Landessozialgericht NRW Urteil, 30. Sept. 2016 - L 4 R 984/13
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 08.08.2013 wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Streitig ist die Weiterbewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) über den 31.07.2010 hinaus.
3Der am 00.00.1957 geborene Kläger ist promovierter Maschinenbauingenieur und war zuletzt als Fachgebietsleiter Organisation in einer Unternehmungsberatung abhängig beschäftigt. Seit dem Jahr 2006 ist er arbeitsunfähig. Das Versorgungsamt hat bei ihm einen Grad der Behinderung (GdB) von 60 festgestellt.
4Der Kläger beantragte am 18.07.2008 bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung unter Hinweis auf ein Gutachten seiner privaten Krankenversicherung (Allianz) vom 10.07.2008, in dem er ab 09.07.2008 als berufsunfähig angesehen wurde.
5Die Beklagte ließ ihn durch den Neurologen und Psychiater Dr. H untersuchen, der den Verdacht auf eine somatoforme Schmerzstörung äußerte und ein degeneratives Wirbelsäulensyndrom ohne neurologisches Defizit feststellte. Er empfahl eine medizinische Rehabilitation und anschließende psychotherapeutische und orthopädische Therapie. Bis dahin meinte er, könne kein Leistungsbild erstellt werden (Gutachten vom 19.08.2008). Nach Einholung einer Stellungnahme des Beratungsarztes Dr. S vom 29.08.2008 bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 27.11.2008 Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.02.2009 befristet bis zum 31.07.2010.
6Mit seinem Antrag auf Weiterzahlung vom 28.12.2009 legte der Kläger einen Arztbrief der Lungenklinik I vom 05.11.2009 vor, in dem von einem schwergradig obstruktiven Schlaf-Apnoe-Syndrom und der Einleitung einer Maskentherapie berichtet wurde. Des Weiteren übersandte er einen Kurzbefund des Orthopäden Dr. T vom 16.09.2009, einen MRT-Bericht des Schädels der Gemeinschaftspraxis für Radiologie und Nuklearmedizin Dres. B u.a. vom 24.08.2009 sowie einen dortigen CT-Bericht der Lendenwirbelsäule vom 29.09.2009.
7Die Beklagte ließ den Kläger durch die Orthopädin Dr. von B1 sowie den Neurologen und Psychiater Dr. X begutachten. Die Orthopädin fand ein chronisch-rezidivierendes Cervical- und Lumbalsyndrom bei Spondylolisthese L5/S1 und einen Zustand nach Morbus Scheuermann, ein Schulter-Arm-Syndrom rechtsseitig, eine beginnende medial betonte Arthrose beider Kniegelenke, einen chronischen Reizzustand beider oberer Sprunggelenke, einen Reizzustand beider Handgelenke, einen Senk- Spreizfuß beidseits sowie eine somatoforme Schmerzstörung. Fachfremd erwähnte sie Depression, Nikotinabusus, Zustand nach Borreliose, Adipositas, Bluthochdruck, Asthma und Schlafapnoe-Syndrom. Sie meinte, körperlich leichte Arbeit sei dem Kläger vollschichtig sowohl in seiner letzten Tätigkeit als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt möglich (Gutachten vom 22.02.2010). Dr. X diagnostizierte eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie eine Dysthymie. Hierdurch bedingt könne die Tätigkeit in der Unternehmensberatung nur noch weniger als drei Stunden täglich ausgeübt werden. Der Kläger sei jedoch in der Lage, weniger fordernde Arbeiten, zum Beispiel in einer Büroroutineumgebung zu verrichten, auch leichte Arbeiten ohne wesentliche Belastungen des Achsensklettes sechs Stunden und mehr zu erledigen (Gutachten vom 02.03.2010).
8Nach Einholung einer Stellungnahme des Beratungsarztes T1 vom 16.04.2010 bewilligte die Beklagte den Gutachten folgend mit Bescheid vom 27.04.2010 und 30.07.2010 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit über den 31.07.2010 hinaus. Die Weiterzahlung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.08.2010 wurde mit dem Bescheid vom 27.04.2010 abgelehnt.
9Der Kläger legte gegen die Ablehnung der Rente wegen voller Erwerbsminderung am 04.05.2010 Widerspruch ein. Er meinte, er könne diese Beurteilung nicht nachvollziehen. Zu berücksichtigen seien das Rückfallrisiko, die Schmerzsymptomatik und auch das Schlafapnoe-Syndrom sowie der (mittlerweile) bis Ende Juli 2015 festgestellte GdB von 60 nach dem Schwerbehindertenrecht. Das psychische Leiden sei nicht richtig bewertet, Dr. X habe ihn überwiegend nur neurologisch untersucht. Seit den Vorgutachten sei keine Besserung eingetreten. Die seinerzeit vorgeschlagenen Therapiemaßnahmen hätten nicht angeschlagen.
10Die Beklagte zog Befundberichte des Internisten Dr. X1 (28.07.2010), der psychologischen Psychotherapeutin N (07.08.2010) sowie des Neurologen und Psychiaters I (09.08.2010) bei und ließ diese durch ihre ärztlichen Beraterin Dr. H1 gutachtlich auswerten, die eine Änderung der Leistungsbeurteilung nicht erkennen konnte (24.08.2010).
11Anschließend wies die Beklagte den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 26.10.2010 mit der Begründung zurück, der Kläger sei auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wieder mindestens sechs Stunden täglich im Rahmen einer 5-Tage-Woche leistungsfähig.
12Hiergegen hat der Kläger am 19.11.2010 beim Sozialgericht Dortmund (SG) Klage erhoben, sein Begehren unter Wiederholung seines Vorbringens aus dem Widerspruchsverfahren weiter verfolgt und gemeint, für eine Arbeit nicht belastbar zu sein.
13Der Kläger hat beantragt,
14unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 27.04.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2010 die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 31.07.2010 hinaus Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.
15Die Beklagte, die die angefochtenen Bescheide für zutreffend erachtet hat, hat beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Das Gericht hat zunächst Befundberichte der behandelnden Ärzte, des Neurologen und Psychiaters Dr. I (14.02.2011), des Internisten Dr. X1 (15.02.2011), des Orthopäden Dr. T (18.02.2011) sowie der Psychotherapeutin N ("20.02.2010", gemeint 2011) beigezogen und sodann Beweis erhoben durch Einholung von Sachverständigengutachten des Orthopäden und Arztes für Allgemeinmedizin Dr. L aus J (12.07.2011) sowie des Neuropsychologen Dr. S1 vom I-Klinikum X (14.06.2011). Bei den Begutachtungen hat der Kläger einen Befundbericht von Dr. Q vom 06.06.2011 vorgelegt, in dem eine Neuropathie, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung sowie der Verdacht auf eine chronisch-entzündliche Polyneuropathie genannt wurden. Die Sachverständigen haben bei dem Kläger neben dem allgemeinmedizinisch medikamentös eingestellten Bluthochdruck und dem obstruktiven Schlafapnoe-Syndrom eine anhaltende leichte somatoforme Schmerzstörung, ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung, leichte medikamentös bedingte Adipositas, endgradige Bewegungseinschränkung im Bereich der Halswirbelsäule bei nachgewiesenen degenerativen Veränderungen im Segment C5/6 sowie ein Wirbelgleiten vom Typ Meyerding I im Segment L5/S1 festgestellt. Die Intensität der geklagten Beschwerden sei orthopädisch nicht nachvollziehbar (Dr. L). Bei der Beantwortung der Fragebögen hätten sich Verfälschungstendenzen ergeben, die jedoch von untergeordneter Bedeutung seien, da sich der Kläger sonst äußerst kooperativ verhalten habe (Dr. S1). In der Verhaltensbeobachtung habe der Kläger stundenlang in einem Sessel sitzen können und sei in der Lage gewesen, ein konzentrativ und emotional forderndes Gespräch zu führen sowie komplexere Fragebögen zu beantworten. Der Kläger könne seine psychischen Störungen durch zumutbare Willensanstrengungen aus eigener Kraft überwinden. Eine medikamentöse Umstellung habe zu einer Schmerzreduktion geführt, die durch eine erfolgreiche Psychotherapie stabilisiert worden sei. Eine evtl. auf Nebenwirkungen der Medikation zurückzuführende leicht erhöhte Ermüdbarkeit könne evtl. durch eine Änderung der Medikation vermindert werden. Unter Einhaltung bestimmter qualitativer Leistungseinschränkungen könne der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt täglich noch mindestens sechs Stunden unter betriebsüblichen Bedingungen arbeiten. Eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens sei weder orthopädisch noch schmerzpsychologisch zu begründen.
18Auf mehrfache Kritik des Klägers insbesondere zur Berücksichtigung des Ergebnisses der bisherigen Behandlung und der Nebenwirkungen der Medikamentenvergabe (Missempfindungen, Schwitzen, beeinträchtigtes Tastempfinden, Müdigkeit sowie herabgesetztes Reaktionsvermögen) bzw. der Zumutbarkeit der Medikamenteneinnahme und seiner Leistungsfähigkeit ohne diese haben Dr. L am 05.12.2011 und Dr. S1 am 28.12.2011, 23.04.2012 sowie 02.10.2012 ergänzend und unter Verbleib bei ihrer Leistungsbeurteilung Stellung genommen. Dr. L hat erneut darauf hingewiesen, dass ein Teil der beklagten Beschwerden orthopädisch nachvollziehbar, die Gesamtintensität mit wechselnden Beschwerdeangaben, auch der Konzentrationsschwäche und Müdigkeit aus orthopädischer Sicht jedoch nicht zu erklären sei. Dr. S1 hat darauf hingewiesen, dass nennenswerte psychoreaktiv oder schmerzbedingte kognitive Beeinträchtigungen nicht vorlägen. Die Wirkung der Medikation und die Wechselwirkung der Erkrankungen wie auch der Beeinflussung der gesamten Leistungseinschränkung habe er berücksichtigt. Seine Beurteilung stimme mit der des Dr. L überein.
19Das SG hat die Klage mit Urteil vom 08.08.2013 abgewiesen. Der Kläger sei seit 01.08.2010 nicht voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 SGB VI, weil er die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht erfülle. Er könne noch mindestens sechs Stunden täglich mit Einschränkungen arbeiten. Der Kläger leide zwar unter einer somatoformen Schmerzstörung, einer ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstörung, einer leichten medikamentös bedingten Adipositas, einer endgradigen Bewegungseinschränkung im Bereich der Halswirbelsäule mit nachgewiesenen degenerativen Veränderungen im Segment C5/6 sowie einem Wirbelgleiten, einem medikamentös eingestellten Bluthochdruck und einem Schlafapnoe-Syndrom. Hingegen habe eine chronisch-entzündliche Nervenerkrankung nicht nachgewiesen werden können. Hierdurch sei er in seiner Leistungsfähigkeit auch eingeschränkt. So könne er keine schweren und mittelschweren Arbeiten verrichten. Auch seien längere gebückte Haltungen, Zwangshaltungen, Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, Arbeiten auf Gerüsten und Leitern sowie Tätigkeiten mit Einwirkungen von Kälte, Hitze, Zugluft, Nässe, Staub, Gas, Dampf, Rauch, Lärm und Schmutz zu vermeiden. Ebenso könnten Tätigkeiten in Wechsel- und Nachtschicht und unter besonderem Zeit-druck (z.B. Akkord- oder Fließbandarbeit) nicht mehr verrichtet werden. Der Kläger sei jedoch noch in der Lage, sechs Stunden an fünf Tagen in der Woche unter betriebsüblichen Bedingungen zumindest körperlich leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung unter Einhaltung der genannten Einschränkungen zu verrichten, wobei es ihm auch möglich sei, am PC zu arbeiten, sofern ein Positionswechsel im Rahmen der persönlichen Verteilzeit ermöglicht werde, was üblicherweise bei Bürotätigkeiten der Fall sei.
20Die medizinische Beurteilung ergebe sich aus den im Gerichtsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten der Dres. L und S1. Die Kammer sei davon überzeugt, dass die Leistungsbeurteilung dieser Sachverständigen dem tatsächlichen Leistungsvermögen des Klägers entspreche. Die Diagnosen der Sachverständigen beruhten auf eingehenden ambulanten Untersuchungen und berücksichtigten nicht nur die dort erhobenen Befunde, sondern auch den Inhalt der zur Verfügung gestellten Akten einschließlich der darin enthaltenen umfangreichen medizinischen Berichte über die Behandlungen des Klägers. Beide Gutachter hätten sich mit den vom Kläger angegebenen Leiden intensiv und differenziert auseinander gesetzt und seien zu medizinisch fundierten Ergebnissen gekommen. Diese stimmten außerdem im Wesentlichen mit den im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren eingeholten Gutachten der Dres. von B1 und X überein.
21Die Einwände des Klägers seien nicht geeignet, das Beweisergebnis in Frage zu stellen. Das Gericht schließe sich hierbei den umfangreichen, schlüssigen und überzeugenden ergänzenden Stellungnahmen des Dr. S1 an. Insbesondere könne das Gericht nicht feststellen, dass die Sachverständigen es verabsäumt hätten, die Wechselwirkungen der Erkrankungen zu berücksichtigen. Der Kläger habe auch, außer dem pauschalen Vorwurf, nicht konkret vorgetragen, inwieweit sich die festgestellten Erkrankungen gegenseitig und von den Sachverständigen unberücksichtigt beeinflussten.
22Ebenso wenig habe die Kammer Zweifel daran, dass der Sachverständige Dr. S1 beim Kläger die einschlägigen Tests durchgeführt und diese auch zutreffend ausgewertet habe. Davon abgesehen, dass dieser Sachverständige in großem Umfang für viele Gerichte tätig sei und sich insbesondere bei der Beurteilung von Schmerzerkrankungen einen ausgezeichneten Ruf erworben habe, sei er als promovierter, in Lehre, Klinik und Forschung tätiger psychologischer Psychotherapeut und klinischer Neuropsychologe zur Beurteilung ausgezeichnet qualifiziert.
23Schließlich könne der Kläger auch nicht mit dem Argument durchdringen, sein Zustand müsse ohne Medikation beurteilt werden, da die Medikamenteneinnahme nicht zumutbar sei. Hier sei zunächst zu berücksichtigen, dass der Kläger die Medikamente tatsächlich einnehme. Es erschließe sich nicht, warum er diese weglassen sollte, nur um seine Leistungsfähigkeit zu vermindern. Die Nebenwirkungen dieser Medikamente seien von beiden Sachverständigen berücksichtigt worden, schließlich sei die Begutachtung unter der üblichen Medikation erfolgt. Unter Einnahme der Medikamente seien aber beide Sachverständige übereinstimmend zu dem Ergebnis gelangt, der Kläger könne noch sechs Stunden arbeiten.
24Letztlich habe die Kammer auch deshalb keine Zweifel am Ergebnis beider Gutachten, weil sich aus den Untersuchungen deutliche Tendenzen der Aggravation ergeben hätten.
25Wenn es um die Beurteilung von Gesundheitsstörungen gehe, die im Wesentlichen auf subjektiven, nicht objektivierbaren Beschwerden beruhten, komme für den Nachweis der Gesundheitsstörungen wie auch deren Ausmaßes den Beobachtungen der Sachverständigen und dem Ergebnis der Tests besondere Bedeutung zu. Da subjektive Beschwerden nicht messbar seien, sei besonders die Glaubhaftigkeit der Angaben des Versicherten zu überprüfen. Bestünden hier Zweifel, könnten die subjektiven Angaben nicht als nachgewiesen zugrunde gelegt werden. So liege der Fall hier. Selbst wenn der Kläger von dem dargestellten Ausmaß seiner Beschwerden überzeugt sei, lägen erkennbare Verfälschungstendenzen vor, so dass nicht ungeprüft die Angaben des Klägers in die Beurteilung einfließen könnten. Diese Grundsätze hätten beide Sachverständige zutreffend berücksichtigt, ihre Schlussfolgerungen seien schlüssig und überzeugend.
26Gegen das ihm am 20.09.2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 18.10.2013 Berufung eingelegt und sein Begehren, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31.07.2010 hinaus zu gewähren, weiter verfolgt. Eine Besserung seines Gesundheitszustandes seit Erstbewilligung der Erwerbsminderungsrente sei nicht eingetreten. Es fehle an einer ausreichenden Gesamtwürdigung seiner Leiden. Insbesondere habe das Sozialgericht versäumt, zu der bei ihm vorliegenden Nervenerkrankung zu ermitteln und auch die erhebliche Schmerzmedikation sowie deren Nebenwirkungen zu würdigen. Zutreffend werde die bei ihm vorliegende Leistungsminderung durch das gem. § 109 SGG auf seinen Antrag im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten des Dr. G beurteilt.
27Der Kläger beantragt,
28das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 08.08.2013 aufzuheben und die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 27.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2010 zu verurteilen, ihm wegen Rente wegen voller Minderung der Erwerbsfähigkeit über den 31.07.2010 hinaus nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren,
29hilfsweise die Sachverständigen Dr. L1, Dr. C und Dr. G zur mündlichen Erläuterung ihrer schriftlichen Gutachten zu laden,
30weiter hilfsweise ein pharmakologisches Sachverständigengutachten von Amts wegen bzw. gemäß § 109 SGG einzuholen,
31weiterhin ein psychiatrisch-psychotherapeutisches Gutachten von Amts wegen bzw. gemäß § 109 SGG einzuholen.
32Die Beklagte beantragt,
33die Berufung zurückzuweisen.
34Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und sieht sich durch die im Berufungsverfahren von Dr. L1 und Dr. C eingeholten Gutachten und ergänzenden Stellungnahmen in ihrer Auffassung bestätigt.
35Der Senat hat Befundberichte des Neurologen und Psychiaters I vom 30.01.2014, des Internisten Dr. X1 vom 31.01.2014 und des Orthopäden Dr. T vom 31.01.2014 sowie anschließend ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. L1 vom 19.05.2014 und ein orthopädisches Gutachten von Dr. C vom 31.08.2014 eingeholt.
36Die Sachverständigen sind nach eigener Untersuchung des Klägers zu dem Ergebnis gelangt, dass bei diesem ein normaler neurologischer Befund bestehe. Für die auswärtig vermutete CIDP (chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie) ergebe sich nicht der geringste Hinweis. Auch eine Neuroborreliose sei ausgeschlossen. Bei den vom Kläger beklagten Beschwerden in der Lendenwirbelsäule, im Nacken, in der gesamten Muskulatur und in den Gelenken handele es sich um Beschwerden bei leicht altersüberschreitenden degenerativen Veränderungen. Die erhöhte Schmerzwahrnehmungsschwelle und das gesteigerte Schmerzempfinden mit nicht rein organmorphologisch erklärbaren Schmerzen resultiere aus einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung. Der Kläger könne mit den bestehenden Leiden noch leichte (Dr. C) bzw. leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten (Dr. L1) in wechselnden Körperhaltungen bei gewissen qualitativen Einschränkungen arbeitstäglich vollschichtig verrichten. Eine organische Grundlage der psychischen Beschwerden liege nicht vor. Der somatoformen Störung sei kein Krankheitswert im medizinischen Sinn zuzusprechen. Anteilig sei sie sicher durch zumutbare Willensanstrengung zu überwinden. Aus der Schmerzanalyse und der Exploration ergäben sich keine Hinweise dafür, dass eine quantitative Beschränkung des Leistungsbildes erforderlich sei. Soweit der Kläger im Dosierungsbereich der eingenommenen Medikamente Nebenwirkungen in Form von Benommenheit und Taumeligkeit bei raschen Kopfbewegungen beklage, seien diese nachvollziehbar. Relevante Koordinationsstörungen oder Feinmotorikstörungen hätten jedoch im Untersuchungsbefund nicht verzeichnet werden können. Bei subjektiver Angabe von Verschwommensehen und passageren Doppelbildern habe sich keine morphologisch objektivierbare Blickmotorikstörung und keine diesbezüglich relevante Behinderung im Alltag unter normalen Anforderungen ergeben. Neben einer Gewichtsreduktion könnten auch eine Nikotinkarenz sowie ein Kraftausdauertraining der Rumpfmuskulatur und physikalische sowie weitere Reizverfahren wie Elektrostimulation, transkutane Elektronervenstimulation, Akupunktur sowie Verfahren der Entspannung oder konzentrativen Bewegungstherapie die schmerztherapeutischen Optionen erweitern. In der klinischen Untersuchung seien zB durch wiederholte Prüfungen im Verlauf der Untersuchung leichte (Dr. C) bzw. deutliche (Dr. L1) Aggravationstendenzen festzustellen gewesen.
37Auf Antrag des Klägers gem. § 109 SGG ist anschließend Dr. G mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt worden. Dieser ist zu dem Ergebnis gelangt, dass das sozialmedizinische Leistungsvermögen des Klägers nicht über eine dreistündige tägliche Arbeitszeit gesteigert werden könne (Gutachten vom 23.10.2015). Die Beschwerden seien ausnahmslos subjektiv und für den Betroffenen real.
38Hierzu haben Dr. C am 11.04.2016 und Dr. L1 am 14.07.2016 eine ergänzende Stellungnahme abgegeben. Das Gutachten von Dr. G sei in Aufbau und Inhalt hochgradig unschlüssig. Letztlich biete es eine reine Übernahme subjektiver Wahrnehmungen gepaart mit einer theoretisch-hypothetischen Unterfütterung. Aus gutachterlicher Sicht entbinde die eigentlich selbstverständliche Tatsache, dass sämtliche Beschwerden für Betroffene real erschienen, den Gutachter nicht davon, das Leistungsvermögen anhand objektivierbarer Kriterien zu prüfen. Soweit man die von Dr. G erhobenen objektiven Befunde aus dem Gutachten destilliere, ergebe sich keine relevanten Abweichung gegenüber der eigenen Befunderhebung.
39Die ergänzenden Stellungnahmen sind dem Kläger mit Verfügung vom 21.07.2016 mit der Bitte um Mitteilung, ob die Berufung zurückgenommen werde, übersandt worden. Dieser hat erwidert, die Berufung derzeit nicht zurückzunehmen. Er habe die Stellungnahmen an Dr. G übersandt und bitte, dessen Stellungnahme abzuwarten. Den Beteiligten ist die Ladung zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 30.09.2016 ausweislich der Empfangsbekenntnisse am 30.08.2016 zugegangen.
40Die Bevollmächtigte des Klägers hat mit Schreiben vom 29.09.2016, eingegangen bei Gericht am selben Tag um 19.50 Uhr, unter Angabe verschiedener Fragen beantragt, die Sachverständigen Dr. L1, Dr. C und Dr. G zur mündlichen Erläuterung ihrer schriftlichen Gutachten vom 19.05.2015, 31.08.2015 und 23.10.2015 zu laden. Zu Fragen zur Medikation des Klägers hat sie Antrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens pharmakologischer Fachrichtung gem. §§ 103, 106 SGG, hilfsweise gem. § 109 SGG von Prof. Dr. H2 und zu der von Dr. L1 erwähnten Aggravation und deren Abgrenzung von der somatoformen Schmerzstörung Antrag auf Einholung eines psychiatrisch-psychotherapeutischen Gutachtens gem. §§ 103, 106, hilfsweise § 109 SGG gestellt. Dem Antrag beigefügt war eine Erklärung des Klägers vom 26.09.2016.
41Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
42Entscheidungsgründe:
43Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.
44Das SG hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil vom 08.08.2013 zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 27.04.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG).
45Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung gem. § 43 Abs. 2 SGB VI über den 31.07.2010 hinaus, da die medizinischen Voraussetzungen für den Leistungsanspruch nicht nachgewiesen sind. Dies hat das SG in dem angefochtenen Urteil zutreffend und unter Würdigung der im Verwaltungsverfahren von den Dres. von B1 und X sowie den im Gerichtsverfahren von den Dres. L und S1 eingeholten Gutachten und ergänzenden Stellungnahmen begründet, die nach Untersuchung des Klägers übereinstimmend davon ausgegangen sind, dass dieser im streitigen Zeitraum ab dem 01.08.2010 unter bestimmten qualitativen Einschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten könne. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die Ausführungen im Urteil des SG, die er sich nach Überprüfung zu eigen macht, Bezug und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe insoweit ab (§ 153 Abs. 2 SGG).
46Diese Auffassung der Sachverständigen und des SG ist durch die Beweiserhebung im Berufungsverfahren zur Überzeugung des Senats durch die von Dr. L1 und Dr. C eingeholten Gutachten weiter bestätigt und verfestigt worden. Die Sachverständigen haben nach eigener Untersuchung des Klägers wie die Sachverständigen zuvor auf ihren Fachgebieten insbesondere eine somatoforme Schmerzstörung mit erhöhter Schmerzwahrnehmungsschwelle und gesteigertem Schmerzempfinden bei nicht rein organmorphologisch erklärbaren Schmerzen sowie Wirbelsäulenbeschwerden ohne wurzel- oder nervenbezogene Ausfallserscheinungen diagnostiziert. Unter Berücksichtigung der bestehenden Erkrankungen könne der Kläger leichte (Dr. C) bzw. leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten (Dr. L1) in wechselnden Körperhaltungen bei gewissen qualitativen Einschränkungen arbeitstäglich vollschichtig verrichten.
47Soweit allein der auf Antrag des Klägers gehörte Sachverständige Dr. G zu einem anderen, für ihn günstigen Ergebnis gelangt ist und eine Minderung der Erwerbsfähigkeit auf eine lediglich dreistündige tägliche Arbeitszeit angenommen hat, vermag der Senat dessen Bewertung in keinster Weise zu folgen. Wie durchgängig auch in anderen Verfahren weist das Gutachten dieses Arztes in Aufbau, Gliederung und inhaltlicher Gedankenführung schwere Mängel auf, da Akteninhalte, subjektive Probandenangaben, Diagnosen, theoretische Referate über Erkrankungen und Schmerzsyndrome, Literaturstellen und durch Dr. G selbst aufgeworfene Fragestellungen in nicht nachvollziehbarem Duktus vermengt werden. Da die erhobenen Befunde - ausweislich des von Dr. L1 durchgeführten Vergleichs - nicht relevant von den vorigen Gutachten abweichen, ist die gegenüber diesen divergierende Schlussfolgerung nicht plausibel. Im Kern stützt Dr. G sein für den Kläger positives Ergebnis letztlich auch lediglich darauf, dass die Beschwerden des Klägers, die ausnahmslos subjektiv seien, der Beurteilung zugrunde gelegt werden müssten, weil diese für ihn als Betroffenen real seien. Hiermit aber verkennt er in gravierendem Maß die medizinisch-rechtlichen Voraussetzungen eines sozialgerichtlichen Verfahrens. Entsprechend ist das Gutachten des Dr. G - wie regelmäßig - in keiner Weise als Grundlage für eine gerichtliche Entscheidung brauchbar.
48Soweit der Kläger im Verfahren, insbesondere in seiner schriftlichen Erklärung vom 30.09.2016 und auch mündlich im Verhandlungstermin, eingehend erläutert hat, eine volle Erwerbstätigkeit nicht schaffen zu können, vermochte auch die Würdigung dieses Vortrags nicht zu einem anderen Ergebnis zu führen. Die rentenerhebliche Leistungsminderung muss nach erfolgter sozialmedizinischer Beurteilung bewiesen sein, d.h. zur vollen Überzeugung des Gerichts bestehen. Eine derartige Überzeugung konnte aus den o.g. Gründen nach den umfangreichen Ermittlungen nicht gewonnen werden. Der fehlende Beweis einer rentenrelevanten Leistungsminderung geht nach den allgemeinen Beweislastregeln zu Lasten des Klägers, der einen Anspruch gegenüber der Beklagten geltend macht. Allein die subjektive Einschätzung des Versicherten vermag eine relevante Leistungsminderung im Sinne des Rechts der gesetzlichen Rentenversicherung nicht zu begründen. Vielmehr ist erforderlich, dass die Beschwerdeschilderung bei sachverständiger Plausibilitätsprüfung mit den objektiv erhobenen bzw. erhebbaren Befunden in Übereinstimmung gebracht wird und hier ihre ausreichende Stütze finden kann. Vorliegend entspricht die subjektive Einschätzung des Klägers zu seiner Leistungsfähigkeit nicht dem durch die umfangreiche Beweiserhebung gewonnenen Ergebnis. Zulasten des beweispflichtigen Klägers wirkt sich zusätzlich erschwerend aus, dass die Sachverständigen Dr. L, Dr. S1, Dr. C und Dr. L1 jeweils auf eine von ihnen festgestellte aggravierende Darstellung der Beschwerden durch den Kläger in den Untersuchungssituationen hingewiesen haben.
49Die vom Kläger vertretene und auch zuletzt noch einmal herausgestellte Auffassung, seine Erwerbsminderung ergebe sich bereits aus den Nebenwirkungen der eingenommenen Medikamente, findet im Beweisergebnis keine Stütze. So haben die im Verfahren gehörten Sachverständigen die Nebenwirkungen ausdrücklich berücksichtigt und den Kläger aus ärztlicher Sicht gleichwohl zu einer vollen Erwerbstätigkeit in der Lage gesehen.
50Den vom Kläger erstmalig bei Gericht am 29.09.2016 um 19.50 Uhr bei Gericht eingegangenen und im Termin am 30.09.2016 wiederholten Antrag, die Sachverständigen Dr. L1, Dr. C und Dr. G zur mündlichen Erläuterung ihrer schriftlichen Gutachten zum Termin zu laden, lehnt der Senat bereits deshalb ab, weil er nicht rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung gestellt worden ist (vgl. hierzu BSG Urt. v. 24.07.2012 - B 2 U 100/12 B - juris Rn.14; Urt. v. 07.02.2013 - B 13 R 71/12 B - juris Rn. 17). Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Sachverständigen ihre jeweiligen Auffassungen zu seiner Überzeugung ausreichend schriftlich dargelegt haben, so dass die Notwendigkeit einer mündlichen Anhörung auch in der Sache nicht ersichtlich ist.
51Soweit der Kläger weiter die Einholung eines psychiatrisch-psychotherapeutischen bzw. pharmakologischen Gutachtens gem. § 106 SGG beantragt, ist dies als Anregung zur weiteren Ermittlung von Amts wegen zu verstehen. Der Senat sieht den Sachverhalt in beweisrechtlicher Hinsicht durch die vielfältigen gutachterlichen Untersuchungen und Beurteilungen als ausreichend ermittelt an. So ist der Kläger im Verfahren mit Dr. X und Dr. L1 von zwei Fachärzten für Psychiatrie sowie mit Dr. S1 von einem klinischen Neuropsychologen auf psychiatrisch-psychologischem Gebiet bereits umfänglich untersucht worden. Auch Dr. G besitzt nach seinen Angaben im Gutachten eine Zusatzqualifikation im Bereich psychosomatischer Grundversorgung. Eine Notwendigkeit zur Einholung eines pharmakologischen Gutachtens kann der Senat schon im Hinblick darauf, dass alle von Amts wegen gehörten Sachverständigen die Medikation des Klägers aufgenommen und deren Nebenwirkungen gewürdigt haben, gleichfalls nicht erkennen.
52Der im Weiteren hilfsweise gestellte Antrag, ein psychiatrisch-psychologisches bzw. pharmakologisches Gutachten gem. § 109 SGG einzuholen, wird vom Senat bereits deshalb abgelehnt, weil der Kläger von seinem Antragsrecht bereits mit der Benennung von Dr. G Gebrauch gemacht hat und dieses damit mangels besonderer Gründe für eine wiederholte Antragstellung "verbraucht" ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 109 Rn. 10b). Darüber hinaus fehlt es dem Antrag auch an der in § 109 Abs. 1 SGG erforderlichen Bezeichnung eines bestimmten Arztes. Die Benennung eines Pharmakologen - wie noch schriftlich erfolgt - ist nach dem ausdrücklichen gesetzlichen Wortlaut nicht ausreichend. Zudem ist der Antrag verspätet iSv § 109 Abs. 2 SGG.
53Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
54Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) nicht als gegeben angesehen.
Urteilsbesprechung zu Landessozialgericht NRW Urteil, 30. Sept. 2016 - L 4 R 984/13
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Landessozialgericht NRW Urteil, 30. Sept. 2016 - L 4 R 984/13 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).
(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
- 1.
teilweise erwerbsgemindert sind, - 2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und - 3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie
- 1.
voll erwerbsgemindert sind, - 2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und - 3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
- 1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und - 2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.
(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:
- 1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, - 2.
Berücksichtigungszeiten, - 3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt, - 4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.
(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.
(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.
(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.
(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.
Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.
(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.
(2) Der Vorsitzende hat bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen.
(3) Zu diesem Zweck kann er insbesondere
- 1.
um Mitteilung von Urkunden sowie um Übermittlung elektronischer Dokumente ersuchen, - 2.
Krankenpapiere, Aufzeichnungen, Krankengeschichten, Sektions- und Untersuchungsbefunde sowie Röntgenbilder beiziehen, - 3.
Auskünfte jeder Art einholen, - 4.
Zeugen und Sachverständige in geeigneten Fällen vernehmen oder, auch eidlich, durch den ersuchten Richter vernehmen lassen, - 5.
die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen und ausführen, - 6.
andere beiladen, - 7.
einen Termin anberaumen, das persönliche Erscheinen der Beteiligten hierzu anordnen und den Sachverhalt mit diesen erörtern.
(4) Für die Beweisaufnahme gelten die §§ 116, 118 und 119 entsprechend.
(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.
(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.
(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.
(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.
(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.
(1) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
- 1.
teilweise erwerbsgemindert sind, - 2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und - 3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
(2) Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie
- 1.
voll erwerbsgemindert sind, - 2.
in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und - 3.
vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
- 1.
Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und - 2.
Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt.
(3) Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
(4) Der Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:
- 1.
Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, - 2.
Berücksichtigungszeiten, - 3.
Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 liegt, - 4.
Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.
(5) Eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit ist nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.
(6) Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren und seitdem ununterbrochen voll erwerbsgemindert sind, haben Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie die Wartezeit von 20 Jahren erfüllt haben.
(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.
(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.
(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.
(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.
Tenor
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Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 30. November 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. Die Beteiligten streiten um die Anerkennung des Vorliegens insbesondere einer BK nach Nummer 1317 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV; in Zukunft BK Nr 1317) - Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische.
- 2
-
Der Kläger arbeitete zuletzt von 1992 bis 2000 bei einer Firma für Holzleimbau als Maschinenführer. Er kam dort mit Härtern, Leim, Lösungsmitteln sowie mit Lärm in Kontakt. 2001 ging bei der Beklagten eine ärztliche Anzeige eines Nervenarztes ein, in der ausgeführt wird, der Kläger leide an einer Neuropathie, einer schweren Myopathie, einer schweren Ataxie, einer schweren Leistungsminderung und zunehmender chemischer Überempfindlichkeit. Die Beklagte lehnte die Anerkennung einer BK nach Zifferngruppe 13 der Anlage, insbesondere der Nr 1317 ab (Bescheid vom 8.11.2001; Widerspruchsbescheid vom 14.12.2001). Nach Eingang der Klage am 31.12.2001 hat das SG ein Gutachten des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Prof. Dr. G. vom 10.3.2003 eingeholt sowie ein arbeitsmedizinisches Gutachten von Prof. Dr. D. vom 12.5.2003. Durch Urteil vom 8.9.2004 hat das SG die Klage abgewiesen.
- 3
-
Nach Einlegung der Berufung am 9.11.2004 hat das LSG ein arbeitsmedizinisches Gutachten des Prof. Dr. S. sowie ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. Sch. vom 17.9.2007 und nach § 109 SGG ein Gutachten der Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Homöopathie Dr. K. vom 6.5.2009 eingeholt.
- 4
-
Der Kläger beantragte am 23.2.2010 eine erneute Stellungnahme der Dr. K. und eine gutachterliche Stellungnahme des Diplom-Chemikers Dr. M., der Impulsgeber für die Neufassung des Merkblatts zur BK Nr 1317 im Jahr 2005 gewesen sei. Das LSG holte sodann zwei weitere ergänzende Stellungnahmen des Dr. Sch. ein.
- 5
-
In der mündlichen Verhandlung vom 30.11.2011 wurde der folgende Hilfsantrag des Klägers protokolliert,
"weitere Ermittlungen durchzuführen nach Maßgabe der Schriftsätze vom 04.11.2003; 19.05.2004, 27.12.2006, 15.10.2009, 27.10.2009, 14.04.2010, 19.07.2010, 10.03.2011, 28.04.2011 und 15.11.2011".
- 6
-
Das LSG hat die Berufung durch Urteil vom 30.11.2011 zurückgewiesen. Maßgeblich hat es sich darauf gestützt, dass eine Erkrankung im Sinne einer toxischen Enzephalopathie und/oder einer toxischen Polyneuropathie beim Kläger nicht festzustellen gewesen sei. Eine Polyneuropathie oder Enzephalopathie hätten weder der vom SG gehörte neurologische Gutachter Prof. Dr. Grobe noch der vom Senat bestellte neurologische Gutachter Dr. Sch. (…) diagnostiziert. Eine im Schriftsatz des Klägers vom 14.4.2010 beantragte Anhörung der Gutachter Prof. Dr. G., Prof. Dr. D., des Diplompsychologen F., des Dr. Sch."und der übrigen Verfasser der bisherigen Gutachten" zu ihrer fachlichen Qualifikation, etwa eigenen Änderungen in den bisherigen Gutachten durch das neue Merkblatt BK 1317, Stand 03/05 und den Diagnosekriterien der WHO 1985 und zu den Gutachten Dr. K. vom 6.5.2009 und 22.1.2010 sei, soweit die Gutachten nicht im Berufungsverfahren eingeholt worden seien, schon deshalb nicht erforderlich, weil der Senat seine Entscheidung auf diese Gutachten nicht stütze. Hinsichtlich der Fragestellung des Merkblattes zur BK 1317, der Diagnosekriterien sowie den Feststellungen Dr. K. habe der Senat die weitere ergänzende Stellungnahme des Dr. Sch. vom 30.8.2011 eingeholt. Den unsubstantiierten Zweifeln an der Qualifikation von Gutachtern müsse der Senat nicht nachgehen, da er sie nicht teile und keinen Anhaltspunkt für diese Zweifel sehe.
- 7
-
Der Kläger macht mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG und das Vorliegen von Verfahrensmängeln geltend, auf denen die angefochtene Entscheidung beruhen kann gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG.
- 8
-
Sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt worden, weil er mit Schriftsatz vom 14.4.2010 die Anhörung der Vorgutachter Prof. Dr. G. und Prof. Dr. D. beantragt habe. Diese hätten ihre Gutachten im Jahre 2003 erstellt. Im Jahr 2005 sei der Inhalt des Merkblatts zur BK Nr 1317 aber wesentlich geändert worden, so dass beide Gutachten nicht auf der Grundlage des Merkblatts Stand 03/05 und damit nach dem Stand der Wissenschaft erstellt worden seien. Das LSG habe ausdrücklich den gesamten Akteninhalt und damit auch diese Gutachten zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht.
- 9
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Das LSG habe diese Beweisanträge mit der Begründung abgelehnt, dass das Fragerecht nur hinsichtlich von Gutachten der gleichen Instanz bestehe. Dies sei keine hinreichende Begründung, weil das LSG sich gerade auch auf diese Gutachten gestützt habe. Weiterhin habe das LSG zur Begründung ausgeführt, eine Anhörung der Prof. Dr. G. und Prof. Dr. D. sei nicht erforderlich gewesen, weil ein weiteres Gutachten des Dr. Sch. eingeholt worden sei. Dr. Sch. habe aber nur eine Begutachtung zu einem späteren Zeitpunkt vornehmen können, was die Aussagen der beiden Gutachter zu dem Gesundheitszustand zu einem früheren Zeitpunkt nicht habe ersetzen können. Er verweise ausdrücklich auf die Rechtsprechung des BVerfG (Hinweis auf BVerfG vom 9.10.2007 - 2 BvR 1268/03).
- 10
-
Weiterhin sei am 14.4.2010 die Anhörung der Prof. Dr. G., Prof. Dr. D., des Dipl-Psych. F. und des Dr. Sch. zu den entgegenstehenden Feststellungen in dem späteren Gutachten der Frau Dr. K. beantragt worden. Frau Dr. K. habe in ihrem Gutachten auf der Grundlage des Merkblatts Stand 03/05 zur BK Nr 1317 ausgeführt, dass eine entsprechende Erkrankung des Klägers vorliege. Sie habe insbesondere hervorgehoben, dass auch die Folgen des Unfalls des Klägers vom 2.9.1990 in die Begutachtung einbezogen werden müssten. Der Kläger habe ein HWS-Schleudertrauma mit neurologischen Ausfallerscheinungen erlitten. Diese vorbestehenden Ausfallerscheinungen überlagerten die Auswirkungen der Sensibilitätsstörungen aufgrund der toxischen Exposition, so dass nur aus diesem Grund keine teilweise distal symmetrischen Beschwerden vorlägen. Zu diesem schlüssigen Grund für die fehlende Asymmetrie und zu der Feststellung, dass aufgrund der zusätzlichen Ursache dennoch die Diagnosekriterien für eine toxische Enzephalopathie erfüllt worden seien, hätten die übrigen Gutachter Stellung nehmen sollen. Insbesondere Dr. Sch. habe es unterlassen, sich mit den Auswirkungen des Verkehrsunfalls aus dem Jahre 1990 auseinanderzusetzen. Er - der Kläger - habe am 15.11.2011 beantragt, den Gutachter Dr. Sch. insbesondere zu der Frage zu hören, was dieser unter einer guten klinischen Praxis verstehe und warum er die toxische Polyneuropathie und Enzephalopathie nicht nach den Diagnosekriterien des Merkblatts 03/05 zur BK 1317 auf der Grundlage der Stellungnahme des Sachverständigenrats und der WHO zu diesen Kriterien prüfe. Diese Fragen seien in sämtlichen Stellungnahmen des Dr. Sch. offen geblieben.
- 11
-
Von grundsätzlicher Bedeutung sei schließlich die Frage, ob ein zwischenzeitlich ergehendes neues Merkblatt, wie hier das 2005 erlassene Merkblatt mit Kriterien zur Diagnose der BK Nr 1317 zwingend in einem sozialgerichtlichen Verfahren zugrunde zu legen sei. Insbesondere Dr. Sch habe eine eigene Methodik und Diagnosekriterien entwickelt und es sei nicht auszuschließen, dass die Gutachter und das LSG zu einem anderen Ergebnis gelangt wären, wenn sie die Diagnosekriterien in dem Merkblatt 03/05 zugrunde gelegt hätten.
- 12
-
II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil des LSG ist unter Verstoß gegen die Vorschriften der §§ 402, 397 ZPO iVm § 118 Abs 1 SGG ergangen. Das LSG hätte den im Termin nochmals protokollierten Anträgen des Klägers vom 14.4.2010 und 15.11.2011 nachkommen und weitere Fragen an die Sachverständigen zulassen bzw stellen müssen.
- 13
-
Die Beschwerdebegründung genügt den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Sie bezeichnet die Tatsachen, aus denen sich der Verfahrensmangel ergibt. Der Kläger hat hinreichend deutlich gemacht, wieso aus seiner Sicht eine (weitere) Befragung der Sachverständigen Prof. Dr. G., Prof. Dr. D., des Dipl-Psych. F. und des Dr. Sch. erforderlich gewesen wäre. Die Beschwerde macht auch hinreichend deutlich, dass das Urteil des LSG auf dieser unterlassenen Anhörung der Sachverständigen beruhen kann.
- 14
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Der Senat beruft sich dabei ausdrücklich auf die Rechtsprechung des BVerfG, das zuletzt am 17.1.2012 (1 BvR 2728/10) wieder betont und bindend entschieden hat, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör grundsätzlich auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger umfasst (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3.2.1998 - 1 BvR 909/94 - NJW 1998, 2273). Nach § 402 ZPO iVm § 397 ZPO sind die Parteien berechtigt, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten. Der BGH hat daraus in ständiger Rechtsprechung die Pflicht der Gerichte abgeleitet, dem Antrag einer Partei auf mündliche Befragung gerichtlicher Sachverständiger nachzukommen (vgl BGHZ 6, 398 <400 f>; BGH, Urteil vom 21.10.1986 - VI ZR 15/85 - NJW-RR 1987, 339 <340>; BGH, Urteil vom 17.12.1996 - VI ZR 50/96 - NJW 1997, 802 <802 f>). Auf die Frage, ob das Gericht selbst das Sachverständigengutachten für erklärungsbedürftig hält, kommt es dabei nicht an. Es gehört vielmehr gerade zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, dass die Parteien den Sachverständigen Fragen stellen, ihnen Bedenken vortragen und sie um eine nähere Erläuterung von Zweifelspunkten bitten können (BGH, Urteil vom 21.10.1986, aaO). Ein Antrag auf Anhörung des Sachverständigen kann allerdings dann abgelehnt werden, wenn er verspätet oder rechtsmissbräuchlich gestellt wurde oder die für erläuterungsbedürftig gehaltenen Punkte nicht benennt (BGHZ 35, 370 <371>; BGH, Urteile vom 21.10.1986, aaO, und vom 17.12.1996, aaO; vgl hierzu zuletzt Beschluss des Senats vom 18.7.2012 - B 2 U 105/12 B). Hat das erstinstanzliche Gericht einem Antrag auf mündliche Anhörung des Sachverständigen verfahrensfehlerhaft nicht entsprochen, so muss nach der Rechtsprechung des BGH das Berufungsgericht dem in zweiter Instanz wiederholten Antrag stattgeben (BGH, Beschlüsse vom 10.5.2005 - VI ZR 245/04 - Juris und vom 14.7.2009 - VIII ZR 295/08 - NJW-RR 2009, 1361 <1362>).
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Beachtet ein Gericht diese verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht, so liegt darin jedenfalls dann ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn es einen Antrag auf Erläuterung des Sachverständigengutachtens völlig übergeht oder ihm allein deshalb nicht nachkommt, weil das Gutachten ihm überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint. Dagegen verlangt Art 103 Abs 1 GG nicht, einem rechtzeitigen und nicht missbräuchlichen Antrag auf Anhörung der Sachverständigen ausnahmslos Folge zu leisten. Die mündliche Anhörung des Sachverständigen ist zwar die nächstliegende, aber nicht die einzig mögliche Behandlung eines derartigen Antrags (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3.2.1998, aaO; vgl BGH, Urteil vom 10.12.1991 - VI ZR 234/90 - NJW 1992, 1459 f). Dazu bieten sich nach der genannten Rechtsprechung des BVerfG, die insoweit auf die in der Rechtsprechung des BGH im Urteil vom 10.12.1991 (dort RdNr 26) abschließend aufgezählten Ausnahmen verweist, weitere Möglichkeiten an (BGH, Urteile vom 14.4.1981 - VI ZR 264/79 - VersR 1981, 576; Urteil vom 6.3.1986 - III ZR 245/84 - NJW 1986, 1928, 1930; BGH, Urteil vom 10.12.1991 - VI ZR 234/90 - NJW 1992, 1459; vgl zuletzt BSG, Beschluss vom 19.7.2012 - B 2 U 105/12 B). Das Gericht kann den Sachverständigen zu einer schriftlichen Ergänzung seines Gutachtens veranlassen oder ihn, wenn dies zweckmäßiger erscheint, zur mündlichen Verhandlung laden und befragen. Es kann statt dessen nach § 412 ZPO aber auch ein weiteres Gutachten einholen. Nur insoweit besteht ein (Auswahl-)Ermessen des Gerichts.
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Das LSG hätte unter Anwendung dieser Grundsätze den Anträgen des Beschwerdeführers vom 14.4.2010 und 15.11.2011 auf Anhörung bzw Befragung der Sachverständigen Prof. Dr. G. und Dr. Sch. nachgehen müssen. Die Beschwerde trägt hierzu schlüssig und auch inhaltlich richtig vor, dass beide Sachverständige bei ihrer Begutachtung das neue, 2005 geänderte Merkblatt zur BK Nr 1317 (Bekanntmachung des BMGS, BArBl 2005, Heft 3, S 49 ff) bei ihrer Begutachtung nicht zugrunde gelegt hatten. Zugleich hat das LSG seine Entscheidung aber gerade darauf gestützt, dass nach diesen beiden Gutachten das Krankheitsbild der Enzephalopathie nicht vorliege. Insofern ist auch unbeachtlich, dass Prof. Dr. G. sein Gutachten bereits im Verfahren vor dem SG erstellt hat, weil das LSG sich tragend auch gerade auf den Inhalt dieses Gutachtens berufen hat. Der Antrag des Klägers war daher nachvollziehbar und keinesfalls missbräuchlich. Ebenso hätten die genannten Sachverständigen zu den abweichenden Bewertungen der Gutachterin Dr. K. insbesondere zu der behaupteten Überlagerung des Krankheitsbildes des Klägers mit den Folgen des Unfalls aus dem Jahre 1990 - auf eine der drei oben aufgezeigten Weisen gehört werden müssen.
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Liegen damit die Voraussetzungen eines Verfahrensmangels gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vor, kann das BSG auf die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil wegen des festgestellten Verfahrensmangels aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen(§ 160a Abs 5 SGG). Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.
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Entgegen dem Vorbringen des Klägers ist es hingegen nicht von grundsätzlicher Bedeutung, ob die Gutachter und das LSG die Neufassung des Merkblatts 3/2005 zur BK Nr 1317 zugrunde zu legen gehabt hätten. Diese Rechtsfrage ist höchstrichterlich geklärt. Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass im Bereich der BK'en von den Tatsachengerichten jeweils der im Entscheidungszeitpunkt aktuelle Stand der medizinischen Wissenschaft zugrunde zu legen ist (BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 20; vgl auch BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20; Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, mwN). Jedes Gericht, das die für die Anerkennung als BK erforderlichen Einwirkungen zu präzisieren hat, muss sich Klarheit darüber verschaffen, welches in der streitigen Frage der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist (BSG vom 15.9.2011, aaO). Von daher folgt aus der genannten Rechtsprechung zwanglos, dass vom Tatsachengericht auch jeweils der im Zeitpunkt der Entscheidungsfindung aktuellste Stand der Merkblätter etc bei der Prüfung der objektiven Verursachung zu berücksichtigen ist.
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Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
Tenor
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Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 11. Januar 2012 wird als unzulässig verworfen.
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Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe
- 1
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Das LSG Rheinland-Pfalz hat im Urteil vom 11.1.2012 die Beklagte verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit, ausgehend von einem Leistungsfall am 15.11.2010, für den Zeitraum vom 1.6.2011 bis zum 31.5.2014 zu gewähren.
- 2
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Die Beklagte macht mit ihrer beim BSG erhobenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem genannten Urteil Verfahrensmängel geltend.
- 3
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Die Beschwerde der Beklagten ist unzulässig. Ihre Beschwerdebegründung vom 7.3.2012 genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form, denn sie hat Verfahrensmängel (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht in der erforderlichen Weise bezeichnet (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).
- 4
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Wird die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels begehrt, muss in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde die bundesrechtliche Verfahrensnorm, die das Berufungsgericht verletzt haben soll, hinreichend genau bezeichnet sein. Zudem müssen die tatsächlichen Umstände, welche den Verstoß begründen sollen, substantiiert dargetan und darüber hinaus muss dargestellt werden, inwieweit die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4, Nr 21 RdNr 4 - jeweils mwN). Dabei ist zu beachten, dass ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG gestützt werden kann und dass die Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG nur statthaft ist, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist(§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG).
- 5
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Die Beklagte rügt eine Verletzung ihres Fragerechts (§ 116 S 2 und § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397, 402 und 411 Abs 4 ZPO iVm § 62 SGG und Art 103 Abs 1 GG). Darüber hinaus rügt sie eine Verletzung von § 128 Abs 2 SGG.
- 6
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1. Zur Verletzung ihres Fragerechts (§ 116 S 2 SGG, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO) trägt die Beklagte in ihrer Beschwerdebegründung Folgendes vor:
- 7
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Nachdem zunächst der von Amts wegen im Berufungsverfahren beauftragte Arzt für Innere Medizin, Neurologie und Psychiatrie, der Sachverständige Dr. S., in seinem Gutachten vom 26.3.2010 zu dem Ergebnis gekommen sei, dass die Klägerin trotz diverser qualitativer Leistungseinschränkungen noch täglich mehr als sechs Stunden erwerbstätig sein könne, habe das LSG die Fachärztin für Anästhesiologie Dr. J. von Amts wegen mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. In ihrem Gutachten vom 17.11.2010 habe die Sachverständige der Klägerin nach Untersuchung am 15.11.2010 Diagnosen auf algesiologischem Fachgebiet gestellt (Chronifiziertes Schmerzsyndrom
, chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, chronische Kniegelenksschmerzen beidseits bei Zustand nach Kreuzbandruptur beidseits 1993, Zustand nach Kniegelenksinfektion links <2000> und Kniegelenksemphysem <07/2005>, radiologisch nachgewiesene Gonarthrose beidseits, chronisches rezidivierendes pseudoradikuläres LWS-Syndrom mit Lumboischialgie beidseits, Wirbelsäulenfehlstatik, Fehlhaltung, muskuläre Dysbalance, Spannungskopfschmerzen, Zustand nach Schulterabszess links <07/2005> ohne funktionelles Defizit, rezidivierende Gelenksbeschwerden wechselnder Lokalisation unklarer Genese . Auch Diagnosen auf anderen Fachgebieten habe sie genannt (Multiple Sklerose, Asthma bronchiale, Nikotinabusus, Lymphknotenschwellung submandibulär im Rahmen eines Infekts, Zustand nach Zahnextraktion im Unterkiefer mit noch nicht sauberen Wundverhältnissen). Die Sachverständige habe die Klägerin noch für fähig gehalten, leichte körperliche Tätigkeiten im Wechsel der Körperhaltungen zu verrichten. Tätigkeiten mit Zwangshaltungen, kniende und hockende Arbeiten, das Besteigen von Leitern und Gerüsten, häufiges Drehen, Überkopfarbeiten, Tätigkeiten mit Erschütterungen oder ungünstigen Witterungsverhältnissen (Zugluft, Kälte) und Fließband- und Akkordarbeiten seien zu vermeiden. Die Anforderungen an das Reaktions- und Konzentrationsvermögen sollten das durchschnittliche Maß nicht übersteigen. Unter Berücksichtigung der genannten Einschränkungen könnten die Tätigkeiten an fünf Tagen die Woche halbschichtig verrichtet werden. Die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt. Die Veränderungen an beiden Kniegelenken seien sehr wahrscheinlich im Verlauf fortschreitend. Für alle anderen ihr Fachgebiet betreffenden Beschwerden sei davon auszugehen, dass durch ein multimodales Therapiekonzept durchaus eine Stabilisierung bis Verbesserung der Gesamtsituation erreicht werden könne. Das aktuell ausschließlich medikamentös ausgerichtete Behandlungskonzept sei nach ihrer Einschätzung durch physiotherapeutische und psychosomatisch/psychotherapeutische Interventionen und Akupunktur zu ergänzen (S 2 und 3 Beschwerdebegründung)., Depression)
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Da die Beklagte die von der Sachverständigen erhobenen Befunde und das daraus abgeleitete halbschichtige Leistungsvermögen der Klägerin für nicht nachvollziehbar gehalten habe, habe sie mit beratungsärztlichen Stellungnahmen vom 17.12.2010 (1) und vom 17.2.2011 (2) mitgeteilt, dass sie die Auffassung der Sachverständigen nicht teile. Hierauf habe die Sachverständige mit Stellungnahmen vom 7.2.2011 (1) und vom 2.4.2011 (2) erwidert und an den Ergebnissen ihres Gutachtens vom 17.11.2010 festgehalten. Mit Schriftsatz vom 16.5.2011 habe die Beklagte eine weitere beratungsärztliche Stellungnahme vom 13.5.2011 (3) auf die Stellungnahme der Sachverständigen Dr. J. vom 2.4.2011 vorgelegt und unter Ankündigung von drei formulierten Fragen das persönliche Erscheinen der Sachverständigen zum Termin zur mündlichen Verhandlung beantragt. Nachdem die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 23.5.2011 an den im Schriftsatz vom 16.5.2011 angekündigten Fragen festgehalten habe, habe das LSG den Rechtsstreit vertagt. Die Sachverständige habe in ihrer Stellungnahme vom 13.6.2011 (3) die im Schriftsatz der Beklagten vom 16.5.2011 gestellten drei Fragen beantwortet. In der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 28.6.2011 (4) seien die Antworten und die Einschätzung der Sachverständigen zum Leistungsvermögen der Klägerin bezweifelt worden.
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Im Schriftsatz der Beklagten vom 22.8.2011 habe diese beantragt, drei weitere formulierte Fragen an die Sachverständige unter Bezugnahme auf die beratungsärztliche Stellungnahme vom 28.6.2011 zu richten (5). Diese habe die Sachverständige in ihrer Stellungnahme vom 5.9.2011 (4) beantwortet. Hierauf habe die Beklagte mit beratungsärztlicher Stellungnahme vom 12.9.2011 (6) erwidert. Nachdem die Beklagte im Schriftsatz vom 17.10.2011 fünf weitere Fragen an die Sachverständige formuliert und angekündigt habe, das persönliche Erscheinen der Sachverständigen Dr. J. zur Erläuterung ihres schriftlichen Gutachtens in der mündlichen Verhandlung zu beantragen, habe die Sachverständige mit Stellungnahme vom 12.12.2011 (5) die Fragen aus dem Schriftsatz vom 17.10.2011 beantwortet. Diese Stellungnahme sei der Beklagten mit Schreiben des Gerichts am 19.12.2011 bekannt gegeben worden. Am 20.12.2011 habe die Beklagte die Terminsmitteilung zur mündlichen Verhandlung am 11.1.2012 erhalten. Mit Schriftsatz vom 3.1.2012, der am selben Tag dem LSG per Fax übermittelt worden sei, habe die Beklagte mitgeteilt, dass weiterhin Zweifel an der Einschätzung der Sachverständigen Dr. J. zum Leistungsvermögen der Klägerin verblieben seien. Der wiederholt gestellte Antrag auf Anordnung des persönlichen Erscheinens der Sachverständigen zur Erläuterung ihres schriftlichen Gutachtens bleibe daher aufrechterhalten. Es sei daher beabsichtigt, ihr ua noch folgende Fragen zu stellen:
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In Ihrem Gutachten vom 17.11.2010, auf das Sie in Ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 12.12.2011 nochmals verweisen, gehen Sie davon aus, dass die von der Klägerin beschriebenen Symptome einer nachlassenden Sehkraft, von Gedächtnisstörungen und eines unkontrollierten Urinabgangs nachvollziehbar wesentlich für deren Gesamtbefinden seien. Welchen Stellenwert haben diese Symptome für die von Ihnen vorgenommene Einschätzung des quantitativen Leistungsvermögens der Klägerin? Ist Ihr Gutachten dahingehend zu verstehen, dass die Klägerin möglicherweise über ein sechsstündiges Leistungsvermögen verfügen würde, wenn diese Symptome nicht vorliegen würden? Haben Sie bei der Untersuchung der Klägerin auf Anzeichen der genannten Symptome geachtet? Haben Sie hierbei irgendwelche Anzeichen für das Vorliegen dieser Symptome beobachten können? Haben Sie in Erwägung gezogen, dass die genannten Symptome nicht durch die bei der Klägerin diagnostizierte Multiple Sklerose, sondern auch durch andere Erkrankungen verursacht worden sein könnten, bei denen nach ärztlicher Kenntnis und Erfahrung mit einer kurzfristigen Heilung oder Besserung gerechnet werden kann?
"1.
2.
Ihre Einschätzung, dass das quantitative Leistungsvermögen der Klägerin auf weniger als sechs Stunden täglich herabgesunken sei, wird von Ihnen u.a. mit dem Vorliegen von Tagesmüdigkeit begründet. Beruht Ihre Annahme, dass die Klägerin unter Tagesmüdigkeit leide, ausschließlich auf deren eigener Beschwerdeschilderung oder gibt es hierfür auch objektive Anhaltspunkte? Haben Sie bei der Untersuchung der Klägerin auf Anzeichen von Tagesmüdigkeit geachtet? Haben Sie hierbei irgendwelche Anzeichen von Tagesmüdigkeit beobachten können?
3.
In Ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 12.12.2011 gehen Sie davon aus, dass der Nachtschlaf der Klägerin sowohl durch Schmerzen als auch durch gehäuftes Wasserlassen gestört sei und sie an Ein- und Durchschlafstörungen leide. Haben Sie hierbei berücksichtigt, dass die Klägerin am 10.03.2010 gegenüber Herrn Dr. S. (siehe S. 18 seines Gutachtens vom 26.03.2010) noch angegeben hat, dass ihr Nachtschlaf meistens erholsam sei? Halten Sie die Ihnen gegenüber gemachten Angaben der Klägerin über ihre Schlafstörungen gleichwohl auch weiterhin für glaubhaft? Haben Sie in Erwägung gezogen, dass das für die Schlafstörungen der Klägerin mitursächliche gehäufte Wasserlassen durch eine Erkrankung verursacht worden sein könnte, bei der nach ärztlicher Kenntnis und Erfahrung mit einer kurzfristigen Heilung oder Besserung gerechnet werden kann?
4.
Ist Ihre ergänzende Stellungnahme vom 12.12.2011 dahingehend zu verstehen, dass die Klägerin nach Ihrer Einschätzung über ein sechsstündiges Leistungsvermögen verfügen würde, wenn sie die Möglichkeit hätte, während der Arbeitsschicht wiederholt Pausen einzulegen und hierbei die Beine hochzulagern? Wie viele derartige Pausen wären im Verlauf einer sechsstündigen Arbeitsschicht erforderlich und wie lange müssten diese Pausen jeweils dauern?
5.
In Ihrem Gutachten vom 17.11.2010 hatten Sie der Klägerin eine physiotherapeutische und psychosomatisch/psychotherapeutische Intervention sowie einen Behandlungsversuch mit Akupunktur anempfohlen. Wie sich aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung des 2. Senats des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 23.05.2011 ergibt, hatte die Klägerin bis zu diesem Zeitpunkt keine dieser Empfehlungen aufgegriffen. Wäre von einem unter erheblichen Schmerzen leidenden und hierdurch in seiner Lebensgestaltung eingeschränkten Patienten nach ärztlicher Erfahrung nicht zu erwarten, dass er Therapiemöglichkeiten, von denen er sich zumindest eine Linderung seiner Beschwerden erhoffen kann, auch wahrnimmt? Kann aus dem Umstand, dass die Klägerin derartige Therapiemöglichkeiten nicht wahrgenommen hat, die Schlussfolgerung gezogen werden, dass ihre Schmerzen und die hieraus resultierende Einschränkung ihrer Lebensgestaltung sich möglicherweise nicht so schwerwiegend darstellen, wie dies in Ihrem Gutachten angenommen wird, oder dass auch ohne derartige Therapiemaßnahmen eine Besserung eingetreten sein könnte?
6.
Sind die Ausführungen auf S. 45 f. Ihres Gutachtens dahingehend zu verstehen, dass aus Ihrer Sicht für die Zeit vor der von Ihnen vorgenommenen Untersuchung der Klägerin nicht mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass deren quantitatives Leistungsvermögen auf weniger als sechs Stunden herabgesunken war?
7.
Ihre Untersuchung der Klägerin liegt mehr als ein Jahr zurück. Können Sie - gerade vor dem Hintergrund der von Ihnen angenommenen multikausalen Verursachung der quantitativen Leistungseinschränkung der Klägerin - ausschließen, dass diese zwischenzeitlich wieder über ein sechsstündiges Leistungsvermögen verfügen könnte?"
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In der mündlichen Verhandlung am 11.1.2012 habe die Beklagte ausweislich der Niederschrift beantragt, hilfsweise die Sachverständige Dr. J. persönlich anzuhören, um die ihr im Schriftsatz vom 3.1.2012 formulierten Fragen zu stellen, weiter hilfsweise der Sachverständigen die schriftliche Beantwortung dieser Fragen aufzugeben. Das LSG habe unter Übergehung ihres Hilfsantrags die Beklagte verurteilt, der Klägerin Erwerbsminderungsrente zu gewähren nach den Ergebnissen des Gutachtens der Sachverständigen Dr. J. und ihren ergänzenden Stellungnahmen. In dem entsprechenden Vortrag (S 2 bis 11 Beschwerdebegründung) nimmt die Beklagte teilweise auf die Ausführungen Bezug, mit denen das LSG die Ablehnung des Hilfsantrags begründet hat.
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2. Mit diesem Vortrag ist eine Verletzung des Fragerechts nicht hinreichend bezeichnet. Es entspricht zwar ständiger Rechtsprechung des BSG, dass unabhängig von der nach § 411 Abs 3 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts liegenden Möglichkeit, das Erscheinen des Sachverständigen zum Termin von Amts wegen anzuordnen, jedem Beteiligten gemäß § 116 S 2, § 118 Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO das Recht zusteht, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die er zur Aufklärung der Sache für dienlich erachtet(vgl BSG SozR 4-1500 § 116 Nr 1, 2; zuletzt Senatsbeschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 355/11 B -; BVerfG vom 3.2.1998 - 1 BvR 909/94 - NJW 1998, 2273 - Juris RdNr 11).
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Sachdienlichkeit iS von § 116 S 2 SGG ist insbesondere dann zu bejahen, wenn sich die Fragen im Rahmen des Beweisthemas halten und nicht abwegig oder bereits eindeutig beantwortet sind. Abgelehnt werden kann ein solcher Antrag prozessordnungsgemäß dann, wenn er rechtsmissbräuchlich gestellt ist, insbesondere wenn die Notwendigkeit einer Erörterung überhaupt nicht begründet wird, wenn die an den Sachverständigen zu richtenden Fragen nicht hinreichend genau benannt oder nur beweisunerhebliche Fragen angekündigt werden (vgl BVerfG vom 29.8.1995 - 2 BvR 175/95 - NJW-RR 1996, 183 - Juris RdNr 29 mwN).
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Da die Rüge der Verletzung des Rechts auf Befragung eines Sachverständigen letztendlich eine Gehörsrüge (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) darstellt, müssen zudem deren Voraussetzungen erfüllt sein. Insbesondere muss der Beschwerdeführer alles getan haben, um eine Anhörung des Sachverständigen zu erreichen (vgl allgemein zu dieser Voraussetzung: BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22; vgl auch BSGE 68, 205, 210 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1 S 6). Dieser Obliegenheit ist ein Beteiligter jedenfalls dann nachgekommen, wenn er rechtzeitig den Antrag gestellt hat, einen Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens anzuhören, und er schriftlich sachdienliche Fragen im oben dargelegten Sinne angekündigt hat; liegen die Voraussetzungen vor, muss das Gericht dem Antrag folgen, soweit er aufrechterhalten bleibt (vgl BSG SozR 4-1500 § 62 Nr 4 RdNr 5). Dies gilt selbst dann, wenn das Gutachten nach Auffassung des Gerichts ausreichend und überzeugend ist und keiner Erläuterung bedarf (vgl BVerfG vom 3.2.1998 - 1 BvR 909/94 - NJW 1998, 2273 - Juris RdNr 11).
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Den aufgezeigten Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
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Der Senat kann offen lassen, ob sich nicht bereits nach dem Beschwerdevortrag das Verhalten der Beklagten insgesamt als verfahrensverzögernd und damit rechtsmissbräuchlich darstellt. Es kann nicht außer Acht gelassen werden, dass die von der Beklagten vorgelegten Stellungnahmen ihres beratungsärztlichen Dienstes und die von ihr formulierten Fragen zum Gutachten der Sachverständigen einen Zeitraum von mehr als einem Jahr eingenommen haben, bis die Beklagte schließlich eine Woche vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung dem LSG einen noch umfangreicheren Fragenkatalog vorgelegt hat. Im Hinblick auf den der Beklagten zur Verfügung stehenden beratungsärztlichen Sachverstand wäre es verfahrensfördernd und sachdienlich gewesen, die aus ihrer Sicht entscheidungsrelevanten Fragen, mit denen im Ergebnis die Einschätzung der Sachverständigen zum Leistungsvermögen der Klägerin in Zweifel gezogen werden sollte, möglichst in einem Fragenkatalog gebündelt und zeitgerecht dem LSG vorzulegen. Schließlich dürfte es nicht nur im Interesse der Klägerin liegen, eine zeitnahe gerichtliche Entscheidung über ihren Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung nach Beiziehung eines Gutachtens unter Berücksichtigung des aktuellen Gesundheitszustandes zu erhalten.
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Es ist auch zweifelhaft, ob die Beklagte nach eigenem Vortrag alles getan hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Selbst wenn das LSG der Beklagten keine Frist (§ 411 Abs 4 ZPO) für die Mitteilung von Einwendungen gesetzt habe, müssen Einwendungen rechtzeitig mitgeteilt werden. Unter Berücksichtigung des beachtlichen Umstandes, dass zwischen den sechs beratungsärztlichen Stellungnahmen bzw Schriftsätzen der Beklagten zu dem Gutachten der Dr. J. und den hierauf ergangenen fünf Erwiderungen der Sachverständigen ein Zeitraum von jeweils deutlich mehr als einer Woche lag, hätte sich die Beklagte darüber im Klaren sein müssen, dass eine Beantwortung der erst im Schriftsatz am 3.1.2012 formulierten Fragen nicht innerhalb einer Woche bis zum Verhandlungstermin am 11.1.2012 vorliegen würde. Da die letzte Stellungnahme der Sachverständigen der Beklagten bereits seit 19.12.2011 vorgelegen habe, hätte sie auf die ihr am 20.12.2011 zugegangene Terminsmitteilung zum 11.1.2012 früher reagieren und mitteilen können, dass und zu welchen sachdienlichen Fragen eine Befragung der Sachverständigen beabsichtigt gewesen sei. Auch wenn die Ladung der Sachverständigen am 3.1.2012 zum Termin am 11.1.2012 nicht schlichtweg unmöglich gewesen wäre, steht es im Ermessen des Gerichts, ob es die Sachverständige persönlich anhört oder zunächst eine schriftliche Stellungnahme einholt (vgl BVerfG vom 17.1.2012 - 1 BvR 2728/10 - NJW 2012, 1346 - Juris RdNr 15 mwN).
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Im Übrigen ist nicht ansatzweise dargelegt, aus welchem Grund die Beklagte die Fragen zu 1., 5. und 6. erst im Schriftsatz vom 3.1.2012 formuliert hat, obwohl sich diese Fragen direkt auf das schon am 17.11.2010 erstellte Gutachten der Sachverständigen beziehen und ohne dass aus dem Vortrag der Beklagten deutlich geworden wäre, dass diese Fragen in einem notwendigen Zusammenhang zu den vorangegangenen beratungsärztlichen Stellungnahmen und fünf ergänzenden Stellungnahmen der Sachverständigen gestanden hätten. Auch unabhängig von diesen Bedenken kann jedoch bereits dem eigenen Vorbringen der Beklagten entnommen werden, dass das LSG die Beantwortung dieser Fragen durch die Sachverständige im Ergebnis zu Recht abgelehnt hat:
Zu Frage 1: Wie sich aus dem Vortrag der Beschwerdebegründung (S 12, Abs 2) ergibt, habe das LSG in der Begründung seines Urteils zutreffend darauf hingewiesen, dass die Sachverständige die Beurteilung der Symptome nachlassende Sehkraft, Gedächtnisstörungen und unkontrollierter Urinabgang bereits in ihrem Gutachten vom 17.11.2010 als außerhalb ihres Fachgebiets liegend bezeichnet habe. Die Beklagte kann aber nicht die sachkompetente Beantwortung von Fragen einfordern, die außerhalb des Fachgebiets der Sachverständigen (Fachärztin für Anästhesiologie) und damit außerhalb des Beweisthemas des Gutachtenauftrags liegen. Aus diesem Grund sind auch die in der Frage zu 1. formulierten weiteren Anschlussfragen unerheblich.
Zu Frage 2: Schon nach eigenem Vortrag (S 8 Beschwerdebegründung) habe die Sachverständige Dr. J. in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 12.12.2011 die Frage dahingehend beantwortet, dass das Vorliegen von Tagesmüdigkeit auf der von der Klägerin "nachvollziehbar geschilderte(n) Schlafstörung" beruhe; die Klägerin "gebe nicht nur Ein- und Durchschlafstörungen an, sondern auch Tagesmüdigkeit". Die im Schriftsatz der Beklagten vom 3.1.2012 sinngemäß aufgeworfene Frage, aus welchem Grund die Sachverständige das Vorliegen von Tagesmüdigkeit diagnostiziert habe, ist damit eindeutig beantwortet.
Zu Frage 3: Die Beklagte übersieht, dass die Frage schon nach ihrem eigenen Vortrag nicht beweiserheblich ist, weil sie mitteilt, das LSG habe als wahr unterstellt, dass - wovon auch die Beklagte ausgehe - die Nachtschlafqualität der Klägerin bei der vorangegangenen Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. S. noch deutlich besser gewesen sei als im Zeitpunkt der Begutachtung durch die Sachverständige Dr. J. Wenn zudem nach dem Vortrag der Beklagten das LSG davon ausgegangen sei, dass die Ursache der Blasenentleerungsstörung und die Frage ihrer kurzfristigen Besserungsfähigkeit nach Ansicht des LSG durch die vorliegenden medizinischen Unterlagen geklärt sei, hätte die Beklagte substantiiert darlegen müssen, aus welchen Gründen die Sachverständige, die auf diesem Gebiet keine Fachkompetenz hatte (s Frage 1), befragt werden sollte.
Zu Frage 4: Die von der Beklagten (S 14 Beschwerdebegründung) aufgeworfene Vermutung, dass die Einschätzung des quantitativen Leistungsvermögens der Klägerin auf einer Fehlvorstellung der Sachverständigen über die Verhältnisse in der Arbeitswelt beruhe, dass nämlich im Rahmen einer Erwerbstätigkeit generell nicht die Möglichkeit bestehe, wiederholt Pausen einzulegen und die Beine hochzulegen, ist unsubstantiiert und abwegig. Die Beklagte verkennt, dass die Sachverständige die Frage, ob die Klägerin nach ihrer Einschätzung über ein sechsstündiges Leistungsvermögen verfügen würde, wenn sie die Möglichkeit hätte, während der Arbeitsschicht wiederholt Pausen einzulegen und hierbei die Beine hoch zu lagern, bereits in ihrer Stellungnahme vom 12.12.2011 eindeutig verneint hat (S 14 Beschwerdebegründung).
Zu Frage 5: Die Beklagte stellt zusammenfassend die Frage, ob die Klägerin als Schmerzpatientin anempfohlene Therapien (physiotherapeutische und psychosomatisch/psychotherapeutische Intervention sowie einen Behandlungsversuch mit Akupunktur) nicht schon in Anspruch genommen hätte, wenn sich ihr Leidensdruck als tatsächlich so gravierend darstellte, wie sie ihn gegenüber der Sachverständigen angegeben habe. Damit stellt die Beklagte erneut die Frage nach Simulation und Aggravation, die die Sachverständige nach dem Beschwerdevortrag bereits in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 7.2.2011 zum Gutachten dahingehend beantwortet habe, dass sie solche Hinweise bei der Begutachtung nicht gefunden habe (S 4 Beschwerdebegründung). Die Frage wird aber nicht deshalb erneut sachdienlich, weil die Beklagte eine bereits eindeutig beantwortete Frage in ein neues Gewand kleidet.
Zu Frage 6: Die Frage, ob bei der Klägerin bereits vor dem Tag der Untersuchung durch die Sachverständige (15.11.2010) ein quantitatives Leistungsvermögen von weniger als sechs Stunden vorgelegen habe, ist beweisunerheblich, da die Klägerin nach dem Beschwerdevortrag (S 15) ihren Klageantrag auf Rente wegen Erwerbsminderung ausgehend von einem Leistungsfall am 15.11.2010 für den Zeitraum vom 1.6.2011 bis zum 31.5.2014 beschränkt habe. Wenn die Beklagte vorträgt, dass die Frage des Eintritt des Leistungsfalls bei einer Rente wegen Erwerbsminderung "im Hinblick auf die §§ 59 Abs 2 Nr 1 und 75 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI auch für die Berechnung der Rentenhöhe von zentraler Bedeutung" sei, so hat sie damit die Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Frage nicht substantiiert dargelegt.
Zu Frage 7: Auch diese Frage ist nach dem Beschwerdevortrag eindeutig beantwortet. Denn nach eigenem Vortrag der Beklagten hat die Sachverständige die Frage, ob sie nach einem abgelaufenen Untersuchungszeitraum von mehr als einem Jahr ausschließen könne, dass sie zwischenzeitlich wieder über ein fast sechsstündiges Leistungsvermögen verfügen könnte, bereits in der ergänzenden Stellungnahme vom 12.12.2011 dahingehend beantwortet, dass die Wiedererlangung eines sechsstündigen Leistungsvermögens durch die Klägerin eine deutliche Verbesserung ihrer Gesamtsituation voraussetze, die sie für eher unwahrscheinlich halte (S 15 Beschwerdebegründung).
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3. Soweit die Beklagte eine Verletzung von § 128 Abs 2 SGG rügt, ist auch dieser Verfahrensfehler nicht hinreichend bezeichnet. Hierzu trägt sie vor, zu dem Eindruck, den der Senat in der mündlichen Verhandlung von der persönlich anwesenden Klägerin gewonnen habe, habe das LSG der Beklagten keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Das LSG habe aufgrund dieses Eindrucks das Verhalten der Klägerin als glaubhaft und nicht zur Verdeutlichung und Aggravation neigend beurteilt. Ein Hinweis auf das vom Senat beobachtete Verhalten der Klägerin sei ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung nicht erfolgt. Damit habe das LSG eine von ihm wahrgenommene Tatsache zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht, zu der sich die Beklagte nicht habe äußern können. Wäre der Beklagten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden, hätte sie vorgetragen, dass die Klägerin während des gerichtlichen Verfahrens die Fähigkeit entwickelt habe, sich in das Verhalten einer Schmerzpatientin einzufühlen und ihr Verhalten dementsprechend auszurichten.
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Die Beklagte hat auch insoweit keinen entscheidungserheblichen Verfahrensfehler schlüssig vorgetragen. Ein solcher Verstoß liegt dann vor, wenn das Gericht sich auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten. Zur Begründung eines entsprechenden Revisionszulassungsgrundes ist jedoch nicht nur der Verstoß gegen diesen Grundsatz selbst zu bezeichnen, sondern auch darzutun, welches Vorbringen dadurch ggf verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 36). Darüber hinaus ist für den Erfolg einer entsprechenden Rüge Voraussetzung, dass der Beschwerdeführer darlegt, seinerseits alles getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl BSGE 68, 205, 210 = SozR 3-2200 § 667 Nr 1 S 6 mwN).
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Insoweit fehlt es hier jedenfalls an hinreichendem Vortrag, dass die angefochtene Entscheidung iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen kann. Denn allein daraus, dass das LSG den Eindruck, den die Klägerin während der mündlichen Verhandlung auf den Senat gemacht habe, im Berufungsurteil erwähnt hat, kann nicht auf dessen Entscheidungserheblichkeit geschlossen werden. Dies gilt umso mehr, als bereits bei den von der Beklagten vorgetragenen umfangreichen medizinischen Ermittlungen die Frage nach Simulation und Aggravation von der Sachverständigen aus medizinischer Sicht eindeutig beantwortet worden ist (s oben 2., zur Frage 5).
- 22
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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
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Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
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Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 SGG.
(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.
(2) Der Vorsitzende hat bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen.
(3) Zu diesem Zweck kann er insbesondere
- 1.
um Mitteilung von Urkunden sowie um Übermittlung elektronischer Dokumente ersuchen, - 2.
Krankenpapiere, Aufzeichnungen, Krankengeschichten, Sektions- und Untersuchungsbefunde sowie Röntgenbilder beiziehen, - 3.
Auskünfte jeder Art einholen, - 4.
Zeugen und Sachverständige in geeigneten Fällen vernehmen oder, auch eidlich, durch den ersuchten Richter vernehmen lassen, - 5.
die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen und ausführen, - 6.
andere beiladen, - 7.
einen Termin anberaumen, das persönliche Erscheinen der Beteiligten hierzu anordnen und den Sachverhalt mit diesen erörtern.
(4) Für die Beweisaufnahme gelten die §§ 116, 118 und 119 entsprechend.
(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.
(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.
(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.
(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.
(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.
(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.
(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.
(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.