Oberlandesgericht Braunschweig Urteil, 12. Apr. 2022 - 4 EK 1/20

ECLI:olgbs
erstmalig veröffentlicht: 29.04.2022, letzte Fassung: 06.05.2022

Eingereicht durch

Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

EnglischDeutsch

Gericht

Oberlandesgericht Braunschweig

Beteiligte Anwälte

Eingereicht durch

Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner


Wirtschaftsrecht / Existenzgründung / Insolvenzrecht / Gesellschaftsrecht / Strafrecht
EnglischDeutsch
Zusammenfassung des Autors

Der Kläger nimmt vorliegend das Land Niedersachsen wegen unangemessener Verfahrensdauer betreffend neun geführter Verfahren vor dem Landgericht Göttingen auf Entschädigung in Anspruch. Die entstandenen Nachteile eines überlangen Gerichtsverfahren machte der Kläger nach seiner Verzögerungsrüge geltend. 

Der Entschädigungskläger verweist auf das Verfahren - 3 U 120/08 - bei welchem es sich um das maßgebliche Muster- bzw. Pilotverfahren für alle bei der 2. und 14. Zivilkammer des LG Göttingen rechtshängigen Ausgangsverfahren gegen ihn handele. Im Sinne eines Pilotenverfahrens wird anhand eines konkreten Falls eine Rechtsfolge geklärt, die für eine große Zahl von Klägern von Bedeutung ist. Dem Langericht Göttingen waren seit 2006 mehr als 4000 Kapitalanlage-Verfahren im Zusammenhang mit dem Unternehmerverbund "G. Gruppe" anhängig. Die Berücksichtigung der abhängigen Verfahren bei der Bemessung der billigen Entschädigung in dem das Pilotverfahren einen betreffenden Entschädigungsprozess stellt, stellt sicher, dass der durch die Überlänge bedingte immaterielle Nachteil nur dort bewertet und ausgeglichen wird, wo er auch eintritt, nämlich im Rahmen des Entschädigungsprozesses, der die Verzögerung des Pilotverfahrens behandelt. 

Unter Berücksichtung sämtlicher Gesichtspunkte scheidet eine Verfahrensverzögerung mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer, wie sie § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definiert letztlich aus. Die Klage wird abgewiesen und der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits. Die Revision wird zugelassen. 

Oberlandesgericht Braunschweig

Urteil

OLG Braunschweig, Urteil vom 12.04.2022 - 4 EK 1/20

vorgehend:

LG Göttingen, 21.08.2008 - 2 O 583/07

OLG Braunschweig, Urteil vom 02.05.2012 - 3 U 120/08

BGH, 13.08.2013 - VI ZR 260/12

1. Die durch entschädigungspflichtige Verzögerung in einem Pilotverfahren verursachten Nachteile manifestieren sich für den personenidentischen Kläger, der auch Partei im Pilotverfahren ist, ausschließlich in dem Pilotverfahren, wobei die Anzahl der hiervon abhängigen Verfahren bei der Bemessung der billigen Entschädigung in dem das Pilotverfahren betreffenden Entschädigungsverfahren zu berücksichtigen ist.

2. Etwaige Verzögerungen, die bei der Bearbeitung des Pilotverfahrens verursacht werden, zeitigen nur „passive“ Auswirkungen auf die jeweils abhängigen Verfahren, die zur Zeit der Bearbeitung des Pilotverfahrens faktisch ruhen. Wenn für den personenidentischen Entschädigungskläger, der zugleich Partei im Pilotverfahren ist, in den jeweils abhängigen Verfahren ausschließlich „passive“ Auswirkungen der Verzögerung der Pilotverfahren zum Tragen kommen, so sind diese deshalb objektiv allein dem zugehörigen Pilotverfahren zurechenbar. In dem Entschädigungsprozess des vom Pilotverfahren abhängigen Verfahrens ist in einem solchen Falle deshalb insoweit die Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG widerlegt.

3. Nur dann, wenn durch die (Nicht-) Bearbeitung des abhängigen Verfahrens selbst weitere Verzögerungen eintreten, kommt auch im Entschädigungsprozess des abhängigen Verfahrens die Entstehung eines weitergehenden immateriellen Nachteils in Betracht (Senat, Urteil vom 5. November 2021 – 4 EK 23/20 –, Rn. 499, juris).

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird zugelassen.

5. Der Streitwert wird auf eine Wertstufe bis 80.000 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Der Kläger nimmt das beklagte Land Niedersachsen auf Entschädigung wegen unangemessener Verfahrensdauer betreffend neun vor dem Landgericht Göttingen geführter Verfahren in Anspruch.

Bei dem Landgericht Göttingen waren seit dem Jahr 2006 insgesamt mehr als 4.000 Kapitalanlage-Verfahren im Zusammenhang mit dem Unternehmensverbund „G. Gruppe“ anhängig, die zunächst allein von der 2. Zivilkammer bearbeitet wurden.

Im Laufe des Jahres 2011 übertrug das Präsidium des Landgerichts Göttingen die Hälfte der anhängigen Verfahren aus diesem Komplex auf die 14. Zivilkammer. In den Folgejahren wechselten die personelle Besetzung beider Kammern sowie die ihnen zugewiesenen Arbeitskraftanteile.

Beide Kammern bestimmten aus zwei „Serien“ – der „Hauptserie“ mit insgesamt über 4.000 Verfahren einerseits und der „L.-Serie“ mit insgesamt ca. 280 Verfahren andererseits – jeweils ein Muster- bzw. Pilot-Verfahren, die vorrangig – unter Durchführung von Beweisaufnahmen – gefördert werden sollten. Die hiervon abhängigen weiteren Verfahren wurden ausschließlich zum Zwecke der gemeinsamen Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu den jeweiligen Kammer-Pilotverfahren der 2. und 14. Zivilkammer kammerintern miteinander verbunden. Die 2. und die 14. Zivilkammer gingen hierbei abgestimmt einheitlich in der Weise vor, dass für die jeweiligen Pilotverfahren der Hauptserie einerseits und der L.-Serie andererseits nur ein – für alle Verfahren der jeweiligen Kammer einheitliches – schriftliches Gutachten desselben Sachverständigen eingeholt wurde.

Die 14. Zivilkammer bestimmte als Pilotverfahren der Hauptserie das Verfahren zum Aktenzeichen 14 (2) O 2179/07 und als Pilotverfahren der L.-Serie das Verfahren zum Aktenzeichen 14 (2) O 1135/11. Die 2. Zivilkammer designierte das Verfahren zum Aktenzeichen 2 O 1802/07 zum Pilotverfahren der Hauptserie und zum Pilotverfahren der L.-Serie das Verfahren zum Aktenzeichen 2 O 1136/11.

Alle gegenständlichen Ausgangsverfahren sowohl der 2. Zivilkammer (2 O 322/07, 2 O 644/07) als auch der später zuständigen 14. Zivilkammer (14 (2) O 303/07, 14 (2) O 623/07, 14 (2) O 675/07, 14 (2) O 677/07, 14 (2) O 775/07, 14 (2) O 855/07, 14 (2) O 1095/07) sind der vorgenannten Hauptserie zuzuordnen. Sie endeten um den Jahreswechsel 2019/2020 nach Klagrücknahmen, nachdem sie zuvor zwecks gemeinsamer Einholung eines Sachverständigengutachtens jeweils zu den genannten Pilotverfahren der 2. Zivilkammer (2 O 1802/07) bzw. der 14. Zivilkammer (14 (2) O 2179/07) hinzuverbunden worden waren.

In sämtlichen Ausgangsverfahren wurde der Kläger des Entschädigungsverfahrens als Beklagter zu 2) neben dem weiteren Beklagten S. gesamtschuldnerisch in seiner Eigenschaft als verantwortlicher Konzeptant von Beteiligungsmodellen der „G. Gruppe“ in Anspruch genommen. Gegen den Beklagten S. waren jeweils zuvor Mahnverfahren über wesentliche Teilbeträge der späteren Klageforderungen betrieben worden.

Alle Verfahren wurden von der anfänglich allein zuständigen 2. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen auf den Einzelrichter übertragen. In dem Verfahren zu dem Aktenzeichen 14 (2) O 1095/07 wurde erstmals Termin für den 21.08.2007 bestimmt, die übrigen Verfahren wurden jeweils im Oktober 2007 terminiert. Tatsächlich fand ein solcher Termin jedoch nur im Verfahren 14 (2) O 675/07 am 10.10.2007 statt.

Ob des zunächst unbekannten Aufenthalts des Entschädigungsklägers und Beklagten zu 2) in den Ausgangsverfahren erfolgten die Zustellungen der Anspruchsbegründungen und Klagen an seinen Bevollmächtigten erst im Zeitraum vom 25.10.2007 bis 07.11.2007. Der Entschädigungskläger und Beklagte zu 2) der Ausgangsverfahren zeigte anschließend in allen Ausgangsverfahren seine Verteidigungsbereitschaft an und reichte – nach bewilligten Fristverlängerungsgesuchen – zu allen Ausgangsverfahren im Verlauf der Monate Januar und Februar 2008 Klageerwiderungen beim Landgericht Göttingen ein.

In der Folge regten die Kläger in den Ausgangsverfahren, mit Ausnahme des Verfahrens 14 (2) O 1095/07, erfolglos die Beendigung der zuvor im September 2007 beschlossenen Unterbrechungen der Verfahren und später, zwischen April und August 2009, die Abtrennung der Verfahren hinsichtlich des jeweiligen Beklagten zu 1) der Ausgangsverfahren an.

Im November 2009 wies die seinerzeit (noch) allein zuständige 2. Zivilkammer in allen Ausgangsverfahren auf Bedenken hinsichtlich der Schlüssigkeit der Klagen hin und nahm hierbei Bezug auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 20. August 2009 – 3 U 120/08.

Im Oktober und November 2011 beantragte der Kläger des Entschädigungsverfahrens und Beklagte zu 2) in den Ausgangsverfahren zunächst erfolglos Prozesskostenhilfe, die ihm auf die sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung durch das Landgericht schließlich vom Oberlandesgericht Braunschweig – Beschwerdegericht – bewilligt wurde.

Aus einem gefertigten Vermerk des Kammervorsitzenden der 2. Zivilkammer vom 27.10.2011, dem sich in der Folge jeweils auch alle zuständigen Einzelrichter der hier gegenständlichen Ausgangsverfahren anschlossen, ergibt sich ergänzend Folgendes: In insgesamt 92 der seinerzeit anhängigen Verfahren aus dem Gesamtkomplex waren Terminierungen für den Zeitraum von Mitte Mai bis Ende Juni 2011 erfolgt. Infolge der Beibringung umfangreicher Schriftsätze von je ca. 370 Seiten seitens der Kläger in den Ausgangsverfahren und jeweils kurz vor den Terminen angebrachter Befangenheitsgesuche derselben seien die Termine jedoch wieder aufgehoben worden. Vor rechtskräftiger Entscheidung über diese Gesuche, die in Teilen auch in der Beschwerdeinstanz zu treffen gewesen seien, sei zunächst nur in 12 Verfahren neu terminiert worden. In der Folge seien Ladungen für Termine unter Hinweis auf die nunmehrige Absicht, ein Sachverständigengutachten einzuholen, auf Mai und Juni 2011 bestimmt worden, welche letztlich nach Verlegungsanträgen und erneuten Befangenheitsgesuchen, über die seinerzeit noch nicht entschieden worden sei, wieder aufgehoben worden seien. Vor dem Hintergrund weiterer Befangenheitsgesuche habe eine beabsichtigte Terminierung anderer Verfahren aus dem Komplex für September und Oktober 2011 ebenfalls keinen Erfolg gehabt; weitere Terminierungen seien mit der Maßgabe geplant gewesen, dass letztlich die Sachverständigenbegutachtung und deren Modalitäten Gegenstand der Verhandlungen sein sollten.

Alle gegenständlichen Ausgangsverfahren wurden entsprechend im Zeitraum vom 14.08.2012 bis 21.08.2012 mündlich verhandelt. Ausweislich der vom Senat beigezogenen Akten der Ausgangsverfahren gaben beide Kammern im Vorfeld wie auch in den Terminen selbst jeweils zu erkennen, dass sie an der zuvor mitgeteilten Auffassung, wonach die Klagen unschlüssig seien, nicht mehr festhielten. Stattdessen sei nunmehr jeweils die Einholung eines Sachverständigengutachtens beabsichtigt. In den Sitzungen erhoben die Beklagten der Ausgangsverfahren jeweils Bedenken gegen diese Vorgehensweise und nahmen hierzu jeweils auf ihre Schriftsätze Bezug. Darin widersprachen der Kläger des Entschädigungsverfahrens und Beklagte zu 2) sowie der weitere Beklagte des Ausgangsverfahrens S. dieser Absicht unter Berufung auf die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Braunschweig, wonach es schon an der Schlüssigkeit der Klagen fehle, demzufolge sich eine Begutachtung aus Rechtsgründen verbiete; daneben wurde auch die Einrede der Verjährung erhoben und Verspätung neuen Vortrags der Klägerseite in den Ausgangsverfahren gerügt.

Die Kläger in den Ausgangsverfahren stellten jeweils im Rahmen der mündlichen Verhandlungen klar, dass aus ihrer Sicht die Konstruktion der Anlagemodelle bei der „G. Gruppe“ von vornherein so gewählt worden sei, dass nicht nur ein Gewinn der Anleger ausgeschlossen, sondern ein Verlust des investierten Kapitals wahrscheinlich gewesen seien.

Beide Kammern verkündeten im Zeitraum vom 05.09.2012 bis 13.09.2012 wie bereits avisiert Beweisbeschlüsse. Diese Beschlüsse entsprachen den Beweisbeschlüssen im jeweils zugehörigen „Pilotverfahren“, zu denen die gegenständlichen Ausgangsverfahren ausschließlich zum Zwecke der gemeinsamen Einholung des schriftlichen Sachverständigengutachtens jeweils hinzuverbunden wurden. Die gegenständlichen Ausgangsverfahren der 2. Zivilkammer (2 O 322/07, 2 O 644/07) wurden hierzu zu dem Pilotverfahren 2 O 1802/07 und die der 14. Zivilkammer (14 (2) O 303/07, 14 (2) O 623/07, 14 (2) O 675/07, 14 (2) O 677/07, 14 (2) O 775/07, 14 (2) O 855/07, 14 (2) O 1095/07)) zu dem Pilotverfahren 14 (2) O 2179/07 verbunden.

Die Einholung des Sachverständigengutachtens, zu dessen Erstattung zunächst jeweils Herr Dipl. oec. H. als Sachverständiger bestellt wurde, erfolgte hierbei von Amts wegen gemäß § 144 ZPO in der seinerzeit geltenden Fassung. Ein Kostenvorschuss wurde zu diesem Zeitpunkt weder in den Pilotverfahren noch in den abhängigen Ausgangsverfahren erfordert.

Nach Entpflichtung des Sachverständigen H. wurden mit Beschlüssen vom März 2013 zunächst in den Pilotverfahren und in der Folge auch in den abhängigen hier gegenständlichen Ausgangsverfahren jeweils neue Sachverständige bestellt, namentlich die Herren Dr. H. und Dipl.-Kaufm. W.. Hierbei brachten die Kammern zum Ausdruck, dass die Verbindung zum zugehörigen Pilotverfahren ausschließlich zum Zwecke der gemeinsamen Einholung des Sachverständigengutachtens bestehen bleibe.

Nach erfolgreicher Ablehnung dieser Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit wurde schließlich zunächst in den führenden Verfahren und sodann, im Laufe des Januar 2014, auch in den abhängigen und hier gegenständlichen Ausgangsverfahren Herr Dipl.-Kaufm. S. zum Sachverständigen bestimmt.

In der Folge wurde das Gutachten zu den beiden Pilotverfahren der hier betroffenen Hauptserie (2 O 1802/07 und 14 (2) O 2179/07) erstellt. Das Gutachten wurde am 24.02.2016 fertiggestellt und den Parteien zunächst mit Gelegenheit zur Stellungnahme bis zunächst dem 30.05.2016, in der Folge nach Fristverlängerungen bis zum 29.07.2016, zugestellt.

Ablehnungsgesuche gegen den Sachverständigen S. seitens der Verfahrensbeteiligten im Ausgangsverfahren, einschließlich des Entschädigungsklägers, blieben letztlich ohne Erfolg.

Auf Antrag der Bezirksrevisorin wurden Kosten für das Gutachten seitens beider beteiligter Kammern des Landgerichts Göttingen ermittelt und dergestalt mit Beschlüssen vom 07.07.2017 festgesetzt, dass von jeder Klagepartei sämtlicher Ausgangsverfahren rechnerisch je knapp 260 € erfordert wurden.

Am 16.10.2018 erließen sowohl die 2. als auch die 14. Zivilkammer jeweils Hinweis-, Auflagen- und Beweisbeschlüsse mit einem umfangreichen Fragenkatalog zwecks Beantwortung durch den Sachverständigen S. im Wege eines – für beide Pilotverfahren erneut gemeinsam einzuholenden – Ergänzungsgutachtens. Die Einholung dieses Ergänzungsgutachtens wurde hierbei von der Zahlung des erwähnten Kostenanteils und eines zusätzlichen Betrages abhängig gemacht, der in der Folge mit Beschlüssen vom 29.03.2019 auf jeweils 200,00 € präzisiert wurde.

In allen gegenständlichen Ausgangsverfahren wurde dieser weitere Vorschuss nicht eingezahlt. Vielmehr nahmen die Kläger in den Ausgangsverfahren im Zeitraum vom 04.12.2019 bis 04.02.2020 ihre Klagen zurück. Den Klagerücknahmen stimmten die Beklagten jeweils zu bzw. widersprachen diesen – nach erfolgter Belehrung über die Folgen – nicht.

In allen vorliegenden Ausgangsverfahren hatte der Entschädigungskläger und Beklagte zu 2) der Ausgangsverfahren zuvor jeweils Verzögerungsrüge erhoben, und zwar zum Aktenzeichen 2 O 322/07 mit Schriftsatz vom 12.12.2011, zu 2 O 644/07 unter dem 22.12.2011, zu 14 (2) O 303/07 unter dem 21.12.2011, zu 14 (2) O 623/07 unter dem 15.12.2011, zu 14 (2) O 675/07 unter dem 15.12.2011, zu 14 (2) O 677/07 unter dem 13.12.2011, zu 14 (2) O 775/07 unter dem 19.12.2011, zu 14 (2) O 855/07 unter dem 13.12.2011 und zu 14 (2) O 1095/07 unter dem 22.12.2011.

Beide genannten Pilotverfahren dauern erstinstanzlich an.

Der Kläger ist der Auffassung, die Dauer der erstinstanzlichen Verfahren sei in jedem der zu betrachtenden Fälle unangemessen lang im Sinne des § 198 GVG. Die Verfahren seien nicht in angemessener Zeit verhandelt und abgeschlossen worden. Vielmehr sei das Landgericht mehrere Jahre faktisch untätig geblieben und habe durch häufige Wechsel in der Kammerbesetzung imponiert. Rügen und Dienstaufsichtsbeschwerden seien erfolglos geblieben.

Dabei unterscheidet der Kläger zwischen zwei Verfahrensabschnitten, nämlich dem Zeitraum bis Ende September 2013 und dem Zeitraum seit Oktober 2013 bis zur jeweiligen Wirksamkeit der Klagerücknahmen. Das Verfahren sei jeweils im zweiten Verfahrensabschnitt rechtsstaatswidrig verzögert worden. Im Einzelnen errechnet der Kläger auf dieser Basis folgende aus seiner Sicht entschädigungsrelevante Zeiträume:

Das Ausgangsverfahren 14 (2) O 855/07 habe – insoweit unstreitig – 12 Jahre und 4 Monate gedauert, wovon jedenfalls der Verfahrensabschnitt seit Oktober 2013 mit insgesamt 74 Monaten unangemessen lang gewesen sei.

Das Ausgangsverfahren 14 (2) O 303/07 habe – insoweit unstreitig – 12 Jahre und 5 Monate gedauert, wovon jedenfalls der Verfahrensabschnitt seit Oktober 2013 mit insgesamt 75 Monaten unangemessen lang gewesen sei.

Das Ausgangsverfahren 2 O 322/07 habe – insoweit unstreitig – 12 Jahre und 6 Monate gedauert, wovon jedenfalls der Verfahrensabschnitt seit Oktober 2013 mit insgesamt 75 Monaten unangemessen lang gewesen sei.

Das Ausgangsverfahren 2 O 644/07 habe – insoweit unstreitig – 12 Jahre und 5 Monate gedauert, wovon jedenfalls der Verfahrensabschnitt seit Oktober 2013 mit insgesamt 75 Monaten unangemessen lang gewesen sei.

Das Ausgangsverfahren 14 (2) O 623/07 habe – insoweit unstreitig – 12 Jahre und 6 Monate gedauert, wovon jedenfalls der Verfahrensabschnitt seit Oktober 2013 mit insgesamt 76 Monaten unangemessen lang gewesen sei.

Das Ausgangsverfahren 14 (2) O 675/07 habe – insoweit unstreitig – 12 Jahre und 4 Monate gedauert, wovon jedenfalls der Verfahrensabschnitt seit Oktober 2013 mit insgesamt 75 Monaten unangemessen lang gewesen sei.

Das Ausgangsverfahren 14 (2) O 677/07 habe – insoweit unstreitig – 12 Jahre und 6 Monate gedauert, wovon jedenfalls der Verfahrensabschnitt seit Oktober 2013 mit insgesamt 76 Monaten unangemessen lang gewesen sei.

Das Ausgangsverfahren 14 (2) O 775/07 habe – insoweit unstreitig – etwa 12 Jahre gedauert, wovon jedenfalls der Verfahrensabschnitt seit Oktober 2013 mit insgesamt 73 Monaten unangemessen lang gewesen sei.

Das Ausgangsverfahren 14 (2) O 1095/07 habe – insoweit unstreitig – 12 Jahre und 3 Monate gedauert, wovon jedenfalls der Verfahrensabschnitt seit Oktober 2013 mit insgesamt 75 Monaten unangemessen lang gewesen sei.

Der Kläger hält, dem gesetzlichen „Regelfall“ folgend, in jedem Ausgangsverfahren eine Entschädigung von je 100 € pro verzögertem Monat für angemessen.

Der Kläger ist dabei, alle Ausgangsverfahren betreffend, der Auffassung, diese hätten insgesamt deutlich zügiger bearbeitet werden müssen und können. Etwaige personelle wie logistische Probleme des beklagten Landes könnten nicht zu seinen Lasten gehen, zumal durch die vielfache personelle Neu- und Umbesetzung der Kammern mit in Teilen nur geringen Arbeitskraftanteilen auch organisatorisch seitens des Landgerichtspräsidiums wie des beklagten Landes nicht Sorge für eine hinnehmbar zügige Bearbeitung getroffen worden sei. Auch zum Teil mehrfache Verzögerungsrügen hätten insoweit keine Veränderung gebracht. Dasselbe gelte für Dienstaufsichtsbeschwerden und anderweitige Eingaben, die allesamt erkennbar nicht zu der aus seiner Sicht gebotenen Beschleunigung der Verfahren geführt hätten.

Vielmehr sei mit Hinblick auf die von den Kammern des Landgerichts gemeinsam gewählte Vorgehensweise der Bestimmung von „Pilotverfahren“ und der Beauftragung eines Gutachtens ein Verfahrensstillstand der vorliegenden Verfahren „von Amts wegen verordnet“ worden.

Seit dem Herbst 2012 – den Zeitpunkten der Beschlussfassung zur Beweisaufnahme durch ein amtswegiges Sachverständigengutachten – hätten in den Ausgangsverfahren keine gerichtlichen Handlungen mehr stattgefunden.

Nach Ansicht des Klägers seien die in den Ausgangsverfahren aufgeworfenen Rechtsfragen durch eine seit dem 2. Mai 2012 vorliegende „Muster“-Entscheidung des Oberlandesgerichts Braunschweig zum Aktenzeichen 3 U 120/08 (vorgehend: Landgericht Göttingen 2 O 583/07), spätestens aufgrund der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 25. Juni 2013 – VI ZR 260/12 –, mit der die von den Klägern des dortigen Ausgangsverfahrens erhobene Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen wurde, beantwortet gewesen. Zudem seien etwaige Ansprüche verjährt gewesen, was die Kammern ebenfalls verkannt hätten.

Der Entschädigungskläger verweist weiter darauf, dass es sich bei dem Urteil des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 2. Mai 2012 zum Aktenzeichen 3 U 120/08 nach dem Vortrag des beklagten Landes Niedersachsen in dem Entschädigungsverfahren des Oberlandesgerichts Braunschweig zum Aktenzeichen 6 SchH 1/13 sowie nach dem Vortrag der Bundesregierung in dem von ihm geführten Beschwerdeverfahren vom 15. August 2016 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (Application No. 49528/16 – Z. vs. Germany) um das maßgebliche Muster- bzw. Pilotverfahren für alle bei der 2. und 14. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen rechtshängigen Ausgangsverfahren gegen ihn handele. Dies untermauere seine Einschätzung, dass es hinsichtlich des Fehlens ausreichender anspruchsbegründender Umstände im Ausgangsverfahren keine Zweifel habe geben dürfen.

Schließlich verweist der Kläger darauf, dass das Oberlandesgericht Braunschweig in sechs Berufungsverfahren am 30. April 2018 (unter anderem zum Aktenzeichen 3 U 33/12, vorgehend: Landgericht Göttingen 2 O 396/10) klageabweisende Urteile des Landgerichts Göttingen betreffend die G. Gruppe bestätigt habe.

Spätestens mit Ablauf des Monats September 2013 sei für alle benannten Ausgangsverfahren eine jenseits aller hinzunehmenden Grenzen liegende Verzögerung der Ausgangsverfahren eingetreten. Das Landgericht habe weder materiell noch prozessual berücksichtigt, dass in weiteren Rechtstreitigkeiten aus dem Komplex um die „G. Gruppe“ ein anderweitiges „Pilotverfahren“ letztinstanzlich durch den Bundesgerichtshof zu seinen Gunsten auf der Basis von entsprechenden Entscheidungen der Vorinstanzen rechtskräftig beendet worden sei, und zwar im Ergebnis aufgrund Unschlüssigkeit der in jenem Verfahren beschiedenen Klagen.

Auch sämtliche vorliegenden Ausgangsklagen seien von Anfang an unschlüssig gewesen, worauf das Landgericht zunächst auch hingewiesen habe – nicht zuletzt deshalb seien die vorliegend streitgegenständlichen Klagen in den Ausgangsverfahren auch jeweils – neben vielen anderen vergleichbaren Klagen – zurückgenommen worden.

Trotz der seinerzeit eindeutigen Hinweise der zuständigen Kammern seien weder weitere Termine bestimmt oder durchgeführt worden; vielmehr seien sogar insgesamt eine Reihe von bereits bestimmten Terminen im Juli 2008 begründungslos aufgehoben worden.

In den folgenden mehr als zehn Jahren habe es keine landgerichtlichen Urteile in den Ausgangsverfahren gegeben. Vielmehr habe das Landgericht, in Gestalt beider betroffenen Kammern, entgegen der Auffassung der Parteien der Ausgangsverfahren im Jahr 2012 die Pilot- bzw. Musterverfahren (2 O 1802/07 und 14 (2) O 2179/09) als führende Verfahren bestimmt und in diesen führenden Verfahren von Amts wegen eine Beweisaufnahme in Gestalt eines Sachverständigengutachtens beschlossen.

Der Kläger meint hierzu, dass diese Begutachtung nicht nur entgegen auch dem eindeutigen Willen der Kläger in den Ausgangsverfahren, sondern insgesamt pauschal, ohne hinreichende Differenzierung und Individualisierung erfolgt sei. Zudem sei die Beweisaufnahme weder prozessual noch materiell angezeigt gewesen, da mangels Schlüssigkeit und infolge eines behaupteten Verzichts der Kläger in den Ausgangsverfahren auf die sachverständige Beweisaufnahme diese schlichtweg nicht erforderlich und insgesamt unzulässig gewesen sei.

Dieser Mangel könne auch nicht durch die nachträgliche Rechtfertigung in den Pilotverfahren mittels Vermerks vom April 2017 dahingehend relativiert werden, wonach „eine Einholung von Amts wegen deshalb notwendig war, weil sich die beweispflichtige Klägerseite in ihrem sehr umfangreichen Vortrag (offenkundig bewusst) nicht auf das Beweismittel der Einholung eines Sachverständigengutachten berufen hatte“, zumal beide befassten Kammern – bewusst – jeweils auf die Erforderung eines Kostenvorschusses bei den Klägern verzichtet hätten. Statt also, dem behaupteten Verzicht der Kläger und deren offenkundiger Einstellung gegen ein Gutachten folgend, von der Unschlüssigkeit, jedenfalls aber der Beweisfälligkeit der Klägerseite auszugehen, seien pflichtwidrig die Begutachtungen angeordnet und fortgeführt worden, wodurch der Grundsatz der Parteiherrschaft verletzt worden sei.

Selbst für den Fall der Relevanz der Beweisfragen seien diese schon anderweitig vorab, insbesondere im Rahmen der (mit Verfahrenseinstellung beendeten) staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und durch die weitgehend parallelen Entscheidungen des Oberlandesgerichts Braunschweig (Urteil vom 2. Mai 2012 – 3 U 120/08) und des Bundesgerichtshofs (Beschlüsse vom 25. Juni 2013 und 13. August 2013 – VI ZR 260/12) dahingehend hinreichend geklärt gewesen, dass es auf deren Beantwortung überhaupt nicht ankomme. Die Begutachtungen seien weder erforderlich noch prozessual sachdienlich gewesen.

Neben dem Zeit- und Kostenaufwand für diese, aus Klägersicht überflüssige, Begutachtung trete zusätzlich deren immer noch fehlendes Ergebnis. In der Zusammenschau sei die Anordnung der Beweisaufnahme grob ermessensfehlerhaft und somit unvertretbar gewesen; zudem sei das – immer noch nicht vollständige – Gutachten insgesamt unbrauchbar und fehlerhaft. Dabei sei auch die vom Bundesgerichtshof zum Amtshaftungsprozess entwickelte Grenze, dass die gerichtliche Entscheidung „bei voller Würdigung (…) nicht mehr verständlich sei“ (BGH, Urteil vom 15. Dezember 2014 – III ZR 387/14 – NJW 2017, 1322, Rn. 14) überschritten.

Die Unvertretbarkeit der Anordnungen in den beiden „Pilotverfahren“ sei über die insoweit erfolgte Verbindung zu den streitgegenständlichen Ausgangsverfahren auch kausal für die mit der Entschädigungsklage geltend gemachten Verzögerungen.

Auch die Begutachtung selbst leide, was schon an der überlangen Dauer derselben erkennbar sei, an einem Mangel hinreichender Prozessleitung sowie der Missachtung des Beschleunigungsgrundsatzes, was dem beklagten Land ebenfalls zuzurechnen sei. Dabei habe insbesondere der Sachverständige S. ohne Zustimmung des Gerichts und entgegen § 407a Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F. Aufgaben an eine GmbH & Co. KG übertragen und es insgesamt verabsäumt, sich rechtzeitig und vollständig notwendige Weisungen der Kammern einzuholen. Dies habe neben der auftragslosen Herbeiführung von Mehrkosten eine lange Bearbeitungszeit und eine grob fehlerhafte Erstbegutachtung zur Folge gehabt, was wiederum zur Unverwertbarkeit der Gutachten und hierauf beruhender vermeidbarer Bearbeitungszeit zur Nachbegutachtung geführt habe.

Daneben trete eine jedenfalls für den entschädigungsrelevanten Zeitraum personelle deutliche Unterbesetzung der beiden Kammern. Das beklagte Land habe, sei es in Gestalt der Justizverwaltung oder des Präsidiums des Landgerichts, insgesamt nicht für eine adäquate und stringente Besetzung der Kammern gesorgt; vielmehr seien Beisitzer häufig in „Personalunion“ in beiden betroffenen Kammern tätig geworden; eine erkennbar gebotene personelle Aufstockung des „kleinen“ Landgerichts Göttingen insgesamt sei erst 2019 erfolgt. Auch hieraus erkläre sich die überlange Verfahrensdauer in einer dem beklagten Land zuzurechnenden Weise. Vollmundige Ankündigungen seitens der Personalverantwortlichen seien nicht oder vermutlich nicht und erst recht nicht hinreichend faktisch umgesetzt worden, weswegen sich das beklagte Land nicht unter Hinweis auf eine Überlastung der Kammern, des Landgerichts oder der Justiz insgesamt exkulpieren könne.

Trotz der Anzahl der Klagen und des Umfangs des Vortrags sei der – zudem inhaltlich ähnliche – Vortrag der Kläger in den Ausgangsverfahren nicht rechtlich übermäßig schwierig gewesen, zumal die ursprünglich allein zuständige 2. Zivilkammer des Landgerichts relativ schnell, nämlich bereits 2008, die Unschlüssigkeit der Klagen aus der Hauptserie 2007/2008 erkannt und hierauf hingewiesen habe, wie sich auch in der Folge an den Hinweisen schon im Jahre 2009 (09. bis 11.11.2009) im Hinblick auf die Entscheidung des OLG Braunschweig (3 U 120/08) gezeigt habe.

Insbesondere im 2. Verfahrensabschnitt, der Gegenstand der vorliegenden Entschädigungsklagen sei, habe es keinen neuen und/oder relevanten klägerischen Vortrag mit der Folge gegeben, dass es sich weiterhin um rechtlich eindeutige Fälle gehandelt habe – zumal etwaige Ansprüche der Kläger im Ausgangsverfahren verjährt und mangels Vorsatzes des Entschädigungsklägers ohnehin nicht bestanden hätten.

Angesichts all dessen, namentlich der sowohl zeitlichen Überlänge als auch der relativ einfachen Rechtslage habe der Kläger des Entschädigungsverfahrens zurecht auf eine zügige Entscheidung gehofft und hoffen dürfen. Demgegenüber hätten die Kammern und das Landgericht als Ganzes weder Einsatz noch Willen gezeigt, eine trotz der schon langen Verfahrensdauer zügige erstinstanzliche Erledigung durch Endurteile herbeizuführen.

Schon deutlich kürzere Zeitspannen als (jeweils) vorliegend führten regelmäßig zu einer Verletzung und erheblichen Nachteilen. Dabei sei weniger die vorliegende Zahl von neun Ausgangsverfahren als solche, sondern vor allem die kausale Verhinderung früherer Verfahrensabschlüsse durch die Kammern zu berücksichtigen. Angesichts des Lebensalters des Klägers von (zum Zeitpunkt der vorliegenden Klageerhebung) 73 Jahren wiege die lange Verzögerung der Ausgangsverfahren besonders schwer. Aus den Verfahren seien psychische und physische Belastungen entstanden; auch schwerwiegende Auswirkungen auf seinen Ruf, seine Existenz und die Bedrohung seiner Finanzen seien zu berücksichtigen. Die über ein Jahrzehnt bestehende Rechtsunsicherheit, die oft hohen finanziellen Ansprüche der jeweiligen Kläger, die unübersehbar hohen Verfahrenskosten und die trotz Beendigung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen in Gestalt der Zivilverfahren weiter im Raum stehenden Behauptung, der Kläger sei Schadensverursacher und auch Verantwortlicher für das Scheitern der „G. Gruppe“, stellten zusätzliche gesundheitliche, finanzielle wie psychische Belastungen dar.

Diese Folgen, wozu gesundheitlich auch jedenfalls als zusätzliche Belastung ein im April 2008 erlittener Herzinfarkt zähle, seien wegen Zeitablaufs auch nicht mehr aufzuholen oder rückgängig zu machen. Kompensationsmöglichkeiten bestünden nicht bzw. nicht mehr, weswegen in einer Gesamtabwägung, auch unter Berücksichtigung der Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts, ob der Vielzahl der Verzögerungsrügen seitens des Klägers nur eine Entschädigung in beantragter Höhe verbleibe.

Die Entschädigungspflicht könne entgegen der Auffassung des seinerzeit zuständigen 6. Zivilsenats (OLG Braunschweig, Urteil vom 11. April 2014 – 6 SchH 1/13 –, juris) und des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 12. Februar 2015 – III ZR 141/14 –, juris) auch nicht per Rekurs auf die Vielzahl der (Parallel-)Verfahren zum Fortfall gebracht werden. Vielmehr sei allein und ausschließlich die Verfahrensdauer in jedem einzelnen streitigen Ausgangsverfahren für sich zu betrachten. Es entspreche nicht dem Willen des Gesetzgebers, Ausnahmen für mehrere Verfahren zu machen, zumal sonst jedes Verfahren entschädigungsrechtlich unter Verweis auf die Parallelverfahren ins Leere liefe. Dies widerspreche nicht nur der tatsächlichen Handhabung des Bundesverwaltungsgerichts, des Bundessozialgerichts und des Bundesfinanzhofs, sondern auch den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.

Der Kläger beantragt,

das beklagte Land zu verurteilen, an ihn 67.400,00 € nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten von dem Betrag von 67.400,00 € über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Entschädigungsklage zu zahlen.

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das beklagte Land vertritt die Ansicht, dass es bereits an einer haftungsbegründenden Rechtsgutsverletzung fehle.

Es sei nicht möglich, einzelne Verfahrensabschnitte innerhalb einer Instanz isoliert voneinander zu betrachten. Vielmehr sei Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit die Gesamtverfahrensdauer. Es sei im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu prüfen, ob eingetretene Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase kompensiert worden seien. Im Entschädigungsprozess werde die Verfahrensführung des Richters nicht auf ihre Richtigkeit, sondern lediglich auf ihre Vertretbarkeit hin überprüft. Letztere dürfe nur verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich sei (unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 4. November 2010 – III ZR 32/10 –, Rn. 14, juris; BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – III ZR 73/13 –, Rn. 45, juris).

Auch vertritt die Beklagte unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – III ZR 141/14– die Ansicht, dass die Auffassung der Kammern in den neun Ausgangsverfahren, von Amts wegen ein Sachverständigengutachten zur behaupteten fehlenden Tragfähigkeit des Beteiligungssystems einzuholen, allemal vertretbar gewesen sei. Die Bearbeitungszeit durch den Sachverständigen sei angesichts des Umfangs der Begutachtung nicht zu beanstanden.

Der Kläger habe auch keinen entschädigungspflichtigen immateriellen Nachteil erlitten. Die Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG sei vorliegend widerlegt. Denn alle gegenständlichen neun Ausgangsverfahren seien für den Kläger ohne besondere Bedeutung gewesen. Über die Jahre bis 2013 seien bei der 2. und der 14. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen weitere 4.861 Klagen, die den Verfahrenskomplex „G. Gruppe“ bzw. „S.“ betrafen, auch gegen den Entschädigungskläger anhängig gewesen. Im Hinblick auf diese Umstände habe von vornherein festgestanden, dass es auf die Vermögenslage des Klägers ohne spürbare Auswirkungen bleiben würde, ob er in den hiesigen Ausgangsverfahren obsiegen oder unterliegen würde. Mache der Betroffene – wie hier – Entschädigung für einzelne Verfahren aus einem umfangreichen Verfahrenskomplex geltend, müsse er jedoch die konkreten Nachteile, die gerade durch die Dauer dieses Verfahrens verursacht worden sein sollen, positiv behaupten, was aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12. Februar 2015 (III ZR 141/14 –, Rn. 43, juris) folge.

In den erstinstanzlichen Verfahren sei der Entschädigungskläger auf Zahlung von insgesamt 92.057.381,17 Euro in Anspruch genommen worden. Das beklagte Land habe – was insofern unstreitig ist – unter anderem in dem seinerzeit vom 11. Zivilsenat geführten Verfahren mit dem Aktenzeichen 11 EK 6/18 eine Liste mit den jeweiligen Verfahren in einzelnen Jahren der 2. und der 14. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen eingereicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst umfangreicher Anlagen Bezug genommen.

Die Entschädigungsklage ist dem beklagten Land am 26.06.2020 zugestellt worden.

Die Akten der erledigten Ausgangsverfahren des Landgericht Göttingen zu den Aktenzeichen 2 O 322/07, 2 O 644/07, 14 (2) O 303/07, 14 (2) O 623/07, 14 (2) O 675/07, 14 (2) O 677/07, 14 (2) O 775/07, 14 (2) O 855/07 und 14 (2) O 1095/07 waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe
I.

Die Klage ist insbesondere in Gestalt der Klagehäufung gemäß § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V. § 260 ZPO zulässig.

1.

Für alle Ansprüche ist das Oberlandesgericht Braunschweig als Prozessgericht zuständig.

Alle Klagen desselben Klägers richten sich gegen das beklagte Land und sind in derselben Prozessart, hier der erstinstanzlichen Entschädigungsklage nach §§ 198 ff. GVG, zulässig. Alle Ausgangsverfahren sind zudem durch Klagrücknahme abgeschlossen und betreffen im Ergebnis vergleichbare Lebenssachverhalte.

2.Die Klagefrist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG ist gewahrt.Die Entschädigungsklage wurde hinsichtlich sämtlicher Ausgangsverfahren rechtzeitig erhoben.Bei der in § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG normierten Ausschlussfrist handelt es sich nach vorzugswürdiger Auffassung um eine Zulässigkeitsvoraussetzung und nicht um eine materielle Ausschlussfrist (vgl. ausführlich (auch zum Meinungsstand) OLG Braunschweig, Urteil vom 5. November 2021 – 4 EK 23/20 –, Rn. 152 ff., juris).a)Die Entschädigungsklage wurde betreffend beide Ausgangsverfahren der 2. Zivilkammer zu den Aktenzeichen 2 O 322/07 und 2 O 644/07 sowie die Ausgangsverfahren der 14. Zivilkammer zu den Aktenzeichen 14 (2) O 303/07, 14 (2) O 623/07, 14 (2) O 675/07, 14 (2) O 677/07 und 14 (2) O 1095/07 spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben.Die für die Klageerhebung gemäß § 253 Abs. 1 ZPO maßgebliche Zustellung der Entschädigungsklage erfolgte am 26.06.2020. Die Rücknahmeerklärungen hinsichtlich der vorgenannten sieben Ausgangsverfahren datieren jeweils auf Zeitpunkte im Zeitraum vom 23.01.2020 bis 04.02.2020, mithin vor Ablauf der 6-Monatsfrist. Selbiges gilt erst recht für die nachträglichen Zustimmungserklärungen bzw. den Ablauf der Fristen gemäß § 269 Abs. 2 Satz 4 ZPO.b)Hinsichtlich des Ausgangsverfahrens zu dem Aktenzeichen 14 (2) O 855/07 datiert die Klagrücknahme zwar schon auf den 04.12.2019. Die Zustimmung der Gegenseite erfolgte durch am 18.12.2019 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz vom 17.12.2019, weshalb insoweit Erledigung im Sinne des § 198Abs. 5 Satz 2 GVG bereits am 18.12.2019 eingetreten war. Die Wirkung der insoweit erst am 26.06.2020 – außerhalb der 6-Monatsfrist – erfolgten Zustellung trat hier jedoch bereits früher gemäß § 167 ZPO ein.Ausweislich der Zahlungsanzeige (Blatt IV d.A.) erfolgte der Eingang des restlichen Verfahrenskostenvorschusses schon am 17.06.2020. Die Zustellung wurde erst am 25.06.2020 verfügt. So lagen nur tageweise Verzögerungen vor, die weder für sich noch insgesamt dem Kläger an dieser Stelle zu seinem Nachteil gereichen dürfen.Eine Zustellung i.S.d § 167 ZPO „demnächst“ nach Eingang des Antrags oder der Erklärung bedeutet eine Zustellung innerhalb einer nach den Umständen angemessenen, selbst längeren Frist, wenn die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter unter Berücksichtigung der Gesamtsituation alles Zumutbare für die alsbaldige Zustellung getan haben (vgl. Zöller/Greger, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 167 ZPO Rn. 10). Die Zustellung ist dagegen nicht mehr „demnächst“ erfolgt, wenn die Partei, der die Fristwahrung obliegt, oder ihr Prozessbevollmächtigter durch nachlässiges – auch leicht fahrlässiges – Verhalten zu einer nicht bloß geringfügigen Zustellungsverzögerung beigetragen haben. Hat der Veranlasser die Zustellung nicht vorwerfbar verzögert oder fällt ihm nur eine geringfügige Verzögerung zur Last, überwiegen regelmäßig seine Interessen gegenüber den Belangen des Zustellungsadressaten. Bei der Bemessung einer Verzögerung ist auf die Zeitspanne abzustellen, um die sich der ohnehin erforderliche Zeitraum für die Zustellung der Klage als Folge der Nachlässigkeit des Klägers verzögert. Dem Zustellungsveranlasser zuzurechnende Verzögerungen von bis zu 14 Tagen gelten regelmäßig als geringfügig und sind deshalb hinzunehmen (BGH, Urteil vom 10. Dezember 2019 – II ZR 281/18 –, Rn. 8, juris).c)Das Ausgangsverfahren 14 (2) O 775/07 endete nach Klagrücknahme vom 14.11.2019 mit taggleich eingegangener Zustimmungserklärung vom 28.11.2019. Auch insoweit trat die Wirkung der erst am 26.06.2020 – außerhalb der 6-Monatsfrist – erfolgten Zustellung der Klage hier jedoch bereits früher gemäß § 167 ZPO ein.Der Klägerseite waren zunächst der Höhe nach unzureichende Gerichtskosten aufgeben worden (Kostenrechnung vom 07.05.2020, Bl. I d.A.), welche auch bereits am 21.05.2020 gezahlt worden waren (Bl. III d.A.). Wäre daraufhin die Zustellung veranlasst worden, wäre diese noch rechtzeitig vor Ablauf der Sechsmonatsfrist erfolgt, weswegen zur Überzeugung des Senats dem Kläger keine relevante Verzögerung angelastet werden kann, die einer demnächstigen Zustellung i.S.d. § 167 ZPO entgegenstünde.3.

Die Wartefrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG ist alle Ausgangsverfahren betreffend ebenfalls eingehalten worden. Ohnehin kann eine Entschädigungsklage ausnahmsweise auch vorzeitig erhoben werden, wenn das betroffene Verfahren schon vor Fristablauf beendet wurde, da ein Abwarten insofern im Hinblick auf den Zweck des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG keinen Sinn mehr ergeben würde (BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 – III ZR 228/13 – Rn. 18, juris).

II.

Die Klage ist jedoch unbegründet.

1.

Dem Kläger steht gemäß § 198 Abs. 1 GVG gegen das passivlegitimierte Land Niedersachsen (§ 200 Satz 1 GVG) kein Anspruch auf Entschädigung in Geld aufgrund erlittener immaterieller Nachteile wegen unangemessener Dauer der Ausgangsverfahren vor dem Landgericht Göttingen zu den Aktenzeichen 2 O 322/07, 2 O 644/07, 14 (2) O 303/07, 14 (2) O 623/07, 14 (2) O 675/07, 14 (2) O 677/07, 14 (2) O 775/07, 14 (2) O 855/07 und 14 (2) O 1095/07 zu.

Zwar hat der Entschädigungskläger in den gegenständlichen Ausgangsverfahren jeweils wirksam Verzögerungsrügen erhoben (a). Etwaige und allenfalls durch Verfahrensverzögerungen der Pilotverfahren verursachte passive Auswirkungen und hierdurch bedingte immaterielle Nachteile auf die gegenständlichen Ausgangsverfahren kann er jedoch nicht im vorliegenden Entschädigungsverfahren geltend machen (b).

a)

Der Kläger des Entschädigungsverfahrens hat die gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 GVG erforderlichen Verzögerungsrügen in allen neun Ausgangsverfahren jeweils wirksam erhoben.

Es handelt sich hierbei um eine materiell-rechtliche Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs, die die Zulässigkeit der Entschädigungsklage unberührt lässt (BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 – III ZR 228/13 –, Rn. 14, juris; BFH, Zwischenurteil vom 7. November 2013 – X K 13/12 –, Rn. 24, juris).

Nach § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 GVG kann die Verzögerungsrüge erst erhoben werden, wenn Anlass zu der Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird. Dies ist zu bejahen, wenn der Prozessbeteiligte Anhaltspunkte dafür hat, dass das Verfahren keinen angemessen zügigen Fortgang nimmt (BGH, Urteil vom 21. Mai 2014 – III ZR 355/13 –, Rn. 16, juris; BSG, Urteil vom 7. September 2017 – B 10 ÜG 3/16 R –, Rn. 19, juris). Auf ein rein subjektives Empfinden des Verfahrensbeteiligten kommt es hierbei nicht an. Vielmehr müssen objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Betrachtungsweise geeignet sind, zu einer unangemessenen Verfahrensdauer zu führen, ohne dass ein allzu strenger Maßstab angelegt werden darf (BGH, Urteil vom 26. November 2020 – III ZR 61/20 –, Rn. 21, juris).

Die Vorschrift stellt für den frühestmöglichen Termin auf die Wahrscheinlichkeit ab, mit der eine Überlänge des Verfahrens eintreten wird, und erfordert damit eine Prognose. Eine vor diesem Zeitpunkt insoweit verfrüht erhobene Rüge ist wirkungslos und geht „ins Leere“ (BT-Drs. 17/3802, S. 20; OLG Karlsruhe, Urteil vom 30. Juni 2020 – 16 EK 16/19 –, Rn. 120, juris).

Zum Zeitpunkt der von dem Entschädigungskläger in den Ausgangsverfahren erstmals zwischen dem 12.12.2011 und dem 22.12.2011 erhobenen Verzögerungsrügen im Sinne des § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG war bereits in allen neun Ausgangsverfahren objektiv zu befürchten, dass es zu einer unangemessen langen Verfahrensdauer kommen könnte.

Aus der Perspektive des Klägers zum Zeitpunkt der erhobenen Verzögerungsrügen erfolgten die letzten und jenseits von Kostenfragen für die Parteien im Ausgangsverfahren ersichtlichen gerichtlichen Handlungen in den Ausgangsverfahren – mit Ausnahme des Verfahrens 2 O 644/07, in dem Ende 2010 seitens des Oberlandesgerichts über ein Ablehnungsgesuch entschieden wurde – im Jahre 2009 in Form der Übersendung von Schriftsätzen und den gerichtlichen Hinweisen vom November 2009.

Da es der Regelung des § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 GVG hinsichtlich der zeitlichen Zulässigkeit einer Verzögerungsrüge im Kern darum geht, Missbrauchsfälle abzuwehren (vgl. BGH, Urteil vom 26. November 2020 – III ZR 61/20 –, Rn. 21 m.w.N. aus der Literatur, juris), ist die Erhebung der Verzögerungsrügen zwischen dem 12.12.2011 und dem 22.12.2011 vor diesem Hintergrund sowie unter weiterer Berücksichtigung der Tatsache, dass die Ausgangsverfahren gegen ihn bereits seit Ende 2007 rechtshängig waren und somit eine Verfahrensdauer von über vier Jahren aufwiesen, keineswegs als verfrüht anzusehen.

b)

Allerdings kann der Kläger etwaige und allenfalls durch Verfahrensverzögerungen der Pilotverfahren verursachte passive Auswirkungen und hierdurch bedingte immaterielle Nachteile auf die gegenständlichen Ausgangsverfahren nicht im vorliegenden Entschädigungsverfahren geltend machen.

Die Entschädigungsregelung bei überlanger Verfahrensdauer, §§ 198 ff. GVG, findet nach der Übergangsvorschrift des Art. 23 Satz 1 Halbs. 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGRG) vom 24. November 2011 (BGBl. I, S. 2302) auf den Streitfall Anwendung. Danach gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten am 3. Dezember 2011 (gemäß Art. 24 ÜGRG) anhängig, aber noch nicht abgeschlossen waren, somit auch betreffend alle neuen Ausgangsverfahren.

Demnach wird gemäß § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG angemessen entschädigt, wer als Verfahrensbeteiligter eines Gerichtsverfahrens einen Nachteil erleidet. Dabei richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen (Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 –, BGHZ 199, 87-103, Rn. 28, juris; BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – III ZR 73/13 –, BGHZ 199, 190-207, Rn. 40, juris; BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 – III ZR 37/13 –, BGHZ 200, 20-38, Rn. 36, juris; BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 – 5 C 23/12 D –, BVerwGE 147, 146-170, Rn. 37, juris).

Letzteres ist der Haftungsgrund für den gesetzlich begründeten Entschädigungsanspruch. Auf ein schuldhaft pflichtwidriges Verhalten des mit der Sache befassten Richters oder eines sonstigen Angehörigen der Justiz kommt es – anders als bei der Amtshaftung – nicht an (BGH, Urteil vom 7. November 2019 – III ZR 17/19 –, BGHZ 224, 20-40, Rn. 22, juris; vgl. auch Lorenz, Die Dogmatik des Entschädigungsanspruches aus § 198 GVG, 2018, S. 173 f., unter Hinweis auf Breuer, Staatshaftung für judikatives Unrecht, 2011, S. 329 ff.; Reiter, NJW 2015, 2554 <2555 f.>). Der unbestimmte Rechtsbegriff „unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens“ ist daher insbesondere unter Rückgriff auf diejenigen Grundsätze auszulegen, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und das Bundesverfassungsgericht zum Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19Abs. 4 GG) sowie zum Justizgewährleistungsanspruch (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) entwickelt haben. Denn der Gesetzgeber nahm diese gefestigte Rechtsprechung bei der Textfassung des § 198 Abs. 1 GVG zum Vorbild (BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 –, BGHZ 199, 87-103, Rn. 29 m.w.N., juris; vgl. auch BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 2/13 R –, BSGE 117, 21-37, SozR 4-1720 § 198 Nr. 3, Rn. 23, juris).

Die Verletzung des Grund- und Menschenrechts auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit impliziert, dass eine gewisse Schwere der Belastung festgestellt werden muss (BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 – B 10 ÜG 1/12 KL –, BSGE 113, 75-86, SozR 4-1720 § 198 Nr. 1, Rn. 6, juris; BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 – 5 C 23/12 D – BVerwGE 147, 146, Rn. 38 f., juris; BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 –, BGHZ 199, 87-103, Rn. 31, juris; BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13 –, Rn. 28, juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 29. Juni 2017 – 23 A 15.2332 –, Rn. 28, juris).

In diesem Lichte genügt zur Begründung eines Entschädigungsanspruches nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung. Vielmehr muss die Verfahrensdauer insgesamt eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (vgl. BVerfG, Beschwerdekammerbeschluss vom 1. Oktober 2012 – 1 BvR 170/06 - Vz 1/12Vz 1/12 –, Rn. 40, juris; BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12–, BGHZ 199, 87-103, Rn. 31, juris; BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 – III ZR 37/13 –, BGHZ 200, 20-38, Rn. 38 f., juris; BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13 –, Rn. 29, juris; BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 – 5 C 23/12 D –, BVerwGE 147, 146-170, Rn. 37, juris; BVerwG, Urteil vom 29. Februar 2016 – 5 C 31/15 D –, Rn. 15, juris; BVerwG, Urteil vom 14. November 2016 – 5 C 10/15 D –, BVerwGE 156, 229-262, Rn. 135, juris; vgl. ferner BFH, Zwischenurteil vom 7. November 2013 – X K 13/12 –, Rn. 51, 53, juris).

Zu diesen gegenläufigen Rechtsgütern zählen insbesondere die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gewährleistung der inhaltlichen Richtigkeit von Entscheidungen sowie die Grundsätze der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) (BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13 –, Rn. 26, juris; BGH, Urteil vom 13. März 2014 – III ZR 91/13 –, Rn. 27, juris).

„So könnte eine Überbeschleunigung von Verfahren in einen Konflikt mit dem – durch Art. 6Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG abgesicherten – Anspruch auf Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes geraten, zu dessen Kernbereich die Schaffung gerichtlicher Strukturen gehört, die eine möglichst weitgehende inhaltliche Richtigkeit von Entscheidungen und ihre möglichst hohe Qualität gewährleisten. Ferner könnte der Grundsatz der Unabhängigkeit der Richter (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 97 Abs. 1 GG) berührt sein, sofern die Entschädigungsgerichte mittelbar in die Freiheit der Richter eingreifen würden, ihr Verfahren frei von äußeren Einflüssen zu gestalten. Auch der Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) könnte betroffen sein, wenn zunehmender Beschleunigungsdruck dazu führen würde, dass Verfahren bereits wegen kurzzeitiger, in der Person eines Richters liegender Erledigungshindernisse (z.B. einer nicht langfristigen Erkrankung oder einer lediglich als vorübergehend anzusehenden höheren Belastung durch anderweitige Verfahren) diesem Richter entzogen und einem anderen Richter zugewiesen werden“ (BFH, Zwischenurteil vom 7. November 2013 – X K 13/12 –, Rn. 52, juris).

Um den verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist (BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 –, Rn. 33, juris). Dabei ist die Verfahrensgestaltung in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 2. Dezember 2011 – 1 BvR 314/11 –, Rn. 6, juris; BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 – 5 C 27/12 D –, Rn. 34, juris).

Abgesehen von zwingenden gesetzlichen Vorgaben besteht hinsichtlich der Verfahrensgestaltung ein Ermessen des verantwortlichen Richters. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen (BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 –, Rn. 33, juris; BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – III ZR 73/13 –, Rn. 44, juris; BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 – III ZR 37/13–, BGHZ 200, 20-38, Rn. 39, juris; BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13 –, Rn. 30, juris; BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – III ZR 141/14 –, BGHZ 204, 184-198, Rn. 26, juris; OLG Köln, Urteil vom 1. Juni 2017 – 7 EK 3/16 –, Rn. 26, juris).

So benötigt das Gericht vor einer verfahrensfördernden Handlung oder Entscheidung zur Sache Zeit zur rechtlichen Durchdringung, um dem rechtstaatlichen Anliegen zu genügen, eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands vorzunehmen (BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014 – 5 C 1/13 D –, Rn. 28, juris; BVerwG, Urteil vom 26. Februar 2015 – 5 C 5/14 D –, Rn. 43, juris).

Eine vertretbare Rechtsauffassung des Gerichts oder eine nach der Zivilprozessordnung vertretbare Verfahrensleitung begründen auch dann keinen Entschädigungsanspruch, wenn sie zu einer Verlängerung des Gerichtsverfahrens geführt haben. Ein Anspruch des Rechtsuchenden auf „optimale“ Verfahrensförderung besteht nicht (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – III ZR 73/13 –, BGHZ 199, 190 ff., Rn. 46, juris; OLG Oldenburg [Oldenburg], Urteil vom 15. Dezember 2016 – 15 EK 14/16 –, Rn. 19, juris; vgl. auch BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14. Dezember 2010 – 1 BvR 404/10 –, Rn. 16, juris).

Für die Beurteilung der richterlichen Handlungen aus dem Blickwinkel des Entschädigungsrechts des § 198 GVG ist entscheidend, wie das Gericht die Sach- und Rechtslage aus seiner ex-ante-Sicht einschätzen durfte. Es kommt nicht darauf an, wie sich der Verfahrenslauf im Nachhinein bei einer ex-post-Betrachtung darstellt (BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13 –, Rn. 47, juris; BFH, Urteil vom 7. Mai 2014 – X K 11/13 –, Rn. 53, juris; BSG, Urteil vom 7. September 2017 – B 10 ÜG 1/16 R –, BSGE 124, 136-153, SozR 4-1720 § 198 Nr. 16, Rn. 47, juris).

Bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer ist schließlich weder von festen Zeitvorgaben noch von abstrakten Orientierungs- bzw. Anhaltswerten auszugehen. Schematische zeitliche Vorgaben für die Angemessenheit oder ähnliches existieren nicht (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 30. Juli 2009 – 1 BvR 2662/06 –, Rn. 20, juris; BVerfG, Beschwerdekammerbeschluss vom 1. Oktober 2012 – 1 BvR 170/06 - Vz 1/12Vz 1/12 –, Rn. 23, juris; BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 –, BGHZ 199, 87-103, Rn. 26 f., juris; BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – III ZR 73/13 –, BGHZ 199, 190-207, Rn. 38, juris; BGH, Urteil vom 13. März 2014 – III ZR 91/13 –, Rn. 28-30, juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 29. Juni 2017 – 23 A 15.2332 –, Rn. 22, juris; vgl. auch Lorenz, Die Dogmatik des Entschädigungsanspruches aus § 198 GVG, 2018, S. 144 ff.).

Vielmehr ist eine Einzelfallprüfung insbesondere im Hinblick auf die in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Kriterien der Schwierigkeit des Verfahrens, seiner Bedeutung für den Betroffenen und des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten sowie mit Blick auf die Verfahrensführung durch das Gericht vorzunehmen (vgl. nur BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 –, Rn. 25, juris).

Bis zur jeweiligen Beendigung der Ausgangsverfahren durch Klagerücknahmen zwischen dem 14.11.2009 und dem 04.02.2020 haben alle Verfahren immerhin über 12 Jahre angedauert.

Der Kläger teilt die zu betrachtenden Ausgangsverfahren in jeweils zwei separate Verfahrensabschnitte. Auf der Grundlage der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25. Juni 2013 (VI ZR 260/12) zum – anderweitigen – Ausgangsverfahren 5 O 583/07 und eines „Zuschlags“ von rund drei Monaten für die hypothetische Anberaumung jeweils einer mündlichen Verhandlung mit anschließendem instanzbeendendem Urteil hält der Kläger eine Entscheidung des Landgerichts in allen neun Ausgangsverfahren bis spätestens Ende September 2013 für möglich und geboten. Der zweite Verfahrensabschnitt beginnt – nach seiner Auffassung folgerichtig – mit dem 01.10.2013.

Abweichend hierzu nimmt der Senat eine getrennte Betrachtung von Verfahrensabschnitten in den Blick, die durch die Zäsurwirkung der im Zeitraum vom 05.09.2012 bis 13.09.2012 ergangenen Beweisbeschlüsse bedingt ist. Denn wie ausgeführt erfolgte in jenen Beschlüssen neben der Anordnung der Beweisaufnahme von Amts wegen die Verbindung der gegenständlichen Ausgangsverfahren ausschließlich zwecks Durchführung der gemeinsamen Beweisaufnahme durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Ab diesem Zeitpunkt hingen alle neun gegenständlichen Ausgangsverfahren letztlich auch vom Fortschritt der beiden als Pilotverfahren dieser Serie ausgewählten Verfahren mit der Folge ab, dass etwaige Verzögerungen in den Pilotverfahren auf die zwei bzw. sieben bei der jeweiligen Kammer anhängigen Ausgangsverfahren ausstrahlten.

Ausgehend hiervon macht der Kläger des Entschädigungsverfahrens hinsichtlich des ersten Verfahrensabschnitts im Zeitraum bis zu den Beweisbeschlüssen der Kammern im September 2012 weder Verfahrensverzögerungen geltend, noch sind solche sonstwie ersichtlich (aa). Hinsichtlich des zweiten Verfahrensabschnitts bis zur Beendigung der Ausgangsverfahren, währenddessen das Schicksal der gegenständlichen Ausgangsverfahren maßgeblich von den jeweiligen Pilotverfahren abhing, kann im Ergebnis dahinstehen, ob Letztere selbst verzögert i.S.d. § 198 Abs. 1 GVG bearbeitet wurden (bb).

Im Einzelnen:

aa)

Für den ersten Verfahrensabschnitt bis einschließlich September 2013, der somit den Zeitraum bis zur Anordnung der Beweisaufnahme markiert, macht der Kläger ausdrücklich keine Verfahrensverzögerungen geltend. Auch inhaltlich sind insoweit weder Verfahrensverzögerung vorgetragen noch sind solche insbesondere aus den beigezogenen Akten der gegenständlichen Ausgangsverfahren ersichtlich.

(1)

Selbst nach Auffassung des Klägers dürfte sich angesichts des Umfangs, der Schwierigkeit und Komplexität der gegenständlichen Ausgangsverfahren, der Vielzahl der anfänglich von der 2. Zivilkammer, später von beiden Kammern, zu bearbeitenden ähnlich gelagerten Verfahren mit entsprechend ähnlich gelagertem Beschleunigungsinteresse sowie einer Vielzahl rein prozessualer Verzögerungen auch und gerade in Gestalt von Hindernissen wie der anfänglichen Unkenntnis der ladungsfähigen Anschrift des hiesigen Klägers die Bearbeitung aller neun Ausgangsverfahren nicht als unangemessen lang darstellen.

(2)

Dem Landgericht lag in diesem Zeitraum eine Vielzahl ähnlich, aber nicht gleich gelagerter Rechtsstreite vor. Auf der Aktiv-, in Teilen aber auch auf der Passivseite waren unterschiedliche Personen Parteien der Verfahren, denen jeweils ähnlich, aber nicht deckungsgleich gelagerte Sachverhalte im Zusammenhang mit der „G. Gruppe“ zugrunde lagen.

Die Verfahren wurden, wie sich nicht zuletzt an den gegenständlichen neun Ausgangsverfahren zeigt, anfangs auch nicht vollständig prozessual gleich behandelt. So erfolgte in den zeitlich früheren Verfahren des Jahres 2017 – hier bis einschließlich desjenigen mit dem Aktenzeichen 14 (2) O 855/07 – eine frühe Terminbestimmung auf Terminstage im Oktober 2007. Nur im Verfahren 14 (2) O 675/07 fand dieser Termin – zwei Tage vor dem zunächst bestimmten Datum – am 10.10.2007 statt. Im Verfahren 14 (2) O 1095/07 erfolgte demgegenüber eine solche Terminbestimmung 2007 nicht. Mit Ausnahme des letztgenannten Verfahrens fasste die 2. Zivilkammer im September und Oktober 2007 – später wieder aufgehobene – Unterbrechungsbeschlüsse betreffend den Beklagten zu 1) der Ausgangsverfahren.

(3)

Zweifelsfrei wiesen auch alle Ausgangsverfahren tatsächlich eine weit überdurchschnittliche Komplexität auf.

Dies ergibt sich zum einen aus dem Umfang des Sach- und Streitstoffes, zum anderen aus der Materie sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht.

Allein die Anspruchsbegründungs- und Klageschriften jedes Ausgangsverfahrens umfassen jeweils rund 75 Seiten und nehmen auf eine Vielzahl von zum Teil umfangreichen Anlagen Bezug.

Inhaltlich geht es um Schadensersatzansprüche, gestützt auf deliktische Anspruchsgrundlagen, die insbesondere komplexe Würdigungen in Bezug auf Vorsatzfragen erfordern. In tatsächlicher Hinsicht können u.a. spezifische betriebswirtschaftliche Probleme zum Tragen kommen.

(4)

Darüber hinaus ist unter dem Gesichtspunkt der Belastungssituation des Spruchkörpers zu gewichten, dass in der zur Entscheidung der Ausgangsverfahren berufenen 2. und später auch der 14. Zivilkammer zugleich jeweils ca. 2.000 Verfahren der „Hauptserie“ und etwa 140 im Wesentlichen gleich gelagerte Klagen der „L.“-Serie (auch) gegen den hiesigen Kläger im Entschädigungsverfahren rechtshängig waren. Insofern sah sich das Gericht neben den inhaltlichen Fragen – zumindest phasenweise – vor erhebliche logistische Herausforderungen gestellt, deren Bewältigung zeitliche Kapazitäten band, zumal anfänglich nur die 2. Zivilkammer mit entsprechend höherer Belastung durch die Menge der Verfahren zuständig war.

Der Bundesgerichtshof hat in anderer Sache, allerdings ebenfalls in Bezug auf die bei dem Landgericht Göttingen anhängigen Masseverfahren zum Thema „G. Gruppe“, bereits festgehalten: „Unter Berücksichtigung eines angemessenen Prüfungs- und Bearbeitungszeitraums sowie des den Gerichten bei der Verfahrensführung zukommenden Gestaltungsspielraums ist eine unangemessene Verfahrensdauer nicht feststellbar. Die zunächst allein zuständige 2. Zivilkammer musste in dem sowohl tatsächlich wie auch rechtlich komplexen zivilrechtlichen Kapitalanlagerechtsstreit die ständig zunehmende Zahl an Klagen und Klägern nicht nur verfahrenstechnisch bewältigen (Aktenanlage, Zustellung der Klageschriften und Klageerwiderungen, Fristsetzungen etc.), sondern auch eine Gesamtplanung des Komplexes ,G. Gruppe‘ entwickeln. Das Gericht musste insbesondere die zahllosen Verfahren sichten, das jeweilige Klagevorbringen auf Schlüssigkeit prüfen und einen Weg finden, der es ermöglichte, in einigen wenigen Verfahren über die ganze 'Fallbreite' zu entscheiden (vgl. BVerfG, NJW 2004, 3320). Es war daher sachgerecht, 'Musterverfahren' oder 'Pilotverfahren' auszuwählen und vorrangig zu betreiben, während die übrigen gleich oder ähnlich gelagerten Verfahren einstweilen zurückgestellt blieben (siehe auch Senatsbeschluss vom 21. November 2013 – III ZA 28/13, NJOZ 2014, 987 Rn. 9). Dadurch konnten Rechtsfragen von zentraler Bedeutung verfahrensübergreifend auf besonders prozessökonomische Weise geklärt werden. Darauf, ob sich die Zurückstellung anderer Verfahren oder die Auswahl der Pilotverfahren – ex post betrachtet – als förderlich erwiesen hat, kommt es nicht an. Maßgebend ist vielmehr, dass die Entscheidung des Landgerichts aus der Sicht ex ante vernünftig und zweckmäßig war (vgl. BVerfG, NVwZ 2013, 789, 791)“ (BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – III ZR 141/14 –, BGHZ 204, 184-198, Rn. 32, juris).

(5)

Dass diese Vorgehensweise, wie sie letztlich in Gestalt der Beweisbeschlüsse beider Kammern vom September 2012 ihre förmliche Ausprägung fand, nicht von vornherein beabsichtigt war, ist dabei ohne entscheidenden Belang.

Ein Rechtsstreit ist auch im Wortsinne ein „Prozess“, in dem sich neben Tatsachen rechtliche Einordnungen ändern können.

Vielmehr ist vor diesem Hintergrund bei der Beurteilung der Verfahrensdauer im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG das Augenmerk auf die konkrete Verfahrensführung durch das Gericht zu richten.

Diese kann dabei nicht isoliert für sich betrachtet werden. Sie muss vielmehr zu den in § 198Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien in Bezug gesetzt werden. Maßgebend ist, ob das Gericht gerade in Relation zu jenen Gesichtspunkten den Anforderungen an eine angemessene Verfahrensdauer in jedenfalls vertretbarer Weise gerecht geworden ist (BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13 –, Rn. 46, juris).

Auch bei der Berücksichtigung des Verhaltens anderer Verfahrensbeteiligter und Dritter ist maßgeblich auf die Beeinflussbarkeit durch das Gericht abzustellen (Zöller/Lückemann, a.a.O, § 198 GVG Rn. 3, unter Hinweis auf RegE, BT-Drs. 17/3802, S. 18).

Insoweit ist die Verfahrensführung durch das Landgericht Göttingen vorliegend letztlich unter dem Gesichtspunkt in den Blick zu nehmen, ob es Zeiträume gegeben hat, in denen das Gericht das Verfahren ohne sachlichen Rechtfertigungsgrund nicht gefördert hat (vgl. auch BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13 –, Rn. 25, juris; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 13. August 2012 – 1 BvR 1098/11 –, Rn. 17, juris; Hervorhebung durch den Senat).

Die Möglichkeiten des Entschädigungsgerichts zur Überprüfung richterlicher Maßnahmen, die die Grundlagen für die Entscheidungsfindung schaffen, sind mit Blick auf die verfassungsrechtlich verbürgte richterliche Unabhängigkeit dabei eng begrenzt. Dies gilt auch und gerade im Hinblick auf die erkennbare Veränderung der vorläufigen rechtlichen Einordnung durch die Kammer.

Im Hinblick auf das Spannungsverhältnis zwischen richterlicher Unabhängigkeit einerseits und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes andererseits sind die im Amtshaftungsprozess außerhalb des Anwendungsbereichs des § 839 Abs. 1 BGB entwickelten Grundsätze zu den Grenzen der Überprüfbarkeit der richterlichen Verfahrensführung für das Entschädigungsverfahren nach den §§ 198 ff. GVG inzwischen sinngemäß ebenfalls anerkannt (Zöller/Lückemann, a.a.O., § 198 GVG Rn. 4).

Im Amtshaftungsprozess gilt: „Durch die Formulierung in § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB (‚bei dem Urteil‘, nicht ‚durch das Urteil‘) werden nicht nur Mängel erfasst, die in dem Urteil selbst liegen oder die unmittelbar bei seinem Erlass begangen werden. Vielmehr sind privilegiert auch alle Maßnahmen, die objektiv darauf gerichtet sind, die Rechtssache durch Urteil zu entscheiden, also die Grundlagen für die Sachentscheidung zu gewinnen […]“ (BGH, Urteil vom 4. November 2010 – III ZR 32/10 –, BGHZ 187, 286-304, Rn. 13, juris). Der Grund hierfür liegt darin, dass zum Urteil auch „die richtige Feststellung des Tatbestandes [gehört], insbesondere die Trennung des unstreitigen Sachverhalts von streitigen Behauptungen sowie die Prüfung der Erheblichkeit des jeweiligen Vortrags und eines etwaigen Beweisantritts. Das alles bestimmt nicht nur den Inhalt des Urteils, sondern auch den Ablauf und die Dauer des Verfahrens […]“ und steht „in einem so engen Zusammenhang mit dem Urteil“, dass es von diesem „haftungsmäßig nicht getrennt“ werden kann (BGH, Urteil vom 4. November 2010 – III ZR 32/10 –, BGHZ 187, 286-304, Rn. 13, juris).

In diesem Lichte dürfen auch im Entschädigungsprozess nach den §§ 198 ff. GVG diejenigen rechtlichen Überlegungen, die der erkennende Richter bei der Entscheidungsfindung im Ausgangsprozess angestellt hat, grundsätzlich nicht auf ihre sachliche Richtigkeit überprüft werden (BGH, Urteil vom 13. März 2014 – III ZR 91/13 –, Rn. 34, juris; BGH, Urteil vom 13. April 2017 – III ZR 277/16 –, Rn. 16, juris). Es geht nicht darum, ob die Richter im Ausgangsverfahren richtig entschieden haben (OLG Stuttgart, Beschluss vom 14. August 2012 – 4 SchH 4/12 EntV –, Rn. 16, juris).

Maßgeblich im Entschädigungsprozess stellt sich insoweit allein die Frage, ob die Verfahrensführung vertretbar war. Die Vertretbarkeit darf nur dann verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist bzw. willkürlich erscheint (OLG Frankfurt, Urteil vom 10. Juli 2013 – 4 EntV 3/13 –, Rn. 39, juris; BGH, Urteil vom 13. Februar 2014 – III ZR 311/13 –, Rn. 30, juris; BGH, Urteil vom 23. Januar 2014 – III ZR 37/13 –, Rn. 38, juris; BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 12/13 R –, SozR 4-1720 § 198 Nr. 4, Rn. 43, juris; BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 2/13 R –, BSGE 117, 21-37, SozR 4-1720 § 198 Nr. 3, Rn. 36, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 27. April 2015 – 11 EK 8/14 –, Rn. 8, juris; BVerwG, Beschluss vom 12. März 2018 – 5 B 26/17 D –, Rn. 6, juris; OLG Schleswig, Urteil vom 11. September 2020 – 17 EK 2/20 –, Rn. 33, juris).

Dies wird regelmäßig dann der Fall sein, wenn sachlich nicht begründete Lücken in der Verfahrensförderung auftreten (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 20. Juli 2000 – 1 BvR 352/00 –, juris, Rn. 14; BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14. Oktober 2003 – 1 BvR 901/03 –, juris, Rn. 13; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 13. August 2012 – 1 BvR 1098/11 –, juris, Rn. 17; OLG Braunschweig, Urteil vom 8. Februar 2013 – 4 SchH 1/12 –, juris, Rn. 130; BGH, Urteil vom 13. April 2017 – III ZR 277/16 –, juris, Rn. 16; OLG Köln, Urteil vom 1. Juni 2017 – 7 EK 3/16 –, juris, Rn. 27; VGH München, Urteil vom 29. Juni 2017 – 23 A 15.2332 –, juris, Rn. 24; BGH, Urteil vom 26. November 2020 – III ZR 61/20–, BGHZ 227, 377-391, Rn. 15 = juris; vgl. auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 20. Mai 2021 – 16 EK 1/21 –, juris, Rn. 128-130; Gohde, Der Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer nach den §§ 198 ff. GVG, 2020, S. 119, mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung in Fußnote 537).

Auf Grundlage der vorgenannten Ausführungen lässt sich für diesen, vom Kläger ohnehin nicht gerügten Verfahrensabschnitt, für keines der Ausgangsverfahren eine unangemessene Verfahrensdauer im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG feststellen.

Wie bereits ausgeführt, lag eine rechtlich wie tatsächlich schwierige rechtliche Konstellation in allen neun – und letztlich auch allen weiteren parallelen – Verfahren vor, die zudem schon zu Beginn auch prozessual nicht dem Regelfall entsprach. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass gegen den Mitbeklagten jeweils zuvor ein Mahnverfahren betrieben worden war und der jeweilige Beklagte zu 2), der hiesige Entschädigungskläger, zunächst unbekannten Aufenthalts gewesen war. Zustellungen, und damit letztlich der tatsächliche Beginn der Rechtsstreite gegen ihn, erfolgten erst im Oktober und November 2007 und damit nach der beabsichtigten und nur in 14 (2) 675/07 auch erfolgten Durchführung der mündlichen Verhandlung Mitte Oktober 2007. Zum Zeitpunkt der Zustellung an den Bevollmächtigten des Beklagten zu 2) in den Ausgangsverfahren, den Entschädigungskläger, waren zudem bereits weitere umfangreiche Schriftsätze des Beklagten zu 1) in den Ausgangsverfahren eingegangen. Auch war über das Prozesskostenhilfegesuch des Beklagten zu 1) im Ausgangsverfahren zu entscheiden. Die jeweils knapp 50-seitigen Klageerwiderungen des hiesigen Klägers zu den neun Ausgangsverfahren gingen Ende Januar bis Anfang Februar 2008 beim Landgericht ein. Auch diese waren nicht nur inhaltlich umfassend und rechtlich komplex, sondern ebenfalls mit einem umfangreichen Anlagenkonvolut versehen.

In der Folge musste sich die seinerzeit allein zuständige 2. Zivilkammer auch eine Meinung hinsichtlich der beantragten Abtrennung des Verfahrens gegen den dort Beklagten zu 1) aufgrund entsprechender Anregungen der Kläger in den Ausgangsverfahren und darauf eingeholter Stellungnahmen bilden, wobei den Anregungen letztlich betreffend eine Abtrennung nicht, betreffend eine Wiederaufnahme in Teilen gefolgt wurde.

Daneben, und dies erhellt aus den Kammerhinweisen vom November 2009, beobachtete die Kammer den Fortgang des Verfahrens 3 U 120/08 beim Oberlandesgericht Braunschweig (vorgehend: Landgericht Göttingen 2 O 583/07), und reagierte auf den dort unter dem 20.08.2009 ergangenen Hinweisbeschluss ebenfalls mit einem umfangreichen eigenen Hinweisbeschluss, jeweils vom 11.11.2009, der die seinerzeitige Rechtsauffassung der Kammer darlegte.

Nicht unberücksichtigt bleiben kann, gerade in der Konstellation der „Massenverfahren“ wie vorliegend, dass unabhängig von einer förmlichen oder faktischen „Pilotierung“ von Verfahren eine Interdependenz zwischen allen Verfahren besteht. Dies erhellt vorliegend in aller Deutlichkeit aus den Vermerken der beiden Kammervorsitzenden vom Dezember 2011, in denen die Schwierigkeiten bei der Terminierung auch nur ausgewählter Verfahren unter Berücksichtigung des Parteiverhaltens geschildert werden. Selbst wenn, was zutreffend ist, zur Begründung einer Verzögerung nicht auf einen hypothetischen Kausalverlauf abzustellen ist (BFH, Urteil vom 20. November 2013 – X K 2/12 –, Rn. 38, juris), ist die logistische Auswirkung solcher Verzögerungen in ähnlich gelagerten Verfahren beachtlich. Hierzu zählen neben dem Vorgang der Aufhebung von Terminen insbesondere die Fertigung von dienstlichen Stellungnahmen, zumal davon nach dem Inhalt der genannten Vorsitzendenvermerke mindestens 92 Verfahren betroffen waren. Daneben tritt unwidersprochen der Eingang von rund 1.600 neuen Klagen zum Ende des Jahres 2010, zudem in anderer Konstellation auf Passivseite mit teilweise vier Beklagten und auf der Basis von abweichendem Vortrag, die ebenfalls von derselben Kammer logistisch, inhaltlich und rechtlich zu bearbeiten waren.

Hinzu kommt vorliegend entscheidend, und auch dies betrifft alle neun Ausgangsverfahren, die Tatsache, dass infolge einer vollständigen personellen Neubesetzung zum 01.01.2011, die zu überprüfen nicht Aufgabe des Senats ist, die bereits angesprochene Änderung der Rechtsauffassung der 2. Zivilkammer gegenüber derjenigen der vorherigen Besetzung tritt. Diese Änderung der Auffassung fällt in die Zeit, in der jedenfalls in der Außenwirkung in den vorliegenden Verfahren keine Verfahrensförderung zu erkennen war. Allerdings ist naturgemäß eine solche veränderte rechtliche Würdigung kein singulärer Akt, sondern ebenfalls ein Vorgang, der neben einer intensiven Einarbeitung in den Sach- und Streitstand eine umfassende Auswertung der Akten und Anlagen sowie der Entwicklungen in der Rechtsprechung voraussetzt. So benötigt das Gericht vor einer verfahrensfördernden Handlung oder Entscheidung zur Sache Zeit zur rechtlichen Durchdringung, um dem rechtstaatlichen Anliegen zu genügen, eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands vorzunehmen (BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014 – 5 C 1/13 D –, juris, Rn. 28; BVerwG, Urteil vom 26. Februar 2015 – 5 C 5/14 D –, juris, Rn. 43).

Angesichts des in diesem Zeitraum weiter angewachsenen Umfangs der Akten, der weiteren erheblichen Neueingänge in den Kammern, notwendiger Abstimmungsprozesse zur Vorgehensweise innerhalb der Kammern und weiterhin fortbestehender logistischer Herausforderungen bei der Umsetzung eines solchen Vorgehens, welches rein technisch-faktisch erhebliche Auswirkungen auf die Bearbeitung zeitigt, erkennt der Senat – mit den Parteien des vorliegenden Entschädigungsverfahrens – keine nach den obigen Kriterien schlichtweg unvertretbare oder willkürliche Handhabung seitens des Landgerichts.

Der Senat teilt aus vorgenannten Gründen deshalb auch nicht die Einschätzung aus einer früheren Entscheidung des 6. Zivilsenats im Urteil vom 11. April 2014 (OLG Braunschweig, 6 SchH 1/14 – juris, Rn. 39 f.), der in einem ähnlich gelagerten Verfahren aus dem Komplex „G. Gruppe“ noch eine unangemessene Verzögerung von Anfang März 2010 bis Ende August 2011, mithin von 18 Monaten, angenommen hatte.

Eine vertretbare Rechtsauffassung des Gerichts oder eine nach der Zivilprozessordnung vertretbare Verfahrensleitung begründen auch dann keinen Entschädigungsanspruch, wenn sie zu einer Verlängerung des Gerichtsverfahrens geführt haben. Ein Anspruch des Rechtsuchenden auf „optimale“ Verfahrensförderung besteht nicht (BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – III ZR 73/13 –, BGHZ 199, 190 ff., Rn. 46, juris; OLG Oldenburg, Urteil vom 15. Dezember 2016 – 15 EK 14/16 –, juris, Rn. 19; vgl. auch BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14. Dezember 2010 – 1 BvR 404/10 –, Rn. 16, juris).

In der Folge ist in allen vorliegenden Ausgangsverfahren eine Terminierung auf Mitte August 2012 erfolgt. Alle Termine fanden statt und führten zu den Beweisbeschlüssen vom September 2012.

Nach alledem ist für den vom Senat gebildeten ersten Verfahrensabschnitt bis zum Erlass der genannten Beweisbeschlüsse eine unangemessene Verzögerung nicht nur vom Kläger nicht geltend gemacht worden, sondern auch nicht anhand des Parteivortrags und des Akteninhalts der Ausgangsverfahren festzustellen.

(6)

Eine solche liegt auch nicht in der Anordnung der Beweisaufnahme selbst, mithin in der „Zäsur“ als solcher.

Der Kläger rügt vorliegend die Fortführung des Verfahrens ohne sachliche Endentscheidung, weil er meint, dass schon vor den mündlichen Verhandlungen vom August 2012 und den Beweisbeschlüssen die Klagen gegen ihn ohne Beweisaufnahme abweisungsreif gewesen seien. In erster Linie hält er den Erlass der Beweisbeschlüsse vom September 2012, mit denen von Amts wegen ein Sachverständigengutachten eingeholt wurde, für unvertretbar.

Entgegen der Ansicht des Klägers bestehen insoweit vorliegend jedoch keine Anhaltspunkte für eine schlechterdings unvertretbare Verfahrensweise der Kammern durch den (angekündigten) Erlass der Beweisbeschlüsse im September 2012.

(a)

Soweit sich der Kläger auf den Standpunkt stellt, dass die Klagen des Ausgangsverfahrens unschlüssig gewesen seien, sodass sich der Eintritt in die Beweisaufnahme verboten habe, stellt er damit seine eigene rechtliche Einschätzung an die Stelle derjenigen des Ausgangsgerichts. Auch dem Entschädigungsgericht steht die Beurteilung dieser Frage aus den dargelegten Gründen der richterlichen Unabhängigkeit jedoch nicht an.

Die Beurteilung der Schlüssigkeit gehört zum privilegierten Kernbereich der richterlichen Tätigkeit mit Blick auf die Schaffung der Entscheidungsgrundlagen. Von daher ist es auch unerheblich, ob die 2. Zivilkammer in anderer Besetzung im Jahre 2009 bereits einen Hinweis dahingehend erteilt hatte, dass die Klagen als unschlüssig anzusehen seien. Daran waren die Kammern in späterer Besetzung aus Gründen der richterlichen Unabhängigkeit jedenfalls nicht gebunden.

Das Entschädigungsgericht prüft grundsätzlich nicht, ob die Richter im Ausgangsverfahren richtig entschieden haben (OLG Braunschweig, Urteil vom 11. April 2014 – 6 SchH 1/13 –, juris, Rn. 43). „Führt […] zum Beispiel die Anordnung einer Beweisaufnahme oder die Erteilung von Hinweisen und Auflagen zu einer Verlängerung des gerichtlichen Verfahrens, ist dies – vorbehaltlich der Grenze der Rechtsbeugung (§ 839 Abs. 2 Satz 1 BGB) – ohne Belang, auch wenn nach Auffassung des zur Entscheidung des Amtshaftungsprozesses berufenen Gerichts die Beweisaufnahme oder der Hinweis bzw. die Auflage überflüssig gewesen sind und ein der Klage stattgebendes sowie einen Vollstreckungsschaden vermeidendes Urteil deshalb früher hätte ergehen können. Gleiches gilt für sonstige prozessleitende Maßnahmen, die darauf abzielen, die Grundlagen für die Entscheidung zu gewinnen“ (BGH, Urteil vom 4. November 2010 – III ZR 32/10 –, Rn. 13, juris).

(b)

Auch kann dem Kläger nicht dahingehend gefolgt werden, dass alle Tatsachen- und Rechtsfragen bereits durch Gutachten in vorangegangenen Verfahren, Stellungnahmen der Staatsanwaltschaft, etc. geklärt gewesen und deswegen gleichsam auf der Hand gelegen hätten.

Das erkennende Gericht ist an die in anderen Verfahren erhobenen Entscheidungsgrundlagen nicht gebunden, sondern entscheidet in richterlicher Unabhängigkeit, welche Teile des Sachverhalts es als streitig und beweisbedürftig ansieht. Ebenso ist es Sache des erkennenden Gerichts, den Prozessstoff – erschöpfend – auszuwerten (vgl. etwa BGH, Urteil vom 15. März 2004 – II ZR 136/02 –, Rn. 5 ff., juris).

Insbesondere ist der Hinweis des Klägers auf das Urteil des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 2. Mai 2012 (3 U 120/08, juris) der Untermauerung der von ihm eingenommenen Position unbehelflich. Dieses Urteil war Berufungsurteil zu dem Rechtsstreit 2 O 583/07 des Landgerichts Göttingen, bei dem es sich gerade nicht um das designierte Muster- bzw. Pilotverfahren der hier in Rede stehenden Hauptserie handelte. Überdies war der Beklagte zu 2) des Ausgangsverfahrens und Kläger des Entschädigungsverfahrens in diesem Rechtsstreit nach seinem eigenen Vortrag schon nicht (mehr) selbst Beklagter, da das Verfahren gegen ihn zuvor abgetrennt worden war.

(c)

Dass das Landgericht Göttingen die Verjährungseinrede jeweils unbeachtet gelassen bzw. offenbar als nicht durchgreifend erachtet hat, führt ebenfalls nicht zur Unvertretbarkeit des Erlasses des Beweisbeschlusses.

Denn auch die Prüfung des Eintritts der Verjährung zählt als rechtliche Würdigung zum Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit. Anders als der Kläger meint, steht damit im Übrigen auch nicht eine Frage im Raume, deren Beantwortung für jedermann ersichtlich auf der Hand liegt, sodass ein Anhaltspunkt dafür gegeben sein könnte, dass der Erlass eines Beweisbeschlusses als vollkommen unverständlich und geradezu willkürlich zu bewerten wäre. Denn vorliegend ging es um den Fristbeginn der kenntnisabhängigen Verjährungsfrist des § 199 Abs. 1 BGB, bei der sich komplexe Fragen dahingehend stellen können, welche Tatsachen dem Einredeführer zu welchem Zeitpunkt bekannt gewesen sein müssen.

(d)

Auch die konkrete Anwendung des § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO a.F. durch beide Kammern erfolgte nicht in unvertretbarer, an Willkür grenzender Weise.

Zwar ist dem Kläger insbesondere dahingehend Recht zu geben, dass das Gericht üblicherweise – im Lichte des den Zivilprozess beherrschenden Grundsatzes der Parteiherrschaft – vor der Einholung eines Sachverständigengutachtens von Amts wegen gemäß § 139 ZPO zur Klärung angehalten ist, ob (gegebenenfalls warum nicht) der Beweisbelastete die Initiative ergreift (Zöller/Greger, a.a.O., § 144 ZPO Rn. 1).

Da das beklagte Land dem klägerischen Vortrag im Entschädigungsverfahren dahingehend, dass das Landgericht Göttingen jeweils nicht auf die Stellung eines Beweisantrages hingewirkt habe, nicht entgegengetreten ist, gilt der entsprechende Vortrag des Klägers im Entschädigungsverfahren gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.

Gleichwohl bestand zu einer solchen weitergehenden Aufklärung nach dem eigenen Vortrag des Klägers im Entschädigungsverfahren deshalb kein Anlass, weil die Kläger der zugehörigen Pilotverfahren in den mündlichen Verhandlungen nach seiner Behauptung erklärt hätten, dass alle Ausgangsklagen „auch unabhängig von der Frage nach der Tragfähigkeit des Beteiligungssystems begründet seien“ und die „darlegungs- und beweisbelasteten Klägerparteien Verzichtserklärungen als verbindliche Prozesshandlungen […] abgegeben“ hätten.

Das beklagte Land hat im Übrigen nicht in Abrede genommen, dass die Kläger der Ausgangsverfahren erklärten, dass ihrer Ansicht nach die Ausgangsklagen ohnehin begründet seien.

Zum einen wären die Kammern des Landgerichts Göttingen bei Anwendung des § 144 Abs. 1 ZPO a.F. selbst an einen etwaigen Verzicht nicht gebunden gewesen. Denn bereits bei Parteivereinbarungen gilt, dass diese mit Blick auf die Beweisbedürftigkeit zwar zulässig sind, eine zulässige Beweiserhebung von Amts wegen jedoch nicht hindern können (Zöller/Greger, a.a.O., Vorbemerkungen zu § 284 ZPO Rn. 2b).

Zum anderen haben die Kläger in den Pilotverfahren entgegen der Behauptung des Klägers unter Berufung auf die in seiner Klageschrift (Rn. 184) bezeichnete Anlage EK 5B keinen „Verzicht“ erklärt. Die vom Kläger genannte Anlage EK 5B steht vielmehr im Widerspruch zum diesbezüglichen eigenen Vortrag des Klägers.

Die Erklärung eines „Verzichts“ ist auch weder den beigezogenen Akten zu entnehmen noch führte eine dahingehende „Behauptung“ des Klägers, da nicht ausdrücklich vom beklagten Land bestritten, zu einer relevanten Unstreitigkeit im Rechtssinne. § 402 ZPO, der für den Sachverständigenbeweis ergänzend auf die Vorschriften über den Zeugenbeweis und damit auch auf § 399 ZPO mit dem darin geregelten „Verzicht“ verweist, führt dazu, dass allenfalls ein „Verzicht“ auf die Vernehmung des Sachverständigen möglich ist; nicht geregelt ist indessen ein „Verzicht“ im Rahmen des § 411 ZPO betreffend die schriftliche Begutachtung. Diese Regeln sind auch über § 144 Abs. 3 ZPO auf den Fall der amtswegigen Beweisaufnahme anwendbar.

Die Anwendung des § 144 Abs. 1 ZPO a.F. war – im privilegierten Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit liegend – nach dem im Entschädigungsverfahren anzuwendenden Prüfungsmaßstab auch vorliegend im Ergebnis jedenfalls nicht grob fehlerhaft.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO in der im Herbst 2012 gültigen Fassung konnte das Gericht die „Begutachtung durch Sachverständige“ anordnen (die seit dem 01.01.2020 gültige Fassung des § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO lautet demgegenüber: „Das Gericht kann die Einnahme des Augenscheins sowie die Hinzuziehung von Sachverständigen anordnen“, Hervorhebung durch den Senat).

Die seinerzeit in Geltung stehende Fassung der Vorschrift erlaubte die Einholung eines Sachverständigengutachtens ohne Beweisantritt der beweisbelasteten Partei; sie schränkte insofern den Beibringungsgrundsatz ein (Zöller/Greger, a.a.O., § 144 ZPO Rn. 1).

Zum anderen gaben die Kläger der Ausgangsverfahren mit ihren von dem Kläger des Entschädigungsverfahrens behaupteten Äußerungen nach verständiger Auslegung dem Gericht gegenüber vielmehr ihre Rechtsauffassung zu erkennen, dass sie ihre jeweilige Klage auch unabhängig von einer sachverständigen Bestätigung ihrer Behauptungen für begründet hielten. Keinesfalls aber wollten sie mit einem etwaigen Verzicht auf ein Sachverständigengutachten bei verständiger Würdigung deshalb selbst eine Klageabweisung in Kauf nehmen, sondern haben ausdrücklich sogar ihren Vortrag präzisiert. Von daher unterscheidet sich die vorliegende Konstellation bereits von derjenigen, über die der Bundesgerichtshof in dem Urteil vom 27. Februar 2019 – VIII ZR 255/17 –, juris, zu befinden hatte und auf die der Kläger sich stützt.

In der von dem Bundesgerichtshof entschiedenen prozessualen Konstellation hatte die letztlich unterlegene und beweisbelastete Klägerin auf Nachfrage des Berufungsgerichts ausdrücklich mitgeteilt, einen Beweisantrag gerichtet auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht stellen zu wollen. Der Bundesgerichtshof hält zwar weiterhin fest, dass bei dieser Sachlage das Berufungsgericht nicht „verpflichtet“ war, nach § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO von Amts wegen ein Sachverständigengutachten einzuholen. Damit ist jedoch keine Aussage über die hier gegenständliche Konstellation verbunden, ob die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus „eigenem Antrieb“ des Gerichts willkürlich ist.

Dass das Landgericht in allen neun Verfahren das ihm eingeräumte Ermessen überhaupt nicht erkannt hätte, ist zudem nicht ersichtlich.

Ein Ermessensfehler ist auch nicht etwa darin zu erblicken, dass das Gericht eine Beweiserhebung von Amts wegen angeordnet hat, obwohl ein entsprechender Beweisantrag (z.B. als Ausforschungsbeweis) zurückzuweisen wäre (vgl. hierzu Zöller/Greger, a.a.O., § 144ZPO Rn. 1).

Die Kammern haben sich bei der Formulierung der Beweisfragen – wie ausgeführt – maßgeblich an den Behauptungen der Kläger der Ausgangsverfahren orientiert und auch Nachfrage gehalten.

Entgegen der Ansicht des Klägers des Entschädigungsverfahrens war das Landgericht auch nicht gehalten, den jeweiligen Erlass des Beweisbeschlusses gesondert zu begründen, zumal dieser angekündigt war und auch in den mündlichen Verhandlungen jeweils über dessen Notwendigkeit, wie den Protokollen zu entnehmen ist, verhandelt wurde. Denn mit dieser verfahrensleitenden Handlung gaben die Kammern denknotwendig zu erkennen, dass sie die jeweils vorliegenden Klagen nunmehr als schlüssig bewerteten und nicht von einer Verjährung der geltend gemachten Ansprüche ausgingen.

In der Zusammenschau bleibt deshalb nur zu konstatieren, dass der Senat „nicht zu untersuchen [hat], ob dem Landgericht ein Rechtsfehler unterlaufen ist, als es sich gegen den Willen der Parteien des Ausgangsverfahrens entschieden hat, ein Sachverständigengutachten einzuholen, um das Konzept der Gesellschaften der ,G. Gruppe‘ zu untersuchen“ (OLG Braunschweig, Urteil vom 11. April 2014 – 6 SchH 1/13 –, Rn. 45, juris; bestätigt durch BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – III ZR 141/14 –, Rn. 36, juris).

(e)

Auch die Ausgestaltung der jeweiligen Beweisbeschlüsse beider Kammern in allen neun Verfahren ist nicht unvertretbar, namentlich die Verbindung ausschließlich zum Zwecke der Einholung des schriftlichen Gutachtens und die Verbindung „über die Kammergrenze“ hinweg mit demselben Ziel.

Wie die 14. Zivilkammer in den seinerzeitigen Beschlüssen vom 05. bzw. 11.09.2012 und die 2. Zivilkammer in ihren Beschlüssen vom 13.09.20212 zutreffend festgestellt haben, ist eine solche Verbindung unabhängig von § 147 ZPO (vgl. Zöller/Greger, a.a.O., § 147 ZPO Rn. 5) möglich und lässt die Verfahren als selbstständig fortbestehen (BGH, Urteil vom 30. Oktober 1956 – I ZR 82/55 – juris).

Nicht nur angesichts der Vielzahl ähnlich gelagerter Rechtsstreite vor der 2. und der 14. Zivilkammer – die nicht zuletzt aufgrund der Vielzahl von Verfahren aus dem Komplex „G. Gruppe“ zur Entlastung der bis dahin allein zuständigen 2. Zivilkammer gegründet worden war – war eine solche Verbindung unterhalb der Schwelle des § 147 ZPO nicht nur sachlich und rechtlich zulässig, sondern aus Sicht des Senats zur Beschleunigung aller Verfahren insgesamt und gerade auch angesichts der zu erwartenden Kosten der Beweisaufnahme – vgl. hierzu nur die Kostenentscheidung im vorliegenden Verfahren in Anlage EK A-1 mit Beschluss vom 28.02.2020 mit seinerzeit bereits 1.596.312,25 € – im wirtschaftlichen Interesse der Parteien und aus prozessökonomischen Gründen geboten.

Es war, wie auch der Bundesgerichtshof in weiteren Verfahren denselben Komplex betreffend festgestellt hat, sachgerecht, „Pilotverfahren" auszuwählen und vorrangig zu betreiben, während die übrigen gleich oder ähnlich gelagerten Verfahren einstweilen zurückgestellt blieben (siehe auch BGH, Beschluss vom 21. November 2013 – III ZA 28/13 –, Rn. 9, juris). Dadurch konnten und können Rechtsfragen von zentraler Bedeutung verfahrensübergreifend auf besonders prozessökonomische Weise geklärt werden.

Darauf, ob sich die Zurückstellung anderer Verfahren oder die Auswahl der Pilotverfahren – ex post betrachtet – als förderlich erwiesen hat, kommt es nicht an. Maßgebend ist vielmehr, dass die Entscheidungen des Landgerichts aus der Sicht ex ante vernünftig und zweckmäßig waren (vgl. BVerfG, NVwZ 2013, 789, 791; BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – III ZR 141/14 –, Rn. 34, juris).

Dass nunmehr, noch deutlich vor Abschluss der beiden relevanten Pilotverfahren, alle gegenständlichen Ausgangsverfahren durch Klagrücknahme beendet worden sind, ändert vor dem Hintergrund der genannten Erwägungen im Hinblick auf die gebotene ex ante-Sicht nichts.

Dabei ist es für die hier zu beurteilende Frage der überlangen Verfahrensdauer im Sinne des § 198 GVG unerheblich, aus welchen, im Übrigen dem Senat nicht bekannten, Gründen, sich die Kläger der gegenständlichen neun Ausgangsverfahren zur Beendigung durch Rücknahme veranlasst sahen. Die vom hiesigen Kläger geäußerte Vermutung, die Rücknahmen seien darauf zurückzuführen, dass die Prozessbevollmächtigten im Ausgangsverfahren seit Herbst 2019 zu der Erkenntnis gelangt seien, die von ihnen für die jeweiligen Kläger geführten Klage seien unschlüssig, ist spekulativ und widerspricht im Übrigen der Fortführung einer Vielzahl weiterer Klagen in ähnlich gelagerten Fällen durch dieselben Bevollmächtigten. Selbst die Vermutung als wahr unterstellt, würde dies bei gebotener ex ante-Sicht keinerlei Einfluss darauf nehmen können, ob das jeweilige Ausgangsverfahren überlang i.S.d. § 198 GVG war.

Es ist weder Aufgabe noch Sinn des Entschädigungsverfahrens, rechtliche Einschätzungen, Überlegungen oder Entscheidungen im Ausgangsverfahren zu überprüfen. Auf das Ergebnis des Verfahrens, etwa im Sinne eines Erfolgs oder Misserfolgs, kommt es dabei nicht an (OLG Karlsruhe, Urteil vom 30. Juni 2020 – 16 EK 16/19 –, Rn. 139, juris). Dasselbe gilt entsprechend für einen „Erfolg“ im Sinne einer Klagrücknahme der Gegenseite. Im Entschädigungsprozess kann deshalb nicht einmal die Verfahrensführung des Richters im Ausgangsverfahren, nicht zuletzt aufgrund des verfassungsrechtlichen Grundsatzes richterlicher Unabhängigkeit, auf ihre Richtigkeit überprüft werden (Zöller/Lückemann, a.a.O., § 198 GVG Rn. 4).

bb)

Hinsichtlich des zweiten Verfahrensabschnitts, der auf den Erlass der genannten Beweisbeschlüsse beider Kammern folgend beginnt und währenddessen das Schicksal der gegenständlichen Ausgangsverfahren maßgeblich von den jeweiligen Pilotverfahren abhing, kann im Ergebnis dahinstehen, ob Letztere selbst unangemessen i.S.d. § 198 Abs. 1 GVG verzögert waren. Originäre Verzögerungen der gegenständlichen Ausgangsverfahren selbst sind jedenfalls nicht ersichtlich (1). Etwaige Verzögerungen in dem jeweils zugehörigen Pilotverfahren können dahinstehen, weil sie nicht zu einer Entschädigungspflicht in diesem Verfahren führen können (2).

Im Einzelnen:

(1)

Originäre Verzögerungen, die ihren Grund allein in den gegenständlichen neun Ausgangsverfahren haben, sind für den Zeitraum ab Anordnung der Beweisaufnahme weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Verfahren wurden jeweils dem entsprechenden Pilotverfahren folgend, „nachgeführt“. Dies betrifft insbesondere die Neubestellungen der Sachverständigen sowie Ergänzungen und Änderungen der Beweisthemen. Zudem erfolgten alle Nebenentscheidungen, wie etwa über Prozesskostenhilfe und deren Auszahlung, ohne vorgetragene oder erkennbare Verzögerung. Schließlich erfolgten auch jeweils Rückmeldungen aus den Pilotverfahren in die abhängigen Verfahren in Gestalt von Vorsitzendenvermerken.

(2)

Etwaige Verzögerungen in dem jeweils zugehörigen Pilotverfahren können im Ergebnis dahinstehen, weil sie nicht zu einer Entschädigungspflicht in diesem Verfahren führen können.

Das Zuwarten auf Ergebnisse oder Ermittlungen in einem parallelen Verfahren kommt zwar als sogenannte aktive Bearbeitungszeit in Betracht, wenn zu erwarten ist, dass in einem solchen Verfahren Erkenntnisse gewonnen werden, die auch für das Ausgangsverfahren von unmittelbarer Relevanz sind (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 27. September 2011 – 1 BvR 232/11 – Rn. 31, juris; BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 12/13 R –, Rn. 47, juris).

So verhält es sich hier. Aufgrund der Beweisbeschlüsse in den Ausgangsverfahren vom September 2012 förderten die Kammern die gegenständlichen Ausgangsverfahren jedenfalls in der Sache – jenseits der oben genannten Punkte – nicht weiter, wie es auch dem Zweck und letztlich der Natur der gewählten Konstruktion durch Auswahl weniger Pilotverfahren entsprach.

Wäre gedanklich in jedem einzelnen der Ausgangsverfahren ein inhaltlich vergleichbarer Beweisbeschluss nicht nur ergangen, sondern jede Akte für sich an den Sachverständigen übersandt worden, wären allfällige Verzögerungen im Rahmen der Begutachtung, deren Relevanz im Sinne eines Entschädigungsanspruchs infolge Verzögerung unterstellt, in jedem der Ausgangsverfahren einzeln zu beurteilen gewesen.

Daher ist es nicht interessengerecht, worauf der Kläger u.a. auch hinweist, tatsächliche oder behauptete Verzögerungen der beiden relevanten Pilotverfahren losgelöst zu betrachten und somit deren Relevanz für die Ausgangsverfahren auf die bloß faktische Aussetzung zu verneinen, zumal die Aussetzung als solche nicht förmlich angeordnet wurde. Ohnehin käme eine solche nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hier als zurechenbare Verzögerung in Betracht (vgl. Steinbeiß-Winkelmann/Ott, § 198 GVG Rn. 132, m.w.N.).

Die Frage, ob und falls ja, in welchem Umfang es fernwirksame Verzögerungen der Ausgangsverfahren gab, kann indessen dahinstehen.

Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird nach § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG im Falle unangemessener Verfahrensdauer zwar vermutet. Dabei handelt es sich um eine widerlegliche gesetzliche Tatsachenvermutung im Sinne von § 292 Satz 1 ZPO, die dem Betroffenen die Geltendmachung eines immateriellen Nachteils erleichtern soll, weil in diesem Bereich ein Beweis oft nur schwierig oder gar nicht zu führen ist (BT-Drucks. 17/3802 S. 19, 41). Diese Vermutungsregel entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser nimmt eine starke, aber widerlegbare Vermutung dafür an, dass die überlange Verfahrensdauer einen Nichtvermögensschaden verursacht hat. Er erkennt aber auch an, dass der Nichtvermögensschaden in bestimmten Fällen sehr gering sein oder gar nicht entstehen kann. In diesem Fall müsse der staatliche Richter seine Entscheidung mit einer ausreichenden Begründung rechtfertigen (EGMR, NJW 2007, 1259, Rn. 204).Im Entschädigungsprozess ist die Vermutung widerlegt, wenn der Beklagte das Fehlen eines immateriellen Nachteils darlegt und beweist, wobei ihm, da es sich um einen Negativbeweis handelt, die Grundsätze der sekundären Behauptungslast zugutekommen können (Zöller/Greger, a.a.O, vor § 284 ZPO Rn. 34 und § 292 ZPO Rn. 2).Im Hinblick darauf, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte lediglich eine „ausreichende Begründung" zur Widerlegung verlangt, dürfen insoweit keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Die Vermutung eines auf der Verfahrensdauer beruhenden immateriellen Nachteils ist dann widerlegt, wenn das Entschädigungsgericht unter Berücksichtigung der vom Kläger gegebenenfalls geltend gemachten Beeinträchtigungen nach einer Gesamtbewertung der Folgen, die die Verfahrensdauer mit sich gebracht hat, die Überzeugung gewinnt, dass die (unangemessene) Verfahrensdauer nicht zu einem Nachteil geführt hat (vgl. BFHE 243, 151Rn. 26 ff.; BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – III ZR 141/14 –, Rn. 40 f., juris, zum Verfahren 6 SchH 1/13 des OLG Braunschweig (juris) zu demselben Komplex mit demselben Kläger aus demselben Zusammenhang).Auch vorliegend sind vom Kläger keine konkreten psychischen oder physischen Beeinträchtigungen geltend gemacht worden, die gerade auf die streitgegenständlichen Verfahren zurückzuführen wären. Seine Ausführungen erschöpfen sich darin, die durch den Gesamtkomplex der Verfahren hervorgerufenen Belastungen in allgemeiner Form zu schildern. Macht der Betroffene – wie hier – Entschädigung für einzelne Verfahren aus einem umfangreichen Verfahrenskomplex geltend, muss er die konkreten Nachteile, die gerade durch die Dauer dieser Verfahren verursacht worden sein sollen, positiv behaupten. Nur dann kann der Anspruchsgegner den ihm obliegenden Beweis der Unrichtigkeit der aufgestellten Behauptungen führen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2011 – XI ZR 261/09, NJW 2011, 2130,Rn. 19 f.; BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – III ZR 141/14, Rn. 43, juris).Diese dem Kläger im Wege der sekundären Darlegungslast obliegende Behauptung hat dieser nicht bzw. nur in nicht einlassungs- und widerlegungsfähiger und somit unbeachtlicher Pauschalierung vorgetragen.Der Kläger trägt als physische Folge der Verfahren den im April 2009 unstreitig erlittenen Herzinfarkt vor. Allerdings macht der Kläger für den Zeitraum bis Herbst 2013 und somit auch für die Zeit, in der er den Herzinfarkt erlitten hatte, weder eine Entschädigung geltend, noch hält er nach seiner eigenen Rechtsauffassung das Ausgangsverfahren für in diesem Zeitpunkt bereits über Gebühr verzögert. Damit entfällt schon eine Zurechnung aufgrund des eigenen Vortrags, unabhängig von der Frage, ob es gerade eines, mehrere oder alle der vorliegenden insgesamt neun Ausgangsverfahren waren, die kausal für den erlittenen Infarkt gewesen sein sollen.Auch betreffend die Belastung durch die Verfahrensführung ist festzustellen, dass jenseits der bloßen Existenz der Verfahren keine relevante Belastung beim Kläger nach eigenem Vortrag eingetreten ist. Der Kläger selbst rügt die langsame Verfahrensführung und die mittelbar fehlende Verfahrensförderung der gegenständlichen neun Ausgangsverfahren. In der Tat führt aber, unabhängig davon, dass der Kläger sich anwaltlicher Hilfe ohne eigene Voraus-Kosten – ratenfreie PKH war jedenfalls im geltend gemachten Zeitraum gewährt – bediente, ein behauptetes Nichtfördern der gegenständlichen Ausgangsverfahren genau dazu, dass in den hiesigen Ausgangsverfahren auch für den Kläger „nichts zu veranlassen“ war.

Nach alledem kann die Belastung des Klägers hinsichtlich der gegenständlichen Ausgangsverfahren allein aus der schieren Zahl und dem Gesamtvolumen der Verfahren resultieren.

Im Entschädigungsverfahren zu dem Aktenzeichen 4 EK 23/20, welches seinerseits ein Pilotverfahren aus der „L.“-Serie zum Gegenstand hat, hat der Senat bereits mit Urteil vom 5. November 2021 (juris) verdeutlicht, dass er den Entschädigungsanspruch des personenidentischen Entschädigungsklägers, der zugleich Partei des Pilotverfahrens war und sich daneben einer Vielzahl davon abhängiger Verfahren ausgesetzt sieht, monatlich spürbar höher beurteilt, als dies der gesetzliche Regelfall vorsieht.

Dem liegt die Auffassung zugrunde, dass in einem Pilotausgangsverfahren die Belastung des Betroffenen im Zusammenhang mit den – in jenem Fall rund 140 – abhängigen Verfahren in Kenntnis der von der Entwicklung des Pilotverfahrens fast vollends determinierten Entwicklung der abhängigen Verfahren deutlich spürbarer ist, wohingegen die vom Pilotverfahren abhängigen Ausgangsverfahren während ihres faktischen Ruhens deutlich weniger „präsent“ sind als das Pilotverfahren selbst. Schließlich sind zuvörderst das Ausgangsgericht, aber auch die Parteien und ihre Bevollmächtigten gehalten, ihre Bemühungen und Anstrengungen zuvörderst auf das Pilotverfahren zu richten.

Selbiges gilt auch in vorliegender Konstellation mit insgesamt deutlich mehr abhängigen Verfahren, wobei die Belastung des personenidentischen Entschädigungsklägers, der wiederum auch Partei in den Pilotverfahren ist, auf Grundlage der vorgenannten Ausführungen ausschließlich in den beiden Pilotverfahren zu verorten wäre.

Die durch entschädigungspflichtige Verzögerungen in einem Pilotverfahren verursachten Nachteile manifestieren sich für den personenidentischen Kläger, der auch Partei im Pilotverfahren ist, ausschließlich in den Pilotverfahren, wobei die Anzahl der hiervon abhängigen Verfahren bei der Bemessung der billigen Entschädigung in dem das Pilotverfahren betreffenden Entschädigungsverfahren zu berücksichtigen ist. Dabei ist es ausgeschlossen, dass Existenz und Anzahl der abhängigen Verfahren im Entschädigungsprozess zum jeweiligen Pilotverfahren untergewichtet werden. Die mit zunehmender Anzahl – vom zugehörigen Pilotverfahren – abhängiger Verfahren degressiv abnehmende Belastungswirkung gewährleistet zugleich, dass diese sich – selbst bei endlos fortschreitender Anzahl abhängiger Verfahren – denklogisch allenfalls gegen Null, nicht jedoch auf Null reduzieren kann.

Etwaige Verzögerungen, die bei der Bearbeitung der Pilotverfahren verursacht werden, zeitigen nämlich nur „passive“ Auswirkungen auf die jeweils abhängigen Verfahren, die zur Zeit der Bearbeitung des Pilotverfahrens faktisch ruhen, wie sich auch vorliegend zeigt. Wenn für den Entschädigungskläger in abhängigen Verfahren ausschließlich „passive“ Auswirkungen der Verzögerung der Pilotverfahren zum Tragen kommen, so sind sie deshalb objektiv allein dem Entschädigungsprozess des zugehörigen Pilotverfahrens zurechenbar. In dem Entschädigungsprozess des vom Pilotverfahren abhängigen Verfahrens ist in einem solchen Falle die Persistenz eines immateriellen Nachteils nicht mehr gegeben und die Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG widerlegt.

Nur dann, wenn durch die (Nicht-) Bearbeitung des abhängigen Verfahrens selbst weitere Verzögerungen eintreten, kommt auch im Entschädigungsprozess des abhängigen Verfahrens die Entstehung eines weitergehenden immateriellen Nachteils in Betracht (Senat, Urteil vom 5. November 2021 – 4 EK 23/20 –, Rn. 499, juris). Die Berücksichtigung der abhängigen Verfahren bei der Bemessung der billigen Entschädigung in dem das Pilotverfahren betreffenden Entschädigungsprozess stellt sicher, dass der durch die Überlänge bedingte immaterielle Nachteil (nur) dort bewertet und ausgeglichen wird, wo er auch eintritt, nämlich im Rahmen des Entschädigungsprozesses, der die Verzögerung des Pilotverfahrens behandelt. Die durch die Überlange eines Pilotverfahrens verursachten passiven Auswirkungen auf – vom Pilotverfahren abhängige – Ausgangsverfahren sind für den personenidentischen Entschädigungskläger objektiv dem Pilotverfahren zurechenbar und nicht den davon abhängigen Ausgangsverfahren (Senat, ebenda, Rn. 504).

Nach alledem kann letztlich dahinstehen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang im streitrelevanten Zeitraum die gegenständlichen neun Ausgangsverfahren ausschließlich passiv in Abhängigkeit von den zugehörigen Pilotverfahren 2 O 1802/07 bzw. 14 (2) O 2179/07 im Sinne des § 198 GVG verzögert worden sind.

Unter nochmaliger Berücksichtigung aller vorgenannten und sonstigen Umstände scheidet zur Überzeugung des Senats deshalb auch eine Verfahrensverzögerung mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer, wie sie § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definiert, aus.

2.

Die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer i.S.d. § 198 Abs. 4 GVG ist nicht geboten.

Auch diese Frage wäre allenfalls im Rahmen der Beurteilung des jeweils zugehörigen Pilotverfahrens zu beleuchten.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG in Verbindung mit § 91 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG in Verbindung mit § 709 ZPO.

IV.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache sowie zur Fortbildung des Rechts gemäß §§ 201 Abs. 2 Satz 3 GVG, 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zuzulassen.

Es liegt bislang keine höchstrichterliche Grundsatzentscheidung zu der Frage vor, ob im Entschädigungsverfahren betreffend ein vom Pilotverfahren abhängiges Ausgangsverfahren, das während des Pilotverfahrens faktisch ruht, eine Entschädigung des personenidentischen Entschädigungsklägers, welcher zugleich Partei im Pilotverfahren ist, ausscheiden kann, wenn allenfalls Verzögerungen im Pilotverfahren mit ausschließlich passiven Auswirkungen auf das vom Pilotverfahren abhängige Ausgangsverfahren in Betracht kommen.

V.

Die Beschlussfassung über die Festsetzung des Streitwertes folgt aus den § 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO.

Urteilsbesprechung zu Oberlandesgericht Braunschweig Urteil, 12. Apr. 2022 - 4 EK 1/20

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht


(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um
Oberlandesgericht Braunschweig Urteil, 12. Apr. 2022 - 4 EK 1/20 zitiert 32 §§.

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(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels

Zivilprozessordnung - ZPO | § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung


Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur

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Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 199 Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist und Verjährungshöchstfristen


(1) Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem1.der Anspruch entstanden ist und2.der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des S

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(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Das Gericht kann die Einnahme des Augenscheins sowie die Hinzuziehung von Sachverständigen anordnen. Es kann zu diesem Zweck einer Partei oder einem Dritten die Vorlegung eines in ihrem oder seinem Besitz befindlichen Gegenstandes aufgeben und hierfür eine Frist setzen. Es kann auch die Duldung der Maßnahme nach Satz 1 aufgeben, sofern nicht eine Wohnung betroffen ist.

(2) Dritte sind zur Vorlegung oder Duldung nicht verpflichtet, soweit ihnen diese nicht zumutbar ist oder sie zur Zeugnisverweigerung gemäß den §§ 383 bis 385 berechtigt sind. Die §§ 386 bis 390 gelten entsprechend.

(3) Die Vorschriften, die eine auf Antrag angeordnete Einnahme des Augenscheins oder Begutachtung durch Sachverständige zum Gegenstand haben, sind entsprechend anzuwenden.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kammer 6 für Handelssachen, vom 3.2.2012, Az. 406 HKO 96/11, wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

1

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Unterlassung, Auskunft und Schadensersatz wegen des Vertriebs eines Schreibgeräts.

2

Die Klägerin vertreibt unter ihrer Marke M... Schreibgeräte, darunter den Kolbenfüllfederhalter „Me...“ (Anlagen K 2 und K 53). Die Beklagte, die infolge formwechselnder Umwandlung gemäß Umwandlungsbeschluss vom 12.12.2001 aus der Fa. M...& K... GmbH & Co. hervorgegangen ist (Anlage B 13, dort Ziff. 6.b]), vertreibt Werbemittel, darunter auch den Kolbenfüllfederhalter „S... P...“.

3

Das „Me...“ wird aus schwarzem, hochpolierten Edelharz mit vergoldeten Elementen hergestellt und weist eine „Zigarrenform“ auf, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die breiter gestaltete Kappe nach oben etwas schmaler wird und sodann mit einer gleichmäßigen Abrundung endet, wohingegen der konische Hauptkörper gedrungener ist und schmaler zuläuft. Der goldfarbene Clip ist ringförmig etwas unterhalb des Kappenendes so in eine Nut der Kappe eingebracht, dass der Ring mit dem Korpus abschließt. Der Füllfederhalter verfügt über eine Kolbenfüllmechanik mit entsprechenden Sichtfenstern, die Kappe ist aufschraubbar und die Feder besteht aus 18-karätigem Gold mit rhodinierter, d.h. silbern anmutender Intarsie. Am unteren Kappenende sind drei Ringe angebracht, wobei der mittlere Ring leicht erhaben und mit dem Schriftzug „M... Me...“ versehen ist. Weitere Modelle/Sondereditionen der Me...-Linie ergeben sich aus den Anlagen K 3 bis K 11. Die Me...-Serie wird von der Klägerin aufwendig beworben und ist wiederholt als Gegenstand von Berichterstattungen in unterschiedlichen Medien und als Referenz in Erscheinung getreten (Anlagen K 12 bis K 19).

4

Die Beklagte vertreibt einen Kolbenfüllfederhalter unter der Bezeichnung „P...“. Dieser Füller, der in drei Ausführungen erhältlich ist (Anlage K 24), ist ebenfalls aus einem schwarzen, hochpolierten Material, weist eine „Zigarrenform“ auf und enthält einen goldenen, länglichen Clip, der ringförmig unterhalb des Kappenendes in eine Nut eingebracht ist. Er verfügt zudem auch über die Kolbenfüllmechanik. Kurz vor dem Kappenende ist ein dreiteiliger goldfarbener Ring eingelassen, der auf seinem mittleren Teil den Schriftzug „S... P...“ aufweist.

5

Zugunsten der Klägerin ist die dreidimensionale Marke DE... eingetragen (Anlage K 21, eingeschränkt infolge der Teillöschungserklärung Anlage K 35, K 50). Die Klägerin hat auf die Anmeldung vom 21.9.2012 eine weitere, am 13.11.2012 eingetragene dreidimensionale Marke DE... erlangt, die aus einem Schreibgerät mit drei Ringen besteht, wobei der Mittelring die Gravur „M...-ME...“ trägt.

6

Die Beklagte hat die Ringgestaltung am Kappenende des „S... P...“ ebenfalls als dreidimensionale Marke am 17.1.2012 für Schreibgeräte eintragen lassen (Nr. D..., Anlage B 26, B 33a). Die Beklagte verfügt ferner über die am 15.6.1985 für Schreibgeräte eingetragene Wort-Bild-Marke D...„s...“ (Anlage B 29), die am 27.1.1998 für Schreibwaren eingetragene Wort-Bild-Marke „S“ (Anlage B 30) und die am 1.7.1983 für Schreibgeräte eingetragene Wort-Bild-Marke „S... P...“ (Anlage B 31).

7

Die Beklagte hat unter dem 19. April 2011 einen Löschungsantrag gegen die „Drei-Ring“-Klagemarke DE... wegen Vorliegens absoluter Schutzhindernisse gemäß §§ 54 i.V.m 50 i.V.m. 3, 8 MarkenG gestellt (Anlage B 8). Mit Beschluss vom 29.12.2011 hat das DPMA die Löschung der Klagemarke angeordnet (Anlage B 27). Auf die Beschwerde der Klägerin hat das BPatG die Entscheidung des DPMA aufgehoben (Anlage K 52); das Urteil des BPatG ist rechtskräftig.

8

Die Klägerin hatte im August 1988 die damalige Fa. M...& K...GmbH & Co. wegen Rechtsverletzung nach Ausstattungsschutzrecht und UWG aufgrund der Ähnlichkeit des „S... P...“ mit der „Me...“-Serie abgemahnt (Anlage B 5). Die Abmahnung war gestützt auf Abbildungen des Füllers „S... P...“, die in der Zeitschrift B..., Ausgabe 6-7/88, erschienen waren (Anlage B 3, B 19). Anlass dieser Berichterstattung war die Einführung des „S... P...“ als Neuauflage des Füllers „S... Mel....“, den die Fa. M...& K...GmbH & Co. Anfang der 50er Jahre produziert hatte (Anlage B 4). Die Fa. M...& K...GmbH & Co hatte die Abgabe einer Unterwerfungserklärung unter Berufung auf den Formenschatz des Füllers „S... Mel...“ abgelehnt (Anlage B 6). Weitere rechtliche Schritte hatte die Klägerin nach dieser Ablehnung nicht vorgenommen.

9

Unter dem 9. Februar 2011 hat die Klägerin nun die Beklagte anwaltlich abgemahnt (K 25) und nachfolgend vor dem LG Hamburg (Az. 315 O 135/11) ein gegen den Vertrieb des „S... P...“ gerichtetes Eilverfahren betrieben. Auf Fristsetzung gem. § 926 ZPO hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

10

Die Klägerin hat geltend gemacht, die Beklagte sei - in dieser Reihenfolge - gem. § 4 Nr. 9 b UWG, § 14 Abs. 2, Abs. 3 MarkenG, § 4 Nr. 9a UWG und § 5 Abs. 2 UWG zur Unterlassung sowie Auskunft, Kostenerstattung und Schadensersatz verpflichtet, weil der von der Beklagten vertriebene Füller „S... P...“ eine unlautere Nachahmung sei und die Klagemarke DE... verletze. Die Me...-Schreibgeräte würden seit 1924 bzw. in ihrer heutigen Gestalt seit Ende der 40er/Anfang der 50er hergestellt und vertrieben (Anlage K1). Das „Me...“ werde weltweit vertrieben, wobei der deutsche Markt mit einem Umsatz, der sich in den letzten Jahren auf 10 Mio. Euro beziffern lasse, besonders bedeutend sei. Der Vertrieb erfolge über Boutiquen (18 in Deutschland) und Points-of-sale (ca. 400 in Deutschland). Die Beklagte habe ohne Notwendigkeit die charakteristischen Merkmale der „Me...“-Serie übernommen. Es genüge zur Annahme einer wettbewerblichen Eigenart, dass die Merkmale für den Verkehr nur auf einen bestimmten Hersteller hinwiesen. Die serielle Verwendung der kennzeichnenden Elemente der „Me...“-Schreibgeräte verstärke die wettbewerbliche Eigenart. Insofern komme bereits der Formgestaltung (Zigarrenform, Drei-Ring-Ornament) eine kennzeichnende Wirkung zu. Auf die Farbvarianten komme es insofern nicht an. Produkte der „Me...“-Serie würden ohne Logo und Wortmarke vom Verkehr erkannt. Die Beklagte täusche den Verkehr zudem auch über die Herkunft des „S... P...“. Es sei in diesem Zusammenhang ausreichend, dass dem Produkt der Klägerin eine hinreichende Bekanntheit zukomme. Eine darüber hinaus gehende Verkehrsgeltung sei hingegen nicht erforderlich. Die Marke verfüge zudem über eine hinreichende Unterscheidungskraft. Die Drei-Ring-Marke sei in dieser Ausgestaltung einzigartig und werde von der Klägerin vielfach verwendet, sodass sie vom Verkehr, insbesondere von den Händlern, als herkunftshinweisend wahrgenommen werde (Anlage K 35, K 39). Die Ansprüche der Klägerin seien nicht verwirkt. Die Auskunfts- und Schadensersatzansprüche stünden der Klägerin als Annexansprüche zu. Der Zahlungsanspruch ergebe sich aus der Abmahnung und berechne sich auf der Basis einer verminderten 0,65 Geschäftsgebühr bei einem Gegenstandswert von € 200.000,00 zzgl. Auslagenpauschale und Zinsanspruch aus §§ 288, 291 BGB.

11

Die Klägerin hat zunächst beantragt:

12

1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens € 250.000,00, Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre) zu unterlassen, Schreibgeräte gemäß der nachfolgenden Abbildung ein- und/oder auszuführen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder dafür zu werben bzw. ein- und/oder ausführen, anbieten, in den Verkehr bringen und/oder dafür werben zu lassen:

13

...
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft zu erteilen

14

a) über den Umfang des Vertriebs der in Ziffer 1. genannten Schreibgeräte, jeweils durch Bekanntgabe von Namen und Anschrift der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer, der gewerblichen Abnehmer sowie über die Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Schreibgeräte sowie der jeweiligen Einkaufs- und Verkaufspreise und der gewinnmindern in Abzug zu bringenden Kosten, jeweils durch Übergabe eines geordneten Verzeichnisses bzw. durch Vorlage entsprechender, geordneter Rechnungsunterlagen;

15

b) über den Umfang der Bewerbung der in Ziffer 1. genannten Schreibgeräte jeweils aufgeschlüsselt nach Werbemedium (Print/Katalogwerbung, Onlinewerbung). Die Auskunft hat auszuweisen, in welchem Zeitraum die Werbung bereit gehalten wurde und hat zudem die Auflagenhöhe der jeweiligen Werbung (Print-/Katalogwerbung) bzw. die Anzahl der Page Impressions (Onlinewerbung) zu umfassen. Die Auskunft hat in Form eines geordneten Verzeichnisses zu erfolgen.

16

3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 1.200,40 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

17

4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zur Erstattung sämtlichen Schadens verpflichtet ist, welcher der Klägerin wegen der unter Ziffer 1. genannten Handlungen entstanden ist oder noch entsteht.

18

Die Klägerin hat sodann im Hinblick auf den Vortrag der Beklagten, den Füllfederhalter S... P... bis heute in Deutschland herzustellen, unter Beibehaltung der Anträge zu 2. bis 4. ihren Klagantrag zu 1. wie folgt modifiziert:

19

1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens € 250.000,00, Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre)
zu unterlassen,
Schreibgeräte gemäß der nachfolgenden Abbildung herzustellen, auszuführen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder dafür zu werben bzw. herstellen, ausführen, anbieten, in den Verkehr bringen oder bewerben zu lassen:

20

[es folgt obige Abbildung des Schreibgeräts]

21

Die Beklagte hat beantragt,

22

die Klage abzuweisen.

23

Die Beklagte hat gemeint, die Klage sei bereits unzulässig, da sie aufgrund ihres Charakters als alternative Klagehäufung nicht hinreichend bestimmt i.S.d. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO sei. Der Klageantrag sei auch im Hinblick auf die Abbildung des „S... P...“ unbestimmt. Diese lasse den Kern der Beanstandung der Klägerin nicht erkennen und entspreche insofern nicht dem Klageantrag, der primär auf lauterkeitsrechtliche Gesichtspunkte gestützt werde. Die Klage sei auch unbegründet. Weder lauterkeits- noch markenrechtliche Ansprüche seien gegeben. Das Produkt der Klägerin sei nicht wettbewerblich eigenartig, denn seine Form- und Farbgestaltung sei im Marktsegment der Luxusfüllfederhalter üblich (Anlagen B 1 und B 2, B 7, B 18). Aufgrund der deutlichen Gestaltungsunterschiede werde weder über die Herkunft des Produkts der Beklagten getäuscht noch die Wertschätzung des „Me... ...“ ausgenutzt oder beeinträchtigt.Das Produkt weise bereits aufgrund der Angabe der Wortmarke „S... P...“ auf dem Kappenring und des „S“-Logos auf dem Clip eindeutig auf das Unternehmen der Beklagten hin. Ein markenrechtlicher Anspruch aus § 14 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 5 MarkenG scheitere schon daran, dass die Klagemarke wegen Verstoßes gegen § 8 MarkenG, jedenfalls aber mangels rechtserhaltender Benutzung löschungsreif sei. Die Beklagte habe die angegriffene Zeichengestaltung nicht markenmäßig benutzt. Jedenfalls bestehe keine Verwechslungsgefahr. Allein die Wortmarke „M...“, die bei den streitgegenständlichen wie auch bei den meisten anderen Modellen im Ringbeschlag am Kappenende angebracht sei, werde vom Verkehr als herkunftshinweisend empfunden. Darüber hinaus wiesen das „Me...“ und der „S... P...“ Unterschiede auf. So sei am Kappenende des „P...“ gerade kein dreifacher Ring, sondern ein einheitlicher Ring angebracht, der aus drei „verschmolzenen“ Segmenten (zwei polierten Teilen außen, einem abgesenkten matten Teil mit Schriftzug und Gravurfläche in der Mitte) bestehe. Es fehle insofern an dem für die Drei-Ring-Marke (DE...) charakteristischen Hell-Dunkel-Kontrast zwischen den Ringen und den Freiräumen. Der Clip des Produkts der Beklagten sei in der Breite neutralisiert und trage auf der Flachseite ein „S“-Logo. Die Ansprüche der Klägerin seien jedenfalls verwirkt bzw. ihre Geltendmachung rechtsmissbräuchlich. Insofern ergebe sich aus dem Abmahnungsschriftwechsel im August-September 1988 (Anlagen B 5 und 6), dass die Klägerin bereits vor mehr als 20 Jahren Kenntnis von dem Produkt „S... P...“ gehabt habe. Das Vorgängermodell „Mel... S...“ (Anlage B 4) werde sogar bereits seit Anfang der 50er Jahre hergestellt und vertrieben. Mangels Rechtsverletzung stünden der Klägerin auch die geltend gemachten Annex- und Sekundäransprüche nicht zu. Der widerklagend geltend gemachte Löschungsanspruch gegen die Klagemarke DE... (Drei-Ring-Marke) sei wegen Verfalls begründet. Aus Sicht des Verkehrs stelle sich die von der Klägerin verwandte Applikation eher als dekoratives Element dar; jedenfalls verändere diese Benutzung den kennzeichnenden Charakter der angegriffenen Marke.

24

Die Beklagte hat widerklagend beantragt,

25

die Klägerin zu verurteilen, in die Löschung der Deutschen Marke Nr. ... gegenüber dem Deutschen Patent- und Markenamt einzuwilligen.

26

Nachdem die Klägerin die Teillöschung der Marke DE ... im Hinblick auf die Warenkategorien „Etuis und Geschenkpackungen für Schreibgeräte, Nachfüllpatronen, Schreibpapier, Tagebücher, Schreibtischgarnituren, Clips und Federspitzen“ erklärt hat (Anlage K 35, K 50), hat die Beklagte ihre Widerklage insofern

27

für erledigt erklärt.

28

Die Klägerin hat beantragt,

29

die Widerklage abzuweisen.

30

Die von der Klägerin genutzte Form des dreifachen Rings sei von der eingetragenen Drei-Ring-Marke umfasst. Insbesondere umfasse die schwarz-weiß-Eintragung einer Marke alle farblichen Benutzungsformen. Das Hinzufügen der Wortbestandteile „M... Me...“ führe nicht zu einer Veränderung des Gesamteindrucks der Marke. Er werde vom Verkehr nicht wahrgenommen, da er farblich eingepasst sei und aus bereits geringer Distanz nicht erkennbar sei. Allein im Jahr 2007 sei für Füllfederhalter ein Umsatz von ca. 5.000.000,00 EUR erzielt worden.

31

Mit Urteil vom 3. Februar 2012 hat das Landgericht die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf das Urteil verwiesen.

32

Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin. Sie wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag.

33

Das „Me...“ sei überragend bekannt (Anlagen K 54 bis K 59, K 60 bis K 64, K 65 bis K 70); die Bekanntheit eines Produkts erhöhe anerkanntermaßen im ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz den Schutzumfang. Eine Verwirkung komme schon deshalb nicht in Betracht, weil nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs jede neue Verletzungshandlung einen neuen Unterlassungsanspruch entstehen lasse. Im Hinblick auf die von der Klägerin zwischenzeitlich erwirkte dreidimensionale Markeneintragung DE... werde die Klage hilfsweise auch auf diese Marke gestützt, wobei bei der Antragsfassung das Prioritätsdatum berücksichtigt sei. Die Klägerin stelle die von ihr geltend gemachten Klagegründe in der Berufung in folgendes Rangverhältnis: Hinsichtlich der Hauptanträge werde vorrangig Ausnutzung der Wertschätzung gem. § 4 Nr. 9b) UWG sowie hilfsweise - in der nachstehenden Reihenfolge - vermeidbare Herkunftstäuschung gem. § 4 Nr. 9a) UWG, Irreführung gem. § 5 Abs. 2 UWG (Verwechslungsgefahr mit anderer Ware), Täuschung durch Werbung gem. § 3 Abs. 3 UWG i.V.m. Ziff. 13 Anhang, Verletzung der Drei-Ring-Marke gem. § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG sowie Irreführung gem. § 5 Abs. 2 UWG (Verwechslungsgefahr mit der Marke) geltend gemacht. Der Hilfsantrag werde 1. auf § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG und 2. auf § 5 Abs. 2 UWG gestützt. Die Klägerin meint weiter, der Löschungsanspruch der Beklagten bestehe nicht. Ausschlaggebend für die rechtserhaltende Nutzung einer Marke sei lediglich die Beibehaltung eines Kontrastverhältnisses, nicht jedoch der exakten Hell-Dunkel-Charakteristik. Eine Benutzung sei bei schwarz-weißen Marken auch bei einer Kontrastumkehr möglich. Jedenfalls sei diese Gestaltung aufgrund der jahrelangen konsistenten Benutzung bekannt.

34

Die Klägerin beantragt,

35

das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 27. Januar 2012 (Az.: 406 HKO 96/11) abzuändern und auf die Klage

36

1. die Beklagte zu verurteilen, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens € 250.000,00, Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre)
zu unterlassen,
Schreibgeräte gemäß der nachfolgenden Abbildung herzustellen, auszuführen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder dafür zu werben bzw. herstellen oder ausführen, anbieten, in den Verkehr bringen oder bewerben zu lassen:

37

...
2. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Auskunft zu erteilen

38

a) über den Umfang des Vertriebs der in Ziffer 1. genannten Schreibgeräte, jeweils durch Bekanntgabe von Namen und Anschrift der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer, der gewerblichen Abnehmer sowie über die Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Schreibgeräte sowie der jeweiligen Einkaufs- und Verkaufspreise und der gewinnmindern in Abzug zu bringenden Kosten, jeweils durch Übergabe eines geordneten Verzeichnisses bzw. durch Vorlage entsprechender, geordneter Rechnungsunterlagen;

39

b) über den Umfang der Bewerbung der in Ziffer 1. genannten Schreibgeräte jeweils aufgeschlüsselt nach Werbemedium (Print/Katalogwerbung/ Onlinewerbung). Die Auskunft hat auszuweisen, in welchem Zeitraum die Werbung bereitgehalten wurde und hat zudem die Auflagenhöhe der jeweiligen Werbung (Print/Katalogwerbung) bzw. die Anzahl der Page Impressions (Onlinewerbung) zu umfassen. Die Auskunft hat in Form eines geordneten Verzeichnisses zu erfolgen;

40

3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin EUR 1.200,40 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

41

4. festzustellen, dass die Beklagte zur Erstattung sämtlichen Schadens verpflichtet ist, welcher der Klägerin wegen der unter Ziffer 1. genannten Handlungen entstanden ist oder noch entsteht;

42

hilfsweise zu 1. die Beklagte zu verurteilen, es ab dem 21.9.2012 bei Vermeidung der gesetzlich vorgesehenen Ordnungsmittel zu unterlassen, Schreibgeräte gemäß der nachfolgenden Abbildung herzustellen, auszuführen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen und/oder dafür zu werben bzw. ausführen, anbieten, in den Verkehr bringen und/oder bewerben zu lassen:

43

[es folgt obige Abbildung des Schreibgeräts]

44

hilfsweise zu 2.: die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab dem 21.9.2012 Auskunft zu erteilen

45

a) über den Umfang des Vertriebs der in Ziffer 1. genannten Schreibgeräte, jeweils durch Bekanntgabe von Namen und Anschrift der gewerblichen Abnehmer sowie über die Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Schreibgeräte sowie der jeweiligen Einkaufs- und Verkaufspreise und der gewinnmindernd in Abzug zu bringenden Kosten, jeweils durch Übergabe eines geordneten Verzeichnisses bzw. durch Vorlage entsprechender, geordneter Rechnungsunterlagen ;

46

b) [entspricht oben 2.b];

47

hilfsweise zu 4. festzustellen, dass die Beklagte ab dem 21.9.2012 zur Erstattung sämtlichen Schadens verpflichtet ist, welcher der Klägerin wegen der unter Ziffer 4. genannten Handlungen entstanden ist oder noch entsteht.

48

Die Klägerin beantragt ferner,

49

die Widerklage abzuweisen.

50

Die Beklagte beantragt,

51

die Berufung der Klägerin kostenpflichtig zurückzuweisen

52

hilfsweise für den Fall, dass der Senat den Bestand der deutschen Marke Nr. ... als entscheidungserheblich ansehen sollte,

53

das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Bestand der deutschen Marke Nr. ... auszusetzen,

54

hilfsweise für den Fall, dass der Senat die Ansprüche der Klägerin nicht als verwirkt ansehen sollte,

55

den Rechtsstreit zur Prüfung dieser Ansprüche an das Landgericht zurückzuverweisen.

56

Die Beklagte macht ergänzend geltend: Die Klägerin habe die rechtserhaltende Benutzung ihrer Klagemarke nicht hinreichend dargelegt. Der Annahme einer rechtserhaltenden Benutzung stehe die Umkehr des Hell-Dunkel-Verhältnisses als Veränderung des kennzeichnenden Charakters des Markenzeichens i.S.d. § 26 MarkenG entgegen. Denn aus drei hellen Streifen auf schwarzem Grund würden bei Umkehrung des Hell-Dunkel-Verhältnisses zwei helle Ringe (die bisherigen zwei Zwischenringe) übrig; so werde aus einem Drei-Ringe-Zeichen ein Zwei-Ringe-Zeichen. Auch darüber hinaus weiche die Verwendung der Klagemarke von der Markeneintragung ab. Die Abweichungen seien aufgrund der schwachen Kennzeichnungskraft der Marke erheblich. Da unmarkierte 3-D-Marken typischerweise mit mehreren Marken zusammen verwendet würden, setze eine rechtserhaltende Benutzung voraus, dass innerhalb der Gesamtbezeichnung die dreidimensionale Form als selbständige Marke erkannt werde. Dies sei vorliegend bezogen auf die drei Ringe aufgrund der Verwendung des M...-Logos auf der Kappe sowie das Wortzeichen „M...“ nicht der Fall. Die Hilfsanträge seien verspätet, denn die Marke sei bereits seit dem 13.11.2012, also seit über einem Jahr, eingetragen. Die Hilfsanträge seien auch in der Sache unbegründet. Füllfederhaltergestaltungen der vorliegenden Art seien am Markt gang und gäbe, es fehle auch an Rufausbeutung oder Herkunftstäuschung. Aufgrund dieses älteren Formenschatzes sei auch der Schutzbereich der neuen 3-D-Marke der Klägerin extrem limitiert. Diese generiere ihren Schutz im Wesentlichen aus der auf dem Mittelring befindlichen Gravur „M...-Me...“, denn im Übrigen erschöpfe sich die Marke in der Form der beanspruchten Ware. Es bestehe keine Verwechslungsgefahr. Soweit die Klägerin weiter zur angeblichen Bekanntheit des Me... vortrage, sei dieser Vortrag verspätet, da er sich auf Umstände beziehe, die schon erstinstanzlich hätten geltend gemacht werden können. Jedenfalls aber könne diesen Unterlagen, die viele Jahre alt seien, keine aktuell bestehende Bekanntheit entnommen werden.

57

Ergänzend werden die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen in Bezug genommen.

B.

58

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Landgericht hat zu Recht sowohl die Klage abgewiesen (nachfolgend I.) als auch der Widerklage stattgegeben (nachfolgend II.).

I.

59

Die Klage ist zulässig (nachfolgend 1.), aber unbegründet, weil weder die mit dem Hauptantrag (nachfolgend 2.) noch die mit dem Hilfsantrag (nachfolgend 3.) geltend gemachten Unterlassungs- und Annexansprüche bestehen.

60

1. Die Klage ist zulässig, insbesondere sind Haupt- und Hilfs-Unterlassungsantrag und die jeweils auf sie zurückbezogenen Annexanträge hinreichend bestimmt i.S.d. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (nachfolgend a] und b]). Der auf die im Berufungsrechtszug eingeführte weitere Klagemarke DE ... gestützte Hilfsantrag ist als sachdienliche Klageerweiterung zulässig (nachfolgend c]).

61

a) Zunächst ist der Gegenstand der Beanstandung - der Füllfederhalter der Beklagten - hinreichend konkret bezeichnet. Eine bildliche Darstellung des beanstandeten Gegenstands im Antrag genügt den Bestimmtheitsanforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, wenn sich unter Heranziehung der Klagegründe eindeutig ergibt, in welchen Merkmalen des angegriffenen Erzeugnisses die Grundlage und der Anknüpfungspunkt des Wettbewerbsverstoßes und damit des Unterlassungsgebots liegen soll (BGH GRUR 2013, 1052 Rn. 12 - Einkaufswagen III; BGH GRUR 2002, 86, 88 - Laubhefter). Vorliegend ist mit der Bezugnahme auf die im Antrag abgebildete konkrete Verletzungsform und aufgrund der aus der Klagebegründung zu entnehmenden Spezifizierung des Beanstandungsgegenstands - Bilder des angegriffenen Füllfederhalters der Beklagten liegen als Anlage K 27 vor; das Original des Füllfederhalters ist im Berufungsrechtszug als Anlage K 75 zur Akte genommen worden - klargestellt, gegen welche Füllergestaltung sich die Klage richtet.

62

b) Hinsichtlich der von der Klägerin geltend gemachten Klagegründe handelt es sich - soweit sie eine Mehrheit von Streitgegenständen beinhalten - um eine zulässige eventuale Klagehäufung. Bezüglich der Streitgegenstandsbetrachtung hat der Bundesgerichtshof ausgesprochen, dass es sich bei der Geltendmachung verschiedener Schutzrechte, nicht aber bei den auf die Verletzung desselben Schutzrechts gestützten markenrechtlichen Anspruchsgrundlagen des § 14 Abs. 2 MarkenG, um jeweils eigenständige Streitgegenstände handelt (BGH GRUR 2012, 621 Rn. 32 - OSCAR). In einer Klage gemeinsam verfolgte markenrechtliche und wettbewerbsrechtliche Klagegründe stellen ebenfalls separate Streitgegenstände dar (BGH GRUR 2013, 397 Rn. 13 - Peek & Cloppenburg III; GRUR 2013, 285 Rn. 21 f. - Kinderwagen II). Der BGH hat weiter ausgesprochen, dass die gegen das Verbot einer konkreten Verletzungsform gerichteten Ansprüche gem. §§ 4 Nr. 9 a) und b), 5 Abs. 2 UWG einen einheitlichen Streitgegenstand darstellen (BGH GRUR 2013, 1052 Rn. 11 - Einkaufswagen III). Soweit es sich um einen einheitlichen Streitgegenstand handelt, ist die Bildung einer Reihenfolge von Anspruchsgrundlagen durch den Kläger unschädlich (vgl. BGH GRUR 2012, 621 Rn. 32 - OSCAR), wenngleich auch für die gerichtliche Prüfung nicht bindend (BGH GRUR 2014, 91 Rn. 16 - Treuepunkte-Aktion).

63

Die Klägerin hat erklärt, ihr mit dem Hauptantrag nebst Annexanträgen verfolgtes Klageziel auf die in folgender Reihenfolge hilfsweise gestaffelten Klagegründe stützen zu wollen: Erstrangig auf die Ausnutzung der Wertschätzung gem. § 4 Nr. 9b) UWG, nachrangig sodann auf vermeidbare Herkunftstäuschung gem. § 4 Nr. 9a) UWG, Irreführung gem. § 5 Abs. 2 UWG (Verwechslungsgefahr mit anderer Ware), Täuschung durch Werbung gem. § 3 Abs. 3 UWG i.V.m. Ziff. 13 Anhang, Verletzung der Drei-Ring-Marke gem. § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG sowie schließlich Irreführung gem. § 5 Abs. 2 UWG (Verwechslungsgefahr mit der Marke) geltend gemacht. Mit dieser Staffelung einerseits wettbewerbsrechtlicher und andererseits auf die Verletzung eines Schutzrechts gestützter markenrechtlicher Klagegründe hat die Klägerin die darin liegenden eigenständigen Streitgegenstände in zulässiger Weise hilfsweise geltend gemacht. Dies gilt auch für den Hilfsantrag nebst Annexanträgen, den die Klägerin ausdrücklich vorrangig auf § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG und hilfsweise auf § 5 Abs. 2 UWG stützt.

64

c) Der im Berufungsrechtszug erstmals gestellte, auf die weitere Klagemarke DE ... gestützte Hilfsantrag mit Unterlassungs- und Annexanträgen ist als sachdienliche Klageerweiterung gem. § 533 Nr. 1 2. Alt. ZPO zulässig. Der Senat erachtet es als für die umfassende Streitbeilegung zwischen den Parteien zweckdienlich, wenn auch über diesen Angriff im vorliegenden Verfahren mitentschieden wird. Der Angriff wird zudem gem. § 533 Nr. 2 ZPO auf Tatsachen gestützt, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zulegen hat. Die auf die Anmeldung vom 21.9.2012 am 13.11.2012 erlangte weitere Markeneintragung ist erst während des Berufungsverfahrens erfolgt und unterfällt daher nicht dem Novenausschluss der §§ 529, 531 Abs. 2 ZPO.

65

2. Die mit dem Hauptantrag verfolgten Unterlassungs- und Annexansprüche bestehen nicht.

66

a) Der Klägerin steht der mit dem Hauptantrag zu 1. verfolgte Unterlassungsanspruch nicht gem. §§ 4 Nr. 9a) oder b), 8 Abs. 1 UWG zu. Nach diesen Vorschriften kann ein Mitbewerber wegen wettbewerbswidriger Übernahme einer Gestaltungsform Unterlassung verlangen, wenn das Erzeugnis von wettbewerblicher Eigenart ist und in Gestalt der vermeidbaren Herkunftstäuschung bzw. der Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung besondere Umstände hinzutreten, die die Nachahmung unlauter erscheinen lassen (st. Rspr., siehe nur BGH GRUR 2007, 984, 985 - Gartenliege; BGH WRP 2007, 1076, 1078 - Handtaschen; BGH WRP 2007, 313, 317 - Stufenleitern; BGH GRUR 2006, 79, 80 - Jeans; BGH GRUR 2003, 332, 336 - Abschlussstück; BGH GRUR 2001, 443, 444 - Viennetta). Zwischen dem Grad der wettbewerblichen Eigenart, der Art und Weise und der Intensität der Übernahme sowie den besonderen wettbewerblichen Umständen besteht eine Wechselwirkung in dem Sinne, dass je größer die wettbewerbliche Eigenart und je höher der Grad der Übernahme ist, die Anforderungen an die besonderen Umstände desto geringer sind, die die Wettbewerbswidrigkeit begründen (BGH WRP 2007, 1076, 1078 - Handtaschen; BGH WRP 2007, 313, 317 - Stufenleitern; BGH GRUR 2006, 79, 80 - Jeans).

67

Zwar ist dem „Me...“ der Klägerin ein gewisses Maß an wettbewerblicher Eigenart zuzubilligen (nachfolgend aa]). Jedoch handelt es sich bei dem Füllfederhalter der Beklagten nicht um eine Nachahmung (nachfolgend bb]). Schließlich fehlt es sowohl an einer vermeidbaren Herkunftstäuschung (nachfolgend cc]) als auch einer Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung (nachfolgend dd]).

68

aa) Eine wettbewerbliche Eigenart kann dem „Me...“ nicht abgesprochen werden.

69

Unter wettbewerblicher Eigenart wird die Eignung eines Erzeugnisses verstanden, aufgrund seiner konkreten Gestaltung oder aufgrund bestimmter Merkmale für die angesprochenen Verkehrskreise auf die betriebliche Herkunft oder die Besonderheit des Erzeugnisses hinzuweisen (BGH WRP 2007, 1076, 1078 - Handtaschen; BGH GRUR 2006, 79, 80 - Jeans; BGH GRUR 2003, 332, 336 - Abschlussstück). Die wettbewerbliche Eigenart kann sich aus ästhetischen Merkmalen ergeben (BGH GRUR 1984, 453 - Hemdblusenkleid), aber auch aus technischen Merkmalen, soweit sie nicht eine gemeinfreie technische Lösung verwirklichen bzw. technisch notwendige Gestaltungselemente sind (BGH GRUR 2012, 58 Rn. 43 - Seilzirkus; GRUR 2009, 1073 Rn. 10 - Ausbeinmesser; Köhler/Bornkamm § 4 Rn. 9.27 f.). Für den wettbewerbsrechtlichen Schutz kommen danach alle diejenigen Erzeugnisse in Betracht, bei denen der Verkehr Wert auf ihre betriebliche Herkunft legt und gewohnt ist, aus bestimmten Merkmalen auf die betriebliche Herkunft zu schließen (BGH GRUR 2001, 251, 253 - Messerkennzeichnung). Für das Vorliegen der wettbewerblichen Eigenart ist eine Bekanntheit des betreffenden Erzeugnisses zwar nicht Voraussetzung, jedoch kann der Grad der wettbewerblichen Eigenart, der für die Beurteilung der wettbewerbsrechtlichen Unlauterkeit des Vertriebs von Nachahmungen bedeutsam ist, durch seine tatsächliche Bekanntheit im Verkehr verstärkt werden (BGH GRUR 2007, 984, 986 - Gartenliege).

70

Das „Me...“ ist geeignet, durch seine Gestaltung den angesprochenen Verkehrskreis auf die betriebliche Herkunft des Schreibgeräts oder aber seine Besonderheit hinzuweisen.

71

Die Klägerin hat vorgetragen, die Kombination der Gestaltungselemente der Zigarrenform, der schwarz-goldenen, hochglänzenden Farb- und Materialkombination, des ringförmig in eine Nut eingefassten Clips, der Kolbenfüllmechanik mit Sichtfenster, des Ringdesigns am Kappenende sowie der Farbkombination der Feder sei für die Me...-Serie charakteristisch. Die Klägerin hat weiter eine Bekanntheit ihres „Me... ...“ geltend gemacht und auf zahlreiche Presse- und Werbeveröffentlichungen sowie darauf verwiesen, dass das „Me...“ in die Sammlung des Museum of Modern Art (MoMA) New York aufgenommen worden sei.

72

Die von der Klägerin vorgelegten Veröffentlichungen bieten eine hinreichende Grundlage für die Annahme, dass das Me... dem Verkehr als Repräsentant einer „gehobenen Schreibkultur“ geläufig ist. Anknüpfungspunkt ist hierbei die Gesamtheit der von der Klägerin vorgetragenen Gestaltungselemente, die - über die diesbezügliche Aufzählung der Klägerin hinausgehend - durch folgende weitere Merkmale mitbestimmt wird: Auf dem breiten Ring am unteren Kappenende sind stets die Gravuren „M...“ und „Me...“ sowie auf der Kappenspitze das bekannte M...-Signet angebracht. Hierbei ist aber zu beachten, dass die einzelnen Gestaltungsmerkmale der Zigarrenform, schwarz-golden-hochglänzenden Farb- und Materialkombination, des Clips und der Farbkombination der Feder gängige Gestaltungsmittel am Markt für Schreibgeräte sind und es auch im Zeitpunkt der Markteinführung des „S... P...“ bereits waren, wie die Betrachtung der Anlagen B 1, 2, 7 und 18 verdeutlicht, weshalb diese Merkmale für sich betrachtet als herkunftshinweisend nicht in Betracht kommen. Gleiches gilt für den Kolbenfüllmechanismus als technisches Merkmal, das bei Füllern eine gemeinfreie technische Lösung verwirklicht.

73

Es ist aber mit der Klägerin anzunehmen, dass das „Me...“ aufgrund seiner Bekanntheit im Markt eine Sonderstellung einnimmt, die im vorliegenden Kontext die Annahme wettbewerblicher Eigenart aufgrund der Gesamtheit der genannten Gestaltungsmittel rechtfertigt, weil der Verkehr dieser Gestaltungsform Hinweise auf die Besonderheit des Erzeugnisses entnimmt. Angesichts dieser Bekanntheit kann nicht festgestellt werden, dass die Eigenart der Gestaltung durch die Vielzahl ähnlicher Produkte derart geschwächt wurde, dass die Gestaltungselemente nicht mehr dazu geeignet wären, den Verkehr auf die Herkunft des Erzeugnisses hinzuweisen (vgl. BGH, Urteil v. 6.11.1997 - I ZR 102/95, GRUR 1998, 477, 479 - Trachtenjanker; Köhler in: Köhler/Bornkamm, § 4 UWG Rn. 9.26).

74

Hingegen kann eine wettbewerbliche Eigenart der Me...-Serie insgesamt nicht angenommen werden. Bei Betrachtung der Vielzahl an Sondereditionen, die Teil der Me...-Serie sind (Anlagen K 3 bis K 13), wird deutlich, dass es sich jeweils um ganz unterschiedliche Gesamtheiten von Gestaltungsmitteln handelt. Die Klägerin bringt Schreibgeräte der Me...-Serie in einer Vielzahl anderer Farben auf den Markt, so z.B. in platinfarben (Anlage K 3 Bl. 1), rosé-goldfarben (Anlage K 3 Bl. 1), silberfarben (Anlage K 3 Bl. 1), bordeauxfarben (Anlage K 5) oder weiß (Anlage K 7). Zudem weist die „Me...“-Serie auch gestreifte (Anlage K 3 Bl. 3) oder steinbesetzte (Anlage K 4 Bl. 4) Modelle sowie Modelle aus Granit (Anlage K 9 Bl. 2) und Lapislazuli (Anlage K 10) auf.

75

bb) Die Beklagte hat allerdings ihren Füller nicht dem „Me...“ der Klägerin nachgeahmt.

76

Das Tatbestandsmerkmal der Nachahmung setzt voraus, dass das Produkt des Anspruchsstellers als Vorbild für das Produkt des Anspruchsgegners gedient hat (Köhler in: Köhler/Bornkamm, § 4 UWG Rn. 9.34). Unter Nachahmung im Sinne des § 4 Nr. 9 UWG wird in Anlehnung an die zu § 1 UWG a.F. ergangene Rechtsprechung je nach dem Grad der Übereinstimmung mit dem Original die unmittelbare Leistungsübernahme, die fast identische Leistungsübernahme sowie die nachschaffende Leistungsübernahme verstanden (Köhler/Bornkamm § 4 Rz. 9.34ff). Jedenfalls aber müssen diejenigen Gestaltungsmerkmale übernommen sein, die die wettbewerbliche Eigenart des Originals ausmachen (Köhler/Bornkamm § 4 Rn. 9.34).

77

Die Annahme einer Nachahmung scheidet aus, weil sich der „S... P...“ in der Gesamtheit seiner Gestaltungsmerkmale deutlich von denjenigen Gestaltungsmerkmalen unterscheidet, die in ihrer Gesamtheit die wettbewerbliche Eigenart des „Me... ...“ ausmachen. Auf eine Übereinstimmung in den - wie bereits ausgeführt - seinerzeit für Füllfederhalter gängigen Gestaltungsmerkmalen der Zigarrenform, der schwarz-golden-hochglänzenden Farb- und Materialkombination, der Existenz eines Clips und der Farbkombination der Feder kann in diesem Zusammenhang nicht maßgeblich abgestellt werden. Der Füllfederhalter der Beklagten unterscheidet sich in der Gestaltung deutlich vom „Me...“ der Klägerin. Der „S... P...“ weist einen anders gestalteten Clip auf, der zwar auch an einem Ring befestigt ist, der bündig mit der Kappe abschließt, jedoch das Signet „S“ sowie eine nach unten zeigende Pfeilspitze besitzt, an die eine eingravierte Nut anschließt. Demgegenüber ist der Clip des „Me... ...“ - abgesehen von einer mittig angebrachten, schmalen Erhebung auf seinem oberen Viertel - einheitlich ohne Verzierung ausgeführt. Das Kappenende des „S... P...“ ist dergestalt ausgeführt, dass ein einheitlich erscheinender goldener Ring wahrgenommen wird, der zwei blank polierte Randstreifen hat. Auf dem Mittelteil des goldenen Rings des „S... P...“ befindet sich die Aufschrift „S... P...“ und auf Höhe des Clips eine Art blankpoliertes „Fenster“ in Form eines Rechtecks mit abgerundeten Ecken, in das ein Monogramm eingraviert werden kann. Demgegenüber weist das „Me...“ einen breiteren mittleren Goldring mit der Gravur „M... Me...“ und - durch schwarze umlaufende Ringe oberhalb und unterhalb unterbrochen - zwei schmale goldene Ringe auf. Die Spitze der Kappe des „S... P...“ weist keinerlei Zeichen auf, anders als das „Me...“, das dort das M... Signet zeigt.

78

cc) Eine vermeidbare Täuschung der Abnehmer über die betriebliche Herkunft im Sinne des § 4 Nr. 9a) UWG ist nicht gegeben. Ein Anspruch nach dieser Vorschrift setzt voraus, dass die Gefahr der Herkunftstäuschung besteht und der Nachahmer zumutbare und geeignete Maßnahmen unterlässt, sie zu vermeiden; dies erfordert in aller Regel, dass das nachgeahmte Erzeugnis bei den maßgeblichen Verkehrskreisen eine gewisse Bekanntheit erlangt hat (BGH WRP 2007, 1076, 1078 - Handtaschen; GRUR 2006, 79, 80 - Jeans).

79

Eine von dem Produkt der Beklagten ausgehende Herkunftstäuschung ist nicht feststellbar. Denn der „S... P...“ weist zwei deutlich sichtbare Herkunftshinweise auf das Unternehmen der Beklagten auf. So befindet sich auf dem Clip ein stilisiertes „S“. Darüber hinaus weist der Füller auch den Schriftzug „S... P...“ auf dem goldenen Ring auf, der aufgrund des Kontrastes zwischen glänzender Schrift und mattem Hintergrund sowie des Umstands, dass er um die gesamte Kappe führt, leicht lesbar ist. Eine vermeidbare Herkunftstäuschung wäre angesichts dieser gut sichtbaren Kennzeichnung nur dann anzunehmen, wenn der Verkehr sich allein an der äußeren Gestaltung orientieren und diese allein deswegen einem bestimmten Hersteller zuordnen würde (vgl. BGH, Urteil v. 14.01.1999 - I ZR 203/96, GRUR 1999, 751, 753 - Güllepumpen; BGH, Urteil v. 19.10.2000 - I ZR 225/98, GRUR 2001, 443, 446 - Viennetta). Hiervon ist bei den streitgegenständlichen Produkten nicht auszugehen. Hochwertige Füller stellen typische Prestigeobjekte dar, deren subjektiver Wert über ihren eigentlichen Nutzen als Schreibgerät hinausgeht. Die Herkunft der Füller ist insofern von zentraler Bedeutung, da sie nicht nur als Garantin der Qualität des Schreibwerkzeugs, sondern auch als nach außen erkennbarer Hinweis auf ihre Hochwertigkeit aufgefasst wird. Der Verkehr ist deshalb gewohnt, auf Herkunftshinweise von Füllfederhaltern zu achten. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund eines gemeinsamen Vorrats an für Füllfederhalter gängigen Gestaltungsmerkmalen (Zigarrenform, schwarz-golden-hochglänzenden Farb- und Materialkombination, Existenz eines Clips, Farbkombination der Feder), deren Verwendung für sich allein noch nicht als herkunftshinweisend aufgefasst wird. Hinzu kommt, dass die Klägerin ihre Schreibgeräte der „Me...“-Linie sichtbar durch den bekannten „M...-Stern“ am Kappenende kennzeichnet. Diesem Element kommt neben dem Schriftzug „M...“ auf dem Ring die maßgebliche kennzeichnende Funktion zu. Der Verkehr wird deshalb einen Füllfederhalter, der nicht dieses Zeichen am oberen Kappenende und die beschriebenen Unterschiede in der Gestaltung des Clips und des goldenen Rings am unteren Kappenende aufweist, nicht mit dem Unternehmen der Klägerin in Verbindung bringen.

80

dd) Es liegt auch keine Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung gem. § 4 Nr. 9b) UWG vor. Eine Ausnutzung der Wertschätzung im Sinne dieser Vorschrift ist gegeben, wenn der Verkehr seine Vorstellung von der Güte oder Qualität („guter Ruf“, „Image“) auf die Nachahmung überträgt (BGH GRUR 2010, 1125 Rn. 42 - Femur-Teil; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 9.53). Beeinträchtigt wird die Wertschätzung im Sinne der Vorschrift, wenn durch den Vertrieb der Nachahmung der gute Ruf des Originals beschädigt wird; Ansatzpunkte können hier die Vorstellung von Qualität sein, die durch qualitative Mängel der Nachahmung leidet, oder die durch einen massenhaften Vertrieb der Nachahmung in Mitleidenschaft gezogene Exklusivitätserwartung (BGH WRP 2013, 1189 Rn. 46 - Regalsystem; BGH GRUR 1985, 876 - Tchibo/Rolex I; Köhler, in Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 9.59).

81

Vorliegend genießt zwar das „Me...“ eine solche Wertschätzung, weil der Verkehr dieses Produkt als hochwertig und prestigeträchtig empfindet. Es findet jedoch weder eine Übertragung dieses Rufs auf die Produkte der Beklagten noch eine Beeinträchtigung des Rufs statt. Voraussetzung für eine Rufausnutzung ist die erkennbare Bezugnahme auf den Hersteller des Originals oder seiner Produkte (BGH, Urteil v. 2.12.2004 - I ZR 30/02, GRUR 2005, 349, 353 - Klemmbausteine III; Köhler in: Köhler/Bornkamm, § 4 UWG Rn. 9.53). Das schlichte Erwecken von Assoziationen reicht hingegen nicht aus (BGH, Urteil v. 10.4.2003 - I ZR 276/00, GRUR 2003, 973, 975 - Tupperwareparty; BGH, Urteil v. 2.12.2004 - I ZR 30/02, GRUR 2005, 349, 353 - Klemmbausteine III; Köhler in: Köhler/Bornkamm, § 4 UWG Rn. 9.53). Eine Beeinträchtigung der Wertschätzung kommt nicht in Betracht, wenn der Verkehr nicht der Gefahr der Herkunftstäuschung unterliegt (BGHZ 138, 143, 151 - Les-PaulGitarren; Köhler, in: Köhler/Bornkamm, § 4 Rn. 9.59).

82

Die Beklagte hat bei der Gestaltung ihres Produkts Elemente der klassischen Form- und Farbgestaltung von Schreibgeräten aufgegriffen. Ein über bloße Assoziationen hinausgehender Bezug zum konkreten Produkt der Klägerin wird dadurch jedoch nicht hergestellt. Es kommt auch nicht zur Rufbeeinträchtigung, weil aufgrund der deutlichen Unterschiede in der Gestaltung (dazu vorstehend bb]) der Verkehr hinsichtlich des Produkts der Beklagten nicht der Gefahr der Herkunftstäuschung unterliegt.

83

b) Ein Verstoß gegen § 3 Abs. 3 UWG i.V.m. Ziff. 13 des Anhangs ist ebenfalls nicht gegeben. Nach diesen Vorschriften ist gegenüber Verbrauchern unzulässig die Werbung für eine Ware, die der Ware eines Mitbewerbers ähnlich ist, wenn dies in der Absicht geschieht, über die betriebliche Herkunft der beworbenen Ware zu täuschen. Hier gilt das unter a) cc) und dd) Gesagte entsprechend: eine Herkunftstäuschung ist nicht gegeben.

84

c) Ein Unterlassungsanspruch der Klägerin wegen Verwechslungsgefahr aus § 14 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 5 MarkenG auf der Basis der Marke DE... (Anlage K 21) besteht nicht. Zwar ist von der Rechtmäßigkeit der Markeneintragung auszugehen (nachfolgend aa]). Jedoch ist die Marke zum einen löschungsreif (nachfolgend bb]); zum anderen fehlt es auch an einer markenmäßigen Benutzung durch die Beklagte (nachfolgend cc]), jedenfalls aber an einer Verwechslungsgefahr (nachfolgend dd]).

85

aa) Nach der rechtskräftigen Abweisung des Löschungsantrags u.a. der Beklagten (Anlage K 52) ist von der Rechtmäßigkeit der Markeneintragung unter den Aspekten der §§ 3, 8 Abs. 1 MarkenG auszugehen.

86

bb) Die Marke ist aber auf die von der Beklagten erhobene Einrede rechtserhaltender Benutzung gem. §§ 25 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, 26 MarkenG als löschungsreif zu beurteilen. Nach diesen Vorschriften muss die Marke nach Ablauf der Benutzungsschonfrist im Falle der Geltendmachung von Verletzungsansprüchen für die Waren, für die sie eingetragen ist, innerhalb von fünf Jahren vor Klageerhebung im Inland ernsthaft benutzt worden sein. Eine rechtserhaltende Benutzung setzt voraus, dass die Marke entsprechend dem markenrechtlichen Hauptzweck herkunftshinweisend benutzt worden ist (EuGH GRUR 2003, 425 Rn. 36 - Ansul; BGH GRUR 2009, 60 Rn. 22 - LOTTOCARD; Ingerl/Rohnke § 26 Rn. 24 f.). Die von der Klägerin dargelegten, in den relevanten Zeitraum fallenden Benutzungsformen (1) sind nicht rechtserhaltend, weil sie von der Markeneintragung abweichen und deren kennzeichnenden Charakter verändern (2).

87

(1) Die Klagemarke (Anlage K 21) ist eine am 22.4.1997 eingetragene dreidimensionale Marke, deren Schutz sich nach Teillöschungserklärung der Klägerin (Anlagen K 35, K 50) noch auf folgende Waren der Klasse 16 erstreckt: „Schreibgeräte, insbesondere Füller, Rollerballschreiber, Kugelschreiber, Druckbleistifte; Tinten, Papierbeschwerer, Halter und Ablagen für Füller und Schreibgeräte und Teile dieser Waren, Zubehör, nämlich Kappen“. Mithin unterliegt die Marke seit dem 23.4.2002 dem Benutzungszwang. Die vorliegende, am 20.6.2011 eingereichte Klage ist den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 27.6.2011 zugestellt worden. Bei der Fristberechnung nach § 25 Abs. 2 S. 1 MarkenG findet § 167 ZPO keine Anwendung, ist also nicht der Einreichungszeitpunkt bei alsbaldiger Zustellung, sondern allein der Zustellungszeitpunkt maßgeblich (Ingerl/Rohnke § 25 Rn. 12).

88

(a) Die Klägerin hat zum Nachweis der Zeichenbenutzung Kopien aus ihrem Produktkatalog „M... ...2010/2011“ (Anlagen K 2, K 3, K 7), Kopien aus dem im Zeitpunkt der Klageeinreichung aktuellen Katalog „...“ (Anlage K 4), Kopien aus dem Produktkatalog „M... ...2006/2007“ (Anlagen K 5, K 6), Kopien aus dem Produktkatalog 2009/2010 (Anlage K 8), Kopien eines Prospekts über die anlässlich des 100jährigen Geburtstags der Klägerin im Jahr 2006 erschienene Sonderserie „...“ (Anlage K 9), Kopien eines undatierten Prospekts „...“ (Anlage K 10), Kopien eines Prospekts über die im Jahr 2004 mit UNICEF gestartete Initiative (Anlage K 11), Kopien einer jüngeren Broschüre der Klägerin (Anlage K 12), Abdrucke von Screenshots der Homepage der Klägerin vom 20. und 25.3.2011 (Anlage K 13), Kopien des Produktkatalogs „M... ...2009/2010“ (Anlage K 22), Kopien des undatierten Prospekts „Corporate Gift Best Seller“ (Anlage K 37), Kopien von Screenshots verschiedener Homepages vom 29.11.2011 (Anlagen K 38 bis K 47) sowie Kopien eines Lufthansa World Shop Katalogs mit dem Gültigkeitszeitraum 1.9.2011 bis 29.2.2012 (Anlage K 48) vorgelegt.

89

(b) Im Hinblick auf den nach § 25 Abs. 2 S. 1 MarkenG maßgeblichen Benutzungszeitraum von fünf Jahren vor der Klageerhebung - vorliegend also vom 27.6 2011 zurückgerechnet - kommen Benutzungshandlungen, die nach diesem Datum liegen, als rechtserhaltende Nutzung nicht in Betracht; dies betrifft die vorgenannten Anlagen K 38 bis K 47 und K 48. Benutzungshandlungen, deren Erfolgen mangels entsprechenden Vortrags der Klägerin zeitlich nicht eingeordnet werden kann, können eine rechtserhaltende Benutzung im maßgeblichen Zeitraum ebenfalls nicht belegen; dies betrifft die Anlagen K 10, K 11, K 12 und K 37.Die in den Kopien des Produktkatalogs „M... ...2009/2010“ (Anlage K 22) gezeigten Halsketten, Geldschein- und Krawattenklammern liegen außerhalb des geschützten Warenbereichs der Klagemarke und sind daher keine für deren Rechtserhaltung geeignete Benutzungsformen.

90

(2) Die von der Klägerin dargelegten und nach dem Vorstehenden in den relevanten Zeitraum und Warenbereich fallenden Benutzungsformen stellen aber keine rechtserhaltende Benutzung der Klagemarke dar, weil sie von der Markeneintragung abweichen und den kennzeichnenden Charakter der Marke verändern.

91

Nach § 26 Abs. 3 S. 1 MarkenG gilt als Benutzung auch die Benutzung in einer von der Eintragung abweichenden Form, soweit die Abweichungen den kennzeichnenden Charakter der Marke nicht verändern. Beurteilungskriterium für die Feststellung, ob die abweichende Benutzung den Anforderungen des § 26 Abs. 3 Satz 1 genügt, ist der kennzeichnende Charakter der eingetragenen Marke am Maßstab der Verkehrsauffassung (Ingerl/Rohnke, § 26 MarkenG Rn. 135; Fezer, § 26 MarkenG Rn. 170). Dabei ist eine einzelfallorientierte Entscheidung zu treffen (vgl. BGH, Urteil v. 31.05.1974 - I ZR 28/73 GRUR 1975, 135, 137 - KIM-Mohr; Ingerl/Rohnke, § 26 MarkenG Rn. 136). Es ist zu prüfen, ob der Verkehr die verwendete Marke trotz Wahrnehmung ihrer Unterschiedlichkeit dem Gesamteindruck nach mit der eingetragenen Marke gleichsetzt (st. Rspr. seit BGH, Urteil v. 28. 8. 2003 - I ZR 293/00, GRUR 2003, 1047 - Kellogg‘s/Kelly‘s; vgl. Ingerl/Rohnke, § 26 MarkenG Rn. 138 m.w.N.; Fezer, § 26 MarkenG Rn. 177). Dabei ist an die Feststellung des Abweichungsausmaßes kein allzu strenger Maßstab anzulegen. Die Regelung des § 26 Abs. 3 Satz 1 MarkenG ist gerade Ausdruck des gesetzgeberischen Willens, dem Markeninhaber einen angemessen weiten Spielraum bei der Verwendung seiner eingetragenen Marke zu gewähren und mittelbar das Markenregister zu entlasten (Ingerl/Rohnke, § 26 MarkenG Rn. 125, 127). Im Falle der Hinzufügung von Bestandteilen liegt eine rechtserhaltende Benutzung dann vor, wenn der Verkehr die eingetragene und die benutzte Form als ein und dasselbe Zeichen ansieht und den hinzugefügten Bestandteilen keine eigene maßgebende kennzeichnende Wirkung beimisst (BGH, GRUR 1999, 167 - Karolus Magnus; GRUR 1999, 54 [55] - Holtkamp; GRUR 2000, 1038 [1039] - Kornkammer; GRUR 2013, 68 Rn. 14 - Castell/VIN CASTEL).

92

(a) Die von der Klägerin dargelegten Benutzungsformen weichen hinsichtlich der Ringproportionen von der Markeneintragung ab. Die Klagemarke DE ... zeigt drei schwarze Ringe, die am unteren Ende einer Halbellipse angebracht sind, und von denen der mittlere Ring etwas breiter ist als die beiden äußeren, wobei der trennende - in der Markeneintragung in weiß dargestellte - Bereich zwischen den Ringen deutlich schmaler gehalten ist als die beiden äußeren Ringe.

93

Diese Proportionen weisen die von der Klägerin dargelegten Benutzungsformen nicht auf. Aus den Produktkatalogen „M... ...“ der Jahre 2010/2011“ (Anlagen K 2, K 3, K 7), 2006/2007 (Anlagen K 5 und K 6) und 2009/2010 (Anlage K 8) lässt sich entnehmen, dass die Klägerin ihre darin gezeigten Schreibgeräte, soweit sie über eine Kappe verfügen, am unteren Kappenende mit drei Ringen dergestalt versehen hat, dass der mittlere Ring breit und etwas erhaben, d.h. im Profil leicht vorstehend, ausgeführt ist und die Aufschrift „M... Me...“ trägt. Teilweise sind die Ringe gold- oder silberfarben auf schwarzem Grund ausgeführt und ist der oberhalb und unterhalb des mittleren Rings schwarz ausgebildete Bereich deutlich breiter als die dann folgenden schmalen Außenringe (so etwa in der Anlage K 2 auf den Seiten 12, 15, 18, 25, und in den Anlagen K 8 und K 13); zum Teil sind die Ringe einheitlich aus metallischem Material ausgeführt und entspricht die Breite der schmalen Außenringe in etwa der Breite des Zwischenraums zwischen den Ringen oder ist etwas größer (so etwa in der Anlage K 3 auf den Seiten 67 bis 70 und in der Anlage K 9 auf den Seiten 140 f.). Nichts anderes ergibt sich bei Betrachtung der Kopien aus dem im Zeitpunkt der Klageeinreichung aktuellen Katalog „...“ (Anlage K 4), soweit hierin Schreibgeräte gezeigt sind.

94

(b) Die von der Klägerin vorgetragenen Verwendungsformen machen inversen Gebrauch von der Klagemarke, kehren also das Hell-Dunkel-Verhältnis um. Die Klagemarke weist drei dunkle Ringe auf hellem Untergrund auf, die durch zwei parallel verlaufende helle Linien gebildet werden. Hingegen hat die Klägerin ihre Schreibgeräte mit drei hellen - etwa in goldener oder silberner Farbe gehaltenen - Ringen auf dunklem Untergrund versehen oder - soweit die Ringe einheitlich metallisch gestaltet sind (so in der Anlage K 3 auf den Seiten 68 ff.) - jedenfalls den Bereich zwischen den Ringen dunkel schimmernd ausgeführt.

95

(c) In der Gesamtbetrachtung gelangt der Senat zu der Auffassung, dass die in den Benutzungsformen festzustellenden Abweichungen in ihrer Summe den kennzeichnenden Charakter der Klagemarke verändern. Denn sie sind so erheblich, dass der Verkehr die verwendete Marke dem Gesamteindruck nach nicht mehr mit der eingetragenen Marke gleichsetzt.

96

Hierbei stellt der Senat allerdings nicht auf den Umstand ab, dass die Benutzungsformen von der Marke nur in inverser Form, also unter Umkehrung des Hell-Dunkel-Verhältnisses, Gebrauch machen. Denn im vorliegenden Fall tangiert die Kontrastumkehr der schwarz-weißen Marke in ihr Negativ den kennzeichnenden Charakter der Klagemarke nicht (vgl. LG München I InstGE 4, 48, 57; Ingerl/Rohnke § 26 Rn. 157).

97

Maßgebliches Gewicht erlangen bei der Gesamtbetrachtung jedoch die Veränderungen der Ringproportionen sowie die Hinzufügung der herkunftshinweisenden Worte „M... Me...“. Das Hinzufügen einzelner, ihrerseits kennzeichnender Bestandteile ist grundsätzlich dazu geeignet, einer rechtserhaltenden Benutzung i.S.d. § 26 Abs. 3 Satz 1 MarkenG entgegenzustehen, wenn der Verkehr dem hinzugefügten Bestandteil eine eigene maßgebende kennzeichnende Wirkung beimisst (BGH, Urteil v. 18.12.2008 - I ZR 200/06, GRUR 2009, 772, Rn. 44 - Augsburger Puppenkiste; BGH, Beschluss v. 20.1.2005 - I ZB 31/03, GRUR 2005, 515 - FERROSIL). Die Ausnahme, die hiervon gemacht wird, wenn die Klagemarke bewusst „neutralisiert“, also als einfache Wiedergabe der Form, bar jeder weiteren Angabe, eingetragen wurde (Ingerl/Rohnke, § 26 MarkenG Rn. 172), ist hier nicht anwendbar. Diese Ausnahme greift vor allem in Fällen, in denen die Formmarke als Verpackungsform verwendet werden soll, denn in diesem Fall würde es dem Sinn und Zweck der Eintragungsmöglichkeit einer Formmarke widersprechen, wenn diese Form nicht durch weitere Kennzeichen ergänzt werden könnte (vgl. Hans. OLG, Urteil v. 3.3.2006 - 5 U 5/05, GRUR-RR 2006, 321, 322 - Prismenpackung). Im vorliegenden Fall handelt es sich jedoch nicht um eine „neutralisiert“ eingetragene 3-D-Marke in Verpackungsform, sondern gerade die Eintragung einer Form mit einem bestimmten Zeichen - dem 3-Ringe-Zeichen. Aus Sicht des Verkehrs tritt die Wortmarke „M...“, der ein hoher Bekanntheitsgrad zukommt, in den Vordergrund und drängt den eigenen kennzeichnenden Gehalt der Formmarke in den Hintergrund. Damit ist der kennzeichnende Charakter der Klagemarke verändert worden, und eine Abweichung i.S.d. § 26 Abs. 3 Satz 1 liegt vor. Dass die Gravur verhältnismäßig klein gehalten ist und auf größere Distanz kaum zu erkennen sein dürfte, steht dieser Annahme nicht entgegen. Denn aufgrund des im betroffenen Warenbereich der Schreibgeräte verbreiteten gemeinsamen Vorrats an Gestaltungsmitteln ist der Verkehr daran gewöhnt, Ausstattungsdetails mit einer gesteigerten Aufmerksamkeit zur Kenntnis zu nehmen.

98

cc) Es fehlt ferner an einer markenmäßigen Benutzung des angegriffenen Zeichens durch die Beklagte.

99

Eine Verletzungshandlung nach § 14 Abs. 2 MarkenG setzt voraus, dass die angegriffene Gestaltungsform markenmäßig verwendet wird. Sie muss im Rahmen des Absatzes des angegriffenen Produkts zumindest auch der Unterscheidung der Waren der Beklagten von denen anderer Unternehmen dienen (vgl. BGH, Urteil v. 30.4.2008 - I ZR 123/05, GRUR 2008, 793, 794 - Rillenkoffer; EuGH, Slg. 2002, I - 10273, GRUR 2003, 55, Rn. 51ff - Arsenal Football Club; BGH, Urteil v. 5.12.2002 - I ZR 91/00, GRUR 2003, 332 - Abschlussstück; BGH, Urteil v. 22.9.2005 - I ZR 188/02, GRUR 2005, 1044 - Dentale Abformmasse). Dieser Grundvoraussetzung der Unterlassungstatbestände des § 14 MarkenG liegt der Sinn und Zweck des Schutzes der Marke zugrunde, den Markeninhaber vor einer Beeinträchtigung der Gewährleistungs- und Herkunftsfunktion der Marke aufgrund einer Zeichenbenutzung durch Dritte zu schützen (BGH, Urteil v. 30.4.2008 - I ZR 123/05, GRUR 2008, 793, 794 - Rillenkoffer; EuGH, Slg. 2002, I - 10273, GRUR 2003, 55, Rn. 51ff - Arsenal Football Club; BGH, Urteil v. 7.10.2004 - I ZR 91/02, GRUR 2005, 427 - Lila-Schokolade). Insofern muss auch bei dem Schutz einer dreidimensionalen Marke die Beeinträchtigung der Herkunftsfunktion der Marke, nicht jedoch die Übernahme ästhetischer Gestaltungsmerkmale im Vordergrund stehen (BGH, Urteil v. 30.4.2008 - I ZR 123/05, GRUR 2008, 793, 794 - Rillenkoffer; EuGH, Slg. 2002, I - 5475, GRUR 2002, 804, Rn. 78 - Philips; BGH, Urteil v. 25.1.2007 - I ZR 22/04, GRUR 2007, 780 - Pralinenform). Bei der Beurteilung der Frage, ob einer Gestaltung herkunftshinweisende Funktion zukommt, ist in diesem Zusammenhang der Erfahrungssatz zu berücksichtigen, dass der Verkehr der Form einer Ware vorrangig eine funktionelle und ästhetische Bedeutung zumisst, weniger eine herkunftshinweisende Funktion (vgl. BGH GRUR 2007, 780, 783 - Pralinenform). Hierbei hat auch der Kennzeichnungsgrad der dreidimensionalen Marke, deren Schutz begehrt wird, Auswirkungen darauf, ob der Verkehr bei Betrachtung der (angegriffenen) Ware ihre Formgestaltung als Herkunftshinweis versteht (vgl. BGH GRUR 2008, 793 Rn. 18 - Rillenkoffer; GRUR 2007, 780 - Pralinenform I).

100

Die Kennzeichnungskraft der Klagemarke DE ... ist nur gering. Die Kennzeichnungskraft einer Marke ist produktbezogen zu ermitteln (BGH, Urteil v. 5.2.2009 - I ZR 167/06, GRUR 2009, 484 Rz. 83 - Metrobus; BGH, Urteil v. 29.4.2004 - I ZR 191/01, GRUR 2004, 779, 781 - Zwilling/Zweibrüder; Ingerl/Rohnke, § 14 MarkenG Rn. 521). Dabei ist auch bei dreidimensionalen Marken auf den Gesamteindruck der Marke abzustellen (BGH, Urteil v. 03.11.1999 - I ZR 136/97, GRUR 2000, 888, 889 - MagLite). Die Klagemarke zeigt drei schwarze Ringe, die am unteren Ende einer Halbellipse angebracht sind, und von denen der mittlere Ring etwas breiter ist als die beiden äußeren, wobei der trennende - in der Markeneintragung in weiß dargestellte - Bereich zwischen den Ringen deutlich schmaler gehalten ist als die beiden äußeren Ringe. Die Anbringung ringartiger Zeichen auf Schreibgeräten ist - wie dem von der Beklagten vorgelegten Material entnommen werden kann (s. Anlagen B 7 und B 18) - ein gängiges dekoratives Gestaltungselement, durch welches das so gestaltete Schreibgerät optisch unterbrochen und z.B. das Ende der Kappe markiert wird. Der Verkehr nimmt daher auch das Klagezeichen nicht als Herkunftshinweis, sondern als Verzierung wahr, weshalb vorliegend nur von einem aufgrund der Eintragung der Marke feststehenden Mindestmaß an Kennzeichnungskraft auszugehen ist. Eine Steigerung der Kennzeichnungskraft durch Benutzung kann nicht festgestellt werden, weil die von der Klägerin vorgetragenen Benutzungsformen den kennzeichnenden Charakter der Klagemarke - wie oben unter bb) dargelegt - verändern und eine etwaige Bekanntheit des von der Klägerin auf den Schreibgeräten ihrer „Me...“-Serie tatsächlich verwendeten Zeichens der Klagemarke daher nicht zugutekommt.

101

Vor diesem Hintergrund nimmt der Verkehr auch die angegriffene Verwendungsform nicht als herkunftshinweisend wahr. Das Kappenende des Füllfederhalters der Beklagten ist dergestalt ausgeführt, dass ein einheitlich erscheinender goldener Ring wahrgenommen wird, der zwei blank polierte Randstreifen hat. Auf dem Mittelteil des goldenen Rings des „S...s P...“ befindet sich die Aufschrift „S... P...“ und auf Höhe des Clips eine Art blankpoliertes „Fenster“ in Form eines Rechtecks mit abgerundeten Ecken, das Platz für eine Gravur bietet. Bei der Betrachtung springen die Wortbestandteile „S... P...“ ins Auge, die der Verkehr als herkunftshinweisend ansieht, wohingegen das umlaufende Ringzeichen als bloß ornamental wahrgenommen wird. Der Charakter der Ringe als Verzierung wird noch dadurch verstärkt, dass im Bereich des mittleren Rings ein „Gravur-Fenster“ vorgesehen ist, welches durch Einfügung etwa eines Monogramms die Personalisierung des Füllfederhalters gestattet.

102

dd) Es besteht keine Verwechslungsgefahr.

103

Die Verwechslungsgefahr ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, wobei eine Wechselwirkung zwischen den in Betracht zu ziehenden Faktoren besteht, insbesondere der Ähnlichkeit der Zeichen und der Ähnlichkeit der mit ihnen gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen sowie der Kennzeichnungskraft der älteren Marke, so dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Zeichen oder durch erhöhte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (EuGH GRUR 1998, 387, 389f., Tz. 22 f. - Sabél/Puma; GRUR 1998, 922, 923, Tz. 16 f. - Canon; BGH GRUR 2007, 780 Rn. 33 - Pralinenform I; BGH GRUR 2008, 258 Tz. 20 - INTERCONNECT/T-InterConnect; BGH GRUR 2009, 766, Tz. 26 - Stofffähnchen).

104

Die Klagemarke weist, wie bereits vorstehend unter cc) erörtert, lediglich eine unterdurchschnittliche Kennzeichnungskraft auf. Es besteht Warenidentität. Die Zeichen sind in ihrer bildlichen Erscheinung - dies ist die einzige Dimension, in der die Zeichen gegenübergestellt werden können - deutlich unterschiedlich. Hierbei ist vor allem auf den Umstand abzustellen, dass das angegriffene Zeichen gut sichtbar die Aufschrift „S... P...“ im mittleren Ring trägt, hingegen die Klagemarke keinerlei Aufschrift aufweist. Der Wortbestandteil prägt die angegriffene Gestaltung maßgeblich und lässt die Ringgestaltung als bloßen Träger der herkunftshinweisenden Aufschrift erscheinen. Der Verkehr erkennt zudem die angegriffene Gestaltung als einheitlichen Ring mit polierten Außenrändern und nicht als ein - wie die Klagemarke - aus drei Ringen bestehendes Zeichen. In der Gesamtbetrachtung kann aufgrund der deutlichen Zeichenunterschiede bei unterdurchschnittlicher Kennzeichnungskraft der Klagemarke und Warenidentität nicht von einer Verwechslungsgefahr ausgegangen werden.

105

d) Es besteht auch kein Unterlassungsanspruch gem. §§ 5 Abs. 2, 8 Abs. 1 UWG. Nach dieser Vorschrift ist eine geschäftliche Handlung irreführend, wenn sie im Zusammenhang mit der Vermarktung von Waren eine Verwechslungsgefahr mit einer anderen Ware oder mit der Marke eines Mitbewerbers hervorruft.

106

(1) Die Gefahr einer Verwechslung mit anderen Waren, § 5 Abs. 2, Alt. 1 UWG, besteht nicht. Die Anforderungen an die Verwechslungsgefahr im Tatbestand des § 5 Abs. 2 UWG entsprechen den Anforderungen an die Täuschung über die betriebliche Herkunft (§ 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 UWG) bzw. an die Herkunftstäuschung (§ 4 Nr. 9 a] UWG), mit der Besonderheit, dass § 5 Abs. 2 UWG nicht dem Schutz der Individualinteressen von Mitbewerbern, sondern dem Schutz der Marktgegenseite (Verbraucher und gewerbliche Abnehmer) dient (Bornkamm in: Köhler/Bornkamm, § 5 UWG Rn. 2.14). Insofern fehlt es aus denselben Gründen, die bereits gegen die Annahme einer Herkunftstäuschung sprachen (s.o. a] cc]), an einer Verwechslungsgefahr i.S.d. § 5 Abs. 2, 1. Alt. UWG. Aufgrund der Gestaltungsunterschiede besteht nicht die Gefahr, dass der Verkehr das Produkt der Beklagten für ein solches der Klägerin hält.

107

(2) Auch ein Verstoß gegen § 5 Abs. 2 2. Alt. UWG wegen der Herbeiführung einer Verwechslungsgefahr mit der Marke der Klägerin liegt nicht vor.

108

Das Verhältnis des § 5 Abs. 2 2. Alt. UWG zu markenrechtlichen Anspruchsgrundlagen (hierzu vgl. etwa Sosnitza in: Piper/Ohly/Sosnitza, § 5 UWG Rn. 699) bedarf vorliegend keiner näheren Betrachtung. Denn ein Anspruch nach dieser Vorschrift besteht jedenfalls mangels Verwechslungsgefahr nicht. Die von der Beklagten verwendete Ringgestaltung ist nicht dazu geeignet, vom Verkehr mit der Drei-Ring-Marke der Klägerin verwechselt zu werden und damit über die Herkunft des „S... P...“ zu täuschen. Im Rahmen des § 5 Abs. 2 2. Alt. UWG entsprechen die Anforderungen an die Verwechslungsgefahr denen an die Herkunftstäuschung (§ 4 Nr. 9 UWG) bzw. an die Täuschung über die betriebliche Herkunft (Sosnitza in: Piper/Ohly/Sosnitza, § 5 UWG Rn. 703). Auf die vorstehenden Ausführungen zu a) bis c) kann daher verwiesen werden.

109

e) Aus den vorstehend a) bis d) genannten Gründen stehen der Klägerin auch die mit dem Hauptantrag zu 2. bis 4. geltend gemachten Auskunfts-, Kostenerstattungs- und Schadensersatzansprüche nicht zu.

110

3. Die mit dem Hilfsantrag verfolgten Unterlassungs- und Annexansprüche bestehen ebenfalls nicht.

111

a) Ein Unterlassungsanspruch der Klägerin nach § 14 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 5 MarkenG besteht auch im Hinblick auf die hilfsweise eingeführte Klagemarke DE... (hierzu nachfolgend aa]) nicht. Zwar ist hier von einer markenmäßigen Benutzung durch die Beklagte auszugehen (nachfolgend bb]), es fehlt jedoch an einer Verwechslungsgefahr (nachfolgend cc]).

112

aa) Die am 21.9.2012 angemeldete und am 13.11.2012 eingetragene dreidimensionale Klagemarke DE ... zeigt ein Schreibgerät mit drei Ringen, wobei der Mittelring die Gravur „M...-ME...“ trägt; eine bestimmte Farbe wird nicht beansprucht. Die Klagemarke ist eingetragen für die Waren der Klasse 16 „Schreibgeräte, insbesondere Füllfederhalter, Tintenroller, Kugelschreiber, Textmarker, Stifte“.

113

bb) Unter dem Aspekt der weiteren Klagemarke hat die Beklagte die angegriffene Gestaltung markenmäßig verwendet. Hinsichtlich der rechtlichen Obersätze wird auf die Ausführungen oben 2.c) cc) verwiesen, die hier entsprechend gelten. Inwiefern der Kennzeichnungsgrad der Klagemarke als Formmarke Auswirkungen darauf hat, dass der Verkehr bei Betrachtung der (angegriffenen) Ware ihre Formgestaltung als Herkunftshinweis versteht (vgl. BGH GRUR 2008, 793 Rn. 18 - Rillenkoffer; GRUR 2007, 780 - Pralinenform I), kann hier dahinstehen. Denn jedenfalls im Hinblick auf den in der Darstellung der Klagemarke im mittleren Ring am unteren Kappenende vorgesehenen Wortbestandteil „M...-ME...“ versteht der Verkehr die Verwendung der angegriffenen Gestaltung der Beklagten, die am unteren Kappenende ebenfalls einen Ring mit einer Aufschrift - hier: „S... P...“ - aufweist, als Herkunftshinweis.

114

cc) Es besteht keine Verwechslungsgefahr. Hinsichtlich der rechtlichen Obersätze wird hier auf die Ausführungen oben 2.c) dd) verwiesen, die entsprechend gelten.

115

(1) Ihre Kennzeichnungskraft bezieht die Klagemarke maßgeblich aus dem in den mittleren Ring am Kappenende eingravierten Wortbestandteil „M...-ME...“. Anerkanntermaßen hängt die Kennzeichnungskraft einer dreidimensionalen Marke davon ab, auf welchen herkunftshinweisenden Gestaltungsmerkmalen ihre Schutzfähigkeit beruht (Ingerl/Rohnke § 14 Rn. 600), so dass etwa im Falle einer mit einem Wortbestandteil kombinierten Formmarke allein auf den - die Unterscheidungskraft begründenden - Wortbestandteil abzustellen sein kann (so etwa im Fall BGH GRUR 2005, 158, 159 - Stabtaschenlampe). Die Klagemarke zeigt eine dreidimensionale Darstellung eines Füllfederhalters - eines „Me...“ der Klägerin (ohne das M...-Signet an der Kappenspitze), die hinsichtlich der Formgebung aus Merkmalen der Warenform besteht, die gängige Gestaltungselemente auf dem Markt für Schreibgeräte sind - Zigarrenform, Clip mit einer bündig mit der Kappe abschließenden Halterung, Ringmuster am Kappenende sowie am unteren Ende - und denen eine Eignung zum Herkunftshinweis auf der Basis des Vortrags der Klägerin nicht zugesprochen werden kann. Soweit die Klägerin auf die hohe Bekanntheit ihres „Me... ...“ (hierzu s. bereits oben 2. a] aa]) verweist, kann hieraus nicht auf die Kennzeichnungskraft der Formmarke geschlossen werden. Denn die Klagemarke zeigt kein vollständiges Abbild des tatsächlich vertriebenen „Me... ...“, weil das auf der Kappenspitze befindliche M...-Signet nicht Gegenstand der Markeneintragung ist; die bildliche Wiedergabe zeigt den Füllfederhalter von verschiedenen Seiten und schräg von unten, nicht aber von oben. Aus der Bekanntheit des realen „Me... ...“ lässt sich daher nicht darauf schließen, dass die Abbildung eines Füllfederhalters, wie sie Gegenstand der Markeneintragung ist, als solche dem Verkehr bekannt ist. Hinreichenden Vortrag zur herkunftshinweisenden Wahrnehmung einzelner Gestaltungsmerkmale oder aber der Gesamtheit der Gestaltungsmerkmale abzüglich des M...-Signets auf der Kappenspitze hat die Klägerin nicht erbracht, sondern lediglich auf die Anlagen K 29a und K 29b Bezug genommen; auf diese lassen sich Feststellungen solcher Verkehrsgewohnheiten jedoch nicht stützen. Mit Blick auf die Bekanntheit des Wortbestandteils „M...-ME...“ kann aber für die Klagemarke insgesamt eine gesteigerte Kennzeichnungskraft unterstellt werden.

116

(2) Die sich gegenüberstehenden Waren der Parteien - Schreibgeräte - sind identisch.

117

(3) Allerdings sind die Formgestaltungen der Parteien einander unähnlich.

118

Im Ausgangspunkt ist bei der Prüfung der Zeichenähnlichkeit der Erfahrungssatz zugrunde zu legen, dass der Verkehr ein Kennzeichen in seiner Gesamtheit mit allen seinen Bestandteilen, wie es ihm bei der konkreten Verwendung entgegentritt, aufnimmt, ohne es einer analysierenden Betrachtungsweise zu unterziehen (BGH, Urteil v. 15.2.2001, Az. I ZR 232/98, juris-Rz. 36 - CompuNet/ComNet). Maßgeblich ist also der Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden Zeichen (BGH GRUR 2002, 1067, 1069 - DKV/OKV). Im Falle der dreidimensionalen Marke sind aber nur Übereinstimmungen in denjenigen Merkmalen für die Ähnlichkeitsprüfung maßgeblich, die jeweils herkunftshinweisende Bedeutung haben (BGH GRUR 2007, 780 Rn. 40 - Pralinenform I; Ingerl/Rohnke § 14 Rn. 988). Aus der Übereinstimmung in den für Füllfederhalter typischen Beschaffenheitsmerkmalen, die zur Kennzeichnungskraft der Klagemarke nicht beitragen, weil sie nur die Warenform beschreiben (s. vorstehend [1]), kann deshalb in diesem Zusammenhang nicht abgestellt werden. Maßgeblich ist hier vielmehr der Vergleich des allein kennzeichnungskräftigen Wortbestandteils der Klagemarke „M...-ME...“ einerseits und der auf dem Ring am unteren Rand der Kappe der angegriffenen Gestaltungsform befindlichen Aufschrift „S... P...“ andererseits. Diese Wortbestandteile sind klar unterschiedlich und schließen die Annahme einer Ähnlichkeit der Klagemarke und der angegriffenen Gestaltung aus. Selbst wenn man die Ringgestaltung am unteren Kappenende als kennzeichnungskräftig ansähe, führte dies aufgrund der bereits erörterten deutlichen Gestaltungsunterschiede nicht zur Annahme der Zeichenähnlichkeit.

119

(4) In der Gesamtbetrachtung kann daher mangels Zeichenähnlichkeit selbst bei Warenidentität und - unterstellter - gesteigerter Kennzeichnungskraft der Klagemarke eine Verwechslungsgefahr nicht angenommen werden.

120

b) Ein Unterlassungsanspruch steht der Klägerin auch nach den §§ 5 Abs. 2, 8 Abs. 1 UWG nicht zu.

121

Die Gefahr einer Verwechslung mit anderen Waren, § 5 Abs. 2 2. Alt. UWG, besteht nicht. Die Ausführungen oben 2.d) (1) gelten hier entsprechend; auf sie wird verwiesen. Auch ein Verstoß gegen § 5 Abs. 2 2. Alt. UWG wegen der Herbeiführung einer Verwechslungsgefahr mit der hilfsweise eingeführten Klagemarke liegt nicht vor. Die von der Beklagten verwendete Gestaltung ist aufgrund der fehlenden Ähnlichkeit der herkunftshinweisenden Wortbestandteile nicht dazu geeignet, vom Verkehr mit der Klagemarke verwechselt zu werden und damit über die Herkunft des „S... P...“ zu täuschen. Ergänzend wird auf die vorstehenden Ausführungen zu 2.d) (2) sowie 2. a) bis c) verwiesen.

122

c) Aus den vorstehend a) und b) genannten Gründen stehen der Klägerin auch die mit dem Hilfsantrag zu 2. und 4. geltend gemachten Auskunfts- und Schadensersatzansprüche nicht zu.

II.

123

Die zulässige Widerklage ist begründet.

124

Das Landgericht hat der Beklagten zu Recht einen Anspruch auf Löschung der Marke DE ... wegen Verfalls, § 49 Abs. 1 Satz 1, 26, 55 Abs. 1 MarkenG, zugesprochen, weil eine rechtserhaltende Benutzung nicht gegeben ist.

125

Nach § 49 Abs. 1 S. 1 MarkenG ist eine Marke wegen Verfalls löschungsreif, wenn sie innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren nicht gemäß § 26 MarkenG benutzt worden ist. Die Darlegungs- und Beweislast im Falle der Löschung wegen Nichtbenutzung trägt der Anspruchsteller, wobei ihm allerdings die im Wettbewerbsrecht anerkannten Beweiserleichterungen beim Nachweis negativer Tatsachen, betriebsinterner Vorgänge und dem Löschungsbeklagten ohne weiteres zugänglichen, für den Löschungskläger aber nicht oder nur mit unzumutbarem Aufwand beschaffbare Benutzungsinformationen zugute kommen (BGH GRUR 2009, 60, Rz. 19 - LOTTOCARD; Ingerl/Rohnke § 55 Rz. 12).

126

Die Beklagte hat in der Widerklage auf die Darlegungen der Klägerin zur Benutzung ihrer Klagemarke Bezug genommen und geltend gemacht, dass diese - weil den kennzeichnenden Charakter verändernd - nicht rechtserhaltend gewesen seien. Hiermit hat sie ihrer Darlegungs- und Beweislast genügt. Die in der Folge sekundär darlegungspflichtige Klägerin hat sodann rechtserhaltende Benutzungsformen nicht mehr vorgetragen. Die Ausführungen oben I.2.c) bb) geltend hier entsprechend; auf sie wird verwiesen.

III.

127

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Zulassungsgründe des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

(1) Der Sachverständige hat unverzüglich zu prüfen, ob der Auftrag in sein Fachgebiet fällt und ohne die Hinzuziehung weiterer Sachverständiger sowie innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist erledigt werden kann. Ist das nicht der Fall, so hat der Sachverständige das Gericht unverzüglich zu verständigen.

(2) Der Sachverständige hat unverzüglich zu prüfen, ob ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Der Sachverständige hat dem Gericht solche Gründe unverzüglich mitzuteilen. Unterlässt er dies, kann gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden.

(3) Der Sachverständige ist nicht befugt, den Auftrag auf einen anderen zu übertragen. Soweit er sich der Mitarbeit einer anderen Person bedient, hat er diese namhaft zu machen und den Umfang ihrer Tätigkeit anzugeben, falls es sich nicht um Hilfsdienste von untergeordneter Bedeutung handelt.

(4) Hat der Sachverständige Zweifel an Inhalt und Umfang des Auftrages, so hat er unverzüglich eine Klärung durch das Gericht herbeizuführen. Erwachsen voraussichtlich Kosten, die erkennbar außer Verhältnis zum Wert des Streitgegenstandes stehen oder einen angeforderten Kostenvorschuss erheblich übersteigen, so hat der Sachverständige rechtzeitig hierauf hinzuweisen.

(5) Der Sachverständige hat auf Verlangen des Gerichts die Akten und sonstige für die Begutachtung beigezogene Unterlagen sowie Untersuchungsergebnisse unverzüglich herauszugeben oder mitzuteilen. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, so ordnet das Gericht die Herausgabe an.

(6) Das Gericht soll den Sachverständigen auf seine Pflichten hinweisen.

43
Das Gericht hat dabei zu Recht darauf abgestellt, dass die streitgegenständlichen Verfahren für den Kläger ohne besondere Bedeutung waren. Zum Zeitpunkt der Klagezustellung sah sich der Kläger im Rahmen des Gesamtkomplexes "G. Gruppe" bereits 386 Verfahren mit einer Gesamtscha- densersatzforderung von 10.777.752, 53 € ausgesetzt. Es kommt hinzu, dass seine Vermögensverhältnisse zu diesem Zeitpunkt auf Grund nicht beglichener Steuerforderungen in Millionenhöhe desolat waren. Es stand mithin von vornherein fest, dass es auf die Vermögenslage des Klägers ohne spürbare Auswirkungen bleiben wird, ob er in den von ihm konkret "gegriffenen" zehn Verfahren obsiegen oder unterliegen wird. Der Kläger hat auch keine konkreten (psychischen oder physischen) Beeinträchtigungen geltend gemacht, die gerade auf die streitgegenständlichen Verfahren zurückzuführen waren. Seine Ausführungen in der Klageschrift erschöpfen sich darin, die durch den Gesamtkomplex "G. Gruppe" angeblich hervorgerufenen Belastungen in allgemeiner Form zu schildern. Macht der Betroffene - wie hier - Entschädigung für einzelne Verfahren aus einem umfangreichen Verfahrenskomplex geltend, muss er jedoch die konkreten Nachteile, die gerade durch die Dauer dieser Verfahren verursacht worden sein sollen, positiv behaupten. Nur dann kann der Anspruchsgegner den ihm obliegenden Beweis der Unrichtigkeit der aufgestellten Behauptungen führen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2011 - XI ZR 261/09, NJW 2011, 2130 Rn. 19 f).
14
Aber bb) auch im Übrigen - außerhalb des Anwendungsbereichs von § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB - erlangt der verfassungsrechtliche Grundsatz richterlicher Unabhängigkeit seine Bedeutung. Der gegenteiligen Meinung des Klägers , der in seiner Revisionserwiderung die Auffassung vertritt, aus der Verpflichtung zur Entscheidung in angemessener Zeit (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 6 Abs. 1 EMRK) folge, dass das Gericht die Prozessführung nach dem Zeitfaktor auszurichten, das heißt bei verschiedenen Möglichkeiten der Verfahrensgestaltung zugunsten der das Verfahren schneller abschließenden Alternative zu entscheiden habe, wobei Art. 97 Abs. 1 GG insoweit ohne Bedeutung sei, folgt der Senat nicht. Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck. Vielmehr verlangt gerade das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitge- genstands durch das dazu berufene Gericht (BVerfGE 54, 277, 291; 85, 337, 345; BVerfG NJW 1997, 2811, 2812; NJW 1999, 2582, 2583). Insoweit ist die sachgerechte Führung eines Prozesses - abgesehen von zwingenden gesetzlichen Vorgaben - in das Ermessen der verantwortlichen Richter gestellt (vgl. BVerfGE 55, 349, 369 zur Terminierung der mündlichen Verhandlung; siehe auch BVerfG EuGRZ 1982, 75). Hierbei kann die Verfahrensführung - im Ergebnis nicht anders als es der Senat in ständiger Rechtsprechung in anderem Zusammenhang bereits für bestimmte staatsanwaltschaftliche Handlungen, bei denen ein Beurteilungsspielraum des Entscheidungsträgers besteht (vgl. Urteil vom 21. April 1988 - III ZR 255/86, NJW 1989, 96, 97; Beschluss vom 27. September 1990 - III ZR 314/89, BGHR BGB § 839 Abs. 1 Satz 1 Staatsanwalt 3; Urteile vom 16. Oktober 1997 - III ZR 23/96, NJW 1998, 751, 752; und 18. Mai 2000 - III ZR 180/99, VersR 2001, 586, 587), aber auch für bestimmte richterliche Maßnahmen außerhalb des Anwendungsbereichs des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB (vgl. Urteile vom 29. April 1993 - III ZR 3/92, BGHZ 122, 268, 271; und 21. Juli 2005 - III ZR 21/05, BeckRS 2005, 09404; Beschluss vom 21. Dezember 2005 - III ZA 5/05, juris Rn. 12) entschieden hat - im Amtshaftungsprozess nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft werden. Letztere darf nur verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Zivilrechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist (Senat, Urteil vom 21. April 1988, aaO; Beschluss vom 27. September 1990 aaO). Bei der insoweit anzustellenden Bewertung darf der Zeitfaktor - zumal sich bei zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet (vgl. nur BVerfG NJW 2001, 214, 215; NJW 2004, 3320; NJW 2005, 739; NJW 2008, 503, 504) - selbstverständlich nicht ausgeblendet werden; er ist aber nicht der allein entscheidende Maßstab.
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Das Gericht hat dabei zu Recht darauf abgestellt, dass die streitgegenständlichen Verfahren für den Kläger ohne besondere Bedeutung waren. Zum Zeitpunkt der Klagezustellung sah sich der Kläger im Rahmen des Gesamtkomplexes "G. Gruppe" bereits 386 Verfahren mit einer Gesamtscha- densersatzforderung von 10.777.752, 53 € ausgesetzt. Es kommt hinzu, dass seine Vermögensverhältnisse zu diesem Zeitpunkt auf Grund nicht beglichener Steuerforderungen in Millionenhöhe desolat waren. Es stand mithin von vornherein fest, dass es auf die Vermögenslage des Klägers ohne spürbare Auswirkungen bleiben wird, ob er in den von ihm konkret "gegriffenen" zehn Verfahren obsiegen oder unterliegen wird. Der Kläger hat auch keine konkreten (psychischen oder physischen) Beeinträchtigungen geltend gemacht, die gerade auf die streitgegenständlichen Verfahren zurückzuführen waren. Seine Ausführungen in der Klageschrift erschöpfen sich darin, die durch den Gesamtkomplex "G. Gruppe" angeblich hervorgerufenen Belastungen in allgemeiner Form zu schildern. Macht der Betroffene - wie hier - Entschädigung für einzelne Verfahren aus einem umfangreichen Verfahrenskomplex geltend, muss er jedoch die konkreten Nachteile, die gerade durch die Dauer dieser Verfahren verursacht worden sein sollen, positiv behaupten. Nur dann kann der Anspruchsgegner den ihm obliegenden Beweis der Unrichtigkeit der aufgestellten Behauptungen führen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2011 - XI ZR 261/09, NJW 2011, 2130 Rn. 19 f).

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

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Das Gericht hat dabei zu Recht darauf abgestellt, dass die streitgegenständlichen Verfahren für den Kläger ohne besondere Bedeutung waren. Zum Zeitpunkt der Klagezustellung sah sich der Kläger im Rahmen des Gesamtkomplexes "G. Gruppe" bereits 386 Verfahren mit einer Gesamtscha- densersatzforderung von 10.777.752, 53 € ausgesetzt. Es kommt hinzu, dass seine Vermögensverhältnisse zu diesem Zeitpunkt auf Grund nicht beglichener Steuerforderungen in Millionenhöhe desolat waren. Es stand mithin von vornherein fest, dass es auf die Vermögenslage des Klägers ohne spürbare Auswirkungen bleiben wird, ob er in den von ihm konkret "gegriffenen" zehn Verfahren obsiegen oder unterliegen wird. Der Kläger hat auch keine konkreten (psychischen oder physischen) Beeinträchtigungen geltend gemacht, die gerade auf die streitgegenständlichen Verfahren zurückzuführen waren. Seine Ausführungen in der Klageschrift erschöpfen sich darin, die durch den Gesamtkomplex "G. Gruppe" angeblich hervorgerufenen Belastungen in allgemeiner Form zu schildern. Macht der Betroffene - wie hier - Entschädigung für einzelne Verfahren aus einem umfangreichen Verfahrenskomplex geltend, muss er jedoch die konkreten Nachteile, die gerade durch die Dauer dieser Verfahren verursacht worden sein sollen, positiv behaupten. Nur dann kann der Anspruchsgegner den ihm obliegenden Beweis der Unrichtigkeit der aufgestellten Behauptungen führen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2011 - XI ZR 261/09, NJW 2011, 2130 Rn. 19 f).

(1) Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen ein Land ist das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde. Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen den Bund ist der Bundesgerichtshof. Diese Zuständigkeiten sind ausschließliche.

(2) Die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren vor den Landgerichten im ersten Rechtszug sind entsprechend anzuwenden. Eine Entscheidung durch den Einzelrichter ist ausgeschlossen. Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts findet die Revision nach Maßgabe des § 543 der Zivilprozessordnung statt; § 544 der Zivilprozessordnung ist entsprechend anzuwenden.

(3) Das Entschädigungsgericht kann das Verfahren aussetzen, wenn das Gerichtsverfahren, von dessen Dauer ein Anspruch nach § 198 abhängt, noch andauert. In Strafverfahren, einschließlich des Verfahrens auf Vorbereitung der öffentlichen Klage, hat das Entschädigungsgericht das Verfahren auszusetzen, solange das Strafverfahren noch nicht abgeschlossen ist.

(4) Besteht ein Entschädigungsanspruch nicht oder nicht in der geltend gemachten Höhe, wird aber eine unangemessene Verfahrensdauer festgestellt, entscheidet das Gericht über die Kosten nach billigem Ermessen.

Mehrere Ansprüche des Klägers gegen denselben Beklagten können, auch wenn sie auf verschiedenen Gründen beruhen, in einer Klage verbunden werden, wenn für sämtliche Ansprüche das Prozessgericht zuständig und dieselbe Prozessart zulässig ist.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Die Erhebung der Klage erfolgt durch Zustellung eines Schriftsatzes (Klageschrift).

(2) Die Klageschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung der Parteien und des Gerichts;
2.
die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs, sowie einen bestimmten Antrag.

(3) Die Klageschrift soll ferner enthalten:

1.
die Angabe, ob der Klageerhebung der Versuch einer Mediation oder eines anderen Verfahrens der außergerichtlichen Konfliktbeilegung vorausgegangen ist, sowie eine Äußerung dazu, ob einem solchen Verfahren Gründe entgegenstehen;
2.
die Angabe des Wertes des Streitgegenstandes, wenn hiervon die Zuständigkeit des Gerichts abhängt und der Streitgegenstand nicht in einer bestimmten Geldsumme besteht;
3.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(4) Außerdem sind die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze auch auf die Klageschrift anzuwenden.

(5) Die Klageschrift sowie sonstige Anträge und Erklärungen einer Partei, die zugestellt werden sollen, sind bei dem Gericht schriftlich unter Beifügung der für ihre Zustellung oder Mitteilung erforderlichen Zahl von Abschriften einzureichen. Einer Beifügung von Abschriften bedarf es nicht, soweit die Klageschrift elektronisch eingereicht wird.

(1) Die Klage kann ohne Einwilligung des Beklagten nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung des Beklagten zur Hauptsache zurückgenommen werden.

(2) Die Zurücknahme der Klage und, soweit sie zur Wirksamkeit der Zurücknahme erforderlich ist, auch die Einwilligung des Beklagten sind dem Gericht gegenüber zu erklären. Die Zurücknahme der Klage erfolgt, wenn sie nicht bei der mündlichen Verhandlung erklärt wird, durch Einreichung eines Schriftsatzes. Der Schriftsatz ist dem Beklagten zuzustellen, wenn seine Einwilligung zur Wirksamkeit der Zurücknahme der Klage erforderlich ist. Widerspricht der Beklagte der Zurücknahme der Klage nicht innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen seit der Zustellung des Schriftsatzes, so gilt seine Einwilligung als erteilt, wenn der Beklagte zuvor auf diese Folge hingewiesen worden ist.

(3) Wird die Klage zurückgenommen, so ist der Rechtsstreit als nicht anhängig geworden anzusehen; ein bereits ergangenes, noch nicht rechtskräftiges Urteil wird wirkungslos, ohne dass es seiner ausdrücklichen Aufhebung bedarf. Der Kläger ist verpflichtet, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, soweit nicht bereits rechtskräftig über sie erkannt ist oder sie dem Beklagten aus einem anderen Grund aufzuerlegen sind. Ist der Anlass zur Einreichung der Klage vor Rechtshängigkeit weggefallen und wird die Klage daraufhin zurückgenommen, so bestimmt sich die Kostentragungspflicht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen; dies gilt auch, wenn die Klage nicht zugestellt wurde.

(4) Das Gericht entscheidet auf Antrag über die nach Absatz 3 eintretenden Wirkungen durch Beschluss. Ist einem Beklagten Prozesskostenhilfe bewilligt worden, hat das Gericht über die Kosten von Amts wegen zu entscheiden.

(5) Gegen den Beschluss findet die sofortige Beschwerde statt, wenn der Streitwert der Hauptsache den in § 511 genannten Betrag übersteigt. Die Beschwerde ist unzulässig, wenn gegen die Entscheidung über den Festsetzungsantrag (§ 104) ein Rechtsmittel nicht mehr zulässig ist.

(6) Wird die Klage von neuem angestellt, so kann der Beklagte die Einlassung verweigern, bis die Kosten erstattet sind.

Soll durch die Zustellung eine Frist gewahrt werden oder die Verjährung neu beginnen oder nach § 204 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gehemmt werden, tritt diese Wirkung bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt.

8
1. Eine Zustellung "demnächst" nach Eingang des Antrags oder der Erklärung bedeutet eine Zustellung innerhalb einer nach den Umständen angemessenen , selbst längeren Frist, wenn die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter unter Berücksichtigung der Gesamtsituation alles Zumutbare für die alsbaldige Zustellung getan hat. Die Zustellung ist dagegen nicht mehr "demnächst" erfolgt, wenn die Partei, der die Fristwahrung obliegt, oder ihr Prozessbevollmächtigter durch nachlässiges - auch leicht fahrlässiges - Verhalten zu einer nicht bloß geringfügigen Zustellungsverzögerung beigetragen hat. Hat der Veranlasser die Zustellung nicht vorwerfbar verzögert oder fällt ihm nur eine geringfügige Verzögerung zur Last, überwiegen regelmäßig seine Interessen gegenüber den Belangen des Zustellungsadressaten (BGH, Urteil vom 10. Februar 2011 - VII ZR 185/07, NJW 2011, 1227 Rn. 8; Urteil vom 10. Juli 2015 - V ZR 154/14, ZIP 2015, 1898 Rn. 5; Urteil vom 3. September 2015 - III ZR 66/14, ZIP 2015, 2501 Rn. 15; Urteil vom 12. Januar 2016 - II ZR 280/14, juris Rn. 12). Bei der Bemessung einer Verzögerung ist auf die Zeitspanne abzustellen, um die sich der ohnehin erforderliche Zeitraum für die Zustellung der Klage als Folge der Nachlässigkeit des Klägers verzögert (BGH, Urteil vom 10. Februar 2011 - VII ZR 185/07, NJW 2011, 1227 Rn. 8; Urteil vom 10. Juli 2015 - V ZR 154/14, ZIP 2015, 1898 Rn. 6; Urteil vom 3. September 2015 - III ZR 66/14, ZIP 2015, 2501 Rn. 19; Urteil vom 25. Oktober 2016 - II ZR 230/15, ZIP 2017, 281 Rn. 24; Urteil vom 29. September 2017 - V ZR 103/16, NJW-RR 2018, 461 Rn. 9; Urteil vom 20. April 2018 - V ZR 202/16, NJW-RR 2018, 970 Rn. 36). Dem Zustellungsveranlasser zuzurechnende Verzögerungen von bis zu 14 Tagen gelten regelmäßig als geringfügig und sind deshalb hinzunehmen (BGH, Urteil vom 25. November 1985 - II ZR 236/84, NJW 1986, 1347, 1348; Urteil vom 3. September 2015 - III ZR 66/14, ZIP 2015, 2501 Rn. 15; Urteil vom 10. Juli 2015 - V ZR 154/14, ZIP 2015, 1898 Rn. 5; Urteil vom 25. Oktober 2016 - II ZR 230/15, ZIP 2017, 281 Rn. 24; Urteil vom 20. April 2018 - V ZR 202/16, NJW-RR 2018, 970 Rn. 36).

Soll durch die Zustellung eine Frist gewahrt werden oder die Verjährung neu beginnen oder nach § 204 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gehemmt werden, tritt diese Wirkung bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

18
b) Nach der Rechtsprechung des Senats kann eine Entschädigungsklage ausnahmsweise vorzeitig erhoben werden, wenn das betroffene Verfahren schon vor Fristablauf beendet wurde. Ein Abwarten der Frist würde insofern im Hinblick auf den Zweck des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG keinen Sinn mehr machen. In diesen Fällen ist die Fristenregelung des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG teleologisch dahin einzuschränken, dass dann, wenn das als verspätet gerügte Verfahren schon vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist abgeschlossen wurde, bereits vom Moment des Verfahrensabschlusses an eine Entschädigungsklage zulässig ist (Senatsurteil vom 21. Mai 2014 aaO Rn. 17). So liegt der Fall hier aber nicht.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten eines Landes eingetreten sind, haftet das Land. Für Nachteile, die auf Grund von Verzögerungen bei Gerichten des Bundes eingetreten sind, haftet der Bund. Für Staatsanwaltschaften und Finanzbehörden in Fällen des § 386 Absatz 2 der Abgabenordnung gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

18
b) Nach der Rechtsprechung des Senats kann eine Entschädigungsklage ausnahmsweise vorzeitig erhoben werden, wenn das betroffene Verfahren schon vor Fristablauf beendet wurde. Ein Abwarten der Frist würde insofern im Hinblick auf den Zweck des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG keinen Sinn mehr machen. In diesen Fällen ist die Fristenregelung des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG teleologisch dahin einzuschränken, dass dann, wenn das als verspätet gerügte Verfahren schon vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist abgeschlossen wurde, bereits vom Moment des Verfahrensabschlusses an eine Entschädigungsklage zulässig ist (Senatsurteil vom 21. Mai 2014 aaO Rn. 17). So liegt der Fall hier aber nicht.

Tatbestand

1

I. Der Kläger begehrt gemäß § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) Entschädigung wegen der von ihm als unangemessen angesehenen Dauer eines vom 20. Februar 2004 (Klageeingang) bis zum 8. November 2012 (Kostenbeschluss nach Erledigung der Hauptsache) vor dem Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg anhängigen Klageverfahrens.

2

Dem Ausgangsverfahren liegt der folgende Sachverhalt zugrunde: Während der Kläger seinen Lebensmittelpunkt durchgängig in Deutschland hatte, verzog seine Ehefrau (E) mit den drei gemeinsamen Kindern im Jahr 2000 nach Nordirland. Dort besuchten die Kinder seitdem die Schule. Der Kläger trug während des Verfahrens vor, er sei an jedem Wochenende nach Nordirland geflogen, um seine Familie zu besuchen. Die Ferien hätten E und die Kinder bei ihm in Deutschland verbracht. Einkommensteuerrechtlich wurden der Kläger und E in Deutschland zusammen veranlagt, weil E auf ihren Antrag gemäß § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt wurde.

3

Bis einschließlich Januar 2001 hatte E das Kindergeld bezogen. Im Jahr 2001 beantragte der Kläger bei der Familienkasse (der Beklagten des Ausgangsverfahrens) Kindergeld für seine drei in Nordirland lebenden Kinder. Die Familienkasse lehnte dies mit Bescheid vom 9. August 2002 zunächst mit der Begründung ab, die Kinder hätten weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Während des anschließenden Einspruchsverfahrens erließ die Familienkasse am 27. September 2002 Teilabhilfebescheide. Darin setzte sie zugunsten des Klägers dem Grunde nach Kindergeld fest, kürzte dessen Höhe jedoch um die kindergeldähnlichen Leistungen (child benefit), die E nach Auffassung der Familienkasse im Vereinigten Königreich zustanden. Im fortgeführten Einspruchsverfahren behauptete der Kläger, E erhalte in Nordirland kein Kindergeld. Auf die Bitte der Familienkasse, dies nachzuweisen, legte er eine Bescheinigung der für die Zahlung des child benefit in Nordirland zuständigen Behörde (Child Benefit Office --CBO--) vor, aus der sich ergab, dass E bisher keinen Antrag auf diese Leistung gestellt habe. Die Familienkasse wies den Einspruch am 29. Januar 2004 mit der Begründung zurück, E habe nach dem Recht des Vereinigten Königreichs einen Anspruch auf child benefit. Es komme nicht darauf an, dass die entsprechenden Leistungen mangels Antragstellung nicht ausgezahlt würden.

4

Hiergegen erhob der Kläger am 20. Februar 2004 Klage. Diese stützte er auf seine --bereits während des Verwaltungs- und Einspruchsverfahrens vertretene-- Auffassung, der Anspruch auf ungekürztes deutsches Kindergeld folge bereits daraus, dass sowohl er als auch E und die drei Kinder in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig seien. Der --für das Verfahren zugleich als Berichterstatter zuständige-- damalige Vorsitzende des FG-Senats erteilte dem Kläger am 7. Juni 2004 einen rechtlichen Hinweis, wonach es für die Frage, ob ausländische Familienleistungen anzurechnen seien, nicht auf eine etwaige unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland ankomme. Er bat den Kläger darum, sich mit der als schlüssig anzusehenden Auffassung der Familienkasse auseinanderzusetzen. Ferner bat er um Darstellung, weshalb E in Nordirland keinen Anspruch auf child benefit habe, sowie um Vorlage eines entsprechenden Ablehnungsbescheids der dortigen Behörde.

5

Der Kläger erklärte daraufhin, E habe in Nordirland einen entsprechenden Antrag gestellt; eine "formale Ablehnung" liege jedoch nicht vor. Er bat um eine angemessene Frist zur Beschaffung einer entsprechenden Bescheinigung aus Nordirland. Der Senatsvorsitzende erteilte dem Kläger am 2. Februar 2005 einen weiteren rechtlichen Hinweis und fragte am 24. März 2005 bei der Familienkasse an, ob auf der Grundlage von deren zwischenzeitlich präzisierter Rechtsauffassung eine Teilabhilfe möglich sei.

6

Damit endeten die gerichtlichen Aktivitäten zunächst. Der bisherige Senatsvorsitzende trat in den Ruhestand ein; bis Anfang 2008 wechselte der für das Verfahren zuständige Berichterstatter insgesamt vier Mal. Auch in diesem Zeitraum reichten der Kläger und die Familienkasse allerdings zahlreiche Schriftsätze beim FG ein; dieses beschränkte sich auf die Weiterleitung der Schriftsätze an den jeweils anderen Beteiligten. Am 3. April 2006 teilte die Familienkasse mit, sie habe die Verbindungsstelle in Nordirland um rechtliche Beurteilung gebeten und werde das FG unterrichten, sobald die Antwort vorliege. Am 12. Oktober 2006 übersandte die Familienkasse dem FG eine Zwischennachricht des CBO vom 19. September 2006. Danach habe dort kein Vorgang gefunden werden können. Das CBO habe gegenüber E angeregt, einen Antrag auf child benefit zu stellen und werde sich nach Eingang einer Antwort melden.

7

Das FG wurde wieder tätig, indem es am 13. November 2007, 10. Januar 2008 und 20. Februar 2008 drei Sachstandsanfragen an die Familienkasse richtete. Die Familienkasse erklärte, bisher liege keine Antwort des CBO vor. Nachdem weitere 14 Monate verstrichen waren, beraumte das FG am 17. April 2009 einen Erörterungstermin für den 15. Mai 2009 an. In diesem Termin überreichte die Berichterstatterin Ausdrucke der Internetseiten des CBO zu den Voraussetzungen des child benefit. Die Familienkasse erklärte, sie werde das volle Kindergeld zahlen, wenn feststehe, dass im Wohnsitzland der Kinder kein Anspruch auf child benefit bestehe. Der Kläger erklärte, E werde innerhalb eines Monats in Nordirland auf amtlichem Vordruck einen Antrag auf child benefit stellen und die Antragstellung gegenüber dem FG nachweisen. Die Berichterstatterin setzte ihm hierfür eine Frist gemäß § 79b der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Beteiligten erklärten sich damit einverstanden, dass das Verfahren ab dem Eingang des Nachweises über die Antragstellung bis zur Entscheidung über diesen Antrag ruhen solle.

8

Nachdem der Kläger die Antragstellung nachgewiesen hatte, beschloss die Berichterstatterin am 15. Juni 2009 das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung über den Antrag der E und sandte die Kindergeldakte am 26. Juni 2009 an die Familienkasse zurück. In der Folgezeit erkundigte sich das FG mehrfach beim Kläger nach dem Sachstand. Nachdem dieser keine Reaktion des CBO mitteilen konnte, regte das FG am 6. April 2010 an, dass die Familienkasse über ihre Verbindungsstelle anfrage, wie der Antrag der E beschieden worden sei. Die Familienkasse stellte am 10. Mai 2010 eine entsprechende Anfrage.

9

Das CBO antwortete am 31. August 2010, sie habe den Antrag der E am 30. März 2010 abgelehnt, weil kein Anspruch auf child benefit bestehe. Dieses Antwortschreiben ging am 15. September 2010 bei der Familienkasse ein, wurde dort aber unbearbeitet zur Kindergeldakte genommen. Gleiches geschah mit einer zweiten Ausfertigung des Antwortschreibens, die am 14. Oktober 2011 bei der Familienkasse einging.

10

Das FG, aus dessen Sicht die Antwort des CBO noch ausstand, richtete am 16. Februar 2011 das folgende Schreiben an die Familienkasse: "Wie soll verfahren werden? Erledigung innerhalb von 1 Monat". Am 11. Mai 2011 beschloss das FG die Aufnahme des Verfahrens und fasste einen Beweisbeschluss, wonach das Auswärtige Amt erklären solle, wie das CBO über den Antrag der E auf Gewährung von child benefit entschieden habe. Nachdem das Auswärtige Amt sich umgehend für unzuständig erklärt hatte, schrieb das FG am 25. Mai 2011 an die Beteiligten: "Ich bitte um Vorschläge, wie weiter verfahren werden soll."

11

Der Kläger erklärte, er begehre eine Entscheidung nach Aktenlage; die Familienkasse teilte mit, der Fall werde der Zentrale der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg berichtet, was allerdings letztlich ergebnislos blieb. Am 8. August 2011 rügte der Kläger die überlange Verfahrensdauer im Hinblick auf den seinerzeit von den gesetzgebenden Körperschaften beratenen Entwurf des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜberlVfRSchG). Am 10. August 2011 bat das FG den Kläger, eine Bescheinigung des CBO vorzulegen, wonach keine Familienleistungen bezogen würden. Der Kläger reichte eine solche Bescheinigung am 6. Dezember 2011 beim FG ein, das sie kommentarlos und ohne Fristsetzung der Familienkasse zur Stellungnahme übersandte. Am 16. Januar 2012 richtete das FG eine Sachstandsanfrage an die Familienkasse. Am 16. Februar 2012 ging beim FG ein Schriftsatz des Klägers vom 15. Februar 2012 ein, in dem es u.a. hieß: "Da sich das Verfahren mittlerweile seit Klageerhebung mit Klageschrift vom 16.02.2004 hinzieht, erscheint eine klare Richtungsvorgabe gegenüber dem Beklagten gerechtfertigt. Gelingt dies nicht, muss die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 02.09.2010 46344/06, Rumpf, NJW 2010, 3355 und die mittlerweile geschaffene Rechtsgrundlage Anwendung finden."

12

Die Familienkasse erklärte mit Schreiben vom 19. März 2012 "abschließend", rechtlich bestehe im Vereinigten Königreich allein aufgrund des dortigen Wohnsitzes der E und der drei Kinder ein Anspruch auf child benefit. Die fehlende Rückmeldung des CBO sei kein Indiz für das Fehlen eines solchen Anspruchs. "Etwaig" müsse das FG über das Bestehen eines Anspruchs in Nordirland entscheiden.

13

Mit einem am 23. März 2012 beim FG eingegangenen Schreiben vom 21. März 2012 erhob der Kläger "in Ergänzung zum Schreiben vom 15.02.2012" ausdrücklich Verzögerungsrüge und kündigte die Einleitung eines Entschädigungsklageverfahrens beim Bundesfinanzhof (BFH) an. Daraufhin forderte das FG bei der Familienkasse die Kindergeldakte wieder an, die am 26. April 2012 beim FG einging. In der Folgezeit bat das FG angesichts des Umstands, dass die bisherigen europarechtlichen Regelungen über die Zuständigkeit für die Gewährung von Familienleistungen in grenzüberschreitenden Fällen mit Wirkung zum 1. Mai 2010 geändert worden waren, die Beteiligten um Stellungnahme zum Kindergeldanspruch ab Mai 2010. Im Verlauf des sich hierzu entwickelnden Schriftwechsels regte das FG an, den Rechtsstreit, soweit er die Zeit ab Mai 2010 betreffe, zum Ruhen zu bringen, abzutrennen oder außerhalb des Klageverfahrens im Verwaltungsverfahren zu bearbeiten. Der Kläger erklärte daraufhin am 30. Juli 2012 die Rücknahme der Klage für die Zeiträume ab Mai 2010. Ferner holte das FG das Einverständnis der Beteiligten mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin und ohne mündliche Verhandlung ein.

14

Am 15. August 2012 bemerkte die Berichterstatterin, dass in der --ihr seit dem 26. April 2012 wieder vorliegenden-- Kindergeldakte das Antwortschreiben des CBO vom 31. August 2010 abgeheftet war. Sie bat die Familienkasse um vollständige Vorlage des Vorgangs sowie um Mitteilung, weshalb dieses Schreiben dem Gericht nicht unverzüglich übermittelt worden sei. Daraufhin erklärte die Familienkasse, dem Begehren des Klägers für Anspruchszeiträume bis zum Zugang der Einspruchsentscheidung (März 2001 bis Februar 2004) innerhalb des Klageverfahrens und für die späteren Anspruchszeiträume (März 2004 bis April 2010) außerhalb des Klageverfahrens abhelfen zu wollen. Nach Ergehen entsprechender Abhilfebescheide vom 16. Oktober 2012 erklärten die Familienkasse und der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Mit Kostenbeschluss vom 8. November 2012, der am 12. November 2012 mit einfachem Brief versandt wurde, legte das FG der Familienkasse die Kosten des Verfahrens auf.

15

Der Kläger hat am 21. November 2012 die vorliegende Entschädigungsklage erhoben. Ausgehend von einer als üblich anzusehenden Verfahrensdauer von drei Jahren begehrt er für einen Zeitraum von 68 Monaten eine Entschädigung für Nichtvermögensnachteile in Höhe von 7.200 €. Ferner begehrt er Ersatz für Überziehungszinsen, die seinem privaten Girokonto während des Klageverfahrens belastet worden sind und die er in Höhe von 14.985,16 € auf die verzögerte Auszahlung des Kindergelds zurückführt.

16

Er ist der Auffassung, eine detaillierte Untersuchung der einzelnen Verfahrensabschnitte erübrige sich, weil vorliegend sogar die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit acht Jahren angesetzte absolute Höchstdauer für ein instanzgerichtliches Verfahren überschritten sei. Im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer sei der staatlichen Seite auch das Verhalten der beteiligten Behörden zuzurechnen. Dies gelte nicht nur für die deutsche Familienkasse, sondern auch für die ausländischen Behörden, da die gegenteilige Handhabung dem "Gedanken der Europäischen Einheit" widersprechen würde.

17

Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger wegen der überlangen Dauer des Verfahrens vor dem FG Baden-Württemberg 13 K 50/04 (später 13 K 1691/11 und 6 K 1691/11) eine Entschädigung in Höhe von 22.185,16 € zu zahlen.

18

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

19

Er hält die Klage bereits für unzulässig, weil die --zwingend erforderliche-- Verzögerungsrüge nicht i.S. des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG "unverzüglich" nach Inkrafttreten dieses Gesetzes (3. Dezember 2011) erhoben worden sei. Hierfür sei als Obergrenze in der Regel ein Zeitraum von zwei Wochen anzusehen. Die erst am 23. März 2012 beim FG eingegangene Verzögerungsrüge sei daher erheblich verspätet gewesen.

20

Jedenfalls sei die Klage unbegründet, weil die Verfahrensdauer nicht unangemessen gewesen sei. Der Fall sei sowohl rechtlich als auch tatsächlich äußerst komplex gewesen. Das CBO und die nordirische Verbindungsstelle der Familienkasse hätten Anfragen nur sehr zögerlich beantwortet. Zudem müsse die richterliche Unabhängigkeit beachtet werden. Danach seien Umstände, die typischerweise Ausprägungen richterlichen Handelns und Entscheidens seien, keiner abweichenden Würdigung durch das Entschädigungsgericht zugänglich. Die beim FG seit 2008 zuständige Berichterstatterin sei sehr bemüht gewesen, zur Vermeidung des Eintritts der Festsetzungsverjährung in die Entscheidung auch die nach Erlass der Einspruchsentscheidung liegenden Anspruchszeiträume einzubeziehen, obwohl dies nach der BFH-Rechtsprechung nicht erforderlich gewesen wäre. Soweit damit eine Verfahrensverzögerung verbunden gewesen sei, wäre es unbillig, diesen Umstand im Entschädigungs-Rechtsstreit zum Vorteil des Klägers zu würdigen. Dem Kläger sei anzulasten, dass er zunächst unzutreffend behauptet habe, in Nordirland sei ein Antrag auf child benefit gestellt worden. Dieser Vortrag habe sich erst im Erörterungstermin --nach mehr als fünfjähriger Verfahrensdauer-- als unzutreffend herausgestellt, so dass der Antrag habe nachgeholt werden müssen. Das FG habe zudem nicht zu vertreten, dass die Familienkasse die Rückantwort des CBO vom 31. August 2010 nicht unverzüglich an das Gericht übermittelt habe. Zudem habe das FG häufig auf Bescheinigungen warten müssen, die der Kläger habe einreichen müssen.

Entscheidungsgründe

21

II. Der Senat entscheidet gemäß § 99 Abs. 1 FGO durch Zwischenurteil vorab über den Grund des Entschädigungsanspruchs. Insoweit ist der Rechtsstreit zur Entscheidung reif, während die Entscheidung über die Höhe der geltend gemachten Entschädigung für materielle Nachteile (Überziehungszinsen) wegen der Notwendigkeit weiterer Sachverhaltsermittlungen noch nicht ergehen kann und dem Endurteil vorbehalten bleibt.

22

Der Kläger hat die erforderliche Verzögerungsrüge noch "unverzüglich" nach dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG erhoben (dazu unter 1.). Die Dauer des Ausgangsverfahrens war unangemessen; allerdings betrifft die Verzögerung einen Zeitraum von 43 Monaten statt der vom Kläger genannten 68 Monate (unter 2.).

23

1. Der Kläger hat im Ausgangsverfahren eine Verzögerungsrüge so rechtzeitig angebracht, dass auch Entschädigungsansprüche für die Zeit vor dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG gewahrt sind. Die Frage der Erhebung bzw. Rechtzeitigkeit einer Verzögerungsrüge betrifft entgegen der Auffassung des Beklagten nicht die Zulässigkeit, sondern allein die Begründetheit der Entschädigungsklage (unter a). Zwar kann der vom Kläger bereits vor Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG angebrachte Hinweis auf die Verfahrensdauer nicht als Verzögerungsrüge i.S. des § 198 Abs. 3 GVG angesehen werden (unter b). Jedoch ist das Schreiben des Klägers vom 15. Februar 2012 als Verzögerungsrüge auszulegen (unter c). Diese Rüge ist noch als "unverzüglich" nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG erhoben anzusehen (unter d).

24

a) Anders als der Beklagte meint, hätte das Fehlen einer Verzögerungsrüge oder die nicht unverzügliche Erhebung einer solchen Rüge nicht die Unzulässigkeit der Entschädigungsklage zur Folge. Vielmehr ist die Verzögerungsrüge lediglich materielle Voraussetzung eines Anspruchs auf Geldentschädigung (ebenso Beschluss des Bundessozialgerichts --BSG-- vom 27. Juni 2013 B 10 ÜG 9/13 B, nicht veröffentlicht --n.v.--, unter II.2.b). Dies folgt bereits aus der Regelung des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG, wonach die Feststellung einer überlangen Verfahrensdauer --die im Verfahren über eine Entschädigungsklage keinen gesonderten Antrag voraussetzt-- auch dann ausgesprochen werden kann, wenn die in § 198 Abs. 3 GVG genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

25

b) Das Schreiben des Klägers vom 8. August 2011 kann nicht als Verzögerungsrüge i.S. des § 198 Abs. 3 GVG angesehen werden. Zwar hat der Kläger schon in diesem Schreiben eine überlange Verfahrensdauer ausdrücklich unter Hinweis auf den seinerzeit von den gesetzgebenden Körperschaften beratenen Entwurf des ÜberlVfRSchG gerügt. Zu diesem Zeitpunkt war das ÜberlVfRSchG --und damit die Vorschrift des § 198 Abs. 3 GVG-- aber noch nicht in Kraft getreten. Das genannte Gesetz ist am Tage nach seiner Verkündung --d.h. am 3. Dezember 2011-- in Kraft getreten. Zwar gilt es auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten bereits anhängig waren (Art. 23 Satz 1 ÜberlVfRSchG). Für diese Verfahren enthält Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG aber die zusätzliche Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge "unverzüglich nach Inkrafttreten" erhoben werden muss. Eine bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes erhobene Verzögerungsrüge erfüllt diese Voraussetzung nicht.

26

c) Allerdings ist nicht erst das Schreiben des Klägers vom 21. März 2012 --in dem er erstmals ausdrücklich den Begriff "Verzögerungsrüge" verwendet hat--, sondern bereits das Schreiben vom 15. Februar 2012, das am 16. Februar 2012 beim FG eingegangen ist, als Verzögerungsrüge i.S. des § 198 Abs. 3 GVG anzusehen.

27

aa) Die genannte Vorschrift stellt keine besonderen Anforderungen an die Form oder den Mindestinhalt einer Verzögerungsrüge. In den Gesetzesmaterialien findet sich die --mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang stehende-- Auffassung, eine Verzögerungsrüge könne auch mündlich erhoben werden (BTDrucks 17/3802, 22); auch brauche sie nicht begründet werden, insbesondere genüge ein schlichter Hinweis auf die bisherige Verfahrensdauer (BTDrucks 17/7217, 27). Aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des Gesetzes folgt daher, dass auch eine nicht ausdrücklich als "Verzögerungsrüge" bezeichnete Äußerung eines Verfahrensbeteiligten im Wege der Auslegung als Verzögerungsrüge i.S. des § 198 Abs. 3 GVG angesehen werden kann.

28

Bei der Verzögerungsrüge handelt es sich auch nicht um eine Prozesshandlung im engeren Sinne, weil sie auf das im Ausgangsverfahren bestehende Prozessrechtsverhältnis nicht unmittelbar rechtsgestaltend einwirkt. Die an Prozesshandlungen zu stellenden Anforderungen im Hinblick auf die Klarheit, Eindeutigkeit und Bedingungsfeindlichkeit derartiger Äußerungen gelten für Verzögerungsrügen daher nicht.

29

bb) Die erforderliche Auslegung des Schreibens des Klägers vom 15. Februar 2012 führt zu dem Ergebnis, dass es sich dabei um eine Verzögerungsrüge gehandelt hat. Der Kläger hat darin erklärt, "ohne eine klare Richtungsvorgabe" des FG gegenüber der Familienkasse müsse die Entscheidung des EGMR vom 2. September 2010  46344/06 --Rumpf/Deutschland-- (Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2010, 3355) "und die mittlerweile geschaffene Rechtsgrundlage" Anwendung finden. Mit dem vom Kläger genannten Urteil des EGMR ist die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet worden, innerhalb eines Jahres nach Endgültigkeit jener Entscheidung einen Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren einzuführen. Die vom Kläger bezeichnete "mittlerweile geschaffene Rechtsgrundlage" ist das ÜberlVfRSchG.

30

Ein Hinweis eines Verfahrensbeteiligten in einem seinerzeit bereits seit über acht Jahren anhängigen Gerichtsverfahren auf die Rechtsprechung des EGMR zu überlangen Verfahren und die für derartige Fälle neu geschaffene nationale Rechtsgrundlage kann aber --was bisher weder vom FG noch vom Beklagten erwogen worden ist-- nicht anders verstanden werden, als dass der Verfahrensbeteiligte damit eine aus seiner Sicht überlange Verfahrensdauer rügen möchte. Dies gilt im Streitfall erst recht angesichts des Umstands, dass der Kläger bereits vor dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG die Verfahrensdauer unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den seinerzeitigen Entwurf des ÜberlVfRSchG gerügt hatte.

31

d) Die Verzögerungsrüge vom 16. Februar 2012 ist unverzüglich nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG erhoben worden und hat damit Entschädigungsansprüche auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG gewahrt.

32

aa) Gemäß Art. 23 Satz 1 ÜberlVfRSchG gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten (3. Dezember 2011) bereits anhängig waren. War ein solches anhängiges Verfahren beim Inkrafttreten des Gesetzes bereits verzögert, gilt die in § 198 Abs. 3 GVG vorgesehene Obliegenheit zur Erhebung einer Verzögerungsrüge mit der Maßgabe, dass diese "unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss" (Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG). In diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch nach § 198 GVG auch für den vorausgehenden Zeitraum (Art. 23 Satz 3 ÜberlVfRSchG).

33

bb) Der Begriff "unverzüglich" bedeutet ein Handeln "ohne schuldhaftes Zögern" (§ 121 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--). Diese Legaldefinition gilt nach allgemeiner Auffassung auch über die Fälle des § 121 BGB hinaus, mithin gleichermaßen im öffentlichen Recht. Der Senat vermag dem Beklagten allerdings nicht darin zu folgen, dass auch die von der zivilgerichtlichen Rechtsprechung zu § 121 BGB in typisierender Betrachtungsweise vertretene Bejahung eines "schuldhaften Zögerns" bei Überschreitung einer Zwei-Wochen-Frist unbesehen auf alle anderen Rechtsbereiche zu übertragen ist, in denen der Gesetzgeber den Begriff "unverzüglich" verwendet.

34

Die angeführte Zwei-Wochen-Frist geht auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 14. Dezember 1979  7 AZR 38/78 (BAGE 32, 237, unter IV.2.) zurück. Darin wurde die für außerordentliche fristlose Kündigungen geltende zweiwöchige gesetzliche Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB auch zur Auslegung des Begriffs der "Unverzüglichkeit” in Fällen der Irrtumsanfechtung herangezogen.

35

Diese Übertragung der in § 626 BGB genannten Frist ist aber nicht in allen Fällen, in denen der Gesetzgeber den Begriff "unverzüglich” verwendet, sachgerecht. Vielmehr ist eine normspezifische Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals --bzw. der gesetzlichen Erläuterung "ohne schuldhaftes Zögern"-- in Abhängigkeit vom betroffenen Sachbereich, des in diesem Sachbereich typischerweise anzutreffenden Grades der Dringlichkeit, der Interessenlage der Parteien bzw. Beteiligten und dem jeweiligen Zweck des Unverzüglichkeitserfordernisses geboten und wird von der Rechtsprechung und Rechtspraxis auch entsprechend vorgenommen.

36

(1) So findet sich der Begriff "unverzüglich" auch im Zusammenhang mit der Rügepflicht beim Handelskauf (§ 377 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs --HGB--). Hier liegt auf der Hand, dass die schematische Anwendung einer Zwei-Wochen-Frist nicht sachgerecht wäre, insbesondere wenn es sich um verderbliche Waren handelt. § 377 Abs. 1 HGB ist im Interesse der im Handelsverkehr unerlässlichen schnellen Abwicklung der Handelsgeschäfte streng auszulegen (Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 30. Januar 1985 VIII ZR 238/83, BGHZ 93, 338, unter 5.c bb). Dementsprechend hat der BGH in der vorstehend angeführten Entscheidung ein zweiwöchiges Zuwarten --das in den Fällen des § 121 BGB noch hinzunehmen wäre-- nicht mehr als ausreichend angesehen. Vielmehr wird für den Regelfall --in Abhängigkeit von den Eigenschaften der betroffenen Ware-- nur die Wahrung einer Frist, die zwischen einigen Stunden und einer Woche beträgt, noch als angemessen angesehen (vgl. Emmerich/Hoffmann in Heymann, HGB, 2. Aufl., § 377 Rz 53 ff., m.w.N.).

37

(2) Gemäß § 34b Abs. 4 Nr. 2 EStG müssen Schäden infolge höherer Gewalt "unverzüglich" nach Feststellung des Schadensfalls der zuständigen Finanzbehörde mitgeteilt werden, damit die für außerordentliche Holznutzungen geltenden ermäßigten Steuersätze in Anspruch genommen werden können. Die Finanzverwaltung sieht dieses Erfordernis noch als gewahrt an, wenn die entsprechende Schadensmeldung spätestens bis zum Ablauf von drei Monaten nach Feststellung des Schadens eingereicht wird (Verfügung der Oberfinanzdirektion Magdeburg vom 5. Februar 2007 S 2232-14-St-212, Einkommensteuer-Kartei Sachsen-Anhalt § 34b EStG Karte 1, unter 1.).

38

(3) Auch in seiner Rechtsprechung zur unverschuldeten verspäteten Geltendmachung von Betriebskosten-Nachforderungen durch den Vermieter (§ 556 Abs. 3 Satz 3 BGB) wendet der BGH zur Bestimmung des Zeitraums, der dem Vermieter nach Wegfall des Hindernisses für die Nachholung der Geltendmachung zuzubilligen ist, nicht die aus der Rechtsprechung zu § 121 BGB abgeleitete Zwei-Wochen-Frist, sondern eine Drei-Monats-Frist an (vgl. Urteile vom 5. Juli 2006 VIII ZR 220/05, NJW 2006, 3350, unter II.2.b bb, und vom 12. Dezember 2012 VIII ZR 264/12, NJW 2013, 456).

39

cc) Die gebotene normspezifische Auslegung führt im Falle des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG zu dem Ergebnis, dass eine Zwei-Wochen-Frist nicht sachgerecht ist. Der Senat hält bei typisierender Betrachtung vielmehr eine Frist von drei Monaten für angemessen.

40

(1) Die zu § 121 BGB ergangene Entscheidung des BAG in BAGE 32, 237 ist auf die Situation, wie sie der Gesetzgeber mit dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG und der dazugehörigen Übergangsregelung geschaffen hat, bereits im Ausgangspunkt nicht übertragbar. § 121 BGB betrifft die Anfechtung eines Vertrags wegen eines Irrtums des Anfechtenden. Die Anfechtungsmöglichkeit besteht --in Abgrenzung zu den Fällen des § 123 BGB, für die der Gesetzgeber eine Jahresfrist vorsieht (§ 124 Abs. 1 BGB)-- gerade dann, wenn der andere Teil nichts zu dem Irrtum beigetragen hat. Daher kommt im Rahmen der erforderlichen Abwägung zwischen dem Interesse des Anfechtungsberechtigten an seiner Lösung von dem Vertrag und dem Interesse des Anfechtungsgegners am rechtlichen Bestand des Vertrags dem Schutz des Anfechtungsgegners ein hoher Stellenwert zu. Hinzu kommt, dass die Frist des § 121 BGB --ebenso wie die vom BAG herangezogene zweiwöchige Frist für die außerordentliche fristlose Kündigung nach § 626 Abs. 2 BGB-- erst beginnt, wenn der Anfechtungs- bzw. Kündigungsberechtigte positive Kenntnis von dem Anfechtungs- bzw. Kündigungsgrund hat; ein bloßes Kennenmüssen löst den Fristbeginn hingegen nicht aus.

41

Beide genannten Gesichtspunkte, die in den Fällen des § 121 BGB für eine eher strenge Auslegung des Tatbestandsmerkmals "unverzüglich" sprechen, sind in den Fällen des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG nicht einschlägig. Hier liegt die wesentliche Ursache für die Erforderlichkeit der unverzüglichen Abgabe einer Erklärung nicht beim Erklärenden --im Fall des § 121 BGB dem Anfechtungsberechtigten, im Fall des ÜberlVfRSchG dem späteren Entschädigungskläger--, sondern beim Erklärungsempfänger. Denn vor allem das Gericht hat durch sein zögerliches Verhalten --unterstellt, die Verzögerungsrüge sei berechtigt-- die Ursache für die Erhebung der Verzögerungsrüge gesetzt. Zudem knüpft Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG den Beginn des zur Verfügung stehenden Zeitraums an ein rein objektives Kriterium --das Inkrafttreten des Gesetzes--; eine positive Kenntnis des Berechtigten von dem Ereignis, das den Fristenlauf auslöst, ist nicht erforderlich.

42

Beide Gesichtspunkte rechtfertigen und gebieten es, den Begriff der "Unverzüglichkeit" hier deutlich weniger streng auszulegen als bei § 121 BGB.

43

(2) Gleichwohl lässt sich der in der Entscheidung in BAGE 32, 237 enthaltene grundsätzliche methodische Ansatz des BAG, in verwandten Rechtsnormen genannte Fristen für eine normspezifische Konkretisierung des Begriffs "unverzüglich" heranzuziehen, auch vorliegend fruchtbar machen. So gilt für die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz --abweichend von der einmonatigen Regelfrist-- eine Frist von einem Jahr (§ 93 Abs. 3 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht --BVerfGG--). Beschwerden zum EGMR können innerhalb von sechs Monaten nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung erhoben werden (Art. 35 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten --EMRK--).

44

§ 93 Abs. 3 BVerfGG zeigt, dass der nationale Gesetzgeber in Fällen, in denen das Inkrafttreten eines Gesetzes einen Fristenlauf auslöst, die für die Erhebung von Rechtsbehelfen ansonsten allgemein übliche Monatsfrist nicht als ausreichend ansieht, sondern eine erheblich längere Frist gewährt. Die Sechs-Monats-Frist des Art. 35 Abs. 1 EMRK steht wiederum in einem sehr engen Zusammenhang zu dem in Entschädigungsklagefällen betroffenen Sachbereich, da mit dem ÜberlVfRSchG gerade die Rechtsprechung des EGMR umgesetzt werden sollte und weitere Verurteilungen der Bundesrepublik Deutschland durch den EGMR vermieden werden sollten.

45

In seinen Entscheidungen, die nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG ergangen sind, verweist der EGMR die Beschwerdeführer auch in solchen Verfahren, die bei ihm bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes anhängig waren, auf den nationalen Rechtsbehelf der Entschädigungsklage. Er führt aber zugleich aus, dass er diese Position in Zukunft überprüfen werde, was insbesondere von der Fähigkeit der innerstaatlichen Gerichte abhängig sei, im Hinblick auf das ÜberlVfRSchG eine konsistente und den Erfordernissen der EMRK entsprechende Rechtsprechung zu etablieren (so ausdrücklich Entscheidung des EGMR vom 29. Mai 2012  53126/07 --Taron/Deutschland--, Europäische Grundrechte-Zeitschrift 2012, 514, Rz 45). Vor diesem Hintergrund hat der Senat auch die Erfordernisse eines effektiven Menschenrechtsschutzes zu berücksichtigen, mit dem eine kurze --den auch für bereits anhängige Fälle erforderlichen Rechtsschutz eher verhindernde als ermöglichende-- Zwei-Wochen-Frist nicht vereinbar wäre.

46

(3) Hiervon ausgehend hält der Senat eine Frist im Umfang der Hälfte der in Art. 35 Abs. 1 EMRK genannten Frist --d.h. drei Monate-- für erforderlich, um den Anforderungen der EMRK Rechnung zu tragen, aber auch für ausreichend, damit Prozessbevollmächtigte sämtliche von ihnen geführte Verfahren auf mögliche Verzögerungen analysieren können (a.A. ohne Begründung in einer nicht tragenden Erwägung für eine am 13. Februar 2012 erhobene Verzögerungsrüge Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. September 2012 L 38 SF 73/12 EK AS, n.v.; ebenso Oberlandesgericht Bremen, Urteil vom 4. Juli 2013  1 SchH 10/12 (EntV), NJW 2013, 3109, für eine am 23. Januar 2013 eingegangene Verzögerungsrüge).

47

Diese Frist hat der Kläger im Streitfall mit seinem am 16. Februar 2012 beim FG eingegangenen Schreiben gewahrt.

48

2. Die Dauer des Ausgangsverfahrens war unangemessen. Die Verzögerung beläuft sich entgegen der Auffassung des Klägers aber nicht auf 68 Monate, sondern auf 43 Monate.

49

a) Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Diese gesetzlichen Maßstäbe beruhen auf der ständigen Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- (näher dazu Senatsurteil vom 17. April 2013 X K 3/12, BFHE 240, 516, BStBl II 2013, 547, unter III.3.a).

50

Grundlage dieser Rechtsprechung ist zum einen die Regelung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, wonach jede Person ein Recht darauf hat, dass über Streitigkeiten von einem Gericht "innerhalb angemessener Frist verhandelt wird". Zum anderen folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) ein Anspruch auf gerichtliche Entscheidung über streitige Rechtsverhältnisse "in angemessener Zeit" (BVerfG-Beschluss vom 27. Juli 2004  1 BvR 1196/04, NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.).

51

b) Bei der Konkretisierung dieses Anspruchs des Verfahrensbeteiligten und bei der Ableitung der in § 198 GVG vorgesehenen Rechtsfolgen für den einzelnen Fall ist zu berücksichtigen, dass der Begriff der "Angemessenheit" für Wertungen offen ist. Dies ermöglicht es, dem Spannungsverhältnis zwischen einem möglichst zügigen Abschluss des Rechtsstreits und anderen, ebenfalls hochrangigen sowie verfassungs- und menschenrechtlich verankerten prozessualen Grundsätzen Rechnung zu tragen (allgemein zu diesem Spannungsverhältnis bereits Urteil des BSG vom 21. Februar 2013 B 10 ÜG 1/12 KL, Die Sozialgerichtsbarkeit --SGb-- 2013, 527, zur amtlichen Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, unter 2.a aa, m.w.N.). Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck (so auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 11. Juli 2013  5 C 23.12 D, zur amtlichen Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen, unter 1.b bb (3)).

52

So könnte eine Überbeschleunigung von Verfahren in einen Konflikt mit dem --durch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG abgesicherten-- Anspruch auf Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes geraten, zu dessen Kernbereich die Schaffung gerichtlicher Strukturen gehört, die eine möglichst weitgehende inhaltliche Richtigkeit von Entscheidungen und ihre möglichst hohe Qualität gewährleisten. Ferner könnte der Grundsatz der Unabhängigkeit der Richter (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 97 Abs. 1 GG) berührt sein, sofern die Entschädigungsgerichte mittelbar in die Freiheit der Richter eingreifen würden, ihr Verfahren frei von äußeren Einflüssen zu gestalten. Auch der Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) könnte betroffen sein, wenn zunehmender Beschleunigungsdruck dazu führen würde, dass Verfahren bereits wegen kurzzeitiger, in der Person eines Richters liegender Erledigungshindernisse (z.B. einer nicht langfristigen Erkrankung oder einer lediglich als vorübergehend anzusehenden höheren Belastung durch anderweitige Verfahren) diesem Richter entzogen und einem anderen Richter zugewiesen werden.

53

Der erkennende Senat ist daher, um diesen gegenläufigen, ebenfalls hochrangigen Rechtsgrundsätzen Rechnung zu tragen, der Auffassung, dass die zeitliche Grenze bei der Bestimmung der Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens nicht zu eng gezogen werden darf. Die Dauer eines Gerichtsverfahrens ist nicht schon dann "unangemessen", wenn die Betrachtung eine Abweichung vom Optimum ergibt. Vielmehr muss eine deutliche Überschreitung der äußersten Grenze des Angemessenen festzustellen sein (ebenso BSG-Urteil in SGb 2013, 527, unter 2.a aa). Hinzu kommt, dass die Betrachtung des jeweiligen Verfahrensablaufs durch das Entschädigungsgericht notwendigerweise rückblickend vorgenommen wird und daher regelmäßig auf bessere Erkenntnisse gegründet ist als sie das Ausgangsgericht haben konnte.

54

Aus den genannten Gründen ist dem Ausgangsgericht ein erheblicher Spielraum für die Gestaltung seines Verfahrens einzuräumen (vgl. auch BVerwG-Urteil 5 C 23.12 D, unter 1.b bb (3)). So ist jedes Gericht --nicht nur ein Rechtsmittelgericht, das in besonderem Maße Verfahren von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden hat-- berechtigt, einzelne (ältere und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen, rechtlichen, persönlichen oder organisatorischen Zusammenhangs zu bestimmten Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder Rechtsfrage als dringlicher anzusehen als die Entscheidung anderer Fragen, auch wenn eine solche zeitliche "Bevorzugung" einzelner Verfahren jeweils denknotwendig zu einer längeren Dauer anderer Verfahren führt. Ebenso ist es hinzunehmen, wenn die --durch Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG im Einzelfall als geboten erscheinende und zum Kernbereich der durch Art. 97 Abs. 1 GG geschützten richterlichen Unabhängigkeit gehörende-- besonders intensive Befassung mit einem in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht schwierig erscheinenden Verfahren notwendigerweise dazu führt, dass sich nicht allein die Dauer dieses Verfahrens verlängert, sondern während dieser Zeit auch eine Förderung aller anderen diesem Richter zugewiesenen Verfahren nicht möglich ist. Hinzu kommt, dass es aus nachvollziehbaren Gründen der öffentlichen Personalwirtschaft gerichtsorganisatorisch mitunter unvermeidbar ist, Richtern oder Spruchkörpern einen relativ großen Bestand an Verfahren zuzuweisen. Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren, die bei einem Gericht anhängig oder einem Spruchkörper bzw. Richter zugewiesen sind, ist aber aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art. 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht verlangt.

55

Der damit vom Entschädigungsgericht den Ausgangsgerichten eingeräumte Gestaltungsspielraum dient dazu, dass Gerichte --ohne unangemessene Überbetonung allein des zeitlichen bzw. quantitativen Aspekts richterlicher Verfahrensgestaltung und Entscheidungsfindung-- in innerer und äußerer Freiheit und Unabhängigkeit inhaltlich möglichst zutreffende und qualitativ möglichst hochwertige Entscheidungen treffen können. Stets ist zu beachten, dass sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts verdichtet, sich nachhaltig um eine Förderung, Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG-Beschluss in NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.).

56

c) Die nach dem Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG --sowie nach der im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck kommenden Konzeption des EGMR und BVerfG-- damit im Vordergrund stehende Einzelfallbetrachtung schließt es aus, im Rahmen der Auslegung der genannten Vorschrift konkrete Fristen zu bezeichnen, innerhalb der ein Verfahren im Regelfall abschließend erledigt sein sollte (dazu unter aa) oder bei deren Überschreitung eine "absolute überlange Verfahrensdauer" anzunehmen sein soll, die ohne weitere Einzelfallbetrachtung zur Zuerkennung einer Entschädigung führen soll (unter bb).

57

aa) In der Literatur wird mitunter vertreten, der Rechtsprechung des EGMR sei zu entnehmen, dass die angemessene Verfahrensdauer grob ein Jahr pro Instanz betrage (Böcker, Deutsches Steuerrecht 2011, 2173, 2175, m.N. in Fn. 25; ders., Der Betrieb 2013, 1930, 1931).

58

Daran ist zutreffend, dass sich in mehreren Entscheidungen des EGMR die Formulierung findet, "one year per instance may be a rough rule of thumb in Article 6 § 1 cases" (ein Jahr pro Instanz mag eine grobe Faustregel in Fällen des Art. 6 Abs. 1 EMRK sein). Tragend war diese Formulierung aber für keine der Entscheidungen des EGMR, in denen sie verwendet worden ist. Ganz überwiegend sind diese Entscheidungen von vornherein nicht zu Art. 6 Abs. 1 EMRK ergangen, der den Anspruch auf Entscheidung "innerhalb angemessener Frist" enthält, sondern zu Freiheitsentziehungen i.S. des Art. 5 EMRK, der in Abs. 4 einen Anspruch auf gerichtliche Entscheidung "innerhalb kurzer Frist" vorsieht (zu Strafverfahren in der Russischen Förderation vgl. Entscheidungen des EGMR vom 7. April 2005  54071/00 --Rokhlina--; vom 8. November 2005  6847/02 --Khudoyorov--; vom 24. Mai 2007  27193/02 --Ignatov--, Rz 111; vom 9. Oktober 2008  62936/00 --Moiseyev--, Rz 160, und vom 26. November 2009  13591/05 --Nazarov--, Rz 126; zur zwangsweisen Unterbringung eines als "Psychopathen" eingestuften Straftäters in einer britischen Klinik vgl. EGMR-Urteil vom 20. Februar 2003  50272/99 --Hutchison Reid--, Rz 79). Im Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK findet sich diese Formel --ebenfalls nicht tragend-- in einer Entscheidung, die eine arbeitsrechtliche Streitigkeit wegen einer angeblichen Diskriminierung betraf (EGMR-Urteil vom 16. Januar 2003  50034/99 --Obasa--, Rz 35). Arbeitsrechtliche Streitigkeiten gehören aber grundsätzlich zu den Verfahrensarten, die besonders eilbedürftig sind (vgl. Peukert in Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 3. Aufl., Art. 6 Rz 262, m.w.N. auf die Rechtsprechung des EGMR). Insoweit enthalten auch die Vorschriften des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) seit jeher besondere Beschleunigungsgebote, die sich in den für andere Gerichtszweige geltenden Verfahrensordnungen nicht finden (z.B. § 9 Abs. 1, § 17 Abs. 2 Satz 2, § 47 Abs. 2, § 61a ArbGG).

59

Eine Entscheidung des EGMR, die tragend auf die "grobe Faustregel" einer angemessenen Verfahrensdauer von einem Jahr pro Instanz gestützt oder in der gar ein geringfügiges Überschreiten dieser zeitlichen Grenze als unangemessen angesehen worden wäre, ist weder in der Literatur nachgewiesen noch sonst ersichtlich.

60

Jedenfalls im Anwendungsbereich des § 198 GVG wäre eine Auslegung dieser Vorschrift dahingehend, eine Jahresfrist als "Faustregel" anzunehmen, schon durch die Entstehungsgeschichte dieser Norm ausgeschlossen. Im Gesetzgebungsverfahren war ausdrücklich beantragt worden, in das Gesetz eine Regelung aufzunehmen, wonach bei einer Verfahrenslaufzeit von mehr als einem Jahr die Unangemessenheit der Verfahrensdauer vermutet werden sollte. Dieser Antrag ist indes von der großen Mehrheit der Abgeordneten des Rechtsausschusses abgelehnt worden (zum Ganzen ausführlich BTDrucks 17/7217, 25).

61

bb) Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, ab einer --im Streitfall gegebenen-- Verfahrenslaufzeit von acht Jahren sei von einer "absoluten überlangen Verfahrensdauer" auszugehen, die eine Einzelfallprüfung entbehrlich mache, vermag der Senat dem ebenfalls nicht zu folgen. Zwar verdichtet sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung, Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG-Beschluss in NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.). Eine Bewertung der Umstände des Einzelfalls bleibt aber stets erforderlich. Selbst wenn es eine Grenze der "absoluten überlangen Verfahrensdauer" gäbe, wäre diese jedenfalls nicht bei acht Jahren zu ziehen (vgl. --unter Auswertung der Rechtsprechung des EGMR-- Peukert in Frowein/Peukert, a.a.O., Art. 6 Rz 249: erst eine Verfahrensdauer von zehn und mehr Jahren werde "grundsätzlich als nicht angemessen" bewertet).

62

d) Gleichwohl können angesichts der besonderen Bedingungen, die die im Vergleich zu anderen Gerichtsbarkeiten eher homogene Fallstruktur in der Finanzgerichtsbarkeit und die relativ einheitliche Bearbeitungsweise der einzelnen Gerichte und Spruchkörper mit sich bringen, für bestimmte typischerweise zu durchlaufende Abschnitte finanzgerichtlicher Verfahren --nicht jedoch für ihre Gesamtdauer-- zeitraumbezogene Konkretisierungen gefunden werden. Vorrang behält dennoch die stets vorzunehmende Einzelfallbetrachtung.

63

aa) Nach den Ausführungen unter c kann ein Regel- oder auch nur Anhaltswert für die Gesamtdauer eines Verfahrens nicht genannt werden. Dies folgt schon daraus, dass der Schwierigkeitsgrad des einzelnen Verfahrens sowohl rechtstatsächlich von entscheidender Bedeutung für die konkrete Verfahrensdauer ist als auch nach der Konzeption des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG zu den wesentlichen Merkmalen für die Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer gehört. Finanzgerichtliche Verfahren unterscheiden sich in ihrem Schwierigkeitsgrad und der dadurch hervorgerufenen Bearbeitungsintensität und -dauer so sehr voneinander, dass eine Generalisierung der Gesamtverfahrensdauer nicht möglich ist.

64

Auf der anderen Seite wird die höchstrichterliche finanzgerichtliche Rechtsprechung in Entschädigungssachen, schon zur Gewährleistung einer möglichst einheitlichen Rechtsanwendung und um der Rechtspraxis Anhaltspunkte für die Einschätzung der Erfolgsaussichten etwa zu erhebender Entschädigungsklagen zu geben, es nicht gänzlich vermeiden können, dort --unter Beachtung des Grundsatzes, dass die stets vorzunehmende Einzelfallbetrachtung Vorrang hat-- zeitraumbezogene Konkretisierungen vorzunehmen, wo derartige Konkretisierungen aufgrund vorgefundener Übereinstimmungen sowohl in der Struktur zahlreicher finanzgerichtlicher Verfahren als auch ihrer Bearbeitung durch die Gerichte vertretbar sind.

65

bb) Die Frage, ob zeitliche Konkretisierungen stets ausgeschlossen sind oder für bestimmte Fallgruppen eine Erleichterung der rechtlichen Beurteilung ermöglichen, wird in der bisherigen Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes zu § 198 GVG nicht einheitlich beurteilt. Dies beruht indes darauf, dass zwischen den einzelnen Gerichtsbarkeiten erhebliche Unterschiede sowohl in der Struktur und Streubreite der Verfahren als auch in den Verfahrensabläufen bestehen. So lehnt das BVerwG (Urteil 5 C 23.12 D, unter 1.b aa (2)) für instanzgerichtliche Verfahren der Verwaltungsgerichtsbarkeit jede Orientierung an Anhaltswerten ab und führt zur Begründung aus, die Struktur der zu entscheidenden Verfahren sei zu unterschiedlich. Demgegenüber sieht das BSG für Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde --deren Ablauf aufgrund der im Höchstfall drei Monate betragenden Begründungsfrist und des Umstands, dass in aller Regel Sachverhaltsermittlungen nicht vorgesehen sind, in besonderem Maße standardisiert ist, so dass die einzelnen Verfahren nur eine geringe Varianz zueinander aufweisen-- eine Regelfrist für die Gesamtbearbeitungsdauer von zwölf Monaten vor (BSG-Urteil in SGb 2013, 527, unter 2.a cc ccc).

66

cc) Dies vorausgeschickt, lässt sich für den ganz überwiegenden Teil der finanzgerichtlichen Klageverfahren zum einen feststellen, dass die jeweiligen Verfahrenssituationen und Streitgegenstände im Kern miteinander vergleichbar sind und eine erheblich geringere Varianz zueinander aufweisen als dies in der Verwaltungs- oder Zivilgerichtsbarkeit der Fall ist. In den meisten Fällen geht es darum, dass der Bürger sich gegen einen Geldanspruch wendet, den die Finanzverwaltung durch Steuerbescheid gegen ihn festgesetzt hat, oder --in Gestalt einer Steuervergütung-- seinerseits einen Geldanspruch von der Finanzverwaltung begehrt.

67

Darüber hinaus lässt sich feststellen, dass der Ablauf der weitaus meisten finanzgerichtlichen Klageverfahren im Wesentlichen einer Einteilung in drei Phasen folgt: Die erste Phase besteht in der Einreichung und im Austausch vorbereitender Schriftsätze (§ 77 Abs. 1 Satz 1 FGO) durch die Beteiligten. Das Gericht wird in dieser Phase zumeist nur insoweit tätig, als es eingehende Schriftsätze an den jeweils anderen Beteiligten weiterleitet; die Erteilung rechtlicher Hinweise durch das Gericht beschränkt sich --auch mangels Vorliegens der Akten der beklagten Behörde-- auf Ausnahmefälle. An das Ende dieses Schriftsatzaustausches schließt sich in der Regel eine Phase an, in der das Verfahren --gerichtsorganisatorisch durch die Gesamtanzahl der dem Spruchkörper oder Richter zugewiesenen Verfahren bedingt-- wegen der Arbeit an anderen Verfahren nicht bearbeitet werden kann. Der Beginn der dritten Phase ist dadurch gekennzeichnet, dass das Gericht Maßnahmen trifft, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen (z.B. Handlungen der Sachaufklärung, Erteilung rechtlicher Hinweise, sonstige in § 79 FGO genannte Anordnungen, in einfach gelagerten Fällen auch die sofortige Ladung zur mündlichen Verhandlung). Diese dritte Phase ist in besonderem Maße vom Schwierigkeitsgrad des Verfahrens, dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter --insbesondere von deren Reaktionsgeschwindigkeit auf gerichtliche Anfragen und Ermittlungshandlungen-- und der Intensität der Bearbeitung durch den hierfür berufenen Richter abhängig. Die Frage, welche Dauer für diese Phase --und damit auch für die Gesamtlaufzeit eines Verfahrens-- "angemessen" ist, entzieht sich daher jedem Versuch einer Typisierung oder zeitlichen Konkretisierung. Gleiches mag für die erste Phase gelten, da auch die Dauer des Wechsels vorbereitender Schriftsätze zwischen den Beteiligten häufig vom Schwierigkeitsgrad des Verfahrens sowie dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten abhängig sein wird.

68

Demgegenüber eignet sich die dargestellte zweite Phase eher für die Suche nach zeitlichen Konkretisierungen. Insbesondere ist sie in erster Linie gerichtsorganisatorisch bedingt, weist aber keinen Zusammenhang zum Schwierigkeitsgrad des einzelnen Verfahrens auf, da ein --vermeintlich-- höherer Schwierigkeitsgrad eines Verfahrens nicht als sachlicher Grund anzusehen wäre, ein solches Verfahren länger als vermeintlich einfachere Verfahren unbearbeitet zu lassen. Zugleich ist diese zweite Phase typischer finanzgerichtlicher Verfahren im Hinblick auf den Schutzzweck der §§ 198 ff. GVG von besonderer Bedeutung, da gerade während eines Zeitraums, in dem weder die Beteiligten noch das Gericht Aktivitäten entfalten, für den Verfahrensbeteiligten mit zunehmender Dauer dieses Zeitraums die Frage Bedeutung gewinnt, wann denn mit einer Förderung und Entscheidung "seines" Verfahrens zu rechnen sei. Demgegenüber ist in der ersten Phase, in der die Beteiligten aktiv sind, und in der dritten Phase, in der das Gericht das Verfahren in Richtung auf eine Entscheidung vorantreibt, die Betroffenheit des Verfahrensbeteiligten durch eine --unter Umständen längere-- Dauer dieser Verfahrensabschnitte geringer, weil das Verfahren jeweils gefördert wird. Die Dauer dieser Verfahrensabschnitte wird daher im Wesentlichen nur durch den aus der Rechtsprechung des BVerfG folgenden Gesichtspunkt begrenzt, wonach sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts verdichtet, sich nachhaltig um eine Förderung, Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (Beschluss in NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.).

69

dd) Vor diesem Hintergrund spricht bei einem finanzgerichtlichen Klageverfahren, das im Vergleich zu dem dargestellten Verfahrensablauf keine wesentlichen Besonderheiten aufweist, eine Vermutung dafür, dass die Dauer des Verfahrens angemessen ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen (vgl. hierzu bereits Senatsurteil in BFHE 240, 516, BStBl II 2013, 547, unter III.3.a b), und die damit begonnene ("dritte") Phase des Verfahrensablaufs nicht durch nennenswerte Zeiträume unterbrochen wird, in denen das Gericht die Akte unbearbeitet lässt.

70

Der erkennende Senat hat diesen für die Dauer der ersten beiden Phasen genannten, in einem Verfahren ohne Besonderheiten die Vermutung der Angemessenheit begründenden "Karenzzeitraum" von gut zwei Jahren anhand einer Abwägung der widerstreitenden Gesichtspunkte gewonnen. Ein solcher Zeitraum erscheint für den Regelfall als ausreichend, dem gerichtsorganisatorisch bedingten Faktum Rechnung zu tragen, dass zu einem richterlichen Dezernat zahlreiche Verfahren gehören, die aber nicht allesamt gleichzeitig mit dem erforderlichen Tiefgang bearbeitet werden können. Zugleich ermöglicht es dieser Zeitraum dem Richter an einem oberen Landesgericht (vgl. § 2 FGO), in Verantwortung für die inhaltliche Richtigkeit und das qualitativ hohe Niveau seiner Entscheidung sowie in Ausübung seiner richterlichen Unabhängigkeit gegebenenfalls von seinem Gestaltungsspielraum (siehe oben b) Gebrauch zu machen, indem er einzelne Verfahren zeitlich vorzieht oder besonders intensiv bearbeitet, und andere Verfahren dadurch notwendigerweise länger unbearbeitet lässt.

71

Auf der anderen Seite hält es der Senat dem Verfahrensbeteiligten noch für zumutbar, bis zu zwei Jahre auf den Beginn der zielgerichteten Bearbeitung durch das FG zu warten. Dabei ist entscheidend zu berücksichtigen, dass der Gegenstand finanzgerichtlicher Klageverfahren --anders als etwa die typische Streitigkeit aus dem Bereich des Arbeits-, Familien- oder Statusrechts oder des Rechts existenzsichernder Sozialleistungen (vgl. die auf die Rechtsprechung des EGMR gestützte Zusammenstellung eilbedürftiger Verfahrensarten bei Peukert in Frowein/Peukert, a.a.O., Art. 6 Rz 262)-- typischerweise nicht durch besondere Eilbedürftigkeit gekennzeichnet ist. Es geht in aller Regel um staatliche Geldansprüche, die zudem regelmäßig auf einen Bruchteil des Einkommens, Umsatzes oder der sonstigen Wirtschaftsteilhabe des Verfahrensbeteiligten beschränkt sind. Zudem gewähren Finanzverwaltung und -gerichte unter Anwendung relativ großzügiger Maßstäbe Aussetzung der Vollziehung, so dass die meisten Verfahrensbeteiligten während der Verfahrensdauer von der Pflicht zur Leistung der streitigen Steuern entweder befreit sind oder sich befreien lassen könnten.

72

Eine Frist von etwa zwei Jahren wird auch von großen Teilen der Literatur vertreten (Peukert in Frowein/Peukert, a.a.O., Art. 6 Rz 249: 1,5 bis zwei Jahre; Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl., Art. 6 Rz 199: zwei Jahre; Remus, NJW 2012, 1403, 1404: zwei bis drei Jahre). Sie entspricht zudem der tatsächlichen durchschnittlichen Dauer zulässiger Klageverfahren, die von den Finanzgerichten in den Jahren 2007 bis 2010 durch Urteil entschieden worden sind (Geschäftsbericht der Finanzgerichte der Bundesrepublik Deutschland für die Jahre 2009 und 2010, Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1578, 1581; vgl. aber zur eingeschränkten Aussagekraft statistischer Werte für die Konkretisierung des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG BVerwG-Urteil 5 C 23.12 D, unter 1.b aa (2)). Auch das BVerfG hat es --in Bezug auf sein eigenes Verfahren-- nicht als unangemessen angesehen, wenn bis zur Entscheidung über einen Schadensersatz-Geldanspruch ein Zeitraum von 27 Monaten verstrichen ist (BVerfG-Beschluss vom 3. April 2013  1 BvR 2256/10 - Vz 32/12, NJW 2013, 2341, unter II.1.c vor aa). Zwar beziehen sich alle vorstehend genannten Durchschnittswerte auf die gesamte Verfahrenslaufzeit, während der vom Senat genannte Zeitraum nur die beiden ersten Phasen eines typischen finanzgerichtlichen Verfahrens erfasst. Die damit verbundene Gewährung eines zusätzlichen Bearbeitungszeitraums rechtfertigt sich aber daraus, dass eine entschädigungspflichtige menschenrechts- und grundgesetzwidrige Verzögerung nur bei einer deutlichen Überschreitung der äußersten Grenze des Angemessenen festzustellen ist (vgl. oben b). Hinzu kommt, dass gerade bei einfach gelagerten Verfahren die dritte Phase der Bearbeitung sich häufig auf die Ladung zur und Durchführung der mündlichen Verhandlung oder eines Erörterungstermins beschränken wird, also nicht zu einer wesentlichen weiteren Verlängerung der Verfahrensdauer führt.

73

ee) Allerdings steht es jedem Verfahrensbeteiligten frei, das Gericht auf eine aus seiner Sicht gegebene besondere Eilbedürftigkeit des Verfahrens hinzuweisen. Dies zeigt auch die Regelung des § 198 Abs. 3 Satz 3 GVG, die Umstände erfasst, die für ein besonderes Beschleunigungsbedürfnis von Bedeutung sind (vgl. BTDrucks 17/3802, 21). Werden solche Gründe rechtzeitig und in nachvollziehbarer Weise vorgetragen, gilt die eingangs genannte Vermutung, die Verfahrensdauer sei angemessen, wenn die dritte Phase im Verfahrensablauf gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage beginnt, nicht. Vielmehr kommt es dann ausschließlich auf die besonderen Umstände des Einzelfalls an.

74

e) Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass das Ausgangsverfahren während eines Zeitraums von 43 Monaten in unangemessener Weise verzögert worden ist.

75

aa) Die Anwendung der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG beispielhaft genannten Kriterien vermittelt im Streitfall kein einheitliches Bild.

76

So war der Schwierigkeitsgrad des Verfahrens als überdurchschnittlich hoch anzusehen. Zum einen waren Sachverhaltsermittlungen im Ausland durchzuführen, die sich als äußerst langwierig gestalteten. Zum anderen waren sowohl ausländische als auch komplexe europäische Rechtsvorschriften anzuwenden. Die Auslegung der letztgenannten Vorschriften hat gerade während der Zeit der Anhängigkeit des Ausgangsverfahrens einer sehr dynamischen Entwicklung unterlegen.

77

Auf der anderen Seite war auch die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger als überdurchschnittlich hoch einzuschätzen. Das Kindergeld stellt --obwohl es rechtstechnisch im EStG geregelt ist und als "Steuervergütung" bezeichnet wird (§ 31 Satz 3 EStG)-- eine Leistung zur Förderung der Familie (§ 31 Satz 2 EStG) dar, die ihren Förderzweck grundsätzlich nur erfüllen kann, wenn es den Berechtigten in zeitlichem Zusammenhang zum Anfallen der kindbedingten Unterhaltsaufwendungen ausgezahlt wird. Dies gilt ungeachtet dessen, dass der Kläger im vorliegenden Verfahren trotz eines entsprechenden Hinweises des Beklagten keine Angaben zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen gemacht hat, so dass nicht festgestellt werden kann, dass er auf die möglichst zügige Auszahlung des Kindergelds ebenso angewiesen war wie ein Empfänger solcher Sozialleistungen, die zur Existenzsicherung und ausschließlich in Fällen einer konkreten Bedürftigkeit gezahlt werden.

78

Das Verhalten Dritter hat in erheblichem Maße zu der letztlich erreichten Verfahrensdauer von mehr als acht Jahren beigetragen. So war lange Zeit unklar, ob E --die am Klageverfahren nicht beteiligt war und deren Verhalten dem Kläger nicht zuzurechnen ist-- überhaupt einen Kindergeldantrag in Nordirland gestellt hatte. Auch erteilte E nur sehr schleppend Auskünfte über die ihr gegenüber ergangenen Entscheidungen der CBO; ebenso haben die CBO selbst sowie die nordirische Verbindungsstelle der Familienkasse jeweils längere Zeit benötigt, um Auskünfte gegenüber der Familienkasse zu erteilen. Die Familienkasse als Verfahrensbeteiligte hat insoweit zu einer nennenswerten Verfahrensverzögerung beigetragen, als sie die --letztlich streitentscheidende-- Antwort der CBO nicht an das FG weitergeleitet, sondern unbearbeitet zu ihren Akten genommen hat.

79

bb) Die vom Senat erkannte Verzögerung um 43 Monate ergibt sich aus einer Betrachtung des konkreten Verfahrensablaufs.

80

(1) Das seit dem 20. Februar 2004 beim FG anhängige Ausgangsverfahren ist bereits unmittelbar nach seinem Eingang sehr zielgerichtet durch den damaligen Vorsitzenden gefördert worden. Dieser hat am 7. Juni 2004 einen rechtlichen Hinweis an den Kläger gerichtet, der der rechtlichen und tatsächlichen Problematik des Falles umfassend gerecht geworden, vom Kläger aber nur unzureichend aufgegriffen worden ist. Weitere Hinweise des damaligen Senatsvorsitzenden folgten am 2. Februar 2005 und 24. März 2005. Danach hat das FG seine Tätigkeit indes für einen mehrjährigen Zeitraum eingestellt.

81

(2) Geht man nach den unter d dargelegten Grundsätzen davon aus, dass die Angemessenheit der Verfahrensdauer zu vermuten ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen, und berücksichtigt man zusätzlich, dass der damalige Senatsvorsitzende bereits während des Wechsels der vorbereitenden Schriftsätze zwischen den Beteiligten zielgerichtete rechtliche Hinweise erteilt hatte, was eine gewisse Verlängerung der Regelfrist rechtfertigt, hätte das FG das Verfahren im zweiten Halbjahr 2006 wieder aufgreifen und durch kontinuierliches Tätigwerden zur Entscheidungsreife führen müssen. Da zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits die Familienkasse eigenständig mit Ermittlungen in Nordirland begonnen hatte, war es unter den besonderen Umständen des Streitfalls für das FG sachgerecht, den Ausgang dieser Ermittlungen zunächst abzuwarten. Daher ist die Regelfrist hier um weitere sechs Monate zu verlängern. Spätestens ab dem Beginn des Jahres 2007 --das Verfahren war seinerzeit bereits fast drei Jahre anhängig-- genügte es aber nicht mehr, lediglich das eigenständige (und bisher nicht zu konkreten Ergebnissen führende) Handeln der Familienkasse zu beobachten. Vielmehr hätte das FG entweder selbst --notfalls, wie wesentlich später auch tatsächlich geschehen, über den Kläger-- darauf hinwirken müssen, dass E in Nordirland einen bearbeitungsfähigen Kindergeldantrag stellt, oder aber im Wege der ihm obliegenden Sachaufklärung den Inhalt des im Vereinigten Königreich geltenden Kindergeldrechts ermitteln müssen.

82

(3) Seit Januar 2007 war das Verfahren daher als verzögert anzusehen. Die Verzögerung wurde auch nicht durch die zwischen November 2007 und Februar 2008 an die Familienkasse gerichteten Sachstandsanfragen des FG unterbrochen. Denn in diesem Verfahrensstadium war --wie vorstehend unter (2) dargelegt-- das bloße Abwarten der Ergebnisse der eigenen Ermittlungen der Familienkasse nicht mehr ausreichend. Die Verzögerung des Verfahrens endete vielmehr --vorläufig-- erst mit der im April 2009 ergangenen Ladung zum Erörterungstermin. Von Januar 2007 bis März 2009 ist danach eine unangemessene Verfahrensverzögerung von 27 Monaten zu verzeichnen.

83

(4) Mit Zustimmung der Beteiligten hat das FG am 15. Juni 2009 das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Die Zeit eines einvernehmlichen förmlichen Ruhens des Verfahrens kann grundsätzlich nicht als unangemessen im Hinblick auf die Gesamtverfahrensdauer angesehen werden, da jeder Beteiligte die Möglichkeit hat, den Eintritt des Ruhens durch Versagung seiner erforderlichen Zustimmung zu verhindern.

84

Allerdings endet die Wirkung eines Ruhensbeschlusses von selbst, sobald das in diesem Beschluss genannte Ereignis eintritt (BFH-Beschluss vom 9. August 2007 III B 187/06, BFH/NV 2007, 2310). Für den konkreten Zeitpunkt, zu dem die Wirkung eines Ruhensbeschlusses endet, ist dabei die Formulierung des jeweiligen Beschlusstenors maßgebend. So endet ein "bis zum Ergehen" einer bestimmten obergerichtlichen Entscheidung angeordnetes Ruhen bereits mit dem --objektiven-- Ergehen der Entscheidung im bezeichneten Musterverfahren; ob das Gericht oder die Beteiligten im bisher ruhenden Verfahren Kenntnis von der obergerichtlichen Entscheidung haben, ist ohne Belang (BFH-Beschluss vom 8. Januar 2013 V B 23/12, BFH/NV 2013, 748). Ebenso kommt es zur Beurteilung des vorliegenden Falles, in dem das FG das Ruhen "bis zur Entscheidung" über den Antrag der E angeordnet hatte, allein auf das objektive Ergehen dieser Entscheidung an, nicht aber auf die entsprechende Kenntniserlangung durch das FG. Damit ruhte das Ausgangsverfahren ab dem 30. März 2010, dem Datum der Entscheidung der CBO, nicht mehr.

85

(5) Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Ausgangsverfahren ab diesem Zeitpunkt wieder als unangemessen verzögert anzusehen wäre. Vielmehr ist im Rahmen der Beurteilung der Angemessenheit zu berücksichtigen, dass das FG vom objektiven Wegfall des Ruhensgrunds keine Kenntnis haben konnte. Zudem hat das FG die Familienkasse bereits am 6. April 2010 gebeten, über deren nordirische Verbindungsstelle Ermittlungen zum Schicksal des Kindergeldantrags zu führen. Dies war sachgerecht.

86

Nach Auffassung des Senats durfte das FG in diesem Verfahrensstadium allerdings nicht länger als sechs Monate auf eine Antwort warten. Zwar nehmen Ermittlungen, die im Wege der Einschaltung ausländischer Behörden geführt werden, erfahrungsgemäß deutlich längere Zeiträume in Anspruch als vergleichbare Ermittlungen im Inland. Auf der anderen Seite sind die Verbindungsstellen der Familienkassen gerade deshalb geschaffen worden, um im Interesse der Verfahrensbeschleunigung einen unmittelbaren Verkehr zwischen den beteiligten Fachbehörden zu ermöglichen (vgl. Art. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern), ohne den komplizierten und zeitraubenden Weg eines Rechtshilfeersuchens zu gehen. Zudem war das Verfahren beim Beginn dieser Ermittlungen bereits seit über sechs Jahren anhängig und schon erheblich verzögert. In einem solchen Fall verdichtet sich --wie bereits ausgeführt-- die Pflicht des Gerichts, auf eine ununterbrochene Förderung des Verfahrens hinzuwirken. Angesichts des Umstands, dass im gesamten Verlauf des bisherigen Verfahrens keine brauchbaren Unterlagen aus Nordirland beim FG eingegangen waren, durfte es sich nicht allein auf die Antwortbereitschaft der ausländischen Behörde verlassen. Spätestens im November 2010 hätte das FG daher auf anderem Wege tätig werden müssen. Tatsächlich ist es jedoch erst am 10. August 2011 --auf Drängen des Klägers-- tätig geworden, indem es diesen um die Vorlage einer Bescheinigung des CBO gebeten hat. Für den Zeitraum von November 2010 bis Juli 2011 ist somit eine weitere unangemessene Verzögerung von neun Monaten zu verzeichnen.

87

(6) Der Kläger reichte die angeforderte Bescheinigung am 6. Dezember 2011 beim FG ein. Danach hätte das FG angesichts der bereits erreichten Verfahrensdauer von knapp acht Jahren umgehend mit der abschließenden Bearbeitung des Verfahrens beginnen müssen. Allein die kommentarlose Übersendung der Bescheinigung an die Familienkasse kann nach nahezu achtjähriger Verfahrensdauer nicht als ausreichende Verfahrensförderung angesehen werden, zumal das FG selbst diese Bescheinigung angefordert hatte und sich daher gegenüber den Beteiligten zumindest dazu hätte äußern können, ob die Bescheinigung die Erwartungen, die das FG bei dessen Anforderung hegte, erfüllen konnte.

88

Tatsächlich hat das FG erst auf die wiederholten Verzögerungsrügen des Klägers am 26. März 2012 die Kindergeldakten bei der Familienkasse angefordert und die Akten im August 2012 durchgesehen; diese Aktendurchsicht führte dann am 15. August 2012 zu rechtlichen Hinweisen an die Beteiligten und --ohne weitere Verzögerung-- zu einer Beendigung des Ausgangsverfahrens durch behördliche Abhilfe und die Abgabe von Hauptsacheerledigungserklärungen. Im Zeitraum von Januar bis Juli 2012 ist daher eine weitere unangemessene Verzögerung von sieben Monaten eingetreten.

89

Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass das FG sich in der Zeit ab dem 20. April 2012 bemüht hat, die Erledigung eines Verfahrens über "Kindergeld ab Mai 2010" zu erreichen. Ein solches Verfahren war zu keinem Zeitpunkt beim FG anhängig. Die --auch teilweise-- Ablehnung einer Kindergeldfestsetzung entfaltet vielmehr nur bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung Bindungswirkung (BFH-Beschluss vom 19. Dezember 2008 III B 163/07, BFH/NV 2009, 578, m.w.N. auf die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung zu dieser Frage), hier also bis Januar 2004. Wenn das FG sich um die Beendigung eines solchen, nur vermeintlich bei ihm anhängigen Verfahrens bemüht, kann dies nicht dazu führen, dass das tatsächlich anhängige, bereits erheblich verzögerte Verfahren während eines weiteren Zeitraums unbearbeitet bleiben darf. Soweit der Beklagte das Vorgehen des FG damit zu erklären versucht, die dortige Berichterstatterin habe den Eintritt der Festsetzungsverjährung verhindern wollen, überzeugt dies nicht. Für Anspruchszeiträume ab Mai 2010 drohte im Jahr 2012 erkennbar noch keine Festsetzungsverjährung. Für Zeiträume ab Februar 2004 --für die aufgrund entsprechender Erklärungen der Familienkasse der Eintritt der Festsetzungsverjährung ebenfalls nicht drohte-- sind keine Maßnahmen des FG feststellbar, die zusätzlich zu den bereits für den Streitzeitraum (März 2001 bis Januar 2004) ergriffenen Maßnahmen getroffen worden wären und insoweit zu einer Verlängerung des Verfahrens hätten führen können.

90

(7) Danach ist das Verfahren von Januar 2007 bis März 2009 (27 Monate), November 2010 bis Juli 2011 (neun Monate) und Januar bis Juli 2012 (sieben Monate) unangemessen verzögert worden, insgesamt also während eines Zeitraums von 43 Monaten.

91

cc) Die vorstehend vorgenommene Beurteilung lässt entgegen der Auffassung des Beklagten keinen Raum mehr dafür, die unzutreffende Angabe des Klägers zu Beginn des Ausgangsverfahrens, in Nordirland sei bereits damals ein Kindergeldantrag gestellt worden, zur Rechtfertigung der langen Verfahrensdauer heranzuziehen. Vielmehr hat der Senat die Wartezeit auf die Antragstellung, Antragsbearbeitung und Entscheidungsbekanntgabe in Nordirland im Rahmen der vorstehend unter bb vorgenommenen Würdigung der Umstände des Einzelfalls bereits hinreichend bei der Bemessung der noch als angemessen anzusehenden Verfahrensdauer berücksichtigt.

92

Umgekehrt vermag der Senat auch der Auffassung des Klägers nicht zu folgen, das Verhalten aller in das Ausgangsverfahren einbezogenen in- und ausländischen Behörden sei dem Beklagten zuzurechnen, so dass die Wartezeit auf behördliche Entscheidungen keinerlei Verfahrensverlängerung rechtfertige. Das "Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter" ist vielmehr gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG als eines von mehreren Merkmalen in die Bewertung und Gewichtung der Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Soweit das FG das Verhalten von --insbesondere ausländischen-- Behörden nicht beeinflussen kann, ist ihm dieses Verhalten nicht unmittelbar zuzurechnen. Es hat lediglich die --sich mit zunehmender Verfahrensdauer verdichtende-- Pflicht, das Verfahren zu fördern.

93

3. Die Entscheidung über die Höhe des Entschädigungsanspruchs bleibt dem Betragsverfahren bzw. Endurteil vorbehalten. Gleiches gilt für die Kostenentscheidung.

16
a) Auch in diesem Fall gilt, dass die Verzögerungsrüge frühestens erhoben werden kann, wenn Anlass zu der Besorgnis besteht, dass über die Gehörsrüge nicht in angemessener Zeit entschieden wird. Maßgeblich ist, wann ein Betroffener erstmals Anhaltspunkte dafür hat, dass das Anhörungsrügeverfahren als solches keinen angemessen zügigen Fortgang nimmt (Ott aaO § 198 GVG Rn. 190). Es genügt grundsätzlich, dass die Verzögerungsrüge nach diesem Zeitpunkt im laufenden Anhörungsrügeverfahren erhoben wird (Senatsurteil vom 10. April 2014 - III ZR 335/13, BeckRS 2014, 08780 Rn. 31). Im vorangegangenen Verfahren bereits eingetretene Verzögerungen können allerdings durch eine erstmals im Rügeverfahren erhobene Verzögerungsrüge nicht mehr geltend gemacht werden. Dies folgt schon daraus, dass Gegenstand des Anhörungsrügeverfahrens allein die behauptete Gehörsverletzung ist und für das Gericht keine Möglichkeit mehr besteht, das bereits beendete Hauptsacheverfahren noch zu beschleunigen (vgl. Ott aaO § 198 GVG Rn. 173 f, 191; Schenke , NVwZ 2012, 257, 261).

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

28
b) Unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer dann, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (vgl. BVerwG aaO 5 C 23.12 D Rn. 37 und 5 C 27.12 D Rn. 29).
36
aa) Unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer dann, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (ausführlich Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 28 ff und vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13, BeckRS 2013, 22861 Rn. 36 ff, jeweils mwN, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Entschädigungsanspruchs wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens und darüber, ob der Kläger daneben beanspruchen kann, die unangemessene Dauer feststellen zu lassen.

2

Im Ausgangsverfahren, dessen Überlänge der Kläger rügt, stand die Rückerstattung von Ausbildungsförderung im Streit, die der Kläger für sein Studium der Geowissenschaften von Oktober 2000 bis März 2003 erhalten hatte. Ein erster Rückforderungsbescheid erging im Februar 2003 und belief sich über 13 600 €. Das Studentenwerk P. verlangte die Förderung mit der Begründung zurück, der Kläger habe nicht angegeben, dass er über umfangreiches Vermögen auf einem Bankkonto verfüge. Nach der Zurückweisung seines Widerspruchs erhob der Kläger Ende Juni 2003 Klage vor dem Verwaltungsgericht.

3

Im September 2003 begründete er seine Klage damit, dass das festgestellte Vermögen nicht ihm gehöre, sondern seinem Bruder, für den er es treuhänderisch verwalte. Zudem erweiterte der Kläger seine Klage auf einen zwischenzeitlich ergangenen zweiten Rückforderungsbescheid über 3 500 €. Mitte Januar 2004 nahm das beklagte Studentenwerk schriftlich zu der Klage Stellung. Mit Schreiben vom 3. März 2004 fragte die Berichterstatterin bei den Beteiligten an, ob sie mit einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter sowie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien.

4

Mit am 11. und 12. März 2004 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenen Schriftsätzen erklärten die Beteiligten ihr Einverständnis mit dieser Verfahrensweise. Der Kläger trug zudem weiter zur Sache vor und kündigte für den Fall, dass das Gericht Zweifel an dem Wahrheitsgehalt seines Tatsachenvortrags haben sollte, mehrere Beweisanträge an. Mit Schreiben vom 17. März 2004 übersandte das Verwaltungsgericht dem Studentenwerk eine Abschrift des Schriftsatzes des Klägers und gab Gelegenheit, innerhalb von sechs Wochen Stellung zu nehmen. Das beklagte Studentenwerk äußerte sich hierauf nicht. Mit am 10. November 2004 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz wies der Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf hin, dass die Beteiligten Anfang März des Jahres "wohl auch aus Beschleunigungszwecken" übereinstimmend einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt hätten. Das Gericht teilte ihm mit, dass nicht absehbar sei, wann mit einer Entscheidung zu rechnen sei. Gleiches gilt für die weiteren Anfragen des Klägers vom 16. Mai 2006 und vom 16. Juli 2007.

5

Mit Beschluss vom 5. Januar 2010 übertrug die Kammer des Verwaltungsgerichts den Rechtsstreit auf den Einzelrichter. Auf die Anfrage, ob Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehe, stimmten die Beteiligten bis Ende Januar 2010 zu. Mit Urteil vom 2. Februar 2010 wies der Einzelrichter die Klage ohne mündliche Verhandlung ab. Sie sei teilweise wegen Versäumung der Widerspruchsfrist unzulässig und teilweise unbegründet. Das vom Kläger behauptete Treuhandverhältnis habe nach Überzeugung des Gerichts nicht bestanden.

6

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 23. Februar 2010 zugegangene Urteil beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung. Diese ließ das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. Mai 2011 zu. In der mündlichen Verhandlung am 30. November 2011 wurde der Kläger befragt und sein Bruder als Zeuge vernommen. Mit Urteil vom selben Tag änderte das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts und gab der Klage statt. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 12. Januar 2012 und dem Beklagten am 19. Januar 2012 zugestellt. Rechtsmittel gegen die Nichtzulassung der Revision wurden nicht eingelegt.

7

Mit der am 4. Januar 2012 zunächst beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen und von diesem an das Oberverwaltungsgericht weitergeleiteten Klage hat der Kläger die Gewährung einer Entschädigung in Höhe von 6 000 € und die Feststellung begehrt, dass die Verfahrensdauer des Rechtsstreits bei dem Verwaltungsgericht unangemessen war. Er habe über lange Zeit mit der erheblichen Unsicherheit leben müssen, einer für seine Verhältnisse existenzbedrohlichen Forderung von über 17 000 € ausgesetzt zu sein. Das Verwaltungsgericht habe den Rechtsstreit ohne Weiteres innerhalb von ungefähr 20 Monaten und damit bis Februar 2005 entscheiden können. Es habe selbst bereits mit seiner Verfügung vom 3. März 2004 zum Ausdruck gebracht, dass die Sache aus seiner Sicht keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweise und auch keine grundsätzliche Bedeutung habe. Dennoch habe es ab März 2004 keine aktenkundige Tätigkeit entfaltet, um die aus seiner Sicht entscheidungsreife Sache zu fördern. Insgesamt ergebe sich eine nicht zu rechtfertigende Verzögerung von fünf Jahren.

8

Das Oberverwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil vom 27. März 2012 die Beklagte verurteilt, an den Kläger 4 000 € zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Verfahren des Klägers habe zwar keine neuen oder komplexen Rechtsfragen aufgeworfen. Auch die Klärung der Tatsachengrundlage sei nicht überdurchschnittlich aufwändig gewesen. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles sei die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens aber bis einschließlich September 2006 noch als angemessen anzusehen. Zwar sei die Streitsache jedenfalls im September 2004 erkennbar entscheidungsreif gewesen. Bei Hinzurechnung einer aus Sicht des Klägers unerfreulichen, jedoch noch nicht gegen die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entwickelten Maßstäbe verstoßenden Verfahrensdauer von weiteren zwei Jahren erschließe sich, dass die Verfahrensdauer bis September 2006 angemessen und von Oktober 2006 bis Januar 2010 (weitere drei Jahre und vier Monate) unangemessen gewesen sei. Die Verfahrensdauer in der zweiten Rechtsstufe vor dem Oberverwaltungsgericht sei mit ca. zwei Jahren noch angemessen. Das dortige Verfahren sei aber auch nicht so zügig durchgeführt worden, dass damit die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens teilweise hätte kompensiert werden können. Der Kläger habe neben der Entschädigung keinen Anspruch auf die von ihm begehrte Feststellung der Unangemessenheit. Ein schwerwiegender Fall im Sinne des Gesetzes sei schon deswegen nicht gegeben, weil die Klage aufschiebende Wirkung gehabt habe. Zudem habe der Kläger die ihn treffenden Folgen der Verfahrensdauer mildern können, wenn er die Treuhandabrede mit seinem Bruder aufgehoben und einen weiteren Antrag auf Ausbildungsförderung gestellt hätte.

9

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG sowie des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG. Er begehrt eine um 2 000 € höhere Entschädigung sowie die Feststellung, dass die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht unangemessen war.

10

Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.

11

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren. Er sei mit dem Bundesjustizministerium der Auffassung, dass das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts - jedenfalls in seiner Begründung - keinen Bestand haben könne. Nach der Gesetzesfassung komme es auf die Umstände des Einzelfalles und nicht auf eine Durchschnittsdauer an. "Angemessen" sei etwas anderes als "durchschnittlich". Im Extremfall könne auch eine durchschnittliche Dauer unangemessen sein.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Dem Kläger steht die von ihm geltend gemachte weitere Entschädigung zu (1.). Ebenso ist seinem Begehren zu entsprechen, die unangemessene Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens festzustellen (2.).

13

1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Ausgleich seines immateriellen Nachteils in Höhe von weiteren 2 000 €.

14

Der geltend gemachte Anspruch folgt aus § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl I S. 1077), zuletzt geändert durch Gesetz vom 7. Dezember 2011 (BGBl I S. 2582). Diese Regelungen sind im Verwaltungsprozess entsprechend anwendbar (§ 173 Satz 2 VwGO). Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Der durch eine unangemessene Verfahrensdauer eingetretene immaterielle Nachteil ist nach Maßgabe des § 198 Abs. 2 GVG zu entschädigen.

15

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Dauer des vom Kläger in Bezug genommenen Gerichtsverfahrens (a) war unangemessen (b). Hierdurch hat er einen immateriellen Nachteil erlitten, der nicht auf andere Weise wiedergutgemacht werden kann (c) und in der von ihm geltend gemachten Höhe zu entschädigen ist (d).

16

a) Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss (§ 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG). Bezugsrahmen des vom Kläger geltend gemachten Entschädigungsanspruchs ist danach das gesamte - hier abgeschlossene - verwaltungsgerichtliche Verfahren im Ausgangsrechtsstreit, und zwar vom Zeitpunkt der Klageerhebung bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft einer Entscheidung. Erfasst ist hier mithin die Gesamtdauer des Verfahrens vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht (aa), nicht aber das dem Verwaltungsprozess vorausgegangene behördliche Vorverfahren (bb).

17

aa) Bezugsrahmen für die materiell-rechtliche Frage, ob sich die Verfahrensdauer als angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, ist die Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens, auch wenn dieses über mehrere Instanzen oder bei verschiedenen Gerichten geführt worden ist. Hierfür spricht bereits der Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ("Gerichtsverfahren"). Hinweise für eine Trennung zwischen verschiedenen Instanzen oder Gerichten finden sich dort nicht. Gleiches gilt für die Legaldefinition des Gerichtsverfahrens in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG, die auf den Zeitraum von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens und damit auf die Anhängigkeit des Rechtsstreits bei Gericht abstellt. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist auch der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass der Bezugspunkt für die Beurteilung der angemessenen Verfahrensdauer grundsätzlich das Gesamtverfahren ist, soweit es - je nach geltend gemachtem Anspruch - in die Haftungsverantwortung des in Anspruch genommenen Rechtsträgers fällt (BTDrucks 17/3802 S. 18 f.). In systematischer Hinsicht wird die Bezugnahme auf das Gesamtverfahren durch den Rückschluss aus § 198 Abs. 3 Satz 5 GVG bestätigt. Danach ist die Erhebung einer erneuten Verzögerungsrüge erforderlich, wenn sich das Verfahren "bei einem anderen Gericht" weiter verzögert. Schließlich wird das vorgenannte Auslegungsergebnis durch die systematische Einbeziehung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts gestützt. Beide Gerichte gehen im Hinblick auf das Recht auf ein Gerichtsverfahren in angemessener Dauer in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass grundsätzlich auf die Gesamtdauer des Verfahrens abzustellen ist (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 24. Juni 2010 - Nr. 25756/09 - juris Rn. 21 und vom 30. März 2010 - Nr. 46682/07 - juris Rn. 36; BVerfG, Beschlüsse vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 - NJW 2001, 214 und vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 m.w.N.). Gegen die Möglichkeit, die materiell-rechtliche Prüfung auf eine Verfahrensstufe zu begrenzen, spricht vor allem der Umstand, dass eine lange Verfahrensdauer innerhalb einer Stufe gegebenenfalls durch eine zügige Verfahrensführung in einer anderen (höheren) Stufe ausgeglichen werden kann (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 7. Januar 2010 - Nr. 40009/04 - juris Rn. 151 und vom 22. März 2012 - Nr. 23338/09, Kautzor/Deutschland - NJW 2013, 1937 ; BVerfG, Beschlüsse vom 20. Juli 2000 a.a.O. und vom 14. Dezember 2010 a.a.O.).

18

Von der Frage des materiell-rechtlichen Bezugsrahmens zu trennen ist die vom Oberverwaltungsgericht offengelassene Frage, ob sich ein Verfahrensbeteiligter darauf beschränken kann, ein über mehrere Instanzen hinweg geführtes Gerichtsverfahren allein bezüglich der Dauer in einer bestimmten Rechtsstufe als überlang anzugreifen und nur hierfür Entschädigung zu verlangen. Diese Frage, die vor dem Hintergrund der Dispositionsmaxime im Ausgangspunkt prozessualer Natur ist, stellt sich hier nicht. Der Kläger hat im Hinblick auf sein Entschädigungsverlangen - anders als hinsichtlich seines Feststellungsbegehrens (siehe dazu unten 2 a) - eine solche Beschränkung nicht vorgenommen.

19

Soweit das Oberverwaltungsgericht angenommen hat, dass in die Dauer eines Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG auch der Zeitraum bis zur Zustellung des Urteils oder einer anderen das Verfahren abschließenden Entscheidung einzubeziehen ist, trifft dies zwar zu. Denn unter rechtskräftigem Abschluss des Gerichtsverfahrens im Sinne dieser Vorschrift ist der Eintritt der formellen Rechtskraft einer Entscheidung zu verstehen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 24 m.w.N.). Allerdings kann danach die Dauer des Gerichtsverfahrens über den Zeitpunkt der Zustellung hinausgehen. So liegt es hier. Ein Urteil erwächst nur dann mit der Zustellung in Rechtskraft, wenn es nicht mehr mit Rechtsmitteln anfechtbar ist. Kann die Entscheidung dagegen - wie hier das im Ausgangsrechtsstreit ergangene Urteil des Oberverwaltungsgerichts - noch angefochten werden (vgl. § 132 VwGO), wird sie erst mit Ablauf der Rechtsmittelfrist formell rechtskräftig, so dass auch dieser Zeitraum noch zur Dauer des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG zählt.

20

bb) Das Verwaltungsverfahren und das dem gerichtlichen Verfahren vorausgegangene Vorverfahren bei einer Behörde (Widerspruchsverfahren) sind, wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, nicht Bestandteil des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 und § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG.

21

Die Ausklammerung des Verwaltungs- und Vorverfahrens ist mit der Begrenzung auf das "Gerichtsverfahren" bereits unmissverständlich im Wortlaut des Gesetzes angelegt. Sie entspricht überdies dem Willen des Gesetzgebers, wie er in den Gesetzesmaterialien seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 17).

22

Das vorstehende Auslegungsergebnis ist mit Art. 6 und Art. 13 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) in der Fassung vom 22. Oktober 2010 (BGBl II S. 1198) vereinbar. Dem steht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die über den jeweils entschiedenen Fall hinaus Orientierungs- und Leitfunktion für die Auslegung der EMRK hat (vgl. Urteil vom 28. Februar 2013 - BVerwG 2 C 3.12 - ZBR 2013, 257 Rn. 46), nicht entgegen.

23

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat zwar für die Ermittlung, wann die Verfahrensdauer in verwaltungsgerichtlichen Verfahren unangemessen ist, die Dauer des Vorverfahrens mit einbezogen. Sofern die Einlegung dieses Rechtsbehelfs ein notwendiger erster Schritt ist, bevor das gerichtliche Verfahren anhängig gemacht werden kann, hat der Gerichtshof den Zeitraum, der für die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach Art. 6 Abs. 1 EMRK maßgeblich ist, mit dem Tag beginnen lassen, an dem der Beschwerdeführer den behördlichen Rechtsbehelf (Widerspruch) eingelegt hat (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 28. Juni 1978 - C (78) 31, König/Deutschland - NJW 1979, 477 <478 f.>, vom 30. Juni 2011 - Nr. 11811/10 - juris Rn. 21 und vom 24. Juni 2010 a.a.O. m.w.N.).

24

Allerdings beziehen sich diese Entscheidungen auf einen Zeitraum, in welchem das deutsche Recht keinen wirksamen Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK vorsah, der geeignet war, Abhilfe für die unangemessene Dauer von Verfahren zu schaffen (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 24. Juni 2010 a.a.O. Rn. 30 m.w.N.). Mit dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) steht jedoch nunmehr ein solcher Rechtsbehelf gegen Verzögerungen gerichtlicher Verfahren im Sinne des Konventionsrechts zur Verfügung, der zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Grund zu der Annahme gibt, dass die damit verfolgten Ziele nicht erreicht werden (EGMR, Urteil vom 29. Mai 2012 - Nr. 53126/07, Taron/Deutschland - NVwZ 2013, 47 ). Hinzu kommt, dass das nationale Recht mit der so genannten Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO einen Rechtsbehelf vorsieht, mit dem einer unangemessenen Verzögerung im Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) durch unmittelbare Klageerhebung begegnet werden kann. Mit Blick auf die Rüge der Verfahrensdauer erweist sich die Untätigkeitsklage grundsätzlich als wirksamer Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK (vgl. EGMR, Urteil vom 10. Januar 2008 - Nr. 1679/03, Glusen/Deutschland - juris Rn. 66 f.). Dieser tritt neben die durch das neue Gesetz normierte (kompensatorische) Entschädigung für Verzögerungen des Gerichtsverfahrens (vgl. Marx, in: Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Verwaltungsverfahren, 2013, § 173 VwGO Rn. 9; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 38). Jedenfalls mit Blick auf das Nebeneinander dieses Entschädigungsanspruchs und der Untätigkeitsklage ist es konventionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Vorverfahren nicht in die Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer einbezogen wird. Die Europäische Menschenrechtskonvention fordert im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht notwendig einen einheitlichen Rechtsbehelf, sondern lässt bei entsprechender Wirksamkeit auch eine Kombination von Rechtsbehelfen genügen (EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 - Nr. 75529/01, Sürmeli/Deutschland - NJW 2006, 2389 Rn. 98 m.w.N.). Den Konventionsstaaten kommt bei der gesetzlichen Ausgestaltung des von Art. 13 EMRK geforderten Rechtsbehelfs ein Gestaltungsspielraum zu (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 29. März 2006 - Nr. 36813/97, Scordino/Italien - NVwZ 2007, 1259 Rn. 189 und vom 29. Mai 2012 a.a.O. Rn. 41).

25

b) Die Dauer des Gerichtsverfahrens vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht war unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.

26

Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Wie die Verwendung des Wortes "insbesondere" zeigt, werden damit die Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, beispielhaft und ohne abschließenden Charakter benannt (BTDrucks 17/3802 S. 18).

27

aa) Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht mit Bundesrecht nicht in Einklang, soweit es sinngemäß den Rechtssatz aufstellt, dass eine Verfahrensdauer von zwei weiteren Jahren ab Entscheidungsreife noch angemessen sei und nicht gegen die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entwickelten Maßstäbe verstoße (UA S. 16 Rn. 50). Ein entsprechender Rechtssatz lässt sich aus § 198 Abs. 1 GVG nicht ableiten. Mit dieser Bestimmung ist weder die Zugrundelegung fester Zeitvorgaben vereinbar ((1)), noch lässt es die Vorschrift grundsätzlich zu, für die Beurteilung der Angemessenheit von bestimmten Orientierungswerten oder Regelfristen für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen ((2)). Dies gilt gerade auch für die vom Oberverwaltungsgericht angenommene Zwei-Jahresfrist ab Entscheidungsreife ((3)).

28

(1) Mit der gesetzlichen Festlegung, dass sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles richtet (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG), hat der Gesetzgeber bewusst von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen. Die Ausrichtung auf den Einzelfall folgt nicht nur in deutlicher Form aus dem Wortlaut des Gesetzes ("Umstände des Einzelfalles"), sondern wird durch seine Entstehungsgeschichte bestätigt und entspricht dem in den Gesetzesmaterialien klar zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Daraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber schematische zeitliche Vorgaben für die Angemessenheit ausgeschlossen hat. Er hat sich insoweit daran ausgerichtet, dass weder die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte noch die des Bundesverfassungsgerichts feste Zeiträume vorgibt, sondern jeweils die Bedeutung der Einzelfallprüfung hervorhebt. Dem Grundgesetz lassen sich keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (BVerfG, Beschlüsse vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 - NJW 2008, 503; vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 <790>). Gleiches gilt im Ergebnis für die Europäische Menschenrechtskonvention. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles sowie unter Berücksichtigung der Komplexität des Falles, des Verhaltens des Beschwerdeführers und der zuständigen Behörden sowie der Bedeutung des Rechtsstreits für den Beschwerdeführer zu beurteilen (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 28. Juni 1978 a.a.O. <479> und vom 11. Januar 2007 - Nr. 20027/02, Herbst/Deutschland - NVwZ 2008, 289 Rn. 75; Entscheidung vom 22. Januar 2008 - Nr. 10763/05 - juris Rn. 43 m.w.N.).

29

(2) Für die Beurteilung, ob die Verfahrensdauer angemessen ist, verbietet es sich in der Regel auch, von Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder auf statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen. Dabei macht es im Ergebnis keinen Unterschied, ob solche Werte - in Rechtsprechung und Literatur werden Zeitspannen von ein bis drei Jahren genannt - als "normale", "durchschnittliche" oder "übliche" Bearbeitungs- oder Verfahrenslaufzeiten bezeichnet und - im Hinblick auf die Angemessenheit der Verfahrensdauer - als Indiz (Regelfrist), Hilfskriterium oder "erster grober Anhalt" herangezogen werden (vgl. etwa Stahnecker, Entschädigung bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, Rn. 76; Roderfeld, in: Marx/Roderfeld a.a.O. § 198 GVG Rn. 38 f.; im Ergebnis zu Recht ablehnend OVG Bautzen, Urteil vom 15. Januar 2013 - 11 F 1/12 - LKV 2013, 230 <232>; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 69, 86 f. m.w.N.).

30

Die Entscheidung des Gesetzgebers, keine zeitlichen Festlegungen zu treffen, ab wann ein Verfahren "überlang" ist, schließt für den Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit grundsätzlich einen Rückgriff auf Orientierungs- oder Richtwerte aus. Dies gilt auch, soweit in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - allerdings obiter und deshalb die jeweilige Entscheidung nicht tragend - eine Verfahrenslaufzeit von etwa einem Jahr pro Instanz als grober Anhalt ("rough rule of thumb") genannt wird (vgl. Urteile vom 26. November 2009 - Nr. 13591/05, Nazarov/Russland - Rn. 126, vom 9. Oktober 2008 - Nr. 62936/00, Moiseyev/Russland - Rn. 160 und vom 16. Januar 2003 - Nr. 50034/99, Obasa/Großbritannien - Rn. 35 ).

31

Angesichts der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren stießen solche Festlegungen an eine Komplexitätsgrenze. Sie könnten letztlich für die Angemessenheit im Einzelfall nicht aussagekräftig sein. Die Bandbreite der Verwaltungsprozesse reicht von sehr einfach gelagerten Verfahren bis zu äußerst aufwändigen Großverfahren (etwa im Infrastrukturbereich), die allein einen Spruchkörper über eine lange Zeitspanne binden können. Der Versuch, dieser Bandbreite mit Mittel- oder Orientierungswerten Rechnung zu tragen, ginge nicht nur am Einzelfall vorbei, sondern wäre auch mit dem Risiko belastet, die einzelfallbezogenen Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu verfehlen. Die Bestimmung einer Regeldauer brächte zudem - entgegen der Intention des Gesetzes - die Gefahr mit sich, dass sie die Verwaltungsgerichte als äußerstes Limit ansehen könnten, bis zu welchem ein Verfahren zulässigerweise ausgedehnt werden dürfte.

32

Entgegen der Rechtsansicht des Klägers können auch die statistischen Durchschnittslaufzeiten für verwaltungsgerichtliche Verfahren im Land Brandenburg nicht zu einer Objektivierung des Angemessenheitsmaßstabs herangezogen werden (vgl. zur Heranziehung statistischer Durchschnittswerte im sozialgerichtlichen Verfahren: BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 28 ff.). Die vorgenannten Bedenken greifen nämlich in gleicher Weise für den Ansatz, bestimmte (durchschnittliche) Laufzeiten, die durch eine Auswertung anderer Gerichtsverfahren statistisch ermittelt wurden, als ergänzende oder indizielle Werte heranzuziehen. Zum einen ist auch dieser Ansatz mit der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren nicht in Einklang zu bringen. Zum anderen ist ein gesichertes Indiz für eine "normale" bzw. durchschnittliche Laufzeit in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren schon deshalb kaum möglich, weil die Verfahrenslaufzeiten der Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte in den Ländern - wie aus allgemein zugänglichen Quellen ersichtlich und zwischen den Beteiligten unstreitig ist - sehr unterschiedlich ausfallen. Im Hinblick auf die verfassungsmäßige Gewährleistung eines Gerichtsverfahrens in angemessener Zeit kann die Effektivität des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) für die verfahrensbeteiligten Bürger nicht (mit) davon abhängen, in welchem Land sie Rechtsschutz suchen und wie sich die durchschnittliche Verfahrensdauer dort ausnimmt.

33

Es verbietet sich gleichfalls, statistische Erhebungen für Verwaltungsstreitverfahren auf Bundesebene heranzuziehen. Abgesehen davon, dass solche statistischen Werte über Verfahrenslaufzeiten im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren für den Einzelfall kaum aussagekräftig sind, müssten die Durchschnittswerte ihrerseits wieder daraufhin überprüft werden, ob sie als solche angemessen sind.

34

Die Orientierung an einer - wie auch immer ermittelten - (statistisch) durchschnittlichen Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren erweist sich auch deshalb als bedenklich, weil eine solche Laufzeit stets auch Ausdruck der den Gerichten jeweils zur Verfügung stehenden Ressourcen ist, also insbesondere von den bereitgestellten personellen und sächlichen Mitteln abhängt. Der verfassungsrechtliche Anspruch auf eine angemessene Verfahrensdauer darf hingegen grundsätzlich nicht von der faktischen Ausstattung der Justiz abhängig gemacht werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 1973 - 2 BvR 558/73 - BVerfGE 36, 264 <274 f.>). Dies wäre aber im Ergebnis der Fall, wenn für die Ermittlung der angemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG auf eine durchschnittliche Laufzeit abgestellt wird (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. Rn. 87; Ziekow, DÖV 1998, 941 <942>).

35

Die Ausrichtung an einer durchschnittlichen Verfahrensdauer begegnet auch mit Blick darauf Bedenken, dass statistische Werte zumeist schwankend und über die Jahre hinweg in ständigem Fluss sowie von dem abhängig sind, was jeweils wie erfasst wird. Schließlich ersparten sie in keinem Einzelfall die Prüfung, ob und in welchem Umfange über die gesamte Laufzeit eines als überlang gerügten Gerichtsverfahrens Verzögerungen eingetreten und diese sachlich gerechtfertigt sind.

36

(3) Aus den vorgenannten Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die vom Oberverwaltungsgericht angenommene - eher gegriffene - Frist von zwei Jahren ab Entscheidungsreife kein zulässiger Maßstab für die Prüfung der Angemessenheit im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG ist. Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass der Aspekt der Entscheidungsreife oder des "Ausgeschriebenseins" einer Sache für die Bewertung der Verzögerung ohnehin kein Fixpunkt sein, sondern allenfalls relative Bedeutung haben kann. Mit der Entscheidungsreife muss weder sogleich eine dem Staat zuzurechnende Verzögerung eintreten noch werden mit ihr bestimmte Fristen in Lauf gesetzt, innerhalb derer die Verfahrensdauer noch angemessen ist, wenn das Verfahren gefördert wird. Der Begriff der Entscheidungsreife kennzeichnet lediglich den Zeitpunkt, in welchem der für die Entscheidung des Rechtsstreits notwendige Tatsachenstoff aufgeklärt und den Beteiligten in hinreichender Weise rechtliches Gehör gewährt worden ist. Ebenso wenig wie es allgemeine Orientierungswerte für die angemessene Verfahrensdauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren gibt, gibt es solche darüber, bis wann ein Verfahren nach Entscheidungsreife abzuschließen ist.

37

bb) Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eintreten, bei Berücksichtigung des dem Gericht zukommenden Gestaltungsspielraumes sachlich gerechtfertigt sind. Dieser Maßstab erschließt sich aus dem allgemeinen Wertungsrahmen, der für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unangemessenheit vorgegeben ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 ff.), und wird durch diesen weiter konkretisiert.

38

(1) Der unbestimmte Rechtsbegriff der "unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens" (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG) wie auch die zu seiner Ausfüllung heranzuziehenden Merkmale im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG sind unter Rückgriff auf die Grundsätze näher zu bestimmen, wie sie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG und zum Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG entwickelt worden sind. Diese Rechtsprechung diente dem Gesetzgeber bereits bei der Textfassung des § 198 Abs. 1 GVG als Vorbild (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Insgesamt stellt sich die Schaffung des Gesetzes als innerstaatlicher Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren als Reaktion auf eine entsprechende Forderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dar (vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 2. September 2010 - Nr. 46344/06, Rumpf/Deutschland - NJW 2010, 3355). Haftungsgrund für den gesetzlich normierten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer in § 198 Abs. 1 GVG ist mithin die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 m.w.N.).

39

(2) Die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs aus § 198 Abs. 1 GVG an den aus Art. 19 Abs. 4 GG, dem verfassungsrechtlichen Justizgewährleistungsanspruch sowie dem Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK folgenden Anspruch auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit verdeutlicht, dass es darauf ankommt, ob der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht beeinträchtigt worden ist. Damit wird eine gewisse Schwere der Belastung vorausgesetzt; es reicht also nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung des Gerichts aus (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 26). Vielmehr muss die Verfahrensdauer eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 <791 f.>). Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen, weshalb sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790> jeweils m.w.N.).

40

(3) Die Angemessenheit der Dauer eines Gerichtsverfahrens bemisst sich auch danach, wie das Gericht das Verfahren geführt hat und ob und in welchem Umfang ihm Verfahrensverzögerungen zuzurechnen sind.

41

Ist infolge unzureichender Verfahrensführung eine nicht gerechtfertigte Verzögerung eingetreten, spricht dies für die Annahme einer unangemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Dabei ist die Verfahrensführung zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien in Bezug zu setzen. Zu prüfen ist also, ob das Gericht gerade in Relation zu jenen Gesichtspunkten den Anforderungen an eine angemessene Verfahrensdauer gerecht geworden ist. Maßgeblich ist insoweit - genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände -, wie das Gericht die Lage aus seiner Ex-ante-Sicht einschätzen durfte (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 81 und 127).

42

Im Zusammenhang mit der Verfahrensführung durch das Gericht ist zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer in einem gewissen Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und zum rechtsstaatlichen Gebot steht, eine inhaltlich richtige, an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu treffen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 27). Ebenso fordert Art. 6 Abs. 1 EMRK zwar, dass Gerichtsverfahren zügig betrieben werden, betont aber auch den allgemeinen Grundsatz einer geordneten Rechtspflege (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 - Nr. 29357/95, Gast und Popp/Deutschland - NJW 2001, 211 Rn. 75). Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck; vielmehr verlangt das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 12. Februar 1992 - 1 BvL 1/89 - BVerfGE 85, 337 <345> und vom 26. April 1999 - 1 BvR 467/99 - NJW 1999, 2582 <2583>; ebenso BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 - BGHZ 187, 286 Rn. 14 m.w.N.). Um den verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist. Dabei ist die Verfahrensgestaltung in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt (BVerfG, Beschlüsse vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 - NJW-RR 2010, 207 <208> und vom 2. Dezember 2011 - 1 BvR 314/11 - WM 2012, 76 <77>). Dieses hat, sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festzulegen (BVerfG, Beschluss vom 30. Juli 2009 a.a.O.). Es hat dabei die Verfahren untereinander zu gewichten, den Interessen der Beteiligten - insbesondere im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens - Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu geboten sind. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht - auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit - ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. März 2005 - 2 BvR 1610/03 - NJW 2005, 3488 <3489> und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <791> jeweils m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. November 2010 a.a.O.). Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. m.w.N.).

43

Im Hinblick auf die Rechtfertigung von Verzögerungen ist der auch in den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 17/3802 S. 18) deutlich zum Ausdruck gekommene Grundsatz zu berücksichtigen, dass sich der Staat zur Rechtfertigung einer überlangen Verfahrensdauer nicht auf Umstände innerhalb seines Verantwortungsbereichs berufen kann (stRspr des BVerfG, vgl. Beschlüsse vom 7. Juni 2011 - 1 BvR 194/11 - NVwZ-RR 2011, 625 <626>, vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 - EuGRZ 2009, 699 Rn. 14 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>; vgl. auch BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 = juris Rn. 43). Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte insbesondere für Zeiträume in Betracht, in denen das Gericht ohne rechtfertigenden Grund untätig geblieben, also das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (vgl. EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 - Nr. 30210/96, Kudla/Polen - NJW 2001, 2694 Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 - Nr. 37591/97, Metzger/Deutschland - NJW 2002, 2856 Rn. 41). Soweit dies auf eine Überlastung der Gerichte zurückzuführen ist, gehört dies zu den strukturellen Mängeln, die der Staat zu beheben hat (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 a.a.O. Rn. 78). Strukturelle Probleme, die zu einem ständigen Rückstand infolge chronischer Überlastung führen, muss sich der Staat zurechnen lassen; eine überlange Verfahrensdauer lässt sich damit nicht rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>).

44

Sind in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten Verzögerungen eingetreten, bewirkt dies nicht zwingend die Unangemessenheit der Gesamtverfahrensdauer. Es ist vielmehr - wie aufgezeigt - im Rahmen einer Gesamtabwägung zu untersuchen, ob die Verzögerung innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens ausgeglichen wurde.

45

cc) Unter Berücksichtigung der zuvor erörterten Grundsätze erweist sich hier, dass die Verfahrensdauer unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG war, weil eine an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles - insbesondere der Schwierigkeit des Verfahrens ((1)), seiner Bedeutung für den Kläger ((2)) sowie des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten ((3)) und der Verfahrensführung des Gerichts ((4)) - ergibt, dass die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt worden ist.

46

(1) Die Würdigung des Oberverwaltungsgerichts, dass es sich nicht um einen tatsächlich und rechtlich schwierigen Fall handelte, ist unter Berücksichtigung seiner hierzu getroffenen Feststellungen nicht zu beanstanden und wird auch von der Revision nicht angegriffen. Als Indiz für den eher durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad kann unter anderem der Umstand herangezogen werden, dass die Sache vom Verwaltungsgericht auf den Einzelrichter übertragen worden ist (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO) und auch von dem Senat des Oberverwaltungsgerichts, der im Ausgangsverfahren zu entscheiden hatte, nicht als besonders schwierig gewertet worden ist.

47

(2) Anders verhält es sich hinsichtlich der Bewertung des Oberverwaltungsgerichts, das Verfahren habe für den Kläger letztlich keine besondere Bedeutung aufgewiesen, so dass ein besonderes Interesse an einem beschleunigten Abschluss nicht gegeben gewesen sei. Zwar wird die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger dadurch relativiert, dass er durch die aufschiebende Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) während der Dauer des gerichtlichen Verfahrens vor einer Vollstreckung durch die öffentliche Hand geschützt war. Auch liegt keine Fallgruppe vor, für welche die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte regelmäßig eine besondere Bedeutung für die Betroffenen annimmt, wie etwa bei Eingriffen in die persönliche Freiheit oder die Gesundheit; Rechtsstreitigkeiten um die finanzielle Versorgung (Renten- oder Arbeitssachen) oder Statussachen (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 - Nr. 75529/01, Sürmeli/Deutschland - NJW 2006, 2389 Rn. 133 sowie den Überblick und die Nachweise bei Wittling-Vogel/Ulick, DRiZ 2008, 87 <88>). Allerdings ist - wie die Revision zu Recht einwendet - auch zu berücksichtigen, dass der Kläger einer für einen jungen Menschen (Studenten) erheblichen Geldforderung in Höhe von über 17 000 € ausgesetzt war. Die damit verbundene Unsicherheit, ob die Forderung zu Recht erhoben worden ist und er diese Summe tatsächlich zu begleichen hatte - das "Damoklesschwert" der drohenden Geltendmachung durch die Behörde -, ist entgegen der Wertung des Oberverwaltungsgerichts als erheblich für die Bedeutung des Rechtsstreits für den Kläger anzusehen. Wegen der mit dieser Verunsicherung verbundenen Einschränkung, weitere Dispositionen zu treffen, ist ihm ein besonderes Interesse an einer Erledigung des Rechtsstreits zuzubilligen, das mit zunehmender Verfahrensdauer wuchs.

48

(3) Im Hinblick auf das prozessuale Verhalten des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, dass er durch sein Verhalten keine relevante Verzögerung des Rechtsstreits bewirkt habe. Die Beteiligten streiten zu Recht nicht über den Zeitraum, für den der Kläger nach Klageerhebung um die Verlängerung der Begründungsfrist nachgesucht und damit eine ihm zuzurechnende Verzögerung von etwa zwei Monaten herbeigeführt hat. Im Hinblick auf sein prozessuales Verhalten ist allerdings ergänzend zu berücksichtigen, dass er nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts bereits im März 2004 sein Einverständnis mit einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts ohne mündliche Verhandlung erklärt hat. Damit hat er frühzeitig einen Beitrag zu einer möglichen Verfahrensbeschleunigung geleistet.

49

(4) Unter Gewichtung und Abwägung der zuvor erörterten Kriterien ergibt sich hier - auch unter Berücksichtigung des gerichtlichen Spielraums bei der Verfahrensgestaltung - eine maßgebliche, weil sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung des Gerichtsverfahrens von etwa fünf Jahren.

50

Im Hinblick auf den Verfahrensgang vor dem Verwaltungsgericht hat das Oberverwaltungsgericht neben der Chronologie des Verfahrens festgestellt, dass die Streitsache jedenfalls im September 2004 erkennbar entscheidungsreif gewesen sei. Das Verwaltungsgericht hatte bereits durch die Anfrage an die Beteiligten vom 3. März 2004, ob sie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien, zu erkennen gegeben, dass es die Sache für "ausgeschrieben" hielt. Auf der Grundlage dieser Feststellung ist die Wertung des Oberverwaltungsgerichts fehlerhaft, dass eine nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung von drei Jahren und vier Monaten vorgelegen habe. Hierzu ist das Oberverwaltungsgericht aufgrund seiner rechtlich fehlerhaften Annahme gelangt, dass nach Entscheidungsreife noch eine weitere Verfahrensdauer von zwei Jahren (bis September 2006) angemessen gewesen sei. Diese "Zwei-Jahres-Pauschale" steht - wie dargelegt - weder als allgemeine Formel mit Bundesrecht in Einklang noch trägt sie durch eine Würdigung der konkreten Umstände dem vorliegenden Einzelfall Rechnung.

51

Was den Zeitpunkt der Entscheidungsreife - verstanden als Zeitpunkt der hinreichenden tatsächlichen Aufbereitung wie auch der Gewährung rechtlichen Gehörs - betrifft, so ist auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts zum Verfahrensablauf vielmehr wertend zu folgern, dass diese bereits vor September 2004 gegeben war. Denn das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass das Verwaltungsgericht den letzten Schriftsatz des Klägers vom 12. März 2004 am 17. März 2004 an den Beklagten übersandt und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von sechs Wochen gegeben hat. Nachdem der Beklagte sich hierzu nachweislich nicht mehr geäußert hatte, stand einer weiteren Verfahrensförderung durch das Verwaltungsgericht (etwa einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter) schon Ende April 2004 nichts mehr im Wege.

52

Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat, die insbesondere für Zeiträume in Betracht kommt, in denen das Gericht das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 a.a.O. Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 a.a.O. Rn. 41), ist hier für den Zeitraum von Ende April 2004 bis Januar 2010 anzunehmen. In diesem Zeitraum hat das Verwaltungsgericht das aus seiner Sicht entscheidungsreife Verfahren nicht mehr gefördert; vielmehr hat es sich mit der Verfügung von Wiedervorlagen der Sache nach auf ein "Liegenlassen" der Akte beschränkt. Die nächste, der Verfahrensförderung dienende Prozesshandlung hat es erst im Januar 2010 mit der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter vorgenommen.

53

Auch wenn dem Verwaltungsgericht ab Entscheidungsreife Ende April 2004 ein mehrmonatiger Gestaltungszeitraum zugestanden wird, um fördernde Verfahrenshandlungen vorzubereiten und abzustimmen, war seine Untätigkeit angesichts der eher durchschnittlichen Schwierigkeit des Verfahrens einerseits und seiner nicht unerheblichen Bedeutung für den Kläger wie auch seines prozessualen Verhaltens andererseits jedenfalls ab Ende 2004 nicht mehr sachlich zu rechtfertigen. Dies entspricht in etwa der Würdigung des Klägers, der davon ausgeht, dass aufgrund der genannten Umstände des Einzelfalles jedenfalls ab Februar 2005 - also 20 Monate nach Klageeinreichung und knapp ein Jahr nach dem Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung - die Verfahrensdauer als nicht mehr angemessenen zu betrachten war. Dabei hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass sich der Beklagte - was die Bemessung des Gestaltungszeitraums für eine gerichtliche Entscheidung betrifft - nicht auf die allgemeine Belastungssituation bei den Verwaltungsgerichten im Land Brandenburg berufen kann. Eine solche Überlastung der Gerichte gehört zu den strukturellen Mängeln, die seinem Verantwortungsbereich zuzurechnen sind und die er zu beseitigen hat.

54

Ist mithin jedenfalls ab Ende 2004 eine Untätigkeit des Verwaltungsgerichts nicht mehr zu rechtfertigen gewesen, so sind bis zur nächsten Verfahrensförderung im Januar 2010 mehr als fünf Jahre verstrichen, die als relevante Verzögerung und damit als unangemessene Verfahrensdauer im Sinne von § 198 GVG zugrunde zu legen sind. Dabei hat der Kläger im Ergebnis zu Recht nicht geltend gemacht, dass darüber hinaus auch im Berufungszulassungs- und Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht noch eine Verzögerung eingetreten ist. Ebenso ist die Vorinstanz zutreffend davon ausgegangen, dass das zweitinstanzliche Verfahren auch nicht so zügig durchgeführt worden ist, dass es die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens (teilweise) hätte kompensieren können.

55

c) Der Kläger hat einen immateriellen Nachteil in der von ihm geltend gemachten Höhe erlitten, der nicht auf andere Weise wieder gutgemacht werden kann.

56

Dass der Kläger, der keine materiellen, sondern nur Nachteile nichtvermögensrechtlicher Art geltend macht, solche erlitten hat, ergibt sich aus der gesetzlichen Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG. Danach wird ein immaterieller Nachteil vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren - wie hier - unangemessen lange gedauert hat. Diese Vermutung ist im vorliegenden Fall nicht widerlegt.

57

Entschädigung kann gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise ist gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Ob eine solche Feststellung ausreichend im Sinne des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles. In diese wird regelmäßig einzustellen sein, ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Bedeutung hatte, ob dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat, ob er weitergehende immaterielle Schäden erlitten hat oder ob die Überlänge den einzigen Nachteil darstellt (BTDrucks 17/3802 S. 20). Darüber hinaus kann zu berücksichtigen sein, von welchem Ausmaß die Unangemessenheit der Dauer des Verfahrens ist und ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Dringlichkeit aufwies oder ob diese zwischenzeitlich entfallen war (vgl. EGMR, Urteil vom 29. September 2011 - Nr. 854/07 - juris Rn. 41). Hier gehen die Verfahrensbeteiligten mit dem Oberverwaltungsgericht zu Recht davon aus, dass als Ergebnis einer umfassenden Einzelabwägung eine Wiedergutmachung auf andere Weise insbesondere wegen der erheblichen Verfahrensverzögerung nicht ausreichend ist. Deshalb kann hier dahingestellt bleiben, ob im Fall einer unangemessenen Verfahrensdauer die Entschädigung die Regel und die bloße Feststellung im Sinne von § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG die Ausnahme ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 45 f.) oder ob weder ein Vorrang der Geldentschädigung noch eine anderweitige Vermutungsregelung gilt (vgl. BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 Rn. 57).

58

d) Die Bemessung der immateriellen Nachteile richtet sich nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG. Danach sind diese in der Regel in Höhe von 1 200 € für jedes Jahr der Verzögerung zu entschädigen. Nur wenn dieser Betrag nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG). Das Oberverwaltungsgericht hat in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass hier eine Abweichung vom Pauschalbetrag nicht veranlasst ist. Da die nicht gerechtfertigte Verzögerung jedenfalls fünf Jahre betrug, steht dem Kläger insgesamt ein Anspruch auf 6 000 € Entschädigung zu, so dass über den Ausspruch des Oberverwaltungsgerichts hinaus weitere 2 000 € an ihn zu zahlen sind.

59

2. Der Kläger hat zudem einen Anspruch auf Feststellung der unangemessenen Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht.

60

a) Die Begrenzung des Feststellungsantrags auf die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht ist zulässig. Sie entspricht der Dispositionsbefugnis des Klägers als Rechtsmittelführer (vgl. § 88 VwGO) und trägt dem Umstand Rechnung, dass er sich insoweit allein durch die Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens beschwert sieht. Allgemein kann ein Rechtsmittel auf einen von mehreren selbstständigen Streitgegenständen einer Klage oder auf einen Teil des Streitgegenstandes beschränkt werden, wenn dieser Teil vom Gesamtstreitstoff abteilbar ist und materiell-rechtliche Gründe einer gesonderten Entscheidung darüber nicht entgegenstehen (vgl. Beschluss vom 5. Juli 2011 - BVerwG 5 B 35.11 - juris Rn. 1, Urteile vom 1. März 2012 - BVerwG 5 C 11.11 - Buchholz 428.42 § 2 NS-VEntschG Nr. 10 Rn. 15 und vom 18. Juli 2013 - BVerwG 5 C 8.12 - zur Veröffentlichung in der amtlichen Entscheidungssammlung vorgesehen). Das ist hier der Fall.

61

Die Beschränkung auf einen Verfahrenszug - hier auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren - ist vom Gesamtstreitstoff abtrennbar. Bezugsrahmen für die materiell-rechtliche Frage, ob sich die Verfahrensdauer als angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, ist zwar - wie oben dargelegt - auch dann die Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens, wenn dieses wie hier über zwei Instanzen geführt worden ist. Dennoch steht das materielle Recht einem gesonderten Ausspruch darüber, dass (nur) die Verfahrensdauer in einer Instanz unangemessen war, nicht entgegen. Denn auch um dies feststellen zu können, ist grundsätzlich die materiell-rechtliche Voraussetzung zu prüfen, ob - mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer - durch die zügige Behandlung der Sache in einer höheren Instanz eine etwaige Überlänge in der Vorinstanz ganz oder teilweise kompensiert werden kann. Für die Zulässigkeit, den (Feststellungs-)Antrag auf eine Instanz beschränken zu können, spricht überdies, dass es das Gesetz ermöglicht, eine Entschädigungsklage bereits vor Beendigung des Ausgangsverfahrens zu erheben (vgl. § 198 Abs. 5 GVG, § 201 Abs. 3 GVG). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass auch Konstellationen denkbar sind, in denen eine unangemessene und irreparable Verzögerung feststellbar ist und in denen daher über die Kompensation für schon eingetretene Nachteile entschieden werden kann (BTDrucks 17/3802 S. 22). Dass es das Gesetz zulässt, verschiedene Verfahrensstufen unterschiedlich in den Blick zu nehmen, zeigt sich schließlich auch daran, dass bei einem bis zum Bundesverwaltungsgericht geführten Verwaltungsrechtsstreit verschiedene Rechtsträger - nämlich zum einen das jeweilige Land und zum anderen der Bund (§ 201 Abs. 1 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO) - für die in ihrem Bereich zu verantwortenden Verfahrensverzögerungen in Anspruch genommen werden können.

62

b) Der Anspruch des Klägers auf Feststellung der unangemessenen Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens folgt aus § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG.

63

Nach dieser Bestimmung kann das Entschädigungsgericht in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung aussprechen, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Weil es hierfür nicht notwendig eines Antrags bedarf (§ 198 Abs. 4 Satz 2 GVG), hat das Entschädigungsgericht grundsätzlich von Amts wegen zu prüfen, ob es diese Feststellung trifft. Bei diesem Ausspruch handelt es sich, wie systematisch aus § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG zu folgern ist, um eine Form der "Wiedergutmachung auf andere Weise", die "neben die Entschädigung" treten kann. Ob das Entschädigungsgericht diese Feststellung zusätzlich zur Entschädigung (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 22) trifft, ist in sein Ermessen ("kann") gestellt.

64

aa) Ein schwerwiegender Fall im Sinne von § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG liegt hier vor.

65

Das Oberverwaltungsgericht hat das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzung des schwerwiegenden Falles rechtsfehlerhaft verneint. Es hat sich zur Begründung darauf gestützt, dass ein solcher Fall hier schon deshalb ausscheide, weil die Klage aufschiebende Wirkung gehabt habe und der Kläger die ihn treffenden Folgen der Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht hätte mildern können, indem er einen weiteren Antrag auf Gewährung von Ausbildungsförderung hätte stellen und die Treuhandabrede hätte aufheben können. Dem folgt der Senat nicht.

66

Ob ein schwerwiegender Fall vorliegt, ist anhand einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln. Insofern gilt nichts anderes als für die Entscheidung nach § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 GVG, die nach den Vorstellungen des Gesetzgebers ebenfalls "unter Würdigung der Gesamtumstände" zu treffen ist (BTDrucks 17/3802 S. 22). Neben der Bedeutung des Rechtsstreits für den Verfahrensbeteiligten und seinen damit korrespondierenden Interessen an einer zügigen Entscheidung ist im Rahmen der Abwägung, ob der Fall schwerwiegend ist, insbesondere in Ansatz zu bringen, wie lange das Verfahren insgesamt gedauert hat und wie groß der Zeitraum ist, in dem eine nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung vorlag. Der Begriff "schwerwiegend" bezieht sich - worauf schon der Wortlaut hindeutet - auf das Gewicht der Beeinträchtigung, die mit einer unangemessen langen Dauer verbunden ist. Dieses Gewicht nimmt zu, je länger die den Betroffenen belastende Phase der Untätigkeit anhält. Dementsprechend haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG, Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - VZ 1/12 - NVwZ 2013, 789 <790> m.w.N.).

67

Den vorgenannten Aspekt hat das Oberverwaltungsgericht hier nicht gesetzeskonform gewichtet. Es hätte die erhebliche Überlänge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens mit einer dem Gericht zuzurechnenden Verfahrensverzögerung von etwa fünf Jahren sowie die Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von über acht Jahren als Umstand in die Abwägung einstellen müssen, der in bedeutsamer Weise für die Annahme eines schwerwiegenden Falles spricht. Zudem hat das Oberverwaltungsgericht die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger zu gering gewichtet. Denn diese ist - wie oben dargelegt - wegen der Höhe des Rückforderungsbetrages und der damit verbundenen Unsicherheit als erheblich anzusehen. Eine gesetzeskonforme Gesamtabwägung ergibt daher, dass gerade im Hinblick auf die erhebliche Überlänge des für den Kläger bedeutsamen Verfahrens die Voraussetzungen für die Annahme eines schwerwiegenden Falles erfüllt sind. Dies kann auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auch das Revisionsgericht feststellen.

68

bb) Sofern - wie hier - ein schwerwiegender Fall im Sinne des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG vorliegt, ist die Entscheidung über eine Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer in das Ermessen des Entschädigungsgerichts gestellt.

69

Die Frage, ob in "schwerwiegenden Fällen" noch neben der Entschädigung ein gesonderter Feststellungsausspruch geboten ist, um dem Wiedergutmachungsanspruch des Betroffenen hinreichend Rechnung zu tragen, ist systematisch der Ermessensausübung zuzuordnen. Insoweit ist eine weitere Abwägungsentscheidung darüber zu treffen, ob es im konkreten Fall des Feststellungsausspruchs bedarf, um dem Betroffenen eine zusätzliche Form der Wiedergutmachung zu verschaffen. Als ein Abwägungskriterium ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, wenn der Kläger dies - wie hier - ausdrücklich beantragt. Damit gibt er zu erkennen, dass er auf diese zusätzliche Form der Wiedergutmachung gerade Wert legt und sie als Form der Genugtuung für die Verletzung seiner Rechte begreift. Ob die Beantragung der Feststellung in "schwerwiegenden Fällen" grundsätzlich zu einer Reduzierung des Ermessens führen kann, bedarf keiner Entscheidung. Denn tatsächliche Umstände, die trotz der mit der Antragstellung verbundenen Geltendmachung eines entsprechenden Genugtuungs- bzw. Rehabilitationsbegehrens dafür sprechen, von dem begehrten Ausspruch abzusehen, sind hier nicht festgestellt.

70

3. Da der Beklagte aufgrund des revisionsgerichtlichen Urteils in beiden Instanzen in vollem Umfang unterlegen ist, hat er gemäß § 154 Abs. 1 und 2 VwGO die Kosten zu tragen. Eine Billigkeitsentscheidung nach der kostenrechtlichen Spezialregelung des § 201 Abs. 4 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO ist nicht zu treffen, weil dem Kläger keine geringere Entschädigung zugesprochen wird.

22
Der für einen Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG maßgebende Haftungsgrund ist allein die Verletzung des Anspruchs eines Verfahrensbeteiligten aus Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG und aus Art. 6 Abs. 1 EMRK auf Entscheidung seines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (Senat, Urteil vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13, BGHZ 200, 20 Rn. 25 m. zahlr. wN; BT-Drucks. 17/3802, S. 18). Auf ein schuldhaft pflichtwidriges Verhalten des mit der Sache befassten Richters oder eines sonstigen Angehörigen der Justiz kommt es - anders als bei der Amtshaftung - nicht an. Die Feststellung einer unangemessenen Verfahrensdauer impliziert dementsprechend für sich allein auch keinen Schuldvorwurf (BT-Drucks. 17/3802, S. 19).

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

28
b) Unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer dann, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (vgl. BVerwG aaO 5 C 23.12 D Rn. 37 und 5 C 27.12 D Rn. 29).

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Entschädigungsanspruchs wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens und darüber, ob der Kläger daneben beanspruchen kann, die unangemessene Dauer feststellen zu lassen.

2

Im Ausgangsverfahren, dessen Überlänge der Kläger rügt, stand die Rückerstattung von Ausbildungsförderung im Streit, die der Kläger für sein Studium der Geowissenschaften von Oktober 2000 bis März 2003 erhalten hatte. Ein erster Rückforderungsbescheid erging im Februar 2003 und belief sich über 13 600 €. Das Studentenwerk P. verlangte die Förderung mit der Begründung zurück, der Kläger habe nicht angegeben, dass er über umfangreiches Vermögen auf einem Bankkonto verfüge. Nach der Zurückweisung seines Widerspruchs erhob der Kläger Ende Juni 2003 Klage vor dem Verwaltungsgericht.

3

Im September 2003 begründete er seine Klage damit, dass das festgestellte Vermögen nicht ihm gehöre, sondern seinem Bruder, für den er es treuhänderisch verwalte. Zudem erweiterte der Kläger seine Klage auf einen zwischenzeitlich ergangenen zweiten Rückforderungsbescheid über 3 500 €. Mitte Januar 2004 nahm das beklagte Studentenwerk schriftlich zu der Klage Stellung. Mit Schreiben vom 3. März 2004 fragte die Berichterstatterin bei den Beteiligten an, ob sie mit einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter sowie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien.

4

Mit am 11. und 12. März 2004 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenen Schriftsätzen erklärten die Beteiligten ihr Einverständnis mit dieser Verfahrensweise. Der Kläger trug zudem weiter zur Sache vor und kündigte für den Fall, dass das Gericht Zweifel an dem Wahrheitsgehalt seines Tatsachenvortrags haben sollte, mehrere Beweisanträge an. Mit Schreiben vom 17. März 2004 übersandte das Verwaltungsgericht dem Studentenwerk eine Abschrift des Schriftsatzes des Klägers und gab Gelegenheit, innerhalb von sechs Wochen Stellung zu nehmen. Das beklagte Studentenwerk äußerte sich hierauf nicht. Mit am 10. November 2004 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz wies der Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf hin, dass die Beteiligten Anfang März des Jahres "wohl auch aus Beschleunigungszwecken" übereinstimmend einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt hätten. Das Gericht teilte ihm mit, dass nicht absehbar sei, wann mit einer Entscheidung zu rechnen sei. Gleiches gilt für die weiteren Anfragen des Klägers vom 16. Mai 2006 und vom 16. Juli 2007.

5

Mit Beschluss vom 5. Januar 2010 übertrug die Kammer des Verwaltungsgerichts den Rechtsstreit auf den Einzelrichter. Auf die Anfrage, ob Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehe, stimmten die Beteiligten bis Ende Januar 2010 zu. Mit Urteil vom 2. Februar 2010 wies der Einzelrichter die Klage ohne mündliche Verhandlung ab. Sie sei teilweise wegen Versäumung der Widerspruchsfrist unzulässig und teilweise unbegründet. Das vom Kläger behauptete Treuhandverhältnis habe nach Überzeugung des Gerichts nicht bestanden.

6

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 23. Februar 2010 zugegangene Urteil beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung. Diese ließ das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. Mai 2011 zu. In der mündlichen Verhandlung am 30. November 2011 wurde der Kläger befragt und sein Bruder als Zeuge vernommen. Mit Urteil vom selben Tag änderte das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts und gab der Klage statt. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 12. Januar 2012 und dem Beklagten am 19. Januar 2012 zugestellt. Rechtsmittel gegen die Nichtzulassung der Revision wurden nicht eingelegt.

7

Mit der am 4. Januar 2012 zunächst beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen und von diesem an das Oberverwaltungsgericht weitergeleiteten Klage hat der Kläger die Gewährung einer Entschädigung in Höhe von 6 000 € und die Feststellung begehrt, dass die Verfahrensdauer des Rechtsstreits bei dem Verwaltungsgericht unangemessen war. Er habe über lange Zeit mit der erheblichen Unsicherheit leben müssen, einer für seine Verhältnisse existenzbedrohlichen Forderung von über 17 000 € ausgesetzt zu sein. Das Verwaltungsgericht habe den Rechtsstreit ohne Weiteres innerhalb von ungefähr 20 Monaten und damit bis Februar 2005 entscheiden können. Es habe selbst bereits mit seiner Verfügung vom 3. März 2004 zum Ausdruck gebracht, dass die Sache aus seiner Sicht keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweise und auch keine grundsätzliche Bedeutung habe. Dennoch habe es ab März 2004 keine aktenkundige Tätigkeit entfaltet, um die aus seiner Sicht entscheidungsreife Sache zu fördern. Insgesamt ergebe sich eine nicht zu rechtfertigende Verzögerung von fünf Jahren.

8

Das Oberverwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil vom 27. März 2012 die Beklagte verurteilt, an den Kläger 4 000 € zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Verfahren des Klägers habe zwar keine neuen oder komplexen Rechtsfragen aufgeworfen. Auch die Klärung der Tatsachengrundlage sei nicht überdurchschnittlich aufwändig gewesen. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles sei die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens aber bis einschließlich September 2006 noch als angemessen anzusehen. Zwar sei die Streitsache jedenfalls im September 2004 erkennbar entscheidungsreif gewesen. Bei Hinzurechnung einer aus Sicht des Klägers unerfreulichen, jedoch noch nicht gegen die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entwickelten Maßstäbe verstoßenden Verfahrensdauer von weiteren zwei Jahren erschließe sich, dass die Verfahrensdauer bis September 2006 angemessen und von Oktober 2006 bis Januar 2010 (weitere drei Jahre und vier Monate) unangemessen gewesen sei. Die Verfahrensdauer in der zweiten Rechtsstufe vor dem Oberverwaltungsgericht sei mit ca. zwei Jahren noch angemessen. Das dortige Verfahren sei aber auch nicht so zügig durchgeführt worden, dass damit die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens teilweise hätte kompensiert werden können. Der Kläger habe neben der Entschädigung keinen Anspruch auf die von ihm begehrte Feststellung der Unangemessenheit. Ein schwerwiegender Fall im Sinne des Gesetzes sei schon deswegen nicht gegeben, weil die Klage aufschiebende Wirkung gehabt habe. Zudem habe der Kläger die ihn treffenden Folgen der Verfahrensdauer mildern können, wenn er die Treuhandabrede mit seinem Bruder aufgehoben und einen weiteren Antrag auf Ausbildungsförderung gestellt hätte.

9

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG sowie des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG. Er begehrt eine um 2 000 € höhere Entschädigung sowie die Feststellung, dass die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht unangemessen war.

10

Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.

11

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren. Er sei mit dem Bundesjustizministerium der Auffassung, dass das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts - jedenfalls in seiner Begründung - keinen Bestand haben könne. Nach der Gesetzesfassung komme es auf die Umstände des Einzelfalles und nicht auf eine Durchschnittsdauer an. "Angemessen" sei etwas anderes als "durchschnittlich". Im Extremfall könne auch eine durchschnittliche Dauer unangemessen sein.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Dem Kläger steht die von ihm geltend gemachte weitere Entschädigung zu (1.). Ebenso ist seinem Begehren zu entsprechen, die unangemessene Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens festzustellen (2.).

13

1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Ausgleich seines immateriellen Nachteils in Höhe von weiteren 2 000 €.

14

Der geltend gemachte Anspruch folgt aus § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl I S. 1077), zuletzt geändert durch Gesetz vom 7. Dezember 2011 (BGBl I S. 2582). Diese Regelungen sind im Verwaltungsprozess entsprechend anwendbar (§ 173 Satz 2 VwGO). Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Der durch eine unangemessene Verfahrensdauer eingetretene immaterielle Nachteil ist nach Maßgabe des § 198 Abs. 2 GVG zu entschädigen.

15

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Dauer des vom Kläger in Bezug genommenen Gerichtsverfahrens (a) war unangemessen (b). Hierdurch hat er einen immateriellen Nachteil erlitten, der nicht auf andere Weise wiedergutgemacht werden kann (c) und in der von ihm geltend gemachten Höhe zu entschädigen ist (d).

16

a) Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss (§ 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG). Bezugsrahmen des vom Kläger geltend gemachten Entschädigungsanspruchs ist danach das gesamte - hier abgeschlossene - verwaltungsgerichtliche Verfahren im Ausgangsrechtsstreit, und zwar vom Zeitpunkt der Klageerhebung bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft einer Entscheidung. Erfasst ist hier mithin die Gesamtdauer des Verfahrens vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht (aa), nicht aber das dem Verwaltungsprozess vorausgegangene behördliche Vorverfahren (bb).

17

aa) Bezugsrahmen für die materiell-rechtliche Frage, ob sich die Verfahrensdauer als angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, ist die Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens, auch wenn dieses über mehrere Instanzen oder bei verschiedenen Gerichten geführt worden ist. Hierfür spricht bereits der Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ("Gerichtsverfahren"). Hinweise für eine Trennung zwischen verschiedenen Instanzen oder Gerichten finden sich dort nicht. Gleiches gilt für die Legaldefinition des Gerichtsverfahrens in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG, die auf den Zeitraum von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens und damit auf die Anhängigkeit des Rechtsstreits bei Gericht abstellt. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist auch der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass der Bezugspunkt für die Beurteilung der angemessenen Verfahrensdauer grundsätzlich das Gesamtverfahren ist, soweit es - je nach geltend gemachtem Anspruch - in die Haftungsverantwortung des in Anspruch genommenen Rechtsträgers fällt (BTDrucks 17/3802 S. 18 f.). In systematischer Hinsicht wird die Bezugnahme auf das Gesamtverfahren durch den Rückschluss aus § 198 Abs. 3 Satz 5 GVG bestätigt. Danach ist die Erhebung einer erneuten Verzögerungsrüge erforderlich, wenn sich das Verfahren "bei einem anderen Gericht" weiter verzögert. Schließlich wird das vorgenannte Auslegungsergebnis durch die systematische Einbeziehung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts gestützt. Beide Gerichte gehen im Hinblick auf das Recht auf ein Gerichtsverfahren in angemessener Dauer in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass grundsätzlich auf die Gesamtdauer des Verfahrens abzustellen ist (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 24. Juni 2010 - Nr. 25756/09 - juris Rn. 21 und vom 30. März 2010 - Nr. 46682/07 - juris Rn. 36; BVerfG, Beschlüsse vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 - NJW 2001, 214 und vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 m.w.N.). Gegen die Möglichkeit, die materiell-rechtliche Prüfung auf eine Verfahrensstufe zu begrenzen, spricht vor allem der Umstand, dass eine lange Verfahrensdauer innerhalb einer Stufe gegebenenfalls durch eine zügige Verfahrensführung in einer anderen (höheren) Stufe ausgeglichen werden kann (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 7. Januar 2010 - Nr. 40009/04 - juris Rn. 151 und vom 22. März 2012 - Nr. 23338/09, Kautzor/Deutschland - NJW 2013, 1937 ; BVerfG, Beschlüsse vom 20. Juli 2000 a.a.O. und vom 14. Dezember 2010 a.a.O.).

18

Von der Frage des materiell-rechtlichen Bezugsrahmens zu trennen ist die vom Oberverwaltungsgericht offengelassene Frage, ob sich ein Verfahrensbeteiligter darauf beschränken kann, ein über mehrere Instanzen hinweg geführtes Gerichtsverfahren allein bezüglich der Dauer in einer bestimmten Rechtsstufe als überlang anzugreifen und nur hierfür Entschädigung zu verlangen. Diese Frage, die vor dem Hintergrund der Dispositionsmaxime im Ausgangspunkt prozessualer Natur ist, stellt sich hier nicht. Der Kläger hat im Hinblick auf sein Entschädigungsverlangen - anders als hinsichtlich seines Feststellungsbegehrens (siehe dazu unten 2 a) - eine solche Beschränkung nicht vorgenommen.

19

Soweit das Oberverwaltungsgericht angenommen hat, dass in die Dauer eines Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG auch der Zeitraum bis zur Zustellung des Urteils oder einer anderen das Verfahren abschließenden Entscheidung einzubeziehen ist, trifft dies zwar zu. Denn unter rechtskräftigem Abschluss des Gerichtsverfahrens im Sinne dieser Vorschrift ist der Eintritt der formellen Rechtskraft einer Entscheidung zu verstehen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 24 m.w.N.). Allerdings kann danach die Dauer des Gerichtsverfahrens über den Zeitpunkt der Zustellung hinausgehen. So liegt es hier. Ein Urteil erwächst nur dann mit der Zustellung in Rechtskraft, wenn es nicht mehr mit Rechtsmitteln anfechtbar ist. Kann die Entscheidung dagegen - wie hier das im Ausgangsrechtsstreit ergangene Urteil des Oberverwaltungsgerichts - noch angefochten werden (vgl. § 132 VwGO), wird sie erst mit Ablauf der Rechtsmittelfrist formell rechtskräftig, so dass auch dieser Zeitraum noch zur Dauer des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG zählt.

20

bb) Das Verwaltungsverfahren und das dem gerichtlichen Verfahren vorausgegangene Vorverfahren bei einer Behörde (Widerspruchsverfahren) sind, wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, nicht Bestandteil des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 und § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG.

21

Die Ausklammerung des Verwaltungs- und Vorverfahrens ist mit der Begrenzung auf das "Gerichtsverfahren" bereits unmissverständlich im Wortlaut des Gesetzes angelegt. Sie entspricht überdies dem Willen des Gesetzgebers, wie er in den Gesetzesmaterialien seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 17).

22

Das vorstehende Auslegungsergebnis ist mit Art. 6 und Art. 13 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) in der Fassung vom 22. Oktober 2010 (BGBl II S. 1198) vereinbar. Dem steht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die über den jeweils entschiedenen Fall hinaus Orientierungs- und Leitfunktion für die Auslegung der EMRK hat (vgl. Urteil vom 28. Februar 2013 - BVerwG 2 C 3.12 - ZBR 2013, 257 Rn. 46), nicht entgegen.

23

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat zwar für die Ermittlung, wann die Verfahrensdauer in verwaltungsgerichtlichen Verfahren unangemessen ist, die Dauer des Vorverfahrens mit einbezogen. Sofern die Einlegung dieses Rechtsbehelfs ein notwendiger erster Schritt ist, bevor das gerichtliche Verfahren anhängig gemacht werden kann, hat der Gerichtshof den Zeitraum, der für die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach Art. 6 Abs. 1 EMRK maßgeblich ist, mit dem Tag beginnen lassen, an dem der Beschwerdeführer den behördlichen Rechtsbehelf (Widerspruch) eingelegt hat (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 28. Juni 1978 - C (78) 31, König/Deutschland - NJW 1979, 477 <478 f.>, vom 30. Juni 2011 - Nr. 11811/10 - juris Rn. 21 und vom 24. Juni 2010 a.a.O. m.w.N.).

24

Allerdings beziehen sich diese Entscheidungen auf einen Zeitraum, in welchem das deutsche Recht keinen wirksamen Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK vorsah, der geeignet war, Abhilfe für die unangemessene Dauer von Verfahren zu schaffen (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 24. Juni 2010 a.a.O. Rn. 30 m.w.N.). Mit dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) steht jedoch nunmehr ein solcher Rechtsbehelf gegen Verzögerungen gerichtlicher Verfahren im Sinne des Konventionsrechts zur Verfügung, der zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Grund zu der Annahme gibt, dass die damit verfolgten Ziele nicht erreicht werden (EGMR, Urteil vom 29. Mai 2012 - Nr. 53126/07, Taron/Deutschland - NVwZ 2013, 47 ). Hinzu kommt, dass das nationale Recht mit der so genannten Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO einen Rechtsbehelf vorsieht, mit dem einer unangemessenen Verzögerung im Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) durch unmittelbare Klageerhebung begegnet werden kann. Mit Blick auf die Rüge der Verfahrensdauer erweist sich die Untätigkeitsklage grundsätzlich als wirksamer Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK (vgl. EGMR, Urteil vom 10. Januar 2008 - Nr. 1679/03, Glusen/Deutschland - juris Rn. 66 f.). Dieser tritt neben die durch das neue Gesetz normierte (kompensatorische) Entschädigung für Verzögerungen des Gerichtsverfahrens (vgl. Marx, in: Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Verwaltungsverfahren, 2013, § 173 VwGO Rn. 9; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 38). Jedenfalls mit Blick auf das Nebeneinander dieses Entschädigungsanspruchs und der Untätigkeitsklage ist es konventionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Vorverfahren nicht in die Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer einbezogen wird. Die Europäische Menschenrechtskonvention fordert im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht notwendig einen einheitlichen Rechtsbehelf, sondern lässt bei entsprechender Wirksamkeit auch eine Kombination von Rechtsbehelfen genügen (EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 - Nr. 75529/01, Sürmeli/Deutschland - NJW 2006, 2389 Rn. 98 m.w.N.). Den Konventionsstaaten kommt bei der gesetzlichen Ausgestaltung des von Art. 13 EMRK geforderten Rechtsbehelfs ein Gestaltungsspielraum zu (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 29. März 2006 - Nr. 36813/97, Scordino/Italien - NVwZ 2007, 1259 Rn. 189 und vom 29. Mai 2012 a.a.O. Rn. 41).

25

b) Die Dauer des Gerichtsverfahrens vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht war unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.

26

Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Wie die Verwendung des Wortes "insbesondere" zeigt, werden damit die Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, beispielhaft und ohne abschließenden Charakter benannt (BTDrucks 17/3802 S. 18).

27

aa) Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht mit Bundesrecht nicht in Einklang, soweit es sinngemäß den Rechtssatz aufstellt, dass eine Verfahrensdauer von zwei weiteren Jahren ab Entscheidungsreife noch angemessen sei und nicht gegen die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entwickelten Maßstäbe verstoße (UA S. 16 Rn. 50). Ein entsprechender Rechtssatz lässt sich aus § 198 Abs. 1 GVG nicht ableiten. Mit dieser Bestimmung ist weder die Zugrundelegung fester Zeitvorgaben vereinbar ((1)), noch lässt es die Vorschrift grundsätzlich zu, für die Beurteilung der Angemessenheit von bestimmten Orientierungswerten oder Regelfristen für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen ((2)). Dies gilt gerade auch für die vom Oberverwaltungsgericht angenommene Zwei-Jahresfrist ab Entscheidungsreife ((3)).

28

(1) Mit der gesetzlichen Festlegung, dass sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles richtet (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG), hat der Gesetzgeber bewusst von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen. Die Ausrichtung auf den Einzelfall folgt nicht nur in deutlicher Form aus dem Wortlaut des Gesetzes ("Umstände des Einzelfalles"), sondern wird durch seine Entstehungsgeschichte bestätigt und entspricht dem in den Gesetzesmaterialien klar zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Daraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber schematische zeitliche Vorgaben für die Angemessenheit ausgeschlossen hat. Er hat sich insoweit daran ausgerichtet, dass weder die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte noch die des Bundesverfassungsgerichts feste Zeiträume vorgibt, sondern jeweils die Bedeutung der Einzelfallprüfung hervorhebt. Dem Grundgesetz lassen sich keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (BVerfG, Beschlüsse vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 - NJW 2008, 503; vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 <790>). Gleiches gilt im Ergebnis für die Europäische Menschenrechtskonvention. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles sowie unter Berücksichtigung der Komplexität des Falles, des Verhaltens des Beschwerdeführers und der zuständigen Behörden sowie der Bedeutung des Rechtsstreits für den Beschwerdeführer zu beurteilen (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 28. Juni 1978 a.a.O. <479> und vom 11. Januar 2007 - Nr. 20027/02, Herbst/Deutschland - NVwZ 2008, 289 Rn. 75; Entscheidung vom 22. Januar 2008 - Nr. 10763/05 - juris Rn. 43 m.w.N.).

29

(2) Für die Beurteilung, ob die Verfahrensdauer angemessen ist, verbietet es sich in der Regel auch, von Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder auf statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen. Dabei macht es im Ergebnis keinen Unterschied, ob solche Werte - in Rechtsprechung und Literatur werden Zeitspannen von ein bis drei Jahren genannt - als "normale", "durchschnittliche" oder "übliche" Bearbeitungs- oder Verfahrenslaufzeiten bezeichnet und - im Hinblick auf die Angemessenheit der Verfahrensdauer - als Indiz (Regelfrist), Hilfskriterium oder "erster grober Anhalt" herangezogen werden (vgl. etwa Stahnecker, Entschädigung bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, Rn. 76; Roderfeld, in: Marx/Roderfeld a.a.O. § 198 GVG Rn. 38 f.; im Ergebnis zu Recht ablehnend OVG Bautzen, Urteil vom 15. Januar 2013 - 11 F 1/12 - LKV 2013, 230 <232>; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 69, 86 f. m.w.N.).

30

Die Entscheidung des Gesetzgebers, keine zeitlichen Festlegungen zu treffen, ab wann ein Verfahren "überlang" ist, schließt für den Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit grundsätzlich einen Rückgriff auf Orientierungs- oder Richtwerte aus. Dies gilt auch, soweit in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - allerdings obiter und deshalb die jeweilige Entscheidung nicht tragend - eine Verfahrenslaufzeit von etwa einem Jahr pro Instanz als grober Anhalt ("rough rule of thumb") genannt wird (vgl. Urteile vom 26. November 2009 - Nr. 13591/05, Nazarov/Russland - Rn. 126, vom 9. Oktober 2008 - Nr. 62936/00, Moiseyev/Russland - Rn. 160 und vom 16. Januar 2003 - Nr. 50034/99, Obasa/Großbritannien - Rn. 35 ).

31

Angesichts der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren stießen solche Festlegungen an eine Komplexitätsgrenze. Sie könnten letztlich für die Angemessenheit im Einzelfall nicht aussagekräftig sein. Die Bandbreite der Verwaltungsprozesse reicht von sehr einfach gelagerten Verfahren bis zu äußerst aufwändigen Großverfahren (etwa im Infrastrukturbereich), die allein einen Spruchkörper über eine lange Zeitspanne binden können. Der Versuch, dieser Bandbreite mit Mittel- oder Orientierungswerten Rechnung zu tragen, ginge nicht nur am Einzelfall vorbei, sondern wäre auch mit dem Risiko belastet, die einzelfallbezogenen Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu verfehlen. Die Bestimmung einer Regeldauer brächte zudem - entgegen der Intention des Gesetzes - die Gefahr mit sich, dass sie die Verwaltungsgerichte als äußerstes Limit ansehen könnten, bis zu welchem ein Verfahren zulässigerweise ausgedehnt werden dürfte.

32

Entgegen der Rechtsansicht des Klägers können auch die statistischen Durchschnittslaufzeiten für verwaltungsgerichtliche Verfahren im Land Brandenburg nicht zu einer Objektivierung des Angemessenheitsmaßstabs herangezogen werden (vgl. zur Heranziehung statistischer Durchschnittswerte im sozialgerichtlichen Verfahren: BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 28 ff.). Die vorgenannten Bedenken greifen nämlich in gleicher Weise für den Ansatz, bestimmte (durchschnittliche) Laufzeiten, die durch eine Auswertung anderer Gerichtsverfahren statistisch ermittelt wurden, als ergänzende oder indizielle Werte heranzuziehen. Zum einen ist auch dieser Ansatz mit der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren nicht in Einklang zu bringen. Zum anderen ist ein gesichertes Indiz für eine "normale" bzw. durchschnittliche Laufzeit in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren schon deshalb kaum möglich, weil die Verfahrenslaufzeiten der Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte in den Ländern - wie aus allgemein zugänglichen Quellen ersichtlich und zwischen den Beteiligten unstreitig ist - sehr unterschiedlich ausfallen. Im Hinblick auf die verfassungsmäßige Gewährleistung eines Gerichtsverfahrens in angemessener Zeit kann die Effektivität des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) für die verfahrensbeteiligten Bürger nicht (mit) davon abhängen, in welchem Land sie Rechtsschutz suchen und wie sich die durchschnittliche Verfahrensdauer dort ausnimmt.

33

Es verbietet sich gleichfalls, statistische Erhebungen für Verwaltungsstreitverfahren auf Bundesebene heranzuziehen. Abgesehen davon, dass solche statistischen Werte über Verfahrenslaufzeiten im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren für den Einzelfall kaum aussagekräftig sind, müssten die Durchschnittswerte ihrerseits wieder daraufhin überprüft werden, ob sie als solche angemessen sind.

34

Die Orientierung an einer - wie auch immer ermittelten - (statistisch) durchschnittlichen Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren erweist sich auch deshalb als bedenklich, weil eine solche Laufzeit stets auch Ausdruck der den Gerichten jeweils zur Verfügung stehenden Ressourcen ist, also insbesondere von den bereitgestellten personellen und sächlichen Mitteln abhängt. Der verfassungsrechtliche Anspruch auf eine angemessene Verfahrensdauer darf hingegen grundsätzlich nicht von der faktischen Ausstattung der Justiz abhängig gemacht werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 1973 - 2 BvR 558/73 - BVerfGE 36, 264 <274 f.>). Dies wäre aber im Ergebnis der Fall, wenn für die Ermittlung der angemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG auf eine durchschnittliche Laufzeit abgestellt wird (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. Rn. 87; Ziekow, DÖV 1998, 941 <942>).

35

Die Ausrichtung an einer durchschnittlichen Verfahrensdauer begegnet auch mit Blick darauf Bedenken, dass statistische Werte zumeist schwankend und über die Jahre hinweg in ständigem Fluss sowie von dem abhängig sind, was jeweils wie erfasst wird. Schließlich ersparten sie in keinem Einzelfall die Prüfung, ob und in welchem Umfange über die gesamte Laufzeit eines als überlang gerügten Gerichtsverfahrens Verzögerungen eingetreten und diese sachlich gerechtfertigt sind.

36

(3) Aus den vorgenannten Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die vom Oberverwaltungsgericht angenommene - eher gegriffene - Frist von zwei Jahren ab Entscheidungsreife kein zulässiger Maßstab für die Prüfung der Angemessenheit im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG ist. Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass der Aspekt der Entscheidungsreife oder des "Ausgeschriebenseins" einer Sache für die Bewertung der Verzögerung ohnehin kein Fixpunkt sein, sondern allenfalls relative Bedeutung haben kann. Mit der Entscheidungsreife muss weder sogleich eine dem Staat zuzurechnende Verzögerung eintreten noch werden mit ihr bestimmte Fristen in Lauf gesetzt, innerhalb derer die Verfahrensdauer noch angemessen ist, wenn das Verfahren gefördert wird. Der Begriff der Entscheidungsreife kennzeichnet lediglich den Zeitpunkt, in welchem der für die Entscheidung des Rechtsstreits notwendige Tatsachenstoff aufgeklärt und den Beteiligten in hinreichender Weise rechtliches Gehör gewährt worden ist. Ebenso wenig wie es allgemeine Orientierungswerte für die angemessene Verfahrensdauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren gibt, gibt es solche darüber, bis wann ein Verfahren nach Entscheidungsreife abzuschließen ist.

37

bb) Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eintreten, bei Berücksichtigung des dem Gericht zukommenden Gestaltungsspielraumes sachlich gerechtfertigt sind. Dieser Maßstab erschließt sich aus dem allgemeinen Wertungsrahmen, der für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unangemessenheit vorgegeben ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 ff.), und wird durch diesen weiter konkretisiert.

38

(1) Der unbestimmte Rechtsbegriff der "unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens" (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG) wie auch die zu seiner Ausfüllung heranzuziehenden Merkmale im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG sind unter Rückgriff auf die Grundsätze näher zu bestimmen, wie sie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG und zum Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG entwickelt worden sind. Diese Rechtsprechung diente dem Gesetzgeber bereits bei der Textfassung des § 198 Abs. 1 GVG als Vorbild (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Insgesamt stellt sich die Schaffung des Gesetzes als innerstaatlicher Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren als Reaktion auf eine entsprechende Forderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dar (vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 2. September 2010 - Nr. 46344/06, Rumpf/Deutschland - NJW 2010, 3355). Haftungsgrund für den gesetzlich normierten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer in § 198 Abs. 1 GVG ist mithin die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 m.w.N.).

39

(2) Die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs aus § 198 Abs. 1 GVG an den aus Art. 19 Abs. 4 GG, dem verfassungsrechtlichen Justizgewährleistungsanspruch sowie dem Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK folgenden Anspruch auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit verdeutlicht, dass es darauf ankommt, ob der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht beeinträchtigt worden ist. Damit wird eine gewisse Schwere der Belastung vorausgesetzt; es reicht also nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung des Gerichts aus (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 26). Vielmehr muss die Verfahrensdauer eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 <791 f.>). Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen, weshalb sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790> jeweils m.w.N.).

40

(3) Die Angemessenheit der Dauer eines Gerichtsverfahrens bemisst sich auch danach, wie das Gericht das Verfahren geführt hat und ob und in welchem Umfang ihm Verfahrensverzögerungen zuzurechnen sind.

41

Ist infolge unzureichender Verfahrensführung eine nicht gerechtfertigte Verzögerung eingetreten, spricht dies für die Annahme einer unangemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Dabei ist die Verfahrensführung zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien in Bezug zu setzen. Zu prüfen ist also, ob das Gericht gerade in Relation zu jenen Gesichtspunkten den Anforderungen an eine angemessene Verfahrensdauer gerecht geworden ist. Maßgeblich ist insoweit - genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände -, wie das Gericht die Lage aus seiner Ex-ante-Sicht einschätzen durfte (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 81 und 127).

42

Im Zusammenhang mit der Verfahrensführung durch das Gericht ist zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer in einem gewissen Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und zum rechtsstaatlichen Gebot steht, eine inhaltlich richtige, an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu treffen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 27). Ebenso fordert Art. 6 Abs. 1 EMRK zwar, dass Gerichtsverfahren zügig betrieben werden, betont aber auch den allgemeinen Grundsatz einer geordneten Rechtspflege (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 - Nr. 29357/95, Gast und Popp/Deutschland - NJW 2001, 211 Rn. 75). Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck; vielmehr verlangt das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 12. Februar 1992 - 1 BvL 1/89 - BVerfGE 85, 337 <345> und vom 26. April 1999 - 1 BvR 467/99 - NJW 1999, 2582 <2583>; ebenso BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 - BGHZ 187, 286 Rn. 14 m.w.N.). Um den verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist. Dabei ist die Verfahrensgestaltung in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt (BVerfG, Beschlüsse vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 - NJW-RR 2010, 207 <208> und vom 2. Dezember 2011 - 1 BvR 314/11 - WM 2012, 76 <77>). Dieses hat, sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festzulegen (BVerfG, Beschluss vom 30. Juli 2009 a.a.O.). Es hat dabei die Verfahren untereinander zu gewichten, den Interessen der Beteiligten - insbesondere im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens - Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu geboten sind. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht - auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit - ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. März 2005 - 2 BvR 1610/03 - NJW 2005, 3488 <3489> und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <791> jeweils m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. November 2010 a.a.O.). Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. m.w.N.).

43

Im Hinblick auf die Rechtfertigung von Verzögerungen ist der auch in den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 17/3802 S. 18) deutlich zum Ausdruck gekommene Grundsatz zu berücksichtigen, dass sich der Staat zur Rechtfertigung einer überlangen Verfahrensdauer nicht auf Umstände innerhalb seines Verantwortungsbereichs berufen kann (stRspr des BVerfG, vgl. Beschlüsse vom 7. Juni 2011 - 1 BvR 194/11 - NVwZ-RR 2011, 625 <626>, vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 - EuGRZ 2009, 699 Rn. 14 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>; vgl. auch BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 = juris Rn. 43). Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte insbesondere für Zeiträume in Betracht, in denen das Gericht ohne rechtfertigenden Grund untätig geblieben, also das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (vgl. EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 - Nr. 30210/96, Kudla/Polen - NJW 2001, 2694 Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 - Nr. 37591/97, Metzger/Deutschland - NJW 2002, 2856 Rn. 41). Soweit dies auf eine Überlastung der Gerichte zurückzuführen ist, gehört dies zu den strukturellen Mängeln, die der Staat zu beheben hat (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 a.a.O. Rn. 78). Strukturelle Probleme, die zu einem ständigen Rückstand infolge chronischer Überlastung führen, muss sich der Staat zurechnen lassen; eine überlange Verfahrensdauer lässt sich damit nicht rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>).

44

Sind in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten Verzögerungen eingetreten, bewirkt dies nicht zwingend die Unangemessenheit der Gesamtverfahrensdauer. Es ist vielmehr - wie aufgezeigt - im Rahmen einer Gesamtabwägung zu untersuchen, ob die Verzögerung innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens ausgeglichen wurde.

45

cc) Unter Berücksichtigung der zuvor erörterten Grundsätze erweist sich hier, dass die Verfahrensdauer unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG war, weil eine an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles - insbesondere der Schwierigkeit des Verfahrens ((1)), seiner Bedeutung für den Kläger ((2)) sowie des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten ((3)) und der Verfahrensführung des Gerichts ((4)) - ergibt, dass die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt worden ist.

46

(1) Die Würdigung des Oberverwaltungsgerichts, dass es sich nicht um einen tatsächlich und rechtlich schwierigen Fall handelte, ist unter Berücksichtigung seiner hierzu getroffenen Feststellungen nicht zu beanstanden und wird auch von der Revision nicht angegriffen. Als Indiz für den eher durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad kann unter anderem der Umstand herangezogen werden, dass die Sache vom Verwaltungsgericht auf den Einzelrichter übertragen worden ist (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO) und auch von dem Senat des Oberverwaltungsgerichts, der im Ausgangsverfahren zu entscheiden hatte, nicht als besonders schwierig gewertet worden ist.

47

(2) Anders verhält es sich hinsichtlich der Bewertung des Oberverwaltungsgerichts, das Verfahren habe für den Kläger letztlich keine besondere Bedeutung aufgewiesen, so dass ein besonderes Interesse an einem beschleunigten Abschluss nicht gegeben gewesen sei. Zwar wird die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger dadurch relativiert, dass er durch die aufschiebende Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) während der Dauer des gerichtlichen Verfahrens vor einer Vollstreckung durch die öffentliche Hand geschützt war. Auch liegt keine Fallgruppe vor, für welche die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte regelmäßig eine besondere Bedeutung für die Betroffenen annimmt, wie etwa bei Eingriffen in die persönliche Freiheit oder die Gesundheit; Rechtsstreitigkeiten um die finanzielle Versorgung (Renten- oder Arbeitssachen) oder Statussachen (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 - Nr. 75529/01, Sürmeli/Deutschland - NJW 2006, 2389 Rn. 133 sowie den Überblick und die Nachweise bei Wittling-Vogel/Ulick, DRiZ 2008, 87 <88>). Allerdings ist - wie die Revision zu Recht einwendet - auch zu berücksichtigen, dass der Kläger einer für einen jungen Menschen (Studenten) erheblichen Geldforderung in Höhe von über 17 000 € ausgesetzt war. Die damit verbundene Unsicherheit, ob die Forderung zu Recht erhoben worden ist und er diese Summe tatsächlich zu begleichen hatte - das "Damoklesschwert" der drohenden Geltendmachung durch die Behörde -, ist entgegen der Wertung des Oberverwaltungsgerichts als erheblich für die Bedeutung des Rechtsstreits für den Kläger anzusehen. Wegen der mit dieser Verunsicherung verbundenen Einschränkung, weitere Dispositionen zu treffen, ist ihm ein besonderes Interesse an einer Erledigung des Rechtsstreits zuzubilligen, das mit zunehmender Verfahrensdauer wuchs.

48

(3) Im Hinblick auf das prozessuale Verhalten des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, dass er durch sein Verhalten keine relevante Verzögerung des Rechtsstreits bewirkt habe. Die Beteiligten streiten zu Recht nicht über den Zeitraum, für den der Kläger nach Klageerhebung um die Verlängerung der Begründungsfrist nachgesucht und damit eine ihm zuzurechnende Verzögerung von etwa zwei Monaten herbeigeführt hat. Im Hinblick auf sein prozessuales Verhalten ist allerdings ergänzend zu berücksichtigen, dass er nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts bereits im März 2004 sein Einverständnis mit einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts ohne mündliche Verhandlung erklärt hat. Damit hat er frühzeitig einen Beitrag zu einer möglichen Verfahrensbeschleunigung geleistet.

49

(4) Unter Gewichtung und Abwägung der zuvor erörterten Kriterien ergibt sich hier - auch unter Berücksichtigung des gerichtlichen Spielraums bei der Verfahrensgestaltung - eine maßgebliche, weil sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung des Gerichtsverfahrens von etwa fünf Jahren.

50

Im Hinblick auf den Verfahrensgang vor dem Verwaltungsgericht hat das Oberverwaltungsgericht neben der Chronologie des Verfahrens festgestellt, dass die Streitsache jedenfalls im September 2004 erkennbar entscheidungsreif gewesen sei. Das Verwaltungsgericht hatte bereits durch die Anfrage an die Beteiligten vom 3. März 2004, ob sie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien, zu erkennen gegeben, dass es die Sache für "ausgeschrieben" hielt. Auf der Grundlage dieser Feststellung ist die Wertung des Oberverwaltungsgerichts fehlerhaft, dass eine nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung von drei Jahren und vier Monaten vorgelegen habe. Hierzu ist das Oberverwaltungsgericht aufgrund seiner rechtlich fehlerhaften Annahme gelangt, dass nach Entscheidungsreife noch eine weitere Verfahrensdauer von zwei Jahren (bis September 2006) angemessen gewesen sei. Diese "Zwei-Jahres-Pauschale" steht - wie dargelegt - weder als allgemeine Formel mit Bundesrecht in Einklang noch trägt sie durch eine Würdigung der konkreten Umstände dem vorliegenden Einzelfall Rechnung.

51

Was den Zeitpunkt der Entscheidungsreife - verstanden als Zeitpunkt der hinreichenden tatsächlichen Aufbereitung wie auch der Gewährung rechtlichen Gehörs - betrifft, so ist auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts zum Verfahrensablauf vielmehr wertend zu folgern, dass diese bereits vor September 2004 gegeben war. Denn das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass das Verwaltungsgericht den letzten Schriftsatz des Klägers vom 12. März 2004 am 17. März 2004 an den Beklagten übersandt und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von sechs Wochen gegeben hat. Nachdem der Beklagte sich hierzu nachweislich nicht mehr geäußert hatte, stand einer weiteren Verfahrensförderung durch das Verwaltungsgericht (etwa einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter) schon Ende April 2004 nichts mehr im Wege.

52

Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat, die insbesondere für Zeiträume in Betracht kommt, in denen das Gericht das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 a.a.O. Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 a.a.O. Rn. 41), ist hier für den Zeitraum von Ende April 2004 bis Januar 2010 anzunehmen. In diesem Zeitraum hat das Verwaltungsgericht das aus seiner Sicht entscheidungsreife Verfahren nicht mehr gefördert; vielmehr hat es sich mit der Verfügung von Wiedervorlagen der Sache nach auf ein "Liegenlassen" der Akte beschränkt. Die nächste, der Verfahrensförderung dienende Prozesshandlung hat es erst im Januar 2010 mit der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter vorgenommen.

53

Auch wenn dem Verwaltungsgericht ab Entscheidungsreife Ende April 2004 ein mehrmonatiger Gestaltungszeitraum zugestanden wird, um fördernde Verfahrenshandlungen vorzubereiten und abzustimmen, war seine Untätigkeit angesichts der eher durchschnittlichen Schwierigkeit des Verfahrens einerseits und seiner nicht unerheblichen Bedeutung für den Kläger wie auch seines prozessualen Verhaltens andererseits jedenfalls ab Ende 2004 nicht mehr sachlich zu rechtfertigen. Dies entspricht in etwa der Würdigung des Klägers, der davon ausgeht, dass aufgrund der genannten Umstände des Einzelfalles jedenfalls ab Februar 2005 - also 20 Monate nach Klageeinreichung und knapp ein Jahr nach dem Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung - die Verfahrensdauer als nicht mehr angemessenen zu betrachten war. Dabei hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass sich der Beklagte - was die Bemessung des Gestaltungszeitraums für eine gerichtliche Entscheidung betrifft - nicht auf die allgemeine Belastungssituation bei den Verwaltungsgerichten im Land Brandenburg berufen kann. Eine solche Überlastung der Gerichte gehört zu den strukturellen Mängeln, die seinem Verantwortungsbereich zuzurechnen sind und die er zu beseitigen hat.

54

Ist mithin jedenfalls ab Ende 2004 eine Untätigkeit des Verwaltungsgerichts nicht mehr zu rechtfertigen gewesen, so sind bis zur nächsten Verfahrensförderung im Januar 2010 mehr als fünf Jahre verstrichen, die als relevante Verzögerung und damit als unangemessene Verfahrensdauer im Sinne von § 198 GVG zugrunde zu legen sind. Dabei hat der Kläger im Ergebnis zu Recht nicht geltend gemacht, dass darüber hinaus auch im Berufungszulassungs- und Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht noch eine Verzögerung eingetreten ist. Ebenso ist die Vorinstanz zutreffend davon ausgegangen, dass das zweitinstanzliche Verfahren auch nicht so zügig durchgeführt worden ist, dass es die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens (teilweise) hätte kompensieren können.

55

c) Der Kläger hat einen immateriellen Nachteil in der von ihm geltend gemachten Höhe erlitten, der nicht auf andere Weise wieder gutgemacht werden kann.

56

Dass der Kläger, der keine materiellen, sondern nur Nachteile nichtvermögensrechtlicher Art geltend macht, solche erlitten hat, ergibt sich aus der gesetzlichen Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG. Danach wird ein immaterieller Nachteil vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren - wie hier - unangemessen lange gedauert hat. Diese Vermutung ist im vorliegenden Fall nicht widerlegt.

57

Entschädigung kann gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise ist gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Ob eine solche Feststellung ausreichend im Sinne des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles. In diese wird regelmäßig einzustellen sein, ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Bedeutung hatte, ob dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat, ob er weitergehende immaterielle Schäden erlitten hat oder ob die Überlänge den einzigen Nachteil darstellt (BTDrucks 17/3802 S. 20). Darüber hinaus kann zu berücksichtigen sein, von welchem Ausmaß die Unangemessenheit der Dauer des Verfahrens ist und ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Dringlichkeit aufwies oder ob diese zwischenzeitlich entfallen war (vgl. EGMR, Urteil vom 29. September 2011 - Nr. 854/07 - juris Rn. 41). Hier gehen die Verfahrensbeteiligten mit dem Oberverwaltungsgericht zu Recht davon aus, dass als Ergebnis einer umfassenden Einzelabwägung eine Wiedergutmachung auf andere Weise insbesondere wegen der erheblichen Verfahrensverzögerung nicht ausreichend ist. Deshalb kann hier dahingestellt bleiben, ob im Fall einer unangemessenen Verfahrensdauer die Entschädigung die Regel und die bloße Feststellung im Sinne von § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG die Ausnahme ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 45 f.) oder ob weder ein Vorrang der Geldentschädigung noch eine anderweitige Vermutungsregelung gilt (vgl. BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 Rn. 57).

58

d) Die Bemessung der immateriellen Nachteile richtet sich nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG. Danach sind diese in der Regel in Höhe von 1 200 € für jedes Jahr der Verzögerung zu entschädigen. Nur wenn dieser Betrag nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG). Das Oberverwaltungsgericht hat in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass hier eine Abweichung vom Pauschalbetrag nicht veranlasst ist. Da die nicht gerechtfertigte Verzögerung jedenfalls fünf Jahre betrug, steht dem Kläger insgesamt ein Anspruch auf 6 000 € Entschädigung zu, so dass über den Ausspruch des Oberverwaltungsgerichts hinaus weitere 2 000 € an ihn zu zahlen sind.

59

2. Der Kläger hat zudem einen Anspruch auf Feststellung der unangemessenen Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht.

60

a) Die Begrenzung des Feststellungsantrags auf die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht ist zulässig. Sie entspricht der Dispositionsbefugnis des Klägers als Rechtsmittelführer (vgl. § 88 VwGO) und trägt dem Umstand Rechnung, dass er sich insoweit allein durch die Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens beschwert sieht. Allgemein kann ein Rechtsmittel auf einen von mehreren selbstständigen Streitgegenständen einer Klage oder auf einen Teil des Streitgegenstandes beschränkt werden, wenn dieser Teil vom Gesamtstreitstoff abteilbar ist und materiell-rechtliche Gründe einer gesonderten Entscheidung darüber nicht entgegenstehen (vgl. Beschluss vom 5. Juli 2011 - BVerwG 5 B 35.11 - juris Rn. 1, Urteile vom 1. März 2012 - BVerwG 5 C 11.11 - Buchholz 428.42 § 2 NS-VEntschG Nr. 10 Rn. 15 und vom 18. Juli 2013 - BVerwG 5 C 8.12 - zur Veröffentlichung in der amtlichen Entscheidungssammlung vorgesehen). Das ist hier der Fall.

61

Die Beschränkung auf einen Verfahrenszug - hier auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren - ist vom Gesamtstreitstoff abtrennbar. Bezugsrahmen für die materiell-rechtliche Frage, ob sich die Verfahrensdauer als angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, ist zwar - wie oben dargelegt - auch dann die Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens, wenn dieses wie hier über zwei Instanzen geführt worden ist. Dennoch steht das materielle Recht einem gesonderten Ausspruch darüber, dass (nur) die Verfahrensdauer in einer Instanz unangemessen war, nicht entgegen. Denn auch um dies feststellen zu können, ist grundsätzlich die materiell-rechtliche Voraussetzung zu prüfen, ob - mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer - durch die zügige Behandlung der Sache in einer höheren Instanz eine etwaige Überlänge in der Vorinstanz ganz oder teilweise kompensiert werden kann. Für die Zulässigkeit, den (Feststellungs-)Antrag auf eine Instanz beschränken zu können, spricht überdies, dass es das Gesetz ermöglicht, eine Entschädigungsklage bereits vor Beendigung des Ausgangsverfahrens zu erheben (vgl. § 198 Abs. 5 GVG, § 201 Abs. 3 GVG). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass auch Konstellationen denkbar sind, in denen eine unangemessene und irreparable Verzögerung feststellbar ist und in denen daher über die Kompensation für schon eingetretene Nachteile entschieden werden kann (BTDrucks 17/3802 S. 22). Dass es das Gesetz zulässt, verschiedene Verfahrensstufen unterschiedlich in den Blick zu nehmen, zeigt sich schließlich auch daran, dass bei einem bis zum Bundesverwaltungsgericht geführten Verwaltungsrechtsstreit verschiedene Rechtsträger - nämlich zum einen das jeweilige Land und zum anderen der Bund (§ 201 Abs. 1 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO) - für die in ihrem Bereich zu verantwortenden Verfahrensverzögerungen in Anspruch genommen werden können.

62

b) Der Anspruch des Klägers auf Feststellung der unangemessenen Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens folgt aus § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG.

63

Nach dieser Bestimmung kann das Entschädigungsgericht in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung aussprechen, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Weil es hierfür nicht notwendig eines Antrags bedarf (§ 198 Abs. 4 Satz 2 GVG), hat das Entschädigungsgericht grundsätzlich von Amts wegen zu prüfen, ob es diese Feststellung trifft. Bei diesem Ausspruch handelt es sich, wie systematisch aus § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG zu folgern ist, um eine Form der "Wiedergutmachung auf andere Weise", die "neben die Entschädigung" treten kann. Ob das Entschädigungsgericht diese Feststellung zusätzlich zur Entschädigung (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 22) trifft, ist in sein Ermessen ("kann") gestellt.

64

aa) Ein schwerwiegender Fall im Sinne von § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG liegt hier vor.

65

Das Oberverwaltungsgericht hat das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzung des schwerwiegenden Falles rechtsfehlerhaft verneint. Es hat sich zur Begründung darauf gestützt, dass ein solcher Fall hier schon deshalb ausscheide, weil die Klage aufschiebende Wirkung gehabt habe und der Kläger die ihn treffenden Folgen der Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht hätte mildern können, indem er einen weiteren Antrag auf Gewährung von Ausbildungsförderung hätte stellen und die Treuhandabrede hätte aufheben können. Dem folgt der Senat nicht.

66

Ob ein schwerwiegender Fall vorliegt, ist anhand einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln. Insofern gilt nichts anderes als für die Entscheidung nach § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 GVG, die nach den Vorstellungen des Gesetzgebers ebenfalls "unter Würdigung der Gesamtumstände" zu treffen ist (BTDrucks 17/3802 S. 22). Neben der Bedeutung des Rechtsstreits für den Verfahrensbeteiligten und seinen damit korrespondierenden Interessen an einer zügigen Entscheidung ist im Rahmen der Abwägung, ob der Fall schwerwiegend ist, insbesondere in Ansatz zu bringen, wie lange das Verfahren insgesamt gedauert hat und wie groß der Zeitraum ist, in dem eine nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung vorlag. Der Begriff "schwerwiegend" bezieht sich - worauf schon der Wortlaut hindeutet - auf das Gewicht der Beeinträchtigung, die mit einer unangemessen langen Dauer verbunden ist. Dieses Gewicht nimmt zu, je länger die den Betroffenen belastende Phase der Untätigkeit anhält. Dementsprechend haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG, Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - VZ 1/12 - NVwZ 2013, 789 <790> m.w.N.).

67

Den vorgenannten Aspekt hat das Oberverwaltungsgericht hier nicht gesetzeskonform gewichtet. Es hätte die erhebliche Überlänge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens mit einer dem Gericht zuzurechnenden Verfahrensverzögerung von etwa fünf Jahren sowie die Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von über acht Jahren als Umstand in die Abwägung einstellen müssen, der in bedeutsamer Weise für die Annahme eines schwerwiegenden Falles spricht. Zudem hat das Oberverwaltungsgericht die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger zu gering gewichtet. Denn diese ist - wie oben dargelegt - wegen der Höhe des Rückforderungsbetrages und der damit verbundenen Unsicherheit als erheblich anzusehen. Eine gesetzeskonforme Gesamtabwägung ergibt daher, dass gerade im Hinblick auf die erhebliche Überlänge des für den Kläger bedeutsamen Verfahrens die Voraussetzungen für die Annahme eines schwerwiegenden Falles erfüllt sind. Dies kann auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auch das Revisionsgericht feststellen.

68

bb) Sofern - wie hier - ein schwerwiegender Fall im Sinne des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG vorliegt, ist die Entscheidung über eine Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer in das Ermessen des Entschädigungsgerichts gestellt.

69

Die Frage, ob in "schwerwiegenden Fällen" noch neben der Entschädigung ein gesonderter Feststellungsausspruch geboten ist, um dem Wiedergutmachungsanspruch des Betroffenen hinreichend Rechnung zu tragen, ist systematisch der Ermessensausübung zuzuordnen. Insoweit ist eine weitere Abwägungsentscheidung darüber zu treffen, ob es im konkreten Fall des Feststellungsausspruchs bedarf, um dem Betroffenen eine zusätzliche Form der Wiedergutmachung zu verschaffen. Als ein Abwägungskriterium ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, wenn der Kläger dies - wie hier - ausdrücklich beantragt. Damit gibt er zu erkennen, dass er auf diese zusätzliche Form der Wiedergutmachung gerade Wert legt und sie als Form der Genugtuung für die Verletzung seiner Rechte begreift. Ob die Beantragung der Feststellung in "schwerwiegenden Fällen" grundsätzlich zu einer Reduzierung des Ermessens führen kann, bedarf keiner Entscheidung. Denn tatsächliche Umstände, die trotz der mit der Antragstellung verbundenen Geltendmachung eines entsprechenden Genugtuungs- bzw. Rehabilitationsbegehrens dafür sprechen, von dem begehrten Ausspruch abzusehen, sind hier nicht festgestellt.

70

3. Da der Beklagte aufgrund des revisionsgerichtlichen Urteils in beiden Instanzen in vollem Umfang unterlegen ist, hat er gemäß § 154 Abs. 1 und 2 VwGO die Kosten zu tragen. Eine Billigkeitsentscheidung nach der kostenrechtlichen Spezialregelung des § 201 Abs. 4 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO ist nicht zu treffen, weil dem Kläger keine geringere Entschädigung zugesprochen wird.

28
b) Unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer dann, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (vgl. BVerwG aaO 5 C 23.12 D Rn. 37 und 5 C 27.12 D Rn. 29).
28
Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist als maßgeblicher Zeitraum die in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierte Gesamtverfahrensdauer (vgl. Ott aaO § 198 GVG Rn. 78). Dies hat zur Konsequenz, dass Verzögerungen , die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bewirken. Es ist vielmehr im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu überprüfen, ob eingetretene Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 30 und vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 41 und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 37; Ott aaO § 198 GVG Rn. 79, 97, 100 f). Darüber hinaus wird eine Entschädigung für abschnittsbezogene Verzögerungen, die derart unbedeutend sind, dass sie gegenüber der Gesamtverfahrensdauer nicht ins Gewicht fallen, regelmäßig ausscheiden. Denn die durch die lange Verfahrensdauer verursachte Belastung muss einen gewissen Schweregrad erreichen. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus (BSG, NJW 2014, 248 Rn. 26).

Tenor

I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.800,- € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 25. März 2014 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Der Kläger trägt 7/10, der Beklagte 3/10 der Kosten des Verfahrens.

III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt Entschädigung für immaterielle Nachteile infolge der unangemessenen Dauer eines Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsverfahrens zwischen den Beteiligten. Gegenstand des Ausgangsverfahrens war die Höhe der Versorgungsbezüge des 1956 geborenen und Anfang 2007 in den Ruhestand versetzten Klägers, der ein Amt in der BesGr A 12 seit 1. Januar 2006 bekleidet hatte. Streitpunkte waren, dass die Berechnung auf der BesGr A 11, Stufe 11, beruhte sowie ein Versorgungsabschlag von 10,8 v.H. und eine weitere Kürzung wegen des Versorgungsausgleichs zugunsten seiner geschiedenen Ehefrau vorgenommen worden waren.

Gegen den Bescheid hinsichtlich der Festsetzung der Versorgungsbezüge vom 30. März 2007 erhob der Kläger mit Schreiben vom 12. April 2007 Widerspruch, der am 8. Juni 2007 zurückgewiesen worden ist. Am 16. Juli 2007 erhob er Klage auf Festsetzung höherer Versorgungsbezüge. Nach einer letzten Stellungnahme des Klägers am 16. November 2007 hat das Verwaltungsgericht unter dem 8. Mai 2008 zur mündlichen Verhandlung am 27. Juni 2008 geladen. Das klageabweisende Urteil wurde nach der mündlichen Verhandlung verkündet und am 11. November 2008 dem Kläger zugestellt.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist am 28. November 2008 beim Verwaltungsgericht und am 4. Dezember 2008 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen, die Antragsbegründung am 9. Januar 2009 und die Antragserwiderung am 12. März 2009, zu der die Klägerseite am 24. April 2009 Stellung genommen hat. Nach einer Sachstandsanfrage am 20. Januar 2012 wurde der Klägerseite telefonisch mitgeteilt, dass in einem Parallelverfahren die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen worden sei. Im Hinblick darauf werde eine Aussetzung des Verfahrens grundsätzlich für sinnvoll erachtet. Die Revision sei mit Schriftsatz vom 14. Februar 2012 eingelegt worden.

Am 6. Februar 2012 hat die Klägerseite Verzögerungsrüge erhoben. Unter dem 29. Februar 2012 hat das Gericht die Beteiligten zu seiner Absicht, das Verfahren auszusetzen, angehört und hierfür eine Frist bis 20. März 2012 gesetzt. Nach gewährter Fristverlängerung bis 16. April 2012 hat die Klägerseite erklärt, dass mit der Aussetzung kein Einverständnis bestehe. Mit Beschluss vom 20. April 2012 hat der Verwaltungsgerichtshof das Verfahren ausgesetzt.

Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Parallelverfahren vom 28. Februar 2013 hat der Verwaltungsgerichtshof mit Verfügung vom 13. März 2013 das Verfahren fortgesetzt und bei den Beteiligten angefragt, ob durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. September 2012, Az. 2 C 48.11 eine Änderung veranlasst sei. Am 14. Mai 2013 stellte der Beklagte Abhilfe hinsichtlich der Mindestverweildauer im letzten Amt nach § 5 Abs. 3 BeamtVG in Aussicht, jedoch nur, wenn der Kläger das erstinstanzliche Urteil im Übrigen akzeptiere. Nach Verlängerung der Äußerungsfrist hat die Klägerseite mitgeteilt, dass der Kläger Antrag auf Erlass eines Abhilfebescheids hinsichtlich der Berechnung der Versorgungsbezüge aus der BesGr A 12 gestellt habe und stellte gegebenenfalls ihrerseits eine Teilerledigungserklärung in Aussicht. Mit Bescheid vom 15. Juli 2013 änderte der Beklagte die Festsetzung der Versorgungsbezüge und gab am 22. Juli 2013 eine Teilerledigungserklärung ab. Nachdem die Klägerseite am 13. September 2013 ebenfalls eine Teilerledigungserklärung abgegeben hatte, stellte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 18. September 2013 das Verfahren teilweise ein und lehnte im Übrigen den Antrag auf Zulassung der Berufung ab.

Der Verwaltungsgerichtshof wies ferner mit Beschluss vom 25. Oktober 2013 eine gegen den Beschluss vom 18. September 2013 erhobene Anhörungsrüge, die am 8. Oktober 2013 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen war, zurück. Im Anschluss daran hat der Kläger Verfassungsbeschwerde erhoben, deren Annahme vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 2014 ohne Begründung abgelehnt worden ist.

Am 25. März 2014 erhob der Kläger Klage auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer und beantragte zugleich die Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf die Verfassungsbeschwerde. Nach Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde teilte der Kläger mit, dass er beabsichtige, eine Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu erheben und hielt den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens aufrecht. Das am 3. September 2014 im Einverständnis der Beteiligten ruhend gestellte Verfahren wird auf Antrag des Klägers seit 23. Oktober 2015 fortgesetzt.

Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, für die Beurteilung, ob eine überlange Verfahrensdauer vorliegt, seien aus verfassungsrechtlichen Gründen und entsprechend den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte das behördliche Verfahren wie auch das Verfahren im ersten Rechtszug zu berücksichtigen. Die unangemessen lange Verfahrensdauer ergebe sich daraus, dass das Berufungsgericht das Verfahren ohne sachlichen Grund seit der Stellungnahme des Klägers zur Klageerwiderung bis zur Fortsetzung des Verfahrens nach der Aussetzung 46 Monate lang nicht betrieben habe. Ein Gestaltungsspielraum des Gerichts für die Verfahrensführung wie auch eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit seien hiervon nicht abzuziehen. Die Zeit der nicht rechtmäßigen Verfahrensaussetzung sei der vorangegangenen Untätigkeit gleichzusetzen. Das Verfahren sei ausgesetzt worden, um zu verhindern, dass sich der Kläger im Nachhinein auf § 198 GVG berufen kann, obwohl sich er sich der Aussetzung ausdrücklich widersetzt habe. Die zu erwartende obergerichtliche Entscheidung sei nicht vorgreiflich gewesen und die angeblich offene Rechtsfrage sei durch das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2007 entschieden worden. Die Länge des Verfahrens sei auch nicht auf eine besondere Komplexität des Verfahrens zurückzuführen, nachdem bereits eine klare Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts existiert habe. Das Verfahren sei für den Kläger von erheblicher Bedeutung gewesen. Es sei um die Höhe der ihm zustehenden Versorgungsbezüge gegangen. Die Entscheidung habe deshalb großen Einfluss auf seine Lebensgestaltung gehabt. Die Höhe der Entschädigung ergebe sich aus der Vermutung des § 198 Abs. 2 GVG. Für die Zeit der nicht rechtmäßigen Aussetzung des Verfahrens sei der Betrag von 1.200,- € pro Jahr jedoch zu verdoppeln, weil sich der psychische Zustand des Klägers durch die Aussetzung gravierend verschlechtert habe.

Der Kläger beantragt,

dem Kläger wegen überlanger Dauer des Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsverfahrens wegen seiner Versorgungsbezüge eine Entschädigung für erlittene Nachteile in Höhe von 5.800,- € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus diesem Betrag seit Rechtshängigkeit zuzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es komme insbesondere eine inhaltliche Überprüfung der Entscheidung zur Aussetzung des Verfahrens vor dem Hintergrund der Unabhängigkeit des Gerichts und des Rechts auf den gesetzlichen Richter nicht in Betracht. Ferner sei eine Verdoppelung des Entschädigungssatzes unter Hinweis auf nicht näher substantiierte gesundheitliche Beeinträchtigungen nicht nachvollziehbar.

Der auf den 28. Juni 2016 festgesetzte Termin zur mündlichen Verhandlung wurde nach Verzicht der Beteiligten auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung aufgehoben. Sich anschließende Verhandlungen zur vergleichsweisen Beendigung des Rechtsstreits sind erfolglos geblieben.

Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die beigezogenen Gerichtsakten dieses und des Ausgangsverfahrens Bezug genommen.

Gründe

Der Verwaltungsgerichtshof entscheidet ohne mündliche Verhandlung, weil die Beteiligten darauf verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Entschädigungsklage hat nur teilweise Erfolg. Der Kläger hat Anspruch auf Entschädigung des immateriellen Nachteils durch die unangemessene Verfahrensdauer in Höhe von 1.800,- € zuzüglich der Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus diesem Betrag seit Rechtshängigkeit.

Die Dauer des Berufungszulassungsverfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof war bei einer Dauer von 57 Monaten und 28 Tagen in einem Umfang von 18 Monaten unangemessen im Sinn von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.

Materiellrechtlicher Bezugsrahmen des Entschädigungsanspruchs ist das gesamte verwaltungsgerichtliche Verfahren über alle Instanzen hinweg, in denen der Rechtsstreit anhängig war. Das behördliche Verfahren von der Festsetzung der Versorgungsbezüge bis zur Zurückweisung des Widerspruchsbescheids ist nicht Gegenstand eines Verfahrens auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, der gemäß § 173 Satz 2 VwGO für die Verwaltungsgerichtsbarkeit entsprechend gilt, beschränkt einen möglichen Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer auf Gerichtsverfahren einschließlich der in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG genannten Nebenverfahren. Die Einschränkung verstößt weder gegen Verfassungsrecht noch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Soweit Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober, BGBl II S. 1198, behördliche Vorverfahren erfasst, werden dessen Anforderungen durch die Möglichkeit der Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO erfüllt (Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 37 f.). Im Übrigen ist bei einer Dauer des Widerspruchsverfahrens von etwa drei Monaten eine unangemessene Verfahrensverzögerung nicht erkennbar.

Die Verfahrensdauer in der ersten Instanz ist nicht zu beanstanden. Eine Verfahrensdauer von etwa einem Jahr nach Entscheidungsreife und insgesamt von 16 Monaten ist angesichts des dem Gericht zuzubilligenden Gestaltungsspielraums sowie der ihm zuzugestehenden Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit nicht unangemessen. Die Klägerseite hat insoweit auch keine unangemessene Verfahrensverzögerung substantiiert geltend gemacht. Das Verwaltungsgericht war jedoch auch nicht schneller als erwartet werden konnte, sodass eine Zeitersparnis in der ersten Instanz der Laufzeit im zweiten Rechtszug nicht zu Gute kommt. Ebenso ist eine Verfahrensverzögerung hinsichtlich der am 8. Oktober 2013 erhobenen Anhörungsrüge, die mit Beschluss vom 25. Oktober 2013 zurückgewiesen worden ist, nicht erkennbar.

Der im Hinblick auf eine unangemessene Verfahrensdauer näher zu prüfende Zeitraum umfasst deshalb die Zeit von der Einreichung des Antrags auf Zulassung der Berufung, der am 28. November 2008 beim Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangen ist, bis zur Zustellung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofs vom 18. September 2013 am 25. September 2013, mit dem das Verfahren teilweise eingestellt und im Übrigen der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt worden ist.

Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinn von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Wie die Verwendung des Worts „insbesondere“ zeigt, werden damit Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, beispielhaft und ohne abschließenden Charakter benannt (BT-Drs. 17/3802 S. 18). Damit hat der Gesetzgeber bewusst von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen. Schematische zeitliche Vorgaben für die Angemessenheit sind daher ausgeschlossen. Es verbietet sich in aller Regel, von Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder auf statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen. Dabei macht es im Ergebnis keinen Unterschied, ob solche Werte - in Rechtsprechung und Literatur werden Zeitspannen von ein bis drei Jahren genannt - als „normale“, „durchschnittliche“ oder „übliche“ Bearbeitungs- oder Verfahrenslaufzeiten bezeichnet und - im Hinblick auf die Angemessenheit der Verfahrensdauer - als Indiz (Regelfrist), Hilfskriterium oder „erster grober Anhalt“ herangezogen werden (hierzu ausführlich BayVGH, U.v. 10.12.2015 - 23 A 14.2252 - juris Rn. 28 ff.).

Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinn von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Konventions- und verfassungsrechtlichen Normen (Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eingetreten sind, bei der Berücksichtigung des den Gerichten insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums sachlich gerechtfertigt sind.

Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind. Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte insbesondere für Zeiträume in Betracht, in denen das Gericht ohne rechtfertigenden Grund untätig geblieben ist, also das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (vgl. EGMR, U.v. 26.10.2000 - Nr. 30210/96, Kudła/Polen - NJW 2001, 2694 Rn. 130, v. 31.5.2001 - Nr. 37591/97, Metzger/Deutschland - NJW 2002, 2856 Rn. 41). Zu unangemessenen Verfahrensverzögerungen führen deshalb die Zeiten nicht, in denen die jeweilige Prozessordnung vorsieht, dass das Gericht untätig bleibt, also während der Dauer des Ruhens des Verfahrens gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 251 ZPO oder gemäß § 94 VwGO solange das Verfahren ausgesetzt ist.

Art. 6 Abs. 1 EMRK fordert zwar, dass Gerichtsverfahren zügig betrieben werden, betont aber auch den allgemeinen Grundsatz einer geordneten Rechtspflege (EGMR, U.v. 25.2.2000 - Nr. 29357/95, Gast und Popp/Deutschland - NJW 2001, 211 Rn. 75). Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck; vielmehr verlangt das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht (st. Rspr. des BVerfG, vgl. etwa B.v. 12.2.1992 - 1 BvL 1/89 - BVerfGE 85, 337, v. 26.4.1999 - 1 BvR 467/99 - NJW 1999, 2582; ebenso BGH, U.v. 4.11.2010 - III ZR 32/10 - BGHZ 187, 286 Rn. 14 m.w.N.). Die Verfahrensgestaltung ist in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt (BVerfG, B.v. 30.7.2009 - 1 BvR 2662/06 - NJW-RR 2010, 207, v. 2.12.2011 - 1 BvR 314/11 - WM 2012, 76). Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht - auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit - ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen (vgl. BVerfG, B.v. 29.3.2005 - 2 BvR 1610/03 - NJW 2005, 3488, v. 1.10.2012 - 1 BvR 170/06 - NVwZ 2013, 789 jeweils m.w.N.). Um den verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist.

Das Gericht muss zum einen den zur Entscheidung stehenden Sachverhalt erarbeiten, insbesondere die entscheidungsrelevanten Tatsachen ermitteln. Ferner sind die rechtlichen Entscheidungsgrundlagen aufzubereiten, der Sachverhalt darunter zu subsumieren und - unter Klärung offenbar werdender oder von den Beteiligten aufgeworfener Probleme - zu entscheiden. Auch wenn im Zulassungsverfahren lediglich über die dargelegten Zulassungsgründe zu entscheiden ist, muss die angegriffene Entscheidung vom Rechtsmittelgericht zumindest nachvollzogen und kritisch hinterfragt werden.

Zum anderen hat das Gericht, sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festzulegen. Es besteht kein Anspruch darauf, dass ein Rechtsstreit, auch wenn er entscheidungsreif ist, sofort bzw. unverzüglich vom Gericht bearbeitet und entschieden wird. Der verantwortliche Justizgewährträger ist nicht verpflichtet, so große Gerichtskapazitäten vorzuhalten, dass jedes anhängige Verfahren sofort und ausschließlich nach Entscheidungsreife von einem Richter bearbeitet werden kann. Vielmehr muss ein Rechtsuchender damit rechnen, dass der zuständige Richter neben seinem Rechtsbehelf auch noch andere (ältere) Verfahren zu bearbeiten hat. Insofern ist ihm eine gewisse Wartezeit zuzumuten (BSG, U.v. 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - NJW 2014, 248). Schon wegen der unterschiedlichen Zahl der Verfahrenseingänge im Laufe der Zeit, muss ein Gericht immer über eine gewisse „Restantenzahl“ verfügen, um einen sinnvollen Ressourceneinsatz zu gewährleisten, da Richter nicht nach Bedarf berufen und abberufen werden können. Das Gericht hat dabei die Verfahren untereinander zu gewichten, den Interessen der Beteiligten - insbesondere im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens - Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu geboten sind. Dabei ist es legitim und im Interesse der Verfahrensökonomie geboten, Entscheidungen in ähnlich gelagerten Fällen oder gar von Pilotverfahren, die ihrerseits in einem angemessenen Zeitraum zu erwarten sind, abzuwarten, auch wenn dadurch die Erledigung des zur Entscheidung stehenden Verfahrens hinausgeschoben wird.

Der der gerichtlichen Gestaltungsfreiheit offen stehende Zeitraum beginnt nicht zwingend mit dem Zeitpunkt des „Ausgeschriebenseins“, nachdem die Beteiligten jeweils zur Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelbegründung bzw. -erwiderung Stellung genommen haben, oder dem der Entscheidungsreife, in dem der notwendige Tatsachenstoff aufgeklärt und den Beteiligten in hinreichender Weise rechtliches Gehör gewährt worden ist. Das Ende dieser Zeitspanne wird durch den Zeitpunkt markiert, ab dem ein (weiteres) Zuwarten auf eine verfahrensfördernde Entscheidung bzw. Handlung des Gerichts im Hinblick auf den Anspruch des Betroffenen auf eine angemessene Verfahrensdauer nicht mehr vertretbar ist, weil sich die (weitere) Verzögerung bei Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles als sachlich nicht mehr gerechtfertigt und damit als unverhältnismäßig darstellt. Es ist nicht mit dem Zeitpunkt gleichzusetzen, an dem das Verfahren bei einer „optimalen Verfahrensführung“ des Gerichts beendet wäre. Entschädigungsrechtlich relevant sind nur die nach Ablauf des Gestaltungszeitraums auf die Verfahrensführung des Gerichts zurückzuführenden Verzögerungen. Denn zur Begründung des Entschädigungsanspruchs reicht nicht jede Abweichung von der optimalen Verfahrensführung aus. Vielmehr setzt der Entschädigungsanspruch aus § 198 Abs. 1 GVG voraus, dass der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit beeinträchtigt worden ist, was eine gewisse Schwere der Belastung erfordert (vgl. BVerwG, U.v. 11.7.2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 39). In die Gesamtabwägung sind alle festgestellten Umstände des Einzelfalles einzustellen und zu gewichten.

Ferner hat in die Prüfung einzufließen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Verletzung des Rechts auf angemessene Verfahrensdauer weder in den gerichtlichen noch in den Verantwortungsbereich des in Anspruch genommenen Rechtsträgers fällt, sondern den Verfahrensbeteiligten oder Dritten zuzurechnen ist. Verfahrensverzögerungen, die durch das Verhalten der Parteien entstanden sind, sind grundsätzlich ebenfalls nicht dem Gericht anzulasten.

Gemessen an den Kriterien des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG gilt hier Folgendes:

Das Gericht hat nach Eingang der Replik des Klägers auf die Erwiderung des Beklagten auf den Antrag auf Zulassung der Berufung am 24. April 2009 hin bis zur telefonischen Mitteilung an die Klägerbevollmächtigten am 26. Januar 2012, dass in einem ähnlich gelagerten Verfahren die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen worden sei und im Hinblick darauf eine Aussetzung des Verfahrens für sinnvoll erachtet werde, über einen Zeitraum von 33 Monaten keine verfahrensfördernden Aktivitäten erkennen lassen. Von diesem Zeitpunkt bis zur Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf die erwartete Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in dem genannten Parallelverfahren am 20. April 2012 wurde das Verfahren angemessen gefördert. In diesen Zeitraum fiel die Verzögerungsrüge wie auch die Anhörung des Klägers zur Absicht des Gerichts, das Verfahren auszusetzen. In diesem Zusammenhang wurde der Klägerseite auf Antrag eine Fristverlängerung zur Äußerung gewährt. Im Hinblick darauf, dass das Verfahren bis zur Revisionsentscheidung im Parallelverfahren ausgesetzt worden ist, hatte die Verfahrensführung in diesem Verfahrensabschnitt auch keine Auswirkung auf die Dauer des Gesamtverfahrens. Eine unangemessene Verfahrensverzögerung kann insoweit nicht erkannt werden.

Der Zeitraum der mit Beschluss vom 20. April 2012 angeordneten Aussetzung des Verfahrens bis zu dessen Fortsetzung ab 13. März 2013 von mehr als zehn Monaten kann nicht als unangemessene Verfahrensverzögerung gewertet werden, weil das Gesetz (§ 94 VwGO) die Untätigkeit des Gerichts ausdrücklich vorsieht. Im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit kann der Aussetzungsbeschluss im Verfahren über die Entschädigung wegen unangemessener Verfahrensdauer nicht auf Richtigkeit, sondern allenfalls auf seine Vertretbarkeit hin überprüft werden. Die Vertretbarkeit darf dabei nur verneint werden, wenn bei Würdigung auch der Belange einer funktionierenden Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist (BGH, U.v. 4.11.2010, - III ZR 32/10 - BGHZ 187,286 = juris Rn. 14).

Die Aussetzungsentscheidung erscheint jedenfalls nicht unvertretbar. Wenn auch in der Kommentarliteratur unter Hinweis auf die Rechtsprechung verschiedener Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass es für eine Aussetzung im Hinblick auf die Vorgreiflichkeit der Entscheidung vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses, das Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits ist, nicht genügt, wenn sich dort lediglich die gleiche Rechtsfrage stellt (z.B. Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 94 Rn. 4), ist die Auffassung weit verbreitet, dass ein Verfahren ausgesetzt werden könne, wenn die hier zu entscheidende Rechtsfrage Gegenstand eines anderen Verfahrens insbesondere bei einem Revisionsgericht ist. Der Zweck der Aussetzung, divergierende Entscheidungen zu einem einheitlichen Sachkomplex zu vermeiden (Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 94 Rn. 1) trifft auch hier zu. Jedenfalls dient die Aussetzung der Prozessökonomie. Es erspart dem entscheidenden Gericht die oft schwierige und zeitaufwendige Prüfung, die durch das Revisionsgericht ohnehin erfolgt. Sie dient der Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen und begegnet der Gefahr, dass das Gericht eine Auffassung zu Grunde legt, der nachträglich durch die Entscheidung des Revisionsgerichts die Grundlage entzogen wird und enthebt damit die unterlegene Partei der Notwendigkeit, ein Rechtsmittel einzulegen (BGH, B.v. 25.3.1998 - VIII ZR 337/97 - juris Rn. 7). Dieser Gesichtspunkt trifft gerade hier zu, weil das Revisionsgericht den Verwaltungsgerichtshof im Parallelverfahren aufgehoben hat. In dem Revisionsverfahren ging es auch nicht um die - wie die Klägerseite richtig ausführt - bereits im Jahr 2007 entschiedene Frage, ob die dreijährige Wartefrist im Hinblick auf die Anrechnung einer Beförderung bei der Festsetzung der Versorgungsbezüge verfassungsrechtlich Bestand hat. Inmitten hat vielmehr die Frage gestanden, ob mit der Nichtigerklärung der Erhöhung der Wartefrist auf drei Jahre die zugleich abgeschaffte Anrechnung der Zeiten, in denen bereits der dem Beförderungsamt entsprechende Dienstposten wahrgenommen worden ist, wieder aufgelebt ist, was der Senat anders als das Bundesverwaltungsgericht verneint hatte.

Nach der Fortsetzung des Verfahrens wurde es nach Verhandlungen über die teilweise unstreitige Erledigung in Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Parallelverfahren unter Gewährung einer Fristverlängerung für die Klägerseite mit Beschluss vom 18. September 2013 ohne erkennbare Verzögerung erledigt.

Hinsichtlich des verbleibenden Zeitraums der Untätigkeit des Gerichts von 33 Monaten gilt Folgendes:

Wie ausgeführt, ist dem Gericht ein Gestaltungsspielraum bei der Verfahrensführung zuzugestehen. Einerseits benötigt es eine Vorbereitung- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit der Komplexität der Rechtssache angemessen ist, und andererseits ist zu berücksichtigen, dass gleichzeitig eine Reihe weiterer Streitsachen zu bearbeiten und voranzutreiben ist.

Rechtsstreitigkeiten bezüglich der Versorgung von Beamten sind wegen häufiger Rechtsänderungen und ebenso häufiger Übergangsregelungen wie auch wegen vielfältiger Differenzierungen hinsichtlich der Zeiten, in denen der Beamte Dienst geleistet hat und auch im Hinblick auf mögliche Besonderheiten der einzelnen Dienstposten insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung der Tatsachengrundlage sowie des jeweils gültigen Rechtsstands und der anzuwendenden Vorschriften äußerst kompliziert und sehr arbeitsaufwendig. Der Richter kann sich auch nicht längere Zeit ausschließlich der Bearbeitung einer Rechtssache widmen. Vielmehr ist ständig der laufende Geschäftsanfall wie Posteingang, Zustellung von Schriftsätzen, Treffen verfahrensleitender Verfügungen, Mitwirkung bei der Bearbeitung und Entscheidungen von Rechtssachen, die von anderen Berichterstattern bearbeitet werden und der Teilnahme an Beratungen zu bewältigen, sodass er sich der vertieften Bearbeitung von Einzelfällen täglich nur in beschränktem Umfang widmen kann. Nicht zu vergessen ist, dass nach Erarbeitung der Entscheidungsgrundlagen über die richtige Lösung nachgedacht werden muss und die zutreffende Gedankenführung sich häufig nicht sogleich offenbart. Für die zu entscheidende Streitsache erscheint ein Vorbereitung- und Bearbeitungszeitraum von neun Monaten angemessen.

Zudem muss auch der nicht überlastete Richter eine Reihe weiterer Verfahren bearbeiten, über die Reihenfolge der Bearbeitung bestimmen und entsprechend der Bedeutung und Dringlichkeit der jeweiligen Streitsachen entscheiden, was vorzuziehen ist und was gegebenenfalls hintangestellt werden kann. Eine Bearbeitungsdauer von neun Monaten, die sich aus der erforderlichen Koordination der Bearbeitung der im Referat des Berichterstatters anfallenden Streitsachen ergibt, erscheint hinnehmbar. Nachdem sich jedoch Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit und andererseits die Bearbeitung des gesamten Referats nicht exakt trennen lassen und sich auch teilweise überdecken, erscheint eine Laufzeit von einem Jahr seit Entscheidungsreife angesichts der Komplexität der Rechtsgebiete, mit denen der entscheidende Senat befasst ist, insbesondere Beamtenrecht, Beamtenbesoldungs-und Versorgungsrecht nicht unangemessen. Die Grenze der Angemessenheit dürfte bei einer Laufzeit von 15 Monaten jedoch erreicht sein. Das Verhalten der Verfahrensbeteiligten oder Dritter hatte abgesehen von den auf Antrag gewährten Fristverlängerungen keinen Einfluss auf die Laufzeit. Mithin ergibt sich eine im Sinn des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG unangemessene Verfahrensdauer von 18 Monaten.

Diese Verfahrensdauer wird nicht dadurch gerechtfertigt, dass der Senat den Ausgang eines über drei Instanzen geführten Rechtsstreits abgewartet hat, in dem es um eine Rechtsfrage gegangen ist, die sich u.a. auch im Ausgangsverfahren gestellt hat. Grundsätzlich ist es sachgerecht und unterfällt dem Gestaltungsspielraum des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers, eine Entscheidung, in der die Klärung einer entscheidungsrelevanten Frage zu erwarten ist, abzuwarten. Allerdings ist das Gericht gehalten zu prüfen, ob bei einer Verzögerung der Entscheidung des Referenzverfahrens - unabhängig von deren Grund - das bei ihm anhängige Verfahren zur Vermeidung unangemessener Laufzeiten voranzutreiben ist. Das ist hier der Fall. Die Berufung, deren Entscheidung - und darüber hinaus die Entscheidung über die dagegen erhobene Revision - abgewartet worden ist, war bereits bei Eingang des Antrags auf Zulassung der Berufung im Ausgangsverfahren bei dem Senat anhängig. Über die Berufung wurde jedoch erst drei Jahre und zwei Monate nach Eingang des Zulassungsantrags entschieden. Nachdem beide Verfahren beim selben Senat anhängig waren, war ihm der Verfahrensstand des Bezugsverfahrens zu jedem Zeitpunkt bekannt. Es wäre deshalb an ihm gewesen, das Berufungsverfahren voranzutreiben oder aber, soweit dem Hindernisse entgegenstanden, über den Zulassungsantrag zu entscheiden. Ein Zuwarten über einen so langen Zeitraum ist mit der Funktion des Zulassungsverfahrens, die Berufungswürdigkeit des Streitfalls zu prüfen (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 10), nicht vereinbar.

Dass der Kläger Nachteile nicht vermögensrechtlicher Art erlitten hat, ergibt sich aus der Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG. Diese Vermutung ist hier nicht widerlegt. Nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG beträgt die Entschädigung 1.200,- € für jedes Jahr der Verzögerung bzw. 100,- € je Monat. Das Gericht kann einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen, wenn der Betrag von 1.200,- € nach den Umständen des Einzelfalles unbillig ist. Eine derartige Billigkeitsentscheidung ist hier nicht veranlasst. Insbesondere ist dieser Betrag für die Zeit der Aussetzung des Verfahrens schon deshalb nicht zu verdoppeln, weil die Aussetzung keine unangemessene Verzögerung des Verfahrens zur Folge hatte.

Eine Entschädigung für materielle Nachteile wurde weder ausdrücklich beantragt, noch sind solche dargelegt worden oder ersichtlich.

Soweit der Entschädigungsanspruch begründet ist, hat der Kläger entsprechend § 291 in Verbindung mit § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB Anspruch auf Prozesszinsen (Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 90 Rn. 14 und 17).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 173 Satz 2 VwGO i.V.m. § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG, § 709 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

28
b) Unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer dann, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (vgl. BVerwG aaO 5 C 23.12 D Rn. 37 und 5 C 27.12 D Rn. 29).
36
aa) Unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer dann, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (ausführlich Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 28 ff und vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13, BeckRS 2013, 22861 Rn. 36 ff, jeweils mwN, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).
28
Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist als maßgeblicher Zeitraum die in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierte Gesamtverfahrensdauer (vgl. Ott aaO § 198 GVG Rn. 78). Dies hat zur Konsequenz, dass Verzögerungen , die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bewirken. Es ist vielmehr im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu überprüfen, ob eingetretene Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 30 und vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 41 und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 37; Ott aaO § 198 GVG Rn. 79, 97, 100 f). Darüber hinaus wird eine Entschädigung für abschnittsbezogene Verzögerungen, die derart unbedeutend sind, dass sie gegenüber der Gesamtverfahrensdauer nicht ins Gewicht fallen, regelmäßig ausscheiden. Denn die durch die lange Verfahrensdauer verursachte Belastung muss einen gewissen Schweregrad erreichen. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus (BSG, NJW 2014, 248 Rn. 26).

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Entschädigungsanspruchs wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens und darüber, ob der Kläger daneben beanspruchen kann, die unangemessene Dauer feststellen zu lassen.

2

Im Ausgangsverfahren, dessen Überlänge der Kläger rügt, stand die Rückerstattung von Ausbildungsförderung im Streit, die der Kläger für sein Studium der Geowissenschaften von Oktober 2000 bis März 2003 erhalten hatte. Ein erster Rückforderungsbescheid erging im Februar 2003 und belief sich über 13 600 €. Das Studentenwerk P. verlangte die Förderung mit der Begründung zurück, der Kläger habe nicht angegeben, dass er über umfangreiches Vermögen auf einem Bankkonto verfüge. Nach der Zurückweisung seines Widerspruchs erhob der Kläger Ende Juni 2003 Klage vor dem Verwaltungsgericht.

3

Im September 2003 begründete er seine Klage damit, dass das festgestellte Vermögen nicht ihm gehöre, sondern seinem Bruder, für den er es treuhänderisch verwalte. Zudem erweiterte der Kläger seine Klage auf einen zwischenzeitlich ergangenen zweiten Rückforderungsbescheid über 3 500 €. Mitte Januar 2004 nahm das beklagte Studentenwerk schriftlich zu der Klage Stellung. Mit Schreiben vom 3. März 2004 fragte die Berichterstatterin bei den Beteiligten an, ob sie mit einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter sowie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien.

4

Mit am 11. und 12. März 2004 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenen Schriftsätzen erklärten die Beteiligten ihr Einverständnis mit dieser Verfahrensweise. Der Kläger trug zudem weiter zur Sache vor und kündigte für den Fall, dass das Gericht Zweifel an dem Wahrheitsgehalt seines Tatsachenvortrags haben sollte, mehrere Beweisanträge an. Mit Schreiben vom 17. März 2004 übersandte das Verwaltungsgericht dem Studentenwerk eine Abschrift des Schriftsatzes des Klägers und gab Gelegenheit, innerhalb von sechs Wochen Stellung zu nehmen. Das beklagte Studentenwerk äußerte sich hierauf nicht. Mit am 10. November 2004 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz wies der Prozessbevollmächtigte des Klägers darauf hin, dass die Beteiligten Anfang März des Jahres "wohl auch aus Beschleunigungszwecken" übereinstimmend einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt hätten. Das Gericht teilte ihm mit, dass nicht absehbar sei, wann mit einer Entscheidung zu rechnen sei. Gleiches gilt für die weiteren Anfragen des Klägers vom 16. Mai 2006 und vom 16. Juli 2007.

5

Mit Beschluss vom 5. Januar 2010 übertrug die Kammer des Verwaltungsgerichts den Rechtsstreit auf den Einzelrichter. Auf die Anfrage, ob Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehe, stimmten die Beteiligten bis Ende Januar 2010 zu. Mit Urteil vom 2. Februar 2010 wies der Einzelrichter die Klage ohne mündliche Verhandlung ab. Sie sei teilweise wegen Versäumung der Widerspruchsfrist unzulässig und teilweise unbegründet. Das vom Kläger behauptete Treuhandverhältnis habe nach Überzeugung des Gerichts nicht bestanden.

6

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 23. Februar 2010 zugegangene Urteil beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung. Diese ließ das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 5. Mai 2011 zu. In der mündlichen Verhandlung am 30. November 2011 wurde der Kläger befragt und sein Bruder als Zeuge vernommen. Mit Urteil vom selben Tag änderte das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts und gab der Klage statt. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 12. Januar 2012 und dem Beklagten am 19. Januar 2012 zugestellt. Rechtsmittel gegen die Nichtzulassung der Revision wurden nicht eingelegt.

7

Mit der am 4. Januar 2012 zunächst beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen und von diesem an das Oberverwaltungsgericht weitergeleiteten Klage hat der Kläger die Gewährung einer Entschädigung in Höhe von 6 000 € und die Feststellung begehrt, dass die Verfahrensdauer des Rechtsstreits bei dem Verwaltungsgericht unangemessen war. Er habe über lange Zeit mit der erheblichen Unsicherheit leben müssen, einer für seine Verhältnisse existenzbedrohlichen Forderung von über 17 000 € ausgesetzt zu sein. Das Verwaltungsgericht habe den Rechtsstreit ohne Weiteres innerhalb von ungefähr 20 Monaten und damit bis Februar 2005 entscheiden können. Es habe selbst bereits mit seiner Verfügung vom 3. März 2004 zum Ausdruck gebracht, dass die Sache aus seiner Sicht keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweise und auch keine grundsätzliche Bedeutung habe. Dennoch habe es ab März 2004 keine aktenkundige Tätigkeit entfaltet, um die aus seiner Sicht entscheidungsreife Sache zu fördern. Insgesamt ergebe sich eine nicht zu rechtfertigende Verzögerung von fünf Jahren.

8

Das Oberverwaltungsgericht hat in dem angegriffenen Urteil vom 27. März 2012 die Beklagte verurteilt, an den Kläger 4 000 € zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Verfahren des Klägers habe zwar keine neuen oder komplexen Rechtsfragen aufgeworfen. Auch die Klärung der Tatsachengrundlage sei nicht überdurchschnittlich aufwändig gewesen. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles sei die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens aber bis einschließlich September 2006 noch als angemessen anzusehen. Zwar sei die Streitsache jedenfalls im September 2004 erkennbar entscheidungsreif gewesen. Bei Hinzurechnung einer aus Sicht des Klägers unerfreulichen, jedoch noch nicht gegen die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entwickelten Maßstäbe verstoßenden Verfahrensdauer von weiteren zwei Jahren erschließe sich, dass die Verfahrensdauer bis September 2006 angemessen und von Oktober 2006 bis Januar 2010 (weitere drei Jahre und vier Monate) unangemessen gewesen sei. Die Verfahrensdauer in der zweiten Rechtsstufe vor dem Oberverwaltungsgericht sei mit ca. zwei Jahren noch angemessen. Das dortige Verfahren sei aber auch nicht so zügig durchgeführt worden, dass damit die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens teilweise hätte kompensiert werden können. Der Kläger habe neben der Entschädigung keinen Anspruch auf die von ihm begehrte Feststellung der Unangemessenheit. Ein schwerwiegender Fall im Sinne des Gesetzes sei schon deswegen nicht gegeben, weil die Klage aufschiebende Wirkung gehabt habe. Zudem habe der Kläger die ihn treffenden Folgen der Verfahrensdauer mildern können, wenn er die Treuhandabrede mit seinem Bruder aufgehoben und einen weiteren Antrag auf Ausbildungsförderung gestellt hätte.

9

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG sowie des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG. Er begehrt eine um 2 000 € höhere Entschädigung sowie die Feststellung, dass die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht unangemessen war.

10

Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.

11

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren. Er sei mit dem Bundesjustizministerium der Auffassung, dass das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts - jedenfalls in seiner Begründung - keinen Bestand haben könne. Nach der Gesetzesfassung komme es auf die Umstände des Einzelfalles und nicht auf eine Durchschnittsdauer an. "Angemessen" sei etwas anderes als "durchschnittlich". Im Extremfall könne auch eine durchschnittliche Dauer unangemessen sein.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision des Klägers ist begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Dem Kläger steht die von ihm geltend gemachte weitere Entschädigung zu (1.). Ebenso ist seinem Begehren zu entsprechen, die unangemessene Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens festzustellen (2.).

13

1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Ausgleich seines immateriellen Nachteils in Höhe von weiteren 2 000 €.

14

Der geltend gemachte Anspruch folgt aus § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl I S. 1077), zuletzt geändert durch Gesetz vom 7. Dezember 2011 (BGBl I S. 2582). Diese Regelungen sind im Verwaltungsprozess entsprechend anwendbar (§ 173 Satz 2 VwGO). Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Der durch eine unangemessene Verfahrensdauer eingetretene immaterielle Nachteil ist nach Maßgabe des § 198 Abs. 2 GVG zu entschädigen.

15

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Dauer des vom Kläger in Bezug genommenen Gerichtsverfahrens (a) war unangemessen (b). Hierdurch hat er einen immateriellen Nachteil erlitten, der nicht auf andere Weise wiedergutgemacht werden kann (c) und in der von ihm geltend gemachten Höhe zu entschädigen ist (d).

16

a) Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss (§ 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG). Bezugsrahmen des vom Kläger geltend gemachten Entschädigungsanspruchs ist danach das gesamte - hier abgeschlossene - verwaltungsgerichtliche Verfahren im Ausgangsrechtsstreit, und zwar vom Zeitpunkt der Klageerhebung bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft einer Entscheidung. Erfasst ist hier mithin die Gesamtdauer des Verfahrens vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht (aa), nicht aber das dem Verwaltungsprozess vorausgegangene behördliche Vorverfahren (bb).

17

aa) Bezugsrahmen für die materiell-rechtliche Frage, ob sich die Verfahrensdauer als angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, ist die Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens, auch wenn dieses über mehrere Instanzen oder bei verschiedenen Gerichten geführt worden ist. Hierfür spricht bereits der Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ("Gerichtsverfahren"). Hinweise für eine Trennung zwischen verschiedenen Instanzen oder Gerichten finden sich dort nicht. Gleiches gilt für die Legaldefinition des Gerichtsverfahrens in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG, die auf den Zeitraum von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens und damit auf die Anhängigkeit des Rechtsstreits bei Gericht abstellt. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist auch der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass der Bezugspunkt für die Beurteilung der angemessenen Verfahrensdauer grundsätzlich das Gesamtverfahren ist, soweit es - je nach geltend gemachtem Anspruch - in die Haftungsverantwortung des in Anspruch genommenen Rechtsträgers fällt (BTDrucks 17/3802 S. 18 f.). In systematischer Hinsicht wird die Bezugnahme auf das Gesamtverfahren durch den Rückschluss aus § 198 Abs. 3 Satz 5 GVG bestätigt. Danach ist die Erhebung einer erneuten Verzögerungsrüge erforderlich, wenn sich das Verfahren "bei einem anderen Gericht" weiter verzögert. Schließlich wird das vorgenannte Auslegungsergebnis durch die systematische Einbeziehung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts gestützt. Beide Gerichte gehen im Hinblick auf das Recht auf ein Gerichtsverfahren in angemessener Dauer in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass grundsätzlich auf die Gesamtdauer des Verfahrens abzustellen ist (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 24. Juni 2010 - Nr. 25756/09 - juris Rn. 21 und vom 30. März 2010 - Nr. 46682/07 - juris Rn. 36; BVerfG, Beschlüsse vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 - NJW 2001, 214 und vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 m.w.N.). Gegen die Möglichkeit, die materiell-rechtliche Prüfung auf eine Verfahrensstufe zu begrenzen, spricht vor allem der Umstand, dass eine lange Verfahrensdauer innerhalb einer Stufe gegebenenfalls durch eine zügige Verfahrensführung in einer anderen (höheren) Stufe ausgeglichen werden kann (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 7. Januar 2010 - Nr. 40009/04 - juris Rn. 151 und vom 22. März 2012 - Nr. 23338/09, Kautzor/Deutschland - NJW 2013, 1937 ; BVerfG, Beschlüsse vom 20. Juli 2000 a.a.O. und vom 14. Dezember 2010 a.a.O.).

18

Von der Frage des materiell-rechtlichen Bezugsrahmens zu trennen ist die vom Oberverwaltungsgericht offengelassene Frage, ob sich ein Verfahrensbeteiligter darauf beschränken kann, ein über mehrere Instanzen hinweg geführtes Gerichtsverfahren allein bezüglich der Dauer in einer bestimmten Rechtsstufe als überlang anzugreifen und nur hierfür Entschädigung zu verlangen. Diese Frage, die vor dem Hintergrund der Dispositionsmaxime im Ausgangspunkt prozessualer Natur ist, stellt sich hier nicht. Der Kläger hat im Hinblick auf sein Entschädigungsverlangen - anders als hinsichtlich seines Feststellungsbegehrens (siehe dazu unten 2 a) - eine solche Beschränkung nicht vorgenommen.

19

Soweit das Oberverwaltungsgericht angenommen hat, dass in die Dauer eines Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG auch der Zeitraum bis zur Zustellung des Urteils oder einer anderen das Verfahren abschließenden Entscheidung einzubeziehen ist, trifft dies zwar zu. Denn unter rechtskräftigem Abschluss des Gerichtsverfahrens im Sinne dieser Vorschrift ist der Eintritt der formellen Rechtskraft einer Entscheidung zu verstehen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 24 m.w.N.). Allerdings kann danach die Dauer des Gerichtsverfahrens über den Zeitpunkt der Zustellung hinausgehen. So liegt es hier. Ein Urteil erwächst nur dann mit der Zustellung in Rechtskraft, wenn es nicht mehr mit Rechtsmitteln anfechtbar ist. Kann die Entscheidung dagegen - wie hier das im Ausgangsrechtsstreit ergangene Urteil des Oberverwaltungsgerichts - noch angefochten werden (vgl. § 132 VwGO), wird sie erst mit Ablauf der Rechtsmittelfrist formell rechtskräftig, so dass auch dieser Zeitraum noch zur Dauer des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG zählt.

20

bb) Das Verwaltungsverfahren und das dem gerichtlichen Verfahren vorausgegangene Vorverfahren bei einer Behörde (Widerspruchsverfahren) sind, wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, nicht Bestandteil des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 und § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG.

21

Die Ausklammerung des Verwaltungs- und Vorverfahrens ist mit der Begrenzung auf das "Gerichtsverfahren" bereits unmissverständlich im Wortlaut des Gesetzes angelegt. Sie entspricht überdies dem Willen des Gesetzgebers, wie er in den Gesetzesmaterialien seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 17).

22

Das vorstehende Auslegungsergebnis ist mit Art. 6 und Art. 13 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) in der Fassung vom 22. Oktober 2010 (BGBl II S. 1198) vereinbar. Dem steht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die über den jeweils entschiedenen Fall hinaus Orientierungs- und Leitfunktion für die Auslegung der EMRK hat (vgl. Urteil vom 28. Februar 2013 - BVerwG 2 C 3.12 - ZBR 2013, 257 Rn. 46), nicht entgegen.

23

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat zwar für die Ermittlung, wann die Verfahrensdauer in verwaltungsgerichtlichen Verfahren unangemessen ist, die Dauer des Vorverfahrens mit einbezogen. Sofern die Einlegung dieses Rechtsbehelfs ein notwendiger erster Schritt ist, bevor das gerichtliche Verfahren anhängig gemacht werden kann, hat der Gerichtshof den Zeitraum, der für die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach Art. 6 Abs. 1 EMRK maßgeblich ist, mit dem Tag beginnen lassen, an dem der Beschwerdeführer den behördlichen Rechtsbehelf (Widerspruch) eingelegt hat (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 28. Juni 1978 - C (78) 31, König/Deutschland - NJW 1979, 477 <478 f.>, vom 30. Juni 2011 - Nr. 11811/10 - juris Rn. 21 und vom 24. Juni 2010 a.a.O. m.w.N.).

24

Allerdings beziehen sich diese Entscheidungen auf einen Zeitraum, in welchem das deutsche Recht keinen wirksamen Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK vorsah, der geeignet war, Abhilfe für die unangemessene Dauer von Verfahren zu schaffen (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 24. Juni 2010 a.a.O. Rn. 30 m.w.N.). Mit dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) steht jedoch nunmehr ein solcher Rechtsbehelf gegen Verzögerungen gerichtlicher Verfahren im Sinne des Konventionsrechts zur Verfügung, der zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Grund zu der Annahme gibt, dass die damit verfolgten Ziele nicht erreicht werden (EGMR, Urteil vom 29. Mai 2012 - Nr. 53126/07, Taron/Deutschland - NVwZ 2013, 47 ). Hinzu kommt, dass das nationale Recht mit der so genannten Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO einen Rechtsbehelf vorsieht, mit dem einer unangemessenen Verzögerung im Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) durch unmittelbare Klageerhebung begegnet werden kann. Mit Blick auf die Rüge der Verfahrensdauer erweist sich die Untätigkeitsklage grundsätzlich als wirksamer Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK (vgl. EGMR, Urteil vom 10. Januar 2008 - Nr. 1679/03, Glusen/Deutschland - juris Rn. 66 f.). Dieser tritt neben die durch das neue Gesetz normierte (kompensatorische) Entschädigung für Verzögerungen des Gerichtsverfahrens (vgl. Marx, in: Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Verwaltungsverfahren, 2013, § 173 VwGO Rn. 9; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 38). Jedenfalls mit Blick auf das Nebeneinander dieses Entschädigungsanspruchs und der Untätigkeitsklage ist es konventionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Vorverfahren nicht in die Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer einbezogen wird. Die Europäische Menschenrechtskonvention fordert im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht notwendig einen einheitlichen Rechtsbehelf, sondern lässt bei entsprechender Wirksamkeit auch eine Kombination von Rechtsbehelfen genügen (EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 - Nr. 75529/01, Sürmeli/Deutschland - NJW 2006, 2389 Rn. 98 m.w.N.). Den Konventionsstaaten kommt bei der gesetzlichen Ausgestaltung des von Art. 13 EMRK geforderten Rechtsbehelfs ein Gestaltungsspielraum zu (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 29. März 2006 - Nr. 36813/97, Scordino/Italien - NVwZ 2007, 1259 Rn. 189 und vom 29. Mai 2012 a.a.O. Rn. 41).

25

b) Die Dauer des Gerichtsverfahrens vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht war unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.

26

Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Wie die Verwendung des Wortes "insbesondere" zeigt, werden damit die Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, beispielhaft und ohne abschließenden Charakter benannt (BTDrucks 17/3802 S. 18).

27

aa) Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht mit Bundesrecht nicht in Einklang, soweit es sinngemäß den Rechtssatz aufstellt, dass eine Verfahrensdauer von zwei weiteren Jahren ab Entscheidungsreife noch angemessen sei und nicht gegen die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK entwickelten Maßstäbe verstoße (UA S. 16 Rn. 50). Ein entsprechender Rechtssatz lässt sich aus § 198 Abs. 1 GVG nicht ableiten. Mit dieser Bestimmung ist weder die Zugrundelegung fester Zeitvorgaben vereinbar ((1)), noch lässt es die Vorschrift grundsätzlich zu, für die Beurteilung der Angemessenheit von bestimmten Orientierungswerten oder Regelfristen für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen ((2)). Dies gilt gerade auch für die vom Oberverwaltungsgericht angenommene Zwei-Jahresfrist ab Entscheidungsreife ((3)).

28

(1) Mit der gesetzlichen Festlegung, dass sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles richtet (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG), hat der Gesetzgeber bewusst von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen. Die Ausrichtung auf den Einzelfall folgt nicht nur in deutlicher Form aus dem Wortlaut des Gesetzes ("Umstände des Einzelfalles"), sondern wird durch seine Entstehungsgeschichte bestätigt und entspricht dem in den Gesetzesmaterialien klar zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Daraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber schematische zeitliche Vorgaben für die Angemessenheit ausgeschlossen hat. Er hat sich insoweit daran ausgerichtet, dass weder die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte noch die des Bundesverfassungsgerichts feste Zeiträume vorgibt, sondern jeweils die Bedeutung der Einzelfallprüfung hervorhebt. Dem Grundgesetz lassen sich keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (BVerfG, Beschlüsse vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 - NJW 2008, 503; vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 <790>). Gleiches gilt im Ergebnis für die Europäische Menschenrechtskonvention. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles sowie unter Berücksichtigung der Komplexität des Falles, des Verhaltens des Beschwerdeführers und der zuständigen Behörden sowie der Bedeutung des Rechtsstreits für den Beschwerdeführer zu beurteilen (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 28. Juni 1978 a.a.O. <479> und vom 11. Januar 2007 - Nr. 20027/02, Herbst/Deutschland - NVwZ 2008, 289 Rn. 75; Entscheidung vom 22. Januar 2008 - Nr. 10763/05 - juris Rn. 43 m.w.N.).

29

(2) Für die Beurteilung, ob die Verfahrensdauer angemessen ist, verbietet es sich in der Regel auch, von Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder auf statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen. Dabei macht es im Ergebnis keinen Unterschied, ob solche Werte - in Rechtsprechung und Literatur werden Zeitspannen von ein bis drei Jahren genannt - als "normale", "durchschnittliche" oder "übliche" Bearbeitungs- oder Verfahrenslaufzeiten bezeichnet und - im Hinblick auf die Angemessenheit der Verfahrensdauer - als Indiz (Regelfrist), Hilfskriterium oder "erster grober Anhalt" herangezogen werden (vgl. etwa Stahnecker, Entschädigung bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, Rn. 76; Roderfeld, in: Marx/Roderfeld a.a.O. § 198 GVG Rn. 38 f.; im Ergebnis zu Recht ablehnend OVG Bautzen, Urteil vom 15. Januar 2013 - 11 F 1/12 - LKV 2013, 230 <232>; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 69, 86 f. m.w.N.).

30

Die Entscheidung des Gesetzgebers, keine zeitlichen Festlegungen zu treffen, ab wann ein Verfahren "überlang" ist, schließt für den Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit grundsätzlich einen Rückgriff auf Orientierungs- oder Richtwerte aus. Dies gilt auch, soweit in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - allerdings obiter und deshalb die jeweilige Entscheidung nicht tragend - eine Verfahrenslaufzeit von etwa einem Jahr pro Instanz als grober Anhalt ("rough rule of thumb") genannt wird (vgl. Urteile vom 26. November 2009 - Nr. 13591/05, Nazarov/Russland - Rn. 126, vom 9. Oktober 2008 - Nr. 62936/00, Moiseyev/Russland - Rn. 160 und vom 16. Januar 2003 - Nr. 50034/99, Obasa/Großbritannien - Rn. 35 ).

31

Angesichts der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren stießen solche Festlegungen an eine Komplexitätsgrenze. Sie könnten letztlich für die Angemessenheit im Einzelfall nicht aussagekräftig sein. Die Bandbreite der Verwaltungsprozesse reicht von sehr einfach gelagerten Verfahren bis zu äußerst aufwändigen Großverfahren (etwa im Infrastrukturbereich), die allein einen Spruchkörper über eine lange Zeitspanne binden können. Der Versuch, dieser Bandbreite mit Mittel- oder Orientierungswerten Rechnung zu tragen, ginge nicht nur am Einzelfall vorbei, sondern wäre auch mit dem Risiko belastet, die einzelfallbezogenen Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu verfehlen. Die Bestimmung einer Regeldauer brächte zudem - entgegen der Intention des Gesetzes - die Gefahr mit sich, dass sie die Verwaltungsgerichte als äußerstes Limit ansehen könnten, bis zu welchem ein Verfahren zulässigerweise ausgedehnt werden dürfte.

32

Entgegen der Rechtsansicht des Klägers können auch die statistischen Durchschnittslaufzeiten für verwaltungsgerichtliche Verfahren im Land Brandenburg nicht zu einer Objektivierung des Angemessenheitsmaßstabs herangezogen werden (vgl. zur Heranziehung statistischer Durchschnittswerte im sozialgerichtlichen Verfahren: BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 28 ff.). Die vorgenannten Bedenken greifen nämlich in gleicher Weise für den Ansatz, bestimmte (durchschnittliche) Laufzeiten, die durch eine Auswertung anderer Gerichtsverfahren statistisch ermittelt wurden, als ergänzende oder indizielle Werte heranzuziehen. Zum einen ist auch dieser Ansatz mit der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren nicht in Einklang zu bringen. Zum anderen ist ein gesichertes Indiz für eine "normale" bzw. durchschnittliche Laufzeit in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren schon deshalb kaum möglich, weil die Verfahrenslaufzeiten der Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte in den Ländern - wie aus allgemein zugänglichen Quellen ersichtlich und zwischen den Beteiligten unstreitig ist - sehr unterschiedlich ausfallen. Im Hinblick auf die verfassungsmäßige Gewährleistung eines Gerichtsverfahrens in angemessener Zeit kann die Effektivität des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) für die verfahrensbeteiligten Bürger nicht (mit) davon abhängen, in welchem Land sie Rechtsschutz suchen und wie sich die durchschnittliche Verfahrensdauer dort ausnimmt.

33

Es verbietet sich gleichfalls, statistische Erhebungen für Verwaltungsstreitverfahren auf Bundesebene heranzuziehen. Abgesehen davon, dass solche statistischen Werte über Verfahrenslaufzeiten im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren für den Einzelfall kaum aussagekräftig sind, müssten die Durchschnittswerte ihrerseits wieder daraufhin überprüft werden, ob sie als solche angemessen sind.

34

Die Orientierung an einer - wie auch immer ermittelten - (statistisch) durchschnittlichen Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren erweist sich auch deshalb als bedenklich, weil eine solche Laufzeit stets auch Ausdruck der den Gerichten jeweils zur Verfügung stehenden Ressourcen ist, also insbesondere von den bereitgestellten personellen und sächlichen Mitteln abhängt. Der verfassungsrechtliche Anspruch auf eine angemessene Verfahrensdauer darf hingegen grundsätzlich nicht von der faktischen Ausstattung der Justiz abhängig gemacht werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 1973 - 2 BvR 558/73 - BVerfGE 36, 264 <274 f.>). Dies wäre aber im Ergebnis der Fall, wenn für die Ermittlung der angemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG auf eine durchschnittliche Laufzeit abgestellt wird (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. Rn. 87; Ziekow, DÖV 1998, 941 <942>).

35

Die Ausrichtung an einer durchschnittlichen Verfahrensdauer begegnet auch mit Blick darauf Bedenken, dass statistische Werte zumeist schwankend und über die Jahre hinweg in ständigem Fluss sowie von dem abhängig sind, was jeweils wie erfasst wird. Schließlich ersparten sie in keinem Einzelfall die Prüfung, ob und in welchem Umfange über die gesamte Laufzeit eines als überlang gerügten Gerichtsverfahrens Verzögerungen eingetreten und diese sachlich gerechtfertigt sind.

36

(3) Aus den vorgenannten Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die vom Oberverwaltungsgericht angenommene - eher gegriffene - Frist von zwei Jahren ab Entscheidungsreife kein zulässiger Maßstab für die Prüfung der Angemessenheit im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG ist. Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass der Aspekt der Entscheidungsreife oder des "Ausgeschriebenseins" einer Sache für die Bewertung der Verzögerung ohnehin kein Fixpunkt sein, sondern allenfalls relative Bedeutung haben kann. Mit der Entscheidungsreife muss weder sogleich eine dem Staat zuzurechnende Verzögerung eintreten noch werden mit ihr bestimmte Fristen in Lauf gesetzt, innerhalb derer die Verfahrensdauer noch angemessen ist, wenn das Verfahren gefördert wird. Der Begriff der Entscheidungsreife kennzeichnet lediglich den Zeitpunkt, in welchem der für die Entscheidung des Rechtsstreits notwendige Tatsachenstoff aufgeklärt und den Beteiligten in hinreichender Weise rechtliches Gehör gewährt worden ist. Ebenso wenig wie es allgemeine Orientierungswerte für die angemessene Verfahrensdauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren gibt, gibt es solche darüber, bis wann ein Verfahren nach Entscheidungsreife abzuschließen ist.

37

bb) Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eintreten, bei Berücksichtigung des dem Gericht zukommenden Gestaltungsspielraumes sachlich gerechtfertigt sind. Dieser Maßstab erschließt sich aus dem allgemeinen Wertungsrahmen, der für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unangemessenheit vorgegeben ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 ff.), und wird durch diesen weiter konkretisiert.

38

(1) Der unbestimmte Rechtsbegriff der "unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens" (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG) wie auch die zu seiner Ausfüllung heranzuziehenden Merkmale im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG sind unter Rückgriff auf die Grundsätze näher zu bestimmen, wie sie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG und zum Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG entwickelt worden sind. Diese Rechtsprechung diente dem Gesetzgeber bereits bei der Textfassung des § 198 Abs. 1 GVG als Vorbild (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Insgesamt stellt sich die Schaffung des Gesetzes als innerstaatlicher Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren als Reaktion auf eine entsprechende Forderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dar (vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 2. September 2010 - Nr. 46344/06, Rumpf/Deutschland - NJW 2010, 3355). Haftungsgrund für den gesetzlich normierten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer in § 198 Abs. 1 GVG ist mithin die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 m.w.N.).

39

(2) Die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs aus § 198 Abs. 1 GVG an den aus Art. 19 Abs. 4 GG, dem verfassungsrechtlichen Justizgewährleistungsanspruch sowie dem Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK folgenden Anspruch auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit verdeutlicht, dass es darauf ankommt, ob der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht beeinträchtigt worden ist. Damit wird eine gewisse Schwere der Belastung vorausgesetzt; es reicht also nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung des Gerichts aus (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 26). Vielmehr muss die Verfahrensdauer eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 <791 f.>). Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen, weshalb sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790> jeweils m.w.N.).

40

(3) Die Angemessenheit der Dauer eines Gerichtsverfahrens bemisst sich auch danach, wie das Gericht das Verfahren geführt hat und ob und in welchem Umfang ihm Verfahrensverzögerungen zuzurechnen sind.

41

Ist infolge unzureichender Verfahrensführung eine nicht gerechtfertigte Verzögerung eingetreten, spricht dies für die Annahme einer unangemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Dabei ist die Verfahrensführung zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien in Bezug zu setzen. Zu prüfen ist also, ob das Gericht gerade in Relation zu jenen Gesichtspunkten den Anforderungen an eine angemessene Verfahrensdauer gerecht geworden ist. Maßgeblich ist insoweit - genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände -, wie das Gericht die Lage aus seiner Ex-ante-Sicht einschätzen durfte (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 81 und 127).

42

Im Zusammenhang mit der Verfahrensführung durch das Gericht ist zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer in einem gewissen Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und zum rechtsstaatlichen Gebot steht, eine inhaltlich richtige, an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu treffen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 27). Ebenso fordert Art. 6 Abs. 1 EMRK zwar, dass Gerichtsverfahren zügig betrieben werden, betont aber auch den allgemeinen Grundsatz einer geordneten Rechtspflege (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 - Nr. 29357/95, Gast und Popp/Deutschland - NJW 2001, 211 Rn. 75). Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck; vielmehr verlangt das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 12. Februar 1992 - 1 BvL 1/89 - BVerfGE 85, 337 <345> und vom 26. April 1999 - 1 BvR 467/99 - NJW 1999, 2582 <2583>; ebenso BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 - BGHZ 187, 286 Rn. 14 m.w.N.). Um den verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist. Dabei ist die Verfahrensgestaltung in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt (BVerfG, Beschlüsse vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 - NJW-RR 2010, 207 <208> und vom 2. Dezember 2011 - 1 BvR 314/11 - WM 2012, 76 <77>). Dieses hat, sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festzulegen (BVerfG, Beschluss vom 30. Juli 2009 a.a.O.). Es hat dabei die Verfahren untereinander zu gewichten, den Interessen der Beteiligten - insbesondere im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens - Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu geboten sind. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht - auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit - ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. März 2005 - 2 BvR 1610/03 - NJW 2005, 3488 <3489> und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <791> jeweils m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. November 2010 a.a.O.). Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. m.w.N.).

43

Im Hinblick auf die Rechtfertigung von Verzögerungen ist der auch in den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 17/3802 S. 18) deutlich zum Ausdruck gekommene Grundsatz zu berücksichtigen, dass sich der Staat zur Rechtfertigung einer überlangen Verfahrensdauer nicht auf Umstände innerhalb seines Verantwortungsbereichs berufen kann (stRspr des BVerfG, vgl. Beschlüsse vom 7. Juni 2011 - 1 BvR 194/11 - NVwZ-RR 2011, 625 <626>, vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 - EuGRZ 2009, 699 Rn. 14 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>; vgl. auch BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 = juris Rn. 43). Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte insbesondere für Zeiträume in Betracht, in denen das Gericht ohne rechtfertigenden Grund untätig geblieben, also das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (vgl. EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 - Nr. 30210/96, Kudla/Polen - NJW 2001, 2694 Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 - Nr. 37591/97, Metzger/Deutschland - NJW 2002, 2856 Rn. 41). Soweit dies auf eine Überlastung der Gerichte zurückzuführen ist, gehört dies zu den strukturellen Mängeln, die der Staat zu beheben hat (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 a.a.O. Rn. 78). Strukturelle Probleme, die zu einem ständigen Rückstand infolge chronischer Überlastung führen, muss sich der Staat zurechnen lassen; eine überlange Verfahrensdauer lässt sich damit nicht rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>).

44

Sind in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten Verzögerungen eingetreten, bewirkt dies nicht zwingend die Unangemessenheit der Gesamtverfahrensdauer. Es ist vielmehr - wie aufgezeigt - im Rahmen einer Gesamtabwägung zu untersuchen, ob die Verzögerung innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens ausgeglichen wurde.

45

cc) Unter Berücksichtigung der zuvor erörterten Grundsätze erweist sich hier, dass die Verfahrensdauer unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG war, weil eine an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles - insbesondere der Schwierigkeit des Verfahrens ((1)), seiner Bedeutung für den Kläger ((2)) sowie des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten ((3)) und der Verfahrensführung des Gerichts ((4)) - ergibt, dass die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt worden ist.

46

(1) Die Würdigung des Oberverwaltungsgerichts, dass es sich nicht um einen tatsächlich und rechtlich schwierigen Fall handelte, ist unter Berücksichtigung seiner hierzu getroffenen Feststellungen nicht zu beanstanden und wird auch von der Revision nicht angegriffen. Als Indiz für den eher durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad kann unter anderem der Umstand herangezogen werden, dass die Sache vom Verwaltungsgericht auf den Einzelrichter übertragen worden ist (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO) und auch von dem Senat des Oberverwaltungsgerichts, der im Ausgangsverfahren zu entscheiden hatte, nicht als besonders schwierig gewertet worden ist.

47

(2) Anders verhält es sich hinsichtlich der Bewertung des Oberverwaltungsgerichts, das Verfahren habe für den Kläger letztlich keine besondere Bedeutung aufgewiesen, so dass ein besonderes Interesse an einem beschleunigten Abschluss nicht gegeben gewesen sei. Zwar wird die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger dadurch relativiert, dass er durch die aufschiebende Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) während der Dauer des gerichtlichen Verfahrens vor einer Vollstreckung durch die öffentliche Hand geschützt war. Auch liegt keine Fallgruppe vor, für welche die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte regelmäßig eine besondere Bedeutung für die Betroffenen annimmt, wie etwa bei Eingriffen in die persönliche Freiheit oder die Gesundheit; Rechtsstreitigkeiten um die finanzielle Versorgung (Renten- oder Arbeitssachen) oder Statussachen (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 - Nr. 75529/01, Sürmeli/Deutschland - NJW 2006, 2389 Rn. 133 sowie den Überblick und die Nachweise bei Wittling-Vogel/Ulick, DRiZ 2008, 87 <88>). Allerdings ist - wie die Revision zu Recht einwendet - auch zu berücksichtigen, dass der Kläger einer für einen jungen Menschen (Studenten) erheblichen Geldforderung in Höhe von über 17 000 € ausgesetzt war. Die damit verbundene Unsicherheit, ob die Forderung zu Recht erhoben worden ist und er diese Summe tatsächlich zu begleichen hatte - das "Damoklesschwert" der drohenden Geltendmachung durch die Behörde -, ist entgegen der Wertung des Oberverwaltungsgerichts als erheblich für die Bedeutung des Rechtsstreits für den Kläger anzusehen. Wegen der mit dieser Verunsicherung verbundenen Einschränkung, weitere Dispositionen zu treffen, ist ihm ein besonderes Interesse an einer Erledigung des Rechtsstreits zuzubilligen, das mit zunehmender Verfahrensdauer wuchs.

48

(3) Im Hinblick auf das prozessuale Verhalten des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise ausgeführt, dass er durch sein Verhalten keine relevante Verzögerung des Rechtsstreits bewirkt habe. Die Beteiligten streiten zu Recht nicht über den Zeitraum, für den der Kläger nach Klageerhebung um die Verlängerung der Begründungsfrist nachgesucht und damit eine ihm zuzurechnende Verzögerung von etwa zwei Monaten herbeigeführt hat. Im Hinblick auf sein prozessuales Verhalten ist allerdings ergänzend zu berücksichtigen, dass er nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts bereits im März 2004 sein Einverständnis mit einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts ohne mündliche Verhandlung erklärt hat. Damit hat er frühzeitig einen Beitrag zu einer möglichen Verfahrensbeschleunigung geleistet.

49

(4) Unter Gewichtung und Abwägung der zuvor erörterten Kriterien ergibt sich hier - auch unter Berücksichtigung des gerichtlichen Spielraums bei der Verfahrensgestaltung - eine maßgebliche, weil sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung des Gerichtsverfahrens von etwa fünf Jahren.

50

Im Hinblick auf den Verfahrensgang vor dem Verwaltungsgericht hat das Oberverwaltungsgericht neben der Chronologie des Verfahrens festgestellt, dass die Streitsache jedenfalls im September 2004 erkennbar entscheidungsreif gewesen sei. Das Verwaltungsgericht hatte bereits durch die Anfrage an die Beteiligten vom 3. März 2004, ob sie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien, zu erkennen gegeben, dass es die Sache für "ausgeschrieben" hielt. Auf der Grundlage dieser Feststellung ist die Wertung des Oberverwaltungsgerichts fehlerhaft, dass eine nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung von drei Jahren und vier Monaten vorgelegen habe. Hierzu ist das Oberverwaltungsgericht aufgrund seiner rechtlich fehlerhaften Annahme gelangt, dass nach Entscheidungsreife noch eine weitere Verfahrensdauer von zwei Jahren (bis September 2006) angemessen gewesen sei. Diese "Zwei-Jahres-Pauschale" steht - wie dargelegt - weder als allgemeine Formel mit Bundesrecht in Einklang noch trägt sie durch eine Würdigung der konkreten Umstände dem vorliegenden Einzelfall Rechnung.

51

Was den Zeitpunkt der Entscheidungsreife - verstanden als Zeitpunkt der hinreichenden tatsächlichen Aufbereitung wie auch der Gewährung rechtlichen Gehörs - betrifft, so ist auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts zum Verfahrensablauf vielmehr wertend zu folgern, dass diese bereits vor September 2004 gegeben war. Denn das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass das Verwaltungsgericht den letzten Schriftsatz des Klägers vom 12. März 2004 am 17. März 2004 an den Beklagten übersandt und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von sechs Wochen gegeben hat. Nachdem der Beklagte sich hierzu nachweislich nicht mehr geäußert hatte, stand einer weiteren Verfahrensförderung durch das Verwaltungsgericht (etwa einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter) schon Ende April 2004 nichts mehr im Wege.

52

Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat, die insbesondere für Zeiträume in Betracht kommt, in denen das Gericht das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 a.a.O. Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 a.a.O. Rn. 41), ist hier für den Zeitraum von Ende April 2004 bis Januar 2010 anzunehmen. In diesem Zeitraum hat das Verwaltungsgericht das aus seiner Sicht entscheidungsreife Verfahren nicht mehr gefördert; vielmehr hat es sich mit der Verfügung von Wiedervorlagen der Sache nach auf ein "Liegenlassen" der Akte beschränkt. Die nächste, der Verfahrensförderung dienende Prozesshandlung hat es erst im Januar 2010 mit der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter vorgenommen.

53

Auch wenn dem Verwaltungsgericht ab Entscheidungsreife Ende April 2004 ein mehrmonatiger Gestaltungszeitraum zugestanden wird, um fördernde Verfahrenshandlungen vorzubereiten und abzustimmen, war seine Untätigkeit angesichts der eher durchschnittlichen Schwierigkeit des Verfahrens einerseits und seiner nicht unerheblichen Bedeutung für den Kläger wie auch seines prozessualen Verhaltens andererseits jedenfalls ab Ende 2004 nicht mehr sachlich zu rechtfertigen. Dies entspricht in etwa der Würdigung des Klägers, der davon ausgeht, dass aufgrund der genannten Umstände des Einzelfalles jedenfalls ab Februar 2005 - also 20 Monate nach Klageeinreichung und knapp ein Jahr nach dem Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung - die Verfahrensdauer als nicht mehr angemessenen zu betrachten war. Dabei hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass sich der Beklagte - was die Bemessung des Gestaltungszeitraums für eine gerichtliche Entscheidung betrifft - nicht auf die allgemeine Belastungssituation bei den Verwaltungsgerichten im Land Brandenburg berufen kann. Eine solche Überlastung der Gerichte gehört zu den strukturellen Mängeln, die seinem Verantwortungsbereich zuzurechnen sind und die er zu beseitigen hat.

54

Ist mithin jedenfalls ab Ende 2004 eine Untätigkeit des Verwaltungsgerichts nicht mehr zu rechtfertigen gewesen, so sind bis zur nächsten Verfahrensförderung im Januar 2010 mehr als fünf Jahre verstrichen, die als relevante Verzögerung und damit als unangemessene Verfahrensdauer im Sinne von § 198 GVG zugrunde zu legen sind. Dabei hat der Kläger im Ergebnis zu Recht nicht geltend gemacht, dass darüber hinaus auch im Berufungszulassungs- und Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht noch eine Verzögerung eingetreten ist. Ebenso ist die Vorinstanz zutreffend davon ausgegangen, dass das zweitinstanzliche Verfahren auch nicht so zügig durchgeführt worden ist, dass es die Überlänge des erstinstanzlichen Verfahrens (teilweise) hätte kompensieren können.

55

c) Der Kläger hat einen immateriellen Nachteil in der von ihm geltend gemachten Höhe erlitten, der nicht auf andere Weise wieder gutgemacht werden kann.

56

Dass der Kläger, der keine materiellen, sondern nur Nachteile nichtvermögensrechtlicher Art geltend macht, solche erlitten hat, ergibt sich aus der gesetzlichen Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG. Danach wird ein immaterieller Nachteil vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren - wie hier - unangemessen lange gedauert hat. Diese Vermutung ist im vorliegenden Fall nicht widerlegt.

57

Entschädigung kann gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise ist gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Ob eine solche Feststellung ausreichend im Sinne des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles. In diese wird regelmäßig einzustellen sein, ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Bedeutung hatte, ob dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat, ob er weitergehende immaterielle Schäden erlitten hat oder ob die Überlänge den einzigen Nachteil darstellt (BTDrucks 17/3802 S. 20). Darüber hinaus kann zu berücksichtigen sein, von welchem Ausmaß die Unangemessenheit der Dauer des Verfahrens ist und ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Dringlichkeit aufwies oder ob diese zwischenzeitlich entfallen war (vgl. EGMR, Urteil vom 29. September 2011 - Nr. 854/07 - juris Rn. 41). Hier gehen die Verfahrensbeteiligten mit dem Oberverwaltungsgericht zu Recht davon aus, dass als Ergebnis einer umfassenden Einzelabwägung eine Wiedergutmachung auf andere Weise insbesondere wegen der erheblichen Verfahrensverzögerung nicht ausreichend ist. Deshalb kann hier dahingestellt bleiben, ob im Fall einer unangemessenen Verfahrensdauer die Entschädigung die Regel und die bloße Feststellung im Sinne von § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG die Ausnahme ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 45 f.) oder ob weder ein Vorrang der Geldentschädigung noch eine anderweitige Vermutungsregelung gilt (vgl. BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 Rn. 57).

58

d) Die Bemessung der immateriellen Nachteile richtet sich nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG. Danach sind diese in der Regel in Höhe von 1 200 € für jedes Jahr der Verzögerung zu entschädigen. Nur wenn dieser Betrag nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG). Das Oberverwaltungsgericht hat in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass hier eine Abweichung vom Pauschalbetrag nicht veranlasst ist. Da die nicht gerechtfertigte Verzögerung jedenfalls fünf Jahre betrug, steht dem Kläger insgesamt ein Anspruch auf 6 000 € Entschädigung zu, so dass über den Ausspruch des Oberverwaltungsgerichts hinaus weitere 2 000 € an ihn zu zahlen sind.

59

2. Der Kläger hat zudem einen Anspruch auf Feststellung der unangemessenen Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht.

60

a) Die Begrenzung des Feststellungsantrags auf die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht ist zulässig. Sie entspricht der Dispositionsbefugnis des Klägers als Rechtsmittelführer (vgl. § 88 VwGO) und trägt dem Umstand Rechnung, dass er sich insoweit allein durch die Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens beschwert sieht. Allgemein kann ein Rechtsmittel auf einen von mehreren selbstständigen Streitgegenständen einer Klage oder auf einen Teil des Streitgegenstandes beschränkt werden, wenn dieser Teil vom Gesamtstreitstoff abteilbar ist und materiell-rechtliche Gründe einer gesonderten Entscheidung darüber nicht entgegenstehen (vgl. Beschluss vom 5. Juli 2011 - BVerwG 5 B 35.11 - juris Rn. 1, Urteile vom 1. März 2012 - BVerwG 5 C 11.11 - Buchholz 428.42 § 2 NS-VEntschG Nr. 10 Rn. 15 und vom 18. Juli 2013 - BVerwG 5 C 8.12 - zur Veröffentlichung in der amtlichen Entscheidungssammlung vorgesehen). Das ist hier der Fall.

61

Die Beschränkung auf einen Verfahrenszug - hier auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren - ist vom Gesamtstreitstoff abtrennbar. Bezugsrahmen für die materiell-rechtliche Frage, ob sich die Verfahrensdauer als angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, ist zwar - wie oben dargelegt - auch dann die Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens, wenn dieses wie hier über zwei Instanzen geführt worden ist. Dennoch steht das materielle Recht einem gesonderten Ausspruch darüber, dass (nur) die Verfahrensdauer in einer Instanz unangemessen war, nicht entgegen. Denn auch um dies feststellen zu können, ist grundsätzlich die materiell-rechtliche Voraussetzung zu prüfen, ob - mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer - durch die zügige Behandlung der Sache in einer höheren Instanz eine etwaige Überlänge in der Vorinstanz ganz oder teilweise kompensiert werden kann. Für die Zulässigkeit, den (Feststellungs-)Antrag auf eine Instanz beschränken zu können, spricht überdies, dass es das Gesetz ermöglicht, eine Entschädigungsklage bereits vor Beendigung des Ausgangsverfahrens zu erheben (vgl. § 198 Abs. 5 GVG, § 201 Abs. 3 GVG). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass auch Konstellationen denkbar sind, in denen eine unangemessene und irreparable Verzögerung feststellbar ist und in denen daher über die Kompensation für schon eingetretene Nachteile entschieden werden kann (BTDrucks 17/3802 S. 22). Dass es das Gesetz zulässt, verschiedene Verfahrensstufen unterschiedlich in den Blick zu nehmen, zeigt sich schließlich auch daran, dass bei einem bis zum Bundesverwaltungsgericht geführten Verwaltungsrechtsstreit verschiedene Rechtsträger - nämlich zum einen das jeweilige Land und zum anderen der Bund (§ 201 Abs. 1 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO) - für die in ihrem Bereich zu verantwortenden Verfahrensverzögerungen in Anspruch genommen werden können.

62

b) Der Anspruch des Klägers auf Feststellung der unangemessenen Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens folgt aus § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG.

63

Nach dieser Bestimmung kann das Entschädigungsgericht in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung aussprechen, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Weil es hierfür nicht notwendig eines Antrags bedarf (§ 198 Abs. 4 Satz 2 GVG), hat das Entschädigungsgericht grundsätzlich von Amts wegen zu prüfen, ob es diese Feststellung trifft. Bei diesem Ausspruch handelt es sich, wie systematisch aus § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG zu folgern ist, um eine Form der "Wiedergutmachung auf andere Weise", die "neben die Entschädigung" treten kann. Ob das Entschädigungsgericht diese Feststellung zusätzlich zur Entschädigung (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 22) trifft, ist in sein Ermessen ("kann") gestellt.

64

aa) Ein schwerwiegender Fall im Sinne von § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 1 GVG liegt hier vor.

65

Das Oberverwaltungsgericht hat das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzung des schwerwiegenden Falles rechtsfehlerhaft verneint. Es hat sich zur Begründung darauf gestützt, dass ein solcher Fall hier schon deshalb ausscheide, weil die Klage aufschiebende Wirkung gehabt habe und der Kläger die ihn treffenden Folgen der Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht hätte mildern können, indem er einen weiteren Antrag auf Gewährung von Ausbildungsförderung hätte stellen und die Treuhandabrede hätte aufheben können. Dem folgt der Senat nicht.

66

Ob ein schwerwiegender Fall vorliegt, ist anhand einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln. Insofern gilt nichts anderes als für die Entscheidung nach § 198 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 GVG, die nach den Vorstellungen des Gesetzgebers ebenfalls "unter Würdigung der Gesamtumstände" zu treffen ist (BTDrucks 17/3802 S. 22). Neben der Bedeutung des Rechtsstreits für den Verfahrensbeteiligten und seinen damit korrespondierenden Interessen an einer zügigen Entscheidung ist im Rahmen der Abwägung, ob der Fall schwerwiegend ist, insbesondere in Ansatz zu bringen, wie lange das Verfahren insgesamt gedauert hat und wie groß der Zeitraum ist, in dem eine nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung vorlag. Der Begriff "schwerwiegend" bezieht sich - worauf schon der Wortlaut hindeutet - auf das Gewicht der Beeinträchtigung, die mit einer unangemessen langen Dauer verbunden ist. Dieses Gewicht nimmt zu, je länger die den Betroffenen belastende Phase der Untätigkeit anhält. Dementsprechend haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG, Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - VZ 1/12 - NVwZ 2013, 789 <790> m.w.N.).

67

Den vorgenannten Aspekt hat das Oberverwaltungsgericht hier nicht gesetzeskonform gewichtet. Es hätte die erhebliche Überlänge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens mit einer dem Gericht zuzurechnenden Verfahrensverzögerung von etwa fünf Jahren sowie die Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von über acht Jahren als Umstand in die Abwägung einstellen müssen, der in bedeutsamer Weise für die Annahme eines schwerwiegenden Falles spricht. Zudem hat das Oberverwaltungsgericht die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger zu gering gewichtet. Denn diese ist - wie oben dargelegt - wegen der Höhe des Rückforderungsbetrages und der damit verbundenen Unsicherheit als erheblich anzusehen. Eine gesetzeskonforme Gesamtabwägung ergibt daher, dass gerade im Hinblick auf die erhebliche Überlänge des für den Kläger bedeutsamen Verfahrens die Voraussetzungen für die Annahme eines schwerwiegenden Falles erfüllt sind. Dies kann auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auch das Revisionsgericht feststellen.

68

bb) Sofern - wie hier - ein schwerwiegender Fall im Sinne des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG vorliegt, ist die Entscheidung über eine Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer in das Ermessen des Entschädigungsgerichts gestellt.

69

Die Frage, ob in "schwerwiegenden Fällen" noch neben der Entschädigung ein gesonderter Feststellungsausspruch geboten ist, um dem Wiedergutmachungsanspruch des Betroffenen hinreichend Rechnung zu tragen, ist systematisch der Ermessensausübung zuzuordnen. Insoweit ist eine weitere Abwägungsentscheidung darüber zu treffen, ob es im konkreten Fall des Feststellungsausspruchs bedarf, um dem Betroffenen eine zusätzliche Form der Wiedergutmachung zu verschaffen. Als ein Abwägungskriterium ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, wenn der Kläger dies - wie hier - ausdrücklich beantragt. Damit gibt er zu erkennen, dass er auf diese zusätzliche Form der Wiedergutmachung gerade Wert legt und sie als Form der Genugtuung für die Verletzung seiner Rechte begreift. Ob die Beantragung der Feststellung in "schwerwiegenden Fällen" grundsätzlich zu einer Reduzierung des Ermessens führen kann, bedarf keiner Entscheidung. Denn tatsächliche Umstände, die trotz der mit der Antragstellung verbundenen Geltendmachung eines entsprechenden Genugtuungs- bzw. Rehabilitationsbegehrens dafür sprechen, von dem begehrten Ausspruch abzusehen, sind hier nicht festgestellt.

70

3. Da der Beklagte aufgrund des revisionsgerichtlichen Urteils in beiden Instanzen in vollem Umfang unterlegen ist, hat er gemäß § 154 Abs. 1 und 2 VwGO die Kosten zu tragen. Eine Billigkeitsentscheidung nach der kostenrechtlichen Spezialregelung des § 201 Abs. 4 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO ist nicht zu treffen, weil dem Kläger keine geringere Entschädigung zugesprochen wird.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um eine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer.

2

Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits, dessen Überlänge die Klägerin rügt, war ein von der Klägerin geltend gemachter Beihilfeanspruch. Die beihilfeberechtigte Klägerin ist Oberinspektorin im Dienst des Beklagten. Im Jahr 2008 ließ sie eine Zahnimplantation vornehmen. Dafür gewährte ihr der Beklagte eine Beihilfe in Höhe von 257,83 €.

3

Nach erfolglosem Widerspruch erhob die Klägerin am 2. Januar 2009 Klage vor dem Verwaltungsgericht auf Zahlung einer weiteren Beihilfe in Höhe von 1 825,91 € nebst Zinsen, die sie Ende Januar 2009 auf 1 745,91 € korrigierte. Die Klage wurde dem Beklagten am 13. Januar 2009 mit einer Äußerungsfrist von sechs Wochen zugestellt. Nachdem das Verwaltungsgericht die Klageerwiderung vom 19. Februar 2009 der Klägerin am 27. Februar 2009 zur Kenntnis übersandt hatte, beantwortete das Verwaltungsgericht lediglich Sachstandsanfragen. Am 15. Juni 2011 fragte es an, ob auf mündliche Verhandlung des zur Entscheidung anstehenden Verfahrens verzichtet werde, was die Klägerin ablehnte. Daraufhin wurde das Verfahren am 2. September 2011 auf den Einzelrichter übertragen, der am selben Tag den Termin zur mündlichen Verhandlung für den 29. September 2011 bestimmte. Nach dem Verzicht der Beteiligten auf mündliche Verhandlung, wies das Verwaltungsgericht die Klage mit Urteil vom 29. September 2011 ab, das der Klägerin am 21. Oktober 2011 zugestellt wurde.

4

Am 21. November 2011 beantragte die Klägerin die Zulassung der Berufung. Nachdem das Oberverwaltungsgericht eine Verlängerung der Begründungsfrist abgelehnt hatte, begründete die Klägerin den Antrag einen Tag nach Ablauf der Frist und beantragte gleichzeitig Wiedereinsetzung in die Begründungfrist. Auf eine Sachstandsanfrage teilte das Oberverwaltungsgericht im Mai 2012 mit, dass eine Entscheidung über den Zulassungsantrag voraussichtlich im Herbst des Jahres ergehen werde, und erteilte außerdem am 5. Juni 2012 einen rechtlichen Hinweis zu dem Wiedereinsetzungsantrag. Nach dem Wechsel des Berichterstatters Anfang Januar 2013 teilte das Gericht der Klägerin mit Schreiben vom 20. Februar 2013 mit, man bemühe sich um eine Entscheidung innerhalb der nächsten sechs Monate. Daraufhin erhob die Klägerin am 25. Februar 2013 Verzögerungsrüge. Mit Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 18. Juni 2013 wurde der Antrag auf Zulassung der Berufung wegen Versäumung der Begründungsfrist als unzulässig zurückgewiesen.

5

Am 5. September 2013 erhob die Klägerin Klage auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer in Höhe von 3 300 €. Insgesamt habe das Verfahren vier Jahre und fünf Monate gedauert, was unangemessen lang im Sinne des § 198 Abs. 1 GVG gewesen sei. Die Verfahrenslänge sei überwiegend darauf zurückzuführen, dass die Gerichte die Sache nicht zügig bearbeitet hätten. Das Verwaltungsgericht habe das Verfahren über rund zwei Jahre "liegen lassen", um ältere Verfahren zu bearbeiten, das Oberverwaltungsgericht mindestens ein Jahr. Im gesamten Verfahren sei eine nicht gerechtfertigte Verzögerung von zwei Jahren und neun Monaten eingetreten. Das Verfahren habe die Klägerin als teilzeitbeschäftigte Mutter von drei Kindern sehr belastet, weil sie sich das Geld habe borgen müssen, so dass ihr mindestens die Regelentschädigung nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG zustehe.

6

Mit dem angegriffenen Urteil hat das Oberverwaltungsgericht der Klage teilweise stattgegeben und festgestellt, dass die Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht unangemessen war. Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht sei zwischen dem Zeitpunkt der Entscheidungsreife am 15. April 2009 und dem 15. Juni 2011 insgesamt 26 Monate nicht gefördert worden, von denen nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalles 14 Monate nicht gerechtfertigt seien. Das Verfahren von mittlerer Schwierigkeit sei für die Klägerin als teilzeitbeschäftigte Mutter von drei Kindern von mehr als durchschnittlicher, allerdings nicht wesentlicher Bedeutung gewesen. Die Klägerin habe aber durch ihr Verhalten eine relevante Verzögerung des Rechtsstreits bewirkt, weil sie die Umstände, die die mehr als durchschnittliche Bedeutung begründeten, trotz Aufforderung durch das Gericht nicht im Ausgangsverfahren vorgetragen habe, sondern erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Entschädigungsgericht. Dagegen habe die Klägerin wegen der Dauer des Verfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht keinen Wiedergutmachungsanspruch. Bis zur Erhebung der Verzögerungsrüge könne eine Wiedergutmachung nicht gewährt werden. In dem Zeitraum zwischen der Erhebung und dem Abschluss des Berufungszulassungsverfahrens sei eine Verzögerung nicht eingetreten. Aus § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 GVG folge, dass in den ersten sechs Monaten ab Erhebung der Verzögerungsrüge eine unangemessene Verfahrensdauer nur in Ausnahmefällen eintreten könne. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung, weil eine Wiedergutmachung nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalles durch Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer erreicht werden könne.

7

Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Entschädigungsbegehren weiter.

8

Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil und macht insbesondere geltend, die Klägerin habe die Verzögerungsrüge gemäß Art. 23 Satz 2 ÜGRG unverzüglich erheben müssen, weil das Verfahren bei Inkrafttreten des Gesetzes schon verzögert gewesen sei.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision der Klägerin ist teilweise begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), soweit das Oberverwaltungsgericht entscheidungstragend davon ausgegangen ist, dass gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2525), Ansprüche auf Entschädigung oder Wiedergutmachung in anderer Weise erst ab dem Zeitpunkt der Verzögerungsrüge gewährt werden und danach eine Verzögerung innerhalb der sechsmonatigen Frist des § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 GVG sowie des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG nicht eintreten kann. Es beruht auch insoweit auf einer fehlerhaften Anwendung des § 198 Abs. 1 GVG, als der Klägerin weniger als 2 300 € als Entschädigung zuerkannt wurden.

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1. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Entschädigung ihrer immateriellen Nachteile in Höhe von 2 300 €.

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Der Anspruch folgt aus § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 GVG, der gemäß Art. 23 Satz 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl. I S. 2302 - ÜGRG) auch für Verfahren gilt, die - wie hier - bei seinem Inkrafttreten am 3. Dezember 2011 bereits anhängig waren. Diese Regelungen sind im Verwaltungsprozess entsprechend anwendbar (§ 173 Satz 2 VwGO). Danach wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Dauer des von der Klägerin in Bezug genommenen Gerichtsverfahrens (a) war unangemessen (b bis d). Dadurch hat die Klägerin einen immateriellen Nachteil erlitten, der nicht auf andere Weise wiedergutgemacht werden kann (e) und in Höhe von 2 300 € zu entschädigen ist (f).

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a) Materieller Bezugsrahmen des geltend gemachten Entschädigungsanspruchs ist gemäß § 198 Abs. 1 i.V.m. Abs. 6 Nr. 1 GVG das gesamte verwaltungsgerichtliche Verfahren im Ausgangsrechtsstreit von der Klageerhebung beim Verwaltungsgericht am 2. Januar 2009 bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 19) des die Zulassung der Berufung ablehnenden Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts vom 18. Juni 2013.

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b) Die Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht, für das eine Verzögerungsrüge nicht erforderlich war (aa), war unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG (bb).

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aa) Die Erhebung einer Verzögerungsrüge gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG, die eine materiellrechtliche Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs darstellt (BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - III ZR 228/13 - NJW 2014, 2588 Rn. 14 m.w.N; BFH, Urteil vom 7. November 2013 - X K 13/12 - BFHE 243, 126 Rn. 24; BSG, Beschluss vom 27. Juni 2013 - B 10 ÜG 9/13 B - NJW 2014, 253 Rn. 27), war, wie das Oberverwaltungsgericht zu Recht annimmt, in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht gemäß Art. 23 Satz 4 ÜGRG nicht erforderlich. Danach bedarf es bei einem Verfahren, das bei Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren bereits anhängig war, keiner Verzögerungsrüge, wenn die Verzögerung in einer bereits abgeschlossenen Instanz erfolgt ist. Bei Inkrafttreten dieses Gesetzes am 3. Dezember 2011 war das Ausgangsverfahren seit dem 2. Januar 2009 anhängig. Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht war mit dessen Urteil vom 29. September 2011, das der Klägerin am 21. Oktober 2011 zugestellt wurde, abgeschlossen.

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bb) Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen (Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - in der Fassung vom 22. Oktober 2010 , Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eingetreten sind, bei Berücksichtigung des den Ausgangsgerichten insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums sachlich gerechtfertigt sind (BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014 - 5 C 1.13 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3 Rn. 18 m.w.N.).

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In Übereinstimmung mit dem dargelegten rechtlichen Maßstab hat sich das Oberverwaltungsgericht bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht zu Recht nicht von festen Zeitvorgaben oder abstrakten Orientierungs- bzw. Anhaltswerten leiten lassen, sondern eine Einzelfallprüfung vorgenommen (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 28 ff. und - 5 C 27.12 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 2 Rn. 20 ff.; s.a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. August 2013 - 1 BvR 1067/12 - NJW 2013, 3630 Rn. 30). Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht war insbesondere unter Berücksichtigung der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Gesichtspunkte der Schwierigkeit des Verfahrens ((1)), seiner Bedeutung für die Klägerin ((2)) und des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten ((3)) sowie mit Blick auf die Verfahrensführung durch das Gericht ((4)) ein Jahr und fünf Monate ungerechtfertigt verzögert.

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(1) Das Oberverwaltungsgericht nimmt zutreffend an, dass das verwaltungsgerichtliche Verfahren als mittelschwer zu bewerten ist. Das Verwaltungsgericht hatte sich insbesondere mit den §§ 5 und 6 der früheren Beihilfevorschriften des Bundes, dem Fürsorgegrundsatz und der Härtefallregelung auseinanderzusetzen. Gemessen daran erweist sich das Verfahren (allenfalls) von durchschnittlicher Schwierigkeit, wofür auch die Übertragung des Verfahrens auf den Einzelrichter spricht (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 46 und vom 27. Februar 2014 - 5 C 1.13 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3 Rn. 21).

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(2) Auch die Bewertung des Oberverwaltungsgerichts, dass das Verfahren für die Klägerin "von mehr als durchschnittlicher, allerdings nicht wesentlicher Bedeutung" gewesen ist, ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Die den Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts, dass die Klägerin als Teilzeitbeschäftigte und Mutter von drei Kindern nicht über die finanziellen Mittel verfügte, die für die Zahnimplantation erforderlich waren, sondern sich den Betrag leihen musste, rechtfertigen es, die Bedeutung des Verfahrens für die Klägerin als mehr als durchschnittlich anzusehen.

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Das Oberverwaltungsgericht durfte diese Gesichtspunkte im Zusammenhang mit dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht berücksichtigen. Die Klägerin war mit ihrem Vorbringen zu ihren persönlichen und finanziellen Verhältnissen, die sie erst vor dem Entschädigungsgericht vorgetragen hat, nicht gemäß § 198 Abs. 3 Satz 3 und 4 GVG präkludiert. Danach muss die Verzögerungsrüge auf Umstände hinweisen, auf die es für die Verfahrensführung ankommt und die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind. Andernfalls darf sie das Entschädigungsgericht bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigen. Die Präklusionswirkung des § 198 Abs. 3 Satz 4 GVG greift nicht ein, wenn eine Verzögerungsrüge - wie hier - in der bei Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtliche Ermittlungsverfahren bereits abgeschlossenen Instanz gemäß Art. 23 Satz 4 ÜGRG nicht erforderlich war. Mit der Verpflichtung zur Erhebung einer Verzögerungsrüge entfällt auch die Hinweispflicht, die gemäß § 198 Abs. 3 Satz 3 GVG unmittelbar mit der Verzögerungsrüge verknüpft ist. Das entspricht dem Zweck der Verzögerungsrüge, der auch darin liegt, das Gericht zu einer etwa gebotenen Verfahrensbeschleunigung zu veranlassen. Diese präventive Warnfunktion wird durch die Hinweispflicht ergänzt, die dem Gericht Kenntnis von den für eine Verfahrensbeschleunigung relevanten Umständen verschaffen soll (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 17/3802 S. 21 f. und Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 210). Kann der Zweck der Verzögerungsrüge - wie bei einer bereits abgeschlossenen Instanz - nicht erfüllt werden, ist auch für die Hinweispflicht kein Raum.

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(3) Dagegen ist dem Oberverwaltungsgericht nicht in der Annahme zu folgen, die Klägerin habe durch ihr Verhalten eine relevante Verzögerung des Rechtsstreits bewirkt, weil sie es unterlassen hat, das Verwaltungsgericht trotz dessen Aufforderung zur Mitteilung von Gründen, die eine bevorzugte Behandlung des Falles rechtfertigen, auf ihre wirtschaftliche Lage hinzuweisen.

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Bei der Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer ist gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG zu Lasten eines Verfahrensbeteiligten grundsätzlich nur ein Verhalten zu berücksichtigen, durch das eine Verzögerung herbeigeführt wird. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass die Verfahrensbeteiligten, abgesehen insbesondere von der Obliegenheit zur Erhebung der Verzögerungsrüge, grundsätzlich nicht verpflichtet sind, aktiv darauf hinzuarbeiten, dass das Gericht das Verfahren in angemessener Zeit zum Abschluss bringt. Daher kann ihnen eine Passivität bei der im Rahmen der Ermittlung der angemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens erforderlichen Prüfung, ob die Verfahrensbeteiligten durch ihr Verhalten eine Verzögerung des Rechtsstreits bewirkt haben, nicht angelastet werden. Die Verpflichtung des Gerichts, das Verfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, ergibt sich unmittelbar aus der dem Staat obliegenden Justizgewährleistungspflicht, aus dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes und aus Art. 6 Abs. 1 EMRK (BVerwG, Urteile vom 26. Februar 2015 - 5 C 5.14 D - NVwZ-RR 2015, 641 Rn. 37 und vom 11. Juli 2013 - 5 C 27.12 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 2 Rn. 41). Ein Unterlassen der Förderung des Verfahrens führt nur dann zu einer einem Verfahrensbeteiligten anzulastenden Verzögerung, wenn eine entsprechende Rechtspflicht bestand. Das ist hier nicht der Fall. Die Klägerin war in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht - wie aufgezeigt - nicht gemäß § 198 Abs. 3 Satz 3 GVG verpflichtet, auf Umstände hinzuweisen, die für die Verfahrensförderung relevant waren. Eine solche Verpflichtung ergibt sich auch nicht im Hinblick auf das Schreiben des Verwaltungsgerichts vom 18. Oktober 2010, in dem die Klägerin unter anderem um Nachricht gebeten wird, wenn Gründe vorliegen sollten, die eine bevorzugte Behandlung des Falles rechtfertigen. Denn die Klägerin war aus den oben dargelegten Gründen über die gesetzlichen Vorgaben des § 198 Abs. 3 Satz 3 GVG hinaus zu einer Förderung des Prozesses nicht verpflichtet.

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(4) Aus den in dem angefochtenen Urteil zur Verfahrensführung getroffenen Feststellungen ist unter Berücksichtigung der zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Gesichtspunkten angestellten Bewertungen und der gerichtlichen Gestaltungsfreiheit zu schließen, dass das Verwaltungsgericht das Verfahren zwischen Mitte April 2009 und Mitte Juni 2011 für ein Jahr und vier Monate sowie zwischen Mitte Juni 2011 und Anfang September 2011 für einen Monat ohne sachlichen Rechtfertigungsgrund nicht gefördert hat.

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Zum Verfahrensgang hat das Oberverwaltungsgericht neben der Chronologie des Verfahrens festgestellt, dass das Verwaltungsgericht zwischen dem 16. April 2009 und der Anfrage vom 15. Juni 2011, ob auf mündliche Verhandlung des zur Entscheidung anstehenden Verfahrens verzichtet werde, insgesamt zwei Jahre und zwei Monate keine verfahrensfördernden Handlungen vorgenommen, sondern lediglich Sachstandsanfragen beantwortet hat. Daraus ist bei wertender Betrachtung zu folgern, dass die Klage etwa sechs Wochen nach Übersendung der am 23. Februar 2009 eingegangenen Klageerwiderung "zur Kenntnis" Mitte April 2009 entscheidungsreif war. Der Sachverhalt war zu diesem Zeitpunkt in tatsächlicher Hinsicht ausreichend aufbereitet und den Beteiligten war in hinreichender Weise rechtliches Gehör gewährt worden.

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Im vorliegenden Fall erscheint es angemessen, dem Verwaltungsgericht ab diesem Zeitpunkt einen (Gestaltungs-)Zeitraum von etwa 10 Monaten für seine Entscheidung zuzugestehen, wann und wie es das Verfahren im Sinne eines Hinwirkens auf eine Erledigung des Prozesses fördert. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass - auch vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich gewährten richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) - die Verfahrensgestaltung in erster Linie dem mit der Sache befassten Gericht obliegt und ihm hinsichtlich der Entscheidung, wann und wie es eine bestimmte Sache in Abstimmung mit anderen bei ihm anhängigen Sachen terminiert oder sonst fördert, ein Spielraum zusteht. Der (Gestaltungs-)Zeitraum berücksichtigt weiter, dass das Gericht vor einer verfahrensfördernden Handlung oder Entscheidung zur Sache Zeit zur rechtlichen Durchdringung benötigt, um dem rechtsstaatlichen Anliegen zu genügen, eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes vorzunehmen. Der ab Eintritt der Entscheidungsreife zugestandene Zeitraum ist im Einzelfall in Relation zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien zu bestimmen. Maßgeblich ist insoweit - genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände - wie die Gerichte im Ausgangsverfahren die Lage aus ihrer ex-ante-Sicht einschätzen durften. Hingegen ist eine Überlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit oder des konkreten Ausgangsgerichts bzw. Spruchkörpers für die Bemessung des richterlichen Gestaltungsspielraums ohne Belang. Sie gehört zu den strukturellen Mängeln, die sich der Staat zurechnen lassen muss und die er zu beseitigen hat (BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014 - 5 C 1.13 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3 Rn. 28 m.w.N.).

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Die Gestaltungsfreiheit des Gerichts wird in zeitlicher Hinsicht begrenzt durch den Zeitpunkt, ab dem ein (weiteres) Zuwarten auf eine verfahrensfördernde Entscheidung bzw. Handlung des Gerichts im Hinblick auf die subjektive Rechtsposition des Betroffenen auf eine angemessene Verfahrensdauer nicht mehr vertretbar ist, weil sich die (weitere) Verzögerung bei Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles als sachlich nicht mehr gerechtfertigt und damit als unverhältnismäßig darstellt. Es ist nicht mit dem Zeitpunkt gleichzusetzen, bis zu dem von einer "optimalen Verfahrensführung" des Gerichts auszugehen ist. Entschädigungsrechtlich relevant sind nur die nach Ablauf des Gestaltungszeitraums auf die Verfahrensführung des Gerichts zurückzuführenden Verzögerungen. Denn zur Begründung des Entschädigungsanspruchs reicht nicht jede Abweichung von der optimalen Verfahrensführung aus. Vielmehr setzt der Entschädigungsanspruch aus § 198 Abs. 1 GVG voraus, dass der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit beeinträchtigt worden ist, was eine gewisse Schwere der Belastung erfordert (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 39 und - 5 C 27.12 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 2 Rn. 31 m.w.N.).

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In Anwendung dieser rechtlichen Maßstäbe ist hier bei der Bemessung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums zu berücksichtigen, dass das Ausgangsverfahren (allenfalls) einen durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad aufwies, seine Bedeutung für die Klägerin mehr als durchschnittlich, aber nicht wesentlich war und die Klägerin nicht durch ihr Verhalten zu einer Verfahrensverzögerung beigetragen hatte. Angesichts dessen war die fehlende Bearbeitung bzw. Förderung des Verfahrens durch das Verwaltungsgericht für die Klägerin ab Mitte Februar 2010 nicht mehr hinnehmbar. Da die nächste verfahrensfördernde Handlung am 15. Juni 2011 mit der Anfrage nach einem Verzicht auf mündliche Verhandlung vorgenommen wurde, war das Verfahren bis zu diesem Zeitpunkt 16 Monate ungerechtfertigt verzögert.

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Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts zum Verfahrensgang nahm das Verwaltungsgericht außerdem zwischen seiner Anfrage vom 15. Juni 2011 und der Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 2. September 2011 nach dem Eingang der Rücknahme des Verzichts auf mündliche Verhandlung vom 27. Juni 2011 neun Wochen, also etwa zwei Monate keine verfahrensfördernden Handlungen vor, weil das Verfahren vorzubereiten und seine Terminierung den übrigen Verhandlungsterminen der Kammer anzupassen war. Insoweit ist es angemessen, dem Verwaltungsgericht für diesen Verfahrensabschnitt einen weiteren (Gestaltungs-)Zeitraum von fünf Wochen für seine Entscheidung einzuräumen. In Anwendung der oben dargelegten rechtlichen Maßstäbe ist insoweit bei der Bemessung des Gestaltungsspielraums zu berücksichtigen, dass das Verfahren, das für die Klägerin mehr als durchschnittliche Bedeutung besaß, zu diesem Zeitpunkt ohne Zutun der Klägerin bereits erheblich verzögert war.

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War dem Verwaltungsgericht in dem Zeitraum zwischen Mitte April 2009 und Mitte Juni 2011 ein Gestaltungsspielraum von zehn Monaten und für den Zeitraum von Mitte Juni 2011 bis Anfang September 2011 von fünf Wochen einzuräumen, ergibt sich eine ungerechtfertigte Verzögerung des Verfahrens von insgesamt einem Jahr und fünf Monaten.

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c) Die Dauer des Verfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht, in dem die Klägerin rechtzeitig Verzögerungsrüge (aa) erhoben hat, war unangemessen (bb).

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aa) Die Klägerin hat in dem Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht mit der am 25. Februar 2013 eingegangenen Verzögerungsrüge die materiellrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen des § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG erfüllt. Der Vorinstanz ist nicht darin zu folgen, dass eine Wiedergutmachung für den Zeitraum vor Erhebung der Verzögerungsrüge nicht gewährt werden kann.

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(1) Der Anspruch auf Entschädigung oder Wiedergutmachung ist für die Zeit vor Erhebung der Verzögerungsrüge nicht gemäß Art. 23 Satz 3 ÜGRG ausgeschlossen (vgl. dazu: BGH, Urteil vom 10. April 2014 - III ZR 335/13 - NJW 2014, 1967 Rn. 27 ff.; BFH, Urteil vom 20. August 2014 - X K 9/13 - BFHE 247, 1 Rn. 24; BSG, Urteil vom 5. Mai 2015 - B 10 ÜG 8/14 R - SozR 4-1710 Art. 23 Nr. 4 (vorgesehen) = juris Rn. 23 ff.). Die Klägerin war nicht gemäß Art. 23 Satz 2 ÜGRG verpflichtet, die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten des Gesetzes zum Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren am 3. Dezember 2011 zu erheben. Danach gilt § 198 Abs. 3 GVG für anhängige Verfahren, die bei Inkrafttreten jenes Gesetzes schon verzögert sind, mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss. Die Obliegenheit des Art. 23 Satz 2 ÜGRG betrifft nur Verzögerungen in anhängigen Verfahren, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens bei dem mit der Sache befassten Gericht bereits eingetreten sind. Das ergibt sich neben der systematischen Unterscheidung zwischen Verzögerungen in einer bereits abgeschlossenen Instanz (Art. 23 Satz 4 ÜGRG) und schon verzögerten Verfahren (Art. 23 Satz 2 ÜGRG) sowie dem mit der Verzögerungsrüge verfolgten Zweck einer präventiven Warnung an das befasste Gericht vor allem aus der Gesetzesbegründung. Danach ist die unverzügliche Erhebung einer Verzögerungsrüge an das Gericht nur dann geboten, wenn in dem von ihm betreuten Verfahren bereits eine rügepflichtige Situation eingetreten ist. Kommt es nach Abschluss einer Instanz bei der befassten Instanz zu einer weiteren Verzögerung, bleibt es bei der allgemeinen Regelung des § 198 Abs. 3 GVG (so ausdrücklich die Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drs. 17/3802 S. 31; ebenso Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, Art. 23 ÜGRG Rn. 5; vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. August 2015 - L 37 SF 29/14 EK AS - juris Rn. 36). Da das Oberverwaltungsgericht bei Inkrafttreten des Gesetzes erst wenige Tage mit dem Verfahren befasst war, war dort eine Verzögerung, die gemäß Art. 23 Satz 2 ÜGRG unverzüglich zu rügen gewesen wäre, noch nicht eingetreten.

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(2) Die Verzögerungsrüge ist gemäß § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 1 GVG wirksam erhoben worden. Danach kann die Verzögerungsrüge erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird. Diese Besorgnis bestand spätestens, nachdem der mit Schreiben vom Mai 2012 für den Herbst in Aussicht gestellte Entscheidungstermin verstrichen war und das Oberverwaltungsgericht auf die zweite Sachstandsanfrage der Klägerin mit Schreiben vom 20. Februar 2013 mitgeteilt hatte, man bemühe sich um eine Entscheidung innerhalb der nächsten sechs Monate.

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(3) Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts besteht der Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG auch für den Zeitraum vor der Erhebung der Verzögerungsrüge. Dies folgt nicht nur aus dem Wortlaut des § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG ("wenn"), sondern ergibt sich zwingend auch aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes. Der Referentenentwurf vom 15. März 2010 (abgedruckt in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, Anhang 5, Seite 413 und 433) und dessen Begründung sind zu § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG davon ausgegangen, dass ein Entschädigungsanspruch nur in Betracht komme, "soweit" die Verzögerungsrüge rechtzeitig zu dem in § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG genannten Zeitpunkt erhoben werde und dass im Fall einer nach diesem Zeitpunkt erhobenen Rüge die Entschädigung für den davorliegenden Zeitraum ausgeschlossen sei. Der Gesetzgeber ist dem nicht gefolgt. Er hat zum einen in § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG statt des Wortes "soweit" den Begriff "wenn" gewählt. Zum anderen hat er in der Begründung des Gesetzentwurfs darauf hingewiesen, dass es grundsätzlich unschädlich sei, wenn die Rüge erst nach dem in § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG bestimmten Zeitpunkt eingelegt wird (BT-Drs. 17/3802 S. 21). Daraus ergibt sich zweifelsfrei auch, dass der vor einer wirksam bei dem mit dem Verfahren befassten Gericht erhobenen Verzögerungsrüge verstrichene Zeitraum des Verfahrens vor diesem Gericht in die Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer einzustellen ist (vgl. auch Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 194).

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bb) In Anwendung des oben darlegten rechtlichen Maßstabs ist im Hinblick auf die für die Einzelfallprüfung maßgeblichen Kriterien des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG der Schwierigkeit des Verfahrens ((1)), dessen Bedeutung für die Klägerin ((2)) und deren Verhalten ((3)) angesichts der Verfahrensführung durch das Oberverwaltungsgericht bei Berücksichtigung der insoweit einzustellenden gerichtlichen Gestaltungsfreiheit davon auszugehen, dass das Berufungszulassungsverfahren sechs Monate ungerechtfertigt verzögert war ((4)). Dem stehen weder die Karenzfrist des § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG noch die Wartefrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG entgegen ((5)).

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(1) Die Schwierigkeit des Berufungszulassungsverfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht kann noch als durchschnittlich angesehen werden. Zwar war die entscheidungserhebliche Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und damit die Frage der Zulässigkeit des Antrags nicht schwierig zu entscheiden. Das Oberverwaltungsgericht hat sich in den Gründen seines Beschlusses vom 18. Juni 2013, mit dem es den Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung abgelehnt hat, aber auch mit dem geltend gemachten Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auseinandergesetzt. Es kann hier offenbleiben, ob diese Erwägungen wegen der Unzulässigkeit der Beschwerde prozessual als "nicht geschrieben" anzusehen sind (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Juli 2015 - 5 B 36.14 - juris Rn. 6 m.w.N.). Für das Entschädigungsverfahren kommt es nur darauf an, dass das Gericht die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erörtert hat. Insoweit hängt die Schwierigkeit von der Beschaffenheit der in dem angefochtenen Urteil entschiedenen Fragen ab (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014 - 5 C 1.13 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3 Rn. 21). Da der Zulassungsgrund keine Vollprüfung der Richtigkeit des vorinstanzlichen Urteils erfordert, liegt der Schwierigkeitsgrad hier noch an der unteren Grenze des Durchschnittlichen.

36

(2) Für das Berufungszulassungsverfahren ist davon auszugehen, dass das Verfahren für die Klägerin keine besondere Bedeutung hatte. Die persönlichen und finanziellen Umstände, die in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht die besondere Bedeutung begründen, durfte das Entschädigungsgericht gemäß § 198 Abs. 3 Satz 4 GVG bei der Bewertung der Angemessenheit des Verfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht nicht berücksichtigen, weil die Klägerin auf sie nicht gemäß § 198 Abs. 3 Satz 3 GVG in der dort gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG zu erhebenden Verzögerungsrüge hingewiesen hatte.

37

(3) Die Klägerin hat zu einer Verzögerung des Verfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht nicht beigetragen. Soweit sie es in diesem Verfahren entgegen § 198 Abs. 3 Satz 3 GVG versäumt hat, auf ihre damalige wirtschaftliche Lage hinzuweisen, war dies bereits im Zusammenhang mit der Bedeutung des Verfahrens für sie in Rechnung zu stellen.

38

(4) Mit Blick auf die Verfahrensführung des Oberverwaltungsgerichts und bei Berücksichtigung der Schwierigkeit des Verfahrens und seiner Bedeutung für die Klägerin sowie des Umstands, dass sie zur Verzögerung nichts beigetragen hat, ergibt sich eine unangemessene Verfahrensdauer von sechs Monaten.

39

Aus den Feststellungen der Vorinstanz zur Chronologie des Verfahrens ist wertend zu folgern, dass dieses vor dem Oberverwaltungsgericht mit der Übersendung der Stellungnahme der Klägerin zu dem rechtlichen Hinweis des Oberverwaltungsgerichts an den Beklagten "zur Kenntnis" am 5. Juni 2012 und dem telefonisch erbetenen Fristverlängerungsantrag vom November 2011 am 27. Juni 2012 an den Beklagten ebenfalls "zur Kenntnis" entscheidungsreif war.

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In dem Zeitraum vom Eingang des Zulassungsantrags am 28. November 2011 bis zur Herstellung der Entscheidungsreife ist eine ungerechtfertigte Verzögerung nicht eingetreten. Die Grenzen des gerichtlichen Gestaltungszeitraums sind nicht deshalb überschritten, weil das Oberverwaltungsgericht nach der Übersendung der Antragserwiderung des Beklagten am 9. Februar 2012 bis zu dem rechtlichen Hinweis vom 5. Juni 2012 zu dem Wiedereinsetzungsantrag vier Monate lang keine verfahrensfördernden Handlungen vorgenommen hat. Das Gericht besitzt zwar auch in dem Zeitraum vor der Entscheidungsreife keine unbeschränkte Gestaltungsfreiheit. Bei der Bestimmung des Umfangs des Gestaltungsspielraums, der dem Gericht im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit und das rechtsstaatliche Gebot einer inhaltlich richtigen, an Recht und Gesetz orientierten Entscheidung im konkreten Einzelfall einzuräumen ist, ist aber zu berücksichtigen, dass ihm in der Zeit der Herstellung der Entscheidungsreife die Erkenntnisse, die für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich sind, nicht vollständig vorliegen. Vielmehr dient dieser Zeitraum gerade dazu, das Verfahren rechtlich und tatsächlich soweit aufzubereiten, dass eine Entscheidung getroffen werden kann. Demgegenüber zeichnet sich der Zeitraum ab Entscheidungsreife dadurch aus, dass einer Entscheidung des Verfahrens "an sich" nichts mehr entgegensteht. Dieser Unterschied ist bei der Ausfüllung des Entscheidungsspielraums im konkreten Einzelfall in Rechnung zu stellen. Das Oberverwaltungsgericht ist in diesem Zeitraum auch nicht untätig gewesen, sondern hat sich dem Verfahren insoweit gewidmet, als es Unstimmigkeiten zwischen dem Antrag auf Widereinsetzung in die Begründungsfrist vom 22. Dezember 2011 und dem Antrag auf Fristverlängerung vom 21. Dezember 2011 herausgearbeitet und die Klägerin mit dem rechtlichen Hinweis vom 5. Juni 2012 dazu um Stellungnahme gebeten hat.

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In dem Zeitraum ab Entscheidungsreife Ende Juni 2012 bis zum Abschluss des Verfahrens durch den Beschluss vom 18. Juni 2013 ist das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht sechs Monate ohne sachlichen Rechtfertigungsgrund nicht gefördert worden. Bei der Bemessung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums ist zu berücksichtigen, dass die Schwierigkeit des Verfahrens und dessen Bedeutung für die Klägerin als durchschnittlich zu bewerten sind und das Verfahren in der Vorinstanz bereits 17 Monate verzögert war. Gemessen daran kommt dem Umstand, dass der Berichterstatter am 3. Januar 2013 gewechselt hatte, keine maßgebliche Bedeutung zu. Der dem Gericht einzuräumende Gestaltungsspielraum ist danach mit fünf Monaten zu bemessen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014 - 5 C 1.13 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3 Rn. 26 f.), was eine unangemessene Verzögerung des Verfahrens von etwa sechs Monaten ergibt.

42

(5) Dem steht nicht entgegen, dass die Wiederholung der Verzögerungsrüge frühestens nach sechs Monaten zulässig ist (§ 198 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 GVG) und die Entschädigungsklage frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden kann (§ 198 Abs. 5 Satz 1 GVG). Soweit das Oberverwaltungsgericht davon ausgeht, dass innerhalb dieser Fristen eine Verzögerung nicht eintreten kann, ist dies mit Bundesrecht nicht vereinbar. Weder Wortlaut und Gesetzessystematik noch der mit diesen Fristen verfolgte Zweck sprechen für diese Annahme. Die Karenzfrist des § 198 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 GVG dient dem Schutz des Gerichts vor "Kettenrügen" in kurzen Abständen sowie der Entlastung der Betroffenen und ihrer Anwälte (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 21), was die Annahme einer unangemessenen Verfahrensdauer während dieser Zeit nicht hindert. Mit der Wartefrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG soll dem Gericht hinreichend Zeit gegeben werden, auf die Verzögerungsrüge zu reagieren und das Verfahren in einer angemessenen Zeit abzuschließen oder in bereits verzögerten Verfahren eine Verlängerung der Verzögerung zu vermeiden (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 22). Auch diesen Zwecken ist nicht ansatzweise zu entnehmen, dass die Wartefrist ausschließt, in ihrem Umfang eine ungerechtfertigte Verzögerung anzunehmen.

43

d) Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht war bei der gebotenen Gesamtabwägung insgesamt im Umfang von einem Jahr und 11 Monaten unangemessen. Die unangemessenen Verzögerungen vor dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht sind zu addieren. Sie sind weder innerhalb eines Stadiums des Verfahrens noch in einzelnen Verfahrensabschnitten innerhalb einer anderen Phase des Verfahrens ausgeglichen worden (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 17 und 44 m.w.N. und vom 27. Februar 2014 - 5 C 1.13 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3 Rn. 30).

44

e) Dadurch hat die Klägerin einen immateriellen Nachteil erlitten, der durch Entschädigung wiedergutzumachen ist.

45

Nach § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG wird ein immaterieller Nachteil vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren - wie hier - unangemessen lange gedauert hat. Diese Vermutung ist hier nicht widerlegt. Eine Entschädigung ist auch nicht nach § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ausgeschlossen. Danach kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise ist gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Ob eine solche Feststellung ausreichend im Sinne des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles (BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014 - 5 C 1.13 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3 Rn. 34 m.w.N.). Mit Blick auf den Umfang der Verzögerung des vom Schwierigkeitsgrad allenfalls durchschnittlich gelagerten Falles, zu der die Klägerin nicht beigetragen hat, und wegen der mehr als durchschnittlichen Bedeutung für die Klägerin, die für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht zu berücksichtigen ist, ist die bloße Feststellung, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, hier nicht ausreichend.

46

f) Die Klägerin ist in Höhe von 2 300 € zu entschädigen.

47

Die Bemessung der immateriellen Nachteile richtet sich nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG. Danach ist der immaterielle Nachteil in der Regel in Höhe von 1 200 € für jedes Jahr der Verzögerung zu entschädigen. Für Zeiträume unter einem Jahr lässt diese Regelung eine zeitanteilige Berechnung zu. Nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen, wenn der Betrag von 1 200 € nach den Umständen des Einzelfalles unbillig ist. Solche Umstände sind hier nicht ersichtlich.

48

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Tatbestand

1

I. Der Kläger begehrt gemäß § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) Entschädigung wegen der von ihm als unangemessen angesehenen Dauer eines vom 20. Februar 2004 (Klageeingang) bis zum 8. November 2012 (Kostenbeschluss nach Erledigung der Hauptsache) vor dem Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg anhängigen Klageverfahrens.

2

Dem Ausgangsverfahren liegt der folgende Sachverhalt zugrunde: Während der Kläger seinen Lebensmittelpunkt durchgängig in Deutschland hatte, verzog seine Ehefrau (E) mit den drei gemeinsamen Kindern im Jahr 2000 nach Nordirland. Dort besuchten die Kinder seitdem die Schule. Der Kläger trug während des Verfahrens vor, er sei an jedem Wochenende nach Nordirland geflogen, um seine Familie zu besuchen. Die Ferien hätten E und die Kinder bei ihm in Deutschland verbracht. Einkommensteuerrechtlich wurden der Kläger und E in Deutschland zusammen veranlagt, weil E auf ihren Antrag gemäß § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt wurde.

3

Bis einschließlich Januar 2001 hatte E das Kindergeld bezogen. Im Jahr 2001 beantragte der Kläger bei der Familienkasse (der Beklagten des Ausgangsverfahrens) Kindergeld für seine drei in Nordirland lebenden Kinder. Die Familienkasse lehnte dies mit Bescheid vom 9. August 2002 zunächst mit der Begründung ab, die Kinder hätten weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Während des anschließenden Einspruchsverfahrens erließ die Familienkasse am 27. September 2002 Teilabhilfebescheide. Darin setzte sie zugunsten des Klägers dem Grunde nach Kindergeld fest, kürzte dessen Höhe jedoch um die kindergeldähnlichen Leistungen (child benefit), die E nach Auffassung der Familienkasse im Vereinigten Königreich zustanden. Im fortgeführten Einspruchsverfahren behauptete der Kläger, E erhalte in Nordirland kein Kindergeld. Auf die Bitte der Familienkasse, dies nachzuweisen, legte er eine Bescheinigung der für die Zahlung des child benefit in Nordirland zuständigen Behörde (Child Benefit Office --CBO--) vor, aus der sich ergab, dass E bisher keinen Antrag auf diese Leistung gestellt habe. Die Familienkasse wies den Einspruch am 29. Januar 2004 mit der Begründung zurück, E habe nach dem Recht des Vereinigten Königreichs einen Anspruch auf child benefit. Es komme nicht darauf an, dass die entsprechenden Leistungen mangels Antragstellung nicht ausgezahlt würden.

4

Hiergegen erhob der Kläger am 20. Februar 2004 Klage. Diese stützte er auf seine --bereits während des Verwaltungs- und Einspruchsverfahrens vertretene-- Auffassung, der Anspruch auf ungekürztes deutsches Kindergeld folge bereits daraus, dass sowohl er als auch E und die drei Kinder in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig seien. Der --für das Verfahren zugleich als Berichterstatter zuständige-- damalige Vorsitzende des FG-Senats erteilte dem Kläger am 7. Juni 2004 einen rechtlichen Hinweis, wonach es für die Frage, ob ausländische Familienleistungen anzurechnen seien, nicht auf eine etwaige unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland ankomme. Er bat den Kläger darum, sich mit der als schlüssig anzusehenden Auffassung der Familienkasse auseinanderzusetzen. Ferner bat er um Darstellung, weshalb E in Nordirland keinen Anspruch auf child benefit habe, sowie um Vorlage eines entsprechenden Ablehnungsbescheids der dortigen Behörde.

5

Der Kläger erklärte daraufhin, E habe in Nordirland einen entsprechenden Antrag gestellt; eine "formale Ablehnung" liege jedoch nicht vor. Er bat um eine angemessene Frist zur Beschaffung einer entsprechenden Bescheinigung aus Nordirland. Der Senatsvorsitzende erteilte dem Kläger am 2. Februar 2005 einen weiteren rechtlichen Hinweis und fragte am 24. März 2005 bei der Familienkasse an, ob auf der Grundlage von deren zwischenzeitlich präzisierter Rechtsauffassung eine Teilabhilfe möglich sei.

6

Damit endeten die gerichtlichen Aktivitäten zunächst. Der bisherige Senatsvorsitzende trat in den Ruhestand ein; bis Anfang 2008 wechselte der für das Verfahren zuständige Berichterstatter insgesamt vier Mal. Auch in diesem Zeitraum reichten der Kläger und die Familienkasse allerdings zahlreiche Schriftsätze beim FG ein; dieses beschränkte sich auf die Weiterleitung der Schriftsätze an den jeweils anderen Beteiligten. Am 3. April 2006 teilte die Familienkasse mit, sie habe die Verbindungsstelle in Nordirland um rechtliche Beurteilung gebeten und werde das FG unterrichten, sobald die Antwort vorliege. Am 12. Oktober 2006 übersandte die Familienkasse dem FG eine Zwischennachricht des CBO vom 19. September 2006. Danach habe dort kein Vorgang gefunden werden können. Das CBO habe gegenüber E angeregt, einen Antrag auf child benefit zu stellen und werde sich nach Eingang einer Antwort melden.

7

Das FG wurde wieder tätig, indem es am 13. November 2007, 10. Januar 2008 und 20. Februar 2008 drei Sachstandsanfragen an die Familienkasse richtete. Die Familienkasse erklärte, bisher liege keine Antwort des CBO vor. Nachdem weitere 14 Monate verstrichen waren, beraumte das FG am 17. April 2009 einen Erörterungstermin für den 15. Mai 2009 an. In diesem Termin überreichte die Berichterstatterin Ausdrucke der Internetseiten des CBO zu den Voraussetzungen des child benefit. Die Familienkasse erklärte, sie werde das volle Kindergeld zahlen, wenn feststehe, dass im Wohnsitzland der Kinder kein Anspruch auf child benefit bestehe. Der Kläger erklärte, E werde innerhalb eines Monats in Nordirland auf amtlichem Vordruck einen Antrag auf child benefit stellen und die Antragstellung gegenüber dem FG nachweisen. Die Berichterstatterin setzte ihm hierfür eine Frist gemäß § 79b der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Beteiligten erklärten sich damit einverstanden, dass das Verfahren ab dem Eingang des Nachweises über die Antragstellung bis zur Entscheidung über diesen Antrag ruhen solle.

8

Nachdem der Kläger die Antragstellung nachgewiesen hatte, beschloss die Berichterstatterin am 15. Juni 2009 das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung über den Antrag der E und sandte die Kindergeldakte am 26. Juni 2009 an die Familienkasse zurück. In der Folgezeit erkundigte sich das FG mehrfach beim Kläger nach dem Sachstand. Nachdem dieser keine Reaktion des CBO mitteilen konnte, regte das FG am 6. April 2010 an, dass die Familienkasse über ihre Verbindungsstelle anfrage, wie der Antrag der E beschieden worden sei. Die Familienkasse stellte am 10. Mai 2010 eine entsprechende Anfrage.

9

Das CBO antwortete am 31. August 2010, sie habe den Antrag der E am 30. März 2010 abgelehnt, weil kein Anspruch auf child benefit bestehe. Dieses Antwortschreiben ging am 15. September 2010 bei der Familienkasse ein, wurde dort aber unbearbeitet zur Kindergeldakte genommen. Gleiches geschah mit einer zweiten Ausfertigung des Antwortschreibens, die am 14. Oktober 2011 bei der Familienkasse einging.

10

Das FG, aus dessen Sicht die Antwort des CBO noch ausstand, richtete am 16. Februar 2011 das folgende Schreiben an die Familienkasse: "Wie soll verfahren werden? Erledigung innerhalb von 1 Monat". Am 11. Mai 2011 beschloss das FG die Aufnahme des Verfahrens und fasste einen Beweisbeschluss, wonach das Auswärtige Amt erklären solle, wie das CBO über den Antrag der E auf Gewährung von child benefit entschieden habe. Nachdem das Auswärtige Amt sich umgehend für unzuständig erklärt hatte, schrieb das FG am 25. Mai 2011 an die Beteiligten: "Ich bitte um Vorschläge, wie weiter verfahren werden soll."

11

Der Kläger erklärte, er begehre eine Entscheidung nach Aktenlage; die Familienkasse teilte mit, der Fall werde der Zentrale der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg berichtet, was allerdings letztlich ergebnislos blieb. Am 8. August 2011 rügte der Kläger die überlange Verfahrensdauer im Hinblick auf den seinerzeit von den gesetzgebenden Körperschaften beratenen Entwurf des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜberlVfRSchG). Am 10. August 2011 bat das FG den Kläger, eine Bescheinigung des CBO vorzulegen, wonach keine Familienleistungen bezogen würden. Der Kläger reichte eine solche Bescheinigung am 6. Dezember 2011 beim FG ein, das sie kommentarlos und ohne Fristsetzung der Familienkasse zur Stellungnahme übersandte. Am 16. Januar 2012 richtete das FG eine Sachstandsanfrage an die Familienkasse. Am 16. Februar 2012 ging beim FG ein Schriftsatz des Klägers vom 15. Februar 2012 ein, in dem es u.a. hieß: "Da sich das Verfahren mittlerweile seit Klageerhebung mit Klageschrift vom 16.02.2004 hinzieht, erscheint eine klare Richtungsvorgabe gegenüber dem Beklagten gerechtfertigt. Gelingt dies nicht, muss die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 02.09.2010 46344/06, Rumpf, NJW 2010, 3355 und die mittlerweile geschaffene Rechtsgrundlage Anwendung finden."

12

Die Familienkasse erklärte mit Schreiben vom 19. März 2012 "abschließend", rechtlich bestehe im Vereinigten Königreich allein aufgrund des dortigen Wohnsitzes der E und der drei Kinder ein Anspruch auf child benefit. Die fehlende Rückmeldung des CBO sei kein Indiz für das Fehlen eines solchen Anspruchs. "Etwaig" müsse das FG über das Bestehen eines Anspruchs in Nordirland entscheiden.

13

Mit einem am 23. März 2012 beim FG eingegangenen Schreiben vom 21. März 2012 erhob der Kläger "in Ergänzung zum Schreiben vom 15.02.2012" ausdrücklich Verzögerungsrüge und kündigte die Einleitung eines Entschädigungsklageverfahrens beim Bundesfinanzhof (BFH) an. Daraufhin forderte das FG bei der Familienkasse die Kindergeldakte wieder an, die am 26. April 2012 beim FG einging. In der Folgezeit bat das FG angesichts des Umstands, dass die bisherigen europarechtlichen Regelungen über die Zuständigkeit für die Gewährung von Familienleistungen in grenzüberschreitenden Fällen mit Wirkung zum 1. Mai 2010 geändert worden waren, die Beteiligten um Stellungnahme zum Kindergeldanspruch ab Mai 2010. Im Verlauf des sich hierzu entwickelnden Schriftwechsels regte das FG an, den Rechtsstreit, soweit er die Zeit ab Mai 2010 betreffe, zum Ruhen zu bringen, abzutrennen oder außerhalb des Klageverfahrens im Verwaltungsverfahren zu bearbeiten. Der Kläger erklärte daraufhin am 30. Juli 2012 die Rücknahme der Klage für die Zeiträume ab Mai 2010. Ferner holte das FG das Einverständnis der Beteiligten mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin und ohne mündliche Verhandlung ein.

14

Am 15. August 2012 bemerkte die Berichterstatterin, dass in der --ihr seit dem 26. April 2012 wieder vorliegenden-- Kindergeldakte das Antwortschreiben des CBO vom 31. August 2010 abgeheftet war. Sie bat die Familienkasse um vollständige Vorlage des Vorgangs sowie um Mitteilung, weshalb dieses Schreiben dem Gericht nicht unverzüglich übermittelt worden sei. Daraufhin erklärte die Familienkasse, dem Begehren des Klägers für Anspruchszeiträume bis zum Zugang der Einspruchsentscheidung (März 2001 bis Februar 2004) innerhalb des Klageverfahrens und für die späteren Anspruchszeiträume (März 2004 bis April 2010) außerhalb des Klageverfahrens abhelfen zu wollen. Nach Ergehen entsprechender Abhilfebescheide vom 16. Oktober 2012 erklärten die Familienkasse und der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Mit Kostenbeschluss vom 8. November 2012, der am 12. November 2012 mit einfachem Brief versandt wurde, legte das FG der Familienkasse die Kosten des Verfahrens auf.

15

Der Kläger hat am 21. November 2012 die vorliegende Entschädigungsklage erhoben. Ausgehend von einer als üblich anzusehenden Verfahrensdauer von drei Jahren begehrt er für einen Zeitraum von 68 Monaten eine Entschädigung für Nichtvermögensnachteile in Höhe von 7.200 €. Ferner begehrt er Ersatz für Überziehungszinsen, die seinem privaten Girokonto während des Klageverfahrens belastet worden sind und die er in Höhe von 14.985,16 € auf die verzögerte Auszahlung des Kindergelds zurückführt.

16

Er ist der Auffassung, eine detaillierte Untersuchung der einzelnen Verfahrensabschnitte erübrige sich, weil vorliegend sogar die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit acht Jahren angesetzte absolute Höchstdauer für ein instanzgerichtliches Verfahren überschritten sei. Im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer sei der staatlichen Seite auch das Verhalten der beteiligten Behörden zuzurechnen. Dies gelte nicht nur für die deutsche Familienkasse, sondern auch für die ausländischen Behörden, da die gegenteilige Handhabung dem "Gedanken der Europäischen Einheit" widersprechen würde.

17

Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger wegen der überlangen Dauer des Verfahrens vor dem FG Baden-Württemberg 13 K 50/04 (später 13 K 1691/11 und 6 K 1691/11) eine Entschädigung in Höhe von 22.185,16 € zu zahlen.

18

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

19

Er hält die Klage bereits für unzulässig, weil die --zwingend erforderliche-- Verzögerungsrüge nicht i.S. des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG "unverzüglich" nach Inkrafttreten dieses Gesetzes (3. Dezember 2011) erhoben worden sei. Hierfür sei als Obergrenze in der Regel ein Zeitraum von zwei Wochen anzusehen. Die erst am 23. März 2012 beim FG eingegangene Verzögerungsrüge sei daher erheblich verspätet gewesen.

20

Jedenfalls sei die Klage unbegründet, weil die Verfahrensdauer nicht unangemessen gewesen sei. Der Fall sei sowohl rechtlich als auch tatsächlich äußerst komplex gewesen. Das CBO und die nordirische Verbindungsstelle der Familienkasse hätten Anfragen nur sehr zögerlich beantwortet. Zudem müsse die richterliche Unabhängigkeit beachtet werden. Danach seien Umstände, die typischerweise Ausprägungen richterlichen Handelns und Entscheidens seien, keiner abweichenden Würdigung durch das Entschädigungsgericht zugänglich. Die beim FG seit 2008 zuständige Berichterstatterin sei sehr bemüht gewesen, zur Vermeidung des Eintritts der Festsetzungsverjährung in die Entscheidung auch die nach Erlass der Einspruchsentscheidung liegenden Anspruchszeiträume einzubeziehen, obwohl dies nach der BFH-Rechtsprechung nicht erforderlich gewesen wäre. Soweit damit eine Verfahrensverzögerung verbunden gewesen sei, wäre es unbillig, diesen Umstand im Entschädigungs-Rechtsstreit zum Vorteil des Klägers zu würdigen. Dem Kläger sei anzulasten, dass er zunächst unzutreffend behauptet habe, in Nordirland sei ein Antrag auf child benefit gestellt worden. Dieser Vortrag habe sich erst im Erörterungstermin --nach mehr als fünfjähriger Verfahrensdauer-- als unzutreffend herausgestellt, so dass der Antrag habe nachgeholt werden müssen. Das FG habe zudem nicht zu vertreten, dass die Familienkasse die Rückantwort des CBO vom 31. August 2010 nicht unverzüglich an das Gericht übermittelt habe. Zudem habe das FG häufig auf Bescheinigungen warten müssen, die der Kläger habe einreichen müssen.

Entscheidungsgründe

21

II. Der Senat entscheidet gemäß § 99 Abs. 1 FGO durch Zwischenurteil vorab über den Grund des Entschädigungsanspruchs. Insoweit ist der Rechtsstreit zur Entscheidung reif, während die Entscheidung über die Höhe der geltend gemachten Entschädigung für materielle Nachteile (Überziehungszinsen) wegen der Notwendigkeit weiterer Sachverhaltsermittlungen noch nicht ergehen kann und dem Endurteil vorbehalten bleibt.

22

Der Kläger hat die erforderliche Verzögerungsrüge noch "unverzüglich" nach dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG erhoben (dazu unter 1.). Die Dauer des Ausgangsverfahrens war unangemessen; allerdings betrifft die Verzögerung einen Zeitraum von 43 Monaten statt der vom Kläger genannten 68 Monate (unter 2.).

23

1. Der Kläger hat im Ausgangsverfahren eine Verzögerungsrüge so rechtzeitig angebracht, dass auch Entschädigungsansprüche für die Zeit vor dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG gewahrt sind. Die Frage der Erhebung bzw. Rechtzeitigkeit einer Verzögerungsrüge betrifft entgegen der Auffassung des Beklagten nicht die Zulässigkeit, sondern allein die Begründetheit der Entschädigungsklage (unter a). Zwar kann der vom Kläger bereits vor Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG angebrachte Hinweis auf die Verfahrensdauer nicht als Verzögerungsrüge i.S. des § 198 Abs. 3 GVG angesehen werden (unter b). Jedoch ist das Schreiben des Klägers vom 15. Februar 2012 als Verzögerungsrüge auszulegen (unter c). Diese Rüge ist noch als "unverzüglich" nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG erhoben anzusehen (unter d).

24

a) Anders als der Beklagte meint, hätte das Fehlen einer Verzögerungsrüge oder die nicht unverzügliche Erhebung einer solchen Rüge nicht die Unzulässigkeit der Entschädigungsklage zur Folge. Vielmehr ist die Verzögerungsrüge lediglich materielle Voraussetzung eines Anspruchs auf Geldentschädigung (ebenso Beschluss des Bundessozialgerichts --BSG-- vom 27. Juni 2013 B 10 ÜG 9/13 B, nicht veröffentlicht --n.v.--, unter II.2.b). Dies folgt bereits aus der Regelung des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG, wonach die Feststellung einer überlangen Verfahrensdauer --die im Verfahren über eine Entschädigungsklage keinen gesonderten Antrag voraussetzt-- auch dann ausgesprochen werden kann, wenn die in § 198 Abs. 3 GVG genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

25

b) Das Schreiben des Klägers vom 8. August 2011 kann nicht als Verzögerungsrüge i.S. des § 198 Abs. 3 GVG angesehen werden. Zwar hat der Kläger schon in diesem Schreiben eine überlange Verfahrensdauer ausdrücklich unter Hinweis auf den seinerzeit von den gesetzgebenden Körperschaften beratenen Entwurf des ÜberlVfRSchG gerügt. Zu diesem Zeitpunkt war das ÜberlVfRSchG --und damit die Vorschrift des § 198 Abs. 3 GVG-- aber noch nicht in Kraft getreten. Das genannte Gesetz ist am Tage nach seiner Verkündung --d.h. am 3. Dezember 2011-- in Kraft getreten. Zwar gilt es auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten bereits anhängig waren (Art. 23 Satz 1 ÜberlVfRSchG). Für diese Verfahren enthält Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG aber die zusätzliche Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge "unverzüglich nach Inkrafttreten" erhoben werden muss. Eine bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes erhobene Verzögerungsrüge erfüllt diese Voraussetzung nicht.

26

c) Allerdings ist nicht erst das Schreiben des Klägers vom 21. März 2012 --in dem er erstmals ausdrücklich den Begriff "Verzögerungsrüge" verwendet hat--, sondern bereits das Schreiben vom 15. Februar 2012, das am 16. Februar 2012 beim FG eingegangen ist, als Verzögerungsrüge i.S. des § 198 Abs. 3 GVG anzusehen.

27

aa) Die genannte Vorschrift stellt keine besonderen Anforderungen an die Form oder den Mindestinhalt einer Verzögerungsrüge. In den Gesetzesmaterialien findet sich die --mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang stehende-- Auffassung, eine Verzögerungsrüge könne auch mündlich erhoben werden (BTDrucks 17/3802, 22); auch brauche sie nicht begründet werden, insbesondere genüge ein schlichter Hinweis auf die bisherige Verfahrensdauer (BTDrucks 17/7217, 27). Aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des Gesetzes folgt daher, dass auch eine nicht ausdrücklich als "Verzögerungsrüge" bezeichnete Äußerung eines Verfahrensbeteiligten im Wege der Auslegung als Verzögerungsrüge i.S. des § 198 Abs. 3 GVG angesehen werden kann.

28

Bei der Verzögerungsrüge handelt es sich auch nicht um eine Prozesshandlung im engeren Sinne, weil sie auf das im Ausgangsverfahren bestehende Prozessrechtsverhältnis nicht unmittelbar rechtsgestaltend einwirkt. Die an Prozesshandlungen zu stellenden Anforderungen im Hinblick auf die Klarheit, Eindeutigkeit und Bedingungsfeindlichkeit derartiger Äußerungen gelten für Verzögerungsrügen daher nicht.

29

bb) Die erforderliche Auslegung des Schreibens des Klägers vom 15. Februar 2012 führt zu dem Ergebnis, dass es sich dabei um eine Verzögerungsrüge gehandelt hat. Der Kläger hat darin erklärt, "ohne eine klare Richtungsvorgabe" des FG gegenüber der Familienkasse müsse die Entscheidung des EGMR vom 2. September 2010  46344/06 --Rumpf/Deutschland-- (Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2010, 3355) "und die mittlerweile geschaffene Rechtsgrundlage" Anwendung finden. Mit dem vom Kläger genannten Urteil des EGMR ist die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet worden, innerhalb eines Jahres nach Endgültigkeit jener Entscheidung einen Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren einzuführen. Die vom Kläger bezeichnete "mittlerweile geschaffene Rechtsgrundlage" ist das ÜberlVfRSchG.

30

Ein Hinweis eines Verfahrensbeteiligten in einem seinerzeit bereits seit über acht Jahren anhängigen Gerichtsverfahren auf die Rechtsprechung des EGMR zu überlangen Verfahren und die für derartige Fälle neu geschaffene nationale Rechtsgrundlage kann aber --was bisher weder vom FG noch vom Beklagten erwogen worden ist-- nicht anders verstanden werden, als dass der Verfahrensbeteiligte damit eine aus seiner Sicht überlange Verfahrensdauer rügen möchte. Dies gilt im Streitfall erst recht angesichts des Umstands, dass der Kläger bereits vor dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG die Verfahrensdauer unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den seinerzeitigen Entwurf des ÜberlVfRSchG gerügt hatte.

31

d) Die Verzögerungsrüge vom 16. Februar 2012 ist unverzüglich nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG erhoben worden und hat damit Entschädigungsansprüche auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG gewahrt.

32

aa) Gemäß Art. 23 Satz 1 ÜberlVfRSchG gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten (3. Dezember 2011) bereits anhängig waren. War ein solches anhängiges Verfahren beim Inkrafttreten des Gesetzes bereits verzögert, gilt die in § 198 Abs. 3 GVG vorgesehene Obliegenheit zur Erhebung einer Verzögerungsrüge mit der Maßgabe, dass diese "unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss" (Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG). In diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch nach § 198 GVG auch für den vorausgehenden Zeitraum (Art. 23 Satz 3 ÜberlVfRSchG).

33

bb) Der Begriff "unverzüglich" bedeutet ein Handeln "ohne schuldhaftes Zögern" (§ 121 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--). Diese Legaldefinition gilt nach allgemeiner Auffassung auch über die Fälle des § 121 BGB hinaus, mithin gleichermaßen im öffentlichen Recht. Der Senat vermag dem Beklagten allerdings nicht darin zu folgen, dass auch die von der zivilgerichtlichen Rechtsprechung zu § 121 BGB in typisierender Betrachtungsweise vertretene Bejahung eines "schuldhaften Zögerns" bei Überschreitung einer Zwei-Wochen-Frist unbesehen auf alle anderen Rechtsbereiche zu übertragen ist, in denen der Gesetzgeber den Begriff "unverzüglich" verwendet.

34

Die angeführte Zwei-Wochen-Frist geht auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 14. Dezember 1979  7 AZR 38/78 (BAGE 32, 237, unter IV.2.) zurück. Darin wurde die für außerordentliche fristlose Kündigungen geltende zweiwöchige gesetzliche Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB auch zur Auslegung des Begriffs der "Unverzüglichkeit” in Fällen der Irrtumsanfechtung herangezogen.

35

Diese Übertragung der in § 626 BGB genannten Frist ist aber nicht in allen Fällen, in denen der Gesetzgeber den Begriff "unverzüglich” verwendet, sachgerecht. Vielmehr ist eine normspezifische Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals --bzw. der gesetzlichen Erläuterung "ohne schuldhaftes Zögern"-- in Abhängigkeit vom betroffenen Sachbereich, des in diesem Sachbereich typischerweise anzutreffenden Grades der Dringlichkeit, der Interessenlage der Parteien bzw. Beteiligten und dem jeweiligen Zweck des Unverzüglichkeitserfordernisses geboten und wird von der Rechtsprechung und Rechtspraxis auch entsprechend vorgenommen.

36

(1) So findet sich der Begriff "unverzüglich" auch im Zusammenhang mit der Rügepflicht beim Handelskauf (§ 377 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs --HGB--). Hier liegt auf der Hand, dass die schematische Anwendung einer Zwei-Wochen-Frist nicht sachgerecht wäre, insbesondere wenn es sich um verderbliche Waren handelt. § 377 Abs. 1 HGB ist im Interesse der im Handelsverkehr unerlässlichen schnellen Abwicklung der Handelsgeschäfte streng auszulegen (Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 30. Januar 1985 VIII ZR 238/83, BGHZ 93, 338, unter 5.c bb). Dementsprechend hat der BGH in der vorstehend angeführten Entscheidung ein zweiwöchiges Zuwarten --das in den Fällen des § 121 BGB noch hinzunehmen wäre-- nicht mehr als ausreichend angesehen. Vielmehr wird für den Regelfall --in Abhängigkeit von den Eigenschaften der betroffenen Ware-- nur die Wahrung einer Frist, die zwischen einigen Stunden und einer Woche beträgt, noch als angemessen angesehen (vgl. Emmerich/Hoffmann in Heymann, HGB, 2. Aufl., § 377 Rz 53 ff., m.w.N.).

37

(2) Gemäß § 34b Abs. 4 Nr. 2 EStG müssen Schäden infolge höherer Gewalt "unverzüglich" nach Feststellung des Schadensfalls der zuständigen Finanzbehörde mitgeteilt werden, damit die für außerordentliche Holznutzungen geltenden ermäßigten Steuersätze in Anspruch genommen werden können. Die Finanzverwaltung sieht dieses Erfordernis noch als gewahrt an, wenn die entsprechende Schadensmeldung spätestens bis zum Ablauf von drei Monaten nach Feststellung des Schadens eingereicht wird (Verfügung der Oberfinanzdirektion Magdeburg vom 5. Februar 2007 S 2232-14-St-212, Einkommensteuer-Kartei Sachsen-Anhalt § 34b EStG Karte 1, unter 1.).

38

(3) Auch in seiner Rechtsprechung zur unverschuldeten verspäteten Geltendmachung von Betriebskosten-Nachforderungen durch den Vermieter (§ 556 Abs. 3 Satz 3 BGB) wendet der BGH zur Bestimmung des Zeitraums, der dem Vermieter nach Wegfall des Hindernisses für die Nachholung der Geltendmachung zuzubilligen ist, nicht die aus der Rechtsprechung zu § 121 BGB abgeleitete Zwei-Wochen-Frist, sondern eine Drei-Monats-Frist an (vgl. Urteile vom 5. Juli 2006 VIII ZR 220/05, NJW 2006, 3350, unter II.2.b bb, und vom 12. Dezember 2012 VIII ZR 264/12, NJW 2013, 456).

39

cc) Die gebotene normspezifische Auslegung führt im Falle des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG zu dem Ergebnis, dass eine Zwei-Wochen-Frist nicht sachgerecht ist. Der Senat hält bei typisierender Betrachtung vielmehr eine Frist von drei Monaten für angemessen.

40

(1) Die zu § 121 BGB ergangene Entscheidung des BAG in BAGE 32, 237 ist auf die Situation, wie sie der Gesetzgeber mit dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG und der dazugehörigen Übergangsregelung geschaffen hat, bereits im Ausgangspunkt nicht übertragbar. § 121 BGB betrifft die Anfechtung eines Vertrags wegen eines Irrtums des Anfechtenden. Die Anfechtungsmöglichkeit besteht --in Abgrenzung zu den Fällen des § 123 BGB, für die der Gesetzgeber eine Jahresfrist vorsieht (§ 124 Abs. 1 BGB)-- gerade dann, wenn der andere Teil nichts zu dem Irrtum beigetragen hat. Daher kommt im Rahmen der erforderlichen Abwägung zwischen dem Interesse des Anfechtungsberechtigten an seiner Lösung von dem Vertrag und dem Interesse des Anfechtungsgegners am rechtlichen Bestand des Vertrags dem Schutz des Anfechtungsgegners ein hoher Stellenwert zu. Hinzu kommt, dass die Frist des § 121 BGB --ebenso wie die vom BAG herangezogene zweiwöchige Frist für die außerordentliche fristlose Kündigung nach § 626 Abs. 2 BGB-- erst beginnt, wenn der Anfechtungs- bzw. Kündigungsberechtigte positive Kenntnis von dem Anfechtungs- bzw. Kündigungsgrund hat; ein bloßes Kennenmüssen löst den Fristbeginn hingegen nicht aus.

41

Beide genannten Gesichtspunkte, die in den Fällen des § 121 BGB für eine eher strenge Auslegung des Tatbestandsmerkmals "unverzüglich" sprechen, sind in den Fällen des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG nicht einschlägig. Hier liegt die wesentliche Ursache für die Erforderlichkeit der unverzüglichen Abgabe einer Erklärung nicht beim Erklärenden --im Fall des § 121 BGB dem Anfechtungsberechtigten, im Fall des ÜberlVfRSchG dem späteren Entschädigungskläger--, sondern beim Erklärungsempfänger. Denn vor allem das Gericht hat durch sein zögerliches Verhalten --unterstellt, die Verzögerungsrüge sei berechtigt-- die Ursache für die Erhebung der Verzögerungsrüge gesetzt. Zudem knüpft Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG den Beginn des zur Verfügung stehenden Zeitraums an ein rein objektives Kriterium --das Inkrafttreten des Gesetzes--; eine positive Kenntnis des Berechtigten von dem Ereignis, das den Fristenlauf auslöst, ist nicht erforderlich.

42

Beide Gesichtspunkte rechtfertigen und gebieten es, den Begriff der "Unverzüglichkeit" hier deutlich weniger streng auszulegen als bei § 121 BGB.

43

(2) Gleichwohl lässt sich der in der Entscheidung in BAGE 32, 237 enthaltene grundsätzliche methodische Ansatz des BAG, in verwandten Rechtsnormen genannte Fristen für eine normspezifische Konkretisierung des Begriffs "unverzüglich" heranzuziehen, auch vorliegend fruchtbar machen. So gilt für die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz --abweichend von der einmonatigen Regelfrist-- eine Frist von einem Jahr (§ 93 Abs. 3 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht --BVerfGG--). Beschwerden zum EGMR können innerhalb von sechs Monaten nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung erhoben werden (Art. 35 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten --EMRK--).

44

§ 93 Abs. 3 BVerfGG zeigt, dass der nationale Gesetzgeber in Fällen, in denen das Inkrafttreten eines Gesetzes einen Fristenlauf auslöst, die für die Erhebung von Rechtsbehelfen ansonsten allgemein übliche Monatsfrist nicht als ausreichend ansieht, sondern eine erheblich längere Frist gewährt. Die Sechs-Monats-Frist des Art. 35 Abs. 1 EMRK steht wiederum in einem sehr engen Zusammenhang zu dem in Entschädigungsklagefällen betroffenen Sachbereich, da mit dem ÜberlVfRSchG gerade die Rechtsprechung des EGMR umgesetzt werden sollte und weitere Verurteilungen der Bundesrepublik Deutschland durch den EGMR vermieden werden sollten.

45

In seinen Entscheidungen, die nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG ergangen sind, verweist der EGMR die Beschwerdeführer auch in solchen Verfahren, die bei ihm bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes anhängig waren, auf den nationalen Rechtsbehelf der Entschädigungsklage. Er führt aber zugleich aus, dass er diese Position in Zukunft überprüfen werde, was insbesondere von der Fähigkeit der innerstaatlichen Gerichte abhängig sei, im Hinblick auf das ÜberlVfRSchG eine konsistente und den Erfordernissen der EMRK entsprechende Rechtsprechung zu etablieren (so ausdrücklich Entscheidung des EGMR vom 29. Mai 2012  53126/07 --Taron/Deutschland--, Europäische Grundrechte-Zeitschrift 2012, 514, Rz 45). Vor diesem Hintergrund hat der Senat auch die Erfordernisse eines effektiven Menschenrechtsschutzes zu berücksichtigen, mit dem eine kurze --den auch für bereits anhängige Fälle erforderlichen Rechtsschutz eher verhindernde als ermöglichende-- Zwei-Wochen-Frist nicht vereinbar wäre.

46

(3) Hiervon ausgehend hält der Senat eine Frist im Umfang der Hälfte der in Art. 35 Abs. 1 EMRK genannten Frist --d.h. drei Monate-- für erforderlich, um den Anforderungen der EMRK Rechnung zu tragen, aber auch für ausreichend, damit Prozessbevollmächtigte sämtliche von ihnen geführte Verfahren auf mögliche Verzögerungen analysieren können (a.A. ohne Begründung in einer nicht tragenden Erwägung für eine am 13. Februar 2012 erhobene Verzögerungsrüge Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. September 2012 L 38 SF 73/12 EK AS, n.v.; ebenso Oberlandesgericht Bremen, Urteil vom 4. Juli 2013  1 SchH 10/12 (EntV), NJW 2013, 3109, für eine am 23. Januar 2013 eingegangene Verzögerungsrüge).

47

Diese Frist hat der Kläger im Streitfall mit seinem am 16. Februar 2012 beim FG eingegangenen Schreiben gewahrt.

48

2. Die Dauer des Ausgangsverfahrens war unangemessen. Die Verzögerung beläuft sich entgegen der Auffassung des Klägers aber nicht auf 68 Monate, sondern auf 43 Monate.

49

a) Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Diese gesetzlichen Maßstäbe beruhen auf der ständigen Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- (näher dazu Senatsurteil vom 17. April 2013 X K 3/12, BFHE 240, 516, BStBl II 2013, 547, unter III.3.a).

50

Grundlage dieser Rechtsprechung ist zum einen die Regelung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, wonach jede Person ein Recht darauf hat, dass über Streitigkeiten von einem Gericht "innerhalb angemessener Frist verhandelt wird". Zum anderen folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) ein Anspruch auf gerichtliche Entscheidung über streitige Rechtsverhältnisse "in angemessener Zeit" (BVerfG-Beschluss vom 27. Juli 2004  1 BvR 1196/04, NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.).

51

b) Bei der Konkretisierung dieses Anspruchs des Verfahrensbeteiligten und bei der Ableitung der in § 198 GVG vorgesehenen Rechtsfolgen für den einzelnen Fall ist zu berücksichtigen, dass der Begriff der "Angemessenheit" für Wertungen offen ist. Dies ermöglicht es, dem Spannungsverhältnis zwischen einem möglichst zügigen Abschluss des Rechtsstreits und anderen, ebenfalls hochrangigen sowie verfassungs- und menschenrechtlich verankerten prozessualen Grundsätzen Rechnung zu tragen (allgemein zu diesem Spannungsverhältnis bereits Urteil des BSG vom 21. Februar 2013 B 10 ÜG 1/12 KL, Die Sozialgerichtsbarkeit --SGb-- 2013, 527, zur amtlichen Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, unter 2.a aa, m.w.N.). Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck (so auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 11. Juli 2013  5 C 23.12 D, zur amtlichen Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen, unter 1.b bb (3)).

52

So könnte eine Überbeschleunigung von Verfahren in einen Konflikt mit dem --durch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG abgesicherten-- Anspruch auf Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes geraten, zu dessen Kernbereich die Schaffung gerichtlicher Strukturen gehört, die eine möglichst weitgehende inhaltliche Richtigkeit von Entscheidungen und ihre möglichst hohe Qualität gewährleisten. Ferner könnte der Grundsatz der Unabhängigkeit der Richter (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 97 Abs. 1 GG) berührt sein, sofern die Entschädigungsgerichte mittelbar in die Freiheit der Richter eingreifen würden, ihr Verfahren frei von äußeren Einflüssen zu gestalten. Auch der Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) könnte betroffen sein, wenn zunehmender Beschleunigungsdruck dazu führen würde, dass Verfahren bereits wegen kurzzeitiger, in der Person eines Richters liegender Erledigungshindernisse (z.B. einer nicht langfristigen Erkrankung oder einer lediglich als vorübergehend anzusehenden höheren Belastung durch anderweitige Verfahren) diesem Richter entzogen und einem anderen Richter zugewiesen werden.

53

Der erkennende Senat ist daher, um diesen gegenläufigen, ebenfalls hochrangigen Rechtsgrundsätzen Rechnung zu tragen, der Auffassung, dass die zeitliche Grenze bei der Bestimmung der Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens nicht zu eng gezogen werden darf. Die Dauer eines Gerichtsverfahrens ist nicht schon dann "unangemessen", wenn die Betrachtung eine Abweichung vom Optimum ergibt. Vielmehr muss eine deutliche Überschreitung der äußersten Grenze des Angemessenen festzustellen sein (ebenso BSG-Urteil in SGb 2013, 527, unter 2.a aa). Hinzu kommt, dass die Betrachtung des jeweiligen Verfahrensablaufs durch das Entschädigungsgericht notwendigerweise rückblickend vorgenommen wird und daher regelmäßig auf bessere Erkenntnisse gegründet ist als sie das Ausgangsgericht haben konnte.

54

Aus den genannten Gründen ist dem Ausgangsgericht ein erheblicher Spielraum für die Gestaltung seines Verfahrens einzuräumen (vgl. auch BVerwG-Urteil 5 C 23.12 D, unter 1.b bb (3)). So ist jedes Gericht --nicht nur ein Rechtsmittelgericht, das in besonderem Maße Verfahren von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden hat-- berechtigt, einzelne (ältere und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen, rechtlichen, persönlichen oder organisatorischen Zusammenhangs zu bestimmten Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder Rechtsfrage als dringlicher anzusehen als die Entscheidung anderer Fragen, auch wenn eine solche zeitliche "Bevorzugung" einzelner Verfahren jeweils denknotwendig zu einer längeren Dauer anderer Verfahren führt. Ebenso ist es hinzunehmen, wenn die --durch Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG im Einzelfall als geboten erscheinende und zum Kernbereich der durch Art. 97 Abs. 1 GG geschützten richterlichen Unabhängigkeit gehörende-- besonders intensive Befassung mit einem in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht schwierig erscheinenden Verfahren notwendigerweise dazu führt, dass sich nicht allein die Dauer dieses Verfahrens verlängert, sondern während dieser Zeit auch eine Förderung aller anderen diesem Richter zugewiesenen Verfahren nicht möglich ist. Hinzu kommt, dass es aus nachvollziehbaren Gründen der öffentlichen Personalwirtschaft gerichtsorganisatorisch mitunter unvermeidbar ist, Richtern oder Spruchkörpern einen relativ großen Bestand an Verfahren zuzuweisen. Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren, die bei einem Gericht anhängig oder einem Spruchkörper bzw. Richter zugewiesen sind, ist aber aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art. 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht verlangt.

55

Der damit vom Entschädigungsgericht den Ausgangsgerichten eingeräumte Gestaltungsspielraum dient dazu, dass Gerichte --ohne unangemessene Überbetonung allein des zeitlichen bzw. quantitativen Aspekts richterlicher Verfahrensgestaltung und Entscheidungsfindung-- in innerer und äußerer Freiheit und Unabhängigkeit inhaltlich möglichst zutreffende und qualitativ möglichst hochwertige Entscheidungen treffen können. Stets ist zu beachten, dass sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts verdichtet, sich nachhaltig um eine Förderung, Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG-Beschluss in NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.).

56

c) Die nach dem Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG --sowie nach der im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck kommenden Konzeption des EGMR und BVerfG-- damit im Vordergrund stehende Einzelfallbetrachtung schließt es aus, im Rahmen der Auslegung der genannten Vorschrift konkrete Fristen zu bezeichnen, innerhalb der ein Verfahren im Regelfall abschließend erledigt sein sollte (dazu unter aa) oder bei deren Überschreitung eine "absolute überlange Verfahrensdauer" anzunehmen sein soll, die ohne weitere Einzelfallbetrachtung zur Zuerkennung einer Entschädigung führen soll (unter bb).

57

aa) In der Literatur wird mitunter vertreten, der Rechtsprechung des EGMR sei zu entnehmen, dass die angemessene Verfahrensdauer grob ein Jahr pro Instanz betrage (Böcker, Deutsches Steuerrecht 2011, 2173, 2175, m.N. in Fn. 25; ders., Der Betrieb 2013, 1930, 1931).

58

Daran ist zutreffend, dass sich in mehreren Entscheidungen des EGMR die Formulierung findet, "one year per instance may be a rough rule of thumb in Article 6 § 1 cases" (ein Jahr pro Instanz mag eine grobe Faustregel in Fällen des Art. 6 Abs. 1 EMRK sein). Tragend war diese Formulierung aber für keine der Entscheidungen des EGMR, in denen sie verwendet worden ist. Ganz überwiegend sind diese Entscheidungen von vornherein nicht zu Art. 6 Abs. 1 EMRK ergangen, der den Anspruch auf Entscheidung "innerhalb angemessener Frist" enthält, sondern zu Freiheitsentziehungen i.S. des Art. 5 EMRK, der in Abs. 4 einen Anspruch auf gerichtliche Entscheidung "innerhalb kurzer Frist" vorsieht (zu Strafverfahren in der Russischen Förderation vgl. Entscheidungen des EGMR vom 7. April 2005  54071/00 --Rokhlina--; vom 8. November 2005  6847/02 --Khudoyorov--; vom 24. Mai 2007  27193/02 --Ignatov--, Rz 111; vom 9. Oktober 2008  62936/00 --Moiseyev--, Rz 160, und vom 26. November 2009  13591/05 --Nazarov--, Rz 126; zur zwangsweisen Unterbringung eines als "Psychopathen" eingestuften Straftäters in einer britischen Klinik vgl. EGMR-Urteil vom 20. Februar 2003  50272/99 --Hutchison Reid--, Rz 79). Im Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK findet sich diese Formel --ebenfalls nicht tragend-- in einer Entscheidung, die eine arbeitsrechtliche Streitigkeit wegen einer angeblichen Diskriminierung betraf (EGMR-Urteil vom 16. Januar 2003  50034/99 --Obasa--, Rz 35). Arbeitsrechtliche Streitigkeiten gehören aber grundsätzlich zu den Verfahrensarten, die besonders eilbedürftig sind (vgl. Peukert in Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 3. Aufl., Art. 6 Rz 262, m.w.N. auf die Rechtsprechung des EGMR). Insoweit enthalten auch die Vorschriften des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) seit jeher besondere Beschleunigungsgebote, die sich in den für andere Gerichtszweige geltenden Verfahrensordnungen nicht finden (z.B. § 9 Abs. 1, § 17 Abs. 2 Satz 2, § 47 Abs. 2, § 61a ArbGG).

59

Eine Entscheidung des EGMR, die tragend auf die "grobe Faustregel" einer angemessenen Verfahrensdauer von einem Jahr pro Instanz gestützt oder in der gar ein geringfügiges Überschreiten dieser zeitlichen Grenze als unangemessen angesehen worden wäre, ist weder in der Literatur nachgewiesen noch sonst ersichtlich.

60

Jedenfalls im Anwendungsbereich des § 198 GVG wäre eine Auslegung dieser Vorschrift dahingehend, eine Jahresfrist als "Faustregel" anzunehmen, schon durch die Entstehungsgeschichte dieser Norm ausgeschlossen. Im Gesetzgebungsverfahren war ausdrücklich beantragt worden, in das Gesetz eine Regelung aufzunehmen, wonach bei einer Verfahrenslaufzeit von mehr als einem Jahr die Unangemessenheit der Verfahrensdauer vermutet werden sollte. Dieser Antrag ist indes von der großen Mehrheit der Abgeordneten des Rechtsausschusses abgelehnt worden (zum Ganzen ausführlich BTDrucks 17/7217, 25).

61

bb) Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, ab einer --im Streitfall gegebenen-- Verfahrenslaufzeit von acht Jahren sei von einer "absoluten überlangen Verfahrensdauer" auszugehen, die eine Einzelfallprüfung entbehrlich mache, vermag der Senat dem ebenfalls nicht zu folgen. Zwar verdichtet sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung, Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG-Beschluss in NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.). Eine Bewertung der Umstände des Einzelfalls bleibt aber stets erforderlich. Selbst wenn es eine Grenze der "absoluten überlangen Verfahrensdauer" gäbe, wäre diese jedenfalls nicht bei acht Jahren zu ziehen (vgl. --unter Auswertung der Rechtsprechung des EGMR-- Peukert in Frowein/Peukert, a.a.O., Art. 6 Rz 249: erst eine Verfahrensdauer von zehn und mehr Jahren werde "grundsätzlich als nicht angemessen" bewertet).

62

d) Gleichwohl können angesichts der besonderen Bedingungen, die die im Vergleich zu anderen Gerichtsbarkeiten eher homogene Fallstruktur in der Finanzgerichtsbarkeit und die relativ einheitliche Bearbeitungsweise der einzelnen Gerichte und Spruchkörper mit sich bringen, für bestimmte typischerweise zu durchlaufende Abschnitte finanzgerichtlicher Verfahren --nicht jedoch für ihre Gesamtdauer-- zeitraumbezogene Konkretisierungen gefunden werden. Vorrang behält dennoch die stets vorzunehmende Einzelfallbetrachtung.

63

aa) Nach den Ausführungen unter c kann ein Regel- oder auch nur Anhaltswert für die Gesamtdauer eines Verfahrens nicht genannt werden. Dies folgt schon daraus, dass der Schwierigkeitsgrad des einzelnen Verfahrens sowohl rechtstatsächlich von entscheidender Bedeutung für die konkrete Verfahrensdauer ist als auch nach der Konzeption des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG zu den wesentlichen Merkmalen für die Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer gehört. Finanzgerichtliche Verfahren unterscheiden sich in ihrem Schwierigkeitsgrad und der dadurch hervorgerufenen Bearbeitungsintensität und -dauer so sehr voneinander, dass eine Generalisierung der Gesamtverfahrensdauer nicht möglich ist.

64

Auf der anderen Seite wird die höchstrichterliche finanzgerichtliche Rechtsprechung in Entschädigungssachen, schon zur Gewährleistung einer möglichst einheitlichen Rechtsanwendung und um der Rechtspraxis Anhaltspunkte für die Einschätzung der Erfolgsaussichten etwa zu erhebender Entschädigungsklagen zu geben, es nicht gänzlich vermeiden können, dort --unter Beachtung des Grundsatzes, dass die stets vorzunehmende Einzelfallbetrachtung Vorrang hat-- zeitraumbezogene Konkretisierungen vorzunehmen, wo derartige Konkretisierungen aufgrund vorgefundener Übereinstimmungen sowohl in der Struktur zahlreicher finanzgerichtlicher Verfahren als auch ihrer Bearbeitung durch die Gerichte vertretbar sind.

65

bb) Die Frage, ob zeitliche Konkretisierungen stets ausgeschlossen sind oder für bestimmte Fallgruppen eine Erleichterung der rechtlichen Beurteilung ermöglichen, wird in der bisherigen Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes zu § 198 GVG nicht einheitlich beurteilt. Dies beruht indes darauf, dass zwischen den einzelnen Gerichtsbarkeiten erhebliche Unterschiede sowohl in der Struktur und Streubreite der Verfahren als auch in den Verfahrensabläufen bestehen. So lehnt das BVerwG (Urteil 5 C 23.12 D, unter 1.b aa (2)) für instanzgerichtliche Verfahren der Verwaltungsgerichtsbarkeit jede Orientierung an Anhaltswerten ab und führt zur Begründung aus, die Struktur der zu entscheidenden Verfahren sei zu unterschiedlich. Demgegenüber sieht das BSG für Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde --deren Ablauf aufgrund der im Höchstfall drei Monate betragenden Begründungsfrist und des Umstands, dass in aller Regel Sachverhaltsermittlungen nicht vorgesehen sind, in besonderem Maße standardisiert ist, so dass die einzelnen Verfahren nur eine geringe Varianz zueinander aufweisen-- eine Regelfrist für die Gesamtbearbeitungsdauer von zwölf Monaten vor (BSG-Urteil in SGb 2013, 527, unter 2.a cc ccc).

66

cc) Dies vorausgeschickt, lässt sich für den ganz überwiegenden Teil der finanzgerichtlichen Klageverfahren zum einen feststellen, dass die jeweiligen Verfahrenssituationen und Streitgegenstände im Kern miteinander vergleichbar sind und eine erheblich geringere Varianz zueinander aufweisen als dies in der Verwaltungs- oder Zivilgerichtsbarkeit der Fall ist. In den meisten Fällen geht es darum, dass der Bürger sich gegen einen Geldanspruch wendet, den die Finanzverwaltung durch Steuerbescheid gegen ihn festgesetzt hat, oder --in Gestalt einer Steuervergütung-- seinerseits einen Geldanspruch von der Finanzverwaltung begehrt.

67

Darüber hinaus lässt sich feststellen, dass der Ablauf der weitaus meisten finanzgerichtlichen Klageverfahren im Wesentlichen einer Einteilung in drei Phasen folgt: Die erste Phase besteht in der Einreichung und im Austausch vorbereitender Schriftsätze (§ 77 Abs. 1 Satz 1 FGO) durch die Beteiligten. Das Gericht wird in dieser Phase zumeist nur insoweit tätig, als es eingehende Schriftsätze an den jeweils anderen Beteiligten weiterleitet; die Erteilung rechtlicher Hinweise durch das Gericht beschränkt sich --auch mangels Vorliegens der Akten der beklagten Behörde-- auf Ausnahmefälle. An das Ende dieses Schriftsatzaustausches schließt sich in der Regel eine Phase an, in der das Verfahren --gerichtsorganisatorisch durch die Gesamtanzahl der dem Spruchkörper oder Richter zugewiesenen Verfahren bedingt-- wegen der Arbeit an anderen Verfahren nicht bearbeitet werden kann. Der Beginn der dritten Phase ist dadurch gekennzeichnet, dass das Gericht Maßnahmen trifft, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen (z.B. Handlungen der Sachaufklärung, Erteilung rechtlicher Hinweise, sonstige in § 79 FGO genannte Anordnungen, in einfach gelagerten Fällen auch die sofortige Ladung zur mündlichen Verhandlung). Diese dritte Phase ist in besonderem Maße vom Schwierigkeitsgrad des Verfahrens, dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter --insbesondere von deren Reaktionsgeschwindigkeit auf gerichtliche Anfragen und Ermittlungshandlungen-- und der Intensität der Bearbeitung durch den hierfür berufenen Richter abhängig. Die Frage, welche Dauer für diese Phase --und damit auch für die Gesamtlaufzeit eines Verfahrens-- "angemessen" ist, entzieht sich daher jedem Versuch einer Typisierung oder zeitlichen Konkretisierung. Gleiches mag für die erste Phase gelten, da auch die Dauer des Wechsels vorbereitender Schriftsätze zwischen den Beteiligten häufig vom Schwierigkeitsgrad des Verfahrens sowie dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten abhängig sein wird.

68

Demgegenüber eignet sich die dargestellte zweite Phase eher für die Suche nach zeitlichen Konkretisierungen. Insbesondere ist sie in erster Linie gerichtsorganisatorisch bedingt, weist aber keinen Zusammenhang zum Schwierigkeitsgrad des einzelnen Verfahrens auf, da ein --vermeintlich-- höherer Schwierigkeitsgrad eines Verfahrens nicht als sachlicher Grund anzusehen wäre, ein solches Verfahren länger als vermeintlich einfachere Verfahren unbearbeitet zu lassen. Zugleich ist diese zweite Phase typischer finanzgerichtlicher Verfahren im Hinblick auf den Schutzzweck der §§ 198 ff. GVG von besonderer Bedeutung, da gerade während eines Zeitraums, in dem weder die Beteiligten noch das Gericht Aktivitäten entfalten, für den Verfahrensbeteiligten mit zunehmender Dauer dieses Zeitraums die Frage Bedeutung gewinnt, wann denn mit einer Förderung und Entscheidung "seines" Verfahrens zu rechnen sei. Demgegenüber ist in der ersten Phase, in der die Beteiligten aktiv sind, und in der dritten Phase, in der das Gericht das Verfahren in Richtung auf eine Entscheidung vorantreibt, die Betroffenheit des Verfahrensbeteiligten durch eine --unter Umständen längere-- Dauer dieser Verfahrensabschnitte geringer, weil das Verfahren jeweils gefördert wird. Die Dauer dieser Verfahrensabschnitte wird daher im Wesentlichen nur durch den aus der Rechtsprechung des BVerfG folgenden Gesichtspunkt begrenzt, wonach sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts verdichtet, sich nachhaltig um eine Förderung, Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (Beschluss in NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.).

69

dd) Vor diesem Hintergrund spricht bei einem finanzgerichtlichen Klageverfahren, das im Vergleich zu dem dargestellten Verfahrensablauf keine wesentlichen Besonderheiten aufweist, eine Vermutung dafür, dass die Dauer des Verfahrens angemessen ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen (vgl. hierzu bereits Senatsurteil in BFHE 240, 516, BStBl II 2013, 547, unter III.3.a b), und die damit begonnene ("dritte") Phase des Verfahrensablaufs nicht durch nennenswerte Zeiträume unterbrochen wird, in denen das Gericht die Akte unbearbeitet lässt.

70

Der erkennende Senat hat diesen für die Dauer der ersten beiden Phasen genannten, in einem Verfahren ohne Besonderheiten die Vermutung der Angemessenheit begründenden "Karenzzeitraum" von gut zwei Jahren anhand einer Abwägung der widerstreitenden Gesichtspunkte gewonnen. Ein solcher Zeitraum erscheint für den Regelfall als ausreichend, dem gerichtsorganisatorisch bedingten Faktum Rechnung zu tragen, dass zu einem richterlichen Dezernat zahlreiche Verfahren gehören, die aber nicht allesamt gleichzeitig mit dem erforderlichen Tiefgang bearbeitet werden können. Zugleich ermöglicht es dieser Zeitraum dem Richter an einem oberen Landesgericht (vgl. § 2 FGO), in Verantwortung für die inhaltliche Richtigkeit und das qualitativ hohe Niveau seiner Entscheidung sowie in Ausübung seiner richterlichen Unabhängigkeit gegebenenfalls von seinem Gestaltungsspielraum (siehe oben b) Gebrauch zu machen, indem er einzelne Verfahren zeitlich vorzieht oder besonders intensiv bearbeitet, und andere Verfahren dadurch notwendigerweise länger unbearbeitet lässt.

71

Auf der anderen Seite hält es der Senat dem Verfahrensbeteiligten noch für zumutbar, bis zu zwei Jahre auf den Beginn der zielgerichteten Bearbeitung durch das FG zu warten. Dabei ist entscheidend zu berücksichtigen, dass der Gegenstand finanzgerichtlicher Klageverfahren --anders als etwa die typische Streitigkeit aus dem Bereich des Arbeits-, Familien- oder Statusrechts oder des Rechts existenzsichernder Sozialleistungen (vgl. die auf die Rechtsprechung des EGMR gestützte Zusammenstellung eilbedürftiger Verfahrensarten bei Peukert in Frowein/Peukert, a.a.O., Art. 6 Rz 262)-- typischerweise nicht durch besondere Eilbedürftigkeit gekennzeichnet ist. Es geht in aller Regel um staatliche Geldansprüche, die zudem regelmäßig auf einen Bruchteil des Einkommens, Umsatzes oder der sonstigen Wirtschaftsteilhabe des Verfahrensbeteiligten beschränkt sind. Zudem gewähren Finanzverwaltung und -gerichte unter Anwendung relativ großzügiger Maßstäbe Aussetzung der Vollziehung, so dass die meisten Verfahrensbeteiligten während der Verfahrensdauer von der Pflicht zur Leistung der streitigen Steuern entweder befreit sind oder sich befreien lassen könnten.

72

Eine Frist von etwa zwei Jahren wird auch von großen Teilen der Literatur vertreten (Peukert in Frowein/Peukert, a.a.O., Art. 6 Rz 249: 1,5 bis zwei Jahre; Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl., Art. 6 Rz 199: zwei Jahre; Remus, NJW 2012, 1403, 1404: zwei bis drei Jahre). Sie entspricht zudem der tatsächlichen durchschnittlichen Dauer zulässiger Klageverfahren, die von den Finanzgerichten in den Jahren 2007 bis 2010 durch Urteil entschieden worden sind (Geschäftsbericht der Finanzgerichte der Bundesrepublik Deutschland für die Jahre 2009 und 2010, Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1578, 1581; vgl. aber zur eingeschränkten Aussagekraft statistischer Werte für die Konkretisierung des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG BVerwG-Urteil 5 C 23.12 D, unter 1.b aa (2)). Auch das BVerfG hat es --in Bezug auf sein eigenes Verfahren-- nicht als unangemessen angesehen, wenn bis zur Entscheidung über einen Schadensersatz-Geldanspruch ein Zeitraum von 27 Monaten verstrichen ist (BVerfG-Beschluss vom 3. April 2013  1 BvR 2256/10 - Vz 32/12, NJW 2013, 2341, unter II.1.c vor aa). Zwar beziehen sich alle vorstehend genannten Durchschnittswerte auf die gesamte Verfahrenslaufzeit, während der vom Senat genannte Zeitraum nur die beiden ersten Phasen eines typischen finanzgerichtlichen Verfahrens erfasst. Die damit verbundene Gewährung eines zusätzlichen Bearbeitungszeitraums rechtfertigt sich aber daraus, dass eine entschädigungspflichtige menschenrechts- und grundgesetzwidrige Verzögerung nur bei einer deutlichen Überschreitung der äußersten Grenze des Angemessenen festzustellen ist (vgl. oben b). Hinzu kommt, dass gerade bei einfach gelagerten Verfahren die dritte Phase der Bearbeitung sich häufig auf die Ladung zur und Durchführung der mündlichen Verhandlung oder eines Erörterungstermins beschränken wird, also nicht zu einer wesentlichen weiteren Verlängerung der Verfahrensdauer führt.

73

ee) Allerdings steht es jedem Verfahrensbeteiligten frei, das Gericht auf eine aus seiner Sicht gegebene besondere Eilbedürftigkeit des Verfahrens hinzuweisen. Dies zeigt auch die Regelung des § 198 Abs. 3 Satz 3 GVG, die Umstände erfasst, die für ein besonderes Beschleunigungsbedürfnis von Bedeutung sind (vgl. BTDrucks 17/3802, 21). Werden solche Gründe rechtzeitig und in nachvollziehbarer Weise vorgetragen, gilt die eingangs genannte Vermutung, die Verfahrensdauer sei angemessen, wenn die dritte Phase im Verfahrensablauf gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage beginnt, nicht. Vielmehr kommt es dann ausschließlich auf die besonderen Umstände des Einzelfalls an.

74

e) Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass das Ausgangsverfahren während eines Zeitraums von 43 Monaten in unangemessener Weise verzögert worden ist.

75

aa) Die Anwendung der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG beispielhaft genannten Kriterien vermittelt im Streitfall kein einheitliches Bild.

76

So war der Schwierigkeitsgrad des Verfahrens als überdurchschnittlich hoch anzusehen. Zum einen waren Sachverhaltsermittlungen im Ausland durchzuführen, die sich als äußerst langwierig gestalteten. Zum anderen waren sowohl ausländische als auch komplexe europäische Rechtsvorschriften anzuwenden. Die Auslegung der letztgenannten Vorschriften hat gerade während der Zeit der Anhängigkeit des Ausgangsverfahrens einer sehr dynamischen Entwicklung unterlegen.

77

Auf der anderen Seite war auch die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger als überdurchschnittlich hoch einzuschätzen. Das Kindergeld stellt --obwohl es rechtstechnisch im EStG geregelt ist und als "Steuervergütung" bezeichnet wird (§ 31 Satz 3 EStG)-- eine Leistung zur Förderung der Familie (§ 31 Satz 2 EStG) dar, die ihren Förderzweck grundsätzlich nur erfüllen kann, wenn es den Berechtigten in zeitlichem Zusammenhang zum Anfallen der kindbedingten Unterhaltsaufwendungen ausgezahlt wird. Dies gilt ungeachtet dessen, dass der Kläger im vorliegenden Verfahren trotz eines entsprechenden Hinweises des Beklagten keine Angaben zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen gemacht hat, so dass nicht festgestellt werden kann, dass er auf die möglichst zügige Auszahlung des Kindergelds ebenso angewiesen war wie ein Empfänger solcher Sozialleistungen, die zur Existenzsicherung und ausschließlich in Fällen einer konkreten Bedürftigkeit gezahlt werden.

78

Das Verhalten Dritter hat in erheblichem Maße zu der letztlich erreichten Verfahrensdauer von mehr als acht Jahren beigetragen. So war lange Zeit unklar, ob E --die am Klageverfahren nicht beteiligt war und deren Verhalten dem Kläger nicht zuzurechnen ist-- überhaupt einen Kindergeldantrag in Nordirland gestellt hatte. Auch erteilte E nur sehr schleppend Auskünfte über die ihr gegenüber ergangenen Entscheidungen der CBO; ebenso haben die CBO selbst sowie die nordirische Verbindungsstelle der Familienkasse jeweils längere Zeit benötigt, um Auskünfte gegenüber der Familienkasse zu erteilen. Die Familienkasse als Verfahrensbeteiligte hat insoweit zu einer nennenswerten Verfahrensverzögerung beigetragen, als sie die --letztlich streitentscheidende-- Antwort der CBO nicht an das FG weitergeleitet, sondern unbearbeitet zu ihren Akten genommen hat.

79

bb) Die vom Senat erkannte Verzögerung um 43 Monate ergibt sich aus einer Betrachtung des konkreten Verfahrensablaufs.

80

(1) Das seit dem 20. Februar 2004 beim FG anhängige Ausgangsverfahren ist bereits unmittelbar nach seinem Eingang sehr zielgerichtet durch den damaligen Vorsitzenden gefördert worden. Dieser hat am 7. Juni 2004 einen rechtlichen Hinweis an den Kläger gerichtet, der der rechtlichen und tatsächlichen Problematik des Falles umfassend gerecht geworden, vom Kläger aber nur unzureichend aufgegriffen worden ist. Weitere Hinweise des damaligen Senatsvorsitzenden folgten am 2. Februar 2005 und 24. März 2005. Danach hat das FG seine Tätigkeit indes für einen mehrjährigen Zeitraum eingestellt.

81

(2) Geht man nach den unter d dargelegten Grundsätzen davon aus, dass die Angemessenheit der Verfahrensdauer zu vermuten ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen, und berücksichtigt man zusätzlich, dass der damalige Senatsvorsitzende bereits während des Wechsels der vorbereitenden Schriftsätze zwischen den Beteiligten zielgerichtete rechtliche Hinweise erteilt hatte, was eine gewisse Verlängerung der Regelfrist rechtfertigt, hätte das FG das Verfahren im zweiten Halbjahr 2006 wieder aufgreifen und durch kontinuierliches Tätigwerden zur Entscheidungsreife führen müssen. Da zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits die Familienkasse eigenständig mit Ermittlungen in Nordirland begonnen hatte, war es unter den besonderen Umständen des Streitfalls für das FG sachgerecht, den Ausgang dieser Ermittlungen zunächst abzuwarten. Daher ist die Regelfrist hier um weitere sechs Monate zu verlängern. Spätestens ab dem Beginn des Jahres 2007 --das Verfahren war seinerzeit bereits fast drei Jahre anhängig-- genügte es aber nicht mehr, lediglich das eigenständige (und bisher nicht zu konkreten Ergebnissen führende) Handeln der Familienkasse zu beobachten. Vielmehr hätte das FG entweder selbst --notfalls, wie wesentlich später auch tatsächlich geschehen, über den Kläger-- darauf hinwirken müssen, dass E in Nordirland einen bearbeitungsfähigen Kindergeldantrag stellt, oder aber im Wege der ihm obliegenden Sachaufklärung den Inhalt des im Vereinigten Königreich geltenden Kindergeldrechts ermitteln müssen.

82

(3) Seit Januar 2007 war das Verfahren daher als verzögert anzusehen. Die Verzögerung wurde auch nicht durch die zwischen November 2007 und Februar 2008 an die Familienkasse gerichteten Sachstandsanfragen des FG unterbrochen. Denn in diesem Verfahrensstadium war --wie vorstehend unter (2) dargelegt-- das bloße Abwarten der Ergebnisse der eigenen Ermittlungen der Familienkasse nicht mehr ausreichend. Die Verzögerung des Verfahrens endete vielmehr --vorläufig-- erst mit der im April 2009 ergangenen Ladung zum Erörterungstermin. Von Januar 2007 bis März 2009 ist danach eine unangemessene Verfahrensverzögerung von 27 Monaten zu verzeichnen.

83

(4) Mit Zustimmung der Beteiligten hat das FG am 15. Juni 2009 das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Die Zeit eines einvernehmlichen förmlichen Ruhens des Verfahrens kann grundsätzlich nicht als unangemessen im Hinblick auf die Gesamtverfahrensdauer angesehen werden, da jeder Beteiligte die Möglichkeit hat, den Eintritt des Ruhens durch Versagung seiner erforderlichen Zustimmung zu verhindern.

84

Allerdings endet die Wirkung eines Ruhensbeschlusses von selbst, sobald das in diesem Beschluss genannte Ereignis eintritt (BFH-Beschluss vom 9. August 2007 III B 187/06, BFH/NV 2007, 2310). Für den konkreten Zeitpunkt, zu dem die Wirkung eines Ruhensbeschlusses endet, ist dabei die Formulierung des jeweiligen Beschlusstenors maßgebend. So endet ein "bis zum Ergehen" einer bestimmten obergerichtlichen Entscheidung angeordnetes Ruhen bereits mit dem --objektiven-- Ergehen der Entscheidung im bezeichneten Musterverfahren; ob das Gericht oder die Beteiligten im bisher ruhenden Verfahren Kenntnis von der obergerichtlichen Entscheidung haben, ist ohne Belang (BFH-Beschluss vom 8. Januar 2013 V B 23/12, BFH/NV 2013, 748). Ebenso kommt es zur Beurteilung des vorliegenden Falles, in dem das FG das Ruhen "bis zur Entscheidung" über den Antrag der E angeordnet hatte, allein auf das objektive Ergehen dieser Entscheidung an, nicht aber auf die entsprechende Kenntniserlangung durch das FG. Damit ruhte das Ausgangsverfahren ab dem 30. März 2010, dem Datum der Entscheidung der CBO, nicht mehr.

85

(5) Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Ausgangsverfahren ab diesem Zeitpunkt wieder als unangemessen verzögert anzusehen wäre. Vielmehr ist im Rahmen der Beurteilung der Angemessenheit zu berücksichtigen, dass das FG vom objektiven Wegfall des Ruhensgrunds keine Kenntnis haben konnte. Zudem hat das FG die Familienkasse bereits am 6. April 2010 gebeten, über deren nordirische Verbindungsstelle Ermittlungen zum Schicksal des Kindergeldantrags zu führen. Dies war sachgerecht.

86

Nach Auffassung des Senats durfte das FG in diesem Verfahrensstadium allerdings nicht länger als sechs Monate auf eine Antwort warten. Zwar nehmen Ermittlungen, die im Wege der Einschaltung ausländischer Behörden geführt werden, erfahrungsgemäß deutlich längere Zeiträume in Anspruch als vergleichbare Ermittlungen im Inland. Auf der anderen Seite sind die Verbindungsstellen der Familienkassen gerade deshalb geschaffen worden, um im Interesse der Verfahrensbeschleunigung einen unmittelbaren Verkehr zwischen den beteiligten Fachbehörden zu ermöglichen (vgl. Art. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern), ohne den komplizierten und zeitraubenden Weg eines Rechtshilfeersuchens zu gehen. Zudem war das Verfahren beim Beginn dieser Ermittlungen bereits seit über sechs Jahren anhängig und schon erheblich verzögert. In einem solchen Fall verdichtet sich --wie bereits ausgeführt-- die Pflicht des Gerichts, auf eine ununterbrochene Förderung des Verfahrens hinzuwirken. Angesichts des Umstands, dass im gesamten Verlauf des bisherigen Verfahrens keine brauchbaren Unterlagen aus Nordirland beim FG eingegangen waren, durfte es sich nicht allein auf die Antwortbereitschaft der ausländischen Behörde verlassen. Spätestens im November 2010 hätte das FG daher auf anderem Wege tätig werden müssen. Tatsächlich ist es jedoch erst am 10. August 2011 --auf Drängen des Klägers-- tätig geworden, indem es diesen um die Vorlage einer Bescheinigung des CBO gebeten hat. Für den Zeitraum von November 2010 bis Juli 2011 ist somit eine weitere unangemessene Verzögerung von neun Monaten zu verzeichnen.

87

(6) Der Kläger reichte die angeforderte Bescheinigung am 6. Dezember 2011 beim FG ein. Danach hätte das FG angesichts der bereits erreichten Verfahrensdauer von knapp acht Jahren umgehend mit der abschließenden Bearbeitung des Verfahrens beginnen müssen. Allein die kommentarlose Übersendung der Bescheinigung an die Familienkasse kann nach nahezu achtjähriger Verfahrensdauer nicht als ausreichende Verfahrensförderung angesehen werden, zumal das FG selbst diese Bescheinigung angefordert hatte und sich daher gegenüber den Beteiligten zumindest dazu hätte äußern können, ob die Bescheinigung die Erwartungen, die das FG bei dessen Anforderung hegte, erfüllen konnte.

88

Tatsächlich hat das FG erst auf die wiederholten Verzögerungsrügen des Klägers am 26. März 2012 die Kindergeldakten bei der Familienkasse angefordert und die Akten im August 2012 durchgesehen; diese Aktendurchsicht führte dann am 15. August 2012 zu rechtlichen Hinweisen an die Beteiligten und --ohne weitere Verzögerung-- zu einer Beendigung des Ausgangsverfahrens durch behördliche Abhilfe und die Abgabe von Hauptsacheerledigungserklärungen. Im Zeitraum von Januar bis Juli 2012 ist daher eine weitere unangemessene Verzögerung von sieben Monaten eingetreten.

89

Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass das FG sich in der Zeit ab dem 20. April 2012 bemüht hat, die Erledigung eines Verfahrens über "Kindergeld ab Mai 2010" zu erreichen. Ein solches Verfahren war zu keinem Zeitpunkt beim FG anhängig. Die --auch teilweise-- Ablehnung einer Kindergeldfestsetzung entfaltet vielmehr nur bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung Bindungswirkung (BFH-Beschluss vom 19. Dezember 2008 III B 163/07, BFH/NV 2009, 578, m.w.N. auf die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung zu dieser Frage), hier also bis Januar 2004. Wenn das FG sich um die Beendigung eines solchen, nur vermeintlich bei ihm anhängigen Verfahrens bemüht, kann dies nicht dazu führen, dass das tatsächlich anhängige, bereits erheblich verzögerte Verfahren während eines weiteren Zeitraums unbearbeitet bleiben darf. Soweit der Beklagte das Vorgehen des FG damit zu erklären versucht, die dortige Berichterstatterin habe den Eintritt der Festsetzungsverjährung verhindern wollen, überzeugt dies nicht. Für Anspruchszeiträume ab Mai 2010 drohte im Jahr 2012 erkennbar noch keine Festsetzungsverjährung. Für Zeiträume ab Februar 2004 --für die aufgrund entsprechender Erklärungen der Familienkasse der Eintritt der Festsetzungsverjährung ebenfalls nicht drohte-- sind keine Maßnahmen des FG feststellbar, die zusätzlich zu den bereits für den Streitzeitraum (März 2001 bis Januar 2004) ergriffenen Maßnahmen getroffen worden wären und insoweit zu einer Verlängerung des Verfahrens hätten führen können.

90

(7) Danach ist das Verfahren von Januar 2007 bis März 2009 (27 Monate), November 2010 bis Juli 2011 (neun Monate) und Januar bis Juli 2012 (sieben Monate) unangemessen verzögert worden, insgesamt also während eines Zeitraums von 43 Monaten.

91

cc) Die vorstehend vorgenommene Beurteilung lässt entgegen der Auffassung des Beklagten keinen Raum mehr dafür, die unzutreffende Angabe des Klägers zu Beginn des Ausgangsverfahrens, in Nordirland sei bereits damals ein Kindergeldantrag gestellt worden, zur Rechtfertigung der langen Verfahrensdauer heranzuziehen. Vielmehr hat der Senat die Wartezeit auf die Antragstellung, Antragsbearbeitung und Entscheidungsbekanntgabe in Nordirland im Rahmen der vorstehend unter bb vorgenommenen Würdigung der Umstände des Einzelfalls bereits hinreichend bei der Bemessung der noch als angemessen anzusehenden Verfahrensdauer berücksichtigt.

92

Umgekehrt vermag der Senat auch der Auffassung des Klägers nicht zu folgen, das Verhalten aller in das Ausgangsverfahren einbezogenen in- und ausländischen Behörden sei dem Beklagten zuzurechnen, so dass die Wartezeit auf behördliche Entscheidungen keinerlei Verfahrensverlängerung rechtfertige. Das "Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter" ist vielmehr gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG als eines von mehreren Merkmalen in die Bewertung und Gewichtung der Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Soweit das FG das Verhalten von --insbesondere ausländischen-- Behörden nicht beeinflussen kann, ist ihm dieses Verhalten nicht unmittelbar zuzurechnen. Es hat lediglich die --sich mit zunehmender Verfahrensdauer verdichtende-- Pflicht, das Verfahren zu fördern.

93

3. Die Entscheidung über die Höhe des Entschädigungsanspruchs bleibt dem Betragsverfahren bzw. Endurteil vorbehalten. Gleiches gilt für die Kostenentscheidung.

(1) Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen.

(2) Die hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richter können wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, vor Ablauf ihrer Amtszeit entlassen oder dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden. Die Gesetzgebung kann Altersgrenzen festsetzen, bei deren Erreichung auf Lebenszeit angestellte Richter in den Ruhestand treten. Bei Veränderung der Einrichtung der Gerichte oder ihrer Bezirke können Richter an ein anderes Gericht versetzt oder aus dem Amte entfernt werden, jedoch nur unter Belassung des vollen Gehaltes.

28
Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist als maßgeblicher Zeitraum die in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierte Gesamtverfahrensdauer (vgl. Ott aaO § 198 GVG Rn. 78). Dies hat zur Konsequenz, dass Verzögerungen , die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bewirken. Es ist vielmehr im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu überprüfen, ob eingetretene Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 30 und vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 41 und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 37; Ott aaO § 198 GVG Rn. 79, 97, 100 f). Darüber hinaus wird eine Entschädigung für abschnittsbezogene Verzögerungen, die derart unbedeutend sind, dass sie gegenüber der Gesamtverfahrensdauer nicht ins Gewicht fallen, regelmäßig ausscheiden. Denn die durch die lange Verfahrensdauer verursachte Belastung muss einen gewissen Schweregrad erreichen. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus (BSG, NJW 2014, 248 Rn. 26).
27
aa) Für die Feststellung, ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, kommt es nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut auf die Umstände des Einzelfalls an, insbesondere auf die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benennt die Umstände , die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, nur beispielhaft ("insbesondere") und ohne abschließenden Charakter (BTDrucks. 17/3702 S. 18). Weitere gewichtige Beurteilungskriterien sind die Verfahrensführung durch das Gericht sowie die zur Verfahrensbeschleunigung, die nicht zum Selbstzweck werden darf, gegenläufigen Rechtsgüter, wobei vor allem die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gewährleistung der inhaltlichen Richtigkeit von Entscheidungen sowie die Grundsätze der richterlichen Unabhängigkeit und des gesetzlichen Richters in den Blick zu nehmen sind. Erforder- lich ist eine umfassende Gesamtabwägung aller Umstände (grundlegend Senatsurteile vom 14. November 2013 - III ZR 376/12, NJW 2014, 220 Rn. 25, 28, 32 ff; vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13 aaO Rn. 37, 40, 43 ff und vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13, BeckRS 2014, 03167 Rn. 36, 39 f, jeweils zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen.

(2) Die hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richter können wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, vor Ablauf ihrer Amtszeit entlassen oder dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden. Die Gesetzgebung kann Altersgrenzen festsetzen, bei deren Erreichung auf Lebenszeit angestellte Richter in den Ruhestand treten. Bei Veränderung der Einrichtung der Gerichte oder ihrer Bezirke können Richter an ein anderes Gericht versetzt oder aus dem Amte entfernt werden, jedoch nur unter Belassung des vollen Gehaltes.

(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.

(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

Tatbestand

1

I. Der Kläger begehrt gemäß § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) Entschädigung wegen der von ihm als unangemessen angesehenen Dauer eines vom 20. Februar 2004 (Klageeingang) bis zum 8. November 2012 (Kostenbeschluss nach Erledigung der Hauptsache) vor dem Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg anhängigen Klageverfahrens.

2

Dem Ausgangsverfahren liegt der folgende Sachverhalt zugrunde: Während der Kläger seinen Lebensmittelpunkt durchgängig in Deutschland hatte, verzog seine Ehefrau (E) mit den drei gemeinsamen Kindern im Jahr 2000 nach Nordirland. Dort besuchten die Kinder seitdem die Schule. Der Kläger trug während des Verfahrens vor, er sei an jedem Wochenende nach Nordirland geflogen, um seine Familie zu besuchen. Die Ferien hätten E und die Kinder bei ihm in Deutschland verbracht. Einkommensteuerrechtlich wurden der Kläger und E in Deutschland zusammen veranlagt, weil E auf ihren Antrag gemäß § 1 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt wurde.

3

Bis einschließlich Januar 2001 hatte E das Kindergeld bezogen. Im Jahr 2001 beantragte der Kläger bei der Familienkasse (der Beklagten des Ausgangsverfahrens) Kindergeld für seine drei in Nordirland lebenden Kinder. Die Familienkasse lehnte dies mit Bescheid vom 9. August 2002 zunächst mit der Begründung ab, die Kinder hätten weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Während des anschließenden Einspruchsverfahrens erließ die Familienkasse am 27. September 2002 Teilabhilfebescheide. Darin setzte sie zugunsten des Klägers dem Grunde nach Kindergeld fest, kürzte dessen Höhe jedoch um die kindergeldähnlichen Leistungen (child benefit), die E nach Auffassung der Familienkasse im Vereinigten Königreich zustanden. Im fortgeführten Einspruchsverfahren behauptete der Kläger, E erhalte in Nordirland kein Kindergeld. Auf die Bitte der Familienkasse, dies nachzuweisen, legte er eine Bescheinigung der für die Zahlung des child benefit in Nordirland zuständigen Behörde (Child Benefit Office --CBO--) vor, aus der sich ergab, dass E bisher keinen Antrag auf diese Leistung gestellt habe. Die Familienkasse wies den Einspruch am 29. Januar 2004 mit der Begründung zurück, E habe nach dem Recht des Vereinigten Königreichs einen Anspruch auf child benefit. Es komme nicht darauf an, dass die entsprechenden Leistungen mangels Antragstellung nicht ausgezahlt würden.

4

Hiergegen erhob der Kläger am 20. Februar 2004 Klage. Diese stützte er auf seine --bereits während des Verwaltungs- und Einspruchsverfahrens vertretene-- Auffassung, der Anspruch auf ungekürztes deutsches Kindergeld folge bereits daraus, dass sowohl er als auch E und die drei Kinder in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig seien. Der --für das Verfahren zugleich als Berichterstatter zuständige-- damalige Vorsitzende des FG-Senats erteilte dem Kläger am 7. Juni 2004 einen rechtlichen Hinweis, wonach es für die Frage, ob ausländische Familienleistungen anzurechnen seien, nicht auf eine etwaige unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland ankomme. Er bat den Kläger darum, sich mit der als schlüssig anzusehenden Auffassung der Familienkasse auseinanderzusetzen. Ferner bat er um Darstellung, weshalb E in Nordirland keinen Anspruch auf child benefit habe, sowie um Vorlage eines entsprechenden Ablehnungsbescheids der dortigen Behörde.

5

Der Kläger erklärte daraufhin, E habe in Nordirland einen entsprechenden Antrag gestellt; eine "formale Ablehnung" liege jedoch nicht vor. Er bat um eine angemessene Frist zur Beschaffung einer entsprechenden Bescheinigung aus Nordirland. Der Senatsvorsitzende erteilte dem Kläger am 2. Februar 2005 einen weiteren rechtlichen Hinweis und fragte am 24. März 2005 bei der Familienkasse an, ob auf der Grundlage von deren zwischenzeitlich präzisierter Rechtsauffassung eine Teilabhilfe möglich sei.

6

Damit endeten die gerichtlichen Aktivitäten zunächst. Der bisherige Senatsvorsitzende trat in den Ruhestand ein; bis Anfang 2008 wechselte der für das Verfahren zuständige Berichterstatter insgesamt vier Mal. Auch in diesem Zeitraum reichten der Kläger und die Familienkasse allerdings zahlreiche Schriftsätze beim FG ein; dieses beschränkte sich auf die Weiterleitung der Schriftsätze an den jeweils anderen Beteiligten. Am 3. April 2006 teilte die Familienkasse mit, sie habe die Verbindungsstelle in Nordirland um rechtliche Beurteilung gebeten und werde das FG unterrichten, sobald die Antwort vorliege. Am 12. Oktober 2006 übersandte die Familienkasse dem FG eine Zwischennachricht des CBO vom 19. September 2006. Danach habe dort kein Vorgang gefunden werden können. Das CBO habe gegenüber E angeregt, einen Antrag auf child benefit zu stellen und werde sich nach Eingang einer Antwort melden.

7

Das FG wurde wieder tätig, indem es am 13. November 2007, 10. Januar 2008 und 20. Februar 2008 drei Sachstandsanfragen an die Familienkasse richtete. Die Familienkasse erklärte, bisher liege keine Antwort des CBO vor. Nachdem weitere 14 Monate verstrichen waren, beraumte das FG am 17. April 2009 einen Erörterungstermin für den 15. Mai 2009 an. In diesem Termin überreichte die Berichterstatterin Ausdrucke der Internetseiten des CBO zu den Voraussetzungen des child benefit. Die Familienkasse erklärte, sie werde das volle Kindergeld zahlen, wenn feststehe, dass im Wohnsitzland der Kinder kein Anspruch auf child benefit bestehe. Der Kläger erklärte, E werde innerhalb eines Monats in Nordirland auf amtlichem Vordruck einen Antrag auf child benefit stellen und die Antragstellung gegenüber dem FG nachweisen. Die Berichterstatterin setzte ihm hierfür eine Frist gemäß § 79b der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Beteiligten erklärten sich damit einverstanden, dass das Verfahren ab dem Eingang des Nachweises über die Antragstellung bis zur Entscheidung über diesen Antrag ruhen solle.

8

Nachdem der Kläger die Antragstellung nachgewiesen hatte, beschloss die Berichterstatterin am 15. Juni 2009 das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung über den Antrag der E und sandte die Kindergeldakte am 26. Juni 2009 an die Familienkasse zurück. In der Folgezeit erkundigte sich das FG mehrfach beim Kläger nach dem Sachstand. Nachdem dieser keine Reaktion des CBO mitteilen konnte, regte das FG am 6. April 2010 an, dass die Familienkasse über ihre Verbindungsstelle anfrage, wie der Antrag der E beschieden worden sei. Die Familienkasse stellte am 10. Mai 2010 eine entsprechende Anfrage.

9

Das CBO antwortete am 31. August 2010, sie habe den Antrag der E am 30. März 2010 abgelehnt, weil kein Anspruch auf child benefit bestehe. Dieses Antwortschreiben ging am 15. September 2010 bei der Familienkasse ein, wurde dort aber unbearbeitet zur Kindergeldakte genommen. Gleiches geschah mit einer zweiten Ausfertigung des Antwortschreibens, die am 14. Oktober 2011 bei der Familienkasse einging.

10

Das FG, aus dessen Sicht die Antwort des CBO noch ausstand, richtete am 16. Februar 2011 das folgende Schreiben an die Familienkasse: "Wie soll verfahren werden? Erledigung innerhalb von 1 Monat". Am 11. Mai 2011 beschloss das FG die Aufnahme des Verfahrens und fasste einen Beweisbeschluss, wonach das Auswärtige Amt erklären solle, wie das CBO über den Antrag der E auf Gewährung von child benefit entschieden habe. Nachdem das Auswärtige Amt sich umgehend für unzuständig erklärt hatte, schrieb das FG am 25. Mai 2011 an die Beteiligten: "Ich bitte um Vorschläge, wie weiter verfahren werden soll."

11

Der Kläger erklärte, er begehre eine Entscheidung nach Aktenlage; die Familienkasse teilte mit, der Fall werde der Zentrale der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg berichtet, was allerdings letztlich ergebnislos blieb. Am 8. August 2011 rügte der Kläger die überlange Verfahrensdauer im Hinblick auf den seinerzeit von den gesetzgebenden Körperschaften beratenen Entwurf des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜberlVfRSchG). Am 10. August 2011 bat das FG den Kläger, eine Bescheinigung des CBO vorzulegen, wonach keine Familienleistungen bezogen würden. Der Kläger reichte eine solche Bescheinigung am 6. Dezember 2011 beim FG ein, das sie kommentarlos und ohne Fristsetzung der Familienkasse zur Stellungnahme übersandte. Am 16. Januar 2012 richtete das FG eine Sachstandsanfrage an die Familienkasse. Am 16. Februar 2012 ging beim FG ein Schriftsatz des Klägers vom 15. Februar 2012 ein, in dem es u.a. hieß: "Da sich das Verfahren mittlerweile seit Klageerhebung mit Klageschrift vom 16.02.2004 hinzieht, erscheint eine klare Richtungsvorgabe gegenüber dem Beklagten gerechtfertigt. Gelingt dies nicht, muss die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 02.09.2010 46344/06, Rumpf, NJW 2010, 3355 und die mittlerweile geschaffene Rechtsgrundlage Anwendung finden."

12

Die Familienkasse erklärte mit Schreiben vom 19. März 2012 "abschließend", rechtlich bestehe im Vereinigten Königreich allein aufgrund des dortigen Wohnsitzes der E und der drei Kinder ein Anspruch auf child benefit. Die fehlende Rückmeldung des CBO sei kein Indiz für das Fehlen eines solchen Anspruchs. "Etwaig" müsse das FG über das Bestehen eines Anspruchs in Nordirland entscheiden.

13

Mit einem am 23. März 2012 beim FG eingegangenen Schreiben vom 21. März 2012 erhob der Kläger "in Ergänzung zum Schreiben vom 15.02.2012" ausdrücklich Verzögerungsrüge und kündigte die Einleitung eines Entschädigungsklageverfahrens beim Bundesfinanzhof (BFH) an. Daraufhin forderte das FG bei der Familienkasse die Kindergeldakte wieder an, die am 26. April 2012 beim FG einging. In der Folgezeit bat das FG angesichts des Umstands, dass die bisherigen europarechtlichen Regelungen über die Zuständigkeit für die Gewährung von Familienleistungen in grenzüberschreitenden Fällen mit Wirkung zum 1. Mai 2010 geändert worden waren, die Beteiligten um Stellungnahme zum Kindergeldanspruch ab Mai 2010. Im Verlauf des sich hierzu entwickelnden Schriftwechsels regte das FG an, den Rechtsstreit, soweit er die Zeit ab Mai 2010 betreffe, zum Ruhen zu bringen, abzutrennen oder außerhalb des Klageverfahrens im Verwaltungsverfahren zu bearbeiten. Der Kläger erklärte daraufhin am 30. Juli 2012 die Rücknahme der Klage für die Zeiträume ab Mai 2010. Ferner holte das FG das Einverständnis der Beteiligten mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin und ohne mündliche Verhandlung ein.

14

Am 15. August 2012 bemerkte die Berichterstatterin, dass in der --ihr seit dem 26. April 2012 wieder vorliegenden-- Kindergeldakte das Antwortschreiben des CBO vom 31. August 2010 abgeheftet war. Sie bat die Familienkasse um vollständige Vorlage des Vorgangs sowie um Mitteilung, weshalb dieses Schreiben dem Gericht nicht unverzüglich übermittelt worden sei. Daraufhin erklärte die Familienkasse, dem Begehren des Klägers für Anspruchszeiträume bis zum Zugang der Einspruchsentscheidung (März 2001 bis Februar 2004) innerhalb des Klageverfahrens und für die späteren Anspruchszeiträume (März 2004 bis April 2010) außerhalb des Klageverfahrens abhelfen zu wollen. Nach Ergehen entsprechender Abhilfebescheide vom 16. Oktober 2012 erklärten die Familienkasse und der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Mit Kostenbeschluss vom 8. November 2012, der am 12. November 2012 mit einfachem Brief versandt wurde, legte das FG der Familienkasse die Kosten des Verfahrens auf.

15

Der Kläger hat am 21. November 2012 die vorliegende Entschädigungsklage erhoben. Ausgehend von einer als üblich anzusehenden Verfahrensdauer von drei Jahren begehrt er für einen Zeitraum von 68 Monaten eine Entschädigung für Nichtvermögensnachteile in Höhe von 7.200 €. Ferner begehrt er Ersatz für Überziehungszinsen, die seinem privaten Girokonto während des Klageverfahrens belastet worden sind und die er in Höhe von 14.985,16 € auf die verzögerte Auszahlung des Kindergelds zurückführt.

16

Er ist der Auffassung, eine detaillierte Untersuchung der einzelnen Verfahrensabschnitte erübrige sich, weil vorliegend sogar die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit acht Jahren angesetzte absolute Höchstdauer für ein instanzgerichtliches Verfahren überschritten sei. Im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer sei der staatlichen Seite auch das Verhalten der beteiligten Behörden zuzurechnen. Dies gelte nicht nur für die deutsche Familienkasse, sondern auch für die ausländischen Behörden, da die gegenteilige Handhabung dem "Gedanken der Europäischen Einheit" widersprechen würde.

17

Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger wegen der überlangen Dauer des Verfahrens vor dem FG Baden-Württemberg 13 K 50/04 (später 13 K 1691/11 und 6 K 1691/11) eine Entschädigung in Höhe von 22.185,16 € zu zahlen.

18

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

19

Er hält die Klage bereits für unzulässig, weil die --zwingend erforderliche-- Verzögerungsrüge nicht i.S. des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG "unverzüglich" nach Inkrafttreten dieses Gesetzes (3. Dezember 2011) erhoben worden sei. Hierfür sei als Obergrenze in der Regel ein Zeitraum von zwei Wochen anzusehen. Die erst am 23. März 2012 beim FG eingegangene Verzögerungsrüge sei daher erheblich verspätet gewesen.

20

Jedenfalls sei die Klage unbegründet, weil die Verfahrensdauer nicht unangemessen gewesen sei. Der Fall sei sowohl rechtlich als auch tatsächlich äußerst komplex gewesen. Das CBO und die nordirische Verbindungsstelle der Familienkasse hätten Anfragen nur sehr zögerlich beantwortet. Zudem müsse die richterliche Unabhängigkeit beachtet werden. Danach seien Umstände, die typischerweise Ausprägungen richterlichen Handelns und Entscheidens seien, keiner abweichenden Würdigung durch das Entschädigungsgericht zugänglich. Die beim FG seit 2008 zuständige Berichterstatterin sei sehr bemüht gewesen, zur Vermeidung des Eintritts der Festsetzungsverjährung in die Entscheidung auch die nach Erlass der Einspruchsentscheidung liegenden Anspruchszeiträume einzubeziehen, obwohl dies nach der BFH-Rechtsprechung nicht erforderlich gewesen wäre. Soweit damit eine Verfahrensverzögerung verbunden gewesen sei, wäre es unbillig, diesen Umstand im Entschädigungs-Rechtsstreit zum Vorteil des Klägers zu würdigen. Dem Kläger sei anzulasten, dass er zunächst unzutreffend behauptet habe, in Nordirland sei ein Antrag auf child benefit gestellt worden. Dieser Vortrag habe sich erst im Erörterungstermin --nach mehr als fünfjähriger Verfahrensdauer-- als unzutreffend herausgestellt, so dass der Antrag habe nachgeholt werden müssen. Das FG habe zudem nicht zu vertreten, dass die Familienkasse die Rückantwort des CBO vom 31. August 2010 nicht unverzüglich an das Gericht übermittelt habe. Zudem habe das FG häufig auf Bescheinigungen warten müssen, die der Kläger habe einreichen müssen.

Entscheidungsgründe

21

II. Der Senat entscheidet gemäß § 99 Abs. 1 FGO durch Zwischenurteil vorab über den Grund des Entschädigungsanspruchs. Insoweit ist der Rechtsstreit zur Entscheidung reif, während die Entscheidung über die Höhe der geltend gemachten Entschädigung für materielle Nachteile (Überziehungszinsen) wegen der Notwendigkeit weiterer Sachverhaltsermittlungen noch nicht ergehen kann und dem Endurteil vorbehalten bleibt.

22

Der Kläger hat die erforderliche Verzögerungsrüge noch "unverzüglich" nach dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG erhoben (dazu unter 1.). Die Dauer des Ausgangsverfahrens war unangemessen; allerdings betrifft die Verzögerung einen Zeitraum von 43 Monaten statt der vom Kläger genannten 68 Monate (unter 2.).

23

1. Der Kläger hat im Ausgangsverfahren eine Verzögerungsrüge so rechtzeitig angebracht, dass auch Entschädigungsansprüche für die Zeit vor dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG gewahrt sind. Die Frage der Erhebung bzw. Rechtzeitigkeit einer Verzögerungsrüge betrifft entgegen der Auffassung des Beklagten nicht die Zulässigkeit, sondern allein die Begründetheit der Entschädigungsklage (unter a). Zwar kann der vom Kläger bereits vor Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG angebrachte Hinweis auf die Verfahrensdauer nicht als Verzögerungsrüge i.S. des § 198 Abs. 3 GVG angesehen werden (unter b). Jedoch ist das Schreiben des Klägers vom 15. Februar 2012 als Verzögerungsrüge auszulegen (unter c). Diese Rüge ist noch als "unverzüglich" nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG erhoben anzusehen (unter d).

24

a) Anders als der Beklagte meint, hätte das Fehlen einer Verzögerungsrüge oder die nicht unverzügliche Erhebung einer solchen Rüge nicht die Unzulässigkeit der Entschädigungsklage zur Folge. Vielmehr ist die Verzögerungsrüge lediglich materielle Voraussetzung eines Anspruchs auf Geldentschädigung (ebenso Beschluss des Bundessozialgerichts --BSG-- vom 27. Juni 2013 B 10 ÜG 9/13 B, nicht veröffentlicht --n.v.--, unter II.2.b). Dies folgt bereits aus der Regelung des § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG, wonach die Feststellung einer überlangen Verfahrensdauer --die im Verfahren über eine Entschädigungsklage keinen gesonderten Antrag voraussetzt-- auch dann ausgesprochen werden kann, wenn die in § 198 Abs. 3 GVG genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

25

b) Das Schreiben des Klägers vom 8. August 2011 kann nicht als Verzögerungsrüge i.S. des § 198 Abs. 3 GVG angesehen werden. Zwar hat der Kläger schon in diesem Schreiben eine überlange Verfahrensdauer ausdrücklich unter Hinweis auf den seinerzeit von den gesetzgebenden Körperschaften beratenen Entwurf des ÜberlVfRSchG gerügt. Zu diesem Zeitpunkt war das ÜberlVfRSchG --und damit die Vorschrift des § 198 Abs. 3 GVG-- aber noch nicht in Kraft getreten. Das genannte Gesetz ist am Tage nach seiner Verkündung --d.h. am 3. Dezember 2011-- in Kraft getreten. Zwar gilt es auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten bereits anhängig waren (Art. 23 Satz 1 ÜberlVfRSchG). Für diese Verfahren enthält Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG aber die zusätzliche Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge "unverzüglich nach Inkrafttreten" erhoben werden muss. Eine bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes erhobene Verzögerungsrüge erfüllt diese Voraussetzung nicht.

26

c) Allerdings ist nicht erst das Schreiben des Klägers vom 21. März 2012 --in dem er erstmals ausdrücklich den Begriff "Verzögerungsrüge" verwendet hat--, sondern bereits das Schreiben vom 15. Februar 2012, das am 16. Februar 2012 beim FG eingegangen ist, als Verzögerungsrüge i.S. des § 198 Abs. 3 GVG anzusehen.

27

aa) Die genannte Vorschrift stellt keine besonderen Anforderungen an die Form oder den Mindestinhalt einer Verzögerungsrüge. In den Gesetzesmaterialien findet sich die --mit dem Gesetzeswortlaut in Einklang stehende-- Auffassung, eine Verzögerungsrüge könne auch mündlich erhoben werden (BTDrucks 17/3802, 22); auch brauche sie nicht begründet werden, insbesondere genüge ein schlichter Hinweis auf die bisherige Verfahrensdauer (BTDrucks 17/7217, 27). Aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des Gesetzes folgt daher, dass auch eine nicht ausdrücklich als "Verzögerungsrüge" bezeichnete Äußerung eines Verfahrensbeteiligten im Wege der Auslegung als Verzögerungsrüge i.S. des § 198 Abs. 3 GVG angesehen werden kann.

28

Bei der Verzögerungsrüge handelt es sich auch nicht um eine Prozesshandlung im engeren Sinne, weil sie auf das im Ausgangsverfahren bestehende Prozessrechtsverhältnis nicht unmittelbar rechtsgestaltend einwirkt. Die an Prozesshandlungen zu stellenden Anforderungen im Hinblick auf die Klarheit, Eindeutigkeit und Bedingungsfeindlichkeit derartiger Äußerungen gelten für Verzögerungsrügen daher nicht.

29

bb) Die erforderliche Auslegung des Schreibens des Klägers vom 15. Februar 2012 führt zu dem Ergebnis, dass es sich dabei um eine Verzögerungsrüge gehandelt hat. Der Kläger hat darin erklärt, "ohne eine klare Richtungsvorgabe" des FG gegenüber der Familienkasse müsse die Entscheidung des EGMR vom 2. September 2010  46344/06 --Rumpf/Deutschland-- (Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2010, 3355) "und die mittlerweile geschaffene Rechtsgrundlage" Anwendung finden. Mit dem vom Kläger genannten Urteil des EGMR ist die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet worden, innerhalb eines Jahres nach Endgültigkeit jener Entscheidung einen Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren einzuführen. Die vom Kläger bezeichnete "mittlerweile geschaffene Rechtsgrundlage" ist das ÜberlVfRSchG.

30

Ein Hinweis eines Verfahrensbeteiligten in einem seinerzeit bereits seit über acht Jahren anhängigen Gerichtsverfahren auf die Rechtsprechung des EGMR zu überlangen Verfahren und die für derartige Fälle neu geschaffene nationale Rechtsgrundlage kann aber --was bisher weder vom FG noch vom Beklagten erwogen worden ist-- nicht anders verstanden werden, als dass der Verfahrensbeteiligte damit eine aus seiner Sicht überlange Verfahrensdauer rügen möchte. Dies gilt im Streitfall erst recht angesichts des Umstands, dass der Kläger bereits vor dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG die Verfahrensdauer unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den seinerzeitigen Entwurf des ÜberlVfRSchG gerügt hatte.

31

d) Die Verzögerungsrüge vom 16. Februar 2012 ist unverzüglich nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG erhoben worden und hat damit Entschädigungsansprüche auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG gewahrt.

32

aa) Gemäß Art. 23 Satz 1 ÜberlVfRSchG gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten (3. Dezember 2011) bereits anhängig waren. War ein solches anhängiges Verfahren beim Inkrafttreten des Gesetzes bereits verzögert, gilt die in § 198 Abs. 3 GVG vorgesehene Obliegenheit zur Erhebung einer Verzögerungsrüge mit der Maßgabe, dass diese "unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss" (Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG). In diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch nach § 198 GVG auch für den vorausgehenden Zeitraum (Art. 23 Satz 3 ÜberlVfRSchG).

33

bb) Der Begriff "unverzüglich" bedeutet ein Handeln "ohne schuldhaftes Zögern" (§ 121 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--). Diese Legaldefinition gilt nach allgemeiner Auffassung auch über die Fälle des § 121 BGB hinaus, mithin gleichermaßen im öffentlichen Recht. Der Senat vermag dem Beklagten allerdings nicht darin zu folgen, dass auch die von der zivilgerichtlichen Rechtsprechung zu § 121 BGB in typisierender Betrachtungsweise vertretene Bejahung eines "schuldhaften Zögerns" bei Überschreitung einer Zwei-Wochen-Frist unbesehen auf alle anderen Rechtsbereiche zu übertragen ist, in denen der Gesetzgeber den Begriff "unverzüglich" verwendet.

34

Die angeführte Zwei-Wochen-Frist geht auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 14. Dezember 1979  7 AZR 38/78 (BAGE 32, 237, unter IV.2.) zurück. Darin wurde die für außerordentliche fristlose Kündigungen geltende zweiwöchige gesetzliche Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB auch zur Auslegung des Begriffs der "Unverzüglichkeit” in Fällen der Irrtumsanfechtung herangezogen.

35

Diese Übertragung der in § 626 BGB genannten Frist ist aber nicht in allen Fällen, in denen der Gesetzgeber den Begriff "unverzüglich” verwendet, sachgerecht. Vielmehr ist eine normspezifische Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals --bzw. der gesetzlichen Erläuterung "ohne schuldhaftes Zögern"-- in Abhängigkeit vom betroffenen Sachbereich, des in diesem Sachbereich typischerweise anzutreffenden Grades der Dringlichkeit, der Interessenlage der Parteien bzw. Beteiligten und dem jeweiligen Zweck des Unverzüglichkeitserfordernisses geboten und wird von der Rechtsprechung und Rechtspraxis auch entsprechend vorgenommen.

36

(1) So findet sich der Begriff "unverzüglich" auch im Zusammenhang mit der Rügepflicht beim Handelskauf (§ 377 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs --HGB--). Hier liegt auf der Hand, dass die schematische Anwendung einer Zwei-Wochen-Frist nicht sachgerecht wäre, insbesondere wenn es sich um verderbliche Waren handelt. § 377 Abs. 1 HGB ist im Interesse der im Handelsverkehr unerlässlichen schnellen Abwicklung der Handelsgeschäfte streng auszulegen (Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 30. Januar 1985 VIII ZR 238/83, BGHZ 93, 338, unter 5.c bb). Dementsprechend hat der BGH in der vorstehend angeführten Entscheidung ein zweiwöchiges Zuwarten --das in den Fällen des § 121 BGB noch hinzunehmen wäre-- nicht mehr als ausreichend angesehen. Vielmehr wird für den Regelfall --in Abhängigkeit von den Eigenschaften der betroffenen Ware-- nur die Wahrung einer Frist, die zwischen einigen Stunden und einer Woche beträgt, noch als angemessen angesehen (vgl. Emmerich/Hoffmann in Heymann, HGB, 2. Aufl., § 377 Rz 53 ff., m.w.N.).

37

(2) Gemäß § 34b Abs. 4 Nr. 2 EStG müssen Schäden infolge höherer Gewalt "unverzüglich" nach Feststellung des Schadensfalls der zuständigen Finanzbehörde mitgeteilt werden, damit die für außerordentliche Holznutzungen geltenden ermäßigten Steuersätze in Anspruch genommen werden können. Die Finanzverwaltung sieht dieses Erfordernis noch als gewahrt an, wenn die entsprechende Schadensmeldung spätestens bis zum Ablauf von drei Monaten nach Feststellung des Schadens eingereicht wird (Verfügung der Oberfinanzdirektion Magdeburg vom 5. Februar 2007 S 2232-14-St-212, Einkommensteuer-Kartei Sachsen-Anhalt § 34b EStG Karte 1, unter 1.).

38

(3) Auch in seiner Rechtsprechung zur unverschuldeten verspäteten Geltendmachung von Betriebskosten-Nachforderungen durch den Vermieter (§ 556 Abs. 3 Satz 3 BGB) wendet der BGH zur Bestimmung des Zeitraums, der dem Vermieter nach Wegfall des Hindernisses für die Nachholung der Geltendmachung zuzubilligen ist, nicht die aus der Rechtsprechung zu § 121 BGB abgeleitete Zwei-Wochen-Frist, sondern eine Drei-Monats-Frist an (vgl. Urteile vom 5. Juli 2006 VIII ZR 220/05, NJW 2006, 3350, unter II.2.b bb, und vom 12. Dezember 2012 VIII ZR 264/12, NJW 2013, 456).

39

cc) Die gebotene normspezifische Auslegung führt im Falle des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG zu dem Ergebnis, dass eine Zwei-Wochen-Frist nicht sachgerecht ist. Der Senat hält bei typisierender Betrachtung vielmehr eine Frist von drei Monaten für angemessen.

40

(1) Die zu § 121 BGB ergangene Entscheidung des BAG in BAGE 32, 237 ist auf die Situation, wie sie der Gesetzgeber mit dem Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG und der dazugehörigen Übergangsregelung geschaffen hat, bereits im Ausgangspunkt nicht übertragbar. § 121 BGB betrifft die Anfechtung eines Vertrags wegen eines Irrtums des Anfechtenden. Die Anfechtungsmöglichkeit besteht --in Abgrenzung zu den Fällen des § 123 BGB, für die der Gesetzgeber eine Jahresfrist vorsieht (§ 124 Abs. 1 BGB)-- gerade dann, wenn der andere Teil nichts zu dem Irrtum beigetragen hat. Daher kommt im Rahmen der erforderlichen Abwägung zwischen dem Interesse des Anfechtungsberechtigten an seiner Lösung von dem Vertrag und dem Interesse des Anfechtungsgegners am rechtlichen Bestand des Vertrags dem Schutz des Anfechtungsgegners ein hoher Stellenwert zu. Hinzu kommt, dass die Frist des § 121 BGB --ebenso wie die vom BAG herangezogene zweiwöchige Frist für die außerordentliche fristlose Kündigung nach § 626 Abs. 2 BGB-- erst beginnt, wenn der Anfechtungs- bzw. Kündigungsberechtigte positive Kenntnis von dem Anfechtungs- bzw. Kündigungsgrund hat; ein bloßes Kennenmüssen löst den Fristbeginn hingegen nicht aus.

41

Beide genannten Gesichtspunkte, die in den Fällen des § 121 BGB für eine eher strenge Auslegung des Tatbestandsmerkmals "unverzüglich" sprechen, sind in den Fällen des Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG nicht einschlägig. Hier liegt die wesentliche Ursache für die Erforderlichkeit der unverzüglichen Abgabe einer Erklärung nicht beim Erklärenden --im Fall des § 121 BGB dem Anfechtungsberechtigten, im Fall des ÜberlVfRSchG dem späteren Entschädigungskläger--, sondern beim Erklärungsempfänger. Denn vor allem das Gericht hat durch sein zögerliches Verhalten --unterstellt, die Verzögerungsrüge sei berechtigt-- die Ursache für die Erhebung der Verzögerungsrüge gesetzt. Zudem knüpft Art. 23 Satz 2 ÜberlVfRSchG den Beginn des zur Verfügung stehenden Zeitraums an ein rein objektives Kriterium --das Inkrafttreten des Gesetzes--; eine positive Kenntnis des Berechtigten von dem Ereignis, das den Fristenlauf auslöst, ist nicht erforderlich.

42

Beide Gesichtspunkte rechtfertigen und gebieten es, den Begriff der "Unverzüglichkeit" hier deutlich weniger streng auszulegen als bei § 121 BGB.

43

(2) Gleichwohl lässt sich der in der Entscheidung in BAGE 32, 237 enthaltene grundsätzliche methodische Ansatz des BAG, in verwandten Rechtsnormen genannte Fristen für eine normspezifische Konkretisierung des Begriffs "unverzüglich" heranzuziehen, auch vorliegend fruchtbar machen. So gilt für die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz --abweichend von der einmonatigen Regelfrist-- eine Frist von einem Jahr (§ 93 Abs. 3 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht --BVerfGG--). Beschwerden zum EGMR können innerhalb von sechs Monaten nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung erhoben werden (Art. 35 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten --EMRK--).

44

§ 93 Abs. 3 BVerfGG zeigt, dass der nationale Gesetzgeber in Fällen, in denen das Inkrafttreten eines Gesetzes einen Fristenlauf auslöst, die für die Erhebung von Rechtsbehelfen ansonsten allgemein übliche Monatsfrist nicht als ausreichend ansieht, sondern eine erheblich längere Frist gewährt. Die Sechs-Monats-Frist des Art. 35 Abs. 1 EMRK steht wiederum in einem sehr engen Zusammenhang zu dem in Entschädigungsklagefällen betroffenen Sachbereich, da mit dem ÜberlVfRSchG gerade die Rechtsprechung des EGMR umgesetzt werden sollte und weitere Verurteilungen der Bundesrepublik Deutschland durch den EGMR vermieden werden sollten.

45

In seinen Entscheidungen, die nach Inkrafttreten des ÜberlVfRSchG ergangen sind, verweist der EGMR die Beschwerdeführer auch in solchen Verfahren, die bei ihm bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes anhängig waren, auf den nationalen Rechtsbehelf der Entschädigungsklage. Er führt aber zugleich aus, dass er diese Position in Zukunft überprüfen werde, was insbesondere von der Fähigkeit der innerstaatlichen Gerichte abhängig sei, im Hinblick auf das ÜberlVfRSchG eine konsistente und den Erfordernissen der EMRK entsprechende Rechtsprechung zu etablieren (so ausdrücklich Entscheidung des EGMR vom 29. Mai 2012  53126/07 --Taron/Deutschland--, Europäische Grundrechte-Zeitschrift 2012, 514, Rz 45). Vor diesem Hintergrund hat der Senat auch die Erfordernisse eines effektiven Menschenrechtsschutzes zu berücksichtigen, mit dem eine kurze --den auch für bereits anhängige Fälle erforderlichen Rechtsschutz eher verhindernde als ermöglichende-- Zwei-Wochen-Frist nicht vereinbar wäre.

46

(3) Hiervon ausgehend hält der Senat eine Frist im Umfang der Hälfte der in Art. 35 Abs. 1 EMRK genannten Frist --d.h. drei Monate-- für erforderlich, um den Anforderungen der EMRK Rechnung zu tragen, aber auch für ausreichend, damit Prozessbevollmächtigte sämtliche von ihnen geführte Verfahren auf mögliche Verzögerungen analysieren können (a.A. ohne Begründung in einer nicht tragenden Erwägung für eine am 13. Februar 2012 erhobene Verzögerungsrüge Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. September 2012 L 38 SF 73/12 EK AS, n.v.; ebenso Oberlandesgericht Bremen, Urteil vom 4. Juli 2013  1 SchH 10/12 (EntV), NJW 2013, 3109, für eine am 23. Januar 2013 eingegangene Verzögerungsrüge).

47

Diese Frist hat der Kläger im Streitfall mit seinem am 16. Februar 2012 beim FG eingegangenen Schreiben gewahrt.

48

2. Die Dauer des Ausgangsverfahrens war unangemessen. Die Verzögerung beläuft sich entgegen der Auffassung des Klägers aber nicht auf 68 Monate, sondern auf 43 Monate.

49

a) Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Diese gesetzlichen Maßstäbe beruhen auf der ständigen Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- (näher dazu Senatsurteil vom 17. April 2013 X K 3/12, BFHE 240, 516, BStBl II 2013, 547, unter III.3.a).

50

Grundlage dieser Rechtsprechung ist zum einen die Regelung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, wonach jede Person ein Recht darauf hat, dass über Streitigkeiten von einem Gericht "innerhalb angemessener Frist verhandelt wird". Zum anderen folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) ein Anspruch auf gerichtliche Entscheidung über streitige Rechtsverhältnisse "in angemessener Zeit" (BVerfG-Beschluss vom 27. Juli 2004  1 BvR 1196/04, NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.).

51

b) Bei der Konkretisierung dieses Anspruchs des Verfahrensbeteiligten und bei der Ableitung der in § 198 GVG vorgesehenen Rechtsfolgen für den einzelnen Fall ist zu berücksichtigen, dass der Begriff der "Angemessenheit" für Wertungen offen ist. Dies ermöglicht es, dem Spannungsverhältnis zwischen einem möglichst zügigen Abschluss des Rechtsstreits und anderen, ebenfalls hochrangigen sowie verfassungs- und menschenrechtlich verankerten prozessualen Grundsätzen Rechnung zu tragen (allgemein zu diesem Spannungsverhältnis bereits Urteil des BSG vom 21. Februar 2013 B 10 ÜG 1/12 KL, Die Sozialgerichtsbarkeit --SGb-- 2013, 527, zur amtlichen Veröffentlichung in BSGE vorgesehen, unter 2.a aa, m.w.N.). Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck (so auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 11. Juli 2013  5 C 23.12 D, zur amtlichen Veröffentlichung in BVerwGE vorgesehen, unter 1.b bb (3)).

52

So könnte eine Überbeschleunigung von Verfahren in einen Konflikt mit dem --durch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG abgesicherten-- Anspruch auf Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes geraten, zu dessen Kernbereich die Schaffung gerichtlicher Strukturen gehört, die eine möglichst weitgehende inhaltliche Richtigkeit von Entscheidungen und ihre möglichst hohe Qualität gewährleisten. Ferner könnte der Grundsatz der Unabhängigkeit der Richter (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 97 Abs. 1 GG) berührt sein, sofern die Entschädigungsgerichte mittelbar in die Freiheit der Richter eingreifen würden, ihr Verfahren frei von äußeren Einflüssen zu gestalten. Auch der Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) könnte betroffen sein, wenn zunehmender Beschleunigungsdruck dazu führen würde, dass Verfahren bereits wegen kurzzeitiger, in der Person eines Richters liegender Erledigungshindernisse (z.B. einer nicht langfristigen Erkrankung oder einer lediglich als vorübergehend anzusehenden höheren Belastung durch anderweitige Verfahren) diesem Richter entzogen und einem anderen Richter zugewiesen werden.

53

Der erkennende Senat ist daher, um diesen gegenläufigen, ebenfalls hochrangigen Rechtsgrundsätzen Rechnung zu tragen, der Auffassung, dass die zeitliche Grenze bei der Bestimmung der Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens nicht zu eng gezogen werden darf. Die Dauer eines Gerichtsverfahrens ist nicht schon dann "unangemessen", wenn die Betrachtung eine Abweichung vom Optimum ergibt. Vielmehr muss eine deutliche Überschreitung der äußersten Grenze des Angemessenen festzustellen sein (ebenso BSG-Urteil in SGb 2013, 527, unter 2.a aa). Hinzu kommt, dass die Betrachtung des jeweiligen Verfahrensablaufs durch das Entschädigungsgericht notwendigerweise rückblickend vorgenommen wird und daher regelmäßig auf bessere Erkenntnisse gegründet ist als sie das Ausgangsgericht haben konnte.

54

Aus den genannten Gründen ist dem Ausgangsgericht ein erheblicher Spielraum für die Gestaltung seines Verfahrens einzuräumen (vgl. auch BVerwG-Urteil 5 C 23.12 D, unter 1.b bb (3)). So ist jedes Gericht --nicht nur ein Rechtsmittelgericht, das in besonderem Maße Verfahren von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden hat-- berechtigt, einzelne (ältere und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen, rechtlichen, persönlichen oder organisatorischen Zusammenhangs zu bestimmten Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder Rechtsfrage als dringlicher anzusehen als die Entscheidung anderer Fragen, auch wenn eine solche zeitliche "Bevorzugung" einzelner Verfahren jeweils denknotwendig zu einer längeren Dauer anderer Verfahren führt. Ebenso ist es hinzunehmen, wenn die --durch Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG im Einzelfall als geboten erscheinende und zum Kernbereich der durch Art. 97 Abs. 1 GG geschützten richterlichen Unabhängigkeit gehörende-- besonders intensive Befassung mit einem in tatsächlicher und/oder rechtlicher Hinsicht schwierig erscheinenden Verfahren notwendigerweise dazu führt, dass sich nicht allein die Dauer dieses Verfahrens verlängert, sondern während dieser Zeit auch eine Förderung aller anderen diesem Richter zugewiesenen Verfahren nicht möglich ist. Hinzu kommt, dass es aus nachvollziehbaren Gründen der öffentlichen Personalwirtschaft gerichtsorganisatorisch mitunter unvermeidbar ist, Richtern oder Spruchkörpern einen relativ großen Bestand an Verfahren zuzuweisen. Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren, die bei einem Gericht anhängig oder einem Spruchkörper bzw. Richter zugewiesen sind, ist aber aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art. 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK nicht verlangt.

55

Der damit vom Entschädigungsgericht den Ausgangsgerichten eingeräumte Gestaltungsspielraum dient dazu, dass Gerichte --ohne unangemessene Überbetonung allein des zeitlichen bzw. quantitativen Aspekts richterlicher Verfahrensgestaltung und Entscheidungsfindung-- in innerer und äußerer Freiheit und Unabhängigkeit inhaltlich möglichst zutreffende und qualitativ möglichst hochwertige Entscheidungen treffen können. Stets ist zu beachten, dass sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts verdichtet, sich nachhaltig um eine Förderung, Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG-Beschluss in NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.).

56

c) Die nach dem Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG --sowie nach der im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck kommenden Konzeption des EGMR und BVerfG-- damit im Vordergrund stehende Einzelfallbetrachtung schließt es aus, im Rahmen der Auslegung der genannten Vorschrift konkrete Fristen zu bezeichnen, innerhalb der ein Verfahren im Regelfall abschließend erledigt sein sollte (dazu unter aa) oder bei deren Überschreitung eine "absolute überlange Verfahrensdauer" anzunehmen sein soll, die ohne weitere Einzelfallbetrachtung zur Zuerkennung einer Entschädigung führen soll (unter bb).

57

aa) In der Literatur wird mitunter vertreten, der Rechtsprechung des EGMR sei zu entnehmen, dass die angemessene Verfahrensdauer grob ein Jahr pro Instanz betrage (Böcker, Deutsches Steuerrecht 2011, 2173, 2175, m.N. in Fn. 25; ders., Der Betrieb 2013, 1930, 1931).

58

Daran ist zutreffend, dass sich in mehreren Entscheidungen des EGMR die Formulierung findet, "one year per instance may be a rough rule of thumb in Article 6 § 1 cases" (ein Jahr pro Instanz mag eine grobe Faustregel in Fällen des Art. 6 Abs. 1 EMRK sein). Tragend war diese Formulierung aber für keine der Entscheidungen des EGMR, in denen sie verwendet worden ist. Ganz überwiegend sind diese Entscheidungen von vornherein nicht zu Art. 6 Abs. 1 EMRK ergangen, der den Anspruch auf Entscheidung "innerhalb angemessener Frist" enthält, sondern zu Freiheitsentziehungen i.S. des Art. 5 EMRK, der in Abs. 4 einen Anspruch auf gerichtliche Entscheidung "innerhalb kurzer Frist" vorsieht (zu Strafverfahren in der Russischen Förderation vgl. Entscheidungen des EGMR vom 7. April 2005  54071/00 --Rokhlina--; vom 8. November 2005  6847/02 --Khudoyorov--; vom 24. Mai 2007  27193/02 --Ignatov--, Rz 111; vom 9. Oktober 2008  62936/00 --Moiseyev--, Rz 160, und vom 26. November 2009  13591/05 --Nazarov--, Rz 126; zur zwangsweisen Unterbringung eines als "Psychopathen" eingestuften Straftäters in einer britischen Klinik vgl. EGMR-Urteil vom 20. Februar 2003  50272/99 --Hutchison Reid--, Rz 79). Im Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK findet sich diese Formel --ebenfalls nicht tragend-- in einer Entscheidung, die eine arbeitsrechtliche Streitigkeit wegen einer angeblichen Diskriminierung betraf (EGMR-Urteil vom 16. Januar 2003  50034/99 --Obasa--, Rz 35). Arbeitsrechtliche Streitigkeiten gehören aber grundsätzlich zu den Verfahrensarten, die besonders eilbedürftig sind (vgl. Peukert in Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 3. Aufl., Art. 6 Rz 262, m.w.N. auf die Rechtsprechung des EGMR). Insoweit enthalten auch die Vorschriften des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) seit jeher besondere Beschleunigungsgebote, die sich in den für andere Gerichtszweige geltenden Verfahrensordnungen nicht finden (z.B. § 9 Abs. 1, § 17 Abs. 2 Satz 2, § 47 Abs. 2, § 61a ArbGG).

59

Eine Entscheidung des EGMR, die tragend auf die "grobe Faustregel" einer angemessenen Verfahrensdauer von einem Jahr pro Instanz gestützt oder in der gar ein geringfügiges Überschreiten dieser zeitlichen Grenze als unangemessen angesehen worden wäre, ist weder in der Literatur nachgewiesen noch sonst ersichtlich.

60

Jedenfalls im Anwendungsbereich des § 198 GVG wäre eine Auslegung dieser Vorschrift dahingehend, eine Jahresfrist als "Faustregel" anzunehmen, schon durch die Entstehungsgeschichte dieser Norm ausgeschlossen. Im Gesetzgebungsverfahren war ausdrücklich beantragt worden, in das Gesetz eine Regelung aufzunehmen, wonach bei einer Verfahrenslaufzeit von mehr als einem Jahr die Unangemessenheit der Verfahrensdauer vermutet werden sollte. Dieser Antrag ist indes von der großen Mehrheit der Abgeordneten des Rechtsausschusses abgelehnt worden (zum Ganzen ausführlich BTDrucks 17/7217, 25).

61

bb) Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, ab einer --im Streitfall gegebenen-- Verfahrenslaufzeit von acht Jahren sei von einer "absoluten überlangen Verfahrensdauer" auszugehen, die eine Einzelfallprüfung entbehrlich mache, vermag der Senat dem ebenfalls nicht zu folgen. Zwar verdichtet sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung, Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG-Beschluss in NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.). Eine Bewertung der Umstände des Einzelfalls bleibt aber stets erforderlich. Selbst wenn es eine Grenze der "absoluten überlangen Verfahrensdauer" gäbe, wäre diese jedenfalls nicht bei acht Jahren zu ziehen (vgl. --unter Auswertung der Rechtsprechung des EGMR-- Peukert in Frowein/Peukert, a.a.O., Art. 6 Rz 249: erst eine Verfahrensdauer von zehn und mehr Jahren werde "grundsätzlich als nicht angemessen" bewertet).

62

d) Gleichwohl können angesichts der besonderen Bedingungen, die die im Vergleich zu anderen Gerichtsbarkeiten eher homogene Fallstruktur in der Finanzgerichtsbarkeit und die relativ einheitliche Bearbeitungsweise der einzelnen Gerichte und Spruchkörper mit sich bringen, für bestimmte typischerweise zu durchlaufende Abschnitte finanzgerichtlicher Verfahren --nicht jedoch für ihre Gesamtdauer-- zeitraumbezogene Konkretisierungen gefunden werden. Vorrang behält dennoch die stets vorzunehmende Einzelfallbetrachtung.

63

aa) Nach den Ausführungen unter c kann ein Regel- oder auch nur Anhaltswert für die Gesamtdauer eines Verfahrens nicht genannt werden. Dies folgt schon daraus, dass der Schwierigkeitsgrad des einzelnen Verfahrens sowohl rechtstatsächlich von entscheidender Bedeutung für die konkrete Verfahrensdauer ist als auch nach der Konzeption des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG zu den wesentlichen Merkmalen für die Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer gehört. Finanzgerichtliche Verfahren unterscheiden sich in ihrem Schwierigkeitsgrad und der dadurch hervorgerufenen Bearbeitungsintensität und -dauer so sehr voneinander, dass eine Generalisierung der Gesamtverfahrensdauer nicht möglich ist.

64

Auf der anderen Seite wird die höchstrichterliche finanzgerichtliche Rechtsprechung in Entschädigungssachen, schon zur Gewährleistung einer möglichst einheitlichen Rechtsanwendung und um der Rechtspraxis Anhaltspunkte für die Einschätzung der Erfolgsaussichten etwa zu erhebender Entschädigungsklagen zu geben, es nicht gänzlich vermeiden können, dort --unter Beachtung des Grundsatzes, dass die stets vorzunehmende Einzelfallbetrachtung Vorrang hat-- zeitraumbezogene Konkretisierungen vorzunehmen, wo derartige Konkretisierungen aufgrund vorgefundener Übereinstimmungen sowohl in der Struktur zahlreicher finanzgerichtlicher Verfahren als auch ihrer Bearbeitung durch die Gerichte vertretbar sind.

65

bb) Die Frage, ob zeitliche Konkretisierungen stets ausgeschlossen sind oder für bestimmte Fallgruppen eine Erleichterung der rechtlichen Beurteilung ermöglichen, wird in der bisherigen Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes zu § 198 GVG nicht einheitlich beurteilt. Dies beruht indes darauf, dass zwischen den einzelnen Gerichtsbarkeiten erhebliche Unterschiede sowohl in der Struktur und Streubreite der Verfahren als auch in den Verfahrensabläufen bestehen. So lehnt das BVerwG (Urteil 5 C 23.12 D, unter 1.b aa (2)) für instanzgerichtliche Verfahren der Verwaltungsgerichtsbarkeit jede Orientierung an Anhaltswerten ab und führt zur Begründung aus, die Struktur der zu entscheidenden Verfahren sei zu unterschiedlich. Demgegenüber sieht das BSG für Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde --deren Ablauf aufgrund der im Höchstfall drei Monate betragenden Begründungsfrist und des Umstands, dass in aller Regel Sachverhaltsermittlungen nicht vorgesehen sind, in besonderem Maße standardisiert ist, so dass die einzelnen Verfahren nur eine geringe Varianz zueinander aufweisen-- eine Regelfrist für die Gesamtbearbeitungsdauer von zwölf Monaten vor (BSG-Urteil in SGb 2013, 527, unter 2.a cc ccc).

66

cc) Dies vorausgeschickt, lässt sich für den ganz überwiegenden Teil der finanzgerichtlichen Klageverfahren zum einen feststellen, dass die jeweiligen Verfahrenssituationen und Streitgegenstände im Kern miteinander vergleichbar sind und eine erheblich geringere Varianz zueinander aufweisen als dies in der Verwaltungs- oder Zivilgerichtsbarkeit der Fall ist. In den meisten Fällen geht es darum, dass der Bürger sich gegen einen Geldanspruch wendet, den die Finanzverwaltung durch Steuerbescheid gegen ihn festgesetzt hat, oder --in Gestalt einer Steuervergütung-- seinerseits einen Geldanspruch von der Finanzverwaltung begehrt.

67

Darüber hinaus lässt sich feststellen, dass der Ablauf der weitaus meisten finanzgerichtlichen Klageverfahren im Wesentlichen einer Einteilung in drei Phasen folgt: Die erste Phase besteht in der Einreichung und im Austausch vorbereitender Schriftsätze (§ 77 Abs. 1 Satz 1 FGO) durch die Beteiligten. Das Gericht wird in dieser Phase zumeist nur insoweit tätig, als es eingehende Schriftsätze an den jeweils anderen Beteiligten weiterleitet; die Erteilung rechtlicher Hinweise durch das Gericht beschränkt sich --auch mangels Vorliegens der Akten der beklagten Behörde-- auf Ausnahmefälle. An das Ende dieses Schriftsatzaustausches schließt sich in der Regel eine Phase an, in der das Verfahren --gerichtsorganisatorisch durch die Gesamtanzahl der dem Spruchkörper oder Richter zugewiesenen Verfahren bedingt-- wegen der Arbeit an anderen Verfahren nicht bearbeitet werden kann. Der Beginn der dritten Phase ist dadurch gekennzeichnet, dass das Gericht Maßnahmen trifft, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen (z.B. Handlungen der Sachaufklärung, Erteilung rechtlicher Hinweise, sonstige in § 79 FGO genannte Anordnungen, in einfach gelagerten Fällen auch die sofortige Ladung zur mündlichen Verhandlung). Diese dritte Phase ist in besonderem Maße vom Schwierigkeitsgrad des Verfahrens, dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter --insbesondere von deren Reaktionsgeschwindigkeit auf gerichtliche Anfragen und Ermittlungshandlungen-- und der Intensität der Bearbeitung durch den hierfür berufenen Richter abhängig. Die Frage, welche Dauer für diese Phase --und damit auch für die Gesamtlaufzeit eines Verfahrens-- "angemessen" ist, entzieht sich daher jedem Versuch einer Typisierung oder zeitlichen Konkretisierung. Gleiches mag für die erste Phase gelten, da auch die Dauer des Wechsels vorbereitender Schriftsätze zwischen den Beteiligten häufig vom Schwierigkeitsgrad des Verfahrens sowie dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten abhängig sein wird.

68

Demgegenüber eignet sich die dargestellte zweite Phase eher für die Suche nach zeitlichen Konkretisierungen. Insbesondere ist sie in erster Linie gerichtsorganisatorisch bedingt, weist aber keinen Zusammenhang zum Schwierigkeitsgrad des einzelnen Verfahrens auf, da ein --vermeintlich-- höherer Schwierigkeitsgrad eines Verfahrens nicht als sachlicher Grund anzusehen wäre, ein solches Verfahren länger als vermeintlich einfachere Verfahren unbearbeitet zu lassen. Zugleich ist diese zweite Phase typischer finanzgerichtlicher Verfahren im Hinblick auf den Schutzzweck der §§ 198 ff. GVG von besonderer Bedeutung, da gerade während eines Zeitraums, in dem weder die Beteiligten noch das Gericht Aktivitäten entfalten, für den Verfahrensbeteiligten mit zunehmender Dauer dieses Zeitraums die Frage Bedeutung gewinnt, wann denn mit einer Förderung und Entscheidung "seines" Verfahrens zu rechnen sei. Demgegenüber ist in der ersten Phase, in der die Beteiligten aktiv sind, und in der dritten Phase, in der das Gericht das Verfahren in Richtung auf eine Entscheidung vorantreibt, die Betroffenheit des Verfahrensbeteiligten durch eine --unter Umständen längere-- Dauer dieser Verfahrensabschnitte geringer, weil das Verfahren jeweils gefördert wird. Die Dauer dieser Verfahrensabschnitte wird daher im Wesentlichen nur durch den aus der Rechtsprechung des BVerfG folgenden Gesichtspunkt begrenzt, wonach sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts verdichtet, sich nachhaltig um eine Förderung, Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (Beschluss in NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.).

69

dd) Vor diesem Hintergrund spricht bei einem finanzgerichtlichen Klageverfahren, das im Vergleich zu dem dargestellten Verfahrensablauf keine wesentlichen Besonderheiten aufweist, eine Vermutung dafür, dass die Dauer des Verfahrens angemessen ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen (vgl. hierzu bereits Senatsurteil in BFHE 240, 516, BStBl II 2013, 547, unter III.3.a b), und die damit begonnene ("dritte") Phase des Verfahrensablaufs nicht durch nennenswerte Zeiträume unterbrochen wird, in denen das Gericht die Akte unbearbeitet lässt.

70

Der erkennende Senat hat diesen für die Dauer der ersten beiden Phasen genannten, in einem Verfahren ohne Besonderheiten die Vermutung der Angemessenheit begründenden "Karenzzeitraum" von gut zwei Jahren anhand einer Abwägung der widerstreitenden Gesichtspunkte gewonnen. Ein solcher Zeitraum erscheint für den Regelfall als ausreichend, dem gerichtsorganisatorisch bedingten Faktum Rechnung zu tragen, dass zu einem richterlichen Dezernat zahlreiche Verfahren gehören, die aber nicht allesamt gleichzeitig mit dem erforderlichen Tiefgang bearbeitet werden können. Zugleich ermöglicht es dieser Zeitraum dem Richter an einem oberen Landesgericht (vgl. § 2 FGO), in Verantwortung für die inhaltliche Richtigkeit und das qualitativ hohe Niveau seiner Entscheidung sowie in Ausübung seiner richterlichen Unabhängigkeit gegebenenfalls von seinem Gestaltungsspielraum (siehe oben b) Gebrauch zu machen, indem er einzelne Verfahren zeitlich vorzieht oder besonders intensiv bearbeitet, und andere Verfahren dadurch notwendigerweise länger unbearbeitet lässt.

71

Auf der anderen Seite hält es der Senat dem Verfahrensbeteiligten noch für zumutbar, bis zu zwei Jahre auf den Beginn der zielgerichteten Bearbeitung durch das FG zu warten. Dabei ist entscheidend zu berücksichtigen, dass der Gegenstand finanzgerichtlicher Klageverfahren --anders als etwa die typische Streitigkeit aus dem Bereich des Arbeits-, Familien- oder Statusrechts oder des Rechts existenzsichernder Sozialleistungen (vgl. die auf die Rechtsprechung des EGMR gestützte Zusammenstellung eilbedürftiger Verfahrensarten bei Peukert in Frowein/Peukert, a.a.O., Art. 6 Rz 262)-- typischerweise nicht durch besondere Eilbedürftigkeit gekennzeichnet ist. Es geht in aller Regel um staatliche Geldansprüche, die zudem regelmäßig auf einen Bruchteil des Einkommens, Umsatzes oder der sonstigen Wirtschaftsteilhabe des Verfahrensbeteiligten beschränkt sind. Zudem gewähren Finanzverwaltung und -gerichte unter Anwendung relativ großzügiger Maßstäbe Aussetzung der Vollziehung, so dass die meisten Verfahrensbeteiligten während der Verfahrensdauer von der Pflicht zur Leistung der streitigen Steuern entweder befreit sind oder sich befreien lassen könnten.

72

Eine Frist von etwa zwei Jahren wird auch von großen Teilen der Literatur vertreten (Peukert in Frowein/Peukert, a.a.O., Art. 6 Rz 249: 1,5 bis zwei Jahre; Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl., Art. 6 Rz 199: zwei Jahre; Remus, NJW 2012, 1403, 1404: zwei bis drei Jahre). Sie entspricht zudem der tatsächlichen durchschnittlichen Dauer zulässiger Klageverfahren, die von den Finanzgerichten in den Jahren 2007 bis 2010 durch Urteil entschieden worden sind (Geschäftsbericht der Finanzgerichte der Bundesrepublik Deutschland für die Jahre 2009 und 2010, Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1578, 1581; vgl. aber zur eingeschränkten Aussagekraft statistischer Werte für die Konkretisierung des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG BVerwG-Urteil 5 C 23.12 D, unter 1.b aa (2)). Auch das BVerfG hat es --in Bezug auf sein eigenes Verfahren-- nicht als unangemessen angesehen, wenn bis zur Entscheidung über einen Schadensersatz-Geldanspruch ein Zeitraum von 27 Monaten verstrichen ist (BVerfG-Beschluss vom 3. April 2013  1 BvR 2256/10 - Vz 32/12, NJW 2013, 2341, unter II.1.c vor aa). Zwar beziehen sich alle vorstehend genannten Durchschnittswerte auf die gesamte Verfahrenslaufzeit, während der vom Senat genannte Zeitraum nur die beiden ersten Phasen eines typischen finanzgerichtlichen Verfahrens erfasst. Die damit verbundene Gewährung eines zusätzlichen Bearbeitungszeitraums rechtfertigt sich aber daraus, dass eine entschädigungspflichtige menschenrechts- und grundgesetzwidrige Verzögerung nur bei einer deutlichen Überschreitung der äußersten Grenze des Angemessenen festzustellen ist (vgl. oben b). Hinzu kommt, dass gerade bei einfach gelagerten Verfahren die dritte Phase der Bearbeitung sich häufig auf die Ladung zur und Durchführung der mündlichen Verhandlung oder eines Erörterungstermins beschränken wird, also nicht zu einer wesentlichen weiteren Verlängerung der Verfahrensdauer führt.

73

ee) Allerdings steht es jedem Verfahrensbeteiligten frei, das Gericht auf eine aus seiner Sicht gegebene besondere Eilbedürftigkeit des Verfahrens hinzuweisen. Dies zeigt auch die Regelung des § 198 Abs. 3 Satz 3 GVG, die Umstände erfasst, die für ein besonderes Beschleunigungsbedürfnis von Bedeutung sind (vgl. BTDrucks 17/3802, 21). Werden solche Gründe rechtzeitig und in nachvollziehbarer Weise vorgetragen, gilt die eingangs genannte Vermutung, die Verfahrensdauer sei angemessen, wenn die dritte Phase im Verfahrensablauf gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage beginnt, nicht. Vielmehr kommt es dann ausschließlich auf die besonderen Umstände des Einzelfalls an.

74

e) Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass das Ausgangsverfahren während eines Zeitraums von 43 Monaten in unangemessener Weise verzögert worden ist.

75

aa) Die Anwendung der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG beispielhaft genannten Kriterien vermittelt im Streitfall kein einheitliches Bild.

76

So war der Schwierigkeitsgrad des Verfahrens als überdurchschnittlich hoch anzusehen. Zum einen waren Sachverhaltsermittlungen im Ausland durchzuführen, die sich als äußerst langwierig gestalteten. Zum anderen waren sowohl ausländische als auch komplexe europäische Rechtsvorschriften anzuwenden. Die Auslegung der letztgenannten Vorschriften hat gerade während der Zeit der Anhängigkeit des Ausgangsverfahrens einer sehr dynamischen Entwicklung unterlegen.

77

Auf der anderen Seite war auch die Bedeutung des Verfahrens für den Kläger als überdurchschnittlich hoch einzuschätzen. Das Kindergeld stellt --obwohl es rechtstechnisch im EStG geregelt ist und als "Steuervergütung" bezeichnet wird (§ 31 Satz 3 EStG)-- eine Leistung zur Förderung der Familie (§ 31 Satz 2 EStG) dar, die ihren Förderzweck grundsätzlich nur erfüllen kann, wenn es den Berechtigten in zeitlichem Zusammenhang zum Anfallen der kindbedingten Unterhaltsaufwendungen ausgezahlt wird. Dies gilt ungeachtet dessen, dass der Kläger im vorliegenden Verfahren trotz eines entsprechenden Hinweises des Beklagten keine Angaben zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen gemacht hat, so dass nicht festgestellt werden kann, dass er auf die möglichst zügige Auszahlung des Kindergelds ebenso angewiesen war wie ein Empfänger solcher Sozialleistungen, die zur Existenzsicherung und ausschließlich in Fällen einer konkreten Bedürftigkeit gezahlt werden.

78

Das Verhalten Dritter hat in erheblichem Maße zu der letztlich erreichten Verfahrensdauer von mehr als acht Jahren beigetragen. So war lange Zeit unklar, ob E --die am Klageverfahren nicht beteiligt war und deren Verhalten dem Kläger nicht zuzurechnen ist-- überhaupt einen Kindergeldantrag in Nordirland gestellt hatte. Auch erteilte E nur sehr schleppend Auskünfte über die ihr gegenüber ergangenen Entscheidungen der CBO; ebenso haben die CBO selbst sowie die nordirische Verbindungsstelle der Familienkasse jeweils längere Zeit benötigt, um Auskünfte gegenüber der Familienkasse zu erteilen. Die Familienkasse als Verfahrensbeteiligte hat insoweit zu einer nennenswerten Verfahrensverzögerung beigetragen, als sie die --letztlich streitentscheidende-- Antwort der CBO nicht an das FG weitergeleitet, sondern unbearbeitet zu ihren Akten genommen hat.

79

bb) Die vom Senat erkannte Verzögerung um 43 Monate ergibt sich aus einer Betrachtung des konkreten Verfahrensablaufs.

80

(1) Das seit dem 20. Februar 2004 beim FG anhängige Ausgangsverfahren ist bereits unmittelbar nach seinem Eingang sehr zielgerichtet durch den damaligen Vorsitzenden gefördert worden. Dieser hat am 7. Juni 2004 einen rechtlichen Hinweis an den Kläger gerichtet, der der rechtlichen und tatsächlichen Problematik des Falles umfassend gerecht geworden, vom Kläger aber nur unzureichend aufgegriffen worden ist. Weitere Hinweise des damaligen Senatsvorsitzenden folgten am 2. Februar 2005 und 24. März 2005. Danach hat das FG seine Tätigkeit indes für einen mehrjährigen Zeitraum eingestellt.

81

(2) Geht man nach den unter d dargelegten Grundsätzen davon aus, dass die Angemessenheit der Verfahrensdauer zu vermuten ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen, und berücksichtigt man zusätzlich, dass der damalige Senatsvorsitzende bereits während des Wechsels der vorbereitenden Schriftsätze zwischen den Beteiligten zielgerichtete rechtliche Hinweise erteilt hatte, was eine gewisse Verlängerung der Regelfrist rechtfertigt, hätte das FG das Verfahren im zweiten Halbjahr 2006 wieder aufgreifen und durch kontinuierliches Tätigwerden zur Entscheidungsreife führen müssen. Da zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits die Familienkasse eigenständig mit Ermittlungen in Nordirland begonnen hatte, war es unter den besonderen Umständen des Streitfalls für das FG sachgerecht, den Ausgang dieser Ermittlungen zunächst abzuwarten. Daher ist die Regelfrist hier um weitere sechs Monate zu verlängern. Spätestens ab dem Beginn des Jahres 2007 --das Verfahren war seinerzeit bereits fast drei Jahre anhängig-- genügte es aber nicht mehr, lediglich das eigenständige (und bisher nicht zu konkreten Ergebnissen führende) Handeln der Familienkasse zu beobachten. Vielmehr hätte das FG entweder selbst --notfalls, wie wesentlich später auch tatsächlich geschehen, über den Kläger-- darauf hinwirken müssen, dass E in Nordirland einen bearbeitungsfähigen Kindergeldantrag stellt, oder aber im Wege der ihm obliegenden Sachaufklärung den Inhalt des im Vereinigten Königreich geltenden Kindergeldrechts ermitteln müssen.

82

(3) Seit Januar 2007 war das Verfahren daher als verzögert anzusehen. Die Verzögerung wurde auch nicht durch die zwischen November 2007 und Februar 2008 an die Familienkasse gerichteten Sachstandsanfragen des FG unterbrochen. Denn in diesem Verfahrensstadium war --wie vorstehend unter (2) dargelegt-- das bloße Abwarten der Ergebnisse der eigenen Ermittlungen der Familienkasse nicht mehr ausreichend. Die Verzögerung des Verfahrens endete vielmehr --vorläufig-- erst mit der im April 2009 ergangenen Ladung zum Erörterungstermin. Von Januar 2007 bis März 2009 ist danach eine unangemessene Verfahrensverzögerung von 27 Monaten zu verzeichnen.

83

(4) Mit Zustimmung der Beteiligten hat das FG am 15. Juni 2009 das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Die Zeit eines einvernehmlichen förmlichen Ruhens des Verfahrens kann grundsätzlich nicht als unangemessen im Hinblick auf die Gesamtverfahrensdauer angesehen werden, da jeder Beteiligte die Möglichkeit hat, den Eintritt des Ruhens durch Versagung seiner erforderlichen Zustimmung zu verhindern.

84

Allerdings endet die Wirkung eines Ruhensbeschlusses von selbst, sobald das in diesem Beschluss genannte Ereignis eintritt (BFH-Beschluss vom 9. August 2007 III B 187/06, BFH/NV 2007, 2310). Für den konkreten Zeitpunkt, zu dem die Wirkung eines Ruhensbeschlusses endet, ist dabei die Formulierung des jeweiligen Beschlusstenors maßgebend. So endet ein "bis zum Ergehen" einer bestimmten obergerichtlichen Entscheidung angeordnetes Ruhen bereits mit dem --objektiven-- Ergehen der Entscheidung im bezeichneten Musterverfahren; ob das Gericht oder die Beteiligten im bisher ruhenden Verfahren Kenntnis von der obergerichtlichen Entscheidung haben, ist ohne Belang (BFH-Beschluss vom 8. Januar 2013 V B 23/12, BFH/NV 2013, 748). Ebenso kommt es zur Beurteilung des vorliegenden Falles, in dem das FG das Ruhen "bis zur Entscheidung" über den Antrag der E angeordnet hatte, allein auf das objektive Ergehen dieser Entscheidung an, nicht aber auf die entsprechende Kenntniserlangung durch das FG. Damit ruhte das Ausgangsverfahren ab dem 30. März 2010, dem Datum der Entscheidung der CBO, nicht mehr.

85

(5) Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Ausgangsverfahren ab diesem Zeitpunkt wieder als unangemessen verzögert anzusehen wäre. Vielmehr ist im Rahmen der Beurteilung der Angemessenheit zu berücksichtigen, dass das FG vom objektiven Wegfall des Ruhensgrunds keine Kenntnis haben konnte. Zudem hat das FG die Familienkasse bereits am 6. April 2010 gebeten, über deren nordirische Verbindungsstelle Ermittlungen zum Schicksal des Kindergeldantrags zu führen. Dies war sachgerecht.

86

Nach Auffassung des Senats durfte das FG in diesem Verfahrensstadium allerdings nicht länger als sechs Monate auf eine Antwort warten. Zwar nehmen Ermittlungen, die im Wege der Einschaltung ausländischer Behörden geführt werden, erfahrungsgemäß deutlich längere Zeiträume in Anspruch als vergleichbare Ermittlungen im Inland. Auf der anderen Seite sind die Verbindungsstellen der Familienkassen gerade deshalb geschaffen worden, um im Interesse der Verfahrensbeschleunigung einen unmittelbaren Verkehr zwischen den beteiligten Fachbehörden zu ermöglichen (vgl. Art. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern), ohne den komplizierten und zeitraubenden Weg eines Rechtshilfeersuchens zu gehen. Zudem war das Verfahren beim Beginn dieser Ermittlungen bereits seit über sechs Jahren anhängig und schon erheblich verzögert. In einem solchen Fall verdichtet sich --wie bereits ausgeführt-- die Pflicht des Gerichts, auf eine ununterbrochene Förderung des Verfahrens hinzuwirken. Angesichts des Umstands, dass im gesamten Verlauf des bisherigen Verfahrens keine brauchbaren Unterlagen aus Nordirland beim FG eingegangen waren, durfte es sich nicht allein auf die Antwortbereitschaft der ausländischen Behörde verlassen. Spätestens im November 2010 hätte das FG daher auf anderem Wege tätig werden müssen. Tatsächlich ist es jedoch erst am 10. August 2011 --auf Drängen des Klägers-- tätig geworden, indem es diesen um die Vorlage einer Bescheinigung des CBO gebeten hat. Für den Zeitraum von November 2010 bis Juli 2011 ist somit eine weitere unangemessene Verzögerung von neun Monaten zu verzeichnen.

87

(6) Der Kläger reichte die angeforderte Bescheinigung am 6. Dezember 2011 beim FG ein. Danach hätte das FG angesichts der bereits erreichten Verfahrensdauer von knapp acht Jahren umgehend mit der abschließenden Bearbeitung des Verfahrens beginnen müssen. Allein die kommentarlose Übersendung der Bescheinigung an die Familienkasse kann nach nahezu achtjähriger Verfahrensdauer nicht als ausreichende Verfahrensförderung angesehen werden, zumal das FG selbst diese Bescheinigung angefordert hatte und sich daher gegenüber den Beteiligten zumindest dazu hätte äußern können, ob die Bescheinigung die Erwartungen, die das FG bei dessen Anforderung hegte, erfüllen konnte.

88

Tatsächlich hat das FG erst auf die wiederholten Verzögerungsrügen des Klägers am 26. März 2012 die Kindergeldakten bei der Familienkasse angefordert und die Akten im August 2012 durchgesehen; diese Aktendurchsicht führte dann am 15. August 2012 zu rechtlichen Hinweisen an die Beteiligten und --ohne weitere Verzögerung-- zu einer Beendigung des Ausgangsverfahrens durch behördliche Abhilfe und die Abgabe von Hauptsacheerledigungserklärungen. Im Zeitraum von Januar bis Juli 2012 ist daher eine weitere unangemessene Verzögerung von sieben Monaten eingetreten.

89

Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, dass das FG sich in der Zeit ab dem 20. April 2012 bemüht hat, die Erledigung eines Verfahrens über "Kindergeld ab Mai 2010" zu erreichen. Ein solches Verfahren war zu keinem Zeitpunkt beim FG anhängig. Die --auch teilweise-- Ablehnung einer Kindergeldfestsetzung entfaltet vielmehr nur bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung Bindungswirkung (BFH-Beschluss vom 19. Dezember 2008 III B 163/07, BFH/NV 2009, 578, m.w.N. auf die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung zu dieser Frage), hier also bis Januar 2004. Wenn das FG sich um die Beendigung eines solchen, nur vermeintlich bei ihm anhängigen Verfahrens bemüht, kann dies nicht dazu führen, dass das tatsächlich anhängige, bereits erheblich verzögerte Verfahren während eines weiteren Zeitraums unbearbeitet bleiben darf. Soweit der Beklagte das Vorgehen des FG damit zu erklären versucht, die dortige Berichterstatterin habe den Eintritt der Festsetzungsverjährung verhindern wollen, überzeugt dies nicht. Für Anspruchszeiträume ab Mai 2010 drohte im Jahr 2012 erkennbar noch keine Festsetzungsverjährung. Für Zeiträume ab Februar 2004 --für die aufgrund entsprechender Erklärungen der Familienkasse der Eintritt der Festsetzungsverjährung ebenfalls nicht drohte-- sind keine Maßnahmen des FG feststellbar, die zusätzlich zu den bereits für den Streitzeitraum (März 2001 bis Januar 2004) ergriffenen Maßnahmen getroffen worden wären und insoweit zu einer Verlängerung des Verfahrens hätten führen können.

90

(7) Danach ist das Verfahren von Januar 2007 bis März 2009 (27 Monate), November 2010 bis Juli 2011 (neun Monate) und Januar bis Juli 2012 (sieben Monate) unangemessen verzögert worden, insgesamt also während eines Zeitraums von 43 Monaten.

91

cc) Die vorstehend vorgenommene Beurteilung lässt entgegen der Auffassung des Beklagten keinen Raum mehr dafür, die unzutreffende Angabe des Klägers zu Beginn des Ausgangsverfahrens, in Nordirland sei bereits damals ein Kindergeldantrag gestellt worden, zur Rechtfertigung der langen Verfahrensdauer heranzuziehen. Vielmehr hat der Senat die Wartezeit auf die Antragstellung, Antragsbearbeitung und Entscheidungsbekanntgabe in Nordirland im Rahmen der vorstehend unter bb vorgenommenen Würdigung der Umstände des Einzelfalls bereits hinreichend bei der Bemessung der noch als angemessen anzusehenden Verfahrensdauer berücksichtigt.

92

Umgekehrt vermag der Senat auch der Auffassung des Klägers nicht zu folgen, das Verhalten aller in das Ausgangsverfahren einbezogenen in- und ausländischen Behörden sei dem Beklagten zuzurechnen, so dass die Wartezeit auf behördliche Entscheidungen keinerlei Verfahrensverlängerung rechtfertige. Das "Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter" ist vielmehr gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG als eines von mehreren Merkmalen in die Bewertung und Gewichtung der Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Soweit das FG das Verhalten von --insbesondere ausländischen-- Behörden nicht beeinflussen kann, ist ihm dieses Verhalten nicht unmittelbar zuzurechnen. Es hat lediglich die --sich mit zunehmender Verfahrensdauer verdichtende-- Pflicht, das Verfahren zu fördern.

93

3. Die Entscheidung über die Höhe des Entschädigungsanspruchs bleibt dem Betragsverfahren bzw. Endurteil vorbehalten. Gleiches gilt für die Kostenentscheidung.

28
b) Unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer dann, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (vgl. BVerwG aaO 5 C 23.12 D Rn. 37 und 5 C 27.12 D Rn. 29).

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Landgericht Mannheim - 24 AktE 43/86 - die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz gemäß Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 3 Grundgesetz) verletzt.

2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

3. ...

4. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 50.000 € (in Worten: fünfzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein aktienrechtliches Spruchverfahren, das vor dem Landgericht 22 Jahre gedauert hat und derzeit noch bei dem Oberlandesgericht anhängig ist. Die Beschwerdeführer waren Aktionäre der damals so firmierenden B. AG (jetzt A. AG) in Mannheim, die im Jahr 1986 einen Beherrschungsvertrag mit ihrer Mehrheitsaktionärin, der B. AG in B., Schweiz, abschloss. Die Beschwerdeführer stellten gemeinsam mit weiteren Aktionären in einem im Jahr 1986 eingeleiteten Verfahren nach dem Aktiengesetz (entsprechend dem heutigen Spruchverfahren) einen Antrag auf Bestimmung eines angemessenen Ausgleichs und einer Abfindung, über den das Landgericht im Jahr 2008 entschied und einen Ausgleich pro Aktie sowie eine Abfindung für die antragstellenden Aktionäre - darunter die Beschwerdeführer - festsetzte. Im Januar 2011 wies das Oberlandesgericht mit dem durch die Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss die sofortigen Beschwerden der Beschwerdeführer, der weiteren Antragsteller und der Antragsgegnerinnen zurück. Hiergegen erhoben die Beschwerdeführer sowie ein weiterer Antragsteller Anhörungsrüge gemäß § 321a ZPO. Mit weiterem, ebenfalls mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenem Beschluss berichtigte das Oberlandesgericht seinen Beschluss durch Streichung eines Klammerzusatzes in der Begründung. Es stellte fest, die Anhörungsrüge der Beschwerdeführer sei damit erledigt und setzte auf die Anhörungsrüge eines anderen Antragstellers das Spruchverfahren hinsichtlich der Ermittlung des Beta-Faktors für die Unternehmensbewertung fort. Durch Beweisbeschluss beauftragte es einen Sachverständigen mit der Erstellung eines ergänzenden Gutachtens zu dieser Frage.

II.

2

1. Die Beschwerdeführer wenden sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen den Beschwerdebeschluss des Oberlandesgerichts vom Januar 2011 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses sowie - wie der Zusammenhang ihres Vorbringens ergibt - gegen die ihres Erachtens überlange Dauer des Spruchverfahrens. Sie rügen eine Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Rechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG. Das Oberlandesgericht habe es in verfassungswidriger Weise unterlassen, die Dauer des Verfahrens bei der Bemessung des Ausgleichs und der Abfindung angemessen mit zu entgelten. Das Gericht sei zu verpflichten, die nach den Wert- und Preisverhältnissen im Jahr 1986 festgesetzte Abfindung um denjenigen Betrag zu erhöhen, der sie für den Zeitpunkt der Auszahlung angemessen erscheinen lasse. Im Übrigen beanstanden sie aber auch generell, das Spruchverfahren habe insgesamt unvertretbar lange gedauert.

3

2. Die Bundesregierung, die baden-württembergische Landesregierung und die Beteiligten des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Akten des Ausgangsverfahrens liegen vor.

III.

4

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, soweit sich die Beschwerdeführer gegen die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Landgericht wenden; im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

5

1. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung ist zur Durchsetzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG angezeigt, soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Landgericht richtet (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Insoweit sind die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine stattgebende Kammerentscheidung erfüllt. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; 60, 253 <269>; 93, 1 <13>). Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit offensichtlich begründet.

6

a) Für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten gewährleistet Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) einen wirkungsvollen Rechtsschutz im materiellen Sinne (vgl. BVerfGE 82, 126 <155>; 93, 99 <107>). Daraus ergibt sich die Verpflichtung der Fachgerichte, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; 60, 253 <269>; 93, 1 <13>). Die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens ist stets nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>). Es gibt keine allgemein gültigen Zeitvorgaben; diese können auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht entnommen werden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 1997 - 1 BvR 711/96 -, NJW 1997, S. 2811; EGMR, III. Sektion, Urteil vom 11. Januar 2007 - 20027/02 Herbst / Deutschland -, NVwZ 2008, S. 289 <291> Rn. 75). Die Verfahrensgestaltung obliegt in erster Linie dem mit der Sache befassten Gericht. Sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, muss das Gericht hierfür zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festlegen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>).

7

Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Frage, ab wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Natur des Verfahrens und die Bedeutung der Sache für die Parteien (vgl. BVerfGE 46, 17 <29>), die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer auf die Beteiligten (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 6. Mai 1997 - 1 BvR 711/96 -, NJW 1997, S. 2811 <2812>), die Schwierigkeit der Sachmaterie, das den Beteiligten zuzurechnende Verhalten, insbesondere Verfahrensverzögerungen durch sie sowie die gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, vor allem der Sachverständigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>). Dagegen kann sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Oktober 2003 - 1 BvR 901/03 -, NVwZ 2004, S. 334 <335>). Ferner haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000, a.a.O., S. 215).

8

b) Daran gemessen ist die Dauer des Verfahrens vor dem Landgericht mit dem Recht der Beschwerdeführer auf effektiven Rechtsschutz unvereinbar. Es ist nach Abwägung sämtlicher Umstände verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbar, dass erst nach 22 Jahren erstinstanzlich über den Antrag der Beschwerdeführer entschieden wurde.

9

Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Gesamtdauer des Verfahrens ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Rechtssache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht kompliziert ist und die Einholung von ihrerseits komplexen Gutachten sowie ergänzenden Stellungnahmen der Gutachter erforderte, die sich mit Fragen der Bewertung zweier großer Unternehmen befassten und in der Erstellung sehr aufwändig waren. Die Bevollmächtigten der Antragsgegnerinnen weisen zu Recht darauf hin, dass es schon ungewöhnlich schwierig und zeitlich aufwändig war, einen geeigneten Gutachter zu finden, nachdem mehrere Sachverständige den Gutachtenauftrag aus unterschiedlichen Gründen ablehnten und zurückgaben. Weitere Schwierigkeiten ergaben sich aus der Vielzahl der Verfahrensbeteiligten und dem Umfang und der Anzahl der eingereichten Schriftsätze und Stellungnahmen.

10

Andererseits ergibt sich aus der beigezogenen Verfahrensakte, dass das Landgericht das Verfahren nicht in ausreichendem Maße betrieben und gefördert hat. Bereits kurz nach Einleitung des Verfahrens finden sich mehrmonatige Zeiträume, während derer keine verfahrensleitenden Verfügungen getroffen wurden und der faktische Stillstand des Verfahrens auch nicht aus anderen Gründen veranlasst war. So wurde erst im Februar 1990, das heißt knapp vier Jahre nach Einleitung des Verfahrens, ein Beweisbeschluss erlassen. Nachdem der zunächst beauftragte Gutachter im Januar 1991 mitgeteilt hatte, er sei mangels ausreichender Kapazität von fachlichen Mitarbeitern nicht in der Lage, den Gutachtenauftrag zu übernehmen, wurde erst im November 1991 ein anderes Unternehmen mit der Gutachtenerstattung beauftragt. Inwiefern das Verfahren in den Jahren 1992 bis zur Einlegung der sofortigen Beschwerden gegen Zwischenentscheidungen des Landgerichts im Jahr 1995 gefördert wurde, ist den Akten des Ausgangsverfahrens nicht zu entnehmen. Überdies ist es trotz aller nachvollziehbaren Schwierigkeiten bei der Auswahl eines für diesen Gutachtenauftrag geeigneten Sachverständigen und dessen Anleitung am Maßstab effektiver Rechtsschutzgewährung gemessen nicht akzeptabel, dass die Erstattung des Gutachtens aufgrund des Beweisbeschlusses vom August 2000 erst im September 2004 erfolgte und die den Akten zu entnehmende Verfahrensförderung gegenüber dem Sachverständigen sich auf zwei Sachstandsanfragen und eine "Anmahnung" beschränkte. Im Blick auf die schon bis dahin zu verzeichnende Gesamtdauer des Verfahrens von mehr als 13 Jahren waren nachhaltigere Beschleunigungsbemühungen geboten (vgl. etwa § 411 ZPO).

11

Soweit die Beschwerdeführer die überlange Verfahrensdauer vor dem Oberlandesgericht rügen, begegnet die Dauer von bislang drei Jahren in Anbetracht der Komplexität der Materie hingegen noch keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Oberlandesgericht wird allerdings alle zu Gebote stehenden Maßnahmen zu ergreifen haben, um das Verfahren vorrangig und zeitnah abzuschließen.

12

2. Im Übrigen liegen die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung nicht vor (§ 93a BVerfGG). Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Rechte aus Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG rügen und sich gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts wenden, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil der Rechtsweg nicht erschöpft ist. Das Oberlandesgericht hat auf die Anhörungsrüge eines anderen Antragstellers das Spruchverfahren hinsichtlich der Ermittlung des Beta-Faktors fortgesetzt und durch Beweisbeschluss einen Sachverständigen mit der Erstellung eines ergänzenden Gutachtens zu dieser Frage beauftragt. Das Verfahren ist deshalb noch nicht rechtskräftig abgeschlossen.

13

3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2, 3 BVerfGG. Die Verfassungsbeschwerde hat überwiegend Erfolg.

14

Der nach § 37 Abs. 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG festzusetzende Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit beträgt 50.000 €. Dies rechtfertigt sich aus der objektiven Bedeutung der Sache sowie Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, die Besonderheiten aufweisen, welche eine deutliche Erhöhung des Mindestwertes veranlassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um eine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer.

2

Die Klägerin ist Polizeiobermeisterin und leistete ihren Dienst in der Revierstation B. S. Wegen des Vorwurfs der unrichtigen Abrechnung privater Telefonate wurde sie an die Revierstation G. umgesetzt. Ein erster Verwaltungsprozess wurde im Hinblick auf die Ankündigung des Beklagten, die Klägerin Ende 2008 wieder in ihre frühere Revierstation umzusetzen, für erledigt erklärt. Nachdem der Beklagte entgegen dieser Ankündigung die Umsetzung aus dienstlichen Gründen verlängerte, erhob die Klägerin nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchsverfahrens am 8. Juni 2009 erneut Klage. Dieses zweite Klageverfahren endete etwa zwei Jahre später am 22. Juni 2011 damit, dass die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nach entsprechendem Hinweis des Gerichts die streitgegenständlichen Bescheide aufhob.

3

Am 22. Dezember 2011 hat die Klägerin Entschädigung wegen unangemessener Dauer des zweiten Klageverfahrens begehrt. Das Oberwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 25. Juli 2012 teilweise stattgegeben. Die Klägerin habe infolge unangemessener Dauer des Gerichtsverfahrens materielle und immaterielle Nachteile erlitten, die zu entschädigen seien. Ein Gerichtsverfahren sei als unangemessen lang anzusehen, wenn eine Abwägung aller Umstände ergebe, dass die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit abzuschließen, verletzt sei. Im vorliegenden Fall ergebe eine Gesamtbetrachtung, dass das Verfahren in zwölf Monaten erledigt werden konnte. Der Fall sei nicht sonderlich komplex gewesen und als eher einfach einzustufen. Die Klägerin habe nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als Arbeitnehmerin ein erhebliches Interesse an einem schnellen Abschluss des Verfahrens gehabt. Sie habe den Rechtsstreit in keiner Weise verzögert. Das Verfahren habe in einer mündlichen Verhandlung erledigt werden können. Auch ergebe sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte als grober Anhaltspunkt, dass eine Verfahrensdauer von einem Jahr pro Instanz als angemessen anzusehen sei. Das am 8. Juni 2009 eingeleitete Verfahren sei nach drei Monaten "ausgeschrieben" gewesen. Spätestens am 25. Oktober 2009 hätte Veranlassung bestanden, das Verfahren weiter mit dem Ziel einer Erledigung konkret zu fördern. Der nächste Bearbeitungsgang sei aber erst am 16. September 2010 erfolgt. Der Umstand, dass der Verhandlungstermin am 24. November 2010 wegen Erkrankung des Vorsitzenden aufgehoben worden sei, sei zwar nicht zu beanstanden. Dass nach der Rückkehr des Vorsitzenden die Akte erneut auf Abruf gelegt worden sei, habe indes wiederum zu einer vermeidbaren Verzögerung vom 16. Februar bis 12. April 2011 geführt. Mithin sei das Verfahren für etwas mehr als 12 Monate nicht ausreichend gefördert worden. Für diesen Zeitraum stehe der Klägerin wegen der zusätzlichen Fahrt- und Wartungskosten ein Betrag von 1 864,87 € sowie wegen der immateriellen Nachteile ein Ausgleich in Höhe von 1 200 € zu.

4

Mit seiner Revision rügt der Beklagte, das Oberverwaltungsgericht habe zu Unrecht eine einjährige Bearbeitungsdauer als im Allgemeinen ausreichend angesehen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe die Faustregel von einem Jahr pro Instanz nur vereinzelt und eher beiläufig ins Spiel gebracht. Dies spiegele dessen sonstige Rechtsprechung nicht zutreffend wider. Eine Verfahrensdauer von zwei Jahren pro Instanz käme der Lösung näher. Außerdem habe der Gesetzgeber bewusst auf feste Richtwerte für die Fallerledigung verzichtet. Entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts sei im konkreten Einzelfall der Zeitraum vom 25. Oktober 2009 bis 16. September 2010 nicht unangemessen gewesen. Die Verfügung "Wiedervorlage 3 Monate" sei am 10. September 2009 vertretbar gewesen. Eine besondere Eilbedürftigkeit habe für die Klägerin nicht bestanden. Sie sei auch nicht im Hinblick auf eine Beschleunigung aktiv geworden. Für den Zeitraum nach der Erkrankung des Vorsitzenden sei ebenfalls keine unangemessene Verzögerung erkennbar. Die Annahme sei unrealistisch, dass nach der Rückkehr aus dem Krankenstand alle Prozessakten gleichzeitig bearbeitet werden könnten. Daher sei die angeordnete "Wiedervorlage auf Abruf" ebenfalls nicht zu beanstanden. Hilfsweise wird geltend gemacht, dass ein immaterieller Schadensausgleich durch eine reine Feststellungsentscheidung ausreichend sei und dass die Schätzung der Fahrtkosten auf einer unrichtigen Ermittlung der Diensttage und Kraftstoffpreise beruhe.

5

Die Klägerin verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses tritt der Auffassung des Beklagten bei, dass der Gesetzgeber keinen Richtwert für die Verfahrensdauer von einem Jahr pro Instanz vorgegeben habe.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Das Oberverwaltungsgericht hat im Einklang mit Bundesrecht angenommen, dass die Klägerin einen Anspruch auf Entschädigung in Höhe von insgesamt 3 064,87 € hat. Die Revision ist daher zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO).

7

1. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Ausgleich ihres immateriellen Nachteils in Höhe von 1 200 €.

8

Der Anspruch folgt aus § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl I S. 1077), zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes vom 7. Dezember 2011 (BGBl I S. 2582). Diese Bestimmungen sind im Verwaltungsprozess entsprechend anwendbar (§ 173 Satz 2 VwGO). Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Der durch eine unangemessene Verfahrensdauer eingetretene immaterielle Nachteil wird nach Maßgabe des § 198 Abs. 2 GVG entschädigt.

9

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Dauer des von der Klägerin in Bezug genommenen Gerichtsverfahrens (a) war unangemessen (b). Hierdurch hat sie einen immateriellen Nachteil erlitten, der nicht auf andere Weise wiedergutgemacht werden kann (c) und in der von ihr geltend gemachten Höhe zu entschädigen ist (d).

10

a) Das Oberverwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass bei der Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer das Widerspruchsverfahren nicht einzubeziehen ist.

11

Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss (§ 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG). Bezugsrahmen des von der Klägerin geltend gemachten Entschädigungsanspruchs ist danach das gesamte - hier abgeschlossene - verwaltungsgerichtliche Verfahren im Ausgangsrechtsstreit, und zwar vom Zeitpunkt der Klageerhebung bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft einer Entscheidung (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 24 m.w.N.). Erfasst ist hier mithin die Gesamtdauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht.

12

Das Verwaltungsverfahren und das dem gerichtlichen Verfahren vorausgegangene Vorverfahren bei einer Behörde (Widerspruchsverfahren) sind nicht Bestandteil des Gerichtsverfahrens im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 und § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG.

13

Die Ausklammerung des Verwaltungs- und Vorverfahrens ist mit der Begrenzung auf das "Gerichtsverfahren" bereits unmissverständlich im Wortlaut des Gesetzes angelegt. Sie entspricht überdies dem Willen des Gesetzgebers, wie er in den Gesetzesmaterialien seinen Ausdruck gefunden hat (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 17).

14

Das vorstehende Auslegungsergebnis ist mit Art. 6 und Art. 13 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) in der Fassung vom 22. Oktober 2010 (BGBl II S. 1198) vereinbar. Dem steht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die über den jeweils entschiedenen Fall hinaus Orientierungs- und Leitfunktion für die Auslegung der EMRK hat (vgl. Urteil vom 28. Februar 2013 - BVerwG 2 C 3.12 - ZBR 2013, 257 Rn. 46), nicht entgegen.

15

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat zwar für die Ermittlung, wann die Verfahrensdauer in verwaltungsgerichtlichen Verfahren unangemessen ist, die Dauer des Vorverfahrens mit einbezogen. Sofern die Einlegung dieses Rechtsbehelfs ein notwendiger erster Schritt ist, bevor das gerichtliche Verfahren anhängig gemacht werden kann, hat der Gerichtshof den Zeitraum, der für die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach Art. 6 Abs. 1 EMRK maßgeblich ist, mit dem Tag beginnen lassen, an dem der Beschwerdeführer den behördlichen Rechtsbehelf (Widerspruch) eingelegt hat (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 28. Juni 1978 - C 78/31, König/Deutschland - NJW 1979, 477 <478 f.>, vom 30. Juni 2011 - Nr. 11811/10 - juris Rn. 21 und vom 24. Juni 2010 - Nr. 25756/09 - juris Rn. 21 m.w.N.).

16

Allerdings beziehen sich diese Entscheidungen auf einen Zeitraum, in welchem das deutsche Recht keinen wirksamen Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK vorsah, der geeignet war, Abhilfe für die unangemessene Dauer von Verfahren zu schaffen (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 24. Juni 2010 a.a.O. Rn. 30 m.w.N.). Mit dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜblVfRSchG) vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) steht jedoch nunmehr ein solcher Rechtsbehelf gegen Verzögerungen gerichtlicher Verfahren im Sinne des Konventionsrechts zur Verfügung, der zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Grund zu der Annahme gibt, dass die damit verfolgten Ziele nicht erreicht werden (EGMR, Urteil vom 29. Mai 2012 - Nr. 53126/07, Taron/Deutschland - NVwZ 2013, 47 ). Hinzu kommt, dass das nationale Recht mit der so genannten Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO einen Rechtsbehelf vorsieht, mit dem einer unangemessenen Verzögerung im Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) durch unmittelbare Klageerhebung begegnet werden kann. Mit Blick auf die Rüge der Verfahrensdauer erweist sich die Untätigkeitsklage grundsätzlich als wirksamer Rechtsbehelf im Sinne von Art. 13 EMRK (vgl. EGMR, Urteil vom 10. Januar 2008 - Nr. 1679/03, Glusen/Deutschland - juris Rn. 66 f.). Dieser tritt neben die durch das neue Gesetz normierte (kompensatorische) Entschädigung für Verzögerungen des Gerichtsverfahrens (vgl. Marx, in: Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Verwaltungsverfahren, 2013, § 173 VwGO Rn. 9; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 38). Jedenfalls mit Blick auf das Nebeneinander dieses Entschädigungsanspruchs und der Untätigkeitsklage ist es konventionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Vorverfahren nicht in die Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer einbezogen wird. Die Europäische Menschenrechtskonvention fordert im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes nicht notwendig einen einheitlichen Rechtsbehelf, sondern lässt bei entsprechender Wirksamkeit auch eine Kombination von Rechtsbehelfen genügen (EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 - Nr. 75529/01, Sürmeli/Deutschland - NJW 2006, 2389 Rn. 98 m.w.N.). Den Konventionsstaaten kommt bei der gesetzlichen Ausgestaltung des von Art. 13 EMRK geforderten Rechtsbehelfs ein Gestaltungsspielraum zu (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 29. März 2006 - Nr. 36813/97, Scordino/Italien - NVwZ 2007, 1259 Rn. 189 und vom 29. Mai 2012 a.a.O. Rn. 41).

17

b) Die Dauer des Gerichtsverfahrens vor dem Verwaltungsgericht war unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.

18

Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Wie die Verwendung des Wortes "insbesondere" zeigt, werden damit die Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, beispielhaft und ohne abschließenden Charakter benannt (BTDrucks 17/3802 S. 18).

19

aa) Das Oberverwaltungsgericht hat sich bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer mit Recht weder von festen Zeitvorgaben ((1)) noch von Orientierungs- oder Anhaltswerten ((2)) leiten lassen.

20

(1) Mit der gesetzlichen Festlegung, dass sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles richtet (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG), hat der Gesetzgeber bewusst von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen. Die Ausrichtung auf den Einzelfall folgt nicht nur in deutlicher Form aus dem Wortlaut des Gesetzes ("Umstände des Einzelfalles"), sondern wird durch seine Entstehungsgeschichte bestätigt und entspricht dem in den Gesetzesmaterialien klar zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Daraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber schematische zeitliche Vorgaben für die Angemessenheit ausgeschlossen hat. Er hat sich insoweit daran ausgerichtet, dass weder die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte noch die des Bundesverfassungsgerichts feste Zeiträume vorgibt, sondern jeweils die Bedeutung der Einzelfallprüfung hervorhebt. Dem Grundgesetz lassen sich keine allgemeingültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (BVerfG, Beschlüsse vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 - NJW 2008, 503; vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12, NVwZ 2013, 789 <790>). Gleiches gilt im Ergebnis für die Europäische Menschenrechtskonvention. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalles sowie unter Berücksichtigung der Komplexität des Falles, des Verhaltens des Beschwerdeführers und der zuständigen Behörden sowie der Bedeutung des Rechtsstreits für den Beschwerdeführer zu beurteilen (vgl. etwa EGMR, Urteile vom 28. Juni 1978 a.a.O. <479> und vom 11. Januar 2007 - Nr. 20027/02, Herbst/Deutschland - NVwZ 2008, 289 Rn. 75; Entscheidung vom 22. Januar 2008 - Nr. 10763/05 - juris Rn. 43 m.w.N.).

21

(2) Für die Beurteilung, ob die Verfahrensdauer angemessen ist, verbietet es sich in der Regel auch, von Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder auf statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen. Dabei macht es im Ergebnis keinen Unterschied, ob solche Werte - in Rechtsprechung und Literatur werden Zeitspannen von ein bis drei Jahren genannt - als "normale", "durchschnittliche" oder "übliche" Bearbeitungs- oder Verfahrenslaufzeiten bezeichnet und - im Hinblick auf die Angemessenheit der Verfahrensdauer - als Indiz (Regelfrist), Hilfskriterium oder "erster grober Anhalt" herangezogen werden (vgl. etwa Stahnecker, Entschädigung bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, Rn. 76; Roderfeld, in: Marx/Roderfeld a.a.O. § 198 GVG Rn. 38 f.; im Ergebnis zu Recht ablehnend OVG Bautzen, Urteil vom 15. Januar 2013 - 11 F 1/12 - LKV 2013, 230 <232>; Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 69, 86 f. m.w.N.).

22

Die Entscheidung des Gesetzgebers, keine zeitlichen Festlegungen zu treffen, ab wann ein Verfahren "überlang" ist, schließt für den Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit grundsätzlich einen Rückgriff auf Orientierungs- oder Richtwerte aus. Dies gilt auch, soweit in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - allerdings obiter und deshalb die jeweilige Entscheidung nicht tragend - eine Verfahrenslaufzeit von etwa einem Jahr pro Instanz als grober Anhalt ("rough rule of thumb") genannt wird (vgl. Urteile vom 26. November 2009 - Nr. 13591/05, Nazarov/Russland - Rn. 126, vom 9. Oktober 2008 - Nr. 62936/00, Moiseyev/Russland - Rn. 160 und vom 16. Januar 2003 - Nr. 50034/99, Obasa/Großbritannien - Rn. 35 ).

23

Angesichts der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren stießen solche Festlegungen an eine Komplexitätsgrenze. Sie könnten letztlich für die Angemessenheit im Einzelfall nicht aussagekräftig sein. Die Bandbreite der Verwaltungsprozesse reicht von sehr einfach gelagerten Verfahren bis zu äußerst aufwändigen Großverfahren (etwa im Infrastrukturbereich), die allein einen Spruchkörper über eine lange Zeitspanne binden können. Der Versuch, dieser Bandbreite mit Mittel- oder Orientierungswerten Rechnung zu tragen, ginge nicht nur am Einzelfall vorbei, sondern wäre auch mit dem Risiko belastet, die einzelfallbezogenen Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu verfehlen. Die Bestimmung einer Regeldauer brächte zudem - entgegen der Intention des Gesetzes - die Gefahr mit sich, dass sie die Verwaltungsgerichte als äußerstes Limit ansehen könnten, bis zu welchem ein Verfahren zulässigerweise ausgedehnt werden dürfte.

24

Gemessen daran ist das angegriffene Urteil nicht zu beanstanden. Zwar nimmt das Oberverwaltungsgericht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu der "Faustformel", nach der eine Verfahrenslaufzeit von einem Jahr pro Instanz als angemessen anzusehen sei, in Bezug. Es stützt hingegen seine Annahme, die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht erweise sich als unangemessen, nicht tragend auf eine Überschreitung jenes Jahreszeitraumes.

25

Dem Oberverwaltungsgericht ist darin beizupflichten, dass die statistischen Durchschnittslaufzeiten für amtsgerichtliche oder verwaltungsgerichtliche Verfahren im Land Sachsen-Anhalt nicht zu einer Objektivierung des Angemessenheitsmaßstabs herangezogen werden können (vgl. zur Heranziehung statistischer Durchschnittswerte im sozialgerichtlichen Verfahren: BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 28 ff.). Die vorgenannten Bedenken greifen nämlich in gleicher Weise für den Ansatz, bestimmte (durchschnittliche) Laufzeiten, die durch eine Auswertung anderer Gerichtsverfahren statistisch ermittelt wurden, als ergänzende oder indizielle Werte heranzuziehen. Zum einen ist auch dieser Ansatz mit der Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren nicht in Einklang zu bringen. Zum anderen ist ein gesichertes Indiz für eine "normale" bzw. durchschnittliche Laufzeit in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren schon deshalb kaum möglich, weil die Verfahrenslaufzeiten der Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte in den Ländern - wie aus allgemein zugänglichen Quellen ersichtlich und zwischen den Beteiligten unstreitig ist - sehr unterschiedlich ausfallen. Im Hinblick auf die verfassungsmäßige Gewährleistung eines Gerichtsverfahrens in angemessener Zeit kann die Effektivität des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) für die verfahrensbeteiligten Bürger nicht (mit) davon abhängen, in welchem Land sie Rechtsschutz suchen und wie sich die durchschnittliche Verfahrensdauer dort ausnimmt.

26

Es verbietet sich gleichfalls, statistische Erhebungen für Verwaltungsstreitverfahren auf Bundesebene heranzuziehen. Abgesehen davon, dass solche statistischen Werte über Verfahrenslaufzeiten im Hinblick auf die Vielgestaltigkeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren für den Einzelfall kaum aussagekräftig sind, müssten die Durchschnittswerte ihrerseits wieder daraufhin überprüft werden, ob sie als solche angemessen sind.

27

Die Orientierung an einer - wie auch immer ermittelten - (statistisch) durchschnittlichen Dauer verwaltungsgerichtlicher Verfahren erweist sich auch deshalb als bedenklich, weil eine solche Laufzeit stets auch Ausdruck der den Gerichten jeweils zur Verfügung stehenden Ressourcen ist, also insbesondere von den bereitgestellten personellen und sächlichen Mitteln abhängt. Der verfassungsrechtliche Anspruch auf eine angemessene Verfahrensdauer darf hingegen grundsätzlich nicht von der faktischen Ausstattung der Justiz abhängig gemacht werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 1973 - 2 BvR 558/73 - BVerfGE 36, 264 <274 f.>). Dies wäre aber im Ergebnis der Fall, wenn für die Ermittlung der angemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 GVG auf eine durchschnittliche Laufzeit abgestellt würde (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. Rn. 87; Ziekow, DÖV 1998, 941 <942>).

28

Die Ausrichtung an einer durchschnittlichen Verfahrensdauer begegnet auch mit Blick darauf Bedenken, dass statistische Werte zumeist schwankend und über die Jahre hinweg in ständigem Fluss sowie von dem abhängig sind, was jeweils wie erfasst wird. Schließlich ersparten sie in keinem Einzelfall die Prüfung, ob und in welchem Umfange über die gesamte Laufzeit eines als überlang gerügten Gerichtsverfahrens Verzögerungen eingetreten und diese sachlich gerechtfertigt sind.

29

bb) Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eintreten, bei Berücksichtigung des dem Gericht zukommenden Gestaltungsspielraumes sachlich gerechtfertigt sind. Dieser Maßstab erschließt sich aus dem allgemeinen Wertungsrahmen, der für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unangemessenheit vorgegeben ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 ff.), und wird durch diesen weiter konkretisiert.

30

(1) Der unbestimmte Rechtsbegriff der "unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens" (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG) wie auch die zu seiner Ausfüllung heranzuziehenden Merkmale im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG sind unter Rückgriff auf die Grundsätze näher zu bestimmen, wie sie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG und zum Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG entwickelt worden sind. Diese Rechtsprechung diente dem Gesetzgeber bereits bei der Textfassung des § 198 Abs. 1 GVG als Vorbild (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18). Insgesamt stellt sich die Schaffung des Gesetzes als innerstaatlicher Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren als Reaktion auf eine entsprechende Forderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dar (vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 2. September 2010 - Nr. 46344/06, Rumpf/Deutschland - NJW 2010, 3355). Haftungsgrund für den gesetzlich normierten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer in § 198 Abs. 1 GVG ist mithin die Verletzung des in Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 25 m.w.N.).

31

(2) Die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs aus § 198 Abs. 1 GVG an den aus Art. 19 Abs. 4 GG, dem verfassungsrechtlichen Justizgewährleistungsanspruch sowie dem Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK folgenden Anspruch auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit verdeutlicht, dass es darauf ankommt, ob der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht beeinträchtigt worden ist. Damit wird eine gewisse Schwere der Belastung vorausgesetzt; es reicht also nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung des Gerichts aus (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 26). Vielmehr muss die Verfahrensdauer eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 - 1 BvR 170/06 - Vz 1/12 - NVwZ 2013, 789 <791 f.>). Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen, weshalb sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 - juris Rn. 11 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790> jeweils m.w.N.).

32

(3) Die Angemessenheit der Dauer eines Gerichtsverfahrens bemisst sich auch danach, wie das Gericht das Verfahren geführt hat und ob und in welchem Umfang ihm Verfahrensverzögerungen zuzurechnen sind.

33

Ist infolge unzureichender Verfahrensführung eine nicht gerechtfertigte Verzögerung eingetreten, spricht dies für die Annahme einer unangemessenen Verfahrensdauer im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Dabei ist die Verfahrensführung zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien in Bezug zu setzen. Zu prüfen ist also, ob das Gericht gerade in Relation zu jenen Gesichtspunkten den Anforderungen an eine angemessene Verfahrensdauer gerecht geworden ist. Maßgeblich ist insoweit - genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände -, wie das Gericht die Lage aus seiner Ex-ante-Sicht einschätzen durfte (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott a.a.O. § 198 GVG Rn. 81 und 127).

34

Im Zusammenhang mit der Verfahrensführung durch das Gericht ist zu berücksichtigen, dass die Verfahrensdauer in einem gewissen Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) und zum rechtsstaatlichen Gebot steht, eine inhaltlich richtige, an Recht und Gesetz orientierte Entscheidung zu treffen (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 a.a.O. Rn. 27). Ebenso fordert Art. 6 Abs. 1 EMRK zwar, dass Gerichtsverfahren zügig betrieben werden, betont aber auch den allgemeinen Grundsatz einer geordneten Rechtspflege (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 - Nr. 29357/95, Gast und Popp/Deutschland - NJW 2001, 211 Rn. 75). Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck; vielmehr verlangt das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht (stRspr des BVerfG, vgl. etwa Beschlüsse vom 12. Februar 1992 - 1 BvL 1/89 - BVerfGE 85, 337 <345> und vom 26. April 1999 - 1 BvR 467/99 - NJW 1999, 2582 <2583>; ebenso BGH, Urteil vom 4. November 2010 - III ZR 32/10 - BGHZ 187, 286 Rn. 14 m.w.N.). Um den verfahrenrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist. Dabei ist die Verfahrensgestaltung in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt (BVerfG, Beschlüsse vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 - NJW-RR 2010, 207 <208> und vom 2. Dezember 2011 - 1 BvR 314/11 - WM 2012, 76 <77>). Dieses hat, sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festzulegen (BVerfG, Beschluss vom 30. Juli 2009 a.a.O.). Es hat dabei die Verfahren untereinander zu gewichten, den Interessen der Beteiligten - insbesondere im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens - Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu geboten sind. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht - auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit - ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. März 2005 - 2 BvR 1610/03 - NJW 2005, 3488 <3489> und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <791> jeweils m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. November 2010 a.a.O.). Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. m.w.N.).

35

Im Hinblick auf die Rechtfertigung von Verzögerungen ist der auch in den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 17/3802 S. 18) deutlich zum Ausdruck gekommene Grundsatz zu berücksichtigen, dass sich der Staat zur Rechtfertigung einer überlangen Verfahrensdauer nicht auf Umstände innerhalb seines Verantwortungsbereichs berufen kann (stRspr des BVerfG, vgl. Beschlüsse vom 7. Juni 2011 - 1 BvR 194/11 - NVwZ-RR 2011, 625 <626>, vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 - EuGRZ 2009, 699 Rn. 14 und vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>; vgl. auch BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 = juris Rn. 43). Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte insbesondere für Zeiträume in Betracht, in denen das Gericht ohne rechtfertigenden Grund untätig geblieben, also das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (vgl. EGMR, Urteile vom 26. Oktober 2000 - Nr. 30210/96, Kud³a/Polen - NJW 2001, 2694 Rn. 130 und vom 31. Mai 2001 - Nr. 37591/97, Metzger/Deutschland - NJW 2002, 2856 Rn. 41). Soweit dies auf eine Überlastung der Gerichte zurückzuführen ist, gehört dies zu den strukturellen Mängeln, die der Staat zu beheben hat (EGMR, Urteil vom 25. Februar 2000 a.a.O. Rn. 78). Strukturelle Probleme, die zu einem ständigen Rückstand infolge chronischer Überlastung führen, muss sich der Staat zurechnen lassen; eine überlange Verfahrensdauer lässt sich damit nicht rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2012 a.a.O. <790>).

36

cc) Unter Berücksichtigung der zuvor erörterten Grundsätze erweist sich hier, dass die Verfahrensdauer unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG war, weil eine an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles - insbesondere der Schwierigkeit des Verfahrens ((1)), seiner Bedeutung für die Klägerin ((2)) sowie des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten ((3)) und der Verfahrensführung des Gerichts ((4)) - ergibt, dass die Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt worden ist.

37

(1) Mit Blick auf die vom Oberverwaltungsgericht insoweit getroffenen Feststellungen handelte es sich um einen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht sehr einfach gelagerten Fall.

38

Streitgegenstand war der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch, im Einklang mit einer Zusage der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Ost der Revierstation B. S. zugewiesen zu werden. Die damit einhergehenden rechtlichen Fragen waren bereits für sich genommen nicht besonders komplex. Sie erwiesen sich hier insbesondere deshalb als einfach, weil die dem Rechtsstreit vorgelagerte Frage, ob die Umsetzung von der Revierstation B. S. nach derjenigen in G. rechtswidrig war, bereits in dem Einstellungsbeschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 1. August 2008 in dem Verfahren 1 L 165/07 bejaht worden war. Dem hier im Streit stehenden Folgeverfahren lag eine im Wesentlichen unveränderte Sach- und Rechtslage zugrunde. In tatsächlicher Hinsicht war keine Beweisaufnahme, sondern nur eine Würdigung der vorhandenen Akten und der im vorangegangenen Verfahren von Seiten der Beklagten abgegebenen Zusage, die Umsetzung zu beenden, erforderlich. Dass der Rechtsstreit nicht durch Urteil entschieden und in einer mündlichen Verhandlung einvernehmlich zur Erledigung gebracht wurde, bestätigt den sehr geringen Schwierigkeitsgrad des Prozesses.

39

(2) Dem Oberverwaltungsgericht ist auch darin beizupflichten, dass die Klägerin ein berechtigtes erhebliches Interesse an einem schnellen Abschluss des Verfahrens hatte.

40

Zwar ist zweifelhaft, ob dies - wie das Oberverwaltungsgericht meint - bereits aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur besonders hohen subjektiven Bedeutung bei Streitigkeiten über ein Dienstverhältnis folgt (vgl. Urteile vom 27. Juni 2000 - Nr. 30979/96, Frydlender/Frankreich - Rn. 45 und vom 23. April 2009 - Nr. 1479/08, Ballhausen/ Deutschland - Rn. 65). Diese Rechtsprechung dürfte sich auf Fallgestaltungen beschränken, bei denen - wie bei einer Beendigung des Dienstverhältnisses - die wirtschaftliche Grundlage des Betroffenen berührt ist. Im vorliegenden Fall muss ein hohes Interesse der Klägerin an einer zügigen Erledigung des Rechtsstreits insbesondere deswegen angenommen werden, weil sie sich bereits in einem vorangegangenen Prozess gegen die Umsetzung erfolgreich zur Wehr gesetzt hatte und im vorliegenden Prozess letztlich nur die Einlösung der gegebenen Zusage einer Rückgängigmachung der Umsetzung begehrte. Das Oberverwaltungsgericht hat ferner zutreffend ausgeführt, dass die zusätzliche Wegstrecke zum Dienstort und zurück für die Klägerin eine nicht unerhebliche zeitliche Belastung darstellte. Hinzu kommt, dass die Umsetzung der Klägerin aufgrund eines angenommenen dienstlichen Fehlverhaltens nach den tatrichterlichen Feststellungen eine belastende Wirkung hatte.

41

(3) Zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht ausgeführt, dass die Klägerin durch ihr Verhalten keine Verzögerung des Rechtsstreits bewirkt hat. Vielmehr hat sie sich zu Beginn des Rechtsstreits zur Beschleunigung des Verfahrens mit einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter einverstanden erklärt. Soweit der Beklagte vorträgt, die Klägerin hätte im weiteren Verlauf des Prozesses nachdrücklicher auf eine Beschleunigung hinarbeiten müssen, kann dies ihr aus Rechtsgründen nicht angelastet werden. Die Verpflichtung des Gerichts, das Verfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen, ergibt sich - wie aufgezeigt - unmittelbar aus der dem Staat obliegenden Justizgewährleistungspflicht, aus dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes und aus Art. 6 Abs. 1 EMRK. Daher bedarf es grundsätzlich keines entsprechenden Hinweises der Prozessbeteiligten. Eine besondere gesetzliche Verpflichtung zur Erhebung einer Verzögerungsrüge bestand bei Abschluss des Verfahrens im Juni 2011 nicht. Nach Art. 23 Satz 5 ÜblVfRSchG gilt bei abgeschlossenen Verfahren das Erfordernis der Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 GVG nicht.

42

(4) Das Oberwaltungsgericht hat schließlich zutreffend ausgeführt, dass das Verfahren im Zeitraum vom 25. Oktober 2009 bis zum 16. September 2010 und vom 16. Februar 2011 bis zum 12. April 2011 - zusammengerechnet mehr als 12 Monate - ohne rechtfertigenden Grund nicht gefördert worden ist.

43

Die Revision stellt hinsichtlich des ersten Zeitraums nicht infrage, dass die am 8. Juni 2009 eingegangene Klage am 18. September 2009 "ausgeschrieben" war. Klagebegründung, Klageerwiderung und Replik der Klägerin lagen vor. Die Revision meint jedoch, dass der Vorsitzende weitere drei Monate auf den Eingang einer Duplik der Beklagten habe warten dürfen. Eine solche Entscheidung sei vertretbar gewesen. Demgegenüber hat das Oberverwaltungsgericht unter Berücksichtigung des richterlichen Gestaltungsspielraums zutreffend ausgeführt, dass der Vorsitzende auf die ungewisse und tatsächlich auch nicht eingegangene weitere Erwiderung des Beklagten zwar einen Monat habe warten dürfen. Insbesondere mit Blick auf den sehr geringen Schwierigkeitsgrad des Verfahrens und dessen Bedeutung für die Klägerin war ein weiteres Zuwarten hingegen nicht gerechtfertigt. Eine Förderung im Sinne eines Hinwirkens auf eine Erledigung des Prozesses ist nach Ablauf dieses Monats nicht mehr erkennbar. Da die Akte vom 25. Oktober 2009 bis zum 16. September 2010 nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts unbearbeitet blieb, muss für diesen Zeitraum von einer nicht gerechtfertigten Verzögerung des Rechtsstreits ausgegangen werden.

44

Das Gleiche gilt für den rund zweimonatigen Zeitraum nach Rückkehr des Vorsitzenden aus dem Krankenstand. Zwar ist eine unvorhersehbare Erkrankung des berichterstattenden Vorsitzenden als ein Fall höherer Gewalt anzusehen, der grundsätzlich eine vorübergehende Terminsverschiebung rechtfertigen kann (vgl. EGMR, Urteil vom 16. Juli 2009 - Nr. 8453/04, Bayer/Deutschland - NVwZ 2010, 1015 Rn. 53). Das Oberverwaltungsgericht hat aber zu Recht darauf hingewiesen, dass die Erkrankung eines Richters im Hinblick auf die in der Geschäftsverteilung des Gerichts vorzusehenden Vertretungsregelungen nur eine kurzfristige Verzögerung rechtfertigen könne. Erkrankt ein Richter, sind grundsätzlich die zur Vertretung berufenen Richter zur Förderung des Verfahrens verpflichtet. Im vorliegenden Fall hat das Verfahren in den drei Monaten, in denen der Vorsitzende krankheitsbedingt abwesend gewesen ist, keine Förderung erfahren. Selbst wenn dies nicht als unangemessene Verzögerung angesehen wird, war es nicht angemessen, dass der Vorsitzende nach seiner Rückkehr am 16. Februar 2011 die Akte erneut auf Abruf gelegt und bis zum 12. April 2011 nicht bearbeitet hat. Hierfür sind vom Tatsachengericht keine rechtfertigenden Gründe festgestellt worden. Solche sind auch nicht erkennbar. Auch in diesem Zusammenhang ist von Gewicht, dass das Verfahren einfach gelagert war und Bedeutung für die Klägerin hatte. Deshalb ist dem Beklagten auch nicht darin zu folgen, dass dem Vorsitzenden nach der Rückkehr aus dem Krankenstand eine mehrwöchige Übergangsfrist für die Dezernatsaufarbeitung nach Prioritätsgesichtspunkten eingeräumt werden müsse. Mithin kann auch bei Berücksichtigung eines richterlichen Gestaltungsspielraums im Zeitraum vom 16. Februar 2011 bis zum 12. April 2011 kein Rechtfertigungsgrund für die erneute Zurückstellung des bereits vor der Erkrankung geladenen und damit priorisierten Verfahrens festgestellt werden.

45

Berücksichtigt man im Rahmen einer Gesamtabwägung den geringen Schwierigkeitsgrad des Verfahrens, die hohe subjektive Bedeutung, das zu keiner Verzögerung führende Verhalten der Klägerin und die gerichtliche Prozessleitung, dann erweist sich die Annahme des Oberverwaltungsgerichts als überzeugend, dass der Rechtsstreit in einem Jahr hätte erledigt werden müssen und die zweijährige Prozessdauer nicht angemessen war.

46

c) Die Klägerin hat durch die überlange Verfahrensdauer einen immateriellen Nachteil im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG erlitten, der nicht auf andere Weise wieder gutgemacht werden kann.

47

Dass die Klägerin Nachteile nichtvermögensrechtlicher Art erlitten hat, ergibt sich aus der Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG. Danach wird ein immaterieller Nachteil vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren - wie hier - unangemessen lange gedauert hat. Diese Vermutung ist hier nicht widerlegt.

48

Entschädigung kann gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise ist gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Ob eine solche Feststellung ausreichend im Sinne des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles. In diese ist regelmäßig einzustellen, ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Bedeutung hatte, ob dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verzögerung beigetragen hat und ob er weitergehende immaterielle Schäden erlitten hat oder ob die Überlänge den einzigen Nachteil darstellt (BTDrucks 17/3802 S. 20). Darüber hinaus kann zu berücksichtigen sein, von welchem Ausmaß die Unangemessenheit der Dauer des Verfahrens ist und ob das Ausgangsverfahren für den Verfahrensbeteiligten eine besondere Dringlichkeit aufwies oder ob diese zwischenzeitlich entfallen war (vgl. EGMR, Urteil vom 29. September 2011 - Nr. 854/07 - juris Rn. 41). Es kann hier dahingestellt bleiben, ob im Fall einer unangemessenen Verfahrensdauer die Entschädigung die Regel und die bloße Feststellung im Sinne von § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG die Ausnahme ist (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - juris Rn. 45 f.) oder ob weder ein Vorrang der Geldentschädigung noch eine anderweitige Vermutungsregel gilt (vgl. BFH, Urteil vom 17. April 2013 - X K 3/12 - BeckRS 2013, 95036 Rn. 57). Unabhängig von einer Vermutungs- oder Vorrangregel ergibt hier eine Einzelabwägung, dass eine bloße Feststellung der unangemessenen Dauer nicht ausreicht.

49

Das Oberverwaltungsgericht hat in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, dass ihr durch die Hintergründe der Umsetzung und durch den höheren Zeitaufwand für die Fahrten von und zum Dienstort (täglich eine Stunde) eine zusätzliche immaterielle Belastung entstanden ist. Diese weiteren und spürbaren immateriellen Nachteile werden durch eine schlichte Feststellungsentscheidung nicht aufgewogen.

50

Entgegen der Auffassung des Beklagten besteht ein Anspruch auf Entschädigung des immateriellen Nachteils unabhängig davon, ob die Klägerin auch Entschädigung für einen materiellen Nachteil beanspruchen kann. Die Entschädigung für materielle und diejenige für immaterielle Nachteile stehen grundsätzlich nebeneinander (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 19) und können nicht im Rahmen einer Gesamtabwägung gleichsam gegeneinander aufgerechnet werden.

51

d) Der Entschädigungsbetrag beträgt 1 200 €.

52

Die Bemessung der immateriellen Nachteile richtet sich nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG. Danach sind diese in der Regel in Höhe von 1 200 € für jedes Jahr der Verzögerung zu entschädigen. Nur wenn dieser Betrag nach den Umständen des Einzelfalles unbillig ist, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG). Das Oberverwaltungsgericht hat in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass hier eine Abweichung vom Pauschalbetrag nicht veranlasst ist. Da die nicht gerechtfertigte Verzögerung etwa ein Jahr betrug, steht der Klägerin ein Entschädigungsbetrag in Höhe von 1 200 € zu.

53

2. Die Klägerin hat für den ihr durch die Verzögerung entstandenen materiellen Nachteil einen Entschädigungsanspruch in der vom Oberverwaltungsgericht angenommenen Höhe.

54

Anspruchsgrundlage ist insoweit § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, der im Fall des Vorliegens seiner Voraussetzungen - wie hier - gebietet, (auch) für einen vermögensrechtlichen Nachteil angemessene Entschädigung zu leisten. Mit dieser Entschädigung wird kein Schadensersatz im Sinne der §§ 249 ff. BGB gewährt, sondern in Anlehnung an § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB lediglich ein Schadensausgleich nach enteignungs- und aufopferungsrechtlichen Grundsätzen geleistet (BTDrucks 17/3802 S. 34). Es findet damit nur ein Ausgleich der erlittenen Vermögenseinbuße, aber grundsätzlich keine Naturalrestitution statt (vgl. BGH, Urteile vom 23. Februar 2001 - V ZR 389/99 - BGHZ 147, 45 <53> und vom 14. November 2003 - V ZR 102/03 - BGHZ 157, 33 <47>).

55

Davon ist auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen und hat der Klägerin für die mit den zusätzlichen Wegekosten konkret verbundenen Vermögenseinbußen (zusätzlicher Kraftstoff, erhöhte Wartungskosten und wegebedingter Wertverlust) einen Nachteilsausgleich gewährt. Ferner hat es entsprechend dem in der Enteignungsentschädigung anerkannten Prinzip des Vorteilsausgleichs den im Wege der Einkommensteuerrückerstattung für die der Klägerin entstandenen Fahrtkosten (Werbungskosten) erlangten Vorteil abgezogen. Gegen diese Vorgehensweise bestehen keine rechtlichen Bedenken. Soweit der Beklagte einwendet, dass für die Entschädigung der Fahrtkosten die im Sozialhilferecht oder im Zeugenentschädigungsrecht maßgeblichen Bestimmungen entsprechend heranzuziehen seien, findet dies im Gesetz keine Stütze.

56

Die Entschädigungssumme beläuft sich auf 1 864,87 €. Der vom Oberverwaltungsgericht hinsichtlich des Mehraufwandes für Fahrtkosten angesetzte Betrag hält einer revisionsgerichtlichen Kontrolle Stand. Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang die tatsächlichen Grundlagen der Berechnung, insbesondere die Anzahl der bei der Fahrtkostenberechnung zugrunde gelegten Diensttage und die Höhe des angesetzten Kraftstoffpreises angreift, sind diese Tatsachenfeststellungen nicht mit Verfahrensrügen angegriffen worden und daher nach § 137 Abs. 2 VwGO für das Revisionsgericht bindend.

57

Soweit das Oberverwaltungsgericht den für die Wertminderung des Kraftfahrzeugs angesetzten Betrag im Wege der Schätzung nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 287 Abs. 1 ZPO ermittelt hat, erweist sich dies als fehlerfrei. Gegen die Anwendung dieser Vorschriften bei der Ermittlung der Höhe der nach § 198 Abs. 1 GVG geschuldeten Entschädigung bestehen keine Bedenken, weil die Schätzvorschriften auch ansonsten bei Entschädigungsansprüchen Anwendung finden (vgl. Urteil vom 20. Januar 2005 - BVerwG 3 C 15.04 - Buchholz 418.6 TierSG Nr. 18 S. 10). Auch hinsichtlich der Höhe der geschätzten wegebedingten Wertminderung des klägerischen Fahrzeugs bestehen keine begründeten Zweifel. Das Oberverwaltungsgericht hat insoweit die Grundlagen seiner Schätzung nachvollziehbar dargelegt. In diesem Fall ist das Revisionsgericht regelmäßig auf die Prüfung beschränkt, ob die vorinstanzliche Schätzung auf grundsätzlich fehlerhaften Erwägungen beruht, ob wesentliche Tatsachen außer Acht gelassen oder sonstige Rechtsvorschriften oder Denk- und Erfahrungssätze verletzt worden sind (Urteile vom 1. März 1995 - BVerwG 8 C 36.92 - Buchholz 303 § 287 ZPO Nr. 3 S. 11 und vom 20. Januar 2005 a.a.O.). Solche Mängel liegen nicht vor.

58

Die vom Oberverwaltungsgericht angenommene Höhe der Wartungskosten wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat unstreitig gestellt.

59

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Eine Billigkeitsentscheidung nach der kostenrechtlichen Spezialregelung des § 201 Abs. 4 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO ist nicht zu treffen.

28
b) Unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer dann, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (vgl. BVerwG aaO 5 C 23.12 D Rn. 37 und 5 C 27.12 D Rn. 29).
36
aa) Unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer dann, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (ausführlich Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 28 ff und vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13, BeckRS 2013, 22861 Rn. 36 ff, jeweils mwN, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).
28
Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist als maßgeblicher Zeitraum die in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierte Gesamtverfahrensdauer (vgl. Ott aaO § 198 GVG Rn. 78). Dies hat zur Konsequenz, dass Verzögerungen , die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bewirken. Es ist vielmehr im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu überprüfen, ob eingetretene Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 30 und vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 41 und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 37; Ott aaO § 198 GVG Rn. 79, 97, 100 f). Darüber hinaus wird eine Entschädigung für abschnittsbezogene Verzögerungen, die derart unbedeutend sind, dass sie gegenüber der Gesamtverfahrensdauer nicht ins Gewicht fallen, regelmäßig ausscheiden. Denn die durch die lange Verfahrensdauer verursachte Belastung muss einen gewissen Schweregrad erreichen. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus (BSG, NJW 2014, 248 Rn. 26).
43
Das Gericht hat dabei zu Recht darauf abgestellt, dass die streitgegenständlichen Verfahren für den Kläger ohne besondere Bedeutung waren. Zum Zeitpunkt der Klagezustellung sah sich der Kläger im Rahmen des Gesamtkomplexes "G. Gruppe" bereits 386 Verfahren mit einer Gesamtscha- densersatzforderung von 10.777.752, 53 € ausgesetzt. Es kommt hinzu, dass seine Vermögensverhältnisse zu diesem Zeitpunkt auf Grund nicht beglichener Steuerforderungen in Millionenhöhe desolat waren. Es stand mithin von vornherein fest, dass es auf die Vermögenslage des Klägers ohne spürbare Auswirkungen bleiben wird, ob er in den von ihm konkret "gegriffenen" zehn Verfahren obsiegen oder unterliegen wird. Der Kläger hat auch keine konkreten (psychischen oder physischen) Beeinträchtigungen geltend gemacht, die gerade auf die streitgegenständlichen Verfahren zurückzuführen waren. Seine Ausführungen in der Klageschrift erschöpfen sich darin, die durch den Gesamtkomplex "G. Gruppe" angeblich hervorgerufenen Belastungen in allgemeiner Form zu schildern. Macht der Betroffene - wie hier - Entschädigung für einzelne Verfahren aus einem umfangreichen Verfahrenskomplex geltend, muss er jedoch die konkreten Nachteile, die gerade durch die Dauer dieser Verfahren verursacht worden sein sollen, positiv behaupten. Nur dann kann der Anspruchsgegner den ihm obliegenden Beweis der Unrichtigkeit der aufgestellten Behauptungen führen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2011 - XI ZR 261/09, NJW 2011, 2130 Rn. 19 f).

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um eine Entschädigung wegen überlanger Dauer eines Gerichtsverfahrens.

2

Gegenstand des Ausgangsverfahrens, dessen Überlänge die Kläger rügen, war die Kürzung einer Wohnungsbauförderung. Den Klägern waren Fördermittel in Form eines zinsverbilligten Darlehens für den Erwerb von Wohneigentum zur Selbstnutzung bzw. Überlassung an Familienangehörige bewilligt worden. Die beklagte Bank widerrief später zum Teil die gegenüber den Klägern erlassenen Bewilligungsbescheide wegen Verstoßes gegen die Zweckbestimmung, nachdem sie erfahren hatte, dass die Kläger - nach ihren Angaben wegen nicht mehr hinnehmbaren Nachbarschaftsstreitigkeiten - ein Hausgrundstück erworben und die zuvor selbst genutzte Eigentumswohnung an eine Mieterin ohne Berechtigungsbescheinigung des Wohnungsamtes vermietet hatten. Hierdurch entstanden den Klägern Mehrkosten für höhere Zinsen in Höhe von 6 800 €.

3

Die Kläger erhoben gegen die Aufhebung der beiden Teilwiderrufsbescheide am 28. November 2007 Klage. Diese wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 5. September 2008 zurück.

4

Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 19. September 2008 zugestellte Urteil beantragten die Kläger mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2008 die Zulassung der Berufung. Die Antragsbegründung wurde am 17. November 2008 beim Oberverwaltungsgericht eingereicht. Die Kläger rügten die Übertragung auf den Einzelrichter als verfahrensfehlerhaft und machten ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung geltend. Mit gerichtlicher Verfügung vom selben Tag wurde die beklagte Bank zur Stellungnahme binnen einer Frist von sechs Wochen aufgefordert. Die Stellungnahme ging beim Oberverwaltungsgericht am 3. Dezember 2008 ein. Mit Schriftsatz vom 30. Dezember 2009 teilten die Prozessbevollmächtigten der Kläger ihre neue Anschrift mit. Eine Abschrift dieses Schriftsatzes wurde der Gegenseite aufgrund gerichtlicher Verfügung vom 5. Januar 2010 übersandt. Mit Beschluss vom 29. August 2011 lehnte das Oberverwaltungsgericht den Antrag auf Zulassung der Berufung ab.

5

Am 24. Januar 2012 forderten die Kläger die Senatsverwaltung für Finanzen auf, ihnen wegen der unangemessenen Dauer des Berufungszulassungsverfahrens bis zum 14. Februar 2012 jeweils einen Betrag von 1 200 € zu zahlen. Für die außergerichtliche Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs wurde ihnen ein Betrag von 330,34 € in Rechnung gestellt.

6

Am 28. Februar 2012 haben die Kläger beim Oberverwaltungsgericht Klage erhoben und jeweils die Gewährung einer angemessenen Entschädigung für den durch die überlange Verfahrensdauer des Rechtsstreits bei dem Oberverwaltungsgericht erlittenen immateriellen Nachteil, hilfsweise für den durch die überlange Verfahrensdauer des Rechtsstreits bei dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht erlittenen immateriellen Nachteil, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 v.H. seit dem 15. Februar 2012 sowie die Erstattung der vorprozessualen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 330,34 € begehrt. Zur Begründung haben sie im Wesentlichen ausgeführt, das Berufungszulassungsverfahren habe mit etwa drei Jahren unangemessen lang gedauert. Es habe sich um einen einfach gelagerten Sachverhalt ohne schwerwiegende rechtliche Probleme gehandelt. Das Oberverwaltungsgericht habe das Verfahren seit der Begründung des Zulassungsantrags nicht gefördert. Die andauernde Überlastung des zuständigen Senats des Oberverwaltungsgerichts, die dort vorhandenen Rückstände und die allgemein angespannte Personalsituation könnten die Verfahrensdauer nicht rechtfertigen. Die Beteiligten hätten das Berufungszulassungsverfahren in keiner Weise verzögert. Für sie, die Kläger, sei es von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung gewesen, ob ihnen der im Berufungszulassungsverfahren streitige Betrag von 6 800 € zur Verfügung stehe oder nicht. Sie lebten in angespannten finanziellen Verhältnissen. Der besagte Betrag stelle für sie eine erhebliche finanzielle Ent- bzw. Belastung dar. Aufgrund der über den Verfahrensausgang herrschenden Unsicherheit seien sie in ihrer finanziellen Planung stark eingeschränkt gewesen. Eine geordnete Lebensplanung sei ihnen erschwert worden. Die Belastungen hätten sich insbesondere für die Klägerin zu 1 auch psychisch ausgewirkt. Die Feststellung, dass das Berufungsverfahren unangemessen lang gedauert habe, sei nicht ausreichend. Die Entschädigungshöhe werde in das Ermessen des Gerichts gestellt, wobei ein Betrag von 1 200 € je Kläger als angemessen erachtet werde. Da sich der Beklagte seit dem 15. Februar 2012 in Verzug befinde, sei der Entschädigungsbetrag ab diesem Zeitpunkt zu verzinsen. Mit Rücksicht darauf, dass es sich bei dem Entschädigungsanspruch der Sache nach um einen Schadensersatzanspruch handele, stehe ihnen auch ein Anspruch auf Erstattung der vorprozessualen Rechtsverfolgungskosten zu.

7

Das Oberverwaltungsgericht hat die Entschädigungsklage abgewiesen. Soweit mit ihr eine angemessene Entschädigung für die überlange Dauer des Berufungszulassungsverfahrens geltend gemacht werde, habe sie schon deshalb keinen Erfolg, weil die Kläger ihr Entschädigungsbegehren nicht auf einen Verfahrenszug beschränken könnten, wenn das Gerichtsverfahren - wie hier - über zwei Instanzen geführt worden sei. Der Entschädigungsanspruch sei vielmehr von der Angemessenheit der Gesamtverfahrensdauer abhängig zu machen. Soweit sich das Entschädigungsbegehren auf beide Verfahrenszüge beziehe, sei die Gesamtdauer des Verfahrens im Sinne des § 198 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes - GVG - noch nicht unangemessen gewesen. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richte sich gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach den dort genannten Kriterien. Angesichts dessen sei es nicht möglich, abstrakte Angaben zu einer "Höchstdauer" als Grenze der Angemessenheit zu machen. Bei Anwendung des Maßstabes des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG sei zu berücksichtigen, dass das Ausgangsverfahren vor dem Verwaltungsgericht weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht besonders schwierig gewesen sei. Auch im Berufungszulassungsverfahren seien keine überdurchschnittlich schwierigen Sach- und Rechtsfragen aufgeworfen worden. Der Zulassungsantrag sei zwar ausführlich begründet worden. Er habe aber in zulassungs- bzw. materiellrechtlicher Hinsicht keine erhöhten Anforderungen gestellt, wie die Rüge der fehlenden Anhörung vor der Übertragung auf den Einzelrichter beispielhaft belege. Das Verfahren habe aus den im Einzelnen dargelegten Gründen für die Kläger auch keine besondere Bedeutung aufgewiesen. Ebenso seien von der Gesamtdauer keine Zeiten im Hinblick auf das Verhalten der Kläger abzuziehen. Unter Berücksichtigung aller angeführten Umstände, vor allem im Hinblick auf die geringe Bedeutung der Sache und die zügige erstinstanzliche Entscheidung, sei die Gesamtverfahrensdauer von drei Jahren und rund neun Monaten für zwei Instanzen noch nicht unangemessen. Da kein Anspruch auf Entschädigung bestehe, könnten die Kläger auch keine Zinsen verlangen, die ohnehin erst ab Rechtshängigkeit beansprucht werden könnten. Aus demselben Grund könnten auch keine vorprozessualen Rechtsverfolgungskosten beansprucht werden. Abgesehen davon stellten diese auch keinen materiellen Schaden im Sinne des § 198 Abs. 1 GVG dar, weil die vorprozessuale Geltendmachung allein auf dem Entschluss der Kläger beruhe und gesetzlich nicht vorgeschrieben sei.

8

Mit ihrer Revision verfolgen die Kläger ihr Entschädigungsbegehren weiter. Sie rügen eine Verletzung des § 198 Abs. 1 GVG.

9

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision der Kläger hat Erfolg. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die Kläger sind entgegen der Rechtsansicht des Oberverwaltungsgerichts prozessrechtlich nicht gehindert, die Klage auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer des Gerichtsverfahrens auf das Berufungszulassungsverfahren zu beschränken (1.). Das angefochtene Urteil beruht aber auf einer fehlerhaften Anwendung des § 198 Abs. 1 Gerichtsverfassungsgesetz - GVG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl I S. 1077), zuletzt geändert durch Gesetz vom 2. Juli 2013 (BGBl I S. 1938). Auf der Grundlage der vom Oberverwaltungsgericht festgestellten Tatsachen ergibt sich mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer eine sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung des Berufungszulassungsverfahrens von zwei Jahren (2.). Dem ausschließlich im Zusammenhang mit der Entschädigung des immateriellen Nachteils geltend gemachten Zinsanspruch ist jeweils ab Eintritt der Rechtshängigkeit stattzugeben (3.).

11

1. Die Begrenzung der Entschädigungsklage im Hauptantrag auf den Ausgleich des den Klägern jeweils infolge der unangemessenen Dauer des Berufungszulassungsverfahrens entstandenen Nachteils ist prozessrechtlich zulässig. Sie entspricht der Dispositionsbefugnis der Kläger als Rechtsmittelführer (vgl. § 88 VwGO) und trägt dem Umstand Rechnung, dass sie sich insoweit allein durch die Dauer des Berufungszulassungsverfahrens beschwert sehen. Allgemein kann ein Rechtsmittel auf einen von mehreren selbständigen Streitgegenständen einer Klage oder auf einen Teil des Streitgegenstandes beschränkt werden, wenn dieser Teil vom Gesamtstreitstoff abteilbar ist und materiellrechtliche Gründe einer gesonderten Entscheidung darüber nicht entgegenstehen (vgl. Urteil vom 11. Juli 2013 - BVerwG 5 C 23.12 D - zur Veröffentlichung in den Entscheidungssammlungen BVerwGE und Buchholz vorgesehen = NJW 2014, 96 Rn. 60 m.w.N.). Das ist hier der Fall.

12

Die Beschränkung des Anspruchs auf Ausgleich des Nachteils auf einen Verfahrenszug - hier das Berufungszulassungsverfahren - stellt einen abtrennbaren Teil des Entschädigungsanspruchs wegen unangemessener Dauer eines über mehrere Instanzen geführten Gerichtsverfahrens dar. Die Frage nach der prozessrechtlichen Zulässigkeit eines derart begrenzten Klageantrags ist zu trennen von der Frage nach seinem materiellrechtlichen Bezugsrahmen. Bezugsrahmen eines Entschädigungsanspruchs, der allein bezüglich der Dauer des Verfahrens in einer von mehreren Instanzen geltend gemacht wird, ist das gesamte verwaltungsgerichtliche Verfahren im Ausgangsrechtsstreit. Ob sich die Verfahrensdauer in einer von mehreren Instanzen als angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, ist materiellrechtlich unter Berücksichtigung der Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens von dessen Einleitung in der ersten Instanz bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss in der letzten Instanz zu ermitteln (vgl. Urteil vom 11. Juli 2013 a.a.O. Rn. 16 f. und 61). Das materielle Recht steht aber der Zuerkennung einer Entschädigung für den (nur) durch die unangemessene Dauer des Verfahrens in einer Instanz erlittenen Nachteil nicht entgegen. Denn auch um dies feststellen zu können, ist grundsätzlich die materiellrechtliche Voraussetzung zu prüfen, ob - mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer - durch die zügige Behandlung der Sache in einer Instanz eine etwaige Überlänge in einer anderen (vorangegangenen oder nachfolgenden) Instanz ganz oder teilweise kompensiert werden kann.

13

Für die Zulässigkeit, den Entschädigungsantrag auf eine Instanz beschränken zu können, spricht ferner, dass die Klage auf Entschädigung schon während des noch laufenden Ausgangsverfahrens erhoben werden kann (vgl. § 198 Abs. 5, § 201 Abs. 3 GVG). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass auch Konstellationen denkbar sind, in denen eine unangemessene und irreparable Verzögerung feststellbar ist und in denen daher über die Kompensation für schon eingetretene Nachteile entschieden werden kann, obwohl das Ausgangsverfahren noch nicht beendet ist. Dass es das Gesetz zulässt, verschiedene Verfahrensstufen unterschiedlich in den Blick zu nehmen, zeigt sich auch daran, dass die Verzögerungsrüge erneut erhoben werden muss, wenn die Sache bei einem anderen Gericht anhängig wird und es dort nochmals zu einer weiteren unangemessenen Verzögerung kommt (vgl. § 198 Abs. 3 Satz 5 GVG) sowie daran, dass bei einem bis zum Bundesverwaltungsgericht geführten Verwaltungsrechtsstreit verschiedene Rechtsträger - nämlich zum einen das jeweilige Land und zum anderen der Bund (§ 201 Abs. 1 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO) - für die in ihrem Bereich zu verantwortenden Verfahrensverzögerungen in Anspruch genommen werden können (vgl. so auch für die Begrenzung des Feststellungsantrags auf die Verfahrensdauer einer Instanz Urteil vom 11. Juli 2013 a.a.O. Rn. 60 f.).

14

2. Die Kläger haben jeweils einen Anspruch auf Ausgleich ihres immateriellen Nachteils in Höhe von 2 400 €, weil das Berufungszulassungsverfahren eine sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung von zwei Jahren aufweist (a). Des Weiteren können sie - als Gesamtgläubiger - die Entschädigung des ihnen durch diese Verzögerung entstandenen materiellen Nachteils in Höhe von 330,34 € verlangen (b).

15

a) Der Anspruch auf Entschädigung des immateriellen Nachteils folgt aus § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 GVG. Diese Regelungen sind im Verwaltungsprozess entsprechend anwendbar (§ 173 Satz 2 VwGO). Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Der durch eine unangemessene Verfahrensdauer eingetretene immaterielle Nachteil ist nach Maßgabe des § 198 Abs. 2 GVG zu entschädigen.

16

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Materiellrechtlicher Bezugsrahmen des von den Klägern geltend gemachten Entschädigungsanspruchs ist - wie dargelegt - das gesamte hier abgeschlossene gerichtliche Verfahren im Ausgangsrechtsstreit, und zwar von der Klageerhebung beim Verwaltungsgericht am 28. November 2007 bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss durch den die Zulassung der Berufung ablehnenden Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 29. August 2011. Die Dauer des Berufungszulassungsverfahrens war auch mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG (aa). Hierdurch haben die Kläger jeweils einen nicht auf andere Weise wiedergutzumachenden immateriellen Nachteil erlitten (bb), wofür ihnen jeweils eine Entschädigung in Höhe von 2 400 € zu zahlen ist (cc).

17

aa) Die Dauer des Berufungszulassungsverfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht war bei der gebotenen Gesamtabwägung unter Einbeziehung der Gesamtverfahrensdauer im Umfang von zwei Jahren unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.

18

Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Die Aufzählung in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ist nicht abschließend. Dementsprechend ist die Verfahrensdauer unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen (Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - in der Fassung vom 22. Oktober 2010 , Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eingetreten sind, bei Berücksichtigung des den Ausgangsgerichten insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums sachlich gerechtfertigt sind (vgl. Urteile vom 11. Juli 2013 - BVerwG 5 C 23.12 D - zur Veröffentlichung in den Entscheidungssammlungen BVerwGE und Buchholz vorgesehen = NJW 2014, 96 Rn. 26, 37 und 42 und - BVerwG 5 C 27.12 D - zur Veröffentlichung in Buchholz vorgesehen = juris Rn. 18, 29 und 34; s.a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. August 2013 - 1 BvR 1067/12 - NJW 2013, 3630 <3631 f.>).

19

Das Oberverwaltungsgericht hat sich in Übereinstimmung mit dem dargelegten rechtlichen Maßstab bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer zu Recht (vgl. Urteile vom 11. Juli 2013 - BVerwG 5 C 23.12 D - a.a.O. Rn. 28 ff. und - BVerwG 5 C 27.12 D - a.a.O. Rn. 20 ff.; s.a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. August 2013 a.a.O. <3631 f.>) nicht von festen Zeitvorgaben oder abstrakten Orientierungs- bzw. Anhaltswerten leiten lassen, sondern eine Einzelfallprüfung vorgenommen. Es hat auch die in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausdrücklich genannten Kriterien der Einzelfallprüfung richtig erfasst ((1)). Dem Oberverwaltungsgericht ist allerdings ein Rechtsanwendungs- bzw. Subsumtionsfehler unterlaufen, weil die festgestellten Tatsachen nicht den im Rahmen der Gesamtabwägung vorgenommenen Schluss tragen (vgl. Urteil vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <205> = Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 174 S. 24), die Gesamtverfahrensdauer von drei Jahren und rund neun Monaten sei noch nicht unangemessen im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Bei rechtlich zutreffender Abwägung ergibt sich vielmehr die Unangemessenheit der Verfahrensdauer und eine maßgebliche Verzögerung des Berufungszulassungsverfahrens von zwei Jahren ((2)).

20

(1) Die tatsächliche Würdigung und Rechtsanwendung des Oberverwaltungsgerichts ist im Hinblick auf die in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Kriterien der Schwierigkeit des Verfahrens ((a)), seiner Bedeutung für die Kläger ((b)) und des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten ((c)) nicht zu beanstanden.

21

(a) Das Oberverwaltungsgericht hat unter Berücksichtigung seiner insoweit getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei angenommen, dass das Berufungszulassungsverfahren einen allenfalls durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad aufgewiesen hat. Dies wird auch von der Revision nicht angegriffen. Die Entscheidung über den geltend gemachten Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) war im konkreten Fall eher einfach gelagert. Welche Anforderungen an diesen Zulassungsgrund zu stellen sind, hängt im Wesentlichen von der Beschaffenheit der in dem angefochtenen Urteil entschiedenen Fragen ab. Das Oberverwaltungsgericht hat die sich in Bezug auf den Widerruf der Bewilligungsbescheide in formeller und materieller Hinsicht stellenden Rechtsfragen zu Recht als Standardprobleme eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens angesehen. Es hat ferner festgestellt, dass der Vortrag der Kläger übersichtlich und eine Beweisaufnahme nicht erforderlich gewesen ist. Dafür, dass es sich bei dem Ausgangsverfahren vor dem Verwaltungsgericht um einen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht allenfalls durchschnittlich schwierigen Fall gehandelt hat, spricht zudem die Übertragung der Sache vom Verwaltungsgericht auf den Einzelrichter (§ 6 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Auch die von den Klägern im Berufungszulassungsverfahren erhobene Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Zusammenhang mit der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter stellt sich als eine einfach zu beantwortende verfahrensrechtliche Frage dar.

22

(b) Des Weiteren ist die Bewertung des Oberverwaltungsgerichts, das Ausgangverfahren und damit der Sache nach auch das Berufungszulassungsverfahren hätten für die Kläger keine besondere Bedeutung aufgewiesen, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Zwar ist der aufschiebenden Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) im konkreten Fall nicht die vom Oberverwaltungsgericht angenommene relativierende Wirkung für die Bedeutung der Sache beizumessen. Denn die aufschiebende Wirkung endete gemäß § 80b Abs. 1 Satz 1 VwGO drei Monate nach Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Allerdings sind dem angefochtenen Urteil keine Anhaltspunkte zu entnehmen, die auf eine erhebliche Bedeutung der Sache für die Kläger schließen lassen. Nach der tatrichterlichen Bewertung ihres Vorbringens haben die Kläger nicht dargelegt, dass die (moderat) erhöhten Zinsen von ihnen nicht hätten gezahlt werden können oder die Mieteinnahmen der geförderten Wohnung nicht ausgereicht hätten, um die erhöhten Zinsen zu decken. Ebenso gibt es keinen Hinweis darauf, dass die Kläger nach dem Kauf eines Hauses in ihrer wirtschaftlichen Existenz betroffen gewesen sind oder sonst eine besondere wirtschaftliche Bedeutung für sie vorgelegen hat.

23

Die Würdigung des klägerischen Tatsachenvortrags durch das Oberverwaltungsgericht ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob sie auf einem Rechtsirrtum beruht oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt (vgl. Urteil vom 14. März 2013 - BVerwG 5 C 10.12 - NVwZ-RR 2013, 689 Rn. 14). Dem Revisionsvorbringen ist nicht zu entnehmen, dass dem Oberverwaltungsgericht ein derartiger Fehler unterlaufen ist. Hierfür ist auch ansonsten kein Anhaltspunkt ersichtlich. Entsprechendes gilt, soweit das Oberverwaltungsgericht in Würdigung des Vortrags der Kläger auch eine besondere psychische Belastung der Kläger, insbesondere der Klägerin zu 1, durch das Verfahren auf Aufhebung der Teilwiderrufe der ihnen bewilligten Wohnungsbauförderung nicht zu bejahen vermochte. Schließlich liegt hier auch keine Fallgruppe vor, für welche die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte regelmäßig eine besondere Bedeutung für die Betroffenen annimmt, wie etwa bei Eingriffen in die persönliche Freiheit oder die Gesundheit, Rechtsstreitigkeiten um die finanzielle Versorgung (Renten- oder Arbeitssachen) oder Statussachen (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 - Nr. 75529/01, Sürmeli/Deutschland - NJW 2006, 2389 Rn. 133 sowie den Überblick und die Nachweise bei Wittling-Vogel/Ulick, DRiZ 2008, 87 <88>).

24

(c) Zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht aus den von ihm festgestellten Tatsachen den Schluss gezogen, dass die Kläger durch ihr Verhalten keine Verzögerung des Berufungszulassungsverfahrens bewirkt haben. Auch dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts sind die Kläger mit keiner Verfahrenshandlung säumig gewesen. Soweit sie die gesetzliche Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO ausgeschöpft haben, ist das Oberverwaltungsgerichts zu Recht davon ausgegangen, dass ihnen dies nicht als Verursachung einer Verfahrensverzögerung zugerechnet werden kann. Denn ein Rechtsmittelführer darf die gesetzlichen Fristen grundsätzlich voll ausschöpfen (vgl. Urteil vom 21. Dezember 1987 - BVerwG 3 B 28.87 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 154 S. 6), ohne dass ihm dies auch mit Blick auf § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG zum Nachteil gereicht.

25

(2) Die in dem angefochtenen Urteil auch zur Verfahrensführung des Oberverwaltungsgerichts getroffenen Feststellungen schließen es aus, die Verfahrensdauer noch als angemessen anzusehen. Vielmehr ergibt eine Beurteilung am Maßstab des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, dass bei der Führung des Berufungszulassungsverfahrens Verzögerungen eingetreten sind, die auch bei Berücksichtigung des dem Gericht zukommenden Gestaltungsspielraums eine unangemessene Verfahrensdauer bewirkt haben (vgl. Urteile vom 11. Juli 2013 - BVerwG 5 C 23.12 D - zur Veröffentlichung in den Entscheidungssammlungen BVerwGE und Buchholz vorgesehen = NJW 2014, 96 Rn. 37 ff. und - BVerwG 5 C 27.12 D - zur Veröffentlichung in Buchholz vorgesehen = juris Rn. 29 ff.). Auf der Grundlage der vom Oberverwaltungsgericht festgestellten Tatsachen ergibt sich, dass das Berufungszulassungsverfahren im Zeitraum vom 3. Mai 2009 bis zum 29. August 2011, d.h. zwei Jahre und rund vier Monate, ohne sachlichen Rechtfertigungsgrund nicht gefördert worden ist.

26

Aus den Feststellungen zur Chronologie des Berufungszulassungsverfahrens ist wertend zu folgern, dass der Antrag auf Zulassung der Berufung mit Eingang der Stellungnahme der beklagten Bank am 3. Dezember 2008 entscheidungsreif war. Denn der Berufungszulassungsantrag ist damit in tatsächlicher Hinsicht ausreichend aufbereitet gewesen und den Beteiligten ist in hinreichender Weise rechtliches Gehör gewährt worden (vgl. Urteil vom 11. Juli 2013 - BVerwG 5 C 23.12 D - a.a.O. Rn. 36 und 51). Aus dem festgestellten Verfahrensablauf ergibt sich des Weiteren, dass das Oberverwaltungsgericht in der Folgezeit bis zur Sachentscheidung keine weitere Handlung vorgenommen hat, um die Erledigung des Berufungszulassungsverfahrens zu fördern. Insbesondere die am 5. Januar 2010 verfügte Übersendung eines Schriftsatzes an die beklagte Bank, in dem der Prozessbevollmächtigte der Kläger die neue Anschrift seiner Kanzlei mitteilte, stellte keine derartige Handlung dar.

27

Im vorliegenden Einzelfall erscheint es angemessen, dem Oberverwaltungsgericht für das konkrete Berufungszulassungsverfahren ab Entscheidungsreife einen Zeitraum von fünf Monaten für seine Entscheidung über den Zulassungsantrag zuzugestehen mit der Folge, dass die bis zum 3. Mai 2009 eingetretene Verfahrensverzögerung als sachlich gerechtfertigt anzusehen und nicht dem beklagten Land zuzurechnen ist.

28

Der zugestandene Zeitraum trägt dem Umstand Rechnung, dass - auch vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich gewährten richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) - die Verfahrensgestaltung in erster Linie dem mit der Sache befassten Gericht obliegt und ihm hinsichtlich der Entscheidung, wann und wie es eine bestimmte Sache in Abstimmung mit anderen bei ihm anhängigen Sachen terminiert oder sonst fördert, ein Spielraum zusteht. Er berücksichtigt weiter, dass das Gericht vor einer verfahrensfördernden Handlung oder Entscheidung zur Sache Zeit zur rechtlichen Durchdringung benötigt, um dem rechtstaatlichen Anliegen zu genügen, eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes vorzunehmen. Der ab Eintritt der Entscheidungsreife zugestandene Zeitraum ist im Einzelfall in Relation zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien zu bestimmen. Maßgeblich ist insoweit - genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände -, wie die Gerichte im Ausgangsverfahren die Lage aus ihrer Ex-ante-Sicht einschätzen durften. Hingegen ist eine Überlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit oder des konkreten Ausgangsgerichts bzw. Spruchkörpers für die Bemessung des richterlichen Gestaltungsspielraums ohne Belang. Sie gehört zu den strukturellen Mängeln, die sich der Staat zurechnen lassen muss und die er zu beseitigen hat (vgl. Urteile vom 11. Juli 2013 - BVerwG 5 C 23.12 D - a.a.O. Rn. 41 ff. und - BVerwG 5 C 27.12 D - a.a.O. Rn. 33 ff.; s.a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. August 2013 - 1 BvR 1067/12- NJW 2013, 3630 <3632>).

29

In Anwendung dieser rechtlichen Maßstäbe hätte das Oberverwaltungsgericht über das in Rede stehende Verfahren auf Zulassung der Berufung angesichts der eher einfach gelagerten Fragen, die zu beantworten waren, fünf Monate nach Eintritt der Entscheidungsreife entscheiden müssen, um den Anforderungen an eine angemessene Verfahrensdauer zu genügen.

30

Die sich danach errechnende sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung des Berufungszulassungsverfahrens im Umfang von zwei Jahren und rund vier Monaten ist im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung mit Blick auf das zügige erstinstanzliche Verfahren um rund vier Monate zu reduzieren. Denn das Verwaltungsgericht hat den Rechtsstreit etwa vier Monate früher erledigt, als es dies bei Berücksichtigung des ihm zukommenden Gestaltungsspielraums hätte tun müssen, um das Verfahren im Sinne des § 198 Abs. 1 GVG in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen.

31

Die am 28. November 2007 erhobene Klage war am 6. Mai 2008 entscheidungsreif. Zu diesem Zeitpunkt lagen Klagebegründung, Klageerwiderung, Replik der Kläger und Duplik der beklagten Bank vor. Dem Verwaltungsgericht ist im konkreten Fall für seine Entscheidung mit Rücksicht auf den gerichtlichen Spielraum bei der Verfahrensgestaltung ein Zeitraum von acht Monaten ab Entscheidungsreife zuzugestehen. Bei der Bemessung dieses Zeitraums ist in Anwendung des dargelegten rechtlichen Maßstabes zunächst zu berücksichtigen, dass es sich bei dem erstinstanzlichen Verfahren um ein Hauptsacheverfahren gehandelt hat. Zudem ist über die Klage aufgrund mündlicher Verhandlung zu entscheiden gewesen (vgl. § 101 Abs. 1 VwGO). Allerdings ist das Verfahren in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht - wie dargelegt - nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts allenfalls durchschnittlich schwierig gewesen. Ferner ist der Zeitspanne von über fünf Monaten bis zum Eintritt der Entscheidungsreife des erstinstanzlichen Verfahrens Rechnung zu tragen. Denn die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet sich mit zunehmender Verfahrensdauer (vgl. Urteile vom 11. Juli 2013 - BVerwG 5 C 23.12 D - zur Veröffentlichung in den Entscheidungssammlungen BVerwGE und Buchholz vorgesehen = NJW 2014, 96 Rn. 39 und - BVerwG 5 C 27.12 D - zur Veröffentlichung in Buchholz vorgesehen = juris Rn. 31, jeweils mit Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des BVerfG; s.a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. August 2013 a.a.O.). Je größer der zeitliche Abstand von der Einleitung bis zur Entscheidungsreife des Verfahrens ist, desto stärker ist das Gericht gehalten, anschließend auf eine zügige Erledigung der Sache hinzuwirken. Nach alledem wäre die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht noch angemessen gewesen, wenn es die Ende November 2007 eingegangene Sache nach dreizehn Monaten abgeschlossen hätte. Das Verwaltungsgericht hat aber über die Klage mit Urteil vom 5. September 2008 entschieden und das erstinstanzliche Verfahren somit rund vier Monate vor Ablauf des hier anzunehmenden Gestaltungszeitraums zum Abschluss gebracht. Dieser Zeitraum ist auf die Überlänge des Berufungszulassungsverfahrens mindernd anzurechnen.

32

bb) Die Kläger haben infolge der unangemessenen Dauer des Berufungszulassungsverfahrens von zwei Jahren jeweils einen immateriellen Nachteil erlitten ((1)), der nicht auf andere Weise wiedergutgemacht werden kann ((2)).

33

(1) Dass die Kläger Nachteile nichtvermögensrechtlicher Art erlitten haben, ergibt sich aus § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG. Danach wird ein immaterieller Nachteil vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren - wie hier das Berufungszulassungsverfahren - unangemessen lange gedauert hat. Diese Vermutung ist hier weder bezüglich der Klägerin zu 1 noch des Klägers zu 2 widerlegt.

34

(2) Entschädigung für Nachteile nichtvermögensrechtlicher Art kann gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise ist gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Ob eine solche Feststellung ausreichend im Sinne des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles (vgl. Urteile vom 11. Juli 2013 - BVerwG 5 C 23.12 D - a.a.O. Rn. 57 und - BVerwG 5 C 27.12 D - a.a.O. Rn. 48, jeweils m.w.N.).

35

Eine schlichte Feststellungsentscheidung ist hier mit Blick auf den Umfang der Verzögerung des vom Schwierigkeitsgrad allenfalls durchschnittlich gelagerten Berufungszulassungsverfahrens nicht ausreichend. Der Umstand, dass das Verfahren für die Kläger keine besondere Bedeutung im entschädigungsrechtlichen Sinne besaß, vermag das Gewicht des durch die Verzögerung von zwei Jahren bedingten immateriellen Nachteils nicht entscheidend zu mindern.

36

cc) Den Klägern ist für den erlittenen immateriellen Nachteil jeweils ein Entschädigungsbetrag von 2 400 € zu zahlen. Eine Minderung dieses Betrages, weil zwei Personen auf Klägerseite auftreten, ist hier nicht gerechtfertigt.

37

Der Anspruch auf Entschädigung des immateriellen Nachteils ist ein personenbezogener Anspruch. Dies legt bereits der Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG nahe. Danach wird angemessen entschädigt, wer infolge der unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erlitten hat. Es finden sich dort keine Hinweise dafür, dass mehrere Personen auf Kläger- oder Beklagtenseite hinsichtlich eines Nachteils, der nicht Vermögensnachteil ist, als eine (Personen-)Einheit zu behandeln sind. Gleiches gilt für die Legaldefinition des Verfahrensbeteiligten in § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG, nach der jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger der öffentlichen Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind, Verfahrensbeteiligter ist. Die den Gesetzesmaterialien zu entnehmende Entstehungsgeschichte (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 1 und 15) und Zweckbestimmung des § 198 Abs. 1 GVG (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18) bestätigen diesen Befund. Der innerstaatliche Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren in Form des Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 GVG stellt sich danach als Reaktion auf eine entsprechende Forderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dar. Haftungsgrund für den gesetzlich normierten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer in § 198 Abs. 1 GVG ist mithin die Verletzung des in Art. 6 Abs. 1 EMRK sowie Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (vgl. Urteile vom 11. Juli 2013 - BVerwG 5 C 23.12 D - a.a.O. Rn. 38 und - BVerwG 5 C 27.12 D - a.a.O. Rn. 30, jeweils m.w.N.). Der Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit ist als ein Jedermann-Recht konzipiert und steht dementsprechend jeder Person zu, die an einem Gerichtsverfahren beteiligt ist.

38

Die Bemessung des jeweiligen immateriellen Nachteils richtet sich nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG. Danach ist der immaterielle Nachteil in der Regel in Höhe von 1 200 € für jedes Jahr der Verzögerung zu entschädigen. Gemäß § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen, wenn der Betrag von 1 200 € nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist. Es kann offenbleiben, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen es aus Billigkeitserwägungen geboten sein kann, bei mehreren Personen auf Kläger- oder Beklagtenseite einen niedrigeren Entschädigungsbetrag als den Regelbetrag für jedes Jahr festzusetzen (vgl. hierzu z.B. EGMR, Urteil vom 15. Februar 2008 - Nr. 38311/02, Kakamoukas u.a./Griechenland - NJW 2009, 655 <656 f.>). Denn bei einer Sachverhaltskonstellation wie der vorliegenden besteht kein Anlass für eine derartige Billigkeitsentscheidung. Die Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts geben auch im Übrigen keine Veranlassung, vom Pauschalbetrag abzuweichen.

39

b) Den Klägern steht als Gesamtgläubigern für den durch die Verzögerung entstandenen materiellen Nachteil ein Entschädigungsanspruch in Höhe von 330,34 € zu.

40

Anspruchsgrundlage ist insoweit § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, der im Fall des Vorliegens seiner Voraussetzungen gebietet, (auch) für einen materiellen Nachteil angemessene Entschädigung zu leisten. Die notwendigen Anwaltskosten für die vorprozessuale Verfolgung des Entschädigungsanspruchs stellen - entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts - eine Vermögenseinbuße und damit einen materiellen Nachteil im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG dar (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 19). Diese Kosten sind auch durch die nicht gerechtfertigte Verzögerung des Berufungszulassungsverfahrens verursacht worden. Die Verzögerung kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass die den Klägern in Rechnung gestellten Anwaltskosten für die vorprozessuale Verfolgung des Entschädigungsanspruchs entfielen. Die Kosten sind adäquate Folge der unangemessenen Verfahrensdauer. Zwar besteht - wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat - keine gesetzliche Pflicht, den Entschädigungsanspruch vor einer Klageerhebung gegenüber dem jeweils haftenden Rechtsträger außergerichtlich geltend zu machen. Die Verfahrensbeteiligten sind aber nach allgemeinen Grundsätzen berechtigt, dies zu tun (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 22).

41

Die Entschädigung für materielle Nachteile ist kein Schadensersatz im Sinne der §§ 249 ff. Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -. Sie stellt vielmehr in Anlehnung an § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB einen Schadensausgleich nach enteignungs- und aufopferungsrechtlichen Grundsätzen dar. Es findet damit nur ein Ausgleich der erlittenen Vermögenseinbuße, aber grundsätzlich keine Naturalrestitution statt (vgl. Urteil vom 11. Juli 2013 - BVerwG 5 C 27.12 D - zur Veröffentlichung in Buchholz vorgesehen = juris Rn. 54 m.w.N.). Die Vermögenseinbuße der Kläger beläuft sich hier auf die in Rechnung gestellten 330,34 €, für die sie gegenüber ihrem Rechtsanwalt gesamtschuldnerisch gehaftet haben.

42

3. Der ausschließlich hinsichtlich der Entschädigung des immateriellen Nachteils jeweils geltend gemachte Zinsanspruch der Kläger ist auf die Prozesszinsen zu beschränken.

43

a) Die Kläger können keine Verzugszinsen seit dem 15. Februar 2012, dem Tag nach Ablauf der Zahlungsfrist, die sie der Senatsverwaltung für Finanzen gesetzt haben, beanspruchen.

44

Ein Anspruch auf Verzugszinsen in analoger Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Vorschrift des § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn es sich bei der öffentlich-rechtlichen Forderung um eine Entgeltforderung handelt, d.h. um eine vertragliche Leistungspflicht, die in einem Gegenseitigkeitsverhältnis zur Leistungspflicht des anderen Vertragspartners steht. Denn insoweit besteht kein entscheidender Unterschied zu bürgerlich-rechtlichen Rechtsbeziehungen (vgl. Urteile vom 30. Juni 2011 - BVerwG 3 C 30.10 - Buchholz 428.2 § 8 VZOG Nr. 13 Rn. 20 und vom 12. Juni 2002 - BVerwG 9 C 6.01 - BVerwGE 116, 312 <323> = Buchholz 407.2 § 13 EKrG Nr. 3 S. 27, jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzungen erfüllt der Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 GVG als gesetzlicher Anspruch nicht.

45

In allen anderen Fällen können Verzugszinsen bei öffentlich-rechtlichen Geldforderungen nur aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Grundlage gefordert werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gibt es keinen allgemeinen Grundsatz des Verwaltungsrechts, der zur Zahlung von Verzugszinsen verpflichtet (vgl. z.B. Urteile vom 26. Juli 2012 - BVerwG 2 C 29.11 - BVerwGE 143, 381 = Buchholz 237.4 § 76 HmbBG Nr. 3, jeweils Rn. 46 und vom 12. Juni 2002 a.a.O., jeweils m.w.N.). In Bezug auf den Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 GVG fehlt es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung über die Zahlung von Verzugszinsen.

46

b) Der für den immateriellen Nachteil zuerkannte Entschädigungsbetrag ist jeweils ab Eintritt der Rechtshängigkeit mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen. Nach den auch im Verwaltungsprozess anwendbaren Vorschriften der § 291 Satz 1 i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB sind Prozesszinsen immer dann zu zahlen, wenn das einschlägige Fachrecht - so wie hier die §§ 198 ff. GVG - keine abweichende Regelung trifft und die Geldforderung - wie hier - eindeutig bestimmt ist (vgl. Urteile vom 26. Juli 2012 a.a.O., jeweils Rn. 47 und vom 12. Juni 2002 a.a.O. <325> bzw. S. 28, jeweils m.w.N.).

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um eine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer.

2

Im Ausgangsverfahren, dessen Überlänge der Kläger rügt, stand der Anspruch auf Förderung seiner ganztägigen Betreuung in einer Kindestageseinrichtung für August und September 2008 im Streit. Die Mutter des Klägers befand sich nach der Geburt ihres zweiten Kindes am 12. Juli 2008 bis zum 6. September 2008 in Mutterschutz, anschließend in Elternzeit. Mit Rücksicht darauf hatte die Stadt Neubrandenburg die ursprünglich bewilligte Ganztagsförderung mit Wirkung zum 1. August 2008 aufgehoben und dem Kläger für die Monate August und September 2008 nur noch einen Anspruch auf Teilzeitförderung zuerkannt. Mit der nach erfolglosem Widerspruchsverfahren am 21. Dezember 2008 beim Verwaltungsgericht erhobenen Klage verfolgte der Kläger, vertreten durch seine Eltern, den Anspruch auf Ganztagsförderung weiter. Die Differenz zwischen dem Elternbeitrag und der Verpflegungspauschale für die beanspruchte Ganztags- und die bewilligte Teilzeitbetreuung in den streitgegenständlichen Monaten belief sich nach seinen Angaben auf 195,32 €. Das Verwaltungsgericht trug die Eltern des Klägers als Kläger ein.

3

Mit Schreiben vom 29. Dezember 2008 fragte der Berichterstatter bei den Beteiligten an, ob sie mit einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter sowie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien. Mit am 20. Januar 2009 und 4. Februar 2009 beim Verwaltungsgericht eingegangenen Schriftsätzen erklärten die Beteiligten ihr Einverständnis mit dieser Verfahrensweise. Klagebegründung, Klageerwiderung, Replik, Duplik und Triplik lagen dem Verwaltungsgericht am 28. April 2009 vor. Von der ihr aufgrund der Verfügung des Berichterstatters vom 29. April 2009 gegebenen Gelegenheit zur Stellungnahme auf die Triplik des Klägers machte die Stadt Neubrandenburg keinen Gebrauch.

4

In dem Zeitraum vom 29. April 2009 bis zum 30. August 2011 verfügte der Berichterstatter im Abstand von drei bzw. vier Monaten wiederholt die Wiedervorlage der Sache.

5

Mit Schreiben vom 31. August 2011 wies der Berichterstatter die Eltern des Klägers darauf hin, dass der geltend gemachte Anspruch nicht ihnen, sondern dem Kläger selbst zustehen, der Rechtsstreit in der Hauptsache vor Klageerhebung erledigt gewesen und das Vorliegen der materiellrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen zu verneinen sein dürfte. Er forderte die Eltern des Klägers auf, binnen drei Wochen mitzuteilen, ob eine verfahrensbeendende Erklärung abgegeben werde. Die Stellungnahme der Eltern des Klägers ging am 19. September 2011 beim Verwaltungsgericht ein.

6

Mit Schreiben vom 29. September 2011 forderte der Berichterstatter den inzwischen anstelle seiner Eltern als Beteiligten erfassten Kläger auf mitzuteilen, ob an dem im Januar 2009 erklärten Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung festgehalten werde. Für die Beantwortung der Anfrage setzte er dem Kläger keine Frist. Aufgrund seiner Verfügung wurde ihm die Akte am 21. Oktober 2011 wiedervorgelegt. Das Antwortschreiben des Klägers ging nach zweimaliger Erinnerung am 9. November 2011 beim Verwaltungsgericht ein.

7

Mit Beschluss vom 10. November 2011 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen. Die mündliche Verhandlung fand am 8. Dezember 2011 statt. Der damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers erhob darin eine Verzögerungsrüge. Sodann beendeten die Beteiligten den Rechtsstreit durch Vergleich.

8

Mit der am 4. Juni 2012 beim Oberverwaltungsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Gewährung einer angemessenen Entschädigung und hilfsweise die Feststellung begehrt, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Er ist von einer sachlich nicht gerechtfertigten Verzögerung von mehr als zwei Jahren ausgegangen. Die Höhe der Entschädigung müsse sich am Regelbetrag orientieren.

9

Mit Urteil vom 4. Juni 2013 hat das Oberverwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die Dauer des Verfahrens sei noch als angemessen zu bewerten. Hauptgrund hierfür sei, dass es lediglich um einen denkbar geringen Betrag gegangen sei. Dass der Kläger bzw. dessen Eltern nach den persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen auf den Betrag von 195,32 € angewiesen gewesen seien, sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Mehr als diese finanzielle Bedeutung habe das Verfahren von Anfang an für die Klägerseite nicht gehabt. Hinzu komme, dass sich die Verfahrensbeteiligten in der Zeit von Ende April 2009 bis Ende August 2011, als das Gericht die Sache nicht gefördert habe, ebenfalls vollkommen passiv verhalten hätten. Demgegenüber wiege die zugunsten des Klägers unterstellte grundsätzliche Bedeutung des Verfahrens nicht besonders schwer, weil die Beteiligten ihr selbst offenbar keine besondere Bedeutung beigemessen hätten. Dass das Verfahren, wovon zugunsten des Klägers auszugehen sei, keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufgewiesen habe, rechtfertige keine andere Entscheidung.

10

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 198 GVG. Das Oberverwaltungsgericht habe nicht zu seinen Lasten berücksichtigen dürfen, dass er nicht auf eine Beschleunigung des Verfahrens hingewirkt oder auch nur nach dem Sachstand gefragt habe, als das Verwaltungsgericht das Verfahren nicht betrieben bzw. gefördert habe. Soweit das Oberverwaltungsgericht erkennen lasse, dass bei einem Streit um einen - wie hier - geringen Geldbetrag eher eine längere, bei einem Streit um einen höheren Geldbetrag eher eine kürzere Verfahrensdauer als angemessen anzusehen sei, finde sich hierfür weder im Bundesrecht noch in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Stütze. Angesichts der von der Stadt Neubrandenburg vertretenen Auffassung, während des Mutterschutzes sei eine tatsächliche Verhinderung der Mutter schwerlich anzunehmen, habe das Verfahren für ihn und seine Eltern auch eine erhebliche emotionale Bedeutung gehabt. Zudem sei es im Sinne eines Musterverfahrens für die Allgemeinheit von Bedeutung gewesen. Unter Berücksichtigung aller Umstände ergebe sich eine sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung von zwei Jahren und vier Monaten. Wegen der dargestellten Bedeutung des Verfahrens für ihn und die Allgemeinheit erscheine eine Wiedergutmachung anders als in Form einer Entschädigung nicht ausreichend. Die Höhe der Entschädigung dürfte sich an dem Regelbetrag des § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG zu orientieren haben und mit 2 800 € angemessen sein.

11

Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), soweit das Oberverwaltungsgericht entscheidungstragend angenommen hat, der Kläger müsse sich bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer zu seinem Nachteil anrechnen lassen, dass er nicht auf eine Beschleunigung des Verfahrens hingewirkt oder auch nur nach dem Sachstand gefragt habe. Es erweist sich auch nicht im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die mit dem Hauptantrag verfolgte Entschädigungsklage ist zulässig (1.) und im tenorierten Umfang begründet (2.).

13

1. Die Entschädigungsklage ist zulässig, obwohl der Kläger die begehrte Entschädigung für die erlittenen immateriellen Nachteile in seinem Antrag nicht beziffert (a) und die Sechsmonatsfrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes - GVG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Januar 2015 (BGBl. I S. 10), nicht abgewartet hat (b).

14

a) Der auf Gewährung einer angemessenen Entschädigung lautende Klageantrag ist hinreichend bestimmt.

15

Das Erfordernis eines bestimmten Klageantrags ist in § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO als bloße Sollvorschrift ausgestaltet. Ihm muss aber mit der Antragstellung in der mündlichen Verhandlung (§ 103 Abs. 3 VwGO) genügt werden. Welche Anforderungen sich hieraus ergeben, hängt von den Besonderheiten des jeweiligen materiellen Rechts und von den Umständen des Einzelfalles ab (BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 7 C 21.12 - BVerwGE 147, 312 Rn. 54). Wird im Verwaltungsprozess unmittelbar auf Leistung eines Geldbetrages geklagt, ist die Forderung grundsätzlich der Höhe nach im Klageantrag zu beziffern. Ein unbezifferter Klageantrag ist aber ausnahmsweise zulässig, wenn die Schwierigkeit, den Klageantrag hinreichend genau zu bestimmen, durch außerhalb der Klägersphäre liegende Umstände verursacht wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. September 1989 - 7 C 4.89 - Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 93 S. 60). Das gilt für die Klage auf Zahlung einer Entschädigung für immaterielle Nachteile nach den gemäß § 173 Satz 2 VwGO im Verwaltungsprozess entsprechend anwendbaren Vorschriften des § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 GVG jedenfalls deshalb, weil sie eine Ermessensausübung des Gerichts nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG erfordert. Das Gericht hat danach stets von Amts wegen zu prüfen, ob der Pauschalbetrag gemäß § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG nach den Umständen des Einzelfalles unbillig und daher ein höherer oder niedrigerer Betrag festzusetzen ist. Um das Erfordernis eines bestimmten Klageantrags in diesem Fall zu erfüllen, muss der Kläger die für die Bemessung der Höhe des Anspruchs erforderlichen Tatsachen benennen und die Größenordnung der geltend gemachten Entschädigung (etwa einen Mindestbetrag) angeben (vgl. stRspr zu § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 287 ZPO, z.B. BGH, Urteile vom 24. September 1991 - VI ZR 60/91 - NJW 1992, 311 <312>; vom 30. April 1996 - VI ZR 55/95 - BGHZ 132, 341 <350> und vom 10. Oktober 2002 - III ZR 205/01 - NJW 2002, 3769). Das hat der Kläger getan.

16

Der Klagebegründung war hinreichend deutlich zu entnehmen, dass der Kläger von einer unangemessenen Verfahrensdauer von mehr als zwei Jahren ausgegangen ist und eine sich am Regelbetrag orientierende Entschädigung begehrt hat. Dieses Vorbringen hat er in der Revisionsbegründung dahingehend konkretisiert, dass eine sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung von zwei Jahren und vier Monaten angenommen und eine Entschädigung von 2 800 € als angemessen angesehen werde. Damit hat der Kläger die geltend gemachte Forderung jedenfalls nach unten durch diesen Betrag begrenzt.

17

b) Die Einhaltung der Wartefrist war nicht erforderlich.

18

Nach § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO kann eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach § 198 Abs. 1 GVG frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Dies gilt gemäß Art. 23 Satz 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 - ÜblVfRSchG - (BGBl. I S. 2302) auch für Verfahren, die - wie hier - bei dem Inkrafttreten des Gesetzes am 3. Dezember 2011 (vgl. Art. 24 ÜblVfRSchG) bereits anhängig waren. Die Einhaltung dieser Frist ist eine besondere Sachurteilsvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist. Eine vor Fristablauf erhobene Klage wird nach Ablauf der Frist nicht zulässig (BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/14 R - juris Rn. 19; BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - III ZR 228/13 - NJW 2014, 2588 Rn. 17 m.w.N.). Das Fristerfordernis des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG ist allerdings im Wege der teleologischen Reduktion dahin einzuschränken, dass es keine Anwendung findet, wenn das als verspätet gerügte Verfahren schon vor Ablauf der Sechsmonatsfrist abgeschlossen wurde.

19

Die Befugnis der Korrektur des Wortlauts einer Vorschrift steht den Gerichten unter anderem dann zu, wenn diese nach ihrer grammatikalischen Fassung Sachverhalte erfasst, die sie nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht erfassen soll. In einem solchen Fall ist eine zu weit gefasste Regelung im Wege der sogenannten teleologischen Reduktion auf den ihr nach Sinn und Zweck zugedachten Anwendungsbereich zurückzuführen (BVerwG, Urteil vom 25. März 2014 - 5 C 13.13 - Buchholz 436.36 § 8 BAföG Nr. 14 Rn. 25 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen vor.

20

Die Vorschrift des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG bezieht sich ihrem Wortlaut nach auf alle Verfahren, in denen eine Verzögerungsrüge erhoben wird, ohne Rücksicht darauf, wann das Verfahren im Anschluss daran abgeschlossen wird. Dieser zu weit gefasste Wortlaut erfasst auch Fälle, die er nach Sinn und Zweck der Vorschrift nicht erfassen sollte. Nach der gesetzgeberischen Vorstellung, die insbesondere in der Gesetzesbegründung ihren Niederschlag gefunden hat (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 22), soll die Wartefrist der präventiven Funktion der Verzögerungsrüge Rechnung tragen und dem Gericht die Möglichkeit einräumen, auf eine Beschleunigung des Verfahrens hinzuwirken und dadurch (weiteren) Schaden zu vermeiden. Wird ein Verfahren vor Ablauf der Sechsmonatsfrist beendet, würde ein Abwarten insofern keinen Sinn mehr machen. Deshalb ist es geboten, die Bestimmung im Wege teleologischer Reduktion dahin einzuschränken, dass ihr Anwendungsbereich nicht eröffnet ist, wenn das Verfahren innerhalb von sechs Monaten nach Erhebung der Verzögerungsrüge beendet wird. In diesem Fall ist die Entschädigungsklage ausnahmsweise vom Moment des Verfahrensabschlusses an zulässig (vgl. BGH, Urteile vom 21. Mai 2014 - III ZR 355/13 - NJW 2014, 2443 Rn. 17 und vom 17. Juli 2014 - III ZR 228/13 - NJW 2014, 2588 Rn. 18 m.w.N.; Schenke, NVwZ 2012, 257 <261>). So verhält es sich hier. Das Verfahren ist in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts am 8. Dezember 2011, in der auch die Verzögerungsrüge erhoben wurde, durch Vergleich beendet worden.

21

2. Der Kläger hat einen Anspruch auf Entschädigung des immateriellen Nachteils in Höhe von 1 800 €.

22

Der Anspruch folgt aus § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 GVG. Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Der durch eine unangemessene Verfahrensdauer eingetretene immaterielle Nachteil ist nach Maßgabe des § 198 Abs. 2 GVG zu entschädigen. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Dauer des vom Kläger in Bezug genommenen Gerichtsverfahrens (a) war unangemessen (b). Hierdurch hat er einen immateriellen Nachteil erlitten, der nicht auf andere Weise wiedergutgemacht werden kann (c) und in Höhe von 1 800 € zu entschädigen ist (d).

23

a) Gegenstand des geltend gemachten Entschädigungsanspruchs ist das verwaltungsgerichtliche Verfahren im Ausgangsrechtsstreit vom Zeitpunkt der Erhebung der Klage am 21. Dezember 2008 bis zu dessen Beendigung durch den in der mündlichen Verhandlung am 8. Dezember 2011 geschlossenen Vergleich.

24

Nach der Legaldefinition des § 198 Abs. 6 Nr. 1 Halbs. 1 GVG ist Gerichtsverfahren im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe. Der Begriff "Einleitung" erfasst alle Formen, mit denen ein Verfahren in Gang gesetzt werden kann, unabhängig davon, ob dies durch Antrag oder Klageerhebung geschieht oder ein Verfahren von Amts wegen eingeleitet wird (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 22). Mit rechtskräftigem Abschluss ist zum einen die formelle Rechtskraft einer Entscheidung gemeint (BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 19 und - 5 C 27.12 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 2 Rn. 11). Zum anderen wird hiervon auch die anderweitige Erledigung des Verfahrens insbesondere durch Antrags- oder Klagerücknahme, Einstellung, Vergleich oder Erledigungserklärung erfasst (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, A. § 198 GVG Rn. 54). Für Letzteres spricht insbesondere der systematische Rückschluss aus § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG. Diese Vorschrift stellt für den Beginn der Ausschlussfrist die Beendigung des Verfahrens durch rechtskräftige Entscheidung und die Beendigung des Verfahrens durch eine andere Erledigung gleichberechtigt nebeneinander.

25

In Anwendung dieses Maßstabes erfasst der materielle Bezugsrahmen des von dem Kläger geltend gemachten Entschädigungsanspruchs die Gesamtdauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht.

26

b) Die Dauer des Gerichtsverfahrens vor dem Verwaltungsgericht war bei der gebotenen Gesamtabwägung im Umfang von einem Jahr und sechs Monaten unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.

27

Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen (Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - in der Fassung vom 22. Oktober 2010 , Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eingetreten sind, bei Berücksichtigung des den Ausgangsgerichten insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums sachlich gerechtfertigt sind (BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014 - 5 C 1.13 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3 Rn. 18 m.w.N.).

28

In Übereinstimmung mit dem darlegten rechtlichen Maßstab hat sich das Oberverwaltungsgericht bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer zwar zu Recht nicht von festen Zeitvorgaben oder abstrakten Orientierungs- bzw. Anhaltswerten leiten lassen, sondern eine Einzelfallprüfung vorgenommen (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 28 ff. und - 5 C 27.12 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 2 Rn. 20 ff.; s.a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. August 2013 - 1 BvR 1067/12 - NJW 2013, 3630 <3631 f.>). Auch hat es zutreffend angenommen, das Verfahren habe keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufgewiesen (aa) und nur eine geringe finanzielle Bedeutung für den Kläger gehabt (bb). Eine grundsätzliche Bedeutung kann dem Verfahren aufgrund der festgestellten Tatsachen daneben nicht zugesprochen werden (cc). Das angefochtene Urteil beruht aber insoweit auf einer Verletzung von Bundesrecht, als das Oberverwaltungsgericht dem Kläger angelastet hat, seinerseits nicht auf eine Beschleunigung hingearbeitet zu haben, als das Verwaltungsgericht das Verfahren nicht betrieben bzw. gefördert habe (dd). In die einzelfallbezogene Angemessenheitsprüfung ist hingegen einzustellen, dass der Kläger durch sein prozessuales Verhalten eine Verzögerung bewirkte (ee) und es durch die Verfahrensführung des Verwaltungsgerichts unter Berücksichtigung des ihm insoweit eingeräumten Gestaltungsspielraums zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Verzögerung von einem Jahr und sieben Monaten kam (ff). Bei der gebotenen Gesamtabwägung aller Umstände ergibt sich eine unangemessene Verfahrensdauer von einem Jahr und sechs Monaten (gg).

29

aa) Die Würdigung des Oberverwaltungsgerichts, das Verfahren sei nicht tatsächlich oder rechtlich besonders schwierig gewesen, ist unter Berücksichtigung seiner hierzu getroffenen Feststellungen nicht zu beanstanden. Sie wird auch vom Kläger nicht angegriffen.

30

Aus den festgestellten Tatsachen ist wertend zu folgern, dass der Sachverhalt überschaubar, einfach gelagert und zwischen den Verfahrensbeteiligten unstreitig war. Die entscheidungserhebliche Frage, ob dem Kläger gemäß § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Förderung von Kindern in Kindertageseinrichtungen und in Kindertagespflege (Kindertagesförderungsgesetz - KiföG M-V) vom 1. April 2004 (GVOBl. M-V S. 146) nach der Geburt seiner Schwester für die Zeit des gesetzlichen Mutterschutzes nur noch ein Anspruch auf Förderung einer Teilzeitbetreuung oder weiterhin ein Anspruch auf Förderung einer ganztätigen Betreuung in einer Kindertagesstätte zustand, war für sich genommen nicht besonders komplex. Entsprechendes galt für die damit verbundene Frage, wer Inhaber des Anspruchs ist. Auch die Frage, ob der Rechtsstreit bereits vor Klageerhebung erledigt gewesen ist, war als Standardproblem eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens anzusehen. Dafür, dass es sich bei dem Ausgangsverfahren vor dem Verwaltungsgericht um einen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht allenfalls durchschnittlich schwierigen Fall gehandelt hat, spricht zudem, dass die Kammer des Verwaltungsgerichts den Rechtsstreit auf den Einzelrichter übertragen hat (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO).

31

bb) Das Oberverwaltungsgericht ist auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, das Verfahren habe für den Kläger nur eine finanzielle Bedeutung gehabt, die mit 195,32 € als äußerst gering zu bewerten sei.

32

Für die Bewertung der finanziellen Bedeutung als gering hat sich das Oberverwaltungsgericht nicht allein auf die Höhe des streitgegenständlichen Betrages gestützt. Vielmehr hat es seine Einschätzung vor allem auch damit begründet, der Kläger habe weder vorgetragen noch sei ersichtlich, dass er bzw. dessen Eltern nach den persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen auf den streitgegenständlichen Betrag angewiesen gewesen seien. Die geringe finanzielle Bedeutung hat es somit in Übereinstimmung mit dem aufgezeigten bundesrechtlichen Maßstab an die Umstände des konkreten Falles geknüpft. Mit Rücksicht darauf geht der Einwand des Klägers ins Leere, das Oberverwaltungsgericht habe sich bei der Beurteilung der Bedeutung des Verfahrens von einem festen abstrakten Rechtssatz des Inhalts leiten lassen, bei einem Streit um einen geringen Geldbetrag sei eher eine längere, bei einem Streit um einen höheren Geldbetrag eher eine kürzere Verfahrensdauer als angemessen anzusehen, wofür sich weder im Bundesrecht noch in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Stütze finde.

33

Soweit der Kläger im entschädigungsrechtlichen Revisionsverfahren geltend macht, das Verfahren habe für ihn und seine Eltern angesichts der von der Stadt Neubrandenburg vertretenen Auffassung, während des Mutterschutzes sei eine tatsächliche Verhinderung der Mutter schwerlich anzunehmen, (auch) eine erhebliche emotionale Bedeutung gehabt, findet dies in den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts, gegen die Verfahrensrügen nicht erhoben wurden, keine Stütze.

34

cc) Die vom Oberverwaltungsgericht lediglich unterstellte grundsätzliche Bedeutung ist zu verneinen. Nach den insoweit getroffenen Feststellungen fehlt eine hinreichende tatsächliche Grundlage für die Annahme, dass das Verfahren als Musterprozess grundsätzlich bedeutsam war.

35

Entgegen der Revisionsbegründung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt, dass die Stadt Neubrandenburg - wie vom Kläger behauptet - in einer größeren Zahl von Fällen eine zuvor bewilligte Ganztagsbetreuung für die Zeit des Mutterschutzes in eine Teilzeitbetreuung geändert hätte, sodass sich die Entscheidung auf eine größere Zahl von Verfahren oder die Verwaltungspraxis auswirken könnte. Eine Verfahrensrüge hat der Kläger insoweit nicht erhoben. Als Indiz für die fehlende grundsätzliche Bedeutung ist vielmehr der Umstand zu werten, dass das Verwaltungsgericht diese Behauptung nicht zum Anlass genommen hat, um von der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter nach § 6 Abs. 1 VwGO abzusehen. Denn diese soll - im Unterschied zu der auf dem Einverständnis der Beteiligten gründenden Übertragung auf den sogenannten konsentierten Einzelrichter nach § 87a Abs. 2, Abs. 3 VwGO (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 2008 - 5 C 30.07 - BVerwGE 132, 10 Rn. 10 m.w.N.) - bei grundsätzlicher Bedeutung der Sache gerade nicht erfolgen.

36

dd) Das Oberverwaltungsgericht hat das in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausdrücklich genannte Kriterium des "Verhaltens der Verfahrensbeteiligten" nicht richtig erfasst, soweit es angenommen hat, es gereiche dem Kläger zum Nachteil, nicht auf eine Beschleunigung hingewirkt oder zumindest nach dem Sachstand gefragt zu haben, als das Verwaltungsgericht das Verfahren nicht betrieben bzw. gefördert habe.

37

In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass die Verfahrensbeteiligten - abgesehen von der Obliegenheit zur Erhebung der Verzögerungsrüge - grundsätzlich nicht verpflichtet sind, aktiv (durch Aufforderungen) darauf hinzuarbeiten, dass das Gericht das Verfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss bringt. Mangels einer derartigen Pflicht kann ihnen eine diesbezügliche Passivität bei der im Rahmen der Ermittlung der angemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens erforderlichen Prüfung, ob die Verfahrensbeteiligten durch ihr Verhalten eine Verzögerung des Rechtsstreits bewirkt haben, nicht angelastet werden. Die Verpflichtung des Gerichts, das Verfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, ergibt sich unmittelbar aus der dem Staat obliegenden Justizgewährleistungspflicht, aus dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes und aus Art. 6 Abs. 1 EMRK (BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 27.12 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 2 Rn. 41). Von diesen Rechtssätzen weicht das angefochtene Urteil ab, soweit das Oberverwaltungsgericht seine Bewertung der Verfahrensdauer als noch angemessen entscheidungstragend darauf stützt, der Kläger habe sich in der Zeit, als das Gericht die Sache nicht gefördert habe, ebenfalls vollkommen passiv verhalten.

38

ee) Im Hinblick auf das prozessuale Verhalten des Klägers ist allerdings ergänzend zu berücksichtigten, dass dieser durch sein Verhalten das Verfahren um etwa neunzehn Tage verzögert hat.

39

Aus dem festgestellten Verfahrensablauf ist wertend zu folgern, dass dem Kläger in diesem Umfang die verspätete Beantwortung der gerichtlichen Anfrage vom 29. September 2011 zuzurechnen ist. Zwar ist ihm für die erbetene Mitteilung, ob der im Januar 2009 erklärte Verzicht auf mündliche Verhandlung weiterhin Bestand habe, keine ausdrückliche Frist gesetzt worden. Entsprechend der von dem Berichterstatter verfügten Wiedervorlage durfte das Verwaltungsgericht davon ausgehen, dass der Kläger die Anfrage spätestens bis zum 21. Oktober 2011 beantwortet. Seine Antwort ist jedoch erst nach zweimaliger Erinnerung am 9. November 2011 und damit 19 Tage später als erwartet beim Verwaltungsgericht eingegangen.

40

ff) Aus den zur Verfahrensführung getroffenen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ist zu schließen, dass das Verwaltungsgericht unter Berücksichtigung des ihm insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums das Verfahren vom Beginn des Monats Februar 2010 bis zum Ende des Monats August 2011, also für ein Jahr und sieben Monate, ohne sachlichen Rechtfertigungsgrund nicht gefördert hat.

41

Im Hinblick auf den Verfahrensgang hat das Oberverwaltungsgericht neben der Chronologie des Verfahrens festgestellt, dass das Verwaltungsgericht in der Zeit von Ende April 2009 bis Ende August 2011, also für zwei Jahre und vier Monate, keine Handlungen vorgenommen hat, um die Erledigung des Verfahrens zu fördern. Der festgestellten Chronologie ist bei wertender Betrachtung zu entnehmen, dass der Rechtsstreit mit der am 28. April 2009 eingegangenen Triplik des Klägers entscheidungsreif war. Der Sachverhalt war zu diesem Zeitpunkt in tatsächlicher Hinsicht ausreichend aufgearbeitet. Den Beteiligten war zu allen bis dahin vom Verwaltungsgericht für relevant gehaltenen Fragen in hinreichender Weise rechtliches Gehör gewährt worden. Dafür, dass auch das Verwaltungsgericht die Sache Ende April 2009 für "ausgeschrieben" hielt, spricht, dass es die Triplik des Klägers dem Beklagten lediglich mit der Gelegenheit zur Stellungnahme zuleitete.

42

Im vorliegenden Einzelfall erscheint es angemessen, dem Verwaltungsgericht für das konkrete erstinstanzliche Verfahren ab Entscheidungsreife einen (Gestaltungs-)Zeitraum von neun Monaten für seine Entscheidung zuzugestehen, wann und wie es das Verfahren im Sinne eines Hinwirkens auf eine Erledigung des Prozesses fördert.

43

Der zugestandene Zeitraum trägt dem Umstand Rechnung, dass - auch vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich gewährten richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) - die Verfahrensgestaltung in erster Linie dem mit der Sache befassten Gericht obliegt und ihm hinsichtlich der Entscheidung, wann und wie es eine bestimmte Sache in Abstimmung mit anderen bei ihm anhängigen Sachen terminiert oder sonst fördert, ein Spielraum zusteht. Er berücksichtigt weiter, dass das Gericht vor einer verfahrensfördernden Handlung oder Entscheidung zur Sache Zeit zur rechtlichen Durchdringung benötigt, um dem rechtsstaatlichen Anliegen zu genügen, eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes vorzunehmen. Der ab Eintritt der Entscheidungsreife zugestandene Zeitraum ist im Einzelfall in Relation zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien zu bestimmen. Maßgeblich ist insoweit - genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände -, wie die Gerichte im Ausgangsverfahren die Lage aus ihrer Ex-ante-Sicht einschätzen durften. Hingegen ist eine Überlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit oder des konkreten Ausgangsgerichts bzw. Spruchkörpers für die Bemessung des richterlichen Gestaltungsspielraums ohne Belang. Sie gehört zu den strukturellen Mängeln, die sich der Staat zurechnen lassen muss und die er zu beseitigen hat (BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014 - 5 C 1.13 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3 Rn. 28 m.w.N.).

44

Das Ende des gerichtlichen Gestaltungszeitraums wird durch den Zeitpunkt markiert, ab dem ein (weiteres) Zuwarten auf eine verfahrensfördernde Entscheidung bzw. Handlung des Gerichts im Hinblick auf die subjektive Rechtsposition des Betroffenen auf eine angemessene Verfahrensdauer nicht mehr vertretbar ist, weil sich die (weitere) Verzögerung bei Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles als sachlich nicht mehr gerechtfertigt und damit als unverhältnismäßig darstellt. Es ist nicht mit dem Zeitpunkt gleichzusetzen, bis zu dem in jedem Fall von einer "optimalen Verfahrensführung" des Gerichts auszugehen ist. Entschädigungsrechtlich relevant sind nur die nach Ablauf des Gestaltungszeitraums auf die Verfahrensführung des Gerichts zurückzuführenden Verzögerungen. Denn zur Begründung des Entschädigungsanspruchs reicht nicht jede Abweichung von der optimalen Verfahrensführung aus. Vielmehr setzt der Entschädigungsanspruch aus § 198 Abs. 1 GVG voraus, dass der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit beeinträchtigt worden ist, was eine gewisse Schwere der Belastung erfordert (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 39 und - 5 C 27.12 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 2 Rn. 31 m.w.N.).

45

In Anwendung dieser rechtlichen Maßstäbe ist bei der Bemessung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums zu berücksichtigen, dass das Ausgangsverfahren allenfalls einen durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad aufwies, seine Bedeutung für den Kläger rein finanzieller Natur und diese als äußerst gering zu bewerten war sowie ein über den Einzelfall hinausgehendes Interesse an dem Rechtsstreit nicht festgestellt werden konnte. Angesichts dessen war die fehlende Bearbeitung bzw. Förderung des Verfahrens durch das Verwaltungsgericht für den Kläger ab Anfang Februar 2010 nicht mehr hinnehmbar. Das ergibt einen gerichtlichen Gestaltungszeitraum ab Entscheidungsreife von neun Monaten.

46

gg) Die Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht war bei der gebotenen Gesamtabwägung im Umfang von einem Jahr und sechs Monaten unangemessen.

47

In die Gesamtabwägung sind alle festgestellten Umstände des Einzelfalles einzustellen und zu gewichten. Dabei ist insbesondere zu untersuchen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Verzögerung in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten innerhalb einer anderen Phase des Verfahrens ausgeglichen wurde (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 17 und 44 m.w.N. und vom 27. Februar 2014 - 5 C 1.13 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3 Rn. 30). Des Weiteren hat in die Prüfung einzufließen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Verletzung des Rechts auf angemessene Verfahrensdauer weder in den gerichtlichen noch in den Verantwortungsbereich des in Anspruch genommenen Rechtsträgers fällt, sondern den Verfahrensbeteiligten zuzurechnen ist.

48

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die auf die Verfahrensführung des Verwaltungsgerichts zurückzuführende sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung von einem Jahr und sieben Monaten mit Blick auf das säumige Verhalten des Klägers bei der Beantwortung der gerichtlichen Anfrage vom 29. September 2011 um aufgerundet einen Monat zu reduzieren. Im Ergebnis ist somit auf eine unangemessene Verfahrensdauer von einem Jahr und sechs Monaten zu erkennen.

49

c) Der Kläger hat durch die überlange Verfahrensdauer einen immateriellen Nachteil im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG erlitten, der nicht auf andere Weise wiedergutgemacht werden kann.

50

Dass der Kläger Nachteile nichtvermögensrechtlicher Art erlitten hat, ergibt sich aus der Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG. Danach wird ein immaterieller Nachteil vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren - wie hier - unangemessen lange gedauert hat. Diese Vermutung ist hier nicht widerlegt.

51

Entschädigung kann gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise ist gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Ob eine solche Feststellung ausreichend im Sinne des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles (BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014 - 5 C 1.13 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3 Rn. 34 m.w.N.).

52

Eine schlichte Feststellungsentscheidung ist hier mit Blick auf den Umfang der Verzögerung des vom Schwierigkeitsgrad allenfalls durchschnittlich gelagerten Falles nicht ausreichend. Der Umstand, dass das Verfahren für den Kläger keine besondere Bedeutung im entschädigungsrechtlichen Sinne besaß, vermag das Gewicht des durch die Verzögerung von einem Jahr und sechs Monaten bedingten immateriellen Nachteils nicht entscheidend zu mindern.

53

Der Beklagte kann sich zur Begründung seiner gegenteiligen Ansicht nicht mit Erfolg darauf berufen, die Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer sei zur Wiedergutmachung ausreichend, weil die Höhe der gesetzlichen Entschädigung den Streitwert des Ausgangsverfahrens um ein Vielfaches übersteige. Damit werden die anspruchsbegründenden Voraussetzungen, zu denen auch die Feststellung gehört, dass nach den Einzelfallumständen eine Wiedergutmachung auf andere Weise nicht ausreichend ist, in unzulässiger Weise mit der Höhe des Entschädigungsanspruchs vermischt.

54

d) Der Entschädigungsbetrag beträgt 1 800 €.

55

Die Bemessung der immateriellen Nachteile richtet sich nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG. Danach ist der immaterielle Nachteil in der Regel in Höhe von 1 200 € für jedes Jahr der Verzögerung zu entschädigen. Für Zeiträume unter einem Jahr lässt diese Regelung eine zeitanteilige Berechnung zu (BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 Rn. 50 m.w.N.; vgl. auch BT-Drs. 17/3802 S. 20). Nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen, wenn der Betrag von 1 200 € nach den Umständen des Einzelfalles unbillig ist. Eine derartige Billigkeitsentscheidung ist - entgegen der Ansicht des Beklagten - hier nicht deshalb veranlasst, weil der Gesamtbetrag der Entschädigung um ein Vielfaches höher liegt als der Streitwert des Ausgangsverfahrens.

56

Damit werden Dinge miteinander verglichen, die nicht vergleichbar sind. Die Entschädigung betrifft den Ausgleich für die durch die Verfahrensverzögerung erlittenen immateriellen Nachteile wie beispielsweise psychische Belastungen, körperliche Beeinträchtigungen oder Rufschädigungen (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 19), während der Streitwert des Ausgangsverfahrens nach Maßgabe des § 52 Abs. 1 GKG angibt, welche (wirtschaftliche) Bedeutung dieses Verfahren für den Kläger hatte.

57

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Bei einer wesentlichen Abweichung von der angegebenen Größenordnung (hier: 35,71 v.H.) ist eine teilweise Abweisung der Klage und eine dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens entsprechende Kostenteilung erforderlich (vgl. BGH, Urteile vom 1. Februar 1966 - VI ZR 193/64 - BGHZ 45, 91 <93> und vom 18. Februar 1977 - I ZR 112/75 - GRUR 1977, 539 <542>). Hiernach waren die Kosten im Verhältnis des zuerkannten Betrages zu der vom Kläger angegebenen Größenordnung der geltend gemachten Entschädigung zwischen den Beteiligten zu verteilen.

Tenor

Es wird festgestellt, dass die überlange Verfahrensdauer vor dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt im Verfahren L 4 P 1/07 die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes verletzt hat.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

...

Der Gegenstandswert für das Verfahren wird auf 8.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine behauptete Untätigkeit der Sozialgerichtsbarkeit Sachsen-Anhalt in erster und zweiter Instanz.

I.

2

Die Beschwerdeführerin ist eine gemeinnützige GmbH, die unter anderem ein Seniorenheim mit 50 Pflegeplätzen betreibt, das seinen Betrieb am 6. Dezember 1999 aufnahm. Die Errichtung des Seniorenheims wurde vom Bund und vom Land Sachsen-Anhalt nach § 52 PflegeVG mit insgesamt 7.625.200,00 DM (3.924.267,44 €) gefördert. Die Kosten für den Grunderwerb, die Herrichtung und Erschließung und die Technik in Höhe von insgesamt 334.100,00 DM (170.822,61 €) gingen zu Lasten der Beschwerdeführerin. Am 6. Oktober 1999 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Zustimmung zur gesonderten Inrechnungstellung von Investitionsaufwendungen nach § 82 SGB XI in Höhe von 10,05 DM (5,14 €) pro Pflegetag und Heimbewohner für den Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 aus Anlass getätigter Investitionen (Abschreibungen für Außenanlagen, Fahrstuhl und Heizung, Abschreibungen für Kfz, Eigenkapitalverzinsung, Erschließungskosten, Erbbauzinsen, kalkulierte Wiederbeschaffungskosten, pauschalierte Instandsetzungs- und Instandhaltungskosten). Mit Bescheid vom 7. April 2000 stimmte das beklagte Land lediglich der Inrechnungstellung der Abschreibung für ein Kfz in Höhe von 0,38 DM (0,19 €) für den Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 pro Heimbewohner pflegetäglich zu.

3

Die Beschwerdeführerin erhob am 8. Mai 2000 Klage. Die Klage wurde zwei Monate später mit Schriftsatz vom 12. Juli 2000 begründet. Die Klageerwiderung datiert vom 11. September 2000. Ein weiterer Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 30. Oktober 2000 wurde wegen eines nicht mehr aufklärbaren Versehens falsch zugeordnet und erst mit Verfügung vom 3. April 2001 an das beklagte Land übersandt. Auf diesen verspätet übersandten Schriftsatz der Beschwerdeführerin ging die Replik des Beklagten am 28. Mai 2001 bei Gericht ein. Am 29. Juni 2001 wurde die Prozessvollmacht von der Beschwerdeführerin vorgelegt. Mit richterlicher Verfügung vom 26. März 2002 wurde der Beklagte aufgefordert, die Fundstelle einer Verordnung anzugeben. Dies wurde von dem beklagten Land mit Schriftsatz vom 29. April 2002 erledigt. Mit Schreiben vom 13. Februar 2003 fragte das Gericht bei dem beklagten Land an, ob dieses an seiner bisherigen Rechtsposition festhalte und bezog sich hierbei auf außergerichtliche Vergleichsverhandlungen in anderen Verfahren. Am 11. April 2003 erinnerte das Gericht an die Erledigung der gerichtlichen Verfügung vom 13. Februar 2003. Nach einer Zwischennachricht teilte das beklagte Land mit Schreiben vom 20. Mai 2003 mit, dass eine die Überprüfung abschließende Entscheidung nicht getroffen werden konnte. Mit Schriftsatz vom 30. Juni 2003 fragte die Beschwerdeführerin an, ob zwischenzeitlich die versprochene Stellungnahme des Beklagten vorliege. Am 7. Oktober 2003 fand außergerichtlich ein Treffen der Beteiligten statt, bei dem nach Angaben des Beklagten festgehalten wurde, dass die Beschwerdeführerin der Behörde noch weitere Unterlagen übergeben werde. Im Zeitraum 24. Oktober 2003 bis 23. Januar 2004 wurde die Beschwerdeführerin mehrfach durch das Gericht an eine Stellungnahme erinnert und gebeten mitzuteilen, welche Unterlagen dem Beklagten übergeben wurden. Mit Schreiben vom 23. Januar 2004 und nochmals mit Schreiben vom 16. Februar 2004 bat die Beschwerdeführerin um Fristverlängerung, weil der alleinige Sachbearbeiter erkrankt gewesen sei. Mit Schriftsatz vom 24. Februar 2004 erfolgte schließlich die angeforderte Stellungnahme der Beschwerdeführerin. Am 15. Juli 2004 fand ein erster Erörterungstermin statt, in dem das beklagte Land erklärte, es habe seine Rechtsauffassung zu einigen wesentlichen Punkten geändert. Den Beteiligten wurde weiterer Vortrag aufgegeben. Der Beklagte legte die Erschließungskosten mit Schriftsatz vom 21. Juli 2004 dar, die Beschwerdeführerin reagierte mit Schriftsatz vom 20. August 2004. Mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2004 wurde die Beschwerdeführerin vom Gericht daran erinnert, wie in der Sitzung vom 15. Juli 2004 vereinbart, die Aufwendungen hinsichtlich der Erschließungskosten und Kosten Instandhaltung/Inventar zu konkretisieren und zu belegen. Dies geschah mit Schriftsatz vom 5. November 2004. Mit Schriftsätzen vom 19. Oktober 2004 und 28. Februar 2005 fragte die Beschwerdeführerin nach dem Sachstand. Am 18. Mai 2005 erließ das beklagte Land einen Änderungsbescheid, mit dem es der Inrechnungstellung weiterer Aufwendungen in Höhe von 0,05 € pflegetäglich zustimmte. Am 21. Juli 2005 fand ein weiterer Erörterungstermin statt, der damit schloss, dass den Beteiligten weiterer Vortrag bis zum 10. September 2005 aufgegeben wurde. Am 9. September 2005 erließ dann das beklagte Land einen weiteren Änderungsbescheid, mit dem es der Inrechnungstellung weiterer Aufwendungen in Höhe von 0,01 € pflegetäglich zustimmte. In Erledigung der gerichtlichen Verfügung aus dem Protokoll des Erörterungstermins vom 21. Juli 2005 trugen beide Beteiligte ergänzend vor. Mit Schriftsatz vom 8. Februar 2006 fragte die Beschwerdeführerin erneut nach dem Sachstand. Mit Schreiben vom 15. Februar 2006 teilte das Sozialgericht nach einem Kammerwechsel mit, dass die Sache sitzungsreif sei, wann mit einer Terminierung gerechnet werden könne, könne derzeit noch nicht abgesehen werden. Mit Schreiben vom 8. Mai 2006 forderte das Gericht ein Urteil des Sozialgerichts Stendal zu § 82 Abs. 3 SGB XI an, das dieses am 16. Juni 2006 übersandte. Am 6. Oktober 2006 ging über das beklagte Land noch ein Urteil des Sozialgerichts Dessau zu § 82 Abs. 3 SGB XI bei Gericht ein. Mit Schreiben vom 7. November 2006 beantragte der Beklagte das Ruhen des Verfahrens. Das Gericht teilte der Beschwerdeführerin mit, dass nicht beabsichtigt sei, das Verfahren zum Ruhen zu bringen. Danach reichte die Beschwerdeführerin am 5. Dezember 2006 noch kurz vor der bereits geladenen mündlichen Verhandlung ein von ihr veranlasstes Gutachten eines Wirtschafts- und Finanzwissenschaftlers vom 14. Juli 2006 zur Akte. Die mündliche Verhandlung fand am 8. Dezember 2006 statt und endete mit Klage abweisendem Urteil.

4

Die Beschwerdeführerin legte mit Schriftsatz vom 10. Januar 2007 Berufung ein. Auf die nachgereichte Berufungsbegründung vom 11. Juni 2007 erwiderte das beklagte Land mit Schriftsatz vom 26. Juli 2007. Dieser enthält ausschließlich Rechtsausführungen. Mit Schreiben vom 2. Dezember 2008 fragte die Beschwerdeführerin nach dem Sachstand. Mit Schreiben vom 3. Dezember 2008 teilte das Landessozialgericht ihr mit, dass noch keine konkreten Terminsaussichten gemacht werden könnten, da noch zahlreiche ältere Verfahren anhängig seien, deren Bearbeitung (zeitlich) vorrangig sei. Mit Schriftsatz vom 29. Juli 2009 fragte auch das beklagte Land an, wann mit einem Fortgang des Verfahrens gerechnet werden könne und verwies auf zwei Parallelverfahren. Hierauf antwortete das Landessozialgericht mit Schreiben vom 7. August 2009 wortgleich wie auch schon gegenüber der Beschwerdeführerin. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2009 fragte das Landessozialgericht bei der Beschwerdeführerin an, ob heute eine gesonderte Inrechnungstellung gegenüber den Bewohnern der Pflegeeinrichtung für den Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 überhaupt noch möglich sei. Gegebenfalls werde um die Vorlage entsprechender Belege gebeten. Sollte eine Inrechnungstellung nicht mehr möglich sein, werde gebeten darzulegen, zu welchem Zweck die begehrte Zustimmung noch dienen solle. Hierauf erwiderte die Beschwerdeführerin, auch heute noch sei eine gesonderte Inrechnungstellung möglich. Es lebten noch sieben Bewohner in der Einrichtung, die auch schon im streitgegenständlichen Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 dort wohnten. Es erscheine außerordentlich bizarr, dass das vorliegende Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit des Landes Sachsen-Anhalt nahezu zehn Jahre äußerst dilatorisch betrieben werde, um dann anzufragen, ob nicht möglicherweise der Prozess mangels Rechtsschutzbedürfnis durch den Tod der pflegebedürftigen Bewohner der Einrichtung eine elegante Erledigung gefunden habe. Hierauf stellte die Berichterstatterin mit Schreiben vom 19. Januar 2010 klar, dass sich ihre Anfrage darauf bezogen habe, ob Kosten für zurückliegende Zeiträume erhöht werden könnten und hierzu gegebenenfalls vertragliche Belege vorzulegen. Außerdem entschuldigte sie sich für die lange Verfahrensdauer, die auf die anhaltende starke Überlastung der Sozialgerichtsbarkeit zurückzuführen sei. Sie bat nochmals um die Vorlage von Belegen, dass auch heute den Bewohnern noch Kosten aus dem Zeitraum 1999/2000 in Rechnung gestellt werden könnten.

5

Die Beschwerdeführerin hat hierauf am 2. Februar 2010 Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie rügt, es stehe zu befürchten, dass nach mittlerweile fast zehn Jahren gerichtlicher Untätigkeit eine weitere Entscheidung hinausgezögert werden solle. Die Anfrage des Landessozialgerichts vom 23. Dezember 2009 lasse vermuten, dass dieses nunmehr beabsichtige, den Tod der letzten Bewohner abzuwarten, um somit eine Entscheidungsfindung vermeiden zu können.

6

Mit Schreiben vom 2. März 2010 bat die Beschwerdeführerin das Landessozialgericht die Verfügung vom 19. Januar 2010 bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen, worauf das Gericht nochmals an die Erledigung der Verfügungen vom 23. Dezember 2009 und 19. Januar 2010 erinnerte. Mit Schreiben vom 15. März 2010 erinnerte das Gericht dann im Hinblick auf die Verfahrensdauer nochmals an die Erledigung der Verfügungen. Am 18. März 2010 bat die Beschwerdeführerin um Fristverlängerung bis zum 6. April 2010 für die Erledigung der Verfügungen. Mit Schriftsatz vom 6. April 2010 schließlich legte sie den Heimvertrag erstmals vor und verwies auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 6. September 2007, in dem in einem ähnlich gelagerten Fall das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage gegen das Land bejaht worden sei. Am 11. Mai 2010 wies das Landessozialgericht - das Rechtsschutzbedürfnis bejahend - die Berufung durch Urteil zurück.

II.

7

Die Staatskanzlei Sachsen-Anhalt hat am 30. September 2010 eine Stellungnahme abgegeben und hierin einen Grundrechtsverstoß wegen überlanger Verfahrensdauer verneint. Das Ministerium für Gesundheit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt hat von einer Stellungnahme abgesehen.

III.

8

1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit sie sich gegen die Unterlassung gerichtlicher Tätigkeit durch das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt richtet, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine insoweit stattgebende Kammerentscheidung sind gegeben. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Grundsätze sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Danach ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet.

9

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

10

Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 genannten Rechte angezeigt, soweit sie sich gegen die Gesamtverfahrensdauer und gegen die Handhabung des Verfahrens durch das Landessozialgericht richtet. Zwar hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 2. März 2010 beantragt, das Verfahren auszusetzen, bis über die Verfassungsbeschwerde entschieden ist. Das spricht gegen ein dringendes Interesse an einer zeitnahen Entscheidung des Rechtstreits. Allerdings hat die Beschwerdeführerin auch auf ihre mittel- bis langfristigen ökonomischen Planungen verwiesen, die durch den Ausgang des Rechtstreits fundamental erschwert würden. Damit kann angenommen werden, dass das Verfahren vor dem BVerfG zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist.

11

2. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht, die Gerichte gegen jede behauptete Verletzung subjektiver Rechte durch ein Verhalten der öffentlichen Gewalt anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Wirksam ist nur ein zeitgerechter Rechtsschutz. Im Interesse der Rechtssicherheit sind strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit zu klären (vgl. BVerfGE 60, 253 <269>; 88, 118 <124>; 93, 1 <13>). Dem Grundgesetz lassen sich allerdings keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 -, NJW 2008, S. 503). Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Frage, ab wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Natur des Verfahrens und die Bedeutung der Sache für die Parteien, die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Beteiligten, die Schwierigkeit der Sachmaterie, das den Beteiligten zuzurechnende Verhalten, insbesondere Verfahrensverzögerungen durch sie, sowie die gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, vor allem der Sachverständigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>). Dagegen kann sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Oktober 2003 - 1 BvR 901/03 -, NVwZ 2004, S. 334 <335>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris). Ferner haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris).

12

3. Das erstinstanzliche Verfahren hat über sechs Jahre gedauert. Eine gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, etwa gerichtlicher Sachverständiger, hat nicht zu einer Verzögerung beigetragen. Zur Schwierigkeit der Sachmaterie ist festzustellen, dass die aufgeworfenen Rechtsfragen nicht zum Alltagsgeschäft eines Sozialgerichts gehören und höchstrichterlich ungeklärt sind. Neben dem gerichtlichen Verfahren führten die Beteiligten offenbar Vergleichsverhandlungen. Die beiden Erörterungstermine wurden vom Sozialgericht mit Blick auf eine einvernehmliche Beendigung des Rechtsstreits durchgeführt.

13

Die lange Verfahrensdauer geht zum Teil auf Verhalten des beklagten Landes, zum Teil auf Verhalten der Beschwerdeführerin selbst und zum Teil auf Versäumnisse des Gerichts zurück. Fünf Monate gingen wegen der falschen Zuordnung des Schriftsatzes vom 30. Oktober 2000 im Sozialgericht verloren. Weitere zehn Monate verstrichen zwischen dem Schriftsatz der Beklagten vom 22. Mai 2001 und der Nachfrage des Gerichts zu dort angesprochenen Rechtsgrundlagen und einem Rahmenvertrag mit Verfügung vom 26. März 2002. Im Zeitraum 29. Juni 2001 (Eingang der Prozessvollmacht) und der nächsten Verfügung des/der Vorsitzenden vom 26. März 2002 kam es zu einem völligen Verfahrensstillstand.

14

Demgegenüber gehen mehr als neun Monate Verfahrensverzögerung zu Lasten der Beschwerdeführerin selbst. Zwei Monate verstrichen zwischen Klageerhebung und Klagebegründung. Vier Monate (Oktober 2003 bis Februar 2004) brauchte die Beschwerdeführerin, um das Gericht über dem Beklagten übergebene Unterlagen zu informieren. Über drei Monate benötigte die Beschwerdeführerin, um, wie im Erörterungstermin am 15. Juli 2004 vereinbart, getätigte Aufwendungen zu konkretisieren und zu belegen.

15

Auch das beklagte Land trug maßgeblich zur Verzögerung des Verfahrens bei. Im Zeitraum Februar 2003 bis Juli 2004, also 17 Monate lang, äußerte sich der Beklagte gegenüber dem Gericht trotz mehrfacher Aufforderung nicht zur Sache und gab erst im Erörterungstermin am 15. Juli 2004 zu Protokoll, dass er seine Rechtsauffassung in mehreren Punkten geändert habe.

16

Eine verfassungsrechtlich nicht hinnehmbare Untätigkeit des Sozialgerichts ist nach allem nicht anzunehmen. Ein Verfassungsverstoß ist nicht schon darin zu sehen, dass das Verfahren nicht in optimaler Weise gefördert wird. Dass es im Gerichtsablauf auch zu Pannen kommt, wie hier der falschen Zuordnung eines Schriftsatzes, begründet für sich keinen Grundrechtsverstoß. Der Verfahrensstillstand im Zeitraum 29. Juni 2001 bis 26. März 2002 ist zwar dem Gericht anzulasten, fällt aber in Anbetracht der danach eingetretenen und von den Beteiligten zu verantwortenden weiteren Verzögerungen nicht entscheidend ins Gewicht. Insgesamt hat das Verfahren erster Instanz zwar sehr lange gedauert, wurde aber im Hinblick auf außergerichtlich laufende Vergleichsverhandlungen auch von den Beteiligten selbst nicht energisch vorangetrieben. Dass das beklagte Land nach fünf Jahren zwei Änderungsbescheide erließ, spricht dafür, dass die Ermittlungen im sozialgerichtlichen Verfahren und die Erörterungstermine das Verfahren beförderten und, ebenso wie die parallel laufenden außergerichtlichen Verhandlungen, aus Sicht des beklagten Landes zu einer veränderten Sachlage führten. In Abwägung sämtlicher Umstände, die zu der sehr langen Verfahrensdauer in erster Instanz führten, ist eine Grundrechtsverletzung durch das Sozialgericht hier noch zu verneinen.

17

4. In zweiter Instanz war das Verfahren etwas über drei Jahre und vier Monate anhängig, vom 10. Januar 2007 bis zum 11. Mai 2010. Fünf Monate vergingen allein zwischen der Einlegung der Berufung mit Schriftsatz vom 10. Januar 2007 und deren Begründung mit Schriftsatz vom 11. Juni 2007. Diesen Zeitraum kann die Beschwerdeführerin nicht als Untätigkeit dem Landessozialgericht anlasten. Nach Eingang der Berufungserwiderung am 27. Juli 2007, die der Beschwerdeführerin zur Kenntnis und eventuellen Stellungnahme übersandt wurde, erfolgten allerdings im Zeitraum 31. Juli 2007 bis 23. Dezember 2009 keinerlei verfahrensfördernde Maßnahmen seitens des Gerichts. Dieses reagierte lediglich auf Sachstandsanfragen und wies auf die Bearbeitung zahlreicher älterer (zeitlich) vorrangiger Verfahren hin. Diese zwei Jahre und fast fünf Monate blieb das Landessozialgericht untätig. Danach war die Nachfrage der Berichterstatterin nach einem Fortbestehen des Rechtschutzbedürfnisses durchaus naheliegend. Das fast zweieinhalbjährige Nichtbetreiben des Verfahrens durch das Landessozialgericht ist besonders gravierend, weil das Verfahren erster Instanz schon sehr lange gedauert hatte und sich hieraus eine besondere Pflicht zur Verfahrensbeschleunigung ergab. Denn die Gerichte haben auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>).

18

Das Landessozialgericht beantwortete Sachstandsanfragen unter Hinweis auf zahlreiche ältere Verfahren, deren Bearbeitung (zeitlich) vorrangig sei, darunter offenbar Parallelverfahren der Beschwerdeführerin aus den Jahren 2006 und 2007. Da sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen kann, die in seinem Verantwortungsbereich liegen, kann eine anhaltend starke Überlastung der Sozialgerichtsbarkeit eine überlange Verfahrensdauer nicht rechtfertigen. Zudem dauerte nach dem Jahresbericht 2009 des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt ein Verfahren zweiter Instanz im Jahr 2007 durchschnittlich 22,9 Monate, im Jahr 2008 durchschnittlich 24 Monate und im Jahr 2009 durchschnittlich 26,8 Monate. Damit benötigte das vorliegende Verfahren ohne Ermittlungstätigkeit des Gerichts länger als es der durchschnittlichen Verfahrensdauer in der Berufungsinstanz entspricht. In Abwägung all dieser Umstände spricht die fast zehnjährige Gesamtverfahrensdauer gegen die Gewährung effektiven Rechtsschutzes in zweiter Instanz.

19

5. Das mit der Verfassungsbeschwerde verfolgte Ziel der Beschwerdeführerin, eine Entscheidung in dem fachgerichtlichen Klageverfahren zweiter Instanz zu beschleunigen, hat sich inzwischen erledigt, nachdem am 11. Mai 2010 ein die Berufung zurückweisendes Urteil des Landessozialgerichts ergangen ist. Damit ist insofern für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auch das Rechtsschutzbedürfnis entfallen.

20

Erledigt sich im Verlauf des verfassungsgerichtlichen Verfahrens das eigentliche Rechtsschutzanliegen des Beschwerdeführers in der Hauptsache, besteht das Rechtsschutzbedürfnis jedoch dann fort, wenn der gerügte Grundrechtseingriff besonders schwer wiegt (vgl. BVerfGE 104, 220 <232 f.>; 105, 239 <246>), wenn die gegenstandslos gewordene Maßnahme den Beschwerdeführer weiter beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 91, 125 <133>; 99, 129 <138>) oder wenn eine Gefahr der Wiederholung des Grundrechtseingriffs besteht (vgl. BVerfGE 91, 125 <133>; 103, 44 <58 ff.>). Besonders gewichtig ist eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, von der Ausübung von Grundrechten abzuhalten (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Juli 2008 - 1 BvR 547/06 -, juris, Rn. 28). Eine geltend gemachte Verletzung hat ferner dann besonderes Gewicht, wenn sie auf einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen beruht oder rechtsstaatliche Grundsätze krass verletzt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Juli 2008 - 1 BvR 547/06 -, juris, Rn. 28).

21

Eine Wiederholungsgefahr ist, ungeachtet der Frage, ob Parallelverfahren der Beschwerdeführerin in der Berufung noch anhängig sind, schon mit Blick auf die Rechtfertigung der überlangen Verfahrensdauer allein mit der Belastung des Gerichts zumindest nicht auszuschließen. Die wirtschaftliche Bedeutung für die Beschwerdeführerin bestand in erster Linie in der Führung eines Grundsatzstreits zur Frage, ob das Land der in Ansatz gebrachten gesonderten Berechnung verschiedener Posten zuzustimmen habe. Die Beschwerdeführerin macht plausibel geltend, die lange Verfahrensdauer erschwere ihre mittel- bzw. langfristigen ökonomischen Planungen. Das wirtschaftliche Interesse im konkreten Rechtstreit ist mit maximal 96.525 € anzusetzen, dem Betrag, der sich aus der Multiplikation des geforderten pflegetäglichen Betrags von 4,95 € mit der Anzahl der Tage im Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 (390) und der Anzahl der Bewohnerplätze im Seniorenheim (50) ergibt. Ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführerin an der Verfassungsbeschwerde ist zu bejahen, auch weil die gegenstandslos gewordene Maßnahme sie insofern immer noch weiter beeinträchtigt, als das Verfahren auch nach jetzt zehneinhalb Jahren immer noch nicht abgeschlossen und nunmehr in der Revision beim Bundessozialgericht anhängig ist.

22

6. Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts erfolgt nach § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>). Der Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit beträgt, wenn der Verfassungsbeschwerde durch die Kammer stattgegeben wird, in der Regel 8.000 € (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. September 2010 - 1 BvR 2649/06 -, juris, Rn. 36). Die Kammer sieht im vorliegenden Fall einer teilweisen Stattgabe keinen Anlass, von diesem Regelwert abzuweichen.

23

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

28
Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist als maßgeblicher Zeitraum die in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierte Gesamtverfahrensdauer (vgl. Ott aaO § 198 GVG Rn. 78). Dies hat zur Konsequenz, dass Verzögerungen , die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bewirken. Es ist vielmehr im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu überprüfen, ob eingetretene Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 30 und vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 41 und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 37; Ott aaO § 198 GVG Rn. 79, 97, 100 f). Darüber hinaus wird eine Entschädigung für abschnittsbezogene Verzögerungen, die derart unbedeutend sind, dass sie gegenüber der Gesamtverfahrensdauer nicht ins Gewicht fallen, regelmäßig ausscheiden. Denn die durch die lange Verfahrensdauer verursachte Belastung muss einen gewissen Schweregrad erreichen. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus (BSG, NJW 2014, 248 Rn. 26).

Tatbestand

1

I. Die Klägerin begehrt gemäß § 198 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) Entschädigung wegen der von ihr als unangemessen angesehenen Dauer eines vom 15. Oktober 2009 (Klageeingang) bis zum 24. Januar 2013 (Zustellung des Urteils) vor dem Finanzgericht (FG) anhängigen Klageverfahrens.

2

In dem Ausgangsverfahren beantragte die Klägerin die Feststellung, dass sie das Buchführungsprogramm X zur Erstellung ihrer Buchführung in der bisher eingesetzten Version nutzen dürfe, auch wenn dieses keine Daten auf CD-ROMs übertragen könne.

3

Zur Begründung führte sie aus, der Betriebsprüfer habe das Buchführungsprogramm X beanstandet, weil es keinen Datenzugriff bei der Datenträgerüberlassung in Form von gebrannten CD-ROMs ermögliche. Es könnten lediglich Disketten bespielt werden. § 147 Abs. 6 der Abgabenordnung (AO) verpflichte den Steuerpflichtigen indes nicht, sich elektronische Buchführungsprogramme anzuschaffen. Demgegenüber vertrete das beklagte Finanzamt (FA) die Auffassung, ein Programm, das die Datenträgerüberlassung mittels CD-ROM nicht ermögliche, dürfe nicht genutzt werden.

4

Am 30. November 2009 beantragte das FA, die Klage als unzulässig zu verwerfen. Eine Feststellungsklage gemäß § 41 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sei nach dessen Abs. 2 ausgeschlossen, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen könne. Im Streitfall sei es der Klägerin möglich, sich gegen die Aufforderung zur Datenüberlassung sowie gegen die Befugnisse der Finanzbehörde hinsichtlich des Datenzugriffs mit der Anfechtungsklage zur Wehr zu setzen. Die Klage sei auch unbegründet. Die Finanzbehörde könne verlangen, dass ihr die gespeicherten Unterlagen und Aufzeichnungen auf einem maschinell verwertbaren Datenträger zur Verfügung gestellt würden (§ 147 Abs. 6 Satz 2 Alternative 2 AO). Unter dem Begriff "maschinelle Auswertbarkeit" werde der wahlfreie Zugriff auf alle gespeicherten Daten einschließlich der Stammdaten und die Verknüpfung mit Sortier- und Filterfunktion verstanden. Dateien, die vom Unternehmen ausgewählte, also vorgefilterte Datenfelder und -sätze aufführten, jedoch nicht mehr alle steuerlich relevanten Daten enthielten, könnten mangels wahlfreier Zugriffsmöglichkeit nicht akzeptiert werden. Bei dem von der Klägerin eingesetzten Buchführungsprogramm X habe keine Möglichkeit des Datenexports auf externe Datenträger bestanden. Die Prüfungssoftware IDEA habe nicht eingesetzt werden können.

5

Hierauf erwiderte die Klägerin mit Schriftsatz vom 3. Dezember 2009, eine Vielzahl ihr bekannter Betriebe arbeiteten mit dem gleichen handelsüblichen Buchführungsprogramm X, ohne dass es zu Beanstandungen gekommen sei. Das Betriebsprüfungsprogramm X sei lediglich nicht in der Lage, CD-ROMs zu erstellen. So könne auch die Prüfungssoftware winIDEA eingesetzt werden. Damit sei sowohl der mittelbare als auch der unmittelbare Datenzugriff jederzeit möglich, ebenso wie die Datenträgerüberlassung in Form von Disketten. Mangels eines anfechtbaren Verwaltungsakts könne ihrem Begehren nur durch eine allgemeine Feststellungsklage entsprochen werden.

6

In einem weiteren Schriftsatz vom 19. Januar 2010 erklärte die Klägerin, es sei falsch, wenn das FA vortrage, sie habe es abgelehnt, der Betriebsprüfung externe Datenträger zu überlassen. Sie habe den Betriebsprüfern ausdrücklich Disketten angeboten. Auch hätte die Prüfungssoftware IDEA angewandt werden können; problematisch sei jedoch gewesen, dass die Betriebsprüfer keine Disketten hätten verarbeiten können, da ihnen die Laufwerke fehlten. Dies könne ihr aber nicht angelastet werden. Bei dem erst ab 2002 geltenden Datenzugriff habe der Gesetzgeber es bewusst unterlassen, das Medium vorzuschreiben, auf das die Daten zu extrahieren seien. Sofern das FA behaupte, die Buchführung der Klägerin sei formal nicht ordnungsgemäß gewesen, spiele das für die vorliegende Klage keine Rolle. Die Einwendungen des FA gegen ihr Feststellungsbegehren seien unklar. Diesbezüglich sei ihm eine Ausschlussfrist gemäß § 79b FGO zu setzen. Darüber hinaus erscheine ihr die Klage entscheidungsreif.

7

Hierauf antwortete das FA mit Schriftsatz vom 23. Februar 2010, in dem es erneut auf die fehlende Zulässigkeit der Feststellungsklage hinwies. Auch sei die Feststellung, die Klägerin dürfe das beschriebene System verwenden, sinnlos, da es ausschließlich darauf ankomme, ob dieses System die Entstehung und Entwicklung der Geschäftsvorfälle sachgerecht wiedergebe (§ 145 Abs. 1 AO) und entsprechend den Bestimmungen des § 146 Abs. 1 Satz 1 AO genutzt worden sei. In Bezug auf die Begründetheit der Klage trug das FA vor, die Klägerin verkenne die Notwendigkeit, die Daten auf unveränderbaren Datenträgern zur Verfügung zu stellen. Infolgedessen erfülle das Buchführungsprogramm X in Bezug auf den Datenzugriff in Form der Datenträgerüberlassung nicht die gesetzlichen Anforderungen. Es komme nicht darauf an, dass es der Finanzverwaltung an Diskettenlaufwerken fehle. Nach den einschlägigen Vorschriften der AO (§ 147 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 6 Satz 3 AO) habe der Steuerpflichtige die Kosten für die Lesbarmachung zu tragen.

8

Das FG übersandte diesen Schriftsatz der Klägerin und gab ihr die Möglichkeit, binnen sechs Wochen dazu Stellung zu nehmen. Der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin bat um Fristverlängerung bis zum 30. April 2010. Mit Schriftsatz von diesem Tag wies die Klägerin neben der Wiederholung von bereits dargelegten Argumenten insbesondere auf die vom Bundesministerium der Finanzen veröffentlichten Fragen und Antworten zum Datenzugriffsrecht der Finanzverwaltung, Stand vom 1. Februar 2005, hin. Danach könnten bei der Datenträgerüberlassung über die Datenträger CD-ROM und DVD hinaus auch Disketten verwendet werden, sofern diese das Dateisystem "MS-DOS" oder "FAT" enthielten. Bei den von der Klägerin angebotenen Disketten handele es sich um entsprechende Disketten, die --im Gegensatz zur Auffassung des FA-- keinerlei Kopierschutz enthielten und den IDEA-Zugriff erlaubten. Beweis könne durch Sachverständigengutachten sowie richterliche Inaugenscheinnahmen erhoben werden.

9

Ebenfalls am 30. April 2010 wies die Klägerin in einem weiteren Schriftsatz, der nicht nur das Ausgangsverfahren, sondern auch andere anhängige Verfahren von ihr wegen Umsatzsteuer, Feststellung der Besteuerungsgrundlagen und Gewerbesteuermessbeträge vornehmlich der Streitjahre 2005 bis 2007 betraf, darauf hin, dass aus ihrer Sicht das Verfahren wegen des Buchführungsprogramms X für die anderen Verfahren vorgreiflich sei, und regte an, dieses Verfahren vorrangig und separat zu terminieren. Beide Schriftsätze wurden dem FA vom FG mit dem Zusatz zugeleitet, eine Stellungnahme binnen sechs Wochen werde anheimgestellt.

10

Mit Schriftsatz vom 5. Mai 2010 bat die Klägerin erneut, dem FA eine Ausschlussfrist gemäß § 79b FGO zu setzen.

11

Am 22. Juni 2010 beantragte der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin Akteneinsicht. Nach erfolgter Akteneinsicht wies die Klägerin mit Schriftsatz vom 19. August 2010, der dem FA lediglich zur Kenntnis gegeben wurde, erneut auf die Ausschlussfrist nach § 79b FGO hin und warf dem FA die Verschleppung des Prozesses vor.

12

In einem weiteren Schriftsatz vom 31. Januar 2011 trug die Klägerin "ergänzend wie folgt weiter" vor, es gebe für sie handfeste und vor allem finanzielle Gründe, das in Streit stehende Buchführungsprogramm X weiter nutzen zu können. Das bisherige Buchführungsprogramm X gehöre ihr und sie müsse, wenn sie ein neues Programm erwerben würde, nicht nur in Umschulungsmaßnahmen für die in der Buchhaltung tätigen Mitarbeiter investieren, sondern auch jährliche Lizenzen erwerben. Zudem sei zu erwarten, dass das neue Buchhaltungssystem eine neue Hardware erfordere, die dann nicht mehr mit den anderen bestehenden Programmen kompatibel sei. Da das FA nichts Neues vortrage, werde um Entscheidung gebeten.

13

Daraufhin bat der damalige Berichterstatter am 10. Februar 2011 den damaligen Prozessbevollmächtigten um Übersendung des Handbuchs zum Buchführungsprogramm X. Die 747-seitige Kopie wurde dem FG am 15. März 2011 zusammen mit einem Schriftsatz übersandt, in dem die Klägerin u.a. unter Bezugnahme auf die Seite 3 des Handbuchs darauf hinwies, das Buchführungsprogramm X beruhe ausschließlich auf dem DOS-Betriebssystem und arbeite in der vorliegend genutzten Version mit Disketten. Seine Verwerfung lasse sich aus dem Gesetz nicht ableiten und führe für den daraus entstandenen Schaden zu Ersatzansprüchen. Das FG übersandte dem FA dieses Schreiben zur Kenntnis und möglichen Stellungnahme innerhalb von vier Wochen.

14

Mit Schriftsatz vom 27. Mai 2011 vertrat das FA nunmehr die Auffassung, nicht das Buchführungsprogramm als solches sei beanstandet worden, sondern die Weigerung der Klägerin, die mit dem Programm erstellten elektronischen Buchungsdaten auf einem maschinell auswertbaren Datenträger zur Verfügung zu stellen. Die Betriebsprüfung verfüge durchaus über externe Diskettenlaufwerke, die ein Einlesen der Daten, wenn sie auf Disketten vorgelegt worden wären, ermöglicht hätten. Zu Beginn der Prüfung im Jahr 2006 seien aber keine Disketten mit Buchführungsdaten vorgelegt worden. Entgegen der Behauptung der Klägerin habe die Betriebsprüfung keine Aussagen zur Zulässigkeit bzw. Ordnungsmäßigkeit des Buchführungssystems getroffen.

15

Die Klägerin, der das FG den Schriftsatz mit dem Hinweis auf eine mögliche Stellungnahme innerhalb von sechs Wochen weiterleitete, wies mit Schreiben vom 18. Juli 2011 diesen Vortrag des FA insbesondere unter Bezugnahme auf den Betriebsprüfungsbericht zurück. Ihrer Meinung nach sei die Sache nun entscheidungsreif und könne --soweit das FA nicht anerkenne-- kurzfristig terminiert werden. Darüber hinaus bitte sie das FA auf diesem Wege um die Erteilung einer verbindlichen Auskunft, ob das Programm nun genutzt werden könne oder nicht. Da die Finanzverwaltung bislang die Auffassung vertreten habe, das Programm sei spätestens seit dem 1. Januar 2002 nicht mehr ordnungsgemäß, traue sie sich nicht, das Programm weiter zu nutzen.

16

Mit Schreiben vom 9. August 2011 wiederholte das FA seine nunmehrige Darstellung, bei der Datenträgerüberlassung dürften auch Disketten verwendet werden, sofern diese das Dateisystem "MS-DOS" oder "FAT" enthielten. Die Klägerin habe jedoch die von ihr als ausreichend angesehenen Disketten nicht innerhalb angemessener Frist vorgelegt. Die Nichtvorlage der Datenträger erlaube die Schlussfolgerung, dass die Aufbewahrungsfristen nicht eingehalten worden seien und die Buchführung nicht ordnungsgemäß sei. Zudem werde weiterhin die Auffassung vertreten, die Zulässigkeit der Nutzung eines Buchführungsprogramms könne nicht durch einen gesonderten Verwaltungsakt festgestellt werden.

17

Auf dieses Schreiben antwortete die Klägerin mit einem achtseitigen Schriftsatz vom 26. September 2011, in dem sie größtenteils ihr bisheriges Vorbringen wiederholte. Zusätzlich wies sie darauf hin, dass gegen sie wegen eines möglichen Verstoßes gegen § 147 Abs. 6 AO ein Verzögerungsgeld gemäß § 146 Abs. 2b AO verhängt werden könnte, für das eine Rückstellung zwingend zu bilden sei. Eine Feststellung, sie könne ihr bisheriges Programm weiter nutzen, obwohl es nach Auffassung des FA nicht dem § 147 Abs. 6 Satz 2 AO entspreche, sei unbedingt erforderlich. Dem FA wurde vom FG erneut die Möglichkeit gewährt, innerhalb von sechs Wochen Stellung zu nehmen.

18

Mit Schreiben vom 27. Dezember 2011 wandte sich der damalige Berichterstatter an das FA und bat unter Bezugnahme auf den Inhalt des finanzbehördlichen Schriftsatzes vom 27. Mai 2011, wonach die Eignung des Programms X als solche nicht beanstandet werde, um Mitteilung, ob die von der Klägerin erstrebte Feststellung überhaupt streitig sei.

19

Hierauf antwortete das FA am 10. Januar 2012, zwischen der Klägerin und ihm bestehe derzeit kein Streit darüber, ob die Klägerin das Buchführungsprogramm X nutzen dürfe und auf welche Weise sie ihren Mitwirkungspflichten im Rahmen einer steuerlichen Außenprüfung nachzukommen habe. Allerdings könne das FA keine Aussagen zu der Frage treffen, welche Unterlagen das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung A bei einer künftigen Außenprüfung von der Klägerin verlangen werde.

20

Hierauf reagierte die Klägerin mit einem sechsseitigen Schreiben vom 23. Februar 2012, in dem sie erneut erläuterte, dass aus ihrer Sicht die beantragte Feststellung notwendig sei. Dem FA wurde wiederum vom FG die Möglichkeit eingeräumt, sich innerhalb von sechs Wochen hierzu zu äußern.

21

Der am 18. März 2012 für den 26. Juni 2012 terminierte Erörterungstermin musste am 19. Juni 2012 wegen einer Erkrankung des damaligen Berichterstatters aufgehoben werden.

22

Mit dem 13-seitigen Schriftsatz vom 26. Juni 2012 trug die Klägerin "wie folgt weiter" vor. So führte sie u.a. als Beleg für ihre Auffassung, die Datenträgerüberlassung durch Disketten sei zulässig, im Internet veröffentlichte Erläuterungen der Handelskammer Hamburg an. Den wörtlich zitierten Aussagen stellte sie Auszüge aus dem Betriebsprüfungsbericht und aus verschiedenen Schreiben des FA gegenüber. In diesem Schreiben räumte sie ebenfalls ein, dass das Buchführungsprogramm X nicht winIDEA tauglich sei, da die seit Beginn 2002 geforderte Strukturdatenauslese im vorliegenden Fall nicht möglich sei.

23

Am 3. Juli 2012 erläuterte sie "weiter", Grund für die Einführung des § 147 Abs. 6 AO sei gewesen, dass der Prüfer hinsichtlich des Einblicks und der Arbeitsvereinfachung dieselben Programme nutzen dürfe wie das Unternehmen selbst. Dies sei dem FA mehrfach angeboten worden. Das FA habe jedoch weder das Programm der Klägerin noch die mit diesem Programm zu extrahierenden Disketten nutzen wollen. Es gebe keine Norm, die das FA dazu ermächtige, von der Klägerin die Anschaffung eines anderen und neueren PC-Buchführungsprogramms zu verlangen.

24

Am 21. August 2012 führte der damalige Berichterstatter einen Erörterungstermin durch, der nicht nur das Ausgangsverfahren, sondern auch die weiter anhängigen Verfahren der Klägerin wegen Umsatzsteuer, gesonderter Feststellung und Gewerbesteuermessbeträge der Streitjahre 2005 bis 2007 (wegen des Gewerbesteuermessbetrags auch 2008) umfasste. Im Erörterungstermin des Ausgangsverfahrens stellte der Vertreter des FA fest, die Buchführung der Klägerin könne nicht aus dem Grunde verworfen werden, dass das verwendete Buchführungsprogramm X keine CDs/ DVDs erzeugen könne. Nach Auffassung des damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin reichte diese Feststellung jedoch nicht aus. Es sei eine weitere explizite Distanzierung von einzelnen Schreiben bzw. Meinungsäußerungen des FA notwendig sowie die Zusicherung der jetzigen und zukünftigen sanktionslosen Anwendbarkeit des Programms.

25

Das FA distanzierte sich im Anschluss an den Erörterungstermin mit Schriftsatz vom 10. September 2012 von einigen seiner Äußerungen in Bezug auf Datenträgerüberlassung, sah sich aber nicht in der Lage, dem Antrag, die jetzige und zukünftige sanktionslose Anwendbarkeit des Programms zuzusichern, zu entsprechen. Zudem vertrat es weiterhin die Auffassung, die Feststellungsklage sei unzulässig.

26

Am 25. September 2012 wurde zur mündlichen Verhandlung zunächst am 9. November 2012 und in Folge am 11. Dezember 2012 geladen. Beide Termine wurden auf Bitten des damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin wegen bestehender Terminkollisionen aufgehoben. In Abstimmung mit dem Prozessvertreter der Klägerin fand die mündliche Verhandlung am 15. Januar 2013 --nunmehr mit einem neuen Berichterstatter-- statt. Sie endete mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 638 veröffentlichten Urteil, in dem festgestellt wurde, die Buchführung der Klägerin könne nicht aus dem Grund als formal ordnungswidrig angesehen werden, dass das Buchführungsprogramm X verwendet werde.

27

Nachdem die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 26. Juni 2012 die Verzögerung des Ausgangsverfahrens gerügt hatte, hat sie am 26. August 2013 die streitgegenständliche Entschädigungsklage wegen der Dauer des von Oktober 2009 bis zum Januar 2013 geführten Verfahrens erhoben, die von ihr als unangemessen lang angesehen wird. Sie führt dazu aus, sie habe bereits im Januar 2011 darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung in der Sache ergehen könne, da das FA in seinen Schriftsätzen lediglich gebetsmühlenartig seinen Vortrag wiederholt habe, ohne dass neues Vorbringen zu erkennen gewesen sei. Die Bitte des damaligen Berichterstatters im Februar 2011, das Handbuch für das Programm X zu übersenden, könne nicht von Belang sein, da in dem abschließenden Urteil erkennbar nicht auf dessen Inhalt abgestellt worden sei. Auch habe das FG nach Erhalt des Handbuchs weder eine Stellungnahme abgegeben noch eine weitere Anordnung erlassen. Die Anfrage des FG im Dezember 2011, ob die von ihr erstrebte Feststellung seitens des FA überhaupt streitig sei, sei zumindest geeignet, den Eindruck zu erwecken, es habe sich mit dem Vortrag der Verfahrensbeteiligten bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch nicht auseinandergesetzt.

28

Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, aufgrund der unangemessen langen Verfahrensdauer des Verfahrens 13 K 3764/09 an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 900 € zu zahlen und
festzustellen, dass das Verfahren 13 K 3764/09 eine unangemessene Verfahrensdauer aufweist.

29

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

30

Zur Begründung führt er aus, unter Zugrundelegung des in den Verfahrensakten dokumentierten Ablaufs des Ausgangsverfahrens liege eine unangemessene Dauer des Verfahrens nicht vor. Dabei könne dahinstehen, ob das vom Berichterstatter angeforderte Handbuch letztlich urteilsrelevant gewesen sei. Die Klägerin habe sich im Laufe des Verfahrens mehrfach auf die Ordnungsmäßigkeit des Buchführungsprogramms X berufen und die Zulässigkeit der Nutzung als vorrangig für andere Verfahren angesehen. Bei dieser Sachlage habe die Anforderung des Handbuchs für den Berichterstatter nahegelegen, und zwar unabhängig davon, ob die Entscheidung letztlich hierauf zu stützen gewesen sei.

31

Lege man die Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Senatsurteil vom 7. November 2013 X K 13/12, BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179) zugrunde, beginne die sog. dritte Phase mit der Anforderung des Handbuchs. Durch Einsicht in das Handbuch habe festgestellt werden sollen, welche Datenverarbeitung und welchen Datenzugriff das von der Klägerin verwendete Programm X zugelassen habe. Das habe den seinerzeitigen Vorträgen der Beteiligten nicht entnommen werden können.

32

Darüber hinaus könne das Verfahren 13 K 3764/09 nicht isoliert von den übrigen finanzgerichtlichen Verfahren der Klägerin und der Eheleute E betrachtet werden. Aus dieser Gesamtschau ergebe sich die besondere Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens i.S. des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG. Zum Ende des Jahres 2012 seien im 13. Senat des FG insgesamt 39 Klageverfahren der Klägerin, der Eheleute E bzw. von Herrn E anhängig gewesen. Ein Großteil der Verfahren habe auf der im Ausgangsverfahren streitgegenständlichen Rechtsauffassung des FA beruht, aus der Verwendung des Computerprogramms X sei auf die Ordnungswidrigkeit der Buchführung der Klägerin zu schließen. Der damalige Berichterstatter habe in den Jahren 2011 und 2012 vor der schwierigen Aufgabe gestanden, den Gesamtkomplex einer Lösung zuzuführen. Dabei habe er sich entschieden, die Verfahren mit sowohl verfahrens- als auch materiell-rechtlich sehr komplexen Fragestellungen nicht nacheinander, sondern parallel zu bearbeiten. Es sei sachgerecht gewesen, die Sachbearbeitung dieser Verfahren zu verknüpfen, um zu versuchen, eine Gesamtlösung herbeizuführen. Diese Vorgehensweise unterliege der richterlichen Freiheit, in welche das Entschädigungsgericht nicht eingreifen dürfe.

Entscheidungsgründe

33

II. Die Klage ist unbegründet.

34

Der Klägerin steht weder eine Entschädigung in Höhe von 900 € zu noch kann festgestellt werden, dass das finanzgerichtliche Verfahren 13 K 3764/09 eine unangemessen lange Verfahrensdauer aufweist.

35

1. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Entschädigung gemäß § 198 GVG zu, da die Dauer des Verfahrens 13 K 3764/09 nicht unangemessen i.S. des § 198 Abs. 1 GVG war.

36

a) Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Diese gesetzlichen Maßstäbe beruhen auf der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts (--BVerfG--, vgl. hierzu und zum Folgenden ausführlich Senatsurteil in BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179, Rz 50 ff., auf das zur Vermeidung von Wiederholungen wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird).

37

aa) Nach dieser Entscheidung ist der Begriff der "Angemessenheit" für Wertungen offen, die dem Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse an einem möglichst zügigen Abschluss des Rechtsstreits einerseits und anderen, ebenfalls hochrangigen sowie verfassungs- und menschenrechtlich verankerten prozessualen Grundsätzen --wie dem Anspruch auf Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes durch inhaltlich möglichst zutreffende und qualitativ möglichst hochwertige Entscheidungen, der Unabhängigkeit der Richter und dem Anspruch auf den gesetzlichen Richter-- Rechnung tragen. Danach darf die zeitliche Grenze bei der Bestimmung der Angemessenheit der Dauer des Ausgangsverfahrens nicht zu eng gezogen werden; dem Ausgangsgericht ist ein erheblicher Spielraum für die Gestaltung seines Verfahrens --auch in zeitlicher Hinsicht-- einzuräumen.

38

bb) Zwar schließt es die nach der Konzeption des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG vorzunehmende Einzelfallbetrachtung aus, im Rahmen der Auslegung der genannten Vorschrift konkrete Fristen zu bezeichnen, innerhalb der ein Verfahren im Regelfall abschließend erledigt sein sollte. Gleichwohl kann nach Auffassung des erkennenden Senats für ein finanzgerichtliches Klageverfahren, das im Vergleich zu dem typischen in dieser Gerichtsbarkeit zu bearbeitenden Verfahren keine wesentlichen Besonderheiten aufweist, die Vermutung aufgestellt werden, dass die Dauer des Verfahrens angemessen ist, wenn das Gericht gut zwei Jahre nach dem Eingang der Klage mit Maßnahmen beginnt, die das Verfahren einer Entscheidung zuführen sollen, und die damit begonnene ("dritte") Phase des Verfahrensablaufs nicht durch nennenswerte Zeiträume unterbrochen wird, in denen das Gericht die Akte unbearbeitet lässt.

39

Diese Vermutung gilt jedoch nicht, wenn Umstände erkennbar sind, aus denen eine besondere Eilbedürftigkeit des Verfahrens folgen könnte. In diesen Fällen ist der gesamte Verfahrensablauf mit seinen entsprechenden Phasen daraufhin zu überprüfen, ob und inwieweit eine unangemessene Verzögerung eingetreten ist.

40

So ist es im Streitfall. Die Frage, ob das bisher von der Klägerin eingesetzte Buchführungsprogramm X ordnungsgemäß war und ist, hatte nicht nur für vergangene, sondern auch für künftige Zeiträume eine erhebliche Bedeutung. Es bestand die Gefahr, dass das FA die Buchführung für eine Vielzahl von Jahren bereits aus dem Grunde als formal ordnungswidrig ansehen würde, dass ein Datentransfer auf CD-ROMs nicht möglich war. Die Möglichkeit, diesem Risiko durch einen Wechsel des Buchführungssystems auszuweichen, wäre unstreitig mit nicht unerheblichen zusätzlichen Kosten verbunden gewesen. Hierauf hat die Klägerin sinngemäß in den Schreiben vom 31. Januar 2011 und 18. Juli 2011 aufmerksam gemacht.

41

cc) Bei der Prüfung der angemessenen Dauer des konkreten Rechtsstreits ist zu berücksichtigen, dass dem Richter zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen ist. Dementsprechend wird seine Verfahrensführung im Entschädigungsprozess nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft. Letztere darf nur verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist (so Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 13. Februar 2014 III ZR 311/13, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2014, 1183, Rz 30, m.w.N.). Da der Rechtssuchende keinen Anspruch auf optimale Verfahrensförderung hat (BVerfG-Beschluss vom 14. Dezember 2010  1 BvR 404/10, juris, Rz 16), begründen eine vertretbare Rechtsauffassung des Gerichts oder eine nach der jeweiligen Prozessordnung vertretbare Verfahrensleitung auch dann keinen Entschädigungsanspruch, wenn sie zu einer Verlängerung des Gerichtsverfahrens geführt haben (ebenso BGH-Urteil vom 5. Dezember 2013 III ZR 73/13, NJW 2014, 789, Rz 46).

42

Zudem muss die durch die Verfahrensdauer verursachte Belastung einen gewissen Schweregrad erreichen. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus. Vielmehr muss die Verfahrensdauer eine Grenze überschreiten, die sich auch unter Berücksichtigung gegenläufiger rechtlicher Interessen für den Betroffenen als sachlich nicht mehr gerechtfertigt oder unverhältnismäßig darstellt (BGH-Urteil in NJW 2014, 789, Rz 42).

43

Zu beachten ist aber auch, dass sich mit zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts verdichtet, sich nachhaltig um eine Förderung, Beschleunigung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. z.B. BVerfG-Beschluss vom 27. Juli 2004  1 BvR 1196/04, NJW 2004, 3320, unter II.2.a, m.w.N.; Senatsurteil in BFHE 243, 126, BStBl II 2014, 179, Rz 68).

44

b) Nach unter a dargestellten Grundsätzen war die Dauer des Ausgangsverfahrens nicht unangemessen.

45

aa) Die Anwendung der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG beispielhaft genannten Kriterien vermittelt im Streitfall kein einheitliches Bild.

46

So war der Schwierigkeitsgrad der Feststellungsklage wegen der Problematik ihrer Zulässigkeit und vor allem wegen der Unklarheiten über die tatsächlichen technischen Voraussetzungen und Möglichkeiten des eingesetzten Buchführungsprogramms X jedenfalls mindestens als durchschnittlich anzusehen.

47

Hinsichtlich der Bedeutung des Verfahrens für die Klägerin ist zum einen zu berücksichtigen, dass ihr erkennbar eine schnelle Entscheidung wichtig war. Das Verhalten der Verfahrensbeteiligten hingegen ist durch eine gewisse Widersprüchlichkeit und damit eine verfahrensverlängernde Tendenz gekennzeichnet. Die Klägerin hat sich insofern widersprüchlich verhalten, als sie zum einen auch nach der in ihren Augen bestehenden Entscheidungsreife Akteneinsicht nahm und zum anderen im Anschluss daran dem FG mehrere --zum Teil umfangreiche-- Schriftsätze übersandte, die sie damit einleitete, sie trage "ergänzend" oder "weiter" vor. Infolgedessen musste sich dem damaligen Berichterstatter --trotz der teilweisen Wiederholungen des bisherigen Sachvortrags-- nicht unbedingt der Eindruck aufdrängen, die Argumente seien bereits abschließend ausgetauscht worden. Das FA hat seine Darstellung sowohl im Tatsächlichen als auch im Rechtlichen während des Rechtsstreits erheblich modifiziert, so dass sich die Verfahrensdauer hierdurch ebenfalls verlängerte.

48

bb) Die Würdigung, dass die Verfahrensdauer noch angemessen war, ergibt sich aus einer Betrachtung des konkreten Verfahrensablaufs. Dabei lässt sich das Ausgangsverfahren in drei Abschnitte einteilen.

49

(1) Der erste Abschnitt dauerte circa 16 Monate von der Erhebung der Klage (Mitte Oktober 2009) bis zur Anforderung des Handbuchs im Februar 2011. Diese Phase war --mit einer Unterbrechung von Ende August 2010 bis Ende Januar 2011-- durch einen im Großen und Ganzen kontinuierlichen Schriftsatzaustausch geprägt, in dem sich die Beteiligten zu den Streitpunkten, ob das Programm X ordnungsgemäß und winIDEA-tauglich ist, ob eine Überlassung von Disketten den gesetzlichen Anforderungen genügt und ob die Klägerin überhaupt zu Beginn der Betriebsprüfung die Überlassung von Disketten angeboten hat, nicht immer widerspruchsfrei äußerten.

50

Dass sich die Verfahrensförderung durch das FG mehr als ein Jahr lang darauf beschränkte, der jeweils anderen Partei Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, stellt eine noch vertretbare Verfahrensgestaltung dar. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der oben unter II.1.a bb dargestellten Bedeutung des Verfahrens für die Klägerin. Diese Relevanz wurde indes erst in den Schriftsätzen vom Januar 2011 und Juli 2011 hinreichend deutlich.

51

Eine unvertretbare Verfahrensgestaltung ist auch nicht deswegen zu bejahen, weil der Berichterstatter der Anregung der Klägerin vom 30. April 2010 nicht gefolgt ist, das Ausgangsverfahren zunächst allein (und zügig) zu terminieren, weil es als vorgreiflich für die anderen anhängigen Verfahren anzusehen sei. Seine Entscheidung, das Verfahren wegen der Ordnungsmäßigkeit des Buchführungsprogramms X nicht unabhängig von den anderen erst später anhängig gewordenen Steuerverfahren der Klägerin zu betreiben, bewegt sich in den Grenzen des richterlichen Gestaltungsspielraums.

52

(2) Der zweite Abschnitt beginnt mit der Anforderung des Handbuchs im Februar 2011. Diese Verfahrenshandlung, die die bestehenden tatsächlichen Unsicherheiten über die Eigenschaften des Buchführungsprogramms X beseitigen sollte, kann nicht als ungeeignet angesehen werden, den Prozess zu fördern. So hat auch die Klägerin den Inhalt des Handbuchs als verfahrensrelevant angesehen, da sie in dem begleitenden Schriftsatz ausdrücklich zum Nachweis der Richtigkeit ihrer Ausführungen auf einen Beleg im Handbuch verwiesen hat.

53

Dass das Urteil letztendlich nicht auf den durch das Handbuch vermittelten Kenntnissen beruht, ist demgegenüber ohne Bedeutung. Im Zeitpunkt seiner Anforderung durch das FG gingen alle Beteiligten davon aus, es komme darauf an, welche Anforderungen die konkrete Datenträgerüberlassung zu erfüllen habe. Für die Beurteilung der richterlichen Handlungen ist entscheidend, wie das Gericht die Sach- und Rechtslage aus seiner Ex-ante-Sicht einschätzen durfte, es kommt nicht darauf an, wie sich der Verfahrenslauf im Nachhinein bei einer Ex-post-Betrachtung darstellt (BGH-Urteil in NJW 2014, 1183, Rz 47, m.w.N.).

54

Im Anschluss an die Übersendung des Handbuchs wurde das Verfahren von den Beteiligten weiter betrieben. Das FG beschränkte sich zwar erneut darauf, den Beteiligten wechselseitig Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Auch hier kann aber --wie im ersten Abschnitt-- die Entscheidung des FG zum zeitbeanspruchenden Schriftsatzaustausch vor dem Hintergrund als vertretbar angesehen werden, dass sich das nunmehrige Vorbringen der Beteiligten, insbesondere des FA, in tatsächlicher Hinsicht von dem bisherigen Vorbringen doch erheblich unterschied und der Schriftsatzaustausch insofern Klarheit bringen konnte.

55

(3) Die letzte Phase beginnt mit der Anfrage des FG vom 27. Dezember 2011, ob die erstrebte Feststellung überhaupt streitig sei. Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin ist diese Nachfrage kein Beleg dafür, dass sich der damalige Berichterstatter bis zu diesem Zeitpunkt mit dem Verfahren inhaltlich nicht beschäftigt hat. Vielmehr gab der Schriftsatzaustausch mit dem im Mai 2011 geänderten Vortrag des FA in der Tat Anlass, entsprechend nachzufragen.

56

Der sich anschließende kurze Schriftsatzwechsel endete Mitte März 2012 mit der Anberaumung eines Erörterungstermins für Mitte Juni 2012. Eine Terminierung mit einem Vorlauf von drei Monaten ist auch unter dem Aspekt, dass sich mit steigender Verfahrensdauer die richterliche Prozessbeschleunigungspflicht verstärkt, als unbedenklich anzusehen.

57

Das Ausgangsverfahren wurde im Anschluss an den wegen Erkrankung des damaligen Berichterstatters auf den 21. August 2012 verschobenen Erörterungstermin relativ zügig einer Entscheidung zugeführt. Dass die das Verfahren mit einem Urteil abschließende mündliche Verhandlung nicht bereits am 9. November 2012, sondern erst am 15. Januar 2013 stattfinden konnte, beruhte auf Terminschwierigkeiten des damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin und kann dem FG nicht angelastet werden.

58

2. Da eine Entschädigung bereits wegen der fehlenden unangemessenen Verfahrensdauer nicht gewährt werden kann, ist auch die Feststellung einer überlangen Verfahrensdauer nicht möglich.

59

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

28
b) Unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer dann, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (vgl. BVerwG aaO 5 C 23.12 D Rn. 37 und 5 C 27.12 D Rn. 29).
27
aa) Für die Feststellung, ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, kommt es nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut auf die Umstände des Einzelfalls an, insbesondere auf die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benennt die Umstände , die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, nur beispielhaft ("insbesondere") und ohne abschließenden Charakter (BTDrucks. 17/3702 S. 18). Weitere gewichtige Beurteilungskriterien sind die Verfahrensführung durch das Gericht sowie die zur Verfahrensbeschleunigung, die nicht zum Selbstzweck werden darf, gegenläufigen Rechtsgüter, wobei vor allem die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gewährleistung der inhaltlichen Richtigkeit von Entscheidungen sowie die Grundsätze der richterlichen Unabhängigkeit und des gesetzlichen Richters in den Blick zu nehmen sind. Erforder- lich ist eine umfassende Gesamtabwägung aller Umstände (grundlegend Senatsurteile vom 14. November 2013 - III ZR 376/12, NJW 2014, 220 Rn. 25, 28, 32 ff; vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13 aaO Rn. 37, 40, 43 ff und vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13, BeckRS 2014, 03167 Rn. 36, 39 f, jeweils zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).

Tenor

I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.800,- € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 25. März 2014 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Der Kläger trägt 7/10, der Beklagte 3/10 der Kosten des Verfahrens.

III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt Entschädigung für immaterielle Nachteile infolge der unangemessenen Dauer eines Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsverfahrens zwischen den Beteiligten. Gegenstand des Ausgangsverfahrens war die Höhe der Versorgungsbezüge des 1956 geborenen und Anfang 2007 in den Ruhestand versetzten Klägers, der ein Amt in der BesGr A 12 seit 1. Januar 2006 bekleidet hatte. Streitpunkte waren, dass die Berechnung auf der BesGr A 11, Stufe 11, beruhte sowie ein Versorgungsabschlag von 10,8 v.H. und eine weitere Kürzung wegen des Versorgungsausgleichs zugunsten seiner geschiedenen Ehefrau vorgenommen worden waren.

Gegen den Bescheid hinsichtlich der Festsetzung der Versorgungsbezüge vom 30. März 2007 erhob der Kläger mit Schreiben vom 12. April 2007 Widerspruch, der am 8. Juni 2007 zurückgewiesen worden ist. Am 16. Juli 2007 erhob er Klage auf Festsetzung höherer Versorgungsbezüge. Nach einer letzten Stellungnahme des Klägers am 16. November 2007 hat das Verwaltungsgericht unter dem 8. Mai 2008 zur mündlichen Verhandlung am 27. Juni 2008 geladen. Das klageabweisende Urteil wurde nach der mündlichen Verhandlung verkündet und am 11. November 2008 dem Kläger zugestellt.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist am 28. November 2008 beim Verwaltungsgericht und am 4. Dezember 2008 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen, die Antragsbegründung am 9. Januar 2009 und die Antragserwiderung am 12. März 2009, zu der die Klägerseite am 24. April 2009 Stellung genommen hat. Nach einer Sachstandsanfrage am 20. Januar 2012 wurde der Klägerseite telefonisch mitgeteilt, dass in einem Parallelverfahren die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen worden sei. Im Hinblick darauf werde eine Aussetzung des Verfahrens grundsätzlich für sinnvoll erachtet. Die Revision sei mit Schriftsatz vom 14. Februar 2012 eingelegt worden.

Am 6. Februar 2012 hat die Klägerseite Verzögerungsrüge erhoben. Unter dem 29. Februar 2012 hat das Gericht die Beteiligten zu seiner Absicht, das Verfahren auszusetzen, angehört und hierfür eine Frist bis 20. März 2012 gesetzt. Nach gewährter Fristverlängerung bis 16. April 2012 hat die Klägerseite erklärt, dass mit der Aussetzung kein Einverständnis bestehe. Mit Beschluss vom 20. April 2012 hat der Verwaltungsgerichtshof das Verfahren ausgesetzt.

Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Parallelverfahren vom 28. Februar 2013 hat der Verwaltungsgerichtshof mit Verfügung vom 13. März 2013 das Verfahren fortgesetzt und bei den Beteiligten angefragt, ob durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. September 2012, Az. 2 C 48.11 eine Änderung veranlasst sei. Am 14. Mai 2013 stellte der Beklagte Abhilfe hinsichtlich der Mindestverweildauer im letzten Amt nach § 5 Abs. 3 BeamtVG in Aussicht, jedoch nur, wenn der Kläger das erstinstanzliche Urteil im Übrigen akzeptiere. Nach Verlängerung der Äußerungsfrist hat die Klägerseite mitgeteilt, dass der Kläger Antrag auf Erlass eines Abhilfebescheids hinsichtlich der Berechnung der Versorgungsbezüge aus der BesGr A 12 gestellt habe und stellte gegebenenfalls ihrerseits eine Teilerledigungserklärung in Aussicht. Mit Bescheid vom 15. Juli 2013 änderte der Beklagte die Festsetzung der Versorgungsbezüge und gab am 22. Juli 2013 eine Teilerledigungserklärung ab. Nachdem die Klägerseite am 13. September 2013 ebenfalls eine Teilerledigungserklärung abgegeben hatte, stellte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 18. September 2013 das Verfahren teilweise ein und lehnte im Übrigen den Antrag auf Zulassung der Berufung ab.

Der Verwaltungsgerichtshof wies ferner mit Beschluss vom 25. Oktober 2013 eine gegen den Beschluss vom 18. September 2013 erhobene Anhörungsrüge, die am 8. Oktober 2013 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen war, zurück. Im Anschluss daran hat der Kläger Verfassungsbeschwerde erhoben, deren Annahme vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 2014 ohne Begründung abgelehnt worden ist.

Am 25. März 2014 erhob der Kläger Klage auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer und beantragte zugleich die Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf die Verfassungsbeschwerde. Nach Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde teilte der Kläger mit, dass er beabsichtige, eine Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu erheben und hielt den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens aufrecht. Das am 3. September 2014 im Einverständnis der Beteiligten ruhend gestellte Verfahren wird auf Antrag des Klägers seit 23. Oktober 2015 fortgesetzt.

Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, für die Beurteilung, ob eine überlange Verfahrensdauer vorliegt, seien aus verfassungsrechtlichen Gründen und entsprechend den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte das behördliche Verfahren wie auch das Verfahren im ersten Rechtszug zu berücksichtigen. Die unangemessen lange Verfahrensdauer ergebe sich daraus, dass das Berufungsgericht das Verfahren ohne sachlichen Grund seit der Stellungnahme des Klägers zur Klageerwiderung bis zur Fortsetzung des Verfahrens nach der Aussetzung 46 Monate lang nicht betrieben habe. Ein Gestaltungsspielraum des Gerichts für die Verfahrensführung wie auch eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit seien hiervon nicht abzuziehen. Die Zeit der nicht rechtmäßigen Verfahrensaussetzung sei der vorangegangenen Untätigkeit gleichzusetzen. Das Verfahren sei ausgesetzt worden, um zu verhindern, dass sich der Kläger im Nachhinein auf § 198 GVG berufen kann, obwohl sich er sich der Aussetzung ausdrücklich widersetzt habe. Die zu erwartende obergerichtliche Entscheidung sei nicht vorgreiflich gewesen und die angeblich offene Rechtsfrage sei durch das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2007 entschieden worden. Die Länge des Verfahrens sei auch nicht auf eine besondere Komplexität des Verfahrens zurückzuführen, nachdem bereits eine klare Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts existiert habe. Das Verfahren sei für den Kläger von erheblicher Bedeutung gewesen. Es sei um die Höhe der ihm zustehenden Versorgungsbezüge gegangen. Die Entscheidung habe deshalb großen Einfluss auf seine Lebensgestaltung gehabt. Die Höhe der Entschädigung ergebe sich aus der Vermutung des § 198 Abs. 2 GVG. Für die Zeit der nicht rechtmäßigen Aussetzung des Verfahrens sei der Betrag von 1.200,- € pro Jahr jedoch zu verdoppeln, weil sich der psychische Zustand des Klägers durch die Aussetzung gravierend verschlechtert habe.

Der Kläger beantragt,

dem Kläger wegen überlanger Dauer des Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsverfahrens wegen seiner Versorgungsbezüge eine Entschädigung für erlittene Nachteile in Höhe von 5.800,- € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus diesem Betrag seit Rechtshängigkeit zuzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es komme insbesondere eine inhaltliche Überprüfung der Entscheidung zur Aussetzung des Verfahrens vor dem Hintergrund der Unabhängigkeit des Gerichts und des Rechts auf den gesetzlichen Richter nicht in Betracht. Ferner sei eine Verdoppelung des Entschädigungssatzes unter Hinweis auf nicht näher substantiierte gesundheitliche Beeinträchtigungen nicht nachvollziehbar.

Der auf den 28. Juni 2016 festgesetzte Termin zur mündlichen Verhandlung wurde nach Verzicht der Beteiligten auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung aufgehoben. Sich anschließende Verhandlungen zur vergleichsweisen Beendigung des Rechtsstreits sind erfolglos geblieben.

Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die beigezogenen Gerichtsakten dieses und des Ausgangsverfahrens Bezug genommen.

Gründe

Der Verwaltungsgerichtshof entscheidet ohne mündliche Verhandlung, weil die Beteiligten darauf verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Entschädigungsklage hat nur teilweise Erfolg. Der Kläger hat Anspruch auf Entschädigung des immateriellen Nachteils durch die unangemessene Verfahrensdauer in Höhe von 1.800,- € zuzüglich der Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus diesem Betrag seit Rechtshängigkeit.

Die Dauer des Berufungszulassungsverfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof war bei einer Dauer von 57 Monaten und 28 Tagen in einem Umfang von 18 Monaten unangemessen im Sinn von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.

Materiellrechtlicher Bezugsrahmen des Entschädigungsanspruchs ist das gesamte verwaltungsgerichtliche Verfahren über alle Instanzen hinweg, in denen der Rechtsstreit anhängig war. Das behördliche Verfahren von der Festsetzung der Versorgungsbezüge bis zur Zurückweisung des Widerspruchsbescheids ist nicht Gegenstand eines Verfahrens auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, der gemäß § 173 Satz 2 VwGO für die Verwaltungsgerichtsbarkeit entsprechend gilt, beschränkt einen möglichen Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer auf Gerichtsverfahren einschließlich der in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG genannten Nebenverfahren. Die Einschränkung verstößt weder gegen Verfassungsrecht noch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Soweit Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober, BGBl II S. 1198, behördliche Vorverfahren erfasst, werden dessen Anforderungen durch die Möglichkeit der Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO erfüllt (Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 37 f.). Im Übrigen ist bei einer Dauer des Widerspruchsverfahrens von etwa drei Monaten eine unangemessene Verfahrensverzögerung nicht erkennbar.

Die Verfahrensdauer in der ersten Instanz ist nicht zu beanstanden. Eine Verfahrensdauer von etwa einem Jahr nach Entscheidungsreife und insgesamt von 16 Monaten ist angesichts des dem Gericht zuzubilligenden Gestaltungsspielraums sowie der ihm zuzugestehenden Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit nicht unangemessen. Die Klägerseite hat insoweit auch keine unangemessene Verfahrensverzögerung substantiiert geltend gemacht. Das Verwaltungsgericht war jedoch auch nicht schneller als erwartet werden konnte, sodass eine Zeitersparnis in der ersten Instanz der Laufzeit im zweiten Rechtszug nicht zu Gute kommt. Ebenso ist eine Verfahrensverzögerung hinsichtlich der am 8. Oktober 2013 erhobenen Anhörungsrüge, die mit Beschluss vom 25. Oktober 2013 zurückgewiesen worden ist, nicht erkennbar.

Der im Hinblick auf eine unangemessene Verfahrensdauer näher zu prüfende Zeitraum umfasst deshalb die Zeit von der Einreichung des Antrags auf Zulassung der Berufung, der am 28. November 2008 beim Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangen ist, bis zur Zustellung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofs vom 18. September 2013 am 25. September 2013, mit dem das Verfahren teilweise eingestellt und im Übrigen der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt worden ist.

Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinn von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Wie die Verwendung des Worts „insbesondere“ zeigt, werden damit Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, beispielhaft und ohne abschließenden Charakter benannt (BT-Drs. 17/3802 S. 18). Damit hat der Gesetzgeber bewusst von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen. Schematische zeitliche Vorgaben für die Angemessenheit sind daher ausgeschlossen. Es verbietet sich in aller Regel, von Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder auf statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen. Dabei macht es im Ergebnis keinen Unterschied, ob solche Werte - in Rechtsprechung und Literatur werden Zeitspannen von ein bis drei Jahren genannt - als „normale“, „durchschnittliche“ oder „übliche“ Bearbeitungs- oder Verfahrenslaufzeiten bezeichnet und - im Hinblick auf die Angemessenheit der Verfahrensdauer - als Indiz (Regelfrist), Hilfskriterium oder „erster grober Anhalt“ herangezogen werden (hierzu ausführlich BayVGH, U.v. 10.12.2015 - 23 A 14.2252 - juris Rn. 28 ff.).

Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinn von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Konventions- und verfassungsrechtlichen Normen (Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eingetreten sind, bei der Berücksichtigung des den Gerichten insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums sachlich gerechtfertigt sind.

Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind. Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte insbesondere für Zeiträume in Betracht, in denen das Gericht ohne rechtfertigenden Grund untätig geblieben ist, also das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (vgl. EGMR, U.v. 26.10.2000 - Nr. 30210/96, Kudła/Polen - NJW 2001, 2694 Rn. 130, v. 31.5.2001 - Nr. 37591/97, Metzger/Deutschland - NJW 2002, 2856 Rn. 41). Zu unangemessenen Verfahrensverzögerungen führen deshalb die Zeiten nicht, in denen die jeweilige Prozessordnung vorsieht, dass das Gericht untätig bleibt, also während der Dauer des Ruhens des Verfahrens gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 251 ZPO oder gemäß § 94 VwGO solange das Verfahren ausgesetzt ist.

Art. 6 Abs. 1 EMRK fordert zwar, dass Gerichtsverfahren zügig betrieben werden, betont aber auch den allgemeinen Grundsatz einer geordneten Rechtspflege (EGMR, U.v. 25.2.2000 - Nr. 29357/95, Gast und Popp/Deutschland - NJW 2001, 211 Rn. 75). Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck; vielmehr verlangt das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht (st. Rspr. des BVerfG, vgl. etwa B.v. 12.2.1992 - 1 BvL 1/89 - BVerfGE 85, 337, v. 26.4.1999 - 1 BvR 467/99 - NJW 1999, 2582; ebenso BGH, U.v. 4.11.2010 - III ZR 32/10 - BGHZ 187, 286 Rn. 14 m.w.N.). Die Verfahrensgestaltung ist in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt (BVerfG, B.v. 30.7.2009 - 1 BvR 2662/06 - NJW-RR 2010, 207, v. 2.12.2011 - 1 BvR 314/11 - WM 2012, 76). Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht - auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit - ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen (vgl. BVerfG, B.v. 29.3.2005 - 2 BvR 1610/03 - NJW 2005, 3488, v. 1.10.2012 - 1 BvR 170/06 - NVwZ 2013, 789 jeweils m.w.N.). Um den verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist.

Das Gericht muss zum einen den zur Entscheidung stehenden Sachverhalt erarbeiten, insbesondere die entscheidungsrelevanten Tatsachen ermitteln. Ferner sind die rechtlichen Entscheidungsgrundlagen aufzubereiten, der Sachverhalt darunter zu subsumieren und - unter Klärung offenbar werdender oder von den Beteiligten aufgeworfener Probleme - zu entscheiden. Auch wenn im Zulassungsverfahren lediglich über die dargelegten Zulassungsgründe zu entscheiden ist, muss die angegriffene Entscheidung vom Rechtsmittelgericht zumindest nachvollzogen und kritisch hinterfragt werden.

Zum anderen hat das Gericht, sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festzulegen. Es besteht kein Anspruch darauf, dass ein Rechtsstreit, auch wenn er entscheidungsreif ist, sofort bzw. unverzüglich vom Gericht bearbeitet und entschieden wird. Der verantwortliche Justizgewährträger ist nicht verpflichtet, so große Gerichtskapazitäten vorzuhalten, dass jedes anhängige Verfahren sofort und ausschließlich nach Entscheidungsreife von einem Richter bearbeitet werden kann. Vielmehr muss ein Rechtsuchender damit rechnen, dass der zuständige Richter neben seinem Rechtsbehelf auch noch andere (ältere) Verfahren zu bearbeiten hat. Insofern ist ihm eine gewisse Wartezeit zuzumuten (BSG, U.v. 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - NJW 2014, 248). Schon wegen der unterschiedlichen Zahl der Verfahrenseingänge im Laufe der Zeit, muss ein Gericht immer über eine gewisse „Restantenzahl“ verfügen, um einen sinnvollen Ressourceneinsatz zu gewährleisten, da Richter nicht nach Bedarf berufen und abberufen werden können. Das Gericht hat dabei die Verfahren untereinander zu gewichten, den Interessen der Beteiligten - insbesondere im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens - Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu geboten sind. Dabei ist es legitim und im Interesse der Verfahrensökonomie geboten, Entscheidungen in ähnlich gelagerten Fällen oder gar von Pilotverfahren, die ihrerseits in einem angemessenen Zeitraum zu erwarten sind, abzuwarten, auch wenn dadurch die Erledigung des zur Entscheidung stehenden Verfahrens hinausgeschoben wird.

Der der gerichtlichen Gestaltungsfreiheit offen stehende Zeitraum beginnt nicht zwingend mit dem Zeitpunkt des „Ausgeschriebenseins“, nachdem die Beteiligten jeweils zur Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelbegründung bzw. -erwiderung Stellung genommen haben, oder dem der Entscheidungsreife, in dem der notwendige Tatsachenstoff aufgeklärt und den Beteiligten in hinreichender Weise rechtliches Gehör gewährt worden ist. Das Ende dieser Zeitspanne wird durch den Zeitpunkt markiert, ab dem ein (weiteres) Zuwarten auf eine verfahrensfördernde Entscheidung bzw. Handlung des Gerichts im Hinblick auf den Anspruch des Betroffenen auf eine angemessene Verfahrensdauer nicht mehr vertretbar ist, weil sich die (weitere) Verzögerung bei Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles als sachlich nicht mehr gerechtfertigt und damit als unverhältnismäßig darstellt. Es ist nicht mit dem Zeitpunkt gleichzusetzen, an dem das Verfahren bei einer „optimalen Verfahrensführung“ des Gerichts beendet wäre. Entschädigungsrechtlich relevant sind nur die nach Ablauf des Gestaltungszeitraums auf die Verfahrensführung des Gerichts zurückzuführenden Verzögerungen. Denn zur Begründung des Entschädigungsanspruchs reicht nicht jede Abweichung von der optimalen Verfahrensführung aus. Vielmehr setzt der Entschädigungsanspruch aus § 198 Abs. 1 GVG voraus, dass der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit beeinträchtigt worden ist, was eine gewisse Schwere der Belastung erfordert (vgl. BVerwG, U.v. 11.7.2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 39). In die Gesamtabwägung sind alle festgestellten Umstände des Einzelfalles einzustellen und zu gewichten.

Ferner hat in die Prüfung einzufließen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Verletzung des Rechts auf angemessene Verfahrensdauer weder in den gerichtlichen noch in den Verantwortungsbereich des in Anspruch genommenen Rechtsträgers fällt, sondern den Verfahrensbeteiligten oder Dritten zuzurechnen ist. Verfahrensverzögerungen, die durch das Verhalten der Parteien entstanden sind, sind grundsätzlich ebenfalls nicht dem Gericht anzulasten.

Gemessen an den Kriterien des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG gilt hier Folgendes:

Das Gericht hat nach Eingang der Replik des Klägers auf die Erwiderung des Beklagten auf den Antrag auf Zulassung der Berufung am 24. April 2009 hin bis zur telefonischen Mitteilung an die Klägerbevollmächtigten am 26. Januar 2012, dass in einem ähnlich gelagerten Verfahren die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen worden sei und im Hinblick darauf eine Aussetzung des Verfahrens für sinnvoll erachtet werde, über einen Zeitraum von 33 Monaten keine verfahrensfördernden Aktivitäten erkennen lassen. Von diesem Zeitpunkt bis zur Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf die erwartete Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in dem genannten Parallelverfahren am 20. April 2012 wurde das Verfahren angemessen gefördert. In diesen Zeitraum fiel die Verzögerungsrüge wie auch die Anhörung des Klägers zur Absicht des Gerichts, das Verfahren auszusetzen. In diesem Zusammenhang wurde der Klägerseite auf Antrag eine Fristverlängerung zur Äußerung gewährt. Im Hinblick darauf, dass das Verfahren bis zur Revisionsentscheidung im Parallelverfahren ausgesetzt worden ist, hatte die Verfahrensführung in diesem Verfahrensabschnitt auch keine Auswirkung auf die Dauer des Gesamtverfahrens. Eine unangemessene Verfahrensverzögerung kann insoweit nicht erkannt werden.

Der Zeitraum der mit Beschluss vom 20. April 2012 angeordneten Aussetzung des Verfahrens bis zu dessen Fortsetzung ab 13. März 2013 von mehr als zehn Monaten kann nicht als unangemessene Verfahrensverzögerung gewertet werden, weil das Gesetz (§ 94 VwGO) die Untätigkeit des Gerichts ausdrücklich vorsieht. Im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit kann der Aussetzungsbeschluss im Verfahren über die Entschädigung wegen unangemessener Verfahrensdauer nicht auf Richtigkeit, sondern allenfalls auf seine Vertretbarkeit hin überprüft werden. Die Vertretbarkeit darf dabei nur verneint werden, wenn bei Würdigung auch der Belange einer funktionierenden Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist (BGH, U.v. 4.11.2010, - III ZR 32/10 - BGHZ 187,286 = juris Rn. 14).

Die Aussetzungsentscheidung erscheint jedenfalls nicht unvertretbar. Wenn auch in der Kommentarliteratur unter Hinweis auf die Rechtsprechung verschiedener Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass es für eine Aussetzung im Hinblick auf die Vorgreiflichkeit der Entscheidung vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses, das Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits ist, nicht genügt, wenn sich dort lediglich die gleiche Rechtsfrage stellt (z.B. Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 94 Rn. 4), ist die Auffassung weit verbreitet, dass ein Verfahren ausgesetzt werden könne, wenn die hier zu entscheidende Rechtsfrage Gegenstand eines anderen Verfahrens insbesondere bei einem Revisionsgericht ist. Der Zweck der Aussetzung, divergierende Entscheidungen zu einem einheitlichen Sachkomplex zu vermeiden (Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 94 Rn. 1) trifft auch hier zu. Jedenfalls dient die Aussetzung der Prozessökonomie. Es erspart dem entscheidenden Gericht die oft schwierige und zeitaufwendige Prüfung, die durch das Revisionsgericht ohnehin erfolgt. Sie dient der Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen und begegnet der Gefahr, dass das Gericht eine Auffassung zu Grunde legt, der nachträglich durch die Entscheidung des Revisionsgerichts die Grundlage entzogen wird und enthebt damit die unterlegene Partei der Notwendigkeit, ein Rechtsmittel einzulegen (BGH, B.v. 25.3.1998 - VIII ZR 337/97 - juris Rn. 7). Dieser Gesichtspunkt trifft gerade hier zu, weil das Revisionsgericht den Verwaltungsgerichtshof im Parallelverfahren aufgehoben hat. In dem Revisionsverfahren ging es auch nicht um die - wie die Klägerseite richtig ausführt - bereits im Jahr 2007 entschiedene Frage, ob die dreijährige Wartefrist im Hinblick auf die Anrechnung einer Beförderung bei der Festsetzung der Versorgungsbezüge verfassungsrechtlich Bestand hat. Inmitten hat vielmehr die Frage gestanden, ob mit der Nichtigerklärung der Erhöhung der Wartefrist auf drei Jahre die zugleich abgeschaffte Anrechnung der Zeiten, in denen bereits der dem Beförderungsamt entsprechende Dienstposten wahrgenommen worden ist, wieder aufgelebt ist, was der Senat anders als das Bundesverwaltungsgericht verneint hatte.

Nach der Fortsetzung des Verfahrens wurde es nach Verhandlungen über die teilweise unstreitige Erledigung in Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Parallelverfahren unter Gewährung einer Fristverlängerung für die Klägerseite mit Beschluss vom 18. September 2013 ohne erkennbare Verzögerung erledigt.

Hinsichtlich des verbleibenden Zeitraums der Untätigkeit des Gerichts von 33 Monaten gilt Folgendes:

Wie ausgeführt, ist dem Gericht ein Gestaltungsspielraum bei der Verfahrensführung zuzugestehen. Einerseits benötigt es eine Vorbereitung- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit der Komplexität der Rechtssache angemessen ist, und andererseits ist zu berücksichtigen, dass gleichzeitig eine Reihe weiterer Streitsachen zu bearbeiten und voranzutreiben ist.

Rechtsstreitigkeiten bezüglich der Versorgung von Beamten sind wegen häufiger Rechtsänderungen und ebenso häufiger Übergangsregelungen wie auch wegen vielfältiger Differenzierungen hinsichtlich der Zeiten, in denen der Beamte Dienst geleistet hat und auch im Hinblick auf mögliche Besonderheiten der einzelnen Dienstposten insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung der Tatsachengrundlage sowie des jeweils gültigen Rechtsstands und der anzuwendenden Vorschriften äußerst kompliziert und sehr arbeitsaufwendig. Der Richter kann sich auch nicht längere Zeit ausschließlich der Bearbeitung einer Rechtssache widmen. Vielmehr ist ständig der laufende Geschäftsanfall wie Posteingang, Zustellung von Schriftsätzen, Treffen verfahrensleitender Verfügungen, Mitwirkung bei der Bearbeitung und Entscheidungen von Rechtssachen, die von anderen Berichterstattern bearbeitet werden und der Teilnahme an Beratungen zu bewältigen, sodass er sich der vertieften Bearbeitung von Einzelfällen täglich nur in beschränktem Umfang widmen kann. Nicht zu vergessen ist, dass nach Erarbeitung der Entscheidungsgrundlagen über die richtige Lösung nachgedacht werden muss und die zutreffende Gedankenführung sich häufig nicht sogleich offenbart. Für die zu entscheidende Streitsache erscheint ein Vorbereitung- und Bearbeitungszeitraum von neun Monaten angemessen.

Zudem muss auch der nicht überlastete Richter eine Reihe weiterer Verfahren bearbeiten, über die Reihenfolge der Bearbeitung bestimmen und entsprechend der Bedeutung und Dringlichkeit der jeweiligen Streitsachen entscheiden, was vorzuziehen ist und was gegebenenfalls hintangestellt werden kann. Eine Bearbeitungsdauer von neun Monaten, die sich aus der erforderlichen Koordination der Bearbeitung der im Referat des Berichterstatters anfallenden Streitsachen ergibt, erscheint hinnehmbar. Nachdem sich jedoch Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit und andererseits die Bearbeitung des gesamten Referats nicht exakt trennen lassen und sich auch teilweise überdecken, erscheint eine Laufzeit von einem Jahr seit Entscheidungsreife angesichts der Komplexität der Rechtsgebiete, mit denen der entscheidende Senat befasst ist, insbesondere Beamtenrecht, Beamtenbesoldungs-und Versorgungsrecht nicht unangemessen. Die Grenze der Angemessenheit dürfte bei einer Laufzeit von 15 Monaten jedoch erreicht sein. Das Verhalten der Verfahrensbeteiligten oder Dritter hatte abgesehen von den auf Antrag gewährten Fristverlängerungen keinen Einfluss auf die Laufzeit. Mithin ergibt sich eine im Sinn des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG unangemessene Verfahrensdauer von 18 Monaten.

Diese Verfahrensdauer wird nicht dadurch gerechtfertigt, dass der Senat den Ausgang eines über drei Instanzen geführten Rechtsstreits abgewartet hat, in dem es um eine Rechtsfrage gegangen ist, die sich u.a. auch im Ausgangsverfahren gestellt hat. Grundsätzlich ist es sachgerecht und unterfällt dem Gestaltungsspielraum des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers, eine Entscheidung, in der die Klärung einer entscheidungsrelevanten Frage zu erwarten ist, abzuwarten. Allerdings ist das Gericht gehalten zu prüfen, ob bei einer Verzögerung der Entscheidung des Referenzverfahrens - unabhängig von deren Grund - das bei ihm anhängige Verfahren zur Vermeidung unangemessener Laufzeiten voranzutreiben ist. Das ist hier der Fall. Die Berufung, deren Entscheidung - und darüber hinaus die Entscheidung über die dagegen erhobene Revision - abgewartet worden ist, war bereits bei Eingang des Antrags auf Zulassung der Berufung im Ausgangsverfahren bei dem Senat anhängig. Über die Berufung wurde jedoch erst drei Jahre und zwei Monate nach Eingang des Zulassungsantrags entschieden. Nachdem beide Verfahren beim selben Senat anhängig waren, war ihm der Verfahrensstand des Bezugsverfahrens zu jedem Zeitpunkt bekannt. Es wäre deshalb an ihm gewesen, das Berufungsverfahren voranzutreiben oder aber, soweit dem Hindernisse entgegenstanden, über den Zulassungsantrag zu entscheiden. Ein Zuwarten über einen so langen Zeitraum ist mit der Funktion des Zulassungsverfahrens, die Berufungswürdigkeit des Streitfalls zu prüfen (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 10), nicht vereinbar.

Dass der Kläger Nachteile nicht vermögensrechtlicher Art erlitten hat, ergibt sich aus der Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG. Diese Vermutung ist hier nicht widerlegt. Nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG beträgt die Entschädigung 1.200,- € für jedes Jahr der Verzögerung bzw. 100,- € je Monat. Das Gericht kann einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen, wenn der Betrag von 1.200,- € nach den Umständen des Einzelfalles unbillig ist. Eine derartige Billigkeitsentscheidung ist hier nicht veranlasst. Insbesondere ist dieser Betrag für die Zeit der Aussetzung des Verfahrens schon deshalb nicht zu verdoppeln, weil die Aussetzung keine unangemessene Verzögerung des Verfahrens zur Folge hatte.

Eine Entschädigung für materielle Nachteile wurde weder ausdrücklich beantragt, noch sind solche dargelegt worden oder ersichtlich.

Soweit der Entschädigungsanspruch begründet ist, hat der Kläger entsprechend § 291 in Verbindung mit § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB Anspruch auf Prozesszinsen (Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 90 Rn. 14 und 17).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 173 Satz 2 VwGO i.V.m. § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG, § 709 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

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b) Unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer dann, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (vgl. BVerwG aaO 5 C 23.12 D Rn. 37 und 5 C 27.12 D Rn. 29).

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

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1. Von der Frage der Mutwilligkeit im Sinne von § 114 Satz 1 ZPO wird in erster Linie die verfahrensmäßige Geltendmachung des Anspruchs betroffen (vgl. BAG, NJW 2011, 1161 Rn. 8). Eine Rechtsverfolgung ist mutwillig, wenn eine wirtschaftlich leistungsfähige, also nicht bedürftige Partei bei sachgerechter und vernünftiger Einschätzung der Prozesslage von ihr Abstand nehmen oder ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde, weil ihr ein kostengünstigerer Weg offensteht und dieser Weg genauso Erfolg versprechend ist (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 10. März 2005 - XII ZB 20/04, NJW 2005, 1497 f und vom 6. Dezember 2010 - II ZB 13/09, NZI 2011, 104 Rn. 8; siehe auch BAG aaO Rn. 9; Hk-ZPO/Pukall, 5. Aufl., § 114 Rn. 19; Musielak /Fischer, ZPO, 10. Aufl., § 114 Rn. 30; Zöller/Geimer, ZPO, 30. Aufl., § 114 Rn. 30, 34 f). Mutwilligkeit im Sinne von § 114 Satz 1 ZPO liegt deshalb regelmäßig vor, wenn eine Partei keine nachvollziehbaren Sachgründe dafür vorbringt , warum sie eine Mehrzahl von Ansprüchen nicht in einer Klage geltend macht, oder nicht plausibel erklärt, aus welchen Gründen sie einen neuen Prozess anstrengt, obwohl sie das gleiche Klageziel kostengünstiger im Wege der Erweiterung einer bereits anhängigen Klage hätte erreichen können (BAG aaO Rn. 9; OLG Nürnberg, BeckRS 2010, 30507 jeweils mwN). Ein sein Kostenrisiko vernünftig abwägender Kläger, der die Prozesskosten aus eigenen Mitteln finanzieren muss, wird ein Verfahren nicht (weiter) betreiben, solange dieselben (Rechts-)Fragen bereits in anderen Verfahren anhängig sind (sog. unechte Musterverfahren). Er kann auf diesem Wege im Falle einer in seinem Sinne positiven Entscheidung - die gegebenenfalls erst durch das Revisionsgericht getroffen wird - vom Ausgang dieser Verfahren profitieren, ohne selbst einem (weiteren) Kostenrisiko zu unterliegen. Bei einem aus seiner Sicht negativen Ausgang des Musterverfahrens ist er nicht gehindert, sein Rechtsschutzziel im eigenen Verfahren weiter zu verfolgen (vgl. BVerfG, NJW 2010, 988 Rn. 10 f; Zöller/Geimer aaO Rn. 12a). Dieses Verständnis des Begriffs der Mutwilligkeit entspricht auch der ratio legis des § 114 Satz 1 ZPO. Prozesskostenhilfe kann nur für zweckentsprechende Rechtsverfolgung beziehungsweise Rechtsverteidigung verlangt werden. Einer Partei, die auf Kosten der Allgemeinheit prozessiert , muss zugemutet werden, zulässige Maßnahmen erst dann vorzunehmen, wenn dies wirklich notwendig ist (Zöller/Geimer aaO § 114 Rn. 30).
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Das Gericht hat dabei zu Recht darauf abgestellt, dass die streitgegenständlichen Verfahren für den Kläger ohne besondere Bedeutung waren. Zum Zeitpunkt der Klagezustellung sah sich der Kläger im Rahmen des Gesamtkomplexes "G. Gruppe" bereits 386 Verfahren mit einer Gesamtscha- densersatzforderung von 10.777.752, 53 € ausgesetzt. Es kommt hinzu, dass seine Vermögensverhältnisse zu diesem Zeitpunkt auf Grund nicht beglichener Steuerforderungen in Millionenhöhe desolat waren. Es stand mithin von vornherein fest, dass es auf die Vermögenslage des Klägers ohne spürbare Auswirkungen bleiben wird, ob er in den von ihm konkret "gegriffenen" zehn Verfahren obsiegen oder unterliegen wird. Der Kläger hat auch keine konkreten (psychischen oder physischen) Beeinträchtigungen geltend gemacht, die gerade auf die streitgegenständlichen Verfahren zurückzuführen waren. Seine Ausführungen in der Klageschrift erschöpfen sich darin, die durch den Gesamtkomplex "G. Gruppe" angeblich hervorgerufenen Belastungen in allgemeiner Form zu schildern. Macht der Betroffene - wie hier - Entschädigung für einzelne Verfahren aus einem umfangreichen Verfahrenskomplex geltend, muss er jedoch die konkreten Nachteile, die gerade durch die Dauer dieser Verfahren verursacht worden sein sollen, positiv behaupten. Nur dann kann der Anspruchsgegner den ihm obliegenden Beweis der Unrichtigkeit der aufgestellten Behauptungen führen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2011 - XI ZR 261/09, NJW 2011, 2130 Rn. 19 f).

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

28
Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist als maßgeblicher Zeitraum die in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierte Gesamtverfahrensdauer (vgl. Ott aaO § 198 GVG Rn. 78). Dies hat zur Konsequenz, dass Verzögerungen , die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bewirken. Es ist vielmehr im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu überprüfen, ob eingetretene Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 30 und vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 41 und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 37; Ott aaO § 198 GVG Rn. 79, 97, 100 f). Darüber hinaus wird eine Entschädigung für abschnittsbezogene Verzögerungen, die derart unbedeutend sind, dass sie gegenüber der Gesamtverfahrensdauer nicht ins Gewicht fallen, regelmäßig ausscheiden. Denn die durch die lange Verfahrensdauer verursachte Belastung muss einen gewissen Schweregrad erreichen. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus (BSG, NJW 2014, 248 Rn. 26).

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

28
Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist als maßgeblicher Zeitraum die in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierte Gesamtverfahrensdauer (vgl. Ott aaO § 198 GVG Rn. 78). Dies hat zur Konsequenz, dass Verzögerungen , die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bewirken. Es ist vielmehr im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu überprüfen, ob eingetretene Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 30 und vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 41 und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 37; Ott aaO § 198 GVG Rn. 79, 97, 100 f). Darüber hinaus wird eine Entschädigung für abschnittsbezogene Verzögerungen, die derart unbedeutend sind, dass sie gegenüber der Gesamtverfahrensdauer nicht ins Gewicht fallen, regelmäßig ausscheiden. Denn die durch die lange Verfahrensdauer verursachte Belastung muss einen gewissen Schweregrad erreichen. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus (BSG, NJW 2014, 248 Rn. 26).

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Dauer eines erstinstanzlichen sozialgerichtlichen Verfahrens.

I.

2

1. Die Beschwerdeführerin begehrte gegenüber dem zuständigen Rentenversicherungsträger die Gewährung von Rente wegen Berufs- und wegen Erwerbsunfähigkeit. Nachdem der Rentenversicherungsträger ihr eine Rente wegen Berufsunfähigkeit gewährt, aber den Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit abgelehnt hatte, erhob sie am 12. September 2003 Klage beim Sozialgericht mit dem Ziel der Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

3

Nach Eingang der Klageerwiderung, Einholung einer Arbeitgeberauskunft durch das Sozialgericht sowie Eingang einer hierzu angeforderten Stellungnahme der Beklagten des Ausgangsverfahrens teilte das Sozialgericht den Beteiligten mit Schreiben vom 11. Februar 2004 mit, dass das Gericht den Sachverhalt für aufgeklärt halte und bis zur Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung keine weiteren Maßnahmen treffen werde. Auf eine beim Sozialgericht am 23. Februar 2004 eingegangene Anfrage der Beschwerdeführerin, "wann in etwa" mit der Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung zu rechnen sei, reagierte das Sozialgericht Anfang März 2004 mit einer Antwort, deren Inhalt sich der Akte des Sozialgerichts nicht entnehmen lässt. In der Folgezeit wurde das Verfahren weder durch das Sozialgericht noch durch die Beschwerdeführerin betrieben.

4

Mit Schreiben vom 23. August 2006 erbat die Beklagte des Ausgangsverfahrens beim Sozialgericht die Rückgabe ihrer eigenen Akte zur Erledigung von Verwaltungsarbeiten, die ihr sodann am 4. September 2006 übersandt wurde. Die Akte ging am 8. März 2007 wieder beim Sozialgericht ein. Zugleich legte die Beklagte des Ausgangsverfahrens einen Bescheid vor, in dem die Rente wegen Berufsunfähigkeit neu berechnet worden war. Dieser Bescheid - so die Beklagte - sei nach § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Klageverfahrens geworden.

5

Am 17. April 2007 bestimmte das Sozialgericht Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 15. Mai 2007. Am 25. April 2007 legte die Beklagte des Ausgangsverfahrens dem Sozialgericht erneut unter Hinweis auf § 96 Abs. 1 SGG einen Bescheid vor, in dem die Rente wegen Berufsunfähigkeit neu berechnet worden war.

6

Mit Schreiben vom 26. April 2007 hob das Gericht den Termin zur mündlichen Verhandlung auf Antrag des Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin wieder auf und fragte bei ihr an, ob am Klagebegehren festgehalten werde, obwohl der Beschwerdeführerin aufgrund Hinzuverdienstes ein Zahlbetrag für eine Erwerbsunfähigkeitsrente ohnehin nicht zustünde. Das Sozialgericht bezog sich insoweit auf die beiden die Berufsunfähigkeitsrente betreffenden Neuberechnungsbescheide.

7

Nach Eingang der Antwort der Beschwerdeführerin, dass sie an ihrer Klage festhalte, und nach Einholung einer Stellungnahme der Beklagten des Ausgangsverfahrens und einer weiteren Stellungnahme der Beschwerdeführerin, die beim Sozialgericht am 11. März 2008 einging, bestimmte das Sozialgericht am 10. Oktober 2008 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 5. November 2008. An diesem Tag wies das Sozialgericht die Klage ab.

8

2. Die Berufung wurde vom Landessozialgericht mit Urteil vom 27. Januar 2010 zurückgewiesen. Die vom Landessozialgericht zugelassene Revision wurde vom Bundessozialgericht mit Beschluss vom 8. Februar 2011 verworfen.

9

3. Nachdem die Beschwerdeführerin ihre Verfassungsbeschwerde teilweise zurückgenommen hat, wendet sie sich nur noch gegen die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens und rügt eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 GG. Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, dass ihr weitere überlange Gerichtsverfahren drohen, also eine Wiederholung der behaupteten Grundrechtsverletzung zu befürchten sei.

II.

10

Zu der Verfassungsbeschwerde haben der Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen und als Beklagte des Ausgangsverfahrens die Deutsche Rentenversicherung Bund Stellung genommen.

11

1. Der Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen verweist für den Zeitraum vom 24. Februar 2004 bis zum 4. September 2006 auf personelle, auch durch längere Arbeitsunfähigkeitszeiten bedingte Engpässe im richterlichen Bereich bei gleichzeitig hohen Verfahrenszahlen beim Sozialgericht. Für Verfahrensverzögerungen außerhalb des genannten Zeitraums sehe er keine erheblichen Anhaltspunkte.

12

2. Die Deutsche Rentenversicherung Bund verweist darauf, dass das Sozialgericht zu dem Begehren der Beschwerdeführerin, abgesehen von der Anfrage bei deren Arbeitgeber, keinerlei Ermittlungen angestellt habe. Insbesondere seien zu keinem Zeitpunkt medizinische Gutachten in Auftrag gegeben oder Befundberichte angefordert worden. Auch das schließlich ergangene Urteil des Sozialgerichts setze sich mit der Frage der Erwerbsunfähigkeit nicht auseinander. Das Sozialgericht habe also in einem mehr als fünfjährigen Verfahrenszeitraum zum Begehren der Beschwerdeführerin anfangs gar keine, mindestens aber unzureichende Ermittlungen durchgeführt, um es dann ab dem Jahr 2007 völlig aus den Augen zu verlieren. Es habe sich mit dem Rentenbegehren nicht einmal befasst, als die Beschwerdeführerin es in der mündlichen Verhandlung vom 5. November 2008 mit ihrem Antrag bekräftigt habe. Diese Herangehensweise habe dazu geführt, dass auch die nachfolgenden Instanzen das auf Zahlung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gerichtete Begehren der Beschwerdeführerin nicht mehr erörtert hätten. Stattdessen habe sich das Sozialgericht seit dem Jahr 2007 ausschließlich mit der Frage befasst, ob die Deutsche Rentenversicherung Bund befugt gewesen sei, die ohnehin bewilligte und damit gar nicht in Streit stehende Rente der Beschwerdeführerin wegen Berufsunfähigkeit neu festzustellen und die Erstattung von Überzahlungen geltend zu machen. Der Bescheid über die Bewilligung von Berufsunfähigkeitsrente, der während des Gerichtsverfahrens mehrfach geändert worden sei, sei gar nicht Gegenstand der Klage gewesen. Vielmehr sei nur der Bescheid streitgegenständlich gewesen, mit dem festgestellt worden sei, dass ein Anspruch der Beschwerdeführerin auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht bestehe.

III.

13

Die Akte des Ausgangsverfahrens hat dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

B.

14

Die Verfassungsbeschwerde, die sich nur noch gegen die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens richtet, nachdem die Beschwerdeführerin sie im Übrigen zurückgenommen hat (vgl. zur Zulässigkeit der Teilrücknahme BVerfGE 126, 1 <17 f.>), ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.

15

Zwar begegnet die Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG erheblichen Bedenken (unter I.). Jedoch kann dahinstehen, ob und inwieweit der Umstand, dass die Beschwerdeführerin selbst zu keinem Zeitpunkt gegenüber dem Sozialgericht die weitere Bearbeitung des Verfahrens angemahnt hat, für die Frage, ob Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verletzt ist, von Bedeutung ist. Denn die Verfassungsbeschwerde ist jedenfalls mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig (unter II.).

I.

16

1. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht, die Gerichte gegen Handlungen der öffentlichen Gewalt anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 93, 1 <13>). Wirksamer Rechtsschutz bedeutet auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; 93, 1 <13>). Dem Grundgesetz lassen sich allerdings keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist. Vielmehr ist die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>). Dabei können insbesondere die Schwierigkeit der zu entscheidenden Materie, die Notwendigkeit von Ermittlungen in tatsächlicher Hinsicht, die Bedeutung des Verfahrens für die Prozessbeteiligten sowie deren eigenes Prozessverhalten von Bedeutung sein.

17

2. Vor diesem Hintergrund ist die Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht nicht mehr angemessen gewesen. Insbesondere ist es bei einer isolierten Betrachtung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG unvereinbar, dass das Sozialgericht das Verfahren über einen Zeitraum von 30 Monaten nicht mehr bearbeitet hat, obwohl es den Beteiligten im Februar 2004 mitgeteilt hatte, dass es die Ermittlungen für abgeschlossen halte. Zwar lässt sich der Verfassung keine konkrete Vorgabe dafür entnehmen, innerhalb welchen Zeitraums nach Abschluss der gerichtlichen Ermittlungen es zu einer mündlichen Verhandlung kommen muss. Aber jedenfalls ein Abwarten von 30 Monaten genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.

18

Im Übrigen ist auch im weiteren Verlauf das Verfahren seitens des Sozialgerichts in einer Weise gehandhabt worden, die - wenn man das Verhalten der Beschwerdeführerin ausblendet - mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht zu vereinbaren ist. Zwar lagen dem Sozialgericht zwischen Ende August 2006 und März 2007 die Verwaltungsakten der Beklagten des Ausgangsverfahrens nicht vor, weil die Akten anforderungsgemäß an die Beklagte übersandt worden waren. Das Sozialgericht war hierdurch aber nicht daran gehindert, Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhalts durchzuführen oder das Verfahren abzuschließen, wenn es weitere Ermittlungen weiterhin nicht für notwendig erachtet hätte. Angesichts der zum damaligen Zeitpunkt bereits erheblichen Dauer des Verfahrens hätte es nötigenfalls Kopien der Verwaltungsakte anlegen müssen. Die verfassungsrechtlich relevante Untätigkeit des Sozialgerichts war erst mit der am 17. April 2007 erfolgten, kurz darauf auf Antrag des Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin aufgehobenen Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung für den 15. Mai 2007 beendet, bevor zwischen dem 11. März 2008 und der Terminsbestimmung am 10. Oktober 2008 erneut eine - vor dem Hintergrund der inzwischen erreichten Verfahrensdauer erhebliche - Phase der gerichtlichen Untätigkeit folgte.

19

Soweit der Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen auf die knappe personelle Ausstattung des Sozialgerichts verweist, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Die Überlastung eines Gerichts fällt - anders als unvorhersehbare Zufälle oder schicksalhafte Ereignisse - in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft (vgl. BVerfGE 36, 264 <275>). Es obliegt in ihrem Zuständigkeitsbereich den Ländern, für eine hinreichende materielle und personelle Ausstattung der Gerichte zu sorgen, damit diese ihrem Rechtsprechungsauftrag in einer Weise nachkommen können, die den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG genügt (vgl. BVerfGE 36, 264 <275>; Ibler, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 25 ; Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2010, Art. 19 Rn. 380). Die Länder müssen dabei gegebenenfalls auch auf längere Arbeitsunfähigkeitszeiten beim richterlichen Personal durch geeignete Maßnahmen reagieren.

II.

20

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Beschwerdeführerin hat angesichts des Umstandes, dass das fachgerichtliche Verfahren inzwischen abgeschlossen ist, kein Rechtsschutzbedürfnis mehr für das Ziel, eine überlange Verfahrensdauer durch das Bundesverfassungsgericht feststellen zu lassen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. August 2010 - 1 BvR 331/10 -, juris, Rn. 16).Ein solches Rechtsschutzbedürfnis kann insbesondere nicht durch die von der Beschwerdeführerin behauptete Gefahr, dass es in zukünftigen, von ihr geführten sozialgerichtlichen Verfahren erneut zu einer überlangen Verfahrensdauer komme, begründet werden. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht unter der früheren Rechtslage ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis wegen Wiederholungsgefahr unter bestimmten Voraussetzungen anerkannt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. August 2010 - 1 BvR 331/10 -, juris, Rn. 17 ff.). Der Annahme einer Wiederholungsgefahr, die ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis für das Verfassungsbeschwerdeverfahren begründen könnte, steht jedoch mittlerweile das am 3. Dezember 2011 in Kraft getretene Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) entgegen. Aufgrund dieses Gesetzes stehen auch im sozialgerichtlichen Verfahren fachgerichtliche Rechtsbehelfe gegen überlange Gerichtsverfahren zur Verfügung (§ 202 Satz 2 SGG in Verbindung mit §§ 198 ff. Gerichtsverfassungsgesetz), die den Fortbestand einer für das Verfassungsbeschwerdeverfahren relevanten Wiederholungsgefahr ausschließen.

21

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.

(2) Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet diese Vorschrift keine Anwendung.

(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.

(2) Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet diese Vorschrift keine Anwendung.

(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.

14
Aber bb) auch im Übrigen - außerhalb des Anwendungsbereichs von § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB - erlangt der verfassungsrechtliche Grundsatz richterlicher Unabhängigkeit seine Bedeutung. Der gegenteiligen Meinung des Klägers , der in seiner Revisionserwiderung die Auffassung vertritt, aus der Verpflichtung zur Entscheidung in angemessener Zeit (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 6 Abs. 1 EMRK) folge, dass das Gericht die Prozessführung nach dem Zeitfaktor auszurichten, das heißt bei verschiedenen Möglichkeiten der Verfahrensgestaltung zugunsten der das Verfahren schneller abschließenden Alternative zu entscheiden habe, wobei Art. 97 Abs. 1 GG insoweit ohne Bedeutung sei, folgt der Senat nicht. Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck. Vielmehr verlangt gerade das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitge- genstands durch das dazu berufene Gericht (BVerfGE 54, 277, 291; 85, 337, 345; BVerfG NJW 1997, 2811, 2812; NJW 1999, 2582, 2583). Insoweit ist die sachgerechte Führung eines Prozesses - abgesehen von zwingenden gesetzlichen Vorgaben - in das Ermessen der verantwortlichen Richter gestellt (vgl. BVerfGE 55, 349, 369 zur Terminierung der mündlichen Verhandlung; siehe auch BVerfG EuGRZ 1982, 75). Hierbei kann die Verfahrensführung - im Ergebnis nicht anders als es der Senat in ständiger Rechtsprechung in anderem Zusammenhang bereits für bestimmte staatsanwaltschaftliche Handlungen, bei denen ein Beurteilungsspielraum des Entscheidungsträgers besteht (vgl. Urteil vom 21. April 1988 - III ZR 255/86, NJW 1989, 96, 97; Beschluss vom 27. September 1990 - III ZR 314/89, BGHR BGB § 839 Abs. 1 Satz 1 Staatsanwalt 3; Urteile vom 16. Oktober 1997 - III ZR 23/96, NJW 1998, 751, 752; und 18. Mai 2000 - III ZR 180/99, VersR 2001, 586, 587), aber auch für bestimmte richterliche Maßnahmen außerhalb des Anwendungsbereichs des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB (vgl. Urteile vom 29. April 1993 - III ZR 3/92, BGHZ 122, 268, 271; und 21. Juli 2005 - III ZR 21/05, BeckRS 2005, 09404; Beschluss vom 21. Dezember 2005 - III ZA 5/05, juris Rn. 12) entschieden hat - im Amtshaftungsprozess nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft werden. Letztere darf nur verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Zivilrechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist (Senat, Urteil vom 21. April 1988, aaO; Beschluss vom 27. September 1990 aaO). Bei der insoweit anzustellenden Bewertung darf der Zeitfaktor - zumal sich bei zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet (vgl. nur BVerfG NJW 2001, 214, 215; NJW 2004, 3320; NJW 2005, 739; NJW 2008, 503, 504) - selbstverständlich nicht ausgeblendet werden; er ist aber nicht der allein entscheidende Maßstab.
27
aa) Für die Feststellung, ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, kommt es nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut auf die Umstände des Einzelfalls an, insbesondere auf die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benennt die Umstände , die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, nur beispielhaft ("insbesondere") und ohne abschließenden Charakter (BTDrucks. 17/3702 S. 18). Weitere gewichtige Beurteilungskriterien sind die Verfahrensführung durch das Gericht sowie die zur Verfahrensbeschleunigung, die nicht zum Selbstzweck werden darf, gegenläufigen Rechtsgüter, wobei vor allem die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Gewährleistung der inhaltlichen Richtigkeit von Entscheidungen sowie die Grundsätze der richterlichen Unabhängigkeit und des gesetzlichen Richters in den Blick zu nehmen sind. Erforder- lich ist eine umfassende Gesamtabwägung aller Umstände (grundlegend Senatsurteile vom 14. November 2013 - III ZR 376/12, NJW 2014, 220 Rn. 25, 28, 32 ff; vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13 aaO Rn. 37, 40, 43 ff und vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13, BeckRS 2014, 03167 Rn. 36, 39 f, jeweils zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).
16
b) Ein weiteres wichtiges Kriterium zur Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer ist die Verfahrensführung durch das Gericht. Dabei ist dem Gericht zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse - auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit - ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen, der lediglich einer Vertretbarkeitskontrolle unterliegt. Laufzeiten, die durch die Prozessleitung des Gerichts bedingt sind, haben nur dann eine unangemessene Verfahrensdauer zur Folge, wenn sich die verfahrensleitende Entscheidung - auch bei Berücksichtigung der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege - nicht auf verfahrensökonomische Sachgründe stützen lässt, sondern von sachfremden und zweckwidrigen Erwägungen getragen und somit nicht mehr verständlich ist (st. Rspr; vgl. nur Senatsurteile vom 14. November 2013 - III ZR 376/12, BGHZ 199, 87 Rn. 28, 32 ff; vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13, BGH 199, 190 Rn. 40, 42 ff; vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13, BGHZ 200, 20 Rn. 36, 38 ff; vom 13. März 2014 - III ZR 91/13, NJW 2014, 1816 Rn. 27, 31 f, 34 f und vom 12. Februar 2015 - III ZR 141/14, BGHZ 204, 184 Rn. 24 ff; siehe auch BeckOGK/Dörr, BGB, § 839 Rn. 1255 [Stand: 1. Dezember 2016]). Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein entscheidungsreifes Verfahren nicht mehr gefördert wird und sich die "Tätigkeit" des Gerichts auf ein Liegenlassen der Akten beschränkt (vgl. BVerwG, NJW 2014, 96 Rn. 52; BeckOGK/Dörr aaO). Der Anspruch des Betroffenen auf Rechtsschutz in angemessener Zeit darf auch nicht mit der Erwägung relativiert werden, seinem Rechtsschutzbegehren fehle die Erfolgsaussicht. Auf das Ergebnis des Verfah- rens (Erfolg/Misserfolg) kommt es nicht an (Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG Rn. 63). Dementsprechend findet im Entschädigungsprozess auch keine Überprüfung der der Entscheidungsfindung zugrunde liegenden rechtlichen Überlegungen statt (Senatsurteil vom 13. März 2014 aaO Rn. 34). Liegt eine sachlich nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung vor, entfällt die haftungsbegründende Rechtsgutsverletzung - die unangemessene Verfahrensdauer - selbst dann nicht, wenn die Klage oder der Rechtsbehelf im Ausgangsverfahren von vornherein erkennbar aussichtlos waren. Dem Umstand, dass das Rechtsschutzbegehren des Betroffenen von Anfang an unbegründet war, kann, soweit - wie im vorliegenden Fall - eine Entschädigung für immaterielle Nachteile geltend gemacht wird, dadurch Rechnung getragen werden, dass eine Geldentschädigung versagt und gegebenenfalls gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 GVG lediglich die Unangemessenheit der Verfahrensdauer festgestellt wird (vgl. BFHE 240, 516 Rn. 62).
28
Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist als maßgeblicher Zeitraum die in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierte Gesamtverfahrensdauer (vgl. Ott aaO § 198 GVG Rn. 78). Dies hat zur Konsequenz, dass Verzögerungen , die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind, nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bewirken. Es ist vielmehr im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung zu überprüfen, ob eingetretene Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden (Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 30 und vom 5. Dezember 2013 aaO Rn. 41 und vom 23. Januar 2014 aaO Rn. 37; Ott aaO § 198 GVG Rn. 79, 97, 100 f). Darüber hinaus wird eine Entschädigung für abschnittsbezogene Verzögerungen, die derart unbedeutend sind, dass sie gegenüber der Gesamtverfahrensdauer nicht ins Gewicht fallen, regelmäßig ausscheiden. Denn die durch die lange Verfahrensdauer verursachte Belastung muss einen gewissen Schweregrad erreichen. Es reicht nicht jede Abweichung von einer optimalen Verfahrensführung aus (BSG, NJW 2014, 248 Rn. 26).
36
aa) Unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist die Verfahrensdauer dann, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete und den Gestaltungsspielraum der Gerichte bei der Verfahrensführung beachtende Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 6 Abs. 1 EMRK folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist (ausführlich Senatsurteile vom 14. November 2013 aaO Rn. 28 ff und vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13, BeckRS 2013, 22861 Rn. 36 ff, jeweils mwN, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).

Tenor

Der Prozesskostenhilfeantrag des Antragstellers vom 23.10.2014 wird zurückgewiesen.


Gründe:

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

Gründe

1

Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Abweichung (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2

1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

3

Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt und aufzeigt, aus welchen Gründen der Rechtsauffassung, die der aufgeworfenen Frage zugrunde liegt, zu folgen ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 4. April 2012 - 5 B 58.11 - juris Rn. 2 und vom 17. Februar 2017 - 5 B 12.16 - juris Rn. 2 m.w.N.). Es bedarf auch der substantiierten Auseinandersetzung mit den Gründen bereits ergangener einschlägiger Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 11. August 2006 - 1 B 105.06 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 20 Rn. 2 und vom 12. Januar 2017 - 5 B 75.16 - juris Rn. 4 m.w.N.). An der Klärungsbedürftigkeit einer gestellten Rechtsfrage fehlt es unter anderem dann, wenn sie sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und/oder mithilfe der Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation beantworten lässt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. August 1999 - 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270> und vom 17. März 2017 - 5 B 78.16 - juris Rn. 2). Gemessen daran hat die Beschwerde keinen Erfolg.

4

Der Kläger möchte geklärt wissen,

"ob das Zuwarten des Gerichts auf den Ausgang eines anderen Rechtsstreits über mehrere Jahre und Monate und die dadurch verursachte überlange Verfahrensdauer dadurch gerechtfertigt sein kann, wenn dem Zuwarten durch die Verfahrensbeteiligten ausdrücklich widersprochen worden war, bzw. wenn zumindest kein Einverständnis der Verfahrensbeteiligten bestand (...)".

5

Diese Frage bezieht sich erkennbar auf den Zeitraum, in dem der Verwaltungsgerichtshof das Ausgangsverfahren nach § 94 VwGO ausgesetzt hatte. Soweit sie einer grundsätzlichen Klärung zugänglich ist, lässt sie sich auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - mit der sich der Kläger entgegen § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht auseinandersetzt - beantworten. Schon deshalb rechtfertigt die Frage nicht die Zulassung der Revision.

6

In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass bei der Frage, ob die Verfahrensdauer unangemessen im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, vor allem auch zu prüfen ist, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eintreten, bei Berücksichtigung des den Ausgangsgerichten insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums sachlich gerechtfertigt sind (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 37 und vom 14. November 2016 - 5 C 10.15 D - BVerwGE 156, 229 Rn. 135 m.w.N.). Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht - auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) - ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen. Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur dann zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr gerechtfertigt sind (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 42 und vom 29. Februar 2016 - 5 C 31.15 D - NJW 2016, 3464 Rn. 15, jeweils m.w.N.). Die Gestaltungsfreiheit umfasst auch die Befugnis, mit Blick auf einen parallel anhängigen Rechtsstreit, der für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens von rechtlicher Relevanz ist, dieses zeitweise "faktisch", d.h. ohne förmliche Anordnung nach § 94 VwGO auszusetzen. Erweist sich eine solche Verfahrensweise bei Zugrundelegung einer objektivierenden Betrachtung als vertretbar, kann etwa die mit der Bearbeitung oder Förderung eines Leitverfahrens korrespondierende Zeit der faktischen Aussetzung bei der Bewertung der angemessenen Dauer des parallel anhängigen Ausgangsverfahrens nicht zu Lasten des Staates gehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. November 2016 - 5 C 10.15 D - juris Rn. 155; Beschlüsse vom 2. Mai 2017 - 5 B 75.15 D - juris Rn. 8 und vom 20. Februar 2018 - 5 B 13.17 D - Rn. 5). Es drängt sich auf, dass dies für den Fall einer "förmlichen" Aussetzung nach § 94 VwGO entsprechend gilt. Mithin ist geklärt, dass die Zeit der Aussetzung dann nicht zu Lasten des Staates geht, wenn die Aussetzung vertretbar ist und die weiteren dargestellten Voraussetzungen vorliegen. Ob dies anzunehmen ist, ist eine Frage des Einzelfalles und deshalb einer grundsätzlichen Klärung in einem Revisionsverfahren nicht zugänglich. Es liegt allerdings auf der Hand, dass die Aussetzung des Verfahrens nicht schon deshalb unvertretbar ist, weil die Beteiligten dem nicht zugestimmt oder widersprochen haben.

7

2. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz zuzulassen.

8

Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung der Rechtssätze, die das betreffende Gericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen nicht (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14). Gemessen daran ist die Beschwerde nicht ausreichend begründet.

9

Der Kläger meint, die Vorinstanz sei von einem in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. September 2012 aufgestellten Rechtssatz - 2 C 48.11 - (Buchholz 239.1 § 5 BeamtVG Nr. 21 Rn. 21) abgewichen. Die von ihm in Bezug genommenen Erwägungen betreffen das Beamtenversorgungsrecht. In ihnen wird aufgezeigt, dass die Grundsätze über die Teilnichtigkeit eines Gesetzes auf die zu entscheidende Fallgestaltung nicht in einer näher beschriebenen Weise übertragbar seien. Eine Divergenz ist schon deshalb nicht ausreichend bezeichnet, weil die Vorinstanz dem nicht widersprochen hat. Die angeblich abweichenden Erwägungen in dem angefochtenen Urteil (UA Rn. 33) enthalten eine Beschreibung der Frage, die das Bundesverwaltungsgericht in dem Urteil vom 26. September 2012 entschieden hat, nicht hingegen einen divergierenden Rechtssatz.

10

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO abgesehen.

11

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Dauer eines erstinstanzlichen sozialgerichtlichen Verfahrens.

I.

2

1. Die Beschwerdeführerin begehrte gegenüber dem zuständigen Rentenversicherungsträger die Gewährung von Rente wegen Berufs- und wegen Erwerbsunfähigkeit. Nachdem der Rentenversicherungsträger ihr eine Rente wegen Berufsunfähigkeit gewährt, aber den Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit abgelehnt hatte, erhob sie am 12. September 2003 Klage beim Sozialgericht mit dem Ziel der Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

3

Nach Eingang der Klageerwiderung, Einholung einer Arbeitgeberauskunft durch das Sozialgericht sowie Eingang einer hierzu angeforderten Stellungnahme der Beklagten des Ausgangsverfahrens teilte das Sozialgericht den Beteiligten mit Schreiben vom 11. Februar 2004 mit, dass das Gericht den Sachverhalt für aufgeklärt halte und bis zur Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung keine weiteren Maßnahmen treffen werde. Auf eine beim Sozialgericht am 23. Februar 2004 eingegangene Anfrage der Beschwerdeführerin, "wann in etwa" mit der Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung zu rechnen sei, reagierte das Sozialgericht Anfang März 2004 mit einer Antwort, deren Inhalt sich der Akte des Sozialgerichts nicht entnehmen lässt. In der Folgezeit wurde das Verfahren weder durch das Sozialgericht noch durch die Beschwerdeführerin betrieben.

4

Mit Schreiben vom 23. August 2006 erbat die Beklagte des Ausgangsverfahrens beim Sozialgericht die Rückgabe ihrer eigenen Akte zur Erledigung von Verwaltungsarbeiten, die ihr sodann am 4. September 2006 übersandt wurde. Die Akte ging am 8. März 2007 wieder beim Sozialgericht ein. Zugleich legte die Beklagte des Ausgangsverfahrens einen Bescheid vor, in dem die Rente wegen Berufsunfähigkeit neu berechnet worden war. Dieser Bescheid - so die Beklagte - sei nach § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Klageverfahrens geworden.

5

Am 17. April 2007 bestimmte das Sozialgericht Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 15. Mai 2007. Am 25. April 2007 legte die Beklagte des Ausgangsverfahrens dem Sozialgericht erneut unter Hinweis auf § 96 Abs. 1 SGG einen Bescheid vor, in dem die Rente wegen Berufsunfähigkeit neu berechnet worden war.

6

Mit Schreiben vom 26. April 2007 hob das Gericht den Termin zur mündlichen Verhandlung auf Antrag des Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin wieder auf und fragte bei ihr an, ob am Klagebegehren festgehalten werde, obwohl der Beschwerdeführerin aufgrund Hinzuverdienstes ein Zahlbetrag für eine Erwerbsunfähigkeitsrente ohnehin nicht zustünde. Das Sozialgericht bezog sich insoweit auf die beiden die Berufsunfähigkeitsrente betreffenden Neuberechnungsbescheide.

7

Nach Eingang der Antwort der Beschwerdeführerin, dass sie an ihrer Klage festhalte, und nach Einholung einer Stellungnahme der Beklagten des Ausgangsverfahrens und einer weiteren Stellungnahme der Beschwerdeführerin, die beim Sozialgericht am 11. März 2008 einging, bestimmte das Sozialgericht am 10. Oktober 2008 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 5. November 2008. An diesem Tag wies das Sozialgericht die Klage ab.

8

2. Die Berufung wurde vom Landessozialgericht mit Urteil vom 27. Januar 2010 zurückgewiesen. Die vom Landessozialgericht zugelassene Revision wurde vom Bundessozialgericht mit Beschluss vom 8. Februar 2011 verworfen.

9

3. Nachdem die Beschwerdeführerin ihre Verfassungsbeschwerde teilweise zurückgenommen hat, wendet sie sich nur noch gegen die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens und rügt eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 GG. Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, dass ihr weitere überlange Gerichtsverfahren drohen, also eine Wiederholung der behaupteten Grundrechtsverletzung zu befürchten sei.

II.

10

Zu der Verfassungsbeschwerde haben der Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen und als Beklagte des Ausgangsverfahrens die Deutsche Rentenversicherung Bund Stellung genommen.

11

1. Der Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen verweist für den Zeitraum vom 24. Februar 2004 bis zum 4. September 2006 auf personelle, auch durch längere Arbeitsunfähigkeitszeiten bedingte Engpässe im richterlichen Bereich bei gleichzeitig hohen Verfahrenszahlen beim Sozialgericht. Für Verfahrensverzögerungen außerhalb des genannten Zeitraums sehe er keine erheblichen Anhaltspunkte.

12

2. Die Deutsche Rentenversicherung Bund verweist darauf, dass das Sozialgericht zu dem Begehren der Beschwerdeführerin, abgesehen von der Anfrage bei deren Arbeitgeber, keinerlei Ermittlungen angestellt habe. Insbesondere seien zu keinem Zeitpunkt medizinische Gutachten in Auftrag gegeben oder Befundberichte angefordert worden. Auch das schließlich ergangene Urteil des Sozialgerichts setze sich mit der Frage der Erwerbsunfähigkeit nicht auseinander. Das Sozialgericht habe also in einem mehr als fünfjährigen Verfahrenszeitraum zum Begehren der Beschwerdeführerin anfangs gar keine, mindestens aber unzureichende Ermittlungen durchgeführt, um es dann ab dem Jahr 2007 völlig aus den Augen zu verlieren. Es habe sich mit dem Rentenbegehren nicht einmal befasst, als die Beschwerdeführerin es in der mündlichen Verhandlung vom 5. November 2008 mit ihrem Antrag bekräftigt habe. Diese Herangehensweise habe dazu geführt, dass auch die nachfolgenden Instanzen das auf Zahlung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gerichtete Begehren der Beschwerdeführerin nicht mehr erörtert hätten. Stattdessen habe sich das Sozialgericht seit dem Jahr 2007 ausschließlich mit der Frage befasst, ob die Deutsche Rentenversicherung Bund befugt gewesen sei, die ohnehin bewilligte und damit gar nicht in Streit stehende Rente der Beschwerdeführerin wegen Berufsunfähigkeit neu festzustellen und die Erstattung von Überzahlungen geltend zu machen. Der Bescheid über die Bewilligung von Berufsunfähigkeitsrente, der während des Gerichtsverfahrens mehrfach geändert worden sei, sei gar nicht Gegenstand der Klage gewesen. Vielmehr sei nur der Bescheid streitgegenständlich gewesen, mit dem festgestellt worden sei, dass ein Anspruch der Beschwerdeführerin auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nicht bestehe.

III.

13

Die Akte des Ausgangsverfahrens hat dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

B.

14

Die Verfassungsbeschwerde, die sich nur noch gegen die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens richtet, nachdem die Beschwerdeführerin sie im Übrigen zurückgenommen hat (vgl. zur Zulässigkeit der Teilrücknahme BVerfGE 126, 1 <17 f.>), ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen.

15

Zwar begegnet die Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG erheblichen Bedenken (unter I.). Jedoch kann dahinstehen, ob und inwieweit der Umstand, dass die Beschwerdeführerin selbst zu keinem Zeitpunkt gegenüber dem Sozialgericht die weitere Bearbeitung des Verfahrens angemahnt hat, für die Frage, ob Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verletzt ist, von Bedeutung ist. Denn die Verfassungsbeschwerde ist jedenfalls mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig (unter II.).

I.

16

1. Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht, die Gerichte gegen Handlungen der öffentlichen Gewalt anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 93, 1 <13>). Wirksamer Rechtsschutz bedeutet auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; 93, 1 <13>). Dem Grundgesetz lassen sich allerdings keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist. Vielmehr ist die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>). Dabei können insbesondere die Schwierigkeit der zu entscheidenden Materie, die Notwendigkeit von Ermittlungen in tatsächlicher Hinsicht, die Bedeutung des Verfahrens für die Prozessbeteiligten sowie deren eigenes Prozessverhalten von Bedeutung sein.

17

2. Vor diesem Hintergrund ist die Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht nicht mehr angemessen gewesen. Insbesondere ist es bei einer isolierten Betrachtung mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG unvereinbar, dass das Sozialgericht das Verfahren über einen Zeitraum von 30 Monaten nicht mehr bearbeitet hat, obwohl es den Beteiligten im Februar 2004 mitgeteilt hatte, dass es die Ermittlungen für abgeschlossen halte. Zwar lässt sich der Verfassung keine konkrete Vorgabe dafür entnehmen, innerhalb welchen Zeitraums nach Abschluss der gerichtlichen Ermittlungen es zu einer mündlichen Verhandlung kommen muss. Aber jedenfalls ein Abwarten von 30 Monaten genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.

18

Im Übrigen ist auch im weiteren Verlauf das Verfahren seitens des Sozialgerichts in einer Weise gehandhabt worden, die - wenn man das Verhalten der Beschwerdeführerin ausblendet - mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht zu vereinbaren ist. Zwar lagen dem Sozialgericht zwischen Ende August 2006 und März 2007 die Verwaltungsakten der Beklagten des Ausgangsverfahrens nicht vor, weil die Akten anforderungsgemäß an die Beklagte übersandt worden waren. Das Sozialgericht war hierdurch aber nicht daran gehindert, Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhalts durchzuführen oder das Verfahren abzuschließen, wenn es weitere Ermittlungen weiterhin nicht für notwendig erachtet hätte. Angesichts der zum damaligen Zeitpunkt bereits erheblichen Dauer des Verfahrens hätte es nötigenfalls Kopien der Verwaltungsakte anlegen müssen. Die verfassungsrechtlich relevante Untätigkeit des Sozialgerichts war erst mit der am 17. April 2007 erfolgten, kurz darauf auf Antrag des Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin aufgehobenen Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung für den 15. Mai 2007 beendet, bevor zwischen dem 11. März 2008 und der Terminsbestimmung am 10. Oktober 2008 erneut eine - vor dem Hintergrund der inzwischen erreichten Verfahrensdauer erhebliche - Phase der gerichtlichen Untätigkeit folgte.

19

Soweit der Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen auf die knappe personelle Ausstattung des Sozialgerichts verweist, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Die Überlastung eines Gerichts fällt - anders als unvorhersehbare Zufälle oder schicksalhafte Ereignisse - in den Verantwortungsbereich der staatlich verfassten Gemeinschaft (vgl. BVerfGE 36, 264 <275>). Es obliegt in ihrem Zuständigkeitsbereich den Ländern, für eine hinreichende materielle und personelle Ausstattung der Gerichte zu sorgen, damit diese ihrem Rechtsprechungsauftrag in einer Weise nachkommen können, die den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG genügt (vgl. BVerfGE 36, 264 <275>; Ibler, in: Friauf/Höfling, Berliner Kommentar zum GG, Art. 19 Abs. 4 Rn. 25 ; Huber, in: von Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 1, 6. Aufl. 2010, Art. 19 Rn. 380). Die Länder müssen dabei gegebenenfalls auch auf längere Arbeitsunfähigkeitszeiten beim richterlichen Personal durch geeignete Maßnahmen reagieren.

II.

20

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Beschwerdeführerin hat angesichts des Umstandes, dass das fachgerichtliche Verfahren inzwischen abgeschlossen ist, kein Rechtsschutzbedürfnis mehr für das Ziel, eine überlange Verfahrensdauer durch das Bundesverfassungsgericht feststellen zu lassen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. August 2010 - 1 BvR 331/10 -, juris, Rn. 16).Ein solches Rechtsschutzbedürfnis kann insbesondere nicht durch die von der Beschwerdeführerin behauptete Gefahr, dass es in zukünftigen, von ihr geführten sozialgerichtlichen Verfahren erneut zu einer überlangen Verfahrensdauer komme, begründet werden. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht unter der früheren Rechtslage ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis wegen Wiederholungsgefahr unter bestimmten Voraussetzungen anerkannt (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. August 2010 - 1 BvR 331/10 -, juris, Rn. 17 ff.). Der Annahme einer Wiederholungsgefahr, die ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis für das Verfassungsbeschwerdeverfahren begründen könnte, steht jedoch mittlerweile das am 3. Dezember 2011 in Kraft getretene Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) entgegen. Aufgrund dieses Gesetzes stehen auch im sozialgerichtlichen Verfahren fachgerichtliche Rechtsbehelfe gegen überlange Gerichtsverfahren zur Verfügung (§ 202 Satz 2 SGG in Verbindung mit §§ 198 ff. Gerichtsverfassungsgesetz), die den Fortbestand einer für das Verfassungsbeschwerdeverfahren relevanten Wiederholungsgefahr ausschließen.

21

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

16
b) Ein weiteres wichtiges Kriterium zur Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer ist die Verfahrensführung durch das Gericht. Dabei ist dem Gericht zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse - auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit - ein weiter Gestaltungsspielraum zuzubilligen, der lediglich einer Vertretbarkeitskontrolle unterliegt. Laufzeiten, die durch die Prozessleitung des Gerichts bedingt sind, haben nur dann eine unangemessene Verfahrensdauer zur Folge, wenn sich die verfahrensleitende Entscheidung - auch bei Berücksichtigung der Belange einer funktionstüchtigen Rechtspflege - nicht auf verfahrensökonomische Sachgründe stützen lässt, sondern von sachfremden und zweckwidrigen Erwägungen getragen und somit nicht mehr verständlich ist (st. Rspr; vgl. nur Senatsurteile vom 14. November 2013 - III ZR 376/12, BGHZ 199, 87 Rn. 28, 32 ff; vom 5. Dezember 2013 - III ZR 73/13, BGH 199, 190 Rn. 40, 42 ff; vom 23. Januar 2014 - III ZR 37/13, BGHZ 200, 20 Rn. 36, 38 ff; vom 13. März 2014 - III ZR 91/13, NJW 2014, 1816 Rn. 27, 31 f, 34 f und vom 12. Februar 2015 - III ZR 141/14, BGHZ 204, 184 Rn. 24 ff; siehe auch BeckOGK/Dörr, BGB, § 839 Rn. 1255 [Stand: 1. Dezember 2016]). Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein entscheidungsreifes Verfahren nicht mehr gefördert wird und sich die "Tätigkeit" des Gerichts auf ein Liegenlassen der Akten beschränkt (vgl. BVerwG, NJW 2014, 96 Rn. 52; BeckOGK/Dörr aaO). Der Anspruch des Betroffenen auf Rechtsschutz in angemessener Zeit darf auch nicht mit der Erwägung relativiert werden, seinem Rechtsschutzbegehren fehle die Erfolgsaussicht. Auf das Ergebnis des Verfah- rens (Erfolg/Misserfolg) kommt es nicht an (Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 GVG Rn. 63). Dementsprechend findet im Entschädigungsprozess auch keine Überprüfung der der Entscheidungsfindung zugrunde liegenden rechtlichen Überlegungen statt (Senatsurteil vom 13. März 2014 aaO Rn. 34). Liegt eine sachlich nicht gerechtfertigte Verfahrensverzögerung vor, entfällt die haftungsbegründende Rechtsgutsverletzung - die unangemessene Verfahrensdauer - selbst dann nicht, wenn die Klage oder der Rechtsbehelf im Ausgangsverfahren von vornherein erkennbar aussichtlos waren. Dem Umstand, dass das Rechtsschutzbegehren des Betroffenen von Anfang an unbegründet war, kann, soweit - wie im vorliegenden Fall - eine Entschädigung für immaterielle Nachteile geltend gemacht wird, dadurch Rechnung getragen werden, dass eine Geldentschädigung versagt und gegebenenfalls gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 GVG lediglich die Unangemessenheit der Verfahrensdauer festgestellt wird (vgl. BFHE 240, 516 Rn. 62).

Tenor

I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.800,- € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 25. März 2014 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Der Kläger trägt 7/10, der Beklagte 3/10 der Kosten des Verfahrens.

III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt Entschädigung für immaterielle Nachteile infolge der unangemessenen Dauer eines Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsverfahrens zwischen den Beteiligten. Gegenstand des Ausgangsverfahrens war die Höhe der Versorgungsbezüge des 1956 geborenen und Anfang 2007 in den Ruhestand versetzten Klägers, der ein Amt in der BesGr A 12 seit 1. Januar 2006 bekleidet hatte. Streitpunkte waren, dass die Berechnung auf der BesGr A 11, Stufe 11, beruhte sowie ein Versorgungsabschlag von 10,8 v.H. und eine weitere Kürzung wegen des Versorgungsausgleichs zugunsten seiner geschiedenen Ehefrau vorgenommen worden waren.

Gegen den Bescheid hinsichtlich der Festsetzung der Versorgungsbezüge vom 30. März 2007 erhob der Kläger mit Schreiben vom 12. April 2007 Widerspruch, der am 8. Juni 2007 zurückgewiesen worden ist. Am 16. Juli 2007 erhob er Klage auf Festsetzung höherer Versorgungsbezüge. Nach einer letzten Stellungnahme des Klägers am 16. November 2007 hat das Verwaltungsgericht unter dem 8. Mai 2008 zur mündlichen Verhandlung am 27. Juni 2008 geladen. Das klageabweisende Urteil wurde nach der mündlichen Verhandlung verkündet und am 11. November 2008 dem Kläger zugestellt.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist am 28. November 2008 beim Verwaltungsgericht und am 4. Dezember 2008 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen, die Antragsbegründung am 9. Januar 2009 und die Antragserwiderung am 12. März 2009, zu der die Klägerseite am 24. April 2009 Stellung genommen hat. Nach einer Sachstandsanfrage am 20. Januar 2012 wurde der Klägerseite telefonisch mitgeteilt, dass in einem Parallelverfahren die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen worden sei. Im Hinblick darauf werde eine Aussetzung des Verfahrens grundsätzlich für sinnvoll erachtet. Die Revision sei mit Schriftsatz vom 14. Februar 2012 eingelegt worden.

Am 6. Februar 2012 hat die Klägerseite Verzögerungsrüge erhoben. Unter dem 29. Februar 2012 hat das Gericht die Beteiligten zu seiner Absicht, das Verfahren auszusetzen, angehört und hierfür eine Frist bis 20. März 2012 gesetzt. Nach gewährter Fristverlängerung bis 16. April 2012 hat die Klägerseite erklärt, dass mit der Aussetzung kein Einverständnis bestehe. Mit Beschluss vom 20. April 2012 hat der Verwaltungsgerichtshof das Verfahren ausgesetzt.

Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Parallelverfahren vom 28. Februar 2013 hat der Verwaltungsgerichtshof mit Verfügung vom 13. März 2013 das Verfahren fortgesetzt und bei den Beteiligten angefragt, ob durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. September 2012, Az. 2 C 48.11 eine Änderung veranlasst sei. Am 14. Mai 2013 stellte der Beklagte Abhilfe hinsichtlich der Mindestverweildauer im letzten Amt nach § 5 Abs. 3 BeamtVG in Aussicht, jedoch nur, wenn der Kläger das erstinstanzliche Urteil im Übrigen akzeptiere. Nach Verlängerung der Äußerungsfrist hat die Klägerseite mitgeteilt, dass der Kläger Antrag auf Erlass eines Abhilfebescheids hinsichtlich der Berechnung der Versorgungsbezüge aus der BesGr A 12 gestellt habe und stellte gegebenenfalls ihrerseits eine Teilerledigungserklärung in Aussicht. Mit Bescheid vom 15. Juli 2013 änderte der Beklagte die Festsetzung der Versorgungsbezüge und gab am 22. Juli 2013 eine Teilerledigungserklärung ab. Nachdem die Klägerseite am 13. September 2013 ebenfalls eine Teilerledigungserklärung abgegeben hatte, stellte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 18. September 2013 das Verfahren teilweise ein und lehnte im Übrigen den Antrag auf Zulassung der Berufung ab.

Der Verwaltungsgerichtshof wies ferner mit Beschluss vom 25. Oktober 2013 eine gegen den Beschluss vom 18. September 2013 erhobene Anhörungsrüge, die am 8. Oktober 2013 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen war, zurück. Im Anschluss daran hat der Kläger Verfassungsbeschwerde erhoben, deren Annahme vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 2014 ohne Begründung abgelehnt worden ist.

Am 25. März 2014 erhob der Kläger Klage auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer und beantragte zugleich die Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf die Verfassungsbeschwerde. Nach Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde teilte der Kläger mit, dass er beabsichtige, eine Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu erheben und hielt den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens aufrecht. Das am 3. September 2014 im Einverständnis der Beteiligten ruhend gestellte Verfahren wird auf Antrag des Klägers seit 23. Oktober 2015 fortgesetzt.

Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, für die Beurteilung, ob eine überlange Verfahrensdauer vorliegt, seien aus verfassungsrechtlichen Gründen und entsprechend den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte das behördliche Verfahren wie auch das Verfahren im ersten Rechtszug zu berücksichtigen. Die unangemessen lange Verfahrensdauer ergebe sich daraus, dass das Berufungsgericht das Verfahren ohne sachlichen Grund seit der Stellungnahme des Klägers zur Klageerwiderung bis zur Fortsetzung des Verfahrens nach der Aussetzung 46 Monate lang nicht betrieben habe. Ein Gestaltungsspielraum des Gerichts für die Verfahrensführung wie auch eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit seien hiervon nicht abzuziehen. Die Zeit der nicht rechtmäßigen Verfahrensaussetzung sei der vorangegangenen Untätigkeit gleichzusetzen. Das Verfahren sei ausgesetzt worden, um zu verhindern, dass sich der Kläger im Nachhinein auf § 198 GVG berufen kann, obwohl sich er sich der Aussetzung ausdrücklich widersetzt habe. Die zu erwartende obergerichtliche Entscheidung sei nicht vorgreiflich gewesen und die angeblich offene Rechtsfrage sei durch das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahr 2007 entschieden worden. Die Länge des Verfahrens sei auch nicht auf eine besondere Komplexität des Verfahrens zurückzuführen, nachdem bereits eine klare Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts existiert habe. Das Verfahren sei für den Kläger von erheblicher Bedeutung gewesen. Es sei um die Höhe der ihm zustehenden Versorgungsbezüge gegangen. Die Entscheidung habe deshalb großen Einfluss auf seine Lebensgestaltung gehabt. Die Höhe der Entschädigung ergebe sich aus der Vermutung des § 198 Abs. 2 GVG. Für die Zeit der nicht rechtmäßigen Aussetzung des Verfahrens sei der Betrag von 1.200,- € pro Jahr jedoch zu verdoppeln, weil sich der psychische Zustand des Klägers durch die Aussetzung gravierend verschlechtert habe.

Der Kläger beantragt,

dem Kläger wegen überlanger Dauer des Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsverfahrens wegen seiner Versorgungsbezüge eine Entschädigung für erlittene Nachteile in Höhe von 5.800,- € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus diesem Betrag seit Rechtshängigkeit zuzuerkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es komme insbesondere eine inhaltliche Überprüfung der Entscheidung zur Aussetzung des Verfahrens vor dem Hintergrund der Unabhängigkeit des Gerichts und des Rechts auf den gesetzlichen Richter nicht in Betracht. Ferner sei eine Verdoppelung des Entschädigungssatzes unter Hinweis auf nicht näher substantiierte gesundheitliche Beeinträchtigungen nicht nachvollziehbar.

Der auf den 28. Juni 2016 festgesetzte Termin zur mündlichen Verhandlung wurde nach Verzicht der Beteiligten auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung aufgehoben. Sich anschließende Verhandlungen zur vergleichsweisen Beendigung des Rechtsstreits sind erfolglos geblieben.

Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die beigezogenen Gerichtsakten dieses und des Ausgangsverfahrens Bezug genommen.

Gründe

Der Verwaltungsgerichtshof entscheidet ohne mündliche Verhandlung, weil die Beteiligten darauf verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Entschädigungsklage hat nur teilweise Erfolg. Der Kläger hat Anspruch auf Entschädigung des immateriellen Nachteils durch die unangemessene Verfahrensdauer in Höhe von 1.800,- € zuzüglich der Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus diesem Betrag seit Rechtshängigkeit.

Die Dauer des Berufungszulassungsverfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof war bei einer Dauer von 57 Monaten und 28 Tagen in einem Umfang von 18 Monaten unangemessen im Sinn von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.

Materiellrechtlicher Bezugsrahmen des Entschädigungsanspruchs ist das gesamte verwaltungsgerichtliche Verfahren über alle Instanzen hinweg, in denen der Rechtsstreit anhängig war. Das behördliche Verfahren von der Festsetzung der Versorgungsbezüge bis zur Zurückweisung des Widerspruchsbescheids ist nicht Gegenstand eines Verfahrens auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, der gemäß § 173 Satz 2 VwGO für die Verwaltungsgerichtsbarkeit entsprechend gilt, beschränkt einen möglichen Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer auf Gerichtsverfahren einschließlich der in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG genannten Nebenverfahren. Die Einschränkung verstößt weder gegen Verfassungsrecht noch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Soweit Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober, BGBl II S. 1198, behördliche Vorverfahren erfasst, werden dessen Anforderungen durch die Möglichkeit der Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO erfüllt (Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, § 198 GVG Rn. 37 f.). Im Übrigen ist bei einer Dauer des Widerspruchsverfahrens von etwa drei Monaten eine unangemessene Verfahrensverzögerung nicht erkennbar.

Die Verfahrensdauer in der ersten Instanz ist nicht zu beanstanden. Eine Verfahrensdauer von etwa einem Jahr nach Entscheidungsreife und insgesamt von 16 Monaten ist angesichts des dem Gericht zuzubilligenden Gestaltungsspielraums sowie der ihm zuzugestehenden Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit nicht unangemessen. Die Klägerseite hat insoweit auch keine unangemessene Verfahrensverzögerung substantiiert geltend gemacht. Das Verwaltungsgericht war jedoch auch nicht schneller als erwartet werden konnte, sodass eine Zeitersparnis in der ersten Instanz der Laufzeit im zweiten Rechtszug nicht zu Gute kommt. Ebenso ist eine Verfahrensverzögerung hinsichtlich der am 8. Oktober 2013 erhobenen Anhörungsrüge, die mit Beschluss vom 25. Oktober 2013 zurückgewiesen worden ist, nicht erkennbar.

Der im Hinblick auf eine unangemessene Verfahrensdauer näher zu prüfende Zeitraum umfasst deshalb die Zeit von der Einreichung des Antrags auf Zulassung der Berufung, der am 28. November 2008 beim Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangen ist, bis zur Zustellung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofs vom 18. September 2013 am 25. September 2013, mit dem das Verfahren teilweise eingestellt und im Übrigen der Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt worden ist.

Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinn von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Wie die Verwendung des Worts „insbesondere“ zeigt, werden damit Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind, beispielhaft und ohne abschließenden Charakter benannt (BT-Drs. 17/3802 S. 18). Damit hat der Gesetzgeber bewusst von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen. Schematische zeitliche Vorgaben für die Angemessenheit sind daher ausgeschlossen. Es verbietet sich in aller Regel, von Orientierungs- oder Richtwerten für die Laufzeit verwaltungsgerichtlicher Verfahren auszugehen, und zwar unabhängig davon, ob diese auf eigener Annahme oder auf statistisch ermittelten durchschnittlichen Verfahrenslaufzeiten beruhen. Dabei macht es im Ergebnis keinen Unterschied, ob solche Werte - in Rechtsprechung und Literatur werden Zeitspannen von ein bis drei Jahren genannt - als „normale“, „durchschnittliche“ oder „übliche“ Bearbeitungs- oder Verfahrenslaufzeiten bezeichnet und - im Hinblick auf die Angemessenheit der Verfahrensdauer - als Indiz (Regelfrist), Hilfskriterium oder „erster grober Anhalt“ herangezogen werden (hierzu ausführlich BayVGH, U.v. 10.12.2015 - 23 A 14.2252 - juris Rn. 28 ff.).

Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinn von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus Konventions- und verfassungsrechtlichen Normen (Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eingetreten sind, bei der Berücksichtigung des den Gerichten insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums sachlich gerechtfertigt sind.

Verfahrenslaufzeiten, die durch die Verfahrensführung des Gerichts bedingt sind, führen nur zu einer unangemessenen Verfahrensdauer, wenn sie - auch bei Berücksichtigung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums - sachlich nicht mehr zu rechtfertigen sind. Eine Zurechnung der Verfahrensverzögerung zum Staat kommt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte insbesondere für Zeiträume in Betracht, in denen das Gericht ohne rechtfertigenden Grund untätig geblieben ist, also das Verfahren nicht gefördert oder betrieben hat (vgl. EGMR, U.v. 26.10.2000 - Nr. 30210/96, Kudła/Polen - NJW 2001, 2694 Rn. 130, v. 31.5.2001 - Nr. 37591/97, Metzger/Deutschland - NJW 2002, 2856 Rn. 41). Zu unangemessenen Verfahrensverzögerungen führen deshalb die Zeiten nicht, in denen die jeweilige Prozessordnung vorsieht, dass das Gericht untätig bleibt, also während der Dauer des Ruhens des Verfahrens gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 251 ZPO oder gemäß § 94 VwGO solange das Verfahren ausgesetzt ist.

Art. 6 Abs. 1 EMRK fordert zwar, dass Gerichtsverfahren zügig betrieben werden, betont aber auch den allgemeinen Grundsatz einer geordneten Rechtspflege (EGMR, U.v. 25.2.2000 - Nr. 29357/95, Gast und Popp/Deutschland - NJW 2001, 211 Rn. 75). Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck; vielmehr verlangt das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstands durch das dazu berufene Gericht (st. Rspr. des BVerfG, vgl. etwa B.v. 12.2.1992 - 1 BvL 1/89 - BVerfGE 85, 337, v. 26.4.1999 - 1 BvR 467/99 - NJW 1999, 2582; ebenso BGH, U.v. 4.11.2010 - III ZR 32/10 - BGHZ 187, 286 Rn. 14 m.w.N.). Die Verfahrensgestaltung ist in erster Linie in die Hände des mit der Sache befassten Gerichts gelegt (BVerfG, B.v. 30.7.2009 - 1 BvR 2662/06 - NJW-RR 2010, 207, v. 2.12.2011 - 1 BvR 314/11 - WM 2012, 76). Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht - auch im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit - ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen (vgl. BVerfG, B.v. 29.3.2005 - 2 BvR 1610/03 - NJW 2005, 3488, v. 1.10.2012 - 1 BvR 170/06 - NVwZ 2013, 789 jeweils m.w.N.). Um den verfahrensrechtlichen und inhaltlichen Anforderungen gerecht werden zu können, benötigt das Gericht eine Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen ist.

Das Gericht muss zum einen den zur Entscheidung stehenden Sachverhalt erarbeiten, insbesondere die entscheidungsrelevanten Tatsachen ermitteln. Ferner sind die rechtlichen Entscheidungsgrundlagen aufzubereiten, der Sachverhalt darunter zu subsumieren und - unter Klärung offenbar werdender oder von den Beteiligten aufgeworfener Probleme - zu entscheiden. Auch wenn im Zulassungsverfahren lediglich über die dargelegten Zulassungsgründe zu entscheiden ist, muss die angegriffene Entscheidung vom Rechtsmittelgericht zumindest nachvollzogen und kritisch hinterfragt werden.

Zum anderen hat das Gericht, sofern der Arbeitsanfall die alsbaldige Bearbeitung und Terminierung sämtlicher zur Entscheidung anstehender Fälle nicht zulässt, zwangsläufig eine zeitliche Reihenfolge festzulegen. Es besteht kein Anspruch darauf, dass ein Rechtsstreit, auch wenn er entscheidungsreif ist, sofort bzw. unverzüglich vom Gericht bearbeitet und entschieden wird. Der verantwortliche Justizgewährträger ist nicht verpflichtet, so große Gerichtskapazitäten vorzuhalten, dass jedes anhängige Verfahren sofort und ausschließlich nach Entscheidungsreife von einem Richter bearbeitet werden kann. Vielmehr muss ein Rechtsuchender damit rechnen, dass der zuständige Richter neben seinem Rechtsbehelf auch noch andere (ältere) Verfahren zu bearbeiten hat. Insofern ist ihm eine gewisse Wartezeit zuzumuten (BSG, U.v. 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - NJW 2014, 248). Schon wegen der unterschiedlichen Zahl der Verfahrenseingänge im Laufe der Zeit, muss ein Gericht immer über eine gewisse „Restantenzahl“ verfügen, um einen sinnvollen Ressourceneinsatz zu gewährleisten, da Richter nicht nach Bedarf berufen und abberufen werden können. Das Gericht hat dabei die Verfahren untereinander zu gewichten, den Interessen der Beteiligten - insbesondere im Hinblick auf die Gewährung rechtlichen Gehörs und eines fairen Verfahrens - Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu geboten sind. Dabei ist es legitim und im Interesse der Verfahrensökonomie geboten, Entscheidungen in ähnlich gelagerten Fällen oder gar von Pilotverfahren, die ihrerseits in einem angemessenen Zeitraum zu erwarten sind, abzuwarten, auch wenn dadurch die Erledigung des zur Entscheidung stehenden Verfahrens hinausgeschoben wird.

Der der gerichtlichen Gestaltungsfreiheit offen stehende Zeitraum beginnt nicht zwingend mit dem Zeitpunkt des „Ausgeschriebenseins“, nachdem die Beteiligten jeweils zur Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelbegründung bzw. -erwiderung Stellung genommen haben, oder dem der Entscheidungsreife, in dem der notwendige Tatsachenstoff aufgeklärt und den Beteiligten in hinreichender Weise rechtliches Gehör gewährt worden ist. Das Ende dieser Zeitspanne wird durch den Zeitpunkt markiert, ab dem ein (weiteres) Zuwarten auf eine verfahrensfördernde Entscheidung bzw. Handlung des Gerichts im Hinblick auf den Anspruch des Betroffenen auf eine angemessene Verfahrensdauer nicht mehr vertretbar ist, weil sich die (weitere) Verzögerung bei Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles als sachlich nicht mehr gerechtfertigt und damit als unverhältnismäßig darstellt. Es ist nicht mit dem Zeitpunkt gleichzusetzen, an dem das Verfahren bei einer „optimalen Verfahrensführung“ des Gerichts beendet wäre. Entschädigungsrechtlich relevant sind nur die nach Ablauf des Gestaltungszeitraums auf die Verfahrensführung des Gerichts zurückzuführenden Verzögerungen. Denn zur Begründung des Entschädigungsanspruchs reicht nicht jede Abweichung von der optimalen Verfahrensführung aus. Vielmehr setzt der Entschädigungsanspruch aus § 198 Abs. 1 GVG voraus, dass der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit beeinträchtigt worden ist, was eine gewisse Schwere der Belastung erfordert (vgl. BVerwG, U.v. 11.7.2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 39). In die Gesamtabwägung sind alle festgestellten Umstände des Einzelfalles einzustellen und zu gewichten.

Ferner hat in die Prüfung einzufließen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Verletzung des Rechts auf angemessene Verfahrensdauer weder in den gerichtlichen noch in den Verantwortungsbereich des in Anspruch genommenen Rechtsträgers fällt, sondern den Verfahrensbeteiligten oder Dritten zuzurechnen ist. Verfahrensverzögerungen, die durch das Verhalten der Parteien entstanden sind, sind grundsätzlich ebenfalls nicht dem Gericht anzulasten.

Gemessen an den Kriterien des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG gilt hier Folgendes:

Das Gericht hat nach Eingang der Replik des Klägers auf die Erwiderung des Beklagten auf den Antrag auf Zulassung der Berufung am 24. April 2009 hin bis zur telefonischen Mitteilung an die Klägerbevollmächtigten am 26. Januar 2012, dass in einem ähnlich gelagerten Verfahren die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen worden sei und im Hinblick darauf eine Aussetzung des Verfahrens für sinnvoll erachtet werde, über einen Zeitraum von 33 Monaten keine verfahrensfördernden Aktivitäten erkennen lassen. Von diesem Zeitpunkt bis zur Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf die erwartete Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in dem genannten Parallelverfahren am 20. April 2012 wurde das Verfahren angemessen gefördert. In diesen Zeitraum fiel die Verzögerungsrüge wie auch die Anhörung des Klägers zur Absicht des Gerichts, das Verfahren auszusetzen. In diesem Zusammenhang wurde der Klägerseite auf Antrag eine Fristverlängerung zur Äußerung gewährt. Im Hinblick darauf, dass das Verfahren bis zur Revisionsentscheidung im Parallelverfahren ausgesetzt worden ist, hatte die Verfahrensführung in diesem Verfahrensabschnitt auch keine Auswirkung auf die Dauer des Gesamtverfahrens. Eine unangemessene Verfahrensverzögerung kann insoweit nicht erkannt werden.

Der Zeitraum der mit Beschluss vom 20. April 2012 angeordneten Aussetzung des Verfahrens bis zu dessen Fortsetzung ab 13. März 2013 von mehr als zehn Monaten kann nicht als unangemessene Verfahrensverzögerung gewertet werden, weil das Gesetz (§ 94 VwGO) die Untätigkeit des Gerichts ausdrücklich vorsieht. Im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit kann der Aussetzungsbeschluss im Verfahren über die Entschädigung wegen unangemessener Verfahrensdauer nicht auf Richtigkeit, sondern allenfalls auf seine Vertretbarkeit hin überprüft werden. Die Vertretbarkeit darf dabei nur verneint werden, wenn bei Würdigung auch der Belange einer funktionierenden Rechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist (BGH, U.v. 4.11.2010, - III ZR 32/10 - BGHZ 187,286 = juris Rn. 14).

Die Aussetzungsentscheidung erscheint jedenfalls nicht unvertretbar. Wenn auch in der Kommentarliteratur unter Hinweis auf die Rechtsprechung verschiedener Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass es für eine Aussetzung im Hinblick auf die Vorgreiflichkeit der Entscheidung vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses, das Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits ist, nicht genügt, wenn sich dort lediglich die gleiche Rechtsfrage stellt (z.B. Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 94 Rn. 4), ist die Auffassung weit verbreitet, dass ein Verfahren ausgesetzt werden könne, wenn die hier zu entscheidende Rechtsfrage Gegenstand eines anderen Verfahrens insbesondere bei einem Revisionsgericht ist. Der Zweck der Aussetzung, divergierende Entscheidungen zu einem einheitlichen Sachkomplex zu vermeiden (Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 94 Rn. 1) trifft auch hier zu. Jedenfalls dient die Aussetzung der Prozessökonomie. Es erspart dem entscheidenden Gericht die oft schwierige und zeitaufwendige Prüfung, die durch das Revisionsgericht ohnehin erfolgt. Sie dient der Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen und begegnet der Gefahr, dass das Gericht eine Auffassung zu Grunde legt, der nachträglich durch die Entscheidung des Revisionsgerichts die Grundlage entzogen wird und enthebt damit die unterlegene Partei der Notwendigkeit, ein Rechtsmittel einzulegen (BGH, B.v. 25.3.1998 - VIII ZR 337/97 - juris Rn. 7). Dieser Gesichtspunkt trifft gerade hier zu, weil das Revisionsgericht den Verwaltungsgerichtshof im Parallelverfahren aufgehoben hat. In dem Revisionsverfahren ging es auch nicht um die - wie die Klägerseite richtig ausführt - bereits im Jahr 2007 entschiedene Frage, ob die dreijährige Wartefrist im Hinblick auf die Anrechnung einer Beförderung bei der Festsetzung der Versorgungsbezüge verfassungsrechtlich Bestand hat. Inmitten hat vielmehr die Frage gestanden, ob mit der Nichtigerklärung der Erhöhung der Wartefrist auf drei Jahre die zugleich abgeschaffte Anrechnung der Zeiten, in denen bereits der dem Beförderungsamt entsprechende Dienstposten wahrgenommen worden ist, wieder aufgelebt ist, was der Senat anders als das Bundesverwaltungsgericht verneint hatte.

Nach der Fortsetzung des Verfahrens wurde es nach Verhandlungen über die teilweise unstreitige Erledigung in Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Parallelverfahren unter Gewährung einer Fristverlängerung für die Klägerseite mit Beschluss vom 18. September 2013 ohne erkennbare Verzögerung erledigt.

Hinsichtlich des verbleibenden Zeitraums der Untätigkeit des Gerichts von 33 Monaten gilt Folgendes:

Wie ausgeführt, ist dem Gericht ein Gestaltungsspielraum bei der Verfahrensführung zuzugestehen. Einerseits benötigt es eine Vorbereitung- und Bearbeitungszeit, die der Schwierigkeit der Komplexität der Rechtssache angemessen ist, und andererseits ist zu berücksichtigen, dass gleichzeitig eine Reihe weiterer Streitsachen zu bearbeiten und voranzutreiben ist.

Rechtsstreitigkeiten bezüglich der Versorgung von Beamten sind wegen häufiger Rechtsänderungen und ebenso häufiger Übergangsregelungen wie auch wegen vielfältiger Differenzierungen hinsichtlich der Zeiten, in denen der Beamte Dienst geleistet hat und auch im Hinblick auf mögliche Besonderheiten der einzelnen Dienstposten insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung der Tatsachengrundlage sowie des jeweils gültigen Rechtsstands und der anzuwendenden Vorschriften äußerst kompliziert und sehr arbeitsaufwendig. Der Richter kann sich auch nicht längere Zeit ausschließlich der Bearbeitung einer Rechtssache widmen. Vielmehr ist ständig der laufende Geschäftsanfall wie Posteingang, Zustellung von Schriftsätzen, Treffen verfahrensleitender Verfügungen, Mitwirkung bei der Bearbeitung und Entscheidungen von Rechtssachen, die von anderen Berichterstattern bearbeitet werden und der Teilnahme an Beratungen zu bewältigen, sodass er sich der vertieften Bearbeitung von Einzelfällen täglich nur in beschränktem Umfang widmen kann. Nicht zu vergessen ist, dass nach Erarbeitung der Entscheidungsgrundlagen über die richtige Lösung nachgedacht werden muss und die zutreffende Gedankenführung sich häufig nicht sogleich offenbart. Für die zu entscheidende Streitsache erscheint ein Vorbereitung- und Bearbeitungszeitraum von neun Monaten angemessen.

Zudem muss auch der nicht überlastete Richter eine Reihe weiterer Verfahren bearbeiten, über die Reihenfolge der Bearbeitung bestimmen und entsprechend der Bedeutung und Dringlichkeit der jeweiligen Streitsachen entscheiden, was vorzuziehen ist und was gegebenenfalls hintangestellt werden kann. Eine Bearbeitungsdauer von neun Monaten, die sich aus der erforderlichen Koordination der Bearbeitung der im Referat des Berichterstatters anfallenden Streitsachen ergibt, erscheint hinnehmbar. Nachdem sich jedoch Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit und andererseits die Bearbeitung des gesamten Referats nicht exakt trennen lassen und sich auch teilweise überdecken, erscheint eine Laufzeit von einem Jahr seit Entscheidungsreife angesichts der Komplexität der Rechtsgebiete, mit denen der entscheidende Senat befasst ist, insbesondere Beamtenrecht, Beamtenbesoldungs-und Versorgungsrecht nicht unangemessen. Die Grenze der Angemessenheit dürfte bei einer Laufzeit von 15 Monaten jedoch erreicht sein. Das Verhalten der Verfahrensbeteiligten oder Dritter hatte abgesehen von den auf Antrag gewährten Fristverlängerungen keinen Einfluss auf die Laufzeit. Mithin ergibt sich eine im Sinn des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG unangemessene Verfahrensdauer von 18 Monaten.

Diese Verfahrensdauer wird nicht dadurch gerechtfertigt, dass der Senat den Ausgang eines über drei Instanzen geführten Rechtsstreits abgewartet hat, in dem es um eine Rechtsfrage gegangen ist, die sich u.a. auch im Ausgangsverfahren gestellt hat. Grundsätzlich ist es sachgerecht und unterfällt dem Gestaltungsspielraum des zur Entscheidung berufenen Spruchkörpers, eine Entscheidung, in der die Klärung einer entscheidungsrelevanten Frage zu erwarten ist, abzuwarten. Allerdings ist das Gericht gehalten zu prüfen, ob bei einer Verzögerung der Entscheidung des Referenzverfahrens - unabhängig von deren Grund - das bei ihm anhängige Verfahren zur Vermeidung unangemessener Laufzeiten voranzutreiben ist. Das ist hier der Fall. Die Berufung, deren Entscheidung - und darüber hinaus die Entscheidung über die dagegen erhobene Revision - abgewartet worden ist, war bereits bei Eingang des Antrags auf Zulassung der Berufung im Ausgangsverfahren bei dem Senat anhängig. Über die Berufung wurde jedoch erst drei Jahre und zwei Monate nach Eingang des Zulassungsantrags entschieden. Nachdem beide Verfahren beim selben Senat anhängig waren, war ihm der Verfahrensstand des Bezugsverfahrens zu jedem Zeitpunkt bekannt. Es wäre deshalb an ihm gewesen, das Berufungsverfahren voranzutreiben oder aber, soweit dem Hindernisse entgegenstanden, über den Zulassungsantrag zu entscheiden. Ein Zuwarten über einen so langen Zeitraum ist mit der Funktion des Zulassungsverfahrens, die Berufungswürdigkeit des Streitfalls zu prüfen (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 10), nicht vereinbar.

Dass der Kläger Nachteile nicht vermögensrechtlicher Art erlitten hat, ergibt sich aus der Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG. Diese Vermutung ist hier nicht widerlegt. Nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG beträgt die Entschädigung 1.200,- € für jedes Jahr der Verzögerung bzw. 100,- € je Monat. Das Gericht kann einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen, wenn der Betrag von 1.200,- € nach den Umständen des Einzelfalles unbillig ist. Eine derartige Billigkeitsentscheidung ist hier nicht veranlasst. Insbesondere ist dieser Betrag für die Zeit der Aussetzung des Verfahrens schon deshalb nicht zu verdoppeln, weil die Aussetzung keine unangemessene Verzögerung des Verfahrens zur Folge hatte.

Eine Entschädigung für materielle Nachteile wurde weder ausdrücklich beantragt, noch sind solche dargelegt worden oder ersichtlich.

Soweit der Entschädigungsanspruch begründet ist, hat der Kläger entsprechend § 291 in Verbindung mit § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB Anspruch auf Prozesszinsen (Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 90 Rn. 14 und 17).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 173 Satz 2 VwGO i.V.m. § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG, § 709 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um eine Entschädigung wegen überlanger Dauer eines Gerichtsverfahrens.

2

Gegenstand des Ausgangsverfahrens, dessen Überlänge die Kläger rügen, war die Kürzung einer Wohnungsbauförderung. Den Klägern waren Fördermittel in Form eines zinsverbilligten Darlehens für den Erwerb von Wohneigentum zur Selbstnutzung bzw. Überlassung an Familienangehörige bewilligt worden. Die beklagte Bank widerrief später zum Teil die gegenüber den Klägern erlassenen Bewilligungsbescheide wegen Verstoßes gegen die Zweckbestimmung, nachdem sie erfahren hatte, dass die Kläger - nach ihren Angaben wegen nicht mehr hinnehmbaren Nachbarschaftsstreitigkeiten - ein Hausgrundstück erworben und die zuvor selbst genutzte Eigentumswohnung an eine Mieterin ohne Berechtigungsbescheinigung des Wohnungsamtes vermietet hatten. Hierdurch entstanden den Klägern Mehrkosten für höhere Zinsen in Höhe von 6 800 €.

3

Die Kläger erhoben gegen die Aufhebung der beiden Teilwiderrufsbescheide am 28. November 2007 Klage. Diese wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 5. September 2008 zurück.

4

Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 19. September 2008 zugestellte Urteil beantragten die Kläger mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2008 die Zulassung der Berufung. Die Antragsbegründung wurde am 17. November 2008 beim Oberverwaltungsgericht eingereicht. Die Kläger rügten die Übertragung auf den Einzelrichter als verfahrensfehlerhaft und machten ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung geltend. Mit gerichtlicher Verfügung vom selben Tag wurde die beklagte Bank zur Stellungnahme binnen einer Frist von sechs Wochen aufgefordert. Die Stellungnahme ging beim Oberverwaltungsgericht am 3. Dezember 2008 ein. Mit Schriftsatz vom 30. Dezember 2009 teilten die Prozessbevollmächtigten der Kläger ihre neue Anschrift mit. Eine Abschrift dieses Schriftsatzes wurde der Gegenseite aufgrund gerichtlicher Verfügung vom 5. Januar 2010 übersandt. Mit Beschluss vom 29. August 2011 lehnte das Oberverwaltungsgericht den Antrag auf Zulassung der Berufung ab.

5

Am 24. Januar 2012 forderten die Kläger die Senatsverwaltung für Finanzen auf, ihnen wegen der unangemessenen Dauer des Berufungszulassungsverfahrens bis zum 14. Februar 2012 jeweils einen Betrag von 1 200 € zu zahlen. Für die außergerichtliche Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs wurde ihnen ein Betrag von 330,34 € in Rechnung gestellt.

6

Am 28. Februar 2012 haben die Kläger beim Oberverwaltungsgericht Klage erhoben und jeweils die Gewährung einer angemessenen Entschädigung für den durch die überlange Verfahrensdauer des Rechtsstreits bei dem Oberverwaltungsgericht erlittenen immateriellen Nachteil, hilfsweise für den durch die überlange Verfahrensdauer des Rechtsstreits bei dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht erlittenen immateriellen Nachteil, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 v.H. seit dem 15. Februar 2012 sowie die Erstattung der vorprozessualen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 330,34 € begehrt. Zur Begründung haben sie im Wesentlichen ausgeführt, das Berufungszulassungsverfahren habe mit etwa drei Jahren unangemessen lang gedauert. Es habe sich um einen einfach gelagerten Sachverhalt ohne schwerwiegende rechtliche Probleme gehandelt. Das Oberverwaltungsgericht habe das Verfahren seit der Begründung des Zulassungsantrags nicht gefördert. Die andauernde Überlastung des zuständigen Senats des Oberverwaltungsgerichts, die dort vorhandenen Rückstände und die allgemein angespannte Personalsituation könnten die Verfahrensdauer nicht rechtfertigen. Die Beteiligten hätten das Berufungszulassungsverfahren in keiner Weise verzögert. Für sie, die Kläger, sei es von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung gewesen, ob ihnen der im Berufungszulassungsverfahren streitige Betrag von 6 800 € zur Verfügung stehe oder nicht. Sie lebten in angespannten finanziellen Verhältnissen. Der besagte Betrag stelle für sie eine erhebliche finanzielle Ent- bzw. Belastung dar. Aufgrund der über den Verfahrensausgang herrschenden Unsicherheit seien sie in ihrer finanziellen Planung stark eingeschränkt gewesen. Eine geordnete Lebensplanung sei ihnen erschwert worden. Die Belastungen hätten sich insbesondere für die Klägerin zu 1 auch psychisch ausgewirkt. Die Feststellung, dass das Berufungsverfahren unangemessen lang gedauert habe, sei nicht ausreichend. Die Entschädigungshöhe werde in das Ermessen des Gerichts gestellt, wobei ein Betrag von 1 200 € je Kläger als angemessen erachtet werde. Da sich der Beklagte seit dem 15. Februar 2012 in Verzug befinde, sei der Entschädigungsbetrag ab diesem Zeitpunkt zu verzinsen. Mit Rücksicht darauf, dass es sich bei dem Entschädigungsanspruch der Sache nach um einen Schadensersatzanspruch handele, stehe ihnen auch ein Anspruch auf Erstattung der vorprozessualen Rechtsverfolgungskosten zu.

7

Das Oberverwaltungsgericht hat die Entschädigungsklage abgewiesen. Soweit mit ihr eine angemessene Entschädigung für die überlange Dauer des Berufungszulassungsverfahrens geltend gemacht werde, habe sie schon deshalb keinen Erfolg, weil die Kläger ihr Entschädigungsbegehren nicht auf einen Verfahrenszug beschränken könnten, wenn das Gerichtsverfahren - wie hier - über zwei Instanzen geführt worden sei. Der Entschädigungsanspruch sei vielmehr von der Angemessenheit der Gesamtverfahrensdauer abhängig zu machen. Soweit sich das Entschädigungsbegehren auf beide Verfahrenszüge beziehe, sei die Gesamtdauer des Verfahrens im Sinne des § 198 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes - GVG - noch nicht unangemessen gewesen. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richte sich gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach den dort genannten Kriterien. Angesichts dessen sei es nicht möglich, abstrakte Angaben zu einer "Höchstdauer" als Grenze der Angemessenheit zu machen. Bei Anwendung des Maßstabes des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG sei zu berücksichtigen, dass das Ausgangsverfahren vor dem Verwaltungsgericht weder in rechtlicher noch in tatsächlicher Hinsicht besonders schwierig gewesen sei. Auch im Berufungszulassungsverfahren seien keine überdurchschnittlich schwierigen Sach- und Rechtsfragen aufgeworfen worden. Der Zulassungsantrag sei zwar ausführlich begründet worden. Er habe aber in zulassungs- bzw. materiellrechtlicher Hinsicht keine erhöhten Anforderungen gestellt, wie die Rüge der fehlenden Anhörung vor der Übertragung auf den Einzelrichter beispielhaft belege. Das Verfahren habe aus den im Einzelnen dargelegten Gründen für die Kläger auch keine besondere Bedeutung aufgewiesen. Ebenso seien von der Gesamtdauer keine Zeiten im Hinblick auf das Verhalten der Kläger abzuziehen. Unter Berücksichtigung aller angeführten Umstände, vor allem im Hinblick auf die geringe Bedeutung der Sache und die zügige erstinstanzliche Entscheidung, sei die Gesamtverfahrensdauer von drei Jahren und rund neun Monaten für zwei Instanzen noch nicht unangemessen. Da kein Anspruch auf Entschädigung bestehe, könnten die Kläger auch keine Zinsen verlangen, die ohnehin erst ab Rechtshängigkeit beansprucht werden könnten. Aus demselben Grund könnten auch keine vorprozessualen Rechtsverfolgungskosten beansprucht werden. Abgesehen davon stellten diese auch keinen materiellen Schaden im Sinne des § 198 Abs. 1 GVG dar, weil die vorprozessuale Geltendmachung allein auf dem Entschluss der Kläger beruhe und gesetzlich nicht vorgeschrieben sei.

8

Mit ihrer Revision verfolgen die Kläger ihr Entschädigungsbegehren weiter. Sie rügen eine Verletzung des § 198 Abs. 1 GVG.

9

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision der Kläger hat Erfolg. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die Kläger sind entgegen der Rechtsansicht des Oberverwaltungsgerichts prozessrechtlich nicht gehindert, die Klage auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer des Gerichtsverfahrens auf das Berufungszulassungsverfahren zu beschränken (1.). Das angefochtene Urteil beruht aber auf einer fehlerhaften Anwendung des § 198 Abs. 1 Gerichtsverfassungsgesetz - GVG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl I S. 1077), zuletzt geändert durch Gesetz vom 2. Juli 2013 (BGBl I S. 1938). Auf der Grundlage der vom Oberverwaltungsgericht festgestellten Tatsachen ergibt sich mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer eine sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung des Berufungszulassungsverfahrens von zwei Jahren (2.). Dem ausschließlich im Zusammenhang mit der Entschädigung des immateriellen Nachteils geltend gemachten Zinsanspruch ist jeweils ab Eintritt der Rechtshängigkeit stattzugeben (3.).

11

1. Die Begrenzung der Entschädigungsklage im Hauptantrag auf den Ausgleich des den Klägern jeweils infolge der unangemessenen Dauer des Berufungszulassungsverfahrens entstandenen Nachteils ist prozessrechtlich zulässig. Sie entspricht der Dispositionsbefugnis der Kläger als Rechtsmittelführer (vgl. § 88 VwGO) und trägt dem Umstand Rechnung, dass sie sich insoweit allein durch die Dauer des Berufungszulassungsverfahrens beschwert sehen. Allgemein kann ein Rechtsmittel auf einen von mehreren selbständigen Streitgegenständen einer Klage oder auf einen Teil des Streitgegenstandes beschränkt werden, wenn dieser Teil vom Gesamtstreitstoff abteilbar ist und materiellrechtliche Gründe einer gesonderten Entscheidung darüber nicht entgegenstehen (vgl. Urteil vom 11. Juli 2013 - BVerwG 5 C 23.12 D - zur Veröffentlichung in den Entscheidungssammlungen BVerwGE und Buchholz vorgesehen = NJW 2014, 96 Rn. 60 m.w.N.). Das ist hier der Fall.

12

Die Beschränkung des Anspruchs auf Ausgleich des Nachteils auf einen Verfahrenszug - hier das Berufungszulassungsverfahren - stellt einen abtrennbaren Teil des Entschädigungsanspruchs wegen unangemessener Dauer eines über mehrere Instanzen geführten Gerichtsverfahrens dar. Die Frage nach der prozessrechtlichen Zulässigkeit eines derart begrenzten Klageantrags ist zu trennen von der Frage nach seinem materiellrechtlichen Bezugsrahmen. Bezugsrahmen eines Entschädigungsanspruchs, der allein bezüglich der Dauer des Verfahrens in einer von mehreren Instanzen geltend gemacht wird, ist das gesamte verwaltungsgerichtliche Verfahren im Ausgangsrechtsstreit. Ob sich die Verfahrensdauer in einer von mehreren Instanzen als angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, ist materiellrechtlich unter Berücksichtigung der Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens von dessen Einleitung in der ersten Instanz bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss in der letzten Instanz zu ermitteln (vgl. Urteil vom 11. Juli 2013 a.a.O. Rn. 16 f. und 61). Das materielle Recht steht aber der Zuerkennung einer Entschädigung für den (nur) durch die unangemessene Dauer des Verfahrens in einer Instanz erlittenen Nachteil nicht entgegen. Denn auch um dies feststellen zu können, ist grundsätzlich die materiellrechtliche Voraussetzung zu prüfen, ob - mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer - durch die zügige Behandlung der Sache in einer Instanz eine etwaige Überlänge in einer anderen (vorangegangenen oder nachfolgenden) Instanz ganz oder teilweise kompensiert werden kann.

13

Für die Zulässigkeit, den Entschädigungsantrag auf eine Instanz beschränken zu können, spricht ferner, dass die Klage auf Entschädigung schon während des noch laufenden Ausgangsverfahrens erhoben werden kann (vgl. § 198 Abs. 5, § 201 Abs. 3 GVG). Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass auch Konstellationen denkbar sind, in denen eine unangemessene und irreparable Verzögerung feststellbar ist und in denen daher über die Kompensation für schon eingetretene Nachteile entschieden werden kann, obwohl das Ausgangsverfahren noch nicht beendet ist. Dass es das Gesetz zulässt, verschiedene Verfahrensstufen unterschiedlich in den Blick zu nehmen, zeigt sich auch daran, dass die Verzögerungsrüge erneut erhoben werden muss, wenn die Sache bei einem anderen Gericht anhängig wird und es dort nochmals zu einer weiteren unangemessenen Verzögerung kommt (vgl. § 198 Abs. 3 Satz 5 GVG) sowie daran, dass bei einem bis zum Bundesverwaltungsgericht geführten Verwaltungsrechtsstreit verschiedene Rechtsträger - nämlich zum einen das jeweilige Land und zum anderen der Bund (§ 201 Abs. 1 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO) - für die in ihrem Bereich zu verantwortenden Verfahrensverzögerungen in Anspruch genommen werden können (vgl. so auch für die Begrenzung des Feststellungsantrags auf die Verfahrensdauer einer Instanz Urteil vom 11. Juli 2013 a.a.O. Rn. 60 f.).

14

2. Die Kläger haben jeweils einen Anspruch auf Ausgleich ihres immateriellen Nachteils in Höhe von 2 400 €, weil das Berufungszulassungsverfahren eine sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung von zwei Jahren aufweist (a). Des Weiteren können sie - als Gesamtgläubiger - die Entschädigung des ihnen durch diese Verzögerung entstandenen materiellen Nachteils in Höhe von 330,34 € verlangen (b).

15

a) Der Anspruch auf Entschädigung des immateriellen Nachteils folgt aus § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 GVG. Diese Regelungen sind im Verwaltungsprozess entsprechend anwendbar (§ 173 Satz 2 VwGO). Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Der durch eine unangemessene Verfahrensdauer eingetretene immaterielle Nachteil ist nach Maßgabe des § 198 Abs. 2 GVG zu entschädigen.

16

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Materiellrechtlicher Bezugsrahmen des von den Klägern geltend gemachten Entschädigungsanspruchs ist - wie dargelegt - das gesamte hier abgeschlossene gerichtliche Verfahren im Ausgangsrechtsstreit, und zwar von der Klageerhebung beim Verwaltungsgericht am 28. November 2007 bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss durch den die Zulassung der Berufung ablehnenden Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 29. August 2011. Die Dauer des Berufungszulassungsverfahrens war auch mit Blick auf die Gesamtverfahrensdauer unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG (aa). Hierdurch haben die Kläger jeweils einen nicht auf andere Weise wiedergutzumachenden immateriellen Nachteil erlitten (bb), wofür ihnen jeweils eine Entschädigung in Höhe von 2 400 € zu zahlen ist (cc).

17

aa) Die Dauer des Berufungszulassungsverfahrens vor dem Oberverwaltungsgericht war bei der gebotenen Gesamtabwägung unter Einbeziehung der Gesamtverfahrensdauer im Umfang von zwei Jahren unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.

18

Ob die Dauer eines Gerichtsverfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§ 198 Abs. 1 Satz 2 GVG). Die Aufzählung in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ist nicht abschließend. Dementsprechend ist die Verfahrensdauer unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen (Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - in der Fassung vom 22. Oktober 2010 , Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eingetreten sind, bei Berücksichtigung des den Ausgangsgerichten insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums sachlich gerechtfertigt sind (vgl. Urteile vom 11. Juli 2013 - BVerwG 5 C 23.12 D - zur Veröffentlichung in den Entscheidungssammlungen BVerwGE und Buchholz vorgesehen = NJW 2014, 96 Rn. 26, 37 und 42 und - BVerwG 5 C 27.12 D - zur Veröffentlichung in Buchholz vorgesehen = juris Rn. 18, 29 und 34; s.a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. August 2013 - 1 BvR 1067/12 - NJW 2013, 3630 <3631 f.>).

19

Das Oberverwaltungsgericht hat sich in Übereinstimmung mit dem dargelegten rechtlichen Maßstab bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer zu Recht (vgl. Urteile vom 11. Juli 2013 - BVerwG 5 C 23.12 D - a.a.O. Rn. 28 ff. und - BVerwG 5 C 27.12 D - a.a.O. Rn. 20 ff.; s.a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. August 2013 a.a.O. <3631 f.>) nicht von festen Zeitvorgaben oder abstrakten Orientierungs- bzw. Anhaltswerten leiten lassen, sondern eine Einzelfallprüfung vorgenommen. Es hat auch die in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausdrücklich genannten Kriterien der Einzelfallprüfung richtig erfasst ((1)). Dem Oberverwaltungsgericht ist allerdings ein Rechtsanwendungs- bzw. Subsumtionsfehler unterlaufen, weil die festgestellten Tatsachen nicht den im Rahmen der Gesamtabwägung vorgenommenen Schluss tragen (vgl. Urteil vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <205> = Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 174 S. 24), die Gesamtverfahrensdauer von drei Jahren und rund neun Monaten sei noch nicht unangemessen im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG. Bei rechtlich zutreffender Abwägung ergibt sich vielmehr die Unangemessenheit der Verfahrensdauer und eine maßgebliche Verzögerung des Berufungszulassungsverfahrens von zwei Jahren ((2)).

20

(1) Die tatsächliche Würdigung und Rechtsanwendung des Oberverwaltungsgerichts ist im Hinblick auf die in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG genannten Kriterien der Schwierigkeit des Verfahrens ((a)), seiner Bedeutung für die Kläger ((b)) und des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten ((c)) nicht zu beanstanden.

21

(a) Das Oberverwaltungsgericht hat unter Berücksichtigung seiner insoweit getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei angenommen, dass das Berufungszulassungsverfahren einen allenfalls durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad aufgewiesen hat. Dies wird auch von der Revision nicht angegriffen. Die Entscheidung über den geltend gemachten Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) war im konkreten Fall eher einfach gelagert. Welche Anforderungen an diesen Zulassungsgrund zu stellen sind, hängt im Wesentlichen von der Beschaffenheit der in dem angefochtenen Urteil entschiedenen Fragen ab. Das Oberverwaltungsgericht hat die sich in Bezug auf den Widerruf der Bewilligungsbescheide in formeller und materieller Hinsicht stellenden Rechtsfragen zu Recht als Standardprobleme eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens angesehen. Es hat ferner festgestellt, dass der Vortrag der Kläger übersichtlich und eine Beweisaufnahme nicht erforderlich gewesen ist. Dafür, dass es sich bei dem Ausgangsverfahren vor dem Verwaltungsgericht um einen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht allenfalls durchschnittlich schwierigen Fall gehandelt hat, spricht zudem die Übertragung der Sache vom Verwaltungsgericht auf den Einzelrichter (§ 6 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Auch die von den Klägern im Berufungszulassungsverfahren erhobene Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Zusammenhang mit der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter stellt sich als eine einfach zu beantwortende verfahrensrechtliche Frage dar.

22

(b) Des Weiteren ist die Bewertung des Oberverwaltungsgerichts, das Ausgangverfahren und damit der Sache nach auch das Berufungszulassungsverfahren hätten für die Kläger keine besondere Bedeutung aufgewiesen, revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden. Zwar ist der aufschiebenden Wirkung der Klage (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) im konkreten Fall nicht die vom Oberverwaltungsgericht angenommene relativierende Wirkung für die Bedeutung der Sache beizumessen. Denn die aufschiebende Wirkung endete gemäß § 80b Abs. 1 Satz 1 VwGO drei Monate nach Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Allerdings sind dem angefochtenen Urteil keine Anhaltspunkte zu entnehmen, die auf eine erhebliche Bedeutung der Sache für die Kläger schließen lassen. Nach der tatrichterlichen Bewertung ihres Vorbringens haben die Kläger nicht dargelegt, dass die (moderat) erhöhten Zinsen von ihnen nicht hätten gezahlt werden können oder die Mieteinnahmen der geförderten Wohnung nicht ausgereicht hätten, um die erhöhten Zinsen zu decken. Ebenso gibt es keinen Hinweis darauf, dass die Kläger nach dem Kauf eines Hauses in ihrer wirtschaftlichen Existenz betroffen gewesen sind oder sonst eine besondere wirtschaftliche Bedeutung für sie vorgelegen hat.

23

Die Würdigung des klägerischen Tatsachenvortrags durch das Oberverwaltungsgericht ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob sie auf einem Rechtsirrtum beruht oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt (vgl. Urteil vom 14. März 2013 - BVerwG 5 C 10.12 - NVwZ-RR 2013, 689 Rn. 14). Dem Revisionsvorbringen ist nicht zu entnehmen, dass dem Oberverwaltungsgericht ein derartiger Fehler unterlaufen ist. Hierfür ist auch ansonsten kein Anhaltspunkt ersichtlich. Entsprechendes gilt, soweit das Oberverwaltungsgericht in Würdigung des Vortrags der Kläger auch eine besondere psychische Belastung der Kläger, insbesondere der Klägerin zu 1, durch das Verfahren auf Aufhebung der Teilwiderrufe der ihnen bewilligten Wohnungsbauförderung nicht zu bejahen vermochte. Schließlich liegt hier auch keine Fallgruppe vor, für welche die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte regelmäßig eine besondere Bedeutung für die Betroffenen annimmt, wie etwa bei Eingriffen in die persönliche Freiheit oder die Gesundheit, Rechtsstreitigkeiten um die finanzielle Versorgung (Renten- oder Arbeitssachen) oder Statussachen (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. Juni 2006 - Nr. 75529/01, Sürmeli/Deutschland - NJW 2006, 2389 Rn. 133 sowie den Überblick und die Nachweise bei Wittling-Vogel/Ulick, DRiZ 2008, 87 <88>).

24

(c) Zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht aus den von ihm festgestellten Tatsachen den Schluss gezogen, dass die Kläger durch ihr Verhalten keine Verzögerung des Berufungszulassungsverfahrens bewirkt haben. Auch dies ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts sind die Kläger mit keiner Verfahrenshandlung säumig gewesen. Soweit sie die gesetzliche Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO ausgeschöpft haben, ist das Oberverwaltungsgerichts zu Recht davon ausgegangen, dass ihnen dies nicht als Verursachung einer Verfahrensverzögerung zugerechnet werden kann. Denn ein Rechtsmittelführer darf die gesetzlichen Fristen grundsätzlich voll ausschöpfen (vgl. Urteil vom 21. Dezember 1987 - BVerwG 3 B 28.87 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 154 S. 6), ohne dass ihm dies auch mit Blick auf § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG zum Nachteil gereicht.

25

(2) Die in dem angefochtenen Urteil auch zur Verfahrensführung des Oberverwaltungsgerichts getroffenen Feststellungen schließen es aus, die Verfahrensdauer noch als angemessen anzusehen. Vielmehr ergibt eine Beurteilung am Maßstab des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, dass bei der Führung des Berufungszulassungsverfahrens Verzögerungen eingetreten sind, die auch bei Berücksichtigung des dem Gericht zukommenden Gestaltungsspielraums eine unangemessene Verfahrensdauer bewirkt haben (vgl. Urteile vom 11. Juli 2013 - BVerwG 5 C 23.12 D - zur Veröffentlichung in den Entscheidungssammlungen BVerwGE und Buchholz vorgesehen = NJW 2014, 96 Rn. 37 ff. und - BVerwG 5 C 27.12 D - zur Veröffentlichung in Buchholz vorgesehen = juris Rn. 29 ff.). Auf der Grundlage der vom Oberverwaltungsgericht festgestellten Tatsachen ergibt sich, dass das Berufungszulassungsverfahren im Zeitraum vom 3. Mai 2009 bis zum 29. August 2011, d.h. zwei Jahre und rund vier Monate, ohne sachlichen Rechtfertigungsgrund nicht gefördert worden ist.

26

Aus den Feststellungen zur Chronologie des Berufungszulassungsverfahrens ist wertend zu folgern, dass der Antrag auf Zulassung der Berufung mit Eingang der Stellungnahme der beklagten Bank am 3. Dezember 2008 entscheidungsreif war. Denn der Berufungszulassungsantrag ist damit in tatsächlicher Hinsicht ausreichend aufbereitet gewesen und den Beteiligten ist in hinreichender Weise rechtliches Gehör gewährt worden (vgl. Urteil vom 11. Juli 2013 - BVerwG 5 C 23.12 D - a.a.O. Rn. 36 und 51). Aus dem festgestellten Verfahrensablauf ergibt sich des Weiteren, dass das Oberverwaltungsgericht in der Folgezeit bis zur Sachentscheidung keine weitere Handlung vorgenommen hat, um die Erledigung des Berufungszulassungsverfahrens zu fördern. Insbesondere die am 5. Januar 2010 verfügte Übersendung eines Schriftsatzes an die beklagte Bank, in dem der Prozessbevollmächtigte der Kläger die neue Anschrift seiner Kanzlei mitteilte, stellte keine derartige Handlung dar.

27

Im vorliegenden Einzelfall erscheint es angemessen, dem Oberverwaltungsgericht für das konkrete Berufungszulassungsverfahren ab Entscheidungsreife einen Zeitraum von fünf Monaten für seine Entscheidung über den Zulassungsantrag zuzugestehen mit der Folge, dass die bis zum 3. Mai 2009 eingetretene Verfahrensverzögerung als sachlich gerechtfertigt anzusehen und nicht dem beklagten Land zuzurechnen ist.

28

Der zugestandene Zeitraum trägt dem Umstand Rechnung, dass - auch vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich gewährten richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) - die Verfahrensgestaltung in erster Linie dem mit der Sache befassten Gericht obliegt und ihm hinsichtlich der Entscheidung, wann und wie es eine bestimmte Sache in Abstimmung mit anderen bei ihm anhängigen Sachen terminiert oder sonst fördert, ein Spielraum zusteht. Er berücksichtigt weiter, dass das Gericht vor einer verfahrensfördernden Handlung oder Entscheidung zur Sache Zeit zur rechtlichen Durchdringung benötigt, um dem rechtstaatlichen Anliegen zu genügen, eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes vorzunehmen. Der ab Eintritt der Entscheidungsreife zugestandene Zeitraum ist im Einzelfall in Relation zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien zu bestimmen. Maßgeblich ist insoweit - genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände -, wie die Gerichte im Ausgangsverfahren die Lage aus ihrer Ex-ante-Sicht einschätzen durften. Hingegen ist eine Überlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit oder des konkreten Ausgangsgerichts bzw. Spruchkörpers für die Bemessung des richterlichen Gestaltungsspielraums ohne Belang. Sie gehört zu den strukturellen Mängeln, die sich der Staat zurechnen lassen muss und die er zu beseitigen hat (vgl. Urteile vom 11. Juli 2013 - BVerwG 5 C 23.12 D - a.a.O. Rn. 41 ff. und - BVerwG 5 C 27.12 D - a.a.O. Rn. 33 ff.; s.a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. August 2013 - 1 BvR 1067/12- NJW 2013, 3630 <3632>).

29

In Anwendung dieser rechtlichen Maßstäbe hätte das Oberverwaltungsgericht über das in Rede stehende Verfahren auf Zulassung der Berufung angesichts der eher einfach gelagerten Fragen, die zu beantworten waren, fünf Monate nach Eintritt der Entscheidungsreife entscheiden müssen, um den Anforderungen an eine angemessene Verfahrensdauer zu genügen.

30

Die sich danach errechnende sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung des Berufungszulassungsverfahrens im Umfang von zwei Jahren und rund vier Monaten ist im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung mit Blick auf das zügige erstinstanzliche Verfahren um rund vier Monate zu reduzieren. Denn das Verwaltungsgericht hat den Rechtsstreit etwa vier Monate früher erledigt, als es dies bei Berücksichtigung des ihm zukommenden Gestaltungsspielraums hätte tun müssen, um das Verfahren im Sinne des § 198 Abs. 1 GVG in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen.

31

Die am 28. November 2007 erhobene Klage war am 6. Mai 2008 entscheidungsreif. Zu diesem Zeitpunkt lagen Klagebegründung, Klageerwiderung, Replik der Kläger und Duplik der beklagten Bank vor. Dem Verwaltungsgericht ist im konkreten Fall für seine Entscheidung mit Rücksicht auf den gerichtlichen Spielraum bei der Verfahrensgestaltung ein Zeitraum von acht Monaten ab Entscheidungsreife zuzugestehen. Bei der Bemessung dieses Zeitraums ist in Anwendung des dargelegten rechtlichen Maßstabes zunächst zu berücksichtigen, dass es sich bei dem erstinstanzlichen Verfahren um ein Hauptsacheverfahren gehandelt hat. Zudem ist über die Klage aufgrund mündlicher Verhandlung zu entscheiden gewesen (vgl. § 101 Abs. 1 VwGO). Allerdings ist das Verfahren in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht - wie dargelegt - nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts allenfalls durchschnittlich schwierig gewesen. Ferner ist der Zeitspanne von über fünf Monaten bis zum Eintritt der Entscheidungsreife des erstinstanzlichen Verfahrens Rechnung zu tragen. Denn die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet sich mit zunehmender Verfahrensdauer (vgl. Urteile vom 11. Juli 2013 - BVerwG 5 C 23.12 D - zur Veröffentlichung in den Entscheidungssammlungen BVerwGE und Buchholz vorgesehen = NJW 2014, 96 Rn. 39 und - BVerwG 5 C 27.12 D - zur Veröffentlichung in Buchholz vorgesehen = juris Rn. 31, jeweils mit Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des BVerfG; s.a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. August 2013 a.a.O.). Je größer der zeitliche Abstand von der Einleitung bis zur Entscheidungsreife des Verfahrens ist, desto stärker ist das Gericht gehalten, anschließend auf eine zügige Erledigung der Sache hinzuwirken. Nach alledem wäre die Verfahrensdauer vor dem Verwaltungsgericht noch angemessen gewesen, wenn es die Ende November 2007 eingegangene Sache nach dreizehn Monaten abgeschlossen hätte. Das Verwaltungsgericht hat aber über die Klage mit Urteil vom 5. September 2008 entschieden und das erstinstanzliche Verfahren somit rund vier Monate vor Ablauf des hier anzunehmenden Gestaltungszeitraums zum Abschluss gebracht. Dieser Zeitraum ist auf die Überlänge des Berufungszulassungsverfahrens mindernd anzurechnen.

32

bb) Die Kläger haben infolge der unangemessenen Dauer des Berufungszulassungsverfahrens von zwei Jahren jeweils einen immateriellen Nachteil erlitten ((1)), der nicht auf andere Weise wiedergutgemacht werden kann ((2)).

33

(1) Dass die Kläger Nachteile nichtvermögensrechtlicher Art erlitten haben, ergibt sich aus § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG. Danach wird ein immaterieller Nachteil vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren - wie hier das Berufungszulassungsverfahren - unangemessen lange gedauert hat. Diese Vermutung ist hier weder bezüglich der Klägerin zu 1 noch des Klägers zu 2 widerlegt.

34

(2) Entschädigung für Nachteile nichtvermögensrechtlicher Art kann gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise ist gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Ob eine solche Feststellung ausreichend im Sinne des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles (vgl. Urteile vom 11. Juli 2013 - BVerwG 5 C 23.12 D - a.a.O. Rn. 57 und - BVerwG 5 C 27.12 D - a.a.O. Rn. 48, jeweils m.w.N.).

35

Eine schlichte Feststellungsentscheidung ist hier mit Blick auf den Umfang der Verzögerung des vom Schwierigkeitsgrad allenfalls durchschnittlich gelagerten Berufungszulassungsverfahrens nicht ausreichend. Der Umstand, dass das Verfahren für die Kläger keine besondere Bedeutung im entschädigungsrechtlichen Sinne besaß, vermag das Gewicht des durch die Verzögerung von zwei Jahren bedingten immateriellen Nachteils nicht entscheidend zu mindern.

36

cc) Den Klägern ist für den erlittenen immateriellen Nachteil jeweils ein Entschädigungsbetrag von 2 400 € zu zahlen. Eine Minderung dieses Betrages, weil zwei Personen auf Klägerseite auftreten, ist hier nicht gerechtfertigt.

37

Der Anspruch auf Entschädigung des immateriellen Nachteils ist ein personenbezogener Anspruch. Dies legt bereits der Wortlaut des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG nahe. Danach wird angemessen entschädigt, wer infolge der unangemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erlitten hat. Es finden sich dort keine Hinweise dafür, dass mehrere Personen auf Kläger- oder Beklagtenseite hinsichtlich eines Nachteils, der nicht Vermögensnachteil ist, als eine (Personen-)Einheit zu behandeln sind. Gleiches gilt für die Legaldefinition des Verfahrensbeteiligten in § 198 Abs. 6 Nr. 2 GVG, nach der jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger der öffentlichen Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind, Verfahrensbeteiligter ist. Die den Gesetzesmaterialien zu entnehmende Entstehungsgeschichte (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 1 und 15) und Zweckbestimmung des § 198 Abs. 1 GVG (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 18) bestätigen diesen Befund. Der innerstaatliche Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren in Form des Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 GVG stellt sich danach als Reaktion auf eine entsprechende Forderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dar. Haftungsgrund für den gesetzlich normierten Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Verfahrensdauer in § 198 Abs. 1 GVG ist mithin die Verletzung des in Art. 6 Abs. 1 EMRK sowie Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechts eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit (vgl. Urteile vom 11. Juli 2013 - BVerwG 5 C 23.12 D - a.a.O. Rn. 38 und - BVerwG 5 C 27.12 D - a.a.O. Rn. 30, jeweils m.w.N.). Der Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit ist als ein Jedermann-Recht konzipiert und steht dementsprechend jeder Person zu, die an einem Gerichtsverfahren beteiligt ist.

38

Die Bemessung des jeweiligen immateriellen Nachteils richtet sich nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG. Danach ist der immaterielle Nachteil in der Regel in Höhe von 1 200 € für jedes Jahr der Verzögerung zu entschädigen. Gemäß § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen, wenn der Betrag von 1 200 € nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist. Es kann offenbleiben, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen es aus Billigkeitserwägungen geboten sein kann, bei mehreren Personen auf Kläger- oder Beklagtenseite einen niedrigeren Entschädigungsbetrag als den Regelbetrag für jedes Jahr festzusetzen (vgl. hierzu z.B. EGMR, Urteil vom 15. Februar 2008 - Nr. 38311/02, Kakamoukas u.a./Griechenland - NJW 2009, 655 <656 f.>). Denn bei einer Sachverhaltskonstellation wie der vorliegenden besteht kein Anlass für eine derartige Billigkeitsentscheidung. Die Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts geben auch im Übrigen keine Veranlassung, vom Pauschalbetrag abzuweichen.

39

b) Den Klägern steht als Gesamtgläubigern für den durch die Verzögerung entstandenen materiellen Nachteil ein Entschädigungsanspruch in Höhe von 330,34 € zu.

40

Anspruchsgrundlage ist insoweit § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, der im Fall des Vorliegens seiner Voraussetzungen gebietet, (auch) für einen materiellen Nachteil angemessene Entschädigung zu leisten. Die notwendigen Anwaltskosten für die vorprozessuale Verfolgung des Entschädigungsanspruchs stellen - entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts - eine Vermögenseinbuße und damit einen materiellen Nachteil im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG dar (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 19). Diese Kosten sind auch durch die nicht gerechtfertigte Verzögerung des Berufungszulassungsverfahrens verursacht worden. Die Verzögerung kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass die den Klägern in Rechnung gestellten Anwaltskosten für die vorprozessuale Verfolgung des Entschädigungsanspruchs entfielen. Die Kosten sind adäquate Folge der unangemessenen Verfahrensdauer. Zwar besteht - wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat - keine gesetzliche Pflicht, den Entschädigungsanspruch vor einer Klageerhebung gegenüber dem jeweils haftenden Rechtsträger außergerichtlich geltend zu machen. Die Verfahrensbeteiligten sind aber nach allgemeinen Grundsätzen berechtigt, dies zu tun (vgl. BTDrucks 17/3802 S. 22).

41

Die Entschädigung für materielle Nachteile ist kein Schadensersatz im Sinne der §§ 249 ff. Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -. Sie stellt vielmehr in Anlehnung an § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB einen Schadensausgleich nach enteignungs- und aufopferungsrechtlichen Grundsätzen dar. Es findet damit nur ein Ausgleich der erlittenen Vermögenseinbuße, aber grundsätzlich keine Naturalrestitution statt (vgl. Urteil vom 11. Juli 2013 - BVerwG 5 C 27.12 D - zur Veröffentlichung in Buchholz vorgesehen = juris Rn. 54 m.w.N.). Die Vermögenseinbuße der Kläger beläuft sich hier auf die in Rechnung gestellten 330,34 €, für die sie gegenüber ihrem Rechtsanwalt gesamtschuldnerisch gehaftet haben.

42

3. Der ausschließlich hinsichtlich der Entschädigung des immateriellen Nachteils jeweils geltend gemachte Zinsanspruch der Kläger ist auf die Prozesszinsen zu beschränken.

43

a) Die Kläger können keine Verzugszinsen seit dem 15. Februar 2012, dem Tag nach Ablauf der Zahlungsfrist, die sie der Senatsverwaltung für Finanzen gesetzt haben, beanspruchen.

44

Ein Anspruch auf Verzugszinsen in analoger Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Vorschrift des § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn es sich bei der öffentlich-rechtlichen Forderung um eine Entgeltforderung handelt, d.h. um eine vertragliche Leistungspflicht, die in einem Gegenseitigkeitsverhältnis zur Leistungspflicht des anderen Vertragspartners steht. Denn insoweit besteht kein entscheidender Unterschied zu bürgerlich-rechtlichen Rechtsbeziehungen (vgl. Urteile vom 30. Juni 2011 - BVerwG 3 C 30.10 - Buchholz 428.2 § 8 VZOG Nr. 13 Rn. 20 und vom 12. Juni 2002 - BVerwG 9 C 6.01 - BVerwGE 116, 312 <323> = Buchholz 407.2 § 13 EKrG Nr. 3 S. 27, jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzungen erfüllt der Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 GVG als gesetzlicher Anspruch nicht.

45

In allen anderen Fällen können Verzugszinsen bei öffentlich-rechtlichen Geldforderungen nur aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Grundlage gefordert werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gibt es keinen allgemeinen Grundsatz des Verwaltungsrechts, der zur Zahlung von Verzugszinsen verpflichtet (vgl. z.B. Urteile vom 26. Juli 2012 - BVerwG 2 C 29.11 - BVerwGE 143, 381 = Buchholz 237.4 § 76 HmbBG Nr. 3, jeweils Rn. 46 und vom 12. Juni 2002 a.a.O., jeweils m.w.N.). In Bezug auf den Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 GVG fehlt es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung über die Zahlung von Verzugszinsen.

46

b) Der für den immateriellen Nachteil zuerkannte Entschädigungsbetrag ist jeweils ab Eintritt der Rechtshängigkeit mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen. Nach den auch im Verwaltungsprozess anwendbaren Vorschriften der § 291 Satz 1 i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB sind Prozesszinsen immer dann zu zahlen, wenn das einschlägige Fachrecht - so wie hier die §§ 198 ff. GVG - keine abweichende Regelung trifft und die Geldforderung - wie hier - eindeutig bestimmt ist (vgl. Urteile vom 26. Juli 2012 a.a.O., jeweils Rn. 47 und vom 12. Juni 2002 a.a.O. <325> bzw. S. 28, jeweils m.w.N.).

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um eine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer.

2

Im Ausgangsverfahren, dessen Überlänge der Kläger rügt, stand der Anspruch auf Förderung seiner ganztägigen Betreuung in einer Kindestageseinrichtung für August und September 2008 im Streit. Die Mutter des Klägers befand sich nach der Geburt ihres zweiten Kindes am 12. Juli 2008 bis zum 6. September 2008 in Mutterschutz, anschließend in Elternzeit. Mit Rücksicht darauf hatte die Stadt Neubrandenburg die ursprünglich bewilligte Ganztagsförderung mit Wirkung zum 1. August 2008 aufgehoben und dem Kläger für die Monate August und September 2008 nur noch einen Anspruch auf Teilzeitförderung zuerkannt. Mit der nach erfolglosem Widerspruchsverfahren am 21. Dezember 2008 beim Verwaltungsgericht erhobenen Klage verfolgte der Kläger, vertreten durch seine Eltern, den Anspruch auf Ganztagsförderung weiter. Die Differenz zwischen dem Elternbeitrag und der Verpflegungspauschale für die beanspruchte Ganztags- und die bewilligte Teilzeitbetreuung in den streitgegenständlichen Monaten belief sich nach seinen Angaben auf 195,32 €. Das Verwaltungsgericht trug die Eltern des Klägers als Kläger ein.

3

Mit Schreiben vom 29. Dezember 2008 fragte der Berichterstatter bei den Beteiligten an, ob sie mit einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter sowie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden seien. Mit am 20. Januar 2009 und 4. Februar 2009 beim Verwaltungsgericht eingegangenen Schriftsätzen erklärten die Beteiligten ihr Einverständnis mit dieser Verfahrensweise. Klagebegründung, Klageerwiderung, Replik, Duplik und Triplik lagen dem Verwaltungsgericht am 28. April 2009 vor. Von der ihr aufgrund der Verfügung des Berichterstatters vom 29. April 2009 gegebenen Gelegenheit zur Stellungnahme auf die Triplik des Klägers machte die Stadt Neubrandenburg keinen Gebrauch.

4

In dem Zeitraum vom 29. April 2009 bis zum 30. August 2011 verfügte der Berichterstatter im Abstand von drei bzw. vier Monaten wiederholt die Wiedervorlage der Sache.

5

Mit Schreiben vom 31. August 2011 wies der Berichterstatter die Eltern des Klägers darauf hin, dass der geltend gemachte Anspruch nicht ihnen, sondern dem Kläger selbst zustehen, der Rechtsstreit in der Hauptsache vor Klageerhebung erledigt gewesen und das Vorliegen der materiellrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen zu verneinen sein dürfte. Er forderte die Eltern des Klägers auf, binnen drei Wochen mitzuteilen, ob eine verfahrensbeendende Erklärung abgegeben werde. Die Stellungnahme der Eltern des Klägers ging am 19. September 2011 beim Verwaltungsgericht ein.

6

Mit Schreiben vom 29. September 2011 forderte der Berichterstatter den inzwischen anstelle seiner Eltern als Beteiligten erfassten Kläger auf mitzuteilen, ob an dem im Januar 2009 erklärten Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung festgehalten werde. Für die Beantwortung der Anfrage setzte er dem Kläger keine Frist. Aufgrund seiner Verfügung wurde ihm die Akte am 21. Oktober 2011 wiedervorgelegt. Das Antwortschreiben des Klägers ging nach zweimaliger Erinnerung am 9. November 2011 beim Verwaltungsgericht ein.

7

Mit Beschluss vom 10. November 2011 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen. Die mündliche Verhandlung fand am 8. Dezember 2011 statt. Der damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers erhob darin eine Verzögerungsrüge. Sodann beendeten die Beteiligten den Rechtsstreit durch Vergleich.

8

Mit der am 4. Juni 2012 beim Oberverwaltungsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Gewährung einer angemessenen Entschädigung und hilfsweise die Feststellung begehrt, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Er ist von einer sachlich nicht gerechtfertigten Verzögerung von mehr als zwei Jahren ausgegangen. Die Höhe der Entschädigung müsse sich am Regelbetrag orientieren.

9

Mit Urteil vom 4. Juni 2013 hat das Oberverwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Die Dauer des Verfahrens sei noch als angemessen zu bewerten. Hauptgrund hierfür sei, dass es lediglich um einen denkbar geringen Betrag gegangen sei. Dass der Kläger bzw. dessen Eltern nach den persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen auf den Betrag von 195,32 € angewiesen gewesen seien, sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Mehr als diese finanzielle Bedeutung habe das Verfahren von Anfang an für die Klägerseite nicht gehabt. Hinzu komme, dass sich die Verfahrensbeteiligten in der Zeit von Ende April 2009 bis Ende August 2011, als das Gericht die Sache nicht gefördert habe, ebenfalls vollkommen passiv verhalten hätten. Demgegenüber wiege die zugunsten des Klägers unterstellte grundsätzliche Bedeutung des Verfahrens nicht besonders schwer, weil die Beteiligten ihr selbst offenbar keine besondere Bedeutung beigemessen hätten. Dass das Verfahren, wovon zugunsten des Klägers auszugehen sei, keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufgewiesen habe, rechtfertige keine andere Entscheidung.

10

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 198 GVG. Das Oberverwaltungsgericht habe nicht zu seinen Lasten berücksichtigen dürfen, dass er nicht auf eine Beschleunigung des Verfahrens hingewirkt oder auch nur nach dem Sachstand gefragt habe, als das Verwaltungsgericht das Verfahren nicht betrieben bzw. gefördert habe. Soweit das Oberverwaltungsgericht erkennen lasse, dass bei einem Streit um einen - wie hier - geringen Geldbetrag eher eine längere, bei einem Streit um einen höheren Geldbetrag eher eine kürzere Verfahrensdauer als angemessen anzusehen sei, finde sich hierfür weder im Bundesrecht noch in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Stütze. Angesichts der von der Stadt Neubrandenburg vertretenen Auffassung, während des Mutterschutzes sei eine tatsächliche Verhinderung der Mutter schwerlich anzunehmen, habe das Verfahren für ihn und seine Eltern auch eine erhebliche emotionale Bedeutung gehabt. Zudem sei es im Sinne eines Musterverfahrens für die Allgemeinheit von Bedeutung gewesen. Unter Berücksichtigung aller Umstände ergebe sich eine sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung von zwei Jahren und vier Monaten. Wegen der dargestellten Bedeutung des Verfahrens für ihn und die Allgemeinheit erscheine eine Wiedergutmachung anders als in Form einer Entschädigung nicht ausreichend. Die Höhe der Entschädigung dürfte sich an dem Regelbetrag des § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG zu orientieren haben und mit 2 800 € angemessen sein.

11

Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision des Klägers ist begründet. Das angefochtene Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), soweit das Oberverwaltungsgericht entscheidungstragend angenommen hat, der Kläger müsse sich bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer zu seinem Nachteil anrechnen lassen, dass er nicht auf eine Beschleunigung des Verfahrens hingewirkt oder auch nur nach dem Sachstand gefragt habe. Es erweist sich auch nicht im Ergebnis als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die mit dem Hauptantrag verfolgte Entschädigungsklage ist zulässig (1.) und im tenorierten Umfang begründet (2.).

13

1. Die Entschädigungsklage ist zulässig, obwohl der Kläger die begehrte Entschädigung für die erlittenen immateriellen Nachteile in seinem Antrag nicht beziffert (a) und die Sechsmonatsfrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes - GVG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Januar 2015 (BGBl. I S. 10), nicht abgewartet hat (b).

14

a) Der auf Gewährung einer angemessenen Entschädigung lautende Klageantrag ist hinreichend bestimmt.

15

Das Erfordernis eines bestimmten Klageantrags ist in § 82 Abs. 1 Satz 2 VwGO als bloße Sollvorschrift ausgestaltet. Ihm muss aber mit der Antragstellung in der mündlichen Verhandlung (§ 103 Abs. 3 VwGO) genügt werden. Welche Anforderungen sich hieraus ergeben, hängt von den Besonderheiten des jeweiligen materiellen Rechts und von den Umständen des Einzelfalles ab (BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 7 C 21.12 - BVerwGE 147, 312 Rn. 54). Wird im Verwaltungsprozess unmittelbar auf Leistung eines Geldbetrages geklagt, ist die Forderung grundsätzlich der Höhe nach im Klageantrag zu beziffern. Ein unbezifferter Klageantrag ist aber ausnahmsweise zulässig, wenn die Schwierigkeit, den Klageantrag hinreichend genau zu bestimmen, durch außerhalb der Klägersphäre liegende Umstände verursacht wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. September 1989 - 7 C 4.89 - Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 93 S. 60). Das gilt für die Klage auf Zahlung einer Entschädigung für immaterielle Nachteile nach den gemäß § 173 Satz 2 VwGO im Verwaltungsprozess entsprechend anwendbaren Vorschriften des § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 GVG jedenfalls deshalb, weil sie eine Ermessensausübung des Gerichts nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG erfordert. Das Gericht hat danach stets von Amts wegen zu prüfen, ob der Pauschalbetrag gemäß § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG nach den Umständen des Einzelfalles unbillig und daher ein höherer oder niedrigerer Betrag festzusetzen ist. Um das Erfordernis eines bestimmten Klageantrags in diesem Fall zu erfüllen, muss der Kläger die für die Bemessung der Höhe des Anspruchs erforderlichen Tatsachen benennen und die Größenordnung der geltend gemachten Entschädigung (etwa einen Mindestbetrag) angeben (vgl. stRspr zu § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 287 ZPO, z.B. BGH, Urteile vom 24. September 1991 - VI ZR 60/91 - NJW 1992, 311 <312>; vom 30. April 1996 - VI ZR 55/95 - BGHZ 132, 341 <350> und vom 10. Oktober 2002 - III ZR 205/01 - NJW 2002, 3769). Das hat der Kläger getan.

16

Der Klagebegründung war hinreichend deutlich zu entnehmen, dass der Kläger von einer unangemessenen Verfahrensdauer von mehr als zwei Jahren ausgegangen ist und eine sich am Regelbetrag orientierende Entschädigung begehrt hat. Dieses Vorbringen hat er in der Revisionsbegründung dahingehend konkretisiert, dass eine sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung von zwei Jahren und vier Monaten angenommen und eine Entschädigung von 2 800 € als angemessen angesehen werde. Damit hat der Kläger die geltend gemachte Forderung jedenfalls nach unten durch diesen Betrag begrenzt.

17

b) Die Einhaltung der Wartefrist war nicht erforderlich.

18

Nach § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO kann eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach § 198 Abs. 1 GVG frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Dies gilt gemäß Art. 23 Satz 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 - ÜblVfRSchG - (BGBl. I S. 2302) auch für Verfahren, die - wie hier - bei dem Inkrafttreten des Gesetzes am 3. Dezember 2011 (vgl. Art. 24 ÜblVfRSchG) bereits anhängig waren. Die Einhaltung dieser Frist ist eine besondere Sachurteilsvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist. Eine vor Fristablauf erhobene Klage wird nach Ablauf der Frist nicht zulässig (BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/14 R - juris Rn. 19; BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - III ZR 228/13 - NJW 2014, 2588 Rn. 17 m.w.N.). Das Fristerfordernis des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG ist allerdings im Wege der teleologischen Reduktion dahin einzuschränken, dass es keine Anwendung findet, wenn das als verspätet gerügte Verfahren schon vor Ablauf der Sechsmonatsfrist abgeschlossen wurde.

19

Die Befugnis der Korrektur des Wortlauts einer Vorschrift steht den Gerichten unter anderem dann zu, wenn diese nach ihrer grammatikalischen Fassung Sachverhalte erfasst, die sie nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht erfassen soll. In einem solchen Fall ist eine zu weit gefasste Regelung im Wege der sogenannten teleologischen Reduktion auf den ihr nach Sinn und Zweck zugedachten Anwendungsbereich zurückzuführen (BVerwG, Urteil vom 25. März 2014 - 5 C 13.13 - Buchholz 436.36 § 8 BAföG Nr. 14 Rn. 25 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen vor.

20

Die Vorschrift des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG bezieht sich ihrem Wortlaut nach auf alle Verfahren, in denen eine Verzögerungsrüge erhoben wird, ohne Rücksicht darauf, wann das Verfahren im Anschluss daran abgeschlossen wird. Dieser zu weit gefasste Wortlaut erfasst auch Fälle, die er nach Sinn und Zweck der Vorschrift nicht erfassen sollte. Nach der gesetzgeberischen Vorstellung, die insbesondere in der Gesetzesbegründung ihren Niederschlag gefunden hat (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 22), soll die Wartefrist der präventiven Funktion der Verzögerungsrüge Rechnung tragen und dem Gericht die Möglichkeit einräumen, auf eine Beschleunigung des Verfahrens hinzuwirken und dadurch (weiteren) Schaden zu vermeiden. Wird ein Verfahren vor Ablauf der Sechsmonatsfrist beendet, würde ein Abwarten insofern keinen Sinn mehr machen. Deshalb ist es geboten, die Bestimmung im Wege teleologischer Reduktion dahin einzuschränken, dass ihr Anwendungsbereich nicht eröffnet ist, wenn das Verfahren innerhalb von sechs Monaten nach Erhebung der Verzögerungsrüge beendet wird. In diesem Fall ist die Entschädigungsklage ausnahmsweise vom Moment des Verfahrensabschlusses an zulässig (vgl. BGH, Urteile vom 21. Mai 2014 - III ZR 355/13 - NJW 2014, 2443 Rn. 17 und vom 17. Juli 2014 - III ZR 228/13 - NJW 2014, 2588 Rn. 18 m.w.N.; Schenke, NVwZ 2012, 257 <261>). So verhält es sich hier. Das Verfahren ist in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts am 8. Dezember 2011, in der auch die Verzögerungsrüge erhoben wurde, durch Vergleich beendet worden.

21

2. Der Kläger hat einen Anspruch auf Entschädigung des immateriellen Nachteils in Höhe von 1 800 €.

22

Der Anspruch folgt aus § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 GVG. Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Der durch eine unangemessene Verfahrensdauer eingetretene immaterielle Nachteil ist nach Maßgabe des § 198 Abs. 2 GVG zu entschädigen. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Dauer des vom Kläger in Bezug genommenen Gerichtsverfahrens (a) war unangemessen (b). Hierdurch hat er einen immateriellen Nachteil erlitten, der nicht auf andere Weise wiedergutgemacht werden kann (c) und in Höhe von 1 800 € zu entschädigen ist (d).

23

a) Gegenstand des geltend gemachten Entschädigungsanspruchs ist das verwaltungsgerichtliche Verfahren im Ausgangsrechtsstreit vom Zeitpunkt der Erhebung der Klage am 21. Dezember 2008 bis zu dessen Beendigung durch den in der mündlichen Verhandlung am 8. Dezember 2011 geschlossenen Vergleich.

24

Nach der Legaldefinition des § 198 Abs. 6 Nr. 1 Halbs. 1 GVG ist Gerichtsverfahren im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe. Der Begriff "Einleitung" erfasst alle Formen, mit denen ein Verfahren in Gang gesetzt werden kann, unabhängig davon, ob dies durch Antrag oder Klageerhebung geschieht oder ein Verfahren von Amts wegen eingeleitet wird (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 22). Mit rechtskräftigem Abschluss ist zum einen die formelle Rechtskraft einer Entscheidung gemeint (BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 19 und - 5 C 27.12 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 2 Rn. 11). Zum anderen wird hiervon auch die anderweitige Erledigung des Verfahrens insbesondere durch Antrags- oder Klagerücknahme, Einstellung, Vergleich oder Erledigungserklärung erfasst (vgl. Ott, in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, A. § 198 GVG Rn. 54). Für Letzteres spricht insbesondere der systematische Rückschluss aus § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG. Diese Vorschrift stellt für den Beginn der Ausschlussfrist die Beendigung des Verfahrens durch rechtskräftige Entscheidung und die Beendigung des Verfahrens durch eine andere Erledigung gleichberechtigt nebeneinander.

25

In Anwendung dieses Maßstabes erfasst der materielle Bezugsrahmen des von dem Kläger geltend gemachten Entschädigungsanspruchs die Gesamtdauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht.

26

b) Die Dauer des Gerichtsverfahrens vor dem Verwaltungsgericht war bei der gebotenen Gesamtabwägung im Umfang von einem Jahr und sechs Monaten unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG.

27

Die Verfahrensdauer ist unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen (Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - in der Fassung vom 22. Oktober 2010 , Art. 19 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist. Dabei ist vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eingetreten sind, bei Berücksichtigung des den Ausgangsgerichten insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums sachlich gerechtfertigt sind (BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014 - 5 C 1.13 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3 Rn. 18 m.w.N.).

28

In Übereinstimmung mit dem darlegten rechtlichen Maßstab hat sich das Oberverwaltungsgericht bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer zwar zu Recht nicht von festen Zeitvorgaben oder abstrakten Orientierungs- bzw. Anhaltswerten leiten lassen, sondern eine Einzelfallprüfung vorgenommen (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 28 ff. und - 5 C 27.12 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 2 Rn. 20 ff.; s.a. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. August 2013 - 1 BvR 1067/12 - NJW 2013, 3630 <3631 f.>). Auch hat es zutreffend angenommen, das Verfahren habe keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufgewiesen (aa) und nur eine geringe finanzielle Bedeutung für den Kläger gehabt (bb). Eine grundsätzliche Bedeutung kann dem Verfahren aufgrund der festgestellten Tatsachen daneben nicht zugesprochen werden (cc). Das angefochtene Urteil beruht aber insoweit auf einer Verletzung von Bundesrecht, als das Oberverwaltungsgericht dem Kläger angelastet hat, seinerseits nicht auf eine Beschleunigung hingearbeitet zu haben, als das Verwaltungsgericht das Verfahren nicht betrieben bzw. gefördert habe (dd). In die einzelfallbezogene Angemessenheitsprüfung ist hingegen einzustellen, dass der Kläger durch sein prozessuales Verhalten eine Verzögerung bewirkte (ee) und es durch die Verfahrensführung des Verwaltungsgerichts unter Berücksichtigung des ihm insoweit eingeräumten Gestaltungsspielraums zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Verzögerung von einem Jahr und sieben Monaten kam (ff). Bei der gebotenen Gesamtabwägung aller Umstände ergibt sich eine unangemessene Verfahrensdauer von einem Jahr und sechs Monaten (gg).

29

aa) Die Würdigung des Oberverwaltungsgerichts, das Verfahren sei nicht tatsächlich oder rechtlich besonders schwierig gewesen, ist unter Berücksichtigung seiner hierzu getroffenen Feststellungen nicht zu beanstanden. Sie wird auch vom Kläger nicht angegriffen.

30

Aus den festgestellten Tatsachen ist wertend zu folgern, dass der Sachverhalt überschaubar, einfach gelagert und zwischen den Verfahrensbeteiligten unstreitig war. Die entscheidungserhebliche Frage, ob dem Kläger gemäß § 4 Abs. 3 i.V.m. § 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Förderung von Kindern in Kindertageseinrichtungen und in Kindertagespflege (Kindertagesförderungsgesetz - KiföG M-V) vom 1. April 2004 (GVOBl. M-V S. 146) nach der Geburt seiner Schwester für die Zeit des gesetzlichen Mutterschutzes nur noch ein Anspruch auf Förderung einer Teilzeitbetreuung oder weiterhin ein Anspruch auf Förderung einer ganztätigen Betreuung in einer Kindertagesstätte zustand, war für sich genommen nicht besonders komplex. Entsprechendes galt für die damit verbundene Frage, wer Inhaber des Anspruchs ist. Auch die Frage, ob der Rechtsstreit bereits vor Klageerhebung erledigt gewesen ist, war als Standardproblem eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens anzusehen. Dafür, dass es sich bei dem Ausgangsverfahren vor dem Verwaltungsgericht um einen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht allenfalls durchschnittlich schwierigen Fall gehandelt hat, spricht zudem, dass die Kammer des Verwaltungsgerichts den Rechtsstreit auf den Einzelrichter übertragen hat (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VwGO).

31

bb) Das Oberverwaltungsgericht ist auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, das Verfahren habe für den Kläger nur eine finanzielle Bedeutung gehabt, die mit 195,32 € als äußerst gering zu bewerten sei.

32

Für die Bewertung der finanziellen Bedeutung als gering hat sich das Oberverwaltungsgericht nicht allein auf die Höhe des streitgegenständlichen Betrages gestützt. Vielmehr hat es seine Einschätzung vor allem auch damit begründet, der Kläger habe weder vorgetragen noch sei ersichtlich, dass er bzw. dessen Eltern nach den persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen auf den streitgegenständlichen Betrag angewiesen gewesen seien. Die geringe finanzielle Bedeutung hat es somit in Übereinstimmung mit dem aufgezeigten bundesrechtlichen Maßstab an die Umstände des konkreten Falles geknüpft. Mit Rücksicht darauf geht der Einwand des Klägers ins Leere, das Oberverwaltungsgericht habe sich bei der Beurteilung der Bedeutung des Verfahrens von einem festen abstrakten Rechtssatz des Inhalts leiten lassen, bei einem Streit um einen geringen Geldbetrag sei eher eine längere, bei einem Streit um einen höheren Geldbetrag eher eine kürzere Verfahrensdauer als angemessen anzusehen, wofür sich weder im Bundesrecht noch in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Stütze finde.

33

Soweit der Kläger im entschädigungsrechtlichen Revisionsverfahren geltend macht, das Verfahren habe für ihn und seine Eltern angesichts der von der Stadt Neubrandenburg vertretenen Auffassung, während des Mutterschutzes sei eine tatsächliche Verhinderung der Mutter schwerlich anzunehmen, (auch) eine erhebliche emotionale Bedeutung gehabt, findet dies in den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts, gegen die Verfahrensrügen nicht erhoben wurden, keine Stütze.

34

cc) Die vom Oberverwaltungsgericht lediglich unterstellte grundsätzliche Bedeutung ist zu verneinen. Nach den insoweit getroffenen Feststellungen fehlt eine hinreichende tatsächliche Grundlage für die Annahme, dass das Verfahren als Musterprozess grundsätzlich bedeutsam war.

35

Entgegen der Revisionsbegründung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt, dass die Stadt Neubrandenburg - wie vom Kläger behauptet - in einer größeren Zahl von Fällen eine zuvor bewilligte Ganztagsbetreuung für die Zeit des Mutterschutzes in eine Teilzeitbetreuung geändert hätte, sodass sich die Entscheidung auf eine größere Zahl von Verfahren oder die Verwaltungspraxis auswirken könnte. Eine Verfahrensrüge hat der Kläger insoweit nicht erhoben. Als Indiz für die fehlende grundsätzliche Bedeutung ist vielmehr der Umstand zu werten, dass das Verwaltungsgericht diese Behauptung nicht zum Anlass genommen hat, um von der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter nach § 6 Abs. 1 VwGO abzusehen. Denn diese soll - im Unterschied zu der auf dem Einverständnis der Beteiligten gründenden Übertragung auf den sogenannten konsentierten Einzelrichter nach § 87a Abs. 2, Abs. 3 VwGO (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 2008 - 5 C 30.07 - BVerwGE 132, 10 Rn. 10 m.w.N.) - bei grundsätzlicher Bedeutung der Sache gerade nicht erfolgen.

36

dd) Das Oberverwaltungsgericht hat das in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausdrücklich genannte Kriterium des "Verhaltens der Verfahrensbeteiligten" nicht richtig erfasst, soweit es angenommen hat, es gereiche dem Kläger zum Nachteil, nicht auf eine Beschleunigung hingewirkt oder zumindest nach dem Sachstand gefragt zu haben, als das Verwaltungsgericht das Verfahren nicht betrieben bzw. gefördert habe.

37

In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass die Verfahrensbeteiligten - abgesehen von der Obliegenheit zur Erhebung der Verzögerungsrüge - grundsätzlich nicht verpflichtet sind, aktiv (durch Aufforderungen) darauf hinzuarbeiten, dass das Gericht das Verfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss bringt. Mangels einer derartigen Pflicht kann ihnen eine diesbezügliche Passivität bei der im Rahmen der Ermittlung der angemessenen Dauer eines Gerichtsverfahrens erforderlichen Prüfung, ob die Verfahrensbeteiligten durch ihr Verhalten eine Verzögerung des Rechtsstreits bewirkt haben, nicht angelastet werden. Die Verpflichtung des Gerichts, das Verfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, ergibt sich unmittelbar aus der dem Staat obliegenden Justizgewährleistungspflicht, aus dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes und aus Art. 6 Abs. 1 EMRK (BVerwG, Urteil vom 11. Juli 2013 - 5 C 27.12 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 2 Rn. 41). Von diesen Rechtssätzen weicht das angefochtene Urteil ab, soweit das Oberverwaltungsgericht seine Bewertung der Verfahrensdauer als noch angemessen entscheidungstragend darauf stützt, der Kläger habe sich in der Zeit, als das Gericht die Sache nicht gefördert habe, ebenfalls vollkommen passiv verhalten.

38

ee) Im Hinblick auf das prozessuale Verhalten des Klägers ist allerdings ergänzend zu berücksichtigten, dass dieser durch sein Verhalten das Verfahren um etwa neunzehn Tage verzögert hat.

39

Aus dem festgestellten Verfahrensablauf ist wertend zu folgern, dass dem Kläger in diesem Umfang die verspätete Beantwortung der gerichtlichen Anfrage vom 29. September 2011 zuzurechnen ist. Zwar ist ihm für die erbetene Mitteilung, ob der im Januar 2009 erklärte Verzicht auf mündliche Verhandlung weiterhin Bestand habe, keine ausdrückliche Frist gesetzt worden. Entsprechend der von dem Berichterstatter verfügten Wiedervorlage durfte das Verwaltungsgericht davon ausgehen, dass der Kläger die Anfrage spätestens bis zum 21. Oktober 2011 beantwortet. Seine Antwort ist jedoch erst nach zweimaliger Erinnerung am 9. November 2011 und damit 19 Tage später als erwartet beim Verwaltungsgericht eingegangen.

40

ff) Aus den zur Verfahrensführung getroffenen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ist zu schließen, dass das Verwaltungsgericht unter Berücksichtigung des ihm insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums das Verfahren vom Beginn des Monats Februar 2010 bis zum Ende des Monats August 2011, also für ein Jahr und sieben Monate, ohne sachlichen Rechtfertigungsgrund nicht gefördert hat.

41

Im Hinblick auf den Verfahrensgang hat das Oberverwaltungsgericht neben der Chronologie des Verfahrens festgestellt, dass das Verwaltungsgericht in der Zeit von Ende April 2009 bis Ende August 2011, also für zwei Jahre und vier Monate, keine Handlungen vorgenommen hat, um die Erledigung des Verfahrens zu fördern. Der festgestellten Chronologie ist bei wertender Betrachtung zu entnehmen, dass der Rechtsstreit mit der am 28. April 2009 eingegangenen Triplik des Klägers entscheidungsreif war. Der Sachverhalt war zu diesem Zeitpunkt in tatsächlicher Hinsicht ausreichend aufgearbeitet. Den Beteiligten war zu allen bis dahin vom Verwaltungsgericht für relevant gehaltenen Fragen in hinreichender Weise rechtliches Gehör gewährt worden. Dafür, dass auch das Verwaltungsgericht die Sache Ende April 2009 für "ausgeschrieben" hielt, spricht, dass es die Triplik des Klägers dem Beklagten lediglich mit der Gelegenheit zur Stellungnahme zuleitete.

42

Im vorliegenden Einzelfall erscheint es angemessen, dem Verwaltungsgericht für das konkrete erstinstanzliche Verfahren ab Entscheidungsreife einen (Gestaltungs-)Zeitraum von neun Monaten für seine Entscheidung zuzugestehen, wann und wie es das Verfahren im Sinne eines Hinwirkens auf eine Erledigung des Prozesses fördert.

43

Der zugestandene Zeitraum trägt dem Umstand Rechnung, dass - auch vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich gewährten richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) - die Verfahrensgestaltung in erster Linie dem mit der Sache befassten Gericht obliegt und ihm hinsichtlich der Entscheidung, wann und wie es eine bestimmte Sache in Abstimmung mit anderen bei ihm anhängigen Sachen terminiert oder sonst fördert, ein Spielraum zusteht. Er berücksichtigt weiter, dass das Gericht vor einer verfahrensfördernden Handlung oder Entscheidung zur Sache Zeit zur rechtlichen Durchdringung benötigt, um dem rechtsstaatlichen Anliegen zu genügen, eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes vorzunehmen. Der ab Eintritt der Entscheidungsreife zugestandene Zeitraum ist im Einzelfall in Relation zu den in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Kriterien zu bestimmen. Maßgeblich ist insoweit - genauso wie hinsichtlich der in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG aufgeführten Umstände -, wie die Gerichte im Ausgangsverfahren die Lage aus ihrer Ex-ante-Sicht einschätzen durften. Hingegen ist eine Überlastung der Verwaltungsgerichtsbarkeit oder des konkreten Ausgangsgerichts bzw. Spruchkörpers für die Bemessung des richterlichen Gestaltungsspielraums ohne Belang. Sie gehört zu den strukturellen Mängeln, die sich der Staat zurechnen lassen muss und die er zu beseitigen hat (BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014 - 5 C 1.13 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3 Rn. 28 m.w.N.).

44

Das Ende des gerichtlichen Gestaltungszeitraums wird durch den Zeitpunkt markiert, ab dem ein (weiteres) Zuwarten auf eine verfahrensfördernde Entscheidung bzw. Handlung des Gerichts im Hinblick auf die subjektive Rechtsposition des Betroffenen auf eine angemessene Verfahrensdauer nicht mehr vertretbar ist, weil sich die (weitere) Verzögerung bei Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles als sachlich nicht mehr gerechtfertigt und damit als unverhältnismäßig darstellt. Es ist nicht mit dem Zeitpunkt gleichzusetzen, bis zu dem in jedem Fall von einer "optimalen Verfahrensführung" des Gerichts auszugehen ist. Entschädigungsrechtlich relevant sind nur die nach Ablauf des Gestaltungszeitraums auf die Verfahrensführung des Gerichts zurückzuführenden Verzögerungen. Denn zur Begründung des Entschädigungsanspruchs reicht nicht jede Abweichung von der optimalen Verfahrensführung aus. Vielmehr setzt der Entschädigungsanspruch aus § 198 Abs. 1 GVG voraus, dass der Beteiligte durch die Länge des Gerichtsverfahrens in seinem Grund- und Menschenrecht auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit beeinträchtigt worden ist, was eine gewisse Schwere der Belastung erfordert (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 39 und - 5 C 27.12 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 2 Rn. 31 m.w.N.).

45

In Anwendung dieser rechtlichen Maßstäbe ist bei der Bemessung des gerichtlichen Gestaltungsspielraums zu berücksichtigen, dass das Ausgangsverfahren allenfalls einen durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad aufwies, seine Bedeutung für den Kläger rein finanzieller Natur und diese als äußerst gering zu bewerten war sowie ein über den Einzelfall hinausgehendes Interesse an dem Rechtsstreit nicht festgestellt werden konnte. Angesichts dessen war die fehlende Bearbeitung bzw. Förderung des Verfahrens durch das Verwaltungsgericht für den Kläger ab Anfang Februar 2010 nicht mehr hinnehmbar. Das ergibt einen gerichtlichen Gestaltungszeitraum ab Entscheidungsreife von neun Monaten.

46

gg) Die Dauer des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht war bei der gebotenen Gesamtabwägung im Umfang von einem Jahr und sechs Monaten unangemessen.

47

In die Gesamtabwägung sind alle festgestellten Umstände des Einzelfalles einzustellen und zu gewichten. Dabei ist insbesondere zu untersuchen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Verzögerung in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten innerhalb einer anderen Phase des Verfahrens ausgeglichen wurde (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2013 - 5 C 23.12 D - BVerwGE 147, 146 Rn. 17 und 44 m.w.N. und vom 27. Februar 2014 - 5 C 1.13 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3 Rn. 30). Des Weiteren hat in die Prüfung einzufließen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Verletzung des Rechts auf angemessene Verfahrensdauer weder in den gerichtlichen noch in den Verantwortungsbereich des in Anspruch genommenen Rechtsträgers fällt, sondern den Verfahrensbeteiligten zuzurechnen ist.

48

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die auf die Verfahrensführung des Verwaltungsgerichts zurückzuführende sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung von einem Jahr und sieben Monaten mit Blick auf das säumige Verhalten des Klägers bei der Beantwortung der gerichtlichen Anfrage vom 29. September 2011 um aufgerundet einen Monat zu reduzieren. Im Ergebnis ist somit auf eine unangemessene Verfahrensdauer von einem Jahr und sechs Monaten zu erkennen.

49

c) Der Kläger hat durch die überlange Verfahrensdauer einen immateriellen Nachteil im Sinne des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG erlitten, der nicht auf andere Weise wiedergutgemacht werden kann.

50

Dass der Kläger Nachteile nichtvermögensrechtlicher Art erlitten hat, ergibt sich aus der Vermutung des § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG. Danach wird ein immaterieller Nachteil vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren - wie hier - unangemessen lange gedauert hat. Diese Vermutung ist hier nicht widerlegt.

51

Entschädigung kann gemäß § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise ist gemäß § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Ob eine solche Feststellung ausreichend im Sinne des § 198 Abs. 2 Satz 2 GVG ist, beurteilt sich auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalles (BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014 - 5 C 1.13 D - Buchholz 300 § 198 GVG Nr. 3 Rn. 34 m.w.N.).

52

Eine schlichte Feststellungsentscheidung ist hier mit Blick auf den Umfang der Verzögerung des vom Schwierigkeitsgrad allenfalls durchschnittlich gelagerten Falles nicht ausreichend. Der Umstand, dass das Verfahren für den Kläger keine besondere Bedeutung im entschädigungsrechtlichen Sinne besaß, vermag das Gewicht des durch die Verzögerung von einem Jahr und sechs Monaten bedingten immateriellen Nachteils nicht entscheidend zu mindern.

53

Der Beklagte kann sich zur Begründung seiner gegenteiligen Ansicht nicht mit Erfolg darauf berufen, die Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer sei zur Wiedergutmachung ausreichend, weil die Höhe der gesetzlichen Entschädigung den Streitwert des Ausgangsverfahrens um ein Vielfaches übersteige. Damit werden die anspruchsbegründenden Voraussetzungen, zu denen auch die Feststellung gehört, dass nach den Einzelfallumständen eine Wiedergutmachung auf andere Weise nicht ausreichend ist, in unzulässiger Weise mit der Höhe des Entschädigungsanspruchs vermischt.

54

d) Der Entschädigungsbetrag beträgt 1 800 €.

55

Die Bemessung der immateriellen Nachteile richtet sich nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG. Danach ist der immaterielle Nachteil in der Regel in Höhe von 1 200 € für jedes Jahr der Verzögerung zu entschädigen. Für Zeiträume unter einem Jahr lässt diese Regelung eine zeitanteilige Berechnung zu (BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - BSGE 113, 75 Rn. 50 m.w.N.; vgl. auch BT-Drs. 17/3802 S. 20). Nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen, wenn der Betrag von 1 200 € nach den Umständen des Einzelfalles unbillig ist. Eine derartige Billigkeitsentscheidung ist - entgegen der Ansicht des Beklagten - hier nicht deshalb veranlasst, weil der Gesamtbetrag der Entschädigung um ein Vielfaches höher liegt als der Streitwert des Ausgangsverfahrens.

56

Damit werden Dinge miteinander verglichen, die nicht vergleichbar sind. Die Entschädigung betrifft den Ausgleich für die durch die Verfahrensverzögerung erlittenen immateriellen Nachteile wie beispielsweise psychische Belastungen, körperliche Beeinträchtigungen oder Rufschädigungen (vgl. BT-Drs. 17/3802 S. 19), während der Streitwert des Ausgangsverfahrens nach Maßgabe des § 52 Abs. 1 GKG angibt, welche (wirtschaftliche) Bedeutung dieses Verfahren für den Kläger hatte.

57

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Bei einer wesentlichen Abweichung von der angegebenen Größenordnung (hier: 35,71 v.H.) ist eine teilweise Abweisung der Klage und eine dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens entsprechende Kostenteilung erforderlich (vgl. BGH, Urteile vom 1. Februar 1966 - VI ZR 193/64 - BGHZ 45, 91 <93> und vom 18. Februar 1977 - I ZR 112/75 - GRUR 1977, 539 <542>). Hiernach waren die Kosten im Verhältnis des zuerkannten Betrages zu der vom Kläger angegebenen Größenordnung der geltend gemachten Entschädigung zwischen den Beteiligten zu verteilen.

Tenor

Es wird festgestellt, dass die überlange Verfahrensdauer vor dem Landessozialgericht Sachsen-Anhalt im Verfahren L 4 P 1/07 die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes verletzt hat.

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

...

Der Gegenstandswert für das Verfahren wird auf 8.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine behauptete Untätigkeit der Sozialgerichtsbarkeit Sachsen-Anhalt in erster und zweiter Instanz.

I.

2

Die Beschwerdeführerin ist eine gemeinnützige GmbH, die unter anderem ein Seniorenheim mit 50 Pflegeplätzen betreibt, das seinen Betrieb am 6. Dezember 1999 aufnahm. Die Errichtung des Seniorenheims wurde vom Bund und vom Land Sachsen-Anhalt nach § 52 PflegeVG mit insgesamt 7.625.200,00 DM (3.924.267,44 €) gefördert. Die Kosten für den Grunderwerb, die Herrichtung und Erschließung und die Technik in Höhe von insgesamt 334.100,00 DM (170.822,61 €) gingen zu Lasten der Beschwerdeführerin. Am 6. Oktober 1999 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Zustimmung zur gesonderten Inrechnungstellung von Investitionsaufwendungen nach § 82 SGB XI in Höhe von 10,05 DM (5,14 €) pro Pflegetag und Heimbewohner für den Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 aus Anlass getätigter Investitionen (Abschreibungen für Außenanlagen, Fahrstuhl und Heizung, Abschreibungen für Kfz, Eigenkapitalverzinsung, Erschließungskosten, Erbbauzinsen, kalkulierte Wiederbeschaffungskosten, pauschalierte Instandsetzungs- und Instandhaltungskosten). Mit Bescheid vom 7. April 2000 stimmte das beklagte Land lediglich der Inrechnungstellung der Abschreibung für ein Kfz in Höhe von 0,38 DM (0,19 €) für den Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 pro Heimbewohner pflegetäglich zu.

3

Die Beschwerdeführerin erhob am 8. Mai 2000 Klage. Die Klage wurde zwei Monate später mit Schriftsatz vom 12. Juli 2000 begründet. Die Klageerwiderung datiert vom 11. September 2000. Ein weiterer Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 30. Oktober 2000 wurde wegen eines nicht mehr aufklärbaren Versehens falsch zugeordnet und erst mit Verfügung vom 3. April 2001 an das beklagte Land übersandt. Auf diesen verspätet übersandten Schriftsatz der Beschwerdeführerin ging die Replik des Beklagten am 28. Mai 2001 bei Gericht ein. Am 29. Juni 2001 wurde die Prozessvollmacht von der Beschwerdeführerin vorgelegt. Mit richterlicher Verfügung vom 26. März 2002 wurde der Beklagte aufgefordert, die Fundstelle einer Verordnung anzugeben. Dies wurde von dem beklagten Land mit Schriftsatz vom 29. April 2002 erledigt. Mit Schreiben vom 13. Februar 2003 fragte das Gericht bei dem beklagten Land an, ob dieses an seiner bisherigen Rechtsposition festhalte und bezog sich hierbei auf außergerichtliche Vergleichsverhandlungen in anderen Verfahren. Am 11. April 2003 erinnerte das Gericht an die Erledigung der gerichtlichen Verfügung vom 13. Februar 2003. Nach einer Zwischennachricht teilte das beklagte Land mit Schreiben vom 20. Mai 2003 mit, dass eine die Überprüfung abschließende Entscheidung nicht getroffen werden konnte. Mit Schriftsatz vom 30. Juni 2003 fragte die Beschwerdeführerin an, ob zwischenzeitlich die versprochene Stellungnahme des Beklagten vorliege. Am 7. Oktober 2003 fand außergerichtlich ein Treffen der Beteiligten statt, bei dem nach Angaben des Beklagten festgehalten wurde, dass die Beschwerdeführerin der Behörde noch weitere Unterlagen übergeben werde. Im Zeitraum 24. Oktober 2003 bis 23. Januar 2004 wurde die Beschwerdeführerin mehrfach durch das Gericht an eine Stellungnahme erinnert und gebeten mitzuteilen, welche Unterlagen dem Beklagten übergeben wurden. Mit Schreiben vom 23. Januar 2004 und nochmals mit Schreiben vom 16. Februar 2004 bat die Beschwerdeführerin um Fristverlängerung, weil der alleinige Sachbearbeiter erkrankt gewesen sei. Mit Schriftsatz vom 24. Februar 2004 erfolgte schließlich die angeforderte Stellungnahme der Beschwerdeführerin. Am 15. Juli 2004 fand ein erster Erörterungstermin statt, in dem das beklagte Land erklärte, es habe seine Rechtsauffassung zu einigen wesentlichen Punkten geändert. Den Beteiligten wurde weiterer Vortrag aufgegeben. Der Beklagte legte die Erschließungskosten mit Schriftsatz vom 21. Juli 2004 dar, die Beschwerdeführerin reagierte mit Schriftsatz vom 20. August 2004. Mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2004 wurde die Beschwerdeführerin vom Gericht daran erinnert, wie in der Sitzung vom 15. Juli 2004 vereinbart, die Aufwendungen hinsichtlich der Erschließungskosten und Kosten Instandhaltung/Inventar zu konkretisieren und zu belegen. Dies geschah mit Schriftsatz vom 5. November 2004. Mit Schriftsätzen vom 19. Oktober 2004 und 28. Februar 2005 fragte die Beschwerdeführerin nach dem Sachstand. Am 18. Mai 2005 erließ das beklagte Land einen Änderungsbescheid, mit dem es der Inrechnungstellung weiterer Aufwendungen in Höhe von 0,05 € pflegetäglich zustimmte. Am 21. Juli 2005 fand ein weiterer Erörterungstermin statt, der damit schloss, dass den Beteiligten weiterer Vortrag bis zum 10. September 2005 aufgegeben wurde. Am 9. September 2005 erließ dann das beklagte Land einen weiteren Änderungsbescheid, mit dem es der Inrechnungstellung weiterer Aufwendungen in Höhe von 0,01 € pflegetäglich zustimmte. In Erledigung der gerichtlichen Verfügung aus dem Protokoll des Erörterungstermins vom 21. Juli 2005 trugen beide Beteiligte ergänzend vor. Mit Schriftsatz vom 8. Februar 2006 fragte die Beschwerdeführerin erneut nach dem Sachstand. Mit Schreiben vom 15. Februar 2006 teilte das Sozialgericht nach einem Kammerwechsel mit, dass die Sache sitzungsreif sei, wann mit einer Terminierung gerechnet werden könne, könne derzeit noch nicht abgesehen werden. Mit Schreiben vom 8. Mai 2006 forderte das Gericht ein Urteil des Sozialgerichts Stendal zu § 82 Abs. 3 SGB XI an, das dieses am 16. Juni 2006 übersandte. Am 6. Oktober 2006 ging über das beklagte Land noch ein Urteil des Sozialgerichts Dessau zu § 82 Abs. 3 SGB XI bei Gericht ein. Mit Schreiben vom 7. November 2006 beantragte der Beklagte das Ruhen des Verfahrens. Das Gericht teilte der Beschwerdeführerin mit, dass nicht beabsichtigt sei, das Verfahren zum Ruhen zu bringen. Danach reichte die Beschwerdeführerin am 5. Dezember 2006 noch kurz vor der bereits geladenen mündlichen Verhandlung ein von ihr veranlasstes Gutachten eines Wirtschafts- und Finanzwissenschaftlers vom 14. Juli 2006 zur Akte. Die mündliche Verhandlung fand am 8. Dezember 2006 statt und endete mit Klage abweisendem Urteil.

4

Die Beschwerdeführerin legte mit Schriftsatz vom 10. Januar 2007 Berufung ein. Auf die nachgereichte Berufungsbegründung vom 11. Juni 2007 erwiderte das beklagte Land mit Schriftsatz vom 26. Juli 2007. Dieser enthält ausschließlich Rechtsausführungen. Mit Schreiben vom 2. Dezember 2008 fragte die Beschwerdeführerin nach dem Sachstand. Mit Schreiben vom 3. Dezember 2008 teilte das Landessozialgericht ihr mit, dass noch keine konkreten Terminsaussichten gemacht werden könnten, da noch zahlreiche ältere Verfahren anhängig seien, deren Bearbeitung (zeitlich) vorrangig sei. Mit Schriftsatz vom 29. Juli 2009 fragte auch das beklagte Land an, wann mit einem Fortgang des Verfahrens gerechnet werden könne und verwies auf zwei Parallelverfahren. Hierauf antwortete das Landessozialgericht mit Schreiben vom 7. August 2009 wortgleich wie auch schon gegenüber der Beschwerdeführerin. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2009 fragte das Landessozialgericht bei der Beschwerdeführerin an, ob heute eine gesonderte Inrechnungstellung gegenüber den Bewohnern der Pflegeeinrichtung für den Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 überhaupt noch möglich sei. Gegebenfalls werde um die Vorlage entsprechender Belege gebeten. Sollte eine Inrechnungstellung nicht mehr möglich sein, werde gebeten darzulegen, zu welchem Zweck die begehrte Zustimmung noch dienen solle. Hierauf erwiderte die Beschwerdeführerin, auch heute noch sei eine gesonderte Inrechnungstellung möglich. Es lebten noch sieben Bewohner in der Einrichtung, die auch schon im streitgegenständlichen Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 dort wohnten. Es erscheine außerordentlich bizarr, dass das vorliegende Verfahren in der Sozialgerichtsbarkeit des Landes Sachsen-Anhalt nahezu zehn Jahre äußerst dilatorisch betrieben werde, um dann anzufragen, ob nicht möglicherweise der Prozess mangels Rechtsschutzbedürfnis durch den Tod der pflegebedürftigen Bewohner der Einrichtung eine elegante Erledigung gefunden habe. Hierauf stellte die Berichterstatterin mit Schreiben vom 19. Januar 2010 klar, dass sich ihre Anfrage darauf bezogen habe, ob Kosten für zurückliegende Zeiträume erhöht werden könnten und hierzu gegebenenfalls vertragliche Belege vorzulegen. Außerdem entschuldigte sie sich für die lange Verfahrensdauer, die auf die anhaltende starke Überlastung der Sozialgerichtsbarkeit zurückzuführen sei. Sie bat nochmals um die Vorlage von Belegen, dass auch heute den Bewohnern noch Kosten aus dem Zeitraum 1999/2000 in Rechnung gestellt werden könnten.

5

Die Beschwerdeführerin hat hierauf am 2. Februar 2010 Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie rügt, es stehe zu befürchten, dass nach mittlerweile fast zehn Jahren gerichtlicher Untätigkeit eine weitere Entscheidung hinausgezögert werden solle. Die Anfrage des Landessozialgerichts vom 23. Dezember 2009 lasse vermuten, dass dieses nunmehr beabsichtige, den Tod der letzten Bewohner abzuwarten, um somit eine Entscheidungsfindung vermeiden zu können.

6

Mit Schreiben vom 2. März 2010 bat die Beschwerdeführerin das Landessozialgericht die Verfügung vom 19. Januar 2010 bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen, worauf das Gericht nochmals an die Erledigung der Verfügungen vom 23. Dezember 2009 und 19. Januar 2010 erinnerte. Mit Schreiben vom 15. März 2010 erinnerte das Gericht dann im Hinblick auf die Verfahrensdauer nochmals an die Erledigung der Verfügungen. Am 18. März 2010 bat die Beschwerdeführerin um Fristverlängerung bis zum 6. April 2010 für die Erledigung der Verfügungen. Mit Schriftsatz vom 6. April 2010 schließlich legte sie den Heimvertrag erstmals vor und verwies auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 6. September 2007, in dem in einem ähnlich gelagerten Fall das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage gegen das Land bejaht worden sei. Am 11. Mai 2010 wies das Landessozialgericht - das Rechtsschutzbedürfnis bejahend - die Berufung durch Urteil zurück.

II.

7

Die Staatskanzlei Sachsen-Anhalt hat am 30. September 2010 eine Stellungnahme abgegeben und hierin einen Grundrechtsverstoß wegen überlanger Verfahrensdauer verneint. Das Ministerium für Gesundheit und Soziales des Landes Sachsen-Anhalt hat von einer Stellungnahme abgesehen.

III.

8

1. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit sie sich gegen die Unterlassung gerichtlicher Tätigkeit durch das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt richtet, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine insoweit stattgebende Kammerentscheidung sind gegeben. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Grundsätze sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Danach ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet.

9

Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

10

Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 genannten Rechte angezeigt, soweit sie sich gegen die Gesamtverfahrensdauer und gegen die Handhabung des Verfahrens durch das Landessozialgericht richtet. Zwar hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 2. März 2010 beantragt, das Verfahren auszusetzen, bis über die Verfassungsbeschwerde entschieden ist. Das spricht gegen ein dringendes Interesse an einer zeitnahen Entscheidung des Rechtstreits. Allerdings hat die Beschwerdeführerin auch auf ihre mittel- bis langfristigen ökonomischen Planungen verwiesen, die durch den Ausgang des Rechtstreits fundamental erschwert würden. Damit kann angenommen werden, dass das Verfahren vor dem BVerfG zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist.

11

2. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht, die Gerichte gegen jede behauptete Verletzung subjektiver Rechte durch ein Verhalten der öffentlichen Gewalt anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Wirksam ist nur ein zeitgerechter Rechtsschutz. Im Interesse der Rechtssicherheit sind strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit zu klären (vgl. BVerfGE 60, 253 <269>; 88, 118 <124>; 93, 1 <13>). Dem Grundgesetz lassen sich allerdings keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr eine Frage der Abwägung im Einzelfall (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 -, NJW 2008, S. 503). Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Frage, ab wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Natur des Verfahrens und die Bedeutung der Sache für die Parteien, die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Beteiligten, die Schwierigkeit der Sachmaterie, das den Beteiligten zuzurechnende Verhalten, insbesondere Verfahrensverzögerungen durch sie, sowie die gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, vor allem der Sachverständigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>). Dagegen kann sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Oktober 2003 - 1 BvR 901/03 -, NVwZ 2004, S. 334 <335>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris). Ferner haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris).

12

3. Das erstinstanzliche Verfahren hat über sechs Jahre gedauert. Eine gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, etwa gerichtlicher Sachverständiger, hat nicht zu einer Verzögerung beigetragen. Zur Schwierigkeit der Sachmaterie ist festzustellen, dass die aufgeworfenen Rechtsfragen nicht zum Alltagsgeschäft eines Sozialgerichts gehören und höchstrichterlich ungeklärt sind. Neben dem gerichtlichen Verfahren führten die Beteiligten offenbar Vergleichsverhandlungen. Die beiden Erörterungstermine wurden vom Sozialgericht mit Blick auf eine einvernehmliche Beendigung des Rechtsstreits durchgeführt.

13

Die lange Verfahrensdauer geht zum Teil auf Verhalten des beklagten Landes, zum Teil auf Verhalten der Beschwerdeführerin selbst und zum Teil auf Versäumnisse des Gerichts zurück. Fünf Monate gingen wegen der falschen Zuordnung des Schriftsatzes vom 30. Oktober 2000 im Sozialgericht verloren. Weitere zehn Monate verstrichen zwischen dem Schriftsatz der Beklagten vom 22. Mai 2001 und der Nachfrage des Gerichts zu dort angesprochenen Rechtsgrundlagen und einem Rahmenvertrag mit Verfügung vom 26. März 2002. Im Zeitraum 29. Juni 2001 (Eingang der Prozessvollmacht) und der nächsten Verfügung des/der Vorsitzenden vom 26. März 2002 kam es zu einem völligen Verfahrensstillstand.

14

Demgegenüber gehen mehr als neun Monate Verfahrensverzögerung zu Lasten der Beschwerdeführerin selbst. Zwei Monate verstrichen zwischen Klageerhebung und Klagebegründung. Vier Monate (Oktober 2003 bis Februar 2004) brauchte die Beschwerdeführerin, um das Gericht über dem Beklagten übergebene Unterlagen zu informieren. Über drei Monate benötigte die Beschwerdeführerin, um, wie im Erörterungstermin am 15. Juli 2004 vereinbart, getätigte Aufwendungen zu konkretisieren und zu belegen.

15

Auch das beklagte Land trug maßgeblich zur Verzögerung des Verfahrens bei. Im Zeitraum Februar 2003 bis Juli 2004, also 17 Monate lang, äußerte sich der Beklagte gegenüber dem Gericht trotz mehrfacher Aufforderung nicht zur Sache und gab erst im Erörterungstermin am 15. Juli 2004 zu Protokoll, dass er seine Rechtsauffassung in mehreren Punkten geändert habe.

16

Eine verfassungsrechtlich nicht hinnehmbare Untätigkeit des Sozialgerichts ist nach allem nicht anzunehmen. Ein Verfassungsverstoß ist nicht schon darin zu sehen, dass das Verfahren nicht in optimaler Weise gefördert wird. Dass es im Gerichtsablauf auch zu Pannen kommt, wie hier der falschen Zuordnung eines Schriftsatzes, begründet für sich keinen Grundrechtsverstoß. Der Verfahrensstillstand im Zeitraum 29. Juni 2001 bis 26. März 2002 ist zwar dem Gericht anzulasten, fällt aber in Anbetracht der danach eingetretenen und von den Beteiligten zu verantwortenden weiteren Verzögerungen nicht entscheidend ins Gewicht. Insgesamt hat das Verfahren erster Instanz zwar sehr lange gedauert, wurde aber im Hinblick auf außergerichtlich laufende Vergleichsverhandlungen auch von den Beteiligten selbst nicht energisch vorangetrieben. Dass das beklagte Land nach fünf Jahren zwei Änderungsbescheide erließ, spricht dafür, dass die Ermittlungen im sozialgerichtlichen Verfahren und die Erörterungstermine das Verfahren beförderten und, ebenso wie die parallel laufenden außergerichtlichen Verhandlungen, aus Sicht des beklagten Landes zu einer veränderten Sachlage führten. In Abwägung sämtlicher Umstände, die zu der sehr langen Verfahrensdauer in erster Instanz führten, ist eine Grundrechtsverletzung durch das Sozialgericht hier noch zu verneinen.

17

4. In zweiter Instanz war das Verfahren etwas über drei Jahre und vier Monate anhängig, vom 10. Januar 2007 bis zum 11. Mai 2010. Fünf Monate vergingen allein zwischen der Einlegung der Berufung mit Schriftsatz vom 10. Januar 2007 und deren Begründung mit Schriftsatz vom 11. Juni 2007. Diesen Zeitraum kann die Beschwerdeführerin nicht als Untätigkeit dem Landessozialgericht anlasten. Nach Eingang der Berufungserwiderung am 27. Juli 2007, die der Beschwerdeführerin zur Kenntnis und eventuellen Stellungnahme übersandt wurde, erfolgten allerdings im Zeitraum 31. Juli 2007 bis 23. Dezember 2009 keinerlei verfahrensfördernde Maßnahmen seitens des Gerichts. Dieses reagierte lediglich auf Sachstandsanfragen und wies auf die Bearbeitung zahlreicher älterer (zeitlich) vorrangiger Verfahren hin. Diese zwei Jahre und fast fünf Monate blieb das Landessozialgericht untätig. Danach war die Nachfrage der Berichterstatterin nach einem Fortbestehen des Rechtschutzbedürfnisses durchaus naheliegend. Das fast zweieinhalbjährige Nichtbetreiben des Verfahrens durch das Landessozialgericht ist besonders gravierend, weil das Verfahren erster Instanz schon sehr lange gedauert hatte und sich hieraus eine besondere Pflicht zur Verfahrensbeschleunigung ergab. Denn die Gerichte haben auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>).

18

Das Landessozialgericht beantwortete Sachstandsanfragen unter Hinweis auf zahlreiche ältere Verfahren, deren Bearbeitung (zeitlich) vorrangig sei, darunter offenbar Parallelverfahren der Beschwerdeführerin aus den Jahren 2006 und 2007. Da sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen kann, die in seinem Verantwortungsbereich liegen, kann eine anhaltend starke Überlastung der Sozialgerichtsbarkeit eine überlange Verfahrensdauer nicht rechtfertigen. Zudem dauerte nach dem Jahresbericht 2009 des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt ein Verfahren zweiter Instanz im Jahr 2007 durchschnittlich 22,9 Monate, im Jahr 2008 durchschnittlich 24 Monate und im Jahr 2009 durchschnittlich 26,8 Monate. Damit benötigte das vorliegende Verfahren ohne Ermittlungstätigkeit des Gerichts länger als es der durchschnittlichen Verfahrensdauer in der Berufungsinstanz entspricht. In Abwägung all dieser Umstände spricht die fast zehnjährige Gesamtverfahrensdauer gegen die Gewährung effektiven Rechtsschutzes in zweiter Instanz.

19

5. Das mit der Verfassungsbeschwerde verfolgte Ziel der Beschwerdeführerin, eine Entscheidung in dem fachgerichtlichen Klageverfahren zweiter Instanz zu beschleunigen, hat sich inzwischen erledigt, nachdem am 11. Mai 2010 ein die Berufung zurückweisendes Urteil des Landessozialgerichts ergangen ist. Damit ist insofern für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auch das Rechtsschutzbedürfnis entfallen.

20

Erledigt sich im Verlauf des verfassungsgerichtlichen Verfahrens das eigentliche Rechtsschutzanliegen des Beschwerdeführers in der Hauptsache, besteht das Rechtsschutzbedürfnis jedoch dann fort, wenn der gerügte Grundrechtseingriff besonders schwer wiegt (vgl. BVerfGE 104, 220 <232 f.>; 105, 239 <246>), wenn die gegenstandslos gewordene Maßnahme den Beschwerdeführer weiter beeinträchtigt (vgl. BVerfGE 91, 125 <133>; 99, 129 <138>) oder wenn eine Gefahr der Wiederholung des Grundrechtseingriffs besteht (vgl. BVerfGE 91, 125 <133>; 103, 44 <58 ff.>). Besonders gewichtig ist eine Grundrechtsverletzung, die auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, von der Ausübung von Grundrechten abzuhalten (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Juli 2008 - 1 BvR 547/06 -, juris, Rn. 28). Eine geltend gemachte Verletzung hat ferner dann besonderes Gewicht, wenn sie auf einer groben Verkennung des durch ein Grundrecht gewährten Schutzes oder einem geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen beruht oder rechtsstaatliche Grundsätze krass verletzt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Juli 2008 - 1 BvR 547/06 -, juris, Rn. 28).

21

Eine Wiederholungsgefahr ist, ungeachtet der Frage, ob Parallelverfahren der Beschwerdeführerin in der Berufung noch anhängig sind, schon mit Blick auf die Rechtfertigung der überlangen Verfahrensdauer allein mit der Belastung des Gerichts zumindest nicht auszuschließen. Die wirtschaftliche Bedeutung für die Beschwerdeführerin bestand in erster Linie in der Führung eines Grundsatzstreits zur Frage, ob das Land der in Ansatz gebrachten gesonderten Berechnung verschiedener Posten zuzustimmen habe. Die Beschwerdeführerin macht plausibel geltend, die lange Verfahrensdauer erschwere ihre mittel- bzw. langfristigen ökonomischen Planungen. Das wirtschaftliche Interesse im konkreten Rechtstreit ist mit maximal 96.525 € anzusetzen, dem Betrag, der sich aus der Multiplikation des geforderten pflegetäglichen Betrags von 4,95 € mit der Anzahl der Tage im Zeitraum 6. Dezember 1999 bis 31. Dezember 2000 (390) und der Anzahl der Bewohnerplätze im Seniorenheim (50) ergibt. Ein fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis der Beschwerdeführerin an der Verfassungsbeschwerde ist zu bejahen, auch weil die gegenstandslos gewordene Maßnahme sie insofern immer noch weiter beeinträchtigt, als das Verfahren auch nach jetzt zehneinhalb Jahren immer noch nicht abgeschlossen und nunmehr in der Revision beim Bundessozialgericht anhängig ist.

22

6. Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts erfolgt nach § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>). Der Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit beträgt, wenn der Verfassungsbeschwerde durch die Kammer stattgegeben wird, in der Regel 8.000 € (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 29. September 2010 - 1 BvR 2649/06 -, juris, Rn. 36). Die Kammer sieht im vorliegenden Fall einer teilweisen Stattgabe keinen Anlass, von diesem Regelwert abzuweichen.

23

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.

(2) Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet diese Vorschrift keine Anwendung.

(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.

14
Aber bb) auch im Übrigen - außerhalb des Anwendungsbereichs von § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB - erlangt der verfassungsrechtliche Grundsatz richterlicher Unabhängigkeit seine Bedeutung. Der gegenteiligen Meinung des Klägers , der in seiner Revisionserwiderung die Auffassung vertritt, aus der Verpflichtung zur Entscheidung in angemessener Zeit (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 6 Abs. 1 EMRK) folge, dass das Gericht die Prozessführung nach dem Zeitfaktor auszurichten, das heißt bei verschiedenen Möglichkeiten der Verfahrensgestaltung zugunsten der das Verfahren schneller abschließenden Alternative zu entscheiden habe, wobei Art. 97 Abs. 1 GG insoweit ohne Bedeutung sei, folgt der Senat nicht. Die zügige Erledigung eines Rechtsstreits ist kein Selbstzweck. Vielmehr verlangt gerade das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitge- genstands durch das dazu berufene Gericht (BVerfGE 54, 277, 291; 85, 337, 345; BVerfG NJW 1997, 2811, 2812; NJW 1999, 2582, 2583). Insoweit ist die sachgerechte Führung eines Prozesses - abgesehen von zwingenden gesetzlichen Vorgaben - in das Ermessen der verantwortlichen Richter gestellt (vgl. BVerfGE 55, 349, 369 zur Terminierung der mündlichen Verhandlung; siehe auch BVerfG EuGRZ 1982, 75). Hierbei kann die Verfahrensführung - im Ergebnis nicht anders als es der Senat in ständiger Rechtsprechung in anderem Zusammenhang bereits für bestimmte staatsanwaltschaftliche Handlungen, bei denen ein Beurteilungsspielraum des Entscheidungsträgers besteht (vgl. Urteil vom 21. April 1988 - III ZR 255/86, NJW 1989, 96, 97; Beschluss vom 27. September 1990 - III ZR 314/89, BGHR BGB § 839 Abs. 1 Satz 1 Staatsanwalt 3; Urteile vom 16. Oktober 1997 - III ZR 23/96, NJW 1998, 751, 752; und 18. Mai 2000 - III ZR 180/99, VersR 2001, 586, 587), aber auch für bestimmte richterliche Maßnahmen außerhalb des Anwendungsbereichs des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB (vgl. Urteile vom 29. April 1993 - III ZR 3/92, BGHZ 122, 268, 271; und 21. Juli 2005 - III ZR 21/05, BeckRS 2005, 09404; Beschluss vom 21. Dezember 2005 - III ZA 5/05, juris Rn. 12) entschieden hat - im Amtshaftungsprozess nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft werden. Letztere darf nur verneint werden, wenn bei voller Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Zivilrechtspflege das richterliche Verhalten nicht mehr verständlich ist (Senat, Urteil vom 21. April 1988, aaO; Beschluss vom 27. September 1990 aaO). Bei der insoweit anzustellenden Bewertung darf der Zeitfaktor - zumal sich bei zunehmender Verfahrensdauer die Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Förderung und Beendigung des Verfahrens zu bemühen, verdichtet (vgl. nur BVerfG NJW 2001, 214, 215; NJW 2004, 3320; NJW 2005, 739; NJW 2008, 503, 504) - selbstverständlich nicht ausgeblendet werden; er ist aber nicht der allein entscheidende Maßstab.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 136/02 Verkündet am:
15. März 2004
Vondrasek
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO §§ 286 B, 287, 288, 290
Ein Geständnis in einem Strafverfahren entfaltet in einem Zivilprozeß nicht die
Wirkungen der §§ 288, 290 ZPO, stellt aber im Rahmen der freien Beweiswürdigung
nach § 286 ZPO ein wichtiges Indiz für die Wahrheit der zugestandenen
Tatsachen dar. Das Gericht darf diesen Beweis nur als geführt ansehen, wenn
es zuvor alle für die Unrichtigkeit des Geständnisses angetretenen Beweise
erhoben hat.
BGH, Urteil vom 15. März 2004 - II ZR 136/02 -OLG Hamburg
LG Hamburg
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 15. März 2004 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht
und die Richter Prof. Dr. Goette, Kraemer, Dr. Graf und Dr. Strohn

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 7. März 2002 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Der Kläger ist ein Verein, dessen Zweck darin besteht, die Volksfestveranstaltungen auf dem Heiligengeistfeld in H. sowie die Veranstaltungen anläßlich der Feier des Hafengeburtstags durch Werbemaßnahmen zu fördern. Der Beklagte war Oberregierungsrat und leitete in der H. Senatsverwaltung das Referat "Volksfeste, Sonderveranstaltungen und Märkte", das sog. Domreferat. Er war zeitweise auch Vorstandsmitglied des Klägers. Die übrigen Vorstandsmitglieder sind Schausteller. Wegen deren häufiger Ortsabwesenheit
wurden die Geschäfte des Vereins weitgehend von dem Beklagten geführt, auch nachdem er nicht mehr dem Vorstand angehörte.
Der Kläger verlangt von dem Beklagten Schadensersatz in Höhe von 286.191,69 DM. Dazu behauptet er, der Beklagte habe in 28 Fällen ohne Zustimmung des Vorstands Vereinsgelder für eigene Zwecke oder zugunsten ihm nahe stehender Personen verwandt. Unter anderem wegen dieser Vorwürfe hat gegen den Beklagten ein Strafverfahren stattgefunden, in dem er ein umfassendes Geständnis abgelegt hat und daraufhin wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden ist.
Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß zum Schadensersatz verurteilt. Seine Berufung ist erfolglos geblieben. Dagegen richtet sich die Revision des Beklagten.

Entscheidungsgründe:


Die Revision ist begründet.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Beklagte sei gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB, 266 Abs. 1 StGB zum Schadensersatz in dem eingeklagten Umfang verpflichtet. Daß er den Tatbestand der Untreue erfüllt habe, stehe fest aufgrund seines Geständnisses in dem Strafverfahren. Zwar sei dieses Geständnis für den Zivilprozeß nicht bindend. Gleichwohl führe die Beweiswürdigung dazu, daß der Beklagte an dem Geständnis festzuhalten sei. Damit stehe auch der Umfang des Schadens fest.
II. Diese Ausführungen sind nicht frei von Rechtsfehlern. Das Berufungs- gericht hat den Prozeßstoff nicht erschöpfend ausgewertet.
1. Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, daß ein in einem anderen Prozeß abgelegtes Geständnis nicht die Wirkungen der §§ 288, 290 ZPO entfaltet, sondern lediglich im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO als Indiz für die Wahrheit der zugestandenen Tatsachen zu berücksichtigen ist (BGH, Urt. v. 30. Oktober 1984 - IX ZR 6/84, VersR 1985, 83, 85; Urt. v. 15. Juni 1994 - XII ZR 128/93, NJW 1994, 3165, 3167; BAG, Urt. v. 9. Februar 1995 - 2 AZR 389/94, NJW 1996, 1299, 1300; Stein/Jonas/Leipold, ZPO 21. Aufl. § 288 Rdn. 24, § 290 Rdn. 9; MünchKommZPO/Prütting, 2. Aufl. § 288 Rdn. 37, § 290 Rdn. 3). In diesem Rahmen kann das Geständnis eine so große Beweiskraft entfalten, daß es zur richterlichen Überzeugungsbildung auch dann ausreicht, wenn es widerrufen worden ist und die beweisbelastete Gegenpartei keine weiteren Beweismittel vorgebracht hat.
2. Das Berufungsgericht hat aber den im Zivilprozeßrecht geltenden Grundsatz der Pflicht zur Erschöpfung der angebotenen Beweismittel nicht beachtet. Danach darf das Gericht seiner Entscheidung keine für eine Partei ungünstige Tatsache zugrunde legen, ohne zuvor alle von dieser Partei dazu angebotenen Gegenbeweise erhoben zu haben, sofern nicht ein verfahrens- oder beweisrechtlicher Grund zur Ablehnung des Beweisantrags vorliegt (BVerfG, Beschl. v. 8. November 1978 - 1 BvR 158/78, NJW 1979, 413; BGHZ 53, 245, 259 f.; BGH, Urt. v. 29. Oktober 1996 - XI ZR 319/95, NJW-RR 1997, 238; Urt. v. 18. November 2003 - XI ZR 332/02, ZIP 2004, 159, 162).
Gegen diesen Grundsatz hat das Berufungsgericht verstoßen. Es hat versäumt, die von dem Beklagten angebotenen Beweise zu erheben. Der Beklagte hat die Vorwürfe des Klägers bestritten und dazu in den mit der Revisionsbegründung aufgezeigten Fällen Beweis angetreten. Er hat dieses Bestreiten auch nach seinem Geständnis in dem Strafverfahren aufrechterhalten. So hat er zur Begründung seiner Berufung nach der strafgerichtlichen Verurteilung vorgetragen, daß er an seinen Einwendungen festhalte. In dem Schriftsatz vom 4. Dezember 2001 hat er erklärt, daß er sein Geständnis aus dem Strafverfahren in allen Punkten widerrufe.
Damit hätte das Berufungsgericht die von dem Beklagten angetretenen Beweise erheben müssen. Das Vorbringen des Beklagten war erheblich. Dabei kommt es nicht darauf an, ob den angeblichen Auftragsvergaben Vorstandsbeschlüsse zugrunde gelegen haben. Eine zum Schadensersatz verpflichtende Untreue des Beklagten würde bereits dann ausscheiden, wenn den von ihm veranlaßten Zahlungen gleichwertige und dem Kläger nützliche Gegenleistungen entsprochen hätten.
Dieser Beweisaufnahme standen verfahrens- oder beweisrechtliche Gründe nicht entgegen. Auch war sie nicht nach § 287 ZPO entbehrlich. Diese Vorschrift bezieht sich nur auf die Höhe der Forderung, nicht auf den Haftungsgrund (BGH, Urt. v. 28. April 1982 - IVa ZR 8/81, NJW 1983, 998). Hier aber geht es um die Frage, ob der Beklagte in den streitigen Fällen jeweils eine unerlaubte Handlung begangen hat.
3. Soweit der Beklagte hinsichtlich einzelner Fälle keinen Beweis angetreten oder nur eine nach §§ 445 ff. ZPO unzulässige Parteivernehmung beantragt hat, war das Verfahren des Berufungsgerichts ebenfalls fehlerhaft. Der
Beklagte hat sich auch insoweit zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen im einzelnen erklärt. Dieses Vorbringen hätte das Berufungsgericht würdigen müssen. Der pauschale Hinweis auf das Geständnis in dem Strafverfahren reichte dazu nicht aus.
III. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die Würdigung des Vortrags des Beklagten und die Beweisaufnahme nachgeholt werden können.
Röhricht Goette Kraemer
Graf Strohn

(1) Die regelmäßige Verjährungsfrist beginnt, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem

1.
der Anspruch entstanden ist und
2.
der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.

(2) Schadensersatzansprüche, die auf der Verletzung des Lebens, des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit beruhen, verjähren ohne Rücksicht auf ihre Entstehung und die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Begehung der Handlung, der Pflichtverletzung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an.

(3) Sonstige Schadensersatzansprüche verjähren

1.
ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in zehn Jahren von ihrer Entstehung an und
2.
ohne Rücksicht auf ihre Entstehung und die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Begehung der Handlung, der Pflichtverletzung oder dem sonstigen, den Schaden auslösenden Ereignis an.
Maßgeblich ist die früher endende Frist.

(3a) Ansprüche, die auf einem Erbfall beruhen oder deren Geltendmachung die Kenntnis einer Verfügung von Todes wegen voraussetzt, verjähren ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 30 Jahren von der Entstehung des Anspruchs an.

(4) Andere Ansprüche als die nach den Absätzen 2 bis 3a verjähren ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in zehn Jahren von ihrer Entstehung an.

(5) Geht der Anspruch auf ein Unterlassen, so tritt an die Stelle der Entstehung die Zuwiderhandlung.

(1) Das Gericht kann die Einnahme des Augenscheins sowie die Hinzuziehung von Sachverständigen anordnen. Es kann zu diesem Zweck einer Partei oder einem Dritten die Vorlegung eines in ihrem oder seinem Besitz befindlichen Gegenstandes aufgeben und hierfür eine Frist setzen. Es kann auch die Duldung der Maßnahme nach Satz 1 aufgeben, sofern nicht eine Wohnung betroffen ist.

(2) Dritte sind zur Vorlegung oder Duldung nicht verpflichtet, soweit ihnen diese nicht zumutbar ist oder sie zur Zeugnisverweigerung gemäß den §§ 383 bis 385 berechtigt sind. Die §§ 386 bis 390 gelten entsprechend.

(3) Die Vorschriften, die eine auf Antrag angeordnete Einnahme des Augenscheins oder Begutachtung durch Sachverständige zum Gegenstand haben, sind entsprechend anzuwenden.

(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.

(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.

(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.

(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.

(1) Das Gericht kann die Einnahme des Augenscheins sowie die Hinzuziehung von Sachverständigen anordnen. Es kann zu diesem Zweck einer Partei oder einem Dritten die Vorlegung eines in ihrem oder seinem Besitz befindlichen Gegenstandes aufgeben und hierfür eine Frist setzen. Es kann auch die Duldung der Maßnahme nach Satz 1 aufgeben, sofern nicht eine Wohnung betroffen ist.

(2) Dritte sind zur Vorlegung oder Duldung nicht verpflichtet, soweit ihnen diese nicht zumutbar ist oder sie zur Zeugnisverweigerung gemäß den §§ 383 bis 385 berechtigt sind. Die §§ 386 bis 390 gelten entsprechend.

(3) Die Vorschriften, die eine auf Antrag angeordnete Einnahme des Augenscheins oder Begutachtung durch Sachverständige zum Gegenstand haben, sind entsprechend anzuwenden.

(1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben.

(2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären.

(3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht.

(4) Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind.

(1) Das Gericht kann die Einnahme des Augenscheins sowie die Hinzuziehung von Sachverständigen anordnen. Es kann zu diesem Zweck einer Partei oder einem Dritten die Vorlegung eines in ihrem oder seinem Besitz befindlichen Gegenstandes aufgeben und hierfür eine Frist setzen. Es kann auch die Duldung der Maßnahme nach Satz 1 aufgeben, sofern nicht eine Wohnung betroffen ist.

(2) Dritte sind zur Vorlegung oder Duldung nicht verpflichtet, soweit ihnen diese nicht zumutbar ist oder sie zur Zeugnisverweigerung gemäß den §§ 383 bis 385 berechtigt sind. Die §§ 386 bis 390 gelten entsprechend.

(3) Die Vorschriften, die eine auf Antrag angeordnete Einnahme des Augenscheins oder Begutachtung durch Sachverständige zum Gegenstand haben, sind entsprechend anzuwenden.

Die Beweisaufnahme und die Anordnung eines besonderen Beweisaufnahmeverfahrens durch Beweisbeschluss wird durch die Vorschriften des fünften bis elften Titels bestimmt. Mit Einverständnis der Parteien kann das Gericht die Beweise in der ihm geeignet erscheinenden Art aufnehmen. Das Einverständnis kann auf einzelne Beweiserhebungen beschränkt werden. Es kann nur bei einer wesentlichen Änderung der Prozesslage vor Beginn der Beweiserhebung, auf die es sich bezieht, widerrufen werden.

Für den Beweis durch Sachverständige gelten die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend, insoweit nicht in den nachfolgenden Paragraphen abweichende Vorschriften enthalten sind.

Die Partei kann auf einen Zeugen, den sie vorgeschlagen hat, verzichten; der Gegner kann aber verlangen, dass der erschienene Zeuge vernommen und, wenn die Vernehmung bereits begonnen hat, dass sie fortgesetzt werde.

(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.

(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.

(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.

(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.

(1) Das Gericht kann die Einnahme des Augenscheins sowie die Hinzuziehung von Sachverständigen anordnen. Es kann zu diesem Zweck einer Partei oder einem Dritten die Vorlegung eines in ihrem oder seinem Besitz befindlichen Gegenstandes aufgeben und hierfür eine Frist setzen. Es kann auch die Duldung der Maßnahme nach Satz 1 aufgeben, sofern nicht eine Wohnung betroffen ist.

(2) Dritte sind zur Vorlegung oder Duldung nicht verpflichtet, soweit ihnen diese nicht zumutbar ist oder sie zur Zeugnisverweigerung gemäß den §§ 383 bis 385 berechtigt sind. Die §§ 386 bis 390 gelten entsprechend.

(3) Die Vorschriften, die eine auf Antrag angeordnete Einnahme des Augenscheins oder Begutachtung durch Sachverständige zum Gegenstand haben, sind entsprechend anzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 255/17 Verkündet am:
27. Februar 2019
Ermel,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Es steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, ob es nach § 144 Abs. 1
Satz 1 ZPO ein Sachverständigengutachten ohne Antrag des Beweispflichtigen
von Amts wegen einholt; dies befreit die Partei jedoch nicht von ihrer Darlegungsund
Beweislast (im Anschluss an BGH, Urteil vom 9. Dezember 2014 - X ZR
13/14, juris Rn. 34).

b) Daher ist es regelmäßig nicht ermessensfehlerhaft, wenn der Tatrichter, nachdem
er zuvor auf die Erforderlichkeit eines entsprechenden Beweisantrags hingewiesen
hat, wegen des offen ausgesprochenen entgegenstehenden Willens der beweisbelasteten
Partei von der Einholung eines Sachverständigengutachtens von
Amts wegen absieht.

a) Nach der Zurückverweisung des Rechtsstreits durch das Revisionsgericht darf das
Berufungsgericht in der wiedereröffneten Berufungsverhandlung auch neue Angriffs
- und Verteidigungsmittel in den Grenzen des § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO zulassen
(im Anschluss an BGH, Urteil vom 2. April 2004 - V ZR 107/03, NJW 2004,
2382 unter II 4 a; Beschluss vom 23. August 2016 - VIII ZR 178/15, NJW-RR
2017, 72 Rn. 19).

b) Eine fehlerhafte Berücksichtigung von neuem Tatsachenvortrag durch das Berufungsgericht
unterliegt nicht der revisionsrechtlichen Nachprüfung (st. Rspr.; vgl.
ECLI:DE:BGH:2019:270219UVIIIZR255.17.0

BGH, Urteile vom 6. Dezember 2007 - III ZR 146/07, NJW-RR 2008, 459 Rn. 10; vom 2. März 2005 - VIII ZR 174/04, NJW-RR 2005, 866 unter II 1; jeweils mwN). BGH, Urteil vom 27. Februar 2019 - VIII ZR 255/17 - LG Mainz AG Mainz
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum 30. Januar 2019 durch die Richterin Dr. Fetzer als Vorsitzende, die Richterin Dr. Hessel sowie die Richter Dr. Bünger, Kosziol und Dr. Schmidt
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 25. Oktober 2017 wird zurückgewiesen. Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen. Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Beklagte ist seit 2010 Mieterin einer im Dachgeschoss gelegenen Dreizimmerwohnung der Klägerin in Mainz. Mit Schreiben vom 26. August 2014 verlangte die Klägerin die Zustimmung der Beklagten zu einer Erhöhung der seit Mietbeginn unveränderten monatlichen Nettokaltmiete von 738 € auf 798,62 €, beginnend mit dem 1. November 2014, was die Beklagte verweigerte.
2
Im Mietvertrag ist eine bestimmte Wohnfläche nicht vereinbart. In dem Mieterhöhungsverlangen heißt es unter anderem: "Die Mietsache […] ist im Jahre 1998 fertiggestellt worden und hat eine Wohnfläche von 92,54 qm. Die von Ihnen angemietete MaisonetteWohnung ist in das Mietspiegelfeld "gut" einzuordnen, wonach bis zu 9,36 € pro Quadratmeter ortsüblich sind. Die aktuelle Nettokaltmiete beträgt 7,97 € pro Quadratmeter monatlich, insgesamt 738,00 €. Diese Miete wird um 0,66 € pro Quadratmeter Wohnfläche erhöht, so dass die neue Nettokaltmiete sich auf 8,63 € pro Quadratmeter, das bedeutet auf 798,62 € monatlich beläuft. […]"
3
Das Amtsgericht hat die auf Zustimmung zur Mieterhöhung gerichtete Klage abgewiesen. Die dagegen von der Klägerin eingelegte Berufung ist erfolglos geblieben. Auf die Revision der Klägerin hat der Senat (Urteil vom 31. Mai 2017 - VIII ZR 181/16, NJW-RR 2017, 842) die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren hat die Beklagte nunmehr eine Berechnung vorgelegt, nach der die Wohnfläche nur 80,674 qm beträgt. Der Klägervertreter hat dem Berufungsgericht auf Nachfrage mitgeteilt, einen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht stellen zu wollen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin erneut zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

4
Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

5
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
6
Da die für die Wohnungsgröße beweisbelastete Klägerin keinen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens gestellt habe, obwohl die Beklagte eine um ca. 11 qm abweichende Berechnung der Wohnungsgröße vorgelegt habe, sei die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Amtsgerichts erneut zurückzuweisen.
7
Zwar habe die Beklagte die erstinstanzlich von der Klägerin vorgetragene Wohnfläche von 92,54 qm im ersten Durchlauf des Berufungsverfahrens nicht substantiiert bestritten. Nach § 138 Abs. 3 ZPO werde ein Geständnis fingiert, allerdings ohne eine Bindungswirkung wie in der Vorschrift des § 290 ZPO vorgesehen , so dass ein späteres Bestreiten zulässig bleibe. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren habe die Beklagte die Wohnungsgröße aber nunmehr substantiiert bestritten, indem sie eine eigene Berechnung vorgelegt habe, wonach die Wohnfläche lediglich 80,674 qm betrage.
8
Dabei handele es sich um eine im Berufungsverfahren neu vorgebrachte Tatsache gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, die jedoch gemäß § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zulässig sei. Denn hätte das Berufungsgericht die später vom Bundesgerichtshof für zutreffend erachtete Rechtsauffassung, nämlich dass ein unsubstantiiertes Bestreiten der Beklagten und damit ein Fall des § 138 Abs. 3 ZPO vorliege, bereits früher geteilt, dann hätte ein entsprechender Hinweis an die Beklagte erfolgen und ihr Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden müssen.
9
Weil nunmehr ein substantiiertes Bestreiten der Wohnungsgröße durch die Beklagte vorliege, das in der wiedereröffneten Berufungsinstanz zu berücksichtigen sei, und da die Klägerin die tatsächliche Größe der Wohnung zu beweisen habe, sie es aber trotz ausdrücklichen Hinweises und Befragens des Berufungsgerichts im Termin zur mündlichen Verhandlung am 19. September 2017 ausdrücklich abgelehnt habe, einen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Größe der Wohnfläche zu stellen, sei sie insoweit beweisfällig geblieben.
10
Daher sei die Klage auf Zustimmung zur Mieterhöhung im Ergebnis zu Recht abgewiesen worden.

II.

11
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung stand; die Revision ist daher zurückzuweisen.
12
Zu Recht hat das Berufungsgericht die Klägerin für die tatsächliche Wohnungsgröße als beweisfällig angesehen und folgerichtig einen Anspruch der Klägerin auf Zustimmung zu der begehrten Mieterhöhung (§ 558 Abs. 1 BGB) rechtsfehlerfrei verneint.
13
1. Dabei ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen,dass gemäß § 558 Abs. 1 Satz 1 BGB der Vermieter die Zustimmung zur Erhöhung der Miete bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete verlangen kann, wenn die Miete - wie hier - in dem Zeitpunkt, zu dem die Erhöhung eintreten soll, seit 15 Monaten unverändert ist und dass für die Berechnung der Mieterhöhung gemäß § 558 Abs. 1 BGB wie auch für den hiernach vorzunehmenden Abgleich mit der ortsüblichen Vergleichsmiete (§ 558 Abs. 2 Satz 1 BGB) die tatsächliche Größe der vermieteten Wohnung maßgeblich ist (Senatsurteile vom 18. November 2015 - VIII ZR 266/14, BGHZ 208, 18 Rn. 10; vom 31. Mai 2017 - VIII ZR 181/16, aaO Rn. 10 f.).
14
2. Wie auch die Revision nicht verkennt, liegt die Beweislast für die in Ansatz zu bringende tatsächliche Wohnungsgröße nach allgemeinen Grundsätzen bei der Klägerin als Vermieterin der Wohnung, die eine Mieterhöhung verlangt (Senatsurteil vom 31. Mai 2017 - VIII ZR 181/16, aaO Rn. 13). Den Beweis für die von ihr vorgetragene Wohnfläche von 92,54 qm hat die Klägerin indes nicht erbracht.
15
Nachdem die Beklagte die von der Klägerin vorgetragene Wohnungsgröße von 92,54 qm unter Vorlage des Messergebnisses der einzelnen Räume und einer sich hieraus nach ihrer Berechnung ergebenden Wohnfläche von 80,674 qm substantiiert bestritten hatte, oblag es daher der Klägerin, Beweis für die Richtigkeit der von ihr behaupteten Größe der Wohnung anzutreten. Dies hat sie versäumt. Die - anwaltlich vertretene - Klägerin hat im Termin zur mündlichen Berufungsverhandlung vom 19. August 2017 auf Nachfrage des Berufungsgerichts , ob sie die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Größe der Wohnfläche beantragen wolle, die Stellung eines solchen Beweisantrags ausdrücklich abgelehnt und auch kein anderes Beweismittel angeboten.
16
a) Das Berufungsgericht hat den in der wiedereröffneten Berufungsverhandlung erstmalig von der Beklagten gehaltenen substantiierten Vortrag einer um ca. 11 qm vom Klägervortrag abweichenden Wohnfläche zutreffend gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 2, § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO als berücksichtigungsfähig zugelassen. Dies ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, wovon auch die Revision ausgeht. Denn es ist bereits nicht erkennbar, dass das Berufungsgericht die Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO unzutreffend beurteilt hätte. Zudem könnte nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs selbst eine fehlerhafte Berücksichtigung von neuem Tatsachenvortrag mit der Revision nicht mit Erfolg gerügt werden (BGH, Urteile vom 6. Dezember 2007 - III ZR 146/07, NJW-RR 2008, 459 Rn. 10; vom 2. März 2005 - VIII ZR 174/04, NJW-RR 2005, 866 unter II 1; jeweils mwN). Damit oblag es der Klägerin, den Nachweis für die Richtigkeit der von ihr behaupteten Wohnfläche zu erbringen.
17
b) Entgegen der Auffassung der Revision war das Berufungsgericht nicht verpflichtet, den Vortrag der Beklagten zum Anlass zu nehmen, nach § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO von Amts wegen ein Sachverständigengutachten zur Ermittlung der tatsächlichen Wohnungsgröße einzuholen.
18
aa) Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann zwar das Gericht auch ohne Antrag des Beweispflichtigen die Begutachtung durch Sachverständige anordnen. Die Anordnung steht dabei im pflichtgemäßen Ermessen und kann auch nur hinsichtlich der Ausübung des Ermessens vom Revisionsgericht überprüft werden (BGH, Urteil vom 9. Dezember 2014 - X ZR 13/14, juris Rn. 34). Durch die Möglichkeit, ein Gutachten von Amts wegen einzuholen, sind die Parteien aber nicht von ihrer Darlegungs- und Beweislast befreit (BGH, Urteil vom 9. Dezember 2014 - X ZR 13/14, aaO). Dementsprechend ist ein Tatrichter, dem die erforderliche Sachkunde zur Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage fehlt und der davon absehen will, von Amts wegen gemäß § 144 ZPO sachverständige Hilfe in Anspruch zu nehmen, grundsätzlich nur gehalten, die beweisbelastete Partei auf die Notwendigkeit eines Beweisantrags nach § 403 ZPO hinzuweisen (BGH, Urteil vom 16. Oktober 1986 - III ZR 121/85, NJW 1987, 591 unter III 2; vgl. auch BGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - IV ZR 181/14, VersR 2015, 1119 Rn. 16).
19
Die Revision, die den Tatrichter trotz Erteilung eines solchen Hinweises allgemein verpflichtet sieht, bei mangelnder eigener Sachkunde von Amts wegen einen Sachverständigen hinzuziehen, verkennt, dass die Durchführung des Zivilprozesses einschließlich der Beweiserhebung von dem Grundsatz der Parteiherrschaft geprägt wird. Grundsätzlich bestimmen die Parteien darüber, worüber und mit welchen Erkenntnismitteln Beweis erhoben werden soll (Zöller /Greger, ZPO, 32. Aufl., Vor § 128 Rn. 10 ff., Vor § 284 Rn. 2). Danach obliegt es in erster Linie der beweisbelasteten Partei - hier der Klägerin - beziehungsweise ihrem Prozessbevollmächtigten, selbst darüber zu entscheiden, welche Beweismittel angeboten werden. Dies gilt insbesondere bei der Einho- lung eines grundsätzlich mit einem höheren Kostenaufwand verbundenen Sachverständigengutachtens, wie hier eines solchen zur Ermittlung der tatsächlichen Wohnfläche der vermieteten Wohnung. Vor diesem Hintergrund ist es regelmäßig nicht ermessensfehlerhaft, wenn der Tatrichter - wie auch im Streitfall - wegen des nach einem erteilten Hinweis auf die Erforderlichkeit eines entsprechenden Beweisantritts offen ausgesprochenen entgegenstehenden Willens der beweisbelasteten Partei von der amtswegigen Einholung eines Sachverständigengutachtens absieht (OLG München, NJW-RR 2014, 1123 f.; OLG Frankfurt am Main, NJW-RR 1993, 169 f.). Besondere Gründe, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten, zeigt die Revision nicht auf.
20
bb) Auch ansonsten hat das Berufungsgericht verfahrensfehlerfrei die Einholung eines Sachverständigengutachtens von Amts wegen unterlassen. Das Berufungsgericht war - entgegen der Auffassung der Revision - nicht gehalten , die Klägerin gemäß § 139 ZPO zu befragen, ob sie einen Auslagenvorschuss (vgl. § 17 Abs. 3 GKG) leisten oder hiervon absehen werde. Denn wenn eine anwaltlich vertretene Partei - wie hier - auf Nachfrage ausdrücklich erklärt, zu einer vom Gericht für beweisbedürftig erachteten Frage keinen Sachverständigenbeweis antreten zu wollen und gleichzeitig an ihrer abweichenden Auffassung festhält, dass die betreffende Behauptung wegen § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gelte, bringt sie damit zum Ausdruck, dass aus ihrer Sicht eine Beweiserhebung nicht erforderlich sei. Bei dieser Sachlage erübrigt sich die nachgeordnete Frage, ob die Partei zur Leistung eines Kostenvorschusses bereit wäre.
21
c) Schließlich musste das Berufungsgericht die Klägerseite - entgegen der Auffassung der Revision - auch nicht gemäß § 139 ZPO zusätzlich darauf hinweisen, dass das "Entscheidungsprogramm" des wiedereröffneten Berufungsverfahrens durch das vorangegangene Revisionsurteil des Senats in kei- ner Weise vorgezeichnet sei und es keine Bindung des Berufungsgerichts dahin gebe, dass es jetzt nur noch die Feststellungen zu den sonstigen Voraussetzungen des Mieterhöhungsverlangens zu treffen habe. Dass das Berufungsgericht auch nach der Zurückverweisung eines Rechtsstreits neue Angriffs- und Verteidigungsmittel in den Grenzen des § 531 Abs. 2 ZPO zulassen darf, entspricht gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. etwa BGH, Urteil vom 2. April 2004 - V ZR 107/03, NJW 2004, 2382 unter II 4 a; Senatsbeschluss vom 23. August 2016 - VIII ZR 178/15, NJW-RR 2017, 72 Rn. 19). Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 531 Abs. 2 ZPO, der keine Unterscheidung zwischen verschiedenen Stadien des Berufungsverfahrens trifft. Vor diesem Hintergrund war weder der Senat gehalten, in seinem in der vorliegenden Sache ergangenen Revisionsurteil vom 31. Mai 2017 (VIII ZR 181/16, aaO) auf diesen Gesichtspunkt gesondert einzugehen, noch das Berufungsgericht verpflichtet, der Klägerin einen entsprechenden Hinweis zu erteilen. Davon abgesehen hat das Berufungsgericht dem Klägervertreter ausweislich des Verhandlungsprotokolls unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass es das neue Beklagtenvorbringen zur tatsächlichen Wohnungsgröße berücksichtigen werde und die Klägerin nunmehr Beweis für die von ihr behauptete Wohnfläche anzutreten habe. Es hat also für alle Prozessbeteiligten erkennbar gerade nicht beabsichtigt, allein noch Feststellungen zu den sonstigen Voraussetzungen des Mieterhöhungsverlangens zu treffen.
22
3. Ebenfalls ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht die Klägerin für ihr Mieterhöhungsverlangen in voller Höhe als beweisfällig angesehen. Entgegen der Auffassung der Revision ist das Mieterhöhungsverlangen auch ausgehend von einer als ortsüblich anzusetzenden Mietspanne von "bis zu 9,36 €" pro qm nicht - auch nicht teilweise - in Höhe von 755,11 € (80,674 qm x 9,36 €) begründet.
23
Nach dem klaren Wortlaut des Mieterhöhungsverlangens der Klägerin vom 26. August 2014, das der Senat, weil weitere Feststellungen nicht in Betracht kommen, selbst auslegen kann (vgl. Senatsurteil vom 10. Dezember 2014 - VIII ZR 25/14, NJW 2015, 473 Rn. 29), sollte die Miete nicht um den obersten Wert der Spanne des Mietspiegelfeldes erhöht werden, sondern "um 0,66 € pro Quadratmeter Wohnfläche […], so dass die neue Nettokaltmiete sich auf 8,63 € pro Quadratmeter […] beläuft". Damithat die Klägerin die für die Wohnung angemessene Miete auf 8,63 € pro Quadratmeter festgelegtund gerade nicht den obersten Wert der Spanne angesetzt. Hiernach ergibt sich kein über die derzeitige Nettokaltmiete von 738 € hinausgehender Betrag.
Dr. Fetzer Dr. Hessel Dr. Bünger Kosziol Dr. Schmidt
Vorinstanzen:
AG Mainz, Entscheidung vom 18.03.2015 - 81 C 5/15 -
LG Mainz, Entscheidung vom 25.10.2017 - 3 S 61/15 -

(1) Das Gericht kann die Einnahme des Augenscheins sowie die Hinzuziehung von Sachverständigen anordnen. Es kann zu diesem Zweck einer Partei oder einem Dritten die Vorlegung eines in ihrem oder seinem Besitz befindlichen Gegenstandes aufgeben und hierfür eine Frist setzen. Es kann auch die Duldung der Maßnahme nach Satz 1 aufgeben, sofern nicht eine Wohnung betroffen ist.

(2) Dritte sind zur Vorlegung oder Duldung nicht verpflichtet, soweit ihnen diese nicht zumutbar ist oder sie zur Zeugnisverweigerung gemäß den §§ 383 bis 385 berechtigt sind. Die §§ 386 bis 390 gelten entsprechend.

(3) Die Vorschriften, die eine auf Antrag angeordnete Einnahme des Augenscheins oder Begutachtung durch Sachverständige zum Gegenstand haben, sind entsprechend anzuwenden.

43
Das Gericht hat dabei zu Recht darauf abgestellt, dass die streitgegenständlichen Verfahren für den Kläger ohne besondere Bedeutung waren. Zum Zeitpunkt der Klagezustellung sah sich der Kläger im Rahmen des Gesamtkomplexes "G. Gruppe" bereits 386 Verfahren mit einer Gesamtscha- densersatzforderung von 10.777.752, 53 € ausgesetzt. Es kommt hinzu, dass seine Vermögensverhältnisse zu diesem Zeitpunkt auf Grund nicht beglichener Steuerforderungen in Millionenhöhe desolat waren. Es stand mithin von vornherein fest, dass es auf die Vermögenslage des Klägers ohne spürbare Auswirkungen bleiben wird, ob er in den von ihm konkret "gegriffenen" zehn Verfahren obsiegen oder unterliegen wird. Der Kläger hat auch keine konkreten (psychischen oder physischen) Beeinträchtigungen geltend gemacht, die gerade auf die streitgegenständlichen Verfahren zurückzuführen waren. Seine Ausführungen in der Klageschrift erschöpfen sich darin, die durch den Gesamtkomplex "G. Gruppe" angeblich hervorgerufenen Belastungen in allgemeiner Form zu schildern. Macht der Betroffene - wie hier - Entschädigung für einzelne Verfahren aus einem umfangreichen Verfahrenskomplex geltend, muss er jedoch die konkreten Nachteile, die gerade durch die Dauer dieser Verfahren verursacht worden sein sollen, positiv behaupten. Nur dann kann der Anspruchsgegner den ihm obliegenden Beweis der Unrichtigkeit der aufgestellten Behauptungen führen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2011 - XI ZR 261/09, NJW 2011, 2130 Rn. 19 f).

Das Gericht kann die Verbindung mehrerer bei ihm anhängiger Prozesse derselben oder verschiedener Parteien zum Zwecke der gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung anordnen, wenn die Ansprüche, die den Gegenstand dieser Prozesse bilden, in rechtlichem Zusammenhang stehen oder in einer Klage hätten geltend gemacht werden können.

9
1. Von der Frage der Mutwilligkeit im Sinne von § 114 Satz 1 ZPO wird in erster Linie die verfahrensmäßige Geltendmachung des Anspruchs betroffen (vgl. BAG, NJW 2011, 1161 Rn. 8). Eine Rechtsverfolgung ist mutwillig, wenn eine wirtschaftlich leistungsfähige, also nicht bedürftige Partei bei sachgerechter und vernünftiger Einschätzung der Prozesslage von ihr Abstand nehmen oder ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde, weil ihr ein kostengünstigerer Weg offensteht und dieser Weg genauso Erfolg versprechend ist (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 10. März 2005 - XII ZB 20/04, NJW 2005, 1497 f und vom 6. Dezember 2010 - II ZB 13/09, NZI 2011, 104 Rn. 8; siehe auch BAG aaO Rn. 9; Hk-ZPO/Pukall, 5. Aufl., § 114 Rn. 19; Musielak /Fischer, ZPO, 10. Aufl., § 114 Rn. 30; Zöller/Geimer, ZPO, 30. Aufl., § 114 Rn. 30, 34 f). Mutwilligkeit im Sinne von § 114 Satz 1 ZPO liegt deshalb regelmäßig vor, wenn eine Partei keine nachvollziehbaren Sachgründe dafür vorbringt , warum sie eine Mehrzahl von Ansprüchen nicht in einer Klage geltend macht, oder nicht plausibel erklärt, aus welchen Gründen sie einen neuen Prozess anstrengt, obwohl sie das gleiche Klageziel kostengünstiger im Wege der Erweiterung einer bereits anhängigen Klage hätte erreichen können (BAG aaO Rn. 9; OLG Nürnberg, BeckRS 2010, 30507 jeweils mwN). Ein sein Kostenrisiko vernünftig abwägender Kläger, der die Prozesskosten aus eigenen Mitteln finanzieren muss, wird ein Verfahren nicht (weiter) betreiben, solange dieselben (Rechts-)Fragen bereits in anderen Verfahren anhängig sind (sog. unechte Musterverfahren). Er kann auf diesem Wege im Falle einer in seinem Sinne positiven Entscheidung - die gegebenenfalls erst durch das Revisionsgericht getroffen wird - vom Ausgang dieser Verfahren profitieren, ohne selbst einem (weiteren) Kostenrisiko zu unterliegen. Bei einem aus seiner Sicht negativen Ausgang des Musterverfahrens ist er nicht gehindert, sein Rechtsschutzziel im eigenen Verfahren weiter zu verfolgen (vgl. BVerfG, NJW 2010, 988 Rn. 10 f; Zöller/Geimer aaO Rn. 12a). Dieses Verständnis des Begriffs der Mutwilligkeit entspricht auch der ratio legis des § 114 Satz 1 ZPO. Prozesskostenhilfe kann nur für zweckentsprechende Rechtsverfolgung beziehungsweise Rechtsverteidigung verlangt werden. Einer Partei, die auf Kosten der Allgemeinheit prozessiert , muss zugemutet werden, zulässige Maßnahmen erst dann vorzunehmen, wenn dies wirklich notwendig ist (Zöller/Geimer aaO § 114 Rn. 30).
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Das Gericht hat dabei zu Recht darauf abgestellt, dass die streitgegenständlichen Verfahren für den Kläger ohne besondere Bedeutung waren. Zum Zeitpunkt der Klagezustellung sah sich der Kläger im Rahmen des Gesamtkomplexes "G. Gruppe" bereits 386 Verfahren mit einer Gesamtscha- densersatzforderung von 10.777.752, 53 € ausgesetzt. Es kommt hinzu, dass seine Vermögensverhältnisse zu diesem Zeitpunkt auf Grund nicht beglichener Steuerforderungen in Millionenhöhe desolat waren. Es stand mithin von vornherein fest, dass es auf die Vermögenslage des Klägers ohne spürbare Auswirkungen bleiben wird, ob er in den von ihm konkret "gegriffenen" zehn Verfahren obsiegen oder unterliegen wird. Der Kläger hat auch keine konkreten (psychischen oder physischen) Beeinträchtigungen geltend gemacht, die gerade auf die streitgegenständlichen Verfahren zurückzuführen waren. Seine Ausführungen in der Klageschrift erschöpfen sich darin, die durch den Gesamtkomplex "G. Gruppe" angeblich hervorgerufenen Belastungen in allgemeiner Form zu schildern. Macht der Betroffene - wie hier - Entschädigung für einzelne Verfahren aus einem umfangreichen Verfahrenskomplex geltend, muss er jedoch die konkreten Nachteile, die gerade durch die Dauer dieser Verfahren verursacht worden sein sollen, positiv behaupten. Nur dann kann der Anspruchsgegner den ihm obliegenden Beweis der Unrichtigkeit der aufgestellten Behauptungen führen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2011 - XI ZR 261/09, NJW 2011, 2130 Rn. 19 f).

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht Hildesheim - S 45 AS 185/07 (vormals: S 33 AS 185/07) - die Beschwerdeführer in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes) verletzt.

2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

3. Das Land Niedersachsen hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer zu 1) lebt gemeinsam mit seinen drei am 5. Mai 1992, am 17. Januar 1994 und am 28. Februar 2000 geborenen Kindern, den Beschwerdeführern zu 2) bis 4), in einer laut Mietvertrag 110 qm großen Wohnung zur Miete. Für die Unterkunft ist eine monatliche Bruttokaltmiete in Höhe von 848,18 € zu entrichten.

3

Im fachgerichtlich streitigen Zeitraum von Dezember 2006 bis Mai 2007 stellte der Grundsicherungsträger ein Recht des Beschwerdeführers zu 1) auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II fest. Ein solches Recht verneinte er hinsichtlich der Beschwerdeführer zu 2) bis 4), da diese ihren Bedarf aus eigenem Einkommen decken könnten (Bescheid vom 22. November 2006; Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheid vom 5. Februar 2007; Bescheid vom 7. Januar 2011).

4

2. Die Beschwerdeführer erhoben hiergegen am 14. Februar 2007 Klage, mit der sie die Gewährung höherer beziehungsweise überhaupt von Leistungen nach dem SGB II verfolgen. Im Wesentlichen beanstanden sie, dass hinsichtlich der Leistungen für Kosten der Unterkunft nicht von der Angemessenheit der monatlichen Bruttokaltmiete in Höhe von 848,18 € ausgegangen worden sei.

5

Nachdem die Klageerwiderung des Grundsicherungsträgers eingegangen war, verfügte das Sozialgericht am 21. März 2007 unter Hinweis auf ein vor einer anderen Kammer anhängiges Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Wiedervorlage der Akten in zwei Monaten. Am 1. Juni 2007 wurde deswegen die Wiedervorlage der Akten in drei Monaten, am 20. September 2007 in zwei Monaten und, nach Eingang eines Schreibens der Beschwerdeführer am 11. Oktober 2007, am Folgetag in drei Monaten verfügt. Noch im Oktober 2007 entschied sich das Sozialgericht nunmehr, die Ermittlungen dieser anderen Kammer in einem früher anhängigen Klageverfahren, bei dem um die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft für einen früheren Zeitraum gestritten wurde, abzuwarten. Die deswegen schließlich mit Verfügung vom 2. Juli 2008 durch das Sozialgericht angeregte Antragstellung auf Ruhen des Verfahrens lehnten die Beschwerdeführer mit am 14. Juli 2008 eingegangenem Schreiben ab. Danach beschränkte sich das Sozialgericht im Wesentlichen darauf, eingehende Schriftstücke der Verfahrensbeteiligten der jeweils anderen Seite zuzuleiten. Bei den hauptsächlich von den Beschwerdeführern ausgehenden Schreiben ging es inhaltlich im Wesentlichen darum, dass der Grundsicherungsträger bislang überhaupt keine Ermittlungen zur Angemessenheit der Kosten der Unterkunft angestellt habe. Ferner führten die Beschwerdeführer regelmäßig Entscheidungen des Bundessozialgerichts an, die sich mit Leistungen für Kosten der Unterkunft befassten.

6

Mit Schriftsatz vom 17. März 2010, der zwei Tage später beim Sozialgericht einging, trug der Grundsicherungsträger unter Berücksichtigung mittlerweile er-gangener Rechtsprechung des Bundessozialgerichts weiter vor und wies in diesem Zusammenhang, allerdings ohne vom Sozialgericht zuvor dazu aufgefordert worden zu sein, auf ein von ihm für das Jahr 2008 in Auftrag gegebenes Gutachten („schlüssiges Konzept“) hin, das auch für die Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft für die streitgegenständliche Zeit von Dezember 2006 bis Mai 2007 herangezogen werden könne. Hierauf erwiderten die Beschwerdeführer mit Schreiben vom 25. März 2010. Zum Zwecke der Beweiserhebung durch das Gericht benannte der Grundsicherungsträger im Schriftsatz vom 19. Mai 2010 eine der Personen, die an dem von ihm übersandten Gutachten mitgewirkt hatte. Mit Schreiben vom 11. Juni 2010 lehnten die Beschwerdeführer es ab, dass die benannte Person durch das Gericht gehört werde.

7

Auf die Anforderung der Verfahrensakten durch das Landessozialgericht verfügte das Sozialgericht am 16. Juli 2010 deren Übersendung und das Anlegen einer Restakte. Nachdem die Beschwerdeführer in einem weiteren Schreiben auf einen Bescheid vom 7. Januar 2011 eingingen, forderte das Sozialgericht den Grundsicherungsträger auf, eine Kopie hiervon zu übersenden; dem kam der Verwaltungsträger nach. Anschließend wurden keine verfahrensleitenden Verfügungen seitens des Gerichts vorgenommen. Ende April 2011 wurde die Wiedervorlage der Akten in drei Wochen verfügt. Durch Präsidiumsbeschluss des Sozialgerichts ist das Verfahren schließlich mit Wirkung ab 1. Mai 2011 von der 33. auf die 45. Kammer dieses Gerichts übertragen worden.

8

3. Mit ihrer am 27. Januar 2011 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführer gegen die ihres Erachtens verfassungswidrige bisherige Dauer des sozialgerichtlichen Verfahrens und beantragen überdies die Festsetzung eines zu zahlenden Ausgleichsbetrags für die Verfahrensverzögerung. Sie rügen eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 19 Abs. 4 GG.

9

Die Beschwerdeführer tragen im Wesentlichen vor, das Sozialgericht habe das Verfahren von Anfang an nicht betrieben. Die zunächst zuständige Richterin sei überhaupt nicht tätig geworden. Mit Ausnahme des Verweises auf Ermittlungen in einem anderen Verfahren und des Versuchs, das Verfahren ruhend zu stellen, sei - nach einem Richterwechsel - im Jahre 2008 und bis Mitte 2009 das Verfahren nicht nur nicht befördert worden, sondern man habe auch den Versuch unternommen, durch übermäßig lange Fristsetzungen und verspätete Weiterleitungen von Schriftsätzen, das Verfahren zu behindern. Ebenso habe der dritte zuständige Richter, nach einem Richterwechsel im August 2009, das Verfahren in keiner Weise gefördert. Der Grundsicherungsträger sei in der Zeit zwischen September 2008 und Januar 2011 seitens des Gerichts kein einziges Mal um eine Stellungnahme gebeten worden.

10

4. Das Niedersächsische Justizministerium hat am 27. Mai 2011 eine Stellungnahme abgegeben und hierin einen Grundrechtsverstoß wegen überlanger Verfahrensdauer verneint.

11

Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen vor.

II.

12

Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde und eine Stattgabe durch die Kammer zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte der Beschwerdeführer gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b und § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor, soweit sich die Beschwerdeführer gegen die überlange Dauer des Verfahrens vor dem Sozialgericht wenden (Art. 19 Abs. 4 GG). Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind bereits entschieden (vgl. BVerfGE 60, 253 <269>; 88, 118 <124>; 93, 1 <13>). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet.

13

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere ist auch eine mögliche Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG substantiiert dargelegt worden.

14

2. Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführer ist im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet.

15

Die Beschwerdeführer sind durch die Untätigkeit des Sozialgerichts in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt. Die von ihnen daneben angeführten Normen des Grundgesetzes - Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) - betreffen hingegen die Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten im materiellen Sinn (vgl. BVerfGE 82, 126 <155>; 93, 99 <107>).

16

a) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht, die Gerichte gegen jede behauptete Verletzung subjektiver Rechte durch ein Verhalten der öffentlichen Gewalt anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Wirksam ist nur ein zeitgerechter Rechtsschutz. Im Interesse der Rechtssicherheit sind strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit zu klären (vgl. BVerfGE 60, 253 <269>; 88, 118 <124>; 93, 1 <13>). Dies entspricht auch den Anforderungen aus Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten an Gerichtsverfahren in einem demokratischen Rechtsstaat (vgl. EGMR, Urteil vom 1. Juli 1997 - 125/1996/744/943 - Probstmeier/Deutschland, NJW 1997, S. 2809 <2810>). Dem Grundgesetz lassen sich allerdings keine allgemein gültigen Zeitvorgaben dafür entnehmen, wann von einer überlangen, die Rechtsgewährung verhindernden und damit unangemessenen Verfahrensdauer auszugehen ist; dies ist vielmehr unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu entscheiden (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>; auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/07 -, NJW 2008, S. 503). Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Frage, ab wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, sind insbesondere die Natur des Verfahrens und die auch aus grundrechtlicher Sicht zu beurteilende Bedeutung der Sache sowie die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Beteiligten, die Schwierigkeit der Sachmaterie, das den Beteiligten zuzurechnende Verhalten und insbesondere Verfahrensverzögerungen durch sie, sowie die gerichtlich nicht zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, vor allem der Sachverständigen, zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>). Dagegen kann sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Oktober 2003 - 1 BvR 901/03 -, NVwZ 2004, S. 334 <335>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris). Dabei haben die Gerichte auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -, NJW 2001, S. 214 <215>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. September 2009 - 1 BvR 1304/09 -, juris).

17

b) Danach ist es verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar, dass infolge der Untätigkeit des Sozialgerichts über den Abschluss des am 14. Februar 2007 eingeleiteten erstinstanzlichen Verfahrens über Leistungen zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums nach inzwischen über vier Jahren noch keine Klarheit besteht. Insbesondere ist nicht hinnehmbar, dass das Sozialgericht das Verfahren nunmehr in einem Zeitraum von nahezu drei Jahren in keiner Weise gefördert hat.

18

aa) Zu den Rechtsangelegenheiten, die wegen ihrer Natur und ihrer Bedeutung für die Betroffenen besonders zu fördern sind, gehören Verfahren, bei denen dem Grunde oder der Höhe nach um Fürsorgeleistungen wie vorliegend die Grundsicherungsleistungen gestritten wird. Solche Leistungen dienen der Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums, sind also auch aus der Sicht von Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG von erheblicher Bedeutung (vgl. BVerfGE 125, 175 <222 f.>).

19

bb) Die Sachmaterie war nicht in einem Maße komplex, dass sie ein derart langes Verfahren rechtfertigen könnte.

20

(1) Ergeht während des Klageverfahrens ein neuer Verwaltungsakt, der den mit der Klage angefochtenen abändert (§ 96 Abs. 1 SGG), so kann allein hieraus nicht auf die Schwierigkeit der Sachmaterie geschlossen werden. So wurde vorliegend etwa durch den ohnehin erst am 7. Januar 2011 ergangenen und auf § 44 SGB X gestützten Verwaltungsakt, unter Zurücknahme des zunächst mit der Klage angefochtenen Verwaltungsaktes, ein Recht des Beschwerdeführers zu 1) auf höhere als bereits mit jenem Bescheid gewährte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II festgestellt. Dies kann seinen Grund auch allein darin gehabt haben, dass der Grundsicherungsträger zunächst von einem Sachverhalt ausgegangen war, der sich später als unrichtig erwiesen hat (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 SGB X); und damit unabhängig davon, ob die Sachmaterie schwierig war oder nicht.

21

(2) Soweit das Justizministerium einwendet, der Gang des Verfahrens sei von rechtlich komplexen und bis zu den jeweiligen Entscheidungen des Bundessozialgerichts nicht obergerichtlich entschiedenen Fragen geprägt gewesen, so kann dem nicht gefolgt werden.

22

(aa) Die Frage, ob von dem jeweiligen Einkommen der Beschwerdeführer zu 2) bis 4) ein pauschaler Betrag in Höhe von monatlich 30 € für die Beiträge zu privaten Versicherungen abzuziehen ist, ist rechtlich nicht schwierig. Die Antwort ergibt sich unzweifelhaft aus der gesetzlichen Regelung des § 13 Nr. 3 SGB II in der Fassung von Art. 1 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl I S. 1706) in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung - Alg II- V) vom 20. Oktober 2004 (BGBl I S. 2622) in der Fassung der Verordnung vom 22. August 2005 (BGBl I S. 2499). Die Frage, ob, und wenn ja, mit welchem Anteil die Kosten für die Warmwasserbereitung in der Regelleistung enthalten sind, wurde durch das Bundessozialgericht bereits in der Entscheidung vom 27. Februar 2008 (BSGE 100, 94) in den Grundzügen geklärt.

23

(bb) Die im Kern aufgeworfene Rechtsfrage, ob die den Beschwerdeführern tatsächlich entstehenden Kosten der Unterkunft als angemessen anzusehen sind, gehört zum gängigen Geschäft eines Sozialgerichts. Sie war bereits bei Klageerhebung in den Grundzügen höchstrichterlich geklärt.

24

(α) Die Beschwerdeführer begehren im Ausgangsverfahren die Gewährung höherer als die mit den angefochtenen Verwaltungsakten festgestellten beziehungsweise überhaupt von Leistungen nach dem SGB II. Zur Begründung stützen sie sich im Wesentlichen darauf, dass die ihnen tatsächlich entstehenden Kosten der Unterkunft entgegen der Auffassung des Grundsicherungsträgers gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II als angemessen zugrunde zu legen seien. Bei dem Begriff der „Angemessenheit“ handelt es sich um einen durch die Fachgerichte vollständig überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff (vgl. BSGE 97, 203 <206>). Zwar können solche Rechtsbegriffe unter Umständen wegen hoher Komplexität oder besonderer Dynamik der geregelten Materie so vage und ihre Konkretisierung im Nachvollzug der Verwal-tungsentscheidung so schwierig sein, dass die gerichtliche Kontrolle an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung stößt. Im Hinblick auf die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist allerdings zu beachten, dass der 7b. Senat des Bundessozialgerichts den Begriff der Angemessenheit der Aufwendungen für eine Unterkunft im Wesentlichen in zwei Entscheidungen vom 7. November 2006 konkretisierte (vgl. BSGE 97, 231 und 254). Er orientierte sich hierbei an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 97, 110; 101, 194). Dem ist der später für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständig gewordene 14. Senat des Bundessozialgerichts gefolgt und hat die Angemessenheitsprüfung in einem mehrstufigen Verfahren vorgenommen (vgl. etwa BSG, Urteil vom 27. Februar 2008 - B 14/7b AS 70/06 R -, ZFSH/SGB 2008, S. 422; Urteil vom 18. Juni 2008 - B 14/7b AS 44/06 R -, juris). Diesem Vorgehen hat sich der nunmehr neben dem 14. Senat ausschließlich für das Grundsicherungsrecht zuständige 4. Senat des Bundessozialgerichts angeschlossen (vgl. BSGE 102, 263).

25

Danach ist die Angemessenheitsprüfung in drei Schritten vorzunehmen, wobei in einem ersten Schritt abstrakt die angemessenen Wohnungsgrößen und Wohnungsstandards bestimmt werden, in einem zweiten Schritt festgelegt wird, auf welche konkreten räumlichen Gegebenheiten als räumlicher Vergleichsmaßstab für die weiteren Prüfungsschritte abzustellen ist und im dritten Schritt ermittelt wird, wie viel für eine nach Größe und Standard abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung auf dem für den Hilfebedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt aufzuwenden ist. Das Bundessozialgericht vertritt dabei die sogenannte „Produkttheorie“, wonach es genügt, wenn das Produkt aus Wohnfläche (Quadratmeterzahl) und Standard (Mietpreis je Quadratmeter) eine insgesamt angemessene Wohnungsmiete (Referenzmiete) ergibt (vgl. BSGE 102, 263 <265 f.>). Es ist Sache der gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II für die Leistungen nach § 22 SGB II zuständigen kommunalen Grundsicherungsträger, für die Angemessenheitsprüfung in ihrem Zuständigkeitsbereich ein schlüssiges Konzept zu entwickeln. Entscheiden sie ohne ein solches Konzept, sind sie im Rahmen der prozessualen Mitwir-kungspflicht nach § 103 Satz 1 Halbsatz 2 SGG gehalten, dem Gericht eine möglichst zuverlässige Entscheidungsgrundlage zu verschaffen und gegebenenfalls eine unterbliebene Datenerhebung und -aufbereitung nachzuholen. Diese Ermittlungspflicht geht nicht ohne Weiteres auf das Sozialgericht über, wenn sich das Konzept des Grundsicherungsträgers als nicht schlüssig erweist oder bei einem an sich schlüssigen Konzept die erforderlichen Daten nicht oder nicht ordnungsgemäß erhoben worden sind (vgl. BSGE 104, 192 <198 f.>). Zur Amtsermittlungspflicht des Gerichts gehört dann der Versuch, vom Grundsicherungsträger die erforderlichen Daten zu erlangen und gegebenenfalls für eine Auswertung zu sorgen (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 4 AS 27/09 R -, NZS 2010, S. 515 <517>). Steht nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten zur Überzeugung des Gerichts fest, dass - etwa durch Zeitablauf - keine weiteren Erkenntnisse erlangt werden können, sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 22. September 2009 - B 4 AS 18/09 R -, BSGE 104, 192 <199>) vom Grundsicherungsträger die tatsächlichen Aufwendungen der Hilfebedürftigen für die Unterkunft zu übernehmen, bis zur Höhe der durch einen Zuschlag maßvoll erhöhten Tabellenwerte in § 8 Wohngeldgesetz (WoGG) in der Fassung von Art. 25 Nr. 5a des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl I  S. 2954) beziehungsweise § 12 WoGG in der Fassung von Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Wohngeldrechts und zur Änderung des Sozialgesetzbuches vom 24. September 2008 (BGBl I S. 1856).

26

(β) Da es sich bei den Leistungen für Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II um solche Leistungen handelt, die einen anderen Bedarf decken sollen als denjenigen, für den die Regelleistung bestimmt ist (vgl. § 20 Abs. 1 SGB II i.d.F. vor dem 1. Januar 2011 und § 20 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 SGB II i.d.F. von Art. 2 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 ), ist die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft im Ausgangsverfahren unabhängig davon zu prüfen gewesen, ob die Normen, nach denen die Höhe der Regelleistung im SGB II bestimmt wird, als verfassungswidrig eingestuft werden. Daher ist es unerheblich, dass das Bundesverfassungsgericht erst in der Entscheidung vom 9. Februar 2010 (BVerfGE 125, 175) hierzu grundlegende Ausführungen gemacht hat.

27

(γ) Ergibt sich, dass die tatsächlichen Kosten der Unterkunft unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind, bedeutet das nicht, dass sie nicht trotzdem in vollem Umfang als Unterkunftsbedarf berücksichtigt werden können. Vom Sozialgericht wäre dann noch zu prüfen, ob eine Übernahme dieser den Beschwerdeführern im fachgerichtlich streitigen Zeitraum entstandenen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II in Betracht kommt (BSGE 102, 263<269>).

28

cc) Die Beschwerdeführer selbst haben ebenfalls nicht maßgeblich zur Verzögerung des Verfahrens beigetragen. In ihren Schreiben führten sie regelmäßig neuere Entscheidungen des Bundessozialgerichts zu Leistungen für Kosten der Unterkunft an und gaben deren Inhalt wieder. Hierdurch war das Sozialgericht nicht daran gehindert, Ermittlungen zur Angemessenheit der Kosten der Unterkunft anzustellen. Es ist nicht ersichtlich, dass bei der Kammer, die das zugrunde liegende Verfahren zu bearbeiten hatte beziehungsweise hat, gleichzeitig ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes anhängig war, so dass es auch deswegen nicht zu einer Verzögerung gekommen sein kann.

29

dd) Eine gerichtlich zu beeinflussende Tätigkeit Dritter, etwa gerichtlicher Sachverständiger, hat nicht zu einer Verzögerung beigetragen.

30

ee) Die lange Verfahrensdauer geht vielmehr im Wesentlichen auf Versäumnisse des Gerichts zurück. Das Sozialgericht hat das Verfahren nur in unzu-reichender Weise gefördert.

31

(1) Ob bereits zu beanstanden ist, dass das Sozialgericht zunächst den Abschluss eines bei einer anderen Kammer geführten Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes und dann die weiteren Ermittlungen in einem dort früher anhängig gewordenen Klageverfahren abwarten wollte, mag dahinstehen. Dem Zuwarten könnte die nachvollziehbare Erwägung zugrunde gelegen haben, dass in diesen Verfahren Erkenntnisse gewonnen werden, die auch für das Ausgangsverfahren von Relevanz sind. Denn auch in diesen Verfahren wurde um die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft gestritten, wenn auch für frühere Zeiträume.

32

(2) Hingegen begegnet die Untätigkeit des Sozialgerichts nach der am 14. Juli 2008 eingegangenen Mitteilung der Beschwerdeführer, trotz der Ermittlungen des Gerichts in dem anderen Klageverfahren keinen Antrag auf Ruhen des Verfahrens stellen zu wollen, durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Spätestens ab diesem Zeitpunkt hätte das Gericht das Verfahren dadurch fördern müssen, dass es selbst das Notwendige veranlasst, um - zunächst - die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft bestimmen zu können. Die Aktivitäten des Gerichts erschöpften sich jedoch darin, eingehende Schriftsätze der jeweils anderen Seite zuzuleiten. Hiervon auszunehmen ist zwar die Zeit vom 19. März bis 11. Juni 2010. Denn am 19. März 2010 trug der Grundsicherungsträger, allerdings ohne vom Sozialgericht zuvor dazu aufgefordert worden zu sein, unter Berücksichtigung mittlerweile ergangener Rechtsprechung des Bundessozialgerichts weiter vor und wies in diesem Zusammenhang auf ein von ihm für das Jahr 2008 in Auftrag gegebenes Gutachten („schlüssiges Konzept“) hin, das auch für die Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft für die Zeit von Dezember 2006 bis Mai 2007 herangezogen werden könne. Das Sozialgericht hat es dann allerdings ver-säumt, nachdem die Beschwerdeführer am 11. Juni 2010 mitgeteilt hatten, der Anregung des Grundsicherungsträgers nicht näher treten zu wollen, einen der Gutachter vor dem Sozialgericht als sachverständigen Zeugen zu hören, das Ver-fahren dergestalt weiter zu fördern, dass es nun selbst Ermittlungen anstellt oder, wenn es von der Entscheidungsreife der Sache ausgeht, über das Klagebegehren zu entscheiden.

33

(3) Die Verzögerungen mögen zu einem gewissen Teil auch durch den Wechsel in der Kammerbesetzung Anfang August 2009 verursacht worden sein. Dem Staat sind solche Verzögerungen zuzurechnen, die durch eine anderweitige Organisation hätten verhindert werden können (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. Juli 2009 - 1 BvR 2662/06 -, NJW-RR 2010, S. 207 <209>). Insoweit hätte das Sozialgericht durch sein Präsidium prüfen müssen, ob es beispielsweise die Kammer mit einem oder einer erfahreneren Richter oder Richterin besetzt oder ob die Geschäftsverteilung zu ändern ist. Letzteres hat das Präsidium des Sozialgerichts auch mit Wirkung ab 1. Mai 2011 beschlossen.

34

(4) Dem Sozialgericht kommt zudem nicht zugute, dass das Landessozialgericht im Juli 2010 die Verfahrensakten angefordert hatte. Denn ob der langen Verfahrensdauer hätte es eine Zweitakte anlegen müssen.

35

(5) Auch haben die Beschwerdeführer nicht nur mit ihrem mit „Beweisantrag“ überschriebenen Schreiben vom 4. Oktober 2008 Ermittlungen des Sozialgerichts hinsichtlich der Überprüfung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft angeregt. Sie haben zudem in ihren Schreiben vom 9. Februar 2009 und 2. März 2010 sinngemäß darauf hingewiesen, dass solche Ermittlungen immer noch nicht erfolgt seien. Es ist nicht ersichtlich, warum das Gericht dem nicht hätte folgen können.

36

ff) Nach alledem ist eine Verletzung der Beschwerdeführer in ihrem Grund-recht aus Art. 19 Abs. 4 GG festzustellen. Das Sozialgericht ist nunmehr gehalten, unverzüglich sämtliche Maßnahmen zu ergreifen, die zu einer möglichst raschen Entscheidung führen.

III.

37

Im Übrigen liegen die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung nicht vor (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Die von den Beschwerdeführern erstrebte Zuerkennung einer Ausgleichszahlung kommt im Verfassungsbeschwerdeverfahren mangels einer entsprechenden Rechtsgrundlage nicht in Betracht (vgl. § 95 BVerfGG).

IV.

38

Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen folgt aus § 34a Abs. 2, Abs. 3 BVerfGG.

39

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

Stellt das Gesetz für das Vorhandensein einer Tatsache eine Vermutung auf, so ist der Beweis des Gegenteils zulässig, sofern nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt. Dieser Beweis kann auch durch den Antrag auf Parteivernehmung nach § 445 geführt werden.

Die Beweisaufnahme und die Anordnung eines besonderen Beweisaufnahmeverfahrens durch Beweisbeschluss wird durch die Vorschriften des fünften bis elften Titels bestimmt. Mit Einverständnis der Parteien kann das Gericht die Beweise in der ihm geeignet erscheinenden Art aufnehmen. Das Einverständnis kann auf einzelne Beweiserhebungen beschränkt werden. Es kann nur bei einer wesentlichen Änderung der Prozesslage vor Beginn der Beweiserhebung, auf die es sich bezieht, widerrufen werden.

Stellt das Gesetz für das Vorhandensein einer Tatsache eine Vermutung auf, so ist der Beweis des Gegenteils zulässig, sofern nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt. Dieser Beweis kann auch durch den Antrag auf Parteivernehmung nach § 445 geführt werden.

43
Das Gericht hat dabei zu Recht darauf abgestellt, dass die streitgegenständlichen Verfahren für den Kläger ohne besondere Bedeutung waren. Zum Zeitpunkt der Klagezustellung sah sich der Kläger im Rahmen des Gesamtkomplexes "G. Gruppe" bereits 386 Verfahren mit einer Gesamtscha- densersatzforderung von 10.777.752, 53 € ausgesetzt. Es kommt hinzu, dass seine Vermögensverhältnisse zu diesem Zeitpunkt auf Grund nicht beglichener Steuerforderungen in Millionenhöhe desolat waren. Es stand mithin von vornherein fest, dass es auf die Vermögenslage des Klägers ohne spürbare Auswirkungen bleiben wird, ob er in den von ihm konkret "gegriffenen" zehn Verfahren obsiegen oder unterliegen wird. Der Kläger hat auch keine konkreten (psychischen oder physischen) Beeinträchtigungen geltend gemacht, die gerade auf die streitgegenständlichen Verfahren zurückzuführen waren. Seine Ausführungen in der Klageschrift erschöpfen sich darin, die durch den Gesamtkomplex "G. Gruppe" angeblich hervorgerufenen Belastungen in allgemeiner Form zu schildern. Macht der Betroffene - wie hier - Entschädigung für einzelne Verfahren aus einem umfangreichen Verfahrenskomplex geltend, muss er jedoch die konkreten Nachteile, die gerade durch die Dauer dieser Verfahren verursacht worden sein sollen, positiv behaupten. Nur dann kann der Anspruchsgegner den ihm obliegenden Beweis der Unrichtigkeit der aufgestellten Behauptungen führen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2011 - XI ZR 261/09, NJW 2011, 2130 Rn. 19 f).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XI ZR 261/09 Verkündet am:
22. Februar 2011
Herrwerth,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Macht ein Kreditinstitut, das auf einem bei ihm geführten Konto eine im Einzugsermächtigungsverfahren
erteilte Lastschrift eingelöst hat, einen unmittelbaren Bereicherungsanspruch
gegen den Gläubiger der Lastschrift geltend, da der Kontoinhaber
eine Genehmigung der Lastschrift endgültig nicht erteilt habe, hat es die
tatsächlichen Voraussetzungen dieses Bereicherungsanspruchs und damit auch
das Fehlen einer Genehmigung der Lastschrift durch den Kontoinhaber zu beweisen.
BGH, Urteil vom 22. Februar 2011 - XI ZR 261/09 - OLG Hamburg
LG Hamburg
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 22. Februar 2011 durch den Vorsitzenden Richter Wiechers und die
Richter Dr. Ellenberger, Maihold, Dr. Matthias und Pamp

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 21. Juli 2009 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 3. September 2009 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die klagende Bank nimmt die Beklagte auf Erstattung eines Lastschriftbetrags in Anspruch, den sie im Einzugsermächtigungsverfahren zunächst eingezogen und nach einem Widerruf durch den über das Vermögen der Kontoinhaberin bestellten Insolvenzverwalter zurückgebucht hat.
2
Die T. KG (im Folgenden: Schuldnerin) unterhielt bei der Klägerin seit 1998 ein Girokonto, für das die Geltung der AGB-Banken aF vereinbart war und vierteljährliche Rechnungsabschlüsse erteilt wurden. Die Schuldnerin stand seit Jahren in Geschäftsbeziehung mit der Beklagten, von der sie Eintrittskarten für Veranstaltungen zum Weiterverkauf an Kunden erwarb. Den Kaufpreis für die Karten zog die Beklagte laufend durch Lastschrift von dem Girokonto der Schuldnerin ein. In der Zeit vom 12. Januar 2007 bis zum 15. März 2007 erhielt die Beklagte auf diese Weise über ihre Hausbank 14.133,85 € von dem Girokonto der Schuldnerin, das die Klägerin entsprechend belastete. Die Klägerin erteilte der Schuldnerin am 2. April 2007 einen Rechnungsabschluss für das erste Quartal des Jahres, der die entsprechenden Lastschriftbuchungen enthielt.
3
Der Nebenintervenient, der mit Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 2. April 2007 zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt über das Vermögen der Schuldnerin bestellt worden war, begehrte mit Schreiben vom 4. April 2007 von der Klägerin, das Girokonto mit sofortiger Wirkung für Lastschriften zu sperren, und wies erstmals mit Schreiben vom 13. April 2007 darauf hin, dass sämtliche noch nicht genehmigte Lastschriften von der Klägerin zurückzubuchen seien. Die Klägerin buchte im August 2007 den Betrag von 14.133,85 € aus und überwies ihn auf ein Konto des Nebenintervenienten , der mit Wirkung vom 31. Mai 2007 zum Insolvenzverwalter bestellt worden war.
4
Die Klägerin verlangt aus ungerechtfertigter Bereicherung von der Beklagten die Erstattung dieses Betrags. Die Beklagte ist in erster Instanz zur Zahlung von 14.133,85 € nebst Zinsen verurteilt worden. Ihre Berufung ist erfolglos geblieben.
5
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte Abweisung der Klage, hilfsweise Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

Entscheidungsgründe:

6
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

I.

7
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
8
Der Klägerin stehe gegen die Beklagte aus ungerechtfertigter Bereicherung nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 2, § 818 Abs. 2 BGB ein Anspruch auf Erstattung der für diese bei der Schuldnerin eingezogenen Beträge zu, da der Nebenintervenient den Lastschriften innerhalb von sechs Wochen seit dem letzten Rechnungsabschluss wirksam widersprochen habe. Zu einem Widerspruch sei er als vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt berechtigt gewesen. Die Beklagte habe nicht nachweisen können, dass die Schuldnerin die streitigen Lastschriften zuvor genehmigt habe. Von der Behauptung, die Schuldnerin habe die Lastschriften ausdrücklich genehmigt, habe die Beklagte in erster Instanz Abstand genommen. Der Beweiswürdigung des Landgerichts, von einer konkludenten Genehmigung dieser Buchungen könne nicht ausgegangen werden, sei zu folgen. Da die Beklagte erstinstanzlich auf die Vernehmung zunächst angebotener Zeugen verzichtet habe, sei der erneute Antrag auf Zeugenvernehmung als neues Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zu berücksichtigen. Jedenfalls stehe nach Würdigung der Zeugenaussagen aus den Vernehmungsprotokollen eines anderen Rechtsstreits für das Berufungsgericht nicht fest, dass ein für die Beklagte als Zustimmung erkennbares Verhalten der Schuldnerin vorgelegen habe. Auch ein Ausgleich des Sollsaldos auf dem Girokonto durch tägliche Einzahlungen der Schuldnerin könne nicht als konkludente Genehmigung der betroffenen Lastschriften gedeutet werden.

II.

9
Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Da das Berufungsgericht das Fehlen einer Genehmigung der Lastschriftbuchungen durch die Schuldnerin nicht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, ist ungeklärt, ob der den geltend gemachten Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung auslösende Lastschriftwiderruf des Nebenintervenienten wirksam geworden ist.
10
1. Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass sich ein Bereicherungsausgleich im Einziehungsermächtigungsverfahren nach einer Verweigerung der Genehmigung durch den Schuldner mangels diesem zurechenbarer Leistung unmittelbar zwischen der klagenden Bank des Schuldners und dem beklagten Lastschriftgläubiger vollzieht (Senatsurteil vom 11. April 2006 - XI ZR 220/05, BGHZ 167, 171 Rn. 14 f.). Für die Rückabwicklung einer Zahlung nach Widerruf einer Lastschrift gelten die bereicherungsrechtlichen Grundsätze, die für die Rückabwicklung in Fällen einer Leistung aufgrund unwirksamer Anweisung entwickelt worden sind (Senatsurteil vom 11. April 2006 - XI ZR 220/05, BGHZ 167, 171 Rn. 10 mwN). Danach hat der Lastschriftgläubiger im Falle eines wirksamen Widerrufs der Lastschrift die entsprechende Gutschrift auf seinem Konto nicht durch Leistung des Lastschriftschuldners , sondern unmittelbar auf Kosten der Bank des Schuldners erlangt, ohne dass dem Lastschriftgläubiger in diesem Verhältnis ein Rechtsgrund zur Seite steht. Die Schuldnerbank kann deswegen im Wege der Durchgriffskondiktion unmittelbar von dem Lastschriftgläubiger die Auszahlung des diesem gutgeschriebenen Betrags verlangen, unabhängig davon, ob eine wirksame Ein- zugsermächtigung vorlag oder der Gläubiger einen entsprechenden Zahlungsanspruch gegen den Schuldner hatte (Senatsurteil vom 11. April 2006 - XI ZR 220/05, BGHZ 167, 171 Rn. 9 f.)
11
2. Weiter hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen, dass ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt in der Lage ist, eine Genehmigung der Lastschrift durch den Schuldner und den Eintritt der Genehmigungsfiktion zu verhindern, indem er - wie der Nebenintervenient am 13. April 2007 - solchen Belastungsbuchungen widerspricht (siehe Senatsurteile vom 20. Juli 2010 - XI ZR 236/07, WM 2010, 1546 Rn. 11, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen, vom 23. November 2010 - XI ZR 370/08, WM 2011, 63 Rn. 13 und vom 25. Januar 2011 - XI ZR 171/09, zur Veröffentlichung vorgesehen , Umdruck Rn. 11, jeweils mwN). Damit bleibt ein Widerruf des Insolvenzverwalters wirkungslos, soweit zuvor Lastschriftbuchungen von dem Lastschriftschuldner genehmigt worden sind (Senatsurteil vom 20. Juli 2010 - XI ZR 236/07, WM 2010, 1546 Rn. 41).
12
3. Entgegen der Ansicht der Revision hat das Berufungsgericht zu Recht seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass die streitigen Lastschriften nicht durch ausdrückliche Erklärung der Schuldnerin genehmigt worden sind. Nach dem Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils hat die Beklagte diesen Vortrag ausdrücklich aufgegeben. Darin hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei ein Geständnis nach § 288 Abs. 1 ZPO gesehen, das sich auch auf eine juristisch eingekleidete Tatsache beziehen kann (BGH, Urteile vom 6. Oktober 2005 - III ZR 367/04, NJW-RR 2006, 281, 282 und vom 18. Juni 2007 - II ZR 89/06, WM 2007, 1662 Rn. 16). Dazu ist ohne Weiteres die Frage zu rechnen, ob eine Lastschrift durch ausdrückliche Erklärung oder konkludentes Verhalten genehmigt worden ist. Selbst die Revision macht nicht geltend, die Schuldnerin habe ausdrücklich die Genehmigung der Lastschriften erklärt.
13
4. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht jedoch die Feststellung getroffen , von einer konkludenten Genehmigung der streitigen Lastschriften durch die Schuldnerin könne nicht ausgegangen werden, da die Beklagte diese nicht habe nachweisen können. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts obliegt nicht der Beklagten als Bereicherungsschuldnerin der Nachweis, dass die streitgegenständliche Lastschrift von der Schuldnerin genehmigt worden ist, sondern die Klägerin hat als Bereicherungsgläubigerin die Voraussetzungen des von ihr geltend gemachten Kondiktionsanspruchs darzulegen und zu beweisen. Das schließt den Nachweis ein, dass die Schuldnerin vor dem Widerruf des Nebenintervenienten die streitigen Lastschriften nicht konkludent genehmigt hat.
14
a) Der Bereicherungsgläubiger trägt die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Kondiktionsanspruchs (BGH, Urteile vom 14. Dezember 1994 - IV ZR 304/93, BGHZ 128, 167, 171, vom 27. September 2002 - V ZR 98/01, WM 2003, 640, 641, vom 14. Juli 2003 - II ZR 335/00, WM 2004, 225, 226 und vom 18. Februar 2009 - XII ZR 163/07, WM 2009, 2093 Rn. 19). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der geltend gemachte Anspruch sich auf eine Leistungs- oder - wie hier - auf eine Nichtleistungskondiktion stützt (vgl. BGH, Urteil vom 14. November 2006 - X ZR 34/05, BGHZ 169, 377 Rn. 9 mwN).
15
Ausnahmen von diesem Grundsatz hat die Rechtsprechung in Einzelfällen angenommen, wenn besondere gesetzliche Anforderungen bestehen, wie die vom Empfänger nachzuweisende Form eines Schenkungsvertrags (BGH, Urteil vom 14. November 2006 - X ZR 34/05, BGHZ 169, 377 Rn. 13 ff.), oder bereits die unstreitigen Umstände den Schluss nahe legen, dass der Bereicherungsschuldner etwas ohne rechtlichen Grund erlangt hat (vgl. BGH, Urteil vom 18. Mai 1999 - X ZR 158/97, WM 1999, 2175, 2176). Solche Besonderheiten bestehen im vorliegenden Fall nicht.
16
Die Beweislast der Klägerin als Bereicherungsgläubigerin umfasst danach die tatsächlichen Grundlagen des von ihr geltend gemachten unmittelbaren Kondiktionsanspruchs (siehe allgemein Baumgärtel/Jährig, Handbuch der Beweislast, 3. Aufl., Schuldrecht BT III, § 812 Rn. 104 ff., 107; Mühl, WM 1984, 1441, 1442). Da das Fehlen einer Genehmigung der Lastschriftbuchung Voraussetzung dafür ist, dass zwischen Lastschriftschuldner und Lastschriftgläubiger keine Leistungsbeziehung besteht und somit die Schuldnerbank den Lastschriftgläubiger nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 BGB unmittelbar in Anspruch nehmen kann (Senatsurteil vom 11. April 2006 - XI ZR 220/05, BGHZ 167, 171 Rn. 14), hat die Klägerin als Bereicherungsgläubigerin auch den Nachweis zu erbringen, dass die Schuldnerin die streitigen Lastschriften nicht genehmigt hat (vgl. Senatsurteil vom 11. April 2006 - XI ZR 220/05, BGHZ 167, 171 Rn. 23; Kuder, ZInsO 2010, 1665, 1668).
17
b) Die Gegenansicht, wonach der Zahlungsempfänger die Leistung des Anweisenden beweisen müsse, sofern der Zahlende zunächst eine eigene Zuwendung an den Empfänger nachgewiesen habe (Halfmeier in Liber Amicorum Eike Schmidt, 2005, S. 109, 117; Harke, JZ 2002, 179, 182 f.; Palandt/Sprau, BGB, 70. Aufl., § 812 Rn. 79; ablehnend Baumgärtel/Jährig, Handbuch der Beweislast , 3. Aufl., Schuldrecht BT III, § 812 Rn. 107), müsste jedenfalls für die vorliegende Fallgestaltung unzutreffend davon ausgehen, der Widerruf einer Lastschrift stelle den nicht beweisbedürftigen Regelfall dar. Soweit sich diese Ansicht weiter darauf stützt, das Vorliegen einer Leistungsbeziehung bilde den gegen einen Anspruch aus Nichtleistungskondiktion gerichteten Rechtsgrund, dessen Vorliegen der Bereicherungsschuldner wie bei einer Eingriffskondiktion zu beweisen habe (Halfmeier in Liber Amicorum für Eike Schmidt, 2005, S. 109, 117), gerät sie in Widerspruch zur Rechtsprechung, die bei der Nichtleistungskondiktion nur in Sonderfällen von einer Darlegungs- und Beweislast des Bereicherungsschuldners für das Bestehen eines Rechtsgrundes ausgeht (vgl. BGH, Urteile vom 18. Mai 1999 - X ZR 158/97, WM 1999, 2175, 2176 und vom 14. November 2006 - X ZR 34/05, BGHZ 169, 377 Rn. 9 ff.).
18
Schließlich verfehlt diese Auffassung in der vorliegenden Fallkonstellation ihr Regelungsziel, die Beweislast für ein vorrangiges Leistungsverhältnis der Partei aufzuerlegen, in deren Sphäre dieser Umstand fällt und auf deren Empfängerhorizont es ankommt (so Harke, JZ 2002, 179, 182). Die für eine Direktkondiktion der Schuldnerbank gegen den Lastschriftgläubiger entscheidende Frage, ob der Schuldner gegenüber der Schuldnerbank die Lastschrift konkludent genehmigt hat, siedelt ausschließlich in der Sphäre der Schuldnerbank, der gegenüber die Genehmigung zu erklären ist. Die Sicht des Lastschriftgläubigers ist für die Beantwortung der Frage, ob nach Widerruf einer Lastschrift eine Leistungsbeziehung vorliegt, unerheblich (Senatsurteil vom 11. April 2006 - XI ZR 220/05, BGHZ 167, 171 Rn. 14). Auch danach müsste die Klägerin als Schuldnerbank und nicht die Beklagte als Lastschriftgläubigerin den Nachweis führen, dass die streitigen Lastschriften nicht genehmigt worden sind.
19
c) Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin damit eine negative Tatsache , das Fehlen einer konkludenten Genehmigung, beweisen muss. Ein solcher Negativbeweis führt grundsätzlich nicht zu einer Änderung der Beweislast (vgl. BGH Urteil vom 13. Dezember 1984 - III ZR 20/83, WM 1985, 590, Beschluss vom 21. Dezember 2006 - I ZB 17/06, GRUR 2007, 629 Rn. 12 und Urteil vom 18. Februar 2009 - XII ZR 163/07, WM 2009, 2093 Rn. 19, 22; Stieper, ZZP 123 (2010), 27, 34 f.). Dies ist bei Ansprüchen aus ungerechtfertigter Bereicherung für den Nachweis des Fehlens eines Rechtsgrundes in der Rechtsprechung anerkannt (vgl. Senatsurteile vom 23. September 2008 - XI ZR 262/07, WM 2008, 2155 Rn. 21 und XI ZR 253/07, WM 2008, 2158 Rn. 36 mwN; Baumgärtel/Laumen, Handbuch der Beweislast, 2. Aufl., Grundlagen, § 15 Rn. 7). Für den Nachweis, dass eine Lastschrift nicht genehmigt worden ist, kann nichts anderes gelten.
20
Um die tatsächliche Schwierigkeit eines Nachweises negativer Tatsachen zu mildern, hat die damit belastete Partei in der Regel nur die Umstände zu widerlegen, die nach dem Vortrag der Gegenseite für die positive Tatsache, also für das Vorhandensein des streitigen Umstands, sprechen (vgl. BGH, Urteile vom 13. Dezember 1984 - III ZR 20/83, WM 1985, 590, vom 20. Mai 1996 - II ZR 301/95, NJW-RR 1996, 1211 f, vom 27. September 2002 - V ZR 98/01, WM 2003, 640, 641 und vom 18. Februar 2009 - XII ZR 163/07, WM 2009, 2093 Rn. 20 f.). Der nicht beweisbelasteten Partei obliegt es, im Rahmen des ihr Zumutbaren (vgl. BGH, Urteil vom 8. Oktober 1992 - I ZR 220/90, NJW-RR 1993, 746, 747) die Behauptung der positiven Tatsachen aufzustellen, deren Unrichtigkeit sodann die beweisbelastete Partei nachzuweisen hat. Allerdings können in der vorliegenden Fallkonstellation an den Vortrag eines Lastschriftgläubigers keine hohen Anforderungen gestellt werden, da er regelmäßig keine Kenntnis von den Umständen besitzen wird, aus denen sich eine konkludente Genehmigung der Lastschrift durch den Schuldner ergeben könnte. Vielmehr kann die Schuldnerbank, die Adressat einer solchen Genehmigung wäre, zu allen erheblichen Umständen aus eigener Wahrnehmung vortragen. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte konkrete Umstände dargetan, aus denen sich eine konkludente Genehmigung der streitigen Lastschriften ergeben kann, und damit ihrer Darlegungslast genügt.
21
5. Auf die von der Revision weiter aufgeworfene Frage, ob der Antrag der Beklagten auf Vernehmung von Zeugen nach § 531 Abs. 2 ZPO im Berufungsverfahren zuzulassen war, kommt es nicht mehr an, da die Beweislast für den streitigen Umstand einer konkludenten Genehmigung der Lastschrift zunächst bei der Klägerin liegt.

III.

22
Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur abschließenden Entscheidung reif ist, ist sie zur weiteren Sachaufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
23
1. Bei der erforderlichen Klärung, ob die Schuldnerin die Lastschriften nicht widerrufen hat, wird zu berücksichtigen sein, dass die Geschäftsbedingungen der Klägerin einer konkludenten Genehmigung der Lastschriften durch die Schuldnerin nicht entgegenstehen. Im Allgemeinen können weder der Kontoinhaber noch das kontoführende Kreditinstitut davon ausgehen, ein Verhalten des Kontoinhabers könne vor Ablauf der in den Geschäftsbedingungen geregelten Widerrufsfrist nicht als konkludente Genehmigung der Lastschrift anzusehen sein (Senatsurteile vom 20. Juli 2010 - XI ZR 236/07, WM 2010, 1546 Rn. 43, vom 26. Oktober 2010 - XI ZR 562/07, WM 2010, 2307 Rn. 16 f. und vom 25. Januar 2011 - XI ZR 171/09, zur Veröffentlichung vorgesehen, Umdruck Rn. 12 ff. )
24
2. Weiter kann die Tatsache, dass der Kontoinhaber durch zeitnahe Dispositionen die Einlösung ihm bekannter, laufender Lastschriften sichert, bei der kontoführenden Bank - jedenfalls nach Ablauf einer angemessenen Prüfungsfrist - die berechtigte Überzeugung begründen, der Schuldner wolle die jeweiligen Forderungen der Lieferanten uneingeschränkt erfüllen und die Lastschrift- buchungen würden deswegen Bestand haben (Senatsurteil vom 26. Oktober 2010 - XI ZR 562/07, WM 2010, 2307 Rn. 23).
25
3. Schließlich können auch konkrete Einzahlungen des Kontoinhabers zur Ausführung zunächst mangels Kontodeckung nicht eingelöster Lastschriften die Auffassung rechtfertigen, vorangehende Lastschriftbuchungen seien von der Schuldnerin als Kontoinhaberin abschließend akzeptiert worden, da sie sich andernfalls auf leichterem Wege Liquidität hätte verschaffen können, indem sie älteren, ihrer Ansicht nach unberechtigten Belastungsbuchungen widerspricht (vgl. dazu Senatsurteil vom 25. Januar 2011 - XI ZR 171/09, zur Veröffentlichung vorgesehen, Umdruck Rn. 21).
Wiechers Ellenberger Maihold Matthias Pamp Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 06.02.2009 - 323 O 177/08 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 21.07.2009 - 9 U 58/09 -
43
Das Gericht hat dabei zu Recht darauf abgestellt, dass die streitgegenständlichen Verfahren für den Kläger ohne besondere Bedeutung waren. Zum Zeitpunkt der Klagezustellung sah sich der Kläger im Rahmen des Gesamtkomplexes "G. Gruppe" bereits 386 Verfahren mit einer Gesamtscha- densersatzforderung von 10.777.752, 53 € ausgesetzt. Es kommt hinzu, dass seine Vermögensverhältnisse zu diesem Zeitpunkt auf Grund nicht beglichener Steuerforderungen in Millionenhöhe desolat waren. Es stand mithin von vornherein fest, dass es auf die Vermögenslage des Klägers ohne spürbare Auswirkungen bleiben wird, ob er in den von ihm konkret "gegriffenen" zehn Verfahren obsiegen oder unterliegen wird. Der Kläger hat auch keine konkreten (psychischen oder physischen) Beeinträchtigungen geltend gemacht, die gerade auf die streitgegenständlichen Verfahren zurückzuführen waren. Seine Ausführungen in der Klageschrift erschöpfen sich darin, die durch den Gesamtkomplex "G. Gruppe" angeblich hervorgerufenen Belastungen in allgemeiner Form zu schildern. Macht der Betroffene - wie hier - Entschädigung für einzelne Verfahren aus einem umfangreichen Verfahrenskomplex geltend, muss er jedoch die konkreten Nachteile, die gerade durch die Dauer dieser Verfahren verursacht worden sein sollen, positiv behaupten. Nur dann kann der Anspruchsgegner den ihm obliegenden Beweis der Unrichtigkeit der aufgestellten Behauptungen führen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2011 - XI ZR 261/09, NJW 2011, 2130 Rn. 19 f).

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen ein Land ist das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde. Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen den Bund ist der Bundesgerichtshof. Diese Zuständigkeiten sind ausschließliche.

(2) Die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren vor den Landgerichten im ersten Rechtszug sind entsprechend anzuwenden. Eine Entscheidung durch den Einzelrichter ist ausgeschlossen. Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts findet die Revision nach Maßgabe des § 543 der Zivilprozessordnung statt; § 544 der Zivilprozessordnung ist entsprechend anzuwenden.

(3) Das Entschädigungsgericht kann das Verfahren aussetzen, wenn das Gerichtsverfahren, von dessen Dauer ein Anspruch nach § 198 abhängt, noch andauert. In Strafverfahren, einschließlich des Verfahrens auf Vorbereitung der öffentlichen Klage, hat das Entschädigungsgericht das Verfahren auszusetzen, solange das Strafverfahren noch nicht abgeschlossen ist.

(4) Besteht ein Entschädigungsanspruch nicht oder nicht in der geltend gemachten Höhe, wird aber eine unangemessene Verfahrensdauer festgestellt, entscheidet das Gericht über die Kosten nach billigem Ermessen.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.

(1) Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen ein Land ist das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde. Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen den Bund ist der Bundesgerichtshof. Diese Zuständigkeiten sind ausschließliche.

(2) Die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren vor den Landgerichten im ersten Rechtszug sind entsprechend anzuwenden. Eine Entscheidung durch den Einzelrichter ist ausgeschlossen. Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts findet die Revision nach Maßgabe des § 543 der Zivilprozessordnung statt; § 544 der Zivilprozessordnung ist entsprechend anzuwenden.

(3) Das Entschädigungsgericht kann das Verfahren aussetzen, wenn das Gerichtsverfahren, von dessen Dauer ein Anspruch nach § 198 abhängt, noch andauert. In Strafverfahren, einschließlich des Verfahrens auf Vorbereitung der öffentlichen Klage, hat das Entschädigungsgericht das Verfahren auszusetzen, solange das Strafverfahren noch nicht abgeschlossen ist.

(4) Besteht ein Entschädigungsanspruch nicht oder nicht in der geltend gemachten Höhe, wird aber eine unangemessene Verfahrensdauer festgestellt, entscheidet das Gericht über die Kosten nach billigem Ermessen.

Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.

(1) Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen ein Land ist das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde. Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen den Bund ist der Bundesgerichtshof. Diese Zuständigkeiten sind ausschließliche.

(2) Die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren vor den Landgerichten im ersten Rechtszug sind entsprechend anzuwenden. Eine Entscheidung durch den Einzelrichter ist ausgeschlossen. Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts findet die Revision nach Maßgabe des § 543 der Zivilprozessordnung statt; § 544 der Zivilprozessordnung ist entsprechend anzuwenden.

(3) Das Entschädigungsgericht kann das Verfahren aussetzen, wenn das Gerichtsverfahren, von dessen Dauer ein Anspruch nach § 198 abhängt, noch andauert. In Strafverfahren, einschließlich des Verfahrens auf Vorbereitung der öffentlichen Klage, hat das Entschädigungsgericht das Verfahren auszusetzen, solange das Strafverfahren noch nicht abgeschlossen ist.

(4) Besteht ein Entschädigungsanspruch nicht oder nicht in der geltend gemachten Höhe, wird aber eine unangemessene Verfahrensdauer festgestellt, entscheidet das Gericht über die Kosten nach billigem Ermessen.

(1) In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten richten sich die Gebühren nach den für die Zuständigkeit des Prozessgerichts oder die Zulässigkeit des Rechtsmittels geltenden Vorschriften über den Wert des Streitgegenstands, soweit nichts anderes bestimmt ist. In Musterfeststellungsklagen nach Buch 6 der Zivilprozessordnung und in Rechtsstreitigkeiten aufgrund des Unterlassungsklagengesetzes darf der Streitwert 250 000 Euro nicht übersteigen.

(2) In nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten ist der Streitwert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien, nach Ermessen zu bestimmen. Der Wert darf nicht über eine Million Euro angenommen werden.

(3) Ist mit einem nichtvermögensrechtlichen Anspruch ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Anspruch, und zwar der höhere, maßgebend.

Der Wert wird von dem Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt; es kann eine beantragte Beweisaufnahme sowie von Amts wegen die Einnahme des Augenscheins und die Begutachtung durch Sachverständige anordnen.