Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 22. Juni 2010 - 5 U 71/10; 5 W 14/10

bei uns veröffentlicht am22.06.2010

Tenor

1. Der Antrag vom 22.04.2010, dem Beklagten Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Berufung gegen das Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Tübingen vom 25.03.2010 - Az. 4 O 395/08 - zu gewähren, wird zurückgewiesen.

2. Die sofortige Beschwerde des Beklagten vom 13.04.2010 gegen die Prozesskostenhilfe ablehnende Entscheidung des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Tübingen im Urteil vom 25.03.2010 - Az. 4 O 395/08 - wird zurückgewiesen.

3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.

Gründe

 
I.
Die Parteien streiten um die Rückzahlung von Geldbeträgen des klagenden Vaters, die der beklagte Sohn betrügerisch erlangt oder veruntreut haben soll.
Durch Versäumnisurteil vom 10.03.2009 verurteilte das Landgericht Tübingen den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von 71.449,70 EUR zuzüglich Zinsen und Anwaltskosten und setzte eine Einspruchsfrist von zwei Wochen fest. Sowohl die Anspruchsbegründung (zusammen mit der Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens) als auch das Versäumnisurteil waren dem Beklagten öffentlich durch Aushang an der Gerichtstafel zugestellt worden, weil Auskünfte der Einwohnermeldeämter am letzten Wohnsitz des Beklagten in Reutlingen und in Rastatt vom Juli bzw. November 2008 keine aktuelle Zustellanschrift ergeben hatten, auch die Mutter des Beklagten seinen Aufenthalt nicht kannte und nach Mitteilungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart (zuletzt vom Oktober 2008) der Beklagte wegen unbekannten Aufenthalts zur Fahndung ausgeschrieben war.
Mit Schreiben vom 23.01.2010, eingegangen am 25.01.2010, meldete sich der Beklagte persönlich von einer neuen Adresse in Bayern und legte Einspruch ein. Hingewiesen auf den Anwaltszwang bei Landgerichten ließ der Beklagte durch den Beklagtenvertreter mit Schriftsatz vom 11.02.2010, eingegangen bei Gericht am 12.02.2010, erneut Einspruch einlegen und Wiedereinsetzungsantrag stellen mit der Begründung, der Beklagte habe bis 22.01.2010 von dem Rechtsstreit nichts erfahren, obwohl er von Januar 2008 bis April 2009 in Filderstadt gewohnt habe und dort gemeldet gewesen sei. Außerdem beantragte er Akteneinsicht, um inhaltlich vortragen zu können, sowie Prozesskostenhilfe. Mit Schriftsatz vom 10.03.2010 übersandte der Beklagte eine Meldebestätigung der Stadt Filderstadt für den Zeitraum 01.02.2008 bis 01.05.2009 mit dem handschriftlichen Zusatz „Anmeldung wurde am 03.09.2009 erfasst“ und „Abmeldung am 01.10.2009“ und eine eigene eidesstattliche Versicherung in Kopie, wonach die Anmeldung in Filderstadt zunächst vergessen und am 17.10.2008 nachgeholt worden sei. Mit Schriftsatz vom 19.03.2010 machte der Beklagte geltend, die Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung hätten nicht vorgelegen, weil keine ausreichenden und zeitnahen Nachforschungen stattgefunden hätten, so dass die Einspruchsfrist nicht in Lauf gesetzt worden und der Einspruch rechtzeitig erfolgt sei. Im Übrigen sei er ohne Verschulden gehindert gewesen, früher Einspruch einzulegen, denn die Wiedereinsetzungsfrist beginne nach einer Entscheidung des OLG Nürnberg (OLGR Nürnberg 2009, 909 f.) erst in dem Moment zu laufen, in dem ihm durch die Akteneinsicht seines Prozessbevollmächtigten der Gegenstand der Klage bekannt geworden sei und er sich habe sachgerecht verteidigen können. Zumindest sei diese Rechtsauffassung vertretbar gewesen und ein etwaiger Rechtsirrtum entschuldigt, so dass ihm selbst im Fall der Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist jedenfalls Wiedereinsetzung in diese zu gewähren sei. Desweiteren stellt der Beklagte dar, warum die eingeklagten Forderungen nicht bestünden bzw. durch Hilfsaufrechnung erloschen seien.
Der Kläger ist den Anträgen des Beklagten entgegengetreten.
Durch Urteil vom 25.03.2010 verwarf das Landgericht Tübingen den Einspruch vom 11.02.2010 als unzulässig und lehnte eine Wiedereinsetzung und Gewährung von Prozesskostenhilfe ab. Zur Begründung führt das Landgericht aus, eine andere Form als die öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils sei nicht möglich gewesen, weil der Beklagte damals noch nicht einmal von der Staatsanwaltschaft Stuttgart im Zug des gegen ihn geführten Ermittlungsverfahrens habe ausfindig gemacht werden können und die eigene Mutter seinen Aufenthalt nicht gekannt habe. Aus der Meldebestätigung der Stadt Filderstadt sei ersichtlich, dass die Anmeldung in Filderstadt erst deutlich nach der Bewilligung der öffentlichen Zustellung, nämlich am 03.09.2009, erfasst worden sei. Eine verspätete Anmeldung in Filderstadt räume der Beklagte in seiner eidesstattlichen Versicherung jedenfalls dem Grunde nach auch ein. Weitere Ermittlungen seien bei dieser Sachlage nicht erfolgversprechend gewesen, so dass der Kläger habe davon ausgehen dürfen, dass der Beklagte untergetaucht sei. Die Wiedereinsetzung scheitere daran, dass die Frist nicht unverschuldet versäumt worden sei, denn der Beklagte habe nach einem Forderungsschreiben der Klägerseite vom Juni 2007 und der Vernehmung im Rahmen des Ermittlungsverfahrens am 26.11.2007 mit einem Rechtsstreit rechnen müssen. Außerdem sei der Wiedereinsetzungsantrag verfristet, weil der Einspruch nicht innerhalb von zwei Wochen nach dem Tag der Kenntniserlangung vom Versäumnisurteil (22.01.2010) wirksam eingelegt worden sei.
Das Urteil wurde dem Beklagtenvertreter am 06.04.2010 zugestellt. Die sofortige Beschwerde vom 13.04.2010 (hinsichtlich der Prozesskostenhilfeentscheidung betreffend die I. Instanz) ist am 14.04.2010 bei Gericht eingegangen und der Antrag auf Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Berufung vom 22.04.2010 am selben Tag. Beide Anträge begründet der Beklagte im Wesentlichen mit den erstinstanzlich vorgetragenen Argumenten, die er erweitert und vertieft. Der Kläger ist beiden Anträgen entgegengetreten.
II.
Das Prozesskostenhilfegesuch des Beklagten für die II. Instanz ist unbegründet. Seiner beabsichtigten Berufung fehlt eine hinreichende Erfolgsaussicht (§ 114 ZPO).
1.
Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Einspruch des Beklagtenvertreters vom 11.02.2010 verspätet eingelegt worden ist und daher gem. § 341 S. 2 ZPO zu verwerfen war. Die Einspruchsfrist war mit der öffentlichen Zustellung des Versäumnisurteil vom 10.03.2009 ordnungsgemäß in Lauf gesetzt worden.
a) Zwar wäre die öffentliche Zustellung unwirksam gewesen, wenn ihre Voraussetzungen nicht vorgelegen hätten und das Landgericht das hätte erkennen können (BGH, U. v. 19.12.2001, VIII ZR 282/00, BGHZ 149, 311 = NJW 2002, 827; OLG Stuttgart, U. v. 02.12.2004, Az. 13 U 133/04, MDR 2005, 472, 473), so dass die die von der Zustellung ausgelösten Fristen nicht in Gang gesetzt worden wären (BGH, U. v. 06.10.2006, V ZR 282/05, NJW 2007, 303). So liegt die Sache aber nicht. Im vorliegenden Fall war eine andere Zustellungsmöglichkeit für das Gericht nicht ersichtlich und es gab aus der maßgeblichen Sicht ex ante auch keinen Grund, den Kläger zu weiteren Ermittlungen anzuhalten, was nach ganz überwiegender Auffassung für eine wirksame Zustellung nach §§ 185 ff. ZPO ausreicht (BGH, U. v. 11.12.2002, XII ZR 51/00, BGHZ 153, 189 = NJW 2003, 1326, 1327, 1328; OLG Köln NJW-RR 1993, 446; OLG Hamm NJW-RR 1998, 497; OLG Stuttgart aaO.; vgl. auch MünchKomm-ZPO/Häublein, 3. Aufl., § 185 Rn. 11).
10 
b) Dass der Beklagte zum Zeitpunkt der Bewilligung der öffentlichen Zustellung des Versäumnisurteils am 11.03.2009 wie schon zuvor zum Zeitpunkt der Bewilligung der öffentlichen Zustellung der Klage am 15.01.2009 unbekannten Aufenthalts war, ergibt sich aus den vom Kläger zusammengetragenen und in den Schriftsätzen vom 18.11.2008, 27.11.2008, 10.12.2008, 11.12.2008 und 05.01.2009 dargestellten Umständen. Der Mahnbescheid konnte unter der letzten bekannten Wohnanschrift in Reutlingen nicht zugestellt werden. Nach Mitteilung des Klägers waren Anfragen bei den Einwohnermeldeämtern in Reutlingen im Juli 2008 und in Rastatt im Oktober 2008 ohne Hinweis auf den aktuellen Aufenthalt des Beklagten geblieben und hatten nur ergeben, dass der Beklagte schon im Januar 2008 von Reutlingen nach unbekannt weggezogen war. Nicht einmal bei der eigenen Mutter des Beklagten, der ehemaligen Ehefrau des Klägers, hatte er in Erfahrung bringen können, wo der Sohn inzwischen zu erreichen sei. Dass er bei der doppelten Nachfrage bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart dahin informiert wurde, man kenne den Aufenthalt auch nicht und habe den Beklagten zur Fahndung ausgeschrieben, ließ für den Kläger und auch das Landgericht keinen anderen Schluss zu, als dass der Beklagte untergetaucht sein müsse. Dazu hatte er jedenfalls aus Sicht des Klägers allen Grund, wozu der Umstand beiträgt, dass der Beklagte am 26.11.2007 ausführlich als Beschuldigter vernommen worden war. Nachdem die vier wichtigsten Erkenntnisquellen ausgeschöpft waren, nämlich Zustelldienst, Meldeamt, Eltern und Strafverfolgungsbehörden, versprachen weitere Nachforschungen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
11 
c) Ohne Erfolg macht der Beklagte geltend, dass eine Nachfrage beim Ausländerzentralregister unterlassen worden sei, denn dort konnten keine weitergehenden Meldedaten vorliegen als bei den jeweiligen örtlichen Behörden erfasst worden. Dass Nachfragen beim Arbeitgeber oder ehemaligen Nachbarn hätten Erfolg haben können, ist von Beklagtenseite nicht dargelegt, zumal sich aus der von Klägerseite vorgelegten polizeilichen Vernehmung der Vertreterin der ehemaligen Arbeit- bzw. Auftraggeberin des Beklagten, Rechtsanwältin B. (Anl. K10, Bl. 65 d.A.), ergibt, dass der Beklagte für dieses Unternehmen nur bis April 2006 tätig gewesen, unter Zurücklassung von Verbindlichkeiten einfach verschwunden und im Übrigen die Zusammenarbeit in der Regel ohne persönlichen Kontakt und über die Ferne erfolgt sei. Unter den besonderen Umständen des Falls, in denen alle Indizien in eine Richtung wiesen, brauchten der Kläger und das Landgericht die eingeholten Auskünfte auch nicht laufend aktualisieren. Ein festes „Verfallsdatum“ für die Daten, die den Schluss auf einen unbekannten Aufenthalt zulassen, kennt § 185 Nr. 1 ZPO und die dazu (bzw. dem früheren § 203 ZPO a.F.) ergangene Rechtsprechung nicht.
12 
d) Aus diesem Grund kann auch offen bleiben, ob sich der Beklagte, wie das Landgericht aus dem handschriftlichen Vermerk auf der späteren Meldeauskunft der Stadt Filderstadt vom 10.03.2010 (Anl. B1, Bl. 144) schließt, in Filderstadt überhaupt nicht bzw. erst nach seinem Wegzug im September 2009 nachträglich polizeilich angemeldet hatte (ggf. auch durch die Anmeldung am jetzigen Wohnort in Saal a.d. Saale) oder ob er dies entsprechend seiner - freilich nur in Kopie vorliegenden - „eidesstattlichen Erklärung“ vom 10.03.2010 (Anl. B2, Bl. 145 d.A.) mit „nur“ neun Monaten Verspätung am 17.10.2008 erledigt hat. Im ersten Fall hätte eine nochmalige Anfrage in Reutlingen selbst unmittelbar vor der öffentlichen Zustellung des Versäumnisurteils keine neuen Erkenntnisse bringen können. Im anderen Fall hätte zwar das Ordnungsamt am neuen Wohnort in Filderstadt gem. § 28 Abs. 1 S. 1 u. 2 MeldeG Baden-Württemberg die Behörde in Reutlingen unverzüglich zu unterrichten gehabt, so dass die neue Anschrift bei nochmaliger Nachfrage im ersten Halbjahr 2009 vor Erlass des Versäumnisurteils vorgelegen hätte. Wie oben dargestellt mangelte es einer bloßen Wiederholung der bereits getätigten Aufenthaltsermittlungen jedoch unter den konkreten Umständen an der hinreichenden Aussicht auf Erfolg. Nachdem sich der Beklagte seinen Angaben zufolge mit so beträchtlichem Verzug in Filderstadt angemeldet hatte, konnte dem Kläger die richtige Anschrift durch die am 11.07.2008 in Reutlingen erteilte Auskunft nicht bekannt werden unabhängig vom konkreten Datum der jedenfalls deutlich verspäteten Anmeldung. Eine Pflicht zur Wiederholung derselben Anfrage vor Antrag auf öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils bestand bei der gegebenen Sachlage nicht.
13 
e) Unerheblich ist schließlich, ob der Beklagte tatsächlich von der Staatsanwaltschaft zur Aufenthaltsermittlung ausgeschrieben war, denn der Klägervertreter durfte sich auf die Richtigkeit der Mitteilung der zuständigen Staatsanwältin verlassen und der erstinstanzliche Vorsitzende auf die Richtigkeit der Angaben des Klägervertreters. Dies gilt insbesondere, weil Hinweise auf eine Verwechslung oder ein Missverständnis nicht vorgetragen oder sonst ersichtlich sind und sich die damals vorliegenden, verschiedenen Informationen widerspruchsfrei ergänzen.
2.
14 
Eine Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist hat das Landgericht mit zutreffender Begründung abgelehnt.
15 
a) Der Wiedereinsetzungsantrag vom 11.02.2010 ist nicht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 236 Abs. 1 S. 1 ZPO gestellt und daher bereits nicht zulässig. Die Frist begann an dem Tag zu laufen, an dem das Hindernis für die Einlegung des Einspruchs entfallen und der Beklagte vom Versäumnisurteil erfahren hat. Das war spätestens am 23.01.2010 der Fall, denn an diesem Tag hat der Beklagte in seinem persönlichen Schreiben (Bl. 125 d.A.) Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt, sogar unter Angabe des korrekten Aktenzeichens. Insofern ist der Einwand des Beklagtenvertreters, ohne Kenntnis der Akten habe Einspruch nicht eingelegt werden können, durch das Verhalten der eigenen Partei widerlegt. Auf einen etwaigen Rechtsirrtum, nicht gewusst zu haben, dass Anwaltszwang besteht, kann sich der Beklagte nicht berufen. Wer Rechtsmittel einlegt, muss sich über die Möglichkeiten, Fristen und Formerfordernisse selbst informieren (Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., § 233 Rn. 23 „Rechtsirrtum“ mwN.).
16 
Ob der Auffassung des OLG Nürnberg (U. v. 29.09.2009, 1 U 710/09, OLGR Nürnberg 2009, 909) zu folgen ist, wonach das Hindernis nicht schon durch die Kenntnis entfällt, dass überhaupt ein Versäumnisurteil ergangen ist, sondern erst durch die Kenntnis des Akteninhalts, was angesichts der Rechtsprechung des BGH fraglich erscheint (vgl. Bs. v. 21.01.2010, IX ZB 83/06, MDR 2010, 650; Bs. v. 15.01.2001, II ZB 1/00, NJW 2001, 1430), braucht nicht entschieden zu werden. Denn der Beklagtenvertreter hat durch Schriftsatz vom 11.02.2010 ohne Kenntnis des Akteninhalts Einspruch eingelegt und Wiedereinsetzung beantragt. Diesen Antrag hat er auch unter Hinweis darauf begründet, dass der Beklagte im fraglichen Zeitraum in Filderstadt gewohnt habe und gemeldet gewesen sei. Erst in diesem Zusammenhang wurde das Akteneinsichtsgesuch angebracht. Folglich war diese Verteidigung auch ohne Akteneinsicht möglich, so dass sich die vom OLG Nürnberg erörterte Frage, ob ein solcher „blinder“ Wiedereinsetzungsantrag zumut- und verantwortbar ist, im Fall des Beklagten nicht stellt.
17 
Selbst wenn man davon ausginge, dass die Wiedereinsetzungsfrist erst mit Zugang der Akten beim Beklagtenvertreter zu laufen begonnen hätte, was spätestens unter dem Datum des Rückgabeschreibens vom 18.02.2010 der Fall war (Bl. 137 d.A.), so wäre sie nicht eingehalten, da tragende Wiedereinsetzungsgründe nicht innerhalb der dann ab 18.02.2010 laufenden Zweiwochenfrist vorgetragen und glaubhaft gemacht worden sind, soweit sie nicht bereits im Schriftsatz vom 11.02.2010 enthalten waren. Denn die Meldebestätigung und seine „eidesstattliche Erklärung“ je vom 10.03.2010 hat der Beklagte erst danach durch Schriftsatz vom 10.03.2010 vorlegen lassen. Daraus folgt zugleich, dass es dem Beklagten für den Wiedereinsetzungsantrag nicht auf den Inhalt der Prozessakte ankam.
18 
b) Der Wiedereinsetzungsantrag vom 11.02.2010 war ohnehin unbegründet, weil der Beklagte die Einspruchsfrist nicht schuldlos versäumt hat.
19 
Ob Verschulden anzunehmen ist, richtet sich danach, ob eine Partei ihren Meldepflichten nachkommt (BGH, Bs. v. 22.06.1977, IV ZB 28/77, VersR 1977, 432) und danach, ob mit der Zustellung von amtlichen Dokumenten wie etwa einer Klage gerechnet werden konnte oder musste (BGH, B. v. 07.05.1986, VIII ZB 16/86, NJW 1986, 2958), was unter anderem davon abhängt, ob ein Rechtsstreit bereits läuft oder absehbar ist oder ob mit Derartigem überhaupt nicht gerechnet zu werden braucht (Musielak/Grandel, ZPO, 7. Aufl., § 233 Rn. 53 mwN.; MünchKomm-ZPO/Gehrlein, 3. Aufl., § 233 Rn. 30).
20 
Im Fall des Beklagten liegt Verschulden in mehrfacher Hinsicht vor. Weil er seine Meldepflichten versäumt und sich auch nach eigener Darstellung entgegen § 15 Abs. 1 MeldeG Baden-Württemberg nicht innerhalb einer Woche am neuen Wohnort in Filderstadt angemeldet hat, mussten die bis zum Herbst 2009 erfolgenden Zustellversuche u.a. des ursprünglich beantragten Mahnbescheids und die nach der gescheiterten Zustellung erfolgten Nachforschungen des Klägers und der Staatsanwaltschaft erfolglos bleiben. Mit amtlichen Zustellungen musste der Beklagte ab Januar 2008 schon wegen des laufenden staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens rechnen. Dass der Kläger zivilrechtliche Ansprüche gerichtlich geltend machen würde, lag angesichts der sich aus den vorgelegten Aktenteilen der Ermittlungsakten ergebenden Vorgeschichte zwischen Vater und Sohn und der enormen Höhe der vom Beklagten angelegten oder zumindest verwalteten Gelder von über 100.000 EUR mehr als nahe. Dem Beklagten wurde die drohende Klage sogar konkret vor Augen geführt, weil er nach unbestrittenem Klägervortrag (Schriftsatz vom 17.03.2010, Bl. 147d.A.) vorgerichtlich mehrmals zur Erfüllung der Ansprüche unter Androhung gerichtlicher Maßnahmen aufgefordert worden war und sich mit den Forderungen auch inhaltlich auseinandergesetzt und diese zurückgewiesen hatte.
3.
21 
Nachdem eine Wiedereinsetzung nicht nur an der Einhaltung der Frist des § 234 ZPO scheitert, sondern auch an den inhaltlichen Anforderungen, kommt es letztlich nicht darauf an, ob dem Beklagten Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist zu gewähren gewesen wäre.
22 
Allerdings lägen die Voraussetzungen dafür ohnehin nicht vor, weil der Beklagte bzw. der Beklagtenvertreter - dessen Verschulden dem Beklagten zuzurechnen wäre, sollte er noch rechtzeitig beauftragt worden sein (§ 85 ZPO) - die Wiedereinsetzungsfrist nicht schuldlos versäumt hat. Dass das OLG Nürnberg in der von Beklagtenseite zitierten und oben in Bezug genommenen Entscheidung in einem anders gelagerten Fall die Auffassung vertreten hat, das Hindernis für die Einlegung des Rechtsbehelfs sei erst ab Kenntnis des Akteninhalts entfallen, entlastet die Beklagtenseite nicht. Zum Einen steht diese Entscheidung nicht im Einklang mit den oben zitierten Beschlüssen des Bundesgerichtshofs (MDR 2010, 650; NJW 2001, 1430), wonach eine auch nur telefonisch in Erfahrung gebrachte Information über eine Zustellung die Wiedereinsetzungsfrist in Lauf setzt.. Auch musste die Beklagtenseite die Rechtsprechung des BVerfG beachten, wonach ein möglicher Rechtsbehelf ggf. auch vorsorglich eingelegt werden muss (Bs. v. 26.02.2008, 1 BvR 2327/07, NJW 2008, 2167, 2168). Bei zweifelhafter Rechtslage musste der Beklagtenvertreter so handeln, wie es bei einer für den Beklagten ungünstigen Entscheidung zur Wahrung von dessen Belangen erforderlich war (vgl. auch BVerfG, Bs. v. 27.09.2002, 2 BvR 855/02, NJW 2003, 575; BGH, Bs. v. 24.01.1990, XII ZB 143/89, NJW 1991, 2709, 2710) und von zwei in Betracht kommenden Fristen die kürzere wählen (BGH, Bs. v. 17.10.2000, X ZR 41/00, GRUR 2001, 271, 272). Nachdem abweichende Rechtsprechung - zumal übergeordneter Instanzen - veröffentlicht war, durfte er sich nicht auf die seiner Rechtsauffassung entsprechende Entscheidung verlassen (BGH, U. v. 22.09.1958, III ZR 16/58, NJW 1959, 141; BGH, U. v. 10.06.1965, VII ZB 1/65, VersR 1965, 791, 792).
23 
Wäre der Beklagtenvertreter erst nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist beauftragt worden, läge das Verschulden des Beklagten darin, sich nicht unverzüglich anwaltlicher Hilfe bedient zu haben.
4.
24 
Bei dieser Sachlage kommt es nicht darauf an, ob die finanziellen Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe trotz der von Klägerseite vorgebrachten Bedenken vorliegen.
III.
25 
Die sofortige Beschwerde gegen die Prozesskostenhilfeentscheidung des Landgerichts vom 25.03.2010 ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist jedoch nicht begründet, weil der Verteidigung des Beklagten in I. Instanz hinreichende Erfolgsaussicht gefehlt hat. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen.
IV.
26 
Die Gebühr gem. Ziff. 1812 GKG-VV für die erfolglose Beschwerde trägt die Beklagte. Im Übrigen ergeht diese Entscheidung gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).
27 
Die Sache hat ersichtlich keine grundsätzliche Bedeutung, sondern erschöpft sich in einer Abwägung von Gesichtspunkten eines Einzelfalls, so dass die Voraussetzungen für die Zulassung einer Rechtsbeschwerde nach § 574 ZPO nicht vorliegen.

Urteilsbesprechung zu Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 22. Juni 2010 - 5 U 71/10; 5 W 14/10

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

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(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Re
Oberlandesgericht Stuttgart Beschluss, 22. Juni 2010 - 5 U 71/10; 5 W 14/10 zitiert 11 §§.

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(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie

Zivilprozessordnung - ZPO | § 234 Wiedereinsetzungsfrist


(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschw

Zivilprozessordnung - ZPO | § 236 Wiedereinsetzungsantrag


(1) Die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung richtet sich nach den Vorschriften, die für die versäumte Prozesshandlung gelten. (2) Der Antrag muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragste

Zivilprozessordnung - ZPO | § 185 Öffentliche Zustellung


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Zivilprozessordnung - ZPO | § 341 Einspruchsprüfung


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(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

(1) Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob der Einspruch an sich statthaft und ob er in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt ist. Fehlt es an einem dieser Erfordernisse, so ist der Einspruch als unzulässig zu verwerfen.

(2) Das Urteil kann ohne mündliche Verhandlung ergehen.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das den Parteien am 22.06.2004 zugestellte Urteil der 17. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart

aufgehoben.

Die Sache wird zur weiteren Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 90.421,37 EUR

Gründe

 
Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil gemäß § 341 ZPO den Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil des Landgerichts vom 12.09.2003 als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, die zulässig ist und in der Sache Erfolg hat.
Dem Zurückverweisungsantrag der Beklagten war zu entsprechen (§ 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO). Die Berufung ist begründet. Das Landgericht hat den Einspruch gegen sein Versäumnisurteil zu Unrecht als unzulässig verworfen. Der Einspruch der Beklagten war nicht verfristet. Die Einspruchsfrist war noch nicht abgelaufen. Sie hatte nicht gemäß § 339 Abs. 1 ZPO mit der Zustellung des Versäumnisurteils zu laufen begonnen. Eine wirksame Zustellung des Versäumnisurteils an die Beklagte liegt nicht vor (BGHZ 149, 311). Es hätte nicht öffentlich zugestellt werden dürfen. Das Landgericht hat die öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils und der Klage zu Unrecht bewilligt. Die Bewilligung erfolgte auf Antrag der Klägerin, nachdem der Beklagten unter der der Klägerin bekannten Anschrift ... in ... nicht zugestellt werden konnte, sich aus einem von der Klägerin vorgelegten aktuellen Handelsregisterauszug vom 22.07.2003 die Sitzverlegung der Beklagten nach Berlin ergab (Bl. 33), ausweislich einer Auskunft des Bezirksamts ... von ... vom 10.07.2003 aus dem Gewerberegister die Beklagte unter der Anschrift ... in Berlin jedoch nicht registriert war (Bl. 32). Dies war keine ausreichende Grundlage für die Bewilligung der öffentlichen Zustellung. Ein Versuch, der Geschäftsführerin der Beklagten an ihrer Privatanschrift zuzustellen, wurde nicht unternommen. Dies wäre aber erforderlich gewesen. Gemäß § 185 Nr. 1 ZPO kann die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen, wenn der Aufenthaltsort einer Partei unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist. Eine öffentliche Zustellung kommt damit nur in Betracht, wenn eine andere Form der Zustellung nicht möglich ist und nahe liegende Möglichkeiten zur Ermittlung des Aufenthalts eines Beteiligten ergebnislos verlaufen sind (BGHZ 118, 45). Geht es um eine GmbH, ist eine solche nahe liegende Möglichkeit die Ermittlung des Wohnorts des Geschäftsführers und ein Zustellversuch dort (BayObLG MDR 1998, 365).
Die Anschrift der im Handelsregister eingetragenen Geschäftsführerin der Beklagten wäre ohne weiteres zu ermitteln gewesen. Dabei kann es dahinstehen, ob, worüber die Parteien streiten, das Handelsregister der Klägerin diese Anschrift mitgeteilt hätte. Aus den von der Klägerin vorgelegten Handelsregisterauszügen ergibt sich jedenfalls der Wohnort Hennigsdorf der Geschäftsführerin, sodass es ohne weiteres möglich gewesen wäre, dort eine Einwohnermeldeamtsanfrage durchzuführen.
Da der Zustellversuch an der Privatanschrift der Geschäftsführerin der Beklagten unterblieb, ist die öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils nicht wirksam. Eine öffentliche Zustellung ist unwirksam, wenn die Voraussetzungen nicht vorgelegen haben und das die öffentliche Zustellung bewilligende Gericht das hätte erkennen können (BGHZ 149, 311). Von letzterem ist auszugehen, da die gebotene Verfahrenshandlung Zustellung an der Privatanschrift der Geschäftsführerin unterblieben ist.
Das den Einspruch der Beklagten verwerfende Urteil kann deshalb nicht bestehen bleiben. Antragsgemäß war es aufzuheben und die Sache zur weiteren Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten der Berufung ans Landgericht zurückzuverweisen (§ 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO).
Anlass, die Revision zuzulassen, bestand nicht. Die Entscheidung bewegt sich auf der Linie der herrschenden Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 ZPO).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 282/05 Verkündet am:
6. Oktober 2006
W i l m s,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO ist auf den Fall einer öffentlichen Zustellung, deren Voraussetzungen
für das Gericht erkennbar nicht vorlagen, nicht entsprechend anwendbar
(Ergänzung von BGHZ 153, 189).

b) Lagen die Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung für das Gericht erkennbar
nicht vor, werden Rechtsmittel- und Rechtsbehelfsfristen nicht in Gang gesetzt
(Bestätigung von BGHZ 149, 311).
BGH, Urt. v. 6. Oktober 2006 - V ZR 282/05 - OLG Düsseldorf
LGDüsseldorf
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 6. Oktober 2006 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter
Dr. Lemke und Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann und den
Richter Dr. Czub

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 7. Dezember 2005 wird auf Kosten des Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Nichtigkeitsklage des Klägers als rechtzeitiger Einspruch gegen das Versäumnisurteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 5. Februar 2003 (1 O 576/01) zu behandeln ist.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Der Beklagte reichte am 11. Oktober 2001 gegen den Kläger eine auf Zahlung von 38.717,70 € nebst Zinsen gerichtete Klage ein und beantragte, diese an dem spanischen Wohnort des Klägers zuzustellen. Je ein Zustellungsversuch an dem spanischen und an dem früheren deutschen Wohnort des Klägers blieb erfolglos. Daraufhin ordnete das Landgericht auf Antrag des Beklagten am 20. November 2002 die öffentliche Zustellung der Klage an. Da sich der Kläger nicht meldete, erließ es am 5. Februar 2003 ein Versäumnisurteil, durch welches es ihn antragsgemäß zur Zahlung verurteilte. Es ordnete am gleichen Tag die öffentliche Zustellung auch dieses Urteils an.
2
Mit der vorliegenden Nichtigkeitsklage möchte der Kläger die Aufhebung seiner Verurteilung erreichen. Er behauptet, er habe erstmals am 21. Juni 2004 von dem Urteil erfahren, und meint, das Landgericht habe seinerzeit zu Unrecht die Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung angenommen.
3
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts aufgehoben und den Rechtsstreit zu erneuten Verhandlung und Entscheidung in der Hauptsache des Ausgangsverfahrens an das Landgericht zurückverwiesen. Mit der von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision strebt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils an. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:


I.


4
Das Berufungsgericht hält die Nichtigkeitsklage in entsprechender Anwendung von § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO für zulässig. Zwar habe der Bundesgerichtshof eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift auf Fälle, in denen eine öffentliche Zustellung formell ordnungsgemäß angeordnet worden sei, abgelehnt. Offen gelassen habe er aber, ob das auch gelte, wenn die öffentliche Zustellung verfahrensfehlerhaft angeordnet worden sei. Ein solcher Fall liege hier vor. Das Landgericht habe im Ausgangsverfahren die Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung zu Unrecht angenommen und die öffentliche Zustellung auch des Versäumnisurteils ohne entsprechenden Antrag des Beklagten verfügt. In einem solchen Fall müsse in entsprechender Anwendung von § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO die Nichtigkeitsklage eröffnet sein, um dem Zustel- lungsbetroffenen rechtliches Gehör zu gewähren. Die Sache sei in entsprechender Anwendung des § 538 ZPO an das Landgericht zurückzuverweisen, da dieses, von seinem Standpunkt aus folgerichtig, über die Hauptsache des Ausgangsverfahrens nicht neu verhandelt habe.

II.


5
Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Die Entscheidung erweist sich aber im Ergebnis aus einem anderen Grund als richtig.
6
1. Die erhobene Klage ist als Nichtigkeitsklage unzulässig, weil es an einem Nichtigkeitsgrund fehlt.
7
a) Einer der gesetzlichen Nichtigkeitsgründe des § 579 Abs. 1 ZPO liegt nicht vor. Das Berufungsgericht geht auch zutreffend davon aus, dass § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO hier nicht schon deshalb entsprechend angewendet werden kann, weil die Klage und das Versäumnisurteil überhaupt öffentlich zugestellt worden sind (BGHZ 153, 189, 194-196). Es meint aber, die Vorschrift sei dann entsprechend anzuwenden, wenn die Vorschriften über die öffentliche Zustellung fehlerhaft angewandt worden seien. Das ist umstritten (dafür: KG NJW-RR 1987, 1215, 1216; MünchKomm-ZPO/Braun, 2. Aufl., § 579 Rdn. 19; Wieczorek /Schütze/Borck, ZPO, 3. Aufl., § 579 Rdn. 52, 57; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 579 Rdn. 6; Brüggemann, JR 1969, 361, 370; Fischer, ZZP 107 [1994] 163, 179; ähnlich Waldner, Der Anspruch auf rechtliches Gehör, 2. Aufl., Rdn. 574; dagegen: Hk-ZPO/Kemper, § 579 Rdn. 5; Musielak, ZPO, 4. Aufl., § 579 Rdn. 7; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 579 Rdn. 6, 8; Gaul, JZ 2003, 1088, 1095 f.). Höchstrichterlich entschieden ist die Frage bislang nicht.
Das Bundesverfassungsgericht hat in zwei Beschlüssen die Möglichkeit angedeutet , § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO auf Fälle der Verletzung des rechtlichen Gehörs entsprechend anzuwenden (NJW 1992, 496; 1998, 745), hat aber keine Aussage zu der hier vorliegenden Fallgestaltung gemacht. Der Bundesgerichtshof hat die Frage bisher offen gelassen (BGH, Urt. v. 6. April 1992, II ZR 242/91, NJW 1992, 2280, 2281; BGHZ 153, 189, 195). Das Gleiche gilt für das Bundesarbeitsgericht (BAGE 73, 378, 383).
8
b) Hier ist die Frage zu entscheiden. Der Senat verneint sie.
9
aa) Voraussetzung für eine entsprechende Anwendung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO ist eine planwidrige Lücke in den gesetzlichen Vorschriften. Diese wird von den Befürwortern einer entsprechenden Anwendung darin gesehen, dass der von einer verfahrensfehlerhaft angeordneten öffentlichen Zustellung Betroffene einen solchen Fehler nicht erfolgreich rügen und sich gegen die Folgen einer verfahrensfehlerhaften öffentlichen Zustellung nicht effektiv zur Wehr setzen könne (dazu Brüggemann, JR 1969, 361, 370). Das trifft jedenfalls heute nicht mehr zu.
10
bb) Der Bundesgerichtshof hat in solchen Fällen zunächst die Möglichkeit der Wiedereinsetzung eröffnet. Sie ist bei einer unter Verstoß gegen § 185 ZPO angeordneten öffentlichen Zustellung ohne weiteres zu gewähren (BGH, Urt. v. 6. April 1992, II ZR 242/91, NJW 1992, 2280, 2281; ähnlich schon BVerfG, NJW 1988, 2361). Damit scheidet die Annahme einer Rechtsschutzlücke jedenfalls in Fällen aus, in denen der Fehler bei der Anordnung der öffentlichen Zustellung vor Ablauf der in § 234 Abs. 3 ZPO bestimmten Jahresfrist bemerkt wird.
11
cc) Später hat der Bundesgerichtshof den Schutz des Betroffenen erweitert und hierbei auch die Fälle einbezogen, in welchen der Verstoß gegen § 185 ZPO nach Ablauf der in § 234 Abs. 3 ZPO bestimmten Frist bemerkt wird und damit eine Wiedereinsetzung ausscheidet.
12
(1) Eine unter Verstoß gegen § 185 ZPO angeordnete öffentliche Zustellung löst nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die sich an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 104, 301, 306) und des Bundesfinanzhofs (BFHE 192, 200, 202; BFH/NV 2005, 998, 1000) anlehnt, die Zustellungsfiktion des § 188 ZPO nicht aus und setzt damit keine Frist in Lauf (BGHZ 149, 311, 321; ähnlich BayObLG NJW-RR 2000, 1452, 1453; OLG Hamm NJW-RR 1998, 497). Das gilt jedenfalls dann, wenn die öffentliche Zustellung bei sorgfältiger Prüfung der Unterlagen nicht hätte angeordnet werden dürfen, deren Fehlerhaftigkeit für das Gericht also erkennbar war (BGHZ 149, 311, 323). In einem solchen Fall, von dem das Berufungsgericht hier ausgeht, kommt das Verfahren nicht zu einem wirklichen Abschluss. Es ist bei Entdeckung des Fehlers fortzusetzen, ohne dass es dazu einer Wiedereinsetzung bedürfte (BGHZ 149, 311, 322). Damit fehlt einer Nichtigkeitsklage die Grundlage.
13
(2) Diese Rechtsprechung hat Zustimmung (Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl., § 185 Rdn. 5), aber auch Kritik erfahren (MünchKomm-ZPO/Wenzel, 2. Aufl., Erg.-Band ZPO-Reform, § 185 Rdn. 9; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 185 Rdn. 14; Gaul, JZ 2003, 1088, 1091 f.; differenzierend Zöller /Stöber, aaO, § 186 Rdn. 9). Eingewandt wird vor allem, dass Fehler bei der Anwendung des § 185 ZPO weder den Anordnungsbeschluss als gerichtliche Entscheidung (MünchKomm-ZPO/Wenzel und Gaul jeweils aaO) noch das etwa durch eine öffentlich zugestellte Klage eingeleitete Gerichtsverfahren oder die an den Zustellungsakt anknüpfenden materiellrechtlichen Wirkungen in Frage stellen dürften (Zöller/Stöber aaO). Das allerdings geschieht in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch nicht (zutreffend Zöller/Stöber aaO). In den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesfinanzhofs, an denen sich der Bundesgerichtshof orientiert hat, ist zwar von einer Unwirksamkeit der Verwaltungszustellung die Rede. Der Bundesgerichtshof hat der erkennbar verfahrensfehlerhaften öffentlichen Zustellung im Zivilprozess aber nicht schlechthin ihre Wirksamkeit abgesprochen, sondern einschränkend ausgeführt , dass sie in Ansehung der (im seinerzeitigen und auch im vorliegenden Verfahren maßgeblichen) Einspruchsfrist unwirksam sei, und diese Besonderheit mit dem Zusatz „wirkungslos“ beschrieben (BGHZ 149, 311, 321). Das bedeutet im Ergebnis nur, dass eine unter erkennbar fehlerhafter Anwendung von § 185 ZPO ergangene Anordnung der öffentlichen Zustellung lediglich Fristen nicht in Gang setzt, im Übrigen aber in ihrer Wirksamkeit nicht berührt wird. Eine solche einschränkende Auslegung des § 188 ZPO ist sachlich geboten, da dem Erfordernis eines effektiven Rechtsschutzes gegen Fehler des Gerichts bei der Anwendung des § 185 ZPO und dem Anspruch auf rechtliches Gehör zweckmäßiger und systemgerechter nicht Rechnung getragen werden kann.
14
c) Damit scheidet eine entsprechende Anwendung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO auf Fälle wie den vorliegenden von vorneherein aus.
15
2. Die Entscheidung erweist sich aber aus einem anderen Grund als richtig.
16
a) Die von dem Kläger erhobene Nichtigkeitsklage ist nämlich als Einspruch gegen das Versäumnisurteil im Ausgangsverfahren anzusehen. Der Kläger hat in seiner Klageschrift keinen der gesetzlich bestimmten Nichtigkeits- gründe geltend gemacht. Er hat vielmehr vorgetragen, dass er das Versäumnisurteil deshalb angreifen wolle, weil er mangels ordnungsgemäßer Zustellung bislang keine Gelegenheit zur Rechtsverteidigung gehabt habe. Aus dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer entsprechenden Anwendung des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO zur Sicherung des rechtlichen Gehörs ergibt sich auch, dass der Kläger den zur Verfolgung dieses Sachanliegens gegebenen Rechtsbehelf einlegen wollte. Das ist der Einspruch. Die von ihm eingereichte Nichtigkeitsklage genügt den Anforderungen an eine Einspruchsschrift. Sie war an das Landgericht zu richten, das er angerufen hat. Sie ist deshalb als Einspruch gegen das Versäumnisurteil zu behandeln.
17
b) Der in der Nichtigkeitsklage liegende Einspruch war auch rechtzeitig.
18
aa) Die Einspruchsfrist ist durch die öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils nicht in Gang gesetzt worden, weil diese fehlerhaft war.
19
(1) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts folgt das allerdings nicht schon daraus, dass der Beklagte die öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils nicht beantragt, sondern das Landgericht sie im Ausgangsverfahren von Amts wegen bewilligt hat. Das widersprach zwar der früheren Rechtslage nach § 204 Abs. 1 ZPO a.F. Diese war aber für die öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils vom 5. Februar 2003 nicht mehr maßgeblich. Am 1. Juli 2002 ist nämlich das Zustellungsreformgesetz vom 25. Juni 2001 (BGBl. I S. 1206) in Kraft getreten. Dieses sieht keine Überleitungsvorschriften vor. Die geänderten Zustellungsvorschriften galten daher auch in laufenden Verfahren für die nach seinem Inkrafttreten vorzunehmenden Zustellungen. Nach §§ 166 Abs. 2, 186 ZPO bedarf es für die Bewilligung der öffentlichen Zustellung keines Antrags (mehr), wenn die Zustellung von Amts wegen zu erfolgen hat (MünchKomm- ZPO/Wenzel, aaO, § 186 Rdn. 3; Stein/Jonas/Roth, aaO, § 186 Rdn. 2). So liegt es bei einem Versäumnisurteil (§ 317 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Es bedarf deshalb auch keiner Entscheidung darüber, ob der allein fehlende Antrag schon dazu führt, dass eine ansonsten ordnungsgemäße öffentliche Zustellung Fristen nicht in Gang setzt (offen gelassen in BGHZ 149, 311).
20
(2) Die angeordnete öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils war aber fehlerhaft, weil die Voraussetzungen des § 185 ZPO erkennbar nicht vorlagen. Auf § 185 Nr. 2 ZPO ließ sich die öffentliche Zustellung nicht stützen. Dafür kam es nicht auf den Erfolg der von dem Landgericht veranlassten Zustellung der Klageschrift in Spanien an. Maßgeblich ist vielmehr, ob mit dem Zustellungsland Rechtshilfeverkehr besteht und dieser grundsätzlich Erfolg verspricht (MünchKomm-ZPO/Wenzel, aaO, § 185 Rdn. 7; Zöller/Stöber, aaO, § 185 Rdn. 3). Das ist nach der VO (EG) Nr. 1348/2000 (ABl. EG Nr. L 160 S. 37) der Fall. Der Aufenthaltsort des Klägers war auch nicht unbekannt (§ 185 Nr. 1 ZPO). Der Kläger wohnte damals an dem Ort in Spanien, den der Beklagte im Ausgangsverfahren in seiner Klageschrift angegeben hatte und den das Versäumnisurteil als letzten bekannten Aufenthalt des Klägers bezeichnet. Das hätte das Landgericht auch erkennen können, wenn es mit der gebotenen Sorgfalt vorgegangen wäre. Es durfte zwar davon ausgehen, dass sich seit der nur zwei Monate zurückliegenden öffentlichen Zustellung der Klageschrift keine neuen Erkenntnisse über den Aufenthaltsort des Klägers ergeben hatten, und die öffentliche Zustellung ohne ergänzende Prüfung bewilligen. Das setzte aber voraus, dass die öffentliche Zustellung der Klageschrift ihrerseits verfahrensfehlerfrei bewilligt worden war. Daran aber fehlt es.
21
(3) Aus welchen Gründen das Landgericht die öffentliche Zustellung der Klageschrift bewilligt hat, ist seinem Bewilligungsbeschluss nicht zu entnehmen. Der Beklagte hat in seinem Antrag geltend gemacht, der Kläger sei unbekannten Aufenthalts, weil ihm die Klageschrift weder an seinem spanischen Wohnort noch an seinem früheren deutschen Wohnort habe zugestellt werden können. Diese Angaben waren zwar zutreffend. Hiermit durfte sich das Landgericht im Ausgangsverfahren aber nicht begnügen. Der Beklagte hatte in seinem Antrag nämlich auch mitgeteilt, dass der Kläger seine in der Klageschrift angegebene Anschrift bei dem Einwohnermeldeamt als Zweitwohnsitz angegeben habe. Das gab Veranlassung, die Ordnungsmäßigkeit der Auslandszustellung in Spanien noch einmal zu prüfen.
22
(4) Hierbei wäre aufgefallen, dass die spanischen Zustellungsbehörden die Klageschrift der spanischen Post mit unvollständigen Angaben übergeben hatten und ihre Mitteilung über das Ergebnis des Zustellungsversuchs im entscheidenden Punkt unergiebig war. In dem Zustellschreiben war nur die Anschrift der Wohnanlage, nicht aber die Nummer des Bungalows angegeben, in welchem der Kläger wohnt. In der Mitteilung der spanischen Stellen über das Ergebnis ihrer Bemühungen heißt es zwar, dass sich der mit der Zustellung betraute Bedienstete in Person an dem Ort eingefunden habe, den die Sekretärin der Anlage angeben habe. Als dabei gewonnene Erkenntnis wird in der Mitteilung aber nur festgehalten, dass der Kläger unter seiner deutschen Anschrift ausfindig gemacht werden könne. Zu der entscheidenden Frage, nämlich ob der Kläger in dem Bungalow in der Anlage wohnt, ob er dort zufällig gerade nicht anwesend war und ob versucht wurde, die Klageschrift durch Übergabe an die Sekretärin zur späteren Aushändigung, durch eine Niederlegung oder in anderer Weise zuzustellen, enthält die Mitteilung keine Angaben. Daran ändert auch der von dem Landgericht hervorgehobene Umstand nichts, dass eine Zu- stellung durch ausländische Justizbehörden gewöhnlich ein hohes Maß an Sicherheit bietet. Diese Erwartung hat sich hier nicht erfüllt. Die Mitteilung, die das Landgericht von den spanischen Justizbehörden erhalten hatte, bot keine Grundlage für die Annahme, der Kläger halte sich nicht an dem angegebenen Wohnort in Spanien auf. Dass sich, wie die Revision darlegt, dieser Mangel beheben und im Nachhinein aufklären ließe, wer die Sekretärin der Wohnanlage ist, mit welcher die spanische Zustellperson Kontakt aufgenommen haben will, und was diese Zustellperson im Einzelnen unternommen hat, ist unerheblich. Dies hätte vor der Bewilligung der öffentlichen Zustellung geschehen müssen, ist aber verfahrensfehlerhaft unterblieben.
23
(5) Auch das Fehlschlagen der anschließenden Zustellung an der früheren deutschen Anschrift des Klägers berechtigte das Landgericht nicht zu der Annahme, dass der Aufenthalt des Klägers unbekannt war. Ein solches Fehlschlagen war nämlich zu befürchten, da der Beklagte den Kläger unter seiner spanischen Anschrift verklagt und in seinem Antrag auf öffentliche Zustellung mitgeteilt hatte, der Kläger habe seinen spanischen Wohnsitz bei dem deutschen Melderegister angegeben. Jedenfalls half dieser Umstand nicht über die Unsicherheit hinweg, ob eine Zustellung in Spanien wirklich nicht möglich war. Das Landgericht musste deshalb, wie das Berufungsgericht mit Recht ausgeführt hat, vor Bewilligung der öffentlichen Zustellung die Möglichkeiten einer Zustellung in Spanien weiter aufklären. Es drängte sich geradezu auf, einen erneuten Zustellungsversuch mit der vollständigen Anschrift zu unternehmen. Das wäre mit einer unmittelbaren Zustellung durch die Post nach Art. 14 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1348/2000 (heute gemäß § 1068 Abs. 1 ZPO durch Einschreiben mit Rückschein) auch in einem Zeitrahmen möglich gewesen, der dem Beklagten als Gläubiger unter Berücksichtigung des erheblichen Zeitraums zumutbar war, den die erste förmliche Zustellung in Anspruch genommen hatte.
24
bb) Die Einspruchsfrist ist gewahrt. Der Kläger hat nach seinen Angaben am 21. Juni 2004 erstmals von der Existenz des Versäumnisurteils am Telefon erfahren und kann danach das Urteil nicht früher als zwei Wochen vor Einreichung seiner Nichtigkeitsklageschrift erhalten haben. Diese Angaben hat der Beklagte zwar mit Nichtwissen bestritten. Das war aber unzureichend. Die öffentliche Zustellung hatte die Einspruchsfrist nicht ausgelöst. Dies konnte erst nach § 189 ZPO durch anderweitigen Zugang geschehen. Ein solcher war mit dem Erlass der Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse, die der Beklagten aufgrund des Versäumnisurteils am 4. Juni 2004 erwirkt hatte, nicht verbunden, weil das Urteil dazu nach § 750 Abs. 1 ZPO nicht erneut zugestellt werden musste. Wie ein früherer anderweitiger Zugang des Urteils bei dem Kläger sonst bewirkt worden sein soll, hat der Beklagte nicht dargelegt.
25
3. Das Landsgericht wird daher die Nichtigkeitsklage in der neuen Verhandlung als rechtzeitigen Einspruch gegen das Versäumnisurteil im Ausgangsverfahren zu behandeln und nach §§ 342, 343 ZPO zu verfahren haben.

III.


26
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Krüger Lemke Schmidt-Räntsch
Stresemann Czub
Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 22.02.2005 - 1 O 382/04 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 07.12.2005 - I-15 U 57/05 -

Die Zustellung kann durch öffentliche Bekanntmachung (öffentliche Zustellung) erfolgen, wenn

1.
der Aufenthaltsort einer Person unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist,
2.
bei juristischen Personen, die zur Anmeldung einer inländischen Geschäftsanschrift zum Handelsregister verpflichtet sind, eine Zustellung weder unter der eingetragenen Anschrift noch unter einer im Handelsregister eingetragenen Anschrift einer für Zustellungen empfangsberechtigten Person oder einer ohne Ermittlungen bekannten anderen inländischen Anschrift möglich ist,
3.
eine Zustellung im Ausland nicht möglich ist oder keinen Erfolg verspricht oder
4.
die Zustellung nicht erfolgen kann, weil der Ort der Zustellung die Wohnung einer Person ist, die nach den §§ 18 bis 20 des Gerichtsverfassungsgesetzes der Gerichtsbarkeit nicht unterliegt.

(1) Die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung richtet sich nach den Vorschriften, die für die versäumte Prozesshandlung gelten.

(2) Der Antrag muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Prozesshandlung nachzuholen; ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZB 83/06
vom
21. Januar 2010
in dem Insolvenzverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Erhält ein Verfahrensbeteiligter ein durch Aufgabe zur Post zugestelltes gerichtliches
Schriftstück nicht, so ist die Wiedereinsetzung in eine durch die Zustellung in Lauf
gesetzte Notfrist nicht geboten, wenn ein lizenziertes Postunternehmen eine Ersatzzustellung
an der angegebenen Geschäftsanschrift, ohne dass dies von der Zustellungsempfängerin
mitgeteilt worden wäre, nicht durch Einlegen in einen Briefkasten
vornehmen kann und mangels Angabe des Zustellungsempfängers auch von einem
nicht bei ihm unterhaltenen Postfach keine Kenntnis haben muss.
BGH, Beschluss vom 21. Januar 2010 - IX ZB 83/06 - LG Hannover
AG Hannover
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Ganter, die Richter Raebel und Prof. Dr. Kayser, die Richterin Lohmann und
den Richter Dr. Pape
am 21. Januar 2010

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluss der 20. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 19. April 2006 wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 30.000 € festgesetzt.

Gründe:


I.


1
Der weitere Beteiligte war nach einem Eigenantrag der Schuldnerin vom 25. Mai 2005 vom Folgetag bis zur Eröffnung des Verfahrens am 1. August 2005 mitbestimmender vorläufiger Insolvenzverwalter. Das Insolvenzgericht hat auf seinen Antrag die Vergütung für diese Tätigkeit einschließlich der Erstattung von Auslagen und Umsatzsteuern ohne Anhörung der Schuldnerin auf 113.989,68 € festgesetzt. Dieser Beschluss wurde am 12. Dezember 2005 im Internet veröffentlicht und am 13. Dezember 2005 durch Justizwachtmeister der Post, hier einer GmbH für Kurier- und Postdienstleistungen, zur Besorgung an die Schuldnerin übergeben.
2
Mit einem am 25. Januar 2006 eingegangenen Schreiben an das Insolvenzgericht beantragte der Geschäftsführer der Schuldnerin Akteneinsicht und Aushändigung von Kopien von Vergütungsanträgen des "Insolvenzverwalters". Nach Rückfrage übersandte das Insolvenzgericht der Schuldnerin am 1. Februar 2006 die erbetenen Kopien.
3
24. Februar Am 2006 hat die Schuldnerin, vertreten durch ihren Geschäftsführer , zu Protokoll der Geschäftsstelle sofortige Beschwerde gegen den Festsetzungsbeschluss vom 9. Dezember 2005 eingelegt. Am 27. Februar 2006 ist dieses Rechtsmittel für die Schuldnerin anwaltlich wiederholt und begründet worden; hilfsweise hat die Schuldnerin wegen der verstrichenen Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das Insolvenzgericht hat der Beschwerde aus Sachgründen nicht abgeholfen. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde unter Ablehnung des Wiedereinsetzungsantrags wegen Fristversäumnis verworfen. Hiergegen wendet sich die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin, mit der sie ihr Begehren auf Herabsetzung der Vergütung weiterverfolgt.

II.


4
Die nach den §§ 6, 7, 64 Abs. 3 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 2 ZPO unzulässig. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und auch das rechtliche Ge- hör der Rechtsbeschwerdeführerin vor Gericht, welches Art. 103 Abs. 1 GG garantiert, ist nicht in entscheidungserheblicher Weise beeinträchtigt worden.
5
1. Das Amtsgericht muss Schuldner und Insolvenzgläubiger im Verfahren der Vergütungsfestsetzung des vorläufigen Insolvenzverwalters hören, weil diese Personen von der Festsetzung in ihren Rechten betroffen und dagegen nach § 64 Abs. 3 Satz 1 InsO auch beschwerdebefugt sind. Dies ist hier zu Lasten der Schuldnerin zunächst unterblieben, vom Insolvenzgericht jedoch im Abhilfeverfahren nachgeholt worden. Zweck der Gehörsgewährung ist es nicht, die Verfahrensbeteiligten auf die anstehende Festsetzungsentscheidung aufmerksam zu machen und ihnen dadurch die Verfolgung von Entscheidungsbekanntmachungen nach § 64 Abs. 2 Satz 1, § 9 Abs. 1 und 3 InsO zu erleichtern.
6
2. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 4. Dezember 2003 (IX ZB 249/02, ZIP 2004, 332; vgl. ferner Beschl. v. 5. November 2009 - IX ZB 173/08, Rn. 5) offen lassen können, ob die öffentliche Bekanntmachung des Festsetzungsbeschlusses für den Schuldner die Frist der sofortigen Beschwerde auch dann in Lauf setzt, wenn er zuvor zu dem Vergütungsantrag nicht gehört worden ist. Fraglich ist dies nicht, weil aus dem Inhalt der Bekanntmachung für den Schuldner die Höhe der Festsetzungsbeschwer nicht ersichtlich ist, sondern nur deshalb, weil ohne einen entsprechenden Hinweis der Schuldner möglicherweise jahrelang die Insolvenzbekanntmachungen beobachten muss, um gegen einen unangekündigt ergehenden Festsetzungsbeschluss fristgerecht Beschwerde erheben zu können. Die Rechtsbeschwerdeerwiderung macht hier zu Recht geltend, dass die vorbezeichnete Verfahrensfrage für den Beschwerdefall nicht entscheidungserheblich gewesen sei.
7
3. Der Festsetzungsbeschluss ist der Schuldnerin gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 InsO außer der öffentlichen Bekanntmachung ordnungsgemäß durch Aufgabe zur Post zugestellt und hierdurch die Beschwerdefrist gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 InsO a.F., § 184 Abs. 2 Satz 1 ZPO zwei Wochen nach der Aufgabe in Lauf gesetzt worden. § 8 Abs. 1 InsO in der Fassung von Art. 1 Nr. 2 Buchst. a) des Gesetzes zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens vom 13. April 2007 (BGBl. I S. 509) war im Beschwerdefall noch nicht anzuwenden. Nach dieser Zustellung war die am 24. Februar 2006 erhobene sofortige Beschwerde der Schuldnerin nach § 569 ZPO verfristet. Die Rechtsbeschwerde rügt dagegen ohne Erfolg Mängel dieser Zustellung. Auch ihr hilfsweise gestellter Wiedereinsetzungsantrag ist vom Beschwerdegericht mit Recht abgelehnt worden.
8
Der a) von der Rechtsbeschwerde beanstandete Mangel, die Zustellungsanschrift sei von der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts entgegen § 184 Abs. 2 Satz 4 ZPO nicht beurkundet worden (vgl. zum Adressenfehler insoweit BGHZ 73, 388, 390; BGH, Beschl. v. 13. Juni 2001 - V ZB 20/01, NJW-RR 2001, 1361), liegt nicht vor. Der durch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle unterzeichnete Vermerk über den Zustellungsauftrag vom 13. Dezember 2005 nennt - wie die Rechtsbeschwerdeerwiderung der Rüge zutreffend entgegenhält - die Schuldnerin als Zustellungsempfängerin durch Bezugnahme auf die Zustellungsverfügung der Rechtspflegerin und die Anlage des Zustellungsvermerks, in der ihre Firma und Geschäftsadresse angegeben sind. Das ist ausreichend, weil der Aktenvermerk gemäß § 184 Abs. 2 Satz 4 ZPO durch Bezugnahmen ergänzt werden kann.
9
b) Es mag zwar sein, dass die Schuldnerin in die versäumte Frist der sofortigen Beschwerde wiedereinzusetzen gewesen wäre, wenn die zugestellte Entscheidungsabschrift auf dem Postwege verloren gegangen wäre oder sonstwie ohne ihr Verschulden sie erst nach Ablauf der Notfrist des § 569 ZPO erreicht hätte (vgl. BGH, Beschl. v. 24. Juli 2000 - II ZB 20/99, NJW 2000, 3284, 3285). Die Gründe, mit denen das Beschwerdegericht die Wiedereinsetzung der Schuldnerin nach § 233 ZPO abgelehnt hat, sind nach diesem Ausgangspunkt jedoch rechtlich bedenkenfrei.
10
Die Schuldnerin ist im Verfahren unter ihrer Geschäftsanschrift aufgetreten , ohne darauf hinzuweisen, dass dort ein Briefkasten nicht vorhanden war, so dass Ersatzzustellungen nach § 180 ZPO ausschieden und nur während der Geschäftszeit gemäß § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO in den Geschäftsräumen durch Übergabe an eine dort beschäftigte Person vorgenommen werden konnten. Die Schuldnerin durfte nach § 168 Abs. 1 Satz 2 ZPO, § 33 Abs. 1 des Postgesetzes auch nicht davon ausgehen, dass jedes gerichtlich beauftragte lizensierte Zustellunternehmen Kenntnis von ihrem Postfach, welches sie in diesem Verfahren gleichfalls nicht mitgeteilt hatte, besaß und eine Zustellung dort bewirken würde.
11
Schuldnerin Die hat außerdem die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 ZPO versäumt. Ihr Geschäftsführer hatte nach seinem am 25. Januar 2006 beim Insolvenzgericht eingegangenen Akteneinsichtsgesuch damals bereits Kenntnis davon, dass ein Antrag auf Festsetzung der Verwaltervergütung gestellt worden war. Schon mit diesem Wissensstand war das Hindernis gegen die Wahrung der Beschwerdefrist gemäß § 234 Abs. 2 ZPO behoben. Denn es bestand jedenfalls danach für die Schuldnerin hinreichender Anlass, nach der öffentlichen Bekanntmachung eines möglicherweise bereits ergangenen Festsetzungsbeschlusses zu forschen. Diese Nachforschung hätte der Schuldnerin die Kenntnis von der Veröffentlichung vom 12. Dezember 2005 verschafft, mit welcher der angefochtene Festsetzungsbeschluss vom 9. Dezember 2005 öffentlich bekannt gemacht worden war. Ergänzend hätte die Schuldnerin dann innerhalb der Nachholungsfrist Akteneinsicht nehmen und die sofortige Beschwerde , wie geschehen notfalls gemäß § 569 Abs. 3 ZPO zu Protokoll der Geschäftsstelle, für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtzeitig erheben können.
Ganter Raebel Kayser
Lohmann Pape
Vorinstanzen:
AG Hannover, Entscheidung vom 09.12.2005 - 909 IN 501/05 - 2 - -
LG Hannover, Entscheidung vom 19.04.2006 - 20 T 16/06 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
II ZB 1/00
vom
15. Januar 2001
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ : nein
BGHR : ja
Die dem Korrespondenzanwalt einer Partei unbekannte Zustellung eines Urteils, von
dessen Verkündung er weiß, wird für ihn grundsätzlich - mit der Folge des Beginns
der Wiedereinsetzungsfrist gemäß § 234 Abs. 2 ZPO - erkennbar, wenn ihm der Kostenfestsetzungsbeschluß
, erst recht, wenn ihm eine Vollstreckungsandrohung der
Gegenseite (ohne Sicherheitsleistung) übermittelt wird.
BGH, Beschl. v. 15. Januar 2001 - II ZB 1/00 - OLG Schleswig
LG Itzehoe
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 15. Januar 2001 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht und die Richter Dr. Hesselberger,
Prof. Dr. Goette, Dr. Kurzwelly und Kraemer

beschlossen:
Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des 5. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 5. Januar 2000 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 2.826,64 DM

Gründe:


I. Die klagende GmbH gehört zu einer von dem Beklagten veräußerten Unternehmensgruppe und hat gegen ihn mit der Klage Erstattungsansprüche auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage geltend gemacht. Das klagabweisende Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 16. Februar 1998 wurde der erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin, Rechtsanwältin H. , am 20. Februar 1998 zugestellt. Sie sandte es - gemäß ihrer eidesstattlichen Versicherung - am selben Tag an den Verkehrsanwalt der Klägerin, Rechtsanwalt M. , weiter - unter Beifügung eines Begleitschreibens mit Hinweisen auf die Berufungsfrist sowie darauf, daß sie ohne ausdrückliche Weisung nichts veranlassen werde. Die Sendung ging bei Rechtsanwalt M. - nach dessen
eidesstattlicher Versicherung - nicht ein. Das Urteilsergebnis hatte er schon am 16. Februar 1998 bei dem Landgericht telefonisch abgefragt. Am 9. März 1998 übersandte ihm Rechtsanwältin H. den Kostenfestsetzungsantrag des Beklagten und am 2. April 1998 den Kostenfestsetzungsbeschluß des Landgerichts vom 19. März 1998 mit dem Anfügen, daß die festgesetzten Kosten zur Vermeidung einer Zwangsvollstreckung bis 15. April 1998 zu zahlen seien. Mit Schreiben vom 6. April 1998 bat Rechtsanwalt M. die Rechtsanwältin H. um Unterrichtung, falls der Beklagte die für eine Zwangsvollstreckung erforderliche Sicherheit geleistet habe. Am 8. April 1998 übermittelte ihm Rechtsanwältin H. ein Schreiben der Prozeßbevollmächtigten des Beklagten vom 7. April 1998 mit der Aufforderung, die festgesetzten Kosten zur Vermeidung von Vollstreckungsmaßnahmen bis zum 21. April 1998 zu zahlen. Mit Telefax vom 16. April 1998 erbat RechtsanwaltM. von den Prozeßbevollmächtigten des Beklagten den Nachweis der Sicherheitsleistung und erhielt von dort am 17. April 1998 (Freitag) die Mitteilung, daß das zugrundeliegende Urteil inzwischen rechtskräftig sein dürfte. Er antwortete darauf mit Schreiben vom 20. April 1998, das Urteil sei nach seiner Kenntnis bisher nicht zugestellt worden. Gleichzeitig übermittelte er seine Korrespondenz mit den Prozeßbevollmächtigten des Beklagten per Telefax an Rechtsanwältin H. , die ihn am Abend des 20. April 1998 über die Urteilszustellung vom 20. Februar 1998 informierte.
Das Berufungsgericht hat den am 4. Mai 1998 eingereichten Wiedereinsetzungsantrag und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin.
II. Die gemäß §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 519 b Abs. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat zu Recht den Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin wegen Verfristung gemäß § 234 Abs. 1 ZPO für unzulässig erachtet und ihre Berufung wegen Versäumung der Berufungsfrist des § 516 ZPO verworfen.
1. Gemäß § 234 Abs. 2 ZPO beginnt die Wiedereinsetzungsfrist mit dem Ablauf des Tages, an dem das Hindernis für die Einhaltung der primären Frist - hier der Berufungsfrist gemäß § 516 ZPO - behoben ist. Im vorliegenden Fall lag nach dem Vortrag der Klägerin das Hindernis für die Einhaltung der Berufungsfrist darin, daß ihre Verkehrsanwälte die Zustellungsnachricht ihrer erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten vom 20. Februar 1998 anscheinend nicht erhielten und deshalb von der Urteilszustellung bis zum Ablauf der Berufungsfrist keine Kenntnis hatten. Ob bis dahin ein der Klägerin zuzurechnendes Verschulden der von ihr beauftragten Anwälte mitgewirkt hat (§ 233 ZPO), kann dahinstehen. Im Sinne von § 234 Abs. 2 ZPO "behoben" ist ein Fristwahrungshindernis jedenfalls dann, wenn sein Fortbestehen nicht mehr als unverschuldet angesehen werden kann. Das ist der Fall, sobald die Partei oder ihr Prozeßbevollmächtigter bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt die Versäumung hätte erkennen können und müssen (Sen.Beschl. v. 13. Dezember 1999 - II ZR 225/98, NJW 2000, 592 m.w.N.). Das gilt auch bei einem entsprechenden Verschulden eines von der Partei beauftragten Verkehrsanwalts (vgl. BGH, Beschl. v. 10. Oktober 1995 - XI ZB 17/95, VersR 1996, 606; v. 22. November 1990 - I ZB 13/90, MDR 1991, 676).
2. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, hätte Rechtsanwalt M. bereits den ihm am 2. April 1998 übersandten Kostenfestsetzungsbe-
schluß, spätestens aber die ihm am 9. April 1998 zugegangene Androhung der Vollstreckung durch die Prozeßbevollmächtigten des Beklagten zum Anlaß nehmen müssen, sich unverzüglich bei dem Landgericht oder bei Rechtsanwältin H. nach einer etwa erfolgten Zustellung des Urteils zu erkundigen (vgl. Musielak/Grandel, ZPO 2. Aufl. § 234 Rdn. 4; Zöller/Greger, ZPO 22. Aufl. § 233 Rdn. 23, Seite 694, jeweils m.w.N.). Er wußte aufgrund seiner telefonischen Anfrage bei dem Landgericht, daß das Urteil am 16. Februar verkündet, der Verkündungstermin also nicht etwa verlegt worden war. Ihm mußte als Anwalt klar sein, daß ein verkündetes Urteil regelmäßig zunächst (durch die Geschäftsstelle ) zur Zustellung hinausgegeben wird, bevor die Kostenfestsetzung (durch den Kostenbeamten) erfolgt. Es mag sein, daß gelegentlich von dieser Regel abgewichen oder auch ein Urteil vor vollständiger Abfassung - unter Verstoß gegen § 310 Abs. 2 ZPO - verkündet wird, wie die Klägerin vorträgt. Darauf darf sich ein Rechtsanwalt aber nicht ohne Vergewisserung verlassen, erst recht nicht darauf, daß ein Kostenfestsetzungsbeschluß sogar vor Abfassung des Urteils erlassen sein könnte. Zumindest hätte Rechtsanwalt M. im weiteren Verlauf aus der mit Vollstreckungsandrohung verbundenen Mahnung der Prozeßbevollmächtigten des Beklagten vom 7. April 1998 entnehmen können und müssen, daß diese - wie auch schon Rechtsanwältin H. in ihrem Schreiben vom 2. April 1998 - von der Vollstreckbarkeit des Urteils ohne die in ihm angeordnete Sicherheitsleistung (§ 708 Nr. 11 ZPO), mithin von der Rechtskraft des Urteils ausgingen, was ihn zur unverzüglicher Nachfrage noch am 9. April oder spätestens am 14. April 1998 (Dienstag nach Ostern) hätte veranlassen müssen.
3. Unbehelflich ist die Rüge der Klägerin, das Berufungsgericht hätte ihr vor Erlaß des angefochtenen Beschlusses gemäß Art. 103 GG und § 139 ZPO
Gelegenheit geben müssen, sich zu der allein auf das Verhalten von RechtsanwaltM. abstellenden Beurteilungsweise zu äußern. Denn mit dieser Beurteilung mußte die Klägerin schon aufgrund der von ihr selbst vorgetragenen Umstände und der Hinweise in den Schriftsätzen des Beklagten vom 30. Juli und 16. Dezember 1998 rechnen. Eine zusätzliche Sachverhaltsaufklärung gemäß § 139 ZPO war und ist hier - anders als im Fall erkennbar unklarer oder ergänzungsbedürftiger Angaben (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 6. Mai 1999 - VII ZB 6/99, NJW 1999, 2284 m.w.N.) - nicht geboten. Keiner Entscheidung bedarf hier, ob auch Rechtsanwältin H. ein (der Klägerin zuzurechnendes) Versäumnis insofern zur Last fällt, als sie die aus dem Schreiben des Rechtsanwalts M. vom 6. April 1998 ersichtliche Unkenntnis von der inzwischen eingetretenen Rechtskraft des Urteils nicht unverzüglich durch entsprechenden Hinweis behoben hat.
Röhricht Hesselberger Goette
Kurzwelly Kraemer

(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.

(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.

(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZR 41/00
vom
17. Oktober 2000
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
PatG 1981 §§ 110 ff. (i.d.F. des 2. PatGÄ ndG v. 16.07.1998); ZPO § 233 Fe
Kreiselpumpe
Ist zweifelhaft, welche Fristenregelung (hier: § 234 Abs. 1 ZPO oder § 123
Abs. 2 Satz 1 PatG) für einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand anzuwenden ist, muß der anwaltliche Vertreter vorsorglich die kürzere
Frist beachten.
BGH, Beschluß vom 17. Oktober 2000 - X ZR 41/00 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Oktober 2000
durch den Vorsitzenden Richter Rogge und die Richter Dr. Jestaedt,
Dr. Melullis, Scharen und Keukenschrijver

beschlossen:
Der Antrag der Klägerin, ihr Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der Berufung zu gewähren, wird auf ihre Kosten als unzulässig zurückgewiesen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.000.000,-- DM festgesetzt.

Gründe:


I. Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 327 549 (Streitpatents ), das eine "Kreiselpumpe für heiße Medien" betrifft. Die von der Klägerin gegen das Streitpatent erhobene Nichtigkeitsklage hat das Bundespatentgericht abgewiesen. Gegen das ihr am 31. Januar 2000 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit am 25. Februar 2000 eingegangenem Telefax Berufung eingelegt, die der Senat durch am 18. Mai 2000 zugestellten Beschluß vom 3. Mai 2000 als unzulässig verworfen hat, weil die Berufung nicht innerhalb der gesetzli-
chen Frist begründet wurde. Mit am 23. Mai 2000 per Telefax eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin unter Nachholung der Berufungsbegründung Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat sie sich auf ein Versehen einer Büromitarbeiterin berufen, die die Frist fehlerhaft notiert und die Akte erst am 28. März 2000 und somit nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist dem Patentanwalt vorgelegt habe. Auf gerichtlichen Hinweis, daß im Patentnichtigkeitsverfahren die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist der ZPO gelten dürfte, hat sich die Klägerin ergänzend geäußert. Die Beklagte tritt dem Wiedereinsetzungsantrag entgegen.
II. 1. Der Wiedereinsetzungsantrag ist unzulässig, weil er nicht innerhalb der auch im Patentnichtigkeitsverfahren seit dessen Neuregelung durch das 2. Gesetz zur Ä nderung des Patentgesetzes und anderer Gesetze vom 16. Juli 1998 (2. PatGÄ ndG) nach dem entsprechend anzuwendenden § 234 Abs. 1 ZPO geltenden Zweiwochenfrist eingereicht worden ist.

a) Nach seinem eigenen Vorbringen hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin von der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, die mit dem 27. März 2000 abgelaufen war, am 28. März 2000 Kenntnis erlangt. Der Wiedereinsetzungsantrag ist aber erst am 23. Mai 2000 bei Gericht eingegangen. Damit war die Zweiwochenfrist des § 234 Abs. 1 ZPO, die mit dem Tag beginnt, an dem das Hindernis - hier: die unverschuldete Kenntnis von der Fristversäumung - behoben ist (§ 234 Abs. 2 ZPO), nicht gewahrt.

b) Vergebens beruft sich die Klägerin darauf, daß die Frist für die Wiedereinsetzung nicht zwei Wochen, sondern zwei Monate betrage. Wie der Senat inzwischen entschieden hat, kommt die Zweimonatsfrist des § 123 Abs. 2
Satz 1 PatG im Patentnichtigkeitsverfahren, soweit sich das Verfahren nach der Neuregelung im Zweiten Gesetz zur Ä nderung des Patentgesetzes und anderer Gesetze richtet, nicht mehr zur Anwendung. Der Senat hat hierzu ausgeführt (Beschluß vom 31.5.2000 – X ZR 154/99 – Schaltmechanismus, zur Veröffentlichung vorgesehen):
"Bis zum Inkrafttreten der Regelungen des 2. Gesetzes zur Ä nderung des Patentgesetzes und anderer Gesetze (2. PatGÄ ndG) vom 16. Juli 1998 (BGBl. I S. 1823 ff.) war die an den Bundesgerichtshof stattfindende Berufung gegen Urteile der Nichtigkeitssenate des Bundespatentgerichts bei diesem Gericht einzulegen (§§ 110 Abs. 1 Satz 2, 112 Abs. 1, 113, 114 PatG jeweils a.F. - sogenanntes Vorschaltverfahren). Wer ohne Verschulden verhindert war, dem Bundespatentgericht gegenüber die Berufungsfrist von einem Monat einzuhalten , konnte deshalb gemäß § 123 Abs. 1 PatG innerhalb der in Abs. 2 Satz 1 dieser Vorschrift vorgesehenen Frist von zwei Monaten nach Wegfall des Hindernisses in zulässiger Weise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen. In der nunmehr geltenden Fassung des Patentgesetzes ist § 123 PatG im Falle der Berufung in Patentnichtigkeitssachen nicht mehr direkt anwendbar , weil er ausdrücklich nur für das Verfahren vor dem Deutschen Patent - und Markenamt sowie vor dem Bundespatentgericht gilt und das Rechtsmittel gemäß § 110 Abs. 2 PatG in der Fassung des 2. PatGÄ ndG durch Einreichung der Berufungsschrift beim Bundesgerichtshof eingelegt wird. Für das Berufungsverfahren in Patentnichtigkeitssachen fehlt damit eine gesetzliche Regelung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Die Statthaftigkeit dieses Rechtsbehelfs auch für das Berufungsverfahren in Patentnichtigkeitssachen ist jedoch ein aus Art. 2 Abs. 1 GG und dem
Rechtsstaatsprinzip folgendes Gebot. Unter welchen Voraussetzungen im Berufungsverfahren in Patentnichtigkeitssachen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann, muß deshalb die analoge Anwendung eines geeigneten Regelwerks ergeben. In Betracht zu ziehen sind insoweit einmal der bereits erwähnte § 123 PatG sowie zum anderen die §§ 233, 234, 236 ZPO, wonach die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Falle der Versäumung der Berufungsfrist als Notfrist oder der Frist zur Begründung der Berufung binnen deutlich kürzerer Frist, nämlich binnen zwei Wochen beantragt werden muß (§ 234 Abs. 1 ZPO).
Dazu, welcher Regelung nach der von ihm geschaffenen neuen Rechtslage der Vorzug zu geben sein könnte, läßt sich dem 2. PatGÄ ndG ein eindeutiger Hinweis nicht entnehmen. Die Tatsache, daß § 123 PatG a.F. - abgesehen von der hier nicht interessierenden Abs. 1 Satz 2 und Abs. 7 betreffenden Ä nderung - trotz Abschaffung des sogenannten Vorschaltverfahrens (§§ 112-114 PatG a.F.) vor dem Bundespatentgericht, in dessen Rahmen bisher im Falle der Berufung in Patentnichtigkeitssachen über Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu entscheiden war, keine Novellierung erfahren hat, könnte zwar dahin gedeutet werden, daß die Anwendung dieser Vorschrift in dem nunmehr von Anfang an vor dem Bundesgerichtshof durchzuführenden Berufungsverfahren vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt ist; der gegenteilige Schluß ließe sich aber ebenfalls rechtfertigen, weil der Gesetzgeber es auch unterlassen hat, für das Berufungsverfahren vor dem Bundesgerichtshof eine dem § 106 Abs. 1 PatG entsprechende Regelung zu schaffen, nach welcher im Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesgerichtshof die Vorschriften der ZPO über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand analog anzuwenden sind. Ob sich die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand in Berufungsverfahren in Patentnichtigkeitssachen aus § 123 PatG oder den §§ 233, 234, 236 ZPO ergeben, ist deshalb danach zu entscheiden , welche Vorschriften nach dem allgemeinen Werturteil der in Betracht zu ziehenden Gesetze eher geeignet erscheinen, den ähnlich gelagerten Fall zu regeln und zu beherrschen (vgl. Engisch, Einführung in das juristische Denken , Kapitel VII, I 2). Dies führt zur Anwendbarkeit der Vorschriften der ZPO (im Ergebnis ebenso Busse, PatG, 5. Aufl., § 121 Rdn. 18).
Die Entscheidung über Berufungen in Patentnichtigkeitsverfahren ist seit den Anfängen des deutschen Patentrechts dem obersten deutschen Gericht für Zivilsachen übertragen. Die Begründung zum Entwurf des 2. PatGÄ ndG (abgedruckt BlPMZ 1998, 393 ff.) betont, daß mit der Neufassung die Vorschriften über das Berufungsverfahren vor dem Bundesgerichtshof in Patentsachen an die in der Zivilprozeßordnung enthaltenen Vorschriften über das Verfahren vor den Berufungsgerichten angeglichen werden sollen (BlPMZ 1998, 396 f.). Da die §§ 233, 234, 236 ZPO eine ausdrückliche Regelung für die Wiedereinsetzung in die eine Notfrist darstellende Berufungsfrist und in die Berufungsbegründungsfrist im Falle der Berufung an ein deutsches Zivilgericht beinhalten, spricht schon dies dafür, daß die zivilprozessualen Regelungen nach der gesetzlichen Wertung als sachgerechtere Normen angesehen werden müssen, die Geltendmachung dieses Rechtsbehelfs auch im Rahmen des bei Patentnichtigkeitssachen zugelassenen Rechtsmittels zu regeln. Im Hinblick auf die dabei einzuhaltende Frist ist zudem vor allem von Bedeutung, daß das 2. PatGÄ ndG die Verpflichtung wieder eingeführt hat, die Berufung zum Bundesgerichtshof zu begründen (§ 111 Abs. 1 PatG), und die mit der Einlegung der Berufung beginnende Frist für die Berufungsbegründung einen Monat beträgt (§ 111 Abs. 2 Satz 2 PatG). Dies soll die Zusammenfassung und Be-
schleunigung des Rechtsstreits in der Berufungsinstanz ermöglichen, wie es in der Begründung zum Entwurf des 2. PatGÄ ndG heißt (BlPMZ 1998, 397). Mit diesem Gesetzeszweck wäre die nach § 123 Abs. 2 Satz 1 PatG vorgeschriebene Frist von zwei Monaten kaum vereinbar, weil sie die für die Berufungsbegründung gesetzlich vorgesehene Frist deutlich übersteigt. Wer die Berufungsbegründungsfrist versäumt, hätte zur Nachholung der Begründung erheblich mehr Zeit zur Verfügung, als derjenige für die Berufungsbegründung hat, der die gesetzlich vorgesehene Frist einhält. Schließlich ist auch noch auf § 99 Abs. 1 PatG zu verweisen. Er regelt für das Verfahren vor dem Bundespatentgericht , daß das erstinstanzlich zur Entscheidung in Nichtigkeitsverfahren berufene Gericht das GVG und die ZPO als subsidiäres Regelwerk anzuwenden haben, wenn dies durch die Besonderheiten des Verfahrens nicht ausgeschlossen wird. Für das Verfahren vor dem Bundesgerichtshof kann ein solcher Ausschluß hinsichtlich der §§ 233, 234, 236 ZPO nicht festgestellt werden. Ihre Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entsprechen im wesentlichen denen in § 123 PatG; ein praktischer Unterschied besteht lediglich hinsichtlich der Frist zur Geltendmachung des Rechtsbehelfs. Eine kürzere Frist einzuhalten als vor dem Bundespatentgericht, ist für die Partei, welche die Berufungsfrist oder die Berufungsbegründungsfrist versäumt hat, jedoch zumutbar angesichts der gesetzlichen Notwendigkeit, sich vor dem Bundesgerichtshof durch einen Rechtsanwalt oder einen Patentanwalt als Bevollmächtigten vertreten zu lassen (§ 111 Abs. 4 Satz 1 PatG). Rechtsanwälte sind ausgebildet und gewohnt, auch binnen kurzer Fristen das zur Wahrung der Belange ihrer Mandanten Erforderliche zu veranlassen. Von Patentanwälten, welche die Vertretung vor dem Bundesgerichtshof übernehmen, kann dies ebenfalls verlangt werden, weil sie gemäß § 111 Abs. 4 Satz 1 PatG dieselbe Stellung wie ein Rechtsanwalt haben.
Unter diesen Umständen muß in Berufungsverfahren in Patentnichtigkeitssachen hinsichtlich der Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der aus verschiedenen Verfahrensgesetzen (vgl. §§ 523, 557 ZPO, §§ 125 Abs. 1, 141 VwGO) ersichtliche und vom Senat in anderem Zusammenhang auch für das vor ihm stattfindende Verfahren bereits angewandte (BGH, Beschl. v. 26.9.1996 - X ZR 17/94, GRUR 1997, 119 - Schwimmrahmenbremse ) Grundsatz zurücktreten, im Rechtsmittelverfahren notfalls die für die Vorinstanz geltenden Regeln heranzuziehen."
Hieran hält der Senat fest.

c) Einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist hat die Klägerin nicht gestellt. Auch insoweit kommt Wiedereinsetzung allerdings grundsätzlich in Betracht (BGH, Beschl. v. 4.10.1994 - VI ZB 17/93 - VersR 1995, 480 = BGHR ZPO § 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 Prozeßhandlung , nachgeholte 3). Zudem könnte insoweit Wiedereinsetzung auch von Amts wegen bewilligt werden (§ 236 Abs. 2 Halbs. 2 ZPO). Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, daß die Klägerin die Wiedereinsetzungsfrist versäumt hat, ohne daß ihre Vertreter hieran ein ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO in entsprechender Anwendung zuzurechnendes Verschulden traf.
Ob nach der Neuregelung des Nichtigkeitsberufungsverfahrens hinsichtlich der Wiedereinsetzungsfrist die Zweiwochenfrist der Zivilprozeßordnung oder die Zweimonatsfrist des Patentgesetzes zur Anwendung kommt, mußte bis zur abschließenden Klärung in der Rechtsprechung, die erst durch die Senatsentscheidung vom 31. Mai 2000 erfolgt ist, als offen angesehen werden. Die - soweit ersichtlich - einzige Literaturstelle, die sich mit dieser Frage be-
faßte (Busse, PatG 5. Aufl. § 121 Rdn. 18), sprach sich für die Anwendung der Regelung in der ZPO aus. Auch wenn die Klägerin auf Gesichtspunkte verweisen kann, die für eine Anwendung der Regelung im Patentgesetz hätten sprechen können, war offen, wie die Rechtsprechung diesen Fall behandeln werde. Bei derart zweifelhafter Rechtslage mußte aber der Vertreter der Klägerin als Patentanwalt, für den keine anderen Maßstäbe gelten als für den Rechtsanwalt (Sen.Beschl. v. 31.5.2000 - X ZR 154/99 – Schaltmechanismus), vorsorglich so handeln, wie es bei einer für die von ihm vertretene Partei ungünstigen Entscheidung des Zweifels zur Wahrung ihrer Belange notwendig war (vgl. BGH, Beschl. v. 9.1.1989 - II ZB 11/88, BGHR ZPO § 233 - Verschulden 3; Beschl. v. 19.11.1992 - V ZB 37/92, NJW 1993, 332 f. = BGHR ZPO § 233 Postulationsfähigkeit 1; Zöller/Greger, ZPO 21. Aufl. § 233 Rdn. 23; Musielak/Grandel, ZPO § 233 Rdn. 44; MünchKomm. ZPO/Feiber § 233 Rdn. 58; vgl. schon - allerdings auf abweichender Rechtsgrundlage - BGHZ 8, 47; ebenso zu § 123 PatG Busse aaO, § 123 Rdn. 45) und im Zweifel den sicheren Weg wählen, nämlich die kürzere, sich bei Anwendung der Regelung in der Zivilprozeßordnung ergebende Frist beachten. Daß er dies nicht getan hat, begründet insoweit ein die Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 238 Abs. 4 ZPO, § 91 ZPO.

Rogge Jestaedt Melullis
Scharen Keukenschrijver

(1) Entscheidungen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ergehen ohne mündliche Verhandlung. Zuständig ist das Gericht des ersten Rechtszuges; ist das Verfahren in einem höheren Rechtszug anhängig, so ist das Gericht dieses Rechtszuges zuständig. Soweit die Gründe der Entscheidung Angaben über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Partei enthalten, dürfen sie dem Gegner nur mit Zustimmung der Partei zugänglich gemacht werden.

(2) Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe kann nur nach Maßgabe des Absatzes 3 angefochten werden. Im Übrigen findet die sofortige Beschwerde statt; dies gilt nicht, wenn der Streitwert der Hauptsache den in § 511 genannten Betrag nicht übersteigt, es sei denn, das Gericht hat ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint. Die Notfrist beträgt einen Monat.

(3) Gegen die Bewilligung der Prozesskostenhilfe findet die sofortige Beschwerde der Staatskasse statt, wenn weder Monatsraten noch aus dem Vermögen zu zahlende Beträge festgesetzt worden sind. Die Beschwerde kann nur darauf gestützt werden, dass die Partei gemäß § 115 Absatz 1 bis 3 nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Zahlungen zu leisten oder gemäß § 116 Satz 3 Beträge zu zahlen hat. Die Notfrist beträgt einen Monat und beginnt mit der Bekanntgabe des Beschlusses. Nach Ablauf von drei Monaten seit der Verkündung der Entscheidung ist die Beschwerde unstatthaft. Wird die Entscheidung nicht verkündet, so tritt an die Stelle der Verkündung der Zeitpunkt, in dem die unterschriebene Entscheidung der Geschäftsstelle übermittelt wird. Die Entscheidung wird der Staatskasse nicht von Amts wegen mitgeteilt.

(4) Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.