Oberlandesgericht Hamm Urteil, 02. Sept. 2016 - 9 U 14/16
Tenor
Die Berufung der Klägerinnen gegen das am 18.12.2015 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin zu 1) zu 70 % und die Klägerin zu 2) zu 30 %.
Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin zu 1) wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
1
Gründe:
2I.
3Die Klägerinnen nehmen die Beklagten aus einem Verkehrsunfallereignis vom 09.05.2013 in Anspruch, bei dem ihre Versicherungsnehmerin, Frau C, zu Schaden kam.
4Die Klägerinnen sind die gesetzliche Kranken- bzw. Pflegekasse von Frau C und haben aufgrund der Folgen des Unfalls Kranken- und Pflegeleistungen an ihr Kassenmitglied, die verunglückte Frau C, erbracht.
5Die zum Unfallzeitpunkt 75-jährige Geschädigte befuhr mit ihrem Fahrrad den T-Weg in H in Fahrtrichtung G. Aus entgegengesetzter Richtung näherte sich die Beklagte zu 2) in Begleitung ihrer Schwester, der Beklagten zu 1), und Halterin des Pkw Mercedes-Benz steuerte, welcher wiederum bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert ist.
6Dieses Fahrzeug weist eine Breite von 1,70 m auf. Die Straße ist an der Unfallstelle nach den Feststellungen der Polizei, die insoweit unstreitig sind, 3 m breit. Zu beiden Seiten schließt sich ein teils mit Schotter, teils mit Rasen bedeckter unbefestigter Seitenstreifen an. Auf der aus Fahrtrichtung der Beklagten zu 2) gesehen rechts liegenden Fahrbahnseite befindet sich ein Bewässerungsgraben, welcher ca. 0,80 m vom asphaltierten Bereich entfernt verläuft.
7Als sich die Geschädigte auf ihrem Fahrrad und der ihr entgegenkommende Pkw noch in einigem Abstand voneinander befanden, geriet die Geschädigte mit ihrem Fahrrad ins Straucheln und stürzte mit dem Kopf auf die asphaltierte Fahrbahn. Eine Berührung zwischen Pkw und Fahrrad fand nicht statt. Die Beklagte zu 2) vollführte mit ihrem Fahrzeug eine Ausweichbewegung nach rechts auf das Bankett, von wo aus das Fahrzeug in den Bewässerungsgraben rutschte und in einer Entfernung von 15 m von der Sturzstelle zum Stehen kam.
8Die Geschädigte erlitt durch den Sturz schwere Kopfverletzungen, u. a. eine Subarachnoidalblutung mit kleinen Coup-Contre-Blutungen, wodurch sie ins Koma fiel. Unmittelbar nach dem Unfall wurde sie in das Krankenhaus N im niederländischen U verbracht, wo sie bis zum 12.05.2013 medizinisch überwacht wurde. Im Anschluss erfolgte für den Zeitraum vom 13.05.2013 bis zum 17.05.2013 eine Verlegung innerhalb des Krankenhauses auf die neurochirurgische Station zur Weiterbehandlung. Es folgten weitere stationäre Behandlungen in zwei Hospitälern in H. Nach ihrer Entlassung aus dem Klinikum lebte die Geschädigte zunächst in einer Kurzzeitpflegeeinrichtung, im Anschluss daran im Pflegeheim E in H, wo sie am 21.09.2014 verstarb.
9Die Klägerin zu 1) wendete als Krankenkasse Behandlungskosten für die stationäre und weitere ärztliche Behandlungen der Geschädigten in Höhe von insgesamt 40.281,56 € auf. Der Klägerin zu 2) entstanden für Pflegeleistungen Kosten in Höhe von 21.240,38 €.
10Bis zum 09.06.2015 zahlte die Beklagte zu 3) jeweils ¼ der ursprünglich geltend gemachten Behandlungs- und Pflegekosten an die Klägerinnen. Des Weiteren wurden 1/4 der vorgerichtlichen Anwaltskosten zu einem Streitwert von 13.000,00 € gezahlt.
11Die Klägerinnen haben behauptet, die Beklagte zu 2) sei mit unangemessener Geschwindigkeit gefahren und habe die Fahrbahn dabei so mittig befahren, dass die Geschädigte sich genötigt gefühlt habe, auf den unbefestigten Seitenstreifen auszuweichen, wo sie dann in Straucheln geraten und zum Sturz gekommen sei. Auf der Fahrbahn habe reger Fahrrad- und Personenverkehr durch Feiertagsausflügler geherrscht. Die Beklagte zu 2) habe mit ihrem Fahrzeug den Sicherheitsabstand nicht eingehalten, so dass die Geschädigte habe befürchten müssen, der Verkehrsraum werde für sie ohne ein Ausweichmanöver ihrerseits zu eng. Die Tatsache, dass die Beklagte zu 2) ihr Fahrzeug in den Straßengraben habe lenken müssen, um die auf dem Asphalt liegende Geschädigte nicht zu überfahren, zeige, dass sie mit unangemessener Geschwindigkeit gefahren sei, da ihr Fahrzeug ansonsten zuvor ohne Weiteres durch ein Bremsmanöver hätte zum Stehen gebracht werden können. Sie vertreten die Ansicht, dass sich der Unfall aus diesem Grunde trotz fehlender Berührung bei Betrieb des Pkw ereignet habe.
12Die Klägerinnen haben beantragt,
131.
14die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) einen Betrag in Höhe von 14.306,49 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.03.2015 zu zahlen;
152.
16festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin zu 1) sämtliche Kosten in voller Höhe zu ersetzen, die ihr in Zukunft für ihr Kassenmitglied C aus Anlass des Unfalls vom 09.05.2013 in H, T-Weg, entstehen werden;
173.
18die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 2) einen Betrag in Höhe von 15.930,62 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.03.2015 zu zahlen;
194.
20an die Klägerinnen weitere 1.127,76 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für die ihnen durch die vorgerichtliche Tätigkeit ihrer Prozessbevollmächtigten entstandenen Kosten zu zahlen.
21Die Beklagten haben beantragt,
22die Klage abzuweisen.
23Sie sind dem klägerischen Vorbringen entgegengetreten und haben behauptet, die Beklagte zu 2) sei in Anbetracht der Breite des Weges und der Tatsache, dass sie zuvor in engem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang einen Spaziergänger mit Hund wahrgenommen habe, mit einer Geschwindigkeit von etwa 20 – 30 km/h gefahren. Dabei habe sie sich äußerst rechts gehalten. Die rechten Räder ihres Fahrzeugs hätten sich im Bereich des Übergangs vom Asphalt auf den Seitenstreifen befunden. Sie haben des Weiteren behauptet, der Sturz habe seine Ursache in einer plötzlichen körperlichen Beeinträchtigung der Frau C gehabt, ohne dass der von der Beklagten zu 2) gesteuerte Pkw hier eine Rolle gespielt habe. Die Beklagte zu 2) habe ihr Fahrzeug nur deshalb in den Graben gelenkt, weil sie der gestürzten Geschädigten habe ausweichen wollen, und das Fahrzeug dabei nicht abgebremst worden sei. Sie sind der Ansicht, dass die Straßenbreite ausgereicht habe, um einander gefahrlos unter Einhaltung eines Sicherheitsabstandes zu passieren.
24Das Landgericht hat die Beklagte zu 2) persönlich angehört und die Klage mit Urteil vom 18.12.2015 mit der Begründung abgewiesen, ein Anspruch der Klägerinnen aus den §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG bestehe nicht, weil nicht mit der nach § 286 ZPO erforderlichen Überzeugung feststehe, dass sich der Unfall bei Betrieb des von der Beklagten zu 2) geführten Fahrzeuges ereignet habe. Die bloße Anwesenheit eines Fahrzeuges an der Unfallstelle genüge diesem Erfordernis nicht, vielmehr müsse das Fahrzeug durch seine Fahrweise zur Entstehung des Unfalls beigetragen haben. Für einen solchen Beitrag trügen die Klägerinnen die Beweislast.
25Ein solcher Verursachungsbeitrag des von der Beklagten zu 2) geführten Fahrzeuges könne vorliegend nicht festgestellt werden, auch wenn es zur Haftung allein aus der Betriebsgefahr nicht erforderlich sei, dass sich die Verkehrsteilnehmer berührten, sondern auch bereits ein aus dem Schrecken resultierender Sturz ausreichen könne. Auch wenn das Merkmal „bei Betrieb eines Kraftfahrzeuges“ weit auszulegen sei, so dass auch eine Ausweichbewegung erfasst werde, welche objektiv nicht erforderlich sei, lasse sich eine solche hier nicht feststellen. Es sei vielmehr genauso denkbar, dass die Geschädigte mit ihrem Rad zwischen der Asphaltdecke und dem Seitenstreifen ins Straucheln geraten sei und daraufhin gestürzt sei, ohne dass dies im Zusammenhang mit dem Pkw stehe. Die Tatsache, dass die Beklagte zu 2) ca. 15 m hinter der Sturzstelle mit ihrem Fahrzeug im Straßengraben zum Stehen gekommen sei, rechtfertige nicht den Schluss, dass sie zuvor mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei. Zum Einen handele es sich nicht um eine lange Strecke, zum Anderen habe die Beklagte zu 2) dem Gericht glaubhaft geschildert, dass sie aufgrund des Sturzes geschockt gewesen sei und während des Ausweichmanövers schlichtweg nicht gebremst habe.
26Gegen diese Entscheidung richten sich die Berufungen der Klägerinnen, mit der sie ihre Ausgangsanträge in teils abgewandelter Form weiter verfolgen.
27Sie sind die Auffassung, dass das Merkmal „bei Betrieb des Kraftfahrzeuges“ hier erfüllt sei, da der für die verunfallte Geschädigte verbleibende Platz auf der Fahrbahn zu gering gewesen sei. Bei einer Fahrbahnbreite von 3 m und einer Breite des Kraftfahrzeuges von 1,70 m seien für sie nur 1,30 m Platz verblieben, um das entgegenkommende Fahrzeug der Beklagten zu passieren. Bei einer solchen Sachlage habe die Beklagte zu 2) den erforderlichen Sicherheitsabstand, wie er für das Überholen eines Radfahrers durch ein Kfz einzuhalten sei, nicht einhalten können. Die Gefährdungssituation im Begegnungsverkehr sei dabei vergleichbar. Bei dieser unstreitigen Ausgangslage sei ein Ausweichen der Frau C in jedem Fall notwendig gewesen. Diese sei aufgrund des sich nähernden Fahrzeuges und eines Ausweichens auf den unbefestigten Seitenstreifen in Straucheln geraten. Eine andere Erklärung sei angesichts der körperlich vollständig gesunden und verkehrstüchtigen Konstitution der Geschädigten nicht denkbar. Die Beklagte zu 2) sei unter Verstoß gegen § 3 Abs. 1 S. 1 u. 2 StVO mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren, was aus Gründen des Anscheinsbeweises bereits schon offensichtlich sei. Bei einer von der Beklagten zu 2) in der mündlichen Verhandlung angegebenen Ausgangsgeschwindigkeit von 20 km/h betrage der Anhalteweg auch unter Zugrundelegung einer großzügigen Reaktionszeit von 1 Sekunde lediglich 7,50 m. Da das Fahrzeug jedoch erst 15 m hinter der Sturzstelle im Seitengraben zum Stehen gekommen sei und laut Auskunft der Beklagten zu 2) diese erst nach vorne ohne zu bremsen das Fahrzeug nach rechts gelenkt habe, sei der tatsächliche Anhalteweg um Einiges länger. Unterstrichen werde diese Tatsache auch dadurch, dass das Fahrzeug über den 0,80 m breiten Seitenstreifen vollständig in den Seitengraben gerutscht sei und nicht etwa, was mit dem Schadensbild auch nicht vereinbar sei, langsam in den Graben gerollt sei.
28Da die Beklagte zu 2) in der mündlichen Verhandlung angegeben habe, dass ihr die Geschädigte auf dem Fahrrad in ca. 30 – 35 m Entfernung durch ihre unsichere Fahrweise aufgefallen sei, liege auch ein Verstoß gegen § 3 Abs. 2 StVO vor, da sie ihre Geschwindigkeit dementsprechend sofort hätte reduzieren müssen.
29Die Klägerinnen beantragen – nach Abrechnung des Klinikums U anstelle des ursprünglichen Feststellungsantrages zu Ziffer 2) -,
30in Abänderung des Urteils des Landgerichts Münster vom 18.12.2015
311.
32die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) 14.306,49 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.03.2015 zu zahlen;
332.
34die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) 21.206,24 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung des Schriftsatzes vom 04.05.2016 zu zahlen;
353.
36die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 2) 15.930,62 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.03.2015 zu zahlen;
374.
38die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, weitere 1.127,76 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit für die den Klägerinnen durch die vorgerichtliche Tätigkeit ihrer Prozessbevollmächtigten entstandenen Kosten zu zahlen.
39Die Beklagten beantragen,
40die Berufung zurückzuweisen.
41Die Beklagten sind der Ansicht, die Erwägungen der Klägerinnen in der Berufungsbegründung stünden im Widerspruch zu den nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts. Dieses habe nämlich nicht festgestellt, dass die Geschädigte überhaupt auf dem unbefestigten Seitenstreifen gestürzt sei. Ferner habe es festgestellt, dass die Beklagte zu 2) im Zeitpunkt der Annäherung an die Geschädigte äußerst rechts gefahren sei. Auch sei die von ihr geschilderte Fahrgeschwindigkeit von 20 – 23 km/h in Anbetracht des herrschenden Verkehrsaufkommens und der Fahrbahnbreite glaubhaft. Eine Ausweichbewegung der Radfahrerin sei angesichts dieser Geschwindigkeit und der Entfernung zwischen Rad und Pkw von 30 – 35 m ausgeschlossen. Insoweit hätten die Klägerinnen nicht bewiesen, dass überhaupt ein Ausweichmanöver stattgefunden habe.
42Auch zu einer Unterschreitung des Sicherheitsabstandes sei es letztlich nie gekommen, da die Beklagte zu 2) soweit nach rechts auf den Seitenstreifen ausgewichen sei, dass sie letztlich sogar in den Graben gerutscht sei. Der Abstand zwischen Pkw und Fahrrad müsse daher zwischen 2,30 m und 2,50 m betragen haben. Als es zum Sturz gekommen sei, habe die Beklagte zu 2) mit ihrem Fahrzeug bereits die Geschädigte passiert, so dass sie den Sturz selbst nicht mehr habe wahrnehmen können. So sei auch die Entfernung von 15 m zwischen der Sturzstelle und der Endstellung des Pkw im Graben zu erklären, da der Pkw noch 6,5 bis 7,5 m im Graben gerutscht sei. Die Unfallschilderung der Beklagten zu 2) stehe daher im Einklang mit den örtlichen und technischen Begebenheiten.
43II.
44Die Berufungen der Klägerinnen haben keinen Erfolg, da die angefochtene Entscheidung weder auf einer Rechtsverletzung i. S. d. § 546 ZPO beruht noch nach § 529 ZPO zugrundeliegende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen, § 513 Abs.1 ZPO.
451.
46Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Behauptungen der Klägerinnen in Bezug auf die Fahrweise der Beklagten zu 2) vor dem Unfall lediglich auf Vermutungen beruhen, die jedoch in der Klageschrift nicht als solche kenntlich gemacht worden sind. Wären die Klägerinnen ihrer Pflicht zu wahrheitsgemäßem Vortrag aus § 138 Abs. 1 ZPO nachgekommen, so hätten sie ausführen müssen, dass das Fahrverhalten der Geschädigten und der Beklagten zu 2) vor dem Unfall nicht näher bekannt sind, sich insbesondere auch aus der polizeilichen Ermittlungsakte hinreichende Anhaltspunkte für den Hergang nicht ergeben. Damit ist die Klage an sich bereits als unschlüssig anzusehen, weil Anknüpfungspunkte für eine Haftung der Beklagten aus der vom Beklagtenfahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr nach den §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG nicht vorgetragen werden können. Erst in zweiter Instanz hat die Klägerin hinreichend deutlich gemacht, dass sie sich im Wesentlichen in ihrer Unfalldarstellung auf Indizien stützt. Allerdings tragen weder diese Indizien noch die Angaben der Beklagten zum beiderseitigen Fahrverhalten vor dem Unfall den Schluss, dass sich die vom Beklagtenfahrzeug ausgehende Betriebsgefahr beim Sturz der Geschädigten ausgewirkt hat.
47Wie das Landgericht zutreffend ausführt, setzt das haftungsbegründende Tatbestandsmerkmal „bei Betrieb eines Kraftfahrzeuges“ grundsätzlich voraus, dass sich in dem jeweiligen Unfallgeschehen eine von einem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr realisiert hat und das Schadensgeschehen dadurch insgesamt mitgeprägt wurde (BGH, Urteil vom 26.04.2005, Az.: VI ZR 168/04, zitiert nach juris). Dabei muss die Unfallursache im Betrieb des Kraftfahrzeuges begründet sein, d.h., dieses muss durch seine Funktion als Fortbewegungs- und Transportmittel das Unfallgeschehen in irgendeiner Form mit beeinflusst haben. Bei einem Unfallgeschehen ohne tatsächliche Berührung der Verkehrsteilnehmer, wie es auch vorliegend der Fall ist, setzt der BGH weitergehend voraus, dass das Fahrzeug durch seine Fahrweise zur Entstehung des Unfalls beigetragen haben muss. Die bloße Anwesenheit eines in Betrieb befindlichen Kraftfahrzeuges an der Unfallstelle reiche hierzu nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 04.05.1976, Az.: VI ZR 193/74, zitiert nach juris). Bei Betrieb des Kraftfahrzeuges geschehe ein Unfall jedoch auch dann, wenn er unmittelbar durch ein Verhalten des Verletzten oder eines Dritten ausgelöst werde, dieses Verhalten aber seinerseits in zurechenbarer Weise durch das Kraftfahrzeug mitverursacht werde. Eine solche weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals entspreche dem weiten Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG (BGH, Urteil vom 19.04.1988, Az.: VI ZR 96/87, zitiert nach juris). Somit genüge es für die Annahme des Merkmals „bei Betrieb“ grundsätzlich auch, wenn der Unfall sich infolge einer Abwehr- oder Ausweichreaktion der verunfallten Person ereigne, auch wenn diese zwar objektiv nicht erforderlich gewesen sei, jedoch im Zusammenhang des konkreten Verkehrsgeschehens subjektiv vertretbar erscheine (vgl. OLG Celle, Urteil vom 07.06.2001, Az.: 14 U 210/00, zitiert nach juris; vgl. aber weitergehend BGH, U.v. 21.09.2010 – IV ZR 263/09 – NJW 2010, 3713 und U.v. 21.09.2010 – VI ZR 265/09 – SVR 210, 466, wonach auch subjektiv die Ausweichreaktion nicht erforderlich sein muss oder sich für den Fahrer des anderen Fahrzeugs aus seiner Sicht als die einzige Möglichkeit darstellt, um eine Kollision zu vermeiden.).
48Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Beweislast für die Auswirkung der Betriebsgefahr bei dem Unfallgeschehen bei den Klägerinnen liege.
49Es hat insoweit festgestellt, dass die Geschädigte die 3 m breite und asphaltierte Straße aus ihrer Sicht äußerst rechts befahren habe. Sodann sei sie, als sich Pkw und Fahrrad noch in einigem Abstand zueinander befunden hätten, ins Straucheln geraten und gestürzt. Die Beklagte zu 2) habe sodann ihr Fahrzeug in den rechtseitigen Graben gelenkt, um die auf der Straße liegende Geschädigte nicht zu überfahren. An diese Feststellungen ist der Senat grundsätzlich nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Dies gilt nur dann nicht, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen gebieten.
50Auf der Basis der vom Landgericht getroffenen Feststellungen lässt sich ein Zusammenhang zwischen der vom Beklagtenfahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr und dem Sturz der Geschädigten nicht herstellen.
51Weder die in der vom Landgericht und vom Senat beigezogenen Ermittlungsakte festgehaltenen Angaben der Beklagten zu 1) und 2) und weiterer Zeugen ergeben einen Anhaltspunkt dafür, dass die Geschädigte dem Fahrzeug der Beklagten zu 2) mit ihrem Fahrrad ausgewichen und auf dem unbefestigten Seitenstreifen in Straucheln geraten ist, noch lässt sich ein derartiges Ausweichmanöver aus der Breite der asphaltierten Fahrbahn oder der Endlage der Geschädigten oder ihres Fahrrades nach dem Sturz herleiten.
52Die Beklagte zu 1) hat angegeben, dass sie ein Straucheln der Geschädigten mit ihrem Fahrrad bereits in einer Entfernung von 30 – 35 m gesehen habe. Ein in solcher Entfernung befindliches Fahrzeug hätte der Geschädigten sicherlich noch keinen Anlass gegeben, prophylaktisch auf den Seitenstreifen auszuweichen. Ein geringerer Abstand kann jedoch zu Lasten der Beklagten nicht angenommen werden, weil ein solcher geringerer Abstand weder bewiesen noch unstreitig ist.
53Es ist den Klägerinnen zuzugeben, dass bei einer Fahrbahnbreite von 3 m und einer Breite des Beklagtenfahrzeugs von 1,70 m die verbleibende asphaltierte Fahrbahnfläche von 1,30 m einem Radfahrer durchaus hätte Anlass geben können, auf den Seitenstreifen auszuweichen, zumal auch im Begegnungsverkehr ein gewisser Sicherheitsabstand zugunsten des Fahrradfahrers einzuhalten ist, wobei die genaue Größe dieses Abstandes letztendlich dahinstehen kann.
54Es verbleibt jedoch bei der Feststellung, dass bereits ein Ausweichmanöver der Geschädigten, mag es auch plausibel sein, sich letztlich nicht feststellen lässt und insbesondere nicht zwingend aus der Fahrbahnbreite abgeleitet werden kann. Denn um eine diesbezügliche Überzeugung nach § 286 ZPO zu gewinnen, müssten alle anderen denkbaren Unfallvarianten ausgeschlossen sein.
55Dass die Geschädigte trotz guter Gesundheit und Konstitution in ihrem Alter von 75 Jahren und angesichts des regen Verkehrs auf der Straße auch aus anderen Ursachen ins Straucheln geraten sein könnte, lässt sich in keiner Weise ausschließen.
56Die in der Ermittlungsakte dokumentierten Unfallspuren lassen keine andere Schlussfolgerung zu. Die auf Bl. 9 der Ermittlungsakte befindlichen Fotos von dem auf dem Rasen liegenden Fahrrad stellen offenbar nicht die Endlage desselben dar, da dies weder von den unfallaufnehmenden Polizeibeamten so festgehalten worden ist, noch das Fahrrad in die Monobildskizze eingezeichnet wurde, obgleich die Endstellung des Fahrrades sicherlich ein wesentlicher und in eine solche Skizze aufzunehmender Umstand ist. Gegen die Vermutung, dass auf den fraglichen Fotos die Endlage des Fahrrades nach dem Sturz festgehalten worden ist, spricht auch, dass sich die Geschädigte nach dem Sturz unstreitig mitten auf der Fahrbahn des T-Weges befunden hat, während das Fahrrad auf den Fotos ersichtlich auf der rechten Seite, und zwar schnurgerade entlang dem Rasenrand liegt. Wäre das Fahrrad bei dem Sturz auf die rechte Seite gefallen, hätte dies auch auf die Geschädigte zutreffen müssen. Es erscheint daher wesentlich wahrscheinlicher, dass das Fahrrad von den zur Unfallstelle geeilten Hilfskräften des Rettungsdienstes oder der Polizei von der Fahrbahn genommen und zur Seite geschafft worden ist, um die Fahrbahn frei zu machen.
57Dass die Beklagte zu 2) entgegen ihren eigenen Angaben nicht äußerst rechts, sondern mittig auf der Fahrbahn gefahren ist und hierdurch die Geschädigte zu einem Ausweichen gezwungen hat, ist ebenfalls weder durch objektive Unfallspuren noch die Angaben der Beklagten zu 2) erhärtet.
58Schließlich ergibt sich weder aus den Feststellungen des Landgerichts noch aus vorliegenden Indizien ein Hinweis auf eine unangepasste Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeuges vor dem Unfall. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die Angaben der Beklagten zu 2), sie sei angesichts des regen Fußgänger- und Radfahreraufkommens sowie der schmalen Fahrbahn mit einer Geschwindigkeit von rd. 20 – 30 km/h gefahren, für plausibel angesehen hat. Spuren auf der Fahrbahn oder am Seitengraben, welche Rückschlüsse auf eine vor dem Unfall innegehaltene Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs zulassen könnten, sind von der Polizei nicht dokumentiert. Es fehlen daher auch objektive Anknüpfungspunkte für die Einholung eines verkehrsanalytischen Sachverständigengutachtens zu diesen Fragen. Da es weder eine Kollisionsstelle noch eine gesicherte Position, aus der heraus das Beklagtenfahrzeug in den Straßengraben gelenkt wurde, noch eine dokumentierte Endlage des Fahrrades gibt, lässt sich der Unfall nicht weiter durch ein Sachverständigengutachten aufklären. Die Geschädigte selbst hat, wie der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen im Senatstermin einräumte, niemals eine Aussage zu dem Unfall machen können.
59Die Berechnungen zum Bremsweg, welche die Klägerinnen in ihrer Berufungsbegründung anstellen, sind obsolet, weil die Beklagte zu 2) angegeben hat, in der Situation nicht gebremst zu haben, was ihr nicht widerlegt werden kann. Insoweit geht auch ihre Argumentation fehl, die Ausgangsgeschwindigkeit des Fahrzeuges habe deutlich höher liegen müssen als von der Beklagten zu 2) angegeben, weil das Fahrzeug nach 15 Metern im Graben zum Stehen gekommen sei. Denn wenn das Fahrzeug ungebremst in den Graben gerutscht und dort nur weiter gerollt ist, lassen sich aus einer Entfernung von 15 Metern keinerlei Rückschlüsse auf eine überhöhte Geschwindigkeit ziehen. Denn die von der Beklagten zu 2) konzedierte Ausgangsgeschwindigkeit von maximal 23 km/h kann auch vor dem Hintergrund der geringen Fahrbahnbreite und des regen Verkehrs auf der Straße nicht als überhöht bewertet werden. Diese lässt vielmehr ein sicheres Passieren der Verkehrsteilnehmer unter Einhaltung eines Sicherheitsabstandes durchaus zu.
60Letztendlich könnte eine exakte Ermittlung der Ausgangsgeschwindigkeit noch nicht das fehlende Glied in der Kausalkette ersetzen, da auch in diesem Fall nicht sicher feststellbar wäre, dass der Sturz der Geschädigten in Reaktion auf das Fahrverhalten des Beklagtenfahrzeuges erfolgt ist.
61Auch die vom Senat im Hinblick auf die sehr knappe Protokollierung der erstinstanzlichen Angaben der Beklagten zu 2) wiederholte Anhörung derselben hat keine anderen Erkenntnisse gezeitigt. Zwar hat die Beklagte zu 2) vor dem Senat, wie auch schon in der Berufungserwiderung, einen Sachverhalt angegeben, der mit allen bisherigen Darstellungen nicht in Einklang zu bringen ist und insbesondere in erheblichem Widerspruch zu den eigenen Angaben der Beklagten zu 2) zum Unfallhergang in der Ermittlungsakte und auch in der Klageerwiderung steht. Danach will sie nämlich nicht der vor ihr am Boden liegenden Geschädigten ausgewichen sein, sondern vielmehr bereits zuvor ihr Fahrzeug auf das Bankett gelenkt und die Geschädigte mit ihrem Fahrrad passiert haben, bevor diese hinter ihrem Fahrzeug gestürzt sei. Wenngleich diese Darstellung eher einen Zusammenhang des Sturzes mit der Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs nahelegen könnte, würde sich daraus jedoch noch immer keine hinreichende Überzeugung i. S. d. § 286 ZPO vom Hergang des Unfalls herleiten lassen. Denn auch in diesem Fall könnte der Sturz aus anderen, nicht mit dem Kraftfahrzeug der Beklagten zu 1) zusammenhängenden Ursachen erfolgt sein.
62Letztlich vermag sich der Senat jedoch auch von dieser Unfallschilderung der Beklagten zu 2) in keiner Weise zu überzeugen. Denn die Beklagte zu 2) hat, insoweit übereinstimmend mit der Beklagten zu 1), im polizeilichen Ermittlungsverfahren angegeben, dass sie der am Boden liegenden Geschädigten mit ihrem Fahrzeug ausgewichen sei, um diese nicht zu überfahren. Exakt so hat sie dies auch ausweislich der Zeugenangaben in der Ermittlungsakte den Zeugen gegenüber geschildert. Diese Schilderung erfolgte knapp einen Monat nach dem Unfallereignis und somit in noch frischer Erinnerung an das Geschehen. Es ist für den Senat insbesondere nicht nachvollziehbar, dass sich die Erinnerung an das schockierende Erlebnis durch Zeitablauf so verändern kann, dass die Beklagte zu 2) nunmehr diesen Sturz gar nicht gesehen haben will. Auch lässt sich bei Zugrundelegung dieser Unfallversion kaum erklären, warum das Fahrzeug der Beklagten, wenn sie der Geschädigten schon aus großer Entfernung hin auf das Bankett ausgewichen sein will, überhaupt in den Graben gerutscht ist. Eine plötzliche Ausweichbewegung vor einem am Boden liegenden Menschen dürfte hier eine wesentlich plausiblere Erklärung darstellen.
63Letztlich kann offenbleiben, welche der von der Beklagten zu 2) geschilderten Unfallversionen die Zutreffende ist. Denn beide Varianten ergeben keinen hinreichenden Anknüpfungspunkt für einen Zusammenhang zwischen der vom Beklagtenfahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr und dem Sturz der Geschädigten.
64Insoweit kommt den Klägerinnen auch keine Beweiserleichterung, etwa im Sinne eines Anscheinsbeweises zugute. Voraussetzung für die Annahme einer solchen Beweiserleichterung ist ein typischer Geschehensablauf, d. h. ein Sachverhalt, bei dem nach der Lebenserfahrung auf das Hervorrufen einer bestimmten Folge oder die Verursachung durch ein bestimmtes Verhalten geschlossen werden kann. Dieser Sachverhalt muss entweder unstreitig oder durch Vollbeweis erwiesen sein (BGH, NJW 1982, 2448). Dies beurteilt der Richter nach der Lebenserfahrung. Hierbei ist Vorsicht am Platze, bloße Wahrscheinlichkeit genügt nicht, auch auf noch so aussagekräftige Indizien kann ein Anscheinsbeweis nicht gestützt werden. Der behauptete Vorgang muss vielmehr zu jenen gehören, die schon auf den ersten Blick nach einem durch Regelmäßigkeit, Üblichkeit und Häufigkeit geprägten Muster abzulaufen pflegen (BGH, NJW 1991, 230/231). Wie der Senat bereits erschöpfend ausgeführt hat, lässt sich eben kein Sachverhalt als feststehend betrachten, aus dem der Schluss zu ziehen wäre, dass die Geschädigte in Reaktion auf den Betrieb des Fahrzeugs der Beklagten zu 1) gestürzt ist, sei es auch in einer Fehlreaktion. Vielmehr lassen sich diverse andere Ursachen für diesen Sturz in Erwägung ziehen. Die bloße Anwesenheit des Fahrzeuges auf der Fahrbahn des T-Weges genügt jedoch, wie ebenfalls bereits ausgeführt, für eine Haftung der Beklagten nicht.
652.
66Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO und berücksichtigt die unterschiedliche Beteiligung der Klägerinnen.
67Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit basiert auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO und trägt dem Umstand Rechnung, dass die Entscheidung allein für die Klägerin zu 1) revisibel sein könnte.
683.
69Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, § 543 Abs. 2 Nr. 1 u. 2 ZPO. Vielmehr handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung.
Urteilsbesprechung zu Oberlandesgericht Hamm Urteil, 02. Sept. 2016 - 9 U 14/16
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Oberlandesgericht Hamm Urteil, 02. Sept. 2016 - 9 U 14/16 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).
(1) Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.
(2) Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird.
(3) Benutzt jemand das Kraftfahrzeug ohne Wissen und Willen des Fahrzeughalters, so ist er anstelle des Halters zum Ersatz des Schadens verpflichtet; daneben bleibt der Halter zum Ersatz des Schadens verpflichtet, wenn die Benutzung des Kraftfahrzeugs durch sein Verschulden ermöglicht worden ist. Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Benutzer vom Fahrzeughalter für den Betrieb des Kraftfahrzeugs angestellt ist oder wenn ihm das Kraftfahrzeug vom Halter überlassen worden ist.
(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.
(1) Wer ein Fahrzeug führt, darf nur so schnell fahren, dass das Fahrzeug ständig beherrscht wird. Die Geschwindigkeit ist insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie den persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen. Beträgt die Sichtweite durch Nebel, Schneefall oder Regen weniger als 50 m, darf nicht schneller als 50 km/h gefahren werden, wenn nicht eine geringere Geschwindigkeit geboten ist. Es darf nur so schnell gefahren werden, dass innerhalb der übersehbaren Strecke gehalten werden kann. Auf Fahrbahnen, die so schmal sind, dass dort entgegenkommende Fahrzeuge gefährdet werden könnten, muss jedoch so langsam gefahren werden, dass mindestens innerhalb der Hälfte der übersehbaren Strecke gehalten werden kann.
(2) Ohne triftigen Grund dürfen Kraftfahrzeuge nicht so langsam fahren, dass sie den Verkehrsfluss behindern.
(2a) Wer ein Fahrzeug führt, muss sich gegenüber Kindern, hilfsbedürftigen und älteren Menschen, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, so verhalten, dass eine Gefährdung dieser Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.
(3) Die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt auch unter günstigsten Umständen
- 1.
innerhalb geschlossener Ortschaften für alle Kraftfahrzeuge 50 km/h, - 2.
außerhalb geschlossener Ortschaften - a)
für - aa)
Kraftfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse über 3,5 t bis 7,5 t, ausgenommen Personenkraftwagen, - bb)
Personenkraftwagen mit Anhänger, - cc)
Lastkraftwagen und Wohnmobile jeweils bis zu einer zulässigen Gesamtmasse von 3,5 t mit Anhänger sowie - dd)
Kraftomnibusse, auch mit Gepäckanhänger,
- b)
für - aa)
Kraftfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse über 7,5 t, - bb)
alle Kraftfahrzeuge mit Anhänger, ausgenommen Personenkraftwagen, Lastkraftwagen und Wohnmobile jeweils bis zu einer zulässigen Gesamtmasse von 3,5 t, sowie - cc)
Kraftomnibusse mit Fahrgästen, für die keine Sitzplätze mehr zur Verfügung stehen,
- c)
für Personenkraftwagen sowie für andere Kraftfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse bis 3,5 t 100 km/h. Diese Geschwindigkeitsbeschränkung gilt nicht auf Autobahnen (Zeichen 330.1) sowie auf anderen Straßen mit Fahrbahnen für eine Richtung, die durch Mittelstreifen oder sonstige bauliche Einrichtungen getrennt sind. Sie gilt ferner nicht auf Straßen, die mindestens zwei durch Fahrstreifenbegrenzung (Zeichen 295) oder durch Leitlinien (Zeichen 340) markierte Fahrstreifen für jede Richtung haben.
(4) Die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt für Kraftfahrzeuge mit Schneeketten auch unter günstigsten Umständen 50 km/h.
Das Recht ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.
(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:
- 1.
die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten; - 2.
neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.
(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.
(1) Die Berufung kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546) beruht oder nach § 529 zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.
(2) Die Berufung kann nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat.
(1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben.
(2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären.
(3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht.
(4) Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind.
(1) Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.
(2) Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird.
(3) Benutzt jemand das Kraftfahrzeug ohne Wissen und Willen des Fahrzeughalters, so ist er anstelle des Halters zum Ersatz des Schadens verpflichtet; daneben bleibt der Halter zum Ersatz des Schadens verpflichtet, wenn die Benutzung des Kraftfahrzeugs durch sein Verschulden ermöglicht worden ist. Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Benutzer vom Fahrzeughalter für den Betrieb des Kraftfahrzeugs angestellt ist oder wenn ihm das Kraftfahrzeug vom Halter überlassen worden ist.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger macht gegen die Beklagten Schadensersatzansprüche aus einem Unfall in einer Tiefgarage geltend. Er und der Beklagte zu 1 besitzen dort jeweils einen Stellplatz. Der von dem Beklagten zu 1 gemietete Stellplatz befindet sich direkt rechts hinter der Ein- bzw. Ausfahrtsrampe zur Tiefgarage. Er muß auf der Rampe nach links ausholen, um dann rechtwinklig nach rechts in seine Parkbox einfahren zu können. Am 8. Januar 2003 fuhr der Beklagte zu 1 mit seinem VW-Bus die Abfahrt zu der Tiefgarage herunter. Der Kläger wollte diese mit seinem Fahrzeug verlassen und kam dem Beklagten zu 1 entgegengefahren. Als die Fahrzeugenoch drei bis fünf Meter voneinander entfernt waren, lenkte er plötzlich nach rechts und sein PKW kollidierte mit der Wand der Tiefgarage. Die Ursache dieses Manövers ist zwischen den Parteien streitig. Nach der Darstellung des Klägers ist der Beklagte zu 1 plötzlich über die Trennlinie der beiden jeweils 2,90 m breiten Fahrspuren der Ab- bzw. Auffahrt gefahren, so daß er selbst nach rechts ausgewichen und deshalb an die Wand gefahren sei. Nach der Darstellung der Beklagten hat der Beklagte zu 1 lediglich einen kleinen Schlenker innerhalb seiner eigenen Fahrspur nach links gemacht, jedoch sofort nach rechts zurückgelenkt, nachdem er das klägerische Fahrzeug gesehen habe. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat eine Haftung der Beklagten aus §§ 7, 17 StVG, § 3 PflVG, § 823 BGB verneint. Der Kläger habe weder den Beweis führen können , daß ein Fahrfehler des Beklagten zu 1 kausal für sein Ausweichen gegen die Garagenwand gewesen sei noch folge eine Haftung der Beklagten unter Zugrundelegung des unstreitigen Sachverhaltes aus der Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs. Auch wenn man davon ausgehe, daß der Beklagte zu 1 auf seiner Fahrspur zunächst nur einen kleinen Schlenker nach links gefahren sei, ohne dieMittellinie zu überfahren, und danach sofort wieder auf die rechte Seite seiner Fahrspur zurückgelenkt habe, habe sich nicht die typische Betriebsgefahr seines Fahrzeugs verwirklicht. Den Beklagten sei nicht zuzurechnen, daß der Kläger beim Anblick des VW-Busses seinen eigenen PKW gegen die Wand der Tiefgarage gelenkt habe. Seine Ausweichlenkung sei als gravierender Fahrfehler infolge einer ungerechtfertigten Panikreaktion zu werten. Eine solche gänzlich überzogene Reaktion sei dem anderen Verkehrsteilnehmer nicht mehr nach § 7 StVG zuzurechnen. Bei wertender Betrachtung fehle es an einer "subjektiv vertretbaren Ausweichlenkung aufgrund der konkreten Verkehrssituation". Für eine Zurechnung sei jedoch mindestens erforderlich, daß der geschädigte Kraftfahrzeugführer objektiv nachvollziehbar von einer Gefährdung durch das entgegenkommende Fahrzeug ausgehen durfte. Daran fehle es hier.
II.
Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. 1. a) Das Haftungsmerkmal "bei dem Betrieb" ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Vorschrift weit auszulegen. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG umfaßt daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflußten Schadensabläufe. Es genügt, daß sich eine von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr ausgewirkt hat und das Schadensgeschehen in dieser Weise durch das Kraftfahrzeug mitgeprägt worden ist (vgl. Senatsurteile BGHZ 105, 65, 66; 107, 359, 366; 115, 84, 86 und vom 18. Januar 2005 - VI ZR 115/04 – VersR 2005, 566, 567). Ob dies der Fall ist, muß mittels einer am Schutzzweck der Haftungsnorm orientierten wertenden Betrachtung beurteilt werden (vgl. Senatsurteile BGHZ 71, 212, 214; 115,aaO und vom 18. Januar 2005 - VI ZR 115/04 - aaO). An diesem auch im Rahmen der Gefährdungshaftung erforderlichen Zurechnungszusammenhang fehlt es, wenn die Schädigung nicht mehr eine spezifische Auswirkung derjenigen Gefahren ist, für die die Haftungsvorschrift den Verkehr schadlos halten will (vgl. Senatsurteile BGHZ 79, 259, 263; 107, 359, 367; 115, 84, 86 f.). Für eine Zurechnung zur Betriebsgefahr kommt es maßgeblich darauf an, daß der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Kausalzusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht (vgl. Senatsurteile BGHZ 37, 311, 317 f.; 58, 162, 165; vom 11. Juli 1972 - VI ZR 86/71 - VersR 1972, 1074 f.; vom 10. Oktober 1972 - VI ZR 104/71 - VersR 1973, 83 f. und vom 10. Februar 2004 – VI ZR 218/03 - VersR 2004, 529, 531). Hiernach rechtfertigt die Anwesenheit eines im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle allein zwar noch nicht die Annahme, der Unfall sei bei dem Betrieb dieses Fahrzeugs entstanden. Erforderlich ist vielmehr, daß die Fahrweise oder der Betrieb dieses Fahrzeugs zu dem Entstehen des Unfalls beigetragen hat (vgl. Senatsurteile vom 22. Oktober 1968 - VI ZR 178/67 - VersR 1969, 58, 59; vom 11. Juli 1972 - VI ZR 86/71 – aa0; vom 10. Oktober 1972 - VI ZR 104/71 – aaO und vom 19. April 1988 - VI ZR 96/87 - VersR 1988, 641). Andererseits hängt die Haftung gemäß § 7 StVG nicht davon ab, ob sich der Führer des im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs verkehrswidrig verhalten hat (vgl. Senatsurteile vom 29. Juni 1971 - VI ZR 271/69 - VersR 1971, 1060, 1061; vom 13. Juli 1971 - VI ZR 2/70 - VersR 1971, 1063, 1064 und vom 10. Oktober 1972 - VI ZR 104/71 - aaO), und auch nicht davon, daß es zu einer Kollision der Fahrzeuge gekommen ist (vgl. Senatsurteile vom 16. September 1986 - VI ZR 151/85 - VersR 1986, 1231, 1232 und vom 19. April 1988 - VI ZR 96/87 - aaO).
Diese weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs“ entspricht dem weiten Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG und findet darin ihre innere Rechtfertigung. Die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist sozusagen der Preis dafür, daß durch die Verwendung eines Kfz - erlaubterweise – eine Gefahrenquelle eröffnet wird, und will daher alle durch den Kfz – Verkehr beeinflußten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kfz entstanden, wenn sich von einem Kfz ausgehende Gefahren ausgewirkt haben (vgl. Senatsurteil vom 19. April 1988 - VI ZR 96/87 – aaO mwN.)
b) Nach diesen Grundsätzen kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Die Auffassung des Berufungsgerichts, hier fehle der Zurechnungszusammenhang , weil der Kläger nicht objektiv nachvollziehbar von einer Gefährdung durch das entgegenkommende Fahrzeug habe ausgehen dürfen, steht mit dieser Rechtsprechung nicht in Einklang. Danach kann selbst ein Unfall infolge einer voreiligen - also objektiv nicht erforderlichen - Abwehr- oder Ausweichreaktion gegebenenfalls dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zugerechnet werden, das diese Reaktion ausgelöst hat (vgl. Senatsurteile vom 29. Juni 1971 - VI ZR 271/69 - aaO und vom 19. April 1988 - VI ZR 96/87 - aaO). Daß der vom Beklagten zu 1 eingeräumte Schlenker nach links, von dem auch das Berufungsgericht ausgeht, die Ausweichbewegung des Klägers veranlaßt hat, liegt auf der Hand. Auch wenn das Berufungsgericht sie als Panikreaktion bezeichnet , ist sie doch durch das Verhalten des Beklagten verursacht worden, das vom entgegenkommenden Fahrer in der engen Ausfahrt als gefährlich empfunden werden konnte. Das reicht, wie der Senat in einem vergleichbaren Fall ausgeführt hat, für den Zurechnungszusammenhang aus (vgl. Senatsurteil vom 19. April 1988 - VI ZR 96/87 - aaO).
So hat der Senat auch in einem Fall, in dem eine Mofafahrerin unsicher wurde, als sie ein Sattelschlepper überholte, und deshalb stürzte, eine Auswirkung der Betriebsgefahr des LKWs angenommen (vgl. Senatsurteil vom 11. Juli 1972 - VI ZR 86/71 - aaO), ebenso als ein Fußgänger durch die Fahrweise des nach Hochziehen einer Schranke anfahrenden Kraftfahrzeugs unsicher wurde und deshalb stürzte (vgl. Senatsurteil vom 10. Oktober 1972 - VI ZR 104/71 – aaO). Das Merkmal "beim Betrieb" hat er auch bejaht, als ein LKW die voreilige Abwehrreaktion eines nachfolgenden Kraftfahrers auslöste, weil er andauernd blinkte und entweder nach links zog oder schon hart an die Mittellinie herangezogen war (vgl. Senatsurteil vom 29. Juni 1971 - VI ZR 271/69 - aaO). In all diesen Fällen kam es nicht darauf an, ob die Abwehr- oder Ausweichreaktion objektiv erforderlich war.
c) Die vom Berufungsgericht vorgenommene Einschränkung ist auch nicht erforderlich. Vielmehr ist das notwendige Korrektiv für eine sachgerechte Haftungsbegrenzung in den §§ 9, 17, 18 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 StVG enthalten. Nach diesen Vorschriften können die jeweiligen Verursachungsbeiträge sowie ein etwaiges Verschulden berücksichtigt werden, so daß der Schaden angemessen verteilt und gegebenenfalls sogar die Haftung einem Kraftfahrer allein auferlegt werden kann.
III.
Eine abschließende Entscheidung ist dem erkennenden Senat nicht möglich, weil das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt folgerichtig - die dazu erforderlichen Feststellungen nicht getroffen hat. Die Sache ist daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es sie nachholen kann.Im weiteren Verfahren wird das Berufungsgericht feststellen müssen, ob sich eine etwaige Haftung des Beklagten zu 1 auch aus § 7 Abs. 1 StVG oder nur aus § 18 Abs. 1 StVG ergeben kann. Es wird gegebenenfalls eine Abwägung nach §§ 9, 17, 18 Abs. 3 StVG vornehmen müssen, wobei nur solche Umstände berücksichtigt werden dürfen, die feststehen, d.h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen sind, und sich auf den Unfall ausgewirkt haben (vgl. Senatsurteile vom 10. Januar 1995 - VI ZR 247/94 - VersR 1995, 357 und vom 27. Juni 2000 – VI ZR 126/99 – VersR 2000, 1294, 1296).
Müller Wellner Diederichsen Stöhr Zoll
(1) Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.
(2) Die Ersatzpflicht ist ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt verursacht wird.
(3) Benutzt jemand das Kraftfahrzeug ohne Wissen und Willen des Fahrzeughalters, so ist er anstelle des Halters zum Ersatz des Schadens verpflichtet; daneben bleibt der Halter zum Ersatz des Schadens verpflichtet, wenn die Benutzung des Kraftfahrzeugs durch sein Verschulden ermöglicht worden ist. Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Benutzer vom Fahrzeughalter für den Betrieb des Kraftfahrzeugs angestellt ist oder wenn ihm das Kraftfahrzeug vom Halter überlassen worden ist.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Das klagende Land (im Folgenden: der Kläger) macht gegen die Beklagten Ersatzansprüche aus übergegangenem Recht des Polizeibeamten K. geltend , der am 13. September 2004 auf dem Weg zu seiner Dienststelle bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt wurde. K. befuhr gegen 11.00 Uhr mit seinem Motorrad die Bundesstraße B 189 von K. in Richtung H.. Hinter dem Ortsausgang von K. ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 80 km/h be- schränkt. Nach dem Durchfahren einer Linkskurve, hinter der ein zuvor bestehendes Überholverbot endet, wollte K. zwei vor ihm fahrende Pkw überholen, nämlich den von dem Beklagten zu 2 gesteuerten Pkw VW Passat, dessen Halterin die Beklagte zu 3 ist und der bei der Beklagten zu 1 haftpflichtversichert ist, und den vor diesem fahrenden Pkw Skoda, der von dem Zeugen S. gesteuert wurde. Zu dem Unfall, dessen genauer Hergang streitig ist, kam es, weil auch der Beklagte zu 2 den Pkw Skoda überholen wollte und dazu ansetzte. K. nahm eine Notbremsung vor und leitete ein Ausweichmanöver ein. Dabei kam er nach links von der Fahrbahn ab und streifte einen Alleebaum. Danach schleuderten er und sein Motorrad zwischen dem VW Passat und dem Skoda nach rechts über die Straße und blieben dort neben der Fahrbahn liegen. Zu einer Berührung zwischen dem Motorrad und einem der Pkw kam es nicht.
- 2
- Das Landgericht hat der Klage auf der Grundlage einer Haftungsquote von 50 % stattgegeben. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage vollumfänglich abgewiesen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision, mit der er die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erstrebt.
Entscheidungsgründe:
I.
- 3
- Das Berufungsgericht führt aus, einer Haftung der Beklagten gemäß § 7 Abs. 1 i.V.m. § 18 StVG stehe zwar nicht schon entgegen, dass es zu keiner Berührung zwischen dem von K. geführten Motorrad und dem Pkw Passat des Beklagten zu 2 gekommen sei, denn für das Haftungsmerkmal "bei dem Betrieb" genüge es, dass sich eine von dem betreffenden Kraftfahrzeug ausge- hende Gefahr verwirklicht habe und diese den Schadensablauf mitgeprägt habe. Erforderlich sei aber, dass die Fahrweise oder der Betrieb des Kraftfahrzeugs zu dem Unfallgeschehen beigetragen habe. In den Fällen, in denen es nicht zu einer Berührung der betreffenden Kraftfahrzeuge gekommen sei, habe der Geschädigte den erforderlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Betrieb des anderen Kraftfahrzeugs und dem Schadensereignis darzutun und zu beweisen; etwaige Zweifel an der Ursächlichkeit gingen zu seinen Lasten. Im Streitfall stehe nicht fest, dass K. sich durch die Fahrweise des Beklagten zu 2 zu einem Ausweichmanöver habe veranlasst sehen müssen, um eine Kollision mit dem zum Überholen ansetzenden Pkw des Beklagten zu 2 zu vermeiden. Da nicht ausgeschlossen werden könne, dass sich K. zu dem Zeitpunkt , als der Beklagte zu 2 den Überholvorgang einleitete, noch in der rechten Fahrspur befand, sei nicht ersichtlich, aufgrund welcher Umstände er sich durch die Einleitung des Überholvorgangs des Beklagten zu 2 zu der von ihm vorgenommenen Reaktion habe herausgefordert sehen dürfen. Erforderlich sei, dass das Verhalten des Beklagten zu 2 für K. zu der Befürchtung hätte Anlass geben müssen, dass es ohne eine Reaktion durch ihn zu einer Kollision kommen werde. Nach den getroffenen Feststellungen stehe aber nicht fest, dass die von K. vorgenommene Ausweichreaktion subjektiv vertretbar gewesen sei und insbesondere für ihn die einzige Möglichkeit dargestellt habe, einen Zusammenstoß mit dem Kraftfahrzeug des Beklagten zu 2 zu vermeiden, etwa weil ein rechtzeitiges Abbremsen nicht mehr möglich gewesen sei.
II.
- 4
- Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
- 5
- 1. Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass die Halterhaftung gemäß § 7 Abs. 1 StVG und die Haftung des Fahrers aus vermutetem Verschulden gemäß § 7 Abs. 1 i.V.m. § 18 StVG auch dann eingreifen können, wenn es nicht zu einer Berührung zwischen den am Unfallgeschehen beteiligten Kraftfahrzeugen gekommen ist. Eine Haftung kommt grundsätzlich nämlich auch dann in Betracht, wenn der Unfall mittelbar durch das andere Kraftfahrzeug verursacht worden ist. Allerdings reicht die bloße Anwesenheit des Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle dafür nicht aus. Vielmehr muss das Kraftfahrzeug durch seine Fahrweise (oder sonstige Verkehrsbeeinflussung) zu der Entstehung des Schadens beigetragen haben (Senatsurteile vom 11. Juli 1972 - VI ZR 86/71, VersR 1972, 1074, 1075; vom 4. Mai 1976 - VI ZR 193/74, VersR 1976, 927 und vom 19. April 1988 - VI ZR 96/87, VersR 1988, 641). Dieses kann etwa der Fall sein, wenn der Geschädigte durch den Betrieb eines Kraftfahrzeugs zu einer Reaktion wie z.B. zu einem Ausweichmanöver veranlasst wird und dadurch ein Schaden eintritt. In einem solchen Fall kann der für eine Haftung erforderliche Zurechnungszusammenhang je nach Lage des Falles zu bejahen sein.
- 6
- 2. Die Revision wendet sich aber mit Erfolg gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, dass der Zurechnungszusammenhang im Streitfall deshalb fehle, weil K. nicht subjektiv vertretbar eine Gefährdung durch das zum Überholen ansetzende Fahrzeug des Beklagten zu 2 habe annehmen dürfen. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats kann nämlich auch ein Unfall infolge einer voreiligen - also objektiv nicht erforderlichen - Abwehr- oder Ausweichreaktion gegebenenfalls dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zugerechnet werden, das diese Reaktion ausgelöst hat (vgl. Senatsurteile vom 29. Juni 1971 - VI ZR 271/69, VersR 1971, 1060, 1061; vom 19. April 1988 - VI ZR 96/87, aaO und vom 26. April 2005 - VI ZR 168/04, VersR 2005, 992, 993). Es ist auch nicht erforderlich, dass die von dem Geschädigten vorgenommene Ausweich- reaktion aus seiner Sicht, also subjektiv erforderlich war oder sich gar für ihn als die einzige Möglichkeit darstellte, um eine Kollision zu vermeiden. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es für die Bejahung des Zurechnungszusammenhangs insbesondere nicht darauf an, ob K. einen Zusammenstoß mit dem Pkw des Beklagten zu 2 auf andere Weise, etwa durch Abbremsen , hätte verhindern können.
- 7
- 3. Nach den getroffenen Feststellungen ist zwar ungeklärt geblieben, ob die Notbremsung und das Ausweichmanöver zu Beginn oder erst in der Schlussphase des von dem Beklagten zu 2 durchgeführten Überholvorgangs erfolgten. Das Motorrad hatte nach Berechnungen des Sachverständigen eine Ausgangsgeschwindigkeit zwischen 86 km/h und 124 km/h. Offen geblieben ist auch, ob sich K. noch vollständig hinter dem Pkw des Beklagten zu 2 befand und das Überholmanöver noch nicht eingeleitet hatte, als der Beklagte zu 2 sich zum Überholen entschloss, oder ob K. zu diesem Zeitpunkt seinen Überholvorgang schon eingeleitet hatte. Nach den Darlegungen des Sachverständigen ist es möglich, dass sich K. in diesem Moment noch in der rechten Fahrspur befand , gerade die Mittellinie überfuhr oder schon auf der linken Fahrspur war. Eine Haftung der Beklagten kann allein aufgrund des Umstands, dass der genaue Geschehensablauf insoweit ungeklärt ist, indessen nicht verneint werden.
- 8
- Die Revision weist nämlich zutreffend darauf hin, dass das Berufungsgericht eine Ausweichreaktion durch K. angenommen hat. Nach den getroffenen Feststellungen kann diese Ausweichreaktion nur dem Pkw des Beklagten zu 2 gegolten haben. Dass K. einem anderen Hindernis als dem überholenden Pkw des Beklagten zu 2 ausgewichen sein könnte, macht die Revisionserwiderung nicht geltend. Ob die Ausweichreaktion notwendig oder aber wenigstens subjektiv vertretbar war, ist in Fällen, in denen es nicht zu einer Berührung mit dem anderen Kraftfahrzeug gekommen ist, unerheblich. Die Voraussetzungen von § 7 Abs. 1 StVG wären selbst dann erfüllt, wenn der Kläger (verkehrswidrig) versucht hätte, die beiden Pkw gleichzeitig, nämlich als diese während des Überholvorgangs auf gleicher Höhe waren, zu überholen. Anders wäre es nur, wenn das Überholmanöver des Beklagten zu 2 das des Klägers in keinerlei Weise beeinflusst hätte. Das ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen , wonach das Ausweichmanöver dem von dem Beklagten zu 2 gesteuerten Pkw galt, jedoch auszuschließen. War das Überholmanöver dieses Pkw der Anlass für das den Unfall auslösende Ausweichmanöver des Klägers, hat sich der Unfall "bei dem Betrieb" des von dem Beklagten zu 2 gesteuerten Kraftfahrzeugs ereignet.
- 9
- 4. Nach den getroffenen Feststellungen haben die Beklagten weder bewiesen , dass den Beklagten zu 2 kein Verschulden trifft (§ 18 Abs. 1 Satz 2 StVG), noch, dass der Unfall für ihn ein unabwendbares Ereignis i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG war. Ebenso wenig ist festgestellt, dass K. den Unfall verschuldet hat und sein Verschulden so schwer wiegt, dass die Betriebsgefahr des Pkw des Beklagten zu 2 demgegenüber völlig zurückzutreten hätte. Bei dieser Sachlage kann die vollumfängliche Klageabweisung keinen Bestand haben. Galke Wellner Pauge Stöhr von Pentz
LG Neuruppin, Entscheidung vom 26.11.2008 - 2 O 301/07 -
OLG Brandenburg, Entscheidung vom 23.07.2009 - 12 U 270/08 -
(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:
- 1.
die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten; - 2.
neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.
(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.
(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.