Oberlandesgericht München Endurteil, 12. Jan. 2018 - 10 U 3100/17

bei uns veröffentlicht am12.01.2018
vorgehend
Landgericht München I, 19 O 22560/16, 24.08.2017

Gericht

Oberlandesgericht München

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin vom 08.09.2017 wird das Endurteil des LG München I vom 24.08.2017 abgeändert und wie folgt neugefasst:

I. Die Beklagten werden verurteilt, samtverbindlich an die B. Bank GmbH zur Leasingnummer …403 und der Kundennummer …3,56 € sowie an die Klägerin 362,75 €, jeweils nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.11.2016, zu zahlen.

II. Die Beklagten werden weiterhin verurteilt, samtverbindlich an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 679,10 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.01.2017 zu zahlen. Der Beklagte zu 1) wird darüber hinaus verurteilt, an die Klägerin Zinsen aus 679,10 € in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz für die Zeit vom 29.01.2017 bis zum 30.01.2017 zu zahlen.

III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

IV. Die Beklagten tragen samtverbindlich die Kosten des Rechtsstreits (erster Instanz).

2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 8% und die Beklagten samtverbindlich 92%.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

6. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 4.384,84 € festgesetzt.

Gründe

A.

Von einer Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO sowie §§ 540 II, 313 b I 1 ZPO).

B.

I.

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache überwiegend Erfolg. Zwar ist das Ersturteil nicht dahingehend zu beanstanden, dass sich das Landgericht keine Überzeugung von einem schuldhaften Verursachungsbeitrag des Beklagten zu 1) gebildet hat. Allerdings hat das Erstgericht übersehen, dass es hinsichtlich der von der Klägerin in gewillkürter Prozessstandschaft geltend gemachten Ansprüche an einer Norm fehlt, wonach sich die den Pkw nicht haltende (Sicherungs-)Eigentümerin die allgemeine Betriebsgefahr ihres Pkws zurechnen lassen müsste.

1.) Soweit sich das Erstgericht keine Überzeugung von einem schuldhaften Verursachungsbeitrag des Beklagten zu 1) gebildet hat, ist dies – entgegen der Auffassung der Klägerin – nicht zu beanstanden.

a) Der Senat ist gem. § 529 I Nr. 1 ZPO an die vom Landgericht in nicht zu beanstandender Weise festgestellten Tatsachen gebunden. Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung sind ein unrichtiges Beweismaß, Verstöße gegen Denk- und Naturgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, Widersprüche zwischen einer protokollierten Aussage und den Urteilsgründen sowie Mängel der Darstellung des Meinungsbildungsprozesses wie Lückenhaftigkeit oder Widersprüche, vgl. z.B. BGH VersR 2005, 945. Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinn ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen (BGHZ 159, 254 [258]); bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte genügen nicht (BGH, a. a. O). Ein solcher konkreter Anhaltspunkt für die Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Beweiswürdigung ist von der Berufung nicht aufgezeigt worden. Es ist zwar möglich, dass sich der Unfall noch während des Fahrstreifenwechsels des Beklagten zu 1) ereignet hat. Ebenso möglich ist es aber auch, dass dieser Fahrstreifenwechsel zum Kollisionszeitpunkt bereits abgeschlossen war und der Kollisionswinkel auf einer leichten Lenkbewegung des klägerischen Fahrers nach rechts beruhte. Entgegen der Ansicht der Beklagten wäre eine solche Lenkbewegung auch nicht unbedingt lebensfremd, geht man nämlich, wie auch im Ersturteil erörtert, davon aus, dass der sich mit hoher Differenzgeschwindigkeit nähernde klägerische Fahrer zunächst nach links auswich, dann aber angesichts der sich dort befindlichen Betonseitenwand wieder nach rechts lenkte.

b) Aufgrund der vom Erstgericht festgestellten Tatsachen kann dem Beklagten zu 1) kein schuldhafter Verursachungsbeitrag nachgewiesen werden, nicht im Wege des Vollbeweises, aber – entgegen der Auffassung der Klägerin – auch nicht im Wege des Anscheinsbeweises. Denn die Anwendung des Anscheinsbeweises setzt voraus, dass das gesamte feststehende Unfallgeschehen nach der Lebenserfahrung typisch dafür ist, dass derjenige Verkehrsteilnehmer, zu dessen Lasten der Anscheinsbeweis Anwendung finden soll, schuldhaft gehandelt hat (vgl. BGH, Urteil vom 13.12.2011, Az.: VI ZR 177/10, NJW 2012, 608). Auch wenn es sich hier um keinen klassischen Auffahrunfall handelt, so weist der Unfallhergang doch so viele Parallelen auf, dass die vom BGH im o.g. Urteil ausgeführten Grundsätze entsprechend gelten. Demnach liegt eine Typizität, wie sie für einen Anscheinsbeweis Voraussetzung wäre, regelmäßig nicht vor, wenn zwar feststeht, dass vor dem Auffahrunfall ein Spurwechsel des vorausfahrenden Fahrzeugs stattgefunden hat, der Sachverhalt aber im Übrigen nicht aufklärbar ist und sowohl die Möglichkeit besteht, dass der Führer des vorausfahrenden Fahrzeugs unter Verstoß gegen § 7 V StVO den Fahrstreifenwechsel durchgeführt hat (klägerische Version), als auch die Möglichkeit, dass der Unfall auf eine verspätete Reaktion des auffahrenden Fahrers (Version der Beklagten) zurückzuführen ist.

2.) Das Ersturteil ist allerdings insoweit zu beanstanden, als das Landgericht hinsichtlich sämtlicher in der Hauptsache geltend gemachter Schadenspositionen von einer Haftungsverteilung im Verhältnis 50 zu 50 ausgegangen ist. Zutreffend ist diese Haftungsverteilung zwar bzgl. der eigenen Ansprüche der Klägerin, d.h. der Sachverständigenkosten i.H.v. 700,50 € und der Unkostenpauschale i.H.v. 25,00 €. Denn insoweit greift § 17 I, II StVG ein. Diesbezüglich liegt im Tenor des angefochtenen Urteils lediglich ein Schreibbzw. Rechenfehler insoweit vor, als es statt „EUR 362,50“ heißen muss: 362,75 €. Nicht zu beanstanden, sondern der ständigen Rechtsprechung des Senats und einer Vielzahl weiterer Gerichte entsprechend (vgl. z.B. die Übersicht von Notthoff in Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts, 6. Aufl., § 2, Rdnr. 869), ist das Ersturteil im Übrigen auch insoweit, als die Unfallnebenkosten-Pauschale nicht mit 30,00 €, sondern nur mit 25,00 € bemessen worden ist.

Unzutreffend ist die Haftungsverteilung hingegen bzgl. der von der Klägerin in gewillkürter Prozessstandschaft geltend gemachten Ansprüche, nämlich bzgl. der Reparaturkosten (7.233,56 €) und der Wertminderung (800,00 €). Bzgl. dieser – der Höhe nach unstreitiger – Positionen haften die Beklagten zu 100%, weil es insoweit an einer Norm fehlt, wonach sich die den Pkw nicht haltende (Sicherungs-)Eigentümerin (die B. Bank GmbH) die allgemeine Betriebsgefahr ihres Pkws zurechnen lassen müsste (vgl. auch BGH, Urteil vom 07.03.2017, Az.: VI ZR 125/16, VersR 2017, 830).

Die Beklagten waren daher zur samtverbindlichen Zahlung von insg. 8.396,31 € zu verurteilen (davon 8.033,56 € an die B. Bank GmbH und 362,75 € an die Klägerin), jeweils nebst Zinsen hieraus wie tenoriert.

3.) Ferner waren die Beklagten antragsgemäß zur samtverbindlichen Zahlung vorprozessualer Anwaltskosten i.H.v. 679,10 € an die Klägerin zu verurteilen, nebst Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit, d.h. bzgl. des Beklagten zu 1) (Klagezustellung an ihn bereits am 28.01.2017, an die Beklagte zu 2) hingegen erst am 30.01.2017) für die Zeit vom 29.01.2017 bis zum 30.01.2017 und bzgl. beider Beklagter samtverbindlich seit 31.01.2017.

4.) Die Kostenentscheidung (bzgl. der Kosten des Verfahrens erster Instanz) beruht auf §§ 92 II Nr. 1, 100 IV ZPO. Die in der Hauptsache auf eine samtverbindliche Verurteilung der Beklagten i.H.v. 8.764,06 € gerichtete Klage erwies sich als zu ca. 96% (i.H.v. 8.396,31 €) erfolgreich. Da die klägerische Zuvielforderung damit verhältnismäßig geringfügig war und – mangels Gebührensprungs – auch keine höheren Kosten veranlasste, erschien es angemessen, den Beklagten gem. §§ 92 II Nr. 1, 100 IV ZPO samtverbindlich die gesamten Kosten aufzuerlegen.

II.

Im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung (bzgl. der Kosten des Berufungsverfahrens) folgt aus §§ 92 I 1, 100 IV ZPO. Die auf eine in der Hauptsache um 4.384,84 € höhere Verurteilung der Beklagten gerichtete Berufung der Klägerin erwies sich mit einer in der Hauptsache um 4.017,09 € höheren Verurteilung als zu ca. 92% erfolgreich.

IV.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

V.

Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

VI.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 II 1, 47 I 1, 40, 48 I 1 GKG, 3 ff ZPO.

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur
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Bundesgerichtshof Urteil, 13. Dez. 2011 - VI ZR 177/10

bei uns veröffentlicht am 13.12.2011

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VI ZR 177/10 Verkündet am: 13. Dezember 2011 Holmes, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR:

Bundesgerichtshof Urteil, 07. März 2017 - VI ZR 125/16

bei uns veröffentlicht am 07.03.2017

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VI ZR 125/16 Verkündet am: 7. März 2017 Holmes Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja StVG § 7 Abs. 1, § 9; ZPO

Referenzen

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 177/10 Verkündet am:
13. Dezember 2011
Holmes,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Bei Auffahrunfällen auf der Autobahn ist ein Anscheinsbeweis regelmäßig nicht
anwendbar, wenn zwar feststeht, dass vor dem Unfall ein Spurwechsel des vorausfahrenden
Fahrzeugs stattgefunden hat, der Sachverhalt aber im Übrigen
nicht aufklärbar ist.
BGH, Urteil vom 13. Dezember 2011 - VI ZR 177/10 - OLG Nürnberg
LG Ansbach
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren mit
Schriftsatzfrist bis zum 14. Oktober 2011 durch den Vorsitzenden Richter
Galke, die Richter Zoll und Wellner, die Richterin Diederichsen und den Richter
Stöhr

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 18. Juni 2010 aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Ansbach vom 30. Oktober 2009 wird zurückgewiesen. Die Kosten der Rechtsmittelverfahren trägt der Kläger.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Parteien streiten um den Ersatz des dem Kläger entstandenen Schadens aus einem Auffahrunfall auf der linken Spur einer Autobahn. Der Kläger ist Eigentümer eines PKW Daimler-Benz, der zum Unfallzeitpunkt von der Drittwiderbeklagten zu 2 gefahren wurde und bei der Drittwiderbeklagten zu 3 haftpflichtversichert ist. Der Beklagte zu 1 war zum Unfallzeitpunkt Halter und Fahrer eines PKW Porsche 911 Carrera Cabrio, der bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversichert ist.
2
Am 25. Mai 2007 fuhr der PKW Porsche auf der BAB 6 auf der linken Spur auf den PKW Daimler-Benz auf, der einen LKW überholen wollte. Der Kläger und die Drittwiderbeklagten haben vorgetragen, dass sich der PKW Porsche mit überhöhter Geschwindigkeit genähert habe und der mit einer Geschwindigkeit von 100 bis 110 km/h fahrende PKW Daimler-Benz sich bereits 100 bis 150 m vor Erreichen des LKWs vollständig auf der linken Spur eingeordnet habe. Die Kollision habe stattgefunden, als sich der PKW Daimler-Benz auf gleicher Höhe mit dem LKW befunden habe. Nach der Darstellung der Beklagten hat der PKW Daimler-Benz, als der LKW noch mindestens 500 m von diesem entfernt gewesen sei, kurz bevor der PKW Porsche den PKW DaimlerBenz habe passieren können, völlig unerwartet und ohne den Fahrtrichtungsanzeiger zu setzen auf die linke Spur gezogen.
3
Das Landgericht ist von einem Haftungsanteil der beiden Unfallbeteiligten von jeweils 50 % ausgegangen und hat den jeweils geltend gemachten Schaden insoweit in einer in den Rechtsmittelverfahren nicht mehr angegriffenen Schadenshöhe für erstattbar gehalten. Auf die nur vom Kläger eingelegte Berufung hat das Oberlandesgericht dem Kläger Schadensersatz zu 100 % zugesprochen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision beantragen die Beklagten, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

I.

4
Das Berufungsgericht hat gemäß den Feststellungen des Landgerichts den Unfallverlauf als nicht im Einzelnen aufklärbar angesehen. Das Gericht habe sich weder davon überzeugen können, dass der Unfall durch einen der beiden Fahrer verschuldet noch für eine der beiden Seiten ein unabwendbares Ereignis gewesen sei. Aus den Angaben des Sachverständigen ergebe sich nur, dass der Porsche nahezu geradlinig mit paralleler Längsachse auf das Heck des Daimler-Benz aufgeprallt und der Ausschervorgang mindestens beim Kollisionsphasenbeginn vollständig abgeschlossen gewesen sei. Die Kollisionsgeschwindigkeitsdifferenz habe zwischen 20 bis 30 km/h gelegen. Mangels objektiver Spuren ließen sich weder die Ausgangsgeschwindigkeiten der Fahrzeuge rekonstruieren noch die zeitliche Abfolge zwischen Ausscheren und Auffahren.
5
Bei dem hier vorliegenden unmittelbar vor dem Aufprall abgeschlossenen Spurwechsel liege eine Typizität der Auffahrsituation vor, die die Anwendung des Anscheinsbeweises zu Lasten des Auffahrenden - auch hinsichtlich des Vorliegens eines unabwendbaren Ereignisses für den Vorausfahrenden - rechtfertige.

II.

6
Das Berufungsurteil hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind die Grundsätze des Anscheinsbeweises im Streitfall nicht zu Lasten der Beklagten anwendbar.
7
1. Die Anwendung des Anscheinsbeweises setzt auch bei Verkehrsunfällen Geschehensabläufe voraus, bei denen sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss aufdrängt, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat; es muss sich um Tatbestände handeln, für die nach der Lebenserfahrung eine schuldhafte Verursachung typisch ist (vgl. Senatsurteile vom 24. März 1959 - VI ZR 82/58, VersR 1959, 518, 519; vom 19. November 1985 - VI ZR 176/84, VersR 1986, 343, 344; vom 19. März 1996 - VI ZR 380/94, VersR 1996, 772; vom 16. Januar 2007 - VI ZR 248/05, VersR 2007, 557 Rn. 5; vom 30. November 2010 - VI ZR 15/10, VersR 2011, 234 Rn. 7). Demnach kann bei Unfällen durch Auffahren, auch wenn sie sich auf Autobahnen ereignen, grundsätzlich der erste Anschein für ein Verschulden des Auffahrenden sprechen (vgl. Senatsurteil vom 30. November 2010 - VI ZR 15/10, aaO mwN). Es reicht allerdings allein das "Kerngeschehen" - hier: Auffahrunfall - als solches dann als Grundlage eines Anscheinsbeweises nicht aus, wenn weitere Umstände des Unfallereignisses bekannt sind, die als Besonderheiten gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene Typizität sprechen. Denn es muss das gesamte feststehende Unfallgeschehen nach der Lebenserfahrung typisch dafür sein, dass derjenige Verkehrsteilnehmer , zu dessen Lasten im Rahmen des Unfallereignisses der Anscheinsbeweis Anwendung finden soll, schuldhaft gehandelt hat. Ob der Sachverhalt in diesem Sinne im Einzelfall wirklich typisch ist, kann nur aufgrund einer umfassenden Betrachtung aller tatsächlichen Elemente des Gesamtgeschehens beurteilt werden, die sich aus dem unstreitigen Parteivortrag und den ge- troffenen Feststellungen ergeben (vgl. Senatsurteile vom 19. November 1985 - VI ZR 176/84, aaO; vom 19. März 1996 - VI ZR 380/94, aaO).
8
2. Infolgedessen ist es bei Auffahrunfällen wie dem vorliegenden (Auffahren auf der linken Spur einer Autobahn in einem gewissen zeitlichen Zusammenhang mit einem Fahrspurwechsel des Vorausfahrenden) umstritten, ob es sich um eine typische Auffahrsituation mit der Folge eines Anscheinsbeweises zu Lasten des Auffahrenden handelt oder nicht.
9
a) Das Berufungsgericht und ein Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung vertreten die Auffassung, dass nur die seitens des Auffahrenden bewiesene ernsthafte Möglichkeit, dass das vorausfahrende Fahrzeug in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem Auffahrunfall in die Fahrbahn des Auffahrenden gewechselt sei, den grundsätzlich gegebenen Anscheinsbeweis erschüttern könne (vgl. etwa OLG Köln, r+s 2005, 127; OLG Saarbrücken, OLGR Saarbrücken 2005, 813, 814 und 2009, 636, 638; OLG Zweibrücken, SP 2009, 175 f.; KG, NJW-RR 2011, 28). Zeige das Unfallgeschehen das typische Gepräge eines Auffahrunfalls, so könne sich der Unfallgegner nicht mit der bloßen Behauptung der lediglich theoretischen Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs entlasten mit der Folge, dass es Sache des Vorausfahrenden sei, den theoretisch in Betracht kommenden Unfallverlauf im Sinne einer beweisrechtlichen "Vorleistung" auszuschließen (vgl. OLG Saarbrücken, OLGR Saarbrücken 2005, 813, 814; KG, NZV 2009, 458, 459). Vielmehr müssten sich aus den unstreitigen oder bewiesenen Umständen zumindest konkrete Anhaltspunkte und Indizien für den unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang zwischen dem behaupteten Fahrspurwechsel und dem Auffahrunfall ergeben, um den gegen den Auffahrenden sprechenden Anscheinsbeweis zu erschüttern (vgl. OLG Köln, aaO). Auch nach der im Schrifttum überwiegend vertretenen Auffassung greift der Anscheinsbeweis bei Auffahrunfällen nur dann nicht zu Lasten des Auffahrenden ein, wenn aufgrund erwiesener Tatsachen feststeht oder unstreitig ist, dass der Fahrstreifenwechsel des Vorausfahrenden erst wenige Augenblicke vor dem Auffahrunfall erfolgt ist (vgl. Burmann in Burmann /Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl., § 4 StVO Rn. 24; Buschbell/Buschbell, Münchener Anwaltshandbuch Straßenverkehrsrecht, 3. Aufl., § 23 Rn. 284; König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 4 StVO Rn. 35 f.; Geigel/Zieres, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., Kap. 27 Rn. 149).
10
b) Ein anderer Teil der obergerichtlichen Rechtsprechung verneint bei Auffahrunfällen auf der Autobahn bereits einen Anscheinsbeweis für das Verschulden des Auffahrenden und nimmt - in der Regel - eine hälftige Schadensteilung an, wenn vor dem Auffahren ein Fahrspurwechsel stattgefunden hat, aber streitig und nicht aufklärbar ist, ob die Fahrspur unmittelbar vor dem Anstoß gewechselt worden ist und sich dies unfallursächlich ausgewirkt hat. Dies wird im Wesentlichen damit begründet, dass der Zusammenstoß mit einem vorausfahrenden Fahrzeug nur dann das typische Gepräge eines Auffahrunfalls trage, der nach der Lebenserfahrung den Schluss auf zu schnelles Fahren , mangelnde Aufmerksamkeit und/oder einen unzureichenden Sicherheitsabstand des Hintermannes zulasse, wenn feststehe, dass beide Fahrzeuge so lange in einer Spur hintereinander hergefahren sind, dass sich beide Fahrzeugführer auf die vorangegangenen Fahrbewegungen hätten einstellen können und es dem Auffahrenden möglich gewesen sei, einen ausreichenden Sicherheitsabstand aufzubauen bzw. einzuhalten (vgl. etwa OLG Schleswig, NZV 1993, 152, 153; OLG Naumburg, NJW-RR 2003, 809, 810; OLG Hamm, OLGR Hamm 2004, 82, 83; KG, DAR 2005, 157; KG, NZV 2006, 374, 375; KG, NZV 2008, 198, 199; OLG München, Urteil vom 4. September 2009 - 10 U 3291/09, juris, Rn. 21; OLG Düsseldorf, VersR 2010, 1236, 1237; OLG Stuttgart, Urteil vom 14. April 2010 - 3 U 3/10, juris Rn. 14; AG Hamburg, Urteil vom 30. Oktober 2006 - 644 C 249/06, juris Rn. 30 ff.).
11
3. a) Bei der Anwendung des Anscheinsbeweises ist nach Auffassung des erkennenden Senats grundsätzlich Zurückhaltung geboten, weil er es erlaubt , bei typischen Geschehensabläufen aufgrund allgemeiner Erfahrungssätze auf einen ursächlichen Zusammenhang oder ein schuldhaftes Verhalten zu schließen, ohne dass im konkreten Fall die Ursache bzw. das Verschulden festgestellt ist (vgl. Lepa, NZV 1992, 129, 130; Saenger/Saenger, ZPO, 4. Aufl., § 286 Rn. 39; Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., vor § 284 Rn. 29). Deswegen kann er nach den oben unter 1. dargelegten Grundsätzen nur Anwendung finden, wenn das gesamte feststehende Unfallgeschehen nach der Lebenserfahrung typisch dafür ist, dass derjenige Verkehrsteilnehmer, zu dessen Lasten der Anscheinsbeweis angewendet wird, schuldhaft gehandelt hat (vgl. Senatsurteile vom 19. November 1985 - VI ZR 176/84, aaO; vom 19. März 1996 - VI ZR 380/94, aaO). Eine solche Typizität liegt bei dem hier zu beurteilenden Geschehensablauf regelmäßig nicht vor, wenn zwar feststeht, dass vor dem Auffahrunfall ein Spurwechsel des vorausfahrenden Fahrzeugs stattgefunden hat, der Sachverhalt aber im Übrigen nicht aufklärbar ist und - wie hier - nach den Feststellungen des Sachverständigen sowohl die Möglichkeit besteht, dass der Führer des vorausfahrenden Fahrzeugs unter Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO den Fahrstreifenwechsel durchgeführt hat, als auch die Möglichkeit, dass der Auffahrunfall auf eine verspätete Reaktion des auffahrenden Fahrers zurückzuführen ist. Beide Varianten kommen wegen der bekannten Fahrweise auf den Autobahnen als mögliche Geschehensabläufe in Betracht, zumal es nach der Lebenserfahrung nicht fernliegend ist, dass es auf Autobahnen zu gefährlichen Spurwechseln kommt, bei denen die Geschwindigkeit des folgenden Fahrzeugs unterschätzt wird. Infolgedessen kann regelmäßig keine der beiden Varianten alleine als der typische Geschehensablauf angesehen werden, der zur Anwendung des Anscheinsbeweises zu Lasten eines der Beteiligten führt.
12
b) Im Streitfall liegen auch keine besonderen Umstände vor, die die Anwendung des Anscheinsbeweises zu Lasten des Auffahrenden rechtfertigten. Der Sachverständige hat die verschiedenen Möglichkeiten berücksichtigt und ist insbesondere auch bei Zugrundelegung dessen, dass der Porsche nahezu geradlinig mit paralleler Längsachse auf das vorausfahrende Fahrzeug aufprallte, bei Zugrundelegung der Kollisionsgeschwindigkeitsdifferenz von mindestens 20 km/h bis maximal 30 km/h beim Kollisionsphasenbeginn sowie der unterschiedlichen Darlegungen der Parteien zum Geschehensablauf zu dem Ergebnis gekommen, dass sich der Sachverhalt nicht weiter aufklären lässt und beide Möglichkeiten des Geschehensablaufs in Betracht kommen. Unter diesen Umständen hat das Landgericht anders als das Berufungsgericht zu Recht einen Anscheinsbeweis sowohl zu Lasten des Klägers als auch der Beklagten verneint. In solchen Fällen ist nicht von dem Erfahrungssatz auszugehen, dass der Auffahrende den Unfall infolge zu hoher Geschwindigkeit, Unaufmerksamkeit und/oder unzureichendem Sicherheitsabstand verschuldet hat. Ebenso nahe liegt der Schluss, dass der auf die linke Spur gewechselte Fahrzeugführer gegen die hohen Sorgfaltsanforderungen des § 7 Abs. 5 StVO verstoßen hat und sich der auffahrende Fahrzeugführer nicht mehr auf die vorangegangene Fahrbewegung hat einstellen und den Sicherheitsabstand einhalten können.
13
4. Nach allem hat das Landgericht zu Recht sowohl einen Anscheinsbeweis zu Lasten des Klägers als auch zu Lasten der Beklagten verneint. Auf der Grundlage der Nichterweislichkeit des genauen Unfallhergangs ist aus revisionsrechtlicher Sicht auch nicht zu beanstanden, dass das Landgericht eine hälftige Schadensteilung vorgenommen hat. Das Berufungsurteil ist mithin aufzu- heben und die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts zurückzuweisen, weil die Sache endentscheidungsreif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).
14
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Galke Zoll Wellner Diederichsen Stöhr
Vorinstanzen:
LG Ansbach, Entscheidung vom 30.10.2009 - 3 O 10/08 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 18.06.2010 - 5 U 2335/09 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 125/16
Verkündet am:
7. März 2017
Holmes
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Dem Schadensersatzanspruch des nichthaltenden Sicherungseigentümers
aus § 7 Abs. 1 StVG kann die Betriebsgefahr des sicherungsübereigneten
Kraftfahrzeugs nicht entgegengehalten werden, wenn ein Verschulden desjenigen
, der die tatsächliche Gewalt über die Sache ausübt, nicht feststeht.
(Festhalten an den Senatsurteilen vom 30. März 1965 - VI ZR 257/63, NJW
1965, 1273 f.; vom 10. Juli 2007 - VI ZR 199/06, BGHZ 173, 182 ff.; vom
7. Dezember 2010 - VI ZR 288/09, BGHZ 187, 379 ff.).
Dies gilt auch, wenn der nichthaltende Sicherungseigentümer den Halter ermächtigt
hat, diesen Anspruch im Wege gewillkürter Prozessstandschaft im
eigenen Namen geltend zu machen.
BGH, Urteil vom 7. März 2017 - VI ZR 125/16 - LG Stuttgart
AG Ludwigsburg
ECLI:DE:BGH:2017:070317UVIZR125.16.0

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 7. März 2017 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richterinnen von Pentz und Dr. Oehler und die Richter Dr. Klein und Dr. Allgayer

für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil der 13. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 24. Februar 2016 wird zurückgewiesen. Die Beklagten tragen die Kosten des Revisionsverfahrens als Gesamtschuldner. Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Der Kläger nimmt nach einem Verkehrsunfall die Beklagten auf Zahlung weiteren Schadensersatzes in Anspruch. Der Kläger war zum Unfallzeitpunkt Halter des an eine Bank sicherungsübereigneten Fahrzeugs. Der Beklagte zu 1 war Halter des gegnerischen Fahrzeugs, die Beklagte zu 2 dessen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer. Die Beklagte zu 2 legte ihrer Regulierung eine Haftungsquote von 50/50 zugrunde.
2
Die den Fahrzeugkredit finanzierende Bank und Sicherungseigentümerin des beschädigten Fahrzeugs (hiernach "Sicherungseigentümerin") ermächtigte den Kläger, ihre Schadensersatzansprüche aus dem Unfallgeschehen gegen die Beklagten im eigenen Namen geltend zu machen. Der Kläger begehrte in gewillkürter Prozessstandschaft Ersatz restlicher Reparaturkosten, der Wertminderung des Fahrzeugs und vorgerichtlicher Sachverständigenkosten sowie aus eigenem Recht Ersatz des Nutzungsausfalls und einer allgemeinen Kostenpauschale.
3
Der Hergang des Unfalls ließ sich nicht aufklären, ein Verschulden der jeweiligen Fahrzeugführer ebenso wenig feststellen. Das Amtsgericht hat die Beklagten zur Zahlung auf Grundlage einer Haftungsverteilung von 50/50 verurteilt. Auf die Berufung des Klägers, der die Feststellung des Amtsgerichts, der Unfallhergang sei unaufklärbar, nicht angegriffen hat, hat das Berufungsgericht die Beklagten zur vollständigen Zahlung fahrzeugbezogener Schadenspositionen (Sachschaden, Minderwert, Sachverständigenkosten) verurteilt und im Übrigen die vom Amtsgericht angenommene Haftungsquote bestätigt. Die Beklagten begehren mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

I.

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Das Berufungsgericht hat im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger könne aufgrund der Ermächtigung der Sicherungseigentümerin deren Schadensersatzansprüche im eigenen Namen geltend machen. Als Sicherungsgeber habe er ein wirtschaftliches Interesse an der Durchsetzung der Ansprüche. Eine Benachteiligung der Beklagten sei nicht ersichtlich.
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In der Sache müsse sich die Sicherungseigentümerin die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs mangels Zurechnungsnorm nicht entgegenhalten lassen; weder § 17 Abs. 2 StVG noch § 9 StVG oder § 254 BGB seien anwend- bar. Daher seien die Beklagten verpflichtet, fahrzeugbezogene Schadensersatzansprüche der Sicherungseigentümerin vollständig zu tragen. Nur auf eigene Schadensersatzansprüche müsse sich der Kläger die mitwirkende Betriebsgefahr des von ihm gehaltenen Fahrzeugs anrechnen lassen.

II.

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Das angegriffene Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand. Entgegen der Auffassung der Revision ist der Kläger befugt, die Ansprüche der Sicherungseigentümerin, die im Revisionsverfahren allein noch von Interesse sind, in gewillkürter Prozessstandschaft geltend zu machen. Diese Ansprüche bestehen in der vom Berufungsgericht festgestellten Höhe.
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1. Der erkennende Senat kann die Erklärung der Sicherungseigentümerin zum Inhalt und Umfang der Prozessermächtigung selbst würdigen. Bei der Prozessführungsbefugnis handelt es sich um eine Prozessvoraussetzung, die in jeder Lage des Verfahrens, auch in der Revisionsinstanz, von Amts wegen zu prüfen ist. Das Revisionsgericht ist dabei weder an die Feststellungen des Berufungsgerichts gebunden, noch beschränkt sich seine Prüfung auf die Tatsachen und Beweismittel, die dem Berufungsgericht vorgelegen haben. Das Revisionsgericht hat vielmehr gegebenenfalls auch unter Berücksichtigung neuen Vorbringens in der Revisionsinstanz selbständig festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Prozessführungsbefugnis im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorgelegen haben (vgl. BGH, Urteil vom 19. März 1987 - III ZR 2/86, BGHZ 100, 217, 219 mwN).
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Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass eine gewillkürte Prozessstandschaft zulässig ist, wenn der Prozessführende vom Rechtsinhaber zur Prozessführung im eigenen Namen ermächtigt worden ist und er ein eigenes schutzwürdiges Interesse an ihr hat (BGH, Urteile vom 12. Juli 1985 - V ZR 56/84, NJW-RR 1986, 158; vom 19. März 1987 - III ZR 2/86, BGHZ 100, 217, 218; vom 7. Dezember 2001 - V ZR 65/01, NJW 2002, 1038). Schutzwürdig ist ein Interesse des Klägers nur, wenn der Beklagte durch die gewählte Art der Prozessführung nicht unbillig benachteiligt wird (BGH, Urteile vom 2. Oktober 1987 - V ZR 182/86, NJW-RR 1988, 126, 127; vom 24. Oktober 1985 - VII ZR 337/84, BGHZ 96, 151, 155/156). Darüber hinaus muss sich der Prozessführende im Rechtsstreit grundsätzlich auf die ihm erteilte Ermächtigung berufen und zum Ausdruck bringen, wessen Recht er geltend macht (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1985 - VII ZR 148/83, BGHZ 94, 117, 122). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.
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a) Eine von der Sicherungseigentümerin erteilte Ermächtigung zur Prozessführung im eigenen Namen liegt in ihrer Erklärung vom 15. September 2014. Der Kläger hat sich durch den Klageantrag, die Darstellung des Sachverhalts und die Erklärung, Schadensersatzansprüche der Sicherungseigentümerin aus dem streitgegenständlichen Unfallgeschehen geltend zu machen, ausdrücklich auf diese Ermächtigung gestützt.
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b) Auch von einem schutzwürdigen Interesse des Klägers an der Prozessführung im eigenen Namen geht das Berufungsgericht zutreffendaus. Ein schutzwürdiges Interesse ist gegeben, wenn die Entscheidung Einfluss auf die eigene Rechtslage des Prozessführungsbefugten hat (BGH, Urteil vom 5. Februar 2009 - III ZR 164/09, NJW 2009, 1213, 1215 mwN). Es kann auch durch ein wirtschaftliches Interesse begründet werden (BGH, Urteil vom 24. August 2016 - VIII ZR 182/15, NJW 2017, 487, 488; Senatsurteil vom 19. September 1995 - VI ZR 166/94, NJW 1995, 3186; BGH, Urteil vom 23. September 1992 - I ZR 251/90, BGHZ 119, 237, 242). Für die Klage des Sicherungsgebers wird ein solches in der Rechtsprechung bejaht (vgl. BGH, Urteil vom 30. Oktober 1985 - VIII ZR 251/84, BGHZ 96, 182, 185; vgl. zum Vorbehaltskäufer BGH, Urteil vom 5. Februar 1964 - VIII ZR 156/62, LM Nr. 24 zu § 985 BGB; vgl. für den Leasingnehmer OLG Karlsruhe, r+s 2014, 577, 578).
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Es kann für die Prozessführungsbefugnis dahinstehen, ob dem in Prozessstandschaft klagenden Fahrzeughalter, wie von der Revision geltend gemacht , daneben eigene - etwa auf das Anwartschaftsrecht gestützte -, infolge der Zurechnung der Betriebsgefahr des sicherungsübereigneten Fahrzeugs geringere Ansprüche gegen die Beklagten zustehen. Dem Kläger steht es aufgrund der zivilprozessualen Dispositionsmaxime sowie der Parteiherrschaft über das Verfahren (§ 253 Abs. 2 Nr. 2, § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO) frei, hinsichtlich des Fahrzeugschadens allein die Ansprüche der Sicherungseigentümerin einzuklagen.
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Durch das Einrücken des Fahrzeughalters in die Klägerposition entsteht den Beklagten kein Nachteil. Sie stehen wirtschaftlich und prozessual nicht schlechter. Denn machte die Sicherungseigentümerin ihre Ansprüche selbst geltend, könnten die Beklagten ihr in der Konstellation des Streitfalls die Betriebsgefahr ebenfalls nicht entgegenhalten (vgl. dazu die Ausführungen unter II 2).
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2. Ohne Erfolg greift die Revision die Auffassung des Berufungsgerichts an, dass den Ansprüchen der das Fahrzeug nicht haltenden Sicherungseigentümerin die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs nicht entgegengehalten werden kann. Eine Norm, aufgrund derer sich der nicht haltende Sicherungseigentümer die Betriebsgefahr des sicherungsübereigneten, vom Sicherungsgeber gehaltenen Fahrzeugs zurechnen lassen müsste, besteht nicht.
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a) Eine Zurechnung der Betriebsgefahr nach § 17 StVG scheidet aus. Der erkennende Senat hat in seiner Entscheidung vom 10. Juli 2007 (VI ZR 199/06, BGHZ 173, 182 Rn. 8) seine Auffassung bekräftigt, dass § 17 StVG nur anzuwenden ist, wenn auch der Geschädigte nach den Bestimmungen des Straßenverkehrsgesetzes haftet (vgl. Senatsurteil vom 30. März 1965 - VI ZR 257/63, NJW 1965, 1273, 1274). Eine Erstreckung des Normanwendungsbereichs auf den nicht haltenden Sicherungseigentümer ist abzulehnen, insbesondere nachdem der Gesetzgeber durch die Änderung des § 17 Abs. 3 Satz 3 StVG mit dem 2. Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002 (BGBl I, S. 2674) zum Ausdruck gebracht hat, dass er sich der Möglichkeit des Auseinanderfallens von Halter- und Eigentümerstellung bewusst war (BT-Drucks 14/8780, S. 22 f.), und eine über § 17 Abs. 3 Satz 3 StVG hinausgehende Änderung nicht vorgenommen hat. Eine durchgehende Gleichstellung von Eigentümer und Halter im Rahmen des § 17 StVG ist vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt. Auch ist der Wortlaut der Vorschrift insoweit eindeutig.
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b) Als Zurechnungsnorm scheidet auch § 9 StVG in Verbindung mit § 254 BGB aus. Ohne festgestelltes Verschulden des Führers des klägerischen Fahrzeugs sind die Anwendungsvoraussetzungen des § 9 StVG nicht gegeben, denn § 9 StVG setzt ein Verschulden voraus (Lemcke, in: van Bühren/Lemcke/ Jahnke, Anwaltshandbuch Verkehrsrecht, 2. Aufl., Teil 2, Rz. 215 f.; ders., r+s 2014, 579; Heß, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 24. Aufl., § 9 StVG Rn. 9b; König, in: König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 9 StVG Rn. 17; Eggert, in: Ludovisy/Eggert/Burhoff, Praxis des Straßenverkehrsrechts , 6. Aufl., § 2 Rn. 303; Schröder/Hoffmann-Benz, in: Müller/ Bachmeier/Starkgraff, Fachanwaltskommentar Verkehrsrecht, 2. Aufl., § 9 StVG Rn. 1).
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des Senats vom 7. Dezember 2010 (VI ZR 288/09, BGHZ 187, 379 Rn. 12). Nur im Fall des - hier nicht festgestellten - (Mit-)Verschuldens des Führers des sicherungsübereigneten Fahrzeugs wäre die Betriebsgefahr im Rahmen der Haftungsabwägung gemäß § 9 StVG, § 254 BGB mit zu berücksichtigen (vgl. Senatsurteil vom 30. März 1965 - VI ZR 257/63, NJW 1965, 1273, 1274). Ein nur vermutetes Verschulden genügt nicht.
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c) Entgegen der Auffassung der Revision kommt eine Zurechnung gemäß § 278 BGB schon mangels Bestehens einer Sonderverbindungzwischen der Sicherungseigentümerin und den Beklagten nicht in Betracht (vgl. Senatsurteile vom 30. März 1965 - VI ZR 257/63, NJW 1965, 1273, 1274; vom 10. Juli 2007 - VI ZR 199/06, BGHZ 173, 182 Rn. 15).
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d) Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht, wenn man mit den Vorinstanzen und den Parteien von einem dinglichen Anwartschaftsrecht des Klägers bezogen auf das Eigentum an dem unfallbeteiligten Kraftfahrzeug ausgeht. Etwaige eigene Schadensersatzansprüche des Klägers wegen der Verletzung seines Anwartschaftsrechtes oder der Beschädigung des Sicherungsgutes stehen im Streitfall seiner Geltendmachung der Rechte der Sicherungseigentümerin nicht entgegen. Auf solche eigenen Rechte stützt der Kläger seine Klage nämlich nicht, sondern lediglich auf die der Sicherungseigentümerin.
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Das Sicherungseigentum ist echtes Eigentum im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB (vgl. Senat, Urteil vom 12. Mai 1992 - VI ZR 257/91, BGHZ 118, 201, 205), also Volleigentum (vgl. BeckOGK BGB/Klinck BGB, Stand 1. Dezember 2016, § 930 Rn. 194; MünchKommBGB/Oechsler, 7. Aufl., Anh. §§ 929-936 Rn. 40). Der Sicherungseigentümer hat bei Beschädigung des Sicherungsgutes grundsätzlich Schadensersatzansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB und aus § 7 StVG. Mit der Ermächtigung des Sicherungsgebers durch die Sicherungseigentümerin ist im Streitfall gewährleistet, dass der Substanzschaden in einer Hand geltend gemacht wird. Damit wird zugleich einer doppelten Geltendmachung der Ansprüche vorgebeugt. Der Schädiger könnte einer weiteren Klage der Sicherungseigentümerin den Einwand der Rechtskraft (BGH, Urteile vom 7. Juli 1993 - IV ZR 190/92, BGHZ 123, 132, 135 f.; vom 12. Juli 1985 - V ZR 56/84, WM 1985, 1324 unter I 3; vom 2. Oktober 1987 - V ZR 182/86, NJW-RR 1988, 126, 127) und einer Klage des anwartschaftsberechtigten Sicherungsgebers aus eigenem Recht jedenfalls den Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegenhalten. Galke von Pentz Oehler Klein Allgayer
Vorinstanzen:
AG Ludwigsburg, Entscheidung vom 25.03.2015 - 9 C 2738/14 -
LG Stuttgart, Entscheidung vom 24.02.2016 - 13 S 46/15 -

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.