Oberlandesgericht Bamberg Urteil, 18. Aug. 2016 - 1 U 24/16

bei uns veröffentlicht am18.08.2016
vorgehend
Landgericht Coburg, 22 O 330/15, 04.02.2016

Gericht

Oberlandesgericht Bamberg

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts Coburg vom 04.02.2016, Az. 22 O 330/15 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Landgericht Coburg zurückverwiesen.

2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

5. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 24.268,88 € festgesetzt.

Gründe

Gründe:

I. Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einer Krankentagegeldversicherung geltend. Der Kläger hat bei dem Beklagten eine Krankentagegeldversicherung mit Beginn zum 01.09.1992 abgeschlossen. Diese wurde zum 01.09.2013 geändert. Vereinbarungsgemäß schuldet die Beklagte dem Kläger im Falle von Arbeitsunfähigkeit ab dem 43. Tag ein Krankentagegeld in Höhe von täglich 94,80 €. Die Beklagte zahlte an den Kläger für den Zeitraum vom 16.01.2015 bis 31.03.2015.

Der Kläger macht geltend, auch im Zeitraum vom 01.04.2015 bis 31.12.2015 Anspruch auf Zahlungen von Krankentagegeld zu haben. Der Kläger trägt vor, er sei in diesem Zeitraum ausweislich der ärztlichen Atteste und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seiner behandelnden Ärzte arbeitsunfähig gewesen. Er verspüre einen Druck auf der Brust, leide unter Atembeschwerden, sei Diabetiker, leide unter Doppelsichtigkeit, habe Rheuma in beiden Händen, Neurodermitis, Schmerzen in beiden Knien und in der großen rechten Zehe einschließlich des Zehengrundgelenks.

Seine berufliche Tätigkeit bestehe darin, dass er bei der Firma ... G. in Holfolding als Maschinist und Fahrer der mobilen Brecheranlage beschäftigt sei. Er sei dort als Springer eingesetzt. Seine Arbeitszeit gehe täglich von 8 Uhr früh bis 20 Uhr abends bzw. ab 6 Uhr früh bis 18 Uhr abends. Wegen der Beschreibung der Tätigkeit in einzelnen wird Bezug genommen auf den Schriftsatz der Klägervertreter vom 24.09.2015 und die Berufungsbegründung vom 10.06.2016.

Der Beklagte stellt vor dem Hintergrund einer von ihm veranlassten Begutachtung in Abrede, dass der Kläger in den genannten Zeiträumen arbeitsunfähig gewesen sei. Der Kläger habe darüber hinaus nicht dargelegt, weshalb er seine derzeit ausgeübte Tätigkeit als Fahrer und Maschinist nicht mehr ausüben könne. Der Beklagte bestreitet die Angaben zur konkreten Ausgestaltung der beruflichen Tätigkeit des Klägers.

Mit Verfügung vom 08.09.2015 wies das Landgericht darauf hin, dass es bezüglich der Schlüssigkeit der Klage derzeit an einem entsprechenden Sachvortrag zur konkreten Ausgestaltung der letzten beruflichen Tätigkeit des Klägers fehle.

Der Kläger ergänzte daraufhin mit Schriftsatz seiner Rechtsanwälte vom 24.09.2015 (Blatt 38-41 d. A.) die Angaben zu seiner beruflichen Tätigkeit.

Im Termin vor dem Landgericht Coburg vom 08.12.2015 gab das Gericht folgenden Hinweis:

„Das Gericht weist auf die prozessrechtlichen Bedenken gegen die Erfolgsaussicht der Klage hin, die bereits schriftsätzlich zur Darlegung der Arbeit des Klägers diskutiert wurden und sich des Weiteren daraus ergeben, dass der getätigte Vortrag bestritten wurde“.

Der Klägervertreter erklärte daraufhin:

„Soweit aus Sicht des Gerichts nicht vollständig vorgetragen wurde, wird erneut um einen richterlichen Hinweis gebeten“.

Das Gericht bestimmte Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 14.12.2015.

Die Klage wurde zunächst für den Zeitraum vom 01.04.2015 bis 22.06.2015 erhoben. Mit Schriftsatz vom 08.09.2015 wurde die Klage auf den Zeitraum bis 09.07.2015 erweitert. Mit Schriftsatz vom 09.12.2015 wurde die Klage auf den Zeitraum bis zum 31.12.2015 erweitert.

Im Verkündungstermin vom 14.12.2015 wurde eine Verfügung verkündet. Das Gericht wies darauf hin, dass die Klageerweiterung vom 9.12.2015 nach Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgt sei. Die Klageerweiterung sei daher unzulässig. Sie sei nicht zuzustellen und könne keine Berücksichtigung finden. Der Streitwert erhöhe sich durch sie nicht.

II. Mit Endurteil des Landgerichts Coburg vom 04.02.2016 wurde die Klage abgewiesen. Dies begründete das Gericht damit, der Vortrag des Klägers zu seiner behaupteten Arbeitsunfähigkeit werde den Anforderungen der Rechtsprechung nicht gerecht. Der Kläger habe im Einzelnen darzutun, wie sich sein Beschwerdebild darstelle und inwiefern es ihm die Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit vollständig unmöglich mache. Zur schlüssigen Darlegung der Arbeitsunfähigkeit sei es dabei erforderlich, dass der Versicherungsnehmer eine konkrete Beschreibung seines Berufsbildes vorlege. Diese müsse so präzise sein, dass sie im Prozess als Grundlage für eine sachverständige Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit dienen könne. Diesen Anforderungen werde der klägerische Vortrag nicht gerecht.

Darüber hinaus mangele es auch an erforderlichen Beweisangeboten des Klägers für seinen typischen Arbeitsalltag. Auch eine Parteivernehmung des Klägers hätte - auch bei schlüssigem zugrunde liegendem Vortrag - nicht erfolgen können. Ein weiterer Hinweis auf die Unschlüssigkeit der Klage und die unzureichenden Beweisangebote sei nicht veranlasst.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Begründung des Urteils Bezug genommen.

III. Gegen diese, den Rechtsanwälten des Klägers am 08.02.2016 zugestellte Entscheidung legte der Kläger mit am 11.02.2016 beim Oberlandesgericht Bamberg eingegangenem Schriftsatz seiner Rechtsanwälte Berufung ein.

Die Berufung wird damit begründet, das Verfahren im ersten Rechtszug leide an wesentlichen Mängeln. Aufgrund der Mängel sei eine umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich. Das Urteil des Landgerichts sei daher aufzuheben und das Verfahren an das Landgericht zurück zu verweisen.

Das Landgericht habe das Grundrecht des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt und gegen § 139 ZPO verstoßen. Erstmals in seinem Urteil führe das Ausgangsgericht aus, welche Anforderungen es an den klägerischen Sachvortrag im Hinblick auf die konkrete Beschreibung des Berufsbildes des Klägers erwarte.

Die Hinweise des Gerichts hätten konkret und gezielt zu sein. Hieran mangele es. In seiner Verfügung vom 08.09.205 habe das Gericht lediglich ganz allgemein einen entsprechenden Vortrag zur konkreten Ausgestaltung der letzten beruflichen Tätigkeit des Klägers angemahnt. Hierzu sei mit Schriftsatz des Klägervertreters vom 24.09.2015 eine Tätigkeitsbeschreibung der vom Kläger zuletzt ausgeübten beruflichen Tätigkeit abgegeben worden.

Erst in der mündlichen Verhandlung vom 08.12.2015 habe, das Landgericht allgemein prozessrechtliche Bedenken gegen die Erfolgsaussicht der Klage erhoben, ohne diese konkret darzulegen und ohne konkret und gezielt darauf hinzuweisen, welche Bedenken das Ausgangsgericht habe. Das Landgericht habe keine konkreten und gezielten Hinweise erteilt.

Zudem habe der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 08.12.2015 das Gericht darum gebeten, einen erneuten richterlichen Hinweis zu erteilen, wenn aus Sicht des Gerichts nicht vollständig vorgetragen worden sei. Ein derartiger erneuter richterlicher Hinweis sei seitens des Gerichts nicht erteilt worden.

Ebenso wenig sei ein entsprechender, den Anforderungen des § 139 ZPO entsprechender richterlicher Hinweis in der Gerichtsakte dokumentiert, deren Erteilung aufgrund der Regelungen des § 139 Abs. 4 ZPO nur durch die Gerichtsakte bewiesen werden könne. In den Gerichtsakten befinde sich hierzu jedoch nichts, was eine nochmalige Akteneinsicht in die Gerichtsakten ergeben habe. Hierin liege ein mehrfacher Verstoß des Ausgangsgerichts gegen Art. 103 Abs. 1 GG, den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör und mehrfache Verstöße des Ausgangsgerichts gegen die einzelnen in § 139 ZPO normierten materiellen Prozessleitungsverpflichtungen.

Zudem stelle die Entscheidung des Ausgangsgerichts eine unzulässige Überraschungsentscheidung und einen Verstoß gegen das Willkürverbot dar. Das Verfahren sei keinesfalls entscheidungsreif gewesen, keine der Parteien habe mit einer Endentscheidung und schon gar nicht mit einer Klageabweisung gerechnet oder rechnen müssen; alle Beteiligten seien davon ausgegangen, dass im angekündigten Entscheidungsverkündungstermin ein Beweisbeschluss ergehen wird.

Zudem sei klägerseits eine Klageerweiterung angekündigt worden, die umgehend erfolgt sei. Die mit Schriftsatz vom 09.12.2015 erhobene Klageerweiterung hätte vom Ausgangsgericht zwingend förmlich und von Amts wegen zugestellt werden müssen, um die Rechtshängigkeit des mit der Klageerweiterung geltend gemachten weiteren Klageanspruchs sowie die Hemmung des Laufs der Verjährung sicherzustellen.

Durch den Verstoß gegen die zwingenden verfahrensrechtlichen Vorschriften sei gleichzeitig der Anspruch des Klägers auf ein faires Verfahren verletzt worden und zudem liege darin ein Verstoß gegen den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG sowie gegen den Justizgewährungsanspruch.

Deshalb habe das Ausgangsgericht nach erfolgter Zurückverweisung von Amts wegen die Klageerweiterung gemäß Schriftsatz vom 09.12.2015 förmlich und von Amts wegen der Beklagtenseite zuzustellen.

Der Kläger hat in der Berufungsbegründung seinen Vortrag zu seiner beruflichen Tätigkeit präzisiert und ergänzt und Beweisangebote für seinen Sachvortrag unterbereitet.

Wegen der Einzelheiten wird auf die ausführliche Berufungsbegründung Bezug genommen.

Der Kläger beantragt:

1. Das Urteil des LG Coburg und die Verfügung des LG Coburg vom 14.12.2015 werden aufgehoben und das Verfahren wird an das LG Coburg zurückverwiesen mit der Maßgabe, die Klageerweiterung gemäß Schriftsatz vom 09.12.2015 über 10.143,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz förmlich und von Amts wegen der Beklagten und Berufungsbeklagten zuzustellen.

2. Hilfsweise:

Das Urteil des LG Coburg vom 04.02.2016 und die Verfügung des LG Coburg vom 14.12.2015 werden aufgehoben.

Die Klageerweiterung des Klägers und Berufungsklägers gemäß Schriftsatz vom 09.12.2015 über 10.143,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit wird der Beklagten und Berufungsbeklagten förmlich und von Amts wegen zugestellt.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte wird verurteilt, an den Kläger und Berufungskläger 24.268,88 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB aus einem Betrag von 7.773,60 € seit 20.06.2015, aus einem Betrag von 6.351,60 € seit 09.09.2015 und aus einem Betrag von 10.143,60 € seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte wird verurteilt, die außergerichtlichen Anwaltskosten des Klägers und Berufungsklägers in Höhe von 729,23 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Kläger beantragt, die Revision zuzulassen.

Die Beklagte nimmt in der Berufungserwiderung Bezug auf ihren erstinstanzlichen Sachvortrag und macht diesen einschließlich sämtlicher Beweisangebote auch zum Gegenstand ihres Vorbringens in der Berufungsinstanz. Der Beklagte bestreitet sämtliche Behauptungen des Klägers zu seiner beruflichen Tätigkeit in der Berufungsbegründung.

Die behaupteten Beschwerden würden ebenso bestritten wie Behauptungen des Klägers dazu, warum er meine, aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage zu ein, die beruflichen Teiltätigkeiten auszuüben.

Demgemäß werde zunächst eine Klärung der beruflichen Tätigkeit des Klägers erforderlich sein. Sodann werde in medizinischer Hinsicht zu prüfen sein, wie sich die vom Kläger behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf die einzelnen Teiltätigkeiten auswirken, sofern dem Kläger der Kläger der Nachweis gelinge, dass die behaupteten Beschwerden tatsächlich in dem behaupteten Umfang vorahnden sind, so dass die Annahme 100% iger Arbeitsunfähigkeit gerechtfertigt sei.

Der Senat hat mit Beschluss vom 05.07.2016 angeordnet, dass mit Zustimmung der Parteien gemäß § 128 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden wird.

IV. Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 511 ff. ZPO).

In der Sache ist die Berufung des Klägers begründet.

Das Landgericht hat die Klage auf Krankentagegeld aus der bei dem Beklagten bestehenden Krankentagegeldversicherung zu Unrecht als unschlüssig abgewiesen.

Das Landgericht hat sich darauf gestützt, der Kläger habe die tatsächlichen Voraussetzungen der von ihm behaupteten Arbeitsunfähigkeit weder schlüssig dargelegt noch unter Beweis gestellt. Darin sieht die Berufung mit Recht eine unzulässige Überraschungsentscheidung.

Die Vorschrift des Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet dem an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten das Recht, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern. Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährung des rechtlichen Gehörs setzt voraus, dass der Verfahrensbeteiligte bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt erkennen konnte, auf welche Gesichtspunkte es bei der Entscheidung möglicherweise ankommt. Ein Gericht verstößt gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs, wenn es ohne vorherigen Hinweis (§ 139 Abs. 1 ZPO) Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (BGH, Beschluss vom 13.3.2008 - I ZB 59/07 - NJW 2008, 1742 - Juris Rdnr. 13).

Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG im vorliegenden Fall verletzt. Mit Erfolg rügt die Berufung, dass das Landgericht seiner richterlichen Hinweispflicht im Termin vom 08.12.2015 nicht genügt hat.

Das Landgericht hat in der Terminsverfügung vom 08.09.2015 (Blatt 29 R. d. A.) zunächst zu Recht darauf hingewiesen, dass es bezüglich der Schlüssigkeit der Klage an einem entsprechenden Vortrag zur konkreten beruflichen Tätigkeit des Klägers fehlt. Der Kläger hat mit Schriftsatz seiner Rechtsanwälte vom 24.09.2015 (Blatt 38 ff. d. A.) daraufhin ergänzend zu der beruflichen Tätigkeit des Klägers vorgetragen. Im Termin vor dem Landgericht Coburg vom 08.12.2015 hat das Gericht sodann folgenden Hinweis erteilt:

„Das Gericht weist auf die prozessrechtlichen Bedenken gegen die Erfolgsaussicht der Klage hin, die bereits schriftsätzlich zur Darlegung der Arbeit des Klägers diskutiert wurden und sich des Weiteren daraus ergeben, dass der getätigte Vortrag bestritten wurde“.

Der Klägervertreter erklärte daraufhin am Ende der Sitzung:

„Soweit aus Sicht des Gerichts nicht vollständig vorgetragen wurde, wird erneut um einen richterlichen Hinweis gebeten“.

Ein weiterer Hinweis des Gerichts ist daraufhin nicht erfolgt. Die Hinweise nach § 139 ZPO müssen aktenkundig gemacht werden (§ 139 Abs. 4 ZPO). In der Akte ist ein weiterer Hinweis nicht enthalten.

Das Gericht erfüllt seine Hinweispflicht nicht, wenn es lediglich allgemeine und pauschale Hinweise erteilt. Es muss die Parteien vielmehr auf den fehlenden Sachvortrag, den es als entscheidungserheblich ansieht, unmissverständlich hinweisen und ihnen die Möglichkeit eröffnen, ihren Vortrag sachdienlich zu ergänzen. Ein richterlicher Hinweis erfüllt nur dann seinen Zweck, Unklarheiten, Unvollständigkeiten und Irrtümer auszuräumen, wenn er gezielt und konkret die einzelnen Mängel anspricht, die das Gericht als entscheidungserheblich ansieht (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH, Urteil vom 18.04.2013 - I ZR 66/12 - VersR 2015, 210, juris Rdnr. 33; BGH, Beschluss vom 21.03.2013 - VII ZR 58/12 - NJW-RR 2013, 655). Diese Hinweispflicht des Gerichts besteht auch im Anwaltsprozess (BGH, Urteil vom 02.02.1993 - XI ZR 58/92 - MDR 1993, 469, juris Rdnr. 28).

Den dargestellten Anforderungen genügt der im Termin vom 08.12.2015 protokollierte Hinweis nicht. Aus dem Hinweis ist nicht erkennbar, was das Gericht von dem Klägervertreter konkret an ergänzenden Darlegungen zur Tätigkeit des Klägers erwartet. Der Klägervertreter hatte seinen Vortrag zur Tätigkeit des Klägers zuvor mit Schriftsatz vom 24.09.2015 bereits konkretisiert. Das Gericht hätte vor diesem Hintergrund ausführen müssen, was es konkret von dem Klägervertreter noch erwartet und in welchen Punkten es die Darlegungen hinsichtlich der Tätigkeit des Klägers noch als ergänzungsbedürftig erachtet.

Dass aus dem erteilten Hinweis für den Klägervertreter nicht erkennbar war, was an ergänzenden Ausführungen zur Tätigkeit des Klägers konkret von ihm gefordert wird, war für das Gericht daraus ersichtlich, dass der Klägervertreter nach dem gerichtlichen Hinweis erklärt hat: „Soweit aus Sicht des Gerichts nicht vollständig vorgetragen wurde, wird erneut um einen gerichtlichen Hinweis gebeten“. Damit hat der Klägervertreter zu erkennen gegeben, dass aus dem protokollierten Hinweis für ihn nicht erkennbar war, was das Gericht von ihm konkret erwartet. Was das Gericht von dem Klägervertreter konkret erwartet hat, wird letztlich erst im Endurteil ausgeführt.

In Anbetracht dessen, dass der Klägervertreter am Ende der Sitzung um einen erneuten Hinweis zur Ergänzungsbedürftigkeit seines Vortrages gebeten hat, für den Fall, dass aus Sicht des Gerichts nicht vollständig vorgetragen wurde, musste der Kläger nicht damit rechnen, dass seine Klage ohne erneuten Hinweis wegen mangelnder Schlüssigkeit abgewiesen werden würde. Vielmehr durfte der Kläger mit dem ausdrücklich von ihm erbetenen erneuten Hinweis rechnen. Die Abweisung der Klage stellt vor dem Hintergrund, dass der ausdrücklich erbetene Hinweis seitens des Gerichts nicht erfolgt ist, eine unzulässige Überraschungsentscheidung dar.

In der Berufungsbegründung wurde der Vortrag des Klägers zu der konkreten Ausgestaltung der beruflichen Tätigkeit des Klägers präzisiert. Dieser Sachvortrag ist nicht verspätet (§ 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Die Berücksichtigungsfähigkeit neuen Vortrags in der Berufungsinstanz nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO setzt voraus, dass die nach Auffassung des Berufungsgerichts fehlerhafte Rechtsauffassung des erstinstanzlichen Gerichts zumindest mitursächlich dafür geworden ist, dass sich Parteivorbringen in die Berufungsinstanz verlagert hat. Dies kommt schon dann in Betracht, wenn das Gericht des ersten Rechtszuges, hätte es die später vom Berufungsgericht für zutreffend erachtete Rechtsauffassung geteilt, zu einem Hinweis nach § 139 Abs. 2 ZPO verpflichtet gewesen wäre (BGH, Beschluss vom 03.03.2015 - VI ZR 490/13 - NJW-RR 2015, 1278, juris Rdnr. 10). So liegt der Fall hier. Hätte das Landgericht den nach § 139 Abs. 2 ZPO erforderlichen, hinreichend konkret gefassten Hinweis erteilt, so hätte der Kläger den Sachvortrag, der in der Berufungsbegründung zur beruflichen Tätigkeit des Klägers enthalten ist, bereits in erster Instanz erstattet.

Das Gericht hätte daher die im Termin vom 08.12.2015 geschlossene mündliche Verhandlung wieder eröffnen (§ 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) und den vom Kläger erbetenen Hinweis erteilen müssen. Darüber hinaus hätte es die Klageerweiterung vom 09.12.2015 an die Gegenseite zustellen müssen. Der erforderliche Gerichtskostenvorschuss war eingezahlt.

Da das angefochtene Urteil an einem wesentlichen Verfahrensmangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwendige Beweisaufnahme erforderlich ist, war die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückzuverweisen (§ 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin: Das Landgericht wird die Klageerweiterung unverzüglich an die Gegenseite zuzustellen haben. Sodann wird das Landgericht, da der Sachvortrag des Klägers zu seiner beruflichen Tätigkeit von der Gegenseite bestritten wurde, die hierzu angebotenen Beweise erheben müssen. Anschließend wird das Landgericht das zu der behaupteten Arbeitsunfähigkeit des Klägers angebotene Sachverständigengutachten erholen müssen, wobei der Sachverständige die in der Beweisaufnahme zur beruflichen Tätigkeit des Klägers sich ergebenden Anknüpfungstatsachen zugrunde zu legen hat.

V. Die Kostenentscheidung ist dem Erstgericht vorzubehalten, da der endgültige Erfolg der Berufung erst nach der abschließenden Entscheidung beurteilt werden kann.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO. Zwar hat dieses Urteil keinen vollstreckungsfähigen Inhalt. Im Falle einer etwa bereits erfolgten Vollstreckung aus dem angefochtenen, für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteil darf das Vollstreckungsorgan die betreffende Vollstreckungsmaßnahme aber erst dann gemäß § 775 Nr. 1 ZPO einstellen, wenn ihm die Ausfertigung einer vollstreckbaren Entscheidung vorgelegt wird, aus der sich die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils ergibt (Thomas/Putzo, ZPO, 35. Aufl., § 708 Rdnr. 11; BGHZ 77, 232; OLG Frankfurt OLGZ 68, 436, 440).

Eine Entscheidung über den lediglich vorsorglich gestellten Antrag auf Vollstreckungsschutz war nicht veranlasst, da die Beklagte mit Schriftsatz vom 30.06.2016 erklärt hat, dass sie während des laufenden Rechtsstreits nicht beabsichtige, Vollstreckungsmaßnahmen zu ergreifen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens war gemäß §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 63 Abs. 2 GKG auf 24.268,88 € festzusetzen. Die Addition der vom Kläger beantragten Beträge ergibt zwar einen Betrag in Höhe von 24.448,80 € (7.773,60 € + 6.531,60 € + 10.143,60 € = 24.448,80 €). Beantragt wurden jedoch nur 24.268,88 €, so dass der Streitwert auf diesen Betrag festzusetzen war. Ursache für die Differenz ist wohl ein Zahlendreher, denn in dem Berufungsantrag ist ein Betrag von 6.351,60 € anstelle richtig 6.531,60 € genannt. Im Ergebnis wirkt sich die Differenz mangels Gebührensprung nicht aus.

Die Voraussetzungen für die vom Klägervertreter beantragte Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor, da alle sich hier stellenden Rechtsfragen durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt sind. Klärungsbedürftige Rechtsfragen zeigt die Berufung nicht auf.

Urteilsbesprechung zu Oberlandesgericht Bamberg Urteil, 18. Aug. 2016 - 1 U 24/16

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(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie1.das Berufungsgericht in dem Urteil oder2.das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassungzugelassen hat. (2) Die Revision ist zuzulassen, wenn1.die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat

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(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge
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(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.

(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.

(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.

(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.

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(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.

(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Die Parteien verhandeln über den Rechtsstreit vor dem erkennenden Gericht mündlich.

(2) Mit Zustimmung der Parteien, die nur bei einer wesentlichen Änderung der Prozesslage widerruflich ist, kann das Gericht eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen. Es bestimmt alsbald den Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, und den Termin zur Verkündung der Entscheidung. Eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ist unzulässig, wenn seit der Zustimmung der Parteien mehr als drei Monate verstrichen sind.

(3) Ist nur noch über die Kosten oder Nebenforderungen zu entscheiden, kann die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung ergehen.

(4) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.

(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.

(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.

(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
I ZB 59/07
vom
13. März 2008
in dem Zwangsvollstreckungsverfahren
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. März 2008 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Pokrant, Prof.
Dr. Büscher, Dr. Schaffert und Dr. Bergmann

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 31. Mai 2007 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 9.300 € festgesetzt.

Gründe:


1
I. Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner aus einem Zuschlagsbeschluss vom 17. August 2006 im Wege der Zwangsvollstreckung die Räumung des Gebäudes "A. " in J. in , dem sich die Wohnung des Schuldners und die von ihm betriebene Arztpraxis befinden.
2
Der Schuldner hat mit Schriftsatz seines anwaltlichen Vertreters vom 11. Mai 2007 Räumungsschutz nach § 765a ZPO beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen, er befinde sich in einer sehr schlechten körperlichen und psychischen Verfassung und habe bereits Selbstmordgedanken geäußert. Daraufhin habe ihn eine Vertreterin des zuständigen Gesundheitsamts aufgesucht. Er führe mit der Gläubigerin Verhandlungen über den Abschluss eines Mietvertrags. Darüber hinaus habe er sich auch um die Anmietung eines anderen Objekts bemüht. Einem Vertragsabschluss hätten bislang die mit der Gläubigerin geführten Verhandlungen entgegengestanden. Zudem müssten die in Aussicht genommenen Ersatzräume noch zu einer Arztpraxis umgebaut werden, was einen Zeitraum von etwa sechs Monaten, mindestens jedoch drei Monate, erfordere. Eine Zwangsräumung würde zu einer Zerstörung seiner beruflichen Existenz führen.
3
Das Amtsgericht hat den Räumungsschutzantrag des Schuldners mit Beschluss vom 11. Mai 2007 zurückgewiesen. Seine dagegen gerichtete sofortige Beschwerde ist erfolglos geblieben.
4
Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner seinen mit Schriftsatz vom 16. Mai 2007 gestellten Räumungsschutzantrag weiter. Die Gläubigerin hat sich im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht geäußert.
5
II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Der angefochtene Beschluss verletzt den Schuldner in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG).
6
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, im Beschwerdeverfahren sei nicht mehr darüber zu befinden, ob der Vollstreckungsschutzantrag wegen ei- ner bei dem Schuldner gegebenen Suizidgefahr begründet sei. Der anwaltlich vertretene Schuldner habe in der mündlichen Verhandlung am 30. Mai 2007 auch nach Anhörung der Amtsärztin, die eine fortbestehende Selbsttötungsgefahr bejaht habe, ausdrücklich erklärt, dass der Vollstreckungsschutzantrag nicht mehr auf eine bei ihm gegebene Suizidgefahr gestützt werde.
7
Die von dem Schuldner in der mündlichen Verhandlung neu geltend gemachten Gefahren eines Herzinfarktes, Kreislaufzusammenbruchs, Bluthochdrucks oder ähnlicher Leiden seien nicht hinreichend substantiiert, um daraus auf eine ernsthafte Gesundheits- und Lebensgefahr im Falle der Räumung schließen zu können. Die Behauptungen des Schuldners seien ersichtlich "ins Blaue" hinein erfolgt. Daher habe keine Veranlassung bestanden, dem Schuldner Gelegenheit zu geben, sein Vorbringen durch Vorlage eines Attests weiter zu belegen.
8
2. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Rechtsbeschwerde haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht. Die Annahme des Beschwerdegerichts, es könne bei einer Zwangsräumung nicht von einer ernsthaften Gesundheits- oder Lebensgefahr für den Schuldner ausgegangen werden, verletzt den Schuldner in seinem Verfahrensgrundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG.
9
a) Ist mit einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners verbunden, so kann dies die Untersagung oder einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 765a ZPO rechtfertigen. Dabei ist aber stets eine Abwägung der - in solchen Fällen ganz besonders gewichtigen - Interessen des Schuldners mit den Vollstreckungsinteressen des Gläubigers vorzunehmen. Es kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich auch der Gläubiger auf Grundrechte berufen kann. Ist sein Räumungstitel nicht durchsetzbar, wird sein Grundrecht auf Schutz seines Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) und auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) beeinträchtigt. Dem Gläubiger dürfen keine Aufgaben überbürdet werden, die nach dem Sozialstaatsprinzip dem Staat und damit der Allgemeinheit obliegen (BGHZ 163, 66, 72 ff.). Es ist deshalb auch dann, wenn bei einer Räumungsvollstreckung eine konkrete Lebensgefahr für einen Betroffenen besteht, sorgfältig zu prüfen, ob dieser Gefahr nicht auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann. Dabei kann vom Schuldner erwartet werden, dass er alles ihm Zumutbare unternimmt, um Gefahren für Leben und Gesundheit möglichst auszuschließen (BGHZ 163, 66, 74; BGH, Beschl. v. 22.11.2007 - I ZB 104/06, WuM 2008, 36 Tz. 9 = FamRZ 2008, 260).
10
b) Der Schuldner hat in der mündlichen Verhandlung des Beschwerdegerichts am 30. Mai 2007 geltend gemacht, er gehe davon aus, dass wegen der Stresssituation im Zusammenhang mit der bevorstehenden Räumung bei ihm zwar keine Suizidgefahr mehr, aber die Gefahr sonstiger Gesundheitsbeeinträchtigungen bestehe. Insbesondere gehe er davon aus, dass ihm ein Herzinfarkt , ein Kreislaufzusammenbruch, Bluthochdruck und ähnliche Erkrankungen drohten. Er bitte darum, ihm Gelegenheit zu geben, dazu in angemessener Frist und unter Vorlage von Attesten vortragen zu können.
11
Das Beschwerdegericht hat dieses Vorbringen mangels hinreichender Substantiierung bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen. Es hat angenommen , die Behauptungen des Schuldners seien erkennbar "ins Blaue" hinein erfolgt. Als Arzt wäre es dem Schuldner möglich gewesen, eine gesundheitliche Situation nachvollziehbar darzulegen, welche die Annahme derartiger Gefährdungen im Zusammenhang mit der Räumungsmaßnahme rechtfertigte.
Ein solcher Vortrag sei nicht erfolgt. Daher habe für die Kammer auch keine Veranlassung bestanden, dem Schuldner Gelegenheit zu geben, sein Vorbringen durch Vorlage eines Attests weiter zu belegen.
12
c) Die Rechtsbeschwerde rügt mit Recht, dass diese Beurteilung des Beschwerdegerichts den Schuldner in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.
13
aa) Die Vorschrift des Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet dem an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten das Recht, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern (BVerfGE 60, 175, 210; 64, 135, 143; 86, 133, 144). Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt voraus, dass der Verfahrensbeteiligte bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt erkennen kann, auf welche Gesichtspunkte es für die Entscheidung möglicherweise ankommt. Ein Gericht verstößt gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs, wenn es ohne vorherigen Hinweis (§ 139 Abs. 1 ZPO) Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (BVerfGE 84, 188, 190; 86, 133, 144 f.; BVerfG NJW 2003, 2524; BGH, Beschl. v. 15.2.2005 - XI ZR 144/03, FamRZ 2005, 700 f.).
14
bb) Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG im vorliegenden Fall verletzt. Mit Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde, das Beschwerdegericht habe seiner richterlichen Hinweispflicht in der mündlichen Verhandlung am 30. Mai 2007 nicht genügt. Das Gericht hat gemäß § 139 ZPO darauf hinzuwirken, dass ein Verfahrensbeteiligter sich über alle erheblichen Tatsachen vollständig erklärt. Es hat insbesondere auch deutlich zu machen, dass es den bisherigen Vortrag eines Beteiligten als unzureichend oder nicht hinreichend substantiiert erachtet. Dementsprechend hätte das Beschwerdegericht den Schuldner in der mündlichen Verhandlung am 30. Mai 2007 darauf hinweisen müssen, dass es zur schlüssigen Darlegung einer konkreten Lebens- oder Gesundheitsgefährdung bei Vornahme einer Zwangsräumung weiteren Vortrag des Schuldners für erforderlich hielt.
15
Auch wenn es sich bei dem Schuldner um einen Arzt handelt, brauchte er nicht damit zu rechnen, dass das Beschwerdegericht sein Vorbringen zum Bestehen einer Gesundheitsgefährdung ohne Hinweis auf fehlende Substanz unberücksichtigt lassen würde, zumal der Schuldner gebeten hatte, ihm die Möglichkeit zur Konkretisierung durch Vorlage von Attesten einzuräumen. Der Annahme einer Behauptung "ins Blaue" hinein stehen zudem die Ausführungen der Mitarbeiterin des Sozialpsychiatrischen Dienstes des Landkreises T. in der mündlichen Verhandlung am 30. Mai 2007 entgegen, die erklärt hat, sie sehe aufgrund der intensiven Exploration weiterhin eine Gefährdungssituation bei dem Schuldner, die ihrer Ansicht nach einer intensiven ambulanten Therapie über einen Zeitraum von sechs bis neun Monate bedürfe, um eine ausreichende Stabilisierung zu bewirken. Eine Räumungsvollstreckung hätte Belastungssituationen zur Folge, die einer Therapie sehr abträglich wären. Danach kann dem Schuldner nicht angelastet werden, dass er sein Vorbringen zur konkreten Gesundheitsgefährdung bei Durchführung einer Räumungsvollstreckung in der mündlichen Verhandlung nicht weiter substantiiert hat. Ihm hätte zumindest Gelegenheit zur Ergänzung seines Vorbringens durch Vorlage von ärztlichen Attesten gegeben werden müssen.
16
d) Das Beschwerdegericht hat den Anspruch des Schuldners auf rechtliches Gehör auch in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Der Schuldner hat in der Rechtsbeschwerdebegründung dargelegt, bei einem Hinweis des Beschwerdegerichts auf die fehlende Substanz seines Vortrags hätte er sein bis- heriges Vorbringen noch in der mündlichen Verhandlung ergänzt und unter Beweisantritt (Zeugnis und Attest der Diplom-Medizinerin M. ) vorgetragen, dass er durch die Zwangsversteigerung seines Wohn- und Praxisgebäudes eine schwere Belastungsreaktion mit emotionaler Krise erlitten habe und darüber hinaus an einer arteriellen Hypertonie mit Angina pectoris leide mit der Folge, dass er zur Durchführung eines Wohnungswechsels nicht in der Lage sei, weil die damit verbundenen physischen und psychischen Belastungen ihm nicht zuzumuten seien und mit einer Verschlechterung seines Gesundheitszustands zu rechnen sei.
17
Hätte das Beschwerdegericht dem Schuldner weiteren Vortrag und die Vorlage eines Attests der Diplom-Medizinerin M. ermöglicht, wäre es möglicherweise zu einer anderen Entscheidung gelangt (vgl. dazu BGH FamRZ 2005, 700 f.).
18
III. Danach ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
Bornkamm Pokrant Büscher
Schaffert Bergmann
Vorinstanzen:
AG Luckenwalde, Entscheidung vom 11.05.2007 - 15 M 643/07 -
LG Potsdam, Entscheidung vom 31.05.2007 - 5 T 354/07 -

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.

(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.

(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.

(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 66/12 Verkündet am:
18. April 2013
Bürk
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Ein richterlicher Hinweis erfüllt nur dann seinen Zweck, Unklarheiten, Unvollständigkeiten
und Irrtümer auszuräumen, wenn er rechtzeitig erteilt wird und
gezielt den fehlenden Sachvortrag anspricht, den das Gericht als entscheidungserheblich
ansieht.
BGH, Urteil vom 18. April 2013 - I ZR 66/12 - KG Berlin
LG Berlin
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 18. April 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Dr. h.c. Bornkamm
und die Richter Pokrant, Prof. Dr. Schaffert, Dr. Kirchhoff und Dr. Koch

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Kammergerichts vom 27. Februar 2012 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung einer Transportvergütung in Anspruch. Die Beklagte macht mit einer Widerklage Schadensersatz wegen angeblich nicht ordnungsgemäßer Ausführung eines der Klägerin erteilten Speditionsauftrags geltend.
2
Die Beklagte beauftragte die Klägerin im Dezember 2003 zu festen Kosten mit der Besorgung eines Transports von gefrorenem Rindfleisch von ihrem Sitz in D. /Niedersachsen nach Novosibirsk/Russland. Das von der Beklagten auf Paletten gepackte Gut wurde den vertraglichen Vereinbarungen entsprechend zunächst mit Lastkraftwagen nach Braniewo/Polen befördert und dort in Kühlwaggons für den Weitertransport per Eisenbahn umgeladen. Die Entladung der Kühlwaggons in Novosibirsk erfolgte zwischen dem 19. und dem 22. Dezember 2003.
3
Die Klägerin verlangt von der Beklagten für die Durchführung der Güterbeförderung eine Transportvergütung in Höhe von 59.020 US-Dollar. Die Beklagte hat einen Vergütungsanspruch der Klägerin nur in Höhe von 45.295,40 US-Dollar (= 36.873,50 €) für begründet erachtet. Gegenüber diesem Anspruch der Klägerin hat sie mit einer vermeintlichen Schadensersatzforderung von insgesamt 147.295,98 € die Aufrechnung erklärt und hinsichtlich des darüber hinausgehenden Betrags Widerklage erhoben.
4
Zur Begründung ihres Schadensersatzverlangens hat die Beklagte Folgendes vorgetragen: Vor der Verladung des Gutes in Kühlwaggons seien die Paletten - was unstreitig ist - ohne ihre Kenntnis und Billigung aufgelöst worden. Das tiefgefrorene Fleisch sei dann - ebenfalls unstreitig - lose in den Kühlwaggons befördert worden. Durch die Auflösung der Paletten seien die von ihr an den Fleischblöcken ordnungsgemäß angebrachten Herkunftsnachweise verlorengegangen. Deshalb hätten die russischen Veterinärbehörden die Herkunft des Fleisches als unbekannt eingestuft und schließlich am 16. April 2004 dessen Vernichtung angeordnet. Aufgrund des unmöglich gewordenen Herkunftsnachweises sei das in verkehrsgerechter Qualität zum Versand gebrachte Fleisch wertlos geworden und vom Käufer nicht bezahlt worden. Dadurch sei ihr ein Schaden in Höhe von insgesamt 147.295,98 € entstanden (entgangener Verkaufspreis 82.349,28 €, Kosten für Zoll- und Einfuhrumsatzsteuer 21.826,60 €, Vernichtungskosten 14.252,80 €, Lagerkosten in Novosibirsk 5.667,20 € sowie verlorene Ausfuhrerstattung 23.950,64 €.
5
Mit ihrer Widerklage hat die Beklagte beantragt, die Klägerin zur Zahlung von 110.442,48 € nebst Zinsen zu verurteilen.
6
Die Klägerin ist dem Schadensersatzverlangen der Beklagten entgegengetreten und hat insbesondere geltend gemacht, ihre Pflichten aus dem Straßengütertransport hätten mit der Ablieferung des Gutes in Braniewo geendet. Für die Umladung des Gutes in die Kühlwaggons sei sie daher nicht mehr als Frachtführerin verantwortlich. Aufgrund einer mit der Beklagten vereinbarten Geltung der ADSp hafte sie hinsichtlich des Eisenbahntransports nur für die Auswahl des von ihr beauftragten Transportunternehmens. Für ein Fehlverhalten der von ihr ausgewählten zuverlässigen und renommierten P. Internationale Spedition SP und einen daraus resultierenden Schaden der Beklagten, den sie bestreite, brauche sie daher nicht einzustehen.
7
Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung der geltend gemachten Transportvergütung verurteilt und die Widerklage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben.
8
Mit der vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage und ihr Widerklagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:


9
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Beklagten stehe der zur Aufrechnung gestellte und darüber hinaus mit der Widerklage geltend gemachte Schadensersatzanspruch nicht zu, weil sie die dafür erforderlichen Voraussetzungen nicht hinreichend dargelegt habe. Dazu hat es ausgeführt:
10
Der Straßengütertransport vom Sitz der Beklagten nach Braniewo in Polen unterfalle den Bestimmungen der CMR. Die Auflösung der mit dem Frachtgut bepackten Paletten sei noch dem Straßentransport zuzurechnen. Es sei bewusst in die Verpackung „eingegriffen“ worden, unter der sich die tiefgefrorenen Fleischblöcke befunden hätten, um eine optimale Raumaufteilung in den Kühlwaggons zu erreichen.
11
Eine Haftung der Klägerin für den von der Beklagten behaupteten Schaden nach Art. 17 Abs. 1 CMR komme nicht in Betracht. Das gelte selbst dann, wenn man zugunsten der Beklagten davon ausgehe, dass die Anordnung zur Vernichtung des Fleisches allein wegen des Fehlens des Herstellernachweises erlassen worden sei. Die Beklagte habe nicht hinreichend dargelegt, dass die der Klägerin zum Transport übergebenen Paletten mit ausreichenden Herkunftsnachweisen versehen und ordnungsgemäß verpackt gewesen seien. Daher könne nicht angenommen werden, dass das Fleisch, so wie es der Klägerin zum Transport übergeben worden sei, tatsächlich verkäuflich gewesen sei.
12
Die von der Beklagten beantragte Einräumung einer weiteren Erklärungsfrist sei nicht in Betracht gekommen, weil sie mit der gerichtlichen Verfügung vom 7./20. Dezember 2011 bereits darauf hingewiesen worden sei, dass sie eine ordnungsgemäße Etikettierung und Verpackung der tiefgefrorenen Fleischblöcke bislang nicht in ausreichendem Maße dargetan habe.
13
Unabhängig davon habe die Beklagte auch nicht hinreichend dargelegt, dass der Zustand, in dem die Ware sich beim Entladen aus den Kühlwaggons befunden habe, zur Anordnung der Vernichtung des Fleisches geführt habe.
14
II. Die gegen diese Beurteilung gerichtete Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
15
1. Das Berufungsgericht ist zutreffend von der Anwendbarkeit des deutschen Rechts auf den zwischen der Klägerin und der Beklagten geschlossenen Vertrag über die Besorgung des Transports von tiefgefrorenem Fleisch vom Unternehmenssitz der Beklagten in D. nach Novosibirsk ausgegangen.
16
Die Anwendbarkeit des deutschen Rechts auf den zwischen der Klägerin und der Beklagten zustande gekommenen Speditionsvertrag zu festen Kosten (§ 459 HGB) ergibt sich aus Art. 28 Abs. 4 EGBGB, der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Dezember 2003 noch Gültigkeit hatte. Nach dieser Vorschrift wird bei einem Güterbeförderungsvertrag vermutet, dass dieser mit demjenigen Staat die engsten Verbindungen aufweist, in dem der Beförderer im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses seine Hauptniederlassung hat, sofern sich in diesem Staat auch der Verladeort oder der Entladeort oder die Hauptniederlassung des Absenders befindet und sich aus der Gesamtheit der Umstände nicht ergibt (Art. 28 Abs. 5 EGBGB), dass der Vertrag engere Verbindungen mit einem anderen Staat aufweist. Dies gilt auch für multimodale Frachtverträge im Sinne von § 452 HGB (BGH, Urteil vom 25. Oktober 2007 - I ZR 151/04, TranspR 2008, 210 Rn. 15 = VersR 2008, 1711 mwN). Da die Klägerin ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland hat und hier auch die Verladung des Transportgutes vorgenommen wurde, sind die Voraussetzungen für die Anwendung deutschen Rechts gemäß Art. 28 Abs. 4 EGBGB erfüllt. Im Streitfall spricht auch nichts dafür, dass der Vertrag zu einem anderen Staat engere Verbindungen aufweist, zumal die Beklagte als Versenderin ihren Hauptsitz in Deutschland hat.
17
2. Die weitere Annahme des Berufungsgerichts, eine mögliche Ersatzpflicht der Klägerin für die von der Beklagten geltend gemachten Schäden beurteile sich nach den Vorschriften der CMR, hat auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen dagegen keinen Bestand.
18
a) Die Klägerin hat die Besorgung der Versendung des tiefgefrorenen Fleisches vom Unternehmenssitz der Beklagten nach Novosibirsk zu festen Kosten (260 US-Dollar/Tonne) übernommen, so dass sie hinsichtlich der Beförderung die Pflichten eines Frachtführers hatte (§ 459 Satz 1 HGB). Entgegen der in der mündlichen Revisionsverhandlung geäußerten Ansicht der Revisionserwiderung ist der Umschlag des Gutes in Braniewo der Beförderung im Sinne von § 459 Satz 1 HGB zuzurechnen. Aufgrund der vertraglichen Vereinbarungen zwischen der Klägerin und der Beklagten stand bei der Übernahme der Ware durch die Klägerin bereits fest, dass in Braniewo für den Weitertransport nach Novosibirsk zwingend eine Umladung vom Lkw in Eisenbahnwaggons erfolgen musste. Den Umschlag des Gutes in Braniewo hat die Klägerin der Beklagten auch nicht gesondert in Rechnung gestellt. Diese Tätigkeit war vielmehr von dem vereinbarten Festpreis von 260 US-Dollar/Tonne umfasst.
19
Die als solche einheitliche Speditionsleistung hatte die Beförderung mit verschiedenartigen Transportmitteln (Lkw, Eisenbahn) zum Gegenstand. Einzelne Teile wären, wenn für sie gesonderte Verträge geschlossen worden wären , verschiedenen Rechtsvorschriften unterworfen gewesen. Der Transport des Frachtgutes per Lkw nach Braniewo in Polen wäre nach den Bestimmungen der CMR zu beurteilen. Für den Transport per Eisenbahn kämen internationale Eisenbahn-Übereinkommen, insbesondere das Abkommen über den internationalen Eisenbahn-Güterverkehr (SMGS) zur Anwendung, das sowohl Polen als auch Russland unterzeichnet haben (MünchKomm.HGB/Freise, 2. Aufl., Einl. Int. EisenbahnTranspR Rn. 44). Richtet sich die Leistung eines Fixkostenspediteurs auf die Besorgung eines solchen multimodalen Transports, greift § 452 HGB ein (BGH, Urteil vom 13. September 2007 - I ZR 207/04, BGHZ 173, 344 Rn. 23).
20
Nach § 452 HGB sind die Vorschriften der §§ 407 ff. HGB nur dann einheitlich auf die gesamte Beförderungsleistung anzuwenden, wenn sich aus internationalen Übereinkommen oder den besonderen Vorschriften der §§ 452a ff. HGB nichts anderes ergibt. Eine Anwendung unterschiedlicher Rechtsvorschriften für einzelne Teilstrecken der Beförderung ergibt sich im Streitfall aus § 452a HGB. Nach dieser Bestimmung ist für die Haftung des Frachtführers das Recht maßgeblich, das für einen hypothetischen Vertrag über eine Beförderung auf der Teilstrecke gelten würde, auf der der Schaden eingetreten ist. Nach der Darstellung der Beklagten hat die Auflösung der mit dem Fleisch bepackten Paletten in Braniewo zu dem ihr entstandenen Schaden geführt. Der Ort des schadensverursachenden Ereignisses ist mithin bekannt.
21
b) Die Annahme des Berufungsgerichts, die Entfernung der Verpackung und Auflösung der Paletten seien dem Straßengütertransport zuzurechnen, kann nach den bislang getroffenen Feststellungen keinen Bestand haben.
22
aa) Das Berufungsgericht hat darauf abgestellt, dass bewusst in die von der Beklagten vorgenommene Verpackung des Frachtgutes „eingegriffen“ und diese entfernt worden sei, um eine optimale Raumaufteilung in den Kühlwaggons zu erreichen. Dementsprechend sei die Auflösung der Paletten während der „Landphase“ erfolgt. Diese Beurteilung findet in den bisherigen Feststellungen keine tragfähige Grundlage.
23
bb) Die Vorinstanzen haben keine Feststellungen dazu getroffen, wer die Verpackung entfernt hat, wann dies geschehen ist und an welchem Ort die Paletten tatsächlich aufgelöst wurden. In Anbetracht des vom Berufungsgericht festgestellten Grundes für die Auflösung der Paletten ist auch denkbar, dass die Verpackung von Mitarbeitern des Eisenbahnunternehmens entfernt wurde, als sich die mit dem Frachtgut beladenen Paletten bereits in den Kühlwaggons für den Transport von Braniewo nach Novosibirsk befanden. Sollte dies der Fall sein, können die Entfernung der Verpackung und das Auflösen der Paletten nicht mehr dem vorangegangenen Straßengütertransport zugerechnet werden.
24
cc) Sofern sich der genaue Ablauf der Auflösung der Paletten nicht mehr klären lässt - seit der Durchführung des streitgegenständlichen Transports im Dezember 2003 sind fast zehn Jahre vergangen -, ist von einem unbekannten Schadensort im Sinne von § 452 Satz 1 HGB auszugehen mit der Folge, dass sich eine mögliche Haftung der Klägerin für den von der Beklagten geltend gemachten Schaden nach den §§ 407 ff. HGB beurteilt.
25
dd) Denkbar ist allerdings auch - was grundsätzlich möglich ist (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2013 - I ZR 180/11, juris Rn. 24 f.) -, dass die Parteien für den gesamten Transport bis zum Bestimmungsort die Geltung der CMR-Vorschriften vereinbart haben, worauf sich die Beklagte in den Vorinstanzen berufen hat.
26
Die Annahme des Berufungsgerichts, eine mögliche Haftung der Klägerin für den von der Beklagten geltend gemachten Schaden beurteile sich nach dem Haftungsregime der CMR, ist auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen mithin nicht tragfähig.
27
3. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Es muss geklärt werden, nach welchem Haftungsregime sich eine mögliche Haftung der Klägerin richtet. Nach keinem der in Betracht kommenden Haftungsregime lässt sich ein Schadensersatzanspruch der Beklagten gegen die Klägerin ohne weitere Feststellungen ausschließen.
28
III. Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben. Die Sache ist, da weitere Feststellungen zu treffen sind, zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
29
Für das wiedereröffnete Berufungsverfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
30
1. Sofern nach den anwendbaren Haftungsvorschriften ein Schadensersatzanspruch der Beklagten in Betracht kommen sollte, wird das Berufungsgericht diesen Anspruch, den die Beklagte im Wege der Aufrechnung und der Widerklage geltend macht, nach derzeitigem Sach- und Streitstand nicht mit der Begründung verneinen können, die Beklagte habe nicht hinreichend dargelegt, dass die der Klägerin zum Transport übergebene Ware mit ausreichenden Herkunftsnachweisen versehen und ordnungsgemäß verpackt gewesen sei, so dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass das Fleisch in Russland hätte verkauft werden können.
31
a) Das Berufungsgericht wird allerdings - anders als die Revision meint - auch im wiedereröffneten Berufungsverfahren das von der Beklagten selbst durch Bezugnahme auf das Schreiben der VET Service GmbH vom 16. Dezember 2004 (Anlage B 26) vorgetragene maßgebliche ausländische Recht ohne Verstoß gegen § 293 ZPO zugrunde legen können. Nach der eigenen Darstellung der Beklagten handelt es sich bei der VET Service GmbH um die offizielle deutsche Vertretung der russischen staatlichen Veterinärbehörden. Aus dem Schreiben geht hervor, dass für den Export von Rindfleisch und Schweinefleisch ohne Knochen nach Russland eine Verpackung der Fleischblöcke in Polyethylenfolie auf Paletten - umwickelt mit Stretchfolie und etikettiert mit Palettenscheinen mit allen notwendigen Angaben (Nummern des Schlachtbetriebs = ES.Nr. und des Zerlegungsbetriebs = EZ.Nr., Name und Adresse des Herstellers, Warenbezeichnung, Herstellungsdatum, Bedingungen für Transport und Lagerung) - handelsüblich ist und die veterinärrechtlichen Anforderungen für den Import nach Russland erfüllt. Unter diesen Umständen hatte das Berufungsgericht keine Veranlassung, die russischen Einfuhrbestimmungen für Rindfleisch von Amts wegen gemäß § 293 ZPO zu ermitteln.
32
b) Das Berufungsgericht wird jedoch im wiedereröffneten Berufungsverfahren weiteren Vortrag der Beklagten zu den Anforderungen an die Kennzeichnungspflicht der Ware zu berücksichtigen haben. Es hat die Beklagte bislang nicht mit der gebotenen Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass es das Vorbringen zur ordnungsgemäßen Etikettierung der Paletten und zur ausreichenden Verpackung der Ware für nicht hinreichend erachtet. Dadurch hat das Berufungsgericht , worauf die Revision mit Recht hinweist, verfahrensfehlerhaft weiteren Vortrag der Beklagten zur Kennzeichnung der Ware und zu deren Verkäuflichkeit in Russland verhindert.
33
aa) Das Gericht erfüllt seine Hinweispflicht gemäß § 139 Abs. 1 ZPO nicht, wenn es vor der mündlichen Verhandlung lediglich allgemeine und pauschale Hinweise erteilt. Es muss die Parteien vielmehr auf den fehlenden Sachvortrag , den es als entscheidungserheblich ansieht, unmissverständlich hinweisen und ihnen die Möglichkeit eröffnen, ihren Vortrag sachdienlich zu ergänzen (BGH, Urteil vom 11. Februar 1999 - VII ZR 399/97, BGHZ 140, 365, 371; Urteil vom 25. Juni 2002 - X ZR 83/00, NJW 2002, 3317, 3320; Beschluss vom 9. Juni 2005 - V ZR 271/04, NJW 2005, 2624; MünchKomm.ZPO/Wagner, 4. Aufl., § 139 Rn. 20; Prütting in Prütting/Gehrlein, ZPO, 4. Aufl., § 139 Rn. 8). Ein richterlicher Hinweis erfüllt nur dann seinen Zweck, Unklarheiten, Unvollständigkeiten und Irrtümer auszuräumen, wenn er gezielt und konkret den einzelnen Mangel anspricht.
34
bb) Diesen Anforderungen wird der gerichtliche Hinweis laut Verfügung vom 7./20. Dezember 2011, der sich an die Beklagte richtete und auf den das Berufungsgericht im angefochtenen Urteil ausdrücklich Bezug genommen hat, nicht gerecht. Dort heißt es lediglich, dass bisher nicht ausreichend dargetan ist, dass die Etikettierung und Verpackung der Fleischblöcke den Bedingungen, die in dem Schreiben der VET Service (Anlage B 26) und den „veterinär-sanitären Anforderungen beim Import von Fleisch …“ (Anlage K 28.11) beschrieben sind, genügt haben.
35
Diesem allgemein gehaltenen Hinweis konnte die Beklagte nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit entnehmen, welche Angaben zur ordnungsgemäßen Kennzeichnung und Verpackung des Fleisches nach Ansicht des Gerichts noch fehlten. Das Berufungsgericht hätte die Beklagte konkret darauf hinweisen müssen, dass es nach dem von der Beklagten bis zur gerichtlichen Verfügung gehaltenen Vortrag davon ausging, dass das Fleisch in Russland nicht verkäuflich gewesen wäre, weil auf den zur Darlegung der erfolgten Kennzeichnung vorgelegten Etiketten (Anlagen B 4 und B 5) die ES-Nummern (Nummer des Schlachtbetriebs) fehlten.
36
cc) Hätte das Berufungsgericht rechtzeitig auf seine konkreten Bedenken hinsichtlich der Verkäuflichkeit des Fleisches in Russland hingewiesen, hätte die Beklagte darauf - wie die Revision dargelegt hat - mit hinreichend substantiiertem Vortrag reagiert. Die Beklagte hätte danach vorgetragen und durch Einholung eines Sachverständigengutachtens unter Beweis gestellt, dass der auf dem Etikett anzubringende Herkunftsnachweis nicht auch die ES-Nummer nennen müsse, wenn die EZ-Nummer (Nummer des Zerlegungsbetriebs) genannt sei, weil in einem solchen Fall jeder erkennen könne, wo das Fleisch eine tierärztliche Kontrolle durchlaufen habe. Darüber hinaus hätte die Beklagte vorgetragen und ebenso unter Beweis gestellt, dass Fleisch in Russland auch dann veräußert werden dürfe, wenn die Kennzeichnung nur die EZ-Nummer aufführe.
Stützt sich die Beklagte im wiedereröffneten Berufungsverfahren auf diesen Vortrag, wird ihn das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben.
37
c) Das Berufungsgericht wird auch, sofern es im wiedereröffneten Berufungsverfahren darauf ankommen sollte, dem Beweisangebot der Beklagten zur ordnungsgemäßen Anbringung der die Herkunftsnachweise enthaltenden Etiketten an den mit dem tiefgefrorenen Fleisch bepackten Paletten nachzugehen haben. Die Einholung des von der Beklagten mit Schriftsatz vom 6. Januar 2012 angebotenen Sachverständigengutachtens wird es jedenfalls nicht mit der Begründung ablehnen können, zwischen dem erstinstanzlichen Vortrag der Beklagten und ihrem Berufungsvorbringen bestehe ein Widerspruch.
38
aa) Das Berufungsgericht hat angenommen, in Bezug auf die Anbringung der Etiketten sei zu berücksichtigen, dass diese derart auf der Verpackung befestigt sein müssten, dass ein Öffnen der Verpackung nicht ohne Beschädigung der Etiketten möglich sei. Dies habe die Beklagte in erster Instanz unter Zitierung der von der Klägerin dargelegten Bestimmung Nr. 13-8-01/2-1 vom 23. Dezember 1999 betreffend veterinär-sanitärer Anforderungen beim Import von Fleisch und Fleischprodukten in die Russische Föderation (Anlage K 18.11) selbst als Maßstab vorgetragen. Diese Voraussetzung sei beim Anbringen eines Etiketts auf oder innerhalb der Palettenverpackungsfolie nicht eingehalten. Ein Aufreißen der Folie sei ohne weiteres möglich, ohne dass dabei das im Verhältnis zur gesamten Palette relativ kleine Papier zwangsläufig zerstört werden müsste.
39
Erstmals im Berufungsverfahren habe die Beklagte die Existenz einer solchen Bestimmung mit Nichtwissen bestritten und behauptet, bei Palettenware sei ein Herkunftszeichen für die gesamte Palette zulässig, da bei deren Auflösung das Herkunftszeichen seine feste Verbindung zu dieser Palette verliere.
Dem von der Beklagten angebotenen Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens brauche nicht nachgegangen zu werden, weil der zweitinstanzliche Vortrag sowohl in Widerspruch zum bisherigen Vorbringen der Beklagten als auch zum Inhalt des von ihr in zweiter Instanz eingereichten Musters eines Vorzertifikats stehe. Darin heiße es unter Nr. 4.10, dass der das Zertifikat unterschreibende Tierarzt bestätige, dass das zerlegte und verpackte Fleisch auf der Verpackung oder am Polyblock ein Identitätskennzeichen trage, das so auf der Verpackung angebracht sei, dass ein Öffnen der Verpackung ohne Zerstörung unmöglich sei. Eine Ausnahme für Palettenware sei nicht enthalten.
40
bb) Dieser vom Berufungsgericht angenommene Widerspruch im Vortrag der Beklagten vermag die Nichterhebung eines angebotenen Beweises zu entscheidungserheblichem Vortrag einer Partei nicht zu rechtfertigen, weil darin eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung liegt, die im Prozessrecht keine Stütze findet.
41
Eine Partei ist nicht gehindert, ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern, insbesondere auch zu berichtigen. Eine etwaige Widersprüchlichkeit im Parteivortrag ist allein im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen (BGH, Beschluss vom 21. Juli 2011 - IV ZR 216/09, VersR 2011, 1384 Rn. 6; Urteil vom 13. März 2012 - II ZR 50/09, NJW-RR 2012, 728 Rn. 16). Die Zurückweisung eines Beweisantrags für beweiserhebliche Tatsachen ist nur dann zulässig, wenn die unter Beweis gestellte Tatsache so ungenau bezeichnet ist, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann, oder wenn die Bezeichnung der Tatsache zwar in das Gewand einer bestimmt aufgestellten Behauptung gekleidet, aber „ins Blaue“ hinein aufgestellt ist und der Beweisantrag sich deshalb als rechtsmissbräuchlich darstellt (BGH, Urteil vom 15. Dezember 1994 - VII ZR 140/93, NJW-RR 1995, 722; Urteil vom 28. Februar 2013 - I ZR 180/11, RdTW 2013, 277 Rn. 13).
42
cc) Davon kann im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden. Die Beklagte hat unter Beweisantritt vorgetragen, im Jahr 2003 sei im Zusammenhang mit dem Export von Fleisch nach Russland verlangt worden, dass das zerlegte und verpackte Fleisch auf der Verpackung oder dem Polyblock ein Identitätskennzeichen trage. Diese Kennzeichnung sei so auf der Verpackung anzubringen gewesen, dass ein Öffnen der Verpackung ohne die Zerstörung der Kennzeichnung nicht möglich gewesen sei. Bei Palettenware sei ein Herkunftskennzeichen für die gesamte Palette zulässig gewesen, wenn eine Auflösung der Palette dazu geführt habe, dass das Herkunftskennzeichen seine feste Verbindung zu der Palette verloren habe und mit der Auflösung gleichzeitig der Herkunftshinweis beseitigt worden sei. Dieses Vorbringen nebst Beweisantritt wird das Berufungsgericht, soweit es darauf ankommen sollte, im wiedereröffneten Berufungsverfahren berücksichtigen müssen.
43
2. Das Berufungsgericht wird schließlich nicht zu hohe Anforderungen an die Darlegungslast der Beklagten in Bezug auf den von ihr geltend gemachten Umstand stellen dürfen, der Zustand der Ware, in dem sie sich beim Entladen der Eisenbahnwaggons befunden habe, sei für die Anordnung der Vernichtung des Fleisches ursächlich gewesen.
44
a) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung genügt eine Partei ihrer Darlegungslast bereits dann, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen, wobei unerheblich ist, wie wahrscheinlich die Darstellung ist und ob sie auf eigenem Wissen oder einer Schlussfolgerung aus Indizien besteht. Der Pflicht zur Substantiierung ist mithin nur dann nicht genügt, wenn das Gericht aufgrund der Darstellung nicht beurteilen kann, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der an eine Behauptung geknüpften Rechtsfolge erfüllt sind (BGH, Urteil vom 25. Juli 2005 - II ZR 199/03, WM 2005, 1847, 1848; Urteil vom 2. Februar 2012 - I ZR 81/10, GRUR 2012, 945 Rn. 33 = WRP 2012, 1222 - Tribenuronmethyl, mwN).
45
b) Diesen Anforderungen genügt der Vortrag der Beklagten. Rechtlich erheblich war vorliegend allein, dass die behördliche Entscheidung, das Fleisch zu vernichten, auf dem Zustand der Ware - dem Fehlen von Herkunftsnachweisen - beruhte. Zu dieser Kausalität hat die Beklagte durchweg vorgetragen, die Anordnung zur Vernichtung des Fleisches sei erfolgt, weil sich an der Ware keine Herkunftsbezeichnungen befunden hätten. Diese Behauptung hat die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 7. Oktober 2010 mit dem weiteren Vortrag belegt , welchen Inhalt die Vernichtungsanordnung der staatlichen Veterinärin S. gehabt habe. Darin heißt es unter anderem, es werde angewiesen, „die Ware - Rindfleischblöcke ohne Verpackung, ohne Markierung, ohne Be- nennung des Produzenten und der Warenart, ohne Herstellungsdatum mit fehlendem Veterinärstempel in einer Menge von 2.078 Collie mit 52.788 Kilogramm - … einer Vernichtung (Utilisierung) zuzuführen“. Schon dieser Vortrag reichte zur substantiierten Darlegung aus, dass die Anordnung zur Vernichtung des Fleisches ihren Grund im Zustand der Ware bei der Ankunft in Novosibirsk hatte.
46
Darüber hinaus hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 6. Januar 2012 im Einzelnen dargelegt, wie das Verfahren abgelaufen sei, nachdem der amtliche Veterinär mit Verfügung vom 9. Januar 2004 veranlasst habe, die Partie Fleisch zu beschlagnahmen. Zudem hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2004 unter Beweisantritt (Zeugnis: S. ) vorgetragen, dass die Veterinärinspektorin die Vernichtung des Fleisches beaufsichtigt und sichergestellt habe, dass das Fleisch unbekannter Herkunft nicht mehr verzehrt werden dürfe. Darüber hinausgehenden Vortrag zur Ursächlichkeit des Zustands der Ware bei deren Ankunft in Novosibirsk für die Anordnung der Vernichtung wird das Beru- fungsgericht von der Beklagten zur Erfüllung ihrer Substantiierungslast nicht verlangen können.
Bornkamm Pokrant Schaffert
Kirchhoff Koch
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 07.11.2008 - 100a O 17/07 -
KG Berlin, Entscheidung vom 27.02.2012 - 2 U 99/08 -

(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen.

(2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie

1.
einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist,
2.
infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder
3.
im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.
Das Berufungsgericht kann die Glaubhaftmachung der Tatsachen verlangen, aus denen sich die Zulässigkeit der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel ergibt.

(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.

(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.

(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.

(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VIZR 490/13
vom
3. März 2015
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
1. Art. 103 Abs. 1 GG ist dann verletzt, wenn der Tatrichter Angriffs- oder Verteidigungsmittel
einer Partei in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift
zu Unrecht für ausgeschlossen erachtet.
2. Die Berücksichtigungsfähigkeit neuen Vortrags in der Berufungsinstanz nach
§ 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO setzt voraus, dass die nach Auffassung des Berufungsgerichts
fehlerhafte Rechtsauffassung des erstinstanzlichen Gerichts zumindest
mitursächlich dafür geworden ist, dass sich Parteivorbringen in die Berufungsinstanz
verlagert hat. Dies kommt schon dann in Betracht, wenn das Gericht
des ersten Rechtszugs, hätte es die später vom Berufungsgericht für zutreffend
erachtete Rechtsauffassung geteilt, zu einem Hinweis nach § 139 Abs. 2 ZPO
verpflichtet gewesen wäre.
3. Der Anwendung des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO steht nicht entgegen, dass die
erstinstanzliche Geltendmachung des neuen Angriffs- oder Verteidigungsmittels
auch aus Gründen unterblieben ist, die eine Nachlässigkeit der Partei im Sinne
BGH, Beschluss vom 3. März 2015 - VI ZR 490/13 - OLG Karlsruhe
LG Karlsruhe
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. März 2015 durch den
Vorsitzenden Richter Galke, die Richterin Diederichsen, den Richter Stöhr, den
Richter Offenloch und die Richterin Dr. Oehler

beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 9. Oktober 2013 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Der Gegenstandswert für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfah- ren wird auf 58.648,83 € festgesetzt.

Gründe:

I.


1
Die Parteien streiten um Ansprüche infolge einer ärztlichen Behandlung.
2
Die Klägerin, der im Jahr 1999 ein Mammakarzinom entfernt worden war und der nach einem Axillenrezidiv im Jahr 2001 beidseits Mammaaugmentationsplastiken implantiert worden waren, stellte sich im Januar 2008 erstmals in der Praxis des Beklagten, einem plastischen Chirurgen, vor. Im Hinblick auf den Verdacht einer Implantatruptur und die Diagnose einer Kapselfibrose wechselte der Beklagte bei der Klägerin am 19. Februar 2008 die Implantate aus und führte eine Kapsulektomie durch. Im September 2008 stellte der Beklagte bei der Klägerin eine Verformung der linken Brust und wiederum eine Kapselfibrose fest, wechselte deshalb am 18. November 2008 das linke Implantat erneut und führte zugleich eine nochmalige Kapsulektomie durch. Aufgrund einer weiteren Dislokation des linken Implantats kam es am 25. November 2008 wieder zu einem Implantattausch. Im Februar 2009 suchte die Klägerin mit Schmerzen und starken Bewegungseinschränkungen an der Schulter sowie einer harten, eingezogenen und extrem schmerzhaften Narbe erneut den Beklagten auf. Auch dieses Mal ergab sich der Verdacht einer Kapselfibrose.
3
Die Klägerin nimmt den Beklagten unter Behauptung mehrerer Behandlungs - und Aufklärungsfehler auf materiellen und immateriellen Schadensersatz in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert, die Ersatzpflicht des Beklagten hinsichtlich der künftigen materiellen und immateriellen Folgeschäden „aus der fehlerhaften Behandlung im November 2008“ festgestellt , die (Zahlungs-)Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Sache zur Entscheidung über die Höhe der materiellen und immateriellen Schäden an das Landgericht zurückverwiesen. Es hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

4
1. Das Berufungsgericht hat mit dem Landgericht einen Behandlungsfehler verneint, entgegen der Auffassung des Landgerichts aber einen Aufklärungsfehler bejaht. Es hat insoweit im Wesentlichen ausgeführt, der Beklagte hafte, weil er die Klägerin weder vor der ersten Operation am 19. Februar 2008 noch vor den nachfolgenden Operationen am 18. und 25. November 2008 über ein wegen anatomischer Besonderheiten auf Grund der vorangegangenen Krebsoperation deutlich erhöhtes Risiko einer Kapselfibrose aufgeklärt habe. Die vor der zweiten Operation erfolgte Aufklärung der Klägerin über das erhöhte Risiko einer Kapselfibrose bei einer Revisionsoperation genüge insoweit nicht, weil damit nicht zugleich über die sich aus der vorangegangenen Krebsoperation ergebende spezifische Risikoerhöhung aufgeklärt worden sei.
5
Der vom Beklagten erhobene Einwand der hypothetischen Einwilligung bleibe ohne Erfolg, weil das Vorbringen in zweiter Instanz gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht mehr zu berücksichtigen sei. Es handle sich um ein neues Verteidigungsmittel. Der Beklagte bzw. sein Prozessbevollmächtigter, dessen Verschulden er sich zurechnen lassen müsse, hätte allen Anlass gehabt, den hier naheliegenden Einwand bereits im ersten Rechtszug zu erheben, weil der Beklagte aufgrund der vom Landgericht erteilten Anordnungen jedenfalls in Betracht habe ziehen müssen, dass eine Verurteilung auf eine unzureichende oder nicht erfolgte Aufklärung gestützt werde.
6
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Der Beklagte rügt zu Recht, das Berufungsgericht habe seinen Anspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, indem es den von ihm erhobenen Einwand der hypothetischen Einwilligung zurückgewiesen habe.
7
a) In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass Art. 103 Abs. 1 GG dann verletzt ist, wenn der Tatrichter Angriffs- oder Verteidigungsmittel einer Partei in offenkundig fehlerhafter Anwendung einer Präklusionsvorschrift zu Unrecht für ausgeschlossen erachtet hat (BGH, Beschlüsse vom 1. Oktober 2014 - VII ZR 28/13, NJW-RR 2014, 1431 Rn. 10; vom 21. März 2013 - VII ZR 58/12, NJW-RR 2013, 655 Rn. 10; vom 17. Juli 2012 - VIII ZR 273/11, NJW 2012, 3787 Rn. 9; jeweils mwN). Dies ist vorliegend der Fall.
8
b) Der vom Beklagten erhobene Einwand der hypothetischen Einwilligung hätte gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO berücksichtigt werden müssen.
9
aa) Noch zutreffend - und von der Nichtzulassungsbeschwerde nicht in Zweifel gezogen - ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass es sich bei dem vom Beklagten zweitinstanzlich erhobenen Einwand der hypothetischen Einwilligung um ein neues Verteidigungsmittel im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO handelt. Damit konnte es im Berufungsrechtszug nur unter den besonderen Voraussetzungen dieser Vorschrift berücksichtigt werden.
10
bb) Rechtsfehlerhaft ist hingegen die Annahme des Berufungsgerichts, auch die Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO seien insoweit nicht erfüllt. Auf die Frage nach einer hypothetischen Einwilligung kam es auf der Grundlage der Rechtsauffassung des Landgerichts, das von ausreichenden Eingriffsaufklärungen ausging, nicht an. Weiter verlangt § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO, dass die nach Auffassung des Berufungsgerichts fehlerhafte Rechtsauffassung des erstinstanzlichen Gerichts zumindest mitursächlich dafür geworden ist, dass sich Parteivorbringen in die Berufungsinstanz verlagerthat (BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - VIII ZR 166/11, NJW-RR 2012, 341 Rn. 19; Zöller/Heßler, 30. Aufl., § 531 Rn. 27; Hk-ZPO/Wöstmann, 6. Aufl., § 531 Rn. 7; jeweils mwN), was schon dann in Betracht kommt, wenn das Gericht des ersten Rechtszugs, hätte es die später vom Berufungsgericht für zutreffend erachtete Rechtsauffassung geteilt, zu einem Hinweis nach § 139 Abs. 2 ZPO verpflichtet gewesen wäre (BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - VIII ZR 166/11, aaO Rn. 20; Zöller/Heßler aaO; Hk-ZPO/Wöstmann aaO). Auch diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt.
11
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht wurde das bei der Klägerin erhöhte Risiko einer erneuten Kapselfibrose insoweit angesprochen , als der Beklagte im Rahmen seiner persönlichen Anhörung darlegte , die Klägerin vor der zweiten Operation über das erhöhte Risiko einer Kapselfibrose aufgeklärt zu haben. Die Klägerin räumte ein, es könne schon sein, dass ihr der Beklagte gesagt habe, dass das Risiko einer erneuten Kapselfibrose erhöht sei. Dass die Aufklärung über das in ihrem Fall erhöhte Risiko einer Kapselfibrose trotzdem unzureichend sei, hat sie dabei nicht eingewandt. Hätte das Landgericht erwogen, dass - wie das Berufungsgericht meint - die erfolgte Eingriffsaufklärung unabhängig von der unstreitigen Aufklärung über das bei der Klägerin erhöhte Risiko einer erneuten Kapselfibrose deshalb unzureichend sein könnte, weil damit nur über die revisionsoperationsbedingte Risikoerhöhung , nicht aber über den nach Auffassung des Berufungsgerichts zusätzlichen Risikofaktor der vorangegangenen Krebsoperation aufgeklärt worden sei, hätte es bei dieser Sachlage gemäß § 139 Abs. 2 ZPO auf diesen Gesichtspunkt hinweisen müssen. Denn der Beklagte hatte ihn ersichtlich nicht im Blick und damit aus seiner Sicht keinen Anlass einzuwenden, die Klägerin hätte der Operation auch dann zugestimmt, wenn sie neben der revisionsoperationsbedingten Risikoerhöhung auch über den zusätzlichen Risikofaktor der vorangegangenen Krebsoperation aufgeklärt worden wäre.
12
Eine andere Bewertung folgt auch nicht aus der Überlegung des Berufungsgerichts , der Beklagte bzw. sein Prozessbevollmächtigter, dessen Verschulden er sich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse, hätte allen Anlass gehabt, den naheliegenden Einwand der hypothetischen Einwilligung bereits im ersten Rechtszug zu erheben, weil der Beklagte aufgrund der vom Landgericht erteilten Anordnungen jedenfalls habe in Betracht ziehen müssen, dass eine Verurteilung auf eine unzureichende oder nicht erfolgte Aufklärung gestützt werde. Das Berufungsgericht verkennt insoweit bereits, dass die Nachlässigkeit der Partei - anders als im Falle des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO - die Anwendung des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO nicht ausschließt (BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - VIII ZR 166/11, NJW-RR 2012, 341 Rn. 17 f.).
13
3. Im Rahmen der erneuten Befassung wird das Berufungsgericht Gelegenheit haben, auch das weitere Vorbringen der Parteien in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen. Galke Diederichsen Stöhr Offenloch Oehler
Vorinstanzen:
LG Karlsruhe, Entscheidung vom 29.08.2012 - 3 O 54/10 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 09.10.2013 - 7 U 146/12 -

(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.

(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.

(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.

(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.

(1) Das Gericht kann die Wiedereröffnung einer Verhandlung, die geschlossen war, anordnen.

(2) Das Gericht hat die Wiedereröffnung insbesondere anzuordnen, wenn

1.
das Gericht einen entscheidungserheblichen und rügbaren Verfahrensfehler (§ 295), insbesondere eine Verletzung der Hinweis- und Aufklärungspflicht (§ 139) oder eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, feststellt,
2.
nachträglich Tatsachen vorgetragen und glaubhaft gemacht werden, die einen Wiederaufnahmegrund (§§ 579, 580) bilden, oder
3.
zwischen dem Schluss der mündlichen Verhandlung und dem Schluss der Beratung und Abstimmung (§§ 192 bis 197 des Gerichtsverfassungsgesetzes) ein Richter ausgeschieden ist.

(1) Das Berufungsgericht hat die notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache selbst zu entscheiden.

(2) Das Berufungsgericht darf die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszuges nur zurückverweisen,

1.
soweit das Verfahren im ersten Rechtszuge an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist,
2.
wenn durch das angefochtene Urteil ein Einspruch als unzulässig verworfen ist,
3.
wenn durch das angefochtene Urteil nur über die Zulässigkeit der Klage entschieden ist,
4.
wenn im Falle eines nach Grund und Betrag streitigen Anspruchs durch das angefochtene Urteil über den Grund des Anspruchs vorab entschieden oder die Klage abgewiesen ist, es sei denn, dass der Streit über den Betrag des Anspruchs zur Entscheidung reif ist,
5.
wenn das angefochtene Urteil im Urkunden- oder Wechselprozess unter Vorbehalt der Rechte erlassen ist,
6.
wenn das angefochtene Urteil ein Versäumnisurteil ist oder
7.
wenn das angefochtene Urteil ein entgegen den Voraussetzungen des § 301 erlassenes Teilurteil ist
und eine Partei die Zurückverweisung beantragt. Im Fall der Nummer 3 hat das Berufungsgericht sämtliche Rügen zu erledigen. Im Fall der Nummer 7 bedarf es eines Antrags nicht.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

Die Zwangsvollstreckung ist einzustellen oder zu beschränken:

1.
wenn die Ausfertigung einer vollstreckbaren Entscheidung vorgelegt wird, aus der sich ergibt, dass das zu vollstreckende Urteil oder seine vorläufige Vollstreckbarkeit aufgehoben oder dass die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt oder ihre Einstellung angeordnet ist;
2.
wenn die Ausfertigung einer gerichtlichen Entscheidung vorgelegt wird, aus der sich ergibt, dass die einstweilige Einstellung der Vollstreckung oder einer Vollstreckungsmaßregel angeordnet ist oder dass die Vollstreckung nur gegen Sicherheitsleistung fortgesetzt werden darf;
3.
wenn eine öffentliche Urkunde vorgelegt wird, aus der sich ergibt, dass die zur Abwendung der Vollstreckung erforderliche Sicherheitsleistung oder Hinterlegung erfolgt ist;
4.
wenn eine öffentliche Urkunde oder eine von dem Gläubiger ausgestellte Privaturkunde vorgelegt wird, aus der sich ergibt, dass der Gläubiger nach Erlass des zu vollstreckenden Urteils befriedigt ist oder Stundung bewilligt hat;
5.
wenn der Einzahlungs- oder Überweisungsnachweis einer Bank oder Sparkasse vorgelegt wird, aus dem sich ergibt, dass der zur Befriedigung des Gläubigers erforderliche Betrag zur Auszahlung an den Gläubiger oder auf dessen Konto eingezahlt oder überwiesen worden ist.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.

(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie

1.
das Berufungsgericht in dem Urteil oder
2.
das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung
zugelassen hat.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht gebunden.