Oberlandesgericht München Endurteil, 17. Feb. 2017 - 10 U 2007/16
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin vom 07.05.2016 gegen das Endurteil des LG München I
II. Das Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
III. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die (Kosten-)Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A.
I.
II.
III.
IV.
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Beklagte - wie in erster Instanz beantragt - zu einer gestaffelt gesetzlich verzinsten Zahlung von 27.019,15 € zu verurteilen (BB 1 = Bl. 288 d. A.).
die Berufung zurückzuweisen (Bl. 286/287 d. A.).
V.
B.
I.
- Als K. N. zunächst die Stichstraße rückwärts gefahren war, legte er etwa 40 Meter in sehr langsamer Fahrt (Schrittgeschwindigkeit) zurück. Jedoch war, weil die Stichstraße eine leichte Steigung aufwies, das Standgas in der Automatikhebelstellung „R“ nicht ausreichend, sodass N. etwas Gas geben musste. Er behielt Frau H. während der gesamten Strecke und der gesamten Dauer der Bewegung im Rückspiegel im Blick.
- Nachdem K. N. rückwärts in die Untere W.-straße eingebogen und nahezu parallel zur Straße zum Stillstand gekommen war - bei der anschließenden Vorwärtsfahrt waren die Vorderräder nicht mehr eingeschlagen -, betätigte er die Fußbremse. Anschließend blickte er über die rechte Schulter nach hinten, und will Frau H. während dieses Zeitraums (von der Abwendung des Blicks vom Rückspiegel bis zu einer möglichen Wahrnehmung nach Rückwärtsdrehung) aus dem Sichtfeld verloren haben. Nachdem er sich wieder nach vorne gedreht hatte, stellte er den Wählhebel des Automatikgetriebes auf „D“ und löste die Fußbremse. Angesichts eines Gefälles von etwa 4 Prozent fuhr sein Fahrzeug mit dem Leerlaufgas an. Für den gesamten Vorgang benötigte K. N. einen Zeitraum von vier bis fünf Sekunden, nicht - wie er selbst mutmaßte - von ein bis zwei Sekunden.
- Sofort nach dem Stillstand des Fahrzeugs des Herrn N. ging Frau H. von ihrer bisherigen Stellung hinter der Heckklappe über eine Strecke von sechs bis sieben Metern bis vor die linke vordere Seite der Stoßstange, und benötigte dabei bei einer Fußgängergeschwindigkeit von etwa 5 km/h eine Zeit von 4 bis 5 Sekunden. Jedenfalls 2 Sekunden vor dem späteren Zusammenstoß bewegte sich Frau H. ununterbrochen im Sichtfeld des nach vorne blickenden K. N., was einer Bewegung von der A-Säule des Audi bis vor die vordere Fahrzeugecke entspricht.
- Zum Zeitpunkt des Anstoßes stand Frau H. oder bewegte sich allenfalls geringstfügig nach vorne. Insbesondere eine schnelle Vorwärtsbewegung in Richtung Straßenrand (an der Fahrzeugfront vorbei) ist deswegen ausgeschlossen, weil in einem solchen Fall die Anstoßgeometrie eine vollständig andere Endlage erzeugt hätte. K. N. hätte den Anstoß vermeiden können, wenn er im Anblick von Frau H. auf das Lösen der Bremse und das Anrollen des Fahrzeugs verzichtet hätte.
- K. N. hätte das Überrollen der Beine der Frau H. selbst nach dem Anstoß noch verhindern können. Er fuhr - ohne Beschleunigung und mit Standgas, jedoch bei einem Gefälle von 4% - eine Geschwindigkeit von höchstens 2 km/h, und hätte deswegen bei üblichen Bremsschwell- und Reaktionszeiten (0,2 und 0,8 Sekunden), sowie einer Bremsverzögerung von 6 m/s² bei ordnungsgemäßer Bremsung einen Anhalteweg von 0,5 Metern und eine Anhaltezeit von 0,99 Sekunden benötigt. Dagegen befinden sich die Vorderräder etwa 0,7 Meter von der Fahrzeugfront entfernt, zudem benötigte Frau Herrmann eine Zeit von 1 Sekunde, um zu stürzen und in die Kollisionslage zu gelangen.
- Die Zeugin H. hat die Örtlichkeiten und den Beginn des Fahrvorgangs, von der Abfahrt zu Beginn der Stichstraße bis zum Wendepunkt des Zeugen N., überzeugend und in Übereinstimmung mit den Örtlichkeiten und den Angaben des Zeugen N., geschildert. Anschließend folgt eine neue und überraschende Abweichung von allen bisherigen Darstellungen, die ein Gespräch zwischen ihr und N. auf Höhe des geöffneten Fahrerfensters, bei gleichzeitig stehendem Fahrzeug behauptet. Die Zeugin habe ihre Tochter schreiend und weinend die Stichstraße hochlaufen gesehen, und deswegen das Fahrzeug von N. vorne umrunden müssen, um ihre Tochter abzufangen. Beim Queren der Fahrzeugfront müsse sie von dem Fahrzeug erfasst worden sein, eine Erinnerung an den Anstoß und das Überrollen ihrer Beine habe sie nicht. Aus ihrer Sicht sei die Auseinandersetzung mit N. abgeschlossen gewesen, ihrer Bewegung vor das Fahrzeug habe allein die Sorge um ihre Tochter zugrunde gelegen, nicht etwa der Wunsch, K. N. noch aufzuhalten. Ergänzend wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung (v. 17.02.2017, S. 3/5 = Bl. 328/330 d. A.) verwiesen. Die Darstellung der Zeugin und die behaupteten Tatsachen hält der Senat in den entscheidenden Punkten nicht für glaubhaft (BGH NJW 1991, 3284; NJW 1964, 2414; Urt. v. 19.11.2008 - 2 StR 394/08
- Der Zeuge N. hat, wie in allen Verfahren zu dem streitgegenständlichen Vorfall, versucht, den Zusammenstoß und das Überrollen der Frau H. als bedauerlichen, aber für ihn selbst nahezu unvermeidbaren Unfall erscheinen zu lassen. Während er die Rückwärtsfahrt bis zu seinem Wendepunkt noch in Übereinstimmung mit den Angaben der Frau H. und den Planzeichnungen des Sachverständigen beschrieb, fehlt bereits einerseits jegliche Erklärung für sein unvernünftiges und riskantes Verhalten, andererseits jegliche Überlegung, wie der für Frau H. gefährliche Vorgang sich nach seinem Wendemanöver hätte fortsetzen können oder sollen. Seit einem kurzen Umwenden nach rechts habe er Frau H. nicht mehr gesehen, bis sie plötzlich vor seinem Fahrzeug wieder aufgetaucht sei, gerade zu einem Zeitpunkt, als sich sein Fahrzeug wieder nach vorne bewegt habe. Der Vorgang vom Blick nach rückwärts bis zur Wahrnehmung der Frau H. vor dem Fahrzeug sei ein kurzer fließender Ablauf gewesen und habe etwa 1 bis 2 Sekunden gedauert. Vom Erkennen der Frau H. bis zum Anstoß habe es nur Sekundenbruchteile gedauert, plötzlich sei sie „weg gewesen“. Ergänzend wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung (v. 17.02.2017, S. 6/8 = Bl. 331/333 d. A.) Bezug genommen. Nach Abschluss der Vernehmung beteuerte der Zeuge nochmals, dass er keinesfalls vorsätzlich gehandelt habe. Der Senat hält die Angaben des Zeugen N. für glaubhaft, soweit sie die Vorgänge bis zum Wenden seines Fahrzeugs in Übereinstimmung mit den Angaben der Zeugin H. und den unfallanalytischen Skizzen beschreiben. Insoweit beschönigte der Zeuge sein gefahrträchtiges, bedenkenloses und gegenüber der Zeugin H. gleichgültiges Verhalten nicht. Für die anschließenden Vorgänge kann der Aussage jedoch schon deswegen nicht gefolgt werden, weil die Zeit- und Bewegungsabläufe aus technischer Sicht ausgeschlossen sind. Hätte der Zeuge N. tatsächlich nur 1 bis 2 Sekunden benötigt, um sich umzudrehen, zurückzublicken, die Bremse zu lösen und, wieder nach vorne blickend, anzufahren, hätte die Zeugin H. die Strecke vom Heck des Fahrzeugs bis vor die Stoßstange nicht zurücklegen und somit die Anstoßstelle nicht erreichen können. Aufgrund der vom Zeugen N. eingestandenen Länge seines Fahrzeugs von 4,5 Metern musste Frau H. einen Weg von 6 bis 7 Metern zurücklegen, um vom Heck des Fahrzeugs bis vor die linke Front zu gelangen. Hierfür wird, selbst bei einer zügigen Fußgängergeschwindigkeit von 5 km/h, eine Zeit von 4 bis 5 Sekunden benötigt, in der der Zeuge N., seine Zeitschätzung als richtig unterstellt, die Unfallstelle schon längst verlassen hätte. Zudem ist die Zeugenaussage insoweit technisch widerlegt, als Frau H., wie auch der Zeuge bestätigt, links um das Fahrzeug herum gegangen und jedenfalls ab dem Passieren der A-Säule im Sichtfeld des Zeugen N. sichtbar war. Dabei ist und bleibt unverständlich, dass der Zeuge zwar die Position kurz vor dem Anstoß, wie in Anlage 12 zum Gutachten dargestellt, als durchaus zutreffend erklärt, jedoch jegliche Erklärung unterlässt, wie Frau H. von ihm unbemerkt an diese Stelle gelangt sein könnte. Dies gilt umso mehr, als er auch Anlage 11 als im Grundsatz richtig bezeichnet, und die Bewegung von Frau H. wie in Anlage 10 direkt durch sein Sichtfeld führt. Ebenso ist nach der (geringen) Fahrgeschwindigkeit und der physikalisch notwendigen Sturzdauer der Frau H. nicht möglich, dass das Überrollen der Beine in Sekundenbruchteilen nach dem Anstoß erfolgt sei, und dass der Zeuge nach dem Lösen der Bremse nur wenige Zentimeter zurückgelegt habe. Zuletzt fehlt der Zeugenaussage jegliche Erklärung, mit welchem Verhalten der Frau H. der Zeuge gerechnet habe und aufgrund welcher Umstände er davon ausgegangen sei, ohne Gefährdung losfahren zu können; dies gilt umso mehr, als er durchaus erkannt hatte, dass Frau H. ihn am Wegfahren hindern wollte (Protokoll d. mdl. Verhandlung v. 17.02.2017, S. 7/8 = Bl. 332/333 d. A.). Abgesehen davon, dass - wie vorliegend - nicht glaubhafte und technisch ausgeschlossene Angaben die Glaubwürdigkeit des Aussagenden beseitigen (BGH NJW-RR 1992, 920), vermag der Senat dem Zeugen auch sonst keine Glaubwürdigkeit zu bescheinigen. Eine Prüfung des gesamten Sach- und Streitstandes (BGH NJW 1992, 1966: „Es versteht sich, dass die eigenständige Beurteilung der Glaubwürdigkeit … das Gericht im Übrigen nicht davon entbindet, seine Überzeugung von der Wahrheit der beweisbedürftigen Tatsache unter Berücksichtigung des gesamten Streitstoffs zu bilden“; NJW 1997, 1988) fördert gewichtige Eigeninteressen des Zeugen zu Tage, nämlich sein folgenschweres Fehlverhalten - unabhängig von straf- und zivilgerichtlichen Ergebnissen - in möglichst mildem Licht erscheinen zu lassen. Überdies zielt das Verhalten des Zeugen darauf ab, die Ursachen und Beweggründe seines objektiv sorglosen und gleichgültigen Verhaltens im Unklaren zu lassen, und insoweit nähere Angaben zu verweigern oder durch nichtssagende Floskeln („ganz kurz links … gesehen“; „… habe sofort gestoppt“; „allenfalls ein paar Zentimeter“; „Bruchteile einer Sekunde“) zu ersetzen. Deswegen ist der Senat von der Ehrlichkeit des Zeugen N. nicht überzeugt (Senat
- Der Sachverständige Dr. A. hat genau, prüfbar und folgerichtig ermittelt, sowie überzeugend begründet, dass K. N. Frau H. vor seinem Fahrzeug stehend wahrgenommen hat, als er mit Standgas losfuhr. Insoweit wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung (v. 17.02.2017, S. 9/11 = Bl. 34/336 d. A.) und die Vorabunterlagen des Sachverständigen (Bl. 318/319 d. A. samt Anlagen) Bezug genommen. Zwar unterliegen gerichtliche Gutachten der freien Beweiswürdigung (BGH NZV 1997, 228) und haben keinen „Anschein der Richtigkeit“ für sich, der von einer Prozesspartei entkräftet werden müsste (BGH VersR 1981, 1151; Senat in st. Rspr., etwa NJW 2011, 3729). Folglich hat das Gericht solche Gutachten sorgfältig und kritisch zu prüfen (vgl. etwa BVerfGE NJW 1995, 40; BGH NJW 1986, 1928; NJW 1992, 1817; NJW-RR 1995, 914; 1998, 1117; NJW 1999, 3408; 2001, 1787; NJW 2010, 3230; VersR 2011, 400). Insoweit mag die Begründung des Ersturteils etwas knapp ausgefallen sein (EU 3 = Bl. 267 d. A.), das ist im Streitfall jedoch unbedenklich, weil die Einwände der Klägerin gegen die Gutachtensergebnisse nicht erhoben werden, und diese Ergebnisse sachlich-inhaltlich - nach Überprüfung und eigenständiger Beurteilung durch den Senat - nicht nur nicht zu beanstanden, sondern unabweisbar sind. K. N. hat als einzigen Grund dafür, dass er Frau H. mit seinem Fahrzeug umgestoßen habe, angegeben, dass sie plötzlich und unerwartet vor seinem Fahrzeug aufgetaucht und bis dahin nicht wahrzunehmen gewesen sei. Um diesen Ablauf nachvollziehbar oder wahrscheinlich zu machen, war ein sehr kurzer Zeitraum zwischen dem Blick zurück, dem Anfahren und dem Anstoß notwendig, den N. zwar behaupten wollte, aber nicht plausibel machen konnte. Eindeutig und belastbar sind die Berechnungen des Sachverständigen, die sich auf objektive Tatsachen wie Entfernungen, Fahrzeugabmessungen und Geschwindigkeiten stützen. Danach kann einerseits K. N. Frau H. nicht übersehen haben, weil sie sich durch sein Blickfeld bewegen musste; andererseits kann der Vorgang nicht so plötzlich stattgefunden habe, weil Frau H. eine längere Zeit (4 bis 5 Sekunden) benötigte, um die Entfernung vom Heck des Fahrzeugs bis vor die Front zurückzulegen, während der anschließende Anstoß unbezweifelbar ist und unabhängig von den Angaben der Beteiligten belegt ist. Hinsichtlich des Überrollens der Zeugin konnte K. N. lediglich begründen, dass der Vorgang so schnell abgelaufen sei, dass er nicht mehr habe reagieren können. Dies ist ebenfalls durch die sachverständigen Anhalteweg- und -zeit-Berechnungen widerlegt: K. N. ist auch in diesem Abschnitt des Geschehens noch ein Reaktionsverzug von 1 Sekunde vorzuwerfen, der sich aus seiner Einlassung nicht erklärt.
- Die Einwände der Klägerin gegen die erstinstanzliche Beweiswürdigung, von der der Senat im Ergebnis nicht abweicht, vermögen nicht zu überzeugen. Die Klägerin meint, eine sachgerechte Beweiswürdigung habe nicht allein den Ausführungen des Sachverständigen zu folgen, sondern müsse auch die Zeugenaussagen berücksichtigen (BB 2/4 = Bl. 289/291 d. A.). Dem kann der Senat nicht beitreten, weil die sachverständigen Berechnungen entscheidende Teile der Aussagen als nicht nur unrichtig, sondern sogar als technisch nicht möglich erwiesen haben. Dies gilt auch für die Auffassung, dass unfallursächliche Gesamtgeschehen habe sich in Sekundenbruchteilen ereignet (BB 2 = Bl. 289 d. A.). Soweit die Berufungsbegründung meint, Frau H. sei für den Zeugen N. „völlig unerwartet“ an der vorderen linken Fahrzeugkante aufgetaucht (BB 4 = Bl. 291 d. A.), kann dies nach der Beweisaufnahme des Senats nicht als feststehend, sondern lediglich als unverständlich bezeichnet werden. Die Mutmaßung, der Unfall sei für den Zeugen N. unvermeidbar gewesen, ist durch die sachverständigen Berechnungen widerlegt. Die in der Berufungsbegründung zum Teil vorweggenommene (BB 4 = Bl. 291 d. A.) Auffassung der Frau H., sie sei an der Fahrzeugfront vorbei in Richtung ihrer Tochter geeilt, konnte und musste ebenfalls aus unfallanalytischen und verletzungsmechanischen Notwendigkeiten ausscheiden. Soweit die Klägerin eine Position der Frau H. seitlich des Fahrzeugs für möglich halten will (BB 6 = Bl. 293 d. A.), ist dies in der Verhandlung vor dem Senat nicht einmal mehr von dem Zeugen N. behauptet worden, und im übrigen wiederum durch das Sachverständigengutachten widerlegt. Zuletzt kann der Senat keine für die Klägerin günstigen Folgerungen aus der strafgerichtlichen Verurteilung des Zeugen N. (BB 6 = Bl. 293 d. A.) ziehen. Dort wurde der hier streitgegenständliche Tatbeitrag vernachlässigt und nicht einmal im Ansatz aufgeklärt.
- Beide Elemente der inneren Tatseite, also die Erkenntnis eines nicht ganz fernliegenden tatbestandlichen Erfolgs und ein Billigen der oder Abfinden mit der Tatbestandverwirklichung, müssen in jedem Einzelfall gesondert geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGH, Beschluss vom 07.09.2015 - 2 StR 194/15 [juris]). Insoweit ist eine Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände notwendig (BGH NStZ 2012, 443, 444), wobei die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung einen wesentlichen Indikator darstellt (BGH NJW 1999, 2533, 2534). Diese Anforderungen mindern sich, wenn das äußere Unfallgeschehen einen eindeutigen Schluss auf die innere Tatseite zulässt (BGH NStZ 2000, 583; KG NZV 2012, 497; OLG Schleswig Urt. v. 17.04.2008 - 5 U 156/07 [IBRRS 2008, 2896]).
- Die genannten subjektiven Elemente können fehlen, wenn der Schadensverursacher insoweit in „gutem Glauben“ gehandelt habe (OLG Hamm, Urt. v. 27.03.2013 - 11 U 25/12 [BeckRS 2013, 9145]), typische Verhaltensweisen in besonderen Situationen (OLG Koblenz, r+s 2014, 154), oder Einschränkungen der Einsichts- oder Hemmungsfähigkeit vorlägen (OLG Frankfurt, Urt. v. 02.07.2010 - 3 U 21/10 [BeckRS 2011, 24553]).
- Das Willenselement des bedingten Vorsatzes wird maßgeblich bestimmt durch das Handlungsziel des Verursachers, dessentwegen er sich mit dem Erfolg zumindest abgefunden hat, mag er ihm auch unerwünscht sein. Gleichgültigkeit hinsichtlich des Erfolgseintrittes kann zwar das zum bedingten Vorsatz gehörende Willenselement der Billigung sein, aber nur dann, wenn das Wissenselement des bedingten Vorsatzes gegeben ist (BayObLG Beschluss vom 28.08.2002 - 5 St RR 179/02 [BeckRS 2002, 9396]).
- K. N. war bewusst, dass er Frau H. anfahren werde, nachdem er sie vor seinem Fahrzeug stehend wahrnahm und dennoch darauf verzichtete, anzuhalten. Angesichts des für jeden Verkehrsteilnehmer und somit auch für K. N. sicheren Eintritts der Rechtsgutsverletzung ist insoweit kein Raum für Erwägungen, ob der Eintritt des Erfolges - hinsichtlich der Körperverletzung - nur möglich oder nicht völlig unwahrscheinlich empfunden wurde. Derartiges hat Herr N. auch nicht behaupten wollen (etwa: er habe gemeint oder gehofft, Frau H. werde noch beiseite springen können), vielmehr schließt die Aussage, Frau H. sei so plötzlich und überraschend erschienen, dass ein Zusammenstoß nicht mehr habe vermieden werden können, jegliches Vertrauen und sogar jegliche Hoffnung aus, dass es - aus welchen Gründen auch immer - doch nicht zu einem Aufprall kommen werde. Die Einlassung des Herrn N. war grundsätzlich geeignet, jegliche Schuldform zu beseitigen oder hinsichtlich der Fahrlässigkeit wenigstens in Frage zu stellen, jedoch ist sie durch die Beweisaufnahme als unrichtig erwiesen worden.
- Den tatbestandsmäßigen Erfolg dieser Rechtsgutsverletzung hat K. N. in Kauf genommen, also gebilligt oder sich damit abgefunden. Ein sicher oder notwendig eintretendes Ereignis hat schon denkgesetzlich zur Folge, dass der Verursacher nicht gehofft oder darauf vertraut haben kann, dass dieses Ereignis doch nicht eintreten werde. Das äußere Unfallereignis schließt vorliegend aus, dass Herr N. auf dessen Ausbleiben vertraut haben könnte. In der Tat will er derartiges auch nicht geltend machen, insoweit gelten unverändert die vorstehenden Erwägungen. Wiederum war die genannte Einlassung geeignet, auch das Willenselement des Vorsatzes zu entkräften, scheiterte jedoch am Nachweis ihres Gegenteils.
- Die tatsächliche Schädigung der Frau H., also den Sturz auf die Straße mit anschließenden schweren Schädelverletzungen und dem Überrollen beider Beine, hat K. N. für wenigstens naheliegend gehalten. Zwar hat er sich hierzu nicht prüfbar geäußert („plötzlich war sie weg“), jedoch kann er nicht davon ausgegangen sein, dass der tatbestandliche Erfolg mit einiger Wahrscheinlichkeit ausbleiben werde. Es entspricht allgemeiner Lebenserfahrung, dass bei langsamer Geschwindigkeit angestoßene Fußgänger stürzen und unter das Fahrzeug gezogen werden können. Diese Erkenntnis stand auch K. N. zur Verfügung, während die Erwartung, Frau H. werde stehen bleiben und das Fahrzeug allein mit ihrer Körpermasse zum Stillstand bringen, vollständig fernliegend war. Insbesondere ist die vom Sachverständigen zu Recht erörterte objektiver Gefährlichkeit der Tathandlung zu berücksichtigen, die einen eindeutigen Schluss auf Kenntnis und Bewusstsein des Herrn N. nicht nur zulässt, sondern erzwingt. Wiederum hat K. N. sich nicht darauf berufen wollen, mit den Verletzungsfolgen nicht gerechnet oder diese nicht erkannt zu haben. Vielmehr hat er - wie vorstehend - behauptet, er habe wegen der Ablaufgeschwindigkeit des Vorgangs und der kurzen Reaktionszeit auch das Überfahren der Frau H. nicht vermeiden können. Wiederum wäre diese Behauptung geeignet gewesen, die Kenntnis von der Schadenszufügung zu beseitigen; allerdings ist auch diese Einlassung durch die Berechnungen des Sachverständigen widerlegt.
- Der Sturz und die Verletzungen der Frau H. waren insoweit vom Willen des Herrn N. umfasst, als er sich wenigstens damit abgefunden hat. Zunächst konnte das eigentliche Handlungsziel, dem er - an sich nicht erwünschte - Folgen untergeordnet hätte, nicht ermittelt werden. Insbesondere lässt sich nicht begründen, dass er vor der Polizei flüchten und sich „koste es, was es wolle“ von der Unteren W.-straße entfernen wollte. Jedoch lässt sich eine auffällige und merkwürdig gefühlskalte Einstellung feststellen, da Herr N. zuvor Frau H. über etwa 40 Meter gegen deren Willen vor sich herschob, sich keinerlei Gedanken machte, ob sich eine Gefährdung fortsetzen könnte und für sein gesamtes Verhalten keine halbwegs nachvollziehbare Erklärung finden konnte. Diese Gleichgültigkeit kann im Streitfall nur als Billigung auch des Verletzungserfolges gesehen werden, weil der Erfolgseintritt angesichts des äußerst gefährlichen Handelns offensichtlich war. Besondere Umstände, die das Willenselement des Vorsatzes beseitigen oder schwächen könnten, fehlen im Streitfall: auch in Beziehungsstreitigkeiten kann nicht als üblich angesehen werden, dass der Streitgegner mit dem Fahrzeug 40 Meter weggeschoben, und anschließend gleichgültig mit dem Fahrzeug umgestoßen und überfahren wird. Auch bezüglich der Billigung des Verletzungserfolgs hat K. N. nicht die Verteidigung gewählt, er habe den Schadenseintritt nicht gewollt und sich damit nicht abgefunden. Vielmehr schließt auch insoweit seine - widerlegte - Behauptung, der Vorgang sei so schnell abgelaufen, dass er auch das Überrollen der Frau H. nicht mehr habe vermeiden können, denkgesetzlich aus, dass er sich Gedanken über die Folgen seines Handelns gemacht habe.
II.
III.
IV.
Urteilsbesprechung zu Oberlandesgericht München Endurteil, 17. Feb. 2017 - 10 U 2007/16
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Oberlandesgericht München Endurteil, 17. Feb. 2017 - 10 U 2007/16 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Gründe
I.
II.
Der Versicherer ist nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich und widerrechtlich den bei dem Dritten eingetretenen Schaden herbeigeführt hat.
Tenor
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 35.000,- € festgesetzt.
Gründe
A.
- die Beklagten samtverbindlich zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 14.000,- €, zu bezahlen, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.03.2012,
- die Beklagten samtverbindlich zu verurteilen, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.698,13 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 08.03.2012 zu bezahlen,
- festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin jeden weiteren materiellen Schaden aus dem Unfallereignis vom 23.05.2011 in Feldkirchen zu 70 Prozent zu ersetzen, jeden weiteren immateriellen Schaden unter Berücksichtigung ihres Mitverschuldens von 30 Prozent, jeweils soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen oder übergegangen sind.
die Berufung zurückzuweisen.
B.
I.
- Hinsichtlich der Klägerin wäre die gesamte Annäherung an die Unfallstelle vom Ort des Fahrtbeginns, das beabsichtigte Fahrtziel und das Fahrverhalten, insbesondere auf dem Gehweg ab dem Kreisverkehr, zu erfragen, und mit den Angaben der Beklagten zu 1) und der Zeugin Marlene E. abzugleichen gewesen. Zudem wäre durch Vorhalte zu klären gewesen, wie die Klägerin angehalten und die Fahrbahn beobachtet, und dennoch geglaubt haben will, die Fahrbahn ohne Gefahr überschreiten zu können. Zuletzt wären Größe und Gewicht zum Unfallzeitpunkt zu ermitteln gewesen (die in Rücksicht auf die mündliche Verhandlung „heutigen“ Daten (Bl. 47 d. A.) sind weniger wichtig), weil diese entscheidende Anknüpfungspunkte für die Berechnungen des Sachverständigen bildeten.
- Die Angaben der Beklagten zu 1) enthalten einen nicht aufgelösten Widerspruch, soweit sie „ca. 30 bis 50 Meter vor der späteren Unfallstelle … zum ersten Mal bewusst die Kinder … gesehen habe“, andererseits erklärt hatte, „… zu dem Zeitpunkt, als ich die Kinder zum ersten Mal gesehen habe, waren sie ca. 10 Meter vor meinem Fahrzeug“. Auch insoweit wäre eine vollständige Beschreibung der Annäherung sowohl der Kinder, als auch der Beklagten zu 1) selbst an die spätere Unfallstelle ab dem Zeitpunkt des Verlassens des Kreisverkehrs notwendig gewesen, zumal, wie aus den Lichtbildern ersichtlich, Fahrbahn und Gehweg übersichtlich sind und wegen des Gefälles höhere Geschwindigkeiten und verlängerte Bremswege entstehen können. Dies gilt umso mehr, als sich die Beklagte zu 1) in der gegen die Klägerin geführten Unfallanzeige durchaus als Zeugin geäußert und eine Vorgangsschilderung abgegeben hat, die hinsichtlich der Einzelheiten noch ungenauer als die gerichtliche Darstellung ist, und mangelnde Beobachtung und Aufmerksamkeit nicht ausgeschlossen erscheinen lässt (Ermittlungsakten, Bl. 24 d. A.). Zuletzt wäre klärungsbedürftig gewesen, welche Vorstellungen sich die Beklagte zu 1) hinsichtlich der für jeden Verkehrsteilnehmer klar erkennbaren Verkehrsinsel mit Überquerungshilfe gemacht hat, und anhand welcher Umstände sie die die Annahme getroffen hat, die Klägerin werde diesen Weg nicht wählen. Nach vorläufiger Einschätzung des Senats sprach jedenfalls keine höhere Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Klägerin auf dem Gehweg geradeaus weiterfahren werde, als dass sie die Straßenseite werde wechseln wollen.
- Damit wurde dem Gutachter und dem Gericht die Möglichkeit genommen, die jeweilige unmittelbare Unfalldarstellung zu erweitern und zu präzisieren, die Parteien ergänzend zu befragen und weitere Anknüpfungspunkte zu gewinnen. Weiterhin wurde die Verpflichtung eingeschränkt, das Gutachten von Amts wegen auf seine Vollständigkeit und Richtigkeit zu überprüfen, und mit den Schilderungen der Parteien abzugleichen.
- Das Ersturteil versagt sich eine vollständige Auseinandersetzung mit den widersprüchlichen Angaben der Beklagten zu 1) und den Gutachtensergebnissen (BGH NJW 2015, 411: „entsprechend dem Gebot des § ZPO § 286 ZPO mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt“; MDR 1982, 212), indem die Annahmen des Sachverständigen ungeprüft übernommen und floskelhaft für zutreffend erklärt werden (EU 6 = Bl. 76 d. A.), ohne die erleichterte Beweisführung nach dem Anscheinsbeweis und die gebotene Anwendung der für die Klägerin günstigsten Anknüpfungstatsachen zu beachten.
- Deswegen und darüber hinaus wird übersehen (EU 7 = Bl. 77 d. A.), dass zum Ersten die Beklagte zu 1) schon nach eigenen Angaben die Klägerin und ihre Schwester auf dem Gehweg nicht sorgfältig und durchgängig beobachtet hat.
- Der Kraftfahrzeugverkehr ist gegenüber Fußgängern bevorrechtigt (§ 25 III StVO), sofern nicht ein Fußgängerüberweg (§§ 25 III 1, 41 I StVO, Anlage 2, Zeichen 293) vorliegt (§ 26 I StVO). Eine in der Straßenverkehrsordnung nicht geregelte Überquerungs- oder Querungshilfe (BGH NZV 1998, 369), wie die unstreitig von der Klägerin genutzte Verkehrsinsel in der A.-Straße in F., stellt keinen Fußgängerüberweg im Rechtssinne dar und beeinflusst das Vorrangverhältnis nicht (König, NZV 2008, 492 ff, [494 unter IV.]; Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl. 2013, § 26, Rn. 10).
- Dennoch hat der Kraftfahrer die allgemeinen Verkehrsregeln zu beachten, insbesondere Geschwindigkeitsvorschriften (§§ 3 III, I StVO; BGH NJW 1992, 1459; OLG Düsseldorf NZV 1994, 70), aber auch das Sichtfahrgebot (BGH NJW 1984, 50 ff. [51 unter 2. c)]), und das Rücksichtnahmegebot (§ 1 II StVO). In diesem Rahmen hat er den gesamten Verkehrsraum, auch bezüglich auf den Gehwegen gehender oder stehender Fußgänger, sorgfältig zu beobachten (OLG Hamm NZV 2000, 371 ff. [372 unter 3. a)]; KG VRS 100, 269 = BeckRS 2001, 00140; BGH VersR 66, 736; OLG Düsseldorf, NZV 2002, 90; OLG Karlsruhe, Urt. v. 23.06.2009 - 1 U 79/09 [juris]), sowie rechtzeitig und richtig auf etwaige Fehler anderer Verkehrsteilnehmer zu reagieren (BGH NJW-RR 1991, 347; OLG Hamm NZV 1993, 314; KG VRS 100, 269). Bei unachtsamem Verhalten eines Fußgängers bestehen Brems- und Ausweichpflicht (OLG Koblenz NZV 2012, 177; OLG Hamm r+s 1989, 396 = VRS 78, 5), sowie die Notwendigkeit, die Geschwindigkeit herabsetzen, sobald der Fahrer sieht, dass ein Fußgänger die Straße betritt (OLG Düsseldorf VRS 56, 2). Letztere Verpflichtung besteht sogar bei witterungsbedingten Sichtbeeinträchtigungen (OLG Saarbrücken r+s 2010, 479; OLG Hamm r+s 1989, 396).
- Diese Verpflichtungen bestehen uneingeschränkt auch bei schweren Sorgfaltsverstößen eines Fußgänger, etwa wenn dieser die Fahrbahn trotz für ihn Rotlicht zeigender Lichtzeichenanlage in oder an der Ampelfurt überschreiten will (BGH Urt. v. 29.04.1975 - VI ZR 225/73 [juris] = VersR 1975, 858; NJW 1992, 1459; VersR 1967, 608). Angesichts dieser Verpflichtungen kommt eine Bewertung des Mitverschuldens des Fußgängers, die jegliche Haftung des Kraftfahrers ausschließt, lediglich in besonderen Ausnahmefällen und nur dann in Betracht, wenn dieser keinerlei Verkehrsverstöße begangen hat (OLG Köln NZV 2002, 369; OLG Karlsruhe, Urt. v. 23.06.2009 - 1 U 79/09 [juris]; OLG Frankfurt, Urt. v. 28.09.2010 - 10 U 1/10 [juris]; OLG Saarbrücken, Urt. v. 08.02.2011 - 4 U 200/10 - 60 [juris]; OLG Köln, Beschl. v. 19.03.2012 - I-16 U 169/11, 16 U 169/11 [juris]).
- Eine abweichende Bewertung ist im Streitfall schon deswegen nicht veranlasst, weil Sonderfälle, wie etwa ein Abwarten der Klägerin auf einer Verkehrsinsel, ein Hervortreten hinter einem Verkehrsstau (OLG Hamm NZV 2000, 371) oder eine Vernachlässigung eines naheliegenden Fußgängerüberwegs (BGH NJW 1958, 1630; NZV 1990, 150; KG VRS 100, 269; KG VM 1992, 27; i. Ü auch dort nur hälftige Haftung; OLG Hamm NZV 2000, 371; OLG Dresden NZV 2001, 378), unstreitig nicht vorliegen. Selbst wenn jedoch ein derartiger Vertrauensschutz angenommen würde, beseitigt dieser einerseits nicht die Verpflichtung, die gesamte Fahrbahn zu beobachten, um rechtzeitig auch wegen der in solchen Fällen gegebenen Abstandsverkürzung reagieren zu können (OLG Hamm, a. a. O.; BGH VersR 1966, 736; BGH VersR 1968, 897; OLG Köln VersR 1987, 513; OLG Karlsruhe NJW-RR 1987, 1249; KG VersR 1993, 201), und zwar zu dem Zeitpunkt, zu welchem der Fußgänger die Fahrbahn betritt (OLG Bremen VersR 66, 962; OLG Düsseldorf VersR 1979, 649). Andererseits setzt der genannte Vertrauensgrundsatz jedenfalls ein merkliches Verhalten des Fußgängers voraus, das die Erwartung des Kraftfahrers, ihm werde die Vorbeifahrt gestattet, stützen kann (KG VersR 1968, 259: „Blickkontakt“; OLG Karlsruhe VersR 1971, 1177; OLG Hamm r+s, 2002, 192; BGH VersR 1961, 592).
- Darüber hinaus bestehen besondere Sorgfaltspflichten gegenüber Kindern (§ 3 IIa StVO), diesen gegenüber muss sich ein Kraftfahrer, insbesondere durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft, so verhalten, dass eine Gefährdung ausgeschlossen ist (BGH NJW 1994, 2829: gegenüber alten Menschen). Diese Fassung des Gesetzestextes begründet zusätzlich eine Anscheinsbeweislage, die für Kinder und gegen den Kraftfahrer streitet. Nach dem unstreitigen Tatbestand des Ersturteils (EU 2 = Bl. 72 d. A.) fuhr die zum Unfallzeitpunkt elfjährige Klägerin, mit einem Tretroller und gefolgt von ihrer achtjährigen Schwester, fahrbahnparallel auf dem Gehweg, um diesen nach links zu verlassen und die Straße an einer als Überquerungshilfe dienenden Verkehrsinsel zu überfahren. Die Klägerin ist somit wegen ihres erheblich unter dem 14. Lebensjahr liegenden Alters (OLG Hamburg NZV 1990, 71) ersichtlich in den Schutzbereich der Verkehrsvorschrift einbezogen, dagegen finden Erwägungen des Erstgerichts zur Unzumutbarkeit dieser besonderen Vorsicht (EU 8 = Bl. 78 d. A.) eine Stütze weder im Gesetz, noch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Die Meinung, erhebliche, verkehrsbedingte Geschwindigkeitsverringerungen eines Kraftfahrers zum Schutz von Kindern auf dem fahrbahnnahen Gehweg könnten den Stadtverkehr beeinträchtigen und ein erhöhtes Unfallrisiko herbeiführen, ist nicht nur durch keinerlei tatsächliche Feststellungen belegt, sondern auch nicht zu begründen.
- Aus dem grundsätzlichen Vorrang des Kraftfahrzeugverkehrs folgt schon allgemein keineswegs ein geschütztes Vertrauen darauf, dass Fußgänger sich immer verkehrsgerecht, vorsichtig und der StVO entsprechend verhalten, sondern nur unter besonderen Umständen (BGH VersR 1955, 156; BayObLG VRS 58, 85 = S. 221; BGH NJW 1966, 1211; BayObLG NJW 1978, 1491; OLG Karlsruhe VersR 1982, 450; OLG Hamm r+s 1988, 102; BGH NJW 2000, 3069). Dies gilt verstärkt gegenüber Kindern (OLG Hamburg NJOZ 2008, 2792; OLG Karlsruhe NZV 2012, 596).
- Hieraus folgt, dass eine Bewertung des klägerischen Mitverschuldens als so gewichtig, dass jegliche Haftung der Beklagten entfalle, kaum vertretbar ist (OLG Karlsruhe NZV 2012, 596, OLG Hamm NZV 1991, 69: Haftung des Kraftfahrers zu 1/3 bei leichtem Verschulden oder bloßer Betriebsgefahr; OLG Hamm NZV 2006, 151: zu 40% wegen groben Verschuldens des Kindes; OLG Hamm r+s 2001, 60: Haftung des Kraftfahrers zu 2/3).
II.
III.
IV.
V.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Klägerin verlangt von der beklagten Bank aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes Schadensersatz im Zusammenhang mit einer Kapitalanlage an einem Windparkfonds.
- 2
- Der Ehemann der Klägerin (im Folgenden: Zedent), der seine Ansprüche gegen die Beklagte an seine Ehefrau abgetreten hat, zeichnete aufgrund einer Empfehlung einer Mitarbeiterin der Beklagten, der Zeugin R. , am 16. Juni 2002 eine treuhänderische Kommanditbeteiligung an der E. KG (im Folgenden: Fonds) über 50.000 € zuzüglich 5% Agio. Das Agio und eine weitere Provision in Höhe von mindestens 3% der Beteiligungssumme flossen unstreitig der Beklagten zu. Ob der Zedent vor oder bei Zeichnung der Beteiligung den Fondsprospekt erhalten hat, ist zwischen den Parteien streitig. In den Jahren 2004 bis 2007 erhielt der Zedent Ausschüttungen von insgesamt 9.250 €. In der Folgezeit fiel der Wert der Beteiligung erheblich.
- 3
- Mit der Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten Zug um Zug gegen Übertragung der Rechte aus der Fondsbeteiligung die Rückzahlung von 52.500 € nebst Zinsen, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und die Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten. Sie behauptet, die Beklagte habe den Zedenten weder über die wesentlichen Risiken der Anlage noch über die der Beklagten zugeflossene Provision von mindestens 8% aufgeklärt.
- 4
- Das Landgericht hat die Klage - nach Vernehmung des Zedenten und der Zeugin R - abgewiesen, weil es im Hinblick auf die Provisionszahlungen an die Beklagte nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt sei, dass der Zedent die Beteiligung auch im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung gezeichnet hätte. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht , das eine eigene Beweisaufnahme nicht durchgeführt hat, der Klage in Höhe von 43.250 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übertragung der Rechte aus der Fondsbeteiligung stattgegeben und festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der Übertragung dieser Rechte in Verzug befinde; die weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen. Dies hat es im Wesentlichen wie folgt begründet:
- 5
- Die Beklagte habe es im Rahmen des zwischen ihr und dem Zedenten geschlossenen Anlageberatungsvertrags schuldhaft unterlassen, den Zedenten über die an sie gezahlte Rückvergütung von mindestens 8% der Beteiligungssumme aufzuklären. Die Pflichtverletzung sei nach der Vermutung für ein aufklärungsrichtiges Verhalten des Anlegers auch kausal für den Fondsbeitritt des Zedenten gewesen. Die Beklagte habe weder einen Entscheidungskonflikt dargelegt noch die Vermutung widerlegt. Der Zedent habe lediglich damit gerechnet , dass die Beklagte eine Vergütung aus dem 5%-igen Agio erhalte. Bei genauer Kenntnis der Rückvergütung hätte er die Anlage mehr hinterfragt. Die Vermutung sei auch nicht dadurch widerlegt, dass der Zedent mit einer Provisionszahlung an die Beklagte grundsätzlich einverstanden gewesen sei. Dagegen spreche bereits, dass sich der Zedent nach den Kosten der Anlage erkundigt habe. Eine erneute Vernehmung der Zeugen sei nicht erforderlich gewesen , weil sich das Gericht bei seiner Würdigung auf den Inhalt der protokollierten Zeugenaussagen stütze, ohne hiervon abzuweichen.
- 6
- Der Schadensersatzanspruch sei nicht verjährt. Der Zedent habe im Juni 2002 keine Kenntnis von den Rückvergütungen gehabt. Seine bloße Vermutung einer Vergütung der Beklagten genüge insoweit nicht. Er habe aufgrund Nichtlesens des Prospekts auch nicht grob fahrlässig gehandelt; der Prospekt enthalte keine Angaben, dass und in welcher Höhe die Beklagte eine Rückvergütung erhalten habe. Aufgrund dessen sei von dem Vorbringen der Klägerin auszugehen , der Zedent habe erst im Jahr 2010 von seinem jetzigen Prozessbevollmächtigten davon erfahren. Die Klägerin müsse sich allerdings auf den Schadensersatzanspruch die erhaltenen Ausschüttungen von 9.250 € anrechnen lassen.
- 7
- Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten.
II.
- 8
- Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, da das angegriffene Urteil den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Mai 2004 - XI ZB 39/03, BGHZ 159, 135, 139 f., vom 9. Februar 2010 - XI ZR 140/09, BKR 2010, 515, 516 und vom 11. September 2012 - XI ZR 476/11, juris Rn. 7). Aus demselben Grunde sind das angefochtene Urteil gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Kostenpunkt und insoweit aufzuheben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist, und der Rechtsstreit im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
- 9
- 1. Rechtsfehlerfrei und von der Nichtzulassungsbeschwerde nicht angegriffen ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass zwischen dem Zedenten und der Beklagten stillschweigend ein Beratungsvertrag zustande gekommen ist, aufgrund dessen die Beklagte verpflichtet war, den Zedenten über die von ihr vereinnahmten Rückvergütungen aufzuklären, und dass eine ordnungsgemäße Aufklärung des Zedenten über diese Rückvergütungen weder mündlich noch durch die Übergabe von Informationsmaterial erfolgt ist (vgl. Senatsurteile vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 15 ff. und vom 26. Februar 2013 - XI ZR 498/11, WM 2013, 609 Rn. 12, jeweils mwN). Auch hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei und von der Nichtzulassungsbeschwerde unangegriffen insoweit ein Verschulden der Beklagten bejaht (vgl. Senatsurteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, aaO, Rn. 24 f. mwN).
- 10
- 2. Gleichfalls rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht im Grundsatz davon ausgegangen, dass die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast für ihre Behauptung trägt, der Zedent hätte die Beteiligungen auch bei gehöriger Aufklärung über die Rückvergütungen erworben.
- 11
- Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjenige, der vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt hat, beweispflichtig dafür, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich pflichtgemäß verhalten hätte, der Geschädigte den Rat oder Hinweis also unbeachtet gelassen hätte. Diese "Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens" gilt für alle Aufklärungs- und Beratungsfehler eines Anlageberaters, insbesondere auch dann, wenn Rückvergütungen pflichtwidrig nicht offengelegt wurden. Hierbei handelt es sich nicht lediglich um eine Beweiserleichterung im Sinne eines Anscheinsbeweises , sondern um eine zur Beweislastumkehr führende widerlegliche Vermutung (Senatsurteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, BGHZ 193,159 Rn. 27 ff. mwN; BVerfG, ZIP 2012, 164 Rn. 20).
- 12
- 3. Das Berufungsgericht hat jedoch den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, weil es zur Beantwortung der Frage, ob der Zedent den Fonds auch bei gehöriger Aufklärung über die Rückvergütungen gezeichnet hätte, die erstinstanzlich vernommenen Zeugen entgegen § 529 Abs. 1 Nr. 1, § 398 Abs. 1 ZPO nicht erneut vernommen hat, obwohl es deren Aussage anders gewürdigt hat als das Landgericht.
- 13
- a) Das Berufungsgericht ist nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des Gerichts des ersten Rechtszuges gebunden. Bestehen Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil, ist in aller Regel eine erneute Beweisaufnahme geboten (vgl. BVerfG, NJW 2005, 1487, NJW 2011, 49 Rn. 14; BGH, Beschlüsse vom 14. Juli 2009 - VIII ZR 3/09, NJW-RR 2009, 1291 Rn. 5, vom 9. Februar 2010 - XI ZR 140/09, BKR 2010, 515, 516 und vom 21. März 2012 - XII ZR 18/11, NJW-RR 2012, 704 Rn. 6). Das Berufungsgericht ist in einem solchen Fall nach § 398 ZPO verpflichtet, in erster Instanz vernommene Zeugen erneut zu vernehmen, wenn es deren protokollierte Aussagen anders als die Vorinstanz verstehen oder würdigen will (BVerfG, NJW 2011, 49 Rn. 14; BGH, Beschlüsse vom 21. Juni 2011 - II ZR 103/10, WM 2011, 1533 Rn. 7, vom 10. November 2010 - IV ZR 122/09, NJW 2011, 1364 Rn. 6, vom 14. Juli 2009 - VIII ZR 3/09, NJW-RR 2009, 1291 Rn. 5 f. und Urteil vom 22. Mai 2002 - VIII ZR 337/00, NJW-RR 2002, 1500). Unterlässt es dies und wendet damit § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO fehlerhaft an, ist die dadurch benachteiligte Partei in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör nach § 103 Abs. 1 GG verletzt (BVerfG, NJW 2005, 1487; BGH, Beschlüsse vom 5. April 2006 - IV ZR 253/05, VersR 2006, 949 Rn. 1, vom 14. Juli 2009 - VIII ZR 3/09, NJW-RR 2009, 1291 Rn. 4, vom 9. Februar 2010 - XI ZR 140/09, BKR 2010, 515, 516 und vom 21. März 2012 - XII ZR 18/11, NJW-RR 2012, 704 Rn. 6).
- 14
- Die erneute Vernehmung eines Zeugen kann allenfalls dann unterbleiben , wenn sich das Rechtsmittelgericht lediglich auf Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit seiner Aussage betreffen (BGH, Urteile vom 19. Juni 1991 - VIII ZR 116/90, WM 1991, 1896, 1897 f. und vom 10. März 1998 - VI ZR 30/97, NJW 1998, 2222, 2223 sowie Beschlüsse vom 9. Februar 2010 - XI ZR 140/09, BKR 2010, 515, 516 und vom 21. März 2012 - XII ZR 18/11, NJW-RR 2012, 704 Rn. 7).
- 15
- b) Nach diesen Maßgaben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt.
- 16
- aa) Das Landgericht hat zwar im Ausgangspunkt zu Unrecht angenommen , dass die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens vorliegend nicht anwendbar sei, weil sich der Zedent in einem Entscheidungskonflikt befunden ha- be; wie der Senat nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils entschieden und im Einzelnen begründet hat, greift die Beweislastumkehr bei einer feststehenden Aufklärungspflichtverletzung stets ein, ohne dass es darauf ankommt, ob ein Kapitalanleger bei gehöriger Aufklärung vernünftigerweise nur eine Handlungsalternative gehabt hätte (Senatsurteil vom 8. Mai 2012 - XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 30 ff.). Das Landgericht hat aber keine Beweislastentscheidung getroffen, sondern aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme die positive Überzeugung gewonnen, dass der Zedent die Beteiligung auch im Falle einer gehörigen Aufklärung über die Rückvergütung gezeichnet hätte. Es hat sich dafür auf die - nach seinem Dafürhalten glaubhafte - Aussage der Zeugin R. gestützt, der es in Übereinstimmung mit dem protokollierten Wortlaut dieser Vernehmung entnimmt, sie habe auf die sogenannten weichen Kosten, insbesondere die Vertriebskosten anhand des Prospekts hingewiesen. Der Aussage des ebenfalls als Zeugen vernommenen Zedenten ist das Landgericht nicht gefolgt, weil der Inhalt dieser Aussage "auf das Gericht auffällig angepasst an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Vorliegen eines Interessenkonflikts der Banken aufgrund des Provisionsinteresses" gewirkt habe und es auch "nicht glaubhaft (sei), dass der Zedent im Falle der weitergehenden Belehrung eine Investition in Festgeld vorgezogen hätte". Das Landgericht hat also die Aussage des Zedenten für nicht glaubhaft gehalten und möglicherweise sogar Zweifel an dessen Glaubwürdigkeit gehabt.
- 17
- Das Berufungsgericht hat die Beweisaufnahme abweichend vom Landgericht gewürdigt, ohne sich durch erneute Vernehmung der Zeugen einen eigenen Eindruck zu verschaffen. Im Gegensatz zum Landgericht hat es auf Grundlage beider Zeugenaussagen im Ergebnis die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens als von der - insoweit darlegungs- und beweispflichtigen - Beklagten nicht widerlegt angesehen. Dies konnte es aber nur annehmen, wenn es - anders als das Landgericht - beide Aussagen gleichermaßen als glaubhaft oder unglaubhaft erachtete.
- 18
- bb) Diese abweichende Würdigung der Zeugenaussagen durch das Rechtsmittelgericht war nicht ausnahmsweise ohne erneute Vernehmung zulässig , weil weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe der Zeugen noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit ihrer Aussage von Bedeutung gewesen wären. Insbesondere konnte sich das Berufungsgericht bei seiner abweichenden Würdigung nicht ausschließlich auf den protokollierten Inhalt der Beweisaufnahme stützen, weil ihr das Landgericht aufgrund einer Würdigung der Glaubhaftigkeit der Aussage und möglicherweise auch der Glaubwürdigkeit des Zedenten nicht gefolgt ist. Für das Landgericht war entscheidend, dass der Zedent bei seiner Zeugenaussage "auffällig angepasst an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Vorliegen eines Interessenkonflikts der Banken aufgrund des Provisionsinteresses" gewirkt habe und auch seine weitere Bekundung zu einer Alternativanlage in Festgeld nicht glaubhaft sei. Demgegenüber hat das Landgericht die Aussage der Zeugin R. als glaubhaft angesehen. Danach war es dem Berufungsgericht verwehrt , ohne erneute Vernehmung von der Verlässlichkeit der Aussage des Zedenten oder der Unglaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin R. auszugehen.
- 19
- 3. Das angefochtene Urteil beruht auf dieser Verletzung des rechtlichen Gehörs. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einer abweichenden Entscheidung gelangt wäre, wenn es beide Zeugen erneut vernommen hätte.
III.
- 20
- Das angefochtene Urteil war danach gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang aufzuheben und die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht wird die oben genannten Beweise zu erheben und zu würdigen haben.
- 21
- Soweit das Berufungsgericht den darauf gestützten Schadensersatzanspruch als nicht verjährt angesehen hat, weist die tatrichterliche Würdigung allerdings - entgegen der Auffassung der Nichtzulassungsbeschwerde - auch nach den Maßgaben der Senatsentscheidung vom 26. Februar 2013 (XI ZR 498/11, WM 2013, 609 Rn. 26 ff., für BGHZ bestimmt) keinen durchgreifenden Rechts- oder Verfahrensfehler auf; das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass der Zedent positive Kenntnis von dem Zufluss von Rückvergütungen an die Beklagte hatte.
- 22
- Gegebenenfalls wird das Berufungsgericht sich auch mit den von der Klägerin behaupteten weiteren Verletzungen vorvertraglicher Aufklärungspflichten durch unrichtige Angaben des Anlageberaters der Beklagten auseinanderzusetzen haben.
Vorinstanzen:
LG Braunschweig, Entscheidung vom 20.07.2011 - 5 O 1921/10 -
OLG Braunschweig, Entscheidung vom 28.06.2012 - 8 U 129/11 -
Der Versicherer ist nicht zur Leistung verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich und widerrechtlich den bei dem Dritten eingetretenen Schaden herbeigeführt hat.
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug der verhängten Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten "einschließlich der erlittenen Untersuchungshaft" angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
- 2
- 1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
- 3
- a) Der mehrfach - auch wegen Körperverletzungsdelikten - vorbestrafte Angeklagte, der sich zum Tatzeitpunkt im offenen Vollzug befand, besuchte mit seiner Ehefrau, seinem Schwager und dessen Freundin ein Stadtfest. Obwohl ihm während seines Hafturlaubs der Genuss von Alkohol untersagt war, trank er im Laufe des Abends mindestens zwei Liter Bier und konsumierte 0,2 bis 0,3 Gramm Kokain. Der Angeklagte trennte sich gegen 23.00 Uhr kurzfristig von der Gruppe, um an einer Tankstelle einzukaufen. Währenddessen geriet die Ehefrau des Angeklagten in eine Auseinandersetzung mit dem ihr unbekannten Zeugen S. , von dem sie sich "angemacht" fühlte und dem sie (deswegen) den Inhalt ihres Glases ins Gesicht schüttete. Dabei traf sie den Zeugen mit dem Glas "leicht am Kinn", woraufhin dieser ihr eine Ohrfeige versetzte und sich entfernte. Die Ehefrau des Angeklagten lief dem Zeugen S. nach und "schrie unterdessen hysterisch mehrmals" nach ihrem Bruder. Im weiteren Verlauf kam es zu einer Schlägerei zwischen ihrem Bruder, dem Zeugen S. und weiteren - teils unbekannten - Personen.
- 4
- Währenddessen war der Angeklagte mit einer gläsernen Flasche Bier zu 0,5 Liter, die er zuvor etwa zur Hälfte ausgetrunken hatte, zu seiner Ehefrau zurückgekehrt. Sie berichtete ihm "laut weinend und hysterisch, dass sie von einem jungen Türken belästigt und geschlagen worden sei. Auf seinen Einwand , er sei im offenen Vollzug, forderte die Ehefrau ihn auf, wenigstens ihren Bruder aufzusuchen und dafür zu sorgen, dass nichts passiere".
- 5
- Der Angeklagte lief zu der sich am Boden prügelnden Gruppe und ging davon aus, dass sich dort sein Schwager befand. Er nahm ferner wahr, dass abseits von dieser Schlägerei der Zeuge A. stand, von dem der Angeklagte annahm, dass dieser entweder selbst der Türke sei, der seine Frau belästigt habe oder aber zumindest zur Gruppe der Türken gehöre, die für die Beleidigung seiner Ehefrau verantwortlich sei. Der Angeklagte schlug dem Zeugen A. ohne Vorwarnung mit erhobener rechter Hand unvermittelt von oben mit voller Wucht die halb gefüllte Bierflasche auf die rechte Kopfseite; die Glasfla- sche zersplitterte infolge des wuchtigen Schlages an der rechten Schläfe des Geschädigten. Dem Angeklagten, dessen Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit 1,46 ‰ betrug, war bei der Tatausführung bewusst, dass ein solcher massiver Schlag mit einer Glasflasche gegen den Kopf eines Menschen geeignet ist, schwerste Verletzungen mit tödlichem Ausgang herbeizuführen, was ihm jedoch gleichgültig war.
- 6
- Der Geschädigte trug eine Platz-Schnittwunde davon, bei der eine Arterie eröffnet wurde, so dass es zu einer heftigen Spritzblutung kam. Der Angeklagte zog die abgebrochene Flasche von der Schläfe des Geschädigten in Richtung des rechten Ohrs bis hinter die Ohrmuschel. Der Zeuge A. sackte zu Boden und rief mehrfach, dass er verblute und sterbe. Der Angeklagte nahm wahr, dass er dem Geschädigten schwerste Verletzungen zugefügt hatte, zumal der Zeuge A. wiederholt rief "Ich sterbe". Er verließ den Tatort, ohne sich um Hilfe zu bemühen. Der Geschädigte zog sich mehrere Schnittwunden am Kopf und eine Schädelprellung zu, die ärztlich versorgt wurden.
- 7
- b) Seine Überzeugung, dass der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte, hat das Schwurgericht auf die Lebensgefährlichkeit der konkreten Verletzungshandlung gestützt. Dem Angeklagten sei bewusst gewesen, dass der Schlag mit einer gläsernen Bierflasche gegen den Kopf des Zeugen A. dessen Tod herbeiführen konnte; dies entspräche "dem Allgemeinwissen eines durchschnittlich intelligenten Menschen", wozu auch der Angeklagte gehöre. Die Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände ergebe auch, dass dem Angeklagten der Tod des Zeugen A. gleichgültig gewesen sei.
- 8
- 2. Der Schuldspruch wegen versuchten Totschlags hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes ist nicht tragfähig begründet.
- 9
- a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, und dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. Beide Elemente der inneren Tatseite müssen in jedem Einzelfall gesondert geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. Senat, Urteil vom 18. Oktober 2006 - 2 StR 340/06, NStZ 2007, 150, 151; BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 - 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702; Senat, Beschluss vom 9. Juni 2015 - 2 StR 504/14). Annahme oder Ablehnung bedingten Tötungsvorsatzes können nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444). Dabei ist die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 1999 - 1 StR 26/99, NJW 1999, 2533, 2534). Neben der konkreten Angriffsweise ist dabei regelmäßig auch die Persönlichkeit des Täters, sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motivation mit in die erforderliche Gesamtbetrachtung einzubeziehen (vgl. Senat, Beschluss vom 1. Juni 2007 - 2 StR 133/07, NStZ-RR 2007, 267, 268; Beschluss vom 9. Juni 2015 - 2 StR 504/14).
- 10
- b) Diesen Anforderungen wird die landgerichtliche Entscheidung nicht gerecht. Das Landgericht hat schon nicht eindeutig das kognitive Moment des bedingten Tötungsvorsatzes festgestellt. Auch wenn dem Angeklagten - wovon das Landgericht ausgeht - "bewusst" gewesen ist, dass man mit einer Bierflasche einen Menschen töten könne, so belegt dies nur das Wissen um die all- gemeine Gefährlichkeit des Einsatzes dieses Tatwerkzeugs gegen den Kopfbereich eines Menschen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 19. Juli 1994 - 4 StR 348/94, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 41 mwN). Daraus lässt sich indes nicht ohne weiteres herleiten, dass der Angeklagte in der konkreten Tatsituation auch tatsächlich mit der Möglichkeit rechnete, der Zeuge A. könne durch einen Schlag mit einer Flasche auf dessen Kopf zu Tode kommen, und er dies in seine Überlegungen mit einbezog. Es ist durchaus möglich, dass der Angeklagte zwar alle Umstände kannte, ohne sich indes in der konkreten Situation bewusst zu sein, dass sein Vorgehen zum Tode des Opfers führen könne (vgl. auch BGH, Urteil vom 10. Dezember 1987 - 4 StR 539/87, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 10; Beschluss vom 19. Juli 1994 - 4 StR 348/94, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 41). Das Landgericht hätte sich insoweit insbesondere mit den besonderen Tatumständen auseinandersetzen müssen, die zu einer erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit führten: Aufgrund der deutlichen Tatzeitalkoholisierung des Angeklagten mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,46 ‰, des zusätzlichen Konsums von Kokain, seiner Übermüdung und des aggressiven Impulsdurchbruchs als Reaktion auf das hysterische Verhalten seiner Ehefrau kann dem Angeklagten, der zudem unmittelbar zuvor erklärt hatte, sich im offenen Vollzug zu befinden, das Bewusstsein gefehlt haben, dass seine spontane Tathandlung den Tod des Zeugen A. zur Folge haben könnte.
- 11
- 3. Der dargelegte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Schuldspruchs insgesamt. Die Aufhebung erfasst auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 - 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1; Gericke in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 353 Rn. 12). Die Sache bedarf insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Fischer Eschelbach Ott Zeng Bartel
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das am 7. November 2007 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Flensburg wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
- 1
Die Klägerin macht gegen den Beklagten als Geschäftsführer der mittlerweile insolventen Firma Baugeschäft B GmbH Schadensersatzansprüche wegen Verstoßes gegen das Gesetz über die Sicherung der Bauforderungen (GSB) geltend. Hinsichtlich der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien erster Instanz und ihrer dortigen Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
- 2
Ergänzend ist auszuführen:
- 3
Die Firma B GmbH hatte unter dem 8. November 2004 zunächst ein Angebot an die Eheleute P auf vollständige Errichtung des Einfamilienhauses zu einer Auftragssumme von 91.500,00 Euro hergegeben (Bl. 30 ff. d. A.). Weil sich die Bauherren dann aber entschlossen, eine sog. Futura-Bodenplatte herstellen zu lassen, gab die Firma B GmbH unter dem 4. Februar 2005 ein weiteres Angebot ab, Bl. 34 ff. d. A. Danach sollte sich der Preis von 91.500,00 Euro auf 74.000,00 Euro ändern, weil wegen der Entscheidung für die Futura-Bodenplatte die Gewerke bzw. Preise aus der Bau-Leistungsbeschreibung nämlich: "Erdarbeiten, Heizung, Beton, Verlegung von Schweißbahn, Betonsteine und Baustahl, Estrich" entfielen.
- 4
Den Kreditvertrag schlossen die Bauherren unter dem 19. November 2004 mit der Deutschen Genossenschafts-Hypothekenbank AG Hamburg. Es handelt sich nach dem Text des Vertrages um einen grundpfandrechtlich gesicherten Kredit in Höhe von 105.500,00 Euro.
- 5
Das Landgericht hat der Klage aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 1 Abs. 1 GSB stattgegeben. Bei dem Geld zur Finanzierung des Hausbaus der Bauherren habe es sich um Baugeld im Sinne des § 1 Abs. 1 GSB gehandelt, denn das Geld habe für den Bau eines Einfamilienhauses verwendet werden sollen und das Darlehen sei im Grundbuch des Grundstücks mit einer Grundschuld zugunsten der Bank abgesichert. Die GmbH sei auch Empfänger von Baugeld im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 GSB. Zwar seien aus dem ursprünglichen Angebot gewisse Arbeiten herausgenommen worden und es sei umstritten, ob in einem solchen Fall ein Unternehmer Empfänger von Baugeld sei. Der BGH habe dies in NJW 2000, 956 f. für einen Fall abgelehnt, wo ein Unternehmer nur mit einzelnen Teilen des Baus beauftragt worden sei. Von einer teilweisen Beauftragung könne hier aber wegen des Umfangs des Auftrags nicht ausgegangen werden.
- 6
Der Beklagte habe auch Kenntnis davon gehabt, dass es sich bei dem erhaltenen Werklohn um Baugeld gehandelt habe. Der GmbH sei die Absicherung der Finanzierung über die Grundschuld bekannt gewesen. Die Kenntnis folge daraus, dass von der dinglichen Absicherung eines Baugeldkredits als absoluter Regelfall ausgegangen werden müsse.
- 7
Das Baugeld sei schließlich zweckwidrig verwendet worden. Eine ordnungsgemäße Verwendung habe der Beklagte nicht nachgewiesen. Der Beklagte habe rechtswidrig und vorsätzlich gehandelt und hafte der Klägerin als Geschäftsführer der GmbH persönlich.
- 8
Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingereichte und begründete Berufung des Beklagten, der geltend macht:
- 9
Es handele sich hier nicht um Baugeld im Sinne von § 1 GSB. Denn zur Begründung der Baugeldeigenschaft bedürfe es einer Vereinbarung zwischen den Vertragsparteien des Baugeldvertrages, dass die Darlehenssumme zur Bestreitung der Kosten eines Baus bestimmt sein solle. Darüber finde sich in dem hier vorgelegten Kreditvertrag nichts, mit dem sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt habe. Enthalte ein Darlehensvertrag keine Angaben über die Verwendung des Darlehens, dann sei der Zweck der Darlehensgewährung auf andere Weise zu ermitteln und zwar in erster Linie durch Befragung des zuständigen Bankmitarbeiters als Zeugen. Ein entsprechendes Beweisangebot habe die Klägerin nicht einmal ausgebracht. Es finde sich lediglich ein Beweisangebot auf Vernehmung der Bauherren - Eheleute P - als Zeugen. Dem hätte das Landgericht nachgehen müssen. Das Landgericht habe sich auch nicht damit befasst, dass nicht einmal die Klägerin behaupte, das volle Baugeld von 105.500,00 Euro sei der GmbH zugeflossen. Die Vermutung von § 1 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 GSB greife zugunsten der Klägerin nicht ein. In dem Darlehensvertrag sei keine Regelung enthalten, dass die Auszahlung der Darlehensvaluta nach Maßgabe des Baufortschrittes erfolgen solle.
- 10
Unabhängig davon sei jedenfalls die GmbH kein Baugeldempfänger im Sinne von § 1 Abs. 1 GSB. Solches sei nämlich dann nicht der Fall, wenn ein Unternehmer lediglich mit der Ausführung einzelner Gewerke - wie hier - beauftragt werde. Es reiche nicht aus, dass "wesentliche Leistungen" zu erbringen seien. Auf den wesentlichen Umfang einer Beauftragung habe der BGH in der fraglichen Entscheidung nicht abgestellt. Zwischenzeitlich liege eine Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 5. November 2004, OLGR Düsseldorf 2005, 152 ff., vor. Dort habe das OLG zutreffend hervorgehoben, dass eine Differenzierung nach Teilgewerken oder einer Mehrzahl von Gewerken nicht in Betracht komme, weil eine sichere Abgrenzung auch vor dem Hintergrund der Strafandrohung in § 5 GSB nicht mehr möglich sei. Offengelassen sei lediglich, ob eine Anwendung des GSB noch in Betracht komme, wenn einer Firma nahezu alle Arbeiten im Rahmen eines Bauvorhabens übertragen worden seien und nur noch unwesentliche Restarbeiten verbleiben würden. Ein solcher Fall liege hier aber nicht vor. Sollte der Senat entgegen der Entscheidung des OLG Düsseldorf urteilen wollen, werde bereits jetzt die Zulassung der Revision beantragt.
- 11
Schließlich habe der Beklagte auch keine Kenntnis davon gehabt, dass es sich bei dem erhaltenen Werklohn um Baugeld im Sinne des § 1 GSB gehandelt habe. Der Beklagte habe gerade nicht gewusst, dass das nach der Bankbestätigung offensichtlich den Eheleuten P in Aussicht gestellte Darlehen tatsächlich später fließen würde und er habe erst recht nicht gewusst, dass dieses grundpfandrechtlich gesichert gewesen sei. Selbst wenn die Mehrzahl der Häuslebauer grundpfandrechtlich gesicherte Kredite aufnehmen sollten, hieße das noch nicht, dass dies der absolute Regelfall sei. Mit einer solchen Auslegung des GSB würde man gegen den Grundsatz der Privatautonomie gemäß den Art. 2, 12, 14 GG verstoßen. Eine solche Auslegung sei deshalb nicht mehr verfassungskonform, worauf zu Recht das Landgericht Bremen im Urteil vom 4. Februar 2005, 6 O 212/02 (juris), hingewiesen habe.
- 12
Der Beklagte beantragt,
- 13
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
- 14
Die Klägerin beantragt,
- 15
die Berufung zurückzuweisen.
- 16
Die Klägerin erwidert:
- 17
Zwischen den Bauherren und dem zuständigen Mitarbeiter der Deutschen Genossenschafts-Hypothekenbank sei ausdrücklich besprochen worden, dass die 105.500,00 Euro als Baukosten für den Bau des Hauses und die Errichtung von Außenanlagen zu dienen hätten. Es sei auch vereinbart worden, dass das Darlehen entsprechend dem Baufortschritt abgerufen und die Auszahlung des Darlehens unmittelbar an die beteiligte Baufirma aufgrund von Abschlagsrechnungen erfolgen sollte. Es sei im Übrigen ausreichend, wenn sich die Zweckbindung aus den Umständen ergebe. Hier habe die Klägerin bereits erstinstanzlich unwidersprochen vorgetragen, dass sich die B GmbH eine Finanzierungszusage der Bank habe vorlegen lassen. Der Beklagte habe in erster Instanz nicht bestritten, dass das Geld dazu dienen sollte, die Baukosten - wie von der Klägerin vorgetragen - des Einfamilienhauses zu bestreiten, dass das Baudarlehen ratierlich auszuzahlen und es grundbuchlich abzusichern gewesen sei. In erster Instanz sei dazu seitens des Beklagten lediglich vorgetragen worden: "Ob und in welcher Weise eine Absicherung durch welche Bank erfolgte, entzieht sich der Erinnerung des Beklagten". Das sei kein ausreichendes Bestreiten.
- 18
Die GmbH sei auch durchaus Baugeldempfänger gewesen. Es gehe hier nicht um einen Fall, wie er vom BGH im Urteil vom 16. Dezember 1999 entschieden worden sei, wo nämlich nur ein Werkvertrag über ein einzelnes Gewerk abgeschlossen worden sei und keine Treuhandpflichten zu erfüllen gewesen seien. Die B GmbH sei vielmehr umfassend mit dem Bau beauftragt worden. Herausgenommen worden sei lediglich die Erstellung des sog. "Futura-Klima-Bodens". Neben den Rohbauarbeiten, die die B GmbH selbst habe ausführen sollen, habe der Bauvertrag noch die Ausführung von Elektroarbeiten, von Sanitärarbeiten, Fenster- und Türarbeiten und Verputzarbeiten umfasst. Hier seien vier weitere Firmen tätig geworden, die im Wesentlichen nicht bezahlt worden seien. Für diese Leistungen der Subunternehmer habe die B GmbH Baugeld erhalten und sei wirtschaftlich betrachtet Treuhänderin gewesen. Auf eine derartige wirtschaftliche Betrachtung komme es an; richtig gelesen ergebe sich insoweit auch aus dem Urteil des OLG Düsseldorf vom 5. November 2004 nichts anderes.
- 19
Der Beklagte habe auch die nötige Kenntnis gehabt, dass und wie die Absicherung des Baugeldes erfolgt sei und dass nach Raten auszuzahlen gewesen sei. Die Vorlage der Bankbescheinigung sei unstrittig. Dann könne der Beklagte nicht schlicht vortragen, er erinnere sich nicht, ob und in welcher Weise eine Absicherung durch welche Bank für die Bauraten erfolgt sei. Dem Beklagten als Geschäftsführer einer mit dem schlüsselfertigen Erstellen von Einfamilienhäusern befassten Gesellschaft sei auch bekannt, dass eine solche Finanzierung üblicherweise grundbuchlich abgesichert werde.
- 20
Ergänzend wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze verwiesen
II.
- 21
Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg.
- 22
Das Landgericht hat einen Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten als Geschäftsführer der insolventen Firma B GmbH aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 1 Abs. 1 GSB bejaht. Es ist anerkannt, dass der Geschäftsführer einer GmbH aus den § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 1 Abs. 1, 5 GSB, 14 StGB persönlich schadensersatzpflichtig ist, wenn er vorsätzlich entgegen der Verwendungspflicht des § 1 Abs. 1 GSB Baugelder zweckwidrig verwendet hat (BGH WM 1990, 773 ff. bei Juris Rn. 8 und OLG Dresden, BauR 2000, 585 ff. bei Juris Rn. 11 sowie Werner/Pastor, Der Bauprozess, 10. Aufl. 2002 Rn. 1869).
1.
- 23
Entgegen der Auffassung der Berufung kann der Senat feststellen, dass es hier um Baugeld im Sinne von § 1 GSB geht. Nach der Definition des Begriffs in § 1 Abs. 3 GSB muss es sich um Geldbeträge handeln, die zum Zweck der Bestreitung der Kosten eines Baus in der Weise gewährt werden, dass zur Sicherung der Ansprüche des Geldgebers eine Hypothek oder Grundschuld an dem zu bebauenden Grundstück dient.
- 24
Die Sicherung des Kredits der Deutschen Genossenschafts-Hypothekenbank AG Hamburg an dem zu bebauenden Grundstück ist hier nicht im Streit, wohl aber die Frage, ob der Kredit "zum Zwecke der Bestreitung der Kosten eines Baus" gewährt worden ist. Denn unter Berücksichtigung der Vorgabe des Gesetzes ist nicht jeder aus Anlass eines Bauvorhabens gewährte Betrag "Baugeld". Vielmehr muss der Kredit zur Bestreitung der Kosten des Baus bestimmt und mithin zwischen dem Darlehensgeber und dem Darlehensnehmer vereinbart worden sein, dass das Darlehen gewährt wird, damit der Darlehensnehmer seine Verbindlichkeiten gegenüber Personen tilgen kann, die an der Herstellung des Baus aufgrund eines Werk- oder Werklieferungsvertrags beteiligt sind. Die Zweckbestimmung - so hat es der III. Strafsenat des BGH in seinem Urteil vom 11. April 2001 (NJW 2001, 2484 f. bei Juris Rn. 13) ausgeführt -, dass der ausgezahlte Betrag der Bestreitung der Kosten eines Baus dienen soll, muss Inhalt des Darlehensvertrages sein, nicht aber lediglich Motiv einer der Parteien. Nicht erforderlich ist jedoch, dass diese Zweckabrede ausdrücklich in dem Text des Kreditvertrages niedergelegt worden ist. Es reicht aus, dass sie schlüssig getroffen wurde, weil sich die Parteien darüber einig sind, dass die zugesagten Kreditmittel der Finanzierung eines Bauvorhabens in der genannten Weise dienen sollen (BGH a. a. O.; Werner/Pastor, a. a. O., Rn. 1866).
- 25
Der Berufung ist Recht zu geben, dass dem (Bl. 36-38 d.A. vorgelegten) Text des Kreditvertrages selbst eine solche Zweckbestimmung nicht zu entnehmen ist. Andererseits steht aber fest und ist unstreitig vorgetragen, dass sich die B GmbH eine Bankbescheinigung vorlegen ließ, in der die kreditgebende Bank die Finanzierung des Bauvorhabens bestätigt hat. Diese Finanzierungsbestätigung lag bei Abschluss des Bauvertrages vor. Hat die darlehensgebende Bank aber sogar nach außen hin gegenüber dem Bauunternehmen bestätigt, dass sie den Bauvertrag finanzieren wird, dann lässt sich daraus im Verhältnis Darlehensgeber zu Darlehensnehmer entnehmen, dass die Kreditmittel in Höhe des gegenüber dem Bauunternehmen geschuldeten Festgeldbetrages zur Bestreitung der Kosten des zu errichtenden Baus dienen sollten und mithin kraft konkludenter Vereinbarung Baugeld sind. Es ist im Übrigen nicht erforderlich, dass der gesamte in einem Kredit eingeräumte Darlehensbetrag Baugeld sein muss (vgl. Werner/ Pastor, a. a. O., Rn. 1866 und OLG Dresden BauR 2000, 585 ff. Rn. 13).
- 26
Einer Vernehmung der Eheleute P über die Frage etwaiger ausdrücklicher Absprachen zur Verwendung des Kredits mit ihrer Bank bedarf es deshalb nicht.
2.
- 27
Die Firma B GmbH ist entgegen der Annahme der Berufung auch Baugeldempfängerin im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 1 GSB.
- 28
Der Bundesgerichtshof hat stets ausgeführt, dass es dem Schutzzweck des Gesetzes entspreche, den Begriff "Empfänger von Baugeld" im Interesse der an der Herstellung des Baus Beteiligten weit zu fassen. Unter diesem Aspekt können Bauträger, Generalunternehmer und Generalübernehmer Baugeldempfänger sein. Entscheidend soll nach dem Urteil des BGH vom 16. Dezember 1999 (WM 2000, 735 ff. bei Juris Rn. 13) sein, dass die Baugeldempfänger hinsichtlich des Teils der ihnen als Vergütung bezahlten Beträge, die bei wirtschaftlicher Betrachtung den ihnen nachgeordneten Unternehmen gebühren, einem Treuhänder angenähert sind. Generalunternehmer und Generalübernehmer seien in aller Regel darüber informiert, ob und inwieweit der Bauherr des Objekts seinerseits durch Hypothek oder Grundschuld gesicherte Gelder verwende. Sie würden darüber bestimmen, wie diese Gelder weiter verwendet würden und hätten insoweit die volle Verfügungsgewalt über das Baugeld zur Finanzierung der Handwerkerleistungen. Der BGH hat diese "Empfänger von Baugeld" abgegrenzt gegenüber den nur mit einzelnen Teilen des Baus beauftragten Unternehmen, die nicht wie Bauträger, Generalunternehmer oder Generalübernehmer an Stelle des Kreditnehmers über die Finanzierungsmittel verfügen. Eine Erstreckung des Anwendungsbereichs auf diese Unternehmer - im Sachverhalt des zitierten Urteils ging es um eine mit Elektroarbeiten beauftragte Firma, die eine Subunternehmerin eingesetzt hatte - würde den Inhalt des Gesetzes unzulässig erweitern. Dann nämlich würde auch eine Haftung des Unternehmers in Rede stehen, der mit dem Werklohn seine Lieferanten oder seine Arbeitskräfte nicht bezahlt habe. Das entspreche nicht dem Schutzzweck des GSB.
- 29
Das OLG Düsseldorf hatte sich in seinem Urteil vom 5. November 2004 (OLGR Düsseldorf 2005, 152 ff.) mit einer Fallgestaltung zu befassen, wo ein Bauunternehmer nur die Tief- und Rohbauarbeiten übernommen hatte, während der Innenausbau und die Gewerke Elektroinstallation, Heizung, Brandwände und Treppen in diesem Auftrag nicht erfasst waren. Die Gewerke Tief- und Rohbau machten bei Gesamtinvestitionen für den Bau von 4,2 Mio. DM ein Auftragsvolumen von 2,89 Mio. DM aus. Das OLG Düsseldorf hat ausgeführt, das fragliche Unternehmen sei nicht als Empfänger von Baugeld anzusehen. Es sei zwar zutreffend - unter Verweis auf die Entscheidung des Strafsenats des BGH, a. a. O. -, dass Baugeld nicht notwendigerweise der gesamte Betrag eines anlässlich des Baus gewährten Darlehens sein müsse. Empfänger von Baugeld sei aber nur, wer umfassend oder doch mindestens zu einem ganz überwiegenden Teil mit der Erstellung des Gebäudes beauftragt sei. Letztlich könne offen bleiben, ob Empfänger von Baugeld auch derjenige sei, dem nahezu alle Arbeiten im Rahmen eines Bauvorhabens übertragen worden seien, sodass nur unwesentliche Restarbeiten verbleiben würden. Um unwesentliche Restarbeiten gehe es in jenem Fall jedenfalls nicht. Die Ausführungen des BGH (a. a. O.) seien dahin auszulegen, dass eine dem Treuhänder vergleichbare Position nur dann bestehe, wenn der Unternehmer volle Verfügungsgewalt über das ausgezahlte Baugeld habe, d. h. einerseits die freie Entscheidung über die Verwendung des Baugelds und andererseits auch eine umfassende Verfügungsgewalt, was den Umfang des Baugelds selbst betreffe. Es sei nicht zulässig eine Differenzierung nach Teilgewerken und einer Mehrzahl von Gewerken vorzunehmen, weil eine sichere Abgrenzung dann im Einzelfall nicht gewährleistet sei und die Ausdehnung des Anwendungsbereichs mangels zureichender Bestimmtheit auch im Hinblick auf die Strafandrohung in § 5 GSB auf eine unzulässige Analogie hinausliefe. Im Rahmen einer Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB iVm der Verletzung eines Schutzgesetzes, welches eine Strafandrohung enthalte, müsse die aus strafrechtlicher Sicht gebotene Einschränkung des Anwendungsbereichs im Zivilrecht ebenfalls Berücksichtigung finden.
- 30
In der Literatur ist zu dieser Entscheidung die Auffassung vertreten worden, das OLG Düsseldorf hätte im Lichte des BGH-Urteils weiter fragen müssen, ob die GmbH wie ein Treuhänder Baugelder für Nachunternehmer verwahrt habe und ob sie darüber hätte selbständig verfügen dürfen. Denn die treuhandähnliche Funktion sei das entscheidende Abgrenzungskriterium für die Eigenschaft des Baugeldempfängers (Stammkötter in JBR 2005, 1191, Bl. 95 d. A.).
- 31
Im vorliegenden Fall wollte die Firma B GmbH nach ihrem ursprünglichen Angebot als Generalunternehmerin das gesamte Einfamilienhaus zu einem Preis von 91.500,00 Euro errichten. Die Auftragssumme ist dann auf 74.000,00 Euro reduziert, weil sich "die Bauherren … für eine Futura-Bodenplatte entschieden haben" (so das Schreiben der B GmbH vom 4. Februar 2005, Bl. 34 d. A.). Es würden aus der Bau-Leistungsbeschreibung die Gewerke bzw. Preise für Erdarbeiten, Heizung, Beton, Verlegung von Schweißbahnen, Betonsteine und Baustahl sowie Estrich entfallen. Die Klägerin hat insoweit näher dargelegt - dies kann auch im Internet weiter nachvollzogen werden und war im Übrigen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht streitig -, dass es sich bei der "Futura Klima-Bodenplatte" um ein integriertes System handelt, wo innerhalb der Sohle bereits eine Flächenheizung eingebaut ist und zudem eine geglättete Oberfläche erstellt wird, die belagsfertig ist und weiteren Estrich überflüssig macht. Es ist also aus dem Bauvertrag ein integriertes Gewerk "Bodenplatte" herausgenommen worden, während die Firma Baugeschäft K für sämtliche oberhalb dieser Bodenplatte zu errichtenden Teile des Hauses verantwortlich sein sollte. Der Bauvertrag enthält deshalb auch weiterhin die Formulierung "Der Auftragnehmer errichtet im Auftrag des Bauherren ein Einfamilienhaus" . Nicht bestritten ist der Vortrag der Klägerin in der Berufungserwiderung, dass die Firma B GmbH neben den von ihr selbst ausgeführten Rohbauarbeiten insbesondere die Gewerke Elektroarbeiten, Sanitärarbeiten, Fenster- und Türarbeiten sowie Verputzarbeiten an vier weitere Firmen als Subunternehmer vergeben hat.
- 32
Vor diesem Hintergrund ist einerseits festzustellen, dass - bezogen auf die gesamte Errichtung des Hauses und die dafür aufzuwendenden Baukosten – aus dem ursprünglichen Komplettangebot zwar nicht nur ein unwesentlicher Teil herausgenommen worden ist. Andererseits entspricht die von der Firma B GmbH übernommene Aufgabe weiterhin der Aufgabe einer Generalunternehmerin. Sie ist keinesfalls nur mit einzelnen Teilen des Baus beauftragt und hat auch wie eine Generalunternehmerin an Stelle des Kreditnehmers im Rahmen einer treuhänderähnlichen Stellung über die Finanzierungsmittel verfügt, die bei wirtschaftlicher Betrachtung den mindestens vier nachgeordneten Unternehmen, ihren Subunternehmern, gebühren. Auf eine "wirtschaftliche Betrachtung" unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des Gesetzes hat aber der BGH (a. a. O., Rn. 13 f. bei Juris) deutlich abgestellt. Nicht zu bezweifeln ist auch, dass die Firma B GmbH über die ihr ausgezahlten rund 74.000,00 Euro die volle Verfügungsgewalt hatte. Sie hatte die tatsächliche Möglichkeit der freien Entscheidung über die Verwendung dieses Baugelds.
- 33
Nach Auffassung des Senats ist die genannte GmbH auf der Grundlage der zitierten BGH-Rechtsprechung als Empfängerin von Baugeld iSd GSB anzusehen. Es ist eine wirtschaftliche Betrachtungsweise anzustellen und zu fragen, ob das betreffende beauftragte Unternehmen wie ein Bauträger oder Generalunternehmer an Stelle des Kreditnehmers über die Finanzierungsmittel im Sinne einer treuhänderähnlichen Stellung verfügt, oder ob es eine derartige Stellung nicht hat, weil es nur mit einzelnen Teilen des Baus beauftragt ist. Damit ist der Anwendungsbereich des GSB auch im Hinblick auf die Strafandrohung in § 5 GSB ausreichend deutlich eingeschränkt und bleibt bestimmbar.
- 34
Anders als im Fall des OLG Düsseldorf – wo nur die Tief-und Rohbauarbeiten beauftragt waren – hat die genannte GmbH den Auftrag zur Errichtung eines Einfamilienhauses im Sinne einer Generalunternehmerin erhalten, auch wenn ein abgrenzbarer Teil – nämlich die besondere Bodenplatte – aus dem Auftrag herausgenommen worden ist. Der Fall liegt nicht anders, als wenn nach Abriss eines Altbaubestandes auf der noch erhalten gebliebenen Bodenplatte ein Neubau errichtet wird und dazu einem Unternehmen der Generalauftrag erteilt wird (wie dies etwa nach Zerstörung des Altbaus oberhalb der Bodenplatte durch Brandschaden vorkommen kann).
3.
- 35
Der Senat folgt nicht der Auffassung der Berufung, die nötige Kenntnis des Beklagten, dass es sich bei dem erhaltenen Werklohn um Baugeld im Sinne des § 1 GSB handele, sei nicht dargelegt und lasse sich nicht feststellen.
- 36
Zwar muss ein Verstoß gegen § 1 GSB vorsätzlich erfolgen, es reicht aber ein bedingter Vorsatz (BGH WM 2002,861 bei juris Rn. 8 ff). Hier sind ausreichend konkrete Umstände dargelegt, aus denen der Schluss gezogen werden kann, dass dem Baugeldempfänger Anhaltspunkte dafür vorlagen, es handele sich bei dem von den Bauherrn empfangenen Geldern um Fremdmittel, die durch eine Grundschuld oder Hypothek an dem zu bebauenden Grundstück gesichert waren (zu diesen Kriterien vgl. OLG Brandenburg, OLGR Brandenburg 1999, 398 ff. bei Juris Rn. 30, 32). Ein bedingter Vorsatz liegt bereits dann vor, wenn der Geschäftsführer der GmbH das Vorliegen von Baugeld billigend in Kauf nimmt. Mit einer Finanzierung über dinglich gesicherte Fremdmittel muss jedenfalls "ab einer gewissen Größenordnung … bei nahezu allen Bauvorhaben ernsthaft" gerechnet werden (OLG Dresden, a. a. O., bei Juris Rn. 36; Werner/ Pastor, a. a. O., Rn. 1871; vgl. auch BGH WM 2002, 861 bei juris Rn. 11).
- 37
Im vorliegenden Fall ist der GmbH unstreitig eine Finanzierungsbestätigung vorgelegt worden. Der Einsatz von Fremdmitteln einer Bank zur Finanzierung des Bauvorhabens war dort mithin bekannt. Der Beklagte hat die seinerzeitige Kenntnis von der grundbuchlichen Absicherung nicht ausreichend bestritten. Denn er hat dazu erstinstanzlich in der Klagerwiderung (Bl. 43 d.A.) nur geschrieben: "Ob und in welcher Weise eine Absicherung durch welche Bank erfolgte, entzieht sich der Erinnerung des Beklagten". Im übrigen stammt die unstreitig vorgelegte Bankbestätigung von der "Deutschen Genossenschafts-Hypothekenbank AG", die sich also schon nach ihrem Namen mit grundbuchlich gesicherten Krediten beschäftigt. Vor diesem Hintergrund hatte der Beklagte jedenfalls ausreichende Hinweise für eine grundbuchliche Absicherung. Angesichts der genannten Umstände musste der Beklagte als in der Baubranche tätiger Unternehmer mit der dinglichen Absicherung des Kredits an dem Baugrundstück rechnen, so dass ein bedingter Vorsatz nicht fehlt.
- 38
Hatte sich der Beklagte eigens eine Bankbestätigung über die Finanzierung der Baukosten vorlegen lassen, so kann er bei lebensnaher Betrachtung nicht geltend machen, er habe aber nicht sicher gewusst, ob tatsächlich diese Bankmittel später geflossen seien. Unstreitig ist der GmbH der Werklohn über die genannte Bank ausgezahlt worden.
4.
- 39
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
- 40
Der Senat hat die Revision nach § 543 II Nr. 2 ZPO zugelassen, weil in Anbetracht der zitierten Entscheidung des OLG Düsseldorf nicht gänzlich geklärt ist, ob Empfänger von Baugeld im Sinne des Schutzgesetzes § 1 Abs. 1 S. 1 GSB auch sein kann, wer nicht mit allen Teilen der Errichtung eines Gebäudes befasst ist, auch wenn er dem Leitbild nach die Rolle eines Generalunternehmers behält.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.