jedoch nicht erwerbsgemindert.
48 
Auf nervenärztlichem Gebiet besteht beim Kläger eine depressive Erkrankung mit phasenweise leichter bis mittelgradiger Ausprägung. Darüber hinaus bestehen eine hyperkinetische Störung in Form eines ADHS (ICD 10 F 90.0: Einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung), die medikamentös behandelt wird. Eine in der Vergangenheit vorliegende Alkoholabhängigkeit liegt nach Therapie im Jahr 1994 und anschließender 14-jähriger Abstinenz nicht mehr vor. Der Kläger trinkt zwar wieder drei- bis viermal monatlich Alkohol (nach seinen Angaben ein bis zwei Glas Wein oder zwei Gläser Rum mit Cola). Die Kriterien für das Vorliegen einer Abhängigkeit oder eines schädlichen Gebrauchs werden hierdurch jedoch nicht erfüllt, wie Dr. H. überzeugend ausgeführt hat. Auf neurologischem Fachgebiet besteht eine Meralgia parästhetica beidseits in Form von Sensibilitätsstörungen und zeitweiligen Missempfindungen; hieraus ergeben sich jedoch keine überdauernden funktionellen Leistungseinschränkungen. Weiter bestehen ein Schlafapnoe-Syndrom, das mit einer nächtlichen Atemmaske behandelt wird, sowie Adipositas. Darüber hinaus liegen belastungsabhängige LWS-Beschwerden vor, die jedoch keine Behandlungsbedürftigkeit begründen.
49 
Der Kläger ist damit noch in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung und ohne besondere Stressbelastung im Umfang von zumindest sechs Stunden arbeitstäglich in Normalschicht auszuüben. Der Senat stützt sich hierbei auf das von Dr. B. im Verwaltungsverfahren erstellte Gutachten vom 4. Dezember 2013, das im Wege des Urkundenbeweises verwertet wird, sowie das von Dr. H. am 11. Februar 2016 erstellte nervenärztliche Gutachten und dessen ergänzende gutachterliche Stellungnahme vom 17. Mai 2016.
50 
Soweit Dr. Sch. im Gutachten vom 4. Dezember 2014 zu der Beurteilung gelangt ist, das berufliche Leistungsvermögen des Klägers sei derzeit aufgehoben, folgt dem der Senat nicht. Gegen das Gutachten bestehen schon methodische Bedenken, da die Ehefrau des Klägers bei der Anamneseerhebung anwesend war. Soweit der Klägervertreter hierzu vorgetragen hat, der Kläger habe ein Recht auf Anwesenheit eines Beistandes anlässlich der Untersuchung (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Februar 2010 - L 31 R 1292/09 B; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 23. Februar 2006 - L 4 B 33/06 SB; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. Juli 2006 - L 5 KR 39/05), betrifft dies andere Sachverhalte und ist in dieser Allgemeinheit auch nicht zutreffend. Das LSG Berlin-Brandenburg hat in der angeführten Entscheidung vielmehr gerade ausgeführt, es entspreche den Regeln der psychiatrischen Begutachtung, die Anwesenheit Dritter bei der Exploration abzulehnen (LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O. - juris Rdnr. 5). Dies entspricht auch dem Stand der Wissenschaft. Bei der psychiatrischen Begutachtung ist grundsätzlich die Anwesenheit dritter Personen während der Exploration und der Untersuchung kontraproduktiv und kann den Aufbau einer Beziehung zwischen Proband und Gutachter stören. Dabei ist auch zu bedenken, dass bei Anwesenheit von Angehörigen die Mitteilungen des Probanden verfälscht sein können, sodass diese Personen während des gutachtlichen Gesprächs nicht anwesend sein sollten (Ventzlaff/Förster, Psychiatrische Begutachtung, 6. Aufl. 2015, S. 17). Vielmehr kann vor oder nach der Exploration mit den Angehörigen gesprochen werden. Selbst bei der grundsätzlich möglichen Anwesenheit eines Prozessvertreters bei der gutachtlichen Untersuchung ist jedoch vorab eindeutig abzustimmen, dass die Rechtsvertreter bzw. Beistände zuhören, aber keinesfalls in das Gespräch eingreifen (Ventzlaff/Förster, a.a.O.). Diese Kriterien an eine gutachterliche Untersuchung erfüllt das von Dr. Sch. erstattete Gutachten nicht, da dieser im Rahmen der Exploration des Klägers auch dessen Ehefrau miteinbezogen hat.
51 
Gegen das Vorliegen einer durchgehenden schwerwiegenderen Depression, welche der Ausübung einer sechsstündigen Tätigkeit entgegenstehen könnte, spricht zudem, dass eine medikamentöse Therapie insoweit nicht durchgeführt wird. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) werden psychische Erkrankungen erst dann rentenrechtlich relevant, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant und stationär) davon auszugehen ist, dass ein Versicherter die psychischen Einschränkungen dauerhaft nicht überwinden kann, und zwar weder aus eigener Kraft noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe (BSG, Urteil vom 12. September 1990 - 5 RJ 88/89; Urteil vom 29. Februar 2006 - B 13 RJ 31/05; Bayerisches LSG, Urteil vom 21. Januar 2015 - L 19 R 394/10 - alle juris). Die möglichen Behandlungsoptionen sind insoweit nicht ausgeschöpft. Insoweit fand bei der Aufnahme in die N.-O.-Kliniken am 23. Juni 2015 lediglich eine Medikation mit ASS 100 und Medikinet statt, jedoch keine Medikation wegen der depressiven Erkrankung.
52 
Auch der von Dr. H. erhobene Tagesablauf hat keine Hinweise auf eine schwerwiegendere Depression ergeben. Wenn seine Frau in Frühschicht arbeitet, steht der Kläger mit ihr um 5.00 Uhr auf. An Tagen mit Spätschicht steht er um 6.30 Uhr auf und richtet die Tochter für die Schule. Sodann versorgt er den Haushalt und ist am PC, um sich zu informieren, zu lesen und Rollenspiele zu spielen, und zwar teilweise mehrere Stunden. Am Mittag kocht er für die Familie. Den Nachmittag verbringt er wieder häufig mit Rollenspielen am PC. Die Wochenenden werden verbracht mit gemeinsamen familiären Aktivitäten, letztlich limitiert durch die finanziellen Verhältnisse. Beim Kläger ist es zwar im Zusammenhang mit dem Verlust des letzten Arbeitsplatzes zu einer krisenhaften Situation gekommen. Auslöser waren die sehr hohe zeitliche Belastung mit langen Schichtzeiten und unregelmäßigen Diensten (Dreischichtdienst), verbunden mit langen Gehstrecken bis zu 15 km während einer Schicht, die Konfliktsituation mit einem Vorgesetzten sowie die Nichtverlängerung des Zeitarbeitsvertrages. Aus der anschließenden Rehabilitationsmaßnahme ist der Kläger jedoch arbeitsfähig und damit mit einem Leistungsvermögen von sechs Stunden arbeitstäglich entlassen worden. Die Berufsfindungsmaßnahme im SRH W. hat der Kläger ausweislich der fachärztlichen Stellungnahme der Dr. M.-W. vom 7. November 2013 wegen somatischer Beschwerden abgebrochen. Bei der nachfolgenden stationären Behandlung in den N.-O.-Kliniken ist erstmals ein ADHS diagnostiziert und die Behandlung mit Medikinet begonnen worden, worauf sich eine zügige deutliche Besserung der Symptomatik gezeigt hat, die auch vom Kläger bestätigt worden ist und die auch der sachverständigen Zeugenaussage des behandelnden Arztes Dr. J. vom 17. Mai 2016 entnommen werden kann. Dieser hat denn auch als Befund bei der letzten Konsultation am 28. Januar 2016 lediglich angegeben, der Kläger sei leicht dysphorisch, ratlos und resignativ, eine schwerwiegendere Depression hat er dagegen nicht bescheinigt. Zur Überzeugung des Senats hat es sich damit um eine einmalige Episode im Zusammenhang mit der Beendigung des letzten Arbeitsverhältnisses gehandelt.
53 
Zusammenfassend sind dem Kläger somit körperlich mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in wechselnder Körperhaltung ohne Akkordarbeit oder Nachtschicht, besonderen Zeitdruck und ohne hohe Ansprüche an Auffassung und Konzentration sowie ohne besonders hohe Verantwortung oder geistige Beanspruchung noch mindestens sechs Stunden täglich möglich. Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R - juris) liegen beim Kläger nicht vor. Die genannten qualitativen Einschränkungen sind weder in ihrer Art noch in ihrer Summe geeignet, die Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes zu begründen. Im Regelfall kann davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der nach seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch körperlich leichte Tätigkeiten (wenn auch mit qualitativen Einschränkungen) mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen erwerbstätig sein kann. Denn dem Versicherten ist es mit diesem Leistungsvermögen in der Regel möglich, diejenigen Verrichtungen auszuführen, die in ungelernten Tätigkeiten in der Regel gefordert werden, wie z. B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw. (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. Urteil vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 79/09 R - BSGE 109, 189). Auch die Wegefähigkeit des Klägers ist nicht eingeschränkt. Mit dem festgestellten Leistungsvermögen ist er somit weder voll noch teilweise erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI.
54 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
55 
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.

Urteilsbesprechung zu Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 22. Sept. 2016 - L 7 R 2329/15

Urteilsbesprechungen zu Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 22. Sept. 2016 - L 7 R 2329/15

Referenzen - Gesetze

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 54


(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig
Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 22. Sept. 2016 - L 7 R 2329/15 zitiert 12 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 54


(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 144


(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hier

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 43 Rente wegen Erwerbsminderung


(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise erwerbsgemindert sind,2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 124


(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. (2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden. (3) Entscheidungen des Gerichts, d

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 240 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit


(1) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die 1. vor dem 2. Januar 1961 geboren und2. berufsunfähigsind. (2) Berufsunfähig

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 1 Beschäftigte


Versicherungspflichtig sind1.Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind; während des Bezuges von Kurzarbeitergeld nach dem Dritten Buch besteht die Versicherungspflicht fort,2.behinderte Menschen, diea)in anerk

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 95


Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so ist Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat.

Referenzen - Urteile

Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 22. Sept. 2016 - L 7 R 2329/15 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).

Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 22. Sept. 2016 - L 7 R 2329/15 zitiert 2 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 21. Jan. 2015 - L 19 R 394/10

bei uns veröffentlicht am 21.01.2015

Tenor I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 04.03.2010 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Bundessozialgericht Urteil, 09. Mai 2012 - B 5 R 68/11 R

bei uns veröffentlicht am 09.05.2012

Tenor Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2011 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detm
3 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 22. Sept. 2016 - L 7 R 2329/15.

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 08. Mai 2019 - L 19 R 376/17

bei uns veröffentlicht am 08.05.2019

Tenor I. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 08.05.2017 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 02.08.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.10.2016 abge

Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 22. Aug. 2017 - L 19 R 500/16

bei uns veröffentlicht am 22.08.2017

Tenor Tatbestand I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 17.06.2016 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Di

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 24. Mai 2017 - L 19 R 1047/14

bei uns veröffentlicht am 24.05.2017

Tenor I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 05.11.2014 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbes

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(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so ist Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die

1.
vor dem 2. Januar 1961 geboren und
2.
berufsunfähig
sind.

(2) Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

Versicherungspflichtig sind

1.
Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind; während des Bezuges von Kurzarbeitergeld nach dem Dritten Buch besteht die Versicherungspflicht fort,
2.
behinderte Menschen, die
a)
in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen oder in Blindenwerkstätten im Sinne des § 226 des Neunten Buches oder für diese Einrichtungen in Heimarbeit oder bei einem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches tätig sind,
b)
in Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen in gewisser Regelmäßigkeit eine Leistung erbringen, die einem Fünftel der Leistung eines voll erwerbsfähigen Beschäftigten in gleichartiger Beschäftigung entspricht; hierzu zählen auch Dienstleistungen für den Träger der Einrichtung,
3.
Personen, die in Einrichtungen der Jugendhilfe oder in Berufsbildungswerken oder ähnlichen Einrichtungen für behinderte Menschen für eine Erwerbstätigkeit befähigt werden sollen; dies gilt auch für Personen während der individuellen betrieblichen Qualifizierung im Rahmen der Unterstützten Beschäftigung nach § 55 des Neunten Buches,
3a.
(weggefallen)
4.
Mitglieder geistlicher Genossenschaften, Diakonissen und Angehörige ähnlicher Gemeinschaften während ihres Dienstes für die Gemeinschaft und während der Zeit ihrer außerschulischen Ausbildung.
Personen, die Wehrdienst leisten und nicht in einem Dienstverhältnis als Berufssoldat oder Soldat auf Zeit stehen, sind in dieser Beschäftigung nicht nach Satz 1 Nr. 1 versicherungspflichtig; sie gelten als Wehrdienstleistende im Sinne des § 3 Satz 1 Nr. 2 oder 2a und Satz 4. Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft sind in dem Unternehmen, dessen Vorstand sie angehören, nicht versicherungspflichtig beschäftigt, wobei Konzernunternehmen im Sinne des § 18 des Aktiengesetzes als ein Unternehmen gelten. Die in Satz 1 Nr. 2 bis 4 genannten Personen gelten als Beschäftigte im Sinne des Rechts der Rentenversicherung. Die folgenden Personen stehen den Beschäftigten zur Berufsausbildung im Sinne des Satzes 1 Nummer 1 gleich:
1.
Auszubildende, die in einer außerbetrieblichen Einrichtung im Rahmen eines Berufsausbildungsvertrages nach dem Berufsbildungsgesetz ausgebildet werden,
2.
Teilnehmer an dualen Studiengängen und
3.
Teilnehmer an Ausbildungen mit Abschnitten des schulischen Unterrichts und der praktischen Ausbildung, für die ein Ausbildungsvertrag und Anspruch auf Ausbildungsvergütung besteht (praxisintegrierte Ausbildungen).

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

Tenor

I.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 04.03.2010 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf Weiterzahlung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung über den März 2008 hinaus hat.

Der 1958 geborene Kläger übte über viele Jahre eine Berufstätigkeit in der Chemieindustrie aus. Seit 27.03.2006 bestand bei ihm Arbeitsunfähigkeit und in einem Gutachten nach Aktenlage, das P. K. am 21.12.2006 für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung in ... (MDK) erstellt hatte, wurde eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme empfohlen.

Am 08.01.2007 beantragte der Kläger über die AOK ... - die Gesundheitskasse - eine solche Maßnahme, die ihm nach Weiterleitung des Antrags an die Beklagte auch bewilligt wurde. Vom 22.02.2007 bis 29.03.2007 befand sich der Kläger zur medizinischen Rehabilitation in der Fachklinik H. Im dortigen Entlassungsbericht vom 03.04.2007 sind als Diagnosen festgehalten:

1. Gemischte axonale und demyelinisierende sowohl sensible als auch motorische Polyneuropathie mit vegetativer Symptomatik.

2. Zustand nach Infektion mit Epstein-Barr-Virus.

3. Verdacht auf mitochondriale Störung.

4. Verdacht auf Neurodermitis.

Der Kläger wurde als weiterhin arbeitsunfähig entlassen. Eine sozialmedizinische Beurteilung sei erst nach abschließender Diagnostik sinnvoll differenzierbar.

Am 20.06.2007 wurde vom Kläger bei der Beklagten der Formblattantrag für eine Rente wegen Erwerbsminderung eingereicht, woraufhin ihm in Folge der Auswertung sämtlicher vorliegender ärztlicher Unterlagen mit Bescheid vom 27.06.2007 auf der Grundlage eines am 27.03.2006 eingetretenen Leistungsfalles eine zeitlich befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.01.2007 bis 31.03.2008 bewilligt wurde.

Beim Kläger wurde mit Bescheid des Zentrums ... Familie und Soziales Region ... Versorgungsamt vom 27.08.2007 ein Grad der Behinderung (GdB) von 20 wegen Polyneuropathie, psychovegetativen Störungen, Bluthochdruck, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule bei degenerativen Veränderungen und Refluxösophagitis festgestellt.

Am 11.01.2008 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Weiterzahlung der Rente über den Wegfallmonat hinaus. Auf Veranlassung der Beklagten wurde der Kläger am 06.03.2008 durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie D. A. untersucht. Im Gutachten vom 18.03.2008 sind als Diagnosen ausgewiesen:

1. Anhaltende somatoforme Schmerzstörung.

2. Hinweise auf Myalgie-Faszikulation-Campisyndrom.

Der Kläger könne unter Berücksichtigung dieser Gesundheitsstörungen zwar nicht mehr seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als angelernter Chemiearbeiter verrichten. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei er jedoch in der Lage, in Tagesschicht bei wechselnder Körperhaltung und ohne Zeitdruck mindestens sechs Stunden täglich leichte Tätigkeiten auszuüben.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 28.03.2008 die Weitergewährung der Rente für die Zeit nach dem 31.03.2008 ab.

Hiergegen legte der Kläger unter Berufung auf ein Attest des Allgemeinmediziners Dr. L. vom 09.04.2008 und die dort bestätigten Schmerzen im Sinne eines nicht gebesserten Fibromyalgie-Syndroms Widerspruch ein.

Zugleich bewilligte die Beklagte dem Kläger eine erneute stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme, diesmal in der Psychosomatischen Klinik in Bad N. . Der dortige Entlassungsbericht vom 31.07.2008 über die in der Zeit vom 29.04.2008 bis 03.06.2008 durchgeführte Maßnahme weist folgende Diagnosen auf:

1. Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode (ohne vorherige Behandlung).

2. Ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstörung.

3. Gemischte axonale und demyelinisierende sensomotorische Polyneuropathie mit vegetativen Symptomen.

4. Mitochondriale Myopathie.

5. Coxarthrose beidseits.

Der Kläger wurde von der Klinik als nur noch unter drei Stunden täglich einsatzfähig für leichte Tätigkeiten angesehen, wobei es sich um Tätigkeiten ohne Anforderungen an Konzentrations-/Reaktionsvermögen bzw. Umstellungs-/Anpassungsvermögen handeln müsse und die Überwachung und Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge, das häufige Bücken, das Ersteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten, das Heben, Tragen und Bewegen von Lasten, Zwangshaltungen, häufig wechselnde Arbeitszeiten, Tätigkeiten mit erhöhter Unfallgefahr, Lärmtätigkeiten und Tätigkeiten mit Anforderungen an die Gang- und Standsicherheit nicht abverlangt werden dürften.

Zu diesem Entlassungsbericht nahm am 24.08.2008 die Vorgutachterin D. A. Stellung und führte aus: In der Zusammenschau zeige sich nach der Reha-Maßnahme beim Kläger lediglich eine leicht ausgeprägte depressive Symptomatik, die in einem ambulant-therapeutischen Setting anzugehen sei; ihre Einschätzung der beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers bleibe unverändert.

Dagegen war Frau Dr. T. vom Ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit in B-Stadt in ihrem Aktenlagegutachten vom 08.08.2008 der Auffassung gewesen, dass der Kläger nicht in der Lage sei, Tätigkeiten von wirtschaftlichem Wert zu erbringen. Die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. vom Ärztlichen Dienst der Beklagten kam bei Durchsicht der Akten und Unterlagen am 24.10.2008 zum Ergebnis, dass sie der sozialmedizinischen Beurteilung von Frau A. folge: Der Kläger könne noch zumindest leichte Arbeiten täglich sechs Stunden und mehr verrichten, wobei es sich um solche im Wechselrhythmus, ohne besonderen Zeitdruck, ohne Nachtschicht und ohne Absturzgefahr handeln müsse.

Auf Nachfrage der Beklagten und nach Weiterleitung weiterer ärztlicher Befunde gelangte Frau Dr. T. vom Ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit in B-Stadt am 15.12.2008 - nunmehr nach Untersuchung des Klägers - zur Feststellung, dass dieser ohne zeitliche Einschränkung für eine Tätigkeit mit der Möglichkeit zum Wechseln der Körperhaltung einsatzfähig sei.

Die Beklagte holte eine Auskunft beim früheren Arbeitgeber des Klägers, der Firma H., ein, die diese am 14.01.2009 abgab. Danach habe der Kläger eine Facharbeitertätigkeit ausgeübt, allerdings ohne Lehre und ohne entsprechende Prüfung; seine Kenntnisse habe er durch langjährige Berufserfahrung (seit 1981 im Betrieb) erworben. Zuletzt sei er seit 2002 nach der Entgeltgruppe E08 als Schichtleiter entlohnt worden. In dieser Lohngruppe sind nach den beigefügten tariflichen Unterlagen Arbeitnehmer eingeordnet, die über die Gruppe E07 hinaus zusätzliche Qualifikationen erfüllen; in der Gruppe E07 werden regelmäßig Arbeitnehmer eingeordnet, die eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf erworben haben.

Der Sozialmediziner Dr. L. äußerte am 02.02.2009, dass aus seiner ärztlichen Sicht keine Bedenken bestünden, wenn der Kläger u. a. auf Tätigkeiten in einer Poststelle, in der Museumsaufsicht oder als Bürohilfskraft verwiesen werden würde.

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 20.02.2009 zurück: Die Feststellungen im Attest des behandelnden Arztes Dr. L. vom 09.04.2008 sowie im Entlassungsbericht der Psychosomatischen Klinik Bad N. vom 31.07.2008 würden nicht dazu führen, dass beim Kläger das Vorliegen von voller Erwerbsminderung auch für die Zeit nach dem 31.03.2008 belegt sei. Eine Divergenz mit dem Ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit bestehe nicht mehr. Eine relevante depressive Störung oder Persönlichkeitsstörung sei bisher nicht hinreichend belegt: Der Kläger sei ohne zeitliche Einschränkung sowohl auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als auch in Verweisungstätigkeiten, die nicht einfachster Art seien, einsetzbar. In Frage kämen u. a. eine Tätigkeit als Packer, Pförtner an der Nebenpforte, Poststellenmitarbeiter, Museumsaufseher, Bürohilfskraft sowie Warenaufmacher/Versandfertigmacher.

Mit Schreiben vom 05.03.2009 hat der Kläger am 09.03.2009 Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben. Das Sozialgericht hat einen Versicherungsverlauf vom 26.04.2009 beigezogen und Befundberichte bei den behandelnden Ärzten Dr. B. und Dr. L. angefordert. Die Klägerseite hat weitere ärztliche Unterlagen von Dr. L., Dr. B., Dr. L. und Dr. K. vorgelegt.

Das Sozialgericht hat daraufhin Gutachten durch den Arzt für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapie Dr. E. sowie durch den Internisten und Umweltmediziner sowie Facharzt für Arbeitsmedizin Dr. Sch. erstellen lassen. Zusammengefasst sind in den Gutachten vom 11.11.2009 und 23.11.2009 folgende Gesundheitsstörungen beim Kläger beschrieben worden:

1. Somatisierungsstörung.

2. Verdacht auf gemischte Polyneuropathie.

3. Bluthochdruck, behandlungsbedürftig.

4. Seborrhoische Dermatitis.

5. Osteochondrose der Halswirbelsäule.

6. Verdacht auf transitorisch-ischämische Attacke.

Die Vordiagnose einer Fibromyalgie ist nicht übernommen worden. Nach den eigenen Untersuchungen sei eine erheblich ausgeprägte depressive Störung nicht nachvollziehbar. Der Kläger könne noch täglich sechs Stunden und mehr leichte und mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Stellung in geschlossenen Räumen ausüben. Vermieden werden müssten unfallgefährdete Arbeitsplätze wie z. B. Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten mit Absturzgefahr, besondere Belastungen des Bewegungs- und Stützsystems wie überwiegendes Stehen und Gehen, häufiges Heben und Tragen von Lasten, häufiges Überkopfarbeiten und Arbeiten in Zwangshaltungen. Außerdem gelte dies auch für Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung, insbesondere im Akkord, in Nachtschicht, in Zeitdruck, am Fließband sowie mit besonderer Verantwortung.

Auf Einwände des Klägers gegen die Gutachten hin hat das Sozialgericht bei Dr. Sch. eine ergänzende Stellungnahme eingeholt, die dieser am 03.02.2010 erstellt hat. Der ärztliche Sachverständige hat hinsichtlich der Gesundheitsstörungen den Verdacht auf eine transitorisch-ischämische Attacke nicht beibehalten, die Ausführungen zur bestehenden Osteochondrose etwas spezifiziert und ergänzend das Vorliegen einer geringgradig ausgeprägten chronischen mikroangiopathischen Perfusionsstörung sowie eines Zustands nach Innenmeniskushinterhornteilresektion bei degenerativer Innenmeniskushinterhornläsion benannt. Eine Änderung der Leistungsbeurteilung ergebe sich aus diesen Modifikationen jedoch nicht. Durch den operativ behandelten Meniskusschaden vom November 2009 liege eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit vor, die aber nicht über zehn Wochen hinausgehen sollte.

In der mündlichen Verhandlung vom 04.03.2010 hat die Klägerseite geltend gemacht, dass der Kläger eine Facharbeitertätigkeit ausgeübt habe. Das Sozialgericht hat darauf hingewiesen, dass der Kläger selbst in einem solchen Fall nicht berufsunfähig sei, da er sich sozial zumutbar auf eine Tätigkeit als angelernte Registraturkraft in größeren Unternehmen oder im öffentlichen Dienst verweisen lassen müsste.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 04.03.2010 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich insbesondere aus den Gutachten des Dr. E. und des Dr. Sch. keine zeitliche Einschränkung des Einsatzvermögens des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ergebe. Der Kläger sei zur Überzeugung der Kammer zwar in die Gruppe der Facharbeiter einzustufen, könne jedoch auf die Tätigkeit einer angelernten Registraturkraft verwiesen werden. Der Kläger könne sich auch innerhalb von drei Monaten in eine derartige Tätigkeit einarbeiten.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger mit Telefaxschreiben vom 25.05.2010 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Der Kläger hat geltend gemacht, dass die bei ihm vorliegende Myopathie wohl mit dem Umgang mit chemischen Giftstoffen in Farbpigmenten, die zur Herstellung von Farbschäumen eingesetzt worden seien, zusammenhänge. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts liege bei ihm eine zeitliche Einschränkung seines Einsatzvermögens vor. Zudem fehle es ihm an jeglichen Vorkenntnissen, die ihm eine Verweisung auf die Tätigkeit eines Registrators zumutbar machen würden. Vorgelegt worden sind hierzu Unterlagen aus der Datenbank BERUFENET der Bundesagentur für Arbeit.

Der Senat hat einen Befundbericht bei Dr. L. eingeholt, der angegeben hat, dass er den Kläger wegen einer gestörten Patienten-/Arztbeziehung seit August 2010 nicht mehr gesehen habe und ihm auch alle zur Verfügung stehenden Unterlagen mitgegeben habe. Der Kläger hat auf Nachfrage des Senats mitgeteilt, beim Hausarzt Dr. D. in A-Stadt sowie bei dem Radiologen Dr. G. und den HNO-Ärzten Dres. H./H., den Augenärzten Dres. G./B. und den Hautärzten Dres. N./W. in laufender Behandlung zu stehen. Der Senat hat zunächst einen Befundbericht bei Dr. D. eingeholt, worin angegeben ist, dass bei den Gesundheitsstörungen des Klägers im Prinzip keine Änderung erkennbar sei. Zu den vom Hausarzt mitübersandten umfangreichen ärztlichen Unterlagen hat am 19.03.2012 Dr. Sch. vom Beratungsärztlichen Dienst der Beklagten Stellung genommen. Danach sei durch die Berichte das Vorliegen einer Minderung des Leistungsvermögens des Klägers im Erwerbsleben in quantitativem Umfang nicht bestätigt worden. Auch sei ein aufgehobenes Umstellungsvermögen für hervorgehobene Verweisungstätigkeiten nicht zu belegen. Es kämen weiterhin Verweisungstätigkeiten in der Poststelle und als Registrator in Frage. Eine weitere gleichgelagerte Äußerung von Dr. Sch. ist am 10.07.2012 erfolgt.

Der Senat hat weitere ärztliche Unterlagen und Befundberichte von Dr. G., Dr. I., Dr. G. und Dr. M. eingeholt sowie ärztliche Unterlagen vom Klinikum B-Stadt beizogen und dann den Chefarzt der Inneren Klinik der Dr. N. mit einer Gutachtenerstellung beauftragt. Dieser hat den Kläger am 16.01.2013 untersucht und in seinem Gutachten vom 14.03.2013 folgende Diagnosen benannt:

1. Arterielle Hypertonie ohne sichere Organkomplikation.

2. Seborrhoische Dermatitis.

3. Osteochondrose der Halswirbelsäule.

4. Somatisierungsstörung.

5. Verdacht auf gemischte Polyneuropathie (übernommene Diagnose).

Der Kläger könne unter Berücksichtigung dieser Gesundheitsstörungen täglich mindestens sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig sein und hierbei mittelschwere oder leichte körperliche Arbeiten in wechselnder Stellung überwiegend in geschlossenen Räumen verrichten. Ihm sei auch die Tätigkeit eines Registrators aus ärztlicher Sicht zumutbar. Unzumutbar seien dagegen Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung, mit besonderer Belastung des Bewegungs- und Stützsystems, an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen sowie unter ungünstigen äußeren Bedingungen, insbesondere bei Einwirkung von Hautreizstoffen.

Der Kläger hat im Weiteren geltend gemacht, dass er sich einer Krampfadern-Behandlung in der Klinik D. habe unterziehen müssen und seither an starken Schmerzen leide. Auf die Einwände des Klägers, dass seine Gesundheitsstörungen - insbesondere auf nervenärztlichem Gebiet - nicht voll umfänglich erfasst seien, hat der Senat eine ergänzende Stellungnahme beim Arzt für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapie Dr. E. eingeholt, die dieser am 23.08.2013 abgegeben hat. Danach seien die neu vorliegenden Befunde weitgehend vergleichbar mit denen des Gutachtens vom 11.11.2009 und relevante Veränderungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet seien nicht eingetreten. Nach Durchsicht der Akten sei an den Aussagen des Gutachtens vom 11.11.2009 auch in sozialmedizinischer Hinsicht festzuhalten.

Der Senat hat sich einen Versicherungsverlauf des Klägers vom 18.10.2003 vorlegen lassen. Danach sind beim Kläger letztmalig im Januar 2009 Pflichtbeitragszeiten verzeichnet gewesen. Allerdings sind bis zur Rentenantragstellung lückenlos rentenrechtlich relevante Zeiten seit 1984 angegeben.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist ein Gutachten durch den Facharzt für Allgemeinmedizin, Psychiatrie, Psychotherapie und psychosomatische Medizin Dr. C. eingeholt worden, der den Kläger am 24.03.2014 und 25.03.2014 untersucht und in seinem Gutachten vom 03.04.2014 die Gesundheitsstörungen beim Kläger auf seinem Fachgebiet als Fibromyalgiesyndrom und Verdacht auf Polyneuropathie erfasst hat. Das Leistungsvermögen bei einem Fibromyalgiesyndrom sei stark schwankend. Bei kalter Witterung, nach körperlicher Belastung und bei seelischen Belastungen könne es praktisch aufgehoben sein. Eine klare Verschlechterung der gesundheitlichen Situation des Klägers lasse sich keinem bestimmten Zeitpunkt zuordnen. Eine Erwerbstätigkeit zwischen drei und sechs Stunden täglich, eher im unteren Bereich, dürfte den Beschwerden am ehesten leidensgerecht sein. Belastungen, die mit Exposition von Nässe, Kälte, Zugluft, Lärm, Nachtarbeit, erhöhten Anforderung an die Konzentration, Absturzgefahr oder Reizstoffen verbunden seien, seien dem Kläger nicht zumutbar. Im Fall des Klägers stehe der große diagnostische Aufwand in einem starken Gegensatz zu den geringen therapeutischen Bemühungen. Eine Behandlung in einer spezialisierten Klinik, z. B. einer auf Fibromyalgie spezialisierten Rheumaklinik, wäre dringend zu empfehlen. Unter dieser Voraussetzung könnte eine Stabilisierung der Leistungsfähigkeit im Rahmen zwischen drei und sechs Stunden pro Tag erreichbar sein, die derzeit zumindest regelmäßig nur mit großen Einschränkungen für wahrscheinlich zu halten sei.

Zu dem Gutachten hat Dr. Sch. vom Ärztlichen Dienst der Beklagten vom 09.05.2014 eine Stellungnahme abgegeben, wonach im Gutachten eine Leistungsfähigkeit von drei bis sechs Stunden genannt worden sei und ein unter sechsstündiges Leistungsvermögen nicht attestiert worden sei. Eine rentenrechtlich relevante Einschränkung bestehe beim Kläger nicht.

Der Kläger hat im Folgenden geltend gemacht, dass er sich zur Abklärung einer eventuellen Hirnschädigung in die Fachklinik für Neurologie in D. habe begeben müssen und dort computertomographische Verzerrungen des Kleinhirns festgestellt worden seien.

Auf Antrag des Klägers ist eine ergänzende Stellungnahme bei Dr. C. eingeholt worden. Dieser hat am13.10.2014 ausgeführt, dass der Kläger nach eigenen Angaben Medikamente wegen einer Medikamentenunverträglichkeit nicht einnehme, ohne dass es über die möglichen Nebenwirkungen Unterlagen gebe. Allerdings würde eine fehlende Schmerzmedikation nicht zwingend gegen das Vorliegen von Schmerzen im Rahmen eines Fibromyalgiesyndroms sprechen. Bei der Begutachtung des Fibromyalgiesyndroms bestehe allerdings die Gefahr einer Überbewertung von objektivierbaren Befunden und einer Unterbewertung von schwer zu fassenden weichen Symptomen. Er halte deshalb an seiner Einschätzung des Leistungsvermögens zwischen drei und sechs Stunden fest. Wegen der stark wechselnden Leistungsfähigkeit bestehe jedoch die Gefahr von häufigen Arbeitsunfähigkeiten. Auch wenn dies nicht explizit dokumentiert worden sei, bedeute dies, dass eine über sechsstündige Leistungsfähigkeit nicht vorliege.

In der mündlichen Verhandlung vom 21.01.2015 stellt der Kläger heraus, dass er die Tätigkeit eines angelernten Registrators jedenfalls wegen der bei ihm festgestellten qualitativen Einschränkungen nicht ausüben könne.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 04.03.2010 und den Bescheid der Beklagten vom 28.03.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger über den 31.03.2008 hinaus eine Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 04.03.2010 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der beigezogenen Akte des Zentrums ... Familie und Soziales und der ebenfalls beigezogenen Akte der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Weitergewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung über März 2008 hinaus hat. Auch kommt derzeit keine andere Rentengewährung in Betracht.

Zu beachten ist dabei, dass eine zeitlich befristete Rente mit dem Wegfalldatum ausläuft und das Vorliegen von Erwerbsminderung als Voraussetzung für einen sich anschließenden erneuten Rentenanspruch an der Erfüllung der Voraussetzungen zum Zeitpunkt der beantragten Weitergewährung zu messen ist. Es kommt anders als bei der Entziehung einer Dauerrente also nicht darauf an, dass eine Besserung der gesundheitlichen Situation gegenüber dem vorherigen Zustand belegt wird. Der Senat geht im Übrigen davon aus, dass der Antrag auf Weitergewährung der Erwerbsminderungsrente über den Wegfallzeitpunkt hinaus als Hilfsantrag auch eine erneute Rentengewährung zu einem späteren Zeitpunkt mitbeinhaltet.

Ein Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung setzt nach § 43 Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) voraus, dass ein Versicherter voll erwerbsgemindert ist, in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit aufzuweisen hat und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, die in gleicher Weise für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gelten, hat der Kläger bei Stellung des Weitergewährungsantrages eindeutig erfüllt gehabt. Dies betraf sowohl die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren (§ 50 Abs. 1 SGB VI), die der Kläger schon vor 1984 erfüllt hatte, als auch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, die mindestens 36 Monate Pflichtbeiträge in den letzten 5 Jahren vor dem medizinischen Leistungsfall fordern. Nachdem der Kläger aber nach Januar 2009 keine rentenrechtlichen Zeiten mehr aufzuweisen hat, wären bei einem erneuten Eintritt einer rechtlich bedeutsamen Erwerbsminderung in der Folgezeit und somit einem neuen medizinischen Leistungsfall diese Voraussetzungen unmittelbar - auch unter Anwendung von § 43 Abs. 4 SGB VI - nur bis zum Februar 2011 erfüllbar. Bei einem evtl. erst später eingetretenen erneuten medizinischen Leistungsfall würde jedoch durch die Anwendung von § 241 Abs. 2 SGB VI aus versicherungsrechtlicher Sicht eine Rentengewährung ebenfalls noch möglich sein: Nachdem beim Kläger vor 1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt war und seitdem bis zur Rentenantragstellung, d. h. dem Weitergewährungsantrag, dem hilfsweise ein Neuantrag innewohnt, lückenlos alle Kalendermonate ab 1984 mit rentenrechtlich relevanten Zeiten belegt waren und der Kläger für die Zeit ab Februar 2009 wegen § 198 i. V. m. § 197 Abs. 2 SGB VI noch freiwillige Beiträge nachentrichten könnte - ohne dass dies wegen des Wortlauts des § 241 Abs. 2 SGB VI derzeit tatsächlich erfolgen müsste - sind auch für eventuelle aktuelle medizinische Leistungsfälle die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen noch erfüllt.

Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die medizinischen Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 SGB VI erfordern, dass ein Versicherter nicht mindestens 6 Stunden täglich einsatzfähig ist. Ergänzend führt § 43 Abs. 3 SGB VI aus, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Eine zeitliche Einsatzfähigkeit des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als 3 Stunden täglich wird aktuell von keinem Arzt mehr explizit vertreten. Frau Dr. T. hat ihre anfängliche Auffassung über das Vorliegen einer derartigen Einschränkung im Dezember 2008 ausdrücklich aufgegeben. Der früher behandelnde Hausarzt Dr. L., der den Kläger im August 2010 letztmals gesehen hat, hatte auch damals nur allgemein von Nichterwerbsfähigkeit gesprochen, ohne dies detaillierter aus den Gesundheitsstörungen des Klägers abzuleiten und mit den quantitativen Einschränkungen, wie sie für eine volle Erwerbsminderung erforderlich sind, in Beziehung zu setzen. Für das unmittelbare Vorliegen von voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI gibt es also keinerlei Belege.

Dagegen wird nach Auffassung der Klägerseite durch die gutachterlichen Feststellungen des Dr. C. eine zeitliche Einschränkung des Einsatzvermögens des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als 6 Stunden täglich belegt. Dies entspräche einer teilweisen Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI und würde die hilfsweise beantragte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung oder im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG zur Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes (vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei Gürtner in: Kasseler Kommentar, Stand April 2010, § 43 SGB VI Rn. 30 ff) eine Rente wegen voller Erwerbsminderung nach sich ziehen. Dazu ist allerdings darauf hinzuweisen, dass Dr. C. die Einsatzfähigkeit als zwischen 3 und 6 Stunden angesiedelt sieht und auch in Kenntnis der divergenten Schlussfolgerungen über seine Einschätzung die Formulierung so beibehält und zur „Klarstellung“ zusätzlich ergänzt, dass eine „über 6-stündige Leistungsfähigkeit“ beim Kläger nicht vorliege. Der Kläger kann sich nur darauf berufen, dass der Gutachter zusätzlich textlich ausgeführt hat, dass er den Kläger eher am unteren Ende des von ihm genannten Leistungsspektrums für adäquat einsetzbar ansehe.

Zur Überzeugung des Senats besteht beim Kläger ab April 2008 jedoch wieder ein 6-stündiges Einsatzvermögen an geeigneten Arbeitsplätzen des allgemeinen Arbeitsmarktes, wenn auch zeitweilig Arbeitsunfähigkeit vorgelegen hat. Der Senat schließt sich den Ausführungen und sozialmedizinischen Schlussfolgerungen des Dr. C. aus folgenden Gründen nicht an:

Zum einen verteidigt Dr. C. seine Einschätzung damit, dass bei einem Krankheitsbild wie dem des Klägers die objektiven Befunde nicht überbewertet werden dürfen - die anscheinend auch nach Auffassung des Dr. C. eine zeitliche Einschränkung nicht rechtfertigen - und den subjektiven Darstellungen große Bedeutung zukäme. Der Senat hält es jedoch für erforderlich, dass subjektive Krankheitsanzeichen und testpsychologische Ergebnisse immer an der übrigen ärztlichen Diagnostik validiert werden. Hier lassen weder der Tagesablauf, wie er bei Dr. E. und Dr. C. erhoben worden ist, noch die eingeschränkte Bereitschaft zur Durchführung von ärztlicher Behandlung sich als Bestätigung der vom Kläger vorgetragenen weitergehenden Einschränkungen heranziehen.

Zudem räumt auch Dr. C. ein, dass die therapeutischen Ansätze beim Kläger nur sehr geringe Umsetzung erfahren haben; für die vom Kläger geltend gemachte Medikamentenunverträglichkeit z. B. fehlt es trotz der als sehr umfangreich bezeichneten Diagnostik an sicheren Belegen. Und schließlich führen Zeiten vorübergehender Arbeitsunfähigkeit, auch wenn sie häufiger auftreten, nicht dazu, dass allein deshalb die Zeitdauer der täglichen Einsatzzeit zu reduzieren wäre. Eine solche Sichtweise könnte aber der Grund dafür sein, dass Dr. C. den Kläger eher dem unteren Bereich des von ihm für möglich erachteten Leistungsspektrums zugeordnet hat, wie dessen Ausführungen nahe legen.

In allen übrigen von der Beklagten, dem Sozialgericht Nürnberg und dem Senat eingeholten Gutachten werden die Gesundheitsstörungen des Klägers dagegen nicht als schwere Beeinträchtigung auf psychischem Gebiet - Depression und Schmerzerkrankung - angesehen. Entscheidend ist dabei nicht die Diagnose der Fibromyalgie oder der Somatisierungsstörung oder Schmerzerkrankung, sondern das im konkreten Einzelfall damit verbundene Funktionsdefizit. Die Einsatzfähigkeit des Klägers bei einer geeigneten leichten Tätigkeit wird in den anderen Gutachten - d. h. außer bei Dr. C. - klar mit - zumindest - 6 Stunden täglich angesetzt. Der Senat folgt dabei insbesondere den aktuellen Gutachten und Stellungnahmen des Dr. N. und des Dr. E.. Das Leistungsbild des Klägers umfasst danach in diesem zeitlichen Rahmen die Ausübung einer leichten, zeitweilig auch bis zu mittelschweren körperlichen Tätigkeit im Wechsel der Arbeitshaltung überwiegend in geschlossenen Räumen. Dem Kläger können Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung, insbesondere im Akkord, in Nachtschicht, in Zeitdruck, am Fließband sowie mit besonderer Verantwortung und Tätigkeiten unter ungünstigen äußeren Bedingungen, insbesondere bei Einwirkung von Hautreizstoffen, nicht zugemutet werden. Vermieden werden müssen unfallgefährdete Arbeitsplätze wie z. B. Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten mit Absturzgefahr, besondere Belastungen des Bewegungs- und Stützsystems wie überwiegendes Stehen und Gehen, häufiges Heben und Tragen von Lasten, häufiges Überkopfarbeiten und Arbeiten in Zwangshaltungen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts werden psychische Erkrankungen erst dann rentenrechtlich relevant, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant und stationär) davon auszugehen ist, dass ein Versicherter die psychischen Einschränkungen dauerhaft nicht überwinden kann - weder aus eigener Kraft, noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe (BSG Urteil vom 12.09.1990 5 RJ 88/89; BSG Urteil vom 29.02.2006 - B 13 RJ 31/05 R - jeweils zitiert nach juris; BayLSG Urteil vom 21.03.2012 - L 19 R 35/08). Von zentraler Bedeutung ist im vorliegenden Fall, dass bei den Erkrankungen des Klägers auf psychischem Gebiet nach Aussage praktisch aller ärztlichen Sachverständigen die Behandlungsoptionen tatsächlich noch nicht ausgeschöpft erscheinen und somit ein nicht mehr beeinflussbarer Gesundheitszustand in dieser Hinsicht nicht besteht.

Eine Rente wegen Erwerbsminderung - und zwar wegen voller Erwerbsminderung - käme allerdings auch dann in Betracht, wenn zwar nicht der Gesetzeswortlaut erfüllt wäre aber die Voraussetzungen für einen von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Ausnahmefall (sog. Katalogfall) vorliegen würden, wonach unter besonderen Voraussetzungen - trotz an sich nicht eingeschränkter zeitlicher Einsatzfähigkeit - ausnahmsweise ein Einsatz im Erwerbsleben ausgeschlossen wäre. Für die Prüfung ist nach dem BSG (Urt. v. 09.05.2012, B 5 R 68/11 R - zitiert nach juris) mehrschrittig vorzugehen. Zunächst ist festzustellen, ob mit dem Restleistungsvermögen Verrichtungen erfolgen können, die bei ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden, wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Maschinenbedienung, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen. Wenn sich solche abstrakten Handlungsfelder nicht oder nur unzureichend beschreiben lassen und ernste Zweifel an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen kommen, stellt sich im zweiten Schritt die Frage nach der besonderen spezifischen Leistungsbehinderung oder der Summierung ungewöhnlicher Einschränkungen und, falls eine solche Kategorie als vorliegend angesehen wird, wäre im dritten Schritt von der Beklagten eine Verweisungstätigkeit konkret zu benennen und die Einsatzfähigkeit dann hinsichtlich dieser Tätigkeit abzuklären (vgl. Gürtner in: Kasseler Kommentar, Stand August 2012, § 43 SGB VI Rn. 37 m. w. N.). Für den Senat ergeben sich bereits keine ernsthaften Zweifel an der Einsatzfähigkeit des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, da keiner der Basisbereiche vollständig ausgeschlossen, sondern nur bestimmte Bedingungen beachtet werden müssen. Aber selbst wenn man aus den Einwänden der Klägerseite das Vorliegen ernstlicher Zweifel herzuleiten versuchen wollte, so würden sich die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen jedenfalls nicht als schwere spezifische Behinderung wie etwa eine - ggf. funktionale - Einarmigkeit und auch nicht als Summierung von ungewöhnlichen Einschränkungen darstellen. Die beim Kläger festgestellten Einschränkungen der Arbeitsbedingungen sind gerade nicht so weitgehend, dass sie zum Ausschluss ganzer Tätigkeitsfelder führen. So sind beispielsweise die Einschränkungen der Sinneswahrnehmung sehr moderat.

Auch ist die Wegefähigkeit unproblematisch gegeben, zumal der Kläger selbst längere Gehstrecken als die hierfür erforderlichen 500m eingeräumt hat.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass die teilweise berichtete gesundheitliche Verschlechterung zu einem späteren Zeitpunkt, z. B. zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung, zur Erfüllung der vorgenannten medizinischen Voraussetzungen geführt hätte.

Dementsprechend lässt sich beim Kläger weder das Vorliegen von voller, noch von teilweiser Erwerbsminderung überzeugend belegen und daraus auch kein Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente ableiten. Weder der Hauptantrag, noch der erste Hilfsantrag des Klägers auf Rentengewährung haben dabei Erfolg.

Der Senat kommt auch zum Ergebnis, dass beim Kläger keine Berufsunfähigkeit vorliegt und er deshalb keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit im Anschluss an die Zeitrentengewährung hat.

Nach § 240 Abs. 1 SGB VI haben Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig sind.

Der Kläger gehört unproblematisch zu dem von § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI erfassten Personenkreis, da sein Geburtsdatum vor dem dort genannten Stichtag liegt.

Der Kläger ist jedoch nicht berufsunfähig im Sinne dieser Vorschrift. Nach § 43 Abs. 2 SGB VI sind berufsunfähig Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als 6 Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach dem die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und Ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens 6 Stunden täglich ausüben kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Für den Senat ergibt sich aufgrund des oben dargestellten Leistungsbildes des Klägers, dass dieser gesundheitlich nicht mehr in der Lage ist, seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Schichtleiter in der chemischen Industrie weiterhin täglich mindestens 6 Stunden auszuüben. Berufsunfähigkeit bestünde entsprechend der gerade zitierten gesetzlichen Regelung des § 240 Abs. 2 SGB VI jedoch nur dann, wenn der Kläger auch nicht mehr in der Lage wäre, eine zumutbare Verweisungstätigkeit mindestens 6 Stunden täglich auszuüben. Zur Überzeugung des Senats kann der Kläger jedoch auch weiterhin eine zumutbare Verweisungstätigkeit ausüben.

Eine Verweisungstätigkeit ist dann zumutbar, wenn ein Versicherter sie nach einer Einarbeitung von bis zu drei Monaten wettbewerbsfähig ausüben kann, dabei gesundheitlich nicht überfordert ist und auch die soziale Zumutbarkeit gegeben ist.

Zur Überprüfung der letzteren Bedingung hat das Bundessozialgericht die Berufe in ein so genanntes Mehrstufenschema eingeteilt (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 09.09.1986, Az. 5b RJ 82/85 zitiert nach juris). Die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit eines Schichtleiters in der chemischen Industrie ist nach dem vorgelegten Tarifvertrag der Ebene der Facharbeiter in einem anerkannten Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungsdauer von drei Jahren, mindestens aber mehr als zwei Jahren zuzuordnen. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Kläger seine Kenntnisse nicht durch Absolvieren der zugehörigen Ausbildung, sondern durch ein Heraufarbeiten im Rahmen langjähriger Berufserfahrung gewonnen hatte. Umgekehrt bedeutet die Zuordnung zur Entgeltgruppe E08 noch nicht, dass der Kläger der obersten Stufe im Mehrstufenschema hätte zugeordnet werden müssen. Zwar sind bereits in der Entgeltgruppe E07 Facharbeiter eingruppiert, doch ist die Tätigkeit des Klägers nicht vollumfänglich die eines Meisters oder anderweitig Vorgesetzten gewesen. Allein die Aufgabe der Gruppenführung von ungelernten und angelernten Mitarbeitern innerhalb einer Schicht erfordert nicht zwingend die Zuordnung zur obersten Stufe. Zur Überzeugung des Senats ist das Sozialgericht zutreffend von einer Einordnung des Klägers in die Gruppe der Facharbeiter ausgegangen.

Eine Verweisungstätigkeit ist dann als sozial zumutbar anzusehen, wenn sie zumindest der nächst niedrigeren Stufe des Mehrstufenschemas angehört. Dies sind im Fall eines Facharbeiters die qualifiziert angelernten Tätigkeiten. Eine derartige qualifiziert angelernte Tätigkeit ist beispielsweise die von der Beklagten benannte Tätigkeit eines qualifizierten Registrators mit einer Anlernzeit von üblicherweise drei Monaten oder mehr. Der Kläger kann innerhalb einer Einarbeitungszeit von bis zu drei Monaten wettbewerbsfähig in eine derartige Tätigkeit eingearbeitet werden. Bei ihm sind keine besonderen Einschränkungen der Umstellungsfähigkeit nachgewiesen; insbesondere hat der Kläger auch bereits in der Vergangenheit elektronische Datenverarbeitung (Computer) als Hilfsmittel genutzt; dies ist etwa auch ersichtlich geworden in den vom Kläger am PC erstellten Listen über die bei ihm diagnostizierten Erkrankungen, die er zum Begutachtungstermin mitgebracht hat.

Auch in gesundheitlicher Sicht stellt die Tätigkeit des Registrators keine Überforderung dar. Es handelt sich dabei weit überwiegend um eine leichte Arbeit. Sie ist regelmäßig in geschlossenen Räumen zu erbringen und ermöglicht den Wechsel der Körperhaltung. Akkordarbeit, Fließbandarbeit und Nachtschicht fallen nicht an. Zwar sind beim Kläger häufiges Überkopfarbeiten und das Besteigen von Leitern zu vermeiden. Ein gelegentliches Strecken oder der Einsatz einer Tritthilfe zum Erreichen der üblichen oberen Regalfächer ist nach Auffassung des Senats von den vorgegebenen Ausschlüssen der Einsatzbedingungen nicht erfasst. Wenn zu einzelnen Terminen einmal Zeitdruck vorliegt, so ist dies als Ausnahme einzuordnen und absehbar kurz.

Der Kläger muss sich dementsprechend auf die Tätigkeit eines angelernten Registrators als geeignete Verweisungstätigkeit verweisen lassen; er ist auch nicht berufsunfähig.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten und die hierzu ergangene erstinstanzliche Entscheidung sind somit insgesamt im Ergebnis nicht zu beanstanden und die Berufung ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2011 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 10. Dezember 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit gewähren muss.

2

Die 1954 geborene Klägerin hat keine Schule besucht und keinen Beruf erlernt. Sie ist auch in ihrer türkischen Muttersprache (primäre) Analphabetin, weil sie keine Zahlen kennt, nur minimale Buchstabenkenntnisse besitzt und deshalb selbst mit fremder Hilfe weder lesen noch schreiben kann. In Deutschland arbeitete sie ab November 1987 bis zum Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit im September 2004 durchgehend als Reinigungskraft bei der Stadt B.

3

Sie leidet an einer Wirbelsäulenerkrankung ohne neurologische Ausfallerscheinungen, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und einer depressiven Erkrankung. Trotz dieser Krankheiten kann sie noch körperlich leichte Tätigkeiten sechs (und mehr) Stunden an fünf Tagen in der Woche regelmäßig verrichten. Auszuschließen sind Arbeiten mit Knien, Hocken, häufigem Bücken, über Kopf, mit Besteigen von Leitern und Gerüsten, unter Umwelteinflüssen (wie Kälte, Hitze, Temperaturschwankungen, Nässe, Staub, Gas, Dampf, Rauch, Lärm, Schmutzeinwirkung), in Wechsel- und Nachtschicht, unter zeitlichem Druck, wie bei Akkord- oder Fließbandarbeit, sowie mit häufigem Publikumsverkehr. Der Analphabetismus der Klägerin beruht nicht auf einer gesundheitlichen Störung.

4

Ihren Antrag vom 21.6.2005 auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit lehnte die Beklagte ab, weil sie noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein könne (Bescheid vom 22.9.2005 und Widerspruchsbescheid vom 6.1.2006). Die Klage blieb erfolglos (Urteil des SG Detmold vom 10.12.2007).

5

Das LSG hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgehend von einem am 21.6.2005 eingetretenen Leistungsfall befristet bis zum 31.1.2014 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen (Urteil vom 21.2.2011): Die Klägerin habe die allgemeine Wartezeit zurückgelegt, erfülle die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen und sei voll erwerbsgemindert. Denn ihr sei der Arbeitsmarkt unter dem Gesichtspunkt einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen praktisch verschlossen. Zwar seien die qualitativen Leistungseinschränkungen nach der Rechtsprechung des 5. Senats des BSG, der sich der erkennende Senat anschließe, nicht ungewöhnlich und ließen für sich allein noch keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen, dass die Klägerin in einem Betrieb einsetzbar sei. Gleichwohl seien keine beruflichen Tätigkeiten ersichtlich, die sie auf der Grundlage ihres Restleistungsvermögens und ihres muttersprachlichen Analphabetismus noch verrichten könne. Der Analphabetismus sei bei der Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliege, zu berücksichtigen, wenn das weite Feld der Tätigkeiten, die die Fähigkeit des Lesens und Schreibens nicht unbedingt erforderten, aufgrund weiterer Leistungseinschränkungen und der Beschränkung des Restleistungsvermögens auf nur leichte Arbeiten nicht mehr zweifelsfrei offenstehe. Eine realistische Verwertung des Restleistungsvermögens im Erwerbsleben setze voraus, dass eine Verweisungstätigkeit den Kräften und Fähigkeiten des Versicherten entspreche, wodurch sichergestellt werde, dass keine vom tatsächlichen Leistungsvermögen losgelöste, also fiktive Verweisung erfolge. Eine konkrete Verweisungstätigkeit, die die Klägerin mit den verbliebenen Fähigkeiten noch verrichten könne, sei indes nicht ersichtlich. Die Tätigkeiten als Museumswärterin/Aufseherin, Küchenhilfe, Büglerin, Mitarbeiterin in einer Mangel, Warensortiererin in der Kunststoff- und Metallindustrie oder in der Papier- und Elektroindustrie, die die Beklagte benannt habe, könne die Klägerin teils aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen, teils aufgrund des Analphabetismus nicht mehr ausüben.

6

Mit der Revision, die das LSG zugelassen hat, rügt die Beklagte eine Verletzung von § 43 SGB VI: Nach der Rechtsprechung des BSG sei in der Regel davon auszugehen, dass Versicherte, die noch körperlich leichte Tätigkeiten- wenngleich mit qualitativen Einschränkungen - täglich mindestens sechs Stunden verrichten könnten, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den dort üblichen Bedingungen erwerbstätig sein könnten. Eine konkrete Verweisungstätigkeit sei in dieser Situation nur zu benennen, wenn ausnahmsweise eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliege. Das LSG führe jedoch selbst nachvollziehbar aus, dass sämtliche Leistungseinschränkungen der Klägerin nicht ungewöhnlich seien und für sich allein keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen ließen, dass sie in einem Betrieb einsetzbar sei. Bei der Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliege, müsse ihr Analphabetismus außer Acht bleiben. Denn er beruhe nicht auf einer gesundheitlichen Störung oder auf intellektuellen Defiziten, sondern darauf, dass sie keine Schule besucht und deshalb weder Lesen noch Schreiben erlernt habe. Ein solcher Analphabetismus sei als Bildungsdefizit und nicht als Erwerbsminderung auslösende Krankheit oder Behinderung zu werten. Soweit sich das Berufungsgericht für seine gegenteilige Ansicht auf das Senatsurteil vom 10.12.2003 (B 5 RJ 64/02 R - SozR 4-2600 § 44 Nr 1) stütze, stehe diese Entscheidung nicht mit dem Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996 (GS 2/95 - BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) in Einklang. Danach sei es ausgeschlossen, "einen arbeitslosen Versicherten, der noch vollschichtig arbeiten" könne, "deshalb als erwerbsunfähig anzusehen, weil neben den gesundheitlichen Einschränkungen Risikofaktoren wie Langzeitarbeitslosigkeit und vorgerücktes Alter oder mangelhafte Ausbildung die Vermittlungschancen zusätzlich" erschwerten. Analphabetismus sei jedoch nichts anderes als "mangelnde Ausbildung". Für die Überwindung des Analphabetismus seien nicht die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern die Bundesagentur für Arbeit, die Grundsicherungsträger sowie die Kommunen und Länder zuständig; das daraus resultierende Arbeitsmarktrisiko dürfe nicht auf die Rentenversicherungsträger verlagert werden. Soweit die Rechtsprechung schließlich zwischen Analphabetismus und mangelnden Deutschkenntnissen unterscheide, sei diese Differenzierung inkonsequent. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl Senatsurteil vom 15.5.1991 - 5 RJ 92/89 - BSGE 68, 288 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 11) müssten unzureichende Deutschkenntnisse bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit außer Acht bleiben, weil dem Rentenversicherungsträger sonst ein von der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erfasstes Risiko aufgebürdet werde. Nichts anderes müsse für Analphabetismus gelten. Dass der Klägerin der Zugang zum Arbeitsmarkt wegen ihres Analphabetismus erschwert sei, könne ebenso wenig wie der Umstand berücksichtigt werden, dass sie aufgrund mangelhafter deutscher Sprachkenntnisse nicht ausreichend kommunizieren könne.

7

Die Beklagte beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2011 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 10. Dezember 2007 zurückzuweisen.

8

Die Klägerin beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

9

Sie trägt vor: Aufgrund einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen erfülle sie die Voraussetzungen einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, wobei ihr Analphabetismus zu berücksichtigen sei. Als primäre Analphabetin sei sie auf dem Arbeitsmarkt, unter Hinzutreten weiterer ungewöhnlicher Erschwernisse, schlichtweg nicht (mehr) vermittelbar und könne auch auf Alternativtätigkeiten nicht (mehr) verwiesen werden. Selbst wenn man den primären Analphabetismus außer Acht ließe, seien zumutbare Verweisungstätigkeiten weder ersichtlich noch von der Beklagten benannt worden. Vor dem Hintergrund bestehender Fürsorgepflicht hätte die Beklagte durch Rehabilitations- bzw Förderungsmaßnahmen dem Analphabetismus entgegenwirken und hierdurch eine Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt wiederherstellen müssen.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Das Urteil des LSG verletzt Bundesrecht (§ 162 SGG). Der Klägerin steht kein Recht auf Rente wegen Erwerbsminderung zu.

11

1. Als Anspruchsgrundlage kommt allein § 43 Abs 2 SGB VI in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.2.2002 (BGBl I 754) in Betracht (§ 300 Abs 1 SGB VI). Danach haben Versicherte bei Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (Abs 2 S 1 Nr 2 und 3) bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Abs 2 S 1 Nr 1). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Abs 2 S 2). Erwerbsgemindert ist hingegen nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Abs 3). Nach § 102 Abs 2 S 1 SGB VI werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, zu denen auch die Rente wegen voller Erwerbsminderung zählt(§ 33 Abs 3 Nr 2 SGB VI), auf Zeit geleistet. Die Befristung (§ 32 Abs 2 Nr 1 SGB X) erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn (§ 102 Abs 2 S 2 iVm § 101 Abs 1 SGB VI) und kann wiederholt werden (§ 102 Abs 2 S 3 SGB VI in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.2.2002, BGBl I 754).

12

2. Nach den Feststellungen des LSG, die nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angefochten und deshalb für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), kann die Klägerin körperlich leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden (arbeits)täglich, dh an fünf Tagen in der Woche, verrichten. Dieses zeitliche (quantitative) Leistungsvermögen schließt die Annahme einer "vollen Erwerbsminderung" gemäß § 43 Abs 3 Halbs 1 SGB VI aber noch nicht aus. Vielmehr kommt es nach dieser Vorschrift iVm § 43 Abs 2 S 2 SGB VI entscheidend darauf an, ob die Klägerin "wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande" ist, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts … erwerbstätig zu sein". Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

13

Die Rentenversicherungsträger und im Streitfall die Tatsachengerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben von Amts wegen (§ 20 Abs 1 S 1 SGB X, § 103 SGG) mit Hilfe (medizinischer) Sachverständiger (§ 21 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB X, § 106 Abs 3 Nr 5 SGG) zu ermitteln und festzustellen,

        

a)    

Art, Ausprägung und voraussichtliche Dauer der Krankheit(en) oder Behinderung(en), an denen der Versicherte leidet,

        

b)    

Art, Umfang und voraussichtliche Dauer der quantitativen und qualitativen Leistungseinschränkungen (Minderbelastbarkeiten, Funktionsstörungen und -einbußen) sowie den

        

c)    

Ursachenzusammenhang ("wegen") zwischen a) und b).

14

a) Das LSG hat bindend (§ 163 SGG) festgestellt, dass die Klägerin "an einer Wirbelsäulenerkrankung ohne neurologische Ausfallerscheinungen, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und an einer depressiven Erkrankung leidet". Dabei handelt es sich - auch soweit psychische Leiden vorliegen (s dazu BSGE 21, 189 = SozR Nr 39 zu § 1246 RVO; SozR Nr 15 zu § 1254 aF RVO) - um Krankheiten iS von § 43 Abs 2 S 2 SGB VI, dh um regelwidrige Körper- bzw Geisteszustände(BSGE 14, 207 = SozR Nr 5 zu § 45 RKG), die geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit herabzusetzen (BSGE 13, 255 = SozR Nr 11 zu § 1246 RVO). Den Analphabetismus oder dessen Ursachen hat das Berufungsgericht dagegen nicht als Krankheit bezeichnet, sondern ausdrücklich ausgeführt, dass die komplette Lese- und Schreibinkompetenz "nicht auf einer gesundheitlichen Störung" beruht. Sie ist auch keine "Behinderung", weil dazu rentenversicherungsrechtlich nur (weiter die Begriffsbestimmung in § 2 Abs 1 SGB IX) krankheitsbedingte Störungen zählen (Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 98; Kunze, DRV 2001, 192), deren Entwicklung - anders als bei einer Krankheit (vgl dazu BSGE 28, 114 = SozR Nr 28 zu § 182 RVO) - irreversibel abgeschlossen ist. Der "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruhende Analphabetismus" kann aber durch Erlernen der Schriftsprache überwunden werden.

15

b) Das LSG hat weiter bindend festgestellt, dass die Klägerin noch körperlich leichte Tätigkeiten sechs (und mehr) Stunden an fünf Tagen in der Woche regelmäßig verrichten kann. Auszuschließen sind Arbeiten mit Knien, Hocken, häufigem Bücken, über Kopf, mit Besteigen von Leitern und Gerüsten, unter Umwelteinflüssen (wie Kälte, Hitze, Temperaturschwankungen, Nässe, Staub, Gas, Dampf, Rauch, Lärm, Schmutzeinwirkung), in Wechsel- und Nachtschicht, unter zeitlichem Druck, wie bei Akkord- oder Fließbandarbeit, sowie mit häufigem Publikumsverkehr.

16

c) Zwischen diesen Leistungseinschränkungen (Erwerbsminderung) und den Krankheit(en) bzw Behinderung(en) muss ein Ursachenzusammenhang bestehen ("wegen"). Die Leistungsminderung muss wesentlich (Theorie der wesentlichen Bedingung, vgl BSGE 96, 291, 293 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7 RdNr 15)auf einer Krankheit oder Behinderung (den versicherten Risiken) beruhen und nicht auf sonstigen Umständen wie Lebensalter, fehlenden Sprachkenntnissen (Senatsurteil vom 15.5.1991 - 5 RJ 92/89 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 11 S 38 f; BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 9 S 34 f; SozR 2200 § 1246 Nr 61) oder Arbeitsentwöhnung (BSGE 7, 66). Aus den Darlegungen des LSG zum Ursachenzusammenhang geht hinreichend deutlich hervor, dass die beschriebenen Leistungseinschränkungen und Minderbelastbarkeiten aus den zuvor festgestellten Gesundheitsstörungen "resultieren". Außerdem hält das Berufungsgericht ausdrücklich fest, dass der Analphabetismus der Klägerin "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruht", also gerade kein Ursachenzusammenhang zwischen ihm und einer der festgestellten Erkrankungen vorliegt.

17

3. Steht das krankheits- bzw behinderungsbedingte (Rest-)Leistungsvermögen fest, ist im nächsten Prüfungsschritt die Rechtsfrage zu klären, ob der Versicherte damit außerstande ist, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" tätig zu sein. Diese Frage ist hier zu verneinen. Die zitierte Formulierung verwendete der Gesetzgeber ursprünglich im Arbeitsförderungsrecht (§ 103 AFG, § 119 SGB III, seit dem 1.4.2012: § 138 Abs 5 SGB III) und übertrug sie später auf das Recht der Renten wegen Erwerbsminderung. Mit dieser Übernahme griff er gleichzeitig die Rechtsprechung des BSG auf, wonach dem Betroffenen der Zugang zum Arbeitsmarkt trotz vollschichtigem Leistungsvermögen praktisch verschlossen war, wenn er krankheitsbedingt keine "Erwerbstätigkeit unter den in Betrieben üblichen Bedingungen" mehr ausüben konnte (sog 1. Katalog- und Seltenheitsfall, vgl dazu nur Senatsurteil vom 27.5.1977 - 5 RJ 28/76 - SozR 2200 § 1246 Nr 19 und die Zusammenstellung der Katalog- und Seltenheitsfälle in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Die hierzu und zum Arbeitsförderungsrecht entwickelte Rechtsprechung ist auf die gesetzliche Neuformulierung übertragbar.

18

a) "Bedingungen" sind dabei alle Faktoren, die wesentliche Grundlage des Arbeitsverhältnisses sind (BSGE 11, 16, 20). Hierzu gehört vor allem der rechtliche Normrahmen, wie etwa Dauer und Verteilung der Arbeitszeit, Pausen- und Urlaubsregelungen, Beachtung von Arbeitsschutzvorschriften sowie gesetzliche Bestimmungen und tarifvertragliche Vereinbarungen (BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - RdNr 29, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2600 § 43 Nr 16 vorgesehen; zum Arbeitsförderungsrecht: BSGE 11, 16, 20; 44, 164, 172 = SozR 4100 § 134 Nr 3; BSGE 46, 257, 259 = SozR 4100 § 103 Nr 17; BSG SozR 4100 § 103 Nr 23 S 55; BSG Urteil vom 21.4.1993 - 11 RAr 79/92 - Die Beiträge 1994, 431). Die Bedingungen sind "üblich", wenn sie nicht nur in Einzel- oder Ausnahmefällen anzutreffen sind, sondern in nennenswertem Umfang und in beachtlicher Zahl (BSG Urteil vom 19.10.2011, aaO, RdNr 29; BSGE 46, 257, 262, 264 = SozR 4100 § 103 Nr 17 S 40, 42; SozR 2200 § 1247 Nr 43 S 86 f; BSG Urteil vom 21.4.1993, aaO, Die Beiträge 1994, 431). Der Arbeitsmarktbegriff erfasst alle denkbaren Tätigkeiten (vgl BT-Drucks 14/4230, S 25), für die es faktisch "Angebot" und "Nachfrage" gibt. Das Adjektiv "allgemein" grenzt den ersten vom zweiten - öffentlich geförderten - Arbeitsmarkt, zu dem regelmäßig nur Leistungsempfänger nach dem SGB II und III Zugang haben, sowie von Sonderbereichen ab, wie beispielsweise Werkstätten für behinderte Menschen und andere geschützte Einrichtungen (BSG Urteil vom 19.10.2011, aaO RdNr 27). Die Klägerin kann nach den Feststellungen des LSG an fünf Tagen in der Woche mindestens sechs Stunden arbeiten. Sieht man davon ab, dass ihr Nacht- und Wechselschichten krankheitsbedingt nicht mehr zugemutet werden dürfen, benötigt sie im Hinblick auf Dauer und Verteilung der Arbeitszeit keine Sonderbehandlung, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unüblich wäre. Sie hat auch keinen erhöhten, betriebsunüblichen Pausen- oder Urlaubsbedarf und ist in einem Betrieb, also außerhalb geschützter Einrichtungen, einsetzbar. Wer aber in einem Betrieb unter den dort üblicherweise herrschenden Bedingungen arbeiten kann, ist auch imstande, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" tätig zu sein.

19

b) Soweit unter den Begriff der üblichen Bedingungen "auch tatsächliche Umstände" gefasst werden (BSG Urteil vom 19.10.2011, aaO, RdNr 29), "wie zB die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistige Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz", handelt es sich ausschließlich um kognitive Grundfähigkeiten, die krankheitsbedingt herabgesetzt sein können. Der "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruhende Analphabetismus" gehört nicht dazu. Wie der berufliche Werdegang der Klägerin exemplarisch und stellvertretend für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen zeigt, zählen Lese- und Schreibkompetenzen keinesfalls zu den üblichen Grundbedingungen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. Andernfalls könnten primäre Analphabeten nie unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig werden, wären schon vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (voll) erwerbsgemindert und könnten Rente wegen voller Erwerbsminderung erst erhalten, nachdem sie die Wartezeit von 20 Jahren zurückgelegt haben (§ 43 Abs 6 iVm § 50 Abs 2 SGB VI).

20

4. Folglich kommt es entscheidend darauf an, ob die Klägerin trotz ihrer qualitativen Leistungseinschränkungen noch imstande ist, "erwerbstätig zu sein", dh durch (irgend)eine Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen. Diese Frage ist zu bejahen.

21

a) Um nachprüfbar zu machen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, hat das BSG bereits zum Parallelproblem im Recht der Renten wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit (§§ 1246, 1247 RVO bzw §§ 43, 44 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Altfassung - aF) die Pflicht der Rentenversicherungsträger entwickelt, dem Versicherten zumindest eine zumutbare Tätigkeit (sog Verweisungstätigkeit) konkret zu benennen, die er mit seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch ausüben kann (sog Benennungsgebot), wenn eine Rente wegen fehlender Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit abgelehnt werden sollte (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 229; SozR 2200 § 1246 Nr 72, 74, 98 und 104). Zu benennen war eine Berufstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 72 S 229 und Nr 74 S 234; SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 229). Die Angabe einzelner Arbeitsvorgänge oder Tätigkeitsmerkmale genügte nicht (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 34 S 130 f mwN; BSG Urteil vom 27.3.2007 - B 13 R 63/06 R - Juris RdNr 30). Andererseits musste kein konkreter Arbeitsplatz bezeichnet werden (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104 S 324). Die zu benennende Tätigkeit musste auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich in ausreichendem Umfang vorkommen (BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28), dh es mussten grundsätzlich mehr als 300 Stellen (besetzt oder offen) vorhanden sein (BSGE 78, 207, 222 f = SozR 3-2600 § 43 Nr 13 S 34 f; BSG Urteile vom 29.7.2004 - B 4 RA 5/04 R - Juris RdNr 24, 33 und vom 26.4.2007 - B 4 R 5/06 R - Juris RdNr 18).

22

b) Abweichend von diesem Grundsatz war die Benennung einer Verweisungstätigkeit entbehrlich, sofern der Versicherte - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - noch vollschichtig zu mittelschweren oder leichten Arbeiten in der Lage war und auf eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden durfte (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 mwN). Auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden durften bei der Prüfung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit grundsätzlich alle Versicherten (BSGE 19, 147, 149 f = SozR Nr 6 zu § 1247 RVO; BSG SozR 2200 § 1247 Nr 7 S 12 f; SozR 5850 § 2 Nr 12 S 25; SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 S 18), bei der Prüfung der Rente wegen Berufsunfähigkeit hingegen nur ungelernte Arbeiter bzw sog Angelernte im unteren Bereich (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 72 f mwN). In diesen Fällen war regelmäßig davon auszugehen, dass das Restleistungsvermögen dem Versicherten noch körperliche Verrichtungen erlaubte, wie sie in ungelernten Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen (wie zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw). Dem lag die Überlegung zugrunde, dass sich die nicht oder nur ganz wenig qualifizierten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts ("Hilfsarbeiten") einerseits einer knappen Benennung, die aussagekräftig Art und Anforderungen der Tätigkeiten beschreiben würde, entzogen, das Arbeitsfeld andererseits aber so heterogen war, dass mit einem Restleistungsvermögen für körperlich leichte Tätigkeiten jedenfalls noch von ausreichenden Erwerbsmöglichkeiten ausgegangen werden konnte (BSGE 80, 24, 31 ff = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 ff).

23

c) Trotz der praktischen Schwierigkeiten war - im Sinne einer Rückausnahme - die konkrete Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorlag: In diesen Fällen einer überdurchschnittlich starken Leistungsminderung bestanden - entgegen der oben skizzierten tatsächlichen Vermutung bzw Annahme - ernsthafte Zweifel, dass der allgemeine Arbeitsmarkt für die dem Versicherten an sich noch mögliche Vollzeittätigkeit eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen bereithielt oder dass der Versicherte mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen in einem Betrieb einsetzbar war (BSGE 80, 24, 34 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 27; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104 S 324 und Nr 136 S 434). Auch die Möglichkeit der praktischen Verschlossenheit des Arbeitsmarkts durch die sog Katalog- und Seltenheitsfälle ist in diesem Zusammenhang bedeutsam (vgl die Zusammenstellung der Katalog- und Seltenheitsfälle in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Diese Maßstäbe haben auch für die seit dem 1.1.2001 geltende Rechtslage weiterhin Gültigkeit (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 5 RdNr 18 und BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - RdNr 19).

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5. Für den Regelfall darf damit auch für die Renten wegen Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI nF (iS einer widerlegbaren tatsächlichen Vermutung) davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der zumindest körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - wenigstens sechs Stunden täglich verrichten kann, noch in der Lage ist, "erwerbstätig zu sein", dh durch (irgend)eine Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen(s auch § 43 Abs 3 SGB VI nF). Es ist mehrschrittig zu prüfen (vgl dazu BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73 und Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - RdNr 35):

25

a) Im ersten Schritt ist festzustellen, ob das Restleistungsvermögen dem Versicherten Verrichtungen oder Tätigkeiten erlaubt (wie zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw ), die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden. Es genügt die Benennung von "Arbeitsfeldern", von "Tätigkeiten der Art nach" oder von "geeigneten Tätigkeitsfeldern", die der Versicherte ausfüllen könnte (vgl BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; Senatsurteile vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 43; vom 11.5.1999 - SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73 f; vom 10.12.2003 - SozR 4-2600 § 44 Nr 1 RdNr 23; BSG vom 19.8.1997 - 13 RJ 29/95 - SozSich 1998, 111 - Juris RdNr 30; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 62 f; vom 9.9.1998 - B 13 RJ 35/97 R - Juris RdNr 24; vom 14.7.1999 - B 13 RJ 65/97 R - Juris RdNr 32; sog "kleines Benennungsgebot": vgl Köbl in Ruland/Försterling, Gemeinschaftskommentar zum SGB VI, § 43 RdNr 168, Stand Oktober 2006; Gürtner in Kasseler Komm, § 43 SGB VI RdNr 47, Stand April 2010; Spiolek, SGb 1999, 509, 510; kritisch Kamprad in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 43 RdNr 42, Stand März 2012; aA wohl Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 108). Damit können "ernste Zweifel" an der beschriebenen Einsatzfähigkeit des Versicherten als Folge von qualitativen Leistungseinschränkungen ausgeräumt werden.

26

b) Lassen sich solche abstrakten Handlungsfelder nicht oder nur unzureichend beschreiben und kommen deshalb "ernste Zweifel" an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen auf, stellt sich im zweiten Schritt die Rechtsfrage, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine besondere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (vgl Senatsurteil vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 44 sowie BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 62 f und Nr 21 S 73 f sowie Beschluss vom 9.9.1998 - B 13 RJ 35/97 - Juris RdNr 24). Hierbei handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die schwierig zu konkretisieren (BSGE 81, 15, 19 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 23 S 69 sowie SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 f) und vernünftig zu handhaben sind (BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33 ). Da es für die Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, keinen konkreten Beurteilungsmaßstab gibt, können auch für die tatrichterliche Begründung und die dazu nötigen Tatsachenfeststellungen keine allgemeingültigen Anforderungen aufgestellt werden (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 9 RdNr 23). Auch der jeweilige Begründungsaufwand richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere hängt er von der Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen ab. Je mehr diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren, umso eingehender und konkreter muss das Tatsachengericht seine Entscheidung zur Frage einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung begründen (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 9 RdNr 23; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61). Wie sich der Richter die jeweils erforderliche Tatsachenkenntnis verschafft, liegt in seinem Ermittlungsermessen (vgl § 103 SGG). Angesichts des unzulänglichen Gesamtüberblicks über typische Anforderungen ungelernter Verrichtungen ist ihm dabei ein weiter Freiraum für Einschätzungen zuzugestehen. Gleichwohl muss aber aus rechtsstaatlichen Gründen ein Mindestmaß an Berechenbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Entscheidung gesichert bleiben (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 ff und BSG Urteil vom 19.8.1997 - 13 RJ 25/95 - SozSich 1998, 113 - Juris RdNr 25).

27

c) Erst wenn nach diesen Maßstäben eine "schwere spezifische Leistungsbehinderung" oder "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" vorliegt, ist dem Versicherten im dritten Schritt mindestens eine konkrete Verweisungstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (kein konkreter Arbeitsplatz) zu benennen, um seinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung auszuschließen (vgl BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33). Hierbei sind dann nicht nur das körperliche, geistige und kognitive Leistungsvermögen einerseits und das berufliche Anforderungsprofil andererseits miteinander zu vergleichen und in Deckung zu bringen, sondern es muss auch individuell geprüft werden, ob der Versicherte die notwendigen fachlichen Qualifikationen und überfachlichen Schlüsselkompetenzen besitzt oder zumindest innerhalb von drei Monaten erlernen kann. Außerdem ist dann zu beachten, dass auf Tätigkeiten nicht verwiesen werden darf, die auf dem Arbeitsmarkt nur in ganz geringer Zahl vorkommen (Katalogfall Nr 3), die an Berufsfremde nicht vergeben werden (Katalogfall Nr 4) oder für Betriebsfremde unzugänglich sind, weil es sich um reine Schonarbeitsplätze (Katalogfall Nr 5) oder Aufstiegspositionen (Katalogfall Nr 6) handelt (vgl die Zusammenstellung der Katalog- und Seltenheitsfälle in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Kann der Versicherte die Verweisungstätigkeit krankheits- oder behinderungsbedingt nicht mehr ausüben, oder kann er sich die fehlenden fachlichen oder überfachlichen Kompetenzen nicht innerhalb von drei Monaten aneignen, so ist er auch dann (voll) erwerbsgemindert, wenn sein zeitliches (quantitatives) Leistungsvermögen uneingeschränkt erhalten ist.

28

6. Zu Recht hat das LSG eine schwere spezifische Leistungsbehinderung verneint. Sie liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60; Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 108; Spiolek, NZS 1997, 415, 416 f). Hierzu können - unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände (vgl BSG SozR 3- 2600 § 43 Nr 17 S 61 ; BSG SozR 3- 2600 § 43 Nr 19 S 68 ; BSGE 81, 15, 19 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 23 S 69 ) - beispielsweise Einäugigkeit (Senatsurteile vom 12.5.1982 - 5b/5 RJ 170/80 - Juris RdNr 8 und vom 14.9.1995 - 5 RJ 50/94 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 230; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 30, 90), Einarmigkeit (Senatsurteil vom 14.9.1995 - 5 RJ 50/94 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 230; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 30) und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit (BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 S 19) sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104, 117; weitere Beispiele bei BSGE 80, 24, 33 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 26 und bei Spiolek, NZS 1997, 415, 416 f). Der "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruhende Analphabetismus" gehört nicht dazu, weil er keine "Behinderung" ist (s Gliederungspunkt 2 a) und damit auch keine "Leistungsbehinderung" sein kann.

29

7. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt auch keine "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" vor, die es ausnahmsweise notwendig machen könnte, den Ausschluss eines Rechts auf Rente nicht lediglich abstrakt mit der Einsetzbarkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu begründen, sondern hierfür die konkrete Benennung einer noch in Betracht kommenden Verweisungstätigkeit zu fordern. Insofern kann vorliegend offen bleiben, ob es sich bei dem muttersprachlichen Analphabetismus der Klägerin für sich um eine ungewöhnliche Leistungseinschränkung in diesem Sinne handelt (vgl dazu Senatsurteile vom 10.12.2003 - B 5 RJ 64/02 R - SozR 4-2600 § 44 Nr 1 RdNr 17 ff und vom 20.10.2004 - B 5 RJ 48/03 R - Juris RdNr 19 sowie BSG Urteil vom 4.11.1998 - B 13 RJ 13/98 R - SozR 3-2200 § 1246 Nr 62 S 288). Nach der unverändert einschlägigen Verweisungsrechtsprechung des Großen Senats des BSG (BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) begründet nämlich bei zeitlich uneingeschränkt leistungsfähigen Versicherten allein die "Summierung" - notwendig also eine Mehrheit von wenigstens zwei ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen als tauglichen Summanden - die Benennungspflicht, nicht aber, wie das Berufungsgericht meint, bereits das Zusammentreffen einer - potenziell - ungewöhnlichen und einer oder mehrerer "gewöhnlicher" Leistungseinschränkungen. Durch die genannte Rechtsprechung des Großen Senats und den ausdrücklichen Ausschluss einer Berücksichtigung der "jeweiligen Arbeitsmarktlage" in § 43 Abs 3 Halbs 2 SGB VI ist auch bereits entschieden, dass weitere Fälle einer Benennungspflicht nicht in Betracht kommen. Im Hinblick auf die qualitativen Einschränkungen, die bei der Klägerin zu beachten sind, hat das LSG jedoch unangefochten festgestellt, dass diese sämtlich nicht ungewöhnlich sind. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die "vernünftige Handhabung" des unbestimmten Rechtsbegriffs der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen gewährleistet nach der Rechtsprechung des Großen und des erkennenden Senats, dass abweichend vom Regelfall der abstrakten Betrachtungsweise die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit als unselbstständiger Zwischenschritt, nur aber auch immer dann erfolgen muss, wenn ernsthafte Zweifel unter anderem an der betrieblichen Einsetzbarkeit bestehen. Ob und ggf in welcher Intensität Zweifel aufkommen und ob in der Gesamtschau eine "Summierung" ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu bejahen ist, lässt sich nur anhand des konkreten Einzelfalls entscheiden, weil die denkbaren Kombinationsmöglichkeiten der qualitativen Leistungseinschränkungen unüberschaubar sind und die Summanden je nach Schweregrad, Anzahl und Wechselwirkungen unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Feste Grenzlinien lassen sich nicht festlegen, zumal auch der Begriff "leichte Arbeiten", auf den sich die genannten Merkmale als Ausnahmen beziehen, erhebliche Unschärfen enthält, die es erforderlich machen, die im Einzelfall vorliegenden Leistungseinschränkungen insgesamt in ihrer konkreten Bedeutung für die Einsetzbarkeit des Versicherten auf dem Arbeitsmarkt zu bewerten (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61). Nur so erscheint eine "vernünftige Handhabung dieser weiten Begriffe" gewährleistet, wie sie der Große Senat des BSG (BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33) vorausgesetzt hat. Im Hinblick auf diese Gegebenheiten sind die bisherigen Entscheidungen des BSG zum Vorliegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung nur als Einzelfallentscheidungen zu werten, die den Besonderheiten der jeweiligen Sachlage Rechnung zu tragen suchen. Auch wenn die Leistungseinschränkungen dort gleich oder vergleichbar formuliert sind, handelt es sich keinesfalls um identische Sachverhalte. Vielmehr liefern die jeweiligen Beurteilungen allenfalls Anhaltspunkte für weitere Entscheidungen; ihnen lassen sich jedoch keine generellen Abgrenzungskriterien entnehmen (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61). Deshalb steht dem Tatrichter bei der Würdigung des Gesamtbildes der Verhältnisse ein weiter Freiraum für Einschätzungen zu (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 f und BSG Urteil vom 19.8.1997 - 13 RJ 25/95 - SozSich 1998, 113 - Juris RdNr 25). Denn die Begriffe der "Ungewöhnlichkeit" von Leistungseinschränkungen und ihre "Summierung" lassen sich nicht mit einem abschließenden Katalog unabdingbarer Merkmale und Untermerkmale im Voraus definieren (Klassen- oder Allgemeinbegriff), sondern nur einzelfallbezogen durch eine größere und unbestimmte Zahl von (charakteristischen) Merkmalen umschreiben (offener Typus- oder Ordnungsbegriff), wobei das eine oder andere Merkmal gänzlich fehlen oder je nach Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam sein kann. Ob an der Einsetzbarkeit eines individuellen Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Zweifel bestehen und sich ggf überwinden lassen, ob Leistungseinschränkungen "ungewöhnlich" sind und wie sie sich nach Art, Umfang und Ausprägung wechselseitig beeinflussen ("summieren"), beurteilt sich anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Kriterien nach dem Gesamtbild der Verhältnisse durch einen wertenden Ähnlichkeitsvergleich. Eine solche Würdigung des Einzelfalls nach dem Gesamtbild der Verhältnisse vollzieht sich auf tatsächlichem Gebiet und obliegt im Wesentlichen dem Tatrichter; seine Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse ist revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar. Bei derartigen richterlichen Wertungsakten gibt es keine logisch ableitbare einzig richtige Entscheidung, sondern einen Bereich, der sich letztlich der logischen Nachprüfbarkeit entzieht. Rational argumentativ ist dieser (originäre) Wertungsakt nur eingeschränkt überprüfbar, nämlich darauf, ob er auf einer zutreffenden und rechtlich verwertbaren Tatsachengrundlage beruht, ob die richtigen Wertungsmaßstäbe erkannt und angewandt wurden und ob er sich innerhalb eines gewissen Spielraums der Angemessenheit bzw des Vertretbaren bewegt ("vernünftige Handhabung"). Bei derartigen genuinen Wertungsakten sind mehrere Entscheidungen gleichermaßen richtig, weil sich nach rein logischen Maßstäben nicht mehr entscheiden lässt, welche innerhalb eines Spielraums nach zutreffenden Maßstäben getroffene Entscheidung richtiger als die andere ist.

30

Das LSG hat vorliegend Inhalt und Grenzen des unbestimmten Rechtsbegriffs der ungewöhnlichen Leistungseinschränkung, wie sie sich hiernach ergeben, berücksichtigt und im Rahmen der ihm vorbehaltenen tatrichterlichen Bewertung die von ihm festgestellten Leistungseinschränkungen - mit Ausnahme des Analphabetismus der Klägerin - als "gewöhnlich", also keine Benennungspflicht auslösend, eingestuft. Dabei hat es sich im Wesentlichen an der vom Großen Senat rezipierten beispielhaften Auflistung derartiger Einschränkungen orientiert. Insofern bedarf es auf der Ebene der Feststellung tatsächlicher Umstände jeweils der Bewertung, ob mit einer festgestellten Leistungseinschränkung für sich und im Zusammenwirken mit gleichwertigen anderen gerade im konkreten Einzelfall die Gefahr verbunden ist, dass der Versicherte auf in Wahrheit nicht existierende Arbeitsmöglichkeiten verwiesen wird, deren Feststellung wiederum Aufgabe des Tatsachengerichts ist. Solange daher der Tatrichter - wie hier das LSG - von einem rechtlich zutreffenden Verständnis der Benennungspflicht und ihrer Voraussetzungen ausgeht, handelt es sich um die Feststellung von Individualtatsachen, an die das Revisionsgericht gemäß § 163 SGG und in dessen Grenzen gebunden ist. Vorliegend ist daher rechtlich ohne konkreten Vergleich der Leistungsfähigkeit mit dem Anforderungsprofil einer bestimmten Tätigkeit im Sinne einer tatsächlichen Vermutung davon auszugehen, dass die Klägerin ihr Restleistungsvermögen noch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwerten kann, also noch imstande ist, "erwerbstätig zu sein", dh durch (irgend)eine (unbenannte) Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen. Damit scheidet auch ein Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aus (§ 43 Abs 1, § 240 Abs 1 SGB VI).

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so ist Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die

1.
vor dem 2. Januar 1961 geboren und
2.
berufsunfähig
sind.

(2) Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Zumutbar ist stets eine Tätigkeit, für die die Versicherten durch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sind. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

Versicherungspflichtig sind

1.
Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind; während des Bezuges von Kurzarbeitergeld nach dem Dritten Buch besteht die Versicherungspflicht fort,
2.
behinderte Menschen, die
a)
in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen oder in Blindenwerkstätten im Sinne des § 226 des Neunten Buches oder für diese Einrichtungen in Heimarbeit oder bei einem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches tätig sind,
b)
in Anstalten, Heimen oder gleichartigen Einrichtungen in gewisser Regelmäßigkeit eine Leistung erbringen, die einem Fünftel der Leistung eines voll erwerbsfähigen Beschäftigten in gleichartiger Beschäftigung entspricht; hierzu zählen auch Dienstleistungen für den Träger der Einrichtung,
3.
Personen, die in Einrichtungen der Jugendhilfe oder in Berufsbildungswerken oder ähnlichen Einrichtungen für behinderte Menschen für eine Erwerbstätigkeit befähigt werden sollen; dies gilt auch für Personen während der individuellen betrieblichen Qualifizierung im Rahmen der Unterstützten Beschäftigung nach § 55 des Neunten Buches,
3a.
(weggefallen)
4.
Mitglieder geistlicher Genossenschaften, Diakonissen und Angehörige ähnlicher Gemeinschaften während ihres Dienstes für die Gemeinschaft und während der Zeit ihrer außerschulischen Ausbildung.
Personen, die Wehrdienst leisten und nicht in einem Dienstverhältnis als Berufssoldat oder Soldat auf Zeit stehen, sind in dieser Beschäftigung nicht nach Satz 1 Nr. 1 versicherungspflichtig; sie gelten als Wehrdienstleistende im Sinne des § 3 Satz 1 Nr. 2 oder 2a und Satz 4. Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft sind in dem Unternehmen, dessen Vorstand sie angehören, nicht versicherungspflichtig beschäftigt, wobei Konzernunternehmen im Sinne des § 18 des Aktiengesetzes als ein Unternehmen gelten. Die in Satz 1 Nr. 2 bis 4 genannten Personen gelten als Beschäftigte im Sinne des Rechts der Rentenversicherung. Die folgenden Personen stehen den Beschäftigten zur Berufsausbildung im Sinne des Satzes 1 Nummer 1 gleich:
1.
Auszubildende, die in einer außerbetrieblichen Einrichtung im Rahmen eines Berufsausbildungsvertrages nach dem Berufsbildungsgesetz ausgebildet werden,
2.
Teilnehmer an dualen Studiengängen und
3.
Teilnehmer an Ausbildungen mit Abschnitten des schulischen Unterrichts und der praktischen Ausbildung, für die ein Ausbildungsvertrag und Anspruch auf Ausbildungsvergütung besteht (praxisintegrierte Ausbildungen).

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

Tenor

I.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 04.03.2010 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf Weiterzahlung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung über den März 2008 hinaus hat.

Der 1958 geborene Kläger übte über viele Jahre eine Berufstätigkeit in der Chemieindustrie aus. Seit 27.03.2006 bestand bei ihm Arbeitsunfähigkeit und in einem Gutachten nach Aktenlage, das P. K. am 21.12.2006 für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung in ... (MDK) erstellt hatte, wurde eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme empfohlen.

Am 08.01.2007 beantragte der Kläger über die AOK ... - die Gesundheitskasse - eine solche Maßnahme, die ihm nach Weiterleitung des Antrags an die Beklagte auch bewilligt wurde. Vom 22.02.2007 bis 29.03.2007 befand sich der Kläger zur medizinischen Rehabilitation in der Fachklinik H. Im dortigen Entlassungsbericht vom 03.04.2007 sind als Diagnosen festgehalten:

1. Gemischte axonale und demyelinisierende sowohl sensible als auch motorische Polyneuropathie mit vegetativer Symptomatik.

2. Zustand nach Infektion mit Epstein-Barr-Virus.

3. Verdacht auf mitochondriale Störung.

4. Verdacht auf Neurodermitis.

Der Kläger wurde als weiterhin arbeitsunfähig entlassen. Eine sozialmedizinische Beurteilung sei erst nach abschließender Diagnostik sinnvoll differenzierbar.

Am 20.06.2007 wurde vom Kläger bei der Beklagten der Formblattantrag für eine Rente wegen Erwerbsminderung eingereicht, woraufhin ihm in Folge der Auswertung sämtlicher vorliegender ärztlicher Unterlagen mit Bescheid vom 27.06.2007 auf der Grundlage eines am 27.03.2006 eingetretenen Leistungsfalles eine zeitlich befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.01.2007 bis 31.03.2008 bewilligt wurde.

Beim Kläger wurde mit Bescheid des Zentrums ... Familie und Soziales Region ... Versorgungsamt vom 27.08.2007 ein Grad der Behinderung (GdB) von 20 wegen Polyneuropathie, psychovegetativen Störungen, Bluthochdruck, Funktionsbehinderung der Wirbelsäule bei degenerativen Veränderungen und Refluxösophagitis festgestellt.

Am 11.01.2008 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Weiterzahlung der Rente über den Wegfallmonat hinaus. Auf Veranlassung der Beklagten wurde der Kläger am 06.03.2008 durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie D. A. untersucht. Im Gutachten vom 18.03.2008 sind als Diagnosen ausgewiesen:

1. Anhaltende somatoforme Schmerzstörung.

2. Hinweise auf Myalgie-Faszikulation-Campisyndrom.

Der Kläger könne unter Berücksichtigung dieser Gesundheitsstörungen zwar nicht mehr seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als angelernter Chemiearbeiter verrichten. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei er jedoch in der Lage, in Tagesschicht bei wechselnder Körperhaltung und ohne Zeitdruck mindestens sechs Stunden täglich leichte Tätigkeiten auszuüben.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 28.03.2008 die Weitergewährung der Rente für die Zeit nach dem 31.03.2008 ab.

Hiergegen legte der Kläger unter Berufung auf ein Attest des Allgemeinmediziners Dr. L. vom 09.04.2008 und die dort bestätigten Schmerzen im Sinne eines nicht gebesserten Fibromyalgie-Syndroms Widerspruch ein.

Zugleich bewilligte die Beklagte dem Kläger eine erneute stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme, diesmal in der Psychosomatischen Klinik in Bad N. . Der dortige Entlassungsbericht vom 31.07.2008 über die in der Zeit vom 29.04.2008 bis 03.06.2008 durchgeführte Maßnahme weist folgende Diagnosen auf:

1. Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode (ohne vorherige Behandlung).

2. Ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstörung.

3. Gemischte axonale und demyelinisierende sensomotorische Polyneuropathie mit vegetativen Symptomen.

4. Mitochondriale Myopathie.

5. Coxarthrose beidseits.

Der Kläger wurde von der Klinik als nur noch unter drei Stunden täglich einsatzfähig für leichte Tätigkeiten angesehen, wobei es sich um Tätigkeiten ohne Anforderungen an Konzentrations-/Reaktionsvermögen bzw. Umstellungs-/Anpassungsvermögen handeln müsse und die Überwachung und Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge, das häufige Bücken, das Ersteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten, das Heben, Tragen und Bewegen von Lasten, Zwangshaltungen, häufig wechselnde Arbeitszeiten, Tätigkeiten mit erhöhter Unfallgefahr, Lärmtätigkeiten und Tätigkeiten mit Anforderungen an die Gang- und Standsicherheit nicht abverlangt werden dürften.

Zu diesem Entlassungsbericht nahm am 24.08.2008 die Vorgutachterin D. A. Stellung und führte aus: In der Zusammenschau zeige sich nach der Reha-Maßnahme beim Kläger lediglich eine leicht ausgeprägte depressive Symptomatik, die in einem ambulant-therapeutischen Setting anzugehen sei; ihre Einschätzung der beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers bleibe unverändert.

Dagegen war Frau Dr. T. vom Ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit in B-Stadt in ihrem Aktenlagegutachten vom 08.08.2008 der Auffassung gewesen, dass der Kläger nicht in der Lage sei, Tätigkeiten von wirtschaftlichem Wert zu erbringen. Die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. vom Ärztlichen Dienst der Beklagten kam bei Durchsicht der Akten und Unterlagen am 24.10.2008 zum Ergebnis, dass sie der sozialmedizinischen Beurteilung von Frau A. folge: Der Kläger könne noch zumindest leichte Arbeiten täglich sechs Stunden und mehr verrichten, wobei es sich um solche im Wechselrhythmus, ohne besonderen Zeitdruck, ohne Nachtschicht und ohne Absturzgefahr handeln müsse.

Auf Nachfrage der Beklagten und nach Weiterleitung weiterer ärztlicher Befunde gelangte Frau Dr. T. vom Ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit in B-Stadt am 15.12.2008 - nunmehr nach Untersuchung des Klägers - zur Feststellung, dass dieser ohne zeitliche Einschränkung für eine Tätigkeit mit der Möglichkeit zum Wechseln der Körperhaltung einsatzfähig sei.

Die Beklagte holte eine Auskunft beim früheren Arbeitgeber des Klägers, der Firma H., ein, die diese am 14.01.2009 abgab. Danach habe der Kläger eine Facharbeitertätigkeit ausgeübt, allerdings ohne Lehre und ohne entsprechende Prüfung; seine Kenntnisse habe er durch langjährige Berufserfahrung (seit 1981 im Betrieb) erworben. Zuletzt sei er seit 2002 nach der Entgeltgruppe E08 als Schichtleiter entlohnt worden. In dieser Lohngruppe sind nach den beigefügten tariflichen Unterlagen Arbeitnehmer eingeordnet, die über die Gruppe E07 hinaus zusätzliche Qualifikationen erfüllen; in der Gruppe E07 werden regelmäßig Arbeitnehmer eingeordnet, die eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf erworben haben.

Der Sozialmediziner Dr. L. äußerte am 02.02.2009, dass aus seiner ärztlichen Sicht keine Bedenken bestünden, wenn der Kläger u. a. auf Tätigkeiten in einer Poststelle, in der Museumsaufsicht oder als Bürohilfskraft verwiesen werden würde.

Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 20.02.2009 zurück: Die Feststellungen im Attest des behandelnden Arztes Dr. L. vom 09.04.2008 sowie im Entlassungsbericht der Psychosomatischen Klinik Bad N. vom 31.07.2008 würden nicht dazu führen, dass beim Kläger das Vorliegen von voller Erwerbsminderung auch für die Zeit nach dem 31.03.2008 belegt sei. Eine Divergenz mit dem Ärztlichen Dienst der Agentur für Arbeit bestehe nicht mehr. Eine relevante depressive Störung oder Persönlichkeitsstörung sei bisher nicht hinreichend belegt: Der Kläger sei ohne zeitliche Einschränkung sowohl auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als auch in Verweisungstätigkeiten, die nicht einfachster Art seien, einsetzbar. In Frage kämen u. a. eine Tätigkeit als Packer, Pförtner an der Nebenpforte, Poststellenmitarbeiter, Museumsaufseher, Bürohilfskraft sowie Warenaufmacher/Versandfertigmacher.

Mit Schreiben vom 05.03.2009 hat der Kläger am 09.03.2009 Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben. Das Sozialgericht hat einen Versicherungsverlauf vom 26.04.2009 beigezogen und Befundberichte bei den behandelnden Ärzten Dr. B. und Dr. L. angefordert. Die Klägerseite hat weitere ärztliche Unterlagen von Dr. L., Dr. B., Dr. L. und Dr. K. vorgelegt.

Das Sozialgericht hat daraufhin Gutachten durch den Arzt für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapie Dr. E. sowie durch den Internisten und Umweltmediziner sowie Facharzt für Arbeitsmedizin Dr. Sch. erstellen lassen. Zusammengefasst sind in den Gutachten vom 11.11.2009 und 23.11.2009 folgende Gesundheitsstörungen beim Kläger beschrieben worden:

1. Somatisierungsstörung.

2. Verdacht auf gemischte Polyneuropathie.

3. Bluthochdruck, behandlungsbedürftig.

4. Seborrhoische Dermatitis.

5. Osteochondrose der Halswirbelsäule.

6. Verdacht auf transitorisch-ischämische Attacke.

Die Vordiagnose einer Fibromyalgie ist nicht übernommen worden. Nach den eigenen Untersuchungen sei eine erheblich ausgeprägte depressive Störung nicht nachvollziehbar. Der Kläger könne noch täglich sechs Stunden und mehr leichte und mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Stellung in geschlossenen Räumen ausüben. Vermieden werden müssten unfallgefährdete Arbeitsplätze wie z. B. Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten mit Absturzgefahr, besondere Belastungen des Bewegungs- und Stützsystems wie überwiegendes Stehen und Gehen, häufiges Heben und Tragen von Lasten, häufiges Überkopfarbeiten und Arbeiten in Zwangshaltungen. Außerdem gelte dies auch für Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung, insbesondere im Akkord, in Nachtschicht, in Zeitdruck, am Fließband sowie mit besonderer Verantwortung.

Auf Einwände des Klägers gegen die Gutachten hin hat das Sozialgericht bei Dr. Sch. eine ergänzende Stellungnahme eingeholt, die dieser am 03.02.2010 erstellt hat. Der ärztliche Sachverständige hat hinsichtlich der Gesundheitsstörungen den Verdacht auf eine transitorisch-ischämische Attacke nicht beibehalten, die Ausführungen zur bestehenden Osteochondrose etwas spezifiziert und ergänzend das Vorliegen einer geringgradig ausgeprägten chronischen mikroangiopathischen Perfusionsstörung sowie eines Zustands nach Innenmeniskushinterhornteilresektion bei degenerativer Innenmeniskushinterhornläsion benannt. Eine Änderung der Leistungsbeurteilung ergebe sich aus diesen Modifikationen jedoch nicht. Durch den operativ behandelten Meniskusschaden vom November 2009 liege eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit vor, die aber nicht über zehn Wochen hinausgehen sollte.

In der mündlichen Verhandlung vom 04.03.2010 hat die Klägerseite geltend gemacht, dass der Kläger eine Facharbeitertätigkeit ausgeübt habe. Das Sozialgericht hat darauf hingewiesen, dass der Kläger selbst in einem solchen Fall nicht berufsunfähig sei, da er sich sozial zumutbar auf eine Tätigkeit als angelernte Registraturkraft in größeren Unternehmen oder im öffentlichen Dienst verweisen lassen müsste.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 04.03.2010 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich insbesondere aus den Gutachten des Dr. E. und des Dr. Sch. keine zeitliche Einschränkung des Einsatzvermögens des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ergebe. Der Kläger sei zur Überzeugung der Kammer zwar in die Gruppe der Facharbeiter einzustufen, könne jedoch auf die Tätigkeit einer angelernten Registraturkraft verwiesen werden. Der Kläger könne sich auch innerhalb von drei Monaten in eine derartige Tätigkeit einarbeiten.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger mit Telefaxschreiben vom 25.05.2010 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Der Kläger hat geltend gemacht, dass die bei ihm vorliegende Myopathie wohl mit dem Umgang mit chemischen Giftstoffen in Farbpigmenten, die zur Herstellung von Farbschäumen eingesetzt worden seien, zusammenhänge. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts liege bei ihm eine zeitliche Einschränkung seines Einsatzvermögens vor. Zudem fehle es ihm an jeglichen Vorkenntnissen, die ihm eine Verweisung auf die Tätigkeit eines Registrators zumutbar machen würden. Vorgelegt worden sind hierzu Unterlagen aus der Datenbank BERUFENET der Bundesagentur für Arbeit.

Der Senat hat einen Befundbericht bei Dr. L. eingeholt, der angegeben hat, dass er den Kläger wegen einer gestörten Patienten-/Arztbeziehung seit August 2010 nicht mehr gesehen habe und ihm auch alle zur Verfügung stehenden Unterlagen mitgegeben habe. Der Kläger hat auf Nachfrage des Senats mitgeteilt, beim Hausarzt Dr. D. in A-Stadt sowie bei dem Radiologen Dr. G. und den HNO-Ärzten Dres. H./H., den Augenärzten Dres. G./B. und den Hautärzten Dres. N./W. in laufender Behandlung zu stehen. Der Senat hat zunächst einen Befundbericht bei Dr. D. eingeholt, worin angegeben ist, dass bei den Gesundheitsstörungen des Klägers im Prinzip keine Änderung erkennbar sei. Zu den vom Hausarzt mitübersandten umfangreichen ärztlichen Unterlagen hat am 19.03.2012 Dr. Sch. vom Beratungsärztlichen Dienst der Beklagten Stellung genommen. Danach sei durch die Berichte das Vorliegen einer Minderung des Leistungsvermögens des Klägers im Erwerbsleben in quantitativem Umfang nicht bestätigt worden. Auch sei ein aufgehobenes Umstellungsvermögen für hervorgehobene Verweisungstätigkeiten nicht zu belegen. Es kämen weiterhin Verweisungstätigkeiten in der Poststelle und als Registrator in Frage. Eine weitere gleichgelagerte Äußerung von Dr. Sch. ist am 10.07.2012 erfolgt.

Der Senat hat weitere ärztliche Unterlagen und Befundberichte von Dr. G., Dr. I., Dr. G. und Dr. M. eingeholt sowie ärztliche Unterlagen vom Klinikum B-Stadt beizogen und dann den Chefarzt der Inneren Klinik der Dr. N. mit einer Gutachtenerstellung beauftragt. Dieser hat den Kläger am 16.01.2013 untersucht und in seinem Gutachten vom 14.03.2013 folgende Diagnosen benannt:

1. Arterielle Hypertonie ohne sichere Organkomplikation.

2. Seborrhoische Dermatitis.

3. Osteochondrose der Halswirbelsäule.

4. Somatisierungsstörung.

5. Verdacht auf gemischte Polyneuropathie (übernommene Diagnose).

Der Kläger könne unter Berücksichtigung dieser Gesundheitsstörungen täglich mindestens sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig sein und hierbei mittelschwere oder leichte körperliche Arbeiten in wechselnder Stellung überwiegend in geschlossenen Räumen verrichten. Ihm sei auch die Tätigkeit eines Registrators aus ärztlicher Sicht zumutbar. Unzumutbar seien dagegen Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung, mit besonderer Belastung des Bewegungs- und Stützsystems, an unfallgefährdeten Arbeitsplätzen sowie unter ungünstigen äußeren Bedingungen, insbesondere bei Einwirkung von Hautreizstoffen.

Der Kläger hat im Weiteren geltend gemacht, dass er sich einer Krampfadern-Behandlung in der Klinik D. habe unterziehen müssen und seither an starken Schmerzen leide. Auf die Einwände des Klägers, dass seine Gesundheitsstörungen - insbesondere auf nervenärztlichem Gebiet - nicht voll umfänglich erfasst seien, hat der Senat eine ergänzende Stellungnahme beim Arzt für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapie Dr. E. eingeholt, die dieser am 23.08.2013 abgegeben hat. Danach seien die neu vorliegenden Befunde weitgehend vergleichbar mit denen des Gutachtens vom 11.11.2009 und relevante Veränderungen auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet seien nicht eingetreten. Nach Durchsicht der Akten sei an den Aussagen des Gutachtens vom 11.11.2009 auch in sozialmedizinischer Hinsicht festzuhalten.

Der Senat hat sich einen Versicherungsverlauf des Klägers vom 18.10.2003 vorlegen lassen. Danach sind beim Kläger letztmalig im Januar 2009 Pflichtbeitragszeiten verzeichnet gewesen. Allerdings sind bis zur Rentenantragstellung lückenlos rentenrechtlich relevante Zeiten seit 1984 angegeben.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist ein Gutachten durch den Facharzt für Allgemeinmedizin, Psychiatrie, Psychotherapie und psychosomatische Medizin Dr. C. eingeholt worden, der den Kläger am 24.03.2014 und 25.03.2014 untersucht und in seinem Gutachten vom 03.04.2014 die Gesundheitsstörungen beim Kläger auf seinem Fachgebiet als Fibromyalgiesyndrom und Verdacht auf Polyneuropathie erfasst hat. Das Leistungsvermögen bei einem Fibromyalgiesyndrom sei stark schwankend. Bei kalter Witterung, nach körperlicher Belastung und bei seelischen Belastungen könne es praktisch aufgehoben sein. Eine klare Verschlechterung der gesundheitlichen Situation des Klägers lasse sich keinem bestimmten Zeitpunkt zuordnen. Eine Erwerbstätigkeit zwischen drei und sechs Stunden täglich, eher im unteren Bereich, dürfte den Beschwerden am ehesten leidensgerecht sein. Belastungen, die mit Exposition von Nässe, Kälte, Zugluft, Lärm, Nachtarbeit, erhöhten Anforderung an die Konzentration, Absturzgefahr oder Reizstoffen verbunden seien, seien dem Kläger nicht zumutbar. Im Fall des Klägers stehe der große diagnostische Aufwand in einem starken Gegensatz zu den geringen therapeutischen Bemühungen. Eine Behandlung in einer spezialisierten Klinik, z. B. einer auf Fibromyalgie spezialisierten Rheumaklinik, wäre dringend zu empfehlen. Unter dieser Voraussetzung könnte eine Stabilisierung der Leistungsfähigkeit im Rahmen zwischen drei und sechs Stunden pro Tag erreichbar sein, die derzeit zumindest regelmäßig nur mit großen Einschränkungen für wahrscheinlich zu halten sei.

Zu dem Gutachten hat Dr. Sch. vom Ärztlichen Dienst der Beklagten vom 09.05.2014 eine Stellungnahme abgegeben, wonach im Gutachten eine Leistungsfähigkeit von drei bis sechs Stunden genannt worden sei und ein unter sechsstündiges Leistungsvermögen nicht attestiert worden sei. Eine rentenrechtlich relevante Einschränkung bestehe beim Kläger nicht.

Der Kläger hat im Folgenden geltend gemacht, dass er sich zur Abklärung einer eventuellen Hirnschädigung in die Fachklinik für Neurologie in D. habe begeben müssen und dort computertomographische Verzerrungen des Kleinhirns festgestellt worden seien.

Auf Antrag des Klägers ist eine ergänzende Stellungnahme bei Dr. C. eingeholt worden. Dieser hat am13.10.2014 ausgeführt, dass der Kläger nach eigenen Angaben Medikamente wegen einer Medikamentenunverträglichkeit nicht einnehme, ohne dass es über die möglichen Nebenwirkungen Unterlagen gebe. Allerdings würde eine fehlende Schmerzmedikation nicht zwingend gegen das Vorliegen von Schmerzen im Rahmen eines Fibromyalgiesyndroms sprechen. Bei der Begutachtung des Fibromyalgiesyndroms bestehe allerdings die Gefahr einer Überbewertung von objektivierbaren Befunden und einer Unterbewertung von schwer zu fassenden weichen Symptomen. Er halte deshalb an seiner Einschätzung des Leistungsvermögens zwischen drei und sechs Stunden fest. Wegen der stark wechselnden Leistungsfähigkeit bestehe jedoch die Gefahr von häufigen Arbeitsunfähigkeiten. Auch wenn dies nicht explizit dokumentiert worden sei, bedeute dies, dass eine über sechsstündige Leistungsfähigkeit nicht vorliege.

In der mündlichen Verhandlung vom 21.01.2015 stellt der Kläger heraus, dass er die Tätigkeit eines angelernten Registrators jedenfalls wegen der bei ihm festgestellten qualitativen Einschränkungen nicht ausüben könne.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 04.03.2010 und den Bescheid der Beklagten vom 28.03.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger über den 31.03.2008 hinaus eine Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 04.03.2010 zurückzuweisen.

Zur Ergänzung wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der beigezogenen Akte des Zentrums ... Familie und Soziales und der ebenfalls beigezogenen Akte der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Weitergewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung über März 2008 hinaus hat. Auch kommt derzeit keine andere Rentengewährung in Betracht.

Zu beachten ist dabei, dass eine zeitlich befristete Rente mit dem Wegfalldatum ausläuft und das Vorliegen von Erwerbsminderung als Voraussetzung für einen sich anschließenden erneuten Rentenanspruch an der Erfüllung der Voraussetzungen zum Zeitpunkt der beantragten Weitergewährung zu messen ist. Es kommt anders als bei der Entziehung einer Dauerrente also nicht darauf an, dass eine Besserung der gesundheitlichen Situation gegenüber dem vorherigen Zustand belegt wird. Der Senat geht im Übrigen davon aus, dass der Antrag auf Weitergewährung der Erwerbsminderungsrente über den Wegfallzeitpunkt hinaus als Hilfsantrag auch eine erneute Rentengewährung zu einem späteren Zeitpunkt mitbeinhaltet.

Ein Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung setzt nach § 43 Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) voraus, dass ein Versicherter voll erwerbsgemindert ist, in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung 3 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit aufzuweisen hat und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt hat.

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, die in gleicher Weise für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gelten, hat der Kläger bei Stellung des Weitergewährungsantrages eindeutig erfüllt gehabt. Dies betraf sowohl die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren (§ 50 Abs. 1 SGB VI), die der Kläger schon vor 1984 erfüllt hatte, als auch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, die mindestens 36 Monate Pflichtbeiträge in den letzten 5 Jahren vor dem medizinischen Leistungsfall fordern. Nachdem der Kläger aber nach Januar 2009 keine rentenrechtlichen Zeiten mehr aufzuweisen hat, wären bei einem erneuten Eintritt einer rechtlich bedeutsamen Erwerbsminderung in der Folgezeit und somit einem neuen medizinischen Leistungsfall diese Voraussetzungen unmittelbar - auch unter Anwendung von § 43 Abs. 4 SGB VI - nur bis zum Februar 2011 erfüllbar. Bei einem evtl. erst später eingetretenen erneuten medizinischen Leistungsfall würde jedoch durch die Anwendung von § 241 Abs. 2 SGB VI aus versicherungsrechtlicher Sicht eine Rentengewährung ebenfalls noch möglich sein: Nachdem beim Kläger vor 1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt war und seitdem bis zur Rentenantragstellung, d. h. dem Weitergewährungsantrag, dem hilfsweise ein Neuantrag innewohnt, lückenlos alle Kalendermonate ab 1984 mit rentenrechtlich relevanten Zeiten belegt waren und der Kläger für die Zeit ab Februar 2009 wegen § 198 i. V. m. § 197 Abs. 2 SGB VI noch freiwillige Beiträge nachentrichten könnte - ohne dass dies wegen des Wortlauts des § 241 Abs. 2 SGB VI derzeit tatsächlich erfolgen müsste - sind auch für eventuelle aktuelle medizinische Leistungsfälle die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen noch erfüllt.

Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die medizinischen Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 SGB VI erfordern, dass ein Versicherter nicht mindestens 6 Stunden täglich einsatzfähig ist. Ergänzend führt § 43 Abs. 3 SGB VI aus, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Eine zeitliche Einsatzfähigkeit des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als 3 Stunden täglich wird aktuell von keinem Arzt mehr explizit vertreten. Frau Dr. T. hat ihre anfängliche Auffassung über das Vorliegen einer derartigen Einschränkung im Dezember 2008 ausdrücklich aufgegeben. Der früher behandelnde Hausarzt Dr. L., der den Kläger im August 2010 letztmals gesehen hat, hatte auch damals nur allgemein von Nichterwerbsfähigkeit gesprochen, ohne dies detaillierter aus den Gesundheitsstörungen des Klägers abzuleiten und mit den quantitativen Einschränkungen, wie sie für eine volle Erwerbsminderung erforderlich sind, in Beziehung zu setzen. Für das unmittelbare Vorliegen von voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI gibt es also keinerlei Belege.

Dagegen wird nach Auffassung der Klägerseite durch die gutachterlichen Feststellungen des Dr. C. eine zeitliche Einschränkung des Einsatzvermögens des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als 6 Stunden täglich belegt. Dies entspräche einer teilweisen Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI und würde die hilfsweise beantragte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung oder im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG zur Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes (vgl. die Rechtsprechungsnachweise bei Gürtner in: Kasseler Kommentar, Stand April 2010, § 43 SGB VI Rn. 30 ff) eine Rente wegen voller Erwerbsminderung nach sich ziehen. Dazu ist allerdings darauf hinzuweisen, dass Dr. C. die Einsatzfähigkeit als zwischen 3 und 6 Stunden angesiedelt sieht und auch in Kenntnis der divergenten Schlussfolgerungen über seine Einschätzung die Formulierung so beibehält und zur „Klarstellung“ zusätzlich ergänzt, dass eine „über 6-stündige Leistungsfähigkeit“ beim Kläger nicht vorliege. Der Kläger kann sich nur darauf berufen, dass der Gutachter zusätzlich textlich ausgeführt hat, dass er den Kläger eher am unteren Ende des von ihm genannten Leistungsspektrums für adäquat einsetzbar ansehe.

Zur Überzeugung des Senats besteht beim Kläger ab April 2008 jedoch wieder ein 6-stündiges Einsatzvermögen an geeigneten Arbeitsplätzen des allgemeinen Arbeitsmarktes, wenn auch zeitweilig Arbeitsunfähigkeit vorgelegen hat. Der Senat schließt sich den Ausführungen und sozialmedizinischen Schlussfolgerungen des Dr. C. aus folgenden Gründen nicht an:

Zum einen verteidigt Dr. C. seine Einschätzung damit, dass bei einem Krankheitsbild wie dem des Klägers die objektiven Befunde nicht überbewertet werden dürfen - die anscheinend auch nach Auffassung des Dr. C. eine zeitliche Einschränkung nicht rechtfertigen - und den subjektiven Darstellungen große Bedeutung zukäme. Der Senat hält es jedoch für erforderlich, dass subjektive Krankheitsanzeichen und testpsychologische Ergebnisse immer an der übrigen ärztlichen Diagnostik validiert werden. Hier lassen weder der Tagesablauf, wie er bei Dr. E. und Dr. C. erhoben worden ist, noch die eingeschränkte Bereitschaft zur Durchführung von ärztlicher Behandlung sich als Bestätigung der vom Kläger vorgetragenen weitergehenden Einschränkungen heranziehen.

Zudem räumt auch Dr. C. ein, dass die therapeutischen Ansätze beim Kläger nur sehr geringe Umsetzung erfahren haben; für die vom Kläger geltend gemachte Medikamentenunverträglichkeit z. B. fehlt es trotz der als sehr umfangreich bezeichneten Diagnostik an sicheren Belegen. Und schließlich führen Zeiten vorübergehender Arbeitsunfähigkeit, auch wenn sie häufiger auftreten, nicht dazu, dass allein deshalb die Zeitdauer der täglichen Einsatzzeit zu reduzieren wäre. Eine solche Sichtweise könnte aber der Grund dafür sein, dass Dr. C. den Kläger eher dem unteren Bereich des von ihm für möglich erachteten Leistungsspektrums zugeordnet hat, wie dessen Ausführungen nahe legen.

In allen übrigen von der Beklagten, dem Sozialgericht Nürnberg und dem Senat eingeholten Gutachten werden die Gesundheitsstörungen des Klägers dagegen nicht als schwere Beeinträchtigung auf psychischem Gebiet - Depression und Schmerzerkrankung - angesehen. Entscheidend ist dabei nicht die Diagnose der Fibromyalgie oder der Somatisierungsstörung oder Schmerzerkrankung, sondern das im konkreten Einzelfall damit verbundene Funktionsdefizit. Die Einsatzfähigkeit des Klägers bei einer geeigneten leichten Tätigkeit wird in den anderen Gutachten - d. h. außer bei Dr. C. - klar mit - zumindest - 6 Stunden täglich angesetzt. Der Senat folgt dabei insbesondere den aktuellen Gutachten und Stellungnahmen des Dr. N. und des Dr. E.. Das Leistungsbild des Klägers umfasst danach in diesem zeitlichen Rahmen die Ausübung einer leichten, zeitweilig auch bis zu mittelschweren körperlichen Tätigkeit im Wechsel der Arbeitshaltung überwiegend in geschlossenen Räumen. Dem Kläger können Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung, insbesondere im Akkord, in Nachtschicht, in Zeitdruck, am Fließband sowie mit besonderer Verantwortung und Tätigkeiten unter ungünstigen äußeren Bedingungen, insbesondere bei Einwirkung von Hautreizstoffen, nicht zugemutet werden. Vermieden werden müssen unfallgefährdete Arbeitsplätze wie z. B. Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten mit Absturzgefahr, besondere Belastungen des Bewegungs- und Stützsystems wie überwiegendes Stehen und Gehen, häufiges Heben und Tragen von Lasten, häufiges Überkopfarbeiten und Arbeiten in Zwangshaltungen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts werden psychische Erkrankungen erst dann rentenrechtlich relevant, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant und stationär) davon auszugehen ist, dass ein Versicherter die psychischen Einschränkungen dauerhaft nicht überwinden kann - weder aus eigener Kraft, noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe (BSG Urteil vom 12.09.1990 5 RJ 88/89; BSG Urteil vom 29.02.2006 - B 13 RJ 31/05 R - jeweils zitiert nach juris; BayLSG Urteil vom 21.03.2012 - L 19 R 35/08). Von zentraler Bedeutung ist im vorliegenden Fall, dass bei den Erkrankungen des Klägers auf psychischem Gebiet nach Aussage praktisch aller ärztlichen Sachverständigen die Behandlungsoptionen tatsächlich noch nicht ausgeschöpft erscheinen und somit ein nicht mehr beeinflussbarer Gesundheitszustand in dieser Hinsicht nicht besteht.

Eine Rente wegen Erwerbsminderung - und zwar wegen voller Erwerbsminderung - käme allerdings auch dann in Betracht, wenn zwar nicht der Gesetzeswortlaut erfüllt wäre aber die Voraussetzungen für einen von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Ausnahmefall (sog. Katalogfall) vorliegen würden, wonach unter besonderen Voraussetzungen - trotz an sich nicht eingeschränkter zeitlicher Einsatzfähigkeit - ausnahmsweise ein Einsatz im Erwerbsleben ausgeschlossen wäre. Für die Prüfung ist nach dem BSG (Urt. v. 09.05.2012, B 5 R 68/11 R - zitiert nach juris) mehrschrittig vorzugehen. Zunächst ist festzustellen, ob mit dem Restleistungsvermögen Verrichtungen erfolgen können, die bei ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden, wie Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Maschinenbedienung, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen. Wenn sich solche abstrakten Handlungsfelder nicht oder nur unzureichend beschreiben lassen und ernste Zweifel an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen kommen, stellt sich im zweiten Schritt die Frage nach der besonderen spezifischen Leistungsbehinderung oder der Summierung ungewöhnlicher Einschränkungen und, falls eine solche Kategorie als vorliegend angesehen wird, wäre im dritten Schritt von der Beklagten eine Verweisungstätigkeit konkret zu benennen und die Einsatzfähigkeit dann hinsichtlich dieser Tätigkeit abzuklären (vgl. Gürtner in: Kasseler Kommentar, Stand August 2012, § 43 SGB VI Rn. 37 m. w. N.). Für den Senat ergeben sich bereits keine ernsthaften Zweifel an der Einsatzfähigkeit des Klägers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, da keiner der Basisbereiche vollständig ausgeschlossen, sondern nur bestimmte Bedingungen beachtet werden müssen. Aber selbst wenn man aus den Einwänden der Klägerseite das Vorliegen ernstlicher Zweifel herzuleiten versuchen wollte, so würden sich die beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen jedenfalls nicht als schwere spezifische Behinderung wie etwa eine - ggf. funktionale - Einarmigkeit und auch nicht als Summierung von ungewöhnlichen Einschränkungen darstellen. Die beim Kläger festgestellten Einschränkungen der Arbeitsbedingungen sind gerade nicht so weitgehend, dass sie zum Ausschluss ganzer Tätigkeitsfelder führen. So sind beispielsweise die Einschränkungen der Sinneswahrnehmung sehr moderat.

Auch ist die Wegefähigkeit unproblematisch gegeben, zumal der Kläger selbst längere Gehstrecken als die hierfür erforderlichen 500m eingeräumt hat.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass die teilweise berichtete gesundheitliche Verschlechterung zu einem späteren Zeitpunkt, z. B. zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung, zur Erfüllung der vorgenannten medizinischen Voraussetzungen geführt hätte.

Dementsprechend lässt sich beim Kläger weder das Vorliegen von voller, noch von teilweiser Erwerbsminderung überzeugend belegen und daraus auch kein Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente ableiten. Weder der Hauptantrag, noch der erste Hilfsantrag des Klägers auf Rentengewährung haben dabei Erfolg.

Der Senat kommt auch zum Ergebnis, dass beim Kläger keine Berufsunfähigkeit vorliegt und er deshalb keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit im Anschluss an die Zeitrentengewährung hat.

Nach § 240 Abs. 1 SGB VI haben Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auch Versicherte, die vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig sind.

Der Kläger gehört unproblematisch zu dem von § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI erfassten Personenkreis, da sein Geburtsdatum vor dem dort genannten Stichtag liegt.

Der Kläger ist jedoch nicht berufsunfähig im Sinne dieser Vorschrift. Nach § 43 Abs. 2 SGB VI sind berufsunfähig Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als 6 Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach dem die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und Ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens 6 Stunden täglich ausüben kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Für den Senat ergibt sich aufgrund des oben dargestellten Leistungsbildes des Klägers, dass dieser gesundheitlich nicht mehr in der Lage ist, seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Schichtleiter in der chemischen Industrie weiterhin täglich mindestens 6 Stunden auszuüben. Berufsunfähigkeit bestünde entsprechend der gerade zitierten gesetzlichen Regelung des § 240 Abs. 2 SGB VI jedoch nur dann, wenn der Kläger auch nicht mehr in der Lage wäre, eine zumutbare Verweisungstätigkeit mindestens 6 Stunden täglich auszuüben. Zur Überzeugung des Senats kann der Kläger jedoch auch weiterhin eine zumutbare Verweisungstätigkeit ausüben.

Eine Verweisungstätigkeit ist dann zumutbar, wenn ein Versicherter sie nach einer Einarbeitung von bis zu drei Monaten wettbewerbsfähig ausüben kann, dabei gesundheitlich nicht überfordert ist und auch die soziale Zumutbarkeit gegeben ist.

Zur Überprüfung der letzteren Bedingung hat das Bundessozialgericht die Berufe in ein so genanntes Mehrstufenschema eingeteilt (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 09.09.1986, Az. 5b RJ 82/85 zitiert nach juris). Die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit eines Schichtleiters in der chemischen Industrie ist nach dem vorgelegten Tarifvertrag der Ebene der Facharbeiter in einem anerkannten Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungsdauer von drei Jahren, mindestens aber mehr als zwei Jahren zuzuordnen. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Kläger seine Kenntnisse nicht durch Absolvieren der zugehörigen Ausbildung, sondern durch ein Heraufarbeiten im Rahmen langjähriger Berufserfahrung gewonnen hatte. Umgekehrt bedeutet die Zuordnung zur Entgeltgruppe E08 noch nicht, dass der Kläger der obersten Stufe im Mehrstufenschema hätte zugeordnet werden müssen. Zwar sind bereits in der Entgeltgruppe E07 Facharbeiter eingruppiert, doch ist die Tätigkeit des Klägers nicht vollumfänglich die eines Meisters oder anderweitig Vorgesetzten gewesen. Allein die Aufgabe der Gruppenführung von ungelernten und angelernten Mitarbeitern innerhalb einer Schicht erfordert nicht zwingend die Zuordnung zur obersten Stufe. Zur Überzeugung des Senats ist das Sozialgericht zutreffend von einer Einordnung des Klägers in die Gruppe der Facharbeiter ausgegangen.

Eine Verweisungstätigkeit ist dann als sozial zumutbar anzusehen, wenn sie zumindest der nächst niedrigeren Stufe des Mehrstufenschemas angehört. Dies sind im Fall eines Facharbeiters die qualifiziert angelernten Tätigkeiten. Eine derartige qualifiziert angelernte Tätigkeit ist beispielsweise die von der Beklagten benannte Tätigkeit eines qualifizierten Registrators mit einer Anlernzeit von üblicherweise drei Monaten oder mehr. Der Kläger kann innerhalb einer Einarbeitungszeit von bis zu drei Monaten wettbewerbsfähig in eine derartige Tätigkeit eingearbeitet werden. Bei ihm sind keine besonderen Einschränkungen der Umstellungsfähigkeit nachgewiesen; insbesondere hat der Kläger auch bereits in der Vergangenheit elektronische Datenverarbeitung (Computer) als Hilfsmittel genutzt; dies ist etwa auch ersichtlich geworden in den vom Kläger am PC erstellten Listen über die bei ihm diagnostizierten Erkrankungen, die er zum Begutachtungstermin mitgebracht hat.

Auch in gesundheitlicher Sicht stellt die Tätigkeit des Registrators keine Überforderung dar. Es handelt sich dabei weit überwiegend um eine leichte Arbeit. Sie ist regelmäßig in geschlossenen Räumen zu erbringen und ermöglicht den Wechsel der Körperhaltung. Akkordarbeit, Fließbandarbeit und Nachtschicht fallen nicht an. Zwar sind beim Kläger häufiges Überkopfarbeiten und das Besteigen von Leitern zu vermeiden. Ein gelegentliches Strecken oder der Einsatz einer Tritthilfe zum Erreichen der üblichen oberen Regalfächer ist nach Auffassung des Senats von den vorgegebenen Ausschlüssen der Einsatzbedingungen nicht erfasst. Wenn zu einzelnen Terminen einmal Zeitdruck vorliegt, so ist dies als Ausnahme einzuordnen und absehbar kurz.

Der Kläger muss sich dementsprechend auf die Tätigkeit eines angelernten Registrators als geeignete Verweisungstätigkeit verweisen lassen; er ist auch nicht berufsunfähig.

Die angefochtenen Bescheide der Beklagten und die hierzu ergangene erstinstanzliche Entscheidung sind somit insgesamt im Ergebnis nicht zu beanstanden und die Berufung ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2011 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 10. Dezember 2007 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit gewähren muss.

2

Die 1954 geborene Klägerin hat keine Schule besucht und keinen Beruf erlernt. Sie ist auch in ihrer türkischen Muttersprache (primäre) Analphabetin, weil sie keine Zahlen kennt, nur minimale Buchstabenkenntnisse besitzt und deshalb selbst mit fremder Hilfe weder lesen noch schreiben kann. In Deutschland arbeitete sie ab November 1987 bis zum Beginn ihrer Arbeitsunfähigkeit im September 2004 durchgehend als Reinigungskraft bei der Stadt B.

3

Sie leidet an einer Wirbelsäulenerkrankung ohne neurologische Ausfallerscheinungen, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und einer depressiven Erkrankung. Trotz dieser Krankheiten kann sie noch körperlich leichte Tätigkeiten sechs (und mehr) Stunden an fünf Tagen in der Woche regelmäßig verrichten. Auszuschließen sind Arbeiten mit Knien, Hocken, häufigem Bücken, über Kopf, mit Besteigen von Leitern und Gerüsten, unter Umwelteinflüssen (wie Kälte, Hitze, Temperaturschwankungen, Nässe, Staub, Gas, Dampf, Rauch, Lärm, Schmutzeinwirkung), in Wechsel- und Nachtschicht, unter zeitlichem Druck, wie bei Akkord- oder Fließbandarbeit, sowie mit häufigem Publikumsverkehr. Der Analphabetismus der Klägerin beruht nicht auf einer gesundheitlichen Störung.

4

Ihren Antrag vom 21.6.2005 auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit lehnte die Beklagte ab, weil sie noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein könne (Bescheid vom 22.9.2005 und Widerspruchsbescheid vom 6.1.2006). Die Klage blieb erfolglos (Urteil des SG Detmold vom 10.12.2007).

5

Das LSG hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung ausgehend von einem am 21.6.2005 eingetretenen Leistungsfall befristet bis zum 31.1.2014 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen (Urteil vom 21.2.2011): Die Klägerin habe die allgemeine Wartezeit zurückgelegt, erfülle die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen und sei voll erwerbsgemindert. Denn ihr sei der Arbeitsmarkt unter dem Gesichtspunkt einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen praktisch verschlossen. Zwar seien die qualitativen Leistungseinschränkungen nach der Rechtsprechung des 5. Senats des BSG, der sich der erkennende Senat anschließe, nicht ungewöhnlich und ließen für sich allein noch keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen, dass die Klägerin in einem Betrieb einsetzbar sei. Gleichwohl seien keine beruflichen Tätigkeiten ersichtlich, die sie auf der Grundlage ihres Restleistungsvermögens und ihres muttersprachlichen Analphabetismus noch verrichten könne. Der Analphabetismus sei bei der Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliege, zu berücksichtigen, wenn das weite Feld der Tätigkeiten, die die Fähigkeit des Lesens und Schreibens nicht unbedingt erforderten, aufgrund weiterer Leistungseinschränkungen und der Beschränkung des Restleistungsvermögens auf nur leichte Arbeiten nicht mehr zweifelsfrei offenstehe. Eine realistische Verwertung des Restleistungsvermögens im Erwerbsleben setze voraus, dass eine Verweisungstätigkeit den Kräften und Fähigkeiten des Versicherten entspreche, wodurch sichergestellt werde, dass keine vom tatsächlichen Leistungsvermögen losgelöste, also fiktive Verweisung erfolge. Eine konkrete Verweisungstätigkeit, die die Klägerin mit den verbliebenen Fähigkeiten noch verrichten könne, sei indes nicht ersichtlich. Die Tätigkeiten als Museumswärterin/Aufseherin, Küchenhilfe, Büglerin, Mitarbeiterin in einer Mangel, Warensortiererin in der Kunststoff- und Metallindustrie oder in der Papier- und Elektroindustrie, die die Beklagte benannt habe, könne die Klägerin teils aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen, teils aufgrund des Analphabetismus nicht mehr ausüben.

6

Mit der Revision, die das LSG zugelassen hat, rügt die Beklagte eine Verletzung von § 43 SGB VI: Nach der Rechtsprechung des BSG sei in der Regel davon auszugehen, dass Versicherte, die noch körperlich leichte Tätigkeiten- wenngleich mit qualitativen Einschränkungen - täglich mindestens sechs Stunden verrichten könnten, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter den dort üblichen Bedingungen erwerbstätig sein könnten. Eine konkrete Verweisungstätigkeit sei in dieser Situation nur zu benennen, wenn ausnahmsweise eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliege. Das LSG führe jedoch selbst nachvollziehbar aus, dass sämtliche Leistungseinschränkungen der Klägerin nicht ungewöhnlich seien und für sich allein keine ernstlichen Zweifel daran aufkommen ließen, dass sie in einem Betrieb einsetzbar sei. Bei der Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliege, müsse ihr Analphabetismus außer Acht bleiben. Denn er beruhe nicht auf einer gesundheitlichen Störung oder auf intellektuellen Defiziten, sondern darauf, dass sie keine Schule besucht und deshalb weder Lesen noch Schreiben erlernt habe. Ein solcher Analphabetismus sei als Bildungsdefizit und nicht als Erwerbsminderung auslösende Krankheit oder Behinderung zu werten. Soweit sich das Berufungsgericht für seine gegenteilige Ansicht auf das Senatsurteil vom 10.12.2003 (B 5 RJ 64/02 R - SozR 4-2600 § 44 Nr 1) stütze, stehe diese Entscheidung nicht mit dem Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996 (GS 2/95 - BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) in Einklang. Danach sei es ausgeschlossen, "einen arbeitslosen Versicherten, der noch vollschichtig arbeiten" könne, "deshalb als erwerbsunfähig anzusehen, weil neben den gesundheitlichen Einschränkungen Risikofaktoren wie Langzeitarbeitslosigkeit und vorgerücktes Alter oder mangelhafte Ausbildung die Vermittlungschancen zusätzlich" erschwerten. Analphabetismus sei jedoch nichts anderes als "mangelnde Ausbildung". Für die Überwindung des Analphabetismus seien nicht die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern die Bundesagentur für Arbeit, die Grundsicherungsträger sowie die Kommunen und Länder zuständig; das daraus resultierende Arbeitsmarktrisiko dürfe nicht auf die Rentenversicherungsträger verlagert werden. Soweit die Rechtsprechung schließlich zwischen Analphabetismus und mangelnden Deutschkenntnissen unterscheide, sei diese Differenzierung inkonsequent. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl Senatsurteil vom 15.5.1991 - 5 RJ 92/89 - BSGE 68, 288 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 11) müssten unzureichende Deutschkenntnisse bei der Beurteilung der Erwerbsfähigkeit außer Acht bleiben, weil dem Rentenversicherungsträger sonst ein von der gesetzlichen Rentenversicherung nicht erfasstes Risiko aufgebürdet werde. Nichts anderes müsse für Analphabetismus gelten. Dass der Klägerin der Zugang zum Arbeitsmarkt wegen ihres Analphabetismus erschwert sei, könne ebenso wenig wie der Umstand berücksichtigt werden, dass sie aufgrund mangelhafter deutscher Sprachkenntnisse nicht ausreichend kommunizieren könne.

7

Die Beklagte beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Februar 2011 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 10. Dezember 2007 zurückzuweisen.

8

Die Klägerin beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

9

Sie trägt vor: Aufgrund einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen erfülle sie die Voraussetzungen einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, wobei ihr Analphabetismus zu berücksichtigen sei. Als primäre Analphabetin sei sie auf dem Arbeitsmarkt, unter Hinzutreten weiterer ungewöhnlicher Erschwernisse, schlichtweg nicht (mehr) vermittelbar und könne auch auf Alternativtätigkeiten nicht (mehr) verwiesen werden. Selbst wenn man den primären Analphabetismus außer Acht ließe, seien zumutbare Verweisungstätigkeiten weder ersichtlich noch von der Beklagten benannt worden. Vor dem Hintergrund bestehender Fürsorgepflicht hätte die Beklagte durch Rehabilitations- bzw Förderungsmaßnahmen dem Analphabetismus entgegenwirken und hierdurch eine Vermittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt wiederherstellen müssen.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Das Urteil des LSG verletzt Bundesrecht (§ 162 SGG). Der Klägerin steht kein Recht auf Rente wegen Erwerbsminderung zu.

11

1. Als Anspruchsgrundlage kommt allein § 43 Abs 2 SGB VI in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.2.2002 (BGBl I 754) in Betracht (§ 300 Abs 1 SGB VI). Danach haben Versicherte bei Vorliegen der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (Abs 2 S 1 Nr 2 und 3) bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Abs 2 S 1 Nr 1). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Abs 2 S 2). Erwerbsgemindert ist hingegen nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (Abs 3). Nach § 102 Abs 2 S 1 SGB VI werden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, zu denen auch die Rente wegen voller Erwerbsminderung zählt(§ 33 Abs 3 Nr 2 SGB VI), auf Zeit geleistet. Die Befristung (§ 32 Abs 2 Nr 1 SGB X) erfolgt für längstens drei Jahre nach Rentenbeginn (§ 102 Abs 2 S 2 iVm § 101 Abs 1 SGB VI) und kann wiederholt werden (§ 102 Abs 2 S 3 SGB VI in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.2.2002, BGBl I 754).

12

2. Nach den Feststellungen des LSG, die nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angefochten und deshalb für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), kann die Klägerin körperlich leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden (arbeits)täglich, dh an fünf Tagen in der Woche, verrichten. Dieses zeitliche (quantitative) Leistungsvermögen schließt die Annahme einer "vollen Erwerbsminderung" gemäß § 43 Abs 3 Halbs 1 SGB VI aber noch nicht aus. Vielmehr kommt es nach dieser Vorschrift iVm § 43 Abs 2 S 2 SGB VI entscheidend darauf an, ob die Klägerin "wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande" ist, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts … erwerbstätig zu sein". Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

13

Die Rentenversicherungsträger und im Streitfall die Tatsachengerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben von Amts wegen (§ 20 Abs 1 S 1 SGB X, § 103 SGG) mit Hilfe (medizinischer) Sachverständiger (§ 21 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB X, § 106 Abs 3 Nr 5 SGG) zu ermitteln und festzustellen,

        

a)    

Art, Ausprägung und voraussichtliche Dauer der Krankheit(en) oder Behinderung(en), an denen der Versicherte leidet,

        

b)    

Art, Umfang und voraussichtliche Dauer der quantitativen und qualitativen Leistungseinschränkungen (Minderbelastbarkeiten, Funktionsstörungen und -einbußen) sowie den

        

c)    

Ursachenzusammenhang ("wegen") zwischen a) und b).

14

a) Das LSG hat bindend (§ 163 SGG) festgestellt, dass die Klägerin "an einer Wirbelsäulenerkrankung ohne neurologische Ausfallerscheinungen, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und an einer depressiven Erkrankung leidet". Dabei handelt es sich - auch soweit psychische Leiden vorliegen (s dazu BSGE 21, 189 = SozR Nr 39 zu § 1246 RVO; SozR Nr 15 zu § 1254 aF RVO) - um Krankheiten iS von § 43 Abs 2 S 2 SGB VI, dh um regelwidrige Körper- bzw Geisteszustände(BSGE 14, 207 = SozR Nr 5 zu § 45 RKG), die geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit herabzusetzen (BSGE 13, 255 = SozR Nr 11 zu § 1246 RVO). Den Analphabetismus oder dessen Ursachen hat das Berufungsgericht dagegen nicht als Krankheit bezeichnet, sondern ausdrücklich ausgeführt, dass die komplette Lese- und Schreibinkompetenz "nicht auf einer gesundheitlichen Störung" beruht. Sie ist auch keine "Behinderung", weil dazu rentenversicherungsrechtlich nur (weiter die Begriffsbestimmung in § 2 Abs 1 SGB IX) krankheitsbedingte Störungen zählen (Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 98; Kunze, DRV 2001, 192), deren Entwicklung - anders als bei einer Krankheit (vgl dazu BSGE 28, 114 = SozR Nr 28 zu § 182 RVO) - irreversibel abgeschlossen ist. Der "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruhende Analphabetismus" kann aber durch Erlernen der Schriftsprache überwunden werden.

15

b) Das LSG hat weiter bindend festgestellt, dass die Klägerin noch körperlich leichte Tätigkeiten sechs (und mehr) Stunden an fünf Tagen in der Woche regelmäßig verrichten kann. Auszuschließen sind Arbeiten mit Knien, Hocken, häufigem Bücken, über Kopf, mit Besteigen von Leitern und Gerüsten, unter Umwelteinflüssen (wie Kälte, Hitze, Temperaturschwankungen, Nässe, Staub, Gas, Dampf, Rauch, Lärm, Schmutzeinwirkung), in Wechsel- und Nachtschicht, unter zeitlichem Druck, wie bei Akkord- oder Fließbandarbeit, sowie mit häufigem Publikumsverkehr.

16

c) Zwischen diesen Leistungseinschränkungen (Erwerbsminderung) und den Krankheit(en) bzw Behinderung(en) muss ein Ursachenzusammenhang bestehen ("wegen"). Die Leistungsminderung muss wesentlich (Theorie der wesentlichen Bedingung, vgl BSGE 96, 291, 293 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7 RdNr 15)auf einer Krankheit oder Behinderung (den versicherten Risiken) beruhen und nicht auf sonstigen Umständen wie Lebensalter, fehlenden Sprachkenntnissen (Senatsurteil vom 15.5.1991 - 5 RJ 92/89 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 11 S 38 f; BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 9 S 34 f; SozR 2200 § 1246 Nr 61) oder Arbeitsentwöhnung (BSGE 7, 66). Aus den Darlegungen des LSG zum Ursachenzusammenhang geht hinreichend deutlich hervor, dass die beschriebenen Leistungseinschränkungen und Minderbelastbarkeiten aus den zuvor festgestellten Gesundheitsstörungen "resultieren". Außerdem hält das Berufungsgericht ausdrücklich fest, dass der Analphabetismus der Klägerin "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruht", also gerade kein Ursachenzusammenhang zwischen ihm und einer der festgestellten Erkrankungen vorliegt.

17

3. Steht das krankheits- bzw behinderungsbedingte (Rest-)Leistungsvermögen fest, ist im nächsten Prüfungsschritt die Rechtsfrage zu klären, ob der Versicherte damit außerstande ist, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" tätig zu sein. Diese Frage ist hier zu verneinen. Die zitierte Formulierung verwendete der Gesetzgeber ursprünglich im Arbeitsförderungsrecht (§ 103 AFG, § 119 SGB III, seit dem 1.4.2012: § 138 Abs 5 SGB III) und übertrug sie später auf das Recht der Renten wegen Erwerbsminderung. Mit dieser Übernahme griff er gleichzeitig die Rechtsprechung des BSG auf, wonach dem Betroffenen der Zugang zum Arbeitsmarkt trotz vollschichtigem Leistungsvermögen praktisch verschlossen war, wenn er krankheitsbedingt keine "Erwerbstätigkeit unter den in Betrieben üblichen Bedingungen" mehr ausüben konnte (sog 1. Katalog- und Seltenheitsfall, vgl dazu nur Senatsurteil vom 27.5.1977 - 5 RJ 28/76 - SozR 2200 § 1246 Nr 19 und die Zusammenstellung der Katalog- und Seltenheitsfälle in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Die hierzu und zum Arbeitsförderungsrecht entwickelte Rechtsprechung ist auf die gesetzliche Neuformulierung übertragbar.

18

a) "Bedingungen" sind dabei alle Faktoren, die wesentliche Grundlage des Arbeitsverhältnisses sind (BSGE 11, 16, 20). Hierzu gehört vor allem der rechtliche Normrahmen, wie etwa Dauer und Verteilung der Arbeitszeit, Pausen- und Urlaubsregelungen, Beachtung von Arbeitsschutzvorschriften sowie gesetzliche Bestimmungen und tarifvertragliche Vereinbarungen (BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - RdNr 29, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2600 § 43 Nr 16 vorgesehen; zum Arbeitsförderungsrecht: BSGE 11, 16, 20; 44, 164, 172 = SozR 4100 § 134 Nr 3; BSGE 46, 257, 259 = SozR 4100 § 103 Nr 17; BSG SozR 4100 § 103 Nr 23 S 55; BSG Urteil vom 21.4.1993 - 11 RAr 79/92 - Die Beiträge 1994, 431). Die Bedingungen sind "üblich", wenn sie nicht nur in Einzel- oder Ausnahmefällen anzutreffen sind, sondern in nennenswertem Umfang und in beachtlicher Zahl (BSG Urteil vom 19.10.2011, aaO, RdNr 29; BSGE 46, 257, 262, 264 = SozR 4100 § 103 Nr 17 S 40, 42; SozR 2200 § 1247 Nr 43 S 86 f; BSG Urteil vom 21.4.1993, aaO, Die Beiträge 1994, 431). Der Arbeitsmarktbegriff erfasst alle denkbaren Tätigkeiten (vgl BT-Drucks 14/4230, S 25), für die es faktisch "Angebot" und "Nachfrage" gibt. Das Adjektiv "allgemein" grenzt den ersten vom zweiten - öffentlich geförderten - Arbeitsmarkt, zu dem regelmäßig nur Leistungsempfänger nach dem SGB II und III Zugang haben, sowie von Sonderbereichen ab, wie beispielsweise Werkstätten für behinderte Menschen und andere geschützte Einrichtungen (BSG Urteil vom 19.10.2011, aaO RdNr 27). Die Klägerin kann nach den Feststellungen des LSG an fünf Tagen in der Woche mindestens sechs Stunden arbeiten. Sieht man davon ab, dass ihr Nacht- und Wechselschichten krankheitsbedingt nicht mehr zugemutet werden dürfen, benötigt sie im Hinblick auf Dauer und Verteilung der Arbeitszeit keine Sonderbehandlung, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unüblich wäre. Sie hat auch keinen erhöhten, betriebsunüblichen Pausen- oder Urlaubsbedarf und ist in einem Betrieb, also außerhalb geschützter Einrichtungen, einsetzbar. Wer aber in einem Betrieb unter den dort üblicherweise herrschenden Bedingungen arbeiten kann, ist auch imstande, "unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts" tätig zu sein.

19

b) Soweit unter den Begriff der üblichen Bedingungen "auch tatsächliche Umstände" gefasst werden (BSG Urteil vom 19.10.2011, aaO, RdNr 29), "wie zB die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistige Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz", handelt es sich ausschließlich um kognitive Grundfähigkeiten, die krankheitsbedingt herabgesetzt sein können. Der "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruhende Analphabetismus" gehört nicht dazu. Wie der berufliche Werdegang der Klägerin exemplarisch und stellvertretend für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen zeigt, zählen Lese- und Schreibkompetenzen keinesfalls zu den üblichen Grundbedingungen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses. Andernfalls könnten primäre Analphabeten nie unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig werden, wären schon vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (voll) erwerbsgemindert und könnten Rente wegen voller Erwerbsminderung erst erhalten, nachdem sie die Wartezeit von 20 Jahren zurückgelegt haben (§ 43 Abs 6 iVm § 50 Abs 2 SGB VI).

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4. Folglich kommt es entscheidend darauf an, ob die Klägerin trotz ihrer qualitativen Leistungseinschränkungen noch imstande ist, "erwerbstätig zu sein", dh durch (irgend)eine Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen. Diese Frage ist zu bejahen.

21

a) Um nachprüfbar zu machen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, hat das BSG bereits zum Parallelproblem im Recht der Renten wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit (§§ 1246, 1247 RVO bzw §§ 43, 44 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Altfassung - aF) die Pflicht der Rentenversicherungsträger entwickelt, dem Versicherten zumindest eine zumutbare Tätigkeit (sog Verweisungstätigkeit) konkret zu benennen, die er mit seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch ausüben kann (sog Benennungsgebot), wenn eine Rente wegen fehlender Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit abgelehnt werden sollte (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 229; SozR 2200 § 1246 Nr 72, 74, 98 und 104). Zu benennen war eine Berufstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 72 S 229 und Nr 74 S 234; SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 229). Die Angabe einzelner Arbeitsvorgänge oder Tätigkeitsmerkmale genügte nicht (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 34 S 130 f mwN; BSG Urteil vom 27.3.2007 - B 13 R 63/06 R - Juris RdNr 30). Andererseits musste kein konkreter Arbeitsplatz bezeichnet werden (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104 S 324). Die zu benennende Tätigkeit musste auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tatsächlich in ausreichendem Umfang vorkommen (BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28), dh es mussten grundsätzlich mehr als 300 Stellen (besetzt oder offen) vorhanden sein (BSGE 78, 207, 222 f = SozR 3-2600 § 43 Nr 13 S 34 f; BSG Urteile vom 29.7.2004 - B 4 RA 5/04 R - Juris RdNr 24, 33 und vom 26.4.2007 - B 4 R 5/06 R - Juris RdNr 18).

22

b) Abweichend von diesem Grundsatz war die Benennung einer Verweisungstätigkeit entbehrlich, sofern der Versicherte - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - noch vollschichtig zu mittelschweren oder leichten Arbeiten in der Lage war und auf eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden durfte (BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 mwN). Auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden durften bei der Prüfung der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit grundsätzlich alle Versicherten (BSGE 19, 147, 149 f = SozR Nr 6 zu § 1247 RVO; BSG SozR 2200 § 1247 Nr 7 S 12 f; SozR 5850 § 2 Nr 12 S 25; SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 S 18), bei der Prüfung der Rente wegen Berufsunfähigkeit hingegen nur ungelernte Arbeiter bzw sog Angelernte im unteren Bereich (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 72 f mwN). In diesen Fällen war regelmäßig davon auszugehen, dass das Restleistungsvermögen dem Versicherten noch körperliche Verrichtungen erlaubte, wie sie in ungelernten Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen (wie zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw). Dem lag die Überlegung zugrunde, dass sich die nicht oder nur ganz wenig qualifizierten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts ("Hilfsarbeiten") einerseits einer knappen Benennung, die aussagekräftig Art und Anforderungen der Tätigkeiten beschreiben würde, entzogen, das Arbeitsfeld andererseits aber so heterogen war, dass mit einem Restleistungsvermögen für körperlich leichte Tätigkeiten jedenfalls noch von ausreichenden Erwerbsmöglichkeiten ausgegangen werden konnte (BSGE 80, 24, 31 ff = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24 ff).

23

c) Trotz der praktischen Schwierigkeiten war - im Sinne einer Rückausnahme - die konkrete Benennung zumindest einer Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorlag: In diesen Fällen einer überdurchschnittlich starken Leistungsminderung bestanden - entgegen der oben skizzierten tatsächlichen Vermutung bzw Annahme - ernsthafte Zweifel, dass der allgemeine Arbeitsmarkt für die dem Versicherten an sich noch mögliche Vollzeittätigkeit eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen bereithielt oder dass der Versicherte mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen in einem Betrieb einsetzbar war (BSGE 80, 24, 34 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 27; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104 S 324 und Nr 136 S 434). Auch die Möglichkeit der praktischen Verschlossenheit des Arbeitsmarkts durch die sog Katalog- und Seltenheitsfälle ist in diesem Zusammenhang bedeutsam (vgl die Zusammenstellung der Katalog- und Seltenheitsfälle in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Diese Maßstäbe haben auch für die seit dem 1.1.2001 geltende Rechtslage weiterhin Gültigkeit (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 5 RdNr 18 und BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - RdNr 19).

24

5. Für den Regelfall darf damit auch für die Renten wegen Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI nF (iS einer widerlegbaren tatsächlichen Vermutung) davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der zumindest körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten - wenn auch mit qualitativen Einschränkungen - wenigstens sechs Stunden täglich verrichten kann, noch in der Lage ist, "erwerbstätig zu sein", dh durch (irgend)eine Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen(s auch § 43 Abs 3 SGB VI nF). Es ist mehrschrittig zu prüfen (vgl dazu BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73 und Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - RdNr 35):

25

a) Im ersten Schritt ist festzustellen, ob das Restleistungsvermögen dem Versicherten Verrichtungen oder Tätigkeiten erlaubt (wie zB Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw ), die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden. Es genügt die Benennung von "Arbeitsfeldern", von "Tätigkeiten der Art nach" oder von "geeigneten Tätigkeitsfeldern", die der Versicherte ausfüllen könnte (vgl BSGE 80, 24, 31 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 24; Senatsurteile vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 43; vom 11.5.1999 - SozR 3-2600 § 43 Nr 21 S 73 f; vom 10.12.2003 - SozR 4-2600 § 44 Nr 1 RdNr 23; BSG vom 19.8.1997 - 13 RJ 29/95 - SozSich 1998, 111 - Juris RdNr 30; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 62 f; vom 9.9.1998 - B 13 RJ 35/97 R - Juris RdNr 24; vom 14.7.1999 - B 13 RJ 65/97 R - Juris RdNr 32; sog "kleines Benennungsgebot": vgl Köbl in Ruland/Försterling, Gemeinschaftskommentar zum SGB VI, § 43 RdNr 168, Stand Oktober 2006; Gürtner in Kasseler Komm, § 43 SGB VI RdNr 47, Stand April 2010; Spiolek, SGb 1999, 509, 510; kritisch Kamprad in Hauck/Noftz, SGB VI, K § 43 RdNr 42, Stand März 2012; aA wohl Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 108). Damit können "ernste Zweifel" an der beschriebenen Einsatzfähigkeit des Versicherten als Folge von qualitativen Leistungseinschränkungen ausgeräumt werden.

26

b) Lassen sich solche abstrakten Handlungsfelder nicht oder nur unzureichend beschreiben und kommen deshalb "ernste Zweifel" an der tatsächlichen Einsatzfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen auf, stellt sich im zweiten Schritt die Rechtsfrage, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine besondere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (vgl Senatsurteil vom 24.2.1999 - SozR 3-2600 § 44 Nr 12 S 44 sowie BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 62 f und Nr 21 S 73 f sowie Beschluss vom 9.9.1998 - B 13 RJ 35/97 - Juris RdNr 24). Hierbei handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die schwierig zu konkretisieren (BSGE 81, 15, 19 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 23 S 69 sowie SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 f) und vernünftig zu handhaben sind (BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33 ). Da es für die Prüfung, ob eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt, keinen konkreten Beurteilungsmaßstab gibt, können auch für die tatrichterliche Begründung und die dazu nötigen Tatsachenfeststellungen keine allgemeingültigen Anforderungen aufgestellt werden (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 9 RdNr 23). Auch der jeweilige Begründungsaufwand richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere hängt er von der Anzahl, Art und Schwere der bestehenden qualitativen Leistungseinschränkungen ab. Je mehr diese geeignet erscheinen, gerade auch typische Arbeitsplätze für körperlich leichte Tätigkeiten zu versperren, umso eingehender und konkreter muss das Tatsachengericht seine Entscheidung zur Frage einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung begründen (BSG SozR 4-2600 § 43 Nr 9 RdNr 23; BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61). Wie sich der Richter die jeweils erforderliche Tatsachenkenntnis verschafft, liegt in seinem Ermittlungsermessen (vgl § 103 SGG). Angesichts des unzulänglichen Gesamtüberblicks über typische Anforderungen ungelernter Verrichtungen ist ihm dabei ein weiter Freiraum für Einschätzungen zuzugestehen. Gleichwohl muss aber aus rechtsstaatlichen Gründen ein Mindestmaß an Berechenbarkeit und Nachvollziehbarkeit der Entscheidung gesichert bleiben (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 ff und BSG Urteil vom 19.8.1997 - 13 RJ 25/95 - SozSich 1998, 113 - Juris RdNr 25).

27

c) Erst wenn nach diesen Maßstäben eine "schwere spezifische Leistungsbehinderung" oder "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" vorliegt, ist dem Versicherten im dritten Schritt mindestens eine konkrete Verweisungstätigkeit mit ihren typischen, das Anforderungsprofil bestimmenden Merkmalen (kein konkreter Arbeitsplatz) zu benennen, um seinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung auszuschließen (vgl BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33). Hierbei sind dann nicht nur das körperliche, geistige und kognitive Leistungsvermögen einerseits und das berufliche Anforderungsprofil andererseits miteinander zu vergleichen und in Deckung zu bringen, sondern es muss auch individuell geprüft werden, ob der Versicherte die notwendigen fachlichen Qualifikationen und überfachlichen Schlüsselkompetenzen besitzt oder zumindest innerhalb von drei Monaten erlernen kann. Außerdem ist dann zu beachten, dass auf Tätigkeiten nicht verwiesen werden darf, die auf dem Arbeitsmarkt nur in ganz geringer Zahl vorkommen (Katalogfall Nr 3), die an Berufsfremde nicht vergeben werden (Katalogfall Nr 4) oder für Betriebsfremde unzugänglich sind, weil es sich um reine Schonarbeitsplätze (Katalogfall Nr 5) oder Aufstiegspositionen (Katalogfall Nr 6) handelt (vgl die Zusammenstellung der Katalog- und Seltenheitsfälle in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 28). Kann der Versicherte die Verweisungstätigkeit krankheits- oder behinderungsbedingt nicht mehr ausüben, oder kann er sich die fehlenden fachlichen oder überfachlichen Kompetenzen nicht innerhalb von drei Monaten aneignen, so ist er auch dann (voll) erwerbsgemindert, wenn sein zeitliches (quantitatives) Leistungsvermögen uneingeschränkt erhalten ist.

28

6. Zu Recht hat das LSG eine schwere spezifische Leistungsbehinderung verneint. Sie liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60; Blaser, Der Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" im Sozialrecht, 2009, S 108; Spiolek, NZS 1997, 415, 416 f). Hierzu können - unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände (vgl BSG SozR 3- 2600 § 43 Nr 17 S 61 ; BSG SozR 3- 2600 § 43 Nr 19 S 68 ; BSGE 81, 15, 19 = SozR 3-2200 § 1247 Nr 23 S 69 ) - beispielsweise Einäugigkeit (Senatsurteile vom 12.5.1982 - 5b/5 RJ 170/80 - Juris RdNr 8 und vom 14.9.1995 - 5 RJ 50/94 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 230; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 30, 90), Einarmigkeit (Senatsurteil vom 14.9.1995 - 5 RJ 50/94 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 50 S 230; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 30) und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit (BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 S 19) sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 104, 117; weitere Beispiele bei BSGE 80, 24, 33 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 26 und bei Spiolek, NZS 1997, 415, 416 f). Der "nicht auf einer gesundheitlichen Störung beruhende Analphabetismus" gehört nicht dazu, weil er keine "Behinderung" ist (s Gliederungspunkt 2 a) und damit auch keine "Leistungsbehinderung" sein kann.

29

7. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt auch keine "Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen" vor, die es ausnahmsweise notwendig machen könnte, den Ausschluss eines Rechts auf Rente nicht lediglich abstrakt mit der Einsetzbarkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu begründen, sondern hierfür die konkrete Benennung einer noch in Betracht kommenden Verweisungstätigkeit zu fordern. Insofern kann vorliegend offen bleiben, ob es sich bei dem muttersprachlichen Analphabetismus der Klägerin für sich um eine ungewöhnliche Leistungseinschränkung in diesem Sinne handelt (vgl dazu Senatsurteile vom 10.12.2003 - B 5 RJ 64/02 R - SozR 4-2600 § 44 Nr 1 RdNr 17 ff und vom 20.10.2004 - B 5 RJ 48/03 R - Juris RdNr 19 sowie BSG Urteil vom 4.11.1998 - B 13 RJ 13/98 R - SozR 3-2200 § 1246 Nr 62 S 288). Nach der unverändert einschlägigen Verweisungsrechtsprechung des Großen Senats des BSG (BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8) begründet nämlich bei zeitlich uneingeschränkt leistungsfähigen Versicherten allein die "Summierung" - notwendig also eine Mehrheit von wenigstens zwei ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen als tauglichen Summanden - die Benennungspflicht, nicht aber, wie das Berufungsgericht meint, bereits das Zusammentreffen einer - potenziell - ungewöhnlichen und einer oder mehrerer "gewöhnlicher" Leistungseinschränkungen. Durch die genannte Rechtsprechung des Großen Senats und den ausdrücklichen Ausschluss einer Berücksichtigung der "jeweiligen Arbeitsmarktlage" in § 43 Abs 3 Halbs 2 SGB VI ist auch bereits entschieden, dass weitere Fälle einer Benennungspflicht nicht in Betracht kommen. Im Hinblick auf die qualitativen Einschränkungen, die bei der Klägerin zu beachten sind, hat das LSG jedoch unangefochten festgestellt, dass diese sämtlich nicht ungewöhnlich sind. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die "vernünftige Handhabung" des unbestimmten Rechtsbegriffs der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen gewährleistet nach der Rechtsprechung des Großen und des erkennenden Senats, dass abweichend vom Regelfall der abstrakten Betrachtungsweise die konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit als unselbstständiger Zwischenschritt, nur aber auch immer dann erfolgen muss, wenn ernsthafte Zweifel unter anderem an der betrieblichen Einsetzbarkeit bestehen. Ob und ggf in welcher Intensität Zweifel aufkommen und ob in der Gesamtschau eine "Summierung" ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu bejahen ist, lässt sich nur anhand des konkreten Einzelfalls entscheiden, weil die denkbaren Kombinationsmöglichkeiten der qualitativen Leistungseinschränkungen unüberschaubar sind und die Summanden je nach Schweregrad, Anzahl und Wechselwirkungen unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Feste Grenzlinien lassen sich nicht festlegen, zumal auch der Begriff "leichte Arbeiten", auf den sich die genannten Merkmale als Ausnahmen beziehen, erhebliche Unschärfen enthält, die es erforderlich machen, die im Einzelfall vorliegenden Leistungseinschränkungen insgesamt in ihrer konkreten Bedeutung für die Einsetzbarkeit des Versicherten auf dem Arbeitsmarkt zu bewerten (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61). Nur so erscheint eine "vernünftige Handhabung dieser weiten Begriffe" gewährleistet, wie sie der Große Senat des BSG (BSGE 80, 24, 39 = SozR 3-2600 § 44 Nr 8 S 33) vorausgesetzt hat. Im Hinblick auf diese Gegebenheiten sind die bisherigen Entscheidungen des BSG zum Vorliegen einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung nur als Einzelfallentscheidungen zu werten, die den Besonderheiten der jeweiligen Sachlage Rechnung zu tragen suchen. Auch wenn die Leistungseinschränkungen dort gleich oder vergleichbar formuliert sind, handelt es sich keinesfalls um identische Sachverhalte. Vielmehr liefern die jeweiligen Beurteilungen allenfalls Anhaltspunkte für weitere Entscheidungen; ihnen lassen sich jedoch keine generellen Abgrenzungskriterien entnehmen (BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 61). Deshalb steht dem Tatrichter bei der Würdigung des Gesamtbildes der Verhältnisse ein weiter Freiraum für Einschätzungen zu (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-2600 § 43 Nr 17 S 60 f und BSG Urteil vom 19.8.1997 - 13 RJ 25/95 - SozSich 1998, 113 - Juris RdNr 25). Denn die Begriffe der "Ungewöhnlichkeit" von Leistungseinschränkungen und ihre "Summierung" lassen sich nicht mit einem abschließenden Katalog unabdingbarer Merkmale und Untermerkmale im Voraus definieren (Klassen- oder Allgemeinbegriff), sondern nur einzelfallbezogen durch eine größere und unbestimmte Zahl von (charakteristischen) Merkmalen umschreiben (offener Typus- oder Ordnungsbegriff), wobei das eine oder andere Merkmal gänzlich fehlen oder je nach Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam sein kann. Ob an der Einsetzbarkeit eines individuellen Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Zweifel bestehen und sich ggf überwinden lassen, ob Leistungseinschränkungen "ungewöhnlich" sind und wie sie sich nach Art, Umfang und Ausprägung wechselseitig beeinflussen ("summieren"), beurteilt sich anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Kriterien nach dem Gesamtbild der Verhältnisse durch einen wertenden Ähnlichkeitsvergleich. Eine solche Würdigung des Einzelfalls nach dem Gesamtbild der Verhältnisse vollzieht sich auf tatsächlichem Gebiet und obliegt im Wesentlichen dem Tatrichter; seine Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse ist revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar. Bei derartigen richterlichen Wertungsakten gibt es keine logisch ableitbare einzig richtige Entscheidung, sondern einen Bereich, der sich letztlich der logischen Nachprüfbarkeit entzieht. Rational argumentativ ist dieser (originäre) Wertungsakt nur eingeschränkt überprüfbar, nämlich darauf, ob er auf einer zutreffenden und rechtlich verwertbaren Tatsachengrundlage beruht, ob die richtigen Wertungsmaßstäbe erkannt und angewandt wurden und ob er sich innerhalb eines gewissen Spielraums der Angemessenheit bzw des Vertretbaren bewegt ("vernünftige Handhabung"). Bei derartigen genuinen Wertungsakten sind mehrere Entscheidungen gleichermaßen richtig, weil sich nach rein logischen Maßstäben nicht mehr entscheiden lässt, welche innerhalb eines Spielraums nach zutreffenden Maßstäben getroffene Entscheidung richtiger als die andere ist.

30

Das LSG hat vorliegend Inhalt und Grenzen des unbestimmten Rechtsbegriffs der ungewöhnlichen Leistungseinschränkung, wie sie sich hiernach ergeben, berücksichtigt und im Rahmen der ihm vorbehaltenen tatrichterlichen Bewertung die von ihm festgestellten Leistungseinschränkungen - mit Ausnahme des Analphabetismus der Klägerin - als "gewöhnlich", also keine Benennungspflicht auslösend, eingestuft. Dabei hat es sich im Wesentlichen an der vom Großen Senat rezipierten beispielhaften Auflistung derartiger Einschränkungen orientiert. Insofern bedarf es auf der Ebene der Feststellung tatsächlicher Umstände jeweils der Bewertung, ob mit einer festgestellten Leistungseinschränkung für sich und im Zusammenwirken mit gleichwertigen anderen gerade im konkreten Einzelfall die Gefahr verbunden ist, dass der Versicherte auf in Wahrheit nicht existierende Arbeitsmöglichkeiten verwiesen wird, deren Feststellung wiederum Aufgabe des Tatsachengerichts ist. Solange daher der Tatrichter - wie hier das LSG - von einem rechtlich zutreffenden Verständnis der Benennungspflicht und ihrer Voraussetzungen ausgeht, handelt es sich um die Feststellung von Individualtatsachen, an die das Revisionsgericht gemäß § 163 SGG und in dessen Grenzen gebunden ist. Vorliegend ist daher rechtlich ohne konkreten Vergleich der Leistungsfähigkeit mit dem Anforderungsprofil einer bestimmten Tätigkeit im Sinne einer tatsächlichen Vermutung davon auszugehen, dass die Klägerin ihr Restleistungsvermögen noch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verwerten kann, also noch imstande ist, "erwerbstätig zu sein", dh durch (irgend)eine (unbenannte) Tätigkeit Erwerb(seinkommen) zu erzielen. Damit scheidet auch ein Recht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aus (§ 43 Abs 1, § 240 Abs 1 SGB VI).

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie

1.
teilweise erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie

1.
voll erwerbsgemindert sind,
2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Voll erwerbsgemindert sind auch
1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und
2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.

(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:

1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.
Berücksichtigungszeiten,
3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt,
4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.

(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.

(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.