Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 30. Aug. 2017 - L 7 VE 7/14

ECLI:ECLI:DE:LSGST:2017:0830.L7VE7.14.00
bei uns veröffentlicht am30.08.2017

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Der Kläger begehrt die Feststellung des bei ihm vorliegenden Guillain-Barré-Syndrom (GBS) als Impfschaden und die Gewährung von Versorgungsleistungen.

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Der 1940 geborene Kläger, selbst Mediziner, beantragte am 4. Februar 2010 die Gewährung von Versorgung nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG), weil er nach der Impfung am 24. November 2009 mit dem Impfstoff Pandemrix Lot: A81cA073A gegen die Influenza H1N1 (Schweinegrippe) an einem GBS erkrankt sei.

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Der Beklagte führte medizinische Ermittlungen durch. Nach den Behandlungsunterlagen der Klinik für Neurologie der Universität M. vom 21. Januar 2010 befand sich der Kläger dort vom 13. Dezember 2009 bis 11. Januar 2010 in stationärer Behandlung wegen eines GBS. Eine frische Ischämie oder Blutung habe ausgeschlossen werden können. In der Epikrise wurde mitgeteilt, bei Aufnahme habe der Kläger berichtet, dass er vor ca. 3 Wochen eine H1N1-Impfung erhalten habe. Im Anschluss habe er einen "grippalen Infekt mit 38,5 °C, Fieber und Husten" entwickelt. Kurze Zeit später habe er eine Hypästhesie bemerkt, einen Geschmacksverlust sowie Kribbelparästhesien der Hände. Anschließend seien Taubheitsgefühle der Füße aufgetreten, die bis zu den Knien aufgestiegen seien. Außerdem habe er eine Schwächesymptomatik der Beine entwickelt. Das Klinikum meldete dem PEI, Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel (PEI) sowie dem Gesundheitsamt M. die Erkrankung des Klägers als Impfkomplikation. Im Entlassungsbericht aufgrund der Neurologischen Rehabilitationsmaßnahme der Klinik M. (stationärer Aufenthalt vom 26. Februar bis 20. März 2010) vom 22. März 2010 wurde mitgeteilt, der Kläger habe geschildert, dass er im November 2009 eine H1N1 – Impfung erhalten habe. Im Anschluss habe er einen grippalen Infekt mit Temperaturen bis 38,5°, Husten und Fieber entwickelt. Kurze Zeit später habe er eine Hypästhesie bemerkt, ebenso einen Geschmacksverlust und Kribbelparästhesien der Hände, anschließend Taubheitsgefühle der Füße bis zu den Knien aufsteigend und Temperaturempfindungsstörungen in diesem Bereich.

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In seiner prüfärztlichen Stellungnahme führte der ärztliche Gutachter des Beklagten Dipl.-Med. K. am 22. Juli 2010 aus: An GBS erkrankten in Deutschland in jedem Jahr etwa einer von 65.000 Einwohnern. In dem Epidemiologischen Bulletin Nr. 25 des R.-K.-I. vom Juni 2007 (EB) werde ausgeführt: "Wenn moderne Influenzaimpfstoffe überhaupt ein GBS – Risiko beinhalten, dürfte das Risiko sehr niedrig sein (1:1.000.000 Impfungen)". Bei einer relativ hohen Inzidenz (Anzahl der Neuerkrankungen) in der nicht geimpften Normalbevölkerung und der recht geringen Wahrscheinlichkeit durch eine Influenzaimpfung am GBS-Syndrom zu erkranken, sei daher ein kausaler Zusammenhang zwischen der Impfung und dem GBS nicht wahrscheinlich. Es müsse hier eher von einer zufälligen zeitlichen Koinzidenz (Zusammentreffen) von Impfung und GBS ausgegangen werden. Die Kann-Versorgung sei hier nicht anwendbar, da zur Ätiologie und Pathogenese des GBS genügend gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse vorlägen.

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Dem folgend lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 29. Juli 2010 die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem IfSG ab.

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Mit seinem am 4. August 2010 eingelegten Widerspruch trug der Kläger vor: Die zugrunde gelegten Erkenntnisse aus dem Jahr 2007 stammten vor dem Einsatz von Adjuvantien (Verstärkern) des Typs AS03. Das Bundesgesundheitsministerium habe das PEI mit der gesonderten Beobachtung bei Grippeschutzimpfungen mit Verstärkern im Hinblick auf das GBS beauftragt und einen Bericht dazu im Jahr 2010 vorgelegt. Hinsichtlich der Kann-Versorgung habe der Beklagte nicht dargelegt, welchen genügend gesicherten medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse gemeint seien.

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In ihrer prüfärztlichen Stellungnahme vom 31. März 2011 führte die ärztliche Gutachterin des Beklagten Dr. W. aus: Der Kläger habe nach den Berichten vom 21. Januar und 22. März 2010 im Anschluss an die Grippeschutzimpfung einen grippalen Infekt erlitten, sodass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Infektion mit Viren ursächlich sei. Im Übrigen existiere keine anerkannte wissenschaftliche Lehrmeinung, wonach ein Ursachenzusammenhang zwischen H1N1 – Impfung und GBS wahrscheinlich sei. Die abschließenden Untersuchungsergebnisse des PEI zu einem allenfalls möglichen Zusammenhang lägen noch nicht vor. Selbst wenn die laufenden Untersuchungen des PEI einen möglichen Zusammenhang zeigten, würde dies für sich allein nicht ausreichen, um eine Schädigungsfolge im Sinne der Kann-Versorgung feststellen zu können. In der Gesamtschau sei der schädigungsunabhängige grippale Infekt als Ursache der GBS-Erkrankung anzusehen.

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In ihrer prüfärztlichen Stellungnahme vom 18. April 2011 führte die Leitende Ärztin des Referats Versorgungsärztlicher Dienst des Beklagten Dr. S. aus: Bislang sei nicht nachgewiesen, dass der beim Kläger verwendete Impfstoff gegen H1N1 ein signifikant höheres gesundheitliches Gefährdungspotenzial/Schädigungsmuster als der übliche saisonale Grippeimpfstoff in sich geborgen habe. Daher seien die Kausalitätsbeurteilungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) weiterhin anzuwenden, wonach ein GBS weder als Impfkomplikation noch als wahrscheinlicher Impfschaden zu bewerten sei. Derzeit sei allein ein plausibles zeitliches Intervall von fünf Tagen bis zu sechs Wochen nach der Impfung anzunehmen. Dies reiche jedoch nicht aus, um die Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhangs zu bejahen. Das PEI differenziere klar zwischen quantitativen und qualitativen Kriterien und spreche bislang – genauso wie die STIKO – nur von einer kausalen Möglichkeit. Das Ergebnis der Untersuchung bleibe abzuwarten und müsse ohnehin von der STIKO erst anerkannt werden, um nachfolgend auch für die versorgungsmedizinische Kausalitätsbeurteilung übernommen werden zu können. Zur Kann-Versorgung sei Folgendes auszuführen: 70 % aller GBS-Fälle seien auf eine vorausgegangene virale oder bakterielle Infektion zurückzuführen. In diesen Fällen sei die Kausalität wesentlich geklärt. Bei den anderen Fällen könne die Kausalität der wesentlichen Bedingungen nicht geprüft werden, weil das Leiden insgesamt zu den ätiologisch noch immer nicht hinreichend geklärten Gesundheitsstörungen zähle. Eine Kann-Versorgung könne nicht auf der Grundlage eines zeitlichen Zusammenhangs angenommen werden. Ein geeigneter Schädigungstatbestand liege hier nicht vor.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 28. April 2011 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers unter Hinweis auf die prüfärztlichen Stellungnahmen zurück.

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Dagegen hat der Kläger am 23. Mai 2011 Klage beim Sozialgericht (SG) Magdeburg erhoben und vorgetragen: Ohne qualifizierte medizinische Begründung oder Nachweis werde unterstellt, dass Auslöser des GBS nicht die Impfung, sondern der danach aufgetretene leichte grippale Infekt gewesen sei. Die Genese dieses Infekts, bakteriell oder viral, sei ungeklärt. Die Wahrscheinlichkeit, den Infekt als übliche und anerkannte Folge der Schutzimpfung selbst zu deuten, sei indes hoch. Im Übrigen werde selbst auf dem Beipackzettel des Herstellers auf das Risiko eines GBS als Nebenwirkung hingewiesen. Der Kläger hat angeregt, das PEI um eine Stellungnahme zu bitten.

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Das SG hat mit Beweisanordnung vom 9. August 2012 Prof. Dr. G., I. f. M. M. der Medizinischen Fakultät M., mit der Gutachtenerstellung nach Aktenlage beauftragt.

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Daraufhin hat der Beklagte vorgetragen: Eine Einzelmeinung könne nicht Grundlage der medizinischen Beurteilung sein. Ein Versorgungsanspruch könne selbst dann nicht festgestellt werden, wenn der Sachverständige die klärungsbedürftige Kausalitätsfrage bejahen würde.

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Prof. Dr. G. hat in seinem Gutachten vom 25. März 2013 ausgeführt: Aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs zur durchgeführten Impfung erscheine ein kausaler Zusammenhang von Impfung und GBS grundsätzlich möglich. Eine vom PEI während der Impfkampagne ab November 2009 durchgeführte Studie habe ein vierfach erhöhtes relatives Risiko für das Auftreten eines GBS im Zeitraum von fünf bis 42 Tagen nach der Impfung ergeben. Die Ursache der beim Kläger nach der Impfung aufgetretenen grippalen Symptome sei rückwirkend nicht sicher zu klären. Diese könnten mit etwa gleicher Wahrscheinlichkeit durch die Influenza-Impfung oder durch einen grippalen Infekt bedingt worden sein. Unter Annahme einer 50 %-Wahrscheinlichkeit eines grippalen Infekts in zeitlicher Koinzidenz mit der Impfung und des infektbedingten ca. 16-fach erhöhten Risikos eines GBS sei ein grippaler Infekt als wahrscheinlichste Ursache der Erkrankung anzusehen. Zur Begründung seines Gutachtens hat er u.a. auf "H. HP, K.-St. B, H. RA, L. HC. Guillain-Barré-Syndrom nach Exposition mit Influenza. Nervenarzt. 2012 Jun; 83(6): 714-30" und "PEI, GBS-Studie des PEI" verwiesen. Außerdem hat er auf die "Fachinformation Pandemrix" (Firma G. S. K.) verwiesen, wonach als Anwendungserfahrung nach der Markteinführung über das sehr seltene Auftreten des GBS berichtet worden war.

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Der Kläger hat gegen das Gutachten eingewendet: Der Sachverständige habe eine pauschale Bewertung abgegeben, aber keine detaillierte Bewertung des Einzelfalls vorgenommen. Das PEI habe nach Abschluss der Studie ein mehr als 400 % erhöhtes Erkrankungsrisiko an GBS in einem engen Zeitraum von fünf bis 42 Tagen nach der Schutzimpfung festgestellt. Würde man dem Gutachter folgen, wäre in keinem Fall auch nur andeutungsweise eine Kausalität zwischen Schutzimpfung gegen H1N1- Grippe und GBS herzustellen. Auch habe der Gutachter keine Stellung zur Kann-Versorgung bezogen. Im Übrigen seien die anamnestischen Angaben in den Unterlagen nicht präzise genug, um Art und Genese der Grippesymptomatik zu differenzieren. Er habe am 10. Dezember 2009 bei seiner Hausärztin Dr. S. wegen Unwohlsein mit Grippesymptomatik, Fieber, Muskel- und Gelenkschmerzen, zunehmender Schlappheit und perioralen Missempfindungen angerufen. Er habe keinen Husten oder Schnupfen gehabt. Er sei am 13. Dezember 2009 bei völlig klarem Bewusstsein gestürzt und habe sich dabei eine Nasenbeinfraktur zugezogen.

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In seiner ergänzenden Stellungnahme hat Prof. Dr. G. am 14. Juni 2013 ausgeführt: Er habe den Sachverhalt nach einer Wahrscheinlichkeitsanalyse detailliert untersucht und danach den Zusammenhang als nicht wahrscheinlich angesehen. Ein trotzdem bestehender ursächlicher Zusammenhang zwischen Impfung und GBS sei aber dennoch möglich und könne prinzipiell nicht ausgeschlossen werden. Eine Stellungnahme zur Kann-Versorgung sei nicht Gegenstand des vorliegenden Gutachtens gewesen. Ohne konkurrierende Ursachen sei ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Impfung und Erkrankungen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen.

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Der Beklagte sieht sich durch das Gutachten bestätigt. Eine Kann-Versorgung komme nicht in Betracht, weil beim Kläger eine vorausgegangene virale oder bakterielle Ursache nachgewiesen und damit die Kausalität geklärt sei. Nur wenn das GBS durch die STIKO als Impfkomplikation Anerkennung finde, sei die Wahrscheinlichkeit für einen ursächlichen Zusammenhang mit der Impfung als gesichert zu betrachten. Dies sei bislang nicht geschehen.

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Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vom 28. April 2014 eine Bescheinigung seiner Hausärztin Dr. S. vom 13. Januar 2014 überreicht. Danach hätten bei ihm zum Zeitpunkt der Impfung keine Anzeichen für einen Infekt bestanden. Am 10. Dezember 2009 habe der Kläger sie angerufen und mitgeteilt, dass er unter Temperaturen um 38 Grad leide. Zusätzlich hätten Missempfindungen um den Mund herum und Störung des Geschmacks bestanden. Dies seien Nebenwirkungen, die durchaus beschrieben worden waren. Zeichen eines herkömmlichen grippalen Infekts hätten zu diesem Zeitpunkt nicht vorgelegen.

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Mit Urteil vom 28. April 2014 hat das SG den Beklagten verurteilt, das GBS als Schädigungsfolge anzuerkennen und dem Kläger ab 1. Februar 2010 Versorgungsleistungen nach dem IfSG zu gewähren. Die Kammer hat offen gelassen, ob es sich bei den grippalen Symptomen nach der Impfung um Folgen der Impfung selbst gehandelt habe oder um einen davon unabhängigen Infekt. Die Erwägungen des Sachverständigen Prof. Dr. G. hierzu beruhten mehr auf Mutmaßungen und statistischen Erwägungen als auf Fakten und seien auch nach seiner Auffassung letztlich nicht mehr nachweisbar. Soweit der Beklagte darauf abstelle, dass ein grippaler Infekt Ursache gewesen sei, führe er eine konkurrierende Ursache an. Aber erst, wenn diese feststehe, habe eine Abwägung zu erfolgen, welche dieser Bedingungen wesentlich sei. Insoweit überzeugten die statistischen Überlegungen des Sachverständigen nicht. Dieser habe nicht sicher feststellen können, ob es sich bei den grippalen Symptomen tatsächlich um einen Infekt gehandelt habe. Die Stellungnahme der Hausärztin Dr. S. spreche sogar gegen diese Annahme. Im Ergebnis sei mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass das GBS des Klägers auf der Impfung mit dem Wirkstoff Pandemrix beruhe. Nach der Studie des PEI sei erwiesen, dass diese Impfung ein erhöhtes Risiko nach sich gezogen habe, an einem GBS zu erkranken.

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Gegen das ihm am 23. Mai 2014 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 20. Juni 2014 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt: Die Beweisführung sei weder medizinisch noch epidemiologisch ausreichend schlüssig und hat dazu auf die versorgungsärztlichen Stellungnahmen seiner Leitenden Ärztin Dr. S. vom 3. und 30. Juni 2014 verwiesen. Danach habe Prof. Dr. G. schlüssig hergeleitet, dass einer Infektion die höhere Wahrscheinlichkeit im Sinne der konkurrierenden Ursache zukomme, auch wenn sich die Ursache der beim Kläger nach der Impfung aufgetretenen grippalen Symptome retrospektiv nicht sicher habe klären lassen. Damit sei die Wahrscheinlichkeit einer konkurrierenden Ursache hinreichend belegt. Ein Missverständnis könne resultieren, wenn man das Gutachten von Prof. Dr. G. allein auf die grippalen Symptome und deren ursächliche Wahrscheinlichkeitsbetrachtung reduzieren wolle. Sofern man die konkurrierende Ursache negiere, sei darüber hinaus zu beachten, dass die PEI-Studie zwar die Möglichkeit nicht ausschließe, aber die Wahrscheinlichkeit nicht zu untersetzen vermocht habe. Bei den im Juli 2012 veröffentlichen Studienergebnissen handele es sich zunächst nur um das Ergebnis einer statistisch erhobenen Ermittlung, nicht aber um eine valide Bewertung zur kausalen Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeitswirkung zwischen GBS und Impfung. Aus dem 4,65-fach erhöhten Risiko sei keine wahrscheinliche Kausalität abzuleiten. Eine über statistisch erhobene Daten hinausgehende kausale Bewertung, die nachfolgend auch für die versorgungsmedizinische Kausalitätsbeurteilung von Bedeutung sei, obliege der STIKO. Eine Kann-Versorgung sei hier nicht zu prüfen, da die Wahrscheinlichkeit der Kausalität durch eine konkurrierende Ursache abzuleiten sei. Für den Fall, dass man diese negieren wollte, wäre hinsichtlich eines dann notwendigerweise erforderlichen geeigneten Schädigungstatbestandes eine über das übliche Maß hinausgehende pathologische Impfreaktion zu fordern. Da grippale Symptome jedoch im Zusammenhang mit einer Grippeschutzimpfung als sog. übliche Impfreaktion auftreten könnten, sei auch diese Voraussetzung nicht erfüllt. Die Aussage von Frau Dr. S. sei nicht verwertbar. Sie habe ohne Untersuchung des Klägers eine fernmündliche Selbstauskunft entgegengenommen. Daher habe sie nicht sachgerecht beurteilen können, ob Zeichen eines herkömmlichen grippalen Infekts zu diesem Zeitpunkt noch vorgelegen haben. Entsprechende Untersuchungen seien nicht durchgeführt worden und könnten auch nicht durch Laborwerte geschaffen werden. Dennoch sei die Wahrscheinlichkeit eines grippalen Infekts hoch, da das Risiko, im Zusammenhang mit dem Virusinfekt ein GBS zu entwickeln, um das 16-fache erhöht sei. Die PEI-Studie habe lediglich ausgesagt, dass das relevante Risiko, an einem GBS zu erkranken, vergleichsweise zum Kontrollzeitraum um das 4,65-fache erhöht gewesen sei. Damit sei nicht untersucht und nicht bewertet worden, ob die relevante Risikoerhöhung auf die Impfung oder aber auf den seinerseits weit verbreiteten Erreger der neuen Influenza H1N1 selbst zurückzuführen sei. Im Ergebnis sei zwar von einer möglichen, aber nicht von einer haftungsausfüllenden Kausalität auszugehen.

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Der Beklagte beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

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das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 28. April 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Er sieht seinen Anspruch auch durch die weitere Sachaufklärung bestätigt.

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Nach einem am 3. Februar 2015 durchgeführten Erörterungstermin hat der Beklagte unter Hinweis auf die Stellungnahme seiner Leitenden Ärztin Dr. S. vom 18. Februar 2015 ausgeführt: Zwar liege der erforderliche Vollbeweis für einen "echten grippalen Infekt" als konkurrierende Ursache nicht vor, sodass auch keine tragfähige Kausalitätsbeurteilung auf dieser Grundlage möglich sei. Aber auch unter Berücksichtigung, dass die Ursache des GBS medizinisch ungeklärt sei und die PEI-Studienergebnisse zumindest theoretisch in Erwägung ziehen, dass eine erhöhte Gefahr für eine Erkrankung an GBS durch die Schweinegrippeimpfung bestanden habe, könne keine Kann-Versorgung festgestellt werden. Eine überschießende Impfreaktion sei Voraussetzung, um die Möglichkeit eines Impfschadens plausibel zu begründen. Die für den 10. Dezember 2009 angegebenen Symptome seien als üblich Impfreaktion zu beurteilen. Die PEI-Studie sei auch nicht geeignet, eine Kann-Versorgung bzw. eine "gute Möglichkeit" hinreichend zu stützen. Ob die Risikoerhöhung auf die Impfung oder den seinerzeit weit verbreiteten Erreger der neuen Influenza selbst zurückzuführen sei, sei nicht untersucht worden. Es handele sich um eine ausschließlich epidemiologisch geprägte Studie, die für Beurteilungen im sozialen Entschädigungsrecht nicht verwertet werden könne. Es werde angeregt, dass PEI um weitere Aufklärung bzw. Erläuterung zu bitten.

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Schließlich hat der Senat durch Dr. K.-St., Leiterin der Abteilung Sicherheit von Arzneimitteln und Medizinprodukten des PEI, das Gutachten vom 1. Februar 2016 nach Aktenlage erstatten lassen. Zunächst hat die Sachverständige ausgeführt, dass der Fall des Klägers dem PEI als Verdachtsfall gemeldet worden war. Der ursächliche Zusammenhang zwischen der Impfung und der Erkrankung wurde gemäß der damals gültigen Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit "möglich" bewertet. Allerdings sei die Pathogenese des GBS bis heute nicht vollständig geklärt. Beim Kläger bestehe die diagnostische Sicherheit eines GBS aufgrund des klinischen Bildes der Erkrankung sowie des Liquorbefundes vom 15. Dezember 2009. Auch der neurographische Befund sei mit einem GBS vereinbar. Zwar habe Prof. Dr. G. einen grippalen Infekt als konkurrierende Ursache diskutiert. Allerdings seien die Unterlagen diesbezüglich unklar und teilweise auch widersprüchlich. Eine infektiologische Diagnostik sei in der Neurologischen Klinik M. offenbar nicht durchgeführt worden, so dass kein konkreter Hinweis auf eine Infektion vorliege, die alternativ zur Impfung mit der Erkrankung assoziiert sein könne. Insgesamt bleibe die Annahme eines grippalen Infektes als konkurrierende Ursache des GBS hypothetisch. Es sei von einem plausiblen Abstand zwischen der Impfung des Klägers und den ersten neurologischen Symptomen auszugehen. Dies beruhe insbesondere auf den Erfahrungen aus den USA mit den GBS-Fällen nach H1N1-Impfungen im Jahre 1976. Der ursächliche Zusammenhang zwischen GBS und der H1N1-Influenzaimpfung 2009/2010 sei nicht eindeutig in der Wissenschaft geklärt. Zwar weise die Studie des PEI auf ein erhöhtes Risiko eines GBS innerhalb von sechs Wochen nach Impfung hin, allerdings sei die Studienlage weltweit diesbezüglich nicht konsistent. Außerdem könne im Rahmen einer epidemiologischen Studie zwar eine Assoziation beschrieben werden. Ohne Kenntnis des zugrunde liegenden Panthomechanismus könne aber nicht ohne weiteres auf eine Ursächlichkeit geschlossen werden. Da grundsätzlich nicht geklärt sei, ob die H1N1-Impfung ein GBS verursachen könne, sei es im Einzelfall auch nicht möglich, von einem wahrscheinlichen Zusammenhang auszugehen. Der Kläger habe im relevanten Zeitraum erste Symptome entwickelt. Eine alternative Ursache sei nicht festgestellt worden. Die Annahme eines grippalen Infekts als alternative Ursache bzw. Trigger der GBS-Symptome bleibe fraglich. Als Sachverständige sei sie nach Bewertung der zur Verfügung gestellten Informationen zum Krankheitsverlauf beim Kläger und der wissenschaftlichen Datenlage der Ansicht, dass die "gute Möglichkeit" für einen Zusammenhang zwischen der Impfung und der Erkrankung des Klägers bestehe.

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Der Beklagte hat unter Hinweis auf die prüfärztliche Stellungnahme von Dr. S. vom 23. Februar 2016 gegen das Gutachten eingewendet, dass Dr. K.-St. keine "gute Möglichkeit" dargelegt habe, um eine Kann-Versorgung annehmen zu können. Für eine "gute Möglichkeit" spreche nicht die Impfung, sondern ein Virusinfekt. Die Möglichkeit an einem GBS zu erkranken, sei vergleichsweise zum Kontrollzeitpunkt um das 4,65-fache erhöht. Die Möglichkeit für einen Virusinfekt sei dagegen um das 16-fache erhöht gewesen. Es sei im Übrigen bereits im Vorfeld aufgezeigt worden, dass das Virus H1N1 in der Gesamtschau wenig aggressiv gewesen sei, dass der Durchseuchungsgrad mit Influenza H1N1 sehr hoch gewesen sei und unter anderem auch eine asymptomatische Infektion umfasst habe. Sicher sei auch, dass sonstige grippale Infekte jahreszeitlich bedingt häufig aufgetreten seien und durch eine H1N1-Impfung nicht hätten verhindert werden können. Auch dies sei bei der Prüfung der Kann-Versorgung zu beachten.

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In ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 31. Mai 2016 hat Dr. K.-St. daraufhin ausgeführt: Die Annahme eines Infektes unmittelbar vor der GBS-Erkrankung sei hypothetisch und nicht durch entsprechende Laboruntersuchungen belegt. Die Studie des PEI sei eine von mehreren Studien, die in ihrer Gesamtheit sehr wohl auf die kausale Möglichkeit des GBS nach H1N1-Impfung hingewiesen hätten. Auch wenn bekannt sei, dass in etwa 60% der Fälle dem GBS eine Infektion vorausgehe, handele es sich – wie bei der epidemiologischen Studie des PEI – um eine Assoziation und nicht um einen Nachweis der Ursächlichkeit. Auch könne nicht pauschal geschlussfolgert werden, dass jegliche Atemwegsinfektion mit einem GBS assoziiert sei. Insgesamt bleibe die Kalkulation der Erhöhung des Risikos eines GBS nach Virusinfektion auf das 16-fache unklar und daher nicht nachvollziehbar. Im Hinblick auf die Bewertung der wissenschaftlichen Datenlage des Expertengremiums der WHO im Dezember 2012 und der im Gutachten dargelegten Argumente könne sehr wohl eine Kann-Versorgung befürwortet werden.

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Daraufhin hat der Beklagte unter Hinweis auf die Stellungnahme der Leitenden Ärztin Dr. S. vom 28. Juni 2016 ausgeführt: Es sei nicht nachvollziehbar, dass die grippale Symptomatik negiert werde. Der Kläger habe im Dezember 2009 eigenanamnestisch berichtet, dass er im Anschluss an eine H1N1-Impfung einen grippalen Infekt mit Fieber und Husten entwickelt habe.

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In einer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 21. Dezember 2016 hat Dr. K.-St. ausgeführt: Objektivierbare Befunde im Rahmen einer Erregerdiagnostik sei nicht mitgeteilt und wohl auch nicht durchgeführt worden, so dass sie keinen Nachweis für einen grippalen Infekt sehen könne. Nach den im PEI vorliegenden Unterlagen erfolgten am 21. Januar 2010, 16. März 2010 sowie am 16. August 2010 Telefongespräche zwischen ihrem damaligen ärztlichen Mitarbeiter, der als Facharzt für Neurologie die Bewertung im PEI vorgenommen habe, und dem Chefarzt der Klinik für Neurologie in M. Eine akute Infektionserkrankung sei damals offenbar nicht gesehen worden. Sie gehe davon aus, dass der Kläger als Arzt seine eigenen Krankheitssymptome medizinisch bewerten könne. Seine Aussagen seien von seiner Hausärztin bestätigt worden, so dass es für sie eher wahrscheinlich sei, dass im Entlassungsbericht der Neurologischen Klinik die anamnestischen Angaben des Klägers vereinfacht wiedergegeben worden seien. Zudem führe nicht jeder harmlose grippale Infekt zu einem GBS und es könne nicht ausgeschlossen werden, dass zwei unabhängige Ereignisse (grippaler Infekt und GBS) in Assoziation mit der H1N-Influenzaimpfung auch zusammentreffen könnten.

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Dagegen hat der Beklagte wiederum unter Hinweis auf die prüfärztliche Stellungnahme seiner Leitenden Ärztin Dr. S. vom 17. Januar 2017 ausgeführt: Es sei unstreitig, dass Fieber und Husten charakterisierende grippale Symptome und nicht Krankheitszeichen eines beginnenden GBS seien. Die Sachverständige habe nachträglich einen Sachverhalt negiert. Die kausale Genese spreche an erster Stelle für einen grippalen Infekt als wahrscheinliche Ursache für das Entstehen des GBS. Die Tilgung dieser kausalen Genese durch das nachträgliche Negieren der sehr zeitnah zur Impfung aufgetretenen grippalen Symptome Fieber und Husten sei gutachtlich nicht zu vertreten. Die Variante, dass der Kläger trotz Impfung im zufälligen zeitlichen Zusammenhang einen Infekt erlitten habe, sei die wahrscheinlichste. Weiter stehe die alternative Möglichkeit einer blande verlaufenden Influenza, da der Schutz gegen die Influenza auch nicht sofort nach der Impfung gegeben sei, sondern regelhaft erst frühestens nach 14 Tagen. Die dritte alternative Möglichkeit, eine grippale Symptomatik im Sinne einer Impfreaktion, sei nicht in Betracht zu ziehen. Die vierte Alternative, bei der er sich um ein bereits beginnendes GBS gehandelt habe, sei unwahrscheinlich, da die Symptome Fieber und Husten nicht dazu passten.

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Mit Schreiben vom 13. Juni 2017 hat sich der Kläger und mit Schreiben vom 20. Juni 2017 hat sich der Beklagte sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

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Die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Gerichtsakte haben vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats.

Entscheidungsgründe

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Die nach §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte und auch in der von § 151 Abs. 1 SGG vorgeschriebenen Form und Frist eingelegte Berufung des Beklagten ist unbegründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Anerkennung des GBS als Schädigungsfolge und die Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach dem IfSG.

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Streitgegenstand ist das Begehren des Klägers, das GBS als Impfschaden festzustellen sowie die Gewährung von Versorgungsleistungen. Dabei bildet der Anspruch aus einer Kann-Versorgung keinen eigenen Streitgegenstand (BSG, Urteil vom 16. März 1994 – 9 RV 11/93, BSGE 74, 109 ff.; so auch Urteil des Senates vom 25. September 2012, L 7 VJ 3/08, juris).

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Der Anspruch des Klägers aufgrund der am 24. November 2009 durchgeführten Impfung gegen H1N1 richtet sich nach dem IfSG. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erhält derjenige, welcher durch eine empfohlene oder angeordnete Schutzimpfung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen des Impfschadens auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). § 2 Nr. 11 IfSG definiert einen Impfschaden als gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung. Die schädigende Einwirkung (die Impfung), die gesundheitliche Primärschädigung in Form einer unüblichen Impfreaktion und die Schädigungsfolge (ein Dauerleiden) müssen nachgewiesen und nicht nur wahrscheinlich sein (BSG, Urteil vom 19. März 1986, 9a RVi 2/84, SozR 3850 § 51 Nr. 9). Dagegen genügt nach § 61 Satz 1 IfSG für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Maßstab dafür ist die im sozialen Entschädigungsrecht allgemein geltende Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung. Danach ist aus der Fülle aller Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne diejenige Ursache rechtlich erheblich, die bei wertender Betrachtung wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Als wesentlich sind diejenigen Ursachen anzusehen, die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in besonders enger Beziehung stehen, wobei Alleinursächlichkeit nicht erforderlich ist (BSG, Urteil vom 7. April 2011- B 9 VI 1/10 R m.w.N., zitiert nach juris).

37

Bei der jeweils vorzunehmenden Kausalitätsbeurteilung sind im sozialen Entschädigungsrecht die bis Ende 2008 in verschiedenen Fassungen geltenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) anzuwenden und zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG handelt es sich bei den schon seit Jahrzehnten von einem Sachverständigenbeirat beim zuständigen Bundesministerium (jetzt beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS)) erarbeiteten und ständig weiterentwickelten AHP insbesondere um eine Zusammenfassung medizinischen Erfahrungswissens und damit um sog. antizipierte Sachverständigengutachten (BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.). Die AHP sind in den Bereichen des sozialen Entschädigungsrechts generell anzuwenden und wirken dadurch wie eine Rechtsnorm normähnlich (BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.). Die AHP enthielten in den Fassungen seit 1996 bis 2008 unter den Nr. 53 bis 143 Hinweise zur Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitszuständen, wobei die Nr. 56 Impfschäden im Allgemeinen und die Nr. 57 Schutzimpfungen im Einzelnen zum Inhalt haben.

38

Die detaillierten Angaben zu Impfkomplikationen (damals noch als "Impfschaden" bezeichnet) bei Schutzimpfungen in Nr. 57 AHP 1996 bis 2005 sind allerdings Ende 2006 aufgrund eines Beschlusses des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Versorgungsmedizin" beim BMAS gestrichen und durch folgenden Text ersetzt worden (Rundschreiben des BMAS vom 12.12.2006 - IV.c.6-48064-3; vgl. auch Nr. 57 AHP 2008): Die beim R.-K.-I. eingerichtete Ständige Impfkommission (STIKO) entwickelt Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß der Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden). Die Arbeitsergebnisse der STIKO werden im Epidemiologischen Bulletin (EB) veröffentlicht und stellen den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft dar. Die Versorgungsmedizinische Begutachtung von Impfschäden (§ 2 Nr. 11 IfSG und Nr. 56 Abs. 1 AHP) bezüglich Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Kann-Versorgung ist jedoch ausschließlich nach den Kriterien von §§ 60 f. IfSG durchzuführen. Dies ergibt sich auch aus Nr. 35 bis 52 der AHP (BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.).

39

Die seit dem 1. Januar 2009 an die Stelle der AHP getretene Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) ist eine allgemein verbindliche Rechtsverordnung (BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.) Anders als die AHP 1996 bis 2008 enthält die VersMedV keine Bestimmungen über die Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitsbildern, sodass insoweit entweder auf die letzte Fassung der AHP (2008) zurückgegriffen werden muss oder bei Anzeichen dafür, dass diese den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr beinhalten, andere Erkenntnisquellen, insbesondere Sachverständigengutachten genutzt werden müssen (BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.). Dabei sind alle medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen, auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu beantworten (BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.).

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Unter Beachtung dieser Grundsätze steht zunächst fest, dass der Kläger am 24. November 2009 mit dem Grippeschutzimpfstoff Pandemrix gegen die Influenza H1N1 geimpft worden ist. Außerdem steht im Vollbeweis fest, dass der Kläger an einem GBS erkrankt ist. Dies lässt sich nach dem umfassend dokumentierten Krankheitsgeschehen sicher belegen und ist zwischen Beteiligten auch nicht umstritten.

41

Der Beklagte kann auch nicht einwenden, dass der Kläger keine über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehende Schädigung erlitten hat. Denn jedenfalls hat der Kläger am 13. Dezember 2009, zu Beginn des stationären Aufenthalts, die Symptome des GBS gezeigt. Somit kann auch offen bleiben, ob die von der Hausärztin Dr. S. bereits am 10. Dezember 2010 festgestellten Symptome dem GBS zuzuordnen waren. Sofern vom Beklagten noch eine darüber hinausgehende weitere unübliche Reaktion nach der Impfung gefordert wird, entspricht dies nicht den gesetzlichen Voraussetzungen. Auch wenn grundsätzlich zwischen einer unüblichen Impfreaktion und der dauerhaften Schädigungsfolge differenziert wird, kann auch beides wie beim Kläger in der Diagnose des GBS zusammentreffen.

42

Das nach der Grippeschutzimpfung aufgetretene Krankheitsgeschehen des GBS und die damit verbundenen Schädigungsfolgen sind nach Ansicht des Senats unter Würdigung der Gesamtumstände aber nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit durch die Impfung verursacht worden. Nach dem Maßstab der wesentlichen Bedingung ist der Ursachenzusammenhang schon deshalb zu verneinen, weil die Ursache für die Entstehung des GBS bislang wissenschaftlich nicht geklärt ist. Insoweit folgt der Senat dem Gutachten der Sachverständigen Dr. K.-St. Sofern aber die Ursache unbekannt ist, kann nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die H1N1-Impfung für die Entstehung der Krankheit ursächlich gewesen ist. Auch die Leitende Ärztin des Beklagten Dr. S. hat die nicht genügend gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Ursache der Erkrankung eingeräumt. Allein ein plausibler zeitlicher Zusammenhang und nicht nachweisbare konkurrierende Ursachen können den Ursachenzusammenhang nicht begründen.

43

Der Senat ist aber der Auffassung, dass die Voraussetzungen für einen Anspruch der sogenannten Kann-Versorgung gemäß § 60 Abs. 1 IfSG i.V.m. § 61 Satz 2 IfSG vorliegen. Eine Versorgung ist nach diesen Vorschriften mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde zu gewähren, wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht. Als Voraussetzung dafür ist in Teil C, Nr. 4b der Versorgungsmedizinischen Grundsätze festgelegt, dass über die Ätiologie und Pathogenese des Leidens keine durch Forschung und Erfahrung genügend gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Auffassung herrschen darf. Außerdem darf wegen mangelnder wissenschaftlicher Erkenntnisse und Erfahrungen die ursächliche Bedeutung von Schädigungstatbeständen oder Schädigungsfolgen für die Entstehung und den Verlauf des Leidens nicht mit Wahrscheinlichkeit beurteilt werden können. Weiterhin wird für die Kann-Versorgung vorausgesetzt, dass ein ursächlicher Einfluss der im Einzelfall vorliegenden Umstände in den wissenschaftlichen Arbeitshypothesen als theoretisch begründet in Erwägung gezogen wird. Dabei reicht nicht allein die theoretische Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs aus. Denn die Verwaltung ist nicht ermächtigt, bei allen Krankheiten ungewisser Genese immer die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs – die so gut wie nicht widerlegt werden kann – ausreichen zu lassen (BSG, Urteil vom 10. November 1993 – 9/9a RV 41/92, zitiert nach juris). Es genügt nicht, wenn ein Arzt oder auch mehrere Ärzte einen Ursachenzusammenhang nur behaupten. Vielmehr ist erforderlich, dass durch eine nachvollziehbare wissenschaftliche Lehrmeinung Erkenntnisse vorliegen, die für einen generellen, in der Regel durch statistische Erhebungen untermauerten Zusammenhang sprechen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 1995 – 9 RV 17/04, zitiert nach juris). Es darf nicht nur eine theoretische Möglichkeit des Zusammenhangs bestehen, sondern vielmehr eine "gute Möglichkeit", die sich in der wissenschaftlichen Medizin nur noch nicht so weit zur allgemeinen Lehrmeinung verdichtet hat, dass von gesicherten Erkenntnissen gesprochen werden kann (BSG, Urteil vom 12. Dezember 1995, a.a.O.; vom 17. Juli 2008 – B 9/9a VS 5/06 R, zitiert nach juris; bzw. "qualifizierte Möglichkeit", Rösner, MedSach 1990, S. 4) und damit zumindest einen eingeschränkten Personenkreis der Fachmediziner im Sinne einer "Mindermeinung" überzeugt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 1. Februar 2011, L 7 VJ 42/03; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. November 2011, L 4 VJ 2/10, beide zitiert nach juris).

44

Nach den Ausführungen der in diesem Verfahren tätig gewordenen Mediziner besteht über Ätiologie und Pathogenese des GBS keine durch Forschung und Erfahrung genügend gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Lehrmeinung. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Auch kann nicht unter Berücksichtigung des Krankheitsverlaufs angenommen werden, dass die Verursachung des GBS durch die H1N1-Impfung unwahrscheinlich war. Davon könnte zwar ausgegangen werden, wenn das GBS nicht in einem plausiblen zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung in Verbindung gebracht werden kann (so im Fall des Sächsischen LSG, Urteil vom 19. September 2016, L 9 VE 17/14, zitiert nach juris). Überzeugend hat die Sachverständige dargelegt, dass das Krankheitsgeschehen in dem typischen Zeitfenster zwischen fünf und 42 Tagen aufgetreten ist. Dies wird auch vom Beklagten nicht bestritten.

45

Schließlich besteht nach Auffassung des Senats die "gute Möglichkeit", dass durch die Impfung das GBS verursacht worden ist. Dies reicht für die Gewährung einer Kann-Versorgung aus. Insoweit schließt sich der Senat der überzeugenden und schlüssigen Auffassung der Sachverständigen Dr. K.-St. an. Als Sachverständige ist sie nach Bewertung der zur Verfügung gestellten Informationen zum Krankheitsverlauf beim Kläger und der wissenschaftlichen Datenlage zu der Ansicht gelangt, dass die "gute Möglichkeit" für einen Zusammenhang zwischen der Impfung und der Erkrankung des Klägers besteht. Dass darüber hinaus theoretisch auch noch die vom Beklagten dargestellten Möglichkeiten für die Entstehung des GBS hätten ursächlich sein können (wie z.B. unerkannte Infektion an H1N1 etc.) steht dem Anspruch auf Kann-Versorgung nicht entgegen. Denn bei jeder Kann-Versorgung besteht immer eine andere Möglichkeit der Kausalität, die aber wegen eines fehlenden Vollbeweises für eine konkurrierende Ursache hier dem Kläger nicht entgegengehalten werden kann. Das hat die Sachverständige nochmals überzeugend dargestellt.

46

Vom Beklagten kann auch nicht eingewendet werden, dass noch keine Anerkennung durch die STIKO erfolgt sei und im EB aus dem Jahre 2007 das GBS nicht als Erkrankung in ungeklärtem Zusammenhang mit der Grippeimpfung erwähnt wird. Der Impfstoff aus dem Jahre 2009 enthielt eine andere Zusammensetzung, sodass das EB aus dem Jahre 2007 nicht den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft widerspiegeln kann. Die vom BSG in einem solchem Fall geforderte Heranziehung anderer aktueller Erkenntnisquellen (dazu BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.) ist der Senat durch das Sachverständigengutachten einer führenden Wissenschaftlerin auf diesem Fachgebiet gefolgt. Vom Beklagten selbst war angeregt worden, dass PEI in die weitere Sachaufklärung einzubeziehen, sodass an der Kompetenz der Sachverständigen keine Zweifel bestehen. Diese hat in ihrem Gutachten unter Einziehung der aktuellen wissenschaftlichen Literatur und unter Heranziehung der PEI-Studie nicht nur die abstrakte Möglichkeit, sondern eine "gute" bzw. "qualifizierte" Möglichkeit dargelegt. Sie hat durch statistische Erhebungen des PEI untermauerte Fakten aufgezeigt und als anerkannte Wissenschaftlerin auf diesem Fachgebiet eine zumindest überzeugende Mindermeinung dargestellt. Dafür spricht letztlich auch, dass der Sachverständige Prof. Dr. G. in seinem Gutachten die Sachverständige als eine von vier Literaturquellen zitiert hat.

47

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

48

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Gründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.


Urteilsbesprechung zu Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 30. Aug. 2017 - L 7 VE 7/14

Urteilsbesprechungen zu Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 30. Aug. 2017 - L 7 VE 7/14

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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

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(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

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(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hier
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 30. Aug. 2017 - L 7 VE 7/14 zitiert 14 §§.

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(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. (2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerh

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Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

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Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 30. Aug. 2017 - L 7 VE 7/14 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).

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Tenor Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 17. Januar 2008 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand 1 Die Beteiligten strei

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Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 17. Januar 2008 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über Versorgungsansprüche des Klägers nach einer Masernschutzimpfung.

2

Der ... 1998 geborene Kläger erhielt am 4. September 2000 eine Impfung mit dem Masernimpfstoff Merieux. Am 4. Mai 2001 beantragten seine Eltern als gesetzliche Vertreter beim Versorgungsamt Ravensburg Versorgungsleistungen nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) wegen einer Autoimmunhepatitis. Nach dem Bericht des Kinderarztes S... vom 9. November 2000 hatte dieser dem Gesundheitsamt L... und dem ...-Institut einen Verdachtsfall auf eine Impfkomplikation angezeigt, da von der Mutter des Klägers Anfang Oktober Durchfall, Gelbsucht sowie dunkler Urin beobachtet worden sei. Aufgrund der am 12. Oktober 2000 durchgeführten Blutuntersuchung sei eine Einweisung in die Kinderklinik M... mit dem Verdacht auf eine Autoimmun-Hepatitis erfolgt. Nach dem Bericht des Klinikums M... vom 21. November 2000 hätten metabolische, infektiöse, toxische und medikamentöse Ursachen weitgehend ausgeschlossen werden können. Die Leberbiopsie vom 27. Oktober 2000 habe das histologische Bild einer Riesenzellhepatitis gezeigt. Die häufig bei einer Autoimmunhepatitis nachweisbaren Autoantikörper seien beim Kläger unauffällig gewesen. Auch extrahepatisch-immunologische Begleiterkrankungen hätten nicht festgestellt werden können. Weiterhin lag eine an den Kinderarzt S... gerichtete Stellungnahme des Dr. H..., Referat Arzneimittelsicherheit vom ...-Institut, vom 5. März 2001 vor. Dieser hatte ausgeführt, der kausale Zusammenhang zwischen der Impfung und der Autoimmunhepatitis werde nach den Kriterien der WHO mit „möglich“ bewertet. Bislang lägen über autoimmune Hepatitiden nach Impfungen (meist Hepatitis B-Impfung) nur Einzelfallberichte aus der wissenschaftlichen Literatur und der spontanen unerwünschten Arzneimittelwirkung (UWA-Erfassung) vor. Speziell nach Masernimpfungen sei bislang kein Fall bekannt geworden. Bei bestehender genetischer Disposition erscheine ein Triggern der autoaggressiven Reaktion durch die Masern-Impfung möglich, wenn auch nicht bewiesen. Allerdings sei im vorliegenden Fall eine infektiöse Erkrankung weitgehend ausgeschlossen worden und es habe auch keine andere Ursache der pathologischen Immunreaktion eruiert werden können. Der plausible zeitliche Zusammenhang lasse eine Verbindung zur Impfung möglich erscheinen, wobei ein Nachweis nur durch die spezifischen Immunkomplexe im Biopsat hätte erbracht werden können. Außerdem lagen dem Beklagten Arztbriefe des Dr. B... (...-Universität M., Zentrum für Kinderheilkunde) vom 16. Januar 2001 und 17. September 2001 vor. Danach sei die Diagnose einer Coombs-positiven Autoimmunhepatitis gestellt worden. Weitere hepatitisassoziierte Autoantikörper seien nicht nachweisbar gewesen. Aus bisheriger Sicht sei die Erkrankung beim Kläger therapeutisch gut kompensiert. Bezüglich eines Zusammenhangs zwischen der Masern-Impfung und der Autoimmunhepatitis hatte Dr. B... ausgeführt: Nach Rücksprache mit Dr. T... Referenzzentrum Masern des Robert-Koch-Instituts sei der Nachweis des Impfvirus nur im nativen Lebergewebe möglich, das jedoch nach Rücksprache mit Oberarzt Dr. H... vom Institut für Pathologie M... nicht vorliege. Daraufhin führte die Leitende Ärztin des Versorgungsamts R... K... in ihrer ärztlichen Stellungnahme vom 6. November 2001 aus: Der zeitliche Zusammenhang zwischen der Hepatitis und der Masernschutzimpfung reiche für eine positive Kausalitätsbeurteilung nicht aus. Diese könne ausschließlich durch den Nachweis spezifischer Immunkomplexe im Leberbiopsat erbracht werden. Auf Nachfrage des Versorgungsamtes Ravensburg teilte die gesetzliche Vertreterin des Klägers mit, die ursprünglich geplante Leberbiopsie sei nicht erfolgt. Ergänzend führte der Prozessbevollmächtigte des Klägers am 17. Mai 2002 aus: Eine Untersuchung eines neuerlichen Biopsats könne keine Klärung des Zusammenhangs zwischen der Masernimpfung und der Riesenzellhepatitis bringen. Immunkomplexe seien vergängliche Produkte, die schnell vom Körper wieder abgebaut würden. Spezifische Immunkomplexe, die als Reaktion auf eine Masernimpfung entstehen, hätten nur kurz nach der Impfung nachgewiesen werden können. Nach mehr als einem Jahr befänden sie sich nicht mehr im Körper.

3

Mit Bescheid vom 19. Juni 2002 lehnte der Beklagte den Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung ab, weil der zeitliche Zusammenhang zwischen der Impfung und der Autoimmunhepatitis für die Anerkennung nach dem IfSG nicht ausreichend sei. Dagegen legte der Kläger am 12. Juli 2002 Widerspruch ein. Sofern ein Kausalzusammenhang nicht mit Wahrscheinlichkeit festgestellt werden könne, seien Leistungen nach der Kannversorgung zu gewähren.

4

Der Beklagte holte das fachpädiatrische Gutachten des Prof. Dr. J... (Zentrum für Kinderheilkunde der ...-Universität M.) vom 2. Mai 2003 nach Aktenlage ein. Danach liege beim Kläger eine Autoimmunhepatitis vor, da eine infektiöse Hepatitis habe ausgeschlossen werden können. Nach derzeitiger Lehrmeinung handele es sich bei der heterogenen Gruppe der Autoimmunhepatitiden um das Ergebnis eines zellvermittelten immunologischen Angriffs auf die Leberzellen. Die Prädisposition dazu sei wahrscheinlich vererbt. Als auslösende Faktoren würden u.a. Viren diskutiert. Allerdings sei bislang in der gesamten wissenschaftlichen Weltliteratur kein Fall einer durch Impfung mit attenuierten (abgeschwächten) Masern-Viren ausgelösten Autoimmunhepatitis publiziert worden. Schon deshalb müsse es für unwahrscheinlich gehalten werden, dass diese beim Kläger durch die Impfung ausgelöst worden sei. Theoretisch könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass Masernviren und Masernimpfviren bei gegebener Veranlagung den Prozess auslösen könnten, der zum Bild einer Autoimmunhepatitis führe. Da die ersten Symptome etwa einen Monat nach der Masernimpfung aufgetreten seien, sei ein Zeitlicher Zusammenhang gegeben, der zumindest eine ursächliche Mitwirkung nicht ausschließe. Letztlich sei es aufgrund des mangelnden wissenschaftlichen Erkenntnisstandes unmöglich, eine Verursachung auszuschließen. Biologisch plausibel erscheine ein solcher Zusammenhang jedenfalls. Aus diesem Grunde sei in den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit 1996 (Nr. 39) im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht die Autoimmunhepatitis als Krankheit genannt, für die eine Kannversorgung in Betracht zu ziehen sei. Nach der GdB-Tabelle sei das Krankheitsbild als chronisch aktive Hepatitis mit mäßig entzündlicher Aktivität aufgrund des kontinuierlich hohen Bedarfs an Medikamenten einzustufen. Daraus ergebe sich ein GdB von 40. Stärkere Funktionsstörungen der Leber seien nicht erkennbar. Außerdem zog der Beklagte Arztbriefe des ...-Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin (..., Universitätsklinikum Medizinische Fakultät der Humboldt-Universität zu B.) über Behandlungen des Klägers im März, April, Juli und Oktober 2002 aufgrund einer steroidinduzierten Osteoporose bei.

5

Der Beklagte veranlasste eine prüfärztliche Stellungnahme der Dr. K... vom Ärztlichen Dienst des Landesamtes für Versorgung und Soziales Sachsen-Anhalt vom 21. Oktober 2003. Danach sei unwahrscheinlich, dass die Autoimmunhepatitis durch die Masernimpfung ausgelöst worden sei. Das ergebe sich aus dem Gutachten des Prof. Dr. J... und werde durch den Umstand unterstützt, dass in keinem der Berichte der ... B. die Masernimpfung als mögliche Ursache in Betracht gezogen worden sei. Ein Zusammenhang zwischen der Masernimpfung und der Autoimmunhepatitis sei in der gesamten wissenschaftlichen Literatur nicht als bekannt veröffentlicht. Allein der zeitliche Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen könne die Kausalität nicht begründen. Die Aufnahme der Diagnose Autoimmunhepatitis in die Liste der Erkrankungen, für die nach den Anhaltspunkten eine Kannversorgung in Betracht zu ziehen sei, rechtfertige nicht automatisch deren Anerkennung. Die Ursache der hier vorliegenden Autoimmunhepatitis sei unklar und es komme eine Vielzahl schädigungsfremder Auslöser in Betracht. Die derzeit einzige Möglichkeit einer direkten Nachweisführung im Rahmen einer Leberpunktion sei nicht erfolgt. Dem folgend wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 2. März 2004 zurück.

6

Der Kläger hat am 29. März 2004 Klage beim Sozialgericht (SG) Dessau erhoben. Er hat die Ansicht vertreten, zwar sei bisher ein monokausaler Zusammenhang zwischen einer Impfung gegen Masern und einer Leberentzündung nicht postuliert worden und es möge an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 61 Satz 1 IfSG fehlen. Für eine Kannversorgung gemäß § 61 Satz 2 IfSG sei dies aber nicht erforderlich. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei ein geringerer Überzeugungsgrad ausreichend, wenn in der medizinischen Wissenschaft über den Ursachenzusammenhang zwischen der Impfung und dem festgestellten Leiden (hier Autoimmunhepatitis) Ungewissheit herrsche. So finde sich in der medizinischen Literatur eine Reihe von Veröffentlichungen, in denen davon die Rede sei, dass Masern neben anderen Viren als Auslöser von Autoimmun-Hepatitis fungierten. In diesem Zusammenhang hat der Kläger auf zahlreiche wissenschaftliche Aufsätze verwiesen. Deshalb sei der Beurteilung des Dr. H... zu folgen, der das Auslösen der autoaggressiven Reaktion auf die Leber angesichts der weiteren Umstände (Ausschluss einer anderen gleichzeitig auftretenden Infektion sowie geringer zeitlicher Abstand von vier bis fünf Wochen) für möglich erachtet habe.

7

Das SG hat ein Gutachten des Prof. Dr. R... (Klinik für Innere Medizin des Klinikums ... L., Fachbereich Infektiologie, Tropenmedizin, Gastroenterologie, Hepatologie, Nephrologie) vom 20. Dezember 2005 eingeholt, das dieser zusammen mit dem Facharzt für Innere Medizin Dr. Z... erstellt hat. Ausweislich des Literaturverzeichnisses basiert das Gutachten auf der Grundlage der vom Kläger in seiner Klagebegründung angeführten internationalen Literatur sowie unter Heranziehung weitergehender wissenschaftlichen Unterlagen. Danach seien Ätiologie und Pathogenese von Autoimmunerkrankungen komplex, doch sei eine genetische Prädisposition allgemein akzeptiert. Vor allem virale Infektionen würden als mögliche triggernde Faktoren immer wieder angeführt. Fallberichte über eine sichere Auslösung einer Autoimmunhepatitis durch eine Impfung mit attenuierten Masernviren lägen in der Literatur nicht vor. Der Sachverständige hat diesbezüglich ausführlich mehrere Studien ausgewertet. Andererseits gebe es immer wieder Einzelfallberichte über wahrscheinliche Zusammenhänge von Autoimmunerkrankungen mit vorherigen Impfungen. Aus den ausgewerteten Studien sei zu schlussfolgern, dass eine Induktion oder auch Triggerung autoimmunologischer Krankheiten bei genetisch prädisponierten Personen plausibel erscheine. Im Fall des Klägers sei auch ein zeitlich plausibler Zusammenhang zu konstatieren. Die nachweisbaren Masern-Titer belegten letztlich aber nur die Antwort auf die Masernimpfung. Da die pathogenetischen Zusammenhänge bei der Entstehung von Autoimmunität nicht ausreichend geklärt seien, könne schon aus diesem Grunde nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die erfolgte Impfung die Autoimmunhepatitis mit verursacht habe. Die diskutierte Literatur zeige jedoch, dass gerade eben diese Mitverursachung der Autoimmunhepatitis durch die Masernimpfung eher unwahrscheinlich, wenngleich möglich sei. Die Untersuchung auf Immunkomplexe in einer nativen Leberprobe in zeitnahem Zusammenhang zur Masernimpfung als einzige Möglichkeit den Kausalzusammenhang zu sichern, sei nicht erfolgt. Dieser Nachweis könne jetzt nicht mehr erbracht werden. Andere Argumente, wonach die Masernimpfung als überwiegend wahrscheinlicher Auslöser der Hepatitis zu qualifizieren sei, könnten nicht angeführt werden. Auch der fehlende Nachweis von Autoantikörpern sei in diesem Zusammenhang nicht relevant.

8

Der Kläger hat gegen das Gutachten eingewandt, zwar werde der notwendige Grad an Wahrscheinlichkeit, d. h. die pathophysiologische Erklärbarkeit und die überwiegend akzeptierte wissenschaftliche Überzeugung, dass andere Ursachen nicht in Frage kommen, derzeit nicht erreicht. Zugleich aber scheide die Beurteilung als unwahrscheinlich gleichermaßen aus, da die Sachverständigen bei der Kausalitätsbeurteilung einen plausiblen zeitlichen Rahmen und die Abwesenheit anderer Ursachen gesehen hätten. Daher seien damit die Voraussetzungen der Kannversorgung im Sinne des § 61 Satz 2 IfSG gegeben. Es sei von einer qualifizierten Möglichkeit auszugehen, weil die ursächliche Bedeutung der exogenen Schädigungsfaktoren in den Arbeitshypothesen etlicher Studien ernsthaft erörtert werde. Auch der extrem hohe Antikörper-Titer des Klägers sei ein starkes Indiz für die heftige Antwort seines Immunsystems.

9

In Bezug auf einen Anspruch auf der Grundlage der sogenannten Kannversorgung hat der Beklagte am 15. Mai 2006 die Stellungnahme des Ministeriums für Arbeit und Soziales Baden-Württemberg vom 28. April 2006 vorgelegt. Unter Berücksichtigung der Versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. R... vom 18. April 2006 lägen die Voraussetzungen nicht vor. Dieser hatte auf die Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. J... und Prof.Dr. R... verwiesen, wonach in der gesamten wissenschaftlichen Literatur kein Fall eines Zusammenhangs zwischen der Masernschutzimpfung und einer Autoimmunhepatitis veröffentlicht sei. Danach könne die ursächliche Bedeutung des exogenen Faktors Masern-Impfung für die Entstehung der Autoimmunhepatitis in den wissenschaftlichen Arbeitshypothesen auch nicht wenigstens theoretisch begründet in Erwägung gezogen werden. Die qualifizierte Möglichkeit, dass der Impfung eine wesentliche, gegenüber anderen Faktoren zumindest annähernd gleichwertige Bedeutung bei der Entstehung der Lebererkrankung zukomme, sei insoweit nicht anzunehmen.

10

Ergänzend hat der Kläger vorgetragen, es existiere im vorliegenden Fall eine qualifizierte Möglichkeit der Verursachung im Sinne von § 61 Satz 2 IfSG, da die ursächliche Bedeutung der Masern-Impfung wenigstens annähernd gleichwertig gegenüber anderen Erklärungsmustern (spontane Manifestation bei einer genetischen Disposition) sei. Wegen der Einzelheiten der darüber gegenwärtig in der medizinischen Wissenschaft geführten Diskussion hat er auf eine anliegende humanbiologisch fachliche Stellungnahme des Dr. rer. nat. T... (Vater des Klägers) verwiesen.

11

Schließlich hat das SG das Gutachten des Dr. H..., Privatärztliche Praxis W., vom 18. August 2007 nach Aktenlage eingeholt. Dieser war als wissenschaftlicher Angestellter am ...-Institut im Referat Arzneimittelsicherheit von August 1993 bis Juni 2003 tätig und ist nach eigener Darstellung seit August 2004 als unabhängiger Experte für Impfstoffsicherheit tätig. Dr. H... hat ausgeführt, die Ursache der Autoimmunhepatitis sei auf molekularpathologischer Ebene bisher nicht geklärt. Welche Faktoren im Einzelfall zu einer gestörten Immunreaktivität mit Toleranzverlust gegen Bestandteile von Leberzellen führten, sei nach derzeitigem wissenschaftlichen Kenntnisstand nicht bekannt. Bei der Entstehung träfen genetische Veranlagung und bestimmte Unweitfaktoren aufeinander. In diesem Zusammenhang seien vorausgegangene Virusinfektionen (insbesondere über Fälle nach Masern, Herpesinfektionen und Hepatitis A) als Auslöser für eine Autoimmunhepatitis diskutiert worden. Auch seien Einzelfälle von Autoimmunhepatitiden nach Anwendung verschiedener Impfstoffe beschrieben worden. Dazu hat er auf verschiedene wissenschaftliche Veröffentlichungen Bezug genommen. Allerdings lägen prospektive randomisierte Studien zur Fragestellung einer durch Impfstoffe ausgelösten Autoimmunhepatitis nicht vor und seien bei der Seltenheit der Erkrankung auch nicht zu erwarten. Das zeitliche Intervall zwischen den Impfungen und dem klinischen Beginn der Autoimmunhepatitis sei für die letzte Impfung mit Infanrix IPV+Hib und auch für die Masernimpfung als plausibel zu betrachten. Andere mögliche Auslöser seien nicht gefunden worden. Nach derzeitigem wissenschaftlichen Kenntnisstand werde nicht daran gezweifelt, dass in seltenen Fällen sowohl Lebendimpfung (wie z.B. Masernimpfung) als auch inaktivierte Impfungen Autoimmunerkrankungen auslösen können. Diese Erkenntnis stütze sich auf eine Vielzahl von Tiermodellen, in denen autoimmune Reaktionen durch eine Mischung aus Antigen und Adjuvantien regelmäßig erzeugt werden könnten und auf die beobachteten und (veröffentlichten) Kasuistiken. Dies gelte auch für die Autoimmunhepatitis, die aufgrund des immunpriviligierten Status eine sehr seltene Erkrankung sei. Auch dem ...-Institut seien im Zeitraum von 2001 bis zum 17. August 2007 insgesamt neun Verdachtsfälle einer Autoimmunhepatitis nach Impfungen gemeldet worden. Darunter seien auch die zweier Kinder, von denen eines die Autoimmunhepatitis nach Anwendung von Masern-Mumps-Röteln und Hepatitis-B-Impfstoff entwickelt habe. Die derzeitig plausibelste Erklärung für die Entstehung einer Autoimmunreaktion nach einer Impfung sei zunächst einmal die starke immunologische Ähnlichkeit des Impfantigens mit körpereigenen Strukturen. Ebenfalls eine Rolle bei der Auslösung der Autoimmunreaktion spiele auch die Art der Präsentation des Antigens für die Immunkomponenten Lymphozyten. Das Aluminiumhydroxid als unspezifischer Immunverstärker verändere die initiale Immunantwort. Die Auslösung einer Autoimmunreaktion durch Impfungen bei einem entsprechenden disponierten Patienten könne also als gesicherte medizinische Kenntnis betrachtet werden. Zusammenfassend gelte: Der wissenschaftliche Kenntnisstand über sehr seltene unerwünschte Reaktionen nach Impfungen sei unzureichend. Die Spontanerfassung generiere nur Signale; die meisten Einzelfälle würden nicht gemeldet. Gute Studien nach Markteinführung und breiter Anwendung von Impfstoffen lägen nicht vor. Prof. Dr. R... habe sich mit der von ihm zusammengestellten wissenschaftlichen Literatur auseinandergesetzt, die sich mit dem Thema der Autoimmunreaktion nach Impfungen befasse. Die Kasuistiken, in denen Fälle von Autoimmunhepatitiden nach Impfungen beschrieben werden, habe er in seinem Gutachten nicht erwähnt. Zutreffend habe Prof. Dr. R... festgestellt, dass die pathogenetischen Zusammenhänge bei der Entstehung der Autoimmunität sehr komplex und in vielen Fällen nicht ausreichend erklärt seien. Dass es gesicherte Erkenntnisse gebe, dass Impfungen im Einzelfall eine Immunreaktion auslösen könnten und dass es eine Vielzahl tierexperimenteller Belege für diesen Zusammenhang gebe, habe er in seinem Gutachten nicht erwähnt. Auch habe Prof. Dr. R... nur die Masernlebendimpfung betrachtet, aber nicht die einige Wochen zuvor verabreichte inaktivierte Kombinationsprüfung mit Infanrix IPV + HiB als weitere möglicherweise beteiligte Ursache diskutiert. Im Hinblick auf die versorgungsrechtlich erforderliche Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs hat Prof. Dr. H... ausgeführt: Etwas präziser als die Kriterien der Anhaltspunkte seien die von der Weltgesundheitsorganisation WHO veröffentlichten Kriterien zur Kausalitätsbewertung von Verdachtsfällen unerwünschter Arzneimittelwirkungen. Danach sei eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für einen kausalen Zusammenhang gegeben. Die Autoimmunhepatitis sei eine sehr seltene und pathophysiologisch nicht geklärte Erkrankung. Welche molekularen Mechanismen bei ihrer Entstehung die entscheidende Rolle spielen, sei nicht bekannt. Aus experimentellen Studien und Kasuistiken sei bekannt, dass Impfungen autoimmune Erkrankungen auslösen könnten. Ein definitiver Beweis sei hierfür allerdings nicht zu erbringen. Auch eine Kannversorgung sei zu diskutieren, da diese Erkrankung in den Anhaltspunkten explizit genannt werde. Insgesamt sei davon auszugehen, dass die Autoimmunhepatitis beim Kläger wahrscheinlich durch die zuvor verabreichte Impfung ausgelöst worden sei. Die aufgrund der Impfung seit Oktober 2000 vorliegende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) müsse in Anlehnung an die chronische Hepatitis nach den Anhaltspunkten 2004 je nach Progression und entzündlicher Aktivität bewertet werden. Im Fall des Klägers betrage sei seit Oktober 2000 50 %. Das Gutachten von Prof. Dr. R.. komme zu dem nicht nachvollziehbaren Schluss, dass der Zusammenhang möglich, aber trotzdem insgesamt unwahrscheinlich sei. Bei seiner herangezogenen Literatur fehlten die veröffentlichen Kasuistiken (Einzelfälle) von Autoimmunhepatitiden nach Impfungen und die (zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht frei verfügbaren) Daten aus der Datenbank des ...-Instituts.

12

Gegen das Gutachten hat der Beklagte eingewandt: Aus der beiliegenden versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. G... vom 3. Dezember 2007 ergebe sich für die Annahme der qualifizierten Möglichkeit, dass der Masernimpfung eine gegenüber anderen Faktoren annähernd gleichwertige Bedeutung zukomme, keine Grundlage. Einer der von Dr. H... ausgewerteten Fallberichte beschreibe das Auftreten einer Autoimmunhepatitis nach einer Mehrfachimpfung gegen Typhus, Hepatitis A, Diphtherie, Tetanus, Polio, Mumps, Masern und Röteln. Dr. H... könne in seinem Gutachten entsprechend seiner Einschätzung in dem Schreiben vom 5. März 2001 weiterhin nur die Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Masernimpfung und der Autoimmunhepatitis darlegen. Nach den WHO-Kriterien zur Kausalitätsbewertung bei Verdachtsfällen unerwünschter Arzneimittelwirkungen sei ein wahrscheinlicher Zusammenhang zwar gegeben, wenn ein plausibler zeitlicher Rahmen vorliege, die aufgetretene Symptomatik wahrscheinlich nicht durch andere Ursachen ausgelöst und die Reaktion bekannt und pathophysiologisch erklärbar sei. Im vorliegenden Fall sei die Reaktion jedoch nicht bekannt, weil über die Ätiologie und Pathogenese der Immunhepatitis Ungewissheit in der medizinischen Wissenschaft bestehe. Fallberichte über eine sichere Auslösung einer Autoimmunhepatitis durch eine Masernimpfung lägen nicht vor. Dr. H... beziehe bei seiner Beurteilung auch die Kombinationsimpfung gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis, Haemophilus influenza b und Poliomyelitis am 21. Juli 2000 mit ein. Doch auch für diese Impfung könne bei derzeitigem medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstand ein ursächlicher Zusammenhang mit der Autoimmunhepatitis nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Es werde hierzu auf die aktualisierte Mitteilung der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut Juni 2007, Epidemiologisches Bulletin (EB) 25/2007 hingewiesen. Weder für den Masernimpfstoff noch für den Diphtherie-Tetanus-Pertussis-Poliomeylitis-Hib-Impfstoff seien Autoimmunhepatitiden unter den Kategorien Komplikationen oder Krankheiten in ungeklärtem ursächlichen Zusammenhang mit der Impfung erwähnt.

13

Mit Urteil vom 17. Januar 2008 hat das SG den Beklagten verurteilt, den Bescheid vom 19. Juni 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2004 aufzuheben, die Autoimmunhepatitis als Impfschaden anzuerkennen und dem Kläger aufgrund des Impfschadens Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Zwar könne die beim Kläger bestehende Autoimmunerkrankung nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die durchgeführte Impfung zurückgeführt werden. Doch lägen die Voraussetzungen einer Kannversorgung vor. Die Autoimmunhepatitis werde in den Anhaltspunkten 2004 als Erkrankung für eine Kannversorgung expliziert genannt. Auch Dr. H... habe überzeugend dargelegt, dass der zeitliche Intervall zwischen den Impfungen und dem klinischen Beginn der Autoimmunhepatitis für die letzte Impfung mit Infanrix IPV+Hib und für die Maserimpfung als plausibel zu betrachten sei. Andere mögliche Auslöser für die Autoimmunhepatitis seien nicht gefunden worden. Zudem sei nach den WHO-Kriterien die Immunhepatitis als wahrscheinliche Impfkomplikation zu bewerten.

14

Gegen das ihm am 22. Februar 2008 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 12. März 2008 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt, weil allein der zeitliche Zusammenhang zwischen der Masernimpfung und dem histologischem Nachweis der Autoimmunhepatitis nicht ausreiche, um einen Impfschaden zu bejahen. Nach dem internistischen Gutachten von Prof. Dr. R... sei die Mitverursachung der Autoimmunhepatitis durch die erfolgte Masernimpfung zwar möglich, doch eine überwiegend unwahrscheinliche Konstellation. In der gesamten wissenschaftlichen Literatur sei kein Fall eines Zusammenhangs zwischen einer Masernschutzimpfung und einer Autoimmunhepatitis veröffentlicht. Die qualifizierte Möglichkeit, dass der Impfung eine wesentliche, gegenüber anderen Faktoren zumindest annähernd gleichwertige Bedeutung bei der Entstehung der Lebererkrankung zukomme, sei daher zu verneinen. Auch die Voraussetzungen für eine Kannversorgung seien nicht gegeben. Das SG habe sich nicht mit seinen Argumenten auseinandergesetzt, sondern der Tatsache Vorrang eingeräumt, dass die Ursache der Autoimmunhepatitis ungeklärt sei und das Gutachten von Dr. H... seiner Entscheidung zu Grunde gelegt.

15

Der Beklagte beantragt,

16

das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 17. Januar 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

19

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und führt aus, beide Gutachter seien zum Ergebnis gelangt, dass die Möglichkeit einer Autoimmunhepatitis nach erfolgter Masernimpfung bestehe. Der Beklagte habe sich über den Sachverstand der Gutachter hinweggesetzt. Das Epidemiologische Bulletin zeige nur eine Auswahl und erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ergänzend hat der Kläger am 19. September 2012 Behandlungen aufgrund der Autoimmunhepatitis geschildert und zieht aufgrund der verabreichten Medikamente Rückschlüsse auf die Entstehung der Erkrankung.

20

Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme von Dr. H... eingeholt. Dieser hat am 7. Dezember 2009 ausgeführt, die Voraussetzung für die Anerkennung der Autoimmunhepatitis als impfbedingte Schädigung liege vor. Dies sei eine gut begründete Arbeitshypothese, die von vielen Immunologen unterstützt werde. Bei einer sehr seltenen Erkrankung wie der Autoimmunhepatitis sei es nicht verwunderlich, dass bislang keine Fallberichte von solchen Erkrankungen nach speziellen Impfungen (wie z. B. der Masernimpfung) veröffentlicht worden seien, da der Zusammenhang bei einem etwas größeren Zeitintervall zwischen der Impfung und den Symptomen von Seiten der Leber nicht gesehen werde. Niemand denke mehr an die zuvor durchgeführte Impfung als Auslöser der Autoimmunreaktion und es gebe auch derzeit keine diagnostische Methode, anhand der vorhandenen Antikörper auf den Auslöser zu schließen. Hier liege der entscheidende Fehler der Betrachtung von Dr. R..., der fordere, es müsse ein Fall von Autoimmunhepatitis nach Masernimpfung veröffentlicht sein, um das Geschehen beim Kläger plausibler als Impfkomplikation erscheinen zu lassen. Es müsse noch einmal betont werden, dass beim Kläger keine andere Infektion zum Zeitpunkt der Entstehung der Lebererkrankung nachgewiesen worden sei und somit die Impfung gegen Masern der im zu betrachtenden Zeitintervall der einzige bekannte Auslöser bleibe. Auch sollten die Ausführungen der STIKO nicht überbewertet werden. Diese weise auf Erkrankungen in einem ungeklärten ursächlichen Zusammenhang mit der Masernimpfung hin, die in Einzelfällen in der medizinischen Fachliteratur beobachtet und berichtet worden seien. Die STIKO lege sich absichtlich nicht fest, da es sich bei den beschriebenen Reaktionen in allen Fällen um autoimmune Erkrankungen handele. Im Gegensatz zur Autoimmunhepatitis seien die hier aufgeführten Reaktionen bereits veröffentlicht worden. Prinzipiell werde auch hier die Möglichkeit (gemäß der beschriebenen Arbeitshypothese) gesehen, dass die Masernimpfung zu Autoimmunreaktionen führen könne. Eine Anerkennung der Autoimmunhepatitis als Impfschaden nach der Kannversorgung sei weiterhin zu empfehlen. Zur Begründung des Grads der Schädigung (GdS) von 50 bis 70 hat Dr. H... ausgeführt, ohne die immunsuppressive Behandlung sei von einer starken entzündlichen Aktivität auszugehen. Außerdem seien die Folgen der immunsuppressiven Behandlung zu berücksichtigen.

21

Der Beklagte hat unter Hinweis auf die Versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. G... vom 4. Februar 2010 vorgetragen: Die Einschätzung von Dr. H..., wonach in der Zukunft noch Kasuistiken zum Zusammenhang zwischen Maserschutzimpfung und Autoimmunhepatitis veröffentlicht würden, sei spekulativ. Auch bei Heranziehung des Kenntnisstandes der STIKO könne er lediglich die Möglichkeit eines Zusammenhangs ableiten. Da die Aussagen in den Hinweisen der STIKO sich nach dortigen Angaben auf die Fachinformation der Hersteller sowie das nationale und internationale Schrifttum gründen, bestehe kein Anlass zum Zweifel, dass damit der aktuelle internationale Kenntnisstand repräsentiert werde. Warum Dr. H... vor einer Überbewertung dieser Erkenntnisse warne, sei nicht nachvollziehbar.

22

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakte des Beklagten hingewiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

23

Die nach §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG statthafte und auch in der von § 151 Abs. 1 SGG vorgeschriebenen Form und Frist eingelegte Berufung des Beklagten ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Anerkennung von Schädigungsfolgen und die Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach dem Bundesseuchengesetz (BSeuchG) bzw. dem IfSG. Daher war das Urteil des SG Dessau-Roßlau aufzuheben und die Klage abzuweisen.

24

Streitgegenstand ist das Begehren des Klägers, die Autoimmunhepatitis als Impfschaden festzustellen sowie die Gewährung von Versorgungsleistungen. Dabei bildet der Anspruch aus einer Kannversorgung keinen eigenen Streitgegenstand (BSG, Urteil v. 16. März 1994 - 9 RV 11/93, BSGE 74, 109 ff.).

25

Der Anspruch des Klägers aufgrund der am 4. September 2000 durchgeführten Impfung richtet sich für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2000 nach den Vorschriften des BSeuchG. Da das IfSG ohne Übergangsvorschrift am 1. Januar 2001 in Kraft getreten ist, sind für die Zeit danach die im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorschriften des IfSG anzuwenden (BSG, Urteil vom 20. Juli 2005, B 9a/9 VJ 2/04 R, SozR 4-3851 § 20 Nr. 1). Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 BSeuchG bzw. § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erhält derjenige, welcher durch eine empfohlene oder angeordnete Schutzimpfung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen des Impfschadens auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Ein Impfschaden ist nach § 51 Abs. 1 Satz 1 BSeuchG ein über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehender Gesundheitsschaden. § 2 Nr. 11 IfSG definiert diesen als gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung. Die schädigende Einwirkung (die Impfung), die gesundheitliche Primärschädigung in Form einer unüblichen Impfreaktion und die Schädigungsfolge (ein Dauerleiden) müssen nachgewiesen und nicht nur wahrscheinlich sein (BSG, Urteil vom 19. März 1986, 9a RVI 2/84, SozR 3850 § 51 Nr. 9). Dagegen genügt nach § 52 Abs. 2 Satz 1 BSeuchG bzw. § 61 Satz 1 IfSG für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhang. Maßstab dafür ist die im sozialen Entschädigungsrecht allgemein geltende Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung. Danach ist aus der Fülle aller Ursachen im naturwissenschaftlichphilosophischen Sinne diejenige Ursache rechtlich erheblich, die bei wertender Betrachtung wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Als wesentlich sind diejenigen Ursachen anzusehen, die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in besonders enger Beziehung stehen, wobei Alleinursächlichkeit nicht erforderlich ist (BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VI 1/10 R m.w.N. - zitiert nach juris).

26

Bei der jeweils vorzunehmenden Kausalitätsbeurteilung sind im sozialen Entschädigungsrecht die bis Ende 2008 in verschiedenen Fassungen geltenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) anzuwenden und zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG handelt es sich bei den schon seit Jahrzehnten von einem Sachverständigenbeirat beim zuständigen Bundesministerium (jetzt beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales ) erarbeiteten und ständig weiterentwickelten AHP insbesondere um eine Zusammenfassung medizinischen Erfahrungswissens und damit um sogenannte antizipierte Sachverständigengutachten (BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.). Die AHP sind in den Bereichen des sozialen Entschädigungsrechts und im Schwerbehindertenrecht generell anzuwenden und wirken dadurch wie eine Rechtsnorm normähnlich (BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.). Die AHP enthalten in allen hierzu betrachtenden Fassungen seit 1996 unter den Nr. 53 bis 143 Hinweise zur Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitszuständen, wobei die Nr. 56 Impfschäden im Allgemeinen und die Nr. 57 Schutzimpfungen im Einzelnen zum Inhalt haben.

27

Die detaillierten Angaben zu Impfkomplikationen (damals noch als „Impfschaden“ bezeichnet) bei Schutzimpfungen in Nr. 57 AHP 1996 bis 2005 sind allerdings Ende 2006 aufgrund eines Beschlusses des Ärztlichen Sachverständigenbeirats „Versorgungsmedizin“ beim BMAS gestrichen und durch folgenden Text ersetzt worden (Rundschreiben des BMAS vom 12.12.2006 - IV.c.6-48064-3; vgl. auch Nr. 57 AHP 2008): Die beim Robert-Koch-Institut eingerichtete Ständige Impfkommission (STIKO) entwickelt Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß der Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden). Die Arbeitsergebnisse der STIKO werden im Epidemiologischen Bulletin (EB) veröffentlicht und stellen den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft dar. Die Versorgungsmedizinische Begutachtung von Impfschäden (§ 2 Nr. 11 IfSG und Nr. 56 Abs. 1 AHP) bezüglich Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Kannversorgung ist jedoch ausschließlich nach den Kriterien von §§ 60 f. IfSG durchzuführen. Dies ergibt sich auch aus Nr. 35 bis 52 (S. 145 bis 169) der AHR (BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.).

28

Die seit dem 1. Januar 2009 an die Stelle der AHP getretene Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) ist eine allgemein verbindliche Rechtsverordnung (BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.) Anders als die AHP 1996 bis 2008 enthält die VersMedV keine Bestimmungen über die Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitsbildern, sodass insoweit entweder auf die letzte Fassung der AHP (2008) zurückgegriffen werden muss oder bei Anzeichen dafür, dass diese den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr beinhalten, andere Erkenntnisquellen, insbesondere Sachverständigengutachten genutzt werden müssen (BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.). Dabei sind alle medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen, auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu beantworten (BSG, Urteil vom 7. April 2011, a.a.O.).

29

Unter Beachtung dieser Grundsätze steht zunächst fest, dass der Kläger am 4. September 2000 mit dem Masernimpfstoff Merieux geimpft worden ist. Außerdem steht im Vollbeweis fest, dass der Kläger an einer Autoimmunhepatitis erkrankt ist. Dies lässt sich nach dem umfassend dokumentierten Krankheitsgeschehen sicher belegen und ist zwischen Beteiligten auch nicht umstritten.

30

Das nach der Maserimpfung aufgetretene Krankheitsgeschehen der Autoimmunhepatitis und die damit verbundenen Schädigungsfolgen sind nach Ansicht des Senats unter Würdigung der Gesamtumstände aber nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit durch die Impfung verursacht worden. Insoweit folgt der Senat dem Gutachten des Prof. Dr. R..., dem Gutachten des Prof. Dr. J... sowie den versorgungsärztlichen Stellungnahmen. Diese haben übereinstimmend einen Zusammenhang nach dem Maßstab der wesentlichen Bedingung schon deshalb verneint, weil die Ursache der Entstehung der Autoimmunhepatitis bislang wissenschaftlich nicht geklärt ist. Lediglich eine genetische Disposition wird anerkannt. Sofern aber die Ursache unbekannt ist, kann nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die Masernschutzimpfung für die Entstehung der Krankheit ursächlich gewesen ist. Auch der Kläger selbst hat insoweit eingeräumt, dass die Voraussetzungen für die Annahme einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit nicht vorlägen. Der bestehende zeitliche Zusammenhang und der Ausschluss von metabolischen, infektiösen, toxischen und medikamentösen Ursachen genügt somit nicht. Auch der fehlende Nachweis von Autoantiköpern ist nach der Auffassung von Prof. Dr. R... und Dr. Z... nicht relevant. Der einzig sichere Kausalitätsnachweis, nämlich eine Leberpunktion im zeitlichen Zusammenhang zwischen der Impfung und dem Auftreten der Erkrankung, wurde nicht erbracht. Eine Leberpunktion zu einem späteren bzw. jetzigen Zeitpunkt kann nach einstimmiger Auffassung als Sachverständigen diesen fehlenden Nachweis nicht mehr ersetzen.

31

Im Übrigen sind weder im EB vom 22. Juni 2007 (Nr. 25, S. 219 f.) noch in den Anhaltspunkten 1996 bis 2008 als Impfkomplikation bzw. Krankheiten/Krankheitserscheinungen in ungeklärtem ursächlichen Zusammenhang eine Autoimmunhepatitis angegeben worden. Als Impfkomplikationen werden im EB im Zusammenhang mit einer Maserimpfung Fieberkrämpfe (in der Regel ohne Folgen), allergische Reaktionen sowie die Masern-Einschlusskörperchen-Enzephalitis (Krämpfe, Herdsymptome, Halbseitenlähmung) erwähnt. Als Krankheiten bzw. Krankheitserscheinungen in ungeklärtem ursächlichen Zusammenhang mit der Impfung werden in der medizinischen Fachliteratur Erkrankungen des zentralen und peripheren Nervensystems (Myelitis, Guillain-Barré-Syndrom, Neuritis, als möglicher Ausdruck einer zerebellären Ataxie gedeutete flüchtige Gangunsicherheit), Erythema exsudativum multiforme (akute entzündliche Erkrankung der Haut) und Hautblutungen bei verminderter Blutplättchenzahl (thrombozytopenische Purpura) diskutiert. Hinweise dafür, dass sich dieser wissenschaftliche Stand geändert hat, liegen auch unter Berücksichtigung der Ausführungen von Dr. H... nicht vor. Er selbst hat ausgeführt, ein definitiver Beweis dafür, dass Impfungen autoimmune Erkrankungen auslösen könnten, sei nicht zu erbringen.

32

Der Auffassung von Dr. H... zur Kausalitätsbewertung kann nicht gefolgt werden. Diese wendet mit den WHO-Kriterien für unerwünschte Nebenwirkungen einen eigenen Maßstab zur Kausalitätsbeurteilung an. Wie aber bereits dargestellt, sind im Impfschadensrecht als rechtlicher Maßstab die Vorgaben der Anhaltpunkte bzw. der Versorgungsmedizinischen Grundsätze heranzuziehen. Danach reichen ein plausibler zeitlicher Zusammenhang und die Abwesenheit anderer Ursachen gerade nicht aus. Im Übrigen hat der Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass selbst bei Anwendung des WHO-Maßstabs nicht von einer Kausalität ausgegangen werden kann, da dies voraussetzt, dass die durch die Impfung ausgelöste Reaktion bekannt und pathophysiologisch erklärbar sei. Dies ist hier aber nicht so, weil gerade über Ätiologie und Pathogenese der Autoimmunhepatitis Ungewissheit in der medizinischen Wissenschaft besteht. Sofern Dr. H... in seinem Gutachten auch die zuvor erfolgte Impfung mit Infanrix IPV+Hib in die Kausalitätsbewertung mit einbezieht, gilt das bereits zuvor Ausgeführte: Da die Ursache der Autoimmunhepatitis unbekannt ist, kann auch die zuvor erfolgte Kombinationsimpfung nicht als ursächlich angesehen werden. Zudem ist diese Erkrankung nach den Ausführungen im EB weder als Impfkomplikation bzw. Krankheit/Krankheitserscheinung in ungeklärtem ursächlichen Zusammenhang mit der zuvor verabreichten Kombinationsimpfung gesehen worden. Schließlich stützen auch die ergänzenden Ausführungen des Klägers vom 19. September 2012 nicht die Annahme, dass gerade die Masernimpfung die Immunreaktion ausgelöst hat. Vielmehr werden darin die Behandlungsmöglichkeiten der Erkrankung ohne einen Bezug zur Masernimpfung dargestellt.

33

Auch die Voraussetzungen für einen Anspruch der sogenannten Kannversorgung gemäß § 60 Abs. 1 IfSG i.V.m. § 61 Satz 2 IfSG liegen nicht vor. Eine Versorgung ist nach diesen Vorschriften mit Zustimmung des Ministeriums für Arbeit und Soziales Baden-Württemberg als der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde zu gewähren, wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht. Dabei führt nicht schon die ausdrückliche Erwähnung einer Erkrankung - hier der Autoimmunhepatitis - in Nr. 39 Abs. 7 der Anhaltspunkte dazu, die Kannversorgung zu gewähren. Als Voraussetzung dafür ist in Teil C Nr. 4b der Versorgungsmedizinischen Grundsätze festgelegt, dass über die Ätiologie und Pathogenese des Leidens keine durch Forschung und Erfahrung genügend gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Auffassung herrschen darf. Außerdem darf wegen mangelnder wissenschaftlicher Erkenntnisse und Erfahrungen die ursächliche Bedeutung von Schädigungstatbeständen oder Schädigungsfolgen für die Entstehung und den Verlauf des Leidens nicht mit Wahrscheinlichkeit beurteilt werden können. Weiterhin wird für die Kannversorgung vorausgesetzt, dass ein ursächlicher Einfluss der im Einzelfall vorliegenden Umstände in den wissenschaftlichen Arbeitshypothesen als theoretisch begründet in Erwägung gezogen wird. Dabei reicht allein die theoretische Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs nicht aus. Denn die Verwaltung ist nicht ermächtigt, bei allen Krankheiten ungewisser Genese immer die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs - die so gut wie nicht widerlegt werden kann - ausreichen zu lassen (BSG, Urteil vom 10. November 1993 - 9/9a RV 41/92, zitiert nach juris). Es genügt nicht, wenn ein Arzt oder auch mehrere Ärzte einen Ursachenzusammenhang nur behaupten. Vielmehr ist erforderlich, dass durch eine nachvollziehbare wissenschaftliche Lehrmeinung Erkenntnisse vorliegen, die für einen generellen, in der Regel durch statistische Erhebungen untermauerten Zusammenhang sprechen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 1995 - 9 RV 17/04 - zitiert nach juris). Es darf nicht nur eine theoretische Möglichkeit des Zusammenhangs bestehen, sondern vielmehr eine „gute Möglichkeit“, die sich in der wissenschaftlichen Medizin nur noch nicht so weit zur allgemeinen Lehrmeinung verdichtet hat, dass von gesicherten Erkenntnissen gesprochen werden kann (BSG, Urteil vom 12. Dezember 1995, a.a.O.; vom 17. Juli 2008 - B 9/9a VS 5/06 R - zitiert nach juris; bzw. „qualifizierte Möglichkeit“, Rösner, MedSach 1990, S. 4) und damit zumindest einen eingeschränkten Personenkreis der Fachmediziner im Sinne einer „Mindermeinung“ überzeugt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 1. Februar 2011, L 7 VJ 42/03; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. November 2011, L 4 VJ 2/10 - beide zitiert nach juris).

34

Nach den Ausführungen der in diesem Verfahren tätig gewordenen Mediziner besteht über Ätiologie und Pathogenese der Autoimmunhepatitis keine durch Forschung und Erfahrung genügend gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Lehrmeinung. Insofern kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Verursachung der Autoimmunhepatitis durch die Masernimpfung unwahrscheinlich war. Nach Auffassung des Senats besteht aber auch nicht mehr als die theoretische Möglichkeit, dass durch die Impfung die Autoimmunhepatitis verursacht worden ist. Dies reicht für die Gewährung einer Kannversorgung nach den oben aufgezeigten Anforderungen nicht aus. Insoweit schließt sich der Senat der Auffassung des Versorgungsarztes Dr. G... an, der diese unter Einbeziehung der Gutachten von Prof. Dr. J... und Prof. Dr. R... begründet hat. Prof. Dr. R... hat auf die wissenschaftliche Literatur hingewiesen, wonach in mehreren Studien kein Beweis dafür gefunden werden konnte, dass eine Masernimpfung Autoimmunprozesse triggern kann. Sofern Dr. H... einen ursächlichen Zusammenhang für wahrscheinlich hält, genügen seine aufgezeigten Arbeitshypothesen nicht den Anforderungen an eine „gute“ bzw. „qualifizierte“ Möglichkeit. Auch die angeführten Tierexperimente lassen Rückschluss im Sinne einer mehr als darauf theoretischen Möglichkeit zu, dass eine Autoimmunhepatitis durch eine Masernimpfung beim Menschen ausgelöst werden kann. Insgesamt hat Dr. H... keine Lehrmeinung aufgezeigt, die einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Masernimpfung und einer Autoimmunhepatitis vertritt. Zwar behauptet er einen Zusammenhang zwischen einer Masernimpfung und einer Autoimmunhepatitis, doch fehlen durch statistische Erhebungen untermauerte Fakten und eine wissenschaftliche Mindermeinung in der Medizin, die seine Auffassung teilt. Die von Dr. H... angeführten medizinischen Studien haben keinen Zusammenhang zwischen der Masernimpfung und einer Autoimmunhepatitis nachweisen können, sondern haben lediglich Arbeitshypothesen über Immunreaktionen aufgestellt. Soweit Dr. H... dem Sachverständigen Prof. Dr. R... vorgeworfen hat, er habe die Kasuistiken über Fälle von Autoimmunhepatiden nach Impfungen nicht erwähnt, ist dem entgegenzuhalten, dass auch diese nicht die erforderliche wissenschaftliche Mindermeinung ersetzen können. Im Übrigen hat Dr. H.  in seiner Stellungnahme vom 5. März 2001 ausdrücklich mitgeteilt, dass über autoimmune Hepatitiden nach Impfungen (meist Hepatitis B-Impfung) nur Einzelfallberichte aus der wissenschaftlichen Literatur und der spontanen unerwünschten Arzneimittelwirkung (UWA-Erfassung) vorlägen, aber speziell nach Masernimpfungen bislang kein Fall bekannt geworden sei. Auch er hat zum damaligen Zeitpunkt ein Triggern der autoaggressiven Reaktion durch die Masern-Impfung zwar möglich, aber auch nicht als bewiesen (im Sinne einer Mindermeinung) angesehen. Gegen eine „gute Möglichkeit“ der Verursachung der Erkrankung durch die Maserimpfung spricht ferner, dass im EB aus dem Jahre 2007 die Autoimmunhepatitis nicht als Erkrankung in ungeklärtem Zusammenhang mit der Masernimpfung erwähnt wird. Das heißt, der STIKO waren keine Einzelfälle bekannt, über deren Verursachung wissenschaftliche Auseinandersetzungen erfolgten und die einen Zusammenhang im Sinne einer Mindermeinung begründeten. Soweit Dr. H... darauf hingewiesen hat, dass auch die STIKO die Möglichkeit sehe, dass die Autoimmunhepatitis durch die Masernimpfung ausgelöst werden könne, ist diese Ansicht nicht nachvollziehbar. Auch weitere fünf Jahre nach dem Gutachten von Dr. H... hat die STIKO die Autoimmunhepatitis nicht einmal in den Katalog der Erkrankungen in ungeklärtem Zusammenhang aufgenommen. Zudem haben sich auch in der Zwischenzeit keine anderweitigen Anhaltspunkte ergeben, die die Auffassung von Dr. H... im Sinne einer Lehrmeinung stützen. Daran ändert auch nicht der Umstand etwas, dass nach Auffassung von Dr. H... wegen der Seltenheit der Erkrankung prospektive randomisierte Studien zur Fragestellung einer durch Impfstoffe ausgelösten Autoimmunhepatitis nicht durchgeführt werden und bei der Seltenheit der Erkrankung auch nicht zu erwarten seien. Eine weitere Beweiserleichterung ist auch unter Berücksichtigung der Seltenheit der Erkrankung nicht möglich. Denn die Autoimmunhepatitis wurde nach den Anhaltspunkten ausdrücklich dem Beweismaßstab der als Härteregelung konzipierten Kannversorgung unterstellt. Letztlich bleibt, wie alle Sachverständigen festgestellt haben, nur die theoretische Möglichkeit einer Verursachung der Erkrankung durch die Impfung. Sollte sich die von Dr. H... vertretene Ansicht durch neuere medizinische Erkenntnisse zu einer durch wissenschaftliche Fakten und statistischen Erhebungen medizinisch-biologisch nachvollziehbaren Mindermeindung entwickeln, steht es dem Kläger frei, erneut einen entsprechenden Antrag auf Versorgung zu stellen, der dann wiederum auf der Grundlage des aktuellen Wissenstandes zu beurteilen wäre.

35

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

36

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Gründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.


(1) Wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die

1.
von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde,
1a.
gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 aufgrund einer Rechtsverordnung nach § 20i Absatz 3 Satz 2 Nummer 1 Buchstabe a, auch in Verbindung mit Nummer 2, des Fünften Buches Sozialgesetzbuch vorgenommen wurde,
2.
auf Grund dieses Gesetzes angeordnet wurde,
3.
gesetzlich vorgeschrieben war oder
4.
auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist,
eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt. Satz 1 Nr. 4 gilt nur für Personen, die zum Zwecke der Wiedereinreise in den Geltungsbereich dieses Gesetzes geimpft wurden und die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Gebiet haben oder nur vorübergehend aus beruflichen Gründen oder zum Zwecke der Ausbildung aufgegeben haben, sowie deren Angehörige, die mit ihnen in häuslicher Gemeinschaft leben. Als Angehörige gelten die in § 10 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch genannten Personen.

(2) Versorgung im Sinne des Absatzes 1 erhält auch, wer als Deutscher außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes einen Impfschaden durch eine Impfung erlitten hat, zu der er auf Grund des Impfgesetzes vom 8. April 1874 in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 2126-5, veröffentlichten bereinigten Fassung, bei einem Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes verpflichtet gewesen wäre. Die Versorgung wird nur gewährt, wenn der Geschädigte

1.
nicht im Geltungsbereich dieses Gesetzes geimpft werden konnte,
2.
von einem Arzt geimpft worden ist und
3.
zur Zeit der Impfung in häuslicher Gemeinschaft mit einem Elternteil oder einem Sorgeberechtigten gelebt hat, der sich zur Zeit der Impfung aus beruflichen Gründen oder zur Ausbildung nicht nur vorübergehend außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes aufgehalten hat.

(3) Versorgung im Sinne des Absatzes 1 erhält auch, wer außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes einen Impfschaden erlitten hat infolge einer Pockenimpfung auf Grund des Impfgesetzes oder infolge einer Pockenimpfung, die in den in § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes bezeichneten Gebieten, in der Deutschen Demokratischen Republik oder in Berlin (Ost) gesetzlich vorgeschrieben oder auf Grund eines Gesetzes angeordnet worden ist oder war, soweit nicht auf Grund anderer gesetzlicher Vorschriften Entschädigung gewährt wird. Ansprüche nach Satz 1 kann nur geltend machen, wer

1.
als Deutscher bis zum 8. Mai 1945,
2.
als Berechtigter nach den §§ 1 bis 4 des Bundesvertriebenengesetzes oder des § 1 des Flüchtlingshilfegesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Mai 1971 (BGBl. I S. 681), das zuletzt durch Artikel 24 des Gesetzes vom 26. Mai 1994 (BGBl. I S. 1014) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung,
3.
als Ehegatte oder Abkömmling eines Spätaussiedlers im Sinne des § 7 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes oder
4.
im Wege der Familienzusammenführung gemäß § 94 des Bundesvertriebenengesetzes in der vor dem 1. Januar 1993 geltenden Fassung
seinen ständigen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes genommen hat oder nimmt.

(4) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten im Sinne der Absätze 1 bis 3 erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt. Satz 2 gilt entsprechend, wenn ein Partner in der Zeit zwischen dem 1. November 1994 und dem 23. Juni 2006 an den Schädigungsfolgen verstorben ist.

(5) Als Impfschaden im Sinne des § 2 Nr. 11 gelten auch die Folgen einer gesundheitlichen Schädigung, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f oder des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind. Einem Impfschaden im Sinne des Satzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz infolge eines Impfschadens im Sinne des Absatzes 1 oder eines Unfalls im Sinne des Satzes 1 gleich.

(6) Im Rahmen der Versorgung nach Absatz 1 bis 5 finden die Vorschriften des zweiten Kapitels des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch über den Schutz der Sozialdaten Anwendung.

Im Sinne dieses Gesetzes ist

1.
Krankheitserregerein vermehrungsfähiges Agens (Virus, Bakterium, Pilz, Parasit) oder ein sonstiges biologisches transmissibles Agens, das bei Menschen eine Infektion oder übertragbare Krankheit verursachen kann,
2.
Infektiondie Aufnahme eines Krankheitserregers und seine nachfolgende Entwicklung oder Vermehrung im menschlichen Organismus,
3.
übertragbare Krankheiteine durch Krankheitserreger oder deren toxische Produkte, die unmittelbar oder mittelbar auf den Menschen übertragen werden, verursachte Krankheit,
3a.
bedrohliche übertragbare Krankheiteine übertragbare Krankheit, die auf Grund klinisch schwerer Verlaufsformen oder ihrer Ausbreitungsweise eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit verursachen kann,
4.
Krankereine Person, die an einer übertragbaren Krankheit erkrankt ist,
5.
Krankheitsverdächtigereine Person, bei der Symptome bestehen, welche das Vorliegen einer bestimmten übertragbaren Krankheit vermuten lassen,
6.
Ausscheidereine Person, die Krankheitserreger ausscheidet und dadurch eine Ansteckungsquelle für die Allgemeinheit sein kann, ohne krank oder krankheitsverdächtig zu sein,
7.
Ansteckungsverdächtigereine Person, von der anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein,
8.
nosokomiale Infektioneine Infektion mit lokalen oder systemischen Infektionszeichen als Reaktion auf das Vorhandensein von Erregern oder ihrer Toxine, die im zeitlichen Zusammenhang mit einer stationären oder einer ambulanten medizinischen Maßnahme steht, soweit die Infektion nicht bereits vorher bestand,
9.
Schutzimpfungdie Gabe eines Impfstoffes mit dem Ziel, vor einer übertragbaren Krankheit zu schützen,
10.
andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxedie Gabe von Antikörpern (passive Immunprophylaxe) oder die Gabe von Medikamenten (Chemoprophylaxe) zum Schutz vor Weiterverbreitung bestimmter übertragbarer Krankheiten,
11.
Impfschadendie gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung; ein Impfschaden liegt auch vor, wenn mit vermehrungsfähigen Erregern geimpft wurde und eine andere als die geimpfte Person geschädigt wurde,
12.
Gesundheitsschädlingein Tier, durch das Krankheitserreger auf Menschen übertragen werden können,
13.
Sentinel-Erhebungeine epidemiologische Methode zur stichprobenartigen Erfassung der Verbreitung bestimmter übertragbarer Krankheiten und der Immunität gegen bestimmte übertragbare Krankheiten in ausgewählten Bevölkerungsgruppen,
14.
Gesundheitsamtdie nach Landesrecht für die Durchführung dieses Gesetzes bestimmte und mit einem Amtsarzt besetzte Behörde,
15.
Einrichtung oder Unternehmeneine juristische Person, eine Personengesellschaft oder eine natürliche Person, in deren unmittelbarem Verantwortungsbereich natürliche Personen behandelt, betreut, gepflegt oder untergebracht werden,
15a.
Leitung der Einrichtung
a)
die natürliche Person oder die natürlichen Personen, die im Verantwortungsbereich einer Einrichtung durch diese mit den Aufgaben nach diesem Gesetz betraut ist oder sind,
b)
sofern eine Aufgabenübertragung nach Buchstabe a nicht erfolgt ist, die natürliche Person oder die natürlichen Personen, die für die Geschäftsführung zuständig ist oder sind, oder
c)
sofern die Einrichtung von einer einzelnen natürlichen Person betrieben wird, diese selbst,
15b.
Leitung des Unternehmens
a)
die natürliche Person oder die natürlichen Personen, die im Verantwortungsbereich eines Unternehmens durch dieses mit den Aufgaben nach diesem Gesetz betraut ist oder sind,
b)
sofern eine Aufgabenübertragung nach Buchstabe a nicht erfolgt ist, die natürliche Person oder die natürlichen Personen, die für die Geschäftsführung zuständig ist oder sind, oder
c)
sofern das Unternehmen von einer einzelnen natürlichen Person betrieben wird, diese selbst,
16.
personenbezogene AngabeName und Vorname, Geschlecht, Geburtsdatum, Anschrift der Hauptwohnung oder des gewöhnlichen Aufenthaltsortes und, falls abweichend, Anschrift des derzeitigen Aufenthaltsortes der betroffenen Person sowie, soweit vorliegend, Telefonnummer und E-Mail-Adresse,
17.
Risikogebietein Gebiet außerhalb der Bundesrepublik Deutschland, für das vom Bundesministerium für Gesundheit im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat ein erhöhtes Risiko für eine Infektion mit einer bestimmten bedrohlichen übertragbaren Krankheit festgestellt wurde; die Einstufung als Risikogebiet erfolgt erst mit Ablauf des ersten Tages nach Veröffentlichung der Feststellung durch das Robert Koch-Institut im Internet unter der Adresse https://www.rki.de/risikogebiete.

Zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn diese Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde der Gesundheitsschaden als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 anerkannt werden. Die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.

Im Sinne dieses Gesetzes ist

1.
Krankheitserregerein vermehrungsfähiges Agens (Virus, Bakterium, Pilz, Parasit) oder ein sonstiges biologisches transmissibles Agens, das bei Menschen eine Infektion oder übertragbare Krankheit verursachen kann,
2.
Infektiondie Aufnahme eines Krankheitserregers und seine nachfolgende Entwicklung oder Vermehrung im menschlichen Organismus,
3.
übertragbare Krankheiteine durch Krankheitserreger oder deren toxische Produkte, die unmittelbar oder mittelbar auf den Menschen übertragen werden, verursachte Krankheit,
3a.
bedrohliche übertragbare Krankheiteine übertragbare Krankheit, die auf Grund klinisch schwerer Verlaufsformen oder ihrer Ausbreitungsweise eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit verursachen kann,
4.
Krankereine Person, die an einer übertragbaren Krankheit erkrankt ist,
5.
Krankheitsverdächtigereine Person, bei der Symptome bestehen, welche das Vorliegen einer bestimmten übertragbaren Krankheit vermuten lassen,
6.
Ausscheidereine Person, die Krankheitserreger ausscheidet und dadurch eine Ansteckungsquelle für die Allgemeinheit sein kann, ohne krank oder krankheitsverdächtig zu sein,
7.
Ansteckungsverdächtigereine Person, von der anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein,
8.
nosokomiale Infektioneine Infektion mit lokalen oder systemischen Infektionszeichen als Reaktion auf das Vorhandensein von Erregern oder ihrer Toxine, die im zeitlichen Zusammenhang mit einer stationären oder einer ambulanten medizinischen Maßnahme steht, soweit die Infektion nicht bereits vorher bestand,
9.
Schutzimpfungdie Gabe eines Impfstoffes mit dem Ziel, vor einer übertragbaren Krankheit zu schützen,
10.
andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxedie Gabe von Antikörpern (passive Immunprophylaxe) oder die Gabe von Medikamenten (Chemoprophylaxe) zum Schutz vor Weiterverbreitung bestimmter übertragbarer Krankheiten,
11.
Impfschadendie gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung; ein Impfschaden liegt auch vor, wenn mit vermehrungsfähigen Erregern geimpft wurde und eine andere als die geimpfte Person geschädigt wurde,
12.
Gesundheitsschädlingein Tier, durch das Krankheitserreger auf Menschen übertragen werden können,
13.
Sentinel-Erhebungeine epidemiologische Methode zur stichprobenartigen Erfassung der Verbreitung bestimmter übertragbarer Krankheiten und der Immunität gegen bestimmte übertragbare Krankheiten in ausgewählten Bevölkerungsgruppen,
14.
Gesundheitsamtdie nach Landesrecht für die Durchführung dieses Gesetzes bestimmte und mit einem Amtsarzt besetzte Behörde,
15.
Einrichtung oder Unternehmeneine juristische Person, eine Personengesellschaft oder eine natürliche Person, in deren unmittelbarem Verantwortungsbereich natürliche Personen behandelt, betreut, gepflegt oder untergebracht werden,
15a.
Leitung der Einrichtung
a)
die natürliche Person oder die natürlichen Personen, die im Verantwortungsbereich einer Einrichtung durch diese mit den Aufgaben nach diesem Gesetz betraut ist oder sind,
b)
sofern eine Aufgabenübertragung nach Buchstabe a nicht erfolgt ist, die natürliche Person oder die natürlichen Personen, die für die Geschäftsführung zuständig ist oder sind, oder
c)
sofern die Einrichtung von einer einzelnen natürlichen Person betrieben wird, diese selbst,
15b.
Leitung des Unternehmens
a)
die natürliche Person oder die natürlichen Personen, die im Verantwortungsbereich eines Unternehmens durch dieses mit den Aufgaben nach diesem Gesetz betraut ist oder sind,
b)
sofern eine Aufgabenübertragung nach Buchstabe a nicht erfolgt ist, die natürliche Person oder die natürlichen Personen, die für die Geschäftsführung zuständig ist oder sind, oder
c)
sofern das Unternehmen von einer einzelnen natürlichen Person betrieben wird, diese selbst,
16.
personenbezogene AngabeName und Vorname, Geschlecht, Geburtsdatum, Anschrift der Hauptwohnung oder des gewöhnlichen Aufenthaltsortes und, falls abweichend, Anschrift des derzeitigen Aufenthaltsortes der betroffenen Person sowie, soweit vorliegend, Telefonnummer und E-Mail-Adresse,
17.
Risikogebietein Gebiet außerhalb der Bundesrepublik Deutschland, für das vom Bundesministerium für Gesundheit im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat ein erhöhtes Risiko für eine Infektion mit einer bestimmten bedrohlichen übertragbaren Krankheit festgestellt wurde; die Einstufung als Risikogebiet erfolgt erst mit Ablauf des ersten Tages nach Veröffentlichung der Feststellung durch das Robert Koch-Institut im Internet unter der Adresse https://www.rki.de/risikogebiete.

(1) Wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die

1.
von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde,
1a.
gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 aufgrund einer Rechtsverordnung nach § 20i Absatz 3 Satz 2 Nummer 1 Buchstabe a, auch in Verbindung mit Nummer 2, des Fünften Buches Sozialgesetzbuch vorgenommen wurde,
2.
auf Grund dieses Gesetzes angeordnet wurde,
3.
gesetzlich vorgeschrieben war oder
4.
auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist,
eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt. Satz 1 Nr. 4 gilt nur für Personen, die zum Zwecke der Wiedereinreise in den Geltungsbereich dieses Gesetzes geimpft wurden und die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Gebiet haben oder nur vorübergehend aus beruflichen Gründen oder zum Zwecke der Ausbildung aufgegeben haben, sowie deren Angehörige, die mit ihnen in häuslicher Gemeinschaft leben. Als Angehörige gelten die in § 10 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch genannten Personen.

(2) Versorgung im Sinne des Absatzes 1 erhält auch, wer als Deutscher außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes einen Impfschaden durch eine Impfung erlitten hat, zu der er auf Grund des Impfgesetzes vom 8. April 1874 in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 2126-5, veröffentlichten bereinigten Fassung, bei einem Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes verpflichtet gewesen wäre. Die Versorgung wird nur gewährt, wenn der Geschädigte

1.
nicht im Geltungsbereich dieses Gesetzes geimpft werden konnte,
2.
von einem Arzt geimpft worden ist und
3.
zur Zeit der Impfung in häuslicher Gemeinschaft mit einem Elternteil oder einem Sorgeberechtigten gelebt hat, der sich zur Zeit der Impfung aus beruflichen Gründen oder zur Ausbildung nicht nur vorübergehend außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes aufgehalten hat.

(3) Versorgung im Sinne des Absatzes 1 erhält auch, wer außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes einen Impfschaden erlitten hat infolge einer Pockenimpfung auf Grund des Impfgesetzes oder infolge einer Pockenimpfung, die in den in § 1 Abs. 2 Nr. 3 des Bundesvertriebenengesetzes bezeichneten Gebieten, in der Deutschen Demokratischen Republik oder in Berlin (Ost) gesetzlich vorgeschrieben oder auf Grund eines Gesetzes angeordnet worden ist oder war, soweit nicht auf Grund anderer gesetzlicher Vorschriften Entschädigung gewährt wird. Ansprüche nach Satz 1 kann nur geltend machen, wer

1.
als Deutscher bis zum 8. Mai 1945,
2.
als Berechtigter nach den §§ 1 bis 4 des Bundesvertriebenengesetzes oder des § 1 des Flüchtlingshilfegesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Mai 1971 (BGBl. I S. 681), das zuletzt durch Artikel 24 des Gesetzes vom 26. Mai 1994 (BGBl. I S. 1014) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung,
3.
als Ehegatte oder Abkömmling eines Spätaussiedlers im Sinne des § 7 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes oder
4.
im Wege der Familienzusammenführung gemäß § 94 des Bundesvertriebenengesetzes in der vor dem 1. Januar 1993 geltenden Fassung
seinen ständigen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes genommen hat oder nimmt.

(4) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten im Sinne der Absätze 1 bis 3 erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt. Satz 2 gilt entsprechend, wenn ein Partner in der Zeit zwischen dem 1. November 1994 und dem 23. Juni 2006 an den Schädigungsfolgen verstorben ist.

(5) Als Impfschaden im Sinne des § 2 Nr. 11 gelten auch die Folgen einer gesundheitlichen Schädigung, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f oder des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind. Einem Impfschaden im Sinne des Satzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz infolge eines Impfschadens im Sinne des Absatzes 1 oder eines Unfalls im Sinne des Satzes 1 gleich.

(6) Im Rahmen der Versorgung nach Absatz 1 bis 5 finden die Vorschriften des zweiten Kapitels des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch über den Schutz der Sozialdaten Anwendung.

Zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn diese Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde der Gesundheitsschaden als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 anerkannt werden. Die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 11.06.2010 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Klägerin nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG).

2

Die am ........2002 geborene Klägerin wurde am 19.07.2002 nach der Vorsorgeuntersuchung U4, die unauffällig verlief, mit dem Impfstoff Hexavac gegen Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Haemophilus B, Hepatitis B und Poliomyelitis geimpft. Am 24.07.2002 wurde die Klägerin stationär im S... K... K... K... aufgenommen. In der Anamnese durch die Mutter ist vermerkt, dass die Klägerin vor fünf Tagen geimpft worden sei, am Abend Schreiattacken gehabt habe, die über das Wochenende angehalten hätten. Seit dem 23.07.2007 seien Krampfanfälle aufgetreten, insgesamt fünfmal. Andere Nebenerscheinungen oder Fieber wurden nicht bemerkt. Die Temperatur wurde mit 37,9 Grad gemessen. Nach Durchführung verschiedener Untersuchungen wurde die Diagnose eines West-Syndroms gestellt, da sowohl nach dem EGG-Befund mit Nachweis einer typischen Hypsarrhythmie als auch von der Art der Anfälle mit tonischen und myoklonischen Anfällen von einer BNS-Epilepsie auszugehen sei. Am 23.08.2002 erfolgte die zweite Hexavac-Impfung, nachdem zuvor als auch danach Krampfanfälle aufgetreten waren.

3

Im Februar 2005 beantragte die Klägerin über ihre Eltern Versorgung nach dem IfSG wegen eines Impfschadens.

4

Das Amt für soziale Angelegenheiten Koblenz zog die Schwerbehindertenunterlagen bei. Nach dem Schwerbehindertenrecht war bei der Klägerin mit Bescheid vom 23.11.2004 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 festgestellt worden. Sodann zog das Amt für soziale Angelegenheiten die Behandlungsunterlagen des Klinikums K... und des Sozialpädiatrischen Zentrums B...K... bei und ließ die Klägerin durch Prof. Dr. R..., Ärztlicher Direktor der Abteilung Päd. Neurologie der Universitäts-Kinderklinik H... begutachten. Dieser kam nach einer Untersuchung der Klägerin im Mai 2006 zu dem Ergebnis, aus kinderärztlicher Sicht sei seit langer Zeit die Indikation zur Durchführung der Pertussis-Impfung gegeben, auch wenn in den sechziger und siebziger Jahren über die Möglichkeit der Entwicklung einer Epilepsie in diesem Zusammenhang diskutiert worden sei. Ein Krampfanfall mit Fieber nach DPT-Impfung sei als mögliche Impfkomplikation gut bekannt und unstreitig anerkannt. Nach einer DPT-Impfung könne sich bei genetisch prädisponierten Patienten eine Epilepsie entwickeln, die durch einen Fieberkrampf ausgelöst werde. Dieser Fieberkrampf werde zum Realisationsfaktor einer nachfolgenden Epilepsie. Eine wesentliche Temperaturerhöhung im zeitlichen Zusammenhang mit der Manifestation der ersten Anfälle sei bei der Klägerin aber nicht festgestellt worden. Zudem habe sich die Epilepsie direkt als Epilepsie mit BNS-Anfällen und nicht als unspezifischer Fieberkrampf manifestiert. Zwar würden publizierte Daten dafür sprechen, dass nach DPT-Vaccinationen eine erhöhte Rate von Krampfanfällen zu beobachten seien. Allerdings gebe es natürlicherweise für jeden Säugling ein gewisses Basisrisiko, unabhängig von der Impfung, gerade zu diesem Zeitpunkt einen Krampfanfall zu erleiden bzw. eine Epilepsie mit BNS-Anfällen zu entwickeln, deren Manifestationsgipfel ja gerade um den 4. bis 6. Lebensmonat liege. Aufgrund dieses allgemeinen Hintergrundrisikos sei zu erwarten, dass 7/10.000 der Kinder innerhalb einer Woche um die Impfung herum einen ersten Krampfanfall erleiden würden. Krampfanfälle nach DPT-Vaccination seien nicht so sehr Folge der Impfung, sondern die Impfung führe dazu, dass ein Ereignis, das später eingetreten wäre, sich früher manifestiere. Dafür spreche, dass die Häufigkeit von Krampfanfällen in der ersten Woche nach der Impfung höher, in der zweiten Woche nach der Impfung jedoch deutlich niedriger als zu erwarten sei. In den neuesten Untersuchungen habe sich gezeigt, dass bei mittlerweile 635.000 DPT-Impfungen in Nordbayern seit 1982 kein einziger bleibender Schaden auf die Impfung zurückzuführen sei. Allerdings könne nicht ausgeschlossen werden, dass in besonders gelagerten Fällen ein kausaler Zusammenhang bestehen könne, da sich neurologische Zeichen früher zeigen könnten auch wenn ein gewisser Prozentsatz der Komplikationen reine Koinzidenz sein könnten.

5

Die Epilepsie habe sich bei der Klägerin so manifestiert, wie es bei vielen hundert Kindern in Deutschland jedes Jahr geschehe, für die jedoch keinerlei zeitliche Beziehung zwischen der Impfung und der Epilepsie mit BNS-Anfällen bestehe. Beginn, Klinik und Verlauf der Epilepsie bei der Klägerin seien geradezu klassisch und lehrbuchhaft. Es sei sehr unwahrscheinlich, dass bei der Klägerin die Epilepsie mit BNS-Anfällen durch die Impfung mit Hexavac hervorgerufen worden sei.

6

Mit Bescheid vom 29.08.2006 lehnte das Amt für soziale Angelegenheiten darauf gestützt den Antrag der Klägerin ab. Eine gesundheitliche Schädigung aufgrund der durchgeführten Impfung könne nicht nachgewiesen werden. Weder aus den anamnestischen Schilderungen noch aus den erhobenen Zusatzuntersuchungen ließen sich Hinweise darauf finden, dass ein über den zeitlichen Zusammenhang hinausgehender kausaler Zusammenhang zwischen der Impfung und dem West-Syndrom bestehe. Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte nach versorgungsärztlicher Beteiligung mit Widerspruchsbescheid vom 14.05.2007 zurück.

7

Im hiergegen vor dem Sozialgericht Koblenz durchgeführten Klageverfahren hat das Sozialgericht Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG des Dr. H....

8

Der Sachverständige ist in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 07.09.2009 im Wesentlichen zu dem Ergebnis gelangt, bei der Klägerin bestehe seit Juli 2002 eine Hirnentwicklungsstörung mit Ausbildung eines West-Syndroms. Es beständen weiterhin deutliche Retardierungen der kognitiven und motorischen Funktionen. Die Erkrankung sei nach den WHO-Kriterien wahrscheinlich durch die Verabreichung von Hexavac-Impfungen verursacht worden. Der zeitliche Verlauf, neue Erkenntnisse über die Toxizität der verwendeten Impfstoffe und ihrer Adjuvantien und das Fehlen alternativer Ursachen würden im Fall der Klägerin für eine solche Einschätzung sprechen.

9

Der Beklagte ist dem Ergebnis des Gutachtens des Sachverständigen durch Vorlage einer sozialmedizinischen Stellungnahme des Dr. B... entgegengetreten. Dieser hat darauf hingewiesen, dass bei der Klägerin durch Sonographie und Kernspintomographie ein diffuses Hirnödem im Rahmen einer Encephalopathie oder Encephalitis ausgeschlossen worden sei. Daher spiele das von Dr. H... erwähnte Aluminiumhydroxid als so genanntes Adjuvans oder unspezifischen Immunverstärker im Hexavac keine Rolle, weil das vermutete Ergebnis dieser Reaktion, eine Encephalopathie, durch die bildgebenden Verfahren ausgeschlossen worden sei.

10

Mit Urteil vom 11.06.2010 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stehe kein Anspruch gegen die Beklagte auf Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Folgen einer Impfung zu. Unstreitig sei die Klägerin am 19.07.2002 durch Dr. H... mit dem zugelassenen Impfstoff Hexavac geimpft worden und leide an einer Epilepsie mit BNS-Anfällen sowie einer Entwicklungsstörung. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Impfung und dem West-Syndrom sei aber nicht wahrscheinlich. Es fehle vor allem der Nachweis einer deutlich erhöhten Körpertemperatur im Anschluss an die Impfung. Als die Klägerin am 24.07.2002 gegen 16.30 Uhr in der Kinderklinik K... aufgenommen wurde, habe die Körpertemperatur 37,9 Grad betragen. Über Fieber oder Fieberanfälle sei in der Anamnese nichts berichtet worden. Auch im HTZ-N... hätten die Eltern die Frage nach Fieber im Anschluss an die Impfung verneint. Nach Ansicht des Sachverständigen Prof. Dr. R... sei die Epilepsie der Klägerin lehrbuchhaft aufgetreten, ohne vorherigen Fieberkrampf aber gleichzeitig mit den BNS-Anfällen. Bei dieser Sachlage könne kein krankhaftes Geschehen festgestellt werden, das zunächst einen ZNS-Defekt verursacht habe, der in der weiteren Folge eine Epilepsie ausgelöst hätte. Das West-Syndrom sei eine Erkrankung, die zu 90 % im ersten Lebensjahr auftrete mit einer Häufigkeit von 1 : 4.000 bis 1 : 6000, weshalb im Jahr 2002 bei 719.250 Neugeborenen ca. 120 bis 180 Krankheitsfälle aufgetreten sein müssten. Da die U4 im 3./4. Lebensmonat stattfinde und im Allgemeinen, wenn keine Impfhindernisse vorlägen, bei dieser Untersuchung geimpft werde, sei zu erwarten, dass einige der jährlichen Krankheitsfälle in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung auftreten würden. Ein zeitlicher Zusammenhang sei jedoch kein ursächlicher Zusammenhang, der für die Anerkennung des Impfschadens gefordert werde.

11

Am 06.07.2010 hat die Klägerin gegen das ihr am 25.06.2010 zugestellte Urteil Berufung eingelegt.

12

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Dr. H..., Oberarzt und Leiter der Neuropädiatrie und des Sozialpädiatrischen Zentrums der Universitätskinderklinik K....

13

Der Sachverständige hat die Klägerin im März 2011 untersucht und ist in seinem Gutachten im Wesentlichen zu dem Ergebnis gelangt, bei der Klägerin bestehe ein Dauerleiden in Form einer leichten geistigen Behinderung, die sich infolge einer im 4. Lebensmonat wenige Tage nach der ersten Sechsfach-Impfung (Hexavac) erstmals aufgetretenen West-Syndroms entwickelt habe. Ein Kausalzusammenhang zwischen der Impfung und dem West-Syndrom lasse sich nicht mit Wahrscheinlichkeit feststellen. Der Beginn des West-Syndroms im 4. Lebensmonat sei typisch für diese Erkrankung. Das Dilemma, eine wissenschaftlich beweisbare Kausalkette belegen zu müssen, könne mangels geeigneter Daten nicht gelöst werden.

14

Ein Kausalzusammenhang könne aber prinzipiell auch nicht widerlegt werden, so dass die Kann-Versorgung nicht von vornherein auszuschließen sei. Für die Inanspruchnahme einer Kann-Versorgung könne festgestellt werden, dass die Ursache des Leidens der Klägerin ungewiss sei. Ungewissheit bestehe aber auch in der Wissenschaft darüber, ob die erfolgte Impfung in Einzelfällen zu dem aufgetretenen Dauerleiden führen könne. Die Untersuchungen im Rahmen des Gutachtens hätten keine Hinweise ergeben, die zu einer sinnvollen Ursachensuche führen würden. Da in Einzelfällen schwere neurologische Erkrankungen nach Keuschhusten-Ganzkeimimpfung belegt seien und bei der Klägerin keine andere Ursache des West-Syndroms nachweisbar sei, sei in Übereinstimmung mit Prof. Dr. R... und der übrigen Literaturmeinung ein Zusammenhang zwischen Impfung und Erkrankung nicht ausgeschlossen. Unter der Vorstellung einer genetischen Prädisposition (so auch Prof. Dr. R...) bestehe zumindest die gute Möglichkeit einer Triggerung der Erkrankung der Klägerin durch die Impfung. Das frühe Auftreten durch die Impfung werde die Wahrscheinlichkeit einer Gesamtprognose begründen. Es sei wahrscheinlich kein Zufall, dass nach der Impfung die Klägerin genau in diesem Zeitraum erkrankt sei; es sei daher die Anerkennung des Impfschadens im Rahmen einer Kann-Versorgung zu empfehlen. Der Grad der Schädigungsfolgen sei mit 50 anzusetzen.

15

Die Klägerin trägt vor,

16

das Sozialgericht verkenne, dass Dr. H..., auf den sie sich stütze, auf die Wirkung von Impfstoffen spezialisiert sei, während Prof. Dr. R... als Kinderneurologe damit befasst sei, bereits aufgetretene Krankheitsbilder zu behandeln. Dr. H... habe den ursächlichen Zusammenhang des bei ihr bestehenden BNS-Syndroms mit der zuvor erfolgten Impfung zutreffend bejaht. Als mögliche unerwünschte Wirkung der Impfung bestehe das Risiko des Auftretens einer Epilepsie, was sich aus dem Beipackzettel des Impfstoffs ergebe. Die statistische Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung in einem Zeitrahmen sei nicht ausschlaggebend für die Bewertung eines Einzelfalls.

17

Die Klägerin beantragt,

18

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 11.06.2010 sowie den Bescheid des Amtes für soziale Angelegenheiten Koblenz vom 29.08.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.05.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, eine BNS-Epilepsie als Folge der Impfung vom 19.07.2007 anzuerkennen und Versorgung nach einem Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 50 zu gewähren.

19

Der Beklagte beantragt,

20

die Berufung zurückzuweisen.

21

Der Beklagte trägt unter Bezugnahme auf eine versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. B... vor,

22

in Übereinstimmung mit dem Gutachten des Dr. H... sei davon auszugehen, dass ein Kausalzusammenhang zwischen der stattgehabten Impfung und dem West-Syndrom nicht mit Wahrscheinlichkeit festgestellt werden könne, was auch in Übereinstimmung mit dem Gutachten des Prof. Dr. R... stehe. Das Begutachtungsergebnis von Dr. H... sei durch das vom Senat eingeholte Gutachten widerlegt. Den Ausführungen des Sachverständigen Dr. H... zur Kann-Versorgung sei hingegen nicht zu folgen. Eine Kann-Versorgung entfalle, wenn sich die Frage des ursächlichen Zusammenhangs bereits in der Gesamtheit beantworten lasse. Diese Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs habe Dr. H... geprüft und letzten Endes verneint, so dass ein Raum für eine Kann-Versorgung nicht mehr bestehe. Darüber hinaus komme eine Kann-Versorgung schon deshalb nicht in Betracht, weil der geforderte zeitliche Zusammenhang zwischen der Impfung und der Manifestation des Leidens nicht gewahrt sei. Allgemeine Reaktionen wie leichte bis mäßige Temperaturerhöhung, grippeähnliche Symptomatik wie Frösteln, Kopf oder Gliederschmerzen, Schläfrigkeit, Unruhe, Reizbarkeit, ungewöhnliches Schreien oder Magen-Darm-Beschwerden seien ärztlicherseits im Anschluss an die Impfung nicht objektiviert worden. Allenfalls die Eltern würden sich rückblickend an ein anhaltendes Schreien oder eine Unruhe zwei Stunden nach der Impfung erinnern. Dabei handele es sich um Befunde, die bei jedem Säugling auch ohne Impfung im Verlauf eines jeden Tages auftreten könnten und nach dem neuesten Erkenntnisstand mit Vorboten einer Grunderkrankung nichts zu tun hätten.

23

In Übereinstimmung mit Prof. Dr. R... sei das vier Tage nach der Impfung diagnostizierte West-Syndrom nicht mit einem Vorboten, sondern mit einem Kardinalsyndrom, einer Säuglingsepilepsie im Sinne von BNS-Krämpfen aufgetreten, was aufgrund der Kürze der Zeit mit der Impfung nichts zu tun haben könne. Auch Dr. H... habe berichtet, dass der Zeitpunkt der Verursachung sowie der Entwicklung der Encephalopathie eines West-Syndroms und das Auftreten der Krampfanfälle meist um Wochen bis Monate auseinander liegen würden, weshalb ein zeitlicher Zusammenhang nicht gegeben sei. Die vom Gutachter angegebenen Brückensymptome in der Form von Unruhe und Schreien seien unspezifisch und daher nicht geeignet, den Beginn der Grunderkrankung West-Syndrom zu markieren.

24

Im Übrigen wird zur Ergänzung Bezug genommen auf den Inhalt der beigezogenen und die Klägerin betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten sowie der Gerichtsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

25

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet, da ihr kein Anspruch gegen den Beklagten auf Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Impfschadensfolge und Versorgung nach dem IfSG zusteht.

26

Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen einer Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die von einer zuständigen Landesbehörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen wurde oder auf Grund des IfSG angeordnet wurde oder gesetzlich vorgeschrieben war oder auf Grund der Verordnungen zur Ausführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist, auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung des BVG, wer durch diese Maßnahme eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Gemäß § 2 Nr. 11 IfSG ist ein Impfschaden die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung.

27

Zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Impfung genügt gemäß § 61 Satz 1 IfSG die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wahrscheinlich in diesem Sinne ist die Kausalität dann, wenn mehr für als gegen sie spricht, d.h. die für den Zusammenhang sprechenden Umstände mindestens deutlich überwiegen (vgl. BSG SozR 3850 § 51 Nr. 9 mwN). Kommen auch impfunabhängige Ursachen in Betracht, so genügt es, wenn die Impfung zum Eintritt des Erfolges zumindest annähernd gleichwertig beigetragen hat (Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl., § 52 BSeuchG RdNr. 5 f), jedoch reicht die bloße Möglichkeit nicht aus. Die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs kann nur angenommen werden, wenn die schädigende Einwirkung (Impfung), die gesundheitliche Schädigung (unübliche Impfreaktion) und die Schädigungsfolge (Dauerleiden) nachgewiesen sind (BSG, Urteil vom 6.9.1989, Az.: 9 RVi 2/88 mwN; Urteil des Senats vom 18.04.1997, Az.: L 4 Vi 2/96).

28

Bei der vorzunehmenden Kausalitätsbeurteilung sind für den hier maßgeblichen Zeitraum ab 01.02.2005 grundsätzlich die „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)“ in ihrer jeweils geltenden Fassung (zuletzt Ausgabe 2008 - AHP 2008) zu beachten, die jeweils unter den Nr. 53 bis 143 Hinweise zur Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitszuständen enthalten. Dies gilt auch für die Zeit ab Inkrafttreten der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung am 1. Januar 2009, die solche auf einzelne Krankheitszustände bezogene Hinweise nicht mehr enthält (vgl. dazu Begründung zur VersMedV, Bundesrats-Drucksache 767/08, Seite 4). Die auf den Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft fußenden Anhaltspunkte haben normähnlichen Charakter und sind grundsätzlich wie untergesetzliche Normen heranzuziehen, um eine möglichst gleichmäßige Handhabung der in ihnen niedergelegten Maßstäbe zu gewährleisten. Grundsätzlich ist der neueste medizinische Erkenntnisstand zu berücksichtigen, und zwar auch dann, wenn der zu beurteilende Impfvorgang - wie hier - mehrere Jahre zurückliegt.

29

Nach Teil C Nr. 57 AHP 2008 stellen die von der beim Robert Koch-Institut eingerichteten Ständigen Impfkommission (STIKO) entwickelten und im Epidemiologischen Bulletin (EB) veröffentlichten Kriterien (Arbeitsergebnisse) zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion von einer über das übliche Maß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung („Impfschaden“) den jeweils aktuellen Stand der Wissenschaft dar. Dieser Beurteilungsgrundsatz beruht auf einem Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirats „Versorgungsmedizin“ beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS, Rundschreiben vom 12. Dezember 2006 - IV c.6-48064-3 -) und ersetzt die noch in den Anhaltspunkten 1996, 2004 und 2005 enthaltenen detaillierten Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion von einem „Impfschaden“ (Impfkomplikation). Anders als die AHP 1983 bis 2008 enthält die VersMedV keine Bestimmungen über die Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitsbildern, so dass insoweit entweder auf die letzte Fassung der AHP (2008) zurückgegriffen werden muss oder bei Anzeichen dafür, dass diese den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr beinhalten, andere Erkenntnisquellen, insbesondere Sachverständigengutachten genutzt werden müssen (vgl. BSG, Urteil vom 07.04.2011

30

Aktenzeichen: B 9 VJ 1/10 R - juris).

31

Hier steht zur Überzeugung des Senats fest, was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist, dass die Klägerin am 19.07.2002 mit dem Sechsfachimpfstoff Hexavac geimpft worden ist. Es handelt sich dabei um einen Impfstoff, der per Injektion zur Grundimmunisierung und Auffrischimpfung gegen sechs unterschiedliche Infektionskrankheiten eingesetzt wird: Kinderlähmung, Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten, Haemophilus influenzae Typ b sowie Hepatitis B. Die Impfung mit diesem Medikament war öffentlich empfohlen (vgl. Epidemiologisches Bulletin Nr. 46 vom 17.11.2006, S. 403). Zudem steht fest, dass bei der Klägerin jedenfalls seit dem 24.07.2002 eine Epilepsie in Form des West-Syndroms besteht. Zur Überzeugung des Senats kann aber nicht festgestellt werden, dass dieses Leiden neben anderen Mitursachen zumindest mit annähernd gleichwertiger Wahrscheinlichkeit ursächlich auf die Impfung zurückzuführen ist. Ein solcher Zusammenhang ist nach der von den Sachverständigen ausgewerteten medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung allenfalls möglich, nicht aber - wie für die Gewährung von Entschädigung notwendig - wahrscheinlich.

32

Nach den Feststellungen des vom Senat gehörten Sachverständigen Dr. H..., die mit denjenigen des Prof. Dr. R... übereinstimmen, handelt es sich bei dem West-Syndrom um ein üblicherweise zwischen dem 2. und 8. Lebensmonat auftretendes Leiden, das anhand typischer symmetrischer Beuge- und Streckkrämpfe der Extremitäten, dem Befund einer Hypsarrhythmie im EEG sowie einer bestehenden oder neu aufgetretenen Verzögerung der psychomotorischen Entwicklung diagnostiziert wird. Nach den Angaben des Sachverständigen ist zu unterscheiden zwischen einer kryptischen und einer symptomatischen Form des West-Syndroms. Bei der kryptischen Form, welche in 10 bis 20 % der Fälle vorliege, seien Schwangerschaft, Geburt und psychomotorische Entwicklung bis zum Beginn der Erkrankung komplikationslos verlaufen, wie es auch bei der Klägerin der Fall war. In diesen Fällen zeigen die neurologische Untersuchung und bildgebende Verfahren, insbesondere Kernspintomographie des Schädels, keine Auffälligkeiten. Dagegen ist bei der weit überwiegenden symptomatischen Form des West-Syndroms die BNS-Epilepsie im Zusammenhang zu Faktoren während der Schwangerschaft, Geburt oder Leben in den ersten Lebensmonaten zu zählen, wie angeborene Infektionen, Sauerstoffmangel vor, während oder nach der Geburt, Gehirnfehlbildungen, frühgeburtliche und nach der Geburt erworbene Infektionen und Verletzungen. Nach Angaben des Sachverständigen sind weit über 200 Erkrankungen, die das BNS-Leiden auslösen können, beschrieben, wobei Zeitpunkt und Ursache der Entwicklung der Encephalopathie sowie auftretende Krampfanfälle meist um Wochen bis Monate auseinander liegen würden. Das sei besonders problematisch wegen der im sozialen Versorgungsrecht geforderten zeitlichen Nähe zwischen schädigenden Ereignis und Schädigungsfolge möglichst mit Brückensymptomen, was im typischen Fall eines West-Syndroms eindeutig nicht der Fall sei.

33

Auch bei der Klägerin hätten weder in der Akutsituation noch im weiteren Verlauf der Jahre Symptome oder Befunde erhoben werden können, die auf eine kausale Diagnose hingewiesen hätten, insbesondere seien die typischen Ursachen auszuschließen. Nach neuesten Erkenntnissen gebe es aber genetische Prädispositionen, die nach Impfung zu epileptischen Encephalopathien wie dem Dravet-Syndrom führen könnten, sehr wahrscheinlich auch dem West-Syndrom. In der medizinischen Lehrmeinung würden schwere neurologische Nebenwirkungen nur nach der Keuchhustenkomponente des Hexavac-Impfstoffs diskutiert.

34

Hinsichtlich der Wirkungsmöglichkeit der zusätzlichen Inhaltsstoffe lägen keine gesicherten Erkenntnisse vor, die eine Kausalität der Erkrankung der Klägerin begründen könnten. Im Gegensatz zu den früheren Impfstoffen könne zu den neueren Impfstoffen wie Hexavac mangels geeigneter Studien zu den seltenen Ereignissen (kleiner als 1:70.000) keine Aussage getroffen werden. Nach neuesten wissenschaftlichen Veröffentlichungen aus den Jahren 2010 und 2011 entferne sich die Lehrmeinung von den alten Vorstellungen, es müsse ein toxisch oder fassbar immun-entzündlich vermittelter Schaden am Gehirn entstehen, der dann die Epilepsie verursacht, wie die so genannte Impf-Encephalopathie. Das schließe die Diskussion um die Fieberfrage ein. Bekannt sei, dass die Hirnschädigung, die zu einem West-Syndrom führe, sehr subtil und auf einen anatomisch kleinen Bereich beschränkt sein könne. Die Art der Schädigung, Infarkt, Blutung, Entzündung, Genetik oder Fieber spiele für die Auslösung keine Rolle, sondern vielmehr die Vulnerabilität, eventuell eine genetische Präposition. Daher müsse nach den neuesten Untersuchungen auch nicht zwingend ein Fieber als Brückensymptom gefordert werden. Vielmehr könne die bei der Klägerin initial auftretende Wesensänderung ein Brückensymptom einer Encephalopathie darstellen. Allerdings gebe es für eine schwere immunologisch-entzündliche Reaktion bei der Klägerin keinen Anhalt. Die gesundheitliche Vorgeschichte der Klägerin einschließlich der Schwangerschaft ergebe keine Anhaltspunkte für eine Ursache der Erkrankung. Die damalige stationäre Abklärung der Anfälle habe weder klinisch noch laborchemisch einen Hinweis auf eine akute Encephalitis als Auslöser ergeben. Auch der Beginn des West-Syndroms sei typisch für die Erkrankung. Wenngleich ein Kausalzusammenhang nicht prinzipiell widerlegt werden könne, bleibe festzuhalten, dass die Ursache des Leidens der Klägerin ungewiss sei.

35

Wenn somit die Ursache des Leidens der Klägerin ungewiss ist, scheidet ein ursächlicher Zusammenhang mit der angeschuldigten Impfung aus. Angesichts der hohen Zahl der Impfungen nach der Vorsorgeuntersuchung U4 und dem typischen Auftreten des West-Syndroms im vierten Lebensmonat bleibt ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Impfung und erstmaligem Auftreten des West-Syndroms, der aber nicht ausreicht. Hierauf wird auch in der medizinischen Wissenschaft hingewiesen (vgl. Epidemiologisches Bulletin Nr. 25 vom 22. Juni 2007, S. 212).

36

Auch weist Dr. H... darauf hin, dass in der wissenschaftlichen Literatur weit über 200 Erkrankungen beschrieben seien, die ein BMS-Leiden verursachen könnten wie z.B. Infektionen, und dass Zeitpunkt der Ursache und Auftreten der Krampfanfälle meist mehrere Wochen auseinander liegen würden. Demgegenüber wurde nach dem überzeugenden Gutachten in der medizinischen Lehrmeinung lediglich hinsichtlich der Keuchhustenkomponente des Kombinationsimpfstoffs über neurologische Nebenwirkungen diskutiert, während hinsichtlich der übrigen Bestandteile und der Zusatzstoffe keine gesicherte Erkenntnis besteht. Hinsichtlich der Pertussis-Impfung wurde zwar in der Vergangenheit ein möglicher ursächlicher Zusammenhang mit einer Enzephalopathie angenommen (vgl. Anhaltspunkte 2005, Ziff. 57 11 a). Dies betraf jedoch einen anderen, älteren Wirkstoff, als er bei der Klägerin zur Anwendung kam und ist zudem wohl durch neuere Studien überholt. Hierauf weist insbesondere Dr. H... hin, der eher eine genetische Prädisposition als wesentlich ansieht. Aber auch nach dem Gutachten des Dr. H... gibt es angesichts der sehr seltenen Krankheitsfälle wie dem der Klägerin im Zusammenhang mit dem neueren Impfstoff keine geeignete Untersuchung, also auch keine wissenschaftliche Erkenntnis. Nach dem Gutachten des Prof. Dr. R... ist das Leiden typisch und schicksalshaft entstanden.

37

Von einem ursächlichen Zusammenhang kann der Senat sich daher nicht überzeugen.

38

Dem Gutachten des Dr. H... ist nicht zu folgen. Zunächst trifft die Aussage im Gutachten vom 07.09.2009 zwar zu, die Zulassung des Impfstoffs Hexavac sei im Jahr 2005 zurückgezogen worden wegen fraglicher Langzeitwirkung. Nicht erwähnt wurden von Dr. H... aber, dass gleichzeitig ausdrücklich zu diesem Impfstoff festgestellt wurde: „Es bestanden jedoch keine Bedenken hinsichtlich der Sicherheit des Impfstoffes. Empfehlungen der STIKO, Angehörige von Risikogruppen wie auch Säuglinge, Kinder und Jugendliche zu impfen, sind unvermindert gültig“ (vgl. Epidemiologisches Bulletin Nr. 46 vom 17. November 2006 S. 402). Dr. H... nennt als Ursache des West-Syndroms bei der Klägerin eine postvakzinale pathologische Immunreaktion, ohne aber mehr als den zeitlichen Zusammenhang als Indiz anführen zu können. Wenn er dann eine postvakzinale Enzephalopathie beschreibt, die nicht zwingend mit Fieber einhergehen müsse, wird nicht beachtet, dass nach den umfangreichen Untersuchungen der Klägerin im Juli und August 2002 im Klinikum K... das Vorliegen einer solchen Enzephalopathie ausgeschlossen werden konnte.

39

Dieser Sachverständige hat zudem mit den WHO-Vorgaben für unerwünschte Medikamentenebenwirkungen einen eigenen Maßstab zur Kausalitätsfeststellung herangezogen. Im Impfschadensrecht ist aber nicht dieser Maßstab entscheidend, sondern die Vorgaben in den Anhaltspunkten, jetzt Versorgungsmedizinischen Grundsätzen und der diese konkretisierenden Rechtsprechung (vgl. auch Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01.02.2011, Aktenzeichen: L 6 (7) VJ 42/03 -juris). Danach reichen ein plausibles zeitliches Intervall, eine plausible Pathophysiologie und der Ausschuss anderer Ursachen nicht aus, um eine wesentliche Ursache annehmen zu können.

40

Aber auch die Voraussetzungen für die Gewährung der sog. Kannversorgung gemäß § 60 Abs. 1 IfSG i.V.m. § 61 S. 2 IfSG liegen nicht vor. Eine Versorgung ist nach diesen Vorschriften mit Zustimmung des zuständigen Ministeriums zu gewähren, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur deshalb nicht als wahrscheinlich angenommen werden kann, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht. Nach Teil C Nr. 4b Versorgungsmedizinische Grundsätze ist eine Kannversorgung zu prüfen, wenn über die Ätiologie und Pathogenese des als Schädigungsfolge geltend gemachten Leidens keine durch Forschung und Erfahrung genügend gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Auffassung herrscht und entsprechend die ursächliche Bedeutung von Schädigungstatbeständen für die Entstehung oder den Verlauf des Leidens nicht mit Wahrscheinlichkeit beurteilt werden kann. In diesen Fällen ist die Kannversorgung zu gewähren, wenn ein ursächlicher Einfluss des geltend gemachten schädigenden Tatbestandes in den wissenschaftlichen Arbeitshypothesen als theoretisch begründet in Erwägung gezogen wird (Teil C Nr. 4b bb Versorgungsmedizinische Grundsätze). Dabei reicht die allein theoretische Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs nicht aus. Denn die Verwaltung ist nicht ermächtigt, bei allen Krankheiten ungewisser Genese immer die Möglichkeit des Ursachenzusammenhangs - die so gut wie nie widerlegt werden kann - ausreichen zu lassen (vgl. BSG, SozR 3-3200 § 81 Nr. 9 m.w.N.). Es genügt nicht, wenn ein Arzt oder auch mehrere Ärzte einen Ursachenzusammenhang nur behaupten. Vielmehr ist es erforderlich, dass diese Behauptung medizinisch-biologisch nachvollziehbar begründet und durch wissenschaftliche Fakten, in der Regel statistische Erhebungen (vgl. BSG, SozR 3-3200 § 81 Nr. 13), untermauert ist. Die Fakten müssen - in Abgrenzung zu den Voraussetzungen der Pflichtversorgung - zwar (noch) nicht so beschaffen sein, dass sie bereits die überwiegende medizinische Fachwelt überzeugen. Die niedrigere Schwelle zur Kannversorgung ist daher bereits dann überschritten, wenn die vorgelegte Begründung einschließlich der diese belegenden Fakten mehr als die einfache Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs belegt (vgl. BSG Urteil vom 12.12.1995 - 9 RV 17/94, sowie Urteil vom 17.07.2008 - B 9/9a VS 5/06 R - juris) und damit zumindest einen eingeschränkten Personenkreis der Fachmediziner überzeugt ("Mindermeinung").

41

Das West-Syndrom der Klägerin ist eine Erkrankung, bei der es im Hinblick auf die als schädigende Ereignisse angenommenen Impfung an einer fundierten, einen Ursachenzusammenhang bejahenden medizinischen Lehrmeinung fehlt, bis auf diejenige des Dr. H.... Dies zeigen bereits die oben zitierten, von der STIKO im Epidemiologischen Bulletin 2007, Nr. 25 (Seite 212 ff) veröffentlichten Arbeitsergebnisse. Derzeit gibt es keine wissenschaftlichen Fakten oder Hinweise, die eine Verursachung der BNS-Anfälle durch eine der bei der Klägerin vorgenommenen Impfungen annehmen oder gar beweisen könnten, worauf Dr. H... eingehend hinweist. Ein anderes Ergebnis kann auch nicht dadurch gewonnen werden, dass der Sachverständige Dr. H... als einziger den Ursachenzusammenhang für wahrscheinlich hält. Diese Meinung ist nicht überzeugend begründet. Jedenfalls fehlt es hier für eine Kannversorgung an einer diese tatbestandlich zumindest stützenden wissenschaftlichen (Minder-)Meinung in der Medizin. Sollte sich dies aufgrund des Fortschreitens der medizinischen Erkenntnisse ändern, steht es der Klägerin jederzeit frei, einen neuen Antrag auf Versorgung zu stellen.

42

Die Berufung ist daher zurückzuweisen.

43

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG.

44

Die Revision wird nicht zugelassen, da Revisionszulassungsgründe (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG) nicht vorliegen.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.