Verwaltungsgericht Aachen Beschluss, 02. Sept. 2016 - 6 L 38/16
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 52.500,‑‑ € festgesetzt.
1
G r ü n d e
2Der gemäß §§ 80a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthafte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der unter dem Aktenzeichen 6 K 2371/15 geführten Klage gegen die der Beigeladenen von der Antragsgegnerin erteilten Genehmigungen vom 23. November 2015 (Az.: 313.0011-17/13/1.6.2-313-hdoum) zur Errichtung und zum Betrieb von sieben Windenergieanlagen vom Typ VESTAS V-112 mit einer Nennleistung von 3.300 kW, einer Nabenhöhe von 140,00 m und einem Rotordurchmesser von 112,00 m auf den Grundstücken in B. , Gemarkung X. , Flur , Flurstücke und , wiederherzustellen,
4hat keinen Erfolg. Er ist zulässig (unter I.), aber nicht begründet (unter II.).
5I. Der Antragsteller ist insbesondere antragsbefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO analog).
6Dem Antragsteller steht als anerkanntem Umweltverband jedenfalls das Verbandsklagerecht aus § 2 Abs. 1 UmwRG zu. Gemäß § 2 Abs. 1 UmwRG kann eine nach § 3 UmwRG anerkannte inländische oder ausländische Vereinigung, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder deren Unterlassen einlegen, wenn die Vereinigung geltend macht, dass eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen und für die Entscheidung von Bedeutung sein können, widerspricht (Nr. 1), sie geltend macht, in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes durch die Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder deren Unterlassen berührt zu sein (Nr. 2), und sie zur Beteiligung in einem Verfahren nach § 1 Abs. 1 Satz 1 berechtigt war und sie sich hierbei in der Sache gemäß den geltenden Rechtsvorschriften geäußert hat oder ihr entgegen den geltenden Rechtsvorschriften keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist (Nr. 3).
7Der Anwendungsbereich des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes ist zunächst eröffnet. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a UmwRG findet das Gesetz Anwendung für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen im Sinne von § 2 Abs. 3 UVPG über die Zulässigkeit von Vorhaben, für die nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen kann.
8Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Zu den Vorhaben, für die eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen kann, zählen nicht nur die Vorhaben, für die bereits kraft Gesetzes eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist (§§ 3b, 3e Abs. 1 Nr. 1 UVPG), sondern auch die Vorhaben, für die eine allgemeine (§§ 3c Satz 1, 3e Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 UVPG) oder eine standortgebundene (§ 3c Satz 2 UVPG) Vorprüfung des Einzelfalls durchzuführen ist. Beide Arten der Vorprüfung dienen gerade der Untersuchung, ob eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist. Für das streitgegenständliche Vorhaben war gemäß § 3c Satz 1 UVPG i.V.m. Nr. 1.6.2 Spalte 2 der Anlage 1 zum UVPG (als Teil einer Windfarm mit 6 bis weniger als 20 Windkraftanlagen in einer Gesamthöhe von jeweils mehr als 50 Metern) und überdies gemäß § 3c Satz 1 UVPG i.V.m. Nr. 17.2.2 Spalte 2 der Anlage 1 zum UVPG auch wegen des auf insgesamt 5,25 ha bezifferten Umfangs der erforderlichen Rodung von Wald (Inanspruchnahme von 5 ha bis weniger als 10 ha Wald) eine allgemeine Vorprüfung durchzuführen. Nach Durchführung einer allgemeinen Vorprüfung nach § 3c UVPG hat die Antragsgegnerin hier gemäß § 3a UVPG festgestellt, dass wegen der Möglichkeit erheblicher nachteiliger Auswirkungen des Vorhabens auf die in § 2 UVPG genannten Schutzgüter eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist.
9Die Vorgaben des § 2 Abs. 1 UmwRG sind auch erfüllt.
10Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG kann sich eine anerkannte Umweltschutzvereinigung im Rahmen der Umweltverbandsklage (nur) auf eine Verletzung von Vorschriften stützen, "die dem Umweltschutz dienen". Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Einschränkung des Prüfumfangs einer Umweltverbandsklage auf die Verletzung umweltbezogener Vorschriften für unionsrechtskonform gehalten und insoweit Folgendes ausgeführt:
11" 1. Weder auf der Grundlage nationalen Rechts noch auf der Grundlage von Unionsrecht kann der Kläger eine über die Rechtsvorschriften zum Schutz der Umwelt hinausgehende umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle des angegriffenen Genehmigungsbescheides beanspruchen.
12a) Der Umfang der gerichtlichen Überprüfung bemisst sich für die vom Kläger erhobene Verbandsklage nach § 2 des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes - UmwRG - in der Fassung vom 8. April 2013 (BGBl I S. 753). Der Anwendungsbereich des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) i.V.m. § 5 Abs. 4 UmwRG eröffnet, da die der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung eine Entscheidung im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 1 UVPG über die Zulässigkeit eines Vorhabens darstellt, für das gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 UVPG i.V.m. Nr. 1.1.1 der Anlage 1 zu diesem Gesetz eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist. Nach § 2 Abs. 5 Nr. 1 UmwRG setzt die Begründetheit der Klage voraus, dass die Entscheidung gegen Rechtsvorschriften verstößt, die dem Umweltschutz dienen. Das schließt eine umfassende, über die Frage der Beachtung umweltrechtlicher Vorschriften hinausgehende Rechtmäßigkeitsprüfung aus. Der Prüfungsumfang korrespondiert daher mit den Vorgaben für die Klagebefugnis anerkannter Umweltvereinigungen, die gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG davon abhängt, dass die Vereinigung geltend macht, die angefochtene Entscheidung widerspreche einer dem Umweltschutz dienenden Rechtsvorschrift. Rügen, die keinen Bezug zu umweltrechtlichen Belangen aufweisen, können einer Verbandsklage deshalb nicht zum Erfolg verhelfen (vgl. Urteil vom 10. Oktober 2012 - BVerwG 9 A 18.11 - BVerwGE 144, 243 Rn. 18 = Buchholz 406.254 UmwRG Nr. 9). Nach nationalem Recht ist die Rolle der Umweltverbände die eines "Anwalts der Umwelt" (Urteil vom 14. Mai 1997 - BVerwG 11 A 43.96 - BVerwGE 104, 367 <371> m.w.N. = Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 26 S. 133), nicht hingegen die eines allzuständigen Sachwalters der Interessen der Allgemeinheit. Hieran ist für Klagerechte auch nach Maßgabe des novellierten Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes festzuhalten.
13b) Diese Beschränkung des Verbandsklagerechts steht in Übereinstimmung mit übergeordnetem Unionsrecht, nämlich mit den im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung geltenden Art. 10a der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (nunmehr Art. 11 der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 - UVP-RL) und Art. 9 Abs. 2 des Aarhus-Übereinkommens (Aarhus-Konvention - AK -), das von allen Mitgliedstaaten der Union sowie von dieser selbst ratifiziert worden ist und als so genanntes gemischtes Abkommen Teil des Unionsrechts ist. Trotz ihres weiten, übereinstimmenden Wortlauts sind Art. 10a Abs. 1 UVP-RL a.F. und Art. 9 Abs. 2 Unterabs. 1 AK, die Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit einräumen, "die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen ... anzufechten", nicht als Anordnung einer umfassenden Prüfung in jeglicher rechtlicher Hinsicht zu verstehen. Vielmehr ist sowohl nach dem Sinn und Zweck dieser Regelungen des Unionsrechts als auch nach deren Einbindung in den systematischen Kontext der Gesamtregelungen über die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu den Gerichten davon auszugehen, dass sich mit der Forderung nach einer materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeitsprüfung nicht zugleich eine Festlegung über deren Umfang verbindet. Diese Prüfungsverpflichtung beschränkt sich vielmehr auf Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Öffentlichkeitsbeteiligung in Umweltsachen bzw. der Öffentlichkeitsbeteiligung bei der Ausarbeitung umweltbezogener Pläne. Neben den Überschriften verdeutlichen vor allem die Erwägungsgründe der Konvention und der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie vom 26. Mai 2003 die Ausrichtung dieser Regelungen auf den Schutz der Umwelt. Zentrales Anliegen der Konvention ist nach deren Erwägungsgründen der auch durch die Beteiligung der Öffentlichkeit und deren Zugang zu wirkungsvollen gerichtlichen Mechanismen zu gewährleistende Schutz einer intakten Umwelt; die Erwägungsgründe der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie nehmen u.a. Bezug auf unionsrechtliche Umweltvorschriften und auf vom Umweltschutz bestimmte Ziele der Aarhus-Konvention. Gemäß Art. 1 Abs. 2 Unterabs. 5 UVP-RL a.F. sind klagebefugte Nichtregierungsorganisationen als Teil der betroffenen Öffentlichkeit nur solche, die sich für den Umweltschutz einsetzen; Entsprechendes folgt aus Art. 2 Nr. 5 AK. In diesem Rahmen bestimmen gemäß Art. 10a Abs. 3 UVP-RL a.F. die Mitgliedstaaten, welche konkreten Rechtsverletzungen gerügt werden können; hiermit verbindet sich nicht die Festlegung auf einen über die Belange der Umwelt hinausgehenden objektiv-rechtlichen Prüfungsmaßstab.
14Dem kann nicht entgegengehalten werden, dem in der Aarhus-Konvention und im Richtlinienrecht vorausgesetzten Bezug zum Umweltschutz werde schon dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass nur UVP-pflichtige Maßnahmen anfechtbar seien und Klagerechte nur solchen Vereinigungen eröffnet seien, die Ziele des Umweltschutzes verfolgen. Auch unter diesen Voraussetzungen hat eine Vollüberprüfung gemessen an dem Ziel, die Umwelt zu schützen, eine überschießende Tendenz; denn sie würde den Schutz der Umwelt über die einschlägigen umweltrechtlichen Vorgaben hinaus ausdehnen.
15Auch die begrenzte Regelungskompetenz der Union steht einer Auslegung des Art. 10a Abs. 1 UVP-RL a.F. als einer über den Schutz der Umwelt hinausgehenden Bestimmung des gerichtlichen Kontrollumfangs entgegen. Hierauf bezogen kann sich die Union allein auf die in Art. 191 f. AEUV begründete Zuständigkeit für Regelungen über den Schutz der Umwelt berufen; nur in einem Annex hierzu und damit auf das Umweltrecht beschränkt kommt der Union die Kompetenz für Regelungen über den gebotenen Rechtsschutz zu (vgl. Epiney, EurUP 2012, 88 <91>).
16Dem entspricht die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union. In seinem Urteil vom 12. Mai 2011 (Rs. C-115/09, Trianel - Slg. 2011, I-3673 = NJW 2011, 2779) befasst sich dieser zwar in erster Linie mit der Zulässigkeit des Rechtsbehelfs (Rn. 38 ff.) und fordert eine Auslegung des Art. 10a Abs. 1 und 3 der UVP-Richtlinie im Licht und unter Berücksichtigung der Ziele der Aarhus-Konvention. Dabei ist es Sache der Mitgliedstaaten festzulegen, welches die Rechte sind, deren Verletzung zu einem Rechtsbehelf in Umweltangelegenheiten führen kann (Rn. 44). Im Tenor der Entscheidung und in ihren Gründen (Rn. 48) kommt aber auch der über die Zulässigkeitsanforderungen des Rechtsbehelfs hinausreichende und zugleich inhaltlich beschränkende Ansatz zum Ausdruck, dass unionsrechtliche und unionsrechtlich veranlasste Vorschriften, die den Umweltschutz bezwecken, gerichtlicher Prüfung nicht entzogen sein dürfen. Einen weitergehenden Rechtsschutz fordert das Unionsrecht für eine Verbandsklage somit nicht ein. Entgegen der Revision ist dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 18. Oktober 2011 (Rs. C-128/09, Boxus u.a. - Slg. 2011, I-9711 = ZUR 2012, 170) nichts anderes zu entnehmen. Der Gerichtshof verweist erneut darauf, dass mit Blick auf Art. 9 Abs. 2 AK und Art. 10a UVP-RL die Mitgliedstaaten die Möglichkeit eines Überprüfungsverfahrens vorsehen müssen, damit vor einem Gericht die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen angefochten werden kann, die vom Geltungsbereich des Art. 6 der Aarhus-Konvention oder der UVP-Richtlinie erfasst werden. Die Mitgliedstaaten verfügen aufgrund ihrer Verfahrensautonomie und vorbehaltlich der Einhaltung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität aber über einen Gestaltungsspielraum bei der Durchführung von Art. 9 Abs. 2 AK und Art. 10a der UVP-RL (Rn. 51 f.).
17Diese Auslegung der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie und der Aarhus-Konvention begegnet angesichts der erwähnten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union keinen vernünftigen Zweifeln; einer erneuten Vorlage an den Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV zur Auslegung des Verbandsklagerechts nach Art. 9 Abs. 2 AK und Art. 10a UVP-RL a.F. bedurfte es daher nicht."
18Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 2013 - 7 C 36.11 -, juris Rn. 22 ff.; im Ergebnis ebenso: Seibert, Verbandsklagen im Umweltrecht, NVwZ 2013, 1040, 1043 f.; OVG NRW, u.a. Urteil vom 16. Juni 2016 - 8 D 99/13.AK -, juris Rn. 141 ff.
19Dem gegenüber geht ein zwischenzeitlich ins Gesetzgebungsverfahren eingebrachter Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 12. August 2016 (BR-Drs. 422/16) auf der Grundlage einer Entscheidung des Aarhus Convention Compliance Committee vom 20. Dezember 2013 (ACCC/C/2008/31) sowie der endgültigen Bestätigung dieser vorläufigen Entscheidung durch den Beschluss V/9h der 5. Vertragsstaatenkonferenz zur UN ECE Aarhus-Konvention vom 2. Juli 2014 in Übereinstimmung mit Teilen des Schrifttums,
20vgl. u.a. Grunow/Salzborn, Zum Prüfungsumfang der Umweltverbandsklage, ZUR 2015, 156 ff., 158; Berkemann, Die Umweltverbandsklage nach dem Urteil des EuGH vom 12. Mai 2011 - Die "noch offenen" Fragen, NuR 2011, 780 ff., 785; vgl. auch Michl, Die Umweltverbandsklage nach dem Regierungsentwurf zur Anpassung des UmwRG an europa- und völkerrechtliche Vorgaben, NuR 2016, 543 ff., 545,
21jedenfalls bei UVP-pflichtigen Vorhaben von einer Völker- bzw. Unionsrechtswidrigkeit der Beschränkung des Rügerechts der Umweltverbände auf Verstöße gegen umweltrechtliche Vorschriften wegen eines Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 2 der Aarhus-Konvention bzw. Art. 11 der UVP-Richtlinie aus. Deshalb soll diese Einschränkung in der Neufassung des UmwRG aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG und folgerichtig auch aus § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UmwRG (neu: § 2 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UmwRG) ersatzlos gestrichen werden. Entscheidend soll dem Entwurf zufolge allein sein, ob ein Verstoß gegen Rechtsvorschriften vorliegt, die für die Entscheidung von Bedeutung sind. Für andere Verfahren, also insbesondere die Vorhaben, die nicht UVP-pflichtig sind, soll es allerdings dabei bleiben, dass der Umweltverband die Verletzung umweltbezogener Rechtsvorschriften geltend machen muss. Dies wird in einem neuen Satz 2 festgelegt. Entsprechendes wird in § 2 Abs 4 Satz 1 Nr. 2 UmwRG (früher: § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 UmwRG) geregelt.
22vgl. Michl, Die Umweltverbandsklage nach dem Regierungsentwurf zur Anpassung des UmwRG an europa- und völkerrechtliche Vorgaben, NuR 2016, 543, 547, 549.
23Ob angesichts dieser Entwicklung an der Beschränkung des Rügerechts der Umweltverbände auf Verstöße gegen umweltrechtliche Vorschriften weiter festgehalten werden kann oder ob die Vorschrift des § 2 Abs. 1 und 5 UmwRG mit Blick auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts jetzt bereits europarechtskonform so ausgelegt werden muss, wie es der noch im Gesetzgebungsverfahren befindliche Gesetzesentwurf der Bundesregierung für eine mögliche künftige Gesetzesentwicklung vorzeichnet, oder ob schließlich jedenfalls der Begriff der "umweltbezogenen Vorschriften" entsprechend weit auszulegen ist,
24vgl. hierzu VG Arnsberg, Beschluss vom 27. Juli 2016 - 4 L 297/16 -, juris Rn. 43, 45,
25braucht die Kammer hier nicht zu entscheiden. Denn selbst wenn vorliegend unterstellt würde, dass dem Antragsteller ein umfassendes Rügerecht zukäme und er insoweit umfassend antragsbefugt wäre, führte dies nicht zu einem anderen Ergebnis. Denn die angefochtenen Genehmigungen verstoßen - wie noch zu zeigen sein wird - bei summarischer und auf die erhobenen Rügen des Antragstellers beschränkter Prüfung nicht gegen Rechtsvorschriften, weder gegen umweltbezogene noch gegen solche, die keinen unmittelbaren Umweltbezug aufweisen.
26Die Kammer kann vorliegend daher unterstellen, dass der Antragsteller nicht nur antragsbefugt ist, soweit er sich u.a. auf die Möglichkeit einer Verletzung des artenschutzrechtlichen Tötungsverbots nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG beruft. Er kann nach dem zuvor Gesagten voraussichtlich auch die Verletzung sonstiger Rechtsvorschriften rügen, wenn diese für die Entscheidung von Bedeutung sein können, und sich etwa auch auf die Störung der Funktionsfähigkeit der Erdbebenmessstationen berufen. Eine entscheidungserhebliche Verletzung von Rechtsvorschriften hat der Antragsteller hier substantiiert geltend gemacht. Diese ist auch nicht von vornherein ausgeschlossen.
27Der Antragsteller kann schließlich unproblematisch auch geltend machen, im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 UmwRG in seinem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes durch die angegriffene Entscheidung berührt zu sein. Dass er i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 3 UmwRG auch zur Beteiligung in einem Verfahren nach § 1 Abs. 1 Satz 1 berechtigt war und sich hier geäußert hat, ist ebenfalls nicht zweifelhaft.
28II. Der mithin zulässige Antrag ist jedoch nicht begründet.
29Die in Ziffer I. des Genehmigungsbescheides vom 23. November 2015 erfolgte Anordnung der sofortigen Vollziehung ist zunächst in formaler Hinsicht nicht zu beanstanden.
30Namentlich entspricht sie den Anforderungen der §§ 80a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, wonach das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO schriftlich zu begründen ist.
31Die schriftliche Begründung muss in nachvollziehbarer Weise die Erwägungen erkennen lassen, die die Behörde zur Anordnung der sofortigen Vollziehung veranlasst haben. Die Behörde ist verpflichtet, abgestellt auf den konkreten Fall das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung sowie die Ermessenserwägungen, die sie zur Anordnung der sofortigen Vollziehung bewogen haben, schlüssig und substantiiert darzulegen. Formelhafte und pauschale Begründungen oder Wendungen, mit denen lediglich der Gesetzestext wiederholt wird, reichen nicht aus.
32Vgl. etwa OVG NRW, Beschluss vom 8. Mai 2007 - 8 B 2477/06 -, juris Rn. 43 und 45; VG Aachen, Beschluss vom 11. Januar 2010 - 6 L 319/09 -, juris Rn. 8 und 10; Puttler, in: Sodan/Ziekow, Kommentar zur VwGO, 2. Auflage 2006, § 80 Rn. 97 m.w.N.
33In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob die zur Begründung der Vollziehungsanordnung angeführten Gründe den Sofortvollzug tatsächlich rechtfertigen und ob die für die sofortige Vollziehung angeführten Gründe erschöpfend und zutreffend dargelegt sind. Die Abwägung, ob das Aussetzungsinteresse des Antragstellers die gegenläufigen Vollziehungsinteressen der Beigeladenen überwiegt, ist vielmehr Teil der eigenständigen gerichtlichen Interessenabwägung.
34Vgl. VG Aachen, u.a. Beschluss vom 11. Januar 2010 - 6 L 319/09 -, juris Rn. 12.
35Diesen Anforderungen hat die Antragsgegnerin bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt.
36Sie hat mit Blick auf den vorliegenden Einzelfall zur Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs ausgeführt, das überwiegende private Interesse der Beigeladenen folge aus den erheblichen finanziellen Nachteilen, die ihr entstünden, wenn und solange sie von der Genehmigung keinen Gebrauch machen und die Anlage infolge eines verzögerten Baubeginns erst verspätet in Betrieb nehmen könne. Überdies spreche das öffentliche Interesse an der Erzeugung regenerativer Energien für eine sofortige Vollziehung der Genehmigung.
37Damit hat die Antragsgegnerin schlüssig und nachvollziehbar zu erkennen gegeben, aufgrund welcher konkreten Überlegungen sie gerade im vorliegenden Fall ein überwiegendes privates Interesse bzw. zusätzlich ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung als gegeben ansieht. Dies genügt, wie dargelegt, den Begründungserfordernissen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
38Die in materieller Hinsicht vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Ungunsten des Antragstellers aus.
39Maßgebliches Kriterium innerhalb der im Rahmen des §§ 80a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung sind regelmäßig die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Erweist sich der angefochtene Verwaltungsakt bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig und wird der Antragsteller hierdurch in eigenen, gerade seinem Schutz dienenden Rechtsnormen verletzt, weshalb er im Hauptsacheverfahren voraussichtlich einen Aufhebungsanspruch erfolgreich wird durchsetzen können, überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse das Vollzugsinteresse. Stellt der Verwaltungsakt sich dem gegenüber als offensichtlich rechtmäßig dar, weshalb der von dem belasteten Beteiligten eingelegte Rechtsbehelf mit erheblicher Wahrscheinlichkeit in der Hauptsache erfolglos bleiben wird, überwiegt in der Regel das Vollzugsinteresse. Darüber hinausgehende Rechtsverletzungen verschaffen dem anfechtenden Dritten keine im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigende Rechtsposition, weil ihm ein allgemeiner Gesetzesvollziehungsanspruch nicht zukommt.
40Nach § 4a Abs. 3 UmwRG ist § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO im Anwendungsbereich des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen oder wiederherstellen kann, wenn im Rahmen einer Gesamtabwägung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen.
41Der Vorschrift des § 4a Abs. 3 UmwRG ist nicht eindeutig zu entnehmen, welcher Wahrscheinlichkeitsgrad für das Vorliegen "ernstlicher Zweifel" als Prüfungsmaßstab konkret anzuwenden ist. § 4a Abs. 3 UmwRG macht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, ob die aufschiebende Wirkung angeordnet oder wiederhergestellt wird, von einer Gesamtabwägung abhängig; die erheblichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind lediglich Bestandteil dieser notwendigen Gesamtabwägung. Dabei kommt es nicht auf einen bestimmten, für alle Fälle gleichen Wahrscheinlichkeitsgrad der rechtlichen Bedenken an. Vielmehr kann hier auch ein schwächerer Grad der rechtlichen Bedenken etwa ergänzt oder verstärkt werden durch den Umstand, dass besonders gravierende, möglicherweise nicht reversible Folgen drohen, wenn das Vorhaben vor Unanfechtbarkeit der Genehmigung verwirklicht wird. Insoweit gilt, dass der Sofortvollzug umso eher auszusetzen ist, je berechtigter und gewichtiger die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidung sind. Ist ein voraussichtlicher Erfolg in der Hauptsache offensichtlich, wird sich ein privates oder öffentliches Vollzugsinteresse nur ausnahmsweise durchsetzen können. Ausgehend von diesen Grundsätzen kommt eine Aussetzung des Sofortvollzuges nicht stets erst dann in Betracht, wenn das Verwaltungsgericht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgeht, dass die Klage in der Hauptsache begründet ist. Vielmehr können im Rahmen einer Gesamtabwägung begründete Zweifel ausreichen, die die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung in Frage stellen. Insbesondere bei komplexen und komplizierten Verfahren können sich offene Erfolgsaussichten auch ohne detaillierte Prüfungen ergeben.
42Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Dezember 2015 - 8 B 400/15 -, juris Rn. 3 ff., vom 23. Juli 2014 - 8 B 356/14 -, juris Rn. 62 ff, und vom 24. Juni 2015 - 8 B 315/15-, juris Rn. 14; Seibert, NVwZ 2013, 1040, 1046 ff.
43Bei Anwendung dieses Maßstabs bestehen bei summarischer Betrachtung im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung vorliegend im Ergebnis keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Genehmigungsbescheides vom 23. November 2015, der die Genehmigungen für die sieben streitgegenständlichen Windenergieanlagen zusammenfasst. Der Genehmigungsbescheid ist formell rechtmäßig (unter 1.) und auch materiell im Ergebnis nicht zu beanstanden (unter 2.).
441. Der Genehmigungsbescheid ist zunächst formell rechtmäßig.
45Insbesondere liegen entgegen der Annahme des Antragstellers in Bezug auf die Durchführung einer erforderlichen Umweltverträglichkeitsprüfung beachtliche Verfahrensfehler i.S.d. UmwRG ebenso wenig vor (unter 1.1) wie hinsichtlich der geltend gemachten Fehlerhaftigkeit der Öffentlichkeitsbeteiligung (unter 1.2).
46Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG kann ein Kläger die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG verlangen, wenn eine erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist; gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 UmwRG gilt § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG auch dann, wenn eine durchgeführte Vorprüfung des Einzelfalls nicht dem Maßstab des § 3a Satz 4 UVPG genügt. Zudem kann die Aufhebung einer Zulassungsentscheidung begehrt werden, wenn eine erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung i.S.v. § 9 UVPG oder i.S.d. § 10 BImSchG weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UmwRG), und wenn ein anderer, nicht geheilter und nach seiner Art und Schwere vergleichbarer Verfahrensfehler vorliegt und der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen wurde, wobei zur Beteiligung am Entscheidungsprozess auch der Zugang zu den Unterlagen gehört, die zur Einsicht für die Öffentlichkeit auszulegen sind (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UmwRG). Für Verfahrensfehler, die nicht unter Abs. 1 fallen, gilt § 46 VwVfG. Lässt sich durch das Gericht nicht aufklären, ob ein Verfahrensfehler nach Satz 1 die Entscheidung in der Sache beeinflusst hat, wird eine Beeinflussung vermutet (§ 4 Abs. 1a UmwRG). Unberührt bleiben §§ 45 Abs. 2 und 75 Abs. 1a VwVfG (§ 4 Abs. 1b Satz 1 UmwRG). Auf Antrag kann das Gericht anordnen, dass die Verhandlung bis zur Heilung von Verfahrensfehlern im Sinne der Absätze 1 und 1a ausgesetzt wird, soweit dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist (§ 4 Abs. 1b Satz 2 UmwRG).
47Die aktuelle Fassung des § 4 UmwRG ist vorliegend auch anwendbar. Die Regelungen des § 4 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 1a und 1b UmwRG hat der Gesetzgeber zwar mit Wirkung erst zum 26. November 2015 durch das "Gesetz zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes zur Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 7. November 2013 in der Rechtssache C-71/12" neu in das UmwRG eingefügt. Anwendungsprobleme ergeben sich vorliegend angesichts des Umstandes, dass der angefochtene Genehmigungsbescheid vom 23. November 2015 im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neuregelung bereits erlassen worden war, aber nicht, da der Gesetzgeber mit dem Erlass des Änderungsgesetzes lediglich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes reagiert hat und es sich daher um die Umsetzung bislang bereits geltenden (Unions)Rechts in nationales Recht handelt.
48Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs konnte die Anwendbarkeit der nationalen Vorschriften zur Umsetzung von Art 10a der UVP-Richtlinie (Richtlinie 85/337/EWG) nicht allein auf den Fall beschränkt werden, dass die Anfechtung der Rechtmäßigkeit auf das (vollständige) Unterbleiben einer Umweltverträglichkeitsprüfung gestützt wird. Der Ausschluss ihrer Anwendbarkeit in dem Fall, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung zwar durchgeführt wurde, aber mit - unter Umständen schwerwiegenden - Fehlern behaftet ist, würde den Bestimmungen der Richtlinie 85/337 über die Beteiligung der Öffentlichkeit weitgehend ihre praktische Wirksamkeit nehmen.
49Vgl. EuGH, Urteile vom 7. November 2013 - C-72/12 -, juris Rn. 36 ff., 38, und vom 15. Oktober 2015 - C-137/14 -, juris Rn. 47 ff., 49.
50Weiter hat der EuGH zu der bis dato geltenden deutschen Rechtslage, dass ein sonstiger Verfahrensfehler (z.B. nicht vollständig fehlende, aber fehlerhaft durchgeführte UVP) u.U. nach § 46 VwVfG unbeachtlich sein konnte, entschieden, dass der Unionsgesetzgeber die Möglichkeit, einen Verfahrensfehler geltend zu machen, nicht an die Voraussetzung knüpfen wollte, dass dieser Fehler Auswirkungen auf den Inhalt der angegriffenen endgültigen Entscheidung hatte (sog. Kausalitätskriterium). Die in Art. 10a der Richtlinie aufgestellten neuen Anforderungen implizieren nach Auffassung des EuGH daher, dass eine Rechtsverletzung nur dann verneint werden kann, wenn das Gericht in Bezug auf das Kausalitätskriterium - ohne dem Rechtsbehelfsführer insoweit in irgendeiner Form die Beweislast aufzubürden, aber gegebenenfalls anhand der vom Bauherrn oder von den zuständigen Behörden vorgelegten Beweise und allgemeiner der gesamten dem Gericht oder der Stelle vorliegenden Akte - zu der Feststellung in der Lage ist, dass die angegriffene Entscheidung ohne den vom Rechtsbehelfsführer geltend gemachten Verfahrensfehler nicht anders ausgefallen wäre. Bei dieser Beurteilung ist es Sache des betreffenden Gerichts, u. a. den Grad der Schwere des geltend gemachten Fehlers zu berücksichtigen und dabei insbesondere zu prüfen, ob dieser Fehler der betroffenen Öffentlichkeit eine der Garantien genommen hat, die geschaffen wurden, um ihr im Einklang mit den Zielen der Richtlinie 85/337 Zugang zu Informationen und die Beteiligung am Entscheidungsprozess zu ermöglichen.
51Vgl. EuGH, Urteile vom 7. November 2013 - C-72/12 -, juris Rn. 47 ff., 53, und vom 15. Oktober 2015 - C-137/14 -, juris Rn. 55 ff., 60.
52Das Bundesverwaltungsgericht führt in aktuellen Entscheidungen zu dieser Gesetzesänderung und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zusammenfassend und erläuternd aus:
53" Ziel der Neuregelung ist es, in § 4 UmwRG noch "deutlicher zwischen absoluten (Absatz 1) und relativen (Absatz 1a) Verfahrensfehlern" zu unterscheiden (BT-Drs. 18/5927 S. 9). Die in § 4 Abs. 1 UmwRG geregelten, um weitere Fehlergruppen ergänzten absoluten Verfahrensfehler führen - wie bisher - ohne weiteres, d.h. unabhängig von den in § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO und § 46 VwVfG geregelten Voraussetzungen, zur Aufhebung des Verwaltungsakts. Nicht unter Absatz 1 fallende - relative - Verfahrensfehler werden nunmehr in § 4 Abs. 1a UmwRG n.F. gesetzlich geregelt. § 4 Abs. 1a Satz 1 UmwRG n.F. stellt klar, dass bei relativen Verfahrensfehlern - anders als bei absoluten Verfahrensfehlern - § 46 VwVfG gilt.
54In der Sache hat der Gesetzgeber damit dreierlei geregelt: Zum einen hat er klargestellt, dass § 46 VwVfG für nicht unter § 4 Abs. 1 UmwRG n.F. fallende - relative - Verfahrensfehler weiterhin maßgeblich ist mit der Folge, dass eine Aufhebung eines Verwaltungsakts nicht allein wegen dieses Fehlers beansprucht werden kann, wenn offensichtlich ist, dass der Fehler die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
55Zum Zweiten hat er die nach § 86 VwGO bestehende Pflicht des Gerichts zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen hervorgehoben, die es im vorliegenden Zusammenhang gebietet, zu untersuchen, ob es offensichtlich ist, dass die angegriffene Entscheidung ohne den vom Kläger geltend gemachten Verfahrensfehler nicht anders ausgefallen wäre. Dies stimmt auch mit der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 16. Dezember 2015 - 1 BvR 685/12 - juris Rn. 23
Zum Dritten hat der Gesetzgeber die Folgen eines non liquet geregelt. Gelingt es dem Gericht, sich auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnismittel davon zu überzeugen, dass die Entscheidung auch ohne den festgestellten Verfahrensfehler nicht anders ausgefallen wäre, führt der Fehler gemäߠ§ 46 VwVfG weder zur Aufhebung noch zur Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit des Verwaltungsakts. Gelingt ihm diese Überzeugungsbildung nicht, greift die Vermutungsregelung des § 4 Abs. 1a Satz 2 UmwRG n.F., die der Sache nach für den Fall eines non liquet eine materielle Beweislastregel zu Lasten der Behörde enthält. Damit hat der Bundesgesetzgeber insgesamt den Anforderungen entsprochen, die der Europäische Gerichtshof (EuGH, Urteil vom 7. November 2013 - C-72/12 - Rn. 51) genannt hat, um nach nationalem Recht davon auszugehen, dass eine Rechtsverletzung im Sinne von Art. 11 Abs. 1 Buchst. b der UVP-RL nicht vorliegt. Unionsrechtliche Bedenken gegen § 4 Abs. 1a UmwRG n.F. bestehen mithin nicht."
57Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Januar 2016 - 4 A 5.14 -, juris Rn. 37 ff., 42 ff., und Beschluss vom 21. Juni 2016 - 9 B 65.15 -, juris Rn. 5, 21 f.
58Dabei genügt der bloße Hinweis, es seien "keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich", dass ohne den festgestellten Verfahrensfehler bei der Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung der Inhalt der Entscheidung anders ausgefallen wäre, nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Kausalitätsprüfung. Vielmehr muss die fehlende Kausalität zur Überzeugung des erkennenden Gerichts auf der Grundlage der benannten Erkenntnismittel feststehen.
59Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juni 2016 - 9 B 65.15 -, juris Rn. 6, 22.
60Dies vorausgeschickt ist ein beachtlicher Verfahrensfehler vorliegend nicht festzustellen.
611.1 Bei dem streitgegenständlichen Vorhaben handelt es sich zunächst, wie aufgezeigt, um ein Vorhaben i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG, für das eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen kann. Vorliegend ist die Antragsgegnerin bei ihrer Vorprüfung zu dem Ergebnis gekommen ist, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden muss. Die daraufhin durchgeführte Umweltverträglichkeitsprüfung genügt in verfahrensrechtlicher Hinsicht den Anforderungen der §§ 5 ff. UVPG, 1 ff. der 9. BImSchV.
62Die Antragsgegnerin hat auf der Grundlage der gutachterlichen Untersuchung des Büros ecoda Umweltgutachten vom 23. Oktober 2014 zunächst eine Ermittlung und Beschreibung der unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen des Vorhabens auf Menschen einschließlich der menschlichen Gesundheit, Tiere, Pflanzen und die biologische Vielfalt, Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft, Kultur- und sonstige Sachgüter, sowie die Wechselwirkung zwischen den vorgenannten Schutzgütern einschließlich der Maßnahmen, mit denen erhebliche nachteilige Auswirkungen des Vorhabens auf die betrachteten Schutzgüter vermieden, vermindert oder ausgeglichen werden, sowie der Ersatzmaßnahmen bei nicht ausgleichbaren aber vorrangigen Eingriffen in Natur und Landschaft vorgenommen (vgl. §§ 1a der 9. BImSchV, 2 Abs. 1 UVPG). Diese Umweltauswirkungen hat sie sodann auf der Grundlage einer zusammenfassenden Darstellung (vgl. S. 134 ff. des Genehmigungsbescheids) bewertet und bei ihrer Genehmigungsentscheidung berücksichtigt (vgl. § 20 Abs. 1a und 1b der 9. BImSchV, §§ 11 und 12 UVPG). Dieses Verfahren entspricht den gesetzlichen Vorgaben und ist nicht zu beanstanden.
63Der Einwand des Antragstellers, die tatsächlichen Grundlagen für die Beurteilung der möglichen Umweltauswirkungen des Vorhabens seien in vielfacher Hinsicht nur unzureichend ermittelt worden, zielt weniger auf das Vorliegen eines Verfahrensfehlers. Denn sollten die Ermittlungen der Antragsgegnerin tatsächlich unzureichend sein, wirkte sich dies vielmehr unmittelbar materiell-rechtlich aus und führte etwa im Fall der gerügten fehlerhaften Ermittlung der Fledermausaktivitäten unmittelbar auf das Vorliegen eines Verstoßes gegen das artenschutzrechtliche Tötungsverbot. Hierauf wird im Zusammenhang mit der Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit des Genehmigungsbescheides näher einzugehen sein (unter 2.).
641.2 Der Einwand des Antragstellers, dass es nach §§ 10 Abs. 1 Satz 4 der 9. BImSchV, 9 Abs. 1b UVPG im Rahmen der Beteiligung der Öffentlichkeit zwingend einer Auslegung der nachgereichten Fachgutachten, namentlich
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des Baugrundgutachtens der Dr. Koppelberg & Gerdes GmbH vom 27. Mai 2015,
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der brandschutztechnischen Stellungnahme des Dipl.-Ing. Raftelis vom 13. Oktober 2015 (Ergänzung zum Brandschutzkonzept [Index A] vom 21. Oktober 2014) und
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der Haselmaus- und Baumhöhlenerfassung des Büros pro terra aus dem Jahr 2013,
sowie einer erneuten Öffentlichkeitsbeteiligung mit Blick auf die
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geänderte Erschließung der WEA 6 und 7
bedurft hätte, ist im Ergebnis nicht berechtigt. Der Einwand zielt auf das Vorliegen eines relativen Verfahrensfehlers i.S.d. § 4 Abs. 1a UmwRG. Denn keiner der gerügten möglichen Verfahrensfehler ist nach Art und Schwere mit dem vollständigen Fehlen der Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. einer Vorprüfung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG oder dem vollständigen Fehlen einer Öffentlichkeitsbeteiligung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UmwRG vergleichbar (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 lit. b UmwRG). Beanstandet wird seitens des Antragstellers lediglich die fehlende Auslegung einzelner Unterlagen sowie die fehlende erneute Öffentlichkeitsbeteiligung bezüglich der geänderten Erschließung zweier Windenergieanlagen. Dass diese möglichen Fehler nach Art und Schwere nicht mit dem vollständigen Fehlen einer Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. einer Öffentlichkeitsbeteiligung vergleichbar sind, liegt auf der Hand und bedarf auch mit Blick auf die zitierte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes keiner näheren Darlegung.
75Vgl. insofern auch die Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 7. September 2015, BT-Drs. 18/5927, S. 10.
76Ein relativer Verfahrensfehler ist insoweit aber nicht festzustellen.
77Die Bekanntmachung nach § 10 Abs. 3 BImSchG i.V.m. § 8 Abs. 1 der 9. BImSchV dient ebenso wie die Auslegung neben der vollständigen und zügigen Sachverhaltsermittlung vor allem auch der Unterrichtung der Öffentlichkeit über das geplante Vorhaben und ermöglicht damit insbesondere betroffenen Dritten, sich durch die Erhebung von Einwendungen am Verfahren zu beteiligen. Ist dieser Zweck bereits durch eine Bekanntmachung und Auslegung in einem früheren Verfahrensabschnitt erreicht, bedarf es keiner erneuten Bekanntmachung, so dass von ihr abgesehen werden kann.
78Vgl. Dietlein in: Landmann/Rohmer, BImSchG, Loseblatt-Sammlung (Stand: Dezember 2011), § 10 Rn. 70, 87; 9. BImSchV, § 8 Rn. 4.
79Nach § 8 Abs. 2 Satz 3 der 9. BImSchV darf die Genehmigungsbehörde, wenn das Vorhaben während des Genehmigungsverfahrens geändert wird, von einer zusätzlichen Bekanntmachung und Auslegung absehen, wenn in den nach § 10 Abs. 1 BImSchG auszulegenden Unterlagen keine Umstände darzulegen wären, die nachteilige Auswirkungen für Dritte besorgen lassen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn erkennbar ist, dass nachteilige Auswirkungen für Dritte durch die getroffenen oder vom Träger des Vorhabens vorgesehenen Maßnahmen ausgeschlossen werden oder die Nachteile im Verhältnis zu den jeweils vergleichbaren Vorteilen gering sind. Betrifft das Vorhaben eine UVP-pflichtige Anlage, darf von einer zusätzlichen Bekanntmachung und Auslegung nur abgesehen werden, wenn keine zusätzlichen oder anderen erheblichen Auswirkungen auf in § 1a der 9. BImSchV genannte Schutzgüter zu besorgen sind.
80Entscheidend ist daher nach § 8 Abs. 2 Satz 3 der 9. BImSchV zum einen, ob überhaupt eine Änderung des Vorhabens vorliegt, und zum anderen, ob von dieser zusätzliche oder andere erhebliche Auswirkungen auf die in § 1a der 9. BImSchV genannten Schutzgüter zu besorgen sind.
81Hinsichtlich der fehlenden Auslegung des nachgereichten Gutachtens Koppelberg & Gerdes vom 27. Mai 2015 bzw. der im Vorfeld des Genehmigungsverfahrens verfassten Haselmaus- und Baumhöhlenerfassung 2013 fehlt es bereits an einer Änderung des Vorhabens. § 8 Abs. 2 Satz 3 der 9. BImSchV ist daher nicht einschlägig.
82§ 10 Abs. 3 Satz 3 BImSchG bestimmt insoweit, dass weitere Informationen, die für die Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens von Bedeutung sein können und die der zuständigen Behörde erst nach Beginn der Auslegung vorliegen, der Öffentlichkeit (allein) nach den Bestimmungen über den Zugang zu Umweltinformationen zugänglich zu machen sind. Eine Verpflichtung zu einer erneuten Auslegung nachgereichter, aber keine Änderung des Vorhabens betreffender Unterlagen ergibt sich weder aus den landesrechtlichen Regelungen des Umweltinformationsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen noch aus dem in § 2 des Gesetzes in Bezug genommenen bundesrechtlichen Umweltinformationsgesetz. Der Anspruch auf Zugang zu Umweltinformationen ist grundsätzlich antragsgebunden (§ 4 Abs. 1 UIG).
83Vgl. Dietlein in: Landmann/Rohmer, BImSchG, § 10 Rn. 95b.
84Ob mit Blick auf die dargestellte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zum weiten Zugang der "betroffenen Öffentlichkeit" zum Genehmigungsverfahren und unter Berücksichtigung der nach § 10 UIG bestehenden Verpflichtung der Behörden, die Öffentlichkeit aktiv und systematisch über die Umwelt zu informieren und Umweltinformationen zu verbreiten, die für ihre Aufgaben von Bedeutung sind und über die sie verfügen, ein Anspruch der Öffentlichkeit auf Information über nachgereichte Unterlagen eines umweltrelevanten Genehmigungsverfahrens auch ungeachtet eines Antrages auf Zugänglichmachung nach dem UIG entstehen kann, kann die Kammer hier dahinstehen lassen. Denn jedenfalls könnte eine solche Verpflichtung, von Amts wegen nachgereichte Unterlagen, die sich nicht auf eine Änderung des Vorhabens beziehen, auszulegen, nicht weiter reichen als die Verpflichtung der Genehmigungsbehörde aus § 8 Abs. 2 Satz 3 der 9. BImSchV. Allenfalls dann, wenn nachgereichte Unterlagen erheblich sind und zusätzliche oder andere erhebliche Auswirkungen auf die genannten Schutzgüter beschreiben, könnte sich aus den dargelegten Gründen eine Verpflichtung der Behörde zu einer Auslegung dieser Unterlagen ergeben.
85Dies ist hier aber nicht festzustellen.
86(1) Das Baugrundgutachten Koppelberg & Gerdes hat insbesondere die Prüfung des Baugrundes im unmittelbaren Bereich der Fundamente der Windenergieanlagen zum Gegenstand. Dass in diesem Gutachten auch die Bodenverhältnisse des Münsterwaldes insgesamt dargestellt werden, führt nicht zu der vom Antragsteller angenommenen besonderen Bedeutung des Gutachtens für die Beurteilung der Auswirkungen des Vorhabens auf die Schutzgüter. Die gutachterlichen Feststellungen ergänzen vielmehr lediglich die zu den geohydrologischen Verhältnissen im Vorhabengebiet ohnehin bereits zur Verfügung stehenden anderen Erkenntnisquellen (Gutachten Prof. Dr. Ing. Dieler und Partner vom 12. März 2014, Bodenfunktionskarten u.Ä.) und die in der Umweltverträglichkeitsstudie bereits erfolgte intensive Thematisierung und Bewertung der Auswirkungen des Vorhabens auf die Schutzgüter Boden und Wasser (vgl. UVS: Ziffer 4.3 - Boden -, S. 17 ff., Ziffer 6.2 - Boden -, S. 58 ff., und Ziffer 6.3 - Wasser -, S. 61 ff.; vgl. auch S. 12-21 des Landschaftspflegerischen Begleitplans vom 23. Oktober 2014). Dass das Gutachten Koppelberg & Gerdes hier zu einer abweichenden Einschätzung und der Annahme zusätzlicher oder anderer erheblicher Auswirkungen des Vorhabens auf die Schutzgüter Boden und Wasser kommt, ist nicht erkennbar. Angesichts dessen wäre selbst dann, wenn man insoweit einen relativen Verfahrensfehler annähme, offensichtlich, dass der Fehler die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat (§ 4 Abs. 1a Satz 1 UmwRG i.V.m. § 46 VwVfG), zumal sich das Landesbüro der Naturschutzverbände NRW in seiner Einwendungsschrift vom 3. März 2015 ausführlich mit den Auswirkungen des Vorhabens auf die Schutzgüter Boden und Wasser beschäftigt hat (S. 56 ff.).
87(2) Die Haselmaus- und Baumhöhlenerfassung 2013 musste schließlich bereits deswegen nicht zwingend ausgelegt werden, weil sie der Entscheidung überhaupt nicht zugrunde lag, sondern im Vorfeld des förmlichen Genehmigungsverfahrens erstellt wurde und lediglich Grundlage für spätere Untersuchungen war. Diese Unterlagen waren daher als allgemeine Umweltinformationen ohnehin nur auf entsprechenden Antrag hin der Öffentlichkeit nach den Bestimmungen des UIG zugänglich zu machen.
88(3) Eine Änderung des Vorhabens im Sinne des § 8 Abs. 2 Satz 3 der 9. BImSchV dürfte hingegen in brandschutztechnischer Sicht in der nachträglichen Einrichtung automatischer Löschvorrichtungen liegen. Diese Änderung ist offenbar aufgrund entsprechender Einwände im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung erfolgt.
89Vgl. hierzu Dietlein in: Landmann/Rohmer, 9. BImSchV, § 8 Rn. 9; ebenso VG Weimar, Beschluss vom 30. September 2014 - 7 E 925/14 We -, juris Rn. 127.
90Vorliegend dürfte sich die in der brandschutztechnischen Stellungnahme Raftelis vom 13. Oktober 2015 betrachtete nachträgliche Einrichtung automatischer Löschvorrichtungen aber als lediglich vorteilhaft erweisen und offenkundig zu keinen zusätzlichen oder anderen erheblichen Auswirkungen auf in § 1a der 9. BImSchV genannte Schutzgüter führen.
91(4) Eine Änderung des Vorhabens liegt auch in der geänderten Erschließung der östlich der Bundesstraße 258 (Himmelsleiter) liegenden Anlagen WEA 6 und 7. Ursprünglich war nach dem von der Beigeladenen vorgelegten Verkehrskonzept vorgesehen, die verkehrliche Erschließung der Anlagen für die Bauphase (Baustellenzufahrten) und für im Betrieb notwendig werdende Wartungsarbeiten (dauerhafte Zufahrten) über Ein- und Ausfahrten zur Bundesstraße 258 vorzunehmen. Nachdem der Landesbetrieb Straßenbau NRW wiederholt die Erteilung der erforderlichen Ausnahmegenehmigung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. 8 FStrG abgelehnt hatte, wurde die Planung der dauerhaften Zufahrten verändert. Die westlich der Bundesstraße 258 gelegenen Windenergieanlagen sollen nunmehr dauerhaft über einen an die Straße "Mühle" anschließenden Erschließungsweg, die beiden östlich der Bundesstraße 258 gelegenen Anlagen über einen von der Kreisstraße 40 abzweigenden Erschließungsweg dauerhaft für notwendig werdende Wartungsarbeiten angebunden werden. Diese Änderung erfordert die Neuanlage einer 174 m langen und 4 m breiten geschotterten Zufahrt zur Kranstellfläche der geplanten WEA 6 (vgl. die auf den 16. Oktober 2015 datierende "Ergänzung zum Landschaftspflegerischen Begleitplan Teile I und II vom 23. Oktober 2014"). Zusätzliche Auswirkungen jedenfalls auf das Schutzgut Boden sind angesichts der erforderlichen dauerhaften Bodenveränderungen nicht auszuschließen, weshalb eine erneute Öffentlichkeitsbeteiligung zu diesem Punkt erforderlich gewesen sein dürfte.
92Dieser relative Verfahrensfehler hat hier aber offensichtlich die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst (§ 4 Abs. 1a Satz 1 UmwRG i.V.m. § 46 VwVfG). Denn die zusätzlichen Auswirkungen auf die Schutzgüter Boden und Wasser sind gering. Für die Herstellung des neuen Erschließungsweges werden Böden auf einer Fläche von 695 m² teilversiegelt. Davon liegen 238 m² im Bereich der ohnehin freizumachenden Kranauslegerfläche. Lediglich 457 m² werden zusätzlich zu den ursprünglich für die Erschließungsmaßnahmen bereits erforderlichen 15.289 m² in Anspruch genommen. Die Antragsgegnerin hat insoweit zu Recht darauf hingewiesen, dass diese Inanspruchnahme bei einer Gesamtbetrachtung nicht ins Gewicht fällt, insbesondere nicht bezogen auf den ursprünglich bestehenden gesamten Flächenbedarf von bereits 30.099 m². Ebenfalls nicht ins Gewicht fällt die vom Antragsteller gerügte Verlängerung der Fahrtstrecken für die nur gelegentlich notwendig werdenden Fahrten zu Wartungszwecken von bislang 690 m auf nunmehr 1.900 m. Angesichts dessen und unter Berücksichtigung fehlender Erschließungsalternativen für die WEA 6 und 7 ist hier davon auszugehen, dass die fehlende erneute Öffentlichkeitsbeteiligung zur Frage der geänderten Erschließung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat und daher nicht zur Aufhebung des angefochtenen Genehmigungsbescheides führt.
93(5) Ein Verfahrensfehler liegt schließlich auch nicht hinsichtlich der vom Antragsteller gerügten fehlenden bzw. fehlerhaften Beteiligung des Geologischen Dienstes vor. Auch diese Rüge zielt auf das Vorliegen eines relativen Verfahrensfehlers i.S.d. § 4 Abs. 1a UmwRG, weil die fehlende oder fehlerhafte Beteiligung eines einzelnen Trägers öffentlicher Belange nicht mit dem vollständigen Fehlen der Öffentlichkeitsbeteiligung vergleichbar ist (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3b UmwRG).
94Der Antragsteller ist zunächst mit dieser Rüge nicht präkludiert. Der Einwendungsausschluss des § 2 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 UmwRG ist vielmehr unionsrechtswidrig und kann dem Antragsteller daher nicht entgegengehalten werden.
95Vgl. EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2015 - C-137/14 -, juris Rn. 75 ff.; OVG NRW, Urteil vom 16. Juni 2016 - 8 D 99/13.AK -, juris Rn. 146 f.; Michl, NuR 2016, 543, 545.
96Die Beteiligung des Geologischen Dienstes ist im Ergebnis aber fehlerfrei erfolgt.
97Nach § 10 Abs. 5 Satz 1 BImSchG i.V.m. § 11 Satz 1 der 9. BImSchV soll die Genehmigungsbehörde spätestens gleichzeitig mit der öffentlichen Bekanntmachung des Vorhabens die Behörden, deren Aufgabenbereich durch das Vorhaben berührt wird, auffordern, für ihren Zuständigkeitsbereich eine Stellungnahme abzugeben.
98Vorliegend steht in Rede, ob der Geologische Dienst als Betreiber von Erdbebenmessstationen wegen der Möglichkeit der Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit dieser Anlagen durch den Betrieb von Windenergieanlagen im Rahmen der Behördenbeteiligung zu beteiligen gewesen ist.
99Der aktualisierte "Erlass für die Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen und Hinweise für die Zielsetzung und Anwendung" (Windenergie-Erlass NRW) vom 4. November 2015 hat in Ziffer 8.2.12 erstmals diese Problematik aufgegriffen und führt insoweit aus:
100" In Planungs- und Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen ist der Geologische Dienst NRW diesbezüglich in einem Umkreis von 10 km um die auf der Internetseite des Geologischen angegebenen Standorte der Erdbebenmessstationen zwingend zu beteiligen (http://www.gd. nrw.de/gg_erdbebenstationsnetz.htm). Der Geologische Dienst NRW führt eine Einzelfallprüfung durch, ob und inwieweit die beabsichtigte Errichtung und der Betrieb der Windenergieanlage zu Beeinträchtigungen des Betriebs der Erdbebenmessstationen führen kann. Somit besteht im Planungsverfahren für den Geologischen Dienst die Möglichkeit, auf eine eventuelle Beeinträchtigung von Erdbebenmessstationen hinzuweisen und auf das Erfordernis einer Einzelfallprüfung im Genehmigungsverfahren aufmerksam zu machen. Je nach Stellungnahme des Geologischen Dienstes im Rahmen des Verfahrens zur Änderung des Flächennutzungsplanes muss die planende Gemeinde bewerten, ob die entsprechenden Bereiche als harte Tabuzonen einzuordnen sind. In den Fällen, in denen eine Windenergienutzung grundsätzlich nicht ausgeschlossen ist, kann sie jedoch nicht von einer harten Tabuzone ausgehen. Zur Absicherung ihrer Planungsentscheidung kann der Gemeinde empfohlen werden, den Geologischen Dienst um eine (unverbindliche) Vorprüfung anhand von Beispielanlagen mit konkreten Angaben zu Standort, Art und Höhe der Anlagen zu bitten. Die Stellungnahme des Geologischen Dienstes NRW ist in Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen zu berücksichtigen."
101Auch die Kammer geht davon aus, dass der Geologische Dienst jedenfalls dann im Genehmigungsverfahren zu beteiligen ist, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass sein Aufgabenbereich durch das Vorhaben berührt wird. Dies dürfte vorliegend der Fall sein.
102Zwar liegen die vom Geologischen Dienst betriebenen Messstationen in Aachen, Großhau, an der Urfttalsperre und an der Oleftalsperre so weit vom Vorhabengebiet entfernt, dass eine Beeinträchtigung durch den Betrieb der genehmigten Windenergieanlagen ausgeschlossen sein dürfte. Im Nahbereich des Vorhabenstandorts befinden sich aber Messstationen, die von Kooperationspartnern des Geologischen Dienstes betrieben werden. Auf diese wird auf der im Windenergie-Erlass NRW in Bezug genommenen Homepage des Geologischen Dienstes ausdrücklich hingewiesen. Zu den Kooperationspartnern gehören die Erdbebenstation Bensberg der Universität Köln als Betreiberin der Messstationen Kalltalsperre (8,5 km Entfernung) und Dreilägerbachtalsperre (1,5 km Entfernung) sowie die Afdeling Seismologie der Koninglijken Sterrenwacht van Belgie als Betreiberin der Messstation im belgischen Ternell (9 km Entfernung). Eine Beeinträchtigung der Funktionen dieser Messstationen, die wegen der engen Zusammenarbeit der Kooperationspartner mit dem Geologischen Dienst unmittelbar auch der Erdbebenüberwachung des Landes Nordrhein-Westfalen dienen, berührt nach Auffassung der Kammer auch den Aufgabenbereich des Geologischen Dienstes, weshalb er - wie vom Windenergie-Erlass NRW vorgegeben - im Genehmigungsverfahren zu beteiligen war.
103Eine Beteiligung des Geologischen Dienstes hat zwar im Verfahren der Änderung Nr. 117 des Flächennutzungsplans 1980 der Stadt Aachen stattgefunden, im Genehmigungsverfahren hingegen zunächst nicht. Die Beteiligung des Geologischen Dienstes wurde aber ordnungsgemäß nachgeholt und der ursprünglich möglicherweise bestehende Verfahrensfehler damit wirksam i.S.d. § 45 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 VwVfG geheilt (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 3a, Abs. 1b Nr. 1 UmwRG).
104Ausgelöst durch eine Fachaufsichtsbeschwerde des Vereins Natur- und Landschaftsschutz Nordeifel e.V. und auf Betreiben der Bezirksregierung Köln hat die Antragsgegnerin den Geologischen Dienst mit Schreiben vom 4. Januar 2016 um Mitteilung gebeten, welche Maßnahmen ggf. durch den Betreiber zu veranlassen sind, damit es nicht zu einer unzulässigen Beeinträchtigung von Messstationen des Geologischen Dienstes im 10 km - Umkreis vom Vorhabengebiet kommt. Der Geologische Dienst hat mit Schreiben vom 10. Februar 2016 geantwortet und auf das Vorhandensein der drei Messstationen der Kooperationspartner hingewiesen und ausgeführt, dass es "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" zu einer Beeinträchtigung dieser Messstationen kommen werde.
105Durch Erlass des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen vom 17. März 2016 wurde das Beteiligungsverfahren im Einzelnen geregelt und betont, dass der Geologische Dienst im Genehmigungsverfahren im Einzelfall die konkrete Möglichkeit einer unzulässigen Störung der Funktionsfähigkeit der Messstationen plausibel und begründet darlegen müsse. Auf dieser Grundlage sei dann der fachliche Sachverhalt durch ein Gutachten des Betreibers der Windenergieanlage zu ermitteln. Sei dies geschehen, untersuche die Genehmigungsbehörde in zwei Stufen, ob eine Störung vorliege (1. Stufe) und ob diese Beeinträchtigung im Ergebnis einer vorzunehmenden Abwägung dem im Außenbereich privilegierten Vorhaben entgegenstehe (2. Stufe). Die sonstigen Betreiber seismologischer Stationen seien bei Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen in den stationsspezifischen Abständen zu beteiligen und die von ihnen eingehenden Stellungnahmen nach den gleichen Maßstäben zu bewerten.
106Daraufhin hat die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 3. Mai 2016 gestützt auf den neuen Erlass auch die Erdbebenstation Bensberg der Universität Köln um dezidierte Stellungnahme zu einer möglichen Beeinträchtigung der Messstation in der Staumauer der Dreilägerbachtalsperre (diese wurde wegen des geringen Abstandes zum Vorhabengebiet als möglicherweise kritisch eingestuft) und zu möglichen Ausgleichs- und Vermeidungsmaßnahmen gebeten. Mit Schreiben vom 31. Mai 2016 hat die Universität Köln darauf hingewiesen, dass es derzeit kein verlässliches, allgemein akzeptiertes Prognoseverfahren für die Erschütterungswirkung von einzelnen oder Gruppen von Windenergieanlagen unterschiedlicher Bauart bei unterschiedlichen Betriebszuständen und für beliebigen geologischen Untergrund im Entfernungsbereich von 1 bis 10 km gebe. Die derzeit noch offenen Fragen seien erst nach umfangreichen Untersuchungen, wie sie von der Energieagentur NRW geplant seien, zu beantworten.
107Eine Beteiligung des Geologischen Dienstes und auch der Kooperationspartnerin, die im Nahbereich zum Vorhabengebiet Erdbebenmessstationen betreibt, ist daher nachträglich erfolgt. Für die Frage, ob ein in der ursprünglich unterlassenen Beteiligung des Geologischen Dienstes möglicherweise begründeter Verfahrensfehler zwischenzeitlich geheilt worden ist, kommt es allein darauf an, ob dieser Träger öffentlicher Belange Gelegenheit hatte, zum Genehmigungsverfahren unter besonderer Berücksichtigung der Belange seines Aufgabenbereiches Stellung zu nehmen. Dies ist hier der Fall. Ob insoweit tatsächlich eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange vorliegt, ist keine Frage des formellen Verfahrensrechts mehr, sondern Gegenstand der materiell-rechtlichen Prüfung (hierzu unter 2.).
108Weitere formelle Fehler hat der Antragsteller nicht gerügt. Sie sind auch bei der von Amts wegen vorzunehmenden Überprüfung nicht erkennbar.
1092. Der mithin formell rechtmäßige Genehmigungsbescheid ist auch materiell rechtmäßig.
110Rechtsgrundlage für die angefochtene Genehmigung zur Errichtung der Windenergieanlage ist § 6 BImSchG. Danach ist die erforderliche Genehmigung zu erteilen, wenn
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1. sichergestellt ist, dass die sich aus § 5 und einer auf Grund des § 7 erlassenen Rechtsverordnung ergebenden Pflichten erfüllt werden, und
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2. andere öffentlich-rechtliche Vorschriften und Belange des Arbeitsschutzes der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegenstehen.
Der Genehmigungsbescheid der Antragsgegnerin vom 23. November 2015 erweist sich bei summarischer Überprüfung auch als materiell rechtmäßig.
116Dem Vorhaben stehen insbesondere planungsrechtliche Belange nicht entgegen.
117Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich nach § 35 BauGB, weil es sich um ein Vorhaben im Außenbereich handelt. Nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB sind im Außenbereich Windenergieanlagen als so genannte privilegierte Vorhaben zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen und die ausreichende Erschließung gesichert ist.
118Nach § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB liegt eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange insbesondere vor, wenn das Vorhaben
1191. den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspricht,
1202. den Darstellungen eines Landschaftsplans oder sonstigen Plans, insbesondere des Wasser-, Abfall- oder Immissionsschutzrechts, widerspricht,
1213. schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann oder ihnen ausgesetzt wird,
1224. unwirtschaftliche Aufwendungen für Straßen oder andere Verkehrseinrichtungen, für Anlagen der Versorgung oder Entsorgung, für die Sicherheit oder Gesundheit oder für sonstige Aufgaben erfordert,
1235. Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege, des Bodenschutzes, des Denkmalschutzes oder die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert beeinträchtigt oder das Orts- und Landschaftsbild verunstaltet,
1246. Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur beeinträchtigt, die Wasserwirtschaft oder den Hochwasserschutz gefährdet,
1257. die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt oder
1268. die Funktionsfähigkeit von Funkstellen und Radaranlagen stört.
127Somit sind Windenergieanlagen dem Außenbereich infolge ihrer Privilegierung im Grundsatz planähnlich zugewiesen. Sie sind allerdings im Einzelfall nicht zulässig, wenn die in § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB beispielhaft aufgezählten Belange dem Vorhaben entgegenstehen. Denn selbst wenn privilegierten Vorhaben ein besonders starkes Gewicht zukommt, folgt daraus nicht, dass sie an jedem beliebigen Standort im Außenbereich zulässig sind. Auch für privilegierte Anlagen gilt das Gebot der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs. Mit § 35 Abs. 1 BauGB hat der Gesetzgeber den Außenbereich insbesondere nicht generell als Baubereich für privilegierte Vorhaben freigegeben, sondern ihre Zulässigkeit vielmehr von der Einzelfallprüfung abhängig gemacht, ob ihnen an einem konkreten Standort öffentliche Belange entgegenstehen.
128Ein Entgegenstehen ist allerdings nicht schon im Falle der Beeinträchtigung anzunehmen. Privilegierte Vorhaben zeichnen sich vielmehr durch ein gesteigertes Durchsetzungsvermögen gegenüber den berührten öffentlichen Belangen aus, das ihnen eine Zulassung auch in den Fällen sichert, in denen sonstige Vorhaben unter gleichen Voraussetzungen unzulässig wären. Ob sie sich im Einzelfall durchsetzen ist im Wege einer "nachvollziehenden" Abwägung zu ermitteln.
129Vgl. Gatz, Windenergieanlagen in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis, 2. Auflage 2013, Rn. 188 ff. mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung des BVerwG; Roeser in: Berliner Kommentar zum Baugesetzbuch, Loseblatt-Sammlung (Stand: September 2010), § 35 Rn. 9 ff.; Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Kom-mentar zum BauGB, Loseblatt-Sammlung (Stand: Juli 2011), § 35 Rn. 60 ff.
130Ausgehend hiervon sind entgegenstehende öffentliche Belange vorliegend nicht festzustellen.
1312.1 Das Vorhaben widerspricht zunächst nicht den Darstellungen des Flächennutzungsplans (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB).
132Durch die Änderung Nr. 117 des Flächennutzungsplans 1980 der Stadt Aachen wurde für den hier in Rede stehenden Bereich im Aachener Südraum (Teilabschnitt A, Flächen 1 bis 3) die bisherige Darstellung "Flächen für die Forstwirtschaft" durch die Darstellung "Konzentrationsflächen für Windkraftanlagen" überlagert. Die Änderung des Flächennutzungsplans ist mit Bekanntmachung des Beitrittsbeschlusses des Rats der Stadt Aachen vom 18. September 2013 am 17. Oktober 2013 wirksam geworden.
133Ungeachtet des derzeit beim Oberverwaltungsgericht NRW anhängigen Normenkontrollverfahrens ist im vorläufigen Rechtsschutzverfahren grundsätzlich von der Verbindlichkeit der planerischen Festsetzungen auszugehen, soweit die Unwirksamkeit des Flächennutzungsplans - wie hier - nicht evident ist.
134Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. Dezember 2009 - OVG 10 S 15.09 -, juris Rn. 7; Sächsisches OVG, Beschluss vom 21. März 2012 - 4 B 88/11 -, juris Rn. 8.
135Ein Widerspruch zu den Darstellungen des Flächennutzungsplans in der derzeit geltenden Fassung liegt daher nicht vor.
1362.2 Entgegenstehende öffentliche Belange sind auch nicht mit Blick auf durch das Vorhaben hervorgerufene schädliche Umwelteinwirkungen festzustellen (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB).
137Schädliche Umwelteinwirkungen (vgl. auch § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG) sind gemäß § 3 Abs. 1 BImSchG Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Immissionen im Sinne dieses Gesetzes sind nach § 3 Abs. 2 BImSchG auf Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter einwirkende Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Umwelteinwirkungen.
138Von Windenergieanlagen ausgehende schädliche Umwelteinwirkungen können insbesondere in Form von Lärmimmissionen und Schattenwurf auftreten. Derartige schädliche Umwelteinwirkungen sind hier nicht festzustellen. Dies haben die von der Beigeladenen hierzu vorgelegten Fachgutachten des Büros BBB Umwelttechnik erneuerbare Energien GmbH (Schallprognose vom 16. Oktober 2014 sowie Schattenwurfprognose vom 28. September 2013, beide einschließlich der wegen der Verschiebung der WEA 2 erforderlich gewordenen Ergänzung vom 27. Mai 2015), auf deren Grundlage im Bescheid Nebenbestimmungen zum Schutz der Nachbarschaft festgelegt worden sind (u.a. Ausstattung der WEA 2 und 3 mit einem Schattenabschaltmodul, leistungsreduzierter Betrieb der WEA 6 und 7 zur Nachtzeit), ergeben. Einwände hat der Antragsteller insoweit nicht erhoben.
1392.3 Das Vorhaben verstößt auch nicht gegen Belange des Naturschutzes, insbesondere nicht gegen artenschutzrechtliche Verbotstatbestände (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB).
140Artenschutzrechtliche Verbote i.S.d. § 44 BNatSchG sind nach dem Prüfprogramm des § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG "zugleich" Belange des Naturschutzes i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB, die einem privilegierten Außenbereichsvorhaben bauplanungsrechtlich nicht entgegenstehen dürfen. Das Naturschutzrecht konkretisiert die öffentlichen Belange i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB. Ist über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 35 Abs. 1 BauGB zu entscheiden, hat die zuständige Behörde daher auch die naturschutzrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens zu prüfen. Können artenschutzrechtliche Verbote naturschutzrechtlich nicht überwunden werden, stehen sie einem gemäß § 35 Abs. 1 BauGB privilegierten Vorhaben als öffentliche Belange i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB zwingend entgegen. Das Vorhaben ist dann bauplanungsrechtlich unzulässig. Es decken sich also die bauplanungsrechtlichen Anforderungen des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB, soweit sie "naturschutzbezogen" sind, mit den Anforderungen des Naturschutzrechts. Artenschutzrechtliche Verbote, von denen weder eine Ausnahme noch eine Befreiung erteilt werden kann, stehen einem immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Außenbereichsvorhaben deshalb stets zwingend entgegen, und zwar sowohl als verbindliche Vorschriften des Naturschutzrechts als auch als Belange des Naturschutzes i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB.
141Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 - 4 C 1.12 -, juris Rn. 6.
142Bei der Frage, ob einem Vorhaben artenschutzrechtliche Verbote i.S.d. § 44 BNatSchG entgegenstehen, ist zu berücksichtigen, dass Habitatschutz und Artenschutz nicht denselben Prüfmaßstäben unterworfen sind.
143Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. November 2007 - 9 B 38.07 -, juris Rn. 37.
144Im Bereich des Habitatschutzes ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass Ungewissheiten darüber, ob ein Projekt Erhaltungs- und Schutzziele eines Gebietes von gemeinschaftlicher Bedeutung oder eines Europäischen Vogelschutzgebietes beeinträchtigt, zu Lasten des Vorhabenträgers gehen. Für den Gang und das Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung gilt der Sache nach eine Beweisregel des Inhalts, dass die Behörde ein Vorhaben nur dann zulassen darf, wenn sie zuvor Gewissheit darüber erlangt hat, dass dieses sich nicht nachteilig auf das Gebiet als solches auswirkt. Die zu fordernde Gewissheit liegt nur dann vor, wenn "aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel" daran besteht, dass solche Auswirkungen nicht auftreten werden.
145Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, juris Rn. 62; OVG NRW, Urteil vom 11. September 2007 - 8 A 2696/06 -, juris Rn. 77.
146Für das vorliegende Genehmigungsverfahren gilt dagegen der Grundsatz des § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG, wonach die Genehmigung zu erteilen ist, wenn artenschutzrechtliche Verbote nicht entgegenstehen. Für das "Nichtentgegenstehen" ist hierbei der gleiche Prognosemaßstab anzuwenden wie im Fall des "Sicherstellens" i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG.
147Vgl. Jarass, BImSchG, § 6 Rn. 10; Dietlein, BImSchG, § 6 Rn. 28.
148§ 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG erfordert eine günstige Prognose der Genehmigungsbehörde auf der Grundlage der vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen. "Sichergestellt" ist die Erfüllung der in § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG genannten Pflichten bereits dann, wenn sie auf Grund der vorliegenden Unterlagen mit hoher Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann.
149Vgl. Jarass, BImSchG, § 6 Rn. 8; Dietlein, BImSchG, § 6 Rn. 19.
150Dies zugrunde gelegt vermag die Kammer eine Verletzung der artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote des § 44 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 BNatSchG hier nicht festzustellen:
151- 152
Nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG ist es verboten, wildlebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören. Der Tötungstatbestand, der nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 92/43/EWG nur absichtliche Formen der Tötung umfasst, ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch dann erfüllt, wenn sich die Tötung als unausweichliche Konsequenz eines im Übrigen rechtmäßigen Verwaltungshandelns erweist.
Vgl. EuGH, Urteil vom 30. Januar 2002 - C-103/00 -, juris Rn. 26, und vom 20. Oktober 2005 - C-6/04 -, juris Rn. 113.
154Dass einzelne Exemplare besonders geschützter Arten durch Kollisionen mit Windkraftanlagen bzw. deren Rotorblättern zu Schaden kommen können, ist allerdings bei lebensnaher Betrachtung nie völlig auszuschließen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist der artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungstatbestand dann nicht erfüllt, wenn das Vorhaben nach naturschutzfachlicher Einschätzung kein signifikant erhöhtes Risiko kollisionsbedingter Verluste von Einzelexemplaren verursacht, mithin unter der Gefahrenschwelle in einem Risikobereich bleibt, der mit dem Vorhaben im Naturraum immer verbunden ist, vergleichbar dem ebenfalls stets gegebenen Risiko, dass einzelne Exemplare einer Art im Rahmen des allgemeinen Naturgeschehens Opfer einer anderen Art werden. Der Verbotstatbestand ist zwar individuenbezogen; dass einzelne Exemplare etwa durch Kollisionen zu Schaden kommen, reicht aber nicht aus. Soll das Tötungs- und Verletzungsverbot nicht zu einem unverhältnismäßigen Planungshindernis werden, ist vielmehr zu fordern, dass sich das Risiko des Erfolgseintritts in signifikanter Weise erhöht, wobei Maßnahmen, mittels derer solche Kollisionen vermieden oder dieses Risiko zumindest minimiert werden soll, einzubeziehen sind. Gemeint ist eine "deutliche" Steigerung des Tötungsrisikos. Dafür genügt es nicht, dass im Eingriffsbereich überhaupt Tiere der (besonders) geschützten Art angetroffen worden sind; erforderlich sind vielmehr Anhaltspunkte dafür, dass sich das Risiko einer Kollision durch das Vorhaben deutlich und damit in signifikanter Weise erhöht.
155Vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Juni 2013 - 4 C 1.12 -, juris Rn. 11, und vom 9. Juli 2008 - 9 A 14/07 -, juris Rn. 91; Gatz, a.a.O., Rn. 275; Gellermann in: Landmann/Rohmer, BNatSchG, Loseblatt-Sammlung (Stand: Dezember 2011), § 44 Rn. 9; Lau in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, 2. Auflage 2016, § 44 Rn. 14.
156- 157
§ 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG verbietet es, wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten währen der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten erheblich zu stören, wobei eine erhebliche Störung dann vorliegt, wenn sich durch sie der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert. Das Verbot erfasst solche Handlungen, die sich auf das psychische Wohlbefinden eines geschützten Tieres beeinträchtigend auswirken und sich in Angst-, Flucht- oder Schreckreaktionen äußern und eine Verminderung der Überlebenschancen, des Bruterfolges oder der Reproduktionsfähigkeit, bezogen auf die lokale Population, zur Folge haben. Können die geschützten Tiere solche nachteiligen Wirkungen im Wege der Eigenkompensation oder durch konfliktvermeidende oder -mindernde Maßnahmen in absehbarer Zeit auffangen, liegt keine erhebliche Störung vor.
Vgl. Lau, BNatSchG, § 44 Rn. 17; Gatz, a.a.O., Rn. 282; Gellermann, BNatSchG, § 44 Rn. 10 ff., 12.
159- 160
§ 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG untersagt es schließlich, Fortpflanzungs- und Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören. Dieses Zugriffsverbot spielt nur bei der Errichtung von Windenergieanlagen eine Rolle. Ihr Betrieb stellt regelmäßig keine Beeinträchtigung oder Zerstörung von Lebensstätten dar, weil beide Tatbestandsmerkmale neben der Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit eine körperliche Einwirkung auf die geschützten Stätten voraussetzen.
Vgl. Gatz, a.a.O., Rn. 288; Gellermann, BNatSchG, § 44 Rn. 20; Lau, BNatSchG, § 44 Rn. 21.
162Diese artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände werden durch das streitgegenständliche Vorhaben nicht verwirklicht.
163Bei der Prüfung, ob ein artenschutzrechtlicher Tötungs- und Verletzungstatbestand erfüllt ist, besteht ein sog. naturschutzfachlicher Einschätzungsspielraum der Behörde. Dabei bezieht sich die behördliche Einschätzungsprärogative sowohl auf die Erfassung des Bestands der geschützten Arten als auch auf die Bewertung der Gefahren, denen die Exemplare der geschützten Arten bei Realisierung des zur Genehmigung stehenden Vorhabens ausgesetzt sein würden.
164Vgl. BVerwG, u.a. Urteile vom 27. Juni 2013 - 4 C 1.12 -, juris Rn. 15, und vom 9. Juli 2008 - 9 A 14.07 -, juris Rn. 65 f.; kritisch Gellermann, BNatSchG, § 44 Rn. 23 f.
165Grund für die Zuerkennung einer naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative ist der Umstand, dass es im Bereich des Naturschutzes regelmäßig um ökologische Bewertungen und Einschätzungen geht, für die normkonkretisierende Maßstäbe fehlen. Die Rechtsanwendung ist daher auf die Erkenntnisse der ökologischen Wissenschaft und Praxis angewiesen, die sich aber nicht als eindeutiger Erkenntnisgeber erweist. Bei zahlreichen Fragestellungen steht - jeweils vertretbar - naturschutzfachliche Einschätzung gegen naturschutzfachliche Einschätzung, ohne dass sich eine gesicherte Erkenntnislage und anerkannte Standards herauskristallisiert hätten. Sind verschiedene Methoden wissenschaftlich vertretbar, bleibt die Wahl der Methode der Behörde überlassen. Eine naturschutzfachliche Meinung ist einer anderen Einschätzung nicht bereits deshalb überlegen oder ihr vorzugswürdig, weil sie umfangreichere oder aufwändigere Ermittlungen oder "strengere" Anforderungen für richtig hält. Das ist erst dann der Fall, wenn sich diese Auffassung als allgemein anerkannter Stand der Wissenschaft durchgesetzt hat und die gegenteilige Meinung als nicht (mehr) vertretbar angesehen wird. Die naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative folgt nicht aus einer bestimmten Verfahrensart oder Entscheidungsform, sondern aus der Erkenntnis, dass das Artenschutzrecht außerrechtliche Fragestellungen aufwirft, zu denen es jedenfalls nach dem derzeitigen Erkenntnisstand keine eindeutigen Antworten gibt.
166Vgl. BVerwG, u.a. Urteile vom 27. Juni 2013 - 4 C 1.12 -, juris Rn. 15, und vom 9. Juli 2008 - 9 A 14.07 -, juris Rn. 65 f.
167Das Gericht bleibt insoweit verpflichtet zu prüfen, ob im Gesamtergebnis die artenschutzrechtlichen Untersuchungen sowohl in ihrem methodischen Vorgehen als auch in ihrer Ermittlungstiefe ausreichten, um die Behörde in die Lage zu versetzen, die Voraussetzungen der artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände sachgerecht zu überprüfen.
168Vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Juni 2013 - 4 C 1.12 -, juris Rn. 16, und vom 9. Juli 2008 - 9 A 14.07 -, juris Rn. 67; Lau, BNatSchG, § 44 Rn. 7.
169Art und Umfang, Methodik und Untersuchungstiefe der zur Ermittlung der artenschutzrechtlichen Betroffenheiten erforderlichen Maßnahmen lassen sich mangels normativer Festlegung nur allgemein umschreiben; sie hängen wesentlich von den naturräumlichen Gegebenheiten des Einzelfalles ab. Sie werden sich regelmäßig aus zwei Quellen speisen, die sich wechselseitig ergänzen können, nämlich zum einen aus der Bestandserfassung vor Ort, zum anderen aus der Auswertung bereits vorhandener Erkenntnisse und der Fachliteratur. Wie viele Begehungen zu welchen Jahres- und Tageszeiten im Rahmen der Bestandsaufnahme vor Ort erforderlich sind und nach welchen Methoden die Erfassung stattzufinden hat, lässt sich nicht für alle Fälle abstrakt bestimmen, sondern hängt von vielen Faktoren, z.B. von der Größe des Untersuchungsraumes sowie davon ab, ob zu diesem Gebiet bereits hinreichend aktuelle und aussagekräftige Ergebnisse aus früheren Untersuchungen vorliegen.
170Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juli 2008 - 9 A 14.07 -, juris Rn. 60 ff.; Bayerischer VGH, Urteil vom 29. März 2016 - 22 B 14.1875 -, juris Rn. 40; de Witt/Geismann, Artenschutzrechtliche Verbote in der Fachplanung, 2. Auflage 2013, Rn. 70 ff.; Lau, BNatSchG, § 44 Rn. 6.
171Unter Zugrundelegung dieser Prämissen ist nach den tatsächlichen Annahmen und Bewertungen der von der Beigeladenen vorgelegten und von der Antragsgegnerin geprüften und zum Gegenstand des Genehmigungsbescheides gemachten artenschutzrechtlichen Gutachten und unter Berücksichtigung der festgesetzten Begleit- und Vermeidungsmaßnahmen die Einschätzung der Antragsgegnerin, eine Verletzung artenschutzrechtlicher Verbotstatbestände sei vorhabenbedingt nicht zu erwarten, naturschutzfachlich vertretbar.
1722.3.1 Haselmaus
173Der Antragsteller kann zunächst nicht einwenden, die erforderliche Prüfungstiefe sei nicht erreicht worden. Generell setzt die Prüfung der artenschutzrechtlichen Verbote eine ausreichende Ermittlung und Bestandsaufnahme der im Einwirkungsbereich der Anlage vorhandenen Tierarten und ihrer Lebensräume voraus. Erforderlich sind aussagekräftige Daten, denen sich in Bezug auf das Untersuchungsgebiet Häufigkeit und Verteilung der geschützten Arten sowie der Lebensstätten entnehmen lassen. Die Untersuchungstiefe hängt dabei maßgeblich von den naturräumlichen Gegebenheiten im Einzelfall ab. Die bei der Feststellung der zu überprüfenden Arten erforderliche Untersuchungstiefe hängt maßgeblich von den naturräumlichen Gegebenheiten im Einzelfall ab. Lassen bestimmte Vegetationsstrukturen sichere Rückschlüsse auf die faunistische Ausstattung zu, kann es mit der gezielten Erhebung der insoweit maßgeblichen repräsentativen Daten sein Bewenden haben. Untersuchungen, die unter Berücksichtigung vorliegender Daten über das betroffene Gebiet keine weiterführenden Erkenntnisse erwarten lassen ("ins Blaue hinein"), sind nicht durchzuführen.
174Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juli 2008 - 9 A 14.07 -, juris Rn. 54, und Beschluss vom 18. Juni 2007 - 9 VR 13.06 -, juris Rn. 20.
175Vorliegend sind zur Erfassung des Bestandes der Haselmaus keine Freilanduntersuchungen durchgeführt worden. Die Antragsgegnerin ist vielmehr auf der Grundlage des im Verfahren zur Änderung Nr. 117 des Flächennutzungsplans der Stadt Aachen eingeholten artenschutzrechtlichen Gutachtens des Büros pro terra vom August 2011 davon ausgegangen, dass der größte Teil des Plangebietes für Haselmäuse keine Habitatqualität besitze. Die Haselmaus besiedle bevorzugt lichte, möglichst sonnige Laubwälder mit einem ausreichenden Futterangebot an Haselnüssen, Brombeeren, Himbeeren, Buchen etc. Es seien vor allem besonnte Waldränder und Jungpflanzungen oder lichte Wälder mit guter Naturverjüngung als Lebensraum für die Haselmaus geeignet. Das Plangebiet stelle sich demgegenüber als relativ strukturarm dar mit einem hohen Anteil an Fichtenbeständen. Im Rahmen der häufigen Begehungen, die vielfach auch nachts und damit zur Hauptaktivitätsphase der nachtaktiven Tiere erfolgt seien, habe die Art nicht zufällig beobachtet werden können. Auch zufällige Nestfunde hätten sich nicht ergeben (vgl. artenschutzrechtliches Gutachten von pro terra, 2011, S. 38).
176Mit Blick auf diese Feststellungen ist die Entscheidung der Antragsgegnerin, keine Freilanduntersuchungen zum tatsächlichen Vorkommen der Haselmaus durchzuführen, naturschutzfachlich vertretbar, zumal die Antragsgegnerin im Sinne einer worst-case-Betrachtung,
177vgl. zu deren Zulässigkeit, wenn hierdurch ein Ergebnis erzielt wird, das hinsichtlich der untersuchten Fragestellung auf der "sicheren Seite" liegt: BVerwG, u.a. Urteile vom 6. November 2013 - 9 A 14.12 -, juris Rn. 51, vom 12. August 2009 - 9 A 64.07 -, juris Rn. 38, vom 9. Juli 2008 - 9 A 14.07 -, juris Rn. 63, und vom 21. Juni 2006 - 9 A 28.05 -, juris Rn. 49; Gellermann, BNatSchG, § 44 Rn. 22; Lau, BNatSchG, § 44 Rn. 6,
178davon ausgegangen ist, dass ein Vorkommen der Art im Plangebiet gleichwohl nicht vollkommen ausgeschlossen werden könne. Vor diesem Hintergrund ist im Konzept der Ökologischen Baubegleitung, das nach der Nebenbestimmung Ziffer 5. Gegenstand des Genehmigungsbescheides geworden ist, vorgesehen, dass vor Herstellung der Bauflächen potentielle Fortpflanzungs- und Ruhestätten in der Aktivitätsphase der Art von Anfang Mai bis Ende Oktober auf Vorkommen von Haselmäusen zu untersuchen und ggf. einzelne Exemplare fach- und sachgerecht umzusiedeln sind (Ziffer 2.7-2.8 im Konzept Ökologische Baubegleitung). Dass es dabei auf den Umsiedlungsflächen zu den vom Antragsteller befürchteten Verdrängungseffekten kommen wird, ist angesichts der begründeten Annahmen zur Habitatqualität des Plangebietes und der voraussichtlich geringen Zahl umzusiedelnder Haselmäuse nicht anzunehmen.
179Die Verwirklichung eines artenschutzrechtlichen Verbotstatbestandes zu Lasten der Haselmaus, die ohnehin allein für die Phase der Baufeldfreimachung im Zuge der Errichtung der Windenergieanlagen in Betracht kommt, lässt sich vor diesem Hintergrund nicht feststellen.
1802.3.2 Amphibien
181Auch hinsichtlich der Amphibien ist kein artenschutzrechtlicher Verbotstatbestand erfüllt. Zum Schutz der Amphibien hat die Antragsgegnerin im Genehmigungsbescheid unter Ziffer 4.4 vorgegeben, dass bei Bauzeiten in den Zeiträumen Februar bis Oktober ein ca. 50 cm hoher und in den Boden eingelassener Amphibienschutzzaun entlang der äußeren Grenzen der Baustellenabschnitte zu errichten ist, zu denen alle Bereiche zählen, in denen Eingriffe in den Boden vorgenommen werden, insbesondere auch die Fundamente mit Kranaufstell-, Lager- und Montageflächen. Zur Betreuung der Zäune ist mindestens einmal täglich eine Kontrolle mit Leerung der in Abständen von ca. 25-30 m ebenerdig einzugrabenden Fangeimer durchzuführen. Vor der Errichtung der Schutzzäune müssen die Bauflächen durch qualifizierte und im Monitoring von Amphibien erfahrene Personen gezielt nach Amphibien (insbesondere Kammmolch und Springfrosch) abgesucht und ggf. anwesende Individuen in geeignete Lebensräume außerhalb der Schutzzäune umgesetzt werden (Ziffer 2.10-2.11 im Konzept Ökologische Baubegleitung). Damit hat die Antragsgegnerin geeignete Maßnahmen aufgegeben zur Vermeidung möglicher, während der Errichtungsphase denkbarer Tötungsrisiken für Amphibien. Etwaige Zweifel an der Bestimmtheit der ursprünglichen Fassung der fraglichen Nebenbestimmungen hat die Antragsgegnerin durch die Neufassung mit Schriftsatz vom 29. August 2016 zur Überzeugung der Kammer ausgeräumt.
1822.3.3 Fledermäuse
183Auch hinsichtlich der Fledermausarten kann der Antragsteller im Ergebnis nicht mit Erfolg einwenden, die Erfassung und Kartierung des Bestandes entspreche nicht den anerkannten Regeln, weshalb eine Tötung von Fledermäusen beim Betrieb der Windenergieanlagen gewissermaßen vorprogrammiert sei. Die erforderliche Prüfungstiefe folgt den bereits bei der Prüfung der vorhabenbedingten Auswirkungen auf Haselmäuse dargestellten Regeln. Diese zugrunde gelegt ist ein relevantes Ermittlungsdefizit hier nicht festzustellen.
184Die Erfassung der Fledermausarten erfolgte nach dem artenschutzrechtlichen Gutachten des Büros pro terra vom August 2011 zunächst im Zeitraum Juni 2010 bis Juli 2011. Die Methoden zur Untersuchung residenter und wandernder Arten erstreckten sich dabei auf Detektorerfassungen, Horchboxeinsätze, Netzfang, Sichtbeobachtung, Ballooning sowie Baumhöhlen- und Schwärmkontrollen. Dabei konnten 7 Fledermausarten sicher bestimmt und zwei weitere Arten akustisch nachgewiesen werden. Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass das Untersuchungsgebiet nur eine mittelmäßige Nutzung durch Fledermäuse aufweise. Die Anzahl der Fledermauskontakte lägen teils deutlich unter der beobachteten Aktivitätsabundanz in besser strukturierten Wäldern (vgl. artenschutzrechtliches Gutachten von pro terra, 2011, S. 3 ff., 6, 18).
185Mit Blick auf den im Änderungsverfahren zum Flächennutzungsplan vorgenommenen veränderten Flächenzuschnitt der geplanten Konzentrationszone Münsterwald erfolgte im Februar 2012 eine Ergänzung des artenschutzrechtlichen Gutachtens durch das Büro pro terra. Insbesondere wurde der Herbstzug der Fledermäuse im Jahr 2011 in die Untersuchung einbezogen. Zu diesem Zweck wurde eine selektive Herbstkartierung mit Hilfe einer ballongestützten Höhenerfassung (Ballooning) und des Einsatzes von Horchboxen im Zeitraum August bis Oktober 2011 vorgenommen. Bei dieser Untersuchung konnten 8 Fledermausarten nachgewiesen werden, darunter - wie bereits bei der Untersuchung im Jahr 2010 und im Frühjahr 2011 - zwei Artenpaare, die auf akustischer Basis nicht sicher differenziert werden konnten (Kleine und Große Bartfledermaus; Braunes und Graues Langohr). Das ermittelte Artenspektrum deckt sich vollständig mit den bei der ersten Untersuchung festgestellten Arten. Es sei insgesamt davon auszugehen, dass es sich um einen Funktionsraum mit geringer Aktivitätsdichte handele. Bei diesen Funktionsräumen ergebe sich lediglich eine Grundgefährdung, die als nicht schädlich für den Erhaltungszustand der Population anzusehen sei (vgl. Ergänzung des artenschutzrechtlichen Gutachtens von pro terra, 2012, S. 5 f., 10).
186Dass diese Untersuchungen sich, worauf der Antragsteller hinweist, nicht vollständig deckten mit den Vorgaben zur Bestandsaufnahme der Fledermausarten in dem vom Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (MKULNV NRW) und dem Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (LANUV NRW) herausgegebenen "Leitfaden des Arten- und Habitatschutzes bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen in NRW" (LANUV-Leitfaden), führt nicht zu einer fehlerhaften Prüfungstiefe.
187Diesem Leitfaden kommt zwar ebenso wenig wie dem Windenergieerlass NRW Rechtssatzcharakter zu. Die darin aufgestellten Anforderungen an die Ermittlung artenschutzrechtlich ggf. entscheidungserheblicher Umstände sind jedoch, da sie auf landesweiten fachlichen Erkenntnissen und Erfahrungen beruhen, als ein "antizipiertes Sachverständigengutachten von hoher Qualität" anzusehen, in dem die aus fachlicher Sicht im Regelfall zu beachtenden Erfordernisse dargestellt werden. Hiervon darf auch angesichts der artenschutzfachlichen Einschätzungsprärogative nicht ohne fachlichen Grund und ohne gleichwertigen Ersatz abgewichen werden. Dies gebieten insbesondere die rechtlichen Gesichtspunkte der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) und der Rechtssicherheit (Art. 20 Abs. 3 gg). Die von den obersten Landesbehörden zur Verfügung gestellte zusätzliche fachliche Konkretisierungsebene darf damit nicht ohne fachliche Begründung außer Betracht gelassen werden.
188Vgl. Bayerischer VGH, Urteile vom 29. März 2016 - 22 B 14.1875 -, juris Rn. 41, und vom 18. Juni 2014 - 22 ZB 12.1358 -, juris Rn. 45 (jeweils zum bayerischen Windkrafterlass); Lau, BNatSchG, § 44 Rn. 7.
189Vorliegend wurde der LANUV-Leitfaden aber am 12. November 2013 veröffentlicht und konnte deshalb bereits nicht Grundlage der artenschutzrechtlichen Untersuchungen im Zeitraum 2010/2011 sein. Nachuntersuchungen waren auch entgegen der Annahme des Antragstellers nicht veranlasst. Zum einen bestimmt der LANUV-Leitfaden in seiner Ziffer 6.5, dass weitere Datenerhebungen nicht notwendig sind, wenn zu dem Vorhabengebiet hinreichend aktuelle (d.h. maximal sieben Jahre alte) und aussagekräftige Ergebnisse aus früheren Untersuchungen vorliegen. Dies ist hier angesichts der Untersuchungen des Büros pro terra anzunehmen. Zum anderen haben diese Untersuchungen, die in Übereinstimmung mit den Vorgaben des Windenergie-Erlasses NRW vom 11. Juli 2011 (vgl. dort Ziffer 8.2.1.3) erfolgt sind, bereits das Vorkommen windkraftsensibler Fledermausarten bestätigt, weshalb im Wege einer - wie bereits ausgeführt zulässigen - worst-case-Betrachtung ein umfassendes Abschaltszenario nebst Gondelmonitoring für erforderlich gehalten wurde. Angesichts dessen war von Nachuntersuchungen kein zusätzlicher Erkenntnisgewinn zu erwarten, der andere oder weitreichendere Schutzmaßnahmen zur Folge gehabt hätte.
190Die von der Antragsgegnerin im Genehmigungsbescheid angeordneten Schutzmaßnahmen sind aus Sicht der Kammer auch geeignet, hinsichtlich der Fledermausarten die Verwirklichung eines artenschutzrechtlichen Verbotstatbestandes zu verhindern. Die vom Antragsteller hiergegen erhobenen Einwände greifen nicht durch.
191Die unter Ziffer 4.2 im Bescheid festgelegten Nebenbestimmungen entsprechen dabei inhaltlich den im LANUV-Leitfaden empfohlenen "Muster-Nebenbestimmungen für Genehmigungsbescheide" (dort Anhang 7; vgl. auch Ziffer 8. "Abschaltalgorithmen"). An insgesamt vier Windenergieanlagen ist in zwei aufeinanderfolgenden Aktivitätsperioden jeweils im Zeitraum zwischen dem 1. April und dem 31. Oktober ein akustisches Fledermausmonitoring durchzuführen (Ziffern 4.2.1.1 und 4.2.1.2). Überdies sind in Ziffer 4.2.2.1 für das erste Betriebsjahr verbindliche Abschaltalgorithmen festgelegt, bei deren Vorliegen die Anlagen zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang vollständig abzuschalten sind. Dies ist der Fall, wenn im Zeitraum vom 1. April bis zum 31. Oktober folgende Bedingungen gleichzeitig erfüllt sind: kein Niederschlag, Temperaturen von > 10°C, Windgeschwindigkeiten im 10-min-Mittel von < 6 m/s in Gondelhöhe. Mit Blick auf vom Antragsteller zunächst erhobene Einwände hinsichtlich der Bestimmtheit der Nebenbestimmung 4.2.2.2 hat die Antragsgegnerin diese mit Schriftsatz vom 29. August 2016 dahingehend neugefasst, dass nach Abschluss des ersten Monitoringjahres die Abschaltbedingungen für das zweite Monitoringjahr und nach dessen Abschluss der verbindliche Abschaltalgorithmus für den dauerhaften Betrieb der sieben Windenergieanlagen durch die Untere Landschaftsbehörde der Stadt Aachen festgelegt werden.
192Soweit der Antragsteller gegen die Geeignetheit der Nebenbestimmung Ziffer 4.2.2.1 anführt, dass Fledermäuse auch noch bei Windgeschwindigkeiten > 6 m/s in Gondelhöhe und - abhängig von den vorherrschenden klimatischen Bedingungen - u.U. auch schon im März oder noch im November flögen, mag dies im Einzelfall zutreffen. Die insbesondere auf die Ergebnisse der Untersuchung von BRINKMANN et al. (Entwicklung von Methoden zur Untersuchung und Reduktion des Kollisionsrisikos von Fledermäusen an Onshore-Windenergieanlagen, 2011) gestützte Annahme der Antragsgegnerin, mit der insoweit vollständigen Übernahme der auf fachwissenschaftlichen Untersuchungen basierenden Empfehlungen des LANUV-Leitfadens sei aber einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko für Fledermausarten wirksam begegnet, ist von ihrer naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative gedeckt.
193Soweit der Antragsteller rügt, das Gondelmonitoring sei zur Erfassung der Fledermausaktivität im Bereich der Rotoren bereits nicht geeignet, so gilt im Ergebnis nichts anderes. Die vom Antragsteller beanstandeten Defizite dieser Methode wurden in der Untersuchung von BRINKMANN et al. (2011) betrachtet und über Korrekturfaktoren im Berechnungsalgorithmus ausgeglichen, wobei insoweit sogar von einer Gleichverteilung der Fledermausaktivitäten innerhalb der vom Rotor insgesamt überstrichenen Fläche ausgegangen wird. In der im Jahr 2015 vorgelegten Untersuchung "Reduktion des Kollisionsrisikos von Fledermäusen an Onshore-Windenergieanlagen (RENEBAT II)" wurde demgegenüber mittels einer wärmeoptischen 3D-Erfassung nachgewiesen, dass die Aufenthaltsdichte der Fledermäuse im Rotorbereich - und damit auch ihr Schlagrisiko - ab einem Abstand von etwa 10 m zum Gondelmittelpunkt exponentiell abfällt (S. 81 ff., 91, 95). Eine Ungeeignetheit des Gondelmonitorings zur Erfassung des Schlagrisikos von Fledermäusen kann vor diesem Hintergrund nicht angenommen werden. Bei dem Gondelmonitoring nach der Methode von BRINKMANN et al. (2011) handelt es sich vielmehr (nach wie vor) um eine wissenschaftlich anerkannte Methode zur Erfassung von Fledermausaktivitäten im Bereich von Windenergieanlagen (vgl. nur die RENEBAT II - Untersuchung, dort S. 317 ff.; vgl. auch LANUV-Leitfaden, S. 29 f.). Die Annahme der Antragsgegnerin, dass auf der Grundlage eines zweijährigen Gondelmonitorings verbindliche Abschaltalgorithmen festgelegt werden können, die ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko für Fledermäuse ausschließen, ist vor diesem Hintergrund ebenfalls von ihrer naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative gedeckt.
1942.3.4 Kraniche
195Auch hinsichtlich geschützter Vogelarten wird durch Errichtung und Betrieb der genehmigten Windenergieanlagen kein artenschutzrechtlicher Verbotstatbestand erfüllt.
196Dies gilt zunächst für Kraniche. Ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko vermag die Kammer hinsichtlich dieser geschützten Vogelart nicht festzustellen.
197Die Erfassung des Aufkommens von Brut-, Zug- und Rastvögeln erfolgte durch das Büro pro terra zunächst im Zeitraum von August 2010 bis Juni 2011. Methodisch erfolgte die Erfassung der Zug- und Rastvögel durch eine sog. Punkt-Stopp-Zählung im Wege der Sichtbeobachtung bei insgesamt sieben Begehungen in den Zeiträumen August bis Oktober 2010 und März bis April 2011. Bei diesen Begehungen habe im September 2010 einmalig ein kleiner Trupp von 8 Kranichen über einer Windwurffläche festgestellt werden können. Nach Beobachtungen ortskundiger Jagdpächter bzw. Förster hätten Kraniche in den vergangenen Jahren regelmäßig beobachtet werden können, auch sporadisch rastend "auf der Wiese im Indetal" (vgl. artenschutzrechtliches Gutachten von pro terra, 2011, S. 20 f., 35).
198Insgesamt habe sich nur ein mäßig häufiges Zugvogelgeschehen im Untersuchungsgebiet gezeigt und sei davon auszugehen, dass es sich nicht um ein hervorragendes Rastgebiet für ziehende Vogelarten handele. Aachen liege zwar im Bereich der Hauptflugroute der Frühjahrs- und Herbstzüge. Die Kraniche überflögen auf dem Zug in breiter Front das gesamte Rheinland. Eine Tötung oder Verletzung der Tiere, die über dem betrachteten Gebiet nie in großen Schwärmen beobachtet worden seien, sei aber nicht zu befürchten, weil aufgrund des artspezifischen Verhaltens in der Regel ein gefahrloses Ausweichen gegeben sei. Auch eine erhebliche Störung sei auszuschließen, weil die Zughöhe regelmäßig oberhalb der Rotoren der Windenergieanlagen liege (vgl. artenschutzrechtliches Gutachten von pro terra, 2011, S. 31 ff., 57).
199Dieses Untersuchungsergebnis wurde im Rahmen einer nochmaligen Überprüfung durch die Fachgutachter im Jahr 2012 bestätigt. Dabei berücksichtigten die Gutachter insbesondere die zwischenzeitlich mitgeteilten Beobachtungen von NABU-Mitgliedern für den Bereich des Münsterwaldes, denen zufolge am 2. November 2011 120 Tiere, am 11. November 2011 300 Tiere (in mehreren Trupps), am 12. November 2011 ca. 3.000 Tiere (in 35 min.) beobachtet worden seien. Nach Auskunft des NABU Aachen seien bis zum 24. November 2011 insgesamt etwa 70.000 Kraniche über der Region Aachen erfasst worden. Ebenfalls gebe es eine Beobachtung aus dem Jahr 2010 zur Rast eines Trupps im Naturschutzgebiet Struffelt, das etwa einen Kilometer östlich des Untersuchungsgebiets liege. Auch unter Berücksichtigung dieser Daten kommen die Gutachter zu dem Ergebnis, dass nicht davon auszugehen sei, dass vorhabenbedingt ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko für den Kranich bestehe, für den bislang auch erst 4 Schlagopfer belegt seien. Der Münsterwald stelle bezogen auf den Breitbandzug der Kraniche nur einen kleinen Teilausschnitt dar, der überdies keine besonderen Leitstrukturen, die einen konzentrierten Zug gerade über dieser Fläche hervorrufen könnten, aufweise. Zudem zögen die Kraniche in der Regel in größeren Höhen, meist zwischen 200 m bis 1.000 m. Verschiedene Untersuchungen belegten schließlich, dass Kraniche Windenergieanlagen meist weiträumig umflögen. Der Bereich weise zudem auch keine Qualitäten als potentielles Rastgebiet auf (vgl. Ergänzung des artenschutzrechtlichen Gutachtens von pro terra, 2012, S. 11 f., sowie Anlage 2, Art-für-Art-Protokoll "Kranich"). Aktuell seien keine Vermeidungsmaßnahmen erforderlich. Mit Blick darauf, dass Kraniche bei schlechten Sichtverhältnissen oder ungünstigen thermischen Bedingungen auch niedrigere Flughöhen nutzten, empfahlen die Gutachter aber, vorsorglich die technischen Möglichkeiten einer Abschaltung der Windenergieanlagen beim Vorliegen ungünstiger Witterungsverhältnisse zu prüfen (vgl. Ergänzung des artenschutzrechtlichen Gutachtens von pro terra, 2012, S. 12, sowie Anlage 2, Art-für-Art-Protokoll "Kranich").
200Dieser Empfehlung ist die Antragsgegnerin nachgekommen. Sie hat im Genehmigungsbescheid unter Ziffer 4.3 zur Vermeidung eines Kollisionsrisikos ziehender Kraniche Nebenbestimmungen festgelegt. Mit Blick auf die vom Antragsteller insoweit zunächst erhobenen Einwände einer fehlenden Bestimmtheit dieser Regelungen hat die Antragsgegnerin die Nebenbestimmungen mit Schriftsatz vom 29. August 2016 vollständig neugefasst. Danach sind alle sieben Windenergieanlagen in der Zeit vom 1. Oktober bis 30. November und in der Zeit vom 1. Februar bis 31. März eines jeden Jahres an Massenzugtagen des Kranichs (mehr als 20.000 Individuen pro Zugtag, entspricht etwa 10 % der westziehenden Population) - zunächst grundsätzlich - temporär abzuschalten (Ziffer 4.3.1). Das Vorliegen eines Massenzugtages soll nach Abstimmung mit der Unteren Landschaftsbehörde der Stadt Aachen durch einen qualifizierten, im Monitoring von Kranichen erfahrenen Fachgutachter erfolgen. Mit vorheriger schriftlicher Zustimmung der Unteren Landschaftsbehörde können die Nebenbestimmungen Ziffer 4.3.1 und 4.3.1 dahingehend modifiziert werden, dass - insofern entsprechend den Empfehlungen der Fachgutachter - an Massenzugtagen die temporäre Abschaltung an die Bedingung des Vorliegens "ungünstiger Verhältnisse" geknüpft wird. Der Begriff der "ungünstigen Verhältnisse" wird unter Ziffer 4.3.3.5 näher definiert; hierzu zählen schlechte Witterungsbedingungen (starker Regen oder Nebel mit Sichtweiten unter 1.000 m und/oder Gegenwind ab einer Stärke von 4 bft), die Beobachtung deutlicher Abweichungen einzelner Trupps von der Zuglinie im Nahbereich zu den Anlagen (< 1.000 m), wozu auch wiederholtes Kreisen oder das Auflösen von Trupps zählt, das Ziehen mehrerer Trupps in niedriger Höhe von < 300 m über Niveau, ein Zugabbruch (auch in der weiteren Umgebung) sowie das Vorliegen von Witterungsbedingungen, die keine Beobachtung des Zugverlaufs ermöglichen (z.B. Nebel). Außerdem liegen "ungünstige Verhältnisse" auch dann vor, wenn während eines Massenzugtages schon vor den eigentlichen Beobachtungen vor Ort nach fachlicher Einschätzung des Fachgutachters ein erhöhtes Konfliktpotential prognostiziert werden kann, etwa aufgrund schlechter Witterungsbedingungen und/oder bei besonders niedrigem Zug nach Meldungen von Beobachtern aus vorgelagerten Gebieten.
201Die dargestellte Bestandsaufnahme des Zugvogelaufkommens im Untersuchungs-gebiet, die auch mit Blick auf Ziffer 6.5 des LANUV-Leitfadens hinreichend aktuell ist, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Fachgutachter haben Sichtbeobachtungen während des Frühjahrs- und Herbstzuges durchgeführt und auch weitere Meldungen über Beobachtungen von Rast- und Zugbewegungen des Kranichs berücksichtigt. Insoweit ist unter Ziffer 6.2 des LANUV-Leitfadens ausgeführt, dass (lediglich) eine flächendeckende Kontrolle von bekannten Rast- und Überwinterungsplätzen im Frühjahr und Herbst erfolgen soll, dass aber eine gesonderte Erfassung des allgemeinen Vogelzug-Geschehens nicht erforderlich sei. Bekannte Rast- und Überwinterungsplätze des Kranichs wurden aber im Untersuchungsgebiet nicht festgestellt. Sofern im Naturschutzgebiet Struffelt die Rast von Kranichen beobachtet werden konnte, war dies ausweislich der Akten ein einmaliger Vorgang im Jahr 2010, der offenbar auch keinen großen Schwarm betraf. Dies deckt sich mit der vom LANUV NRW herausgegebenen Karte zum Schwerpunktvorkommen WEA-empfindlicher Rast- und Zugvogelarten von landesweiter Bedeutung (vgl. Anhang 1 des LANUV-Leitfadens), die für den Großraum Aachen kein Schwerpunktvorkommen aufzeigt. Dass der Zug der Kraniche auch über den Münsterwald geht, ist auch Grundlage der Einschätzung der Fachgutachter. Soweit die Antragsgegnerin sich deren Einschätzung zu eigen macht, dass aufgrund der üblichen Flughöhe des Zugs aber allein beim Vorliegen ungünstiger Verhältnisse ein Kollisionsrisiko bestehen kann, ist dies von ihrer naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative gedeckt.
202Auch nach den vom Antragsteller insoweit zitierten und von den Länderarbeitsgemeinschaften der Vorgelschutzwarten (lag VSW) herausgegebenen "Abstandsempfehlungen für Windenergieanlagen zu bedeutsamen Lebensräumen sowie Brutplätzen ausgewählter Vogelarten" vom 15. April 2015 (sog. "Helgoländer Papier 2015") ist das Kollisionsrisiko für den Kranich bei bislang 14 Schlagopfern aus Deutschland und weiteren vier aus Schweden, Polen und Bulgarien als gering einzuschätzen. Für Brutplätze wird wegen des von Windenergieanlagen möglicherweise ausgehenden Störpotentials ein Mindestabstand von 500 m als ausreichend erachtet, für bedeutende regelmäßig genutzte Schlafplätze von 3.000 m, mit einem Prüfbereich von 6.000 m (S. 14). Brutplätze und bedeutende regelmäßig genutzte Schlafplätze sind aber - ungeachtet der an anderer Stelle zu beantwortenden Frage der Relevanz des Helgoländer Papiers 2015 für die Einschätzung der Antragsgegnerin - vorliegend durch die Fachgutachter nicht festgestellt worden.
203Obwohl damit für das regelmäßige Vogelzug-Geschehen ein Kollisionsrisiko für den Kranich als gering einzuschätzen und ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko bereits aus diesem Grund nicht festzustellen ist, hat die Antragsgegnerin - wiederum im Wege einer worst-case-Betrachtung - Schutzmaßnahmen vorgesehen für den Fall, dass an Massenzugtagen aufgrund ungünstiger Verhältnisse, insbesondere aufgrund schlechter Witterungsverhältnisse (Starkregen, Nebel, ungünstige thermische Bedingungen) bzw. aufgrund von Abweichungen beim Zug (ungewöhnlich niedriger Zug, Zugabbruch etc.), damit zu rechnen ist, dass Kraniche niedriger und damit potentiell auch im Bereich der Rotoren von Windenergieanlagen ziehen und überdies kein Meideverhalten zeigen. Dass durch die für diesen ungünstigsten Fall vorgesehenen Nebenbestimmungen, die insoweit ein temporäres Abschalten der Anlagen vorsehen, das Eintreten eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos für Kraniche nicht vermieden werden kann, vermag die Kammer nicht festzustellen.
204Dass die Anlagen beim Vorliegen der für den Zug der Kraniche ungünstigen Verhältnisse tatsächlich auch abgeschaltet werden, ist nach Auffassung der Kammer hinreichend sichergestellt. Zunächst hat die Kammer keine Veranlassung daran zu zweifeln, dass insbesondere unter den von der Antragsgegnerin in Ziffer 4.3.3.5 definierten Bedingungen die Gefahr besteht, dass Kraniche niedriger ziehen als üblich und damit potentiell in den Bereich der Rotoren der Windenergieanlagen geraten und mit diesen kollidieren können, wenn sie ihr arttypisches Meideverhalten nicht zeigen. Hiergegen hat auch der Antragsteller keine Einwände (mehr) erhoben. Dass diese "ungünstigen Verhältnisse" durch den mit vorheriger Zustimmung der Unteren Landschaftsbehörde zu beauftragenden Fachgutachter nicht hinreichend sicher bestimmt werden können, ist nicht anzunehmen.
205Soweit der Antragsteller insoweit auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Koblenz verweist, der zufolge derartige Nebenbestimmungen zu unbestimmt seien, unterscheidet sich die vorliegend streitgegenständliche Regelung von dem Fall, über den das Verwaltungsgericht Koblenz zu entscheiden hatte, insbesondere darin, dass dort der Anlagenbetreiber selbst das Vorliegen der ungünstigen Wetterlage zu beurteilen hatte und die Regelung aus seiner Sicht Unklarheiten beinhaltete, wann die Voraussetzungen für eine Abschaltung der Anlagen anzunehmen waren.
206Vgl. VG Koblenz, Urteil vom 5. November 2015 - 4 K 1106/14.KO -, juris Rn. 62 ff.
207Dies ist hier gerade nicht der Fall. Dass ein im Monitoring von Kranichen erfahrener Fachgutachter aber - sicher anders als der Anlagenbetreiber - nicht beurteilen kann, wann zum einen ein Massenzugtag und zum anderen für den Zug der Kraniche ungünstige Wetterbedingungen vorliegen, die die Gefahr einer niedrigeren Zughöhe mit sich bringen, ist nicht anzunehmen. Insoweit ist sichergestellt, dass die Anlagen dann - aber auch nur dann - temporär abgeschaltet werden, wenn diese Bedingungen an Massenzugtagen auftreten, ohne dass insoweit der Anlagenbetreiber auf diese Entscheidung, die ihm durch den Fachgutachter unmittelbar bekannt gegeben wird, Einfluss nehmen kann. Angesichts des ohnehin geringen Schlagrisikos für Kraniche ist diese Regelung im Ergebnis nicht zu beanstanden.
2082.3.5 Waldschnepfe
209Die Verwirklichung artenschutzrechtlicher Verbotstatbestände ist auch hinsichtlich der Waldschnepfe nicht zu erwarten.
210Nach dem artenschutzrechtlichen Gutachten des Büros pro terra vom August 2011 (S. 30, sowie Art-für-Art-Protokoll "Waldschnepfe", Anlage 7) konnte das Balzverhalten von Waldschnepfen (rufende Männchen) im Rahmen der Brutvogelkartierung im Frühjahr 2011 im Nordwesten des Vorhabengebietes an zwei Standorten erfasst werden. Einer der Standorte liege außerhalb in Grenzlage des betrachteten Gebietes. Eine nähere Abgrenzung von Brutstandort bzw. Kerngebiet der Art sowie eine quantitative Erfassung von Waldschnepfen sei nur mit hohem zeitlichen und personellen Aufwand möglich. Aufgrund der vorherrschenden Strukturen sowie vorliegender Daten (PEPL Prälatensief, Informationen von Jagdpächtern) und unter Berücksichtigung der artspezifischen Brutbiologie (Freibrüter, bevorzugt würden Waldböden mit einer gewissen Grundfeuchte sowie reichhaltiger Strauch- und Krautschicht), werde angenommen, dass dort ein regelmäßig genutztes Brutgebiet der Waldschnepfe vorliege. Ein Verlust von Brutplätzen sei aufgrund der speziellen Ansprüche an die Strukturen nicht anzunehmen, da die Anlage der Windenergieanlagen in meist dichten strukturarmen Fichtenbeständen erfolge. Eine Beeinträchtigung von Balz- und Brutgeschehen könne jedoch gerade während der Bauphase nicht ausgeschlossen werden. Deswegen sollten die Baumaßnahmen außerhalb der Brutzeit (September bis Februar) erfolgen, damit eine Vergrämung von Elterntieren während der Jungenaufzucht verhindert werde. Ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko sei nicht zu erwarten, da sich Waldschnepfen im Bruthabitat in der Regel nicht weit über den Baumwipfeln bewegten, sondern die Deckung der Vegetation nutzten. Eine Verschlechterung des Erhaltungszustandes der Art sei bei Durchführung des Vorhabens daher nicht zu erwarten. Die Fachgutachter stützten ihre Einschätzung auf das Ergebnis der im Frühjahr 2011 auf der Grundlage von insgesamt sechs Tagesbegehungen und drei Nachtbegehungen mit Unterstützung von Klangattrappen erfolgten Brutvogelkartierung.
211Im Jahre 2014 wurde durch die ecoda Umweltgutachten GbR eine weitere Brutvogelkartierung durchgeführt, um die Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen zu überprüfen. Ausweislich des Ergebnisberichtes vom 23. April 2015 wurden bei insgesamt zehn Begehungen zwischen Mitte März bis Anfang Juli 2014 zweimal Waldschnepfen erfasst: am 12. März seien zwei Individuen entlang des Vennbahnradweges geflogen; am 9. April sei ein weiteres Individuum im nördlichen Teil des engeren Untersuchungsraums (1.000 m Umkreis um die geplanten Windenergieanlagen) beim Überflug festgestellt worden. Ein Brutvorkommen der Art im engeren Untersuchungsraum sei vor dem Hintergrund der Daten möglich, dies dort vor allem in den feuchten Laubwaldbereichen.
212Die Antragsgegnerin ist zum einen auf der Grundlage dieser Untersuchungen sowie des bereits im Jahr 2009 durch das Büro raskin vorgelegten "Pflege- und Entwicklungsplans für den Prälatensiefdistrikt", bei dem ebenfalls Waldschnepfen nachgewiesen werden konnten, von einem Vorkommen der Waldschnepfe im Vorhabengebiet, insbesondere im Bereich des Prälatensiefs ausgegangen. Die Antragsgegnerin hat zum anderen auch berücksichtigt, dass die Waldschnepfe zu den planungsrelevanten Arten zählt, die bei einer artenschutzrechtlichen Prüfung im Sinne einer Art-für-Art-Betrachtung einzeln zu bearbeiten sind.
213Im Ergebnis naturschutzfachlich vertretbar ist auch die Einschätzung der Antragsgegnerin, dass es sich bei der Waldschnepfe nicht um eine sog. windenergiesensible Art handele, bei der im Sinne einer Regelfallvermutung davon auszugehen sei, dass die artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote in Folge der betriebsbedingten Auswirkungen von Windenergieanlagen grundsätzlich nicht ausgelöst werden (vgl. LANUV-Leitfaden, S. 35, und Windenergie-Erlass NRW, S. 35 f.). Sie hat sich dabei orientiert an dem LANUV-Leitfaden vom 12. November 2013, in dessen Anhang 4 auf der Grundlage einschlägiger Fachliteratur, der Liste der WEA-empfindlichen Arten im Papier der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (sog. "Helgoländer Papier 2007") sowie der in Deutschland aufgefundenen Kollisionsopfer von Vögeln eine Liste der durch die speziellen betriebsbedingten Auswirkungen von Windenergieanlagen überdurchschnittlich gefährdeten Arten zusammengestellt worden ist. Die Waldschnepfe ist in dieser Liste nicht aufgeführt.
214Soweit der Antragsteller darauf hinweist, dass mit Blick auf das Helgoländer Papier in der aktualisierten Fassung aus dem Jahr 2015 sowie die auf den 1. März 2014 datierende Studie von DORKA et al. (Windkraft über Wald - kritisch für die Waldschnepfenbalz?) die Waldschnepfe inzwischen zu den windenergiesensiblen und damit hinsichtlich der Verwirklichung von artenschutzrechtlichen Verbotstatbeständen näher zu untersuchenden Vogelarten zu zählen sei, führt dies nicht zu einem anderen Ergebnis.
215Das Helgoländer Papier 2015 entfaltet entgegen der Annahme des Antragstellers keine Verbindlichkeit für den Rechtsanwender, weder für die Genehmigungsbehörden noch für die Gerichte.
216Vgl. hierzu auch: Brandt, Das Helgoländer Papier aus rechtlicher Sicht, ZNER 2015, 336, 337.
217Dies nimmt die Verfasserin, die Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten, für ihre Veröffentlichung auch gar nicht in Anspruch, handelt es sich doch ausdrücklich um Abstandsempfehlungen. Anders als noch in der Erstfassung aus dem Jahr 2007 wurde in der Neufassung aus dem Jahr 2015 erstmals auch die Waldschnepfe zu den windenergiesensiblen Arten gezählt und ein Mindestabstand von 500 m zu Balzrevieren dieser Art empfohlen. Das Helgoländer Papier 2015 stützt diese Neueinschätzung im Wesentlichen auf die Untersuchung von DORKA et al., die in den Jahren 2006 bis 2008 im Nordschwarzwald mittels Synchronzählung balzfliegender Waldschnepfen die Auswirkungen eines Windparks auf diese Art untersucht haben. An den 15 Zählstandorten sei die Flugbalzaktivität der Waldschnepfe um 88 % zurückgegangen. Die Verfasser vermuten als Ursache für diesen Rückgang insbesondere eine akustische Störwirkung durch den Betrieb des Windparks infolge der Störung/Maskierung der Balzgeräusche durch die Schallemissionen der Anlagen sowie anlagen- oder betriebsbedingte Barriere- und Scheuchwirkungen für die Waldschnepfe. Die Verfasser schließen ihren Ergebnisbericht mit dem - ebenso im Helgoländer Papier 2015 geäußerten - Wunsch, dass weitere Untersuchungen zur Reaktion dieser Art auf Windenergieanlagen angestellt würden.
218Die Arbeit von DORKA et al. ist nicht ohne Kritik geblieben. In dem Beitrag von SCHMAL 2015 (Empfindlichkeit von Waldschnepfen gegenüber Windenergieanlagen; vgl. hierzu auch die Entgegnung der Verfasser der Studie, STRAUB et al. 2015, Die Waldschnepfe ist "windkraftsensibel" und artenschutzrechtlich relevant) wird insbesondere kritisiert, dass die Verfasser auf der Grundlage einer jeweils einmaligen, zweistündigen synchronen Vorher-Nachher-Erfassung ohne Berücksichtigung von vorübergehenden oder nachhaltigen Habitatveränderungen oder anderen möglichen Einflussgrößen bei Überschätzung der angenommenen Erfassungsradien zu falschen Schlussfolgerungen gekommen seien. Die Arbeit von DORKA et al. könne allenfalls einen Anfangsverdacht auf eine Empfindlichkeit der Waldschnepfe begründen. Die aufgestellten Thesen müssten aber erst durch weitere Untersuchungen bestätigt werden. RICHARZ (Energiewende und Naturschutz - Windenergie im Lebensraum Wald) kritisiert in seinem Statusreport von November 2014 an der Untersuchung von DORKA et al., die aber wichtige Hinweise zur Empfindlichkeit der Waldschnepfe liefere, dass die zur Berechnung herangezogenen Rohdaten aus einem Kartierungsgang pro Jahr stammten und damit nicht dem Methodenstandard zur Erfassung balzender Waldschnepfen-Männchen entspreche.
219Die Studie von DORKA et al. ist bislang die einzige, wissenschaftlich aber nicht unumstrittene Untersuchung zur WEA-Empfindlichkeit der Waldschnepfe. Sie ist die Grundlage für die Einstufung der Waldschnepfe als windenergiesensible Art durch das Helgoländer Papier 2015. Auch diese Abstandsempfehlungen sind aber von den Ländern nicht einfach übernommen worden. Auf ihrer Frühjahrskonferenz hat sich die Umweltministerkonferenz mit dem Papier befasst. Die Sitzungen der Umweltminister werden nach der Geschäftsordnung durch die Konferenz der Amtschefs der Umweltministerien des Bundes und der Länder vorbereitet. Im Beschluss der Amtschefkonferenz vom 21. Mai 2015 heißt es insoweit auszugsweise, dass die Konferenz das Papier "zur Kenntnis" nimmt (Ziffer 1.) sowie dass die Konferenz darüber hinaus zur Kenntnis nimmt, "dass inzwischen vielfältige wissenschaftliche Studien zum Verhalten windenergieempfindlicher Vogelarten vorliegen" und dass hierbei zu berücksichtigen sei, "dass die naturräumlichen Gegebenheiten, die Flächennutzung sowie das vorkommende Artenspektrum und daher die jeweiligen Nutzungskonflikte in den Regionen unterschiedlich sein können", weswegen "einheitliche Empfehlungen deshalb nicht möglich" seien (Ziffer 2.). Diesem Beschluss der Amtschefkonferenz hat sich die Umweltministerkonferenz am 22. Mai 2015 "Kenntnis nehmend" angeschlossen.
220Vgl. Brandt, Das Helgoländer Papier aus rechtlicher Sicht, ZNER 2015, 336, 337.
221Es ist mithin keineswegs so, dass die Abstandsempfehlungen des Helgoländer Papiers 2015 von der Umweltministerkonferenz einstimmig als künftig maßgeblich angesehen wurden. Auch der Windenergie-Erlass NRW vom 4. November 2015 hat sich mit dem Helgoländer Papier 2015 befasst und hinsichtlich der Artenauswahl der windenergieempfindlichen Arten sowie die Abstandsempfehlungen weiter auf die im Anhang 4 des LANUV-Leitfadens 2013 veröffentlichte Liste verwiesen (S. 36 f.).
222Vor diesem Hintergrund ist auch unter Berücksichtigung des vom Antragsteller vorgelegten Gutachtens von Müller (Windkraft und Waldschnepfe im Windpark Münsterwald) nicht festzustellen, dass die fachliche Einschätzung des LANUV NRW vom 12. November 2013, dass es sich bei der Waldschnepfe nicht um eine windenergiesensible Vogelart handele, durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse gänzlich überholt und nicht mehr vertretbar wäre. Es ist vielmehr zu konstatieren, dass insoweit offensichtlich noch Forschungsbedarf besteht, sich aber noch keine allgemein anerkannte wissenschaftliche Betrachtung durchgesetzt hat (vgl. insoweit auch Landesamt für Umwelt Brandenburg - Staatliche Vogelschutzwarte, Informationen über Einflüsse der Windenergienutzung auf Vögel, Stand: September 2016, S. 63 f. "Weitere Untersuchungen zum Einfluss von WEA auf Waldschnepfen sind wünschenswert"). Unter Zugrundelegung des eingangs dargestellten Maßstabes wird die Erfassung und Bewertung der betriebsbedingten Auswirkungen der genehmigten Windenergieanlagen auf Waldschnepfen daher von der naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative der Antragsgegnerin (noch) gedeckt.
2232.3.6 Rotmilan
224Auch hinsichtlich des Rotmilans ist die Verwirklichung eines artenschutzrechtlichen Verbotstatbestandes nicht festzustellen.
225Der Rotmilan konnte ausweislich des artenschutzrechtlichen Gutachtens des Büros pro terra vom August 2011 im Rahmen der Kartierungen im Jahr 2010/2011 im Untersuchungsgebiet nicht nachgewiesen werden. Die in den Frühsommermonaten 2011 durchgeführte Brutvogelerfassung habe auch keine genutzten Horste auf der Untersuchungsfläche erbracht (vgl. die Ergänzung des artenschutzrechtlichen Gutachtens von pro terra, 2012, S. 14). Der Rotmilan besiedle offene, reich gegliederte Landschaften mit Feldgehölzen und Wäldern, große zusammenhängende Waldgebiete aber nur in den Randzonen. Brutstandorte lägen am Rande von lichten Althölzern, nur selten im Inneren solcher Bestände. Bevorzugte Horstbäume seien Rotbuche, Eiche, aber auch Tanne und Kiefer. Aufgrund der Erfassungsberichte sowie der ökologischen Einnischung der Art könne angenommen werden, dass es sich bei dem betrachteten, weitgehend dichten Waldbestand weder um ein bevorzugtes Nahrungsgebiet des Rotmilans, noch um ein potentielles Brutgebiet handele (vgl. auch das Art-für-Art-Protokoll "Rotmilan" in der Anlage 2 der Ergänzung des artenschutzrechtlichen Gutachtens von pro terra, 2012).
226Aufgrund neuerer Beobachtungen des Rotmilans und des Schwarzstorches, die das weitere Umfeld des Vorhabengebietes betrafen, wurde im Frühjahr 2012 durch das Büro pro terra eine neue Erfassung der beiden Arten in Form einer Funktionsraumanalyse in einem Untersuchungsradius von 4 km um den Mittelpunkt der geplanten Vorrangfläche für Windkraft "Münsterwald" vorgenommen. Die Untersuchungen erfolgten im Zeitraum 23. März 2012 bis zum 25. Juni 2012 an acht Terminen, von denen zwei ganztägige Termine mit je vier und zwei halbtägige Termine mit je zwei Beobachtern absolviert wurden. Darüber hinaus wurden vier halbtägige Termine zur Horstsuche, Horstkontrolle und der gezielten Beobachtung kleinerer Flächen mit einer Person genutzt. An drei Terminen konnten Rotmilane im erweiterten Untersuchungsgebiet nachgewiesen werden. Als Ergebnis der Beobachtungen ließen sich für den Bereich X. -Schmithof-Sief-Raeren sowie für den Bereich nördliches Roetgen Funktionsräume festlegen, die als Nahrungshabitat genutzt werden, und auch Flugkorridore beschreiben. Der Nachweis eines Rotmilanhorstes konnte auch unter Einsatz eines Baumkletterers, der zwei Horste näher untersucht hatte, nicht geführt werden. Auch die ergänzende Befragung der Revierförster ergab keine Hinweise auf ein Brutvorkommen des Rotmilans im Untersuchungsgebiet.
227Im Rahmen der Brutvogelkartierung durch das Büro ecoda im Jahr 2014 konnten im weiteren Untersuchungsraum (2.000 m Umkreis um die geplanten WEA) ab Anfang April regelmäßig Rotmilane festgestellt werden. Aus den Daten ergebe sich ein deutlicher Brutverdacht des Rotmilans nordöstlich eines Untersuchungsraumes mit einem 3.000 m - Umkreis um die geplanten Anlagen. Dort sei beobachtet worden, wie ein Rotmilan mit Beute in den Waldbereich eingeflogen sei. Hinweise auf Bruten im engeren und weiteren Untersuchungsraum (1.000 m bzw. 2.000 m Umkreis) hätten sich nicht ergeben. Im weiteren Untersuchungsraum werde der Rotmilan aber als regelmäßiger Nahrungsgast angesehen.
228Der Rotmilan gehört im Verhältnis zu seinem Gesamtbestand nachweislich zu den überproportional häufigsten Schlagopfern von Windenergieanlagen, was sich in erster Linie mit dem fehlenden Meideverhalten dieser Art gegenüber Windenergieanlagen erklärt. Nach dem LANUV-Leitfaden 2013 ist der Radius des Untersuchungsgebietes für die vertiefende Prüfung (ASP II) mit 1.000 m angegeben. Allgemein kann davon ausgegangen werden, dass (jedenfalls) innerhalb eines Radius von 1.000 m um den Horst eines Rotmilans sowie in den regelmäßig frequentierten Nahrungshabitaten und Flugkorridoren ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko durch den Betrieb von Windenergieanlagen gegeben ist, es sei denn, eine Ermittlung der regelmäßig frequentierten Nahrungshabitate und Flugkorridore zeigt auf, dass die innerhalb des 1.000 m-Radius betroffenen Bereiche nicht oder nicht regelmäßig genutzt werden.
229Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20. Januar 2016 - 2 L 153/13 -, juris Rn. 68 ff., und Beschluss vom 21. März 2013 - 2 M 154/12 -, juris Rn. 31; Hessischer VGH, Beschluss vom 21. Dezember 2015 - 9 B 1607/15 -, juris Rn. 39, und Urteil vom 17. Dezember 2013 - 9 A 1540/12.Z -, juris Rn. 11; BayVGH, Urteil vom 18. Juni 2014 - 22 B 13.1358 -, juris Rn. 50, 52 (inzwischen aufgegeben).
230Ob die im Helgoländer Papier 2015 zwischenzeitlich vorgenommene Vergrößerung des empfohlenen Mindestabstandes von Windenergieanlagen zu Brutplätzen des Rotmilans auf 1.500 m nunmehr den allgemein anerkannten fachwissenschaftlichen Standard darstellt und von der Genehmigungsbehörde regelmäßig zu beachten ist,
231vgl. BayVGH, Urteile vom 27. Mai 2016 - 22 BV 15.1959 -, juris Rn. 32, und - 22 BV 15.2003 -, juris Rn. 37, 39, sowie vom 29. März 2016 - 22 B 14.1875 - und 22 B 1422 B 14.1876 -, juris Rn. 45; kritisch: Brandt, Das Helgoländer Papier - grundsätzliche wissenschaftliche Anforderungen, Februar 2016, S. 36; vgl. zur Verbindlichkeit der Abstandsempfehlungen des Helgoländer Papiers auch die Ausführungen unter Ziffer 2.3.5,
232kann die Kammer hier dahin stehen lassen. Denn selbst unter Berücksichtigung dieser Abstandsempfehlung ist vorliegend nicht davon auszugehen, dass ein artenschutzrechtlicher Verbotstatbestand erfüllt wird.
233Aufgrund der erfolgten Brutvogelkartierungen konnte zwar kein Horst eines Rotmilans nachgewiesen werden. Es ergab sich aufgrund der dargestellten Beobachtungen aber ein deutlicher Brutverdacht nordöstlich eines Untersuchungsraumes in einem 3.000 m Umkreis um die geplanten Windenergieanlagen. Der vermutete Horststandort wurde in Karte 2.4 des Ergebnisberichts zur Brutvogelkartierung 2014 kartiert. Nördlich des engeren Untersuchungsraums (1.000 m Umkreis) lag auch der Schwerpunkt der beobachteten Flugbewegungen; hier wurden 16 von 19 Flügen eines Rotmilans beobachtet. Diese Feststellungen stimmen mit dem vom Antragsteller vorgelegten avifaunistischen Fachbeitrag von Dr. Aletsee von der NABU Naturschutzstation Aachen e.V. vom 23. April 2015 überein, dem zufolge nördlich in einer Entfernung von etwa 3.000 m zum Vorhabengebiet ein Horst bekannt sei. Der weiter aufgeführte und südlich vom Vorhabengebiet in einer Entfernung von etwa 1.000 m liegende weitere Horst, der ebenso wie der nördliche Horst seit mehreren Jahren genutzt werde, konnte von den Fachgutachtern hingegen nicht bestätigt werden. Auch Dr. Aletsee war der genaue Standort nicht bekannt. Die Angaben zum Horststandort stammten von Privatpersonen. Auch die auf dieser Grundlage im avifaunistischen Fachbeitrag vom 23. April 2015 getroffene Aussage, es spreche Vieles dafür, dass der Münsterwald von dem Brutpaar des südlich des Vorhabengebietes liegenden Horststandortes zumindest als Flugraum/Flugkorridor genutzt werde, um zu den attraktiven Nahrungshabitaten nördlich des Vorhabengebietes zu gelangen, ist durch die Sichtbeobachtungen im Rahmen der Brutvogelkartierung nicht bestätigt worden. Im engeren Untersuchungsraum (1.000 m Umkreis) wurden lediglich 3 von 19 Flügen beobachtet, von denen nur ein Flug aus dem südlichen Bereich heraus über das Vorhabengebiet erfolgte. Von einer regelmäßigen Nutzung des Luftraums über dem Vorhabengebiet kann angesichts dieser Feststellungen nicht gesprochen werden. Selbst wenn - ohne dass bislang insoweit ein Nachweis geführt worden wäre - tatsächlich davon auszugehen wäre, dass im Abstand von etwa 1.500 m ein noch im Jahr 2015 bebrüteter Horst eines Rotmilanpaars läge, führte dies nicht zur Annahme eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos. Zum einen lässt sich mangels exakter Standortbestimmung bereits nicht feststellen, dass der im Helgoländer Papier 2015 empfohlene Sicherheitsabstand von 1.500 m tatsächlich unterschritten oder möglicherweise doch (noch) eingehalten wäre. Zum anderen aber, und dies ist entscheidend, ist auf der Grundlage der dokumentierten Sichtbeobachtungen nicht davon auszugehen, dass der Münsterwald von einem Brutpaar eines südlich gelegenen Horstes tatsächlich als Flugkorridor zu einem nördlich gelegenen Nahrungshabitat genutzt und das Vorhabengebiet tatsächlich regelmäßig überflogen wird. Diese in dem avifaunistischen Fachbeitrag formulierten Annahmen sind durch die Untersuchungen gerade nicht bestätigt worden. Dies wäre aber zu erwarten gewesen, wenn die weitere Annahme stimmte, dass das Brutpaar "allein nach Norden über das Plangebiet hinweg die Möglichkeit habe, im sogenannten Münsterländchen zwischen Raeren und Kornelimünster weitere Nahrungsressourcen zu erschließen". Das Vorliegen eines Rotmilanhorstes in einer Entfernung von 1.500 m führt hier daher nicht zu einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko, ohne dass es darauf ankäme, ob der auf 1.500 m erhöhte Mindestabstand insoweit inzwischen maßgeblich ist. Dies gilt im Übrigen umso mehr vor dem Hintergrund, dass nach einer dreijährigen Studie von HÖTKER et al. 2013 (Greifvögel und Windkraftanlagen: Problemanalyse und Lösungsvorschläge, S. 93, 95) möglicherweise auch ein Schutzabstand von 1.250 m ausreichend ist.
234Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20. Januar 2016 - 2 L 153/13 -, juris Rn. 68; vgl. auch KohleNusbaumer, Windenergie und Rotmilan: Ein Scheinproblem, Januar 2016, S. 21, die Mindestabstände generell für ungeeignet zum Schutz von Rotmilanen halten, jedenfalls soweit sie 500 m überschreiten.
235Soweit der Antragsteller im Rahmen des vorliegenden Verfahrens auf einen aktuell bebrüteten Rotmilanhorst in einer Entfernung von 1.444 m zum Rotorradius der WEA 7 verweist, ist dieser Vortrag, ohne dass es insoweit auf eine Entscheidung zur Frage des maßgeblichen Mindestabstandes ankäme, hier bereits unbeachtlich.
236Denn in Fällen der Anfechtung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung durch Dritte ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Genehmigung maßgeblich. Dies schließt es zwar nicht aus, nachträglich - etwa aufgrund einer nach Errichtung der Anlage durchgeführten Messung - gewonnene Erkenntnisse im Rahmen einer solchen Drittanfechtungsklage zu berücksichtigen. Denn hierbei handelt es sich nicht um nachträgliche Veränderungen der Sachlage, die zu Lasten des Bauherrn grundsätzlich nicht berücksichtigt werden dürfen, sondern lediglich um spätere Erkenntnisse hinsichtlich der ursprünglichen Sachlage.
237Vgl. OVG NRW, u.a. Beschluss vom 23. Juni 2010 - 8 A 340/09 -, juris Rn. 18 ff. m.w.N.; Willmann, Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Windenergierecht im Jahre 2014, ZNER 2015, 234, 240.
238Um bloße später gewonnene Erkenntnisse hinsichtlich einer früher schon vorhandenen Sachlage handelte es sich vorliegend aber nicht, wenn der Antragsteller vorträgt, im Jahr 2016 sei ein neuer Rotmilanhorst im Abstand von nur ca. 1.444 m zu einer Windenergieanlage festgestellt worden. Diese nachträgliche Veränderung der Sachlage darf vorliegend daher nicht zu Lasten des Vorhabenträgers verwendet werden.
2392.3.7 Schwarzstorch
240Hinsichtlich des Schwarzstorches ist eine Verwirklichung eines artenschutzrechtlichen Verbotstatbestandes ebenfalls nicht zu erwarten.
241Der Schwarzstorch konnte ausweislich des artenschutzrechtlichen Gutachtens des Büros pro terra vom August 2011 im Rahmen der Kartierungen im Jahr 2010/2011 im Untersuchungsgebiet nicht nachgewiesen werden. Auch das avifaunistische Gutachten des Büros raskin aus dem Jahr 2009 weist keine Beobachtungen des Schwarzstorches auf. Nach Informationen von Jagdpächtern bzw. Förstern seien in den vergangenen Jahren aber zweimal Schwarzstörche außerhalb der Brutzeit gesichtet worden. Im August 2011 sei abermals ein Schwarzstorch auf Grünland zwischen Sief und Raeren beobachtet worden (vgl. artenschutzrechtliches Gutachten von pro terra, 2011, S. 35, sowie die Ergänzung des artenschutzrechtlichen Gutachtens von pro terra, 2012, S. 12 f.). Der Schwarzstorch besiedle größere, naturnahe Laub- und Mischwälder mit naturnahen Bächen, Waldteichen, Altwässern, Sümpfen und eingeschlossenen Feuchtwiesen. Bei der Wahl des Bruthabitates würden rechhaltig strukturierte Wälder gegenüber einförmig geschlossenen Waldkomplexen bevorzugt. Für die Anlage von Horsten würden vornehmlich lichte Altholzbestände gewählt. Dabei sei eine geringe Störungstoleranz im Bereich des Horststandortes von hoher Bedeutung. Aufgrund der avifaunistischen Untersuchungsergebnisse sei eine regelmäßige Nutzung der Vorhabensfläche derzeit auszuschließen. Da im näheren Umfeld aktuell kein Brutstandort vorhanden sei, könne auch nicht von einer erheblichen Störung während der Brutzeit oder einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko bei Durchführung des Vorhabens ausgegangen werden.
242Im Rahmen der im Frühjahr 2012 durch das Büro pro terra durchgeführten Funktionsraumanalyse konnten Schwarzstörche auch im auf einen 4 km - Umkreis erweiterten Untersuchungsgebiet nicht nachgewiesen werden. Den Fachgutachtern wurden aber mehrere Beobachtungen von Ditten zugetragen; danach ist der Schwarzstorch im Jahr 2012 im Bereich Kornelimünster/X. und südlich Schmithof sowie auf angrenzendem belgischen Staatsgebiet zwischen Eynatten und Raeren am Reybach beobachtet worden. Zusätzlich soll es nach den Angaben einer Bürgerinitiative gegen die Windparkerstellung im Aachener Münsterwald mehrere Beobachtungen des Schwarzstorches aus dem Jahr 2011 im Umfeld von Schmithof und Marienbildchen, aber auch an der Inde in Belgien gegeben haben. Der Nachweis eines Schwarzstorchhorstes konnte auch unter Einsatz eines Baumkletterers, der zwei Horste näher untersucht hatte, nicht geführt werden. Auch die ergänzende Befragung der Revierförster und Jagdpächter ergab keine Hinweise auf ein Brutvorkommen des Schwarzstorches im Untersuchungsgebiet. Die Fachgutachter gehen auf dieser Grundlage davon aus, dass nicht von einer Brut des Schwarzstorches oder einer regelmäßigen Nahrungssuche im Untersuchungsraum auszugehen sei. Auch, wenn immer wiederkehrende Beobachtungen des Schwarzstorches für den Großraum vorlägen, müsse aufgrund der Untersuchungsergebnisse angenommen werden, dass es sich eher um nicht verpaarte Individuen, Durchzügler oder Tiere vor bzw. nach dem Brutgeschehen handele. Da Teilbereiche des Untersuchungsraums durchaus Besiedlungspotential für den Schwarzstorch aufwiesen, könne eine künftige Ansiedlung nicht ausgeschlossen werden. Aktuell bestehe aber kein Brutverdacht. Ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko sei nicht gegeben.
243Im Rahmen der Brutvogelkartierung durch das Büro ecoda im Jahr 2014 konnten im weiteren Untersuchungsraum (3.000 m - Umkreis um die geplanten WEA) ab Mai an vier Beobachtungstagen Schwarzstörche festgestellt werden. Am 14. Mai 2014 wurde ein Individuum im Gleitflug über Schmithof/Friesenrath in östlicher Richtung fliegend an der Grenze des weiteren Untersuchungsraums (2.000 m Umkreis) gesichtet. Am 20. Mai 2014 wurden zwei Individuen nordöstlich außerhalb des 3.000 m - Umkreises im Bereich Lichtenbusch beobachtet. Am 6. Juni 2014 wurde ein Schwarzstorch an der Dreilägerbachtalsperre, also im 2.000 m - Umkreis, kurz auf- und wieder absteigend gesichtet. Am 3. Juli 2014 wurde zunächst nördlich außerhalb des 3.000 m - Umkreises ein Tier im Gleitflug gesichtet, kurze Zeit später im selben Bereich innerhalb des 3.000 m - Umkreises. Im engeren Untersuchungsraum (1.000 m Umkreis) wurden keine Flugbewegungen des Schwarzstorches registriert. Im weiteren Untersuchungsraum (3.000 m Umkreis) werde der Schwarzstorch in geeigneten Habitaten von den Fachgutachtern als Nahrungsgast eingestuft.
244Dass der scheue und störungsempfindliche Schwarzstorch aufgrund eines fehlenden Meideverhaltens gegenüber Windenergieanlagen zu den kollisionsgefährdeten Vogelarten gehört, ist nicht zwingend anzunehmen. Es sprechen vielmehr auch konkrete Anzeichen dafür, dass er Windenergieanlagen umfliegt, zumal bundesweit nach wie vor erst zwei Schlagopfer registriert sind.
245Vgl. insoweit Landesamt für Umwelt Brandenburg - Staatliche Vogelschutzwarte, Informationen über Einflüsse der Windenergienutzung auf Vögel, Stand: September 2016, S. 9 f.; vgl. auch BayVGH, Beschluss vom 28. September 2015 - 22 CS 15.1625 -, juris Rn. 12, und Urteil vom 18. Juni 2014 - 22 B 13.1358 -, juris Rn. 47.
246Nach dem LANUV-Leitfaden 2013 ist der Radius des Untersuchungsgebietes für die vertiefende Prüfung (ASP II) mit 3.000 m angegeben. Dem entsprechen die Abstandsempfehlungen des Helgoländer Papiers 2015, die hinsichtlich des Schwarzstorches ebenfalls einen Mindestabstand von Windenergieanlagen zu Brutplätzen von 3.000 m empfehlen.
247Ein Horst eines Schwarzstorches konnte im Untersuchungsbereich aber nicht nachgewiesen werden. Auch nach den Feststellungen im avifaunistischen Fachbeitrag von Dr. Aletsee vom 23. April 2015 ist der nächstgelegene Horst vom Vorhabengebiet ca. 10 km entfernt.
248Die Prüfung, ob ein artenschutzrechtliches Verbot hinsichtlich des Schwarzstorches verwirklicht wird, ist aber nicht auf eine Überprüfung der Einhaltung des Mindestabstandes zu einem Brutplatz beschränkt, sondern umfasst auch die Frage, ob regelmäßig genutzte Nahrungshabitate zu Flugkorridoren zwischen Horst und Nahrungshabitat über das Vorhabengebiet führen und dort, wenn auch nicht zu einer signifikant erhöhten Kollisionsgefahr, so jedenfalls zu Störungen führen, die eine möglicherweise populationsrelevante Aufgabe von Brutplätzen zur Folge haben. Dies hat die Antragsgegnerin hier aber im Ergebnis vertretbar verneint. Denn selbst unter Berücksichtigung der im avifaunistischen Fachbeitrag vom 23. April 2015 mitgeteilten weiteren Schwarzstorchbeobachtungen im Zeitraum 2012 bis 2014 ist nicht nachgewiesen, dass es sich beim Vorhabengebiet um ein regelmäßig aufgesuchtes Nahrungshabitat oder jedenfalls um einen regelmäßig auf dem Weg vom Horst zum Nahrungshabitat überflogenen Bereich handelt. Weder durch die Fachgutachter noch durch die Privatpersonen, die ihre Beobachtungen der NABU-Naturschutzstation weitergegeben haben, sind Überflüge über das Vorhabengebiet selbst festgestellt worden. Die wenigen seitens der Fachgutachter festgestellten Flugbewegungen haben alle innerhalb oder sogar außerhalb des 3.000 m - Umkreises stattgefunden. In keinem Fall war der engere Untersuchungsraum (1.000 m Umkreis) auch nur annähernd betroffen. Dass der weitgehend geschlossene Waldbereich des Vorhabensgebietes kein besonders geeignetes Nahrungshabitat darstellt, stellt auch der avifaunistische Fachbeitrag nicht in Frage ("überwiegende Unzulänglichkeit der Nahrungshabitate im Wald"). In diesem wird einzig aus den Flugrichtungen der regelmäßig außerhalb der Waldfläche des Münsterwaldes beobachteten Individuen darauf geschlossen, dass das Vorhabengebiet von diesen (gleichwohl) regelmäßig zur Nahrungssuche aufgesucht wird. Diese Annahme reicht für die Feststellung der Verwirklichung eines artenschutzrechtlichen Verbotstatbestandes, für die die durchgeführten Untersuchungen der Fachgutachter nichts hergeben, aber nicht aus.
2492.3.8 Weitere Angehörige geschützter Vogelarten
250Soweit der Antragsteller hinsichtlich weiterer geschützter Vogelarten die Verwirklichung artenschutzrechtlicher Verbotstatbestände rügt, führt auch dieser Einwand nicht zu einem der Genehmigung der Windenergieanlagen entgegenstehenden Belang.
251Hinsichtlich des windenergiesensiblen Uhus, für den sowohl seitens des LANUV-Leitfadens 2013 als auch nach dem Helgoländer Papier 2015 ein Mindestabstand von 1.000 m zu einem Brutplatz erforderlich ist, ist ausweislich der Ergänzung zum artenschutzrechtlichen Gutachten des Büros pro terra, 2012 (S. 15 f.), davon auszugehen, dass sich das nächste bekannte Brutvorkommen in ca. 2,4 km Entfernung zum Vorhabengebiet in einem aktiven Steinbruch in X. -Friesenrath befindet. Im Untersuchungsgebiet sei im Zeitraum 2010/2011 trotz Einsatzes von Klangattrappen von den Fachgutachtern kein Uhu gesichtet worden. Da von der Beräumung der Vorhabenflächen keine Bruträume betroffen seien, sei auch mit baubedingten Auswirkungen nicht zu rechnen. Auch im Rahmen der Brutvogelkartierung 2014 ist der Uhu im Untersuchungsgebiet nicht festgestellt worden. Die auf dieser Grundlage getroffene Einschätzung der Antragsgegnerin, hinsichtlich des Uhus komme es auch deswegen, weil ernst zu nehmende Hinweise auf einen Hauptflugkorridor des Uhus im Vorhabengebiet ebenfalls nicht vorlägen, nicht zur Verwirklichung eines artenschutzrechtlichen Verbotstatbestandes, ist naturschutzfachlich vertretbar.
252Hinsichtlich der ebenfalls windenergiesensiblen Sumpfohreule wird sowohl seitens des LANUV-Leitfadens 2013 als auch nach dem Helgoländer Papier 2015 ein Mindestabstand von 1.000 m zu einem Brutplatz empfohlen. Im Rahmen der Erfassungen 2010 und 2011 konnte die Sumpfohreule im Untersuchungsgebiet nicht festgestellt werden. Auch anlässlich der Brutvogelkartierung im Jahr 2014 erfolgte kein Nachweis der Art. Dass die Sumpfohreule, die nach den Angaben des Antragstellers im Naturschutzgebiet Struffelt von Privatpersonen in den Jahren 2011 bis 2013 beobachtet worden sei, das Vorhabengebiet regelmäßig als Hauptflugkorridor zwischen Schlafplatz und Nahrungshabitat nutze und den Münsterwald überfliege, ist nicht belegt und drängt sich insbesondere auch auf der Grundlage der avifaunistischen Untersuchungen seitens der Fachgutachter nicht auf. Die auf dieser Grundlage getroffene Einschätzung der Antragsgegnerin, hinsichtlich des Sumpfohreule komme es nicht zur Erfüllung eines artenschutzrechtlichen Verbotstatbestandes, ist naturschutzfachlich ebenfalls vertretbar.
253Der nicht windenergiesensible Kolkrabe konnte im Rahmen der avifaunistischen Untersuchungen in den Jahren 2010-2012 sowie anlässlich der Brutvogelkartierung im Jahr 2014 ebenfalls nicht festgestellt werden. In etwa 2 km Entfernung zum Vorhabengebiet konnten von privater Seite im März und Oktober 2011 jeweils ein Exemplar und im August 2011 zwei Exemplare beobachtet werden. Die Fachgutachter schlossen auf dieser Grundlage eine regelmäßige Nutzung der Vorhabenfläche aus (vgl. Ergänzung zum artenschutzrechtlichen Gutachten des Büros pro terra, 2012, S. 11). Die hierauf basierende Einschätzung der Antragsgegnerin, auch hinsichtlich des Kolkrabens sei kein artenschutzrechtlicher Verbotstatbestand erfüllt, ist naturschutzfachlich vertretbar.
254Im Zeitraum 2010/2011 wurde durch das Büro pro terra einmalig ein ziehender Trupp von 9 Graureihern im freien Luftraum über einer großen Windwurffläche beobachtet. Im Rahmen der Brutvogelkartierung 2014 wurden Graureiher, meist als Einzelindividuen, regelmäßig auf landwirtschaftlich genutzten und als regelmäßige Nahrungshabitate dienenden Offenflächen außerhalb des Waldes bei der Nahrungssuche oder bei Überflügen gesichtet. Die Waldbereiche des zentralen Teils des Untersuchungsraums wurden allenfalls unregelmäßig überflogen und für die Art als allenfalls gering bedeutend eingestuft. Hinweise auf eine Brutkolonie im weiteren Untersuchungsraum (2.000 m Umkreis) haben sich nicht ergeben. Der Graureiher wird im LANUV-Leitfaden 2013 nicht als windenergiesensibel eingestuft. Im Helgoländer Papier 2015 wird für den Graureiher als Koloniebrüter ein Mindestabstand von 1.000 m zu einem Brutort empfohlen. Ein solcher Brutort konnte aber auch im weiteren Untersuchungsraum nicht festgestellt werden. Angesichts dessen ist die Einschätzung der Antragsgegnerin, hinsichtlich des Graureihers sei die Verwirklichung eines artenschutzrechtlichen Verbotstatbestandes nicht zu erwarten, im Ergebnis naturschutzfachlich vertretbar.
255Schließlich gilt dies ebenso hinsichtlich des nicht als windenergiesensibel eingestuften Mäusebussards. Dieser gehört zwar zu den im Rahmen der Vogelkartierungen in den Jahren 2010 und 2011 im Untersuchungsgebiet festgestellten Vogelarten. Auch konnten bei den Horstsuchen des Büros pro terra im Jahr 2012 zwei Horste eindeutig einem Mäusebussard zugeordnet (Horst Nr. 3 und 6) und damit ein Brutnachweis erbracht werden. Beide Horste befinden sich nordöstlich des Vorhabengebietes außerhalb der Waldflächen, einer etwa am Rande des 3.000 m Umkreises (Horst Nr. 3), einer am äußeren Rand des erweiterten Untersuchungsraums mit einem 2.000 m Umkreis (Horst Nr. 6). Auch im Rahmen der Brutvogelkartierung 2014 wurden Mäusebussarde bei jeder Begehung im engeren und weiteren Untersuchungsraum (1.000 m bzw. 2.000 m Umkreis) festgestellt. Die Fachgutachter gehen insoweit vom Vorliegen von acht Brutrevieren im weiteren Untersuchungsraum (2.000 m Umkreis) aus. Der Mäusebussard gilt aber nicht als windenergiesensibel. Für ihn sind weder im LANUV-Leitfaden 2013 noch im Helgoländer Papier 2015 Mindestabstände oder Prüfbereiche empfohlen. Im Sinne einer Regelfallvermutung durfte die Antragsgegnerin daher davon ausgehen, dass hinsichtlich des Mäusebussards die Verwirklichung eines artenschutzrechtlichen Verbotstatbestandes nicht zu erwarten ist. Dies ist ungeachtet des Vorliegens anderer Erkenntnisse, wie der vom Antragsteller insoweit zitierten, offenbar im Jahr 2016 publizierten Studie PROGRESS, im Ergebnis jedenfalls naturschutzfachlich vertretbar.
2562.3.9 Wildkatze
257Letztlich ist auch hinsichtlich der Wildkatze ein artenschutzrechtlicher Verbotstatbestand nicht erfüllt.
258Freilanduntersuchungen zur Erfassung des Vorkommens im Vorhabengebiet wurden nicht durchgeführt. Das Büro pro terra geht in seinem artenschutzrechtlichen Gutachten vom August 2011 auf der Grundlage u.a. einer Beobachtung eines Exemplars im Indetal zwischen Rott und Mulartshütte davon aus, dass das Vorhabengebiet innerhalb des Streifgebietes mindestens einer Wildkatze liege (S. 39). Vor diesem Hintergrund sei davon auszugehen, dass es insbesondere in der Bau- und Anlagephase zu Störungen der gerade in den Phasen der Trächtigkeit und vor allem der Jungenaufzucht (März bis Juni) störungsempfindlichen Wildkatze kommen könne. Die Beeinträchtigung der Reproduktionsphase werde vorsorglich durch das Bauzeitfenster (Beräumung im Winter) vermieden. Das Nutzungspotential des Bereichs als Streifgebiet bleibe erhalten. Eine Vergrämung der Wildkatzen sei nicht zu prognostizieren, da von einer individuellen Gewöhnung an die Anlagen ausgegangen werden könne (vgl. Art-für-Art-Protokoll "Wildkatze" im Anhang 7 zum artenschutzrechtlichen Gutachten des Büros pro terra, 2011).
259Im LANUV-Leitfaden 2013 wird die Wildkatze nicht als windenergiesensibel eingestuft. Möglichen baubedingten Auswirkungen (z.B. in Waldgebieten mit Vorkommen der störungsempfindlichen Wildkatze) ließen sich in der Regel durch geeignete Vermeidungsmaßnahmen (z.B. durch Bauzeitenbeschränkungen) erfolgreich ausschließen (S. 12).
260Soweit der Antragsteller auf die Studie von SIMON 2014 verweist, die für eine Empfindlichkeit der Wildkatze gegenüber dem Betrieb von Windenergieanlagen spreche, lässt sich nicht feststellen, dass sich diese Einschätzung fachwissenschaftlich durchgesetzt hat und die Wildkatze inzwischen entgegen der Einstufung im LANUV-Leitfaden 2013 als windenergiesensibel einzustufen ist. So weisen verschiedene Studien und fachwissenschaftliche Äußerungen darauf hin, dass es nach wie vor keine gesicherten Erkenntnisse zu betriebsbedingten Störwirkungen der Windenergieanlagen auf die Wildkatze gebe (vgl. z.B. HUPE 2012, Auswirkungen eines Windparks auf die Europäische Wildkatze am Rödeser Berg: "keine belastbaren Daten auf wissenschaftlicher Grundlage", S. 20; BUND und FA Wind, Dokumentation vom 21. Juli 2015 über den Workshop: Vereinbarkeit der Windenergienutzung mit dem Schutz der Wildkatze: "mangelnde Erkenntnisse über die Wirkung von Windenergieanlagen im Wald auf die Wildkatze", "Bauzeitenregelung als sinnvolle Vermeidungsmaßnahme"; BUND, Pressemitteilung vom 12. November 2012, Unzulässige Argumentation - Luchs und Wildkatze werden durch den Betrieb von Windenergieanlage nicht beeinträchtigt: "nicht einmal Hinweise", "kurzfristige Scheucheffekte in der Bauphase nicht ausgeschlossen"; alle abrufbar im Internet).
261Die Antragsgegnerin konnte im Rahmen ihrer naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative daher davon ausgehen, dass es keine Nachweise für eine Empfindlichkeit der Wildkatze gegenüber dem Betrieb der Windenergieanlagen gebe. Hinsichtlich möglicher baubedingter Störwirkungen hat die Antragsgegnerin in dem zum Gegenstand des Genehmigungsbescheides gemachten Konzept der Ökologischen Baubegleitung durch die festgeschriebene Bauzeitenregelung, die insbesondere die störungsempfindliche Phase der Jungenaufzucht berücksichtigt, eine geeignete Vermeidungsmaßnahme aufgegeben. Auch dies ist nicht zu beanstanden.
262Im Ergebnis lässt sich die Verwirklichung eines artenschutzrechtlichen Verbotstatbestandes daher unter keinem Gesichtspunkt feststellen.
2632.4 Das Vorhaben widerspricht auch nicht i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB Belangen der Landschaftspflege.
264Belange der Landschaftspflege im Sinne der genannten Vorschrift stehen einem Vorhaben insbesondere dann entgegen, wenn dieses in nicht durch Ausnahmegenehmigung oder Befreiung zu behebender Weise in Widerspruch zu einer gültigen Landschaftsschutzverordnung steht.
265Vgl. OVG NRW, Urteil vom 5. September 2006 - 8 A 1971/04 -, juris Rn. 55; BVerwG, Beschluss vom 2. Februar 2000 - 4 B 104.99 -, juris Rn. 2.
266Ob die Belange des Landschaftsschutzes sich gegenüber dem entgegenstehenden Interesse des Bauherrn an der Realisierung eines privilegierten Vorhabens i.S.d. § 35 Abs. 1 BauGB durchsetzen, ist im Rahmen der nachvollziehenden Abwägung nach der konkreten Schutzwürdigkeit der Landschaft am vorgesehenen Standort zu beurteilen. Diese hängt insbesondere von den verfolgten Schutzzielen und dem Grad der Beeinträchtigung des Landschaftsbildes durch die streitige Windenergieanlage ab, wobei auch etwaige Vorbelastungen zu berücksichtigen sind.
267Vgl. OVG NRW, Urteil vom 5. September 2006 - 8 A 1971/04 -, juris Rn. 55.
268Ausgehend davon ist für das Vorhaben der Beigeladenen festzustellen, dass dieses zwar im Widerspruch zu einer gültigen Landschaftsschutzverordnung steht. Denn der Vorhabenstandort befindet sich innerhalb eines Landschaftsschutzgebietes, das in Nr. 3.2.2 des Landschaftsplans 1988 der Stadt Aachen (LP) festgesetzt worden ist. Anhaltspunkte dafür, dass die Ausweisung des Landschaftsschutzgebiets ganz oder bezogen auf den Bereich, in dem die streitgegenständlichen Anlagen errichtet werden sollen, funktionslos geworden ist, sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Nach § 26 Abs. 2 BNatSchG i.V.m. § 34 Abs. 2 LG NRW sind nach Maßgabe näherer Bestimmungen alle Handlungen verboten, die den Charakter des Gebiets verändern oder dem besonderen Schutzzweck zuwiderlaufen. Nach Nr. 3.2.2 lit. a) Nr. 8 LP ist in diesem Landschaftsschutzgebiet insbesondere die Errichtung baulicher Anlagen, zu denen auch Windenergieanlagen zählen, grundsätzlich verboten.
269Die Voraussetzungen für eine Befreiung von diesem Bauverbot liegen hier aber vor.
270Die Möglichkeit einer Befreiung von dem Bauverbot sieht bereits der Landschaftsplan in Nr. 3.6 Satz 1 LP für Vorhaben i.S.d. § 35 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BauGB (a.F.) vor, wenn das Vorhaben weder den Charakter des Gebiets verändern kann noch dem jeweiligen besonderen Schutzzweck zuwiderläuft. Die Errichtung einer Windenergieanlage wird hiervon jedoch nicht erfasst, weil im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Landschaftsplans im Jahre 1988 Windenergieanlagen nicht zu den nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BauGB privilegierten Anlagen zählten. Eine Befreiung vom Bauverbot nach Nr. 3.6 Satz 1 LP kommt daher nicht in Betracht.
271Nach Nr. 3.6 Satz 2 LP kann (nur) "im Übrigen" auf Antrag von den Festsetzungen des Landschaftsplans Befreiung gewährt werden, wenn die Durchführung der Vorschrift im Einzelfall zu einer nicht beabsichtigten Härte führen würde und die Abweichung mit den Belangen des Naturschutzes zu vereinbaren ist oder zu einer nicht gewollten Beeinträchtigung von Natur und Landschaft führen würde (Ziffer 1.) oder überwiegende Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung erfordern (Ziffer 2.). Diese Befreiungsmöglichkeit betrifft damit allein die Festsetzungen des Landschaftsplans, die kein Bauverbot festlegen. Aus dem Landschaftsplan selbst folgt für das streitgegenständliche Vorhaben daher keine Möglichkeit zur Befreiung vom Bauverbot der Nr. 3.2.2 lit. a) Nr. 8 LP.
272Der Beigeladenen konnte jedoch eine Befreiung vom Bauverbot im Landschafts-schutzgebiet nach § 67 BNatSchG erteilt werden. Aufgrund des am 1. März 2010 in Kraft getretenen (neuen) Bundesnaturschutzgesetzes ist diese Vorschrift an die Stelle des weitgehend inhaltsgleichen § 69 LG NRW getreten, der damit nicht mehr anwendbar ist.
273Vgl. OVG NRW, Urteil vom 16. Januar 2013 - 8 A 2252/11 -, juris Rn. 65; VG Aachen, Urteil vom 7. Mai 2012 - 6 K 1140/10 -, juris Rn. 43 ff., 53.
274Nach § 67 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG kann von den Geboten und Verboten des BNatSchG, in einer Rechtsverordnung auf Grund des § 57 sowie nach dem Naturschutzrecht der Länder auf Antrag Befreiung erteilt werden, wenn
275- 276
1. dies aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer und wirtschaftlicher Art, notwendig ist oder
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2. die Durchführung der Vorschrift im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen würde und die Abweichung mit den Belangen von Naturschutz und Landschaftspflege vereinbar ist.
Das Tatbestandsmerkmal der "unzumutbaren Belastung" ist hier nicht einschlägig. Es verlangt nach gefestigter Rechtsprechung unter anderem einen atypischen Sachverhalt, in dem zwar der Tatbestand der jeweils betroffenen Ge- oder Verbotsnorm vorliegt, auf den diese Vorschrift nach ihrem normativen Gehalt jedoch nicht zugeschnitten ist, also eine Sach- und Rechtslage, in der die Anwendung der Vorschrift im Einzelfall zu einem Ergebnis führen würde, das dem Normzweck nicht mehr entspricht und vom Normgeber nicht beabsichtigt ist. Eine unzumutbare Belastung liegt demnach dann vor, wenn der Normgeber den in Frage stehenden Sachverhalt in seinen Konsequenzen für den Betroffenen nicht erkannt hat oder nicht erkennen konnte und der Betroffene mit dem den Sachverhalt betreffenden landschaftsrechtlichen Verbot unzumutbar benachteiligt wird.
280Vgl. OVG NRW, Urteil vom 19. Januar 2001 - 8 A 2049/99 -, juris Rn. 25, und Beschluss vom 21. Juli 1999 - 10 A 1699/99 -, juris Rn. 7; Gellermann, BNatSchG, § 67 Rn 14 f.; Lau, BNatSchG, § 67 Rn. 4; Gatz, a.a.O., Rn. 301 f.
281Bei einem Bauverbot als Folge einer naturschutzrechtlichen Schutzfestsetzung liegt in aller Regel keine unzumutbare Belastung vor. Denn die Untersagung der Errichtung baulicher Anlagen im Schutzgebiet ist vom Normgeber regelmäßig gerade gewollt. Dafür, dass dies für Windenergieanlagen ausnahmsweise nicht beabsichtigt gewesen sein sollte und der Normgeber insoweit diesen inzwischen häufig auftretenden Sachverhalt nicht erkannt haben könnte, ist nichts ersichtlich.
282Vgl. Lau, BNatSchG, § 67 Rn. 4; Gatz, a.a.O., Rn. 302.
283In Betracht kommt daher allein die Alternative, nach der die Befreiung aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses notwendig sein muss.
284Vgl. Gatz, a.a.O., Rn. 303.
285Der Begriff des "überwiegenden öffentlichen Interesses" i.S.d. § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG setzt zunächst eine atypische Sondersituation voraus, die der Verordnungsgeber beim Erlass der Verordnung nicht in den Blick genommen hat. Erst wenn diese Voraussetzung vorliegt, bedarf es einer Abwägungsentscheidung.
286Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. März 1998 - 4 A 7.97 -, juris Rn. 26, und Beschluss vom 20. Februar 2002 - 4 C3. 12.02 -, juris Rn. 3; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13. Oktober 2005 - 3 S 2521/04 -, juris Rn. 46; VG Minden, Urteil vom 22. Oktober 2014 - 11 K 2069/13 -, juris Rn. 55; Gellermann, BNatSchG, § 67 Rn. 10; Lau, BNatSchG, § 67 Rn. 4.
287Von einer derartigen atypischen Sondersituation ist hier auszugehen. Windenergieanlagen gehörten zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Landschaftsplanes im Jahre 1988 nicht zu den nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BauGB (a.F.) privilegierten Anlagen, für die - wie oben bereits ausgeführt - der Verordnungsgeber eine Befreiungsmöglichkeit vom Bauverbot ausdrücklich vorgesehen hat. Durch die mit der Änderung des Baugesetzbuches im Jahre 1997 erfolgte baurechtliche Privilegierung von Windenergieanlagen, die verfassungsrechtlich und einfachgesetzlich hervorgehobene Bedeutung erneuerbarer Energien für den Klimaschutz und die Erhaltung natürlicher Lebensgrundlagen (Art. 20a GG, Art. 29a LV NRW, § 1 Abs. 3 Nr. 4 BNatSchG) und die staatliche Subventionierung derartiger Energieträger durch das Erneuerbare Energien Gesetz hat der Gesetzgeber ein öffentliches Interesse am Ausbau regenerativer Energien und damit auch an der Errichtung von Windenergieanlagen zum Ausdruck gebracht, das zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Landschaftsplans so noch nicht bestand und sich daher nach heutiger Rechtslage im Einzelfall im Rahmen einer Abwägung gegenüber den Bauverboten einer Landschaftsschutzverordnung durchsetzen kann.
288Vgl. VG Minden, Urteil vom 22. Oktober 2014 - 11 K 2069/13 -, juris Rn. 43 ff.; Agatz, Windenergiehandbuch, 11. Auflage 2014, S. 112.
289Für die Beantwortung der Frage, ob die Befreiung aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses i.S.d. § 67 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG notwendig ist, bedarf es einer Abwägungsentscheidung. Der Bilanzierungsgedanke kommt im Tatbestandsmerkmal der "überwiegenden" Gründe zum Ausdruck. "Überwiegen" bedeutet, dass die Gründe des Gemeinwohls im Einzelfall so gewichtig sind, dass sie sich gegenüber den mit der Verordnung verfolgten Belangen durchsetzen. Ob dies (ausnahmsweise) der Fall ist, ist aufgrund einer Abwägung zu ermitteln.
290Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Februar 2002 - 4 B 12.02 -, juris Rn. 5; Gatz, a.a.O., Rn. 303; Gellermann, BNatSchG, § 67 Rn. 12 f.; Lau, BNatSchG, § 67 Rn. 5.
291Durch den Hinweis auf das "Gemeinwohl" ist klargestellt, dass in die bilanzierende Betrachtung zugunsten einer Ausnahme nur Gründe des öffentlichen Interesses und nicht auch private Belange eingestellt werden dürfen. Dabei entspricht nicht jedes beliebige, sondern nur ein qualifiziertes öffentliches Interesse dem Gemeinwohl. Bei der Abwägung ist in Rechnung zu stellen, dass eine Ausnahme allenfalls in Betracht kommt, wenn Gründe des öffentlichen Interesses von besonderem Gewicht sie rechtfertigen.
292Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Februar 2002 - 4 B 12.02 -, juris Rn. 5.
293Sind überwiegende Gemeinwohlbelange gegeben, so müssen diese darüber hinaus die Befreiung auch "notwendig" machen. Dies bedeutet zwar nicht, dass die Befreiung das einzig denkbare Mittel für die Verwirklichung des jeweiligen öffentlichen Zwecks sein muss, sie setzt aber voraus, dass es zur Wahrnehmung des öffentlichen Interesses vernünftigerweise geboten ist, mit Hilfe der Befreiung das Vorhaben an der vorgesehenen Stelle zu verwirklichen; dessen Erfüllung muss also nicht mit der Erteilung der Befreiung stehen und fallen. Auch dann, wenn andere, auch weniger nahe liegende Möglichkeiten zur Erfüllung des Interesses zur Verfügung stehen, kann eine Befreiung im vorstehenden Sinn vernünftigerweise geboten sein. Nicht ausreichend ist, dass die Befreiung dem Gemeinwohl nur irgendwie nützlich oder dienlich ist.
294Vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 2004 - 4 B 110.03 -, juris Rn. 6; BayVGH, Beschluss vom 31. Januar 2008 - 15 ZB 07.825 -juris Rn. 8; Gellermann, BNatSchG, § 67 Rn. 12 f.; Lau, BNatSchG, § 67 Rn. 5; Gatz, a.a.O., Rn. 308.
295Sind alternative Lösungen erkennbar, die ohne unzumutbaren Aufwand oder langfristige Untersuchungen eine Realisierung der Interessen auch ohne Befreiung ermöglichen, ist eine Befreiung regelmäßig nicht erforderlich.
296Vgl. zu allem auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13. Oktober 2005 - 3 S 2521/04 -, juris Rn. 46 ff.; Gatz, a.a.O., Rn. 308; Gellermann, BNatSchG, § 67 Rn. 13.
297Die Gründe des Wohls der Allgemeinheit, die für die Errichtung der Windenergieanlagen sprechen, setzen sich vorliegend gegen die gegenläufigen öffentlichen Belange des Landschaftsschutzes durch.
2982.4.1 Grundsätzlich handelt es sich bei dem öffentlichen Interesse, das mit der Errichtung von Windenergieanlagen verfolgt wird, um ein in diese Abwägung mit hohem Gewicht einzustellendes qualifiziertes Interesse. Die Nutzung der Windenergie dient der Nutzung regenerativer Energiequellen und letztlich der Reduktion von Treibhausgasen und damit einem wichtigen umweltpolitischen Ziel.
299Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13. Oktober 2005 - 3 S 2521/04 -, juris Rn. 50 f.; VG Minden, Urteil vom 22. Oktober 2014 - 11 K 2069/13 -, juris Rn. 63; Gatz, a.a.O., Rn. 304; Willmann, ZNER 2015, 234, 242; vgl. auch Ziffern 1.1 und 8.2.2.5 lit. b) des Windenergie-Erlasses NRW.
300Das mit § 1 Abs. 2 EEG verfolgte Ziel, den Anteil des aus erneuerbaren Energien erzeugten Stroms am Bruttostromverbrauch stetig und kosteneffizient auf mindestens 40 bis 45 % bis zum Jahr 2025 und auf 55 bis 60 % bis zum Jahre 2035 zu erhöhen, sowie das Ziel der nordrhein-westfälischen Landesregierung, den Anteil der Windenergie an der Stromerzeugung von heute 4 % bis auf mindestens 15 % im Jahre 2020 auszubauen, kann letztlich nur erreicht werden, wenn die Errichtung von Windenergieanlagen auch in Landschaftsschutzgebieten nicht grundsätzlich ausgeschlossen und die Erteilung von Befreiungen und Ausnahmen hierfür in Betracht gezogen wird. Denn etwa 45,2 % der Landesfläche Nordrhein-Westfalens wird von Landschaftsschutzgebieten abgedeckt und für die Kommunen besteht überdies die Verpflichtung, der Privilegierungsentscheidung des Gesetzgebers Rechnung zu tragen und für die Windenergienutzung in substantieller Weise Raum zu schaffen.
301Vgl. BVerwG, u.a. Urteile vom 24. Januar 2008 - 4 CN 2.07 -, juris Rn. 11, und vom 17. Dezember 2002 - 4 C 15.01 -, juris Rn. 29, VG Minden, Urteil vom 22. Oktober 2014 - 11 K 2069/13 -, juris Rn. 63 ff., 69; vgl. auch Ziffern 1.1 und 8.2.2.5 lit. b) des Windenergie-Erlasses NRW.
302Diesem öffentlichen Interesse steht das in § 1 BNatSchG allgemein zum Ausdruck kommende Interesse an der dauerhaften Sicherung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts und der Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie des Erholungswerts von Natur und Landschaft entgegen. Diesem Interesse kommt vorliegend ein besonderes Gewicht zu. Denn der Vorhabenbereich liegt im räumlichen Geltungsbereich eines Landschaftsschutzgebietes, das einen weiter gesteigerten Landschaftsschutz bewirkt.
303Die Errichtung von Windenergieanlagen in Landschaftsschutzgebieten kommt insbesondere in Teilbereichen großräumiger Landschaftsschutzgebiete mit einer im Einzelfall weniger hochwertigen Funktion für den Naturschutz und die Landschaftspflege sowie die landschaftsorientierte Erholung in Betracht, soweit die Vereinbarkeit mit der Schutzfunktion des Landschaftsschutzgebietes insgesamt gegeben ist. Eine Befreiung im Einzelfall kann deshalb nur dann in Betracht gezogen werden, wenn die konkreten Anlagen auch unter Berücksichtigung der Zwecke, die die Verordnung selbst im Auge hat, aus Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt ist. Zentral kommt es für diese Einschätzung auf die Schutzwürdigkeit der Landschaft am vorgesehenen Standort an.
304Vgl. Gatz, a.a.O., Rn. 304; VG Minden, Urteil vom 22. Oktober 2014 - 11 K 2069/13 -, juris Rn. 65; vgl. Ziffer 8.2.2.5 lit. b) des Windenergie-Erlasses NRW.
305Die Schutzausweisungen des Landschaftsplans 1988 der Stadt Aachen dienen ausweislich der textlichen Festsetzungen zu Ziffer 3.2.2 LP allgemein der Sicherung der Vielfalt, Eigenart und Schönheit des Landschaftsraumes sowie der Entwicklung zu einem ausgewogenen Landschaftsbild und Naturhaushalt. Landschaftsschutzgebiete werden im Landschaftsplan in Anlehnung an § 21 LG NRW danach festgesetzt
306a) zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts oder der Nutzungsfähigkeit der Naturgüter;
307b) wegen der Vielfalt, Eigenart und Schönheit des Landschaftsbildes oder
308c) wegen ihrer besonderen Bedeutung für die Erholung.
309Für den Bereich des Vorhabengebiets ist in der Entwicklungskarte zum Landschaftsplan das Entwicklungsziel "Erhaltung einer mit naturnahen Lebensräumen oder sonstigen natürlichen Landschaftselementen reich oder vielfältig ausgestatteten Landschaft " (Ziffer 3.1.1 LP) dargestellt. Ausweislich des Erläuterungsberichts zu Ziffer 3.1.1 LP sind mit dem Entwicklungsziel "Erhaltung" die Bereiche erfasst, bei denen das Schwergewicht der Landschaftsentwicklung auf der Erhaltung des Gesamtcharakters einer überwiegend mit natürlichen Landschaftselementen reich oder vielfältig ausgestatteten Landschaft liegt. Das Entwicklungsziel "Erhaltung" wird für das Vorhabengebiet ("das südliche Stadtgebiet") in den textlichen Darstellungen zu Ziffer 3.1.1 lit. j) LP dahingehend konkretisiert, dass bei landschaftswirksamen Maßnahmen "die typische Heckenlandschaft, die Bachtäler, besonders der Inde und des Iterbaches mit ihren natürlichen Bachläufen und vielfältiger Ufervegetation und die ausgedehnten Waldgebiete mit Wasser-, Klima- und Immissionsschutzfunktionen" zu berücksichtigen sind.
310Einige der mit dem Entwicklungsziel "Erhaltung" versehenen Flächen weisen zusätzlich das Entwicklungsziel "Ausbau für extensive Erholung" auf. Es ist ausweislich des Erläuterungsberichts zu Ziffer 3.1.1 LP als Unterziel anzusehen und mit dem Entwicklungsziel Erhaltung vereinbar, da es sich ausschließlich um extensive Erholung wie Wandern, Reiten, Radfahren mit den zugehörigen Einrichtungen handelt. Die Überlagerung mit dem Ziel extensive Erholung erfolgt, um die Bereiche herauszuheben, die im GEP, in der Waldfunktionskarte oder als verbindende Grünzüge im Rahmen der Bauleitplanung für extensive Erholung von Bedeutung sind (a), damit andere planende Behörden Kenntnis von diesen Zielen erhalten, um sie gemäß § 33 LG NRW bei ihren Planungen zu berücksichtigen (b), und um damit auch deutlich zu machen, dass die übrigen Bereiche nicht die gleiche Bedeutung für die extensive Erholung haben (c). Eine Überlagerung mit dem Entwicklungsziel 4e "Ausbau für extensive Erholung" ist ausweislich der textlichen Darstellungen zu Ziffer 3.1.4.1 LP u.a. für das Indetal zwischen Kornelimünster und Hahn (lit. j), für das Iterbachtal zwischen Kornelimünster und Monschauer Straße (lit. k), für den Münsterwald um Kitzenhaus (lit. l) sowie für Teile des Münsterwaldes um Rotterdell (lit. m) vorgenommen worden. Da das Vorhabengebiet von den Bereichen, für die überlagernd das Entwicklungsziel "Ausbau für extensive Erholung" dargestellt ist, nicht erfasst wird, ist nach lit. c) des Erläuterungsberichtes zu Ziffer 3.1.1 LP und zu Ziffer 3.1.4 LP davon auszugehen, dass das Vorhabengebiet nicht die gleiche Bedeutung für die extensive Erholung hat wie die in Ziffer 3.1.4.1 LP genannten Bereiche.
311Entgegen der Annahme des Antragstellers war in die Abwägung der widerstreitenden Interessen die Erholungsfunktion des Münsterwaldes daher nicht mit einer besonderen Bedeutung einzustellen. Hinsichtlich des Schutzziels der Festsetzung des konkreten Landschaftsschutzgebietes für den Bereich des Vorhabens ist vielmehr davon auszugehen, dass die Unterschutzstellung (allein) erfolgt ist, um die naturräumliche Eigenart des konkreten Landschaftstyps, namentlich die dort anzutreffende "typische Heckenlandschaft, die Bachtäler, besonders der Inde und des Iterbaches mit ihren natürlichen Bachläufen und vielfältiger Ufervegetation und die ausgedehnten Waldgebiete mit Wasser-, Klima- und Immissionsschutzfunktionen", zu schützen.
312Hinsichtlich der in die Abwägung einzustellenden Auswirkungen des Vorhabens ist neben einer möglichen Beeinträchtigung der für den Vorhabenbereich geltenden konkreten Schutzziele des Landschaftsplans vor allem eine Beeinträchtigung des Landschaftsbildes des betroffenen Schutzgebietes zu betrachten sowie, wenn auch nicht mit der ihr vom Antragsteller zugedachten besonderen Bedeutung (s.o.), die (allgemeine) Erholungsfunktion dieses Waldbereiches.
313Die konkreten Schutzziele des Landschaftsplans werden durch das Vorhaben nicht wesentlich beeinträchtigt. Insoweit kommt wegen der Entfernung des Vorhabengebietes zu den geschützten typischen Heckenlandschaften sowie den Bachtälern der Inde und des Iterbaches in erster Linie eine Beeinträchtigung der ausgedehnten Waldgebiete mit ihren Wasser-, Klima- und Immissionsschutzfunktionen in Betracht. Bauvorhaben in Waldgebieten können zwar die Wasser-, Klima- und Immissionsschutzfunktionen des Waldes beeinträchtigen. Vorliegend ist aber zu berücksichtigen, dass die Baumaßnahmen nur einen kleinen Teil der gerade in ihrer landschaftstypischen Ausdehnung geschützten Waldgebiete betreffen und sich, worauf die Antragsgegnerin zu Recht hingewiesen hat, auf punktuelle Beeinträchtigungen beschränken. Soweit der Antragsteller insoweit darauf verweist, im Bereich des Prälatensiefs liege in unmittelbarer Nähe zur WEA 3 ein 50 m breiter und 400 m langer Streifen des biotypischen Birken-Erlenbruchwaldes, der im Gutachten des Büros raskin aus dem Jahr 2009 naturfachlich in der höchsten Stufe eingestuft sei und durch die 150 m lange Kranaufbaufläche sowie die Kranstell- und Lagerflächen der WEA 3 dauerhaft teilweise zerstört werde, betrifft auch diese Beeinträchtigung nur einen kleinen Teil des mehr als 50 ha großen und im Gutachten raskin naturschutzfachlich hoch bewerteten Waldkomplexes. Im Ergebnis gilt dies auch für die vom Antragsteller für die Bauphase befürchteten Sedimenteintragungen im südöstlichen Abschnitt des Naturschutzgebietes "Oberlauf der Inde, N 9.2" durch den auf dem dort unmittelbar angrenzenden Haupterschließungsweg zu erwartenden Lkw-Verkehr. Auch hierbei handelt es sich um flächenmäßig geringfügige und nur für einen vorübergehenden Zeitraum zu erwartende Beeinträchtigungen, die auch unter Berücksichtigung von Summationseffekten in ihrer Gesamtheit die konkreten Schutzziele der Festsetzung des Landschaftsschutzgebietes nicht wesentlich beeinträchtigen. Gleichwohl sind diese Beeinträchtigungen in die vorzunehmende Abwägung als gegen die Verwirklichung des Vorhabens sprechende Belange einzustellen.
314Die Erholungsfunktion des Münsterwaldes wird durch das Vorhaben ebenfalls nicht erheblich beeinträchtigt. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass dem Vorhabengebiet keine über das normale Maß hinausgehende Erholungsfunktion zukommt. Dies ergibt sich zum einen, wie dargelegt, bereits aus der Einschätzung des Plangebers. Zum anderen kommt dem Vorhabengebiet auch nicht wegen der vom Antragsteller vorgebrachten Argumente eine besondere Erholungsfunktion zu. Insbesondere die sog. RAVEL-Route, der Vennbahn-Radweg und der Wanderweg "Eifelsteig" haben das Vorhabengebiet nicht zu einem herausragenden Erholungsbereich aufgewertet. Wenn auch deren jeweilige Bedeutung für die Erholung der sie nutzenden Menschen groß sein mag, ist dies nicht in gleicher Weise für die von ihnen tangierten Teile des Vorhabengebietes festzustellen. Insoweit bleibt es dabei, dass den Waldbereichen keine Erholungsfunktion zukommt, die über die für alle für die Allgemeinheit frei zugänglichen Waldgebiete zu konstatierende Erholungsfunktion hinausgeht. Allein der Umstand, dass die Windenergieanlagen von der RAVEL-Route bzw. dem Vennbahnradweg aus sichtbar sein werden, vermag deren Erholungsfunktion nicht mehr einzuschränken als dies durch andere Infrastrukturmaßnahmen, mit denen die Nutzer dieser Wege regelmäßig auch an anderer Stelle konfrontiert werden, ebenfalls der Fall ist.
315Als in die Abwägung einzustellender wesentlicher Belang ist schließlich die vorhabenbedingte Beeinträchtigung des Landschaftsbildes zu berücksichtigen. Das naturschutzrechtliche Schutzgut des Landschaftsbildes wird maßgeblich durch die mit dem Auge wahrnehmbaren Zusammenhänge von einzelnen Landschaftselementen bestimmt. Dabei sind alle tatsächlich vorhandenen Elemente des Landschaftsbildes von Bedeutung, die dieses unter den Aspekten Vielfalt, Eigenart oder Schönheit mitprägen. Beeinträchtigt wird das Landschaftsbild dann, wenn seine Veränderung von einem für Schönheiten der natürlich gewachsenen Landschaft aufgeschlossenen Durchschnittsbetrachter als nachteilig empfunden wird.
316Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. September 1990 - 4 C 44.87 -, juris Rn. 35; OVG NRW, Urteil vom 16. Januar 1997 - 7 A 310/95 -, juris Rn. 13 ff.; VG Aachen, Urteil vom 7. Mai 2012 - 6 K 1140/10 -, juris Rn. 95.
317Die vorhabenbedingten Auswirkungen auf das Landschaftsbild sind im Verfahren zur Änderung Nr. 117 des Flächennutzungsplans der Stadt Aachen sowie im Genehmigungsverfahren im Einzelnen untersucht und bewertet worden. Ausweislich der im Jahre 2011 durch das Büro Lange erstellten Landschaftsbildanalyse sind die Auswirkungen auf das Landschaftsbild als gering bis mittelschwer eingestuft worden. Dabei wurden bei der Bewertung Vorbelastungen des Untersuchungsraums durch Überhöhungen des Horizonts durch Sendemasten und Feuermeldetürme im Münsterwald und eine Hochspannungsfreileitungstrasse bei X. sowie durch die - aufgrund ihrer Breite und Lärmentwicklung als ästhetisch beeinträchtigend zu bewertenden - Hauptverkehrsstraßen, insbesondere die B 258 (Himmelsleiter), berücksichtigt. Im Rahmen der Umweltverträglichkeitsstudie wurden im Jahr 2014 die vorhabenbedingten Auswirkungen auf das Landschaftsbild in Anlehnung an die Landschaftsbildanalyse von Lange, 2011, im Genehmigungsverfahren durch das Büro ecoda erneut untersucht und nach dem Bewertungsmodell von Nohl, 1993, bewertet. Hierzu erstellte das Büro ecoda eine Sichtbereichsanalyse, der zufolge die geplanten Windenergieanlagen innerhalb eines Umkreises von 5 km auf einer Fläche von 17,9 % des gesamten Untersuchungsraums sichtbar sein würden. Die Wirkung des Windparks könne in einer Entfernung bis zu etwa 1,5 km (Wirkzonen I und II) aufgrund des relativ hohen Anteils am vertikalen Blickfeld als dominant beschrieben werden. Für einen Betrachter in der Wirkzone I (< 200 m), der in dieser Entfernung auch die Schallimmissionen der Anlagen deutlich wahrnehme, ergebe sich eine klare Dominanz. Dieser Eindruck werde aber durch die geschlossene Bewaldung im Nahbereich deutlich abgemildert. Nur von wenigen Orten im Nahbereich sei mehr als eine der geplanten Anlagen zu sehen. In der Wirkzone II (200 m bis 1,5 km) träten die Windenergieanlagen immer noch als dominant hervor, wenn auch hier die Schallimmissionen keine Rolle mehr spielten. Auch hier seien aufgrund von Bebauung und Bewaldung die Windenergieanlagen nur von wenigen Stellen aus sichtbar. In der Wirkzone III (1,5 km bis 5 km) seien die geplanten Anlagen als subdominante Elemente im Landschaftsbild wahrzunehmen. Unter Berücksichtigung der vergleichsweise geringen Flächenanteile mit Sichtbeziehungen zu den geplanten Anlagen in den Landschaftsräumen mit überdurchschnittlicher bis hoher Bedeutung für das Landschaftsbild und die Erholung, die sich aus dem hohen Bewaldungsgrad und der damit einhergehenden geringen visuellen Verletzlichkeit ergeben, sowie der Tatsache, dass Sichtbeziehungen in nennenswertem Maße erst in größerer Entfernung zum Vorhabengebiet zu erwarten seien, seien erhebliche negative Auswirkungen auf das Landschaftsbild nicht zu erwarten (Umweltverträglichkeitsstudie des Büros ecoda vom 23. Oktober 2014, S. 32 ff. 75 ff., 82; Landschaftspflegerischer Begleitplan I des Büros ecoda vom 23. Oktober 2014, S. 46 ff.). Aufgrund von Einwendungen, die gegen die der Sichtbereichsanalyse zugrunde gelegte Annahme gerichtet waren, hinsichtlich der Geländehöhen sei bei den Siedlungsflächen von einer durchschnittlichen Höhe von 10 m auszugehen, wurde die Sichtbereichsanalyse um zwei weitere Betrachtungen ergänzt, in denen modellhaft eine Geländehöhe der Siedlungsflächen von 0 m bzw. 5 m zugrunde gelegt wurde. Danach würde sich der Flächenanteil, von dem aus die Anlagen sichtbar sein werden, auf 19,2 % (bei 5 m Geländehöhe) bzw. 20,9 % (bei 0 m Geländehöhe) erhöhen.
318Auf der Grundlage dieser Untersuchungen ist zunächst davon auszugehen, dass das Vorhabengebiet kein unbelastetes Landschaftsbild aufweist. Es liegen Überhöhungen des Horizonts vor (Feuerwehrmeldeturm, Hochspannungsfreileitungstrasse), wenngleich es für Windenergieanlagen der genehmigten Höhe im Untersuchungsraum kein Vorbild gibt. Die Windenergieanlagen werden daher zweifelsohne eine Veränderung des Landschaftsbildes bewirken. Allerdings kann nach den Untersuchungen des Büros ecoda davon ausgegangen werden, dass die Anlagen lediglich von einem Flächenanteil von maximal etwa 20 % aus überhaupt sichtbar sein werden. Gerade in den Bereichen, in denen wegen der geringen Entfernung die Windenergieanlagen vom Betrachter als stark dominant empfunden werden, ist die Sichtbarkeit aufgrund der in weiten Bereichen durchgehend starken Bewaldung stark eingeschränkt; mehrere Anlagen werden im Nahbereich nur selten sichtbar sein.
319Der diesem Ergebnis gegenüber erhobene Einwand des Antragstellers, die Sichtbereichsanalyse gehe fehlerhaft davon aus, dass das Naturschutzgebiet Struffelt bewaldet sei, weswegen die von diesem "hoch bis sehr hoch empfindlichen" Bereich aus bestehenden Sichtbeziehungen zu den Anlagen fehlerhaft nicht bewertet worden seien, verfängt nicht. Denn der Geländecharakter des Naturschutzgebietes ist in der Sichtbereichsanalyse zutreffend wiedergegeben worden. Zwar mag die Formulierung, dass von der Raumeinheit "Hochmoorflächen Hohes Venn", die dem Naturschutzgebiet Struffelt entspricht, die geplanten Windenergieanlagen "aufgrund der vollständigen Bewaldung nicht sichtbar" seien, missverständlich sein. Die Verfasser der Umweltverträglichkeitsstudie haben aber in der weiteren Erläuterung zu der fraglichen Fläche Folgendes ausgeführt (Umweltverträglichkeitsstudie des Büros ecoda vom 23. Oktober 2014, S. 79):
320" In der Raumeinheit Hochmoorflächen Hohes Venn, die mit einer hohen bis sehr hohen Empfindlichkeit eingestuft wurde, werden Sichtbereiche zu den geplanten WEA nur innerhalb der südwestlichen Teilfläche auftreten, da die östlich des Vorhabengebiets liegende Teilfläche vollständig bewaldet ist. Die südwestlich gelegene Teilfläche weist aufgrund ihres halboffenen Charakters nur in geringem Maße Sichtbeziehungen zu den geplanten WEA auf. Da zudem die Zugänglichkeit der Teilfläche aufgrund des Moorcharakters und des Status als NSG deutlich eingeschränkt ist, werden die geplanten WEA voraussichtlich nicht oder nur von wenigen Teilflächen aus sichtbar sein. Daher wird das Konfliktpotential für die Raumeinheit Hochmoorflächen Hohes Venn als gering eingestuft."
321Dass hierdurch der Landschaftscharakter des Naturschutzgebietes unzutreffend wiedergegeben worden ist, ist nicht erkennbar. Angesichts dessen besteht kein vernünftiger Zweifel daran, dass dies auch der Sichtbereichsanalyse zugrunde gelegt und nicht davon ausgegangen worden ist, der Bereich sei vollständig bewaldet.
322Im Rahmen der unter Berücksichtigung der konkreten Schutzwürdigkeit der Landschaft am vorgesehenen Standort vorzunehmenden nachvollziehenden Abwägung überwiegt hier angesichts der hohen Bedeutung des öffentlichen Interesses an der im Außenbereich privilegierten Windenergienutzung auf der einen Seite und der auf der anderen Seite nur geringen Beeinträchtigung der Schutzziele der Festsetzungen des Landschaftsschutzgebiets und der Erholungsfunktion des Waldes am Standort der Anlagen sowie der im Ergebnis als nicht erheblich nachteilig zu bewertenden Veränderungen des Landschaftsbildes aus den dargelegten Gründen das öffentliche Interesse an einer Befreiung vom Bauverbot.
3232.4.2 Die Befreiung ist überdies auch notwendig i.S.d. § 67 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG. Wie bereits dargelegt, muss es zur Wahrnehmung des öffentlichen Interesses vernünftigerweise geboten sein, mit Hilfe der Befreiung das Vorhaben an der vorgesehenen Stelle zu verwirklichen. Sind jedoch alternative Lösungen erkennbar, die ohne unzumutbaren Aufwand oder langfristige Untersuchungen eine Realisierung der Interessen auch ohne Befreiung ermöglichen, ist eine Befreiung regelmäßig nicht erforderlich.
324Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13. Oktober 2005 - 3 S 2521/04 -, juris Rn. 46 ff.; Gatz, a.a.O., Rn. 308.
325Vorliegend führt die Prüfung möglicher Alternativen jedoch nicht zu der Annahme, dass die Verwirklichung des Vorhabens, an dem ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht, auch an anderer Stelle möglich ist, weshalb es einer Befreiung nicht bedarf. Die Antragsgegnerin hat zu den vom Antragsteller insoweit aufgeführten Alternativflächen überzeugend ausgeführt, dass und warum diese für die Realisierung eines Windparks nicht in Frage kommen. Mögliche Standorte wurden bereits im Verfahren zur Änderung Nr. 117 des Flächennutzungsplans der Stadt Aachen betrachtet. Diese wurden ausgeschieden, weil sie zu geringe Flächengrößen aufwiesen und sich deshalb als ungeeignet erwiesen, weil sie zumindest die gleiche, teilweise auch höhere Schutzbedürftigkeit aufwiesen, weil sie aus artenschutzrechtlichen Gründen oder deswegen nicht zur Verfügung standen, weil sie als Kompensationsflächen für den Bebauungsplan 800 "Avantis" benötigt werden oder weil sie innerhalb des einzuhaltenden Mindestabstandes zu einer in Planung befindlichen Autobahnzufahrt bzw. des Bauschutzbereiches des Flughafens Merzbrück liegen. Angesichts dessen kann nicht festgestellt werden, dass alternative Lösungen erkennbar sein könnten, die ohne unzumutbaren Aufwand oder langfristige Untersuchungen eine Realisierung der Interessen auch ohne Befreiung ermöglichten.
326Da schließlich Ermessensfehler nicht ersichtlich sind, ist die im Genehmigungsbescheid konzentrierte Befreiung nach § 67 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG rechtlich nicht zu beanstanden.
3272.5 Der Belang einer Verunstaltung des Landschaftsbildes i.S.d. § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB steht dem Vorhaben ebenfalls nicht entgegen.
328In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist insoweit rechtsgrundsätzlich geklärt, dass eine Verunstaltung im Sinne von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB voraussetzt, dass das Vorhaben dem Orts- oder Landschaftsbild in ästhetischer Hinsicht grob unangemessen ist und von einem für ästhetische Eindrücke offenen Betrachter als belastend empfunden wird. Dieser Grundsatz gilt auch gegenüber im Außenbereich privilegierten Vorhaben, die - wie hier die geplanten Windenergieanlagen - dem Außenbereich ausdrücklich "planähnlich" zugewiesen sind. Zwar bewirkt die Privilegierung ein stärkeres Durchsetzungsvermögen gegenüber den von dem Vorhaben berührten öffentlichen Belangen. Die Gestaltung und die Dimensionen derartiger technischer Bauwerke waren dem Gesetzgeber durchaus bekannt wie auch die Tatsache, dass Windenergieanlagen auf windhöffige Standorte angewiesen sind, die sich meist an besonders exponierten Stellen in der Landschaft befinden. Die sich daraus zwangsläufig ergebende dominierende Wirkung derartiger Anlagen auf die nähere Umgebung erlaubt deshalb für sich allein noch nicht den Schluss auf eine Verunstaltung des Landschaftsbildes, weil ansonsten derartige Vorhaben im Mittelgebirge praktisch ausgeschlossen wären, obwohl der Gesetzgeber die Errichtung solcher Anlagen im Außenbereich privilegiert hat in Kenntnis der Tatsache, dass sie in einem gewissen Maß das durch § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB geschützte Landschaftsbild zwangsläufig verändern. Eine Entscheidung über den konkreten Standort derartiger Anlagen hat der Gesetzgeber jedoch nicht getroffen. Ihre Zulässigkeit steht deshalb unter dem Vorbehalt, dass die einzelne Anlage das Orts- und Landschaftsbild im konkreten Einzelfall nicht verunstaltet, was allein anhand der Umstände der jeweiligen örtlichen Situation zu beurteilen ist. Dabei ist eine Verunstaltung des Landschaftsbildes allerdings nur in Ausnahmefällen anzunehmen, nämlich dann, wenn es sich um eine wegen ihrer Schönheit und Funktion besonders schutzwürdige Umgebung oder um einen besonders groben Eingriff in das Landschaftsbild handelt, was zum Beispiel dann nicht der Fall ist, wenn die Landschaft bereits vorbelastet ist. Ob eine Landschaft durch technische Einrichtungen und Bauten bereits so vorbelastet ist, dass eine Windkraftanlage sie nicht mehr verunstalten kann, ist aber ebenfalls eine Frage des jeweiligen Einzelfalls. Deshalb kann auch allein aus der Größe der jeweils streitigen Windenergieanlage und der Tatsache, dass eine solche deshalb markant in Erscheinung tritt, nicht zwangsläufig auf eine Verunstaltung des Landschaftsbildes geschlossen werden. Allerdings ist bei dieser den Tatsachengerichten obliegenden wertenden Einschätzung die anlagentypische Drehbewegung der Rotorblätter als Blickfang nicht außer Betracht zu lassen. Bei der Beantwortung der Frage, ob ein derartiges Vorhaben das Landschaftsbild verunstaltet, ist der Blick allerdings nicht allein auf die nähere Umgebung des geplanten Standortes zu richten. Angesichts der Tatsache, dass derartige Bauvorhaben aufgrund ihrer Größe weithin sichtbar sind, ist vielmehr auf einen größeren maßstabbildenden Bereich abzustellen.
329Vgl. BVerwG, u.a. Beschluss vom 18. März 2003 - 4 B 7.03 -, juris Rn. 4 f.; VG Aachen, Urteil vom 7. Mai 2012 - 6 K 1140/10 -, juris Rn. 95.
330Eine Verunstaltung des Landschaftsbildes ist hier aber entgegen der Annahme des Antragstellers nicht festzustellen. Denn zum einen handelt es sich bei dem Vorhabenbereich, wie zuvor zur Frage der Befreiung von den Festsetzungen des Landschaftsplans im Einzelnen ausgeführt, nicht um einen - ausnahmsweise - besonders hervorgehobenen und wegen seiner Schönheit und Einzigartigkeit besonders schutzwürdigen Landschaftsraum und zum anderen kann aus den dargelegten Gründen bereits eine erhebliche, aber noch unterhalb der Stufe der Verunstaltung liegende Beeinträchtigung des Landschaftsbildes durch die Windenergieanlagen nicht angenommen werden.
331Vgl. insoweit auch Gatz, a.a.O., Rn. 320 und 340.
3322.6 Belange der natürlichen Eigenart der Landschaft und ihr Erholungswert (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB) stehen dem Vorhaben ebenfalls nicht entgegen.
333Der Begriff der natürlichen Eigenart der Landschaft umfasst den Schutz des Außenbereichs vor einer wesensfremden Nutzung und den Schutz einer im Einzelfall schutzwürdigen Landschaft vor ästhetischer Beeinträchtigung, unabhängig davon, ob die Landschaft förmlich unter Naturschutz gestellt ist. Ob durch ein Vorhaben die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigt wird, hängt von der betreffenden Landschaft sowie der Lage, Gestaltung und Benutzung des betreffenden Vorhabens ab. Hat das Vorhaben nur unerhebliche Auswirkungen auf die Landschaft, ist noch keine Beeinträchtigung dieses öffentlichen Belangs anzunehmen. Eine Verletzung der natürlichen Eigenart der Landschaft liegt bei einer der jeweiligen Landschaft wesensfremden Bebauung vor, sowie dann, wenn ein - auch privilegiert zulässiges -Vorhaben einem schutzwürdigen Landschaftsbild in ästhetischer Hinsicht grob unangemessen ist.
334Vgl. u.a. Hessischer VGH, Urteil vom 25. Juli 2011 - 9 A 103/11 -, juris Rn. 65; Gatz, a.a.O., Rn. 343 f.
335Mit der Berufung auf die natürliche Eigenart der Landschaft kann ein privilegiertes Vorhaben aber nur dann verhindert werden, wenn es sich um eine wegen ihrer Funktion besonders schutzwürdige Umgebung handelt. Der öffentliche Belang der Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft und ihres Erholungswertes, der in ästhetischer Sicht identisch ist mit dem Schutz vor einer Verunstaltung des Landschaftsbildes, steht im Regelfall der Errichtung von Windenergieanlagen im Außenbereich nicht entgegen, weil der Gesetzgeber diese Vorhaben im Außenbereich gerade privilegiert.
336Vgl. Gatz, a.a.O., Rn. 343 ff., 346.
337Dafür, dass vorliegend ausnahmsweise etwas anderes gelten könnte, ist unter Bezugnahme auf die Ausführungen unter Ziffer 2.4 zu der Frage der Befreiung von den Festsetzungen des Landschaftsschutzgebietes nichts ersichtlich.
3382.7 Dem Betrieb der Windenergieanlagen steht auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Störung der Funktionsfähigkeit von Erdbebenmessstationen ein öffentlicher Belang entgegen.
339Rechtlich handelt es sich bei dem Einwand nach Auffassung der Kammer um die Geltendmachung eines unbenannten "öffentlichen Belangs" i.S.d. § 35 Abs. 3 BauGB, der - in entsprechender Anwendung der Rechtsprechung zu dem öffentlichen Belang des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 8 (Störung der Funktionsfähigkeit von Funkstellen und Radaranlagen) - jedenfalls dann einem privilegierten Vorhaben wie einer Windenergieanlage entgegenstehen kann, wenn die Erzielung der gewünschten Ergebnisse (hier: seismologische Aufzeichnungen über Erdbewegungen etc.) verhindert, verschlechtert, verzögert oder spürbar erschwert wird und diese Störung durch Beifügung von Nebenbestimmungen zur Genehmigung nicht vermieden werden kann.
340Vgl. BayVGH, Urteil vom 18. September 2015 - 22 B 14.1263 -, juris Rn. 44 f., 78, zu einem Wetterradar; abweichend Schrader, Windenergie und seismologische Stationen - neue „Baustopper“ im BImSchG-Genehmigungsverfahren?, NVwZ 2016, 584, 586, 587, der insoweit eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots prüft, allerdings in diesem Rahmen ebenfalls die zum Konflikt mit Wetterradaranlagen entwickelten Grundsätze anwendet.
341Dies lässt sich vorliegend jedoch nicht feststellen.
342Nach der nachträglich eingeholten Stellungnahme des Geologischen Dienstes vom 10. Februar 2016 dienten nicht nur die vom Geologischen Dienst betriebenen Erdbebenmessstationen, sondern auch die seiner Kooperationspartner unmittelbar der Erdbebenüberwachung des Landes Nordrhein-Westfalen. Der Geologische Dienst verweist unter Bezugnahme auf vergleichbare, nach wissenschaftlichen Kriterien durchgeführte Studien darauf, dass "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Errichtung von Windenergieanlagen im Umkreis von 10 Kilometern zu einer Beeinträchtigung der Funktionstüchtigkeit der Erdbebenstationen unserer Kooperationspartner führen" werde. Der Stellungnahme beigefügt wurde eine Anlage, in der gestützt auf eine Studie der Arbeitsgruppe Seismologie des "Forschungskollegiums Physik des Erdkörpers" (FKPE) vom 1. Oktober 2013 und die dort beschriebenen negativen Einflüsse von Windenergieanlagen auf Erdbebenstationen Anforderungen an ein vom jeweiligen Vorhabenträger vorzulegendes Gutachten zum Ausschluss eines signifikanten Einflusses von Windenergieanlagen auf Erdbebenstationen formuliert wurden. Der Geologische Dienst geht daher davon aus, dass erst ein vom Vorhabenträger vorzulegendes Gutachten die Grundlage für die vom Geologischen Dienst vorzunehmende Einzelfallprüfung bietet, ob die Signalqualität an den Erdbebenstationen durch den Betrieb der Windenergieanlagen (weiter) verschlechtert wird.
343Mit dem vom Einzelfall losgelösten und auf eine allgemeine Studie gestützten bloßen Hinweis darauf, dass eine Beeinträchtigung der Funktionstüchtigkeit der Messstationen der Kooperationspartner "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" zu erwarten sei, hat der Geologische Dienst jedoch nicht nachvollziehbar und substantiiert dargelegt, dass Erdbebenmessungen an den von den Kooperationspartnern betriebenen Messstationen an der Dreilägerbachtalsperre, der Kalltalsperre sowie in Ternell durch den Betrieb des genehmigten Windparks tatsächlich verhindert, verschlechtert, verzögert oder spürbar erschwert werden und diese Störung durch Beifügung von Nebenbestimmungen zur Genehmigung nicht vermieden werden kann.
344Unstreitig erzeugen Windenergieanlagen durch die Bewegung des Rotors Erschütterungen, die sich in Form von elastischen Wellen ausbreiten, mit zunehmender Entfernung aber wieder abnehmen. Inwieweit diese Erschütterungen die Messergebnisse von Erdbebenstationen beeinträchtigen, ist in der Wissenschaft noch nicht abschließend geklärt. Auch die vom Geologischen Dienst zitierte FKPE-Studie führt insoweit nur aus, dass es einzelne wissenschaftliche Untersuchungen gebe, für Nordrhein-Westfalen aber noch keine geeigneten Studien vorlägen, die man für eine Bewertung des Einzelfalls heranziehen könne. Auch in der im Verfahren nachträglich eingeholten Stellungnahme der Universität Köln vom 31. Mai 2016 als Betreiberin der Erdbebenstationen an der Dreilägerbachtalsperre sowie der Kalltalsperre wird betont, dass es "derzeit kein verlässliches, allgemein akzeptiertes Prognoseverfahren für die Erschütterungswirkung von einzelnen oder Gruppen von WEAn unterschiedlicher Bauart bei unterschiedlichen Betriebszuständen und für beliebigen geologischen Untergrund im Entfernungsbereich von 1 bis 10 km" gebe. Vor diesem Hintergrund ist auch die offenbar durch die Energieagentur NRW initiierte Beauftragung eines gemeinsamen Forschungsvorhabens des MKULNV NRW und des MWEIMH NRW zu sehen, das die Störwirkung von Windenergieanlagen auf seismologische Stationen systematisch untersuchen und Vorschläge für Bewertungsmaßstäbe im Genehmigungsverfahren entwickeln soll (vgl. das den Beteiligten bekannte Schreiben des MKULNV NRW vom 30. Mai 2016 an die Mittelbehörden).
345Ungeachtet dieser grundsätzlichen wissenschaftlichen Fragestellungen ist die konkrete Beeinflussung einer Messstation durch den Betrieb einer Windenergieanlage im Übrigen regelmäßig eine Frage des Einzelfalls. Sie ist insbesondere abhängig von den technischen Spezifikationen der Windenergieanlage und ihrem jeweiligen Betriebszustand, von der Empfindlichkeit und Signalqualität der Messstation sowie den lokal wirksamen Einflüssen des geologischen Untergrunds (vgl. FKPE-Studie 2013 sowie die Stellungnahme der Universität Köln vom 31. Mai 2016).
346Da es bislang an einer wissenschaftlich fundiert begründeten Festlegung von Mindestabständen von Windenergieanlagen zu Erdbebenmessstationen fehlt, ist im Genehmigungsverfahren im Einzelfall zu prüfen, ob eine Störung der Funktion einer seismologischen Station durch den Betrieb einer Windenergieanlage zu erwarten ist und ob diese ggf. ein Gewicht erreicht, dass sie der Genehmigung einer im Außenbereich privilegierten Windenergieanlage entgegensteht.
347Dem entspricht der gemeinsame Erlass des MKULNV NRW und des MWEIMH NRW vom 17. März 2016, durch den Ziffer 8.2.12 des Windenergie-Erlasses vom 4. November 2015 mit Blick auf die im Praxisvollzug aufgetretenen erheblichen Schwierigkeiten konkretisiert und aktualisiert worden ist. In dem Erlass werden zunächst die Prüfradien für die Beteiligungsvorgabe des Geologischen Dienstes nach deren spezifischen lokalen Verhältnissen (Fest- oder Lockergestein, genaue Aufgabe der zu erfassenden seismischen Ereignisse, aktuelle Funktionsfähigkeit/Signalqualität) genauer differenziert und dann zur Beteiligung des Geologischen Dienstes ausgeführt:
348" Äußert der GD im Rahmen der Stellungnahme im BImSchG-Genehmigungsverfahren Bedenken, wird er diese substantiiert begründen. Der GD nutzt alle ihm vorliegenden Daten und Erkenntnisse, um weitgehend eine Erstellung von externen Gutachten zu vermeiden. Die Genehmigungsbehörden unterstützen den GD dabei durch die Bereitstellung der ihnen über bereits errichtete WEA vorliegenden Daten.
349Sofern der GD im Einzelfall die konkrete Möglichkeit einer unzulässigen Störung plausibel und begründet darlegt, ist zunächst der fachliche Sachverhalt durch ein Gutachten des WEA-Antragstellers zu ermitteln. "
350Eine derart substantiierte und plausible Darlegung, dass im zu entscheidenden Einzelfall die konkrete Möglichkeit einer unzulässigen Störung anzunehmen sein könnte, ist hier aber nicht erfolgt. Auch nach dem Erlass vom 17. März 2016 besteht bei dieser Sachlage (noch) keine Veranlassung, zur weiteren Aufklärung ein von der Beigeladenen vorzulegendes Fachgutachten zu fordern. Wenn nicht einmal der Umfang einer möglichen Beeinträchtigung vom Träger öffentlicher Belange hinreichend dargelegt ist, vermag der geschützte Belang der Genehmigung des privilegierten Vorhabens aber nicht i.S.d. § 35 Abs. 3 BauGB entgegenzustehen.
3512.8 Ein Verstoß gegen das als unbenannter öffentlicher Belang im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB ebenfalls zu beachtende Gebot der Rücksichtnahme, das bei Windenergieanlagen im Hinblick auf eine möglicherweise optisch bedrängende Wirkung relevant werden kann,
352vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Dezember 2006 - 4 B 72/06 -, juris Rn. 4 ff.; OVG NRW, Urteil vom 9. August 2006 - 8 A 3726/05 -, juris Rn. 73 ff., und Beschluss vom 24. Juni 2010 - 8 A 2764/09 -, juris Rn. 42 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen,
353liegt nicht vor. Insbesondere ist der im Regelfall zur Wohnbebauung einzuhaltende Mindestabstand (dreifache Gesamthöhe der Anlage) erkennbar eingehalten.
3542.9 Das Vorhaben widerspricht als raumbedeutsames Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB auch nicht den Zielen der Raumordnung (§ 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB).
355Ziele der Raumordnung nach § 35 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 BauGB sind, weil sich aus dem Baugesetzbuch nichts anderes ergibt, im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG auszulegen. Danach sind Ziele der Raumordnung verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Raumordnung abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums. Raumordnungspläne sind nach § 3 Abs. 1 Nr. 7 ROG zusammenfassende, überörtliche und fachübergreifende Pläne nach den §§ 8 und 17 ROG, so dass darunter nach § 8 Abs. 1 Satz 1 ROG sowohl der Raumordnungsplan für das Landesgebiet (landesweiter Raumordnungsplan, in NRW: Landesentwicklungsplan - LEP NRW -) als auch die Raumordnungspläne für Teilräume der Länder (Regionalpläne) fallen. Die Ziele müssen wirksam festgelegt und sachlich und räumlich hinreichend konkret sein.
356Vgl. OVG NRW, Urteil vom 16. Juni 2016 - 8 D 99/13.AK -, juris Rn. 314 ff.
357Ziele der Raumordnung, denen ein raumbedeutsames Vorhaben im Außenbereich nicht widersprechen darf, können sich z.B. aus Festlegungen zu Vorbehalts- oder Eignungsgebieten, standortbezogenen Festlegungen für bestimmte Einrichtungen der Infrastruktur oder Höhenfestlegungen, auch in Bezug auf Windkraftanlagen, ergeben.
358Gemäß Ziel B.III.3.21 des LEP NRW dürfen Waldgebiete nur dann für andere Nutzungen in Anspruch genommen werden, wenn die angestrebten Nutzungen nicht außerhalb des Waldes realisierbar sind und der Eingriff in den Wald auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt wird.
359Diese Vorgabe des LEP NRW stellt bereits kein "Ziel" der Raumordnung dar. Denn Ziele der Raumordnung müssen verbindliche Vorgaben darstellen, die einer weiteren Abwägung auf einer nachgeordneten Planungsstufe nicht zugänglich sind. Dem für die Festlegung eines Ziels charakteristischen Erfordernis einer abschließenden Abwägung ist genügt, wenn die auf der landesplanerischen Ebene getroffene Planaussage keiner Ergänzung mehr bedarf.
360Vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. April 2014 - 4 BN 3.14 -, juris Rn. 5 ("Handlungsanweisung mit Letztentscheidungscharakter"); Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 18. Februar 2016 - Vf. 5-VII-14 -, juris Rn. 51; OVG NRW, Urteil vom 22. September 2015 - 10 D 82/13.NE -, juris Rn. 58.
361Demgegenüber lässt das so bezeichnete Ziel des LEP NRW im Einzelfall eine Inanspruchnahme des Waldes ausdrücklich zu, so dass von einer abschließenden Abwägung durch den Plangeber in dem dargelegten Sinne nicht die Rede sein kann.
362Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. September 2015 - 10 D 82/13.NE -, juris Rn. 57, 59, bestätigt durch BVerwG, Beschluss vom 12. Mai 2016 - 4 BN 49.15 -, juris; ebenso Fest/Fechler, Neue Anforderungen an Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen, NVwZ 2016, 1050, 1051.
363Dies gilt im Ergebnis ebenso für den Regionalplan für den Regierungsbezirk Köln, Teilabschnitt Region Aachen, der in seinem insoweit relevanten Ziel 4 zu Ziffer 3.2.1 der textlichen Darstellung für die Inanspruchnahme von Waldbereichen durch Planungen und Maßnahmen, die die Ziele für Waldbereiche beeinträchtigen, auf die Regelungen des LEP NRW für Waldgebiete verweist. Nach Ziel 2 zu Ziffer 3.2.2 der textlichen Darstellung des Regionalplans können Windparks unter Beachtung der Ziele des LEP NRW (insbesondere Ziel B.III.3.2) in Waldbereichen geplant werden, wenn außerhalb des Waldes Windparkplanungen nicht realisierbar sind, der Eingriff auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt und ein möglichst gleichwertiger Ausgleich/Ersatz festgelegt wird. Auch insoweit handelt es sich aus den dargelegten Gründen nicht um Ziele der Raumordnung i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 BauGB.
364Ungeachtet dessen, dass bereits aus diesem Grund ein Widerspruch zu den Zielen der Raumordnung vorliegend nicht festgestellt werden kann, ist dies hier auch deshalb der Fall, weil durch die zuständige Landesplanungsbehörde gemäß § 16 LPlG NRW mit Blick auf die Planungen der Antragsgegnerin zur Änderung Nr. 117 ihres Flächennutzungsplans ein Zielabweichungsverfahren durchgeführt worden ist. Nach der abschließenden Bewertung dieses Einzelfalls berühre die Abweichung von dem textlichen Ziel B.III.3.21 des LEP NRW die Grundzüge der Planung nicht und sei unter raumordnerischen Gesichtspunkten vertretbar. Diese Zielabweichungsentscheidung ist nicht erkennbar rechtswidrig.
365Die Landesplanungsbehörde hat die Voraussetzungen des § 16 LPlG NRW, die Unberührtheit der Planung sowie die Vertretbarkeit der Abweichung unter raumordnerischen Gesichtspunkten, im Einzelnen geprüft und bewertet. Die Landesplanungsbehörde hat dabei zum einen in den Blick genommen, dass durch die geplante Errichtung von Windenergieanlagen im Münsterwald Waldflächen nur punktuell und kleinflächig in Anspruch genommen würden, und dass nach Einschätzung der Regionalplanungsbehörde der Bezirksregierung Köln keine nach den Kriterien des "Leitfadens Rahmenbedingungen für WEA auf Waldflächen in NRW, MKULNV 2012" hochwertigen Waldflächen betroffen seien und sie deshalb auch nach Umsetzung der Planung die nach den Vorgaben des LEP NRW zu sichernden Funktionen des Waldes als erfüllt ansehe. Weil im Zeitpunkt der Erarbeitung des LEP NRW im Jahr 1995 die technische Entwicklung der Windenergienutzung im Binnenland noch nicht so weit gewesen sei, dass eine Errichtung von Windenergieanlagen im Wald näher betrachtet worden sei, sei diese Möglichkeit im LEP NRW auch noch nicht ausdrücklich als planerisches Ziel dargestellt worden (insoweit im Übrigen anders als das Ziel 7.3-3 "Waldinanspruchnahme" des Entwurfs des neuen LEP NRW, in dem die Möglichkeit der Errichtung von Windenergieanlagen auf forstwirtschaftlichen Flächen, sofern wesentliche Funktionen des Waldes nicht erheblich beeinträchtigt werden, ausdrücklich erwähnt wird). Die Landesplanungsbehörde hat zum anderen berücksichtigt, dass auf der Grundlage des von der Antragsgegnerin erarbeiteten „Gesamträumlichen Planungskonzepts für die Nutzung von Windenergie in der Stadt Aachen“ nachvollziehbar dargelegt sei, dass ein erheblicher Anteil des Stadtgebietes nicht für die Ausweisung von Konzentrationsflächen für Windenergieanlagen in Betracht komme. Diese Erwägungen sind nicht evident fehlerhaft.
366Die Zielabweichungsentscheidung ist vor diesem Hintergrund im Rahmen des vorliegenden Verfahrens durch das Gericht im Ergebnis nicht zu beanstanden. Ein Widerspruch zu Zielen der Raumordnung ist daher nicht festzustellen.
3672.10 Auch der auf eine fehlerhaft zu geringe Bemessung der Sicherheitsleistung für die Rückbauverpflichtung i.S.d. § 35 Abs. 5 Satz 3 BauGB zielende Einwand des Antragstellers führt nicht zur Annahme der Rechtswidrigkeit des Genehmigungsbescheides.
368Ungeachtet der Frage, ob der Antragsteller sich auf mögliche Rechtsfehler bei der Bemessung der Sicherheitsleistung überhaupt berufen kann, sind diese hier nicht festzustellen. Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz vom 29. August 2016 insoweit die Nebenbestimmung Ziffer 1.1 (Sicherheitsleistung für Rückbauverpflichtung) dahingehend abgeändert, dass die Sicherheitsleistung "auf 167.000,-- € je WEA zuzüglich eines Sicherheits[zuschlags] von 68.000,-- €, also insgesamt auf 1.237.000,-- € festgesetzt" wird. Dabei hat die Antragsgegnerin sich entsprechend Ziffer 5.2.2.4 des Windenergie-Erlasses NRW an den Herstellungskosten je Anlage in Höhe von 2.566.842,-- € orientiert und zusätzlich einen Sicherheitszuschlag in Höhe von 6,5 % der auf die Herstellung der Kranaufstell- und Lagerflächen sowie der Wege entfallenden Kosten in Höhe von insgesamt 1.043.310,-- € berücksichtigt. Dass die so bemessene Sicherheitsleistung in Höhe von insgesamt 1.237.000,-- € zu gering sein könnte, ist vom Antragsteller weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
369Dem nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB privilegierten Vorhaben stehen öffentliche Belange i.S.d. § 35 Abs. 3 BauGB daher im Ergebnis nicht entgegen. Daran, dass das Vorhaben zudem ausreichend erschlossen i.S.d. § 35 Abs. 1 BauGB ist, bestehen abschließend keine begründeten Zweifel, weshalb die angefochtene Genehmigung aus bauplanungsrechtlichen Gründen letztlich nicht zu beanstanden ist.
3702.11 Eine Unzulässigkeit des Vorhabens folgt schließlich auch nicht aus der Eingriffsregelung des § 15 BNatSchG.
371Nach § 14 Abs. 1 BNatSchG sind Eingriffe in Natur und Landschaft im Sinne des BNatSchG Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen oder Veränderungen des mit der belebten Bodenschicht in Verbindung stehenden Grundwasserspiegels, die die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder das Landschaftsbild erheblich beeinträchtigen können.
372Gemäß § 15 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BNatSchG ist der Verursacher eines Eingriffs verpflichtet, vermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu unterlassen, und unvermeidbare Beeinträchtigungen durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege auszugleichen (Ausgleichsmaßnahmen) oder zu ersetzen (Ersatzmaßnahmen). Nach § 15 Abs. 5 BNatSchG darf ein Eingriff nicht zugelassen oder durchgeführt werden, wenn die Beeinträchtigungen nicht zu vermeiden oder nicht in angemessener Frist auszugleichen oder zu ersetzen sind und die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege bei der Abwägung aller Anforderungen an Natur und Landschaft anderen Belangen im Range vorgehen.
373Im Landschaftspflegerischen Begleitplan I des Büros ecoda vom 23.Oktober 2014 sind die Auswirkungen des Vorhabens auf Natur und Landschaft im Einzelnen auf ihre Eingriffsqualität untersucht worden:
374- 375
Zum Schutzgut Klima und Luft wurde im Ergebnis festgestellt, dass es nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen kommen werde.
- 377
Das Schutzgut Boden werde ebenfalls nicht erheblich beeinträchtigt. Durch die Fundamente der sieben Windenergieanlagen werde eine Fläche von insgesamt etwa 3.603 m² vollständig versiegelt. Durch den Ausbau der Zuwegung incl. Kurvenausbauten sowie durch den Bau der Kranstellflächen werde es zu einer dauerhaften Versiegelung bislang unversiegelter Flächen im Umfang von etwa 26.496 m² kommen. Insgesamt seien damit 30.099 m² von dauerhafter Versiegelung betroffen. Hinzu kämen 8.930 m², die für die Schaffung der zur Vormontage und Lagerung benötigten Flächen temporär geschottert und nach Abschluss der Bauarbeiten wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt würden. Von der vollständigen Versiegelung seien die Bodentypen Pseudogley und Braunerde-Pseudogley betroffen. Böden vom Typ Pseudogley seien im Untersuchungsraum mit einem Flächenanteil von über 95 % dominierend. Der gesamte Untersuchungsraum sei demnach stark von Stauwasser beeinflusst. Auf etwa 18 % der von dem Vorhaben durch Versiegelung und Teilversiegelung betroffenen Flächen seien Böden mit sehr hoher Schutzwürdigkeit aufgrund ihres Biotopentwicklungspotentials für Staunässeböden vorhanden. Durch die geringen Versiegelungsanteile seien mit der Umsetzung der Planung insgesamt vergleichsweise geringe Auswirkungen auf den Boden verbunden. Weitere negative Auswirkungen beim Bau der Anlagen durch Verdichtungen seien durch eine schonende Bauausführung vermeidbar.
- 379
Das Schutzgut Wasser werde insbesondere durch die Verlegung eines Fließgewässers erheblich beeinträchtigt. Dieser Eingriff könne aber durch die naturnahe Neugestaltung des Bachlaufs sowohl räumlich als auch funktional ausgeglichen werden.
- 381
Anhand einer Biotoptypenkartierung im Umfeld der geplanten Windenergieanlagen wurde hinsichtlich der Auswirkungen auf das Schutzgut Flora ein Biotopwertverlust von insgesamt 7.856,59 Punkten festgestellt, der durch geeignete Maßnahmen ausgleichbar sei.
- 383
Hinsichtlich des Schutzgutes Fauna wurden mögliche Eingriffe mit Blick auf die zu erwartenden Auswirkungen auf verschiedene Vogel- und Fledermausarten sowie für Wildkatze, Haselmaus und ggf. auch Springfrosch und Kammmolch erkannt, denen aber durch geeignete Vermeidungs- bzw. Verminderungsmaßnahmen begegnet werden könne.
- 385
Darüber hinaus kam die Untersuchung zu dem Ergebnis, dass es aufgrund der optischen und - in geringerem Maße - akustischen Fernwirkung der geplanten Windenergieanlagen zu erheblichen Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes kommen werde, die durch die Zahlung eines Ersatzgeldes zu kompensieren seien.
Der Eingriffstatbestand des § 14 Abs. 1 BauGB ist bei der Errichtung der Windenergieanlagen daher nach der fachgutachterlichen Untersuchung in Bezug auf die genannten Schutzgüter mit Ausnahme der Schutzgüter Klima und Luft sowie Boden erfüllt.
387Vgl. dazu, dass bei der Errichtung von Windenergieanlagen in aller Regel ein Eingriff vorliegen wird: Gatz, a.a.O., Rn. 312.
388Die zu erwartenden Eingriffe sind nach dem angefochtenen Genehmigungsbescheid sowie dem Landschaftspflegerischen Begleitplan II im Sinne des § 15 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 6 BNatSchGzu vermeiden (artenschutzrelevante Eingriffe, insbesondere durch Maßnahmen im Zuge der Ökologischen Baubegleitung sowie durch Abschaltszenarien, vgl. Ziffern 4.2, 4.3, 4.4 und 5 der Genehmigung), auszugleichen (insbesondere die Auswirkungen mit Eingriffsqualität auf die Schutzgüter Wasser und Flora, vgl. den zum Inhalt des Genehmigungsbescheides gemachten Landschaftspflegerischen Begleitplan I des Büros ecoda vom 23. Oktober 2014, S. 17 ff. und 21 ff., sowie den Nachtrag vom 8. Juli 2015, S. 4 ff., 11, und die Ergänzung vom 16. Oktober 2015, S. 4) und durch die Zahlung eines Ersatzgeldes zu kompensieren (Eingriff in das Landschaftsbild, vgl. Ziffer 4.5 der Genehmigung).
389Der Genehmigungsbehörde steht bei der Bewertung der Eingriffswirkungen eines Vorhabens und ebenso bei der Bewertung der Kompensationswirkung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, insbesondere was deren Quantifizierung betrifft, eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zu. Die vorgenommenen Quantifizierungen bei Eingriffswirkungen und Kompensationsmaßnahmen sind daher nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle zugänglich; sie sind vom Gericht hinzunehmen, sofern sie im Einzelfall naturschutzfachlich vertretbar sind und auch nicht auf einem Bewertungsverfahren beruhen, das sich als unzulängliches oder gar ungeeignetes Mittel erweist, um den gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden.
390Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Juni 2004 - 9 A 11.03 -, juris Rn. 118.
391Ausgehend hiervon ist dafür, dass die Eingriffsqualität der vorhabenbedingten Auswirkungen von der Antragsgegnerin falsch bewertet worden ist, nichts ersichtlich. Dies hat die Kammer hinsichtlich der betroffenen Schutzgüter im Rahmen ihrer Ausführungen zum Artenschutz (Ziffer 2.3) und zum Landschaftsschutz - insbesondere betreffend die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes - (Ziffer 2.4) im Ergebnis bereits im Einzelnen dargelegt. Dass der insgesamt 172 ha große Münsterwald in seiner ökologischen Funktion zerstört wird, wie der Antragsteller annimmt, vermag die Kammer angesichts dessen, dass insbesondere artenschutzrechtliche Verbotstatbestände nicht erfüllt werden und auch die Voraussetzungen einer Befreiung vom Bauverbot im Landschaftsschutzgesetz vorliegen, nicht festzustellen.
392Die Einwände des Antragstellers gegen diese Bewertung greifen nicht durch. Unter Beachtung der auch insoweit bestehenden naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative der Antragsgegnerin zeigen die Untersuchungen im Rahmen der Umweltverträglichkeitsstudie, die sich auf eine Bodenkartierung durch den Geologischen Dienst (2011) sowie die Bodenfunktionskarte der Stadt Aachen (2012) stützen, entgegen der Annahme des Antragstellers, dass auch in den oberen Bodenschichten nicht von einer durchgängigen und zusammenhängenden Stauwasserschicht ausgegangen werden kann. Dieses Ergebnis wird bestätigt durch die zur Bodenstruktur getroffenen Aussagen in den Baugrundgutachten der Büros Prof. Dr.-Ing. Dieler & Partner sowie Dr. Koppelberg & Gerdes. Die Kammer vermag nicht zu erkennen, dass die Antragsgegnerin die Schutzwürdigkeit der im Untersuchungsraum vorzufindenden Böden fehlerhaft eingeschätzt hat. Die Beurteilung der Schutzwürdigkeit wurde auf der Grundlage der Bodenkartierung des Geologischen Dienstes sowie der Bodenfunktionskarte der Stadt Aachen vorgenommen. Dagegen ist angesichts dessen, dass die Einschätzungsprärogative der Antragsgegnerin auch die Beurteilung und Bewertung der Eingriffswirkungen eines Vorhabens umfasst, nichts zu erinnern. Die Antragsgegnerin hat überdies auch nachvollziehbar ausgeführt, dass die im Münsterwald vorzufindenden Stauwasserböden im Stadtgebiet Aachens sehr häufig anzutreffen seien, namentlich in einem Flächenumfang von 852 ha, und deshalb den Pseudogleyböden an den Anlagenstandorten nicht das ihnen vom Antragsteller zuerkannte Alleinstellungsmerkmal zukomme. Dass die teilweise Beseitigung der Wegeseitengräben die vom Antragsteller befürchteten erheblichen Auswirkungen auf das Naturschutzgebiet "Oberlauf der Inde" haben wird, ist ebenfalls nicht anzunehmen. Hinsichtlich des Einbaus von Kalksteinschotter hat die Antragsgegnerin nachvollziehbar und überzeugend darauf hingewiesen, dass die konkreten Auswirkungen auf den Boden- und Wasserhaushalt im Münsterwald angesichts des geringen Anteils der hiervon betroffenen Flächen an der Gesamtfläche von lediglich ca. 0,92 % (2,75 ha) und des Umstandes, dass Auswirkungen ohnehin nur im unmittelbaren Kontaktbereich nachzuweisen seien, insgesamt als gering einzustufen seien.
393Diese Bewertung der Eingriffsqualität auf die Schutzgüter Boden und Wasser sind naturschutzfachlich vertretbar und im Rahmen der dem Gericht allein zukommenden eingeschränkten Kontrolle im Ergebnis nicht zu beanstanden.
394Soweit die Eingriffe danach nicht vermieden oder innerhalb angemessener Frist ausgeglichen oder ersetzt werden können, hier mithin allein in Bezug auf die Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes, ist im Rahmen einer Abwägung zu entscheiden, ob die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege den anderen Belangen im Range vorgehen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Privilegierung von Windenergieanlagen in § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB nicht nur bei der Prüfung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit ein erheblich stärkeres Durchsetzungsvermögen gegenüber den von dem Vorhaben berührten öffentlichen Belangen bewirkt. Um einen Wertungswiderspruch zwischen den Regelungen des § 35 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB einerseits und des § 15 Abs. 5 BNatSchG andererseits zu vermeiden, wenn nämlich ein im Außenbereich privilegiertes Vorhaben an der landschaftsschutzrechtlichen Eingriffsregelung scheiterte, obwohl es die Hürde des § 35 Abs. 1 BauGB nimmt, ist es sachgerecht, dem Durchsetzungsvermögen der bauplanungsrechtlich privilegierten Vorhaben einen prägenden Einfluss auch auf die Abwägung nach § 15 Abs. 5 BNatSchG beizumessen.
395Vgl. Gatz, a.a.O., Rn. 312; a.A. Guckelberger in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG, a.a.O., Rn. 96.
396Die Abwägung führt hier daher angesichts der Bewertung der Beeinträchtigung des Landschaftsbildes, die einer Befreiung vom Bauverbot im Landschaftsschutzgebiet nicht entgegensteht (vgl. die Ausführungen zu Ziffer 2.4), im Ergebnis ebenfalls dazu, dass sich die Privilegierung des Baus der Windenergieanlagen im Außenbereich durchsetzt.
3972.12 Letztlich liegt auch kein Verstoß gegen wald- und forstrechtliche Belange vor (§ 9 BWaldG i.V.m. § 39 LForstG NRW).
398Nach § 9 BWaldG darf Wald nur mit Genehmigung der nach Landesrecht zuständigen Behörde gerodet und in eine andere Nutzungsart umgewandelt werden. Bei der Entscheidung über den Umwandlungsantrag sind die Rechte, Pflichten und wirtschaftlichen Interessen des Waldbesitzers sowie die Belange der Allgemeinheit gegeneinander und untereinander abzuwägen. Die Genehmigung soll versagt werden, wenn die Erhaltung des Waldes überwiegend im öffentlichen Interesse liegt, insbesondere wenn der Wald für die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts, die forstwirtschaftliche Erzeugung oder die Erholung der Bevölkerung von wesentlicher Bedeutung ist.
399Der Landesgesetzgeber hat von der Ermächtigung zu weiteren Einschränkungen in § 9 Abs. 3 Nr. 2 BWaldG Gebrauch gemacht und in § 39 Abs. 3 LForstG NRW geregelt, dass die Genehmigung versagt werden soll, wenn die Erhaltung des Waldes im überwiegenden öffentlichen Interesse liegt, insbesondere wenn der Wald in der Gemeinde einen geringen Flächenanteil hat oder für die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes, den Schutz natürlicher Bodenfunktionen im Sinne des Bundes-Bodenschutzgesetzes, die forstwirtschaftliche Erzeugung, das Landschaftsbild oder die Erholung der Bevölkerung von wesentlicher Bedeutung ist oder dem Schutz gegen schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundesimmissionsschutzgesetzes dient und die nachteiligen Wirkungen der Umwandlungen nicht durch Nebenbestimmungen, insbesondere durch die Verpflichtung, Ersatzaufforstungen durch Saat oder Pflanzung vorzunehmen, ganz oder zum wesentlichen Teil abgewendet werden können.
400Die erforderliche Genehmigung zu der hier beantragten Waldumwandlung hat die Antragsgegnerin erteilt und im angefochtenen Genehmigungsbescheid konzentriert (§ 13 BImSchG). Dies ist nicht zu beanstanden.
401Wie die Kammer unter Ziffer 2.4 im Einzelnen ausgeführt hat, hat der von dem Vorhaben betroffene Teil des Münsterwaldes insbesondere keine wesentliche Bedeutung für die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes, den Schutz natürlicher Bodenfunktionen, das Landschaftsbild oder die Erholung der Bevölkerung. Auf diese Ausführungen wird verwiesen. Nachteilige Auswirkungen der Waldumwandlung, die eine Fläche von insgesamt 18.654,9 m² betrifft, können durch die in den Genehmigungsbescheid aufgenommene Verpflichtung, auf einer Ausgleichsfläche eine Erstaufforstung mit Laubmischwald in einem Umfang von 24.000 m² vorzunehmen, ausgeglichen werden. Die Abwägung führt daher auch im vorliegenden Zusammenhang zu einem Überwiegen der für die Waldumwandlung streitenden Belange.
402Vgl. auch Gatz, a.a.O., Rn. 389.
4032.13 Abschließend weist die Kammer mit Blick auf die weiteren Einwände des Antragstellers, die für die Errichtung der Anlagen erforderlichen Geländeveränderungen (Anschüttungen, Abgrabungen und Abböschungen) seien in den Antragsunterlagen und daraus folgend auch im Genehmigungsbescheid nicht zutreffend dargestellt und auch die für den Wegebau beantragten und genehmigten Bodenveränderungen würden voraussichtlich in deutlich größerem Umfang erforderlich werden, darauf hin, dass dem Genehmigungsbescheid in Verbindung mit den zugrunde liegenden Antragsunterlagen ohne Weiteres entnommen werden kann, welche Gelände- und Bodenveränderungen genehmigt sind. Geländeveränderungen, die von der Genehmigung nicht erfasst sind, dürfen nicht vorgenommen werden. Insofern ist es Aufgabe der Überwachungsbehörde, darüber zu wachen, dass die Anlagen genehmigungskonform errichtet und betrieben werden. Für die Prüfung der Rechtmäßigkeit einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ist aber regelmäßig von einer genehmigungskonformen Errichtung und einem genehmigungskonformen Betrieb auszugehen. Sind Errichtung und/oder Betrieb dagegen tatsächlich nicht genehmigungskonform, kann dies die Rechtmäßigkeit der Genehmigung nicht in Frage stellen, sondern allein Überwachungsmaßnahmen nach sich ziehen. Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn die Genehmigung derart ausgestaltet ist, dass schon von vornherein erkennbar ist, dass die Einhaltung der Genehmigungsvoraussetzungen nicht sichergestellt ist. Dies lässt sich hier aber nicht feststellen.
404Der angefochtene Genehmigungsbescheid der Antragsgegnerin vom 23. November 2015 weist daher im Ergebnis nicht die vom Antragsteller gerügten Rechtsfehler auf.
405Vor diesem Hintergrund fällt die Interessenabwägung zum Nachteil des Antragstellers aus. Leitend dafür ist der Befund, dass die Genehmigung - wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt - mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht rechtswidrig ist. Auch mit Blick auf die Irreversibilität insbesondere der Eingriffe in den Naturhaushalt und unter Beachtung des eingangs dargestellten Prüfungsmaßstabes für das gerichtliche Eilverfahren liegen aus Sicht der Kammer - auch unterhalb der Schwelle zur Rechtswidrigkeit - keine durchgreifenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Genehmigungsbescheide vor, die es rechtfertigten und erforderten, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung sind auf Seiten der Beigeladenen auch deren private wirtschaftlichen Interessen an der Ausnutzung der Genehmigung einzustellen. Die Beigeladene hat ein nachvollziehbares wirtschaftliches Interesse an der möglichst sofortigen Ausnutzbarkeit der Genehmigung. Neben der Erwägung, dass Einnahmen - hier in Form der Einspeisevergütung bzw. Marktprämie nach den Regelungen der §§ 49, 34 EEG - nur im laufenden Betrieb zu erzielen sind, tritt hinsichtlich der finanziellen Förderung der Windenergie hinzu, dass diese degressiv ausgestaltet ist und somit eine spätere Inbetriebnahme eine dauerhaft schlechtere Erlössituation herbeiführt.
406Ob darüber hinaus ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Errichtung gerade dieser Windenergieanlagen zur Förderung des Ausbaus der erneuerbaren Energien nach § 1 Abs. 1, 2 Satz 2 EEG besteht, kann vor diesem Hintergrund dahinstehen.
407Vgl. OVG NRW, u.a. Beschlüsse vom 6. Mai 2016 - 8 B 866/15 -, juris Rn. 43, und vom 18. Dezember 2015 - 8 B 400/15 -, juris Rn. 37 ff.
408Im Ergebnis überwiegt das Vollziehungsinteresse der Beigeladenen, weshalb der Antrag vollumfänglich abzulehnen ist.
409Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
410Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind gemäß § 162 Abs. 3 VwGO erstattungsfähig, weil sie einen Antrag gestellt und sich damit einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
411Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG. Dabei orientiert sich das Gericht bei der Bewertung des Interesses des Antragstellers an dem vorliegenden Verfahren an Nr. 19.2 i.V.m. Nr. 2.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom 18. Juli 2013 und berücksichtigt, dass in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wegen des lediglich vorläufigen Charakters der begehrten Entscheidung der Streitwert regelmäßig auf die Hälfte des für das Hauptsacheverfahren anzusetzenden Streitwerts (für jede der 7 WEA jeweils 15.000,-- €, insgesamt daher 105.000,-- €; vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 6. Mai 2016 - 8 B 866/15 -, juris Rn. 45) zu beziffern ist.
Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Aachen Beschluss, 02. Sept. 2016 - 6 L 38/16
Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Aachen Beschluss, 02. Sept. 2016 - 6 L 38/16
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Verwaltungsgericht Aachen Beschluss, 02. Sept. 2016 - 6 L 38/16 zitiert oder wird zitiert von 17 Urteil(en).
(1) Legt ein Dritter einen Rechtsbehelf gegen den an einen anderen gerichteten, diesen begünstigenden Verwaltungsakt ein, kann die Behörde
- 1.
auf Antrag des Begünstigten nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 die sofortige Vollziehung anordnen, - 2.
auf Antrag des Dritten nach § 80 Abs. 4 die Vollziehung aussetzen und einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der Rechte des Dritten treffen.
(2) Legt ein Betroffener gegen einen an ihn gerichteten belastenden Verwaltungsakt, der einen Dritten begünstigt, einen Rechtsbehelf ein, kann die Behörde auf Antrag des Dritten nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 die sofortige Vollziehung anordnen.
(3) Das Gericht kann auf Antrag Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 ändern oder aufheben oder solche Maßnahmen treffen. § 80 Abs. 5 bis 8 gilt entsprechend.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.
(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.
(1) Eine nach § 3 anerkannte inländische oder ausländische Vereinigung kann, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen einlegen, wenn die Vereinigung
- 1.
geltend macht, dass eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können, widerspricht, - 2.
geltend macht, in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes durch die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen berührt zu sein, und - 3.
im Falle eines Verfahrens nach - a)
§ 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b zur Beteiligung berechtigt war; - b)
§ 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 zur Beteiligung berechtigt war und sie sich hierbei in der Sache gemäß den geltenden Rechtsvorschriften geäußert hat oder ihr entgegen den geltenden Rechtsvorschriften keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist.
(2) Eine Vereinigung, die nicht nach § 3 anerkannt ist, kann einen Rechtsbehelf nach Absatz 1 nur dann einlegen, wenn
- 1.
sie bei Einlegung des Rechtsbehelfs die Voraussetzungen für eine Anerkennung erfüllt, - 2.
sie einen Antrag auf Anerkennung gestellt hat und - 3.
über eine Anerkennung aus Gründen, die von der Vereinigung nicht zu vertreten sind, noch nicht entschieden ist.
(3) Ist eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 nach den geltenden Rechtsvorschriften weder öffentlich bekannt gemacht noch der Vereinigung bekannt gegeben worden, so müssen Widerspruch oder Klage binnen eines Jahres erhoben werden, nachdem die Vereinigung von der Entscheidung Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können. Widerspruch oder Klage gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 oder 6 müssen jedoch spätestens binnen zweier Jahre, nachdem der Verwaltungsakt erteilt wurde, erhoben werden. Satz 1 gilt entsprechend, wenn eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 entgegen geltenden Rechtsvorschriften nicht getroffen worden ist und die Vereinigung von diesem Umstand Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können.
(4) Rechtsbehelfe nach Absatz 1 sind begründet, soweit
- 1.
die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und 2 oder deren Unterlassen gegen Rechtsvorschriften verstößt, die für diese Entscheidung von Bedeutung sind, oder - 2.
die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2a bis 6 oder deren Unterlassen gegen umweltbezogene Rechtsvorschriften verstößt, die für diese Entscheidung von Bedeutung sind,
(1) Auf Antrag wird einer inländischen oder ausländischen Vereinigung die Anerkennung zur Einlegung von Rechtbehelfen nach diesem Gesetz erteilt. Die Anerkennung ist zu erteilen, wenn die Vereinigung
- 1.
nach ihrer Satzung ideell und nicht nur vorübergehend vorwiegend die Ziele des Umweltschutzes fördert, - 2.
im Zeitpunkt der Anerkennung mindestens drei Jahre besteht und in diesem Zeitraum im Sinne der Nummer 1 tätig gewesen ist, - 3.
die Gewähr für eine sachgerechte Aufgabenerfüllung, insbesondere für eine sachgerechte Beteiligung an behördlichen Entscheidungsverfahren, bietet; dabei sind Art und Umfang ihrer bisherigen Tätigkeit, der Mitgliederkreis sowie die Leistungsfähigkeit der Vereinigung zu berücksichtigen, - 4.
gemeinnützige Zwecke im Sinne von § 52 der Abgabenordnung verfolgt und - 5.
jeder Person den Eintritt als Mitglied ermöglicht, die die Ziele der Vereinigung unterstützt; Mitglieder sind Personen, die mit dem Eintritt volles Stimmrecht in der Mitgliederversammlung der Vereinigung erhalten; bei Vereinigungen, deren Mitgliederkreis zu mindestens drei Vierteln aus juristischen Personen besteht, kann von der Voraussetzung nach Halbsatz 1 abgesehen werden, sofern die Mehrzahl dieser juristischen Personen diese Voraussetzung erfüllt.
(2) Für eine ausländische Vereinigung sowie für eine Vereinigung mit einem Tätigkeitsbereich, der über das Gebiet eines Landes hinausgeht, wird die Anerkennung durch das Umweltbundesamt ausgesprochen. Bei der Anerkennung einer Vereinigung nach Satz 1, die im Schwerpunkt die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege fördert, ergeht diese Anerkennung im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Naturschutz. Für die Anerkennung werden keine Gebühren und Auslagen erhoben.
(3) Für eine inländische Vereinigung mit einem Tätigkeitsbereich, der nicht über das Gebiet eines Landes hinausgeht, wird die Anerkennung durch die zuständige Behörde des Landes ausgesprochen.
(1) Dieses Gesetz ist anzuwenden auf Rechtsbehelfe gegen folgende Entscheidungen:
- 1.
Zulassungsentscheidungen im Sinne von § 2 Absatz 6 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung über die Zulässigkeit von Vorhaben, für die nach - a)
dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, - b)
der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder - c)
landesrechtlichen Vorschriften
- 2.
Genehmigungen für Anlagen, die in Spalte c des Anhangs 1 der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen mit dem Buchstaben G gekennzeichnet sind, gegen Entscheidungen nach § 17 Absatz 1a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, gegen Erlaubnisse nach § 8 Absatz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes für Gewässerbenutzungen, die mit einem Vorhaben im Sinne der Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) (Neufassung) (ABl. L 334 vom 17.12.2010, S. 17) verbunden sind, sowie gegen Planfeststellungsbeschlüsse für Deponien nach § 35 Absatz 2 des Kreislaufwirtschaftgesetzes; - 2a.
Genehmigungen für Anlagen nach § 23b Absatz 1 Satz 1 oder § 19 Absatz 4 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes oder Zulassungen für Betriebspläne nach § 57d Absatz 1 des Bundesberggesetzes; - 2b.
Entscheidungen über die Zulässigkeit von Vorhaben, die benachbarte Schutzobjekte im Sinne des § 3 Absatz 5d des Bundes-Immissionsschutzgesetzes darstellen und die innerhalb des angemessenen Sicherheitsabstands zu einem Betriebsbereich nach § 3 Absatz 5a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes verwirklicht werden sollen und einer Zulassung nach landesrechtlichen Vorschriften bedürfen; - 3.
Entscheidungen nach dem Umweltschadensgesetz; - 4.
Entscheidungen über die Annahme von Plänen und Programmen im Sinne von § 2 Absatz 7 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung und im Sinne der entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften, für die nach - a)
Anlage 5 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder - b)
landesrechtlichen Vorschriften
- 5.
Verwaltungsakte oder öffentlich-rechtliche Verträge, durch die andere als in den Nummern 1 bis 2b genannte Vorhaben unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften des Bundesrechts, des Landesrechts oder unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Union zugelassen werden, und - 6.
Verwaltungsakte über Überwachungs- oder Aufsichtsmaßnahmen zur Umsetzung oder Durchführung von Entscheidungen nach den Nummern 1 bis 5, die der Einhaltung umweltbezogener Rechtsvorschriften des Bundesrechts, des Landesrechts oder unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Union dienen.
- 1.
§ 44a der Verwaltungsgerichtsordnung, - 2.
§ 17 Absatz 3 Satz 3 bis 5 und § 19 Absatz 2 Satz 5 bis 7 des Standortauswahlgesetzes sowie - 3.
§ 15 Absatz 3 Satz 2 des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes Übertragungsnetz, § 17a Absatz 5 Satz 1 des Energiewirtschaftsgesetzes, § 6 Absatz 9 Satz 1 des Windenergie-auf-See-Gesetzes, § 47 Absatz 4 und § 49 Absatz 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung und andere entsprechende Rechtsvorschriften.
(2) Dieses Gesetz gilt auch im Bereich der ausschließlichen Wirtschaftszone oder des Festlandsockels im Rahmen der Vorgaben des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 (BGBl. 1994 II S. 1799, 1995 II S. 602).
(3) Soweit in Planfeststellungsverfahren, die Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 2 oder 5 unterfallen, Rechtsbehelfe nach diesem Gesetz eröffnet sind, wird § 64 Absatz 1 des Bundesnaturschutzgesetzes nicht angewendet.
(4) Umweltbezogene Rechtsvorschriften im Sinne dieses Gesetzes sind Bestimmungen, die sich zum Schutz von Mensch und Umwelt auf
- 1.
den Zustand von Umweltbestandteilen im Sinne von § 2 Absatz 3 Nummer 1 des Umweltinformationsgesetzes oder - 2.
Faktoren im Sinne von § 2 Absatz 3 Nummer 2 des Umweltinformationsgesetzes
(1) Schutzgüter im Sinne dieses Gesetzes sind
- 1.
Menschen, insbesondere die menschliche Gesundheit, - 2.
Tiere, Pflanzen und die biologische Vielfalt, - 3.
Fläche, Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft, - 4.
kulturelles Erbe und sonstige Sachgüter sowie - 5.
die Wechselwirkung zwischen den vorgenannten Schutzgütern.
(2) Umweltauswirkungen im Sinne dieses Gesetzes sind unmittelbare und mittelbare Auswirkungen eines Vorhabens oder der Durchführung eines Plans oder Programms auf die Schutzgüter. Dies schließt auch solche Auswirkungen des Vorhabens ein, die aufgrund von dessen Anfälligkeit für schwere Unfälle oder Katastrophen zu erwarten sind, soweit diese schweren Unfälle oder Katastrophen für das Vorhaben relevant sind.
(3) Grenzüberschreitende Umweltauswirkungen im Sinne dieses Gesetzes sind Umweltauswirkungen eines Vorhabens in einem anderen Staat.
(4) Vorhaben im Sinne dieses Gesetzes sind nach Maßgabe der Anlage 1
- 1.
bei Neuvorhaben - a)
die Errichtung und der Betrieb einer technischen Anlage, - b)
der Bau einer sonstigen Anlage, - c)
die Durchführung einer sonstigen in Natur und Landschaft eingreifenden Maßnahme,
- 2.
bei Änderungsvorhaben - a)
die Änderung, einschließlich der Erweiterung, der Lage, der Beschaffenheit oder des Betriebs einer technischen Anlage, - b)
die Änderung, einschließlich der Erweiterung, der Lage oder der Beschaffenheit einer sonstigen Anlage, - c)
die Änderung, einschließlich der Erweiterung, der Durchführung einer sonstigen in Natur und Landschaft eingreifenden Maßnahme.
(5) Windfarm im Sinne dieses Gesetzes sind drei oder mehr Windkraftanlagen, deren Einwirkungsbereich sich überschneidet und die in einem funktionalen Zusammenhang stehen, unabhängig davon, ob sie von einem oder mehreren Vorhabenträgern errichtet und betrieben werden. Ein funktionaler Zusammenhang wird insbesondere angenommen, wenn sich die Windkraftanlagen in derselben Konzentrationszone oder in einem Gebiet nach § 7 Absatz 3 des Raumordnungsgesetzes befinden.
(6) Zulassungsentscheidungen im Sinne dieses Gesetzes sind
- 1.
die Bewilligung, die Erlaubnis, die Genehmigung, der Planfeststellungsbeschluss und sonstige behördliche Entscheidungen über die Zulässigkeit von Vorhaben, die in einem Verwaltungsverfahren getroffen werden, einschließlich des Vorbescheids, der Teilgenehmigung und anderer Teilzulassungen, mit Ausnahme von Anzeigeverfahren, - 2.
Linienbestimmungen und andere Entscheidungen in vorgelagerten Verfahren nach den §§ 47 und 49, - 3.
Beschlüsse nach § 10 des Baugesetzbuchs über die Aufstellung, Änderung oder Ergänzung von Bebauungsplänen, durch die die Zulässigkeit von bestimmten Vorhaben im Sinne der Anlage 1 begründet werden soll, sowie Beschlüsse nach § 10 des Baugesetzbuchs über Bebauungspläne, die Planfeststellungsbeschlüsse für Vorhaben im Sinne der Anlage 1 ersetzen.
(7) Pläne und Programme im Sinne dieses Gesetzes sind nur solche bundesrechtlich oder durch Rechtsakte der Europäischen Union vorgesehenen Pläne und Programme, die
- 1.
von einer Behörde ausgearbeitet und angenommen werden, - 2.
von einer Behörde zur Annahme durch eine Regierung oder im Wege eines Gesetzgebungsverfahrens ausgearbeitet werden oder - 3.
von einem Dritten zur Annahme durch eine Behörde ausgearbeitet werden.
(8) Öffentlichkeit im Sinne dieses Gesetzes sind einzelne oder mehrere natürliche oder juristische Personen sowie deren Vereinigungen.
(9) Betroffene Öffentlichkeit im Sinne dieses Gesetzes ist jede Person, deren Belange durch eine Zulassungsentscheidung oder einen Plan oder ein Programm berührt werden; hierzu gehören auch Vereinigungen, deren satzungsmäßiger Aufgabenbereich durch eine Zulassungsentscheidung oder einen Plan oder ein Programm berührt wird, darunter auch Vereinigungen zur Förderung des Umweltschutzes.
(10) Umweltprüfungen im Sinne dieses Gesetzes sind Umweltverträglichkeitsprüfungen und Strategische Umweltprüfungen.
(11) Einwirkungsbereich im Sinne dieses Gesetzes ist das geographische Gebiet, in dem Umweltauswirkungen auftreten, die für die Zulassung eines Vorhabens relevant sind.
(1) Eine nach § 3 anerkannte inländische oder ausländische Vereinigung kann, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen einlegen, wenn die Vereinigung
- 1.
geltend macht, dass eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können, widerspricht, - 2.
geltend macht, in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes durch die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen berührt zu sein, und - 3.
im Falle eines Verfahrens nach - a)
§ 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b zur Beteiligung berechtigt war; - b)
§ 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 zur Beteiligung berechtigt war und sie sich hierbei in der Sache gemäß den geltenden Rechtsvorschriften geäußert hat oder ihr entgegen den geltenden Rechtsvorschriften keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist.
(2) Eine Vereinigung, die nicht nach § 3 anerkannt ist, kann einen Rechtsbehelf nach Absatz 1 nur dann einlegen, wenn
- 1.
sie bei Einlegung des Rechtsbehelfs die Voraussetzungen für eine Anerkennung erfüllt, - 2.
sie einen Antrag auf Anerkennung gestellt hat und - 3.
über eine Anerkennung aus Gründen, die von der Vereinigung nicht zu vertreten sind, noch nicht entschieden ist.
(3) Ist eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 nach den geltenden Rechtsvorschriften weder öffentlich bekannt gemacht noch der Vereinigung bekannt gegeben worden, so müssen Widerspruch oder Klage binnen eines Jahres erhoben werden, nachdem die Vereinigung von der Entscheidung Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können. Widerspruch oder Klage gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 oder 6 müssen jedoch spätestens binnen zweier Jahre, nachdem der Verwaltungsakt erteilt wurde, erhoben werden. Satz 1 gilt entsprechend, wenn eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 entgegen geltenden Rechtsvorschriften nicht getroffen worden ist und die Vereinigung von diesem Umstand Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können.
(4) Rechtsbehelfe nach Absatz 1 sind begründet, soweit
- 1.
die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und 2 oder deren Unterlassen gegen Rechtsvorschriften verstößt, die für diese Entscheidung von Bedeutung sind, oder - 2.
die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2a bis 6 oder deren Unterlassen gegen umweltbezogene Rechtsvorschriften verstößt, die für diese Entscheidung von Bedeutung sind,
Einwendungen, die eine Person oder eine Vereinigung im Sinne des § 4 Absatz 3 Satz 1 erstmals im Rechtsbehelfsverfahren erhebt, bleiben unberücksichtigt, wenn die erstmalige Geltendmachung im Rechtsbehelfsverfahren missbräuchlich oder unredlich ist.
(1) Schutzgüter im Sinne dieses Gesetzes sind
- 1.
Menschen, insbesondere die menschliche Gesundheit, - 2.
Tiere, Pflanzen und die biologische Vielfalt, - 3.
Fläche, Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft, - 4.
kulturelles Erbe und sonstige Sachgüter sowie - 5.
die Wechselwirkung zwischen den vorgenannten Schutzgütern.
(2) Umweltauswirkungen im Sinne dieses Gesetzes sind unmittelbare und mittelbare Auswirkungen eines Vorhabens oder der Durchführung eines Plans oder Programms auf die Schutzgüter. Dies schließt auch solche Auswirkungen des Vorhabens ein, die aufgrund von dessen Anfälligkeit für schwere Unfälle oder Katastrophen zu erwarten sind, soweit diese schweren Unfälle oder Katastrophen für das Vorhaben relevant sind.
(3) Grenzüberschreitende Umweltauswirkungen im Sinne dieses Gesetzes sind Umweltauswirkungen eines Vorhabens in einem anderen Staat.
(4) Vorhaben im Sinne dieses Gesetzes sind nach Maßgabe der Anlage 1
- 1.
bei Neuvorhaben - a)
die Errichtung und der Betrieb einer technischen Anlage, - b)
der Bau einer sonstigen Anlage, - c)
die Durchführung einer sonstigen in Natur und Landschaft eingreifenden Maßnahme,
- 2.
bei Änderungsvorhaben - a)
die Änderung, einschließlich der Erweiterung, der Lage, der Beschaffenheit oder des Betriebs einer technischen Anlage, - b)
die Änderung, einschließlich der Erweiterung, der Lage oder der Beschaffenheit einer sonstigen Anlage, - c)
die Änderung, einschließlich der Erweiterung, der Durchführung einer sonstigen in Natur und Landschaft eingreifenden Maßnahme.
(5) Windfarm im Sinne dieses Gesetzes sind drei oder mehr Windkraftanlagen, deren Einwirkungsbereich sich überschneidet und die in einem funktionalen Zusammenhang stehen, unabhängig davon, ob sie von einem oder mehreren Vorhabenträgern errichtet und betrieben werden. Ein funktionaler Zusammenhang wird insbesondere angenommen, wenn sich die Windkraftanlagen in derselben Konzentrationszone oder in einem Gebiet nach § 7 Absatz 3 des Raumordnungsgesetzes befinden.
(6) Zulassungsentscheidungen im Sinne dieses Gesetzes sind
- 1.
die Bewilligung, die Erlaubnis, die Genehmigung, der Planfeststellungsbeschluss und sonstige behördliche Entscheidungen über die Zulässigkeit von Vorhaben, die in einem Verwaltungsverfahren getroffen werden, einschließlich des Vorbescheids, der Teilgenehmigung und anderer Teilzulassungen, mit Ausnahme von Anzeigeverfahren, - 2.
Linienbestimmungen und andere Entscheidungen in vorgelagerten Verfahren nach den §§ 47 und 49, - 3.
Beschlüsse nach § 10 des Baugesetzbuchs über die Aufstellung, Änderung oder Ergänzung von Bebauungsplänen, durch die die Zulässigkeit von bestimmten Vorhaben im Sinne der Anlage 1 begründet werden soll, sowie Beschlüsse nach § 10 des Baugesetzbuchs über Bebauungspläne, die Planfeststellungsbeschlüsse für Vorhaben im Sinne der Anlage 1 ersetzen.
(7) Pläne und Programme im Sinne dieses Gesetzes sind nur solche bundesrechtlich oder durch Rechtsakte der Europäischen Union vorgesehenen Pläne und Programme, die
- 1.
von einer Behörde ausgearbeitet und angenommen werden, - 2.
von einer Behörde zur Annahme durch eine Regierung oder im Wege eines Gesetzgebungsverfahrens ausgearbeitet werden oder - 3.
von einem Dritten zur Annahme durch eine Behörde ausgearbeitet werden.
(8) Öffentlichkeit im Sinne dieses Gesetzes sind einzelne oder mehrere natürliche oder juristische Personen sowie deren Vereinigungen.
(9) Betroffene Öffentlichkeit im Sinne dieses Gesetzes ist jede Person, deren Belange durch eine Zulassungsentscheidung oder einen Plan oder ein Programm berührt werden; hierzu gehören auch Vereinigungen, deren satzungsmäßiger Aufgabenbereich durch eine Zulassungsentscheidung oder einen Plan oder ein Programm berührt wird, darunter auch Vereinigungen zur Förderung des Umweltschutzes.
(10) Umweltprüfungen im Sinne dieses Gesetzes sind Umweltverträglichkeitsprüfungen und Strategische Umweltprüfungen.
(11) Einwirkungsbereich im Sinne dieses Gesetzes ist das geographische Gebiet, in dem Umweltauswirkungen auftreten, die für die Zulassung eines Vorhabens relevant sind.
Umweltprüfungen umfassen die Ermittlung, Beschreibung und Bewertung der erheblichen Auswirkungen eines Vorhabens oder eines Plans oder Programms auf die Schutzgüter. Sie dienen einer wirksamen Umweltvorsorge nach Maßgabe der geltenden Gesetze und werden nach einheitlichen Grundsätzen sowie unter Beteiligung der Öffentlichkeit durchgeführt.
(1) Eine nach § 3 anerkannte inländische oder ausländische Vereinigung kann, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen einlegen, wenn die Vereinigung
- 1.
geltend macht, dass eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können, widerspricht, - 2.
geltend macht, in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes durch die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen berührt zu sein, und - 3.
im Falle eines Verfahrens nach - a)
§ 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b zur Beteiligung berechtigt war; - b)
§ 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 zur Beteiligung berechtigt war und sie sich hierbei in der Sache gemäß den geltenden Rechtsvorschriften geäußert hat oder ihr entgegen den geltenden Rechtsvorschriften keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist.
(2) Eine Vereinigung, die nicht nach § 3 anerkannt ist, kann einen Rechtsbehelf nach Absatz 1 nur dann einlegen, wenn
- 1.
sie bei Einlegung des Rechtsbehelfs die Voraussetzungen für eine Anerkennung erfüllt, - 2.
sie einen Antrag auf Anerkennung gestellt hat und - 3.
über eine Anerkennung aus Gründen, die von der Vereinigung nicht zu vertreten sind, noch nicht entschieden ist.
(3) Ist eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 nach den geltenden Rechtsvorschriften weder öffentlich bekannt gemacht noch der Vereinigung bekannt gegeben worden, so müssen Widerspruch oder Klage binnen eines Jahres erhoben werden, nachdem die Vereinigung von der Entscheidung Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können. Widerspruch oder Klage gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 oder 6 müssen jedoch spätestens binnen zweier Jahre, nachdem der Verwaltungsakt erteilt wurde, erhoben werden. Satz 1 gilt entsprechend, wenn eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 entgegen geltenden Rechtsvorschriften nicht getroffen worden ist und die Vereinigung von diesem Umstand Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können.
(4) Rechtsbehelfe nach Absatz 1 sind begründet, soweit
- 1.
die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und 2 oder deren Unterlassen gegen Rechtsvorschriften verstößt, die für diese Entscheidung von Bedeutung sind, oder - 2.
die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2a bis 6 oder deren Unterlassen gegen umweltbezogene Rechtsvorschriften verstößt, die für diese Entscheidung von Bedeutung sind,
(1) Betriebsanlagen einer Eisenbahn einschließlich der Bahnfernstromleitungen dürfen nur gebaut oder geändert werden, wenn der Plan vorher festgestellt ist. Bei der Planfeststellung sind die von dem Vorhaben berührten öffentlichen und privaten Belange einschließlich der Umweltverträglichkeit im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen. Für das Planfeststellungsverfahren gelten die §§ 72 bis 78 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nach Maßgabe dieses Gesetzes. Wird eine bestehende Betriebsanlage einer Eisenbahn erneuert, liegt nur dann eine Änderung im Sinne von Satz 1 vor, wenn der Grundriss oder der Aufriss der Betriebsanlage oder beides wesentlich geändert wird. Eine wesentliche Änderung des Grundrisses oder Aufrisses einer Betriebsanlage im Sinne von Satz 4 liegt insbesondere nicht vor, wenn sie im Zuge des Wiederaufbaus nach einer Naturkatastrophe erforderlich ist, um diese vor Naturereignissen zu schützen, und in einem räumlich begrenzten Korridor entlang des Trassenverlaufs erfolgt.
(1a) Für folgende Einzelmaßnahmen, die den Bau oder die Änderung von Betriebsanlagen einer Eisenbahn vorsehen, bedarf es keiner vorherigen Planfeststellung oder Plangenehmigung, sofern keine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung besteht:
- 1.
die Ausstattung einer bestehenden Bahnstrecke mit einer Oberleitung einschließlich dafür notwendiger räumlich begrenzter baulicher Anpassungen, insbesondere von Tunneln mit geringer Länge oder von Kreuzungsbauwerken, - 2.
die im Rahmen der Digitalisierung einer Bahnstrecke erforderlichen Baumaßnahmen, insbesondere die Ausstattung einer Bahnstrecke mit Signal- und Sicherungstechnik des Standards European Rail Traffic Management System (ERTMS), - 3.
der barrierefreie Umbau, die Erhöhung oder die Verlängerung von Bahnsteigen, - 4.
die Errichtung von Lärmschutzwänden zur Lärmsanierung, - 5.
die Herstellung von Überleitstellen für Gleiswechselbetriebe, - 6.
die Herstellung von Gleisanschlüssen bis 2 000 Meter und von Zuführungs- und Industriestammgleisen bis 3 000 Meter.
(2) Ist das Planfeststellungsverfahren eingeleitet, kann die Planfeststellungsbehörde nach Anhörung der betroffenen Gemeinde eine vorläufige Anordnung erlassen, in der vorbereitende Maßnahmen oder Teilmaßnahmen zum Bau oder zur Änderung festgesetzt werden,
- 1.
soweit es sich um reversible Maßnahmen handelt, - 2.
wenn an dem vorzeitigen Beginn ein öffentliches Interesse besteht, - 3.
wenn mit einer Entscheidung zugunsten des Trägers des Vorhabens gerechnet werden kann und - 4.
wenn die nach § 74 Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes zu berücksichtigenden Interessen gewahrt werden.
(3) Unterhaltungsmaßnahmen bedürfen keiner vorherigen Planfeststellung oder Plangenehmigung.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
G l i e d e r u n g
2T a t b e s t a n d…………………………………………………………….…………..7
3E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e…………………………………………………….49
4A. Zulässigkeit……………………………………………………….………………….49
5B. Begründetheit…………………………………………………….………………….51
6I. Vorbescheid………………………………………………………….…………….51
71. Rechtsgrundlagen…………………………………………………………...52
82. Immissionsschutzrecht……………………………………………………...55
9a) Rechtsgrundlagen………………………………………………………..55
10b) Plausibilität der Immissionsprognose………………………………….59
11aa) Volllastbetrieb als ungünstigster Betriebszustand……………….59
12bb) Diffuse Quellen………………………………………………………60
13cc) Emissionen…………………………………………………………...61
14(1) Transferfaktoren…………………………………………………61
15(2) Elementares und oxidiertes Quecksilber…………………..…61
16(3) Emissionswerte……………………………………………….…62
17(4) Emissionsmassenströme……………………………………… 63
18(5) Überwachung der festgelegten Emissionen………………….63
19(6) Hilfsdampferzeugungsanlage………………………………….63
20dd) Ausbreitungsrechnung……………………………………………...64
21(1) Durchmischung von Rauchgas und Kühlturmabluft………...64
22(2) Abgasvolumenstrom………………………….…………………65
23(3) Austrittstemperatur und -geschwindigkeit………………….…65
24(4) Abluftfahnenüberhöhung……………………………………….66
25(5) Depositionsgeschwindigkeit bei Quecksilber und Ammoniak 66
26(6) Nasse Deposition von Quecksilber……………………………67
27(7) Synthetische Windrosen………………………………………..67
28(8) Meteorologische Messdaten…………………………………...67
29(9) Niederschlagszeitreihe………………………………………….69
30(10) Gebäudeeinflüsse……………………………………………..70
31(11) Statistische Unsicherheit……………...……………………...70
32(12) Gefasste Kleinquellen…………………………………………71
33(13) Ableitung über Kühlturm ……………………………………..71
34c) Luftverunreinigungen…………………………………………………….72
35aa) Irrelevanzschwelle nach Nr. 4.2.2 TA Luft………………………..72
36bb) Irrelevanzschwelle nach Nr. 4.3.2 TA Luft………………………..76
37cc) Irrelevanzschwelle nach Nr. 4.4.3 TA Luft………………………..77
38dd) Irrelevanzschwelle nach Nr. 4.5.2 TA Luft………………………..77
39ee) Schadstoffe ohne Immissionswerte in der TA Luft………………78
40d) Freisetzung radioaktiver Stoffe…………………………………………82
41e) Anlagensicherheit (Störfallverordnung)………………………………..83
42aa) Erweiterte Betreiberpflichten ………………………………………84
43bb) Grundpflichten ………………………………………………………84
44(1) Ammoniaklager………………………………………………….86
45(2) Entladung der Bahnwaggons…………………………………..88
46(3) Gasleitung………………………………………………………..88
47(4) Brandgefahr……………………………………………………...88
48(5) Ungewöhnliche Naturereignisse……………………………….89
49(6) Gefahren durch Eingriffe Unbefugter………………………….89
50cc) Sonstige Anforderungen…………………………………………….90
513. (Bau-)Planungsrecht………………………………………………………..90
52a) Wirksamkeit des Bebauungsplans……………………………………..91
53aa) Anpassungsgebot des § 1 Abs. 4 BauGB………………………..91
54(1) Landesentwicklungsplan NRW………………………………..92
55(2) Regionalplan 2004……………………………………………...95
56(3) Gebietsentwicklungsplan 1984/88…………………………….96
57bb) Entwicklungsgebot des § 8 Abs. 2 BauGB……………………….96
58cc) Abwägungsgebot…………………………………………………….97
59(1) Keine Abwägungsmängel………………………………………97
60(2) Unbeachtlichkeit von Abwägungsmängeln………………….101
61dd) Funktionslosigkeit des Bebauungsplans………………………...101
62ee) Umweltprüfungen…………………………………………………..103
63(1) Keine Pflicht bei Planaufstellung……………………………..103
64(a) Strategische Umweltprüfung…………………………….103
65(b) Umweltverträglichkeitsprüfung…………………………..104
66(c) FFH-Verträglichkeitsprüfung……………………………..105
67(2) Keine nachträgliche Pflicht aus Unionsrecht………………..105
68ff) Kein weitergehendes Planungserfordernis……………………….108
69b) Vereinbarkeit des Vorhabens mit Bebauungsplan………………….111
70aa) Art der baulichen Nutzung………………………………………..110
71bb) Befreiungen nach § 31 Abs. 2 BauGB…………………………..112
72(1) Maß der baulichen Nutzung…………………………………..112
73(2) Baugrenzen………………………………….…………………113
744. Artenschutzrecht…………………………………………………………..114
755. Umweltverträglichkeitsprüfung……………………………………………114
766. FFH-Verträglichkeitsprüfung……………………………………………...117
77a) Prüfungsmaßstab……………………………………………………….117
78aa) Projektbegriff……………………………………………………….118
79bb) „Erhebliche Beeinträchtigungen“…………………………………119
80(1) Allgemeiner Maßstab………………………………………….120
81(2) Vorsorgeprinzip………………………………………………...121
82cc) Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten………..125
83(1) Grundsatz………………………………………………………125
84(2) Konkretisierung………………………………………………...126
85(a) Prioritätsprinzip…………………………………………....126
86(b) „Prüffähiger Antrag“ maßgebend………………………..128
87(c) Gesicherte Vorrangstellung………………………………130
88(d) Vorrangstellung bei Drittanfechtung…………………….131
89(e) Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt……………………131
90(f) Kompensationen…………………………………………..132
91dd) Erheblichkeitsschwelle…………………………………………….132
92ee) Konzept der Critical Loads………………………………………..135
93(1) UN-ECE-Luftreinhaltekonvention…………………………….135
94(2) Naturwissenschaftlich begründete Belastungsgrenzen……135
95(3) Ermittlungsarten………………………………………………..136
96(a) Dynamische Modelle (DECOMP)……………………….136
97(b) Steady-State-Ansatz (SMB)……………………………..136
98(c) BERN-Modell/Critical Limits……………………………...137
99(d) Sonderfallprüfung ……………………………………..….139
100(e) BASt-Bericht……………………………………………….140
101(f) Grundsätzliche Eignung der CL………………………….141
102ff) Bagatellschwelle…………………………………………………….144
103gg) Abschneidekriterium……………………………………………….147
104(1) BASt-Bericht……………………………………………………147
105(2) LANUV………………………………………………………….148
106(3) BVerwG…………………………………………………………149
107(4) Literatur…………………………………………………………150
108(5) Beteiligte………………………………………………………..151
109(6) Zulässigkeit und Rechtfertigung des Abschneidekriteriums 151
110(a) Abgrenzung des Untersuchungsraums…………………152
111(b) Rechtliche Zurechnung/Verhältnismäßigkeits-
112grundsatz…………………………………………………...152
113(7) Schutzgutbezogene Festlegung……………………………...152
114(8) Abschneidekriterium: 0,5 % des CL………………………….153
115(a) BASt-Wert zu hoch………………………………………..154
116(b) Kritik des LANUV…………………………………………..155
117(c) Anbindung an konkrete Lebensraumtypen……………..155
118(d) 0,05 kg N/(ha*a) als untere Grenze……………………..156
119(e) Ausnahmevorbehalt……………………………………….158
120(9) Praktikabilität……………………………………………………158
121(10) Abschneidekriterium bei versauernden Einträgen………..159
122hh) Abweichungsprüfung………………………………………………161
123b) Subsumtion……………………………………………………………...161
124aa) Erhaltungsziele der betroffenen Schutzgebiete…………………161
125(1) Wälder bei Cappenberg……………………………………….162
126(2) Lippeauen…………………………………………….…………163
127bb) Keine erheblichen Beeinträchtigungen…………………………..164
128(1) Größe des Rechengebiets…………………………………….165
129(2) Untersuchungsrahmen………………………………………..166
130(a) Abschneidewerte für eutrophierende und versauernde
131Einträge…………………………………………………….166
132(b) Abschneidewerte für Schwermetalldepositionen……...166
133(c) Abschneidewerte für Luftschadstoffe…………………..168
134(3) Auswahl der Beurteilungspunkte…………………………….170
135(4) CL für eutrophierende Stickstoffeinträge……………………171
136(5) CL für versauernde Stickstoff- und Schwefeleinträge……..172
137(a) Austrag basischer Kationen mit der Nutzung………….173
138(b) Stickstoff-Immobilisierungsrate u. a…………………….173
139(c) Niederschlagsmenge u. a………………………………..174
140(d) Indikatorgesellschaften…………………………………..175
141(e) Depositionen von basischen Kationen und Chlorid
142(Korrekturbedarf)………………………………………….176
143(f) Verwitterungsrate basischer Kationen (Korrekturbedarf)………………………………………….178
144(g) Keine irreversible Schädigung der Böden……………...179
145(h) Kein Einfluss durch Kalkung……………………………..182
146(i) CL des PINETI-Vorhabens………………………………..182
147(j) Korrigierte CL……………………………………………….183
148(6) Vorbelastung…………………………………………………...184
149(7) Summationsbetrachtung/Prioritätsprinzip………………...…185
150(a) Kraftwerk Datteln 4………………………………………..186
151(b) Tierhaltungsanlagen………………………………………187
152(c) Steag-Kraftwerk Herne Block 5………………………….188
153(d) B. AG Lünen……………………………….………………188
154(e) Biomassekraftwerk Lünen………………………………..189
155(f) Sonstige Projekte………………………………………….189
156(8) Teilweise Überschreitung der Bagatellschwellen…………..190
157(a) Ausbreitungsrechnungen………………………………...191
158(b) Datteln 1-3…………………………………………………193
159(c) Depositionsgeschwindigkeit für SO2…………………….193
160(d) Ausfälle der Rauchgasreinigungsanlage…………….….194 (e) Ammoniakemissionsfaktoren der Tierhaltungs-
161anlagen…..………………………………………………...195
162(f) Eutrophierende Stickstoffdepositionen (Ergebnis)……..195
163(g) Versauernde Stoffeinträge (Ergebnis)…………………..197
164(9) Sonderfallprüfung……………………………………………...200
165(a) Überwiegend günstiger Erhaltungszustand der
166Lebensraumtypen………………………………………...201
167(b) Besonderheiten des Standorts…………………………..202
168(aa) Hydroregime…………………………………………202
169(bb) Basenpumpe………………………………………...205
170(c) Keine Beeinträchtigung durch zusätzliche
171Säuredeposition…………………………………………...213
172(10) Aquatische Lebensraumtypen……………………………...214
173(11) Radioaktive Immissionen……………………………………216
1747. Wasserrecht………………………………………………………………..216
175a) Direkter Schadstoffeintrag in die Lippe über den Wasserpfad…….217
176b) Indirekter Schadstoffeintrag in die Lippe über den Luftpfad……….223
177c) Abwasserbehandlungsanlage…………………………………………225
1788. Berechtigtes Interesse an Vorbescheidserteilung……………………...226
179II. Erste und siebte Teilgenehmigung……………………………………………226
180S t r e i t w e r t b e s c h l u s s……………………………………………………..228
181T a t b e s t a n d :
182Der Kläger, ein seit 1981 anerkannter Naturschutzverein, begehrt die Aufhebung des Vorbescheids vom 20. November 2013, der 1. Teilgenehmigung vom 21. November 2013 und der 7. Teilgenehmigung vom 22. November 2013 für den Neubau eines Steinkohlekraftwerks in Lünen auf einer ehemaligen Industriebrache am Datteln-Hamm-Kanal. Das Kraftwerk wurde zwischenzeitlich errichtet und läuft seit dem 1. Januar 2014 im Regelbetrieb.
183Der Landesentwicklungsplan NRW 1995 enthält für den Vorhabenbereich keine planungsrechtlichen Aussagen. Im Gebietsentwicklungsplan für den Regierungsbezirk Arnsberg, Teilabschnitt Dortmund-Unna-Hamm aus dem Jahr 1984 ist ein den Vorhabenstandort einschließender, größerer Gewerbe- und Industrieansiedlungsbereich ausgewiesen, versehen mit dem Piktogramm „konventionelles Kraftwerk“ am Standort des Steag-Kraftwerks Lünen. In ähnlicher Weise ist im Regionalplan für den Regierungsbezirk Arnsberg, Teilabschnitt Oberbereich Dortmund, westlicher Teil (Dortmund/Kreis Hamm) aus dem Jahr 2004 der Bereich als Teil eines auch die Standorte der Fa. S. und des Steag-Kraftwerks Lünen umfassenden Gewerbe- und Industrieansiedlungsgebiets (GIB) mit der Zusatzsignatur "Kraftwerke und einschlägige Nebenbetriebe" ausgewiesen. Im Flächennutzungsplan der Stadt Lünen ist die Standortfläche als Industriegebiet (GI) dargestellt. Der Bebauungsplan Nr. 80 „Stummhafen“ ist in der Fassung der 1. Änderung vom 19. März 1983 in Kraft. Danach sind Anlagen ab Abstandsklasse III des Abstandserlasses 1974 zulässig.
184Das Kraftwerk soll auf der Basis von Steinkohle unterschiedlicher Qualität bei einer Feuerungswärmeleistung von bis zu 1.705 MW und einer elektrischen Leistung von 750 MWnetto im Wesentlichen - ganzjährig und im Dreischichtbetrieb - Strom erzeugen. Die erzeugte elektrische Energie wird in das Hochspannungs-Verbundnetz eingespeist. Ohne Berücksichtigung einer Fernwärmeauskopplung beträgt der elektrische Wirkungsgrad des Kraftwerks 45,6 %. Das Rauchgas soll nach Reinigung in einer mehrstufigen Rauchgasbehandlungsanlage auf ca. 51 m Höhe über ein Rohr zentrisch in den 160 m hohen Kühlturm eingeleitet und mit dem Kühlturmschwaden abgeleitet werden.
185Die beantragten Emissionsgrenzwerte entsprechen mindestens den Anforderungen der 13. BImSchV in der ab dem 2. Mai 2013 geltenden Fassung, die Jahresemissionsfrachten der Luftschadstoffe Stickstoffoxide und Schwefeloxide sollen auf 85 % der rechnerischen Jahresemissionsfrachten bei 8.760 Vollastbetriebsstunden pro Jahr abgesenkt werden.
186Die Abwässer aus der Kühlturmabflut und der Rauchgasentschwefelungsanlage (REA) - letztere nach Reinigung in einer Abwasserbehandlungsanlage - sollen ca. 1 km flussaufwärts über eine Abwasserleitung des Stadtbetriebs Abwasserbeseitigung Lünen AöR (SAL) im Bereich des FFH-Gebiets DE-4314-302 („Teilabschnitte Lippe - Unna, Soest, Warendorf“) in die Lippe eingeleitet werden.
187Die Kohleanlieferung soll durch die n. Kohlenstäube GmbH (im Folgenden: n.) erfolgen, die südlich des Kraftwerksgeländes als Rechtsnachfolgerin der Stadthafen Lünen GmbH den Stummhafen und eine Kohleaufbereitungsanlage betreibt. Die Kohle wird am Übergabepunkt des Kraftwerks über geschlossene Förderbandanlagen in eines von zwei geschlossenen Kohlesilos übergeben. Das Transportbandsystem innerhalb des Kraftwerks soll ebenfalls geschlossen ausgeführt werden. N. wurde zuletzt am 25. Mai 2011 eine immissionsschutzrechtliche Änderungsgenehmigung erteilt, die die Erweiterung des Umschlags von staubenden Gütern, die Erhöhung der Umschlagmasse auf 3 Mio. t/a sowie die Errichtung und den Betrieb einer Verladeanlage für Flugasche umfasst.
188Die 2. Teilgenehmigung vom 14. Oktober 2008 (Baustelleneinrichtung, Gründungsmaßnahmen einschließlich Erstellung der Fundamente und vorbereitende Maßnahmen), die 3. Teilgenehmigung vom 14. Januar 2009, die 4. Teilgenehmigung vom 11. November 2009 und die 5. Teilgenehmigung vom 4. Oktober 2010 (jeweils Durchführung von unterschiedlichen Hoch- und Tiefbaumaßnahmen) sind bestandskräftig. Der Antrag der Beigeladenen vom 8. Oktober 2010 auf Erteilung einer 6. Teilgenehmigung hat eine geänderte Betriebsweise (Absenken des Kühlturmschwadenvolumens und Erhöhung der Rauchgastemperatur) zum Inhalt.
189Auf Klage des Klägers hob der Senat mit rechtskräftigem Urteil vom 1. Dezember 2011 - 8 D 58/08.AK - den auf Antrag der Beigeladenen vom 9. März 2007 erteilten Vorbescheid der Bezirksregierung Arnsberg (Bezirksregierung) zur Feststellung der Genehmigungsfähigkeit des Steinkohlekraftwerks in emissions- und immissionsschutzrechtlicher Hinsicht, aus naturschutzrechtlicher Sicht und zum Standort der Anlage sowie die 1. Teilgenehmigung zur Baustellenfreimachung, Errichtung und Umzäunung des Kraftwerksgeländes jeweils vom 6. Mai 2008 auf. Zur Begründung führte der Senat unter anderem aus, die Verträglichkeit des geplanten Kohlekraftwerks mit den Schutzzwecken des im Einwirkungsbereich liegenden FFH-Schutzgebiets DE-4311-304 „Wälder bei Cappenberg“ könne nicht festgestellt werden. Zwar sei der Untersuchungsraum zutreffend abgegrenzt und die Auswahl der Beurteilungspunkte nicht zu beanstanden. Die zuletzt erfolgte Berechnung höherer lebensraumtypischer Belastungsgrenzen (Critical Loads) für versauernde Stoffeinträge sei jedoch fachlich nicht nachvollziehbar. Da die Vorbelastung die ursprünglich angesetzten Critical Loads an den meisten Beurteilungspunkten übersteige, seien lediglich irrelevante Zusatzbelastungen zulässig. Die eutrophierenden Stickstoffeinträge lägen ausweislich der nach Prioritätsgesichtspunkten durchzuführenden Summationsbetrachtung zwar unterhalb der insoweit maßgeblichen Bagatellgrenze von 3 % der Critical Loads. Die versauernden Einträge lägen jedoch an drei Beurteilungspunkten oberhalb der Bagatellschwelle. Die Einzelfallbetrachtung der Beigeladenen und ihrer Gutachter sei ‑ letztlich aus vergleichbaren Gründen wie die nachträgliche Anhebung der Critical Loads - fachlich nicht ausreichend.
190Am 25. Januar 2012 erklärte die Beigeladene gegenüber der Bezirksregierung, sie begehre weiter einen Vorbescheid und werde die entsprechenden Unterlagen neu vorlegen.
191Die Bezirksregierung und das LANUV verständigten sich bei Dienstbesprechungen am 1. und 6. Februar 2012 darauf, dass die Critical-Loads-Berechnung transparent sein müsse. Aufgrund der Unterschiede zwischen dem modellierten Wert und dem Wert der sog. Berner Liste für den Critical Load des Vegetationstyps Glatthaferwiesen sollten für die Stickstoffeinträge die empirischen Critical Loads des LANUV verwendet werden. Es sei zudem sinnvoll, das betroffene Gebiet zu untersuchen. Das LANUV werde insoweit Vorgaben an die Untersuchungsmethodik und die Kartierungen machen. Als vorhabenbezogene Abschneidekriterien schlage das LANUV für die Stickstoffdeposition einen Wert von 0,1 kg N/(ha*a) vor, für versauernde Einträge einen Wert von 30 eq (N+S)/(ha*a). Einträge in dieser Größenordnung seien empirisch nicht messbar. Die Abschneidekriterien für Schwermetalle würden analog anhand der jeweiligen Messunsicherheit bestimmt. Je nachdem sei - über Isolinien oder über Flächen ‑ nur ein Teil des FFH-Gebiets zu betrachten; Maßstab für die abschließende Beurteilung sei aber das gesamte FFH-Gebiet. Die konkrete Größe des Untersuchungsgebiets werde noch abgestimmt. Die trockene und nasse Stickstoffdeposition und die Säuredeposition sollten mit dem LASAT-Programm nach der TA Luft Anlage 3 und der VDI-Richtlinie 3783 Blatt 13 berechnet werden.
192Unter dem 8. Februar 2012, dem 18. April 2012 und dem 18. Juni 2012 präzisierte das LANUV die methodischen Anforderungen an die insbesondere im FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ erforderlichen Untersuchungen. Die Beurteilungspunkte seien auf der Grundlage eindeutiger und nachvollziehbarer Fachkriterien unter Berücksichtigung der höchsten Zusatzbelastungen auszuwählen. Die Kartierung der FFH-Lebensraumtypen im Erhebungsmaßstab 1:5.000 einschließlich einer Bewertung der Erhaltungszustände und lebensraumtypspezifischer Artenlisten müsse aktualisiert werden. Die Daten seien nach der FFH-Kartieranleitung (Natura 2000) zu erheben, und der Erhaltungszustand nach den Erläuterungen zur Bewertung von FFH- und § 62-Biotoptypen zu bewerten. Weiter müsse eine flächendeckende Bodenkartierung im Maßstab 1:500 nach der bodenkundlichen Kartieranleitung, verbunden mit einer lückenlosen Feldansprache des Carbonatgehalts, erstellt werden. Man benötige Bodenprofilaufnahmen der flächenmäßig repräsentativen Bodenformen einschließlich Bodenprobeentnahme und Laboranalyse. Es müssten mindestens zwei Wurzelprofile für die Buche, eine Vegetationsaufnahme nach der Arbeitsanleitung „Forstliche Standortaufnahme“ und DIN 19686:2012 erstellt und die Bestockungsverhältnisse an den Punkten der Bodenprofilaufnahme erfasst werden.
193Die Bodenproben seien aus den oberen Humusauflagen L und Ol als Mischprobe und aus der Humusschicht Oh sowie aus dem Mineralboden in den Tiefen 0 bis 5 cm, 5 bis 10 cm, 10 bis 30 cm und darunter jeweils als Horizontprobe zu entnehmen.
194Das Rechengebiet für die FFH-Verträglichkeitsprüfung müsse so dimensioniert sein, dass die Isolinien der Abschneidekriterien vollständig darin enthalten seien.
195Die Depositionsgeschwindigkeiten und die Auswaschraten für die nassen Depositionen seien nach der VDI-Richtlinie 3783 Blatt 5 zu bestimmen. Sofern die VDI-Richtlinie oder die TA Luft - wie bei Quecksilber - keine Auswaschraten vorsähen, seien die nassen Depositionen nicht zu berücksichtigen. Für die (trockene) Quecksilberdeposition gelte ein Abschneidekriterium von 10ng/(m2*d). Sie könne mit einem Ansatz von jeweils 50 % elementarem und oxidiertem Quecksilber berechnet werden. Die Abschneidekriterien für die übrigen Schwermetalle lägen bei den Stoffen, für die die TA Luft Grenzwerte vorsehe, sämtlich unterhalb der 5 %-Bagatellschwelle der TA Luft. Für Blei werde der Wert vor diesem Hintergrund von 6 µg/(m2*d) auf 5 µg/(m2*d) abgesenkt.
196Für die erforderliche Berücksichtigung der nassen eutrophierenden und versauernden Deposition müsse eine Niederschlagsreihe erstellt werden. Für die Schwefeldioxideinträge könne nach dem Urteil des OVG NRW abweichend von der VDI-Richtlinie über Wald eine Depositionsgeschwindigkeit von 1,25 cm angesetzt werden.
197Das LANUV nahm unter dem 18. Juli 2012 Stellung zu dem Entwurf einer Immissionsprognose für Luftschadstoffe vom 4. Juni 2012 der N. -BBM GmbH, Kerpen. Die Vorgehensweise, die zu erwartende Reingaskonzentration aus den gegenüber den Unterlagen zur 6. Teilgenehmigung abgesenkten maximalen Schwermetallgehalten in der verfeuerten Kohle (Kohleband) auf Basis der Transferfaktoren aus dem MUNLV-Leitfaden zu ermitteln, sei plausibel; die Werte seien rechnerisch geprüft worden und ebenfalls plausibel. Die Berücksichtigung der Emission von Quecksilber mit einer Aufteilung von je 50 % für elementares Quecksilber und oxidiertes Quecksilber sei unter Berücksichtigung von aktuellen Messergebnissen an vergleichbaren Anlagen plausibel.
198Die Anwendung des Ausbreitungsmodells AUSTAL2000 für die auf der Grundlage dieser Emissionsdaten durchgeführte Ausbreitungsrechnung sei mit der TA-Luft konform. Die Verwendung der meteorologischen Daten der Messstation Lünen-Niederaden aus dem Jahr 2009 sei plausibel. Der Immissionsprognose sei eine Übertragbarkeitsprüfung für diese Messstation beigefügt. Das Rechengebiet mit einer Ausdehnung von mindestens 20 km x 25 km zur Bestimmung der Immissionszusatzbelastung sei sachgerecht, die Wahl der Maschenweiten plausibel. Auch die Berücksichtigung der Abluftfahnenüberhöhung des Kühlturms gemäß Richtlinie VDI 3784 Blatt 2 sei sachgerecht und die Modellierung der Emissionsquelle als horizontale Flächenquelle plausibel. Die Qualitätsstufe von +3 sei sachgerecht. Die angegebenen Emissions- und Immissionswerte seien stichprobenartig mit der Modellrechnung verglichen worden. Es sei festzustellen, dass bei Quecksilber nicht mit dem Jahresmittelwert, sondern mit dem höheren Tagesmittelwert gerechnet worden sei. Die Erläuterungen des Gutachters zu den Schwierigkeiten der Berechnung von Staubniederschlag seien nachvollziehbar. Weitere Einzelheiten dazu seien auch in der Modellbeschreibung von AUSTAL2000 dokumentiert; vor diesem Hintergrund erschienen die Angaben des Gutachters zur Immissionsjahreszusatzbelastung des Staubniederschlags plausibel. Die Berechnung der Quecksilberdeposition sei nachvollziehbar. Gemäß Nr. 9 Abs. 2 des Anhangs 3 der TA Luft sei die statistische Unsicherheit auf den prognostizierten Immissionswert zu beaufschlagen, solange die betrachteten Beurteilungspunkte nicht im Emissionsmaximum lägen. Im Gutachten seien ausschließlich Emissionsmaxima diskutiert worden, die Darstellung ohne Berücksichtigung der statistischen Unsicherheit sei somit sachgerecht. Zusammenfassend sei aus Sicht des LANUV festzustellen, dass die Bestimmung der Immissionszusatzbelastung im Volllastfall nachvollziehbar und plausibel sei.
199Für die gefassten Kleinquellen gelte hinsichtlich der Wahl des Ausbreitungsmodells, der verwendeten meteorologischen Daten, der Wahl der Rauhigkeitslänge, der Festlegung der Anemometerhöhe, der Ausdehnung des Rechengebiets, der Wahl der Maschenweite und der Modellierung der Emissionsquellen sowie der Berücksichtigung der Gebäudeeinflüsse das bereits Gesagte. Aus der Sicht des LANUV sei feststellbar, dass die Bestimmung der Immissionszusatzbelastung für die gefassten Kleinquellen nachvollziehbar und plausibel sei.
200Zu der Berechnung der Stickstoff- und Säuredeposition sei festzuhalten: Das verwendete Ausbreitungsmodell LASAT beruhe wie AUSTAL2000 auf der VDI-Richtlinie 3945 Blatt 3. Der Verwendung von LASAT werde daher zugestimmt. Die Verwendung der meteorologischen Daten der Station Lünen-Niederaden als Ausbreitungsklassenzeitreihe für das Jahr 2009 sei plausibel. Da eine Bestimmung der nassen Deposition nach TA Luft nicht vorgesehen sei, existierten keine Regelungen zur Auswahl der dazu notwendigen Niederschlagsdaten. Das LANUV empfehle daher grundsätzlich, eine Niederschlagszeitreihe zu verwenden, die eine Jahresniederschlagssumme in Höhe des langjährigen Mittelwerts aufweise. Dieser Empfehlung sei der Gutachter gefolgt.
201Die Ausbreitungsrechnungen seien zunächst mit mesoskaligen Depositionsgeschwindigkeiten und Auswaschraten nach der VDI-Richtlinie 3782 Blatt 5 durchzuführen. Das Beurteilungsfeld sei auf diejenigen Flächen auszudehnen, die mit einer Stickstoffdeposition von 0,10 kg N/(ha*a) oder mehr bzw. mit einer Säuredeposition von 30 eq (N+S)/(ha*a) oder mehr beaufschlagt würden. In diesen Gebieten sei die vom Modell ausgewiesene trockene Deposition nachträglich anzupassen und zwar entsprechend den Depositionsgeschwindigkeiten für die jeweilige Landnutzung, insbesondere für Wald. Dazu seien grundsätzlich die Depositionsgeschwindigkeiten nach der VDI-Richtlinie 3782 Blatt 5 anzusetzen. Auch dieser Empfehlung sei der Gutachter gefolgt. Er habe nur für die Depositionsgeschwindigkeit von Schwefeldioxid über Wald eine abweichende Depositionsgeschwindigkeit von 1,25 cm/s angesetzt. Dieser Ansatz sei nach den eigenen Berechnungen mit ortsabhängigen Depositionsgeschwindigkeiten für Datteln für die hier vorliegende Konstellation plausibel und konservativ.
202Die weiteren Randbedingungen der Ausbreitungsrechnung zu Schwaden und Rauchgas entsprächen den maßgeblichen Vorgaben. Die Angaben im Gutachten seien stichprobenartig mit den nachgereichten LASAT-Defs verglichen worden. Zusammenfassend erweise sich die Bestimmung der nassen und trockenen Deposition als nachvollziehbar und plausibel.
203Die berechneten Zusatzbelastungen durch die Kraftwerke Datteln und Herne seien überschlägig geprüft worden. Es hätten sich keine Anhaltspunkte für Unstimmigkeiten ergeben.
204Aufgrund des weit unterhalb des Abschneidewerts liegenden Säureeintrags könne eine erhebliche Beeinträchtigung der für die Erhaltungsziele maßgeblicher Bestandteile des FFH-Gebietes „Wälder bei Cappenberg“ mit ausreichend hoher Sicherheit ausgeschlossen werden. Auf eine vergleichbare Abschätzung bei den weiteren FFH-Gebieten sei verzichtet worden. Auch bei einer temporären Inbetriebnahme mit Heizöl sei eine erhebliche Beeinträchtigung nicht zu erkennen.
205Zur FFH-Verträglichkeitsuntersuchung werde folgende vorläufige Einschätzung abgegeben: Die Aussage des TÜV Nord, dass erhebliche Beeinträchtigungen der Cappenberger Wälder durch die vorhabenbedingte Zusatzbelastung und bei kumulativer Betrachtung anderer Pläne und Projekte ausgeschlossen werden könnten, werde mitgetragen. Die Empfehlungen des LANUV seien aufgegriffen und umgesetzt worden. Der Beurteilungsraum der Cappenberger Wälder sei für die versauernd wirkenden Depositionen anhand des Abschneidewerts von 30 eq (N+S)/(ha*a) festgelegt worden, d. h. Werte < 30 eq lägen außerhalb, Werte ≥ 30 eq innerhalb des Beurteilungsgebiets. Auf diesen Ausschnitt entfielen die Lebensraumtypen 9110, 9130, 9160 und 91E0. Insgesamt seien hier 13 Beurteilungspunkte angelegt worden. Die Lage der Punkte sei so gewählt worden, dass sie die Bereiche der maximalen Zusatzbelastung versauernd wirkender Einträge berücksichtigten und die unterschiedliche Empfindlichkeit der Lebensraumtypen bzw. der Waldböden gegenüber der Säuredeposition repräsentierten. Die für das Beurteilungsgebiet berechneten Critical Loads passten gut in den Wertebereich der landesweiten Bodenzustandserhebung BZE I (1990). Danach lägen die Critical Loads für Säureeinträge im Durchschnitt der Waldböden Nordrhein-Westfalens bei 1563 eq/(ha*a). Reine Verwitterungsböden wiesen Werte von mehr als 4500 eq/(ha*a) auf. Für Waldböden, die sich aus Silikatverwitterungsmaterial über karbonathaltigem Grundgestein entwickelt hätten, seien Werte in der Größenordnung von 2000-3000 eq/(ha*a) charakteristisch. Die Vorbelastung überschreite an allen 13 Beurteilungspunkten den jeweiligen Critical Load für den Säureeintrag. Daraus folge, dass an allen Beurteilungspunkten der Abschneidewert und die jeweilige Bagatellschwelle zu prüfen seien. Der Abschneidewert werde an den Beurteilungspunkten TKL 27 und C7 durch die vorhabenbedingte Zusatzbelastung erreicht bzw. überschritten. Die 3 %-Bagatellschwelle werde dagegen bei kumulativer Betrachtung durch die Zusatzbelastung an allen Beurteilungspunkten eingehalten.
206Die bodenkundliche Aufnahme habe belegt, dass die Lebensraumtypen in den Wäldern bei Cappenberg mit ihren Wurzeln den Kalkmergel im Unterboden erreichten und die oberen Bodenschichten über die Pflanzenaufnahme und den Streufall mit zusätzlicher Basizität versorgt würden, die dort zur Pufferung weiterer Säureeinträge zur Verfügung stünden. Die Böden der Cappenberger Wälder seien danach ausreichend mit Pufferkapazität ausgestattet, um den maximalen Säureeintrag des Kraftwerks ökosystemverträglich zu binden, ohne dass hierdurch auf Dauer funktionale oder strukturelle Schäden an den geschützten Lebensraumtypen zu befürchten seien. Dies gelte auch für den temporären Betrieb mit Heizöl. Die vorhabenbedingte Säurebelastung liege in dieser Phase nur bei ca. 1 eq/(ha*a).
207Unter dem 3. Juli 2012 leitete die Beigeladene das Abweichungsverfahren ein.
208Die Beigeladene beantragte am 9. Juli 2012, ergänzt am 23. August 2012 und am 21. Juni 2013, die Erteilung eines Vorbescheides hinsichtlich der Feststellung der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens in immissionsschutzrechtlicher und naturschutzrechtlicher Hinsicht sowie zum Standort der Anlage.
209Am 15. Mai 2013 und 4. Juni 2013 beantragte sie die Erteilung der 1. Teilgenehmigung zur Freimachung der Baustelle, zur Einzäunung des Baustellengrundstücks und zur Durchführung verschiedener Testbohrungen und Testpfählungen. Den Antrag vom 14. März 2011 auf Erteilung der 7. Teilgenehmigung (Betrieb des Kohlekraftwerks für den Einsatz von Steinkohle unterschiedlicher Qualitäten mit einer Feuerungswärmeleistung von 1.705 MW, entsprechend einer elektrischen Nettoleistung von 750 MW, dessen Errichtung mit der 1. Teilgenehmigung bis 5. Teilgenehmigung genehmigt wurde) aktualisierte sie am 5. Juli 2013.
210Dem Antrag auf Erteilung des Vorbescheides beigefügt waren u. a. eine Immissionsprognose für Luftschadstoffe der N. -BBM GmbH vom 6. August 2012, ein Störfallkonzept der N. -BBM GmbH, eine Umweltverträglichkeitsuntersuchung der N. -BBM GmbH vom 6. August 2012, eine FFH-Verträglichkeitsuntersuchung des Kieler Instituts für Landschaftsökologie (KIfL)/TÜV Nord vom 6. August 2012 einschließlich einer Modellierung der Critical Loads für eutrophierende und versauernde Einträge von P. Strausberg vom 6. August 2012 sowie ein Abweichungsdokument vom 23. August 2012.
211Die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung hat die FFH-Gebiete DE-4209-302 „Lippeaue“, DE-4314-302 „Teilabschnitte Lippe-Unna, Hamm, Soest, Warendorf“, DE-4311-301 „In den Kaempen, Im Mersche und Langerner Hufeisen“ sowie DE- 4311-304 „Wälder bei Cappenberg“ einer Betrachtung unterzogen. Besondere Bedeutung komme den Stickstoff- und Schwefeldioxidemissionen sowie den Schwermetallemissionen zu, die über den Luftpfad oder den Wasserpfad in die Schutzgebiete gelangten. Im Rahmen der Einzeluntersuchungen sei jeweils stoffbezogen eine Darstellung der aus dem Vorhaben resultierenden Auswirkungen erfolgt. Der jeweilige Untersuchungsraum sei stoffspezifisch in Verbindung mit der Empfindlichkeit potentiell betroffener Gebiete festgelegt worden und ergebe sich aus den Ergebnissen der Immissionsprognose unter Berücksichtigung der Abschneidekriterien. Als Abschneidekriterien dienten wissenschaftlich begründete Wirkschwellen und die in den jeweiligen DIN-Normen beschriebenen Messunsicherheiten für Depositionen. Insgesamt seien entsprechend der Empfindlichkeit der Lebensraumtypen gegenüber den Wirkungen durch Luftschadstoffe 42 Beurteilungspunkte festgelegt worden. Die Lage der Beurteilungspunkte sei so gewählt worden, dass sie jeweils die Lebensraumtypen im Bereich der höchsten Zusatzbelastung repräsentierten.
212Die luftpfadbezogenen eutrophierenden Stickstoffeinträge des Vorhabens lägen in allen betrachteten FFH-Gebieten über dem Abschneidewert 0,1 kg N/(ha*a), der Abschneidewert für versauernde Stickstoff- und Schwefeleinträge von 30 eq (N+S)/(ha*a) werde dagegen nur im FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ überschritten. Die eutrophierenden und versauernden Einträge des Kraftwerks Herne Block 5 überschritten die Abschneidewerte nur im FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“; die entsprechenden Einträge des Kraftwerks Datteln 4 (abzüglich Datteln 1-3) lägen sämtlich unterhalb der Abschneidewerte. Keines der Vorhaben überschreite die Abschneidewerte für Schwermetalle.
213Die Kumulationsbetrachtung ergebe für die FFH-Gebiete „Teilabschnitte Lippe“, „In den Kaempen, Im Mersche und Langerner Hufeisen“ und „Wälder bei Cappenberg“ hinsichtlich der eutrophierenden Einträge jeweils Zusatzbelastungen unterhalb der Bagatellschwelle von 3 % der Critical Loads, dasselbe gelte im FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ für die kumulierenden versauernden Einträge. Die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung habe dabei hinsichtlich der Eutrophierung auf vom LANUV bereit gestellte, empirische Critical Loads abgestellt, hilfsweise auf die von P. modellierten Critical Loads. Insgesamt seien in keinem der FFH-Gebiete erhebliche Beeinträchtigungen zu erwarten.
214Nach öffentlicher Bekanntmachung des Antrags im Amtsblatt für den Regierungsbezirk Arnsberg Nr. 35 vom 1. September 2012, auf der Website der Bezirksregierung sowie in verschiedenen Tageszeitungen wurde der Antrag einschließlich der eingereichten Unterlagen in der Zeit vom 10. September 2012 bis einschließlich 9. Oktober 2012 bei der Bezirksregierung sowie in verschiedenen Gemeinden ausgelegt.
215Der Kläger hat mit am 23. Oktober 2012 bei der Bezirksregierung eingegangenem Schreiben unter Vorlage ergänzender, auch fachgutachterlicher Unterlagen Einwendungen gegen die Planung erhoben. Die Einwendungen aller Einwender wurden am 10., 11. und 12. Dezember 2012 erörtert. Das Ergebnis der Erörterungen ist in der Niederschrift vom 12. August 2013 dokumentiert.
216Das LANUV nahm unter dem 7. Dezember 2012 Stellung zur Plausibilität der Luftschadstoff- und Lärmimmissionsprognosen und der Umweltverträglichkeitsuntersuchung einschließlich der FFH-Verträglichkeitsprüfung vom 6. August 2012. Darin heißt es - über den Inhalt der Stellungnahme vom 18. Juli 2012 hinausgehend - unter anderem: Die vom Gutachter aufgeführten Bewertungsmaßstäbe zu den Stoffen mit Immissionswert in der TA Luft zum Schutz der menschlichen Gesundheit seien fachlich zutreffend. Dasselbe gelte für die Bewertungsmaßstäbe für die Stoffe ohne Immissionswert in der TA Luft. Aufgrund der Erlasslage bestünden keine Bedenken, für Stoffe ohne Immissionswert nach der TA Luft den LAI-Bericht und die darin enthaltenen Orientierungswerte als Erkenntnisquelle zu nutzen. Die Orientierungswerte zur Bewertung von Kohlenmonoxid betrügen 10 mg/m³ (8-Stunden-Mittelwert) und 30 mg/m³ (Halbstundenwert) für die kurzfristige inhalative Exposition. Die Zusatzbelastung übersteige bei keinem der Stoffe ohne Irrelevanzwert der TA Luft 1 % des jeweiligen Bewertungsmaßstabes. Für PCDD/F einschließlich dioxinähnlicher PCB (Deposition) unterschreite die Zusatzbelastung die Irrelevanzschwelle von 5 %.
217Für die Critical-Load-Berechnung seien für den Niederschlag und die Lufttemperatur in der Endfassung des P.-Gutachtens aktuelle Daten aus der Periode 1981-2010 verwendet worden. Die zur Berechnung benötigten Eingangsdaten seien genannt und inhaltlich konkret aufgezählt. Eine wesentliche Rolle spiele neben den Texturdaten und dem Basengehalt an den Referenzpunkten die reale Durchwurzelung der Bodenprofile. Einerseits seien diese Informationen von zentraler Bedeutung für die Einschätzung der so genannten Basenpumpe, andererseits sei die im internationalen Bereich übliche, pauschale Untergrenze des Bodens von 80 cm - veranlasst durch die festgestellte Durchwurzelungstiefe - an die lokalen Verhältnisse im Cappenberger Wald angepasst worden und weiter nach unten verschoben worden. Da der Kalkmergel im Unterboden von den Wurzeln mittelalter und alter Waldbäume erreicht werde, sei diese Anpassung folgerichtig. Insgesamt sei festzustellen, dass alle aktuellen Datenquellen für die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung vom 6. August 2012 genutzt worden seien. Die Empfehlungen des LANUV vom 18. Juli 2012 seien damit umgesetzt worden. Im Zuge der Verbesserung der Datengrundlagen hätten sich die ab August 2011 ermittelten Critical Loads schrittweise in Richtung einer feineren Standortdifferenzierung verändert. Dies sei als Beleg für die Sensitivität der verwendeten Critical-Load-Modellierung zu werten. Diese sei im Übrigen fachwissenschaftlich nicht weiter geprüft worden, weil das Verfahren als solches in der Rechtsprechung bereits anerkannt sei.
218Im Anschluss an den Erörterungstermin vom 10., 11. und 12 Dezember 2012 legte die Beigeladene ergänzende Unterlagen vor, unter anderem eine ergänzende Immissionsprognose von N. -BBM GmbH vom 25. Februar 2013 für den 60 %-Teillastbetrieb, zu den emissions- und immissionsseitigen Auswirkungen der Hilfsdampferzeugungsanlage (Betriebszeit <1.500 h/a) und der zukünftigen Fernwärmeauskopplung (45 MW), das Konzept zur Verhinderung von Störfällen von N. -BBM GmbH vom 12. April 2013, die Stellungnahme zu den Auswirkungen des Kraftwerks Lünen auf die Lippe durch das Einleiten von REA-Abwasser und Kühlturmabschlämmwasser von N. -BBM GmbH vom 27. Februar 2012, Ergänzungen der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung vom TÜV Nord vom 28. März 2013, Erläuterungen zum Gefährdungspotential für das Flussneunauge durch zusätzliche Quecksilbereinträge und zum Gefährdungspotential für den Eisvogel vom TÜV Nord jeweils vom 28. Februar 2013, eine Berechnung der Immissionszusatzbelastung an 2 Beurteilungspunkten im Nahbereich von N. -BBM GmbH vom 17. Mai 2013, eine „Ergänzung der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung: Kumulationswirkungen Lippe“ vom TÜV Nord vom 18. Juni 2013, eine ergänzende Stellungnahme zur Umweltverträglichkeitsuntersuchung von N. -BBM GmbH vom 19. Juni 2013, ein Störfallkonzept von N. -BBM GmbH vom 20. Juni 2013, das Abweichungsdokument Stand 20. Juni 2013, den Antrag vom 21. Juni 2013 (Beantragung der in der neuen 13. BImSchV festgelegten Emissionsgrenzwerte, soweit diese strengere Grenzwerte vorschreibt als bislang beantragt, ansonsten bleibe es bei den Grenzwerten im Antrag vom 9. Juli 2013) sowie eine Ergänzung von Dr. N1. (Stellungnahme zur Versauerung der Lebensraumtypen im FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ durch Kumulationswirkung) vom 17. Juli 2013, eine ergänzende Stellungnahme des TÜV Nord zur Vorbelastung durch Selen vom 18. Juli 2013, die Verpflichtung zur Durchführung von Kohärenzmaßnahmen vom 15. August 2013 und eine Stellungnahme von N. -BBM GmbH zum anlagenbezogenen Verkehr vom 5. November 2013. Ferner legte die Beigeladene in Reaktion auf die Einwendungen rechtliche Stellungnahmen zum Bauplanungsrecht, zur Qualifizierung von Abwasser in Tankwagen, zur Abgrenzung Naturschutz und Wasserrecht, zu den Bagatellschwellen, zu den Critical Loads für Schwermetalle, zum Prioritätsgrundsatz, zu wasserwirtschaftlichen Fragestellungen und zu den Geräuschimmissionen vor.
219Das LANUV nahm unter dem 13. August 2013 unter anderem wie folgt Stellung zu der ergänzenden Immissionsprognose vom 25. Februar 2013: Die Auswirkungen des Teillastbetriebes auf die Höhe der Einträge der Stickstoff- und Säuredeposition an bestimmten Beurteilungspunkten seien dargestellt. Die für die Immissionsprognose benötigten Daten für Austrittsgeschwindigkeit und -temperatur basierten auf Angaben des Kühlturmplaners; sie lägen im Bereich der Werte, die von Genehmigungsverfahren vergleichbarer Kraftwerke bekannt seien. Zur Bestimmung der Immissionszusatzbelastung für den Teillastbetrieb sei bei der Ausbreitungsrechnung analog zu den Bestimmungen der Immissionszusatzbelastung für den Volllastbetrieb vorgegangen worden. Damit würden die Anmerkungen aus der Stellungnahme vom 7. Dezember 2012 auch hier gelten. Dort sei festgestellt worden, dass die Bestimmung der Emissionszusatzbelastung nachvollziehbar und plausibel sei.
220Zur Bestimmung der Immissionszusatzbelastung durch den Hilfsdampferzeuger sei analog der Bestimmung der Immissionszusatzbelastung für den Volllastbetrieb des beantragten Kohlekessels vorgegangen worden. Auch hier gelte das unter dem 7. Dezember 2012 zur Nachvollziehbarkeit und Plausibilität Gesagte. Zusammenfassend sei festzustellen, dass die Vorgehensweise zur Bestimmung der Immissionszusatzbelastung und die Ausführungen dazu, dass die Fernwärmeauskopplung von 45 MW zu keiner signifikanten Änderung der Immissionssituation führe, plausibel seien.
221Eine vertiefende Prüfung der Ergänzungen der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung vom TÜV Nord vom 28. März 2013 sei nur für die Themenbereiche Versauerung, Eutrophierung und die Einschätzung zu den charakteristischen Arten durchgeführt worden. Die überarbeiteten Inhalte seien in der Gesamtbetrachtung plausibel.
222Eine ergänzende Stellungnahme zur möglichen Versauerung von Lebensraumtypen im FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ durch Kumulationswirkung vom 17. Juli 2013 sei nachgereicht worden. Der wesentliche Unterschied zur Ausarbeitung des KIfL vom 6. August 2012 bestehe darin, dass in der nachgereichten Stellungnahme die Gesamtbelastung geprüft werde. Die Einschätzung, dass auch bei Berücksichtigung der Kumulation erhebliche Beeinträchtigungen durch Säureeinträge sicher auszuschließen seien, ergebe sich aus dem Umstand, dass am Beurteilungspunkt TKL 27 (Lebensraumtyp 9110) mit der höchsten Säurebelastung die in der Humusauflage verfügbare Basenmenge (18,7 kmol/ha) ausreiche, um die Gesamtsäurebelastung kumulativ aus 50 Jahren Betriebszeit (3,75 kmol) vollständig und ohne nachhaltige Schädigung des Lebensraumtyps 9110 abzupuffern.
223Mit Bescheid vom 20. November 2013 erteilte die Bezirksregierung der Beigeladenen den Vorbescheid, mit Bescheid vom 21. November 2013 die 1. Teilgenehmigung und mit Bescheid vom 22. November 2013 die 7. Teilgenehmigung.
224Mit dem Vorbescheid stellte die Bezirksregierung das Vorliegen der Genehmigungsvoraussetzungen zum Standort der Anlage sowie der immissionsschutzrechtlichen und naturschutzrechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen fest. Das Vorhaben umfasse die Errichtung und den Betrieb eines Steinkohlekraftwerks mit einer Feuerungswärmeleistung von maximal 1.705 MWth, entsprechend einer elektrischen Nettoleistung von ca. 750 MWel netto. Die abschließende verbindliche Feststellung beziehe sich nicht auf die Abwassereinleitung (Kühlturmabflut, REA-Abwasser) in die Lippe einschließlich der vorgeschalteten Abwasserbehandlungsanlage sowie auf den Schwermetalleintrag in die Lippe über den Luftpfad. Der Vorbescheid sei unter den Vorbehalt weiterer Neben- oder Inhaltsbestimmungen gestellt, die sich aus Erkenntnissen des laufenden wasserrechtlichen Erlaubnisverfahrens ergäben. Der Vorbescheid berechtige nicht zur Errichtung der Anlagen oder von Teilen der Anlage und ergehe unbeschadet der behördlichen Entscheidungen, die nicht von der Konzentrationswirkung des § 13 BImSchG erfasst werden. Insbesondere Entscheidungen im Hinblick auf § 7 WHG alter Fassung bzw. § 8 WHG neuer Fassung sowie § 58 WHG ergingen in entsprechenden wasserrechtlichen Verfahren. Der Abgaskanal sei vor Einleitung der Abgase in den Kühlturm mit Messeinrichtungen auszurüsten, die in der Lage sein, die Funktionsfähigkeit der Abgasreinigungseinrichtung, die Einhaltung der festgelegten Immissionsgrenzwerte der Massenkonzentration für Gesamtstaub, Quecksilber, Stickstoffoxide, Schwefeloxide und den Volumengehalt an Sauerstoff im Abgas sowie die zur Beurteilung des ordnungsgemäßen Betriebs erforderlichen Betriebsgrößen kontinuierlich zu messen und auszuwerten.
225Die 1. Teilgenehmigung umfasst die Freimachung der Baustelle einschließlich etwaiger Renovierungsarbeiten, die Einzäunung des Baustellengrundstücks und die Durchführung verschiedener Testbohrungen und Testempfehlungen. Die 7. Teilgenehmigung umfasst den Betrieb des Kohlekraftwerks für den Einsatz von Steinkohle unterschiedlicher Qualitäten mit einer Forderungswärmeleistung des Kohlekraftwerkblocks von 1.705 MW, entsprechend einer elektrischen Nettoleistung von 750 MW, dessen Errichtung mit der 1. bis 5. Teilgenehmigung genehmigt wurde.
226Der Vorbescheid, die 1. Teilgenehmigung und die 7. Teilgenehmigung betreffen nicht die Errichtung der Freileitung, die Benutzung des Datteln-Hamm-Kanals und der Lippe durch Entnahme und/oder Einleitung von Wasser und die Erweiterung der Gleisanlagen. Diese Teile des Vorhabens sind Gegenstand gesonderter Planfeststellungs-, Genehmigungs- bzw. Erlaubnisverfahren nach dem Energiewirtschaftsgesetz, Wasserhaushaltsgesetz und Allgemeinen Eisenbahngesetz. Die von diesen Vorhabenteilen ausgehenden Umwelteinwirkungen wurden zur Beurteilung des vorläufigen positiven Gesamturteils und im Rahmen der Bewertung der Umweltauswirkungen und der naturschutzrechtlichen Betrachtung berücksichtigt. Zusammenfassend wird festgestellt, dass weder durch die indirekte noch durch die direkte Einleitung von Abwasser in die Lippe noch durch Einträge von Schadstoffen über den Luft-, Boden- oder Wasserpfad erhebliche Auswirkungen auf die Lippe zu erwarten seien.
227Der Vorbescheid vom 20. November 2013 wurde öffentlich bekannt gemacht und außerdem dem Kläger am 2. Dezember 2013 zugestellt.
228Die Beklagte erteilte dem SAL mit Bescheid vom 22. November 2013 die wasserrechtliche Erlaubnis gemäß § 8 WHG zur Einleitung von Abwasser (Kühlturmabwasser, Rauchgasentschwefelungsanlagenwasser) in die Lippe für das Steinkohlekraftwerk der Beigeladenen. Der Kläger hat hiergegen am 27. Dezember 2013 Klage erhoben. Die Klage ist beim VG Gelsenkirchen anhängig.
229Der Kläger hat am 30. Dezember 2013 gegen den Vorbescheid sowie die 1. und 7. Teilgenehmigung Klage erhoben. Er macht zur Begründung seiner Klage im Wesentlichen geltend: Als anerkannter Umweltverband sei er umfassend rügeberechtigt. Der angefochtene Vorbescheid und die angefochtenen Teilgenehmigungen erwiesen sich jeweils aus denselben Gründen als rechtswidrig.
230Das Vorhaben der Beigeladenen sei bereits bauplanungsrechtlich unzulässig. Auch die Auswirkungen des vorhabenbedingten Schadstoffausstoßes könnten nicht zuverlässig abgeschätzt werden. Die vorgelegte Immissionsprognose sei nicht nachvollziehbar und fehlerhaft. Ferner sei das Vorhaben entgegen der Einschätzung der Bezirksregierung und der Beigeladenen nicht mit den Schutzzwecken der von den Auswirkungen betroffenen FFH-Gebiete zu vereinbaren, weil nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden könne, dass es zu erheblichen Beeinträchtigungen komme. Die Voraussetzungen für eine Ausnahme vom FFH-Schutzregime lägen nicht vor.
231Im Einzelnen trägt der Kläger vor:
232Der Bebauungsplan der Stadt Lünen Nr. 80 „Stummhafen“ enthalte keine positive planerische Aussage zur Zulässigkeit von Kraftwerken. Auch der Landesentwicklungsplan NRW 1995 enthalte ebenso wenig eine positive Aussage zur Zulässigkeit eines Großkraftwerks an diesem Standort wie der Flächennutzungsplan oder der Regionalplan. Der im Zeitpunkt der Beschlussfassung geltende Gebietsentwicklungsplan weise für die Stadt Lünen sogar einen anderen Standort aus. Der Bebauungsplan Nr. 80 sei zudem seit 30 Jahren nicht in Richtung eines Großkraftwerks vollzogen worden und deshalb funktionslos. Die tatsächlichen und rechtlichen Änderungen, etwa infolge des nachträglichen Erlasses der Luftreinhalterichtlinie, der Wasserrahmenrichtlinie und der FFH-Richtlinie, seien planerisch nicht bewältigt worden. Der Bebauungsplan trage auch dem Umstand nicht Rechnung, dass die Planung jetzt der UVP- und FFH-Pflicht unterliege. Vor diesem Hintergrund bestehe eine zwingende Planungspflicht.
233Der Störfallschutz sei nicht zureichend bewältigt worden.
234Die Immissionsprognose vom 6. August 2012 sei sowohl hinsichtlich der Ausbreitungsrechnung für das streitgegenständliche Vorhaben als auch hinsichtlich der Berechnung der kumulierenden Auswirkungen fehlerhaft. Die Prüfung der Ausbreitungsrechnung durch das LANUV sei defizitär.
235Die Angaben zu den Kühlturmparametern - insbesondere zu der Austrittstemperatur - seien widersprüchlich. Die Kühlturmparameter seien zudem nicht belegt worden. Es falle jedoch auf, dass sich die Austrittsgeschwindigkeit und die Temperatur des Mischschwadens im Verlauf des Verfahrens erheblich verändert hätten.
236Es sei nicht der ungünstigste Betriebszustand im Sinne von Nr. 4.6.1.1 Anhang 3 Nr. 2 TA Luft berücksichtigt worden. Weder die Ausbreitungsrechnung vom 25. Februar 2013 zum 60 %-Lastbetrieb noch die Ausbreitungsrechnung vom 15. April 2016 zum 80 %-Lastbetrieb reichten aus, eine solche Annahme zu rechtfertigen. Da zunächst Ammoniak nicht gesondert ausgewiesen worden sei, bestehe die Vermutung, dass gerade dieser Wert gestiegen sei.
237Der Ansatz der Schwadenüberhöhung sei fehlerhaft. Nach der Modellbeschreibung in Anhang A der VDI Richtlinie 3784 Blatt 2 seien Schwankungen bis zu einem Faktor 2 möglich. Es führe zu einer Unterschätzung der Immissionen, dass die Prognose von einer vollständigen Durchmischung des Abgases des Kühlturmschwadens im Kühlturm und danach ausgehe, obwohl eine solche tatsächlich nicht stattfinde. Es fehle auch an einer Untersuchung zur Vergleichbarkeit von Schornsteinen und Kühltürmen.
238Die systematischen Fehler und die statistische Unsicherheit der Ausbreitungsrechnung seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Auch die in § 17 der 13. BImSchV geregelten Ausfallzeiten der Rauchgasreinigungsanlage seien nicht einbezogen worden.
239Die Wahl des Anemometerstandorts Lünen-Niederaden sei nicht plausibel. Die Auswahl der Messstation Werl-Waltrop - wie beim Vorhaben Datteln 4 - habe näher gelegen. Dies ergäben auch die selbst durchgeführten Berechnungen mit diesen Wetterdaten. Die ausgewählte Messstation entspreche auch nicht den Vorgaben des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Dieser fordere einen zehnfachen Abstand von relevanten Störungshindernissen und eine maximale Höhe von 15 m. Diese Vorgaben würden nicht eingehalten. Der massive Rückgang der Zusatzbelastung durch Säureeinträge des Vorhabens der Beigeladenen in der Immissionsprognose vom 6. August 2012 gegenüber den im vorhergehenden Verfahren ermittelten Werten sei ohne die Änderungen in der Meteorologie unverständlich. Die manuelle Korrektur der Regenzeitdaten für die nasse Deposition der Stickstoff- und Schwefeleinträge sei dabei besonders problematisch. Die in der Immissionsprognose verwendeten Niederschlagsdaten aus dem Jahr 2009 seien entgegen der Angaben der Beigeladenen nicht auf den langjährigen Mittelwert der Jahre 2002 bis 2011 hochskaliert worden. Die angesetzte Niederschlagsmenge liege mit 764,3 l/(m²*a) deutlich unterhalb dieses Mittelwerts von 789 l/(m²*a). Dasselbe gelte für die in der Immissionsprognose für das Kraftwerksprojekt Datteln 4 verwendeten Niederschlagsdaten. Keiner dieser Werte stimme mit den in der Critical-Loads-Berechnung von P. -E. verwendeten Niederschlagsdaten überein.
240Die Emissionen und Immissionen der Schwermetalle - insbesondere von Quecksilber - seien nicht hinreichend berücksichtigt worden. Der Anteil an - im Vergleich zu elementarem Quecksilber aufgrund der höheren Depositionsgeschwindigkeit schneller sinkendem - oxidiertem Quecksilber sei mit 50 % zu klein. Bei einem konservativen Ansatz müsse von 100 % oxidiertem Quecksilber ausgegangen werden. Aufgrund der im Kühlturm zu erwartenden Oxidationsvorgänge liege nach kurzer Zeit das gesamte Quecksilber in oxidierter Form vor. Wie schnell die Reaktionen im Mischschwaden und bei höheren Schadstoffkonzentrationen abliefen, sei zwar weitgehend unerforscht. Die von der Beigeladenen erfolgte Heranziehung atmosphärischer Bedingungen sei jedoch nicht sachgerecht, weil im Mischschwaden keine homogenen Gasphasen bestünden. Wegen der erheblich höheren Schadstoffkonzentrationen sei auch von höheren Reaktionsgeschwindigkeiten auszugehen. Die Heranziehung der Depositionsgeschwindigkeiten für Quecksilber aus der TA Luft bzw. der VDI Richtlinie 3782 Blatt 5 entspreche nicht dem neuesten Kenntnisstand. Neuere, auf Messungen beruhende Erkenntnisse aus Japan und den USA sprächen je nach Landnutzung für höhere Depositionsgeschwindigkeiten. Erkenntnisse aus Japan zeigten auch, dass die ‑ hier nicht betrachtete - nasse Deposition gegenüber der trockenen dominiere.
241Auch für die LASAT-Berechnung fehle es an einer Begründung oder Ableitung der Zahlenwerte; die Berechnungsgrundlagen seien nicht vorgelegt worden. Die Depositionsgeschwindigkeit für die trockene Säuredeposition könne - anders als in dem vorangegangen Verfahren angenommen - zweidimensional in das Programm LASAT eingegeben werden. Für Schwefeldioxid habe daher über den Cappenberger Wäldern eine Depositionsgeschwindigkeit von 1,5 cm/s angesetzt werden müssen.
242In der Immissionsprognose für das Kraftwerkprojekt vom 15. Februar 2013 Datteln 4 sei - anders als beim streitgegenständlichen Vorhaben - der LASAT-Korrekturterm für die Abgasgeschwindigkeit nicht angepasst worden. Die Austrittsgeschwindigkeit für Datteln 4 sei für den Realzustand angesetzt worden, für das Vorhaben der Beigeladenen für den Normzustand. Für das Kraftwerk Datteln seien keine Kühlturmberechnungen vorgelegt worden. Der angesetzte Austrittsdurchmesser entspreche nicht der Anlagenbeschreibung (60,6 m/60 m), was nicht plausibel sei. Die der Immissionsprognose zu Grunde gelegten Kühlturmparameter für das Kraftwerk Datteln gälten im Übrigen nur für den Fall der idealen Durchmischung von Abluft und Kühlturmschwaden.
243Die Immissionsprognose für Datteln 4 sei auch sonst fehlerhaft und die entsprechende Zusatzbelastung nur unzureichend ermittelt worden. Die Emissionsmassenströme seien um 7 % zu niedrig, weil für 600 Stunden keine Emissionen eingestellt worden seien. Ob dieser Fehler in der neuen Immissionsprognose behoben worden sei, sei nicht klar. Daten lägen hierzu nicht vor. In der Immissionsprognose für Datteln 4 sei die statistische Unsicherheit mit kleiner als 3 % angegeben, es sei aber unklar, ob bei den einzelnen Beurteilungspunkten die statistische Unsicherheit mit eingerechnet worden sei. Dies gelte auch für spätere Immissionsprognosen und die Immissionsprognose für Herne.
244Die Unterscheidung zwischen Sommer- und Winterhalbjahr bei der Fernwärmeauskoppelung für Datteln 4 entspreche nicht den zukunftsbezogenen Prognosen. Insoweit bedürfe es eines Fachgutachtens und der Auseinandersetzung mit dem klägerischen Vorbringen. Dieser Fehler schlage auf die Immissionsprognose vom 6. August 2012 durch, weil nicht angegeben worden sei, von welcher Fernwärmeauskopplung für Datteln 4 ausgegangen worden sei. Außerdem könne nicht nachvollzogen werden, warum die Zusatzbelastung durch Datteln 4 in der Immissionsprognose vom 6. August 2012 niedriger sei als in der zur FFH-Verträglichkeitsuntersuchung zu Datteln 4 erstellten Immissionsprognose vom 12. April 2012, obwohl die Eingangsdaten identisch seien; auch bei Datteln 1-3 seien solche Unterschiede festzustellen.
245Der Abzug der Zusatzbelastung für das Kraftwerk Datteln 1-3 sei zu hoch. Der Ansatz des Durchschnittswerts der Emissionsmassenströme aus den Jahren 2003-2011 sei nicht sachgerecht. Analog der TA Luft hätten lediglich 5 Jahre betrachtet werden dürfen. Eine solche Betrachtung führe zu deutlich geringeren Emissionsmassenströmen und damit auch einem geringeren Abzug. Der Wert für Ammoniak sei mit 1 mg/m³ nicht nachvollziehbar, da im Jahr 2011 noch ein Wert von 2 mg/m³ angesetzt worden sei.
246Auch der Umstand, dass sich - trotz der ähnlichen Austrittsparameter des Kraftwerks der Beigeladenen und des Kraftwerks Herne Block 5 - die Ausdehnung der Abluftschwaden deutlich unterscheide, sei unverständlich.
247Dem Vorhaben stünden naturschutzrechtliche Bedenken entgegen. Die Annahme, es sei ausgeschlossen, dass das FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ durch den Eintrag von Säure, Stickstoff und Schwermetallen auf dem Luftpfad und dass die FFH-Gebiete „Lippeaue“ und „Teilabschnitte Lippe“ durch Einträge über den Luft- und Wasserpfad erheblich beeinträchtigt würden, sei nicht hinreichend belastbar. Die Critical Loads für Säureeinträge seien in allen Waldlebensräumen überschritten.
248Weder das Abschneiden von Einträgen zur Abgrenzung des Untersuchungsraums oder bei der Ermittlung der kumulierenden Wirkung anderer Quellen noch der Ansatz einer Bagatellschwelle sei sachgerecht oder fachwissenschaftlich gerechtfertigt.
249Die Berechnung der Critical Loads für versauernde Stoffeinträge durch P. -E. sei unzureichend und intransparent. Es sei unklar, wie das Ziel-Ökosystem für die Bewertung der zusätzlichen Stickstoffeinträge definiert werde. Referenzzustände aus weniger belasteten Gebieten oder geringer belasteten Epochen (etwa den 1920er Jahren) würden nicht benannt. Es bleibe an vielen Stellen offen, welche Paramater verwendet worden seien. Die Parameterauswahl sei auch nicht sachgerecht erfolgt. Sie weiche an mehreren Stellen von der gängigen Praxis des ICP Modelling & Mapping 2010 ab. Dies betreffe neben dem Term der seesalzkorrigierten Deposition basischer Kationen insbesondere die Annahme anderer Durchwurzelungstiefen und Verwitterungsraten im Unterboden, die Stickstoff-Immobilisierungsrate, die Denitrifikationsrate und die kritische Austragsrate der Säureneutralisierungskapazität. Die unzulässige Mittelwertbildung verschiedener Parameter - unter anderem des pH-Werts - über mehrere Bodenhorizonte hinweg führe zu einer Fehleinschätzung der realen Verhältnisse. Es bedürfe einer objektiven Betrachtung anhand der - den eigenen Berechnungen entsprechenden - Critical Loads des Umweltbundesamtes. Die dort ausgewiesenen Werte für die Cappenberger Wälder lägen um bis zu 43 % niedriger als die modellierten Critical Loads.
250Es seien nicht alle kumulierenden Vorhaben berücksichtigt worden. Es müssten sowohl die Vorhaben, die vor dem Kraftwerkprojekt der Beigeladenen beantragt worden seien als auch die Vorhaben, die später beantragt, aber zwischenzeitlich realisiert worden seien, einbezogen werden. Das Vorhaben der Beigeladenen habe seine Prioritätsstellung infolge der Aufhebung des Vorbescheids vom 6. Mai 2008 verloren. Der maßgebliche Stichtag sei damit der 23. August 2012. Dies gelte auch deshalb, weil der erste Antrag wegen Fehlern der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung unvollständig gewesen sei. Nach alledem habe die Zusatzbelastung durch die B. AG mit berücksichtigt werden müssen. Die Schadstoffemissionen des Kraftwerks Datteln 1-3 seien nicht abzuziehen, sondern der Vorbelastung zuzurechnen. Auch die in der Umgebung vorhandenen Tierhaltungsanlagen seien nicht zureichend berücksichtigt worden.
251Eigene Berechnungen hätten ergeben, dass bei einer Einbeziehung der Auswirkungen von Datteln 1-3 und der B. AG in die Summation die Critical Loads für versauernde Einträge um mehr als 3 % überschritten würden. Dasselbe gelte bei der - insbesondere, was den Ammoniak-Faktor angehe - zutreffenden Einbeziehung der Tierhaltungsanlagen.
252Die Beigeladene habe den Nachweis der Unbedenklichkeit der Einträge auch in der Einzelfalluntersuchung nicht erbringen können. Sie habe insbesondere das Bestehen einer Basenpumpe nicht belegt. Es sei ohnehin fraglich, ob die Basenpumpe als Schutzmechanismus in Betracht komme. Die Oberböden in den Wäldern bei Cappenberg seien trotz der hohen Basizität in den Unterböden stark versauert, die Säurebelastung trotz der rückläufigen Stoffeinträge so hoch, dass aus den Silikaten Aluminium freigesetzt werde. Die Eutrophierung sei an einigen Stellen irreversibel. Auch die Versauerung sei wegen der Tonzerstörung und des freigesetzten, aktuell an Austauscher gebundenen Aluminiums nicht reversibel. Die Behauptung, die Critical Limits würden in der krautdurchwurzelten Mineralbodenzone der Hauptwurzelzone nicht erreicht, sei falsch; für eine fehlerfreie Berechnung über mehrere Bodenhorizonte hätten die Feinbodenmengen bekannt sein müssen, erst dann hätten gewichtete Mittelwerte berechnet werden können.
253Die Vegetationsaufnahmen reichten nicht aus, um die aktuelle Waldvegetation pflanzensoziologisch einzuordnen. Die vegetationskundliche Methode sei nur dann geeignet, die Wirkungen zusätzlicher Stoffeinträge zu bewerten, wenn weitere Analysewerkzeuge (zeitliche, typologische und räumliche Vergleiche, Experimente, Zeigerwerte) hinzugenommen würden. Die Untersuchungen der Beigeladenen würden dem nicht gerecht. Um den aktuellen Zustand und die Schadenssymptome quantifizieren sowie den Zielzustand definieren zu können, sei eine größere Zahl an Vegetationsaufnahmen (einschließlich der besonders empfindlichen Moos- und Flechtenarten), deren Verortung und Informationen über andere Schadeinflüsse und forstliche Maßnahmen erforderlich. Der eigene Gutachter habe zuletzt festgestellt, dass stickstoffarme Verhältnisse bevorzugende Arten ab- und Nitratpflanzen zugenommen hätten. Starksäureanzeiger seien entgegen der Annahme der Beigeladenen nicht zu erwarten, sondern eher das Vorkommen säuretoleranter Nitratpflanzen, die die Cappenberger Wälder tatsächlich prägten. Auch der Degradationsgrad sei falsch eingeschätzt worden. Es sei zu vermuten, dass die Waldgesellschaften der Cappenberger Wälder floristisch bereits deutlich degradiert seien. Die untersuchten Flächen stellten die „günstigste“ Auswahl dar; schon in der Nachbarschaft dieser Flächen komme es zu Verschiebungen im Arteninventar, die umso deutlicher würden, je größer die Entfernung sei. Dort seien Stickstoffanzeiger zu verzeichnen, insbesondere die Brombeere habe stark zugenommen. Außerhalb der betrachteten Flächen würden auch Säureanzeiger auftreten.
254Wegen der Schwermetalleinträge werde ebenfalls auf die Erkenntnisse der eigenen Gutachter verwiesen. Es gebe fachlich anerkannte und ausreichend validierte Critical Loads für Schwermetalle für Europa, in Deutschland für Blei, Cadmium und Quecksilber. Für Blei und Cadmium existierten Critical Loads für landwirtschaftliche und naturnahe Ökosysteme (Trinkwasserschutz, Sickerwasser, Wirkungen auf die in den oberen Bodenschichten lebenden Organismen). Diese Critical Loads seien aber nicht genutzt worden. Sie seien jedenfalls für die kleinräumige Betrachtung heranzuziehen. Sie seien durch die Vorbelastung schon überschritten. Auch die vielfältigen Wirkungen erhöhter Ammoniakkonzentrationen seien nicht berücksichtigt worden. Seit 2009 existierten insoweit nach unten korrigierte Critical Level.
255Das Vorhaben sei auch nicht ausnahmsweise genehmigungsfähig. Die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 4 der FFH-Richtlinie lägen nicht vor. Die Unterstellung, es erfolge eine erhebliche Beeinträchtigung der „Wälder bei Cappenberg“ durch Stickstoff- und Säureeinträge und der FFH-Gebiete DE 4209-302 und 4313-302 durch Abwassereinleitung, bleibe im Ausmaß hinter den vom Kläger geltend gemachten Beeinträchtigungen zurück und sei nicht haltbar. Wenn das Ausmaß der Beeinträchtigung nicht ordnungsgemäß und sachgerecht festgestellt sei, sei auf keiner Stufe der Prüfung der richtige bezugspunktbildende Vergleich möglich. Die Prüfung gehe daher von vorneherein ins Leere. Es fehle auch an zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses. Weder die Alternativenprüfung noch der Kohärenzausgleich sei ausreichend.
256Die Umweltverträglichkeitsprüfung sei bezüglich der aquatischen Lebensraumtypen und der Arten Flussneunauge und Eisvogel unzureichend und teilweise unzutreffend. Auch die Belange des nationalen und des globalen Klimaschutzes seien nicht hinreichend berücksichtigt worden. Es sei zu Unrecht nur das Kleinklima betrachtet worden. Die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 2 UVPG verstoße gegen die UVP-Richtlinie, sofern dort die von dem Vorhaben ausgehenden Treibhausgasemissionen erfasst seien. Diese Frage sei dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen.
257Der Artenschutzbeitrag sei nur begrenzt aussagekräftig, denn er sei erst nach Errichtung der Bauwerke erstellt worden. Es bestehe der konkrete Verdacht, dass die Kreuzkröte sich im Baufeld aufgehalten habe. Daher wäre eine artenschutzrechtliche Ausnahme erforderlich gewesen. Dasselbe gelte für den Eisvogel, bei dem die Aufnahme von quecksilberbelasteten Tieren zu einer populationsrelevanten Verminderung der Vitalität führe.
258Die Freisetzung radioaktiver Strahlung bei der Kohleverbrennung führe zu einer Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung. Radioaktive Isotope blieben nicht vollständig in den Aschen bzw. Reststoffen zurück. Isotope von Radon, Blei und Polonium gingen beim Verbrennungsvorgang oder in den Trocknungsvorgängen in die Gasphase über und gelangten über die Atemluft oder die Nahrung in den menschlichen Körper. Es handele sich in erster Linie um Alphastrahler (Radionuklide in Kohle), die um den Faktor 20 biologisch wirksamer als die Beta- und Gammastrahlungen seien. Die Dosis der Strahlenbelastung sei bis zu dreimal höher als bei Atomkraftwerken im Normalbetrieb.
259Es fehle an dem vorläufigen positiven Gesamturteil. Die Stoffeinleitung und Stoffeinträge in die Gewässer seien nicht genehmigungsfähig. Der Kläger habe Klage gegen die der SAL erteilte wasserrechtliche Erlaubnis erhoben.
260Die Beigeladene könne schließlich auch kein berechtigtes Interesse an der Erteilung des Vorbescheides geltend machen. Es sei bereits eine Betriebsgenehmigung erteilt worden, so dass kein Raum mehr für eine verfahrensökonomische Abschichtung sei. Die Teilgenehmigungen, die auf dem ersten Vorbescheid beruhten, seien mit dem Wegfall des ursprünglichen Vorbescheides rechtswidrig geworden, weil über wesentliche Genehmigungsvoraussetzungen nicht entschieden worden sei. Erforderlich gewesen sei ein Antrag auf Vollgenehmigung. Die Aufteilung des Genehmigungsverfahrens führe zu einer Erschwerung der Beteiligung der Öffentlichkeit und der Rechtsschutzmöglichkeiten.
261Der Kläger beantragt,
262den Vorbescheid vom 20. November 2013, die 1. Teilgenehmigung vom 21. November 2013 und die 7. Teilgenehmigung vom 22. November 2013 der Bezirksregierung Arnsberg aufzuheben.
263Der Beklagte beantragt,
264die Klage abzuweisen.
265Der Beklagte trägt vor: Der Kläger sei mit den baurechtlichen Rügen weiterhin präkludiert; jedenfalls sei der Kläger insoweit nicht rügebefugt. Eine Anpassung des Bebauungsplans an höherrangiges Planungsrecht sei auch nicht erforderlich. Wegen des Landesentwicklungsplans werde auf die Stellungnahme des Regionalverbands Ruhr vom 15. Juli 2014 hingewiesen. Eignungsgebiete im Sinne des § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 ROG, die dem Kraftwerkstandort entgegenstehen könnten, seien landesplanerisch nicht festgelegt worden. Insbesondere für das Gebiet der Stadt Lünen gebe es keine (abweichende) Festlegung eines Kraftwerkstandortes. Im Regionalplan sei ein Bereich für gewerbliche und industrielle Nutzungen (GIB) ausgewiesen, in dem aufgrund des Piktogramms ohne Zackenlinie auch Kraftwerke zulässig seien. Im Flächennutzungsplan sei ein Industriegebiet dargestellt.
266Der Bebauungsplan sei auch nicht funktionslos geworden. Eine nachträgliche UVP- oder FFH-Verträglichkeitsuntersuchungs-Pflicht bestehe nicht, die entsprechenden Richtlinien seien erst später in Kraft getreten. Beide Prüfungen seien bei der Zulassungsentscheidung durchgeführt worden.
267Das Störfallkonzept sei vom LANUV geprüft und für plausibel erachtet worden. Hinsichtlich der Kritik an der Immissionsprognose und der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung jeweils vom 6. August 2012 sei es nicht Aufgabe des beklagten Landes, die wissenschaftlichen Daten, Modelle und Schlussfolgerungen zu hinterfragen. Deshalb werde im Wesentlichen auf die Stellungnahmen des LANUV vom 7. Dezember 2012, vom 13. August 2013, vom 21. August 2014 und vom 8. Juli 2015 hingewiesen. Die Begrenzung der Schwermetalle und deren Überwachung seien in der 7. Teilgenehmigung geregelt. Die diffusen Quellen hätten vernachlässigt werden können, weil die Bänder und Ecktürme eingehaust und verkapselt seien. Die Quecksilberdepositionen seien nicht unterschätzt worden. Weder die TA Luft noch die VDI-Richtlinie verlangten die Berücksichtigung der nassen Depositionen von Quecksilber. Die Aufteilung zwischen oxidiertem und elementarem Quecksilber sei zutreffend. Die Depositionsgeschwindigkeit für Schwefeldioxid entspreche den Vorgaben des OVG NRW, ansonsten entsprächen die Depositionsgeschwindigkeiten der VDI Richtlinie 3782 Blatt 5. Es sei auch der ungünstigste Betriebszustand betrachtet worden. Auf die Ausführungen des LANUV in dem Erörterungstermin zum Kraftwerkprojekt Datteln 4 und in der Stellungnahme vom 13. August 2013 werde Bezug genommen. Wegen der Kühlturmauslegung habe am 10. Juli 2015 ein Gespräch mit dem Kühlturmhersteller stattgefunden. Dabei seien Auslegungsgrundlagen des Kühlturms für den 100 %‑, den 80 %- und den 60 %-Betrieb zur Verfügung gestellt worden. Eine vollständige Vermischung der deutlich wärmeren, in einer Höhe von ca. 50 m eingeleiteten Feuerungsabgase mit dem Kühlturmschwaden finde zwar nicht statt. Ungeachtet dessen sei die abweichende Annahme in der Immissionsprognose konservativ, da das nach der TA Luft verwendete Modell für eine jeweils über die Kühlturmmündung gemittelte Temperatur und Austrittsgeschwindigkeit des Schwaden-Abgasgemischs parametrisiert worden sei. Die Ausbreitungsrechnungen für den 100 %- und für den 60 %-Lastfall seien weitgehend linear. Bei einer Reduzierung des Lastbetriebs nehme der Schwadenvolumenstrom geringer ab als der Volumenstrom der Feuerungsabgase, die Reduzierung der Emissionsmassenströme führe zu einer Verminderung der resultierenden Immissionsbelastung, weil das Schwaden-Abgasgemisch noch ausreichenden Auftrieb aufweise, d. h. die Reduzierung der Emissionen werde nicht durch einen verminderten Auftrieb überkompensiert. Die geringere Luftfeuchtigkeit von weniger als 80 % führe aufgrund des damit verbundenden größeren Kühlgrenzabstandes ebenfalls zu höheren Austrittsgeschwindigkeiten.
268Das Vorhaben verstoße auch nicht gegen Naturschutzrecht. Beeinträchtigungen der FFH-Gebiete seien nicht zu erwarten. Insoweit werde auf die Einschätzung des LANUV, des Landesbetriebes Wald und Holz NRW und des Geologischen Dienstes vom 8. August 2014 verwiesen. Das Critical-Loads-Konzept und die Abschneidekriterien stellten die besten wissenschaftlichen Erkenntnisse dar. Die Critical Loads für den Säureeintrag seien von P. -E. modelliert worden, die Critical Loads für Stickstoffeinträge stammten vom LANUV. Zur Plausibilisierung der Modellierung seien Vegetationsaufnahmen und bodenkundliche Kartierungen sowie Bodenanalysen erstellt worden. Zusätzlich sei vorsorglich eine Einzelfallbetrachtung vorgenommen worden. Bezüglich der Wirkungen sei die Methodik des LANUV angewandt worden, die auf den besten wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhe. Die Abschneidekriterien seien vom LANUV anhand der Grenze der Nachweisbarkeit projektbezogen entwickelt worden. Sie beträfen rechnerisch darstellbare, keiner Emissionsquelle zurechenbare Immissionen. Der Abschneidewert für Stickstoffeinträge sei äußerst konservativ, er sei kleiner als der in dem Vorhaben des Bundesamtes für Straßenwesen vorgeschlagene Wert. Die Summierung mit den anderen Projekten habe sich am Prioritätsprinzip ausgerichtet. Als maßgeblicher Stichtag sei auf dem 31. März 2007 abgestellt worden, maßgeblicher Zeitraum sei demnach der 7. Dezember 2004 bis zum 31. März 2007. Die Zusatzbelastung der B. AG sei daher ebenso wenig zu berücksichtigten wie das von der Beigeladenen in die Kumulationsrechnung vom 15. November 2015 eingestellte Biomassewerk Lünen, das schon vor Unterschutzstellung des FFH-Gebiets genehmigt worden sei.
269Der Erlass des MKULNV vom 30. September 2014 sei beachtet worden. Die Betrachtung der FFH-Gebiete sei schutzgebietsbezogen erfolgt. Es seien alle potenziellen Einwirkungen des Kraftwerks und alle Wirkungspfade in einem aufeinander aufbauenden System von Prüfschritten einbezogen worden.
270Die Unterschiede zu den früheren Immissionsprognosen beruhten auf den neuen Emissionsbegrenzungen und den daraus resultierenden Jahresfrachten bei 85 % der maximalen Betriebsstunden. Der Wert für Ammoniak sei nach den Ergebnissen von Einzelmessungen praxisnah.
271Da die Erstellung von dynamischen Stoffhaushaltsbilanzen in den Leitfäden nicht vorgesehen sei, werde von weiterem Vortrag zur Kritik des Klägers abgesehen. Die boden- und vegetationskundlichen Untersuchungen entsprächen den Anforderungen des Geologischen Dienstes und des LANUV, die Probeentnahmen seien an repräsentativen Stellen erfolgt. Die Kartierung der Lebensraumtypen im FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ sei vom LANUV abgenommen worden, und die Ergebnisse seien in die dortige Datenbank eingepflegt worden.
272Die Schwermetalleinträge in die Lippe seien anhand der Abschneidekriterien des LANUV bewertet worden. Die Ausnahmeprüfung sei nur äußerst vorsorglich erfolgt und weise keine Fehler auf.
273Der Artenschutzbeitrag sei ausreichend und beruhe auf fachlich korrekt durchgeführten Ermittlungen auch während der Bauvorbereitung und vor der Errichtung der Bauwerke. Ein Verstoß gegen Tötungs- und Verbotstatbestände liege nicht vor. Für die Kreuzkröte habe es nur einen Rufnachweis gegeben, nachdem das Gelände von der Vegetation geräumt worden sei. Eine Ortung sei nicht möglich gewesen. Beim Eisvogel lägen die Akkumulationswerte unter einer möglichen Effektschwelle, beim Flussneunauge sei eine Verschlechterung des Erhaltungszustands ausgeschlossen. Der Kläger sei mit dem Vortrag zur Radioaktivität weiter präkludiert. Der TÜV Nord gebe im Übrigen an, dass die Werte kleiner seien als die natürlichen Strahlungswerte. Die vom Kläger gewünschte Bewertung des Makroklimas sei nicht Gegenstand der Umweltverträglichkeitsprüfung. Die Beigeladene habe schließlich auch weiter ein berechtigtes Interesse an der Erteilung eines Vorbescheides, weil die Grundlage für die bereits erteilten Teilgenehmigungen wiederhergestellt werden müsse.
274Die Beigeladene beantragt,
275die Klage abzuweisen.
276Die Beigeladene weist darauf hin, dass das Vorhaben Kraftwerk Herne Block 5 endgültig weggefallen sei, nachdem der Vorbescheid vom 14. Dezember 2007 mit Ablauf des 12. Oktober 2014 unwirksam geworden sei. Für das Kraftwerkprojekt Datteln 4 sei ein Vollgenehmigungsverfahren geplant. Im Übrigen sei die Klage teilweise unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.
277Der Vortrag des Klägers sei in weiten Teilen schon deshalb nicht zu berücksichtigen, weil er zu pauschal und unsubstantiiert sowie anwaltlich nicht aufbereitet sei. Der Kläger könne auch nur Vorschriften mit Umweltbezug rügen. Verstöße gegen baurechtliche Vorschriften könne er daher nicht geltend machen, ein nur mittelbarer Zusammenhang mit Umweltvorschriften reiche für die Klagebefugnis nicht aus. Ungeachtet dessen entspreche das Vorhaben den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 80. Die Ausweisungen auf der Ebene der Landes- und Regionalplanung stünden der Errichtung und dem Betrieb eines Kraftwerks nicht entgegen. Der Bebauungsplan sei weder funktionslos geworden noch unterliege er einer nachträglichen UVP- oder FFH-Verträglichkeitsuntersuchungs-Pflicht. Es reiche aus, wenn die Zulassungsentscheidung - wie hier - einer Umwelt- und FFH-Verträglichkeitsprüfung unterzogen worden sei.
278Die vorgelegten Antragsunterlagen entsprächen vollumfänglich den störfallrechtlichen Anforderungen. Das Vorhaben der Beigeladenen sei auch immissionsschutzrechtlich genehmigungsfähig. Die Ausbreitungsrechnungen vom 6. August 2012, vom 25. Februar 2013 und vom 15. April 2016 seien vom LANUV geprüft und für plausibel befunden worden.
279Die Schwermetallemissionen und -immissionen, insbesondere von Quecksilber, seien zutreffend ermittelt worden. Aufgrund der Reinigungswirkung der DeNOx-Anlage sei oxidiertes Quecksilber mit einem Anteil von 50 % konservativ berücksichtigt worden. Das habe das LANUV auch für das Kraftwerk Datteln 4 bestätigt. Das oxidierte Quecksilber werde in der REA-Anlage zudem weitgehend aus dem Rauchgas entfernt. Der Tagesmittelwert für Quecksilber von 0,013 mg/m3 werde so eingehalten. Der Emissionswert für Ammoniak sei freiwillig beantragt worden; der Anlagenhersteller habe gewährleistet, dass der Ammoniakgehalt im Rauchgas nach dem Katalysator den Wert von 5 mg/m³ nicht überschreite. Aufgrund der Erhöhung des Rauchgasvolumenstroms auf 2,21 Mio m³/h sei der Wert von 5 mg/m³ auf 4,8 mg/m³ angepasst worden.
280Die Depositionsgeschwindigkeit für Quecksilber von 0,5 cm/s entspreche den Vorgaben der TA Luft und der VDI-Richtlinie 3783 Blatt 3 für gasförmiges Quecksilber. Die vom Kläger benannten Studien aus anderen Ländern seien wegen der unterschiedlichen meteorologischen, geologischen und biologischen Verhältnisse nicht übertragbar. Die nasse Deposition von Quecksilber sei nach der TA Luft zu Recht unberücksichtigt geblieben.
281Mit dem Volllastbetrieb sei der ungünstigste Zustand in den Blick genommen worden. Beim 60 %-Lastbetrieb seien die Emissionsmassenströme und der thermische und impulsbehaftete Auftrieb des Abgasschwadens bei gleichen Randbedingungen geringer, das schadstoffspezifische Immissionsmaximum liege näher an der Emissionsquelle. Er rufe geringere Emissionen hervor; dasselbe gelte für die Fernwärmeauskopplung. Dieses Ergebnis werde durch die Untersuchung des 80 %-Lastfalls mit Ausbreitungsrechnung vom 15. April 2016 und die isolierte Betrachtung von Ammoniak beim 60 %-Lastfall mit Ausbreitungsrechnung vom 13. April 2016 bestätigt. Einer weiteren Darstellung der Auswirkungen der Luftschadstoffe an den einzelnen Beurteilungspunkten der FFH-Gebiete bedürfe es daher nicht. Die Teillastrechnungen beruhten auf denselben Kühlturmparametern wie die Immissionsprognose vom 6. August 2012. Dies gelte insbesondere auch für die Austrittsgeschwindigkeit und -temperatur.
282Die Schwadenüberhöhung sei auf der Grundlage des in das Programm AUSTAL2000 implementierten Anhangs 3 Nr. 6 TA Luft/VDI 3784 Blatt 2 berechnet worden. Die Ausbreitungsrechnung sei vom LANUV unter dem 7. Dezember 2012 bestätigt worden. Auf den Grad der Durchmischung von Abgas und Kühlturmschwaden komme es nicht an. Auch die statistische Unsicherheit sei bei der Ausbreitungsrechnung angemessen berücksichtigt worden. Die statistische Unsicherheit werde von dem Ausbreitungsmodell neben der schadstoffspezifischen Immissionszusatzbelastung automatisch ausgewiesen. Ergebe die Ausbreitungsrechnung eine statistische Unsicherheit von mehr als 3 % des Jahres-Immissionswerts, müsse entsprechend Nr. 9 des Anhangs 3 der TA Luft eine erneute Ausbreitungsrechnung mit einer höheren Partikelzahl oder Qualitätsstufe durchgeführt werden. Die statistische Unsicherheit betrage beim Kraftwerk der Beigeladenen für Schwefel- und Stickstoffdioxid weniger als 0,03 % des Jahres-Immissionswerts.
283Die Wahl des Anemometerstandorts sei sachgerecht und plausibel, die Anforderungen an das DWD-Messnetz müssten nicht vorliegen. Der Standort Lünen-Niederaden sei nach dem Gutachten von ArguSoft vom 13. Februar 2012 geeignet. Er sei vom DWD auch im ersten Vorbescheidsverfahren empfohlen worden.
284Das Vorhaben entspreche den naturschutzrechtlichen Vorgaben. Es verursache weder erhebliche Beeinträchtigungen der FFH-Gebiete über den Luftpfad auf terrestrische Schutzgüter noch über den Luftpfad oder Wasserpfad auf aquatische Schutzgüter.
285Die Kritik des Klägers an den Abschneidekriterien sei unbegründet. Das LANUV habe die Abschneidekriterien empfohlen. Sie seien in der Fachwelt anerkannt und auch rechtlich geboten. Die Grenze des von § 34 BNatSchG verlangten Kausalzusammenhangs werde durch die Nachweisbarkeit markiert. Der Vorhabenträger müsse kein „Nullrisiko“ nachweisen.
286Die kumulierende Betrachtung sei entsprechend der Vorgaben des LANUV und des OVG NRW erfolgt. Das streitbefangene Vorhaben habe seine aufgrund des ersten Antrags auf Erteilung eines Vorbescheides erlangte Vorrangstellung nicht verloren. Daher seien nur die Projekte, die seit Unterschutzstellung des FFH-Gebiets am 7. Dezember 2004 bis zum 31. März 2007 einen prüffähigen Antrag gestellt hätten, in die Kumulation einzubeziehen, also aktuell die Vorhaben Datteln 4 und die Ortsumfahrung Datteln B 474n, nicht jedoch die Änderungen des Werks der B. AG. Der Wegfall der Emissionen von Datteln 1-3 sei als Schadensminderungsmaßnahme zu berücksichtigen; ein unmittelbarer und untrennbarer Zusammenhang bestehe, weil kein paralleler Betrieb möglich sei. Die früheren Einträge von Datteln 1-3 seien in der Vorbelastung abgebildet. Die Beigeladene habe ungeachtet dessen vorsorglich neue Kumulationsbetrachtungen auch bezüglich der Tierhaltungsanlagen vorgelegt.
287Die Ausbreitungsrechnung vom 6. August 2012 beruhe auf veränderten Eingangsdaten. Die Emissionsfrachten für Stickstoff- und Schwefeloxide seien im Jahresmittel reduziert worden. Die resultierenden Jahresfrachten seien bei Volllastbetrieb auf Antrag auf 85 % des Wertes begrenzt worden. Die meteorologischen Zeitreihen der Windrichtungs-, Windgeschwindigkeits- und Ausbreitungsklassenverteilung sowie die Niederschlagsreihen seien aktualisiert worden. Für das Kraftwerk Datteln 1-3 seien abweichend die Emissionsfrachten aus den Jahren 2003 bis 2011 eingestellt worden. Die Emissionsfrachten und -begrenzungen für Datteln 4 seien entsprechend der textlichen Festsetzungen im Vorhaben- und Erschließungsplan und im vorhabenbezogenen Bebauungsplan aktualisiert worden. Die Ableitbedingungen des Kühlturms Datteln 4 seien mit Blick auf die Fernwärmeauskopplung angepasst worden.
288Es sei nicht mit synthetischen Windrosen gearbeitet worden, die Prognose beruhe auf den meteorologischen Daten 2009 der Messstation Lünen-Niederaden. Dies sei vom LANUV als plausibel erachtet worden. Die Depositionsgeschwindigkeiten seien mit dem LANUV abgestimmt worden, für Schwefeldioxid seien 1,25 cm/s über Wald ausreichend konservativ. Die VDI-Richtlinie 3782 enthalte mit 1,5 cm/s nur einen Anhaltswert für Wald, der Anhang D differenziere nach der Art des Waldes. Es ergebe sich als Mittelwert eher ein Wert kleiner als 1 cm/s; Berechnungen von N. -BBM mit ortsabhängigen Depositionsgeschwindigkeiten unter Berücksichtigung der VDI-Richtlinie 3782 Blatt 5 und Untersuchungen des LANUV hätten ergeben, dass der gewählte Ansatz pessimal sei; Auswirkungen auf die Bagatellschwelle ergäben sich nicht.
289Die Zusatzbelastung für das Kraftwerk Datteln 1-3 sei korrekt ermittelt worden. Es bedürfe einer repräsentativen Emissionssituation. Der Zeitraum von 9 Jahren sei aussagekräftiger als ein Zeitraum von 5 Jahren. Ammoniak sei mit 1 mg/m³ angemessen berücksichtigt worden.
290Die Austrittgeschwindigkeit für das Kraftwerk Datteln 4 sei mit 4,5 bzw. 4,3 m/s zutreffend angesetzt worden, die Zahlen seien in der Immissionsprognose für Datteln 4 vom 20. September 2013 verifizierbar; im Anhang 8.8. seien die Auslegungsdaten des Kühlturmherstellers wiedergegeben. Nach der VDI-Richtlinie 3784 Blatt 2 sei eine Berechnung des Wärmestroms nicht erforderlich, maßgeblich seien die Austrittsgeschwindigkeit, die Temperatur, die relative Feuchtigkeit und der Flüssigwassergehalt. Dies sei vom LANUV bestätigt worden. Die Zusatzbelastung für das Kraftwerk Datteln 4 sei auch sonst zutreffend ermittelt worden. Die ursprünglich in den Zeitreihen fehlerhaft unbesetzt gebliebenen Emissionsstellen seien auf Empfehlung des LANUV manuell nachbesetzt worden. Nur bei der Ermittlung der maximalen Zusatzbelastung sei die statistische Unsicherheit nicht berücksichtigt worden.
291Die halbjahresweise Berücksichtigung der Fernwärmeauskoppelung beim Kraftwerk Datteln 4 beruhe auf Erkenntnissen aus dem Zeitraum von 1961 bis 2009. Dieser langjährige Zeitraum erlaube eine konservative Abschätzung auch für die Zukunft.
292Die Unterschiede zwischen der Immissionsprognose zur FFH-Verträglichkeitsprüfung zu Datteln 4 vom 12. April 2012 und der Immissionsprognose vom 6. August 2012 beruhten auf dem Umstand, dass die Lücken in den Emissionszeitreihen am 12. April 2012 noch nicht geschlossen gewesen seien, dies sei in Abstimmung mit dem LANUV erst nach dem 24. Juli 2012 erfolgt.
293Die Datengrundlagen der bodenkundlichen Erhebungen reichten für die Modellierung der Critical Loads aus. Es sei eine flächendeckende Bodenkartierung im Maßstab 1:5.000 nach Kartieranleitung, konkretisiert nach den Vorgaben des Geologischen Dienstes, erstellt worden. Das LANUV habe bestätigt, dass die Anforderungen erfüllt worden seien. Die Vegetationsaufnahmen von Bioplan 2012 seien mit dem LANUV abgestimmt und dort geprüft worden. Alle wichtigen Bodenparameter seien betrachtet worden.
294Die Beurteilungspunkte C 1 bis 11 seien repräsentativ anhand der aktualisierten Immissionsprognose ausgewählt worden. In dem so ermittelten Wirkraum sei jeweils mindestens ein repräsentativer Beurteilungspunkt für die unterschiedlich empfindlichen Kombinationen aus Boden- und Vegetationstypen gewählt worden, vorrangig an Stellen, die den höchsten Depositionswert der Säureeinträge aufweisen. Diese Vorgehensweise sei vom LANUV bestätigt worden und entspreche einer worst-case-Betrachtung. Die Beurteilungspunkte konzentrierten sich auf den westlichen und südwestlichen Teil des FFH-Gebiets, weil hier die höchsten Immissionen prognostiziert worden seien. Eine gezielte Auswahl von Flächen mit Eutrophierungsanzeigern habe es nicht gegeben. Die Vegetationsaufnahmen dienten nicht der flächendeckenden Erfassung jeglicher Ausprägung der Vegetationseinheit, sie seien repräsentativ für den „Kern“ der Pflanzengesellschaften. Im Nordwesten seien keine vorhabenbedingten Auswirkungen zu besorgen.
295Die Änderung der Höhe der Critical Loads im Vergleich zu den im vorhergehenden Verfahren ermittelten Critical Loads sei plausibel. Der Informationsstand habe sich durch die neuen Bodenuntersuchungen verändert, frühere Annahmen seien relativiert worden. Außerdem liege eine aktualisierte Immissionsprognose mit neuen Beurteilungspunkten mit der höchsten zu erwartenden Zusatzdeposition vor. Ferner seien aktualisierte Wetterdaten des DWD mit den Mittelwerten für die Periode 1981 bis 2010 vorgelegt worden.
296Im Ergebnis sei festzustellen, dass sämtliche Stickstoff- und Säureeinträge des Vorhabens in Summation mit den zu berücksichtigenden Projekten unterhalb der rezeptorspezifischen 3 %-Bagatellschwelle lägen. Ungeachtet dessen sei vorsorglich eine gebietsbezogene Einzelfallbetrachtung der Auswirkungen von Säureeinträgen in das FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ durchgeführt worden. Alle Gutachter gelangten zu der übereinstimmenden Einschätzung, dass für alle als Erhaltungsziel ausgewiesenen Lebensraumtypen ausgeschlossen sei, dass die prognostizierten Schadstoffimmissionen zu Bodenversauerungen führten, die eine erhebliche Beeinträchtigung auslösen könnten. Dieses Ergebnis sei vom LANUV für plausibel erachtet und mitgetragen worden.
297Die Einzeluntersuchungen belegten, dass der Baumbestand über eine funktionierende Basenpumpe verfüge, die zur Pufferung weiterer Säureeinträge zur Verfügung stehe. Auch diese Einschätzung werde vom LANUV mitgetragen. Ferner lägen hydrologische Verhältnisse mit ausgeprägtem Stauhorizont im Bereich basenreicher Bodenschichten sowie ein lateraler Wasserabfluss vor. Auch diese Umstände wirkten der Bodenversauerung entgegen. Die Kritik des Klägers an der Einzelfalluntersuchung sei unberechtigt und beziehe sich in weiten Teilen auf die Beurteilung eutrophierender Effekte, die gerade nicht Gegenstand der Einzelfallprüfung gewesen seien.
298Die vom Kläger in den Mittelpunkt seiner Argumentation gestellte starke Oberbodenversauerung impliziere nicht ohne weiteres eine erhebliche Beeinträchtigung der Schutzzwecke des FFH-Gebiets. Die Beigeladene bestreite nicht, dass die Oberböden versauert seien. Bei ohnehin rückläufiger Hintergrundbelastung liege jedoch keine irreversible Schädigung der Böden vor, und die prognostizierten kumulierenden Einträge führten nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung des FFH-Gebiets „Wälder bei Cappenberg“. Die aktuell bestehende Versauerung sei den deutlich stärkeren Säureeinträgen des letzten Jahrhunderts geschuldet. Bei einer flächendeckenden Begehung im Jahr 2014 sei keine Verdrängung säureintoleranter Arten festgestellt und es seien keine Starksäureanzeiger gefunden worden. Eine Verdrängung säureintoleranter Arten sei auch nicht zu erwarten, weil flächendeckend basenreicher Kalkmergel im durchwurzelten Unterboden vorhanden sei, aus dem sowohl durch die Basenpumpe als auch durch aufsteigendes Stauwasser eine Kationennachlieferung erfolge. Eine Beprobung der Podsole nordöstlich von Cappenberg sei nicht erforderlich gewesen. In diesem Bereich würden geringere Depositionen prognostiziert.
299Die vom Kläger kritisierte Critical-Load-Methodik entspreche den derzeit besten wissenschaftlichen Erkenntnissen aus dem Forschungsvorhaben des Bundesamtes für Straßenwesen (BASt), die auf andere Projekttypen übertragbar seien. Ihre Anwendung werde vom LANUV empfohlen.
300Für die eutrophierenden Stickstoffeinträge seien die empirischen Critical Loads des LANUV und nicht die Modellierung von P. -E. verwendet worden. Für die versauernden Einträge sei die Simple-Mass-Balance-Modellierung von P. -E. vom 6. August 2012 herangezogen worden. Die genutzten Datensammlungen stammten von vor 1960 und repräsentierten weitgehend ausbalancierte Verhältnisse der Artenzusammensetzung und des Stickstoff- und Basenhaushalts, jedenfalls aber keinen schlechteren Zustand als bei Inkrafttreten der FFH-Richtlinie. Die Modellierung der Critical Loads mit Hilfe des BERN-Modells stelle einen Schutz der Lebensraumtypen mit sehr gutem Erhaltungszustand sicher. Die Critical Loads seien ein anerkannter Beurteilungsmaßstab, der auch vom Bundesverwaltungsgericht akzeptiert werde. Sie seien als der aktuelle Stand der Wissenschaft und Forschung anzusehen und stellten einen konservativen worst-case-Ansatz dar.
301Auch die Anwendung der 3 %-Bagatellschwelle sei fachlich begründet. Sie finde ihren rechtlichen Ansatz im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Höhe der Bagatellschwelle beruhe ebenfalls auf einem fachwissenschaftlichen Konsens. Der Endbericht des BASt-Vorhabens sei auch insoweit das neueste Forschungsvorhaben und enthalte eine Auswertung der aktuellen Forschung und Literatur im In- und Ausland. Er sei als Fachkonvention vom Bundesverwaltungsgericht anerkannt und nicht politisch motiviert oder sonst interessengesteuert. Der Fachkonsens sei unabhängig von Vorhabenträgern hergestellt worden. Die Bagatellschwelle gelte auch für versauernde Einträge. Sie werde für alle Lebensraumtypen unterschritten.
302Die vom Kläger angeführten und eingeholten Gutachten stellten die Feststellung der FFH-Verträglichkeit nicht in Frage.
303Eine horizontweise Bewertung der pH-Werte und deren Zuordnung zu Pufferbereichen seien nicht zielführend. Die Pufferbereiche nach Ulrich 1987 bezögen sich auf die gesamte durchwurzelte Bodenschicht, da die Wurzeltracht über mehrere Horizonte verteilt sei und der Einfluss einzelner Horizonte sich nivelliere. Die Mittelwertbildung führe nicht zu Fehleinschätzungen. Der Kläger fordere zu Unrecht eine vergleichende Betrachtung, um die Entwicklung, Vorbelastung und Auswirkung von im Rahmen der Einzelfallbetrachtung nicht relevanten Stickstoff-Einträgen angeblich besser beurteilen zu können, worauf es für die Ermittlung der idealtypischen, auf einen günstigen Erhaltungszustand abstellenden Critical Loads aber nicht ankomme. Derartige Vergleiche seien auch nicht geeignet. Sie erforderten Erhebungen an derselben Stelle über einen langen Zeitraum. Dies könne nur in einem Forschungsprojekt geleistet werden. Solche Untersuchungen lieferten auch keine weitergehenden Erkenntnisse zu den versauernden Effekten. Auch eine Auswertung historischer Zeitreihen sei nicht erforderlich. Bei der Ermittlung der Critical Loads werde auf Referenzzustände von vor 1960 abgestellt, die Einzelfallbetrachtung beruhe auf der Auswertung aktueller Standortparameter. Die Verwendung von Stickstoff-Zeigerwerten führe ebenfalls nicht weiter. Diese seien monokausal auf die Indikation eines einzigen Nährstoffes ausgerichtet und könnten einen allgemeinen großräumigen Trend oder Extreme anzeigen, sie hätten aber kaum Aussagekraft für das verbreiterte Mittelfeld. Sie seien damit nicht geeignet für die vegetationskundliche Untersuchung von Standorten, auf denen der Critical Load eines Lebensraumtyps seit Jahrzehnten überschritten sei, weil die empfindlichsten Rezeptoren nicht mehr da seien. Der Critical Load sei deshalb auf den anzustrebenden günstigen Referenzzustand bezogen. Die Frage nach dem Entwicklungsstadium sei nicht zielführend, weil nicht der aktuelle, sondern der günstige Erhaltungszustand eines Lebensraumtyps Basis für die Critical-Loads-Berechnungen sei. Die hier getroffenen Annahmen des Klägers seien fachwissenschaftlich nicht haltbar.
304Als Fazit zu den “Wäldern bei Cappenberg“ sei festzustellen, dass die eutrophierend wirkenden Stickstoffeinträge das Abschneidekriterium von 0,1 kg N/(ha*a) geringfügig überschritten, nicht aber das Abschneidekriterium von 0,3 kg N/(ha*a). Das Abschneidekriterium für versauernde Einträge werde ebenfalls nur geringfügig überschritten. Die Vorbelastung überschreite die Critical Loads, die kumulierte Zusatzbelastung liege aber unterhalb der 3 %-Bagatellschwelle. Die nur vorsorglich durchgeführte Einzelfallprüfung für versauernde Einträge habe keine erhebliche Beeinträchtigung festgestellt. Dies gelte auch, wenn die 3 %-Bagatellschwelle für Säureeinträge aufgrund anderer Ausgangswerte oder aber der weiteren Berücksichtigung von Vorhaben Dritter überschritten würde.
305Die Schwermetalleinträge gingen ebenfalls seit 2008 zurück. Die Schwermetallbelastung in den Wäldern bei Cappenberg sei gering und rückläufig. Auch nach dem Waldzustandsbericht 2013 hätten die Konzentrationen in den oberen, neu gebildeten Humuslagen L und Oh abgenommen. Die vorhabenbedingten Schwermetalleinträge unterschritten die vom LANUV empfohlenen Abschneidekriterien. Eine nähere Betrachtung der Auswirkungen sei daher nicht erforderlich gewesen. Die natürlichen Pflanzengehalte würden allerdings auch über einen Zeitraum von 40 Jahren nicht relevant verändert, eine Gefährdung der Lebensraumtypen könne daher ausgeschlossen werden. Die Critical Loads für Schwermetalle des Umweltbundesamtes seien als Maßstab ungeeignet.
306Die Schwermetalleinträge in aquatische Schutzgüter über den Luftpfad seien geprüft worden. Die maximale Zusatzbelastung über den Luftweg unterschreite in allen untersuchten FFH-Gebieten mit aquatischen Lebensraumtypen und Arten die vom LANUV empfohlenen Abschneidekriterien für Quecksilber und staubgebundene Schwermetalle, eine nähere Betrachtung sei daher nicht erforderlich gewesen.
307Die indirekte Einleitung versauernder und eutrophierender Einträge sei irrelevant, weil diese im Bereich der terrestrischen Depositionsflächen weitestgehend durch Reaktionen zurückgehalten bzw. assimiliert würden. Die direkte Einleitung auf dem Luftpfad sei ebenfalls irrelevant, der pH-Wert der Lippe werde nur irrelevant beeinträchtigt. Die hypothetische Absenkung um 0,015 Einheiten sei durch Messungen nicht nachweisbar und ohne Einfluss auf die Gewässerqualität als Lebensraum für Tiere und Pflanzen.
308Die Deposition anorganischer Stickstoff-Verbindungen in die Gewässer von konservativ angenommenen 0,5 kg N/(Ha*a) führe zu einer hypothetisch kalkulierbaren Zusatzkonzentration von ≤ 0,0001 mg/l. Dies entspreche in Bezug auf die mittlere Hintergrundkonzentration 0,002 %, was analytisch nicht nachweisbar und in Bezug auf mögliche eutrophierende Wirkungen nicht relevant sei. Die mögliche erhöhte organische Produktion sei messtechnisch nicht erfassbar. Erhebliche Auswirkungen seien nicht zu erwarten.
309Artenschutzrechtliche Verbotstatbestände seien nicht erfüllt. Für die Kreuzkröte habe es nur einen Rufnachweis gegeben, die gezielte Suche habe keinen Nachweis ergeben. Eine Tötung des Eisvogels sei ausgeschlossen.
310Die Bedenken des Klägers hinsichtlich der Radioaktivität seien unbegründet. Der Kläger verwende falsche Einheiten und betrachte ausschließlich die Emissionen unabhängig von der Art der Strahlung. Eine vom Kläger angenommene Strahlenexposition von 0,4 µSv/a entspreche 1/1000 der natürlichen Strahlenbelastung.
311Es fehle auch hinsichtlich des Wasserrechts nicht an einem vorläufigen positiven Gesamturteil. Die wasserrechtliche Erlaubnis sei erteilt worden. Sie sei zwar angefochten worden, aber bislang nicht aufgehoben und weiterhin wirksam. Der Vorbescheid beschreibe und betrachte die wasserrechtlich bedeutsamen Auswirkungen und habe die Koordinierungspflicht erkannt. Die Schwermetalleinträge über den Luftpfad seien nicht von der Konzentrationswirkung des § 13 BImSchG ausgenommen, aber die Betrachtung der Summe von Luft- und Wasserpfad erfolge durch die Wasserbehörde. Die Schwermetalleinträge über den Luftpfad unterschritten das Abschneidekriterium. Der Beitrag sei im Verhältnis zur Wasservorbelastung vernachlässigbar gering und derzeit messtechnisch nicht nachweisbar. Trotzdem sei vorsorglich der Einfluss auf die Schwermetallkonzentration anhand der in der Immissionsprognose vom 6. August 1012 für Luftschadstoffe prognostizierten Schwermetalldepositionen berechnet worden. Es ergäben sich äußerst geringfügige rechnerische Veränderungen, ein Kausalzusammenhang sei nicht herstellbar. Dies zeige auch, dass die Abschneidekriterien eine geeignete Beurteilungsmethode seien.
312Der Klimaschutz sei nicht Bestandteil der Umweltverträglichkeitsprüfung. Die Prüfung sei durch den Auswirkungsbereich des Vorhabens begrenzt. Ein Zusammenhang mit dem globalem Klima oder dem Klimawandel könne nicht verlässlich hergestellt werden.
313Es fehle auch nicht an dem berechtigten Interesse an einem Vorbescheid. Erforderlich sei ein objektiver Vorteil, verfahrensökonomische, wirtschaftliche oder technische Gründe seien ausreichend. Hier lägen verfahrensökonomische und wirtschaftliche Gründe vor. Die durch den Wegfall des ursprünglichen Vorbescheids entstandene Regelungslücke werde geschlossen, was mehr Rechts- und Planungssicherheit als ein neues Vollgenehmigungsverfahren biete. Rechtsverlust oder Erschwernisse für den Kläger oder andere Betroffene seien nicht gegeben.
314Der Senat hat mit Beschlüssen vom 30. und 31. Mai 2016 zu der Frage Beweis erhoben, ob die Berechnung der standort- und lebensraumtypspezifischen Critical Loads für versauernde Stoffeinträge im Gutachten der Fa. P. -E. vom 6. August 2012 unter Berücksichtigung der klägerischen Einwände gegen verschiedene Parameter (z. B. Umgang mit den basischen Kationen, insbesondere Natrium, und den Chloridionen, N-Immobilisierungsrate, Denitrifikation und kritische Austragsrate der Säureneutralisierungskapazität) methodisch und fachwissenschaftlich vertretbar ist. Insoweit wird auf den Inhalt der gutachterlichen Stellungnahme des Herrn Dipl.-Biol. S. V. und des Herrn Dipl.-Forstwirt D. K. vom 15. Juni 2016 verwiesen.
315Hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung einschließlich der ergänzenden Befragung der Sachverständigen V. und K. sowie der von den Beteiligten und dem LANUV gestellten Gutachter wird auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 11. und 12. Mai 2016 sowie vom 16. Juni 2016 Bezug genommen.
316Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.
317E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
318Die Klage gegen den Vorbescheid vom 20. November 2013, die 1. Teilgenehmigung vom 21. November 2013 und die 7. Teilgenehmigung vom 22. November 2013 hat keinen Erfolg.
319A. Zulässigkeit
320Die Klage ist zulässig. Der Kläger ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG klagebefugt. Danach kann eine nach § 3 UmwRG anerkannte inländische oder ausländische Vereinigung, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG oder deren Unterlassen einlegen, wenn sie geltend macht, dass eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen und für die Entscheidung von Bedeutung sein können, widerspricht. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
321Der Kläger ist als im Jahr 1981 (vgl. MBl. NRW vom 28. Juli 1981, S. 1459) nach § 29 BNatSchG a. F. anerkannter Umwelt- und Naturschutzverein eine nach § 3 UmwRG anerkannte Vereinigung. Die Anerkennung gilt nach der Übergangsregelung des § 5 Abs. 2 UmwRG in der am 1. März 2010 in Kraft getretenen Fassung vom 29. Juli 2009 (BGBl. I, S. 2542) als Anerkennung im Sinne des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes fort.
322Die angefochtenen Bescheide betreffen Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) UmwRG. Nach dieser Vorschrift findet das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz Anwendung auf Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen im Sinne von § 2 Abs. 3 UVPG über die Zulässigkeit von Vorhaben, für die nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen kann. Das trifft auf das streitbefangene Vorhaben zu. Nach § 3 Abs. 1 UVPG i. V. m. Nr. 1.1.1 der Anlage 1 zum UVPG sind die Errichtung und der Betrieb einer Anlage zur Erzeugung von Strom, Dampf, Warmwasser, Prozesswärme oder erhitztem Abgas durch den Einsatz von Brennstoffen in einer Verbrennungseinrichtung (wie Kraftwerk, Heizkraftwerk, Heizwerk, Gasturbine, Verbrennungsmotoranlage, sonstige Feuerungsanlage), einschließlich des jeweils zugehörigen Dampfkessels, mit einer Feuerungswärmeleistung von mehr als 200 MW - zwingend - UVP-pflichtig. Das streitbefangene Kohlekraftwerk hat eine Feuerungswärmeleistung von bis zu 1.705 MW.
323Der Kläger macht die Verletzung von Vorschriften geltend, die dem Umweltschutz dienen und die er damit als Umweltverband zu rügen berechtigt ist. Er kann sich insbesondere darauf berufen, dass die Voraussetzungen der §§ 9, 6 und 5 Abs. 1 BImSchG nicht vorliegen und dass das Kraftwerksvorhaben gegen die Anforderungen der FFH-Richtlinie,
324Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206, S. 7) in der Fassung der Richtlinie 2006/105/EG des Rates vom 20. November 2006 zur Anpassung der Richtlinien 73/239/EWG, 74/557 EWG und 2002/83/EG im Bereich Umwelt anlässlich des Beitritts Bulgariens und Rumäniens (ABl. L 363, S. 368) und der Richtlinie 2013/17/EU des Rates vom 13. Mai 2013 zur Anpassung bestimmter Richtlinien im Bereich Umwelt aufgrund des Beitritts der Republik Kroatien (ABL. L 158, S. 193) - FFH-RL -,
325verstößt. Der Kläger ist ferner berechtigt, Fehler der Umweltverträglichkeitsprüfung geltend zu machen und Verstöße gegen das Artenschutz- und Wasserrecht zu rügen. Inwieweit der Kläger die Verletzung bauordnungs- und bauplanungsrechtlicher Vorschriften rügen darf,
326siehe dazu etwa BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 2013 - 7 C 36.11 -, BVerwGE 148, 155 = juris Rn. 23 ff., 60; OVG NRW, Urteil vom 12. Juni 2012 ‑ 8 D 38/08.AK -, NuR 2012, 722 = juris Rn. 195 ff.; Seibert, NVwZ 2013, 1040, 1043 f., je m. w. N.,
327kann offen bleiben. Dem Vorhaben stehen baurechtliche Vorschriften nicht entgegen (vgl. unter I. 3).
328Der Kläger ist nicht präkludiert. Der Einwendungsausschluss des § 2 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 UmwRG ist unionsrechtswidrig und kann dem Kläger daher nicht entgegengehalten werden.
329Vgl. EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2015 ‑ C‑137/14 (Kommission/Bundesrepublik Deutschland) -, NJW 2015, 3495 = juris Rn. 75 ff.
330Auch die Frage einer Präklusion wegen missbräuchlichen Verhaltens stellt sich im vorliegenden Verfahren nicht. Weder hat der Gesetzgeber bislang eine entsprechende Vorschrift erlassen noch liegen Anhaltspunkte für ein missbräuchliches Verhalten vor.
331B. Begründetheit
332Die Klage ist jedoch unbegründet.
333Der Kläger kann nicht die Aufhebung der angefochtenen Bescheide beanspruchen (§ 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 UmwRG). Der immissionsschutzrechtliche Vorbescheid vom 20. November 2013, die 1. Teilgenehmigung vom 21. November 2013 und die 7. Teilgenehmigung vom 22. November 2013 sind rechtmäßig.
334I. Vorbescheid
335Der Vorbescheid (1) verstößt nicht gegen Vorschriften des materiellen Immissionsschutzrechts, namentlich des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der dazu ergangenen Verordnungen (2). Dem Vorhaben stehen auch weder baurechtliche (3) noch artenschutzrechtliche (4) Hindernisse entgegen. Die Umweltverträglichkeitsprüfung weist keine Fehler auf (5). Das Vorhaben ist naturschutzrechtlich mit der FFH-Richtlinie vereinbar (6). Der Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung stehen auch in wasserrechtlicher Hinsicht keine von vorneherein unüberwindlichen Hindernisse entgegen (7). Die Beigeladene hat ein berechtigtes Interesse an der Erteilung des Vorbescheides (8).
3361. Rechtsgrundlagen
337Der streitgegenständliche Vorbescheid beruht auf §§ 9 Abs. 1 und 3, 6 Abs. 1 BImSchG.
338Auf Antrag soll gemäß § 9 Abs. 1 BImSchG durch Vorbescheid über einzelne Genehmigungsvoraussetzungen sowie über den Standort der Anlage verbindlich entschieden werden, sofern die Auswirkungen der geplanten Anlage ausreichend beurteilt werden können und ein berechtigtes Interesse an der Erteilung eines Vorbescheides besteht. Die Vorschriften der §§ 6 und 21 BImSchG gelten sinngemäß (§ 9 Abs. 3 BImSchG). Die Genehmigung ist nach § 6 Abs. 1 BImSchG zu erteilen, wenn sichergestellt ist, dass die sich aus § 5 BImSchG und den aufgrund des § 7 BImSchG erlassenen Rechtsverordnungen ergebenden Pflichten erfüllt werden (Nr. 1), und andere öffentlich-rechtliche Vorschriften und Belange des Arbeitsschutzes der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegen stehen (Nr. 2).
339Soweit der Vorbescheid über das Vorliegen bestimmter Genehmigungsvoraussetzungen entscheidet, bindet er als Ausschnitt aus dem feststellenden Teil der Genehmigung die Genehmigungsbehörde für das weitere Genehmigungsverfahren und nimmt insoweit die Entscheidung vorweg. Die festgestellten Genehmigungsvoraussetzungen müssen schon bei der Bescheidung des Antrags auf Erteilung eines Vorbescheids abschließend geprüft werden. Erforderlichenfalls ist ‑ um keine rechtswidrige Genehmigung in Aussicht zu stellen - die Bindungswirkung des Vorbescheides durch Vorbehalte, insbesondere durch Angabe von Nebenbestimmungen zu der späteren Genehmigung einzuschränken.
340Ein Vorbescheid kann zu jeder für die Genehmigung relevanten Frage ergehen, die im Vorgriff auf sie rechtlich und tatsächlich auch geklärt werden kann. Dies schließt umgekehrt für den Antragsteller auch das Recht ein, einzelne für die Genehmigung relevante Fragen aus der Prüfung auszuklammern.
341Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. Dezember 2009 ‑ 8 D 12/08.AK -, DVBl. 2010, 719 = juris Rn. 146; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 15. Februar 1990 ‑ 10 S 2893/88 -, juris Rn. 23.
342Voraussetzung für die Erteilung des Vorbescheids ist weiter, dass die "Auswirkungen der geplanten Anlage ausreichend beurteilt werden können". Aufgrund einer vorläufigen Prüfung anhand der vollständigen und insoweit endgültigen Pläne muss feststehen, dass die gesamte Anlage am vorgesehenen Standort genehmigungsfähig ist (sog. vorläufige positive Gesamtbeurteilung). Die in diesem Zusammenhang geläufige Formulierung, dass dem Gesamtvorhaben "keine von vornherein unüberwindlichen Hindernisse" entgegenstehen dürfen (vgl. § 8 Satz 1 Nr. 3 BImSchG), darf allerdings nicht dahin missverstanden werden, dass das vorläufige positive Gesamturteil erst dann fehlt, wenn die Verwirklichung des Vorhabens bei kursorischer Prüfung mit Sicherheit ausgeschlossen ist. Eine positive Gesamtbeurteilung setzt vielmehr eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Genehmigungsfähigkeit der Gesamtanlage voraus.
343Vgl. Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 8 Rn. 12, m. w. N.
344Bei der abschließenden Genehmigung des Gesamtvorhabens dürfen sich nur noch solche Probleme stellen, die der Vorhabenträger durch Modifikationen des Vorhabens oder ggf. die Genehmigungsbehörde durch Beifügung von Nebenbestimmungen bewältigen kann und voraussichtlich bewältigen wird.
345Die an die vorläufige positive Gesamtbeurteilung anknüpfende Bindungswirkung steht unter zwei Einschränkungen, die sich aus der Vorläufigkeit der dem Urteil zugrundeliegenden Prüfung ergeben. Sie entfällt einmal, wenn die spätere Detailprüfung eines noch zu genehmigenden Anlageteils ergibt, dass dieser so, wie ursprünglich geplant, nicht ausgeführt werden kann. Sie entfällt weiter, wenn infolge einer Änderung der Sach- oder Rechtslage an die noch nicht genehmigten Anlagenteile neue Anforderungen gestellt werden müssen. Wegen dieser beiden Vorbehalte ist die Bindungswirkung des vorläufigen positiven Gesamturteils notwendigerweise eingeschränkter als die Bindungswirkung von Feststellungen des Vorbescheides, die die endgültige Prüfung von Genehmigungsvoraussetzungen betreffen.
346In der Rechtsprechung ist geklärt, dass das vorläufige positive Gesamturteil von einem klagebefugten Dritten insoweit angegriffen werden kann, als es die Einhaltung vorhabenbezogener Genehmigungsvoraussetzungen sicherstellen soll, die der Dritte geltend machen kann.
347Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Februar 1978 - I C 102.76 -, BVerwGE 55, 250 = juris Rn. 56; OVG NRW, Urteile vom 9. Dezember 2009 - 8 D 12/08.AK -, DVBl. 2010, 719 = juris Rn. 148 und vom 1. Dezember 2011 - 8 D 58/08.AK -, ZUR 2012, 372 = juris Rn. 132 ff. .
348Entsprechendes gilt für den Rechtsschutz eines - wie hier - klagebefugten Umweltverbandes. Er kann nicht nur die mit dem Vorbescheid festgestellten Genehmigungsvoraussetzungen, sondern auch die vorläufige positive Gesamtbeurteilung mit der Begründung angreifen, dass das Vorhaben wegen Verstoßes gegen rügefähige Umweltvorschriften - hier insbesondere des Wasser- und Naturschutzrechts - nicht genehmigungsfähig sei.
349Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Vorbescheids ist im Falle der Drittanfechtung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids. Das schließt nicht aus, nachträgliche Änderungen zugunsten des Vorhabenträgers sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht zu berücksichtigen.
350Ständige Rspr. des BVerwG, vgl. nur Beschluss vom 11. Januar 1991 - 7 B 102.90 -, juris Rn. 3 m. w. N.; ferner zum Baurecht Beschluss vom 8. November 2010 - 4 B 43.10 -, BauR 2011, 499 = juris Rn. 9 m.w. N.
351Deshalb sind insbesondere auch während des gerichtlichen Verfahrens vorgelegte neue Immissionsprognosen und Gutachten zur FFH-Verträglichkeit einzubeziehen. Denn in materieller Hinsicht ist maßgeblich, ob das Vorhaben die Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt. Wenn die entsprechende Feststellung im Vorbescheid in der Sache zutreffend ist, besteht kein prozessualer Anspruch auf Aufhebung des Vorbescheids, weil die Genehmigungsbehörde verpflichtet wäre, sogleich einen neuen Vorbescheid zu erteilen.
3522. Immissionsschutzrecht
353Der Vorbescheid stellt zu Recht die Zulässigkeit des Vorhabens in Bezug auf die Emissionen und Immissionen fest.
354a) Rechtsgrundlagen
355Nach dem gemäß § 9 Abs. 3 und § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG auch im Verfahren auf Erteilung eines Vorbescheids beachtlichen § 5 Abs. 1 BImSchG sind genehmigungsbedürftige Anlagen unter anderem so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können (Nr. 1) und Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen getroffen wird, insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen (Nr. 2).
356Die immissionsschutzrechtliche Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG als Instrument der Gefahrenabwehr greift ein, wenn die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts besteht. Ob schädliche Umwelteinwirkungen durch Luftschadstoffe verursacht werden, ist nach den normkonkretisierenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften, insbesondere nach den die Anforderungen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisierenden Bestimmungen in Nummer 4 der TA Luft zu bestimmen. Sind für luftverunreinigende Stoffe Immissionswerte festgelegt, ist bei deren Einhaltung davon auszugehen, dass schädliche Umwelteinwirkungen nicht hervorgerufen werden.
357Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2003 ‑ 7 C 19.02 -, BVerwGE 119, 329 = juris Rn. 12 ff.; Hess. VGH, Urteile vom 24. September 2008 ‑ 6 C 1600/07.T -, DVBl. 2009, 186 = juris Rn. 73 f., und vom 7. Mai 2009 - 6 C 1142/07.T -, ZUR 2009, 504 = juris Rn. 102 f.; OVG NRW Urteil vom 1. Dezember 2011 - 8 D 58/08.AK -, ZUR 2012, 372 = juris Rn. 195 ff.
358Entsprechendes gilt für die Genehmigungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG, soweit die TA Luft für einzelne Stoffe Immissionswerte vorsieht, die die Vorsorge zum Schutz empfindlicher Ökosysteme konkretisieren.
359Soweit sich die Prüfung im Vorbescheidsverfahren auf das Vorliegen bestimmter Genehmigungsvoraussetzungen bezieht, ist gemäß Nr. 3.2 Abs. 1 TA Luft die Bestimmung der Nr. 3.1 TA Luft anzuwenden, nach deren Absatz 2 für die Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen Nr. 4 und Nr. 5 TA Luft gelten.
360Bei luftverunreinigenden Stoffen, für die in der TA Luft Immissionswerte (Nr. 2.3 TA Luft) als Jahres-, Tages- oder Stundenwerte für Stoffe in der Luft (Nr. 4.2 und Nr. 4.4 TA Luft), für Staubniederschlag (Nr. 4.3 TA Luft) und für Schadstoffdepositionen (Nr. 4.5 TA Luft) festgelegt sind, erfolgt die Prüfung, ob bezüglich des jeweiligen Schadstoffes der Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen sichergestellt ist, grundsätzlich durch einen Vergleich der tatsächlichen oder der zu erwartenden Immissionen mit den Immissionswerten. Die zum Vergleich mit den Immissionswerten heranzuziehenden Immissionen bestehen aus der Gesamtbelastung, die sich aus der Summe der Vorbelastung und der Zusatzbelastung durch die neu zu errichtende Anlage ergibt. Der für den jeweiligen Schadstoff angegebene Immissions-Jahreswert ist eingehalten, wenn die Summe aus Vorbelastung und Zusatzbelastung, d. h. die Gesamtbelastung, an den jeweiligen Beurteilungspunkten kleiner oder gleich dem Immissions-Jahreswert ist (Nr. 4.7 TA Luft).
361Bei Einhaltung der Immissionswerte ist davon auszugehen, dass schädliche Umwelteinwirkungen nicht hervorgerufen werden. Werden die Immissionswerte für Stoffe zum Schutz der menschlichen Gesundheit in Tabelle 1 zu Nr. 4.2.1 TA Luft jedoch überschritten, sind grundsätzlich schädliche Umwelteinwirkungen zu befürchten. Eine Genehmigung kann in diesem Fall nur unter den Voraussetzungen der Nr. 4.2.2 Abs. 1 Buchst. a) TA Luft erteilt werden, wenn von der zu beurteilenden Anlage kein relevanter Beitrag zu der schädlichen Immissionsbelastung geleistet wird. Bei einer Überschreitung der weiteren in den Tabellen 2, 3, 4 und 6 zu Nr. 4.3.1, 4.4.1, 4.4.2 und 4.5.1 TA Luft festgelegten Immissionswerte liegen dagegen lediglich Anhaltspunkte für schädliche Umwelteinwirkungen vor. Ob solche tatsächlich auftreten oder zu erwarten sind, ist gegebenenfalls in einer Sonderfallprüfung nach Nr. 4.8 TA Luft festzustellen (Nr. 4.3.2 Buchst. d), 4.4.3 Buchst. d), 4.5.2 Buchst. d) TA Luft).
362Vgl. OVG NRW, Urteile vom 9. Dezember 2009 ‑ 8 D 12/08.AK -, DVBl. 2010, 719 = juris Rn. 178, und vom 1. Dezember 2011 - 8 D 58/08.AK -, ZUR 2012, 372 = juris Rn. 195 ff.; Hess. VGH, Urteile vom 24. September 2008 ‑ 6 C 1600/07.T -, DVBl. 2009, 186 = juris Rn. 74, und vom 7. Mai 2009 ‑ 6 C 1142/07.T -, ZUR 2009, 504 = juris Rn. 103.
363Die Ermittlung der Vor-, Zusatz- und Gesamtbelastung für den jeweiligen luftverunreinigenden Stoff erfolgt auf der Grundlage entsprechender Immissionskenngrößen (Nr. 2.2 und Nr. 4.6 TA Luft). Die Kenngröße für die Vorbelastung kennzeichnet die vorhandene Belastung durch einen Schadstoff (Nr. 2.2 Abs. 1 Satz 2 TA Luft). Die Kenngröße für die Zusatzbelastung ist nach Nr. 2.2 Abs. 1 Satz 3 TA Luft der Immissionsbeitrag, der durch das beantragte Vorhaben voraussichtlich hervorgerufen wird. Sie ergibt sich aus einer Immissionsprognose, die nach dem im Anhang 3 angegebenen Berechnungsverfahren durchzuführen ist, auf der Basis einer mittleren jährlichen Häufigkeitsverteilung oder einer repräsentativen Jahreszeitreihe von Windrichtung, Windgeschwindigkeit und Ausbreitungsklasse (Nr. 4.6.4.1 TA Luft).
364Die Pflicht zur Ermittlung aller vorgenannten Kenngrößen besteht indes nicht in jedem Fall. So besteht nach Nr. 4.1 Abs. 4 Satz 1 a) TA Luft keine Verpflichtung zur Ermittlung von Immissionskenngrößen für die Vor-, Zusatz- und Gesamtbelastung und zum Vergleich der Gesamtbelastung mit den in Nr. 4.2 bis 4.5 TA Luft bestimmten Immissionswerten in den Fällen geringer Emissionsmassenströme (Nr. 4.6.1.1 TA Luft). Ergibt die Immissionsprognose bei einem Luftschadstoff für das gesamte Beurteilungsgebiet eine irrelevante Zusatzbelastung (Nr. 4.2.2 Abs. 1 Buchst. a), 4.3.2 Buchst. a), 4.4.1 Satz 3, 4.4.3 Buchst. a) und 4.5.2 Buchst. a) TA Luft), so entfällt für diesen Stoff im Regelfall die Verpflichtung zur Ermittlung der Kenngrößen für die Vor- und die Gesamtbelastung (Nr. 4.1 Abs. 4 Satz 1 Buchst. c) TA Luft).
365Bei Schadstoffen, für die die TA Luft keine Immissionswerte festlegt, sind weitere Ermittlungen nur bei hinreichenden Anhaltspunkten für schädliche Umwelteinwirkungen erforderlich (Nr. 4.1 Abs. 6 i. V. m. Nr. 4.8 TA Luft). Hieran fehlt es jedenfalls dann, wenn aufgrund anderweitiger sachverständiger Risikoabschätzung anzunehmen ist, dass das durch den emittierenden Betrieb verursachte Gesundheitsrisiko angesichts der bestehenden Vorbelastung irrelevant ist.
366In Anlehnung an den in Nr. 4.6.1.1 Abs. 1 TA Luft zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken, dass bei der Ermittlung der Immissionskenngrößen Massenströme unterhalb einer bestimmten Grenze ohne weitere Prüfung vernachlässigbar sind, sowie unter Berücksichtigung, dass die Zusatzbelastungen mit Schadstoffen, für die Immissionswerte in den Nrn. 4.2 bis 4.5 TA Luft bestimmt sind, als unbeachtlich angesehen werden, sofern sie bestimmte Irrelevanzgrenzen nicht überschreiten, ist es gerechtfertigt, auch im Rahmen der Sonderfallprüfung für Immissionsbeiträge von Schadstoffen, für die eine Irrelevanzschwelle in der TA Luft nicht bestimmt ist, eine Bagatellgrenze in Form eines bestimmten Anteils am Beurteilungsmaßstab anzuerkennen.
367Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2003 ‑ 7 C 19.02 -, BVerwGE 119, 329 = juris Rn. 14; Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band IV, Stand: 1. Februar 2016, Nr. 4.1 TA Luft Rn. 22.
368Die geplante Anlage genügt diesen Bestimmungen. Der Betrieb des streitbefangenen Kraftwerks ruft nach den Ergebnissen der Immissionsprognose vom 6. August 2012 lediglich irrelevante Zusatzbelastungen hervor.
369b) Plausibilität der Immissionsprognose
370Die Immissionsprognose vom 6. August 2012 ist plausibel. Auch an der Plausibilität der auf denselben Modellgrundlagen beruhenden Ausbreitungsrechnungen vom 25. Februar 2013 in der Fassung vom 13. April 2016 für den 60 %‑Lastbetrieb, die Hilfsdampferzeugeranlage und die Fernwärmeauskoppelung und vom 15. April 2016 für den 80 %-Lastbetrieb bestehen daher keine Zweifel.
371Das LANUV hat in den Stellungnahmen vom 18. Juli 2012 und vom 7. Dezember 2012 zusammenfassend festgestellt, dass die Ausbreitungsrechnung vom 6. August 2012 nachvollziehbar und plausibel ist. Dasselbe gilt nach der Stellungnahme vom 13. August 2013 für die Ausbreitungsrechnung vom 25. Februar 2013. Das LANUV bestätigt diese Feststellung in der Stellungnahme vom 27. April 2016, nachdem es die im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Eingangsdaten der Ausbreitungsrechnungen stichprobenweise überprüft hat. Die Eingabedateien für die Immissionsprognosen vom 6. August 2012 und vom 25. Februar 2013 einschließlich der meteorologischen Daten und der verwendeten Niederschlagsreihen seien vollständig vorgelegt worden. Sie stimmten mit den Angaben des Gutachters überein. Die Einwände des Klägers stellen diese fachliche Bewertung nicht in Frage.
372aa) Der in der Immissionsprognose vom 6. August 2012 betrachtete Volllastbetrieb ist der ungünstigste Betriebszustand im Sinne von Nr. 4.6.1.1 und Anhang 3 Nr. 2 TA Luft. Nach den Ergebnissen der von der Beigeladenen im Genehmigungsverfahren vorgelegten Ausbreitungsrechnungen vom 25. Februar 2013 bzw. 13. April 2016 und vom 15. April 2016 verursacht der Betrieb der streitbefangenen Anlage in den 60 %- und 80 %-Lastbetrieben keine höheren Immissionen der hier betrachteten Schadstoffe Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid, Ammoniak, Quecksilber und Schwebstaub als der Volllastbetrieb. Auch ein isolierter Anstieg des Säurebestandteils Ammoniak in den Teillastbetrieben ist nach den ergänzenden Berechnungen vom 13. April 2016 und vom 15. April 2016 nicht zu verzeichnen. Die maximalen Kenngrößen der Immissions-Jahreszusatzbelastung von Ammoniak in der Luft sind im 60 %-Lastfall mit einem Wert von 0,010 µg/m³ und im 80 %-Lastfall mit einem Wert von 0,009 µg/m³ mit der Zusatzbelastung im Volllastbetrieb von 0,010 µg/m³ letztlich identisch. Die maximale Kenngröße der Immissions-Jahreszusatzbelastung der Quecksilberdeposition beträgt in allen Lastfällen 0,005 µg/(m²*d). Die maximalen Jahres-Zusatzimmissionen der Luftschadstoffe Stickstoffdioxid und Schwefeldioxid liegen mit 0,206 µg/m³ und 0,088 µg/m³ bzw. 0,207 µg/m³ und 0,085 µg/m³ unter den Werten des Volllastbetriebs (0,218 µg/m³ bzw. 0,098 µg/m³). Das Ergebnis der ergänzenden Ausbreitungsrechnungen bestätigt damit tendenziell die Annahme des Kühlturmherstellers, dass der Kühlturmabluftvolumenstrom bei einer Reduzierung des Lastbetriebs in geringerem Umfang abnimmt als der Abgasvolumenstrom, die reduzierten Emissionsmassenströme also noch ausreichend Auftrieb haben.
373Bei dieser Sachlage bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Säurebelastung an den Beurteilungspunkten des FFH-Gebiets „Wälder bei Cappenberg“ im 80 %-Lastbetrieb höher sein könnte als im Volllastbetrieb. Der Gutachter der Beigeladenen, Herr Dr. T. , hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass die Immissionswerte für den 80 %-Lastbetrieb in den „Wäldern bei Cappenberg“ erwartungsgemäß zwischen den Werten des Volllastbetriebs und den Werten des 60 %-Lastbetriebs liegen. Die Tatsache, dass die Säurebelastung im 80 %-Lastfall höher ist als im 60 %-Lastfall, vermag für sich nicht die Befürchtung des Klägers zu stützen, dass der Volllastbetrieb nicht den „worst case“ abbilde.
374bb) Die diffusen Quellen „Transport der Kohle“, „Abwurf von Überkerngrößen“ und „Freilager“ durften außer Betracht bleiben. Das Transportbandsystem und die Ecktürme sind - wie auch die von der Bezirksregierung vorgelegten Lichtbilder belegen - vollständig eingehaust. Der Betrieb eines Kohlefreilagers ist nach den Antragsunterlagen nicht vorgesehen, die Kohle wird in Containern gelagert. Bei der Überkerngröße handelt es sich nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben der Beigeladenen um nicht staubendes Gut.
375cc) Die in die Ausbreitungsrechnung eingestellten Emissionen begegnen keinen Bedenken. Dass nicht alle Schadstoffe betrachtet worden seien, die bei Kraftwerken der in Rede stehenden Art emissionsrelevant sind, behauptet auch der Kläger nicht.
376(1) Die in der Immissionsprognose vom 6. August 2012 für den Kühlturm zu Grunde gelegten Emissionskonzentrationen sind auf der Basis der Transferfaktoren des MUNLV-Leitfadens unter Berücksichtigung der gegenüber dem früheren Verfahren abgesenkten maximalen Schwermetallgehalte in der verfeuerten Kohle („Kohleband“) ermittelt worden. Das LANUV hat diese - auch bei der Zusammensetzung der Flugasche erfolgte - Vorgehensweise zuletzt unter dem 8. Juli 2015 für sachgerecht erachtet; die Werte seien rechnerisch geprüft worden und plausibel. Der Kläger hat diese Einschätzung nicht substantiiert angegriffen.
377(2) Der Ansatz der Quecksilberdeposition begegnet keinen Bedenken. Das LANUV hält die der Berechnung zugrundeliegende Speziesverteilung von je 50 % elementarem und oxidiertem Quecksilber in seinen Stellungnahmen vom 18. Juli 2012 und vom 7. Dezember 2012 für sachgerecht. Messungen an bezogen auf die Feuerung und die Rauchgasreinigung vergleichbaren Kraftwerken hätten für elementares Quecksilber im Rauchgas Anteile zwischen 44 % und 77 % und für oxidiertes Quecksilber Anteile zwischen 23 % und 56 % ausgewiesen. Die für die Ausbreitungsrechnungen gewählte Verteilung sei darüber hinaus auch wegen der Wirkung der 3. Katalysatoranlage der DeNOx-Anlage des Vorhabens der Beigeladenen plausibel. Diese erreiche bei Quecksilber eine hohe Oxidationsrate. Das oxidierte Quecksilber werde danach in der Rauchgasentschwefelungsanlage (REA) mit einem ebenfalls hohen Wirkungsgrad abgeschieden, während elementares Quecksilber diese Anlage weitgehend passieren könne.
378Das Vorbringen des Klägers begründet keine durchgreifenden Zweifel an dieser Einschätzung. Der Kläger hat weder die Wirkungsweise noch den Wirkungsgrad der DeNOx-Anlage oder der REA in Frage gestellt. Die Effektivität dieser Anlagen wird durch die am 16. September 2014 im Kraftwerk der Beigeladenen durchgeführten Messungen auch bestätigt. An der hinter der REA und vor dem Kühlturm gelegenen Messstelle wurden dabei im Volllastbetrieb bei Einsatz der Kohlemischung Russland/60 %-USA/40 % im gereinigten Rauchgas Anteile zwischen 79,9 % und 91,7 % für elementares Quecksilber und Anteile zwischen 8,3 % und 20,4 % für oxidiertes Quecksilber festgestellt. Die Annahme des Klägers, (erst) nach Eintritt des Rauchgases in den Kühlturm erfolgten im Mischschwaden möglicherweise vielfältige chemische Reaktionen mit anderen Schadstoffen, so dass nach kurzer Zeit nur noch oxidiertes Quecksilber vorliege, bleibt hypothetisch. Der Kläger räumt zum einen selbst ein, dass die chemischen Reaktionen im Mischschwaden weitgehend unerforscht seien. Zum anderen erlauben - auch wenn eine undifferenzierte Übertragung der atmosphärischen Bedingungen auf chemische Abläufe im Kühlturm und im Mischschwaden nicht angezeigt sein dürfte - vorhandene Kenntnisse über chemische Reaktionen unter atmosphärischen Bedingungen zumindest Rückschlüsse auf entsprechende Vorgänge im Mischschwaden. So ist nicht zu erkennen, warum eine unter atmosphärischen Bedingungen ausgeschlossene Reaktion von Brom mit elementarem Quecksilber gerade im Mischschwaden ausnahmsweise stattfinden sollte. Der vom Kläger angeführte höhere Schadstoffgehalt im Mischschwaden belegt nicht, dass sich an dem beschriebenen chemischen Grundverhalten der beteiligten Stoffe etwas ändern würde. Dies gilt auch für die Reaktionszeit von elementarem Quecksilber mit Chlor, die unter atmosphärischen Bedingungen immerhin 4 Tage beträgt.
379(3) Soweit die 13. BImSchV in der Fassung vom 2. Mai 2013 Grenzwerte für den Einsatz von Kohle vorsieht - nämlich nach §§ 4 Abs. 1 Satz 2 und 11 der 13. BImSchV für Gesamtstaub, Quecksilber, Kohlenmonoxid, Stickstoffdioxid und Schwefeldioxid - sind diese der Ausbreitungsrechnung für den Kühlturm zugrunde gelegt worden und - wie im Änderungsantrag der Beigeladenen vom 21. Juni 2013 beantragt - Gegenstand des Vorbescheids geworden. Für Dioxine/Furane (PCDD/F), für die die 13. BImSchV - wie für Ammoniak - keinen Grenzwert bestimmt, wurde ein - vom Kläger nicht angegriffener - konservativer Erfahrungswert angenommen. Der für Ammoniak festgelegte Emissionswert begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Er beruht nach den nachvollziehbaren Angaben der Beigeladenen auf der Zusicherung des Anlagenherstellers, der Ammoniakgehalt im Rauchgas werde nach dem Durchlaufen des Katalysators einen Wert von 5 mg/m³ nicht überschreiten. Nach der Erhöhung des Rauchgasvolumenstroms von 2,12 auf 2,21 Mio m³/h sei der Wert im Antrag auf 4,8 mg/m³ angepasst worden, um die Immissionszusatzbelastung beizubehalten.
380(4) Die für die Befüllung des Flugaschesilos als größter Einzelquelle unter den sog. Kleinquellen angegebenen Emissionsmassenströme sind nach den Feststellungen des LANUV plausibel. Auch die Bestimmung der Immissionszusatzbelastung für die übrigen gefassten Kleinquellen ist nach Auffassung des LANUV nachvollziehbar. Dem ist der Kläger nicht entgegengetreten.
381(5) Die erforderliche Überwachung der Emissionen ist in der 7. Teilgenehmigung geregelt. Die 7. Teilgenehmigung enthält in Ziffer 2 Nebenstimmungen zum Emissions- und Immissionsschutz einschließlich der Überwachung der festgelegten Emissionen durch Einzelmessungen und kontinuierliche Messungen; die Nebenbestimmungen Ziffer 2.2.3 und 2.2.4 regeln die Modalitäten der Messungen der Emissionen der Quelle Q 1 (Kühlturm mit Rauchgasableitung).
382(6) Die zusätzlichen Emissionen durch die Hilfsdampferzeugungsanlage beim An- und Abfahrbetrieb sind in der Immissionsprognose vom 25. Februar 2013 betrachtet worden. Das LANUV hat die Berechnungen unter dem 13. August 2013 für plausibel befunden. Es hat die entsprechenden Eingangsparameter der Ausbreitungsrechnung geprüft und auch in der Stellungnahme vom 27. April 2016 nicht beanstandet.
383Nach alledem ist nicht anzunehmen, dass die im Vorbescheid festgesetzten Emissionsgrenzwerte nicht eingehalten werden können. Es obliegt dem Betreiber, die festgesetzten Grenzwerte, die auch der Immissionsprognose zugrunde liegen, zu beachten.
384dd) Auch die Ausbreitungsrechnung selbst ist - gemessen an den Anforderungen der TA Luft - nach fachkundiger Einschätzung des LANUV nicht zu beanstanden.
385(1) Die Ausbreitungsrechnung ist insbesondere nicht schon deshalb fehlerhaft, weil eine vollständige Durchmischung des Rauchgases und der Kühlturmabluft entgegen der Modellvorgabe des die Vorgaben der TA Luft umsetzenden Rechenprogramms AUSTAL2000 nicht stattfindet. Das LANUV hat in seinen Stellungnahmen vom 20. April 2016 und vom 4. Mai 2016 sowie ergänzend durch Herrn Dr. Straub in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Senats dargelegt, dass die dem Ausbreitungsmodell zugrundeliegende Annahme einer vollständigen Vermischung insbesondere auch hinsichtlich der eutrophierenden und versauernden Stickstoff- und Schwefeldepositionen zu konservativeren Ergebnissen führe als die Annahme einer nur teilweisen Durchmischung. Dies folge daraus, dass das oberhalb der Kühleinbauten und der Tropfenabscheider in den Kühlturm eingeleitete und in der Kühlturmmitte aus dem senkrecht nach oben abgewinkelten Glasfaserrohr in den Kühlluftstrom freigegebene Reingas eine höhere Geschwindigkeit habe und deutlich wärmer sei als der Kühlturmschwaden. Es sei aufgrund dieser Einleitbedingungen turbulent angeregt. Zwischen Schwaden und Reingas bilde sich im weiteren Verlauf bis zum Kühlturmaustritt eine Grenzschicht mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, Temperaturen, Dichten und Luftfeuchtigkeiten. Dadurch vermehre sich die Turbulenz, die insbesondere wegen der Unterschiede in der Geschwindigkeit der beiden Schwaden spürbar sein dürfte. Bis zur Kühlturmmündung erfolge allerdings keine vollständige Durchmischung der Schwaden. Da das Reingas in die Mitte des Kühlturmes eingeleitet werde, sei davon auszugehen, dass auch im langfristigen Mittel die Schadstoffkonzentration, die Temperatur und die Geschwindigkeit im Zentrum des Mischschwadens höher seien als in den Außenbereichen. Dies bestätigten auch die vom Kläger vorgelegten Wärmebildaufnahmen des Mischschwadens des streitbefangenen Vorhabens. Eine nur den Abgasvolumenstrom betreffende Ausbreitungsrechnung könnte daher eine höhere Austrittsgeschwindigkeit und ‑temperatur ansetzen. Damit steige nach den Gesetzmäßigkeiten der Abluftfahnenüberhöhung die Abluftfahne an, der Ausbreitungsweg bis zum Erreichen des Bodens werde länger und die Schadstoffkonzentrationen und ‑depositionen würden verdünnt. Dasselbe gelte bei der - hypothetischen - Annahme der geringstmöglichen Durchmischung des Mischschwadens (sog. Freistrahltheorie). Auch in diesem Fall seien die Immissionen flächendeckend kleiner als die Immissionen bei Annahme einer Volldurchmischung. In der Betrachtung der beiden extremen Szenarien der vollständigen und der geringstmöglichen Durchmischung seien gedanklich alle anderen Mischungsverhältnisse mit enthalten. Diese anhand von Untersuchungen für das Kraftwerkprojekt Datteln 4 erlangten Erkenntnisse ließen sich grundsätzlich auf alle Kühltürme vergleichbarer Bauart übertragen. Hinweise, dass der Kühlturm des streitbefangenen Vorhabens maßgeblich von dem des Kraftwerksvorhabens Datteln 4 abweichen würde, lägen nicht vor. Die vom Kläger vorgeschlagene Ausblendung eines Teils des Mischschwadens sei dagegen nicht plausibel. Diese Überlegungen stünden auch in Einklang mit der ausdrücklichen Aussage der für die Ableitung von Rauchgasen über Naturzugnasskühltürme maßgeblichen VDI-Richtlinie 3784 Blatt 2 in Kapitel 2 (S. 5), dass ihre Anwendbarkeit gerade nicht von der Einhaltung eines bestimmten Mischungsverhältnisses von Abluftschwaden und Rauchgas abhängig sei. Entsprechend sei auch aus den anderen Bundesländern eine von der VDI-Richtlinie abweichende Praxis nicht bekannt.
386(2) Der Abgasvolumenstrom ist in Höhe von 2.210.000 m³/h korrekt angesetzt worden. Nach Tabelle 1 der Immissionsprognose vom 6. August 2012 wurde der Abgasvolumenstrom im Normzustand (1013 kPa und 273,15 K) trocken, d. h. nach Abzug der Feuchtegehalts, ermittelt. Diese Vorgehensweise entspricht Nr. 2.4 TA Luft, wonach Angaben des Abgasvolumens und des Abgasvolumenstroms auf den Normzustand (273,15 K; 1013 kPa) nach Abzug des Feuchtegehalts im Wasserdampf bezogen sind, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes angegeben wird (vgl. auch die Definition für „Abgas“ in § 2 Abs. 1 der 13. BImSchV).
387(3) Die in den Ausbreitungsrechnungen angesetzten Austrittstemperaturen und ‑geschwindigkeiten entsprechen den Auslegungsdaten des Kühlturmherstellers. Die in dem Schriftsatz der Beigeladenen vom 18. September 2015 aufgeführten, im Vergleich zu den Ausbreitungsrechnungen niedrigeren Werte geben nicht die in den Immissionsprognosen betrachtete Austrittstemperatur und ‑geschwindigkeit des Mischschwadens (Rauchgas und Kühlturmabluft) wieder, sondern die Austrittstemperatur und -geschwindigkeit des Abluftschwadens.
388(4) Die Berücksichtigung der Abluftfahnenüberhöhung des Kühlturms entspricht nach den Feststellungen des LANUV den Vorgaben der VDI-Richtlinie 3784 Blatt 2 und wird für sachgerecht erachtet; die Modellierung als horizontale Flächenquelle sei plausibel. Herr Dr. T1. vom LANUV hat in der mündlichen Verhandlung betont, der Ansatz der Abluftfahnenüberhöhung nach der VDI-Richtlinie 3784 Blatt 2 sei auch hinreichend konservativ. Der vom Kläger geforderten Berücksichtigung einer Unsicherheit mit dem Faktor 2 bedürfe es nicht. Die mit der ‑ in der Meteorologie immer auftretenden und messbaren - Streuung verbundene Unsicherheit werde über längere Zeiträume ausgeglichen. Die VDI-Richtlinie 3784 Blatt 2 enthalte zudem an anderen Stellen weitere, diese Unsicherheit ausgleichende konservative Faktoren, wie etwa bei der Abschätzung der Stabilitätsklassen und dem Flüssigwassergehalt. Auch diese Ausführungen sind überzeugend.
389(5) Die bei Quecksilber zugrundegelegte Depositionsgeschwindigkeit entspricht der VDI-Richtlinie 3782 Blatt 5, die Depositionsgeschwindigkeit für Ammoniak entspricht Nr. 3 Tabelle 12 des Anhangs 3 der TA Luft. Das LANUV hat die Verwendung dieser Depositionsgeschwindigkeiten methodisch gefordert. Der Hinweis des Klägers auf abweichende Vorgaben der US-EPA (Environmental Protection Agency) stellt diese Forderung nicht in Frage. Das LANUV hat schon zu dem Vorbescheid vom 6. Mai 2008 nachvollziehbar dargelegt, dass diese Abweichungen nicht auf besseren fachwissenschaftlichen Erkenntnissen beruhten. Sie erklärten sich vielmehr dadurch, dass die Regelwerke im Zusammenhang mit unterschiedlichen Modellarten stünden. Während das Modell der US-EPA der Ermittlung des großräumigen Hintergrundniveaus diene, gehe es bei der Ausbreitungsrechnung nach der TA Luft um die Ermittlung der bodennahen Konzentration (Deposition).
390Vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2011 ‑ 8 D 58/08.AK -, ZUR 2012, 372 = juris Rn. 233.
391Etwas anderes folgt auch nicht aus den vom Kläger ferner angeführten, ebenfalls abweichenden Untersuchungsergebnissen aus Japan. Der Kläger hat nicht belegt, dass die meteorologischen Verhältnisse und die Vegetation in Japan und Mitteleuropa derart ähnlich wären, dass diese Ergebnisse auf das streitbefangene Vorhaben übertragen werden könnten.
392(6) Die nasse Deposition von Quecksilber ist weder nach der o.a. VDI-Richtlinie noch nach der TA Luft zu berücksichtigen und durfte daher auch nach den entsprechenden Vorgaben des LANUV außer Betracht bleiben. Dass bei den erwähnten Untersuchungen in Japan gerade die Relevanz der nassen Deposition von Quecksilber festgestellt worden sein soll, zwingt nicht zu einer anderen Vorgehensweise. Die Übertragbarkeit dieser Erkenntnisse auf mitteleuropäische Verhältnisse ist ebenfalls nicht ersichtlich. Die Bindungswirkung der TA Luft entfällt im Übrigen nur dann, wenn die in der TA Luft enthaltenen Aussagen durch ‑ hier nicht erkennbare ‑ gesicherte Erkenntnisfortschritte in Wissenschaft und Technik überholt sind und sie deshalb den gesetzlichen Anforderungen nicht mehr gerecht werden.
393Vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. März 1996 ‑ 7 B 164/95 -, UPR 1996, 306 = juris Rn. 19.
394(7) Die Ausbreitungsrechnung hat entgegen der Annahme des Klägers keine synthetischen Windrosen verarbeitet. Eine synthetische Windrose wurde als Modell für die am Kraftwerkstandort zu erwartende Windrichtungsverteilung ausschließlich in der Übertragbarkeitsprüfung der ArguSoft GmbH & Co. KG vom 13. Februar 2012 erstellt. Sie diente dort dem Vergleich mit den Windverhältnissen an den im Detail betrachteten Messstationen Lünen-Niederaden, Castrop-Rauxel, Werl-Waltrop und Unna.
395(8) Die Verwendung der meteorologischen Messdaten der Station Lünen-Niederaden aus dem Jahr 2009 entspricht dem Ergebnis der Übertragbarkeitsprüfung vom 13. Februar 2012. Das LANUV hält dieses Ergebnis für sachgerecht.
396Dass die Messstation Lünen-Niederaden nicht die Vorgaben an das DWD-Messnetz erfüllt, ist ohne Belang. Nach Nr. 8.1. Sätze 2 bis 4 des Anhangs 3 der TA Luft sollen die in der Ausbreitungsrechnung verwendeten meteorologischen Werte für den Standort der Anlage charakteristisch sein. Liegen keine Messungen am Standort der Anlage vor, sind Daten einer geeigneten Station des DWD oder einer anderen entsprechend ausgerüsteten Station zu verwenden. Die Übertragbarkeit dieser Daten auf den Standort der Anlage ist zu prüfen. Danach ist nicht gefordert, dass die Messstation die Anforderungen an das Messnetz des DWD erfüllt. Sie muss lediglich die Bestimmung der erforderlichen meteorologischen Daten - Windrichtung, Windgeschwindigkeit und atmosphärische Schichtung (vgl. Nr. 8.2 ff.) - ermöglichen. Der DWD hat dementsprechend im vorangegangen Verfahren - vom Senat unbeanstandet - in der „Qualifizierten Prüfung“ vom 11. August 2006 die Verwendung der Daten der Station Lünen-Niederaden für sachgerecht gehalten.
397Vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2011 ‑ 8 D 58/08.AK -, ZUR 2012, 372 = juris Rn. 234.
398Die vom DWD damals geäußerten Bedenken, ob der Jahresmittelwert der Windgeschwindigkeit der Messstation Lünen-Niederaden eine pessimale Betrachtung zulässt, betrafen die Wetterdaten aus dem Zeitraum Januar 1993 bis Dezember 2002. Die Übertragbarkeitsprüfung vom 13. Februar 2012 stellt dagegen auf die Wetterdaten aus dem Zeitraum 2002 bis 2011 ab.
399Die Wahl der Messstation Lünen-Niederaden ist auch nicht aus anderen Gründen fehlerhaft. Es ist insbesondere nicht zu erkennen, dass die beim Kraftwerkprojekt Datteln 4 verwendeten Daten der Messstation Werl-Waltrop oder die beim Kraftwerkprojekt Herne 5 verwendeten Daten der Messstation Castrop-Rauxel den Standortbedingungen in Lünen besser entsprechen würden. Die Entscheidung für die Station Lünen-Niederaden beruhte gemessen an den Vorgaben der Nr. 8.1 des Anhangs 3 der TA Luft auf sachlich nachvollziehbaren Erwägungen. Nach den Feststellungen der Übertragbarkeitsprüfung vom 13. Februar 2012 wiesen die Daten der Stationen Lünen-Niederaden (2002-2011) und Werl-Waltrop (2004-2010) die besten Übereinstimmungen mit den Sollwerten der synthetischen Windrose des Standorts auf. Der Station Lünen-Niederaden sei der Vorzug gegeben worden, weil die Daten dieser Station im Vergleich mit den Daten der Station Werl-Waltrop den synthetischen Daten des Standorts noch etwas besser entsprächen und weil sie darüber hinaus mit einer Entfernung von nur 7,5 km in größerer Nähe zum Vorhabenstandort innerhalb des Rechengebiets der Ausbreitungsrechnung liege. Dass gerade eine möglichst große Nähe zum Vorhabenstandort ein wichtiges Auswahlkriterium für die Übertragbarkeit meteorologischer Daten ist, räumt auch der Kläger ein. Die Behauptung, die Station Werl-Waltrop liege günstiger als die Station Lünen-Niederaden, ist bei einer Entfernung von 30 km zu dem Vorhaben nicht überzeugend.
400Die Entfernung und Lage der Messstation zu den von vorhabenbedingten Schadstoffimmissionen betroffenen FFH-Gebieten ist nach den Vorgaben der TA Luft ebenso wenig ein sachliches Kriterium für die Auswahl der meteorologischen Daten wie die Frage, welche meteorologischen Daten in der Ausbreitungsrechnung zu den höchsten oder geringsten Immissionen führen. Die vom Kläger vorgelegten Ausbreitungsrechnungen mit den - in der Übertragbarkeitsprüfung vom 13. Februar 2012 nicht betrachteten - Wetterdaten der Station Werl-Waltrop aus dem Jahr 1987 und der Station Castrop-Rauxel aus dem Jahr 2007 dienen dem Vergleich der unterschiedlichen immissionsseitigen Auswirkungen auf die FFH-Gebiete und gehen daher an der Sache vorbei.
401(9) Der Vermerk „korr.“ bei der AKT-Datei der Eingabedaten der Ausbreitungsrechnungen bezieht sich nach den Angaben der Beigeladenen auf die im Rahmen der Berechnung der nassen Säure- und Schwefeldeposition in Abstimmung mit dem LANUV erfolgte Bestimmung einer maßgeblichen Niederschlagszeitreihe. Dieser Korrektur bedurfte es, weil die Niederschlagsjahressumme des Referenzjahres 2009 mit 746 l/(m²*a) unter dem 10-jährigen Mittel der Jahre 2002 bis 2011 von 789 l/(m²*a) liegt. Die Niederschlagsjahressumme des Jahres 2009 wurde daher anhand des Faktors 789/746 auf das 10-jährige Mittel hochskaliert. Das LANUV hat in seiner Stellungnahme vom 27. April 2016 bestätigt, dass die Ausbreitungsrechnung insoweit den Vorgaben entspricht. Dass - wie der Kläger rügt - in der Ausbreitungsrechnung tatsächlich nicht mit dem Mittelwert von 789 l/(m²*a), sondern mit einer Niederschlagsjahressumme von nur 764,3 l/(m²*a) gerechnet wurde, beruht nach den überzeugenden Darlegungen der Beigeladenen auf der Rundung der jeweils mit dem o.a. Faktor hochskalierten Jahresstundenwerte.
402(10) Dass die Ausbreitungsrechnung fehlerhaft sei, weil Gebäudeeinflüsse nicht berücksichtigt worden seien, hat der Kläger nicht behauptet. Das LANUV hat in seiner Stellungnahme vom 7. Dezember 2012 festgestellt, dass in Anwendung von Nr. 10 des Anhangs 3 der TA Luft Gebäude im Umkreis von 960 m, die niedriger sind als 94 m, zu berücksichtigen gewesen seien, was nur auf das Kesselhaus und den Kühlturm zutreffe. Deren Einflüsse seien durch das diagnostische Windfeldmodell TALdia sachgerecht berücksichtigt worden. Es besteht kein Anlass, diese Ausführungen in Zweifel zu ziehen.
403(11) Die statistische Unsicherheit ist auch in der Ausbreitungsrechnung zutreffend berücksichtigt worden. Nach Anhang 3 Nr. 9 der TA Luft besitzen die berechneten Immissionskenngrößen auf Grund der statistischen Natur des in der VDI-Richtlinie 3945 Blatt 3 beschriebenen Verfahrens eine statistische Unsicherheit. Es ist darauf zu achten, dass die modellbedingte statistische Unsicherheit, berechnet als statistische Streuung des berechneten Werts, beim Jahres-Immissionskennwert 3 % des Jahres-Immissionswerts und beim Tages-Immissionskennwert 30 % des Tages-Immissionswerts nicht überschreitet. Die statistische Unsicherheit ist entsprechend durch Erhöhung der Partikelzahl zu reduzieren. Liegen die Beurteilungspunkte an den Orten der maximalen Zusatzbelastung, muss die statistische Unsicherheit nicht gesondert berücksichtigt werden.
404Die statistische Unsicherheit ist danach zu Recht (nur) bei den Beurteilungspunkten außerhalb der maximalen Zusatzbelastung berücksichtigt worden. Dies geschah auch zutreffend durch die Erhöhung der Partikelzahl. Nach der Modellbeschreibung des Programms AUSTAL2000 bestimmt der Parameter „qs“ die Qualitätsstufe der Freisetzungsrate von Partikeln. Dieser Parameter weist einen Standardwert von 0 auf, wobei eine Erhöhung des Werts um 1 jeweils eine Verdoppelung der Partikelzahl und eine Verringerung der statistischen Unsicherheit (Streuung) um den Faktor 1/(2**0,5) = 0,7071 bewirkt. Ausweislich der Ausgabedatei zu der Immissionsprognose vom 6. August 2012 ist die Partikelzahl bei den hohen Quellen von 0 auf 3, und bei den Kleinquellen von 0 auf 1 erhöht worden. Der Gutachter der Beigeladenen hat die in der Immissionsprognose vom 6. August 2012 in Abschnitt 4.1.6 getroffene Aussage, auf diese Weise sei sichergestellt worden, dass die statistische Unsicherheit beim Jahres-Immissionskennwert weniger als 3 % des Jahresimmissionswerts betrage, auch nachvollziehbar erläutert. Das Verfahren zur Berechnung der statistischen Unsicherheit als statistische Streuung des ermittelten Werts sei in das Ausbreitungsmodell AUSTAL2000 integriert. Die statistische Unsicherheit werde als relativer Fehler neben den schadstoffspezifischen Immissionszusatzbelastungen automatisch mit ausgegeben. Überschreite die ausgeworfene statistische Unsicherheit beim Jahres-Immissionskennwert 3 % des Jahres-Immissionswerts, müsse die statistische Unsicherheit durch eine (weitere) Erhöhung der Partikelzahl reduziert werden. Entsprechend sei hier verfahren worden.
405(12) Das LANUV hat die Ausbreitungsrechnung auch hinsichtlich der gefassten Kleinquellen geprüft und für plausibel erachtet. Die Depositions- und Sedimentationsgeschwindigkeiten für Stäube und Ammoniak entsprächen den Vorgaben der Nr. 4 bzw. Nr. 3 des Anhangs 3 der TA Luft. Der Kläger hat hiergegen keine Einwände vorgebracht.
406(13) Die Plausibilität der Immissionsprognose wird schließlich nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Ableitung über den Kühlturm statt über einen Schornstein erfolgt. Es besteht - wie schon im vorhergehenden Verfahren 8 D 58/08.AK - auch weiterhin kein Anhalt dafür, dass die Immissionsprognose durch die Höhe des Kühlturms verfälscht wird, so dass es einer Kontrollberechnung auf der Grundlage einer fiktiven Schornsteinhöhe nicht bedarf.
407c) Luftverunreinigungen
408Die beim Anlagenbetrieb zu erwartenden Luftverunreinigungen sind irrelevant und stehen deshalb der Genehmigung nicht entgegen.
409Gemäß Nr. 4.1 Abs. 4 Satz 1 Buchst. c) und Satz 2 TA Luft kann für die Schadstoffe, für die Immissionswerte in den Nrn. 4.2. bis 4.5 TA Luft festgelegt sind, unter anderem dann davon ausgegangen werden, dass schädliche Umwelteinwirkungen durch die Anlage nicht hervorgerufen werden können, wenn durch die Anlage lediglich eine irrelevante Zusatzbelastung hervorgerufen wird. Dem liegt die Erwägung zu Grunde, dass eine Anlage von atypischen Sonderfällen abgesehen bei Verursachung einer im Verhältnis zur bestehenden Vorbelastung geringfügigen Zusatzbelastung keinen im Sinne rechtlicher Zurechnung kausalen Beitrag zu den schädlichen Umwelteinwirkungen durch den betroffenen Stoff leistet.
410Vgl. näher hierzu: Hansmann, in: Landmann/ Rohmer, Umweltrecht, Band II, Stand: 1. Februar 2016, Nr. 4.2 TA Luft Rn. 19 ff.; zur Irrelevanzschwelle als Grenze der Schutzpflicht: BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2003 ‑ 7 C 19.02 -, BVerwGE 119, 329 = juris Rn. 14; OVG NRW, Urteil vom 10. Juni 2008 - 8 D 103/07.AK -, ZUR 2008, 1137 = juris Rn. 59, m. w. N.
411Unter welchen Voraussetzungen von einer irrelevanten Zusatzbelastung ausgegangen werden kann, ist für die in Nr. 4.2.1, 4.3.1, 4.4.1 und 4.5.1 TA Luft genannten Schadstoffe unterschiedlich geregelt. Im Einzelnen gilt Folgendes:
412aa) Hinsichtlich der unter Nr. 4.2.1 TA Luft genannten Schadstoffe liegt nach Nr. 4.2.2 Abs. 1 Buchst. a) TA Luft eine irrelevante Zusatzbelastung vor, wenn die Kenngröße für die Zusatzbelastung durch Emissionen der Anlage an dem Beurteilungspunkt 3,0 % des in Nr. 4.2.1 TA Luft zum Schutz der menschlichen Gesundheit bestimmten Immissions-Jahreswertes nicht überschreitet.
413Für Blei, Schwebstaub (PM10), Schwefeldioxid und Stickstoffoxid gelten die in Nr. 4.2.1 Abs. 1 TA Luft genannten Immissionswerte. Für Cadmium und anorganische Cadmiumverbindungen als Bestandteile des Schwebstaubes (PM10), angegeben als Cd, gilt gemäß Nr. 4.2.1 Abs. 2 Satz 2 TA Luft ein Immissionswert von 0,02 µg/m³ bei einem Mittelungszeitraum von einem Jahr. Ausgehend von diesen Vorgaben stellen sich die zu erwartenden Zusatzimmissionen von Blei, Schwebstaub (PM10), Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Cadmium als irrelevant dar.
414Das Maß der im Beurteilungsgebiet maximal auftretenden Immissionen ist der Ausbreitungsrechnung in der Fassung vom 6. August 2012 zu entnehmen.
415Die prognostizierten Zusatzbelastungen unterschreiten die in der TA Luft bestimmte Irrelevanzschwelle von 3,0 % des jeweiligen Immissionswertes:
416Immissionswert bei einem Mittelungszeitraum von einem Jahr |
Jahreszusatzimmissionen bei einem Mittelungszeitraum von einem Jahr |
Anteil der Jahreszusatzimmissionen am Immissionswert |
|
BleiPb |
0,5 µg/m³ |
0,000131 µg/m³ |
<0,1 % |
Schwebstaub(PM10) |
40 µg/m³ |
0,032 µg/m³ |
<0,1 % |
SchwefeldioxidSO2 |
50 µg/m³ |
0,218 µg/m³ |
0,4 % |
StickstoffdioxidNO2 |
40 µg/m³ |
0,098 µg/m³ |
0,2 % |
Cadmium Cd |
0,02 µg/m³ |
0,000015 µg/m³ |
<0,1 % |
In Bezug auf Cadmium wird auch die Grenze von 1 % des Zielwerts der Richtline 2004/107/EG von 0,005 µg/m³,
418vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 8 D 58/08.AK -, ZUR 2012, 372 = juris Rn. 248 ff.,
419nicht überschritten.
420Der Senat hat in seinem Urteil vom 9. Dezember 2009
421- 8 D 12/08.AK -, DVBl. 2010, 719 = juris Rn. 248 ff.,
422im Anschluss an die im Schrifttum geäußerte Kritik Bedenken geäußert, ob die Irrelevanzschwelle der Nr. 4.2.2 Abs. 1 Buchst. a) TA Luft 2002 von 3,0 % eine rechtmäßige Konkretisierung des Begriffs der schädlichen Umwelteinwirkungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG darstellt. Er hat diese Bedenken insbesondere vor dem Hintergrund gesehen, dass die in der TA Luft 1986 vorgesehene Irrelevanzschwelle von 1,0 % mit der Novelle der TA Luft im Jahr 2002 auf 3,0 % angehoben wurde, allerdings bei gleichzeitiger Absenkung des Immissionsrichtwerts und einer Änderung der Berechnungsmethode. Der Vorschriftengeber ging davon aus, dass die Irrelevanzschwellen von 1,0 % nach Nr. 2.2.1.1 Buchst. b) der TA Luft 1986 und 3,0 % nach Nr. 4.2.2 Abs. 1 Buchst. a) der TA Luft 2002 unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Berechnungsgrundlagen (flächen- bzw. punktbezogen) in der Sache vergleichbar seien.
423Vgl. BR-Drs. 1058/01, S. 240.
424Wie in dem genannten Urteil ausgeführt ist, sind Irrelevanzklauseln Ausdruck des allgemeinen Gedankens, dass geringfügige Zusatzbelastungen durch einen bestimmten Luftschadstoff einem bestimmten Anlagenbetreiber nicht im Sinne eines kausalen Beitrags zu schädlichen Umwelteinwirkungen zugerechnet werden können. Daher steht die prinzipielle Zulässigkeit von Irrelevanzklauseln im Immissionsschutzrecht auch unter Berücksichtigung der insoweit maßgeblichen Vorgaben des Unionsrechts letztlich nicht in Frage. Ob die Irrelevanzklausel von 3,0 % der Nr. 4.2.2 Abs. 1 Buchst. a) TA Luft eine rechtmäßige Konkretisierung des Begriffs der schädlichen Umwelteinwirkungen darstellt oder ob sie im Hinblick auf die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG gesetzeskonform einzuschränken ist, kann im vorliegenden Zusammenhang offen bleiben.
425Vgl. zum Ganzen VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20. Juli 2011 - 10 S 2102/09 -, ZUR 2011, 600 = juris Rn. 196 ff.; nachgehend BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 2013 - 7 C 36.11 -, NVwZ 2014, 515 = juris Rn. 46 ff. (die rechtliche Zulässigkeit bejahend); ferner Hansmann, in: Landmann/ Rohmer, Umweltrecht, Band IV, Stand: 1. Februar 2016, Nr. 4.2 TA Luft Rn. 25 und 33 ff.; Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand: 1. Februar 2016, § 5 BImSchG, Rn. 58; Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 5 Rn. 17.
426Der Senat ist in dem o.a. Urteil vom 9. Dezember 2009 davon ausgegangen, dass jedenfalls eine Zusatzbelastung von weniger als 1,0 % des jeweiligen Immissionswertes nicht mehr als nennenswerter, kausaler Beitrag zur Immissionsbelastung angesehen werden kann.
427Vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20. Juli 2011 - 10 S 2102/09 -, ZUR 2011, 600 = juris Rn. 206; Hess. VGH, Urteil vom 24. September 2008 - 6 C 1600/07.T -, DVBl. 2009, 186 = juris Rn. 100.
428Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Auch die 1 %-Irrelevanzschwelle ist nicht überschritten. Bei dieser Sachlage besteht auch weiterhin kein Anlass, die Geeignetheit der in der TA Luft 2002 vorgesehenen Irrelevanzschwelle von 3,0 % für Luftschadstoffe sowie die Unionsrechtskonformität dieser Irrelevanzschwelle zu prüfen.
429Ob und inwieweit auch dann, wenn die in der TA Luft bestimmte Irrelevanzschwelle nicht überschritten wird, Raum für die Annahme bleibt, es könnten gleichwohl schädliche Umwelteinwirkungen bestehen, kann offen bleiben, weil es dafür hier an Anhaltspunkten fehlt.
430Anlass für eine solche Annahme könnte etwa bestehen, wenn der Betrieb der zu prüfenden Anlage kurzfristig zu hohen Emissionen führt. Denn dann ist die Vermutung nicht gerechtfertigt, dass eine Anlage mit über das Jahr gemittelten geringen Immissionsbeiträgen nicht zu einer relevanten Erhöhung der zugelassenen Überschreitungshäufigkeit bei den Tages- und Stundenmittelwerten beitragen wird.
431Vgl. Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band IV, Stand: 1. Februar 2016, Nr. 4.2 TA Luft Rn. 39.
432Dies ist hier nicht der Fall. Das Kraftwerk der Beigeladenen soll unter Einhaltung der im angefochtenen Vorbescheid festgelegten Emissionsgrenzwerte kontinuierlich betrieben werden. Auch beim An- und Abfahrbetrieb ist nach den Ergebnissen der Ausbreitungsrechnung vom 25. Februar 2013 nicht mit höheren Emissionen zu rechnen.
433Hinreichende Anhaltspunkte für das Bestehen schädlicher Umwelteinwirkungen können trotz Unterschreitung der Irrelevanzschwelle auch dann vorliegen, wenn die Zusatzbelastung durch Emissionen der zu prüfenden Anlage von in Nr. 4.2.1 TA Luft genannten Schadstoffen mehr als 1 % beträgt und vergleichbare Beiträge aus anderen Quellen bestehen oder zu erwarten sind, deren Höhe es als möglich erscheinen lässt, dass bei Hinzutreten der Zusatzbelastung der Immissionswert am Beurteilungspunkt mehr als nur geringfügig überschritten wird (relevante Vorbelastung).
434Vgl. Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band IV, Stand: 1. Februar 2016, Nr. 4.2 TA Luft Rn. 38, und in: NVwZ 2003, 266, 272 f.; eine Sonderfallprüfung bei Unterschreiten der Irrelevanzgrenze ohne Einschränkungen verneinend: Gerhold, UPR 2003, 44, 47.
435Diese Voraussetzungen sind hier ebenfalls nicht gegeben. Die unter Nr. 4.2.1 TA Luft genannten, hier relevanten Schadstoffe liegen - wie dargestellt - bereits unterhalb der äußersten, dem früheren Irrelevanzwert der TA Luft 1986 entsprechenden Irrelevanzschwelle von 1,0 % (Immissionsprognose vom 6. August 2012, Tabelle 11).
436bb) Die Zusatzbelastung durch den in Nr. 4.3.1 TA Luft genannten Staubniederschlag (Deposition) ist nach Nr. 4.3.2, Buchst. a) TA Luft irrelevant, weil die Kenngröße für die Zusatzbelastung nicht über einem Wert von 10,5 mg/(m²·d) ‑ gerechnet als Mittelwert für das Jahr - liegt.
437Nach dem Ergebnis der Ausbreitungsrechnung wird diese Irrelevanzgrenze deutlich unterschritten. Im Immissionsmaximum erreicht die Zusatzbelastung, bezogen auf den Mittelungszeitraum von einem Jahr, lediglich einen Wert von 0,033 mg/(m²·d) bzw. 0,009 % des Beurteilungswerts von 0,35 g/(m²·d). Es besteht danach auch kein Anlass für die Annahme, die Staubdeposition führe gleichwohl zu schädlichen Umwelteinwirkungen durch die Staubdeposition.
438cc) Die prognostizierten Immissionswerte für die Konzentration von Schwefeldioxid und Stickstoffoxide in der Luft zum Schutz von Ökosystemen und der Vegetation in Nr. 4.4.1 TA Luft als Vorsorgewerte weisen ebenfalls nur auf irrelevante Zusatzbelastungen.
439Nach Nr. 4.4.3 Buchst. a) TA Luft ist eine Zusatzbelastung hier irrelevant, wenn die Kenngröße für die Zusatzbelastung durch die Emissionen der Anlagen die in Tabelle 5 bezeichneten Werte - gerechnet als Mittelwert für das Jahr - nicht überschreitet. Danach sind Immissionen von Schwefeldioxiden in der Luft bei einer Zusatzbelastung von 2 µg/m³ und von Stickstoffoxid bei einer Zusatzbelastung von 3 µg/m³ irrelevant. Diese Werte werden mit jeweils 0,218 µg/m³ unterschritten (Immissionsprognose vom 6. August 2012, Tabelle 13).
440dd) Für die Deposition der unter Nr. 4.5.1 TA Luft genannten Schadstoffe Arsen, Blei, Cadmium, Nickel, Quecksilber und Thallium ist nach Nr. 4.5.2 Buchst. a) aa) TA Luft eine irrelevante Zusatzbelastung anzunehmen, wenn die Kenngröße 5 % der jeweils maßgeblichen Immissionswerte nicht überschreitet. Dies ist am Ort der jeweils maximalen Zusatzbelastung der Fall, wie sich aus der folgenden Tabelle ergibt:
441Immissionswert bei einem Mittelungszeitraum von einem Jahr |
Jahreszusatzimmissionen bei einem Mittelungszeitraum von einem Jahr |
Anteil der Jahreszusatzimmissionen am Immissionswert |
|
Arsen As Deposition |
4 µg/(m²·d) |
0,032 µg/(m²·d) |
0,8 % |
BleiPb Deposition |
100 µg/(m²·d) |
0,141 µg/(m²·d) |
0,1 % |
CadmiumCd Deposition |
2 µg/(m²·d) |
0,016 µg/(m²·d) |
0,8 % |
NickelNi Deposition |
15 µg/(m²·d) |
0,019 µg/(m²·d) |
0,1 % |
QuecksilberHg Deposition |
1 µg/(m²·d) |
0,005 µg/(m²·d) |
0,5 % |
ThalliumTl Deposition |
2 µg/(m²·d) |
0,005 µg/(m²·d) |
0,3 % |
Anhaltspunkte dafür, dass trotz erheblicher Unterschreitung der Irrelevanzschwelle schädliche Umwelteinwirkungen bestehen, sind - anknüpfend an die oben dargelegten Überlegungen - nicht gegeben.
443ee) Für die in der Luft enthaltenen Konzentrationen der Schadstoffe Ammoniak, Arsen, Benzo(a)pyren, Chrom, PCDD/F, Kohlenmonoxid, Quecksilber und Thallium, für die die TA Luft keine Immissionswerte bestimmt, fehlt es in Anlehnung an Nr. 4.8 TA Luft an hinreichenden Anhaltspunkten, dass schädliche Umwelteinwirkungen hervorgerufen werden können.
444In der Immissionsprognose wurden für die oben genannten Schadstoffe folgende Beurteilungsmaßstäbe zu Grunde gelegt:
445Mittelungszeitraum |
Beurteilungsmaßstab |
|
AmmoniakNH3 |
1 Jahr |
3 µg/m³ |
Arsen As |
1 Jahr |
6 ng/m³ |
Benzo(a)pyren (BaP)C20H12 |
1 Jahr |
1 ng/m³ |
Chrom Cr |
1 Jahr |
17 ng/m³ |
Dioxine/Furane (TE) PCDD/F |
1 Jahr |
150 fg/m³ |
KohlenmonoxidCO |
1 Jahr |
350 mg/m³ |
NickelNi |
1 Jahr |
20 ng/m³ |
QuecksilberHg (gasf.) |
1 Jahr |
50 ng/m³ |
ThalliumTl |
1 Jahr |
280 ng/m³ |
Diese Beurteilungsmaßstäbe hat das LANUV in der Stellungnahme vom 7. Dezember 2012 als fachlich zutreffend bewertet. Für Stoffe, für die keine Immissionswerte nach der TA Luft festgelegt sind, aber andere Bewertungsmaßstäbe (z. B. LAI-Orientierungswerte) angegeben werden könnten, fehle es an hinreichenden Anhaltspunkten für eine Sonderfallprüfung auch dann, wenn die Emissionen der Anlage für den jeweiligen Schadstoff keinen nennenswerten Beitrag zu der Immissionssituation lieferten. Hiervon sei bei einer Zusatzbelastung durch die gesamte Anlage von weniger als 1 % des zulässigen Immissionswertes oder Bewertungsmaßstabes auszugehen. Die Bewertungsmaßstäbe stimmen mit den vom LANUV bislang angewandten und vom Senat zugrunde gelegten,
447vgl. OVG NRW, Urteile vom 10. Juni 2008 - 8 D 103/07.AK -, ZUR 2008, 492, juris Rn. 105, und vom 9. Dezember 2009 - 8 D 12/08.AK -, DVBl. 2010, 719, juris Rn. 348,
448Beurteilungsmaßstäben weitgehend überein oder liegen ‑ wie bei Ammoniak ‑ darunter.
449Die von der Beigeladenen vorgenommene Bewertung von Kohlenmonoxid über einen Jahresmittelwert hält das LANUV allerdings nicht für zielführend. Für die Prüfung, ob die Durchführung einer Sonderfallprüfung erforderlich sei, sei auf den MUNLV-Erlass zur Sonderfallprüfung vom 7. Februar 2006 und den LAI-Bericht (2004) abzustellen. Danach sei eine Sonderfallprüfung nicht erforderlich, wenn die vorhandenen Erkenntnisse keine Anhaltspunkte für eine mögliche Überschreitung der LAI-Orientierungswerte (8-Stunden-Mittelwert und 30-Minuten-Mittelwert) böten.
450Dass die sachverständige Einschätzung des LANUV unzutreffend ist, ist nicht ersichtlich. Sie entspricht der für die Betroffenen günstigen Irrelevanzbetrachtung bei der Sonderfallprüfung nach Nr. 4.8 TA Luft.
451Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10. Juni 2008 - 8 D 103/07.AK -, ZUR 2008, 492 = juris Rn. 111 ff.; Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band IV, Stand: 1. Februar 2016, Nr. 4.8 TA Luft Rn. 18.
452Gemessen hieran steht das Vorhaben der Beigeladenen in Bezug auf die in der Luft enthaltenen Konzentrationen der Schadstoffe Ammoniak, Arsen, Benzo(a)pyren, Chrom, PCDD/F, Kohlenmonoxid, Nickel, Quecksilber und Thallium mit der Schutzpflicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG in Einklang. Die Zusatzbelastungen betragen im Einzelnen:
453Mittelungszeitraum |
Beurteilungsmaßstab |
Jahreszusatzimmissionen bei einem Mittelungszeitraum von einem Jahr |
Anteil der Jahreszusatzimmissionen am Immissionswert |
|
AmmoniakNH3 |
1 Jahr |
10 µg/m³ |
0,010 µg/m³ |
0,1 % |
Arsen As |
1 Jahr |
6 ng/m³ |
0,031 ng/m³ |
0,5 % |
Benzo(a)pyrenC20H12 (BaP) |
1 Jahr |
1 ng/m³ |
0,006 ng/m³ |
0,6 % |
ChromCr |
1 Jahr |
17 ng/m³ |
0,018 ng/m³ |
0,1 % |
Dioxine/Furane (TE) PCDD/F |
1 Jahr |
150 fg/m³ |
0,158 fg/m³ |
0,1 % |
KohlenmonoxidCO |
1 Jahr |
350 µg/m³ |
0,492 µg/m³ |
0,1 % |
NickelNi |
1 Jahr |
20 ng/m³ |
0,018 ng/m³ |
<0,1 % |
QuecksilberHg |
1 Jahr |
50 ng/m³ |
0,026 ng/m³ |
<0,1 % |
ThalliumTl |
1 Jahr |
280 ng/m³ |
0,004 ng/m³ |
<0,1 % |
Die Zusatzbelastung überschreitet in keinem Fall den Wert von 1 % des Beurteilungswerts. Bei Kohlenmonoxid bestehen auch keine Anhaltspunkte, dass die gesundheitsbezogenen Orientierungswerte für die Sonderfallprüfung des LAI‑Berichts 2004 mit einem 8-Stunden-Mittelwert von 10 mg/m³ und einem 30‑Minuten-Mittelwert von 30 mg/m³ überschritten würden.
455Die prognostizierte Zusatzbelastung für PCDD/F im Staubniederschlag (Deposition) von 0,170 pg/(m²·d) entspricht 1,9 % des Beurteilungswerts in Höhe von 9 pg/(m²·d) im Jahresmittel. Die Zusatzbelastung liegt damit unter der entsprechend anwendbaren Irrelevanzschwelle von 5 % für Depositionen. Nach Auffassung des LANUV in seinen Stellungnahmen vom 7. Dezember 2012 und vom 20. April 2016 stellt ein Immissionswert von 9 pg/(m²·d) den Schutz der menschlichen Gesundheit hinreichend sicher.
456Vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2011 ‑ 8 D 58/08.AK -, ZUR 2012, 342 = juris Rn. 295 ff.
457Erst bei Überschreitung dieses LAI-Orientierungswerts könnten nachteilige gesundheitliche Effekte erwartet werden. Das LANUV hat in der Stellungnahme vom 20. April 2016 ergänzend erklärt, es halte - wie bei den anderen Depositionen - eine Irrelvanzschwelle von 5 % dieses Beurteilungswert für sachgerecht; erst bei Überschreiten dieser Irrelvanzschwelle durch die Zusatzbelastung liege ein Anhaltspunkt für eine Sonderfallprüfung vor.
458Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 1. Dezember 2011 ausgeführt hat, ist im vorliegenden Fall eine Sonderfallprüfung durchgeführt worden, die zu dem Ergebnis geführt hat, dass allein am damaligen Messpunkt 2 aufgrund einer hohen Vorbelastung die Gesamtbelastung für die Deposition den Beurteilungswert von 9 pg/(m²·d) überschritten hat. Die Einschätzung des LANUV, dass gleichwohl keine Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung innerhalb des Beurteilungsgebiets zu erwarten sei, sieht der Senat weiterhin als plausibel an. Bei der hohen Vorbelastung am Messpunkt 2 handelt es sich nicht um ein repräsentatives, sondern um ein - von einem oder mehreren Emittenten hervorgerufenes - lokales Phänomen, das ohne Aussagekraft für die tatsächliche Gefährdungssituation im Umfeld der geplanten Anlage ist. Die an den übrigen Messpunkten für PCDD/F ermittelte Vorbelastung in der Deposition liegt wie die Gesamtbelastung unterhalb des vom LANUV vorgeschlagenen Beurteilungswerts und ist daher irrelevant.
459d) Freisetzung radioaktiver Stoffe
460Der Vorbescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil das Vorhaben aufgrund der mit der Kohleverbrennung verbundenen Freisetzung radioaktiver Stoffe schädliche Umwelteinwirkungen bzw. Gefahren oder erhebliche Nachteile für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG hervorruft. Der Kläger weist insoweit auf internationale Untersuchungen hin, wonach die zusätzliche Strahlenexposition (effektive Dosis) durch die Abgabe radioaktiver Stoffe aus einem Kohlekraftwerk in die Atmosphäre etwa 0,4 µSv betrage. Im Einzelfall könne die Bevölkerung auch effektiven Dosen von bis zu 100 µSv ausgesetzt werden.
461Eine zusätzliche Strahlenexposition in der Größenordnung von 0,4 µSv fällt im Vergleich zu der Hintergrundbelastung nicht ins Gewicht und kann daher vernachlässigt werden. Nach den Angaben des Bundesamtes für Strahlenschutz (www.bfs.de) beträgt die durchschnittliche jährliche effektive Dosis eines Mitglieds der Bevölkerung in Deutschland aktuell (umgerechnet) 2100 µSv. Die jährliche effektive Dosis schwanke je nach den örtlichen Verhältnissen zwischen 1000 und 10000 µSv. Eine Zusatzbelastung von 0,4 µSv entspricht damit einem Anteil von 0,02 % der durchschnittlichen Hintergrundstrahlenbelastung und einem Anteil von 0,04 % bis 0,004 % der örtlich variierenden Hintergrundstrahlenbelastung. Dass vorliegend ein außergewöhnlicher Einzelfall gegeben wäre, ist nicht ersichtlich und hat der Kläger auch nicht behauptet.
462e) Anlagensicherheit (Störfallverordnung)
463Auch unter dem Aspekt der Anlagensicherheit stehen dem Vorhaben keine rechtlichen Hindernisse entgegen. Der Vorbescheid trägt insbesondere den Anforderungen der Störfallverordnung (12. BImSchV) Rechnung.
464Die Störfallverordnung konkretisiert den Schutz der Nachbarschaft vor sonstigen schädlichen Einwirkungen im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 BImSchG. Derartige Einwirkungen sind sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen, die nicht durch Immissionen hervorgerufen werden und nicht im eigentlichen Sinne betriebsbedingt sind. Dazu zählen physische Einwirkungen wie Explosionen, Brandereignisse, Stoffeintrag in Boden oder Gewässer oder Überflutungen.
465Vgl. Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand: 1. Februar 2016 , § 5 BImSchG, Rn. 124 ff.; Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 5 Rn. 27.
466Die 12. BImSchV regelt die Sicherheit des Betriebs technischer Anlagen allerdings nicht umfassend. Ihr Ziel ist es vielmehr, die schwerwiegenden Gefahren abzuwehren, die von bestimmten gefährlichen Stoffen ausgehen können, wenn diese in Betriebsbereichen im Sinne des § 3 Abs. 5a BImSchG freigesetzt werden, entstehen, in Brand geraten oder explodieren.
467Vgl. Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band IV, Stand: 1. Februar 2016, Vorb. 12. BImSchV Rn. 7.
468Ob die 12. BImSchV auf einen Betriebsbereich anzuwenden ist und ob der Betreiber bejahendenfalls nur die Grundpflichten zu erfüllen hat oder ihn darüber hinaus die erweiterten Pflichten nach §§ 9 ff. der 12. BImSchV treffen, hängt nach § 1 Abs. 1 der 12. BImSchV i. V. m. Anhang I Spalten 4 und 5 von Art und Menge der jeweils vorhandenen gefährlichen Stoffe ab. Die erweiterten Pflichten nach §§ 9 ff. der 12. BImSchV gelten nach § 1 Abs. 1 Satz 2 der 12. BImSchV neben den Grundpflichten der §§ 3 ff. der 12. BImSchV nur für die Betriebsbereiche, in denen gefährliche Stoffe in Mengen vorhanden sind, die die in Anhang I Spalte 5 genannten Mengenschwellen erreichen oder überschreiten. Die Grundpflichten der §§ 3 ff. der 12. BImSchV gelten für die Betriebsbereiche, in denen gefährliche Stoffe in Mengen vorhanden sind, die die in Anhang I Spalte 4 genannten Mengenschwellen erreichen oder unterschreiten.
469aa) Das streitbefangene Vorhaben unterliegt nicht den erweiterten Betreiberpflichten der §§ 9 ff. der 12. BImSchV. Der Erstellung eines Sicherheitsberichts nach § 9 Abs. 1 und Abs. 2 der 12. BImSchV i. V. m. Anhang II bedurfte es nicht. Die in den Betriebsbereichen vorhandenen Stoffe erreichen oder überschreiten auch unter Berücksichtigung der sog. Quotientenregelung des Anhangs I Nr. 5 nicht die Mengenschwellen des Anhangs I Nr. 3, Tabelle Spalte 5. In dem Störfallkonzept vom 20. Juni 2013 sind die Stoffe Ammoniak, Ammoniaklösung 15 %, Natriumhypochlorid, Heizöl, Gasöle sowie Sauer- und Wasserstoff mit den jeweils zugehörigen Mengenangaben aufgeführt. Es ist nicht ersichtlich, dass diese Aufstellung unvollständig oder, was die Mengenangaben angeht, unzutreffend wäre. Die Mengenschwelle der Stoffkategorie 2 Spalte 4 der Tabelle des Anhangs I der 12. BImSchV („giftig“) in Höhe von 50.000 kg wird (nur) durch Ammoniak mit einer gelagerten Menge von 103.400 kg überschritten. Die Quotientenregelung kommt nicht zur Anwendung, weil keine weiteren Stoffe der Kategorien 1 und 2 vorhanden sind. Die Quotientensumme der Kategorien 3, 4, 5, 6, 7a und 7b („brandfördernd“, „explosionsgefährlich“, „entzündlich“, „leichtentzündlich“) ist mit einem Wert in Höhe von 0,003373 kleiner als 1. Die Quotientensumme der Kategorien 9a und b („umweltgefährlich“) ist mit einem Wert von 0,772 ebenfalls kleiner als 1. Der insoweit betroffene Anlagenbereich Brennstoffversorgung ist dennoch vorsorglich als sicherheitsrelevant eingestuft worden.
470bb) Ein Verstoß gegen die Grundpflichten der §§ 3 ff. der 12. BImSchV liegt nicht vor. Der Betreiber hat nach § 3 der 12. BImSchV die nach Art und Ausmaß der möglichen Gefahren erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um Störfälle zu verhindern. Bei der Erfüllung dieser Pflicht sind betriebliche Gefahrenquellen, umgebungsbedingte Gefahrenquellen, wie Erdbeben oder Hochwasser, und Eingriffe Unbefugter zu berücksichtigen, es sei denn, dass diese Gefahrenquellen oder Eingriffe als Störfallursachen vernünftigerweise ausgeschlossen werden können. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 der 12. BImSchV hat der Betreiber Maßnahmen zu treffen, damit Brände und Explosionen innerhalb des Betriebsbereichs vermieden werden, nicht in einer die Sicherheit beeinträchtigenden Weise von einer Anlage auf andere Anlagen des Betriebsbereichs einwirken können und nicht in einer die Sicherheit des Betriebsbereichs beeinträchtigenden Weise von außen auf ihn einwirken können.
471Das insoweit zuletzt vorgelegte Störfallkonzept vom 20. Juni 2013 trägt diesen Anforderungen Rechnung und weist auch nach der Einschätzung des LANUV in der Stellungnahme vom 25. Juli 2013 keine Mängel auf. Diese Einschätzung wird durch das Vorbringen des Klägers nicht in Frage gestellt.
472Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 der 12. BImSchV hat der Betreiber vor Inbetriebnahme ein schriftliches Konzept zur Verhinderung von Störfällen auszuarbeiten. Es soll den Gefahren von Störfällen im Betriebsbereich angemessen sein und muss den in Anhang III genannten Grundsätzen Rechnung tragen, vgl. § 8 Abs. 1 Satz 2 der 12. BImSchV. Die Beigeladene ist dieser Pflicht mit ihrem Konzept vom 20. Juni 2013 in ausreichender Weise nachgekommen.
473Ein Störfallkonzept ist angemessen, wenn es einerseits auf die besonderen Verhältnisse in dem konkret betroffenen Betriebsbereich abgestimmt ist und es andererseits keine übermäßigen Aufwendungen verlangt. Vor diesem Hintergrund müssen die Sicherheitsüberlegungen nicht jedem nur denkbaren Risiko nachgehen. Bestimmte Restrisiken sind nicht zu vermeiden. Risiken, die als Gefahren für Mensch oder Umwelt anzusehen wären, müssen jedoch stets berücksichtigt werden. Andere Risiken sollen in das Konzept einbezogen werden, soweit das mit verhältnismäßigem Aufwand möglich ist.
474Vgl. - auch zum Folgenden - Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band IV, Stand: 1. Februar 2016, § 8 der 12. BImSchV Rn. 9.
475Nach Nr. 1 des Anhangs III der 12. BImSchV soll das Konzept zur Verhinderung von Störfällen die Gesamtziele und die allgemeinen Grundsätze des Vorgehens des Betreibers zur Begrenzung der Gefahren von Störfällen umfassen. Eine Behandlung jedes der in Absatz II genannten Details ist nicht erforderlich. Die Nrn. 2 und 3 der Anlage III dürften unmittelbar nur das Sicherheitsmanagementsystem im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 1 der 12. BImSchV betreffen. Auch in dem Störfallkonzept sind die Gefahren durch konkrete Störfälle allerdings in Grundzügen zu ermitteln und zu bewerten. Dies ist hier geschehen.
476(1) Die von dem Ammoniaklager ausgehenden Gefahren wurden in räumlicher Hinsicht ausreichend ermittelt. Das Vorhaben genügt der unionsrechtlichen Verpflichtung des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG des Rates vom 9. Dezember 1996 zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen in der durch die Richtlinie 2003/105/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2003 geänderten Fassung, einen angemessenen Abstand zwischen einem Störfallbetrieb und Wohngebäuden zu wahren.
477Vgl. EuGH, Urteil vom 15. September 2011 ‑ C‑53/10 -, Slg. 2011, I-8311 = juris.
478Der Untersuchungsraum musste nicht in Anlehnung an den Leitfaden der Kommission für Anlagensicherheit „Empfehlungen für Abstände zwischen Betriebsbereichen nach der Störfall-Verordnung und schutzbedürftigen Gebieten im Rahmen der Bauleitplanung - Umsetzung § 50 BImSchG“ von November 2010 (KAS 18) ausgedehnt werden. Die vom Kläger geforderte Erweiterung des Untersuchungsradius auf 580 m mit einer Einbeziehung u. a. der Bahnlinie Datteln-Lünen, der Kreisstraße 1 und weiterer Gewerbebetriebe oder auf 850 m unter Einbeziehung der Lippeauen ist auch nach den Abstandsempfehlungen des Leitfadens KAS 18 nicht geboten. Der Leitfaden KAS 18 findet bei Genehmigungen von Einzelvorhaben keine unmittelbare Anwendung (Leitfaden, S. 7). Seine Abstandsempfehlungen sind Richtwerte für die Bauleitplanung und ihrer Zweckbestimmung nach von typisierender Art (Leitfaden, S. 21); sie stehen daher einzelfallbezogenen Konkretisierungen von Sicherheitsabständen nicht entgegen. Ammoniak ist in dem Leitfaden KAS 18 der Abstandsklasse II (bis 500 m) zugeordnet. Für Planungen in ebenem Gelände und bei mittleren Ausbreitungsbedingungen wird ein Sicherheitsabstand von 398 m empfohlen; je nach den örtlichen Verhältnissen können sich Abweichungen ergeben. Die Annahme des Störfallkonzepts, nach den örtlichen Verhältnissen sei danach ein Abstand von 400 m zu Wohngebäuden, öffentlich genutzten Gebäuden und Gebieten sowie Freizeit- und Naturschutzgebieten ausreichend, erscheint plausibel. Besondere örtliche Bedingungen, die einen größeren Abstand erfordern würden, hat der Kläger nicht dargelegt und sind auch sonst nicht ersichtlich.
479Der Abstand von 400 m wird bis auf drei Ausnahmen eingehalten. Die ausnahmsweise Unterschreitung des Sicherheitsabstandes ist jedoch gerechtfertigt. Das Gefährdungspotential des Betriebsbereichs Ammoniaklager beruht ausweislich des Störfallkonzepts im Wesentlichen auf der Giftigkeit von Ammoniak bei seiner Freisetzung. Eine Freisetzung von Ammoniak werde hier vorrangig dadurch vermieden, dass es in einem geschlossenen System gehandhabt werde. Es sei dennoch eine worst-case-Einzelfallbetrachtung durchgeführt worden, indem man ein Leck in einer flüssigphaseführenden Rohrleitung im Bereich der Entladestation unterstellt habe. Im Sinne einer konservativen Betrachtungsweise sei man trotz des Umstands, dass die Wahrscheinlichkeit einer relevanten Freisetzung außerhalb der Entladestation vernünftigerweise ausgeschlossen werden könne, davon ausgegangen, dass 30 % des Ammoniaks an den Öffnungen des Gebäudes freigesetzt werden. Unter diesen Voraussetzungen werde der PAC2-Toxizitätswert (Protectice Action Criteria) bei mittleren Ausbreitungsbedingungen nur bis zu einer Entfernung von 20 m überschritten, das Immissionsmaximum liege in einem Abstand von 10 m zur Entladestation. Ab einem Abstand von 30 m werde der Wert deutlich unterschritten. Diese Bewertung ist nachvollziehbar. Die lückenlose Einhaltung eines Sicherheitsabstands von 400 m war daher nicht erforderlich.
480(2) Die mit der Entladung der Bahnwaggons mit einer Freisetzung von Ammoniak verbundenen Gefahren wurden ebenfalls umfassend betrachtet und bewertet. Die vorgesehenen Schutzvorkehrungen und -mechanismen sind in dem Störfallkonzept im Detail beschrieben. Es ist nicht ersichtlich, dass diese Maßnahmen unzureichend wären.
481(3) Mögliche Gefahren aufgrund der in unmittelbarer Nähe des Ammoniaklagers verlaufenden Gasleitung sind zu Recht nicht berücksichtigt worden. Nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben der Beigeladenen ist die Gasleitung nicht mehr in Betrieb.
482(4) Das Störfallkonzept hat die von den benachbarten Kohlesilos ausgehenden Brandgefahren unter Hinweis auf die im Brandschutzkonzept vom 23. März 2012 vorgesehenen Maßnahmen zur Verhinderung einer Selbstentzündung der Kohle und zur Branderkennung sowie zur Brandbekämpfung - Überwachung der Temperatur der angelieferten Kohle, hoher Durchsatz der Kohle, Einsatz von Detektoren für Kohlenmonoxid, Methan und Sauerstoffe, Flutung des betroffenen Silos mit Stickstoff im Brandfall - und mit Blick darauf, dass die Ammoniakbehälter erdgedeckt sind und die Entladestation eingehaust ist, zutreffend ausgeschlossen. Es ist nicht ersichtlich, dass es über die Brandschutzmaßnahmen hinaus vernünftigerweise noch genauerer Brandmelder zur Lokalisierung von Brandherden bedürfte. Für die Brandfrüherkennung im Bereich der Kohlesilos kommen bereits Sonderbrandmelder zum Einsatz, die als Gasmelder in der Lage sein sollen, einen Schwelbrand der Kohle bereits in der Entstehungsphase zu detektieren. Auch ein - selbst mit Gefahren verbundenes - Vorhalten von Stickstoff auf dem Betriebsgelände ist entbehrlich. Die kurzfristige Anlieferung des für die Flutung der Kohlesilos im Brandfall erforderlichen Stickstoffes mit Tanklastwagen ist nach den Angaben der Beigeladenen rund um die Uhr gewährleistet. Neben den Siloanlagen befinden sich zudem ausreichend dimensionierte Aufstellflächen für die Tanklastwagen. Im Bereich der Aufstellflächen ist die erforderliche Stromversorgung sichergestellt.
483(5) Die vom Kläger aufgrund des Klimawandels prognostizierten Naturereignisse - heftige Stürme und Hagel - konnten ebenfalls vernünftigerweise außer Betracht bleiben. Das Ammoniaklager ist unterirdisch ausgeführt und daher auch gegenüber ungewöhnlichen meteorologischen Ereignissen unempfindlich. Es ist nicht zu erkennen, dass die Annahme der Beigeladenen, aufgrund der baulichen Ausführung gelte dasselbe auch für das Heizöllager, unzutreffend wäre.
484(6) Auch die Gefahren durch Eingriffe Unbefugter sind in dem Störfallkonzept angemessen beschrieben und bewertet worden. Zwar kann sich aufgrund des Anlagentyps durch den Betrieb einer Anlage ein erhöhtes Risiko von Anschlägen oder Sabotageakten ergeben. Da es sich bei der Terrorbekämpfung jedoch typischerweise um eine Aufgabe der Polizei und nicht um eine private Angelegenheit des Betreibers handelt, steht die Pflicht zur präventiven Vermeidung von Gefahren, die sich aus eigenverantwortlichen rechtswidrigen Handlungen Dritter ergeben, ebenfalls jedenfalls unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit.
485Vgl. Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand: 1. Februar 2016, § 5 BImSchG, Rn. 98.
486Das Störfallkonzept beschreibt solche verhältnismäßigen Maßnahmen des Objektschutzes zur Abwehr politisch motivierter Übergriffe. Als mögliche Ursachen solcher Gefahren werden eine unzulängliche Einfriedung des Betriebsgeländes, eine unzureichende Be- und Überwachung der Anlage und eine unzureichende Einweisung von Betriebsfremden benannt. Dem soll dadurch entgegengewirkt werden, dass der gesamte Betriebsbereich mit einem 2 m hohen Sicherheitszaun umfriedet ist, der nachts beleuchtet wird. Während der Betriebszeiten sei qualifiziertes und ausgebildetes Sicherheitspersonal in ausreichender Zahl vor Ort. Der Zugang zu dem Gelände sei durch eine Eingangskontrolle gesichert. Ferner sollen die hierarchisch geregelten Zugangsberechtigungen insbesondere zu den sicherheitsrelevanten Bereichen sowie eine Sensibilisierung des Personals Gefahren durch Eingriffe von Innentätern vermindern.
487cc) Nach alledem bestehen keine Bedenken, dass die von der Beigeladenen vorgelegten Antragsunterlagen nicht den Anforderungen des § 4 a Abs. 1 Nr. 5 oder des § 4 b Abs. 1 Nr. 2 a und b der 9. BImSchV entsprechen. Nach § 4 a Abs. 1 Nr. 5 der 9. BImschV müssen die Unterlagen Angaben über die mögliche Freisetzung oder Reaktionen von Stoffen bei Störungen im Verfahrensablauf enthalten. Ferner müssen die Unterlagen Angaben enthalten über die vorgesehenen Maßnahmen zum Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vor sonstigen Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen, wie Angaben über die vorgesehenen technischen und organisatorischen Vorkehrungen zur Verhinderung von Störungen des bestimmungsgemäßen Betriebes und zur Begrenzung der Auswirkungen, die sich aus Störungen des bestimmungsgemäßen Betriebes ergeben können, vgl. § 4 b Abs. 1 Nr. 2 a und b der 9. BImSchV. Die Beigeladene hat neben dem Konzept für die Verhinderung von Störfällen auch ein Brandschutzkonzept und ein Explosionsgutachten vorgelegt. Anhaltspunkte für eine Unvollständigkeit dieser Unterlagen bestehen nicht.
4883. (Bau-)Planungsrecht
489Die Einwendungen gegen die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens greifen nicht durch. Gemäß § 30 Abs. 1 BauGB ist ein Vorhaben im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der allein oder gemeinsam mit sonstigen baurechtlichen Vorschriften mindestens Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen enthält (sog. qualifizierter Bebauungsplan), zulässig, wenn es diesen Festsetzungen nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Das Vorhaben liegt im Geltungsbereich eines wirksamen Bebauungsplans im Sinne des § 30 Abs. 1 BauGB (unten a). Es entspricht hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung auch dessen Festsetzungen (unten b) aa)). Die auf § 31 Abs. 2 BauGB beruhenden Befreiungen von den festgesetzten Baugrenzen und der höchstzulässigen Baumassenzahl sind rechtlich nicht zu beanstanden (unten b) bb).
490a) Wirksamkeit des Bebauungsplans
491Das Kohlekraftwerk liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 80 „Stummhafen“ 1. Änderung, bekannt gemacht am 19. März 1983, der alle für einen qualifizierten Bebauungsplan im Sinne des § 30 Abs. 1 BauGB notwendigen Festsetzungen enthält. Er setzt für das gesamte Plangebiet ein Industriegebiet (GI) fest. Gründe für eine Unwirksamkeit dieses Bebauungsplans sind nicht zu erkennen.
492Der Bebauungsplan ist gemäß § 1 Abs. 4 BauGB den Zielen der Raumordnung angepasst (dazu aa). Er ist auch - wie von § 8 Abs. 2 BauGB verlangt - aus dem Flächennutzungsplan entwickelt (dazu bb). Abwägungsmängel, die zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans führen würden, sind nicht erkennbar (dazu cc). Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Bebauungsplan nicht wegen Funktionslosigkeit außer Kraft getreten (dazu dd). Der Bebauungsplan unterlag nicht der Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltprüfung, Umweltverträglichkeitsprüfung oder FFH-Verträglichkeitsuntersuchung. Es besteht auch keine Notwendigkeit, derartige Prüfungen nachträglich durchzuführen (dazu ee). Ebenso wenig besteht eine weitergehende Planungspflicht (dazu ff).
493aa) Der Bebauungsplan verstößt nicht gegen das Anpassungsgebot des § 1 Abs. 4 BauGB. Nach dieser Vorschrift sind die Bauleitpläne den Zielen der Raumordnung anzupassen. Darin kommt ein umfassendes Gebot zu dauerhafter materieller Übereinstimmung der kommunalen Bauleitplanung mit den Rahmenvorgaben der Raumordnungsplanung zum Ausdruck.
494Vgl. Runkel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/ Krautzberger, BauGB, Bd. I, § 1 Rn. 67; BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 2007 - 4 BN 17.07 - BRS 71 Nr. 45 = juris Rn. 9.
495An dieser Übereinstimmung bestehen hier keine Zweifel.
496(1) Der Bebauungsplan steht nicht in Widerspruch zu Zielen der Raumordnung, die sich aus dem Landesentwicklungsplan NRW vom 11. Mai 1995 (GV. NRW. S. 532, im Folgenden: LEP NRW) ergeben. Den in diesem Plan andernorts zeichnerisch festgelegten Standorten für Kraftwerke kommt nicht die Wirkung zu, dass nachgeordnete Planungsträger gehindert wären, auf dem Gebiet der Stadt Lünen ein Kraftwerk auszuweisen.
497Ziele der Raumordnung sind gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Raumordnung abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raumes. Hierzu dürften auch die zeichnerischen Festlegungen von Standorten für die Energieerzeugung im LEP NRW, Teil B, zählen.
498Vgl. OVG NRW, Urteil vom 3. September 2009 ‑ 10 D 121/07.NE -, DVBl. 2009, 1385 = juris Rn. 67.
499Sie enthalten zulässige, gebietsscharfe Zielfestlegungen, die dem überörtlichen Interesse an einer Sicherstellung der Energieversorgung dienen und zu diesem Zweck eine Standortvorsorge treffen. Für das Gebiet der Stadt Lünen sind derartige Standorte im LEP NRW nicht festgelegt. Ausgehend davon besteht auf den nachgeordneten Planungsebenen kein Verbot, auf dem Gebiet der Stadt Lünen einen Kraftwerksstandort vorzusehen bzw. planerisch zu ermöglichen.
500Es spricht viel dafür, dass die landesplanerisch festgelegten Standorte für die Energieversorgung allenfalls als Vorranggebiete im Sinne der aktuellen Regelung des § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 ROG zu verstehen sind, ohne dass ihnen darüber hinaus auch die Wirkung eines Ausschlusses der vorgesehenen Maßnahmen bzw. Nutzungen außerhalb der vorgesehenen Standorte zukommt (sog. Eignungsgebiet, vgl. § 8 Abs. 7 Satz 2, Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 ROG). Mit einer Vorrangplanung werden die festgelegten Bereiche für die vorgesehene Nutzung als Kraftwerksstandorte gegen etwaige entgegenstehende Planungen nachgeordneter Planungsträger an gleicher Stelle gesichert. Eine Ausschlusswirkung für alle anderen Bereiche ist mit derartigen Festlegungen in Raumordnungsplänen nach den genannten Regelungen des Raumordnungsgesetzes nur verbunden, wenn sich dies aus dem Raumordnungsplan unmissverständlich ergibt. Auch der Gesetzgeber des ROG geht von einer rein innergebietlichen Wirkung von Vorranggebieten aus (vgl. § 8 Abs. 7 ROG, ebenso bereits § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 ROG i. d. F. vom 18. August 1997),
501vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. März 2011 ‑ 4 BN 18.10 -, juris Rn. 10, - 4 BN 19.19 -, juris Rn. 13 ff.
502Die landesplanerische Reservierung bestimmter als geeignet angesehener Kraftwerkstandorte und deren Sicherung gegen abweichende Nutzungen setzt nicht zwingend die umfassende Untersuchung des Landesgebiets auf potentiell geeignete Standorte voraus. Eine angemessene und abschließende Abwägungsentscheidung muss sich in diesem Fall vielmehr nur auf den - begrenzten - Inhalt einer Vorrangplanung beziehen. Maßgeblich ist dafür, ob sich die in Aussicht genommenen Bereiche als Kraftwerkstandorte eignen und dort gegenüber anderweitigen Vorhaben durchsetzen sollen.
503Vorliegend waren dem Plangeber des LEP NRW die Raumgebietskategorien „Vorranggebiet“ bzw. „Eignungsgebiet“ zwar in der Terminologie noch unbekannt, weil sie erst mit Wirkung vom 1. Januar 1998 gesetzlich geregelt worden sind. Dem LEP NRW ist aber auch der Sache nach nicht zu entnehmen, dass der Plangeber mit der Festlegung bestimmter Standorte für die Energieerzeugung und flächenintensive Großvorhaben die Planung von Kraftwerken im übrigen Landesgebiet hätte ausschließen wollen. Nach den Erläuterungen des LEP NRW zum Punkt „Energieversorgung“ (D. II. 3 am Ende) sind die dargestellten Kraftwerkstandorte ausdrücklich als „Angebotsplanung“ zu verstehen. Sie sind aus dem ehemaligen Landesentwicklungsplan LEP VI übernommen worden (vgl. D. II. 1. LEP NRW). Der LEP VI vom 8. November 1978 (MBl. NRW 1978 S. 1878) hatte neben 14 Standorten für die industrielle Nutzung vorsorglich 27 Standorte für Energieprojekte landesplanerisch festgelegt. Nach Nr. 5.3 Abs. 1 sowie Nr. 4.3 Abs. 2 LEP VI sollte für Kraftwerksstandorte kein „Darstellungsprivileg“ bestehen. Dieses ehemalige landesplanerische Instrument hatte - ähnlich wie das heutige „Eignungsgebiet“ - die Funktion zu verhindern, dass bestimmte Vorhaben oder Anlagen auf anderen als den tatsächlich ausgewiesenen Flächen verwirklicht werden. Den Festlegungen für Kraftwerke kam demnach eine Konzentrationswirkung, d. h. ein Ausschluss der Nutzung außerhalb der festgelegten Standorte, nicht zu.
504Vgl. Franßen/Grunow, NWVBl. 2016, 11, 14 f., die auch darauf hinweisen, dass der Landesplangeber bei der Übernahme der Standorte in den LEP NRW eine flächendeckende Standortalternativenprüfung nicht durchgeführt habe; so auch Regionalverband Ruhr (RVR), Stellungnahme vom 15. Juli 2014.
505Ungeachtet dessen steht die planerische Ermöglichung eines Kraftwerks am Standort Lünen/Stummhafen auch dann nicht im Widerspruch zum LEP NRW, wenn mit dem 10. Senat des OVG NRW von einer begrenzten „äußeren Verbindlichkeit“ der zeichnerischen Festlegungen von Standorten für die Energieerzeugung ausgegangen wird. Auch nach dieser Auffassung bedeutet die Standortfestlegung im LEP NRW für die nachgeordnete Planung nicht, dass eine Planung an anderer Stelle von vornherein ausgeschlossen wäre. Eine Gemeinde soll danach allerdings im Regelfall an einer Planung an anderer Stelle gehindert sein, wenn der Landesentwicklungsplan im Gemeindegebiet selbst eine Fläche als Kraftwerkstandort in Kenntnis der regionalen Besonderheiten ausgewiesen hat und die Verwirklichung der Planziele an dieser Stelle planerisch nicht ausgeschlossen ist. Insbesondere darf eine Planung in der Umgebung die Realisierung der landesplanerisch gewünschten Flächennutzung nicht beeinträchtigen.
506Vgl. OVG NRW, Urteil vom 3. September 2009 - 10 D 121/07.NE -, DVBl. 2009, 1385 = juris Rn. 82; Franßen/Grunow, NWVBl. 2016, 11, 15.
507Dies ist vorliegend nicht der Fall, da der LEP NRW für das Gebiet der Stadt Lünen keinen Standort für die Energieerzeugung vorgesehen hat. Derartige Standorte werden durch den LEP NRW in der Umgebung etwa für das Gebiet Datteln-Waltrop in westlicher und für das Gebiet Bergkamen in östlicher Richtung festgelegt. Die Stadt Lünen ist demgegenüber mangels einschlägiger Vorgaben in ihrer Planung nicht gebunden.
508(2) Ein dem Bebauungsplan entgegenstehendes Ziel der Raumordnung ergibt sich nicht aus dem am 9. August 2004 bekannt gemachten (GV. NRW. S. 440) Regionalplan für den Regierungsbezirk Arnsberg, Teilabschnitt Oberbereich Dortmund - westlicher Bereich (Dortmund/Kreis Unna/Hamm), im Folgenden: Regionalplan 2004. Das Gelände des Stummhafens ist im Regionalplan 2004 Teil eines großen Bereichs für die gewerbliche und industrielle Nutzung (GIB). GIB-Bereiche dienen der Entwicklung und Sicherung von gewerblich-industriellen Bauflächen, insbesondere für die Unterbringung von emittierenden Industrie-, Gewerbe- und öffentlichen Betrieben sowie diesen zuzuordnenden Einrichtungen und Anlagen (Regionalplan 2004, S. 32). Der fragliche GIB-Bereich umfasst vorliegend auch die Standorte der Unternehmen S. und Inovatherm sowie das STEAG-Kraftwerk. Der Bereich des STEAG-Kraftwerks ist mit dem Piktogramm für „Kraftwerke und einschlägige Nebenbetriebe“ versehen. Hierbei handelt es sich nicht um eine gebietsscharfe Ausweisung einer Fläche für ein bestimmtes Kraftwerk. Vielmehr bietet der Plangeber mit der Anbringung der Zusatzsignatur für Kraftwerke der nachgeordneten Bauleitplanung die gesamte ungeteilte GIB-Fläche (auch) als potentiellen Standort für ein oder mehrere Kraftwerke an (vgl. auch die der zeichnerischen Darstellung beigefügte Legende).
509Diese Art der Darstellung entsprach der Anlage 1 (Planzeichenverzeichnis) der seinerzeit geltenden Verordnung über Gegenstand, Form und Merkmale des Planungsinhalts der Landesentwicklungspläne, Gebietsentwicklungspläne und Braunkohlenpläne (3. DVO zum Landesplanungsgesetz) vom 17. Januar 1995, GV. NRW. S. 144, auf die der Regionalplan (S. 32) Bezug nimmt. Darin waren „Kraftwerke und einschlägige Nebenbetriebe“ - anders als nach der aktuell geltenden Anlage 3 zur Verordnung zur Durchführung des Landesplanungsgesetzes (LPlG DVO) vom 8. Juni 2010, nach der sie unter „GIB für zweckgebundene Nutzungen“ fallen - noch ausdrücklich den allgemeinen Bereichen für gewerbliche und industrielle Nutzungen (GIB) zugeordnet.
510(3) Der Bebauungsplan ist auch nicht bereits wegen fehlender Anpassung an Ziele der Raumordnung in dem vorher geltenden Gebietsentwicklungsplan für den Regierungsbezirk Arnsberg, Teilabschnitt Dortmund-Unna-Hamm (genehmigt am 14. Februar 1984 bzw. 29. Oktober 1984, 4. und letzte Änderung genehmigt mit Erlass vom 26. Oktober 1988) unwirksam geworden. Für diesen Gebietsentwicklungsplan gilt im Ergebnis dasselbe wie unter (2) ausgeführt; insbesondere enthält er für das Gebiet der Stadt Lünen ebenfalls keine gebietsscharfe Darstellung eines Bereichs für ein Kraftwerk. Wie in dem späteren Regionalplan ist auch hier auf dem Gebiet der Stadt Lünen ein den Vorhabenstandort einschließender, größerer Gewerbe- und Industrieansiedlungsbereich ausgewiesen, der am Standort eines bestehenden Kraftwerks zusätzlich über das Piktogramm „konventionelles Kraftwerk“ verfügt. Dies schließt die Planung bzw. Genehmigung weiterer Kraftwerke in dem - lediglich der allgemeinen Größenordnung und annähernden räumlichen Lage nach dargestellten - Gewerbe- und Industrieansiedlungsbereich nicht aus.
511bb) Der Bebauungsplan genügt dem Entwicklungsgebot des § 8 Abs. 2 BauGB. Nach dieser Vorschrift sind Bebauungspläne aus dem Flächennutzungsplan zu entwickeln. Dabei ist auf den zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bebauungsplans geltenden Flächennutzungsplan abzustellen.
512Vgl. Runkel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautz-berger, BauGB, Stand: November 2015, § 8 Rn. 19, 35.
513Es kann dahinstehen, ob es danach maßgeblich auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bebauungsplans Nr. 80 in seiner ursprünglichen Fassung (3. Januar 1980) oder in der Fassung der 1. Änderung (19. März 1983) ankommt. Zu beiden Zeitpunkten war der Flächennutzungsplan der Stadt Lünen vom 27. April 1979 in Kraft, welcher nach Auskunft der Stadt Lünen vom 28. April 2016 für den Bereich des Stummhafens ein GI-Gebiet darstellt. Der Bebauungsplan Nr. 80 „Stummhafen“ stellt sich damit ohne Zweifel als aus diesem Flächennutzungsplan entwickelt dar, da er für diese Fläche ebenfalls ein Industriegebiet (GI) festsetzt.
514Ob der Bebauungsplan mit dem Flächennutzungsplan der Stadt Lünen vom 3. Februar 2006 in der zum Zeitpunkt des Vorbescheids geltenden Fassung vom 12. Februar 2010 (4. Änderung, vgl. Vorbescheid S. 269) in Einklang steht, ist demgegenüber rechtlich unerheblich. Eine fortlaufende Anpassungspflicht rechtswirksam in Kraft getretener Bebauungspläne an spätere Änderungen des Flächennutzungsplans - wie sie § 1 Abs. 4 hinsichtlich der Ziele der Raumordnung begründet - ist gesetzlich nicht vorgesehen. Ungeachtet dessen ist ein Widerspruch auch nicht gegeben, weil die Standortfläche in diesem Flächennutzungsplan gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 9 BauNVO weiterhin als Industriegebiet (GI) dargestellt ist.
515Die Rüge, der Flächennutzungsplan enthalte keine ausdrückliche Aussage zur Zulässigkeit von Großkraftwerken, greift auch unabhängig davon nicht durch. In Industriegebieten gehören generell auch Kraftwerke zu den zulässigen Betrieben (vgl. § 9 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO 1977, sowie unten unter b). Für den Plangeber des - noch grobmaschigen - Flächennutzungsplans besteht kein Zwang, stattdessen die nach § 1 Abs. 2 Nr. 10 BauNVO ggf. auch mögliche Darstellung eines - zweckgebundenen - Sondergebiets für ein Kraftwerk zu wählen. Dies gilt umso mehr, als hier auch der Bebauungsplan nicht von vornherein auf ein Kraftwerk zugeschnitten ist, sondern mit der Festsetzung eines Industriegebiets eine Angebotsplanung für alle danach konkret zulässigen Betriebe darstellt.
516cc) Abwägungsfehler, die zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans führen würden, sind nicht erkennbar.
517(1) Nach § 1 Abs. 7 BauGB sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Das in dieser Vorschrift normierte Abwägungsgebot ist verletzt, wenn eine sachgerechte Abwägung überhaupt nicht stattfindet, wenn in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, wenn die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens ist dem Abwägungserfordernis jedoch genügt, wenn sich die zur Planung berufene Gemeinde im Widerstreit verschiedener Belange für die Bevorzugung des einen und damit notwendigerweise für die Zurückstellung des anderen Belanges entscheidet.
518Vgl. OVG NRW, Urteil vom 3. September 2009 ‑ 10 D 121/07.NE -, DVBl. 2009, 1385 = juris Rn. 120, 121 m. w. N.; BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1974 - 4 C 50.72 -, BVerwGE 45, 309 = juris Rn. 45.
519Gemessen daran zeigt das Klagevorbringen keinen Abwägungsfehler auf. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen das aus dem Abwägungsgebot abgeleitete Gebot der planerischen Konfliktbewältigung vor. Ein Bebauungsplan hat grundsätzlich die von ihm geschaffenen oder ihm zurechenbaren Konflikte zu lösen. Handelt es sich - wie hier - um eine Angebotsplanung, muss die Gemeinde ihrer Prognose diejenigen baulichen Nutzungen zugrunde legen, die bei einer vollständigen Ausnutzung der planerischen Festsetzungen möglich sind. Eine Verlagerung von Problemlösungen aus dem Bauleitverfahren auf nachfolgendes Verwaltungshandeln ist dabei nicht ausgeschlossen. Von einer abschließenden Konfliktbewältigung im Bebauungsplan darf die Gemeinde Abstand nehmen, wenn bei vorausschauender Betrachtung die Durchführung der als notwendig erkannten Konfliktlösungsmaßnahmen außerhalb des Planungsverfahrens auf der Stufe der Verwirklichung der Planung sichergestellt ist. Die Planung darf jedoch nicht dazu führen, dass Konflikte, die durch sie hervorgerufen werden, zu Lasten Betroffener auf der Ebene der Vorhabenzulassung letztlich ungelöst bleiben.
520Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. November 2006 - 4 BN 32.06 -, juris Rn. 10; OVG NRW, Urteil vom 3. September 2009 - 10 D 121/07.NE -, DVBl. 2009, 1385 = juris Rn. 202 ff.
521Nach diesen Maßstäben lässt der Bebauungsplan Nr. 80 der Stadt Lünen in der Fassung der 1. Änderung vom 19. März 1983 keine unzureichende Konfliktbewältigung erkennen. Er setzt für das gesamte, den Vorhabenstandort umfassende Plangebiet ein Industriegebiet (GI) fest. In den textlichen Festsetzungen wird auf den Abstandserlass und die Abstandsliste vom 25. Juli 1974 (MBl. NW. S. 992/SMBl. NW. 280) Bezug genommen und für das Plangebiet festgelegt, dass Anlagen der Abstandsklassen I und II der Abstandsliste ausgeschlossen sind. Der Abwägung hat damit bereits der Abstandserlass in der bei Beschlussfassung über den Bebauungsplan gültigen Fassung der Änderung vom 2. November 1977 (MBl. NW. S. 1688) zugrunde gelegen, welcher in der Abstandsliste die Abstandsklassen eingeführt hat.
522Diese durch § 1 Abs. 5 BauNVO 1977 eröffnete Möglichkeit ermöglicht ähnlich wie die Gliederung von Baugebieten nach § 1 Abs. 4 BauNVO eine planerische Feinsteuerung, die in besonderem Maße dem Umwelt- und Immissionsschutz dient. Zulässig ist danach auch ein Ausschluss bestimmter Betriebe und Anlagen nach Störgraden bzw. Emissionsverhalten und nach den insofern notwendigen Schutzabständen zu Wohnnutzungen, soweit die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt bleibt. Hierbei kann ein Bebauungsplan auf den sog. Abstandserlass und die diesem beigefügte Abstandsliste Bezug nehmen.
523Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. Mai 2014 - 8 A 3002/11 -, juris Rn. 71 ff. m. w. N.; Beschluss vom 27. November 2009 - 8 B 1549/09.AK -, DVBl. 2010, 444 = juris Rn. 100, 101 m. w. N.
524Der Abstandserlass dient dazu, die durch das Aufeinandertreffen von Wohnbebauung und Industrie- bzw. Gewerbebauung entstehenden Nutzungskonflikte durch Festlegung bestimmter Mindestabstände zu lösen. Damit wird dem Trennungsgebot des § 50 BImSchG Rechnung getragen. Die zu erwartenden Konflikte können - wie hier - auch durch negative Festsetzungen bewältigt werden, um so die Störungen und Emissionen der ausgeschlossenen Anlagen - hier der Abstandsklasse I und II nach dem Abstandserlass von 1974 i. d. F. der Änderung von 1977 - zu verhindern. Die Stadt Lünen war dabei nicht verpflichtet, stattdessen - dynamisch - auf den Abstandserlass in seiner jeweils geltenden Fassung zu verweisen. Nach § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB ist für die Abwägung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Bebauungsplan maßgeblich. Die Vorschrift soll verhindern, dass nachträgliche Änderungen der tatsächlichen Umstände bzw. der zugrunde gelegten Vorschriften die Planung der Gemeinde im Nachhinein in Frage stellen. Mit der Beschlussfassung endet die Pflicht der Gemeinde, ihr Abwägungsprogramm an dem jeweils aktuellen Stand der Entwicklung auszurichten.
525Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Februar 1997 ‑ 4 NB 40.96 -, BauR 1997, 590 = juris Rn. 14; Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 214 Rn. 19 m. w. N.
526Der Kläger macht nicht geltend, dass die Abstände zu Wohngebieten, die der der Abwägung zugrunde gelegte Abstandserlass vorsieht, vorliegend nicht eingehalten wären. Sein Vorbringen lässt auch nicht hervortreten, dass der Bebauungsplan unter Berücksichtigung seines vorstehend dargestellten Inhalts und der tatsächlich vorhandenen Abstände zur nächstgelegenen Wohnbebauung Konflikte verursachte, die im Rahmen nachfolgender immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren nicht zu lösen wären. Er rügt zwar, dass für den Bebauungsplan - anders als nach heutigem Recht erforderlich - keine Umweltverträglichkeits- bzw. Umweltprüfung und keine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchgeführt worden seien (dazu näher unter ee)). Das Unterbleiben derartiger, seinerzeit noch unbekannter Prüfungsschritte indiziert aber für sich genommen nicht, dass die in § 1 Abs. 6 BBauGB besonders erwähnten abwägungserheblichen Gesichtspunkte, zu denen auch der Umweltschutz sowie die Erhaltung und Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen (Boden, Wasser, Klima, Luft etc.) bereits gehörten, nicht mit dem ihnen zukommenden Gewicht in der Abwägung berücksichtigt worden wären. Dass der Bebauungsplan ungelöste Konflikte verursacht, ist auch mit den umfangreich begründeten Zweifeln des Klägers an der Einhaltung der immissionsschutz-, naturschutz- und sonstigen umweltrechtlichen Anforderungen durch das genehmigte Steinkohlekraftwerk nicht zu belegen. Denn diese greifen, wie sich aus den vorangegangenen und nachfolgenden Ausführungen ergibt, sämtlich nicht durch.
527(2) Selbst wenn die Festsetzung eines Industriegebiets in Verbindung mit dem Ausschluss von Anlagen der Abstandsklassen I und II der Abstandsliste an einem erheblichen Abwägungsmangel im Sinne von § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB leiden würde, führte dies nicht zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans. Nach Maßgabe des § 233 Abs. 2 Satz 3 BauGB sind für vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung in Kraft getretene Bebauungspläne zwar die vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung geltenden Vorschriften über die Geltendmachung u. a. von Mängeln der Abwägung einschließlich ihrer Fristen weiterhin anzuwenden. Für den im Jahre 1980 bzw. 1983 bekannt gemachten Bebauungsplan kommt daher die Überleitungsvorschrift des § 244 Abs. 2 BauGB (i. d. F. vom 8. Dezember 1986) zur Anwendung. Nach dieser Vorschrift sind Mängel der Abwägung von Bebauungsplänen, die vor dem 1. Juli 1987 bekannt gemacht worden sind, aber unbeachtlich, wenn sie nicht innerhalb von sieben Jahren nach dem 1. Juli 1987 schriftlich gegenüber der Gemeinde geltend gemacht worden sind. Die Unbeachtlichkeit von Abwägungsmängeln tritt dabei unabhängig davon ein, ob in der Gemeinde ein Hinweis auf diese Änderung der Rechtslage erfolgt ist.
528Vgl. OVG NRW, Urteile vom 17. Dezember 2008 - 10 A 3000/07 -, juris Rn. 44 f., und vom 4. September 2008 - 7 A 2358/07 -, juris Rn. 91.
529dd) Der Bebauungsplan ist nicht funktionslos geworden.
530Festsetzungen in einem Bebauungsplan treten im Einzelfall wegen Funktionslosigkeit außer Kraft, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sie sich beziehen, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf absehbare Zeit ausschließt. Insoweit bedarf es nachträglicher rechtlicher oder tatsächlicher Veränderungen, die der Planverwirklichung objektiv entgegenstehen. In diesem Zusammenhang ist nicht nur bezogen auf einzelne Grundstücke im Geltungsbereich zu fragen, ob die betroffene Festsetzung dort noch einen Sinn ergibt. Entscheidend ist vielmehr, ob die jeweilige Festsetzung geeignet ist, zur städtebaulichen Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB im Geltungsbereich des Bebauungsplans einen wirksamen Beitrag zu leisten und die städtebauliche Entwicklung noch in eine bestimmte Richtung zu steuern. Hinzutreten muss weiter ein Maß an Offenkundigkeit des Mangels, das einen Grad erreicht haben muss, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt.
531Den inzwischen eingetretenen Verhältnissen muss es - in Anlehnung an die zu § 44 VwVfG ergangene Rechtsprechung - gleichsam auf die Stirn geschrieben sein, dass eine Verwirklichung der Planung nicht nur bisher und jetzt, sondern auch für die Zukunft auf Dauer ausgeschlossen ist. Allein diese Offensichtlichkeit rechtfertigt es, auf die Durchführung eines förmlichen Aufhebungsverfahrens zu verzichten. Wann von einem solchen Grad der Erkennbarkeit die Rede sein kann, lässt sich nicht abstrakt bestimmen, sondern bedarf einer wertenden Entscheidung unter Berücksichtigung u. a. der Art der Festsetzung, des Maßes der Abweichung und der Irreversibilität der entstandenen tatsächlichen Verhältnisse. Grundsätzlich ist erforderlich, dass sich die bauliche Entwicklung abweichend von dem städtebaulichen Ziel des Bebauungsplans vollzieht. Ein Verlust der städtebaulichen Steuerungsmöglichkeit durch die Festsetzungen eines Bebauungsplans kann daher in aller Regel erst offensichtlich sein, wenn diese einen objektiv erkennbaren Niederschlag - sei es in den Bauten selbst oder in ihrer Nutzung - gefunden hat.
532Vgl. BVerwG, Urteile vom 29. April 1977 - IV C 39.75 -, BVerwGE 54, 5 = juris Rn. 35, und vom 17. Juni 1993 - 4 C 7.91 -, NVwZ 1994, 281 = juris Rn. 19, sowie Beschlüsse vom 17. Februar 1997 - 4 B 16.97 -, BRS 59 Nr. 55 = juris Rn. 4, vom 23. Januar 2003 - 4 B 79.02 -, BRS 66 Nr. 2 = juris Rn. 4, und vom 9. Oktober 2003 - 4 B 85.03 -, BRS 66 Nr. 52 = juris Rn. 9; OVG NRW, Urteile vom 20. Februar 2004 - 10 A 4840/01 -, BRS 67 Nr. 84 = juris Rn. 42 ff., vom 18. Februar 2010 - 10 A 2472/08 -, BRS 76 Nr. 140 = juris Rn. 37, und vom 22. März 2011 - 2 A 371/09 -, juris Rn. 94.
533Für das Vorliegen dieser Voraussetzungen bestehen hier keinerlei Anhaltspunkte. Das geplante Industriegebiet ist am Stummhafen entstanden; namentlich das streitgegenständliche Kraftwerk ist errichtet und in Betrieb. Dass es erst rund 30 Jahre nach Beschlussfassung über den Bebauungsplan realisiert worden ist, führt zu keinem anderen Ergebnis. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass im Plangebiet realisierte konfligierende Nutzungen - etwa eine Wohnbebauung - den Betrieb eines Kohlekraftwerks ausschlössen. Weder die Nutzung durch das Kohlekraftwerk und weitere Gewerbebetriebe (vgl. etwa den kohleverarbeitenden Betrieb der n. Kohlenstäube GmbH), noch die vorherige Nutzung im Gebiet des alten Kohlehafens durch eine Bodenaufbereitungs- und Kohleaufbereitungsanlage stellen die planerische Intention in irgendeiner Weise in Frage.
534ee) Der Wirksamkeit des Bebauungsplans steht nicht entgegen, dass vor der Beschlussfassung keine Umweltprüfung oder FFH-Verträglichkeitsprüfung durchgeführt wurde [(1)]. Es besteht auch keine Notwendigkeit, derartige Prüfungen nachzuholen [(2)].
535(1) Für den Bebauungsplan war keine Umweltprüfung, Umweltverträglichkeitsprüfung oder FFH-Verträglichkeitsprüfung durchzuführen.
536(a) § 14b Abs. 1 Nr. 1 UVPG in Verbindung mit der Anlage 3 Nr. 1.8 zum UVPG begründet heute auch für Angebotsbebauungspläne die Pflicht zur Durchführung einer Strategischen Umweltprüfung (SUP). Hierfür wird gemäß § 17 Abs. 2 UVPG eine Umweltprüfung einschließlich der Überwachung nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs durchgeführt (§ 2 Abs. 4 BauGB i. d. F. der Bekanntmachung vom 23. September 2004, BGBl. I S. 2414). Diese Verpflichtung, die der Umsetzung der Richtlinie 2001/42/EG vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (ABl. L 197, S. 30, Plan-UP-Richtlinie) dient, fand jedoch auf den Bebauungsplan Nr. 80 noch keine Anwendung. Nach den Übergangsvorschriften in § 25 Abs. 8 und 9 UVPG unterliegen Pläne und Programme, deren erster förmlicher Vorbereitungsakt vor dem 21. Juli 2004 erfolgt ist, nur dann den Vorschriften des Teils 3 über die Strategische Umweltprüfung, wenn sie später als am 20. Juli 2006 angenommen oder in ein Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden. Der Bebauungsplan Nr. 80 ist jedoch bereits im Jahr 1980, seine 1. Änderung am 19. März 1983 in Kraft getreten. Eine Erstreckung der während der Ausarbeitung und vor der Annahme eines Plans bestehenden Pflicht zur Umweltprüfung nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie auf diesen Bebauungsplan ist auch unionsrechtlich nicht gefordert. Die Umsetzung in § 25 Abs. 8 und 9 UVPG entspricht im Wesentlichen der in Art. 13 Abs. 3 Plan-UP-Richtlinie getroffenen Regelung über den zeitlichen Anwendungsbereich dieser Verpflichtung. Diese Regelung verlangt in zeitlicher Hinsicht keine weitergehende Anwendung als vom deutschen Gesetzgeber in § 25 Abs. 8 und 9 UVPG geregelt.
537Gemäß Art. 4 Abs. 1 der Plan-UP-Richtlinie muss die Umweltprüfung nach Art. 3 Plan-UP-Richtlinie während der Ausarbeitung und vor der Annahme eines Plans oder Programms oder dessen Einbringung in das Gesetzgebungsverfahren durchgeführt werden. Diese Verpflichtung greift gemäß Art. 13 Abs. 1 und 3 der Richtlinie ausschließlich für die Pläne und Programme, deren erster förmlicher Vorbereitungsakt nach dem 21. Juli 2004 erstellt wurde.
538(b) Aus vergleichbaren Gründen kommt auch von vornherein nicht in Betracht, dass der Bebauungsplan Nr. 80 einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen war. § 17 Abs. 1 UVPG sieht vor, die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) als Umweltprüfung (UP) nach dem BauGB durchzuführen. Das Verhältnis der UP-Pflicht zur UVP-Pflicht kann hier jedoch ebenso dahinstehen wie die Frage, ob der vorliegende Angebotsbebauungsplan überhaupt ein UVP-pflichtiges Projekt ist (§§ 17 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. 2 Abs. 3 Nr. 3 UVPG). Denn jedenfalls ist der zeitliche Anwendungsbereich der UVP-Richtlinie und der diese umsetzenden nationalen Vorschriften nicht eröffnet. Die erste Richtlinie zur UVP (Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten) datiert vom 27. Juni 1985 und sah in Art. 12 Abs. 1 eine Umsetzung binnen drei Jahren vor. Sie ist damit ebenfalls deutlich nach Inkrafttreten der letzten Änderung der Bebauungsplans Nr. 80 der Stadt Lünen in Kraft getreten bzw. verbindlich geworden. § 25 Abs. 4 UVPG i. V. m. § 244 Abs. 2 BauGB enthält lediglich eine Überleitungsregelung für Bebauungsplanverfahren, die ab dem 14. März 1999 förmlich eingeleitet wurde. Ansonsten gelten die allgemeinen Regeln des § 233 Abs. 1, 3 BauGB.
539(c) Auch die nunmehr in § 1a Abs. 4 BauGB (seit der Fassung der Bekanntmachung vom 23. September 2004, BGBl. I, S. 2414) i. V. m. § 34 BNatSchG vorgesehene FFH-Verträglichkeitsprüfung für Bebauungspläne, die ein Natura 2000-Gebiet im Sinne des BNatSchG in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen erheblich beeinträchtigen können, war für den Anfang der 80er Jahre beschlossenen und geänderten Bebauungsplan Nr. 80 noch nicht durchzuführen. Diese Regelungen dienen der Umsetzung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (Richtlinie 92/43/EWG vom 21. Mai 1992, ABl. L 206, S. 7 - FFH-Richtlinie, zuletzt angepasst durch die Richtlinie 2013/17/EU vom 13. Mai 2013, ABl. L 158, S. 193). Für die Umsetzung der ursprünglichen FFH-Richtlinie wurde den Mitgliedstaaten in Artikel 23 eine Frist von zwei Jahren nach Bekanntgabe der Richtlinie gesetzt. Die in Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie geregelte Pflicht zur Durchführung einer FFH-Verträglichkeitsprüfung konnte daher auf den vorliegenden Bebauungsplan, der bereits Jahre vor Bekanntgabe der Richtlinie beschlossen wurde, noch keine Anwendung finden.
540(2) Es besteht auch unter Berücksichtigung des Unionsrechts keine Verpflichtung, den Bebauungsplan Nr. 80, bei dessen Aufstellung die Pflicht zur Durchführung einer Umwelt- bzw. Umweltverträglichkeitsprüfung und einer FFH-Verträglichkeitsprüfung noch nicht galt, vor der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung eines Kraftwerks nachträglich derartigen Prüfungen zu unterziehen bzw. den Bebauungsplan unter Beachtung der aktuell geltenden Vorschriften insgesamt neu aufzustellen.
541Das Urteil des EuGH vom 3. März 2011 - C-50/09 -, Kommission/Irland, gibt die vom Kläger gezogenen Schlüsse nicht her. Darin wurde das irische Planungsrecht für unionsrechtswidrig befunden, weil es keine klaren Bestimmungen darüber traf, wie sich die im Zuge einer Umweltverträglichkeitsprüfung gewonnenen Erkenntnisse in der Genehmigungsentscheidung niederschlagen. In der Urteilsbegründung (vgl. insbesondere Rn. 40) mag der Kläger zu Recht die Klarstellung sehen, dass die Bewertung als letzter Schritt der Umweltverträglichkeitsprüfung materielle und nicht nur prozedurale Bedeutung hat. Hieraus folgt aber nicht, dass die Umwelt(verträglichkeits)prüfung bei der - ihrerseits UVP-pflichtigen - Genehmigung eines Großkraftwerks gerade in einem Verfahren mit planerischem Gestaltungsspielraum - also zusätzlich auch in einem Bebauungsplanverfahren - durchgeführt werden müsste.
542Vgl. auch BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 2013 ‑ 7 C 36.11 -, BVerwGE 148, 15 = juris Rn. 57.
543Auch die Ausführungen im Urteil vom 24. November 2011 in der Rechtssache Kommission/Spanien zur Umweltverträglichkeitsprüfung sind nicht einschlägig. Darin hat der EuGH u. a. entschieden, dass bei der für ein Projekt durchzuführenden Umweltverträglichkeitsprüfung die kumulativen Auswirkungen anderer, bestehender Projekte auf die Umwelt mit zu berücksichtigen sind.
544Vgl. EuGH, Urteil vom 24. November 2011 ‑ C‑404/09 - (Kommission/Spanien), ZUR 2012, 163 = juris Rn. 76 ff., 80; in Deutschland umgesetzt etwa durch § 3c Satz 1 UVPG i. V. m. Anlage 2 Nr. 2 zum UVG, vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 16. März 2016 - 8 A 1577/15 -.
545Aus dieser Rechtsprechung ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht zu schließen, dass Projekte bzw. Pläne, die vor Umsetzung der UVP-Richtlinie bzw. Ablauf der Umsetzungsfrist bestandskräftig genehmigt bzw. rechtswirksam geworden sind, nachträglich selbstständig - d. h. mit potentiellen Auswirkungen auf die bestandskräftige Genehmigung/den rechtsgültigen Plan - einer Umwelt(verträglichkeits)prüfung zu unterziehen sind.
546Eine Verpflichtung zur Durchführung einer nachträglichen FFH-Verträglichkeitsprüfung für den Bebauungsplan besteht im konkreten Fall ebenfalls nicht. Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie ist auf den Bebauungsplan Nr. 80 „Stummhafen“ auch nicht mit Blick auf zukünftige Auswirkungen des Plans anwendbar. Ohne Erfolg beruft sich der Kläger insoweit auf die Aussage des EuGH in der Rechtssache Papenburg, wonach das Ausbaggern einer Fahrrinne der Ems unter den Projektbegriff des Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie falle und der Umstand, dass die in Rede stehende Tätigkeit vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie nach nationalem Recht endgültig genehmigt wurde, als solcher nicht daran hindert, diese Tätigkeit bei jedem Eingriff in die Fahrrinne als gesondertes Projekt im Sinne der Habitatrichtlinie anzusehen.
547Vgl. EuGH, Urteil vom 14. April 2010 - C-226/08 - (Papenburg), EuZW 2010, 222 = juris Rn. 41.
548Dies lässt sich auf Pläne schon nicht übertragen; denn weitere, sukzessive Ausführungen eines Bebauungsplans sind nicht ihrerseits ein „Plan“, sie dürften vielmehr ein „Projekt“ darstellen.
549Einschlägig bleibt aber das Störungs- und Verschlechterungsverbot gemäß Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie. Nach der Rechtsprechung des EuGH fällt die Ausführung eines Projekts, das genehmigt wurde, bevor die Schutzregelung der Habitatrichtlinie aufgrund seiner Ausweisung als Natura 2000-Gebiet für das fragliche Gebiet anwendbar wurde, und daher nicht den Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie über eine Ex-ante-Prüfung unterliegt, gleichwohl unter Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie. Dies gilt gleichermaßen für Pläne, wie der EuGH in seinem jüngsten Urteil zur Dresdner Waldschlösschenbrücke ausdrücklich bestätigt hat.
550Vgl. EuGH, Urteile vom 14. Januar 2016 ‑ C‑399/14 - (Grüne Liga Sachsen u. a.), NVwZ 2016, 515 = juris Rn. 33; vom 14. April 2010 - C-226/08 -, EuZW 2010, 222 = juris Rn. 48 f. und vom 24. November 2011 - C-404/09 -, ZUR 2012, 163 = juris Rn. 124 f.
551Daraus kann sich unter Umständen - nicht automatisch - eine Verpflichtung ergeben, bestehende Pläne oder Projekte nachträglich auf Verträglichkeit mit dem betreffenden Gebiet zu prüfen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Tätigkeit nur dann im Einklang mit Art. 6 Abs. 2 der FFH-Richtlinie steht, wenn gewährleistet ist, dass sie keine Störung verursacht, die die Erhaltungsziele der Richtlinie erheblich beeinträchtigen kann. Im Einzelfall ist daher zu überprüfen, ob eine neue Prüfung eines Plans, der ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung beeinträchtigen könnte, oder eines solchen Projekts die einzige geeignete Maßnahme im Sinne von Art. 6 Abs. 2 der FFH-Richtlinie darstellt, um die Wahrscheinlichkeit oder Gefahr einer Verschlechterung der Lebensräume oder von Störungen von Arten, die sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten, auszuräumen.
552Vgl. EuGH, Urteil vom 14. Januar 2016 ‑ C‑399/14 - (Grüne Liga Sachsen u. a.), NVwZ 2016, 595 = juris Rn. 33 ff., 45.
553Gemessen daran bedarf es hier nicht der Nachholung einer FFH-Verträglichkeitsprüfung für den Bebauungsplan. Eine derartige Verträglichkeitsprüfung stellt vorliegend nicht die einzige geeignete Maßnahme dar, um die Beachtung des Störungs- und Verschlechterungsverbots des Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie zu gewährleisten. Vielmehr ist diesem Ziel bereits dadurch genügt, dass im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren für das streitgegenständliche Kohlekraftwerk eine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchgeführt worden ist. In diesem ‑ ebenso wie in etwaigen weiteren Genehmigungsverfahren für UVP-pflichtige Vorhaben im Geltungsbereich des Bebauungsplans - ist auch zu prüfen, ob das jeweilige Projekt das geschützte Gebiet in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen kann (vgl. Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie). Vor diesem Hintergrund ist eine zusätzliche FFH-Verträglichkeitsprüfung für den ein Industriegebiet festsetzenden Bebauungsplan nicht zwingend notwendig, um das Ziel des Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie zu erreichen.
554Siehe auch Stüer, DVBl. 2010, 245, 246; Krautzberger/Wagner, in: Ernst/Zinkahn/Bielen-berg/Krautzberger, BauGB, § 1a Rn. 259.
555ff) Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen ist - anders als der Kläger meint - auch nicht von einer (weitergehenden) Planungspflicht der Stadt Lünen auszugehen. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. September 2003, auf das der Kläger sich beruft, bezieht sich auf eine gemeindliche Erstplanungspflicht im unbeplanten Innenbereich, die aus § 1 Abs. 3 oder § 1 Abs. 4 BauGB folgen kann. Eine ähnliche Fallgestaltung - Zulassung eines komplexen Vorhabens ohne eine verbindliche Bauleitplanung im Außenbereich - lag dem Urteil des Senats zum Kohlekraftwerk Datteln 4 zugrunde.
556Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. September 2003 ‑ 4 C 14.01 -, BVerwGE 119, 25 = juris Rn. 16 ff., 30 ff.; OVG NRW, Urteil vom 12. Juni 2012 - 8 D 38/08.AK, NuR 2012, 722 = juris Rn. 148 ff.
557Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in der vorgenannten Entscheidung seine grundsätzlichen Aussagen zu einer Planungspflicht auch auf den Fall einer Planänderung bezogen (Rn. 10). Eine strikte Planungspflicht besteht insoweit aber nur, wenn dies aus städtebaulichen Gründen zwingend erforderlich ist.
558Die in den vorgenannten Entscheidungen jeweils angestellten Erwägungen sind im Ergebnis nicht übertragbar auf den Streitfall, in dem dem Vorhaben ein wirksamer und städtebaulich hinreichender Bebauungsplan zugrunde liegt. Weder liegt eine „planlose“ städtebauliche Entwicklung vor, noch sind qualifizierte städtebauliche Gründe von besonderem Gewicht vorgetragen oder erkennbar, die im vorliegenden Fall eine Verdichtung des Planungsermessens der Gemeinde zur strikten Planungspflicht bewirken würden. Der Beklagte weist vielmehr zu Recht darauf hin, dass sich die Realisierung eines Kraftwerks gerade im Rahmen der durch den Bebauungsplan vorgezeichneten Bebauung bewegt. Eine Verpflichtung, Bebauungspläne mit Angebotscharakter bei der Realisierung industrieller Großprojekte durch vorhabenbezogene Pläne zu ersetzen, gibt es nicht. Der Kläger behauptet im Übrigen lediglich pauschal, dass das Vorhaben bodenrechtliche Spannungen verursache, die auf der Grundlage des bestehenden Bebauungsplans im Rahmen des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens nicht bewältigt werden könnten, ohne diesen Vortrag substantiiert zu untermauern. Dass die Rechtsänderungen infolge der Einführung von Umwelt- und FFH-Verträglichkeitsprüfungen nicht zu einer Planänderungspflicht führen, wurde oben bereits dargelegt.
559Ein (weitergehendes) Planungserfordernis besteht auch nicht deshalb, weil den in Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG des Rates vom 9. Dezember 1996 zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen (i. d. F. der Änderungsrichtlinie 2003/105/EG vom 16. Dezember 2003 - Seveso-II-Richtlinie) gestellten Anforderungen auf der Grundlage des bestehenden Bebauungsplans nicht ausreichend Rechnung getragen wäre. Zwar hat der EuGH Art. 12 Abs. 1 Seveso-II-Richtlinie dahin ausgelegt, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, langfristig dem Erfordernis der Wahrung angemessener Abstände zwischen einem Störfallbetrieb und öffentlich genutzten Gebäuden Rechnung zu tragen, auch von Genehmigungsbehörden bei gebundenen Entscheidungen über die Zulassung von Vorhaben zu beachten ist.
560Vgl. EuGH, Urteil vom 15. September 2011 ‑ C‑53/10 -, Slg. 2011, I-8311 = juris.
561Hinsichtlich der Abstände zwischen einem Störfallbetrieb und Wohngebieten, auf die sich Art. 12 Abs. 1 Seveso-II-Richtlinie ebenfalls bezieht, kann nichts anderes gelten. Dies kann einen Koordinierungsbedarf auslösen, dem nicht allein durch eine gebundene Vorhabenszulassung, sondern nur durch eine förmliche Planung entsprochen werden kann.
562Vgl. BVerwG, Urteile vom 24. Oktober 2013 - 7 C 36.11 -, BVerwGE 148, 155 = juris Rn. 58, und vom 20. Dezember 2012 - 4 C 11.11 -, BVerwGE 145, 290 = juris Rn. 35.
563Inwieweit diese zum unbeplanten Innenbereich ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf den Streitfall übertragbar ist, kann dahinstehen. Vorliegend besteht jedenfalls kein planerisch nicht hinreichend bewältigter Koordinierungsbedarf. Es ist nicht ersichtlich, dass die Zulassung des Vorhabens der Beigeladenen auf der Grundlage des bestehenden Bebauungsplans gegen die ‑ wenig konkreten - Abstandsanforderungen von Art. 12 Abs. 1 Satz 2 Seveso-II-Richtlinie, umgesetzt durch § 50 BImSchG, verstößt. Hinsichtlich der vereinzelten Unterschreitungen der Abstandsvorgaben im - normativ nicht verbindlichen - Leitfaden 18 der Kommission für Anlagensicherheit (KAS) kann auf die Ausführungen unter 2. e) bb) (1) Bezug genommen werden.
564b) Vereinbarkeit des Vorhabens mit Bebauungsplan
565Das mithin im Geltungsbereich eines wirksamen Bebauungsplans liegende Vorhaben ist nach §§ 30 Abs. 1, 31 Abs. 2 BauGB zulässig.
566aa) Es widerspricht den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 80 der Stadt Lünen nicht (vgl. § 30 Abs. 1 BauGB), soweit diese die Art der baulichen Nutzung betreffen.
567Der Bebauungsplan setzt für das gesamte Plangebiet ein Industriegebiet (GI) fest. Welche Nutzungen auf der Grundlage dieser Festsetzung im Einzelnen zulässig sind, richtet sich nach der Baunutzungsverordnung (§ 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO). Deren Vorschriften zur Art der baulichen Nutzung werden mit der Festsetzung von Baugebieten Bestandteil des Bebauungsplans. Für den Bebauungsplan Nr. 80 „Stummhafen“ 1. Änderung der Stadt Lünen, der 1982 als Satzung beschlossen worden ist, ist dabei die Baunutzungsverordnung in der Fassung von 1977 maßgeblich.
568Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. Dezember 2008 ‑ 10 A 3000/07 -, juris Rn. 46 f. m. w. N.
569Dahinstehen kann, ob ein der Stromversorgung dienendes Kraftwerk in einem derartigen Baugebiet bereits als öffentlicher Betrieb im Sinne von § 9 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO 1977 zulässig ist. Trägerschaft und Rechtsform dürften hierbei nicht entscheidend sein; maßgeblich ist vielmehr, dass eine öffentliche Aufgabe der Daseinsvorsorge wahrgenommen wird.
570Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Oktober 2007 - 8 B 1340/07 -, ZUR 2008, 97 = juris Rn. 31;Fickert/Fieseler, BauNVO, 12. Aufl. 2014, § 8 Rn. 10.
571Soweit dieser Einordnung bei von Privaten, mit Gewinnerzielungsabsicht betriebenen Anlagen wie dem streitgegenständlichen Kohlekraftwerk nicht zu folgen sein sollte, handelte es sich jedenfalls um einen - erheblich belästigenden - Gewerbebetrieb i. S. v. § 9 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 BauNVO 1977.
572Das Kraftwerksvorhaben entspricht auch der weitergehenden Eingrenzung der zulässigen Betriebsarten durch die textliche Festsetzung unter Nr. 5 des Bebauungsplans Nr. 80 (dazu siehe oben unter a) cc) (1)), da es der Abstandsklasse III zum Abstandserlass 1974/1977 unterfällt. Diese erfasst unter lfd. Nr. 13 der Abstandsliste auch Kraftwerke (Kohle, Öl, Gas) ab 500 Gcal/h (ca. 220 MW).
573bb) Soweit das Vorhaben die im Bebauungsplan getroffenen Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung und den überbaubaren Grundstücksflächen nicht einhält, ist hiervon gemäß § 31 Abs. 2 BauGB in rechtlich nicht zu beanstandender Weise befreit worden; das nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB erforderliche Einvernehmen der Stadt Lünen wurde erteilt.
574(1) Der Bebauungsplan Nr. 80 bestimmt das Maß der baulichen Nutzung u. a. durch Festsetzung der maximalen Baumassenzahl (vgl. §§ 16 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 21 Abs. 1 BauNVO 1977) auf 9,0. Mit einer Baumassenzahl von 11,68 überschreitet das Kraftwerk diese Obergrenze. Gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB kann von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden, die Abweichung städtebaulich vertretbar und auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Diese Voraussetzungen liegen - ungeachtet der Frage, ob der Kläger einen Verstoß überhaupt rügen könnte - jedenfalls vor.
575Die Grundzüge der Planung werden nicht berührt. Durch die unter Mitwirkung der n. Kohlenstäube GmbH eingetragene Vereinigungsbaulast gemäß § 83 BauO NRW wird sichergestellt, dass auf den von ihr erfassten Grundstücken der Beigeladenen und der n. die festgesetzte Baumassenzahl von 9,0 zusammen mit 8,69 unterschritten wird. Die maximal zulässige Baumassenzahl wird damit bezogen auf den gesamten Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 80 eingehalten.
576Die Befreiung ist städtebaulich vertretbar. Dies setzt voraus, dass die Abweichung von der Festsetzung des Bebauungsplans im Rahmen der Aufstellung bzw. Änderung eines Bebauungsplans abwägungsfehlerfrei planbar wäre.
577Vgl. Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 31 Rn. 38.
578Dagegen spricht hier nichts. Öffentliche oder private Belange, die gerade durch die punktuelle Überschreitung der festgesetzten Baumassenzahl beeinträchtigt werden könnten, sind nicht ersichtlich. Der Verweis des Klägers auf die von ihm beanstandeten Umweltauswirkungen des Vorhabens führt zu keinem anderen Ergebnis. Es schon nicht erkennbar, in welchem Zusammenhang diese gerade mit der Überschreitung der Baumassenzahl stehen sollen. Jedenfalls erweisen sich die Umweltauswirkungen des streitgegenständlichen Kohlekraftwerks - wie die vorstehenden und nachfolgenden Ausführungen zeigen - als zulässig. Aus den genannten Gründen ist die Abweichung schließlich auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
579(2) Die Befreiung von den festgesetzten Baugrenzen ist offensichtlich rechtmäßig. Der Beklagte hat im Vorbescheid (S. 209 f., 269) dargelegt, dass die Baugrenzen, von denen befreit wurde, seinerzeit dazu dienten, eine Überbauung des unterirdisch verlaufenden, verrohrten Stellenbachs zu vermeiden; weitergehende städtebauliche Gründe für die Baugrenzen gebe es nicht. Mit der Verlegung des Stellenbachs im Jahre 2006 sei die Festsetzung dieser Baugrenzen, die das Baufeld trennten, obsolet geworden. Es kann dahinstehen, ob die an dieser Stelle festgesetzten Baugrenzen bereits wegen Funktionslosigkeit unwirksam geworden sind und es demnach einer Befreiung nicht einmal bedurfte. Jedenfalls bestehen gegen die gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB erteilte Befreiung keine rechtlichen Bedenken; der Kläger macht dies im Übrigen auch nicht geltend.
5804. Artenschutzrecht
581Dem Vorhaben stehen keine artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG entgegen. Es fehlt insbesondere an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass die Errichtung oder der Betrieb des streitbefangenen Vorhabens zur Tötung oder Verletzung eines oder mehrerer Exemplare der besonders geschützten Art Kreuzkröte führen würde, vgl. § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG. Ein Vorkommen der Kreuzkröte auf der Baustelle ist nicht konkret nachgewiesen worden. Der artenschutzrechtliche Fachbeitrag vom 6. August 2012 behandelt die Kreuzkröte (Bufo calamita) unter Ziff. 6.3.3 (Amphibien) und führt aus, dass während der Baufeldvorbereitung im Rahmen der faunistischen Kartierung 2008 ein einzelner Rufnachweis einer Kreuzkröte erfasst und im westlichen Bereich des Kraftwerksstandorts verortet worden sei. Da der Ruf der Kreuzkröte jedoch bis zu einer Entfernung von 2 km hörbar sei, habe der genaue Standort auf dem Gelände nicht bestimmt werden können. Laichvorkommen der Kreuzkröte seien nicht aufgefunden worden. Auch bei der während der Baumaßnahmen durchgeführten ökologischen Baubegleitung, bei der möglicherweise vorkommende Kreuzkröten und Laich sowie Eidechsen erfasst und umgesetzt werden sollten, seien keine Amphibien festgestellt worden.
582Die artenschutzrechtliche Untersuchung der Arten Flussneunauge und Eisvogel ist dem wasserrechtlichen Erlaubnisverfahren vorbehalten, vgl. unten I. 7.
5835. Umweltverträglichkeitsprüfung
584Der Vorbescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die durchgeführte Umweltverträglichkeitsprüfung unvollständig wäre. Die Belange des nationalen und des globalen Klimaschutzes mussten nicht in die Umweltverträglichkeitsprüfung einbezogen werden.
585Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 4 UVPG umfasst die Umweltverträglichkeitsprüfung die Ermittlung, Beschreibung und Bewertung der unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen eines Vorhabens auf Menschen, einschließlich der menschlichen Gesundheit, Tiere, Pflanzen und die biologische Vielfalt (Nr. 1), auf Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft (Nr. 2), auf Kulturgüter und sonstige Sachgüter (Nr. 3) sowie die Wechselwirkung zwischen den vorgenannten Schutzgütern (Nr. 4). Das weite Verständnis des Begriffs Umweltauswirkungen einschließlich der Wechselwirkungen gebietet eine umfassende und medienübergreifende Untersuchung der von einem Vorhaben ausgehenden Aus- und Einwirkungen. Die Umwelt wird in diesem Zusammenhang als komplexes Wirkungsgefüge aller naturwissenschaftlichen Phänomene begriffen, in das das Vorhaben nicht nur monokausal und in der unmittelbaren Umgebung, sondern regelmäßig multikausal eingreift. Die Umweltverträglichkeitsprüfung muss allerdings auch insoweit (nur) auf den jeweils aktuellen Stand der Wissenschaft und damit auf die bekannten und erforschten Wirkungszusammenhänge abstellen. Werden Erkenntnisgrenzen erreicht, ist die Forderung nach der Ermittlung der Umweltauswirkungen eines Vorhabens - oder nach ihrer Beschreibung und Bewertung - schlechterdings nicht erfüllbar.
586Vgl. - auch zum Folgenden - Kment und Appold, in: Hoppe/Beckmann, UVPG, 4. Aufl. 2012, Einleitung Rn. 15 und § 2 Rn. 20, 35 und 60.
587Vor diesem Hintergrund umfasst der nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UVPG in die Umweltverträglichkeitsprüfung einzubeziehende Umweltfaktor „KIima“ - jedenfalls unter den derzeitigen Erkenntnismöglichkeiten - nicht das globale oder nationale, sondern nur das lokale und regionale Klima.
588Der Begriff Klima bezeichnet allgemein den für ein Gebiet typischen Ablauf der Witterung über einen bestimmten Zeitraum, d. h. den mittleren Zustand der Witterungserscheinungen in einem konkreten geographischen Raum und für eine gewisse Zeitspanne. In räumlicher Hinsicht wird zwischen lokalem, regionalem und globalem Klima bzw. zwischen Mikro-, Meso- und Makroklima unterschieden. Das Makroklima umfasst großskalige Effekte in Bereichen mit einer Ausdehnung von mehr als 500 Kilometern und beschreibt daher auch kontinentale oder globale Zusammenhänge. Das Mesoklima umfasst dagegen Effekte auf Landschaften bis zu einigen hundert Kilometern Ausdehnung, während das Mikroklima sich auf wenige Meter (Zimmer, Gebäude, Wiese) bis auf einige Kilometer (Straßenzug) beschränkt.
589Im Unterschied zu den kleinräumigen Auswirkungen auf das Mikro- und Mesoklima kann die nachteilige Veränderung des nationalen, kontinentalen oder globalen (Makro)Klimas derzeit mangels hinreichender technischer und wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Wirkungszusammenhänge dem Immissionsbeitrag einer einzelnen Anlage nicht zugerechnet werden. Die Auswirkungen eines einzelnen Vorhabens auf dieser räumlichen Ebene sind quantitativ kaum abschätzbar und darstellbar.
590Vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20. Juli 2011 ‑ 10 S 2102/09 -, ZUR 2011, 600 = juris Rn. 57 m.w.N; Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand: 1. Februar 2016, § 5 BImSchG Rn. 82 und in Band IV, Stand: 1. Februar 2016, § 1 a der 9. BImSchV Rn. 6; a. A. unter Hinweis u. a. auf den Verweis des § 5 Abs. 2 BImSchG auf das TEHG: Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 1 Rn. 6c.
591Sie können daher im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsprüfung weder einzelfallbezogen ermittelt noch beschrieben oder bewertet werden. Vor diesem Hintergrund bestehen auch keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Unionsrecht. Der in Art. 3 Abs. 1 Buchstabe d) der Richtlinie 2011/92/EU vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (UVP-Richtlinie) genannte Umweltfaktor „Klima“ weist denselben Projektbezug auf. Auch Art. 3 Abs. 1 der UVP-Richtlinie bestimmt, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung die unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen eines Projekts auf die aufgeführten Faktoren in geeigneter Weise nach Maßgabe des Einzelfalls identifizieren, beschreiben und bewerten soll. Wirkungen, die einer einzelfallbezogenen Beschreibung nicht zugänglich sind, fallen nicht hierunter.
592Diese Auslegung führt nicht zu einem Ausfall des globalen Klimaschutzes auf der Ebene der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten. Die Verringerung der insoweit in erster Linie relevanten Treibhausemissionen soll durch die in der Richtlinie 2003/87/EG vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft geregelten Maßnahmen erreicht werden. Danach bedürfen Tätigkeiten, durch die in besonderem Maße Treibhausgase emittiert werden, einer gesonderten Emissionsgenehmigung; die Betreiber solcher Anlagen unterliegen besonderen Berichts- und Überwachungspflichten in Bezug auf diese Emissionen und sie müssen regelmäßig eine der Höhe ihrer Emissionen entsprechende Anzahl von Berechtigungen (Zertifikaten) vorweisen.
593Siehe dazu auch OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2011 – 8 D 58/08.AK -, ZUR 2012, 372 = juris Rn. 376 ff.
594Es bedarf daher auch nicht der Vorlage der vom Kläger aufgeworfenen Frage an den Europäischen Gerichtshof, ob § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UVPG gegen die UVP-Richtlinie verstößt, wenn die Auswirkungen der von dem Vorhaben ausgehenden Treibhausgasemissionen auf das nationale und globale Klima nicht geprüft werden.
5956. FFH-Verträglichkeitsprüfung
596Der Vorbescheid hat auch zu Recht die Feststellung getroffen, dass das Vorhaben mit den Vorschriften über den Schutz von Flora-Fauna-Habitat-Gebieten vereinbar ist, soweit er nicht unter dem Vorbehalt einer abschließenden verbindlichen Prüfung steht.
597a) Prüfungsmaßstab
598Prüfungsmaßstab ist § 48d LG NRW i. d. F. der Bekanntmachung vom 21. Juli 2000 (GV. NRW S. 568) bzw. - inhaltsgleich - § 34 BNatSchG i. d. F. des Gesetzes vom 29. Juli 2009 (BGBl. I, S. 2542) i. V. m. § 48d LG NRW i. d. F. des Gesetzes vom 16. März 2010 (GV. NRW S. 185).
599Danach sind Projekte, die einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung (Natura 2000-Gebiet) erheblich beeinträchtigen könnten, vor ihrer Zulassung oder Durchführung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen dieses Gebiets zu überprüfen (§ 48d Abs. 2 bis 4 LG NRW bzw. § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG). Zuständig für die Prüfung ist die Behörde, die nach anderen Rechtsvorschriften für die behördliche Gestattung oder Entgegennahme einer Anzeige zuständig ist (§ 48d Abs. 2 LG NRW). Die zur Prüfung der Verträglichkeit erforderlichen Unterlagen hat der Projektträger vorzulegen (§ 48d Abs. 3 LG NRW bzw. § 34 Abs. 1 Satz 3 BNatSchG). Ergibt die Prüfung, dass das Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann, ist es - vorbehaltlich einer nach § 48d Abs. 5 und 6 LG NRW bzw. § 34 Abs. 3 und 4 BNatSchG ausnahmsweise zulässigen Abweichung - unzulässig (§ 48d Abs. 4 LG NRW bzw. § 34 Abs. 2 BNatSchG).
600§ 48d LG NRW und § 34 BNatSchG dienen der Umsetzung des in Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL zugunsten von FFH-Gebieten angeordneten Gebietsschutzes. Die FFH-Gebiete bilden zusammen mit den Europäischen Vogelschutzgebieten gemäß Art. 3 Abs. 1 FFH-RL das Netz "Natura 2000" (vgl. auch § 7 Abs. 1 Nr. 8 BNatSchG).
601Bei der Auslegung und Anwendung dieser nationalen Vorschriften zur Umsetzung des Art. 6 FFH-RL geht der Senat
602- vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2011 ‑ 8 D 58/08.AK - ZUR 2012, 372 = juris Rn. 558 ff., m. w. N. -
603von folgenden Grundsätzen aus:
604aa) Der Begriff des "Projekts" wird weder im Landschaftsgesetz NRW noch im Bundesnaturschutzgesetz noch in der FFH-Richtlinie definiert. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist von dem Projektbegriff der UVP-Richtlinie auszugehen. Danach sind die Errichtung von baulichen oder sonstigen Anlagen sowie sonstige Eingriffe in Natur und Landschaft einschließlich derjenigen zum Abbau von Bodenschätzen als Projekte im Sinne des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL und damit im Wege unionsrechtskonformer Auslegung auch im Sinne des § 48d LG NRW und des § 34 BNatSchG anzusehen.
605Vgl. EuGH, Urteile vom 14. Januar 2010 ‑ C‑226/08 - (Stadt Papenburg), Rn. 38, und vom 7. September 2004 - C-127/02 - (Waddenzee/ Herzmuschelfischerei), Rn. 23 ff.; vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 21. Februar 2011 - 8 A 1837/09 -, NWVBl. 2011, 322 = juris Rn. 25 ff.; zur landwirtschaftlichen Bodennutzung BVerwGE, Urteil vom 6. November 2012 - 9 A 17.11 -, BVerwGE 145, 40 = juris Leitsatz 5 und Rn. 89.
606Auch Projekte, die außerhalb eines Natura 2000-Gebiets realisiert werden sollen, können nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung Anlass für eine Verträglichkeitsprüfung geben. Sie sind gleichfalls auf ihre Vereinbarkeit mit den gebietsbezogenen Erhaltungszielen und Schutzzwecken zu überprüfen, soweit sie geeignet sind, ein Natura 2000-Gebiet ‑ etwa durch Immissionen - erheblich zu beeinträchtigen, also auf den geschützten Raum selbst einwirken und Auswirkungen auf den Lebensraum in den Schutzgebieten - das "Gebiet als solches" - haben.
607Vgl. BVerwG, Urteile vom 19. Mai 1998 - 4 A 9.97 -, BVerwGE 107, 1 = juris Rn. 66, und vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 36; OVG NRW, Urteile vom 3. August 2010 ‑ 8 A 4062/04 -, UPR 2011, 157= juris Rn. 117, vom 30. Juli 2009 - 8 A 2357/08 -, juris Rn. 118, und vom 13. Dezember 2007 - 8 A 2810/04 -, NWVBl. 2008, 271 = juris Rn. 74 (zur Berücksichtigung der FFH-Verträglichkeit im Rahmen der Bauleitplanung).
608bb) Mit dem zentralen Tatbestandsmerkmal der "erheblichen Beeinträchtigungen" knüpfen § 48d Abs. 4 LG NRW und § 34 Abs. 2 BNatSchG an den Wortlaut von Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL an. Pläne oder Projekte können im Sinne dieser unionsrechtlichen Norm das Gebiet erheblich beeinträchtigen, "wenn sie drohen, die für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungsziele zu gefährden".
609Vgl. EuGH, Urteil vom 7. September 2004 - C-127/02 - (Waddenzee/Herzmuschelfischerei), Rn. 49.
610(1) Ob ein Vorhaben zu "erheblichen Beeinträchtigungen" führen kann, ist vorrangig eine naturschutzfachliche Fragestellung, die anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalls beantwortet werden muss.
611Die Bewertung der Ergebnisse der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung durch die Genehmigungsbehörde unterliegt, soweit es um die Beurteilung geht, ob das in Rede stehende Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann, der vollen gerichtlichen Nachprüfung.
612Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 38; OVG NRW, Urteile vom 13. Dezember 2007 - 8 A 2810/04 -, NWVBl. 2008, 271 = juris Rn. 104 f., und vom 11. September 2007 - 8 A 2696/06 -, ZUR 2008, 99 = juris Rn. 52 f., jeweils m. w. N.
613Nach dem Wortlaut des § 48d Abs. 4 LG NRW bzw. des § 34 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 BNatSchG ist eine Verträglichkeit bereits dann nicht gegeben, wenn das Projekt einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen "kann". Dies entspricht der Sache nach dem von Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL vorgegebenen Maßstab. Nach Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL dürfen Projekte nur zugelassen werden, wenn die zuständigen Behörden festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, d. h. wenn sie Gewissheit darüber erlangt haben, dass die Pläne oder Projekte sich nicht nachteilig auf das geschützte Gebiet als solches auswirken. Dies ist dann der Fall, wenn aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass es keine solchen Auswirkungen gibt.
614Vgl. EuGH, Urteil vom 7. September 2004 ‑ C‑127/02 - (Wadenzee/Herzmuschelfischerei), Rn. 61.
615Ein Projekt ist also nicht erst dann unzulässig, wenn die Gewissheit besteht, dass es das betreffende Gebiet erheblich beeinträchtigt. Vielmehr reicht schon die Wahrscheinlichkeit bzw. die Gefahr aus, dass das Gebiet aufgrund des Projekts erheblich beeinträchtigt wird. Unter Berücksichtigung insbesondere des Vorsorgeprinzips liegt eine solche Gefahr dann vor, wenn anhand objektiver Umstände nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Projekt das fragliche Gebiet erheblich beeinträchtigt.
616Vgl. EuGH, Urteile vom 26. Mai 2011 ‑ C‑538/09 ‑ (Kommission ./. Belgien), Rn. 39 m. w. N., und vom 7. September 2004 - C-127/02 - (Waddenzee/Herzmuschelfischerei), Rn. 41 und 44; BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 58.
617Die Vorschrift des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL konkretisiert zusammen mit ihrem Abs. 2 das Vorsorgeprinzip des Art. 191 Abs. 2 Satz 2 AEUV (zuvor: Art. 174 Abs. 2 Satz 2 EGV) für den Gebietsschutz im Rahmen von "Natura 2000".
618Vgl. EuGH, Urteil vom 7. September 2004 ‑ C‑127/02 - (Waddenzee/Herzmuschelfischerei), Rn. 58 und 44; BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 ‑ 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 58; OVG NRW, Urteil vom 13. Dezember 2007 ‑ 8 A 2810/04 -, NWVBl. 2008, 271 = juris Rn. 123.
619Nach Art. 191 Abs. 2 AEUV zielt die Umweltpolitik der Union auf ein hohes Schutzniveau ab und beruht auf den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung, auf dem Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen, sowie auf dem Verursacherprinzip.
620(2) Das unionsrechtliche Vorsorgeprinzip verlangt nicht, die FFH-Verträglichkeitsprüfung auf ein "Nullrisiko" auszurichten. Das wäre schon deswegen unzulässig, weil dafür ein wissenschaftlicher Nachweis nie geführt werden könnte. Verbleibt nach Abschluss einer FFH-Verträglichkeitsprüfung kein vernünftiger Zweifel, dass nachteilige Auswirkungen auf das Schutzgebiet vermieden werden, ist das Vorhaben zulässig. Rein theoretische Besorgnisse begründen von vornherein keine Prüfungspflicht und scheiden ebenso als Grundlage für die Annahme erheblicher Beeinträchtigungen aus, die dem Vorhaben entgegengehalten werden können.
621Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 60.
622Aus dem unionsrechtlichen Vorsorgegrundsatz ergibt sich, dass bestehende wissenschaftliche Unsicherheiten nach Möglichkeit auf ein Minimum reduziert werden müssen. Dies macht die Ausschöpfung aller wissenschaftlichen Mittel und Quellen erforderlich, bedeutet aber nicht, dass im Rahmen einer FFH-Verträglichkeitsprüfung Forschungsaufträge zu vergeben sind, um Erkenntnislücken und methodische Unsicherheiten der Wissenschaft zu beheben. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL gebietet vielmehr nur den Einsatz der besten verfügbaren wissenschaftlichen Mittel. Zur anerkannten wissenschaftlichen Methodik gehört es in diesem Fall, die nicht innerhalb angemessener Zeit zu schließenden Wissenslücken aufzuzeigen und ihre Relevanz für die Befunde einzuschätzen.
623Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 66, unter Hinweis auf die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott zur Rechtssache C-127/02 vom 29. Januar 2004, Rn. 100 ff.
624Daraus folgt ferner, dass für den Gang und das Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung der Sache nach eine Beweisregel des Inhalts gilt, dass die Behörde ein Vorhaben ohne Rückgriff auf Art. 6 Abs. 4 FFH-RL nur dann zulassen darf, wenn sie zuvor Gewissheit darüber erlangt hat, dass dieses sich nicht nachteilig auf das Gebiet als solches auswirkt.
625Wenn bei einem Vorhaben im Rahmen der Vorprüfung (sog. Screening) nach Lage der Dinge ernsthaft die Besorgnis entstanden ist, dass die Wirkfaktoren des Vorhabens aus sich heraus oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen oder Projekten nachteilige Auswirkungen auf das Schutzgebiet haben können, kann dieser Verdacht im Rahmen der eigentlichen Verträglichkeitsprüfung nach alledem nur durch eine schlüssige naturschutzfachliche Argumentation ausgeräumt werden, mit der ein Gegenbeweis geführt wird.
626Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. September 2011 ‑ 7 C 21.09 -, NVwZ 2012, 176 = juris Rn. 40; zur Vorprüfung Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band II, Stand: 15. Dezember 2015, § 34 BNatSchG Rn. 9 ff. m. w. N.,
627Verzichtbar ist eine Verträglichkeitsprüfung daher nur, wenn eine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele bzw. Schutzzwecke offensichtlich ausgeschlossen ist oder aus wissenschaftlicher Sicht keine ernst zu nehmenden Anhaltspunkte in diese Richtung weisen.
628Der Gegenbeweis misslingt zum einen, wenn die Risikoanalyse, -prognose und ‑bewertung nicht den besten Stand der Wissenschaft berücksichtigt, zum anderen aber auch dann, wenn die einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse derzeit objektiv nicht ausreichen, jeden vernünftigen Zweifel auszuschließen, dass erhebliche Beeinträchtigungen vermieden werden. Außerdem ist es zulässig, mit Prognosewahrscheinlichkeiten und Schätzungen zu arbeiten; diese müssen kenntlich gemacht und begründet werden. Ein Beispiel für eine gängige Methode dieser Art ist auch der Analogieschluss, bei dem bei Einhaltung eines wissenschaftlichen Standards bestehende Wissenslücken überbrückt werden. Zur Abschätzung der Auswirkungen des Vorhabens auf die Erhaltungsziele des Gebiets können häufig sogenannte Schlüsselindikatoren verwendet werden. Als Form der wissenschaftlichen Schätzung ist ebenso eine Worst-case-Betrachtung zulässig, die im Zweifelsfall verbleibende negative Auswirkungen des Vorhabens unterstellt; denn diese ist nichts anderes als eine in der Wissenschaft anerkannte konservative Risikoabschätzung. Allerdings muss dadurch ein Ergebnis erzielt werden, das hinsichtlich der untersuchten Fragestellung "auf der sicheren Seite" liegt.
629Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 64 unter teilweiser Bezugnahme auf die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott zur Rechtssache C‑127/02 vom 29. Januar 2004, Rn. 97.
630Derzeit nicht ausräumbare wissenschaftliche Unsicherheiten über Wirkungszusammenhänge sind dann kein unüberwindbares Zulassungshindernis, wenn ein vom Vorhabenträger geplantes oder behördlich angeordnetes Schutzkonzept ein wirksames Risikomanagement entwickelt hat. Wenn durch Schutz- und/oder Kompensationsmaßnahmen gewährleistet ist, dass ein günstiger Erhaltungszustand der geschützten Lebensraumtypen und Arten stabil bleibt, bewegen sich die nachteiligen Wirkungen des Vorhabens unterhalb der Erheblichkeitsschwelle (vgl. auch § 48d Abs. 1 LG NRW). Es macht aus der Sicht des Habitatschutzes keinen Unterschied, ob durch ein Vorhaben verursachte Beeinträchtigungen von vornherein als unerheblich einzustufen sind oder ob sie diese Eigenschaft erst dadurch erlangen, dass Schutzvorkehrungen angeordnet und getroffen werden.
631Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 53 ("Schutz- und Kompensationsmaßnahmen"), und vom 9. Juli 2009 - 4 C 12.07 -, BVerwGE 134, 166 = juris Rn. 27 unter Hinweis auf die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott zur Rechtssache C-239/04 vom 22. April 2006, Rn. 35, sowie Urteil vom 14. April 2010 ‑ 9 A 5.08 -, BVerwGE 136, 291= juris Rn. 57.
632Als wirksam können solche Maßnahmen indessen nur angesehen werden, wenn sie erhebliche Beeinträchtigungen des geschützten Gebiets nachweislich verhindern. Diesen Nachweis zu erbringen ist - entsprechend der vorstehend dargelegten Beweisregel - Sache des Vorhabenträgers. Sämtliche Risiken, die aus Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Maßnahmen oder der Beurteilung ihrer langfristigen Wirksamkeit resultieren, gehen zu Lasten des Vorhabenträgers.
633Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 54; OVG NRW, Beschluss vom 21. Februar 2011 - 8 A 1837/09 -, NWVBl. 2011, 322 = juris Leitsatz 2 und Rn. 57.
634cc) Die Verträglichkeitsprüfung darf sich nicht auf die Prüfung beschränken, ob das Projekt für sich genommen erhebliche Beeinträchtigungen verursachen kann. Nach § 48d Abs. 4 LG NRW, § 34 Abs. 1 BNatSchG und Art. 6 Abs. 3 FFH-RL ist vielmehr auch zu prüfen, ob derartige Wirkungen "in Zusammenwirkung mit anderen Plänen oder Projekten" verursacht werden können.
635Unter welchen Voraussetzungen andere Projekte in eine solche Summationsbetrachtung einzubeziehen sind, ist noch nicht in jeder Hinsicht geklärt.
636(1) Art. 6 Abs. 3 FFH-RL sieht vor, dass Pläne oder Projekte, die ein besonderes Schutzgebiet "einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten", eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen erfordern. Die Europäische Kommission hat hierzu in ihrem Leitfaden "Natura 2000 - Gebietsmanagement - Die Vorgaben des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG" unter Nr. 4.4.3 ausgeführt: Aus mehreren, für sich allein genommen geringen Auswirkungen könne durch Zusammenwirkung eine erhebliche Auswirkung erwachsen. Sinn dieser Bestimmung sei, kumulative Auswirkungen zu berücksichtigen, die sich allerdings oft erst im Laufe der Zeit herausstellten. In diesem Zusammenhang könne man "bis zu einem gewissen Grade" Pläne und Projekte in die Verträglichkeitsprüfung einbeziehen, wenn diese das Gebiet dauerhaft beeinflussten und Anzeichen für eine fortschreitende Beeinträchtigung des Gebiets bestünden. Darüber hinaus sollten bereits genehmigte Pläne und Projekte berücksichtigt werden, die noch nicht durchgeführt oder abgeschlossen wurden, sowie "tatsächlich vorgeschlagene" Pläne und Projekte.
637Erkennbarer Sinn und Zweck der von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL geforderten Summationsbetrachtung ist, auch eine schleichende Beeinträchtigung durch nacheinander genehmigte, für sich genommen das Gebiet nicht erheblich beeinträchtigende Vorhaben zu verhindern. Mit dieser Zielsetzung wäre es nicht vereinbar, sämtliche bereits genehmigten Vorhaben bei der Summationsbetrachtung außer Betracht zu lassen und nur noch das beantragte sowie - etwa durch Erlass eines Vorbescheids - "planerisch verfestigte" Vorhaben in die Ermittlung der Zusatzbelastung einzubeziehen.
638Erst recht unvereinbar mit dem beschriebenen Schutzziel ist die Auffassung, dass ausschließlich das zur Genehmigung gestellte Vorhaben zu betrachten und bei Unterschreiten von 3 % - Bagatellschwellen zulässig sei, eine Summationsbetrachtung also zu unterbleiben habe. Ein solche Sichtweise würde bei - wie hier - in kurzen zeitlichen Abständen nacheinander genehmigten Vorhaben, die jeweils nur eine relativ geringe Zusatzbelastung verursachen, einer "Salamitaktik" den Weg bereiten, die dem Sinn der FFH-Richtlinie, die Erhaltung und Entwicklung der besonderen Schutzgebiete des Europäischen Natura 2000-Netzes auf Dauer zu gewährleisten, zuwiderliefe.
639Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. März 2013 - 9 A 22.11 -, BVerwGE 146, 145 = juris Rn. 68 und Beschluss vom 5. September 2012 - 7 B 24.12 -, NuR 2012, 784 = juris Rn. 12 zu OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 8 D 58/08.AK -.
640Dies gilt umso mehr bei der zusätzlichen Anwendung eines vorhabenbezogenen Abschneidekriteriums (hierzu im Einzelnen unten unter gg)
641(2) Unter welchen Voraussetzungen und in welcher Reihenfolge "tatsächlich vorgeschlagene" oder "planerisch verfestigte" Projekte in die Summationsbetrachtung einzubeziehen sind, bedarf der Konkretisierung. Der Senat geht insoweit von dem „Prioritätsprinzip“ aus und stellt für die zeitliche Reihenfolge auf den Zeitpunkt der Einreichung eines prüffähigen Genehmigungsantrages ab. Dem liegen folgende Überlegungen zu Grunde:
642(a) Problematisch sind insbesondere solche Fälle, in denen die Belastungsgrenze weitgehend ausgeschöpft ist, aber nach der Unterschutzstellung als FFH-Gebiet mehrere neue Projekte hinzutreten, die auf das FFH-Gebiet einwirken und alle zusammen nicht FFH-verträglich sind, sie es aber je einzeln oder in einzelnen Kombinationen wären. In einer solchen Konstellation würde den Vorgaben der Richtlinie jedenfalls entsprochen, wenn keines der Projekte zugelassen würde. Richtlinienkonform ist aber auch eine Vorgehensweise, bei der nur so viele der anstehenden Projekte zugelassen werden, dass eine wesentliche Beeinträchtigung ausscheidet. Im letzteren Fall ist es notwendig, anhand eines bestimmten, hinreichend klaren Kriteriums festzulegen, welche der Vorhaben genehmigungsfähig sind.
643In derartigen Konkurrenzfällen entspricht es, wenn und solange der Gesetzgeber nichts anderes geregelt hat,
644vgl. etwa zum Telekommunikationsrecht: BVerwG, Urteil vom 15. April 1988 - 7 C 48.87 -, BVerwGE 79, 218 = juris Rn. 12; Hess.VGH, Beschluss vom 18. Oktober 2011 - 7 A 438/10.Z -, juris Rn.11; vorrangige Spezialregelungen finden sich etwa auch in §§ 28 LWG NRW, 18 Abs. 1 WG BW, 4 Nds. WG, 122 LWG SH,
645anerkannter Auffassung, dass regelmäßig eine Entscheidung nach Maßgabe des sog. "Prioritätsprinzips" sachgerecht ist. Danach ist - ggf. vorbehaltlich besonderer Einzelfallumstände - die zeitliche Reihenfolge maßgebend, wenn ein geplantes Projekt auf bereits vorhandene Projekte trifft.
646Dieser Grundsatz gilt insbesondere im Immissionsschutz- und Baurecht.
647Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1989 - 7 C 77.87 -, BVerwGE 81, 197 = juris Leitsatz 4 und Rn. 29; zum Prioritätsprinzip vgl. auch OVG M.‑V., Beschluss vom 28. März 2008 - 3 M 188/07 -, BauR 2008, 1562 = juris Rn. 32; Rolshoven, NVwZ 2006, 516, 521 ff.
648Im Planungs- und Planfeststellungsrecht ist das Prioritätsprinzip ebenfalls anerkannt. Danach hat diejenige Planung Rücksicht auf eine hinreichend verfestigte andere Planung zu nehmen, die den zeitlichen „Vorsprung“ hat.
649Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 5. November 2002 - 9 VR 14.02 -, NVwZ 2003, 207 = juris Rn. 9 m. w. N., und vom 14. Mai 2004 - 4 BN 13.04 -, juris Rn. 5; Bay.VGH, Urteil vom 30. November 2006 - 1 N 05.1665 -, juris Rn. 37.
650In gleicher Weise können die Grundsätze des Prioritätsprinzips bei der Summationsbetrachtung im Rahmen einer FFH-Verträglichkeitsprüfung Geltung beanspruchen, wenn in einer gewissen zeitlichen Nähe für mehrere beabsichtigte Projekte Genehmigungsanträge gestellt werden.
651So auch Schütte, NuR 2008, 142, 145 f.; Riese/ Dieckmann, UPR 2009, 371, 375 f.; a. A. (Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme) Reidt, DVBl. 2009, 274, 281.
652(b) In diesen Fällen ist nach Auffassung des Senats der Zeitpunkt maßgebend, in dem der Genehmigungsbehörde ein prüffähiger Antrag vorliegt.
653Für die Einbeziehung anderer Pläne und Projekte in die Summationsbetrachtung kommt es darauf an, dass deren Auswirkungen und damit das Ausmaß der Summationswirkung "verlässlich absehbar" sind. Das soll bei einem Vorhaben wie der Errichtung und dem Betrieb einer Windkraftanlage grundsätzlich erst dann der Fall sein, wenn die hierfür erforderliche Genehmigung erteilt ist.
654Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Mai 2008 - 9 A 68.07 -, Buchholz 406.400 § 34 BNatSchG 2002 Nr. 1 = juris Rn. 21, unter Hinweis auf den Leitfaden des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zur FFH-Verträglichkeitsprüfung im Bundesfernstraßenbau, Ausgabe 2004, S. 49, der allerdings von einer ausreichenden planerischen Verfestigung eines Projekts bereits dann ausgeht, wenn ein Anhörungsverfahren nach § 17 FStrG, § 73 VwVfG oder nach der 9. BImSchV eingeleitet ist; auch Urteile vom 24. November 2011 - 9 A 23.10 -, BVerwGE 141, 171 = juris Rn. 40 (Planfeststellungsverfahren noch nicht eingeleitet), und vom 28. November 2013 - 9 B 14.13 -, DVBl 2014, 237 = juris Rn. 11 (Planfeststellungsantrag noch nicht gestellt).
655Ob sich die gebotene Gewissheit von Summationswirkungen schon zu einem früheren Zeitpunkt ergeben kann, hat das BVerwG in dem Beschluss vom 21. Mai 2008 (a. a. O.) allerdings ausdrücklich offen gelassen.
656Ebenso BVerwG, Urteil vom 14. Juli 2011 ‑ 9 A 12.10 -, NuR 2011, 866 = juris Rn. 81.
657Nach Auffassung des Senats sind die Auswirkungen eines Vorhabens in der Regel schon mit Einreichung eines prüffähigen Antrags hinreichend konkret vorhersehbar. Findet eine Öffentlichkeitsbeteiligung statt, kann spätestens mit Auslegung der Unterlagen davon ausgegangen werden, dass der Antrag prüffähig ist (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 1 der 9. BImSchV).
658Zum Beginn des Anhörungsverfahrens als maßgebliche Zäsur: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, 2010, Rn. 490, sowie Lütkes/Ewer, BNatSchG, 2011, § 34 Rn. 10.
659Ob die Antragsunterlagen inhaltlich überzeugend sind, ist für dieses formale Kriterium unerheblich. Der "prüffähige Antrag" wird auch ansonsten in der Verwaltungspraxis als hinreichend klare zeitliche Zäsur verwendet, etwa um Prioritäten im Zusammenhang mit Lärm- und Luftbeurteilungen festzulegen.
660Vgl. Buckel, "Priorität" und "Vorbelastung" im öffentlichen und zivilen Immissionsschutzrecht, 2009, S. 68 ff. und 79 ff.
661Das Kriterium des prüffähigen Antrags gewährleistet im Übrigen, dass eine Vorrangposition nicht missbräuchlich durch vorschnelles Einreichen unvollständiger Genehmigungsanträge "gesichert" werden kann.
662Wäre demgegenüber der Zeitpunkt der Genehmigungserteilung maßgebend, hinge die Reihenfolge von der - vom Projektträger weitgehend nicht steuerbaren ‑ Dauer des jeweiligen Verwaltungsverfahrens ab. Dies würde zu Zufälligkeiten führen, die weder vom Vorhabenträger noch von der Genehmigungsbehörde hinreichend zu überblicken sind. So sind dem Senat aus seiner Praxis Konstellationen bekannt, in denen ein deutlich später beantragtes „konkurrierendes“ Vorhaben einen Tag vor dem angegriffenen Vorhaben genehmigt wurde, mit der Folge, dass die der (späteren) Genehmigung zu Grunde liegende Summationsbetrachtung obsolet geworden wäre und die Genehmigung bereits bei ihrem Erlass ‑ praktisch nicht erkennbar - rechtswidrig gewesen wäre, würde man auf den Zeitpunkt der Genehmigungserteilung abstellen. Das Kriterium des prüffähigen Antrags vermittelt hingegen unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes die größere Planungssicherheit. Sowohl für Anlagenbetreiber als auch Behörden ist bereits zu Beginn – und nicht erst am Ende – des Verwaltungsverfahrens erkennbar, welche konkreten Projekte zu berücksichtigen und in die gutachterliche Prüfung einzubeziehen sind. Zudem wird verhindert, dass größere Projekte, deren Genehmigungsverfahren erfahrungsgemäß einen längeren Zeitraum beanspruchen, durch andere („kleinere“) emissionsintensive Projekte im Laufe eines aufwändigen Genehmigungsverfahrens faktisch „ausgebremst“ werden.
663Stellt man auf den Zeitpunkt des prüffähigen Antrags ab, führt dies im Übrigen keineswegs zwangsläufig dazu, dass stets mehr konkurrierende Projekte zu berücksichtigen sind, wie die Formulierung des Bundesverwaltungsgerichts, ein Projekt sei „erst“ nach der Zulassungsentscheidung zu berücksichtigen, nahelegen könnte. Vielmehr bleiben nach dem Ansatz des Senats bei der Summationsbetrachtung diejenigen Projekte unberücksichtigt, die zwar inzwischen genehmigt, aber später beantragt worden sind.
664(c) Die mit Einreichung der prüffähigen Unterlagen erreichte Vorrangstellung kann einem Antragsteller durch ein zeitlich nachfolgendes Projekt nicht wieder entzogen werden. Dasjenige Projekt, das als später hinzukommendes bewirken würde, dass die Schwelle zur FFH-Unverträglichkeit überschritten würde, kann nicht genehmigt werden. Das Prioritätsprinzip bewirkt also, dass (erst) das nachfolgende Projekt, das im Zusammenwirken mit den anderen Projekten zu erheblichen Beeinträchtigungen führen würde, nicht genehmigungsfähig ist. Auf diese Weise ist auch gewährleistet, dass ein Vorhabenträger nicht durch außerhalb seiner Sphäre liegende Umstände gezwungen wird, seinen ursprünglich vollständigen Antrag nachträglich zeitaufwändig durch eine neue FFH-Verträglichkeitsstudie zu vervollständigen.
665Diese zeitliche Reihenfolge entspricht den Zielen der FFH-Richtlinie, dass nur solche Projekte zugelassen werden können, die - auch im Zusammenwirken - die FFH-Gebiete nicht erheblich beeinträchtigen.
666(d) Die von einem früheren Projekt einmal erlangte Vorrangstellung wird diesem nicht dadurch genommen, dass die Genehmigung für dieses Projekt von einem Dritten angefochten wird, die Genehmigungen für die zeitlich nachfolgenden (konkurrierenden) Projekte jedoch nicht. Das gilt auch dann, wenn der Vorbescheid oder eine Genehmigung für das vorrangige Projekt auf die Klage eines Dritten oder eines Umweltverbands aufgehoben wird, es sei denn, aus dem Urteil ergibt sich, dass das Vorhaben an dem geplanten Standort endgültig nicht realisiert werden kann. Voraussetzung ist, dass der Vorhabenträger erkennbar an seinem Projekt festhält. Davon ist insbesondere auszugehen, wenn in einem Teilgenehmigungsverfahren nur einzelne Teilgenehmigungen oder der Vorbescheid aufgehoben wurden, andere Teilgenehmigungen hingegen unanfechtbar geworden sind.
667Vgl. bereits OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 8 D 58/08.AK -, ZUR 2012, 372 = juris Rn. 645.
668(e) Der Prioritätsgrundsatz gilt allerdings nur für die Reihenfolge der Projekte als solche. Im Übrigen ist - entsprechend den allgemeinen Grundsätzen - für die Beurteilung der FFH-Verträglichkeit die im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung vorliegende Sach- und Rechtslage maßgeblich. Deshalb müssen im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung nach Einreichen des prüffähigen Antrags ggf. erfolgte Konkretisierungen oder Änderungen bei den zu prüfenden Projekten berücksichtigt werden. In tatsächlicher Hinsicht muss die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung grundsätzlich den aktuellen Zustand, also die bei abschließender behördlicher Beurteilung aktuellen Verhältnisse zugrunde legen. Maßgeblich sind der zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung feststellbare Zustand der Gebiete sowie der bis zu diesem Zeitpunkt konkretisierte Stand der Projekte.
669Das bedeutet, dass von den aktuellen Daten hinsichtlich der Beschaffenheit und Entwicklung der FFH-Gebiete auszugehen ist. Ebenso müssen die in Rede stehenden Critical Loads und - erst recht - naturschutzfachliche Begründungen etwaiger Bagatellschwellen auf den bei der Behördenentscheidung aktuellen Erkenntnisstand bezogen sein.
670Änderungen der Emissions- oder Immissionsprognose aufgrund von Anlagenmodifikationen, Nebenbestimmungen oder Teilverzichtserklärungen sind für die Verträglichkeitsprüfung ebenfalls relevant. Dabei obliegt es zwar grundsätzlich nicht dem jeweiligen Vorhabenträger, Daten in Bezug auf ein anderes Vorhaben zu erheben oder sogar diesbezügliche Gutachten erstellen zu lassen.
671Vgl. Leitfaden des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zur FFH-Verträglichkeitsprüfung im Bundesfernstraßenbau, Ausgabe 2004, S. 50.
672Bei Unklarheiten bezüglich der Auswirkungen eines zeitlich vorrangigen Vorhabens bedarf es aber - in Anlehnung an allgemeine Prognose-Grundsätze - einer Worst-case-Betrachtung, weshalb es durchaus im Interesse des Vorhabenträgers liegen kann, möglichst konkrete Erkenntnisse über die Auswirkungen des vorrangigen Vorhabens zu erlangen.
673(f) Kompensationen, die im unmittelbaren und untrennbaren Zusammenhang mit einem Projekt stehen, sind ebenfalls zu berücksichtigen. Sie sind zwangsläufige Folge und Konsequenz des neuen Projekts und mindern von vornherein die von diesem verursachten Belastungsbeiträge. Dies gilt insbesondere, wenn ein Vorbescheid oder eine (Teil-)Genehmigung solche Maßnahmen ausdrücklich vorsehen und verbindlich absichern.
674dd) Grundsätzlich ist nach alldem jede Beeinträchtigung von Erhaltungszielen (oder Schutzzwecken) erheblich und muss als Beeinträchtigung des Gebiets gewertet werden. Unerheblich sind im Rahmen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL nur Beeinträchtigungen, die kein Erhaltungsziel bzw. keinen Schutzzweck nachteilig berühren. Der abweichende Vorschlag der EU-Kommission, die Erheblichkeitsschwelle erst bei der "Vereitelung von Erhaltungszielen" oder der "Zerstörung essenzieller Gebietsbestandteile" anzusiedeln, hat in der Rechtsprechung des EuGH keine Resonanz gefunden.
675Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 ‑ 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1= juris Rn. 41, unter Bezugnahme auf die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache C-127/02 vom 29. Januar 2004, Rn. 82 ff.
676Prüfungsmaßstab sind dabei allein die Auswirkungen auf die für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Gebietsbestandteile. Mit diesen Tatbestandsmerkmalen wird - im Einklang mit den Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL - die Verknüpfung zu dem konkreten Schutzgebiet und seiner spezifischen Funktion im Rahmen des Netzes "Natura 2000" hergestellt.
677Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 73; vgl. auch EuGH, Urteil vom 26. Mai 2011 - C-538/09 - (Kommission ./. Belgien), Rn. 40.
678Als Erhaltungsziele gelten diejenigen Ziele, die im Hinblick auf die Erhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands eines in Anhang I der FFH-Richtlinie aufgeführten natürlichen Lebensraumtyps oder einer in Anhang II der FFH-Richtlinie aufgeführten Art für ein Natura 2000-Gebiet festgelegt sind. Ein günstiger Erhaltungszustand muss trotz Durchführung des Vorhabens stabil bleiben.
679Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 43, und vom 12. März 2008 - 9 A 3.06 -, BVerwGE 130, 299 = juris Rn. 94.
680Bei einem ungünstigen Erhaltungszustand reicht es nicht aus, diesen zu erhalten; es muss vielmehr sichergestellt sein, dass ein günstiger Erhaltungszustand erreichbar bleibt.
681Der Schutzzweck eines Natura 2000-Gebiets wird gemäß § 48c Abs. 2 LG NRW durch die Schutzausweisung entsprechend den jeweiligen Erhaltungszielen bestimmt. Fehlt es an einem festgelegten Schutzzweck, sind die Erhaltungsziele bis auf weiteres der Gebietsmeldung zu entnehmen; insoweit sind die sog. Standard-Datenbögen auszuwerten.
682BVerwG, Urteile vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 75, und vom 14. April 2010 ‑ 9 A 5.08 -, BVerwGE 136, 291= juris Rn. 30.
683Der Begriff des günstigen Erhaltungszustandes eines Lebensraumtyps bzw. einer Art wird weder im Landschaftsgesetz NRW noch im Bundesnaturschutzgesetz definiert. Insoweit ist auf die Begriffsbestimmungen in Art. 1 Buchst. e) und i) FFH-RL zurückzugreifen.
684BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1= juris Rn. 43.
685Der Erhaltungszustand eines in einem FFH-Gebiet geschützten Lebensraumtyps im Sinne des Anhangs I der FFH-RL wird gemäß Art. 1 Buchst. e) Abs. 2 1. Anstrich FFH-RL als günstig erachtet, wenn "sein natürliches Verbreitungsgebiet sowie die Flächen, die er in diesem Gebiet einnimmt, beständig sind oder sich ausdehnen".
686Davon ausgehend sind Vorhaben, die einen direkten Flächenverlust für einen in den Schutzzweck der Gebietsausweisung einbezogenen Lebensraumtyp bewirken, in besonderer Weise geeignet, das Erhaltungsziel des Gebiets zu gefährden.
687BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1= juris Rn. 50; Halama, NVwZ 2001, 506, 510; Gellermann, NVwZ 2001, 500, 504; zu Bagatellschwellen in Fällen eines direkten Flächenverlusts vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 3. August 2010 - 8 A 4062/04 -, UPR 2011, 157 = juris Rn. 104.
688ee) Das - hier zugrunde gelegte - Konzept der Critical Loads ist als Beurteilungsmaßstab für die FFH-Verträglichkeitsprüfung rechtlich nicht zu beanstanden.
689(1) Das Konzept der Critical Loads ist im Rahmen der UN-ECE-Luftreinhaltekonvention entwickelt worden und wird in Deutschland unter anderem durch die ‑ auch im vorliegenden Verfahren für die Beigeladene tätige - P. -E. GmbH vertreten. Auch das Forschungs- und Entwicklungsvorhaben FE 84.0102/2009 des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung
690- vgl. Balla u. a., Untersuchung und Bewertung von straßenverkehrsbedingten Nährstoffeinträgen in empfindliche Biotope. Bericht zum FE-Vorhaben 84.0102/2009 der Bundesanstalt für Straßenwesen, in: Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, 2013, Heft 1099 (BASt-Bericht) sowie Kurzbericht zu FE 84.0102/2009/Straßenverkehrsbedingte Nährstoffeinträge in empfindliche Biotope -
691hat diesen Ansatz als geeigneten Beurteilungsmaßstab für die FFH-Verträglichkeitsprüfung übernommen.
692Vgl. BASt-Bericht, S. 187 ff.
693(2) Critical Loads bestimmen naturwissenschaftlich begründete Belastungsgrenzen für Vegetationstypen oder andere Schutzgüter, bei deren Einhaltung eine Luftschadstoffdeposition nach derzeitigem Erkenntnisstand auch langfristig keine signifikant schädlichen Effekte erwarten lässt („no-effect“-Werte). Critical Loads für eutrophierende Stickstoffeinträge und für versauernde Stickstoff- und Schwefeleinträge werden üblicherweise in Kilogramm pro Hektar und Jahr (kg N/[ha*a]) bzw. als Stoffmengen-Äquivalente pro Hektar und Jahr (eq [N+S]/[ha*a]) angegeben.
694Vgl. hierzu und zum Folgenden: BASt-Bericht, S. 114 ff.
695(3) Critical Loads werden empirisch ermittelt oder in Berechnungen modelliert.
696Empirische Critical Loads sind in erster Linie die im sogenannten Manual des ICP Modelling & Mapping veröffentlichten Ergebnisse der Arbeitsgruppe Bobbink ‑ auch „Berner Liste“ -, die auf Erfahrungen und Felduntersuchungen beruhen und für repräsentative europäische Vegetationstypen Spannbreiten der Critical Loads für eutrophierende Stickstoffeinträge benennen. Das LANUV hat im Jahre 2012 hierauf aufbauend eine an die lokalen Bedingungen in Nordrhein-Westfalen angepasste Liste mit empirischen Critical Loads für eutrophierende Stickstoffeinträge erstellt. Entsprechende Listen mit empirischen Critical Loads für versauernde Stoffeinträge existieren nicht.
697Bei der Modellierung von Critical Loads für eutrophierende und versauernde Einträge unterscheidet man zwischen dynamischen Modellen und dem sog. Steady-State-Modell.
698(a) Dynamische Modelle - wie das sog. DECOMP-Modell - simulieren zeitliche Abfolgen der wichtigsten Prozesse im Ökosystem in Reaktion auf eine retrospektive oder/und prognostizierte Zeitreihe von Stoffeintragsraten oder anderer Umweltfaktoren. Ein Vorteil dieser Modelle ist, dass Veränderungen des ökosystemimmanenten Stoffkreislaufes durch Stoffeinträge in der Vergangenheit berücksichtigt werden können. Allerdings sind sie aufgrund der hohen Anzahl der einzustellenden Parameter sehr aufwändig.
699(b) Der Steady-State-Ansatz zielt auf die langfristige Erhaltung eines bestehenden natürlichen (Fließ-)Gleichgewichts im Zusammenwirken mit einem ungestörten Wasser- und Energiehaushalt. Die Critical Loads sollen nachhaltig stabile Standortbedingungen für die Existenz einer naturnahen oder halbnatürlichen Pflanzengesellschaft sichern. Die auch im Manual des ICP Modelling & Mapping empfohlene Einfache-Massenbilanz-Methode („Simple-Mass-Balance“, SMB) geht davon aus, dass langfristige Stoffeinträge in ein Ökosystem (nur) in der Höhe erfolgen dürfen, in der sie durch gegenläufige ökosysteminterne Prozesse gepuffert, gespeichert oder aufgenommen bzw. in unbedenklicher Größe aus dem System heraustragen werden. In Eintrags-Austrags-Rechnungen werden den eutrophierenden Stickstoffdepositionen die stickstoffspeichernden, ‑verbrauchenden und -austragenden Prozesse im Ökosystem und den versauernd wirkenden Stoffeinträgen die gesamte Säureneutralisierungskapazität gegenübergestellt. Sowohl die vom Umweltbundesamt veröffentlichten als auch die im o. a. Forschungs- und Entwicklungsvorgaben im Anhang I für eine große Anzahl von Vegetationsgesellschaften dargestellten Critical Loads für versauernde Stoffeinträge wurden mit Hilfe des SMB-Modells modelliert. Im Rahmen des BASt-Forschungsvorhabens habe man sich auf der Grundlage der durchgeführten fachlichen Diskussion für die Verwendung dieses Modells entschieden. Dem Nachteil, dass dynamische Ökosystementwicklungen nicht betrachtet werden, stünden die im Vergleich zu dem DECOMP-Modell einfachere rechnerische Nachvollziehbarkeit und breitere Akzeptanz in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit als Vorteile gegenüber.
700Vgl. BASt-Bericht, S. 128 ff., und 130 ff.
701Nach der Einschätzung des BASt-Berichts bieten die mit dem SMB-Modell berechneten Critical Loads genaue standortspezifische Erkenntnisse zur Belastung geschützter Lebensraumtypen. Erfolge im Einzelfall allerdings keine Modellierung oder werde nicht auf die im Rahmen des Forschungs- und Entwicklungsvorhaben modellierten Critical Loads für eutrophierende Stickstoffeinträge zurückgegriffen, komme weiter die Verwendung der empirischen Critical Loads in Betracht.
702Vgl. BASt-Bericht, S. 126 ff., 204.
703(c) Das SMB-Modell greift bei der Ermittlung der standort- und vegetationstypischen Critical Loads - wie das DECOMP-Modell - auf das sog. BERN-Modell zu. Das BERN-Modell (BERN = Bioindication for Ecosystem Regeneration towards Natural conditions) ist eine Datenbank mitteleuropäischer Arten und Pflanzengesellschaften, die die jeweilige ökologische Nische abiotischen Standortparametern zuordnet. Es basiert auf Erkenntnissen, wonach sich die biologischen Ökosystem-Komponenten an ein standorttypisches harmonisches Nährstoffverhältnis (Stickstoff, Phosphor, Kohlenstoff, basische Kationen wie Kalzium, Kalium und Magnesium) über Jahrtausende evolutionär angepasst haben. In der Datenbank sind bezogen auf Arten und Pflanzengesellschaften jeweils Daten über Basensättigung, Kohlenstoff/Stickstoff(C/N)-Verhältnis im Oberboden, Bodenfeuchte, Vegetationszeitlänge und Kontinentalitätsindex anhand von Erhebungen zu Vegetationsaufnahmen zu langfristig stabilen Standorttypen und Pflanzengesellschaften ausgewertet. Die BERN-Datenbank wird fortlaufend ergänzt. Mit Hilfe des BERN-Modells kann die Empfindlichkeit der maßgeblichen Bestandteile von FFH-Lebensraumtypen gegenüber Veränderungen verschiedener abiotischer Standorteigenschaften quantifiziert bewertet werden. Für die Critical-Load-Berechnung werden zunächst die charakteristischen Pflanzengesellschaften der FFH-Lebensraumtypen ihren Referenz-Standorten und dann die Referenz-Standortparameter bestimmten Standorttypen zugeordnet, die einen günstigen Erhaltungszustand, d. h. optimale Existenzbedingungen für die charakteristische Pflanzengesellschaft ermöglichen. Aus diesen Standorttypen werden die bodenchemischen und pflanzenphysiologischen Schwellenwerte (Critical Limits) für eutrophierende und versauernde Effekte abgeleitet, die wiederum wesentliche Parameter der Eingangsdaten (z. B. Immobilisierungsrate, Denitrifikationsrate, tolerierbare Stickstoff-Auswaschrate mit dem Sickerwasser, Depositionsrate basischer Kationen, Freisetzungsrate basischer Kationen durch Verwitterung des Ausgangsubstrats, Aufnahmerate von basischen Kationen und Stickstoff in die Vegetation) der Berechnung der Belastbarkeitsgrenzen (Critical Loads) sind. Der Referenzzustand der Modellierung entspricht einem idealtypischen Zustand des Stickstoffhaushalts, der aus Vorsorgegründen die Kriterien des günstigen Erhaltungszustands übererfüllt.
704Vgl. BASt-Bericht, S. 135, 157 ff.
705Für die Einzelfallermittlung von Critical Loads ist nach alledem die möglichst sichere Bestimmung der Critical Limits und der sonstigen, nicht-kritischen Parameter erforderlich. Die Eingangsdaten des Modells haben unterschiedlich starken Einfluss auf die Höhe des Critical Loads. Die kritischen Schwellenwerte - die Critical Limits – werden modellbedingt an der Grenze des Optimumplateaus der ökologischen Nische der Pflanzengesellschaft bzw. an der Grenze der bodentypischen (geo)chemischen Pufferbereiche angesetzt. Sie charakterisieren das Ökosystem bei 100 % Regenerierungspotenzial an der Schwelle einer möglichen Abnahme der optimalen Existenzmöglichkeit einzelner charakteristischer Arten und sind daher kaum variabel. Demgegenüber sind die nicht kritischen Parameter in der Regel Mittelwerte der jeweiligen Spannen der einem Standort- und Vegetationstyp zugeordneten Werte. Wesentliche Eingangsgrößen, die diese Parameter bestimmen, sind die Niederschlagssumme im Jahr, die Jahresmitteltemperatur und der Biomasseentzug. Die entsprechenden Werte können standortbedingt deutlich variieren und haben signifikanten Einfluss auf den Critical Load.
706Vgl. BASt-Bericht, S. 196.
707Die Eingabeparameter des Modells sind zwar als Bestandteile der anerkannten wissenschaftlichen Methode als solche nicht selbständig angreifbar.
708Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. April 2014 ‑ 9 A 25.12 -, BVerwGE 149, 289 = juris Rn. 44.
709Sie müssen jedoch zutreffend ermittelt und verwendet worden sein.
710(d) Spiegeln die in der Modellierung der Critical Loads verwendeten Parameterwerte ausnahmsweise nicht die realen Bedingungen des konkreten Standorts wider, kommt dem Critical Load eine allenfalls eingeschränkte Aussagekraft bezüglich der Beeinträchtigung der Lebensraumtypen zu. Ob die zusätzlichen eutrophierenden oder versauernden Stoffeinträge zu einer Beeinträchtigung der Lebensraumtypen führen, ist dann im Rahmen einer Sonderfallprüfung zu ermitteln.
711Vgl. BASt-Bericht, S. 200 und 205 ff.
712Ein solcher Ausnahmefall liegt bei irreversibel geschädigten Böden vor. Das SMB-Modell führt hier mit dem Maßstab eines sehr guten Erhaltungszustands nicht mehr zu angemessenen Ergebnissen und das weitere Vorgehen muss mit der zuständigen Naturschutzbehörde abgestimmt werden. Eine solche Situation liegt bei stark gestörten Pflanzengesellschaften mit deutlich unvollständigem Arteninventar vor. Ein erster Anhaltspunkt hierfür ist eine Artenausstattung im Erhaltungszustand C. Eine nachhaltig gestörte Situation kann auch bei irreversibel endversauerten Standortverhältnissen, d.h. bei pH(H2O)-Werten von kleiner als 3,2, vorliegen.
713Die Anwendung eines höheren als des berechneten Critical Loads kommt dagegen in Betracht, wenn sich ein Lebensraumtyp mit einem guten Erhaltungszustand auf einem bereits degradierten Standort befindet, d.h. wenn der idealtypische Pufferbereich verbraucht und der nächstfolgende Pufferbereich erreicht ist mit der Folge, dass sich ein neuer Gleichgewichtszustand von Freisetzungsrate der basischen Kationen aus der Verwitterung des Ausgangssubstrats zu Aufnahme- und Auswaschungsrate eingestellt hat - und der aktuelle Zustand des Bodens und der Vegetation als ausreichend günstig erachtet wird.
714Die Durchführung einer Sonderfallprüfung ist ferner zum einen für Standorte geboten, die bereits stickstoffgesättigt sind, deren Lebensraumtypen jedoch in einem guten Erhaltungszustand sind. Zum anderen bedarf es einer Sonderfallprüfung an Standorten mit einer außerordentlichen, nicht in der Modellierung der Critical Loads berücksichtigten Stickstoffdynamik. Diese kann etwa auf dem bodenspezifischen Wasserhaushalt oder dem natürlichen Stickstoffreichtum des Standorts beruhen, und dazu führen, dass zusätzliche eutrophierende Stickstoffeinträge entweder ausnahmsweise nur unmaßgeblich Einfluss auf den Erhaltungszustand der Lebensraumtypen haben oder - bei einer Störung dieser Dynamik - ausnahmsweise beeinträchtigend wirken. Dasselbe gilt, wenn der konkrete Standort eine außergewöhnliche bodenspezifische Dynamik gegenüber versauernden Stoffeinträgen aufweist.
715(e) Der Senat geht mit dem Bundesverwaltungsgericht,
716vgl. Urteil vom 23. April 2014 - 9 A 25.12 -, BVerwGE 149, 289 = juris Rn. 37; S. auch: OVG Nds., Urteil vom 22. April 2016 - 7 KS 27/15 -,juris Rn. 138 ff. sowie Hess. VGH, Urteil vom 25. Februar 2016 - 9 A 245/14 - , Rn. 95 und 106,
717davon aus, dass der BASt-Bericht im Grundsatz aktuell die besten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu dem Konzept der Critical Loads und zu der Ermittlung der Belastungsgrenzen für geschützte Lebensraumtypen enthält. Das Forschungs- und Entwicklungsvorhaben diente der Entwicklung einer Methode zur Erfassung und Bewertung von Stickstoffeinträgen im Rahmen von FFH-Verträglichkeitsprüfungen für den Neu- oder Ausbau von Straßen. Es gibt einen aktuellen Überblick zum Wissensstand zu den Critical Loads und leitet daraus ‑ auch für die versauernden Stoffeinträge - methodische Empfehlungen ab. An dem Vorhaben haben ausgewiesene Fachleute mitgearbeitet. Zur Konventionsbildung wurden zudem weitere Expertengespräche durchgeführt. Neben regelmäßigen Treffen des Fachbetreuerkreises fanden zwei Sitzungen eines projektbegleitenden Arbeitskreises und ein zweitägiges Expertengespräch mit ausgewählten externen Wissenschaftlern und Fachleuten aus der Genehmigungspraxis statt. Die Fachleute gehen übereinstimmend davon aus, dass die vorgeschlagenen Konventionen auch für andere Projekttypen gelten sollen.
718Vgl. Balla u. a., Kurzbericht zu FE 84.0102/ 2009/Straßenverkehrsbedingte Nährstoffeinträge in empfindliche Biotope, BASt-Bericht, S. 356.
719(f) Das Vorbringen des Klägers stellt die grundsätzliche Eignung der Critical Loads und im Wesentlichen auch die methodischen Empfehlungen des BASt-Berichts nicht in Frage. Die im Rahmen des Forschungsvorhabens gewonnenen Erkenntnisse bestätigen vielmehr, dass die lebensraumtypspezifischen Auswirkungen von Stoffeinträgen mit Hilfe von Critical Loads sachgerecht bewertet werden können und es nicht zwingend umfassender vegetationskundlicher Untersuchungen sowie Stoffhaushaltsuntersuchungen bedarf, um die Belastungsgrenze eines Lebensraumtyps valide einzuschätzen. Keiner der Teilnehmer des Fachgesprächs hat dem Critical-Loads-Ansatz widersprochen; es wurde im Gegenteil ganz überwiegend von dessen grundsätzlicher Eignung auch für FFH-Verträglichkeitsuntersuchungen ausgegangen. Auch wenn dieser Ansatz selbstverständlich der ständigen fachwissenschaftlichen Überprüfung unterliege, basiere er auf dem aktuellen Stand des Wissens und sei derzeit als der beste Lösungsansatz anzusehen.
720Vgl. BASt-Bericht, S. 344 f.
721Auch die vom Kläger gegen das in das SMB-Modell implementierte sog. BERN-Modell gerichteten Bedenken greifen nicht durch. Der Kläger hat insoweit insbesondere bemängelt, dass die Referenzstandorte sich nicht mehr in einem naturnahen Zustand befänden und die den Standortfaktoren zugeordneten Wertespannen nicht den neuesten Erkenntnissen entsprächen. Diese Bedenken werden von den Fachleuten des BASt-Vorhabens offenkundig nicht geteilt. Die Entscheidung des BASt-Vorhabens für die Verwendung des BERN-Modells beruht im Gegenteil gerade auf der großen Anzahl und Bandbreite der dort verarbeiteten (Feld-)Untersuchungen, die aus den 1960er Jahren stammten oder sogar noch älter seien. Das BERN-Modell ist im Übrigen integraler Bestandteil der SMB-Methode und teilt deren fachliche Anerkennung. Vor diesem Hintergrund dringt der Kläger auch mit seiner Kritik an der Verwendung anderer Quellen aus der Fachliteratur für die Bestimmung der nicht kritischen Parameter nicht durch.
722Eine Validierung der modellierten Critical Loads durch Vor-Ort-Untersuchungen der betroffenen Lebensraumtypen und FFH-Gebiete oder durch Vergleiche mit den Ergebnissen anderer Untersuchungen bzw. Messungen an vergleichbaren Standorten ist im SMB-Modell nicht vorgesehen. Im BASt-Bericht wird zwar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Modellierung der Critical Loads auf Eingangsdaten basiere, die auf Messungen an nur annähernd vergleichbaren Standorten und auf Expertenschätzungen sowie historischen Daten beruhten, die mit heute nicht mehr üblichen Messmethoden gewonnen worden seien. Aus diesem Grund und aufgrund der notwendigen Vereinfachungen der realen bodenchemischen Wirkprozesse bei der Anwendung der Modell-Algorithmen und bei der Klassifizierung der Lebensraum-Standorttypen seien die Eingangsdaten mit einer modellbedingten Ungenauigkeit behaftet, die sich nicht exakt quantifizieren lasse. Der Grad der Ungenauigkeit werde allerdings durch die Verwendung der BERN-Datenbank, die für das Ziel eines langfristig guten Erhaltungszustands eine repräsentative Datenbasis biete, auf ein Minimum reduziert. Aktuelle Messungen vor Ort könnten die Ungenauigkeit dagegen nur bedingt reduzieren. Die Critical Limits einer bestimmten Pflanzengesellschaft ließen sich nicht ohne weiteres für einen langen Zeitraum aus einzelnen Messungen ableiten.
723Vgl. BASt-Bericht, S. 190.
724Die modellierten Critical Loads für eutrophierende Stickstoffeinträge würden darüber hinaus durch den Vergleich mit den empirischen Critical Loads validiert. Dieser Vergleich ergebe, dass die Modellierung nach der SMB-Methode ganz überwiegend zu vergleichbaren oder tendenziell eher niedrigeren Critical-Load-Werten führe.
725Vgl. BASt-Bericht, S. 195.
726Es reicht nach alledem für die Modellierung der Critical Loads aus, wenn durch Vor-Ort-Untersuchungen abgeklärt wird, ob der konkrete Standort irreversibel geschädigt ist und das SMB-Modell nicht mehr zu validen Ergebnissen führt.
727Mit der Entscheidung für den Steady-State-Ansatz des SMB-Modells ist notwendig die Entscheidung gegen einen dynamischen Ansatz verbunden. Eine Rekonstruktion der Depositionsgeschichte findet entgegen der Annahme des Klägers im SMB-Modell gerade nicht statt. Der Wahl des Steady-State-Ansatzes ist daher auch immanent, dass kumulative Effekte oder die räumliche/zeitliche Variabilität destabilisierender Prozesse nicht berücksichtigt werden und ein zeitlicher Kontext fehlt. Auch für die vom Kläger noch geforderte Einbeziehung dynamischer Input-Output-Bilanzen ist ebenso wenig Raum wie für eine historische Beurteilung der Eutrophierung und Versauerung, die retrospektive Auswertung historischer Zeitreihen oder einen Vergleich zwischen den historischen und den aktuellen C/N-Werten.
728Die Critical Loads sollen die auf die Erhaltung der Biodiversität ausgerichteten Schutzziele der FFH-Richtlinie sicherstellen und beziehen sich in erster Linie auf die betroffenen FFH-Lebensraumtypen oder die Anhang-II-Pflanzenarten. Die besondere Stickstoffempfindlichkeit der epiphytischen Flechten und Moose ist daher nur dann gesondert zu berücksichtigen, wenn die betroffenen Lebensraumtypen - anders als im vorliegenden Fall - durch das Vorkommen dieser Pflanzenarten charakterisiert werden. Auch der BASt-Bericht stellt als Fazit des Fachgesprächs zu der Frage, ob es gerechtfertigt sei, Flechten und Moose in die Critical-Load-Berechnung einzubeziehen, fest, dass dies (nur) für diejenigen Lebensraumtypen sinnvoll und notwendig sei, die durch das Vorkommen von Flechten und Moosen charakterisiert seien.
729Vgl. BASt-Bericht, S. 354.
730ff) Die Überschreitung eines Critical Loads steht allerdings unter einem Bagatellvorbehalt. Nach der Rechtsprechung ist eine Irrelevanzschwelle von 3 % des jeweiligen Critical Load-Wertes sowohl für eutrophierende als auch versauernde Stoffeinträge anzuerkennen.
731Schöpft bereits die Vorbelastung die durch den Critical Load bestimmte Belastungsgrenze aus oder überschreitet sie diese sogar, so folgt daraus zwar, dass prinzipiell jede Zusatzbelastung dem Erhaltungsziel zuwiderläuft und deshalb erheblich ist, weil entweder Schadeffekte nicht mehr sicher ausgeschlossen werden können oder schon mit der Vorbelastung verbundene Schadeffekte verstärkt werden. Zusatzbelastungen, die eine den maßgeblichen Critical Load ausschöpfende oder überschreitende Vorbelastung nur geringfügig anheben, können allerdings noch als Bagatelle zu werten sein, wenn eine Schädigung nach naturschutzfachlicher Einschätzung ausgeschlossen ist.
732Unter Bezugnahme auf die naturschutzfachliche Beurteilung des Kieler Instituts für Landschaftsökologie (KIfL), wonach eine Zunahme der Stickstoffbelastung um nicht mehr als 3 % der Critical Loads als nicht signifikant verändernd einzustufen sei, hat das Bundesverwaltungsgericht für Fallgestaltungen, in denen die Vorbelastung den maßgeblichen Critical-Load-Wert für eutrophierende Stoffeinträge übersteigt, eine Irrelevanzschwelle von 3 % dieses Wertes anerkannt. Dies gilt unabhängig von der Höhe der Überschreitung.
733Vgl. BVerwG, Urteile vom 14. April 2010 - 9 A 5.08 -, BVerwGE 136, 291 = juris Leitsatz 2 und Rn. 94, vom 29. September 2011 - 7 C 21.09 , NVwZ 2012, 176 = juris Rn. 42, vom 28. März 2013 - 9 A 22.11 -, BVerwGE 146, 145 = juris Rn. 65 f. und vom 23. April 2014 - 9 A 25.12 -, BVerwGE 149, 289 = juris Rn. 45 ff.
734Auch der Senat hält weiter an der Anwendung einer solchen Bagatellschwelle fest. Die Annahme des Klägers, es fehle an einem entsprechenden fachwissenschaftlichen Konsens, trifft nicht zu. Der fachwissenschaftliche Konsens wird auf nationaler Ebene durch das o.a. Forschungs- und Entwicklungsvorhaben des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung belegt. Dieser Konsens ist nicht auf die direkten Teilnehmer des Vorhabens beschränkt. Zweifel an der fachlichen und politischen Neutralität sowie der wirtschaftlichen Unabhängigkeit der internen und externen Fachleute bestehen nicht.
735Das Forschungsvorhaben befürwortet ausdrücklich eine von dem Grad der Überschreitung des Critical Loads durch die Gesamtbelastung unabhängige Bagatellschwelle in Höhe von 3 % des Critical Loads. Auch die Unterscheidung, ob sich einzelne Lebensraumtypen in einem günstigen oder ungünstigen Erhaltungszustand befinden und dieser Erhaltungszustand durch Stickstoffeinträge verursacht worden sei, sei verzichtbar. Die Critical Loads setzten eine entsprechende Empfindlichkeit der Lebensraumtypen bereits voraus.
736Vgl. BASt-Bericht, S. 216 ff.
737Es bestehen auch weiterhin keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass Zusatzbelastungen unterhalb einer Schwelle von 3 % des Critical Loads geeignet wären, erhebliche Beeinträchtigungen der Lebensraumtypen oder des Schutzgebiets zu verursachen. Der Auffassung des Klägers, bei einer Überschreitung der Critical Loads sei definitionsgemäß nur noch eine „Nulldeposition“ zulässig, kann ebenso wenig gefolgt werden wie der weiteren Behauptung, die Höhe der Bagatellschwelle sei willkürlich bestimmt und entbehre jeder wissenschaftlichen Grundlage.
738Critical Loads dienen ihrer Definition nach dazu, langfristig schädliche Einträge auszuschließen. Sie treffen jedoch keine Aussage dazu, ab welcher Überschreitungshöhe und -dauer Schäden eintreten, welches Ausmaß mögliche Schäden im Einzelnen annehmen und wie das Maß ihrer Überschreitung die Eintrittswahrscheinlichkeit und die Schwere der Wirkungen beeinflusst. Nach dem BASt-Bericht sprechen, auch wenn bisher ausreichend quantifizierte Dosis-Wirkungs-Beziehungen nicht zur Verfügung stehen, die verfügbaren Untersuchungen im Ergebnis dafür, bei kleineren Beiträgen auch von kleineren Wirkungen auszugehen.
739Vgl. BASt-Bericht, S. 221.
740Die Reichweite von im Rahmen empirischer Studien beobachteter Wirkungen entlang von Straßen sei mit dem 3 %-Kriterium gut abgedeckt. Bei stickstoffhaltigen Einträgen unterhalb dieser Schwelle seien keine signifikant schädlichen Effekte festgestellt worden. Dasselbe Ergebnis hätten empirische Studien erbracht, die außerhalb des Umfeldes von Straßen die Wirkung von Stickstoffeinträgen auf die Vegetation untersucht hätten. Die meisten experimentellen wissenschaftlichen Studien zu den Einflüssen zusätzlicher Stickstoffeinträge auf die Vegetation arbeiteten dementsprechend mit Stickstoffabgaben bzw. Stufen der Stickstoffabgaben in einer Größenordnung von mindestens 5-10 kg N/(ha*a). Der 3 %-Schwellenwert entspreche bei Critical Loads von 10-20 kg N/(ha* a) demgegenüber absoluten Werten von 0,3 bis 0,6 kg N/(ha*a). Er liege zudem zum einen innerhalb der Unsicherheitsspanne, die sich aus den Wertespannen der Bewertungsmaßstäbe ergäben, und zum anderen im BERN-Modell innerhalb des Unschärfebereiches zwischen 50 % und 100 % Existenzmöglichkeit einer Pflanzengesellschaft. Stickstoffbelastungen in dieser Größenordnung lägen schließlich deutlich unterhalb der natürlichen räumlichen Variabilität von Stickstoffeinträgen (Hintergrundbelastung) in Vegetationsbestände und lägen damit bereits unterhalb des Bereiches der empirisch nachweisbaren Wirkungsschwellen.
741Vgl. BASt-Bericht, S. 217 ff., 221 und 356.
742gg) Der Senat hält darüber hinaus die Anwendung eines vorhabenbezogenen Abschneidekriteriums für fachlich und rechtlich gerechtfertigt. Das Abschneidekriterium dient der Bestimmung des Einwirkungsbereichs der geplanten Anlage und damit des Untersuchungsraums bzw. -umfangs der FFH-Verträglichkeitsprüfung. Zugleich wird mit ihm festgelegt, welche Vorhaben in die Kumulationsprüfung einzubeziehen sind; Vorhaben, deren Immissionsbeiträge unter dem Abschneidekriterium liegen, bleiben bei der Kumulationsrechnung unberücksichtigt. Im Regelfall ist für eutrophierende Stickstoffeinträge ein Abschneidekriterium in Höhe von nicht mehr als 0,5 % des Critical Loads des jeweils in Betracht kommenden Lebensraumtyps zugrundezulegen. Dies entspricht 1/6 der 3 %-Bagatellschwelle. Der Abschneidewert sollte jedoch nicht weniger als 0,05 kg N/(ha*a) betragen.
743Während über die Notwendigkeit eines Abschneidekriteriums - soweit ersichtlich - weitgehend Einigkeit herrscht, bestehen in der Fachwissenschaft und der juristischen Literatur unterschiedliche Auffassungen über dessen Ableitung und Höhe.
744(1) Der BASt-Bericht schlägt einen vorhabenbezogenen Abschneidewert für Stickstoffeinträge in Höhe von 0,3 kg N/(ha* a) vor. Er kennzeichne die maximale Höhe der Stickstoffdeposition, die unter konservativen Annahmen nach dem Stand der Wissenschaft einer bestimmten Quelle valide zugeordnet werden könne. Erhebliche Beeinträchtigungen durch Stickstoffeinträge könnten erst bei Überschreitung dieses Schwellenwertes auftreten. Bei Depositionsraten kleiner oder gleich 0,3 kg N/(ha*a) ließen sich keine kausalen Zusammenhänge zwischen Emission und Deposition nachweisen; ein derart niedriger Stickstoffeintrag liege deutlich unterhalb nachweisbarer Wirkungen auf die Schutzgüter der FFH-Richtlinie und werde daher als Konvention „wie Null“ behandelt. Die zusätzliche Menge an vorhabenbedingten Stickstoffeinträgen sei bis zu dieser Schwelle weder durch Messungen empirisch nachweisbar noch wirkungsseitig relevant und damit auch nach den Maßstäben der praktischen Vernunft und der Verhältnismäßigkeit irrelevant.
745Als Kriterium für die Bestimmung der Höhe des Abschneidewerts wählt der BASt-Bericht die messtechnische Nachweis- bzw. Bestimmungsgrenze der Einträge. Der Vergleich von modellierten und gemessenen Werten biete neben theoretischen Überlegungen einen verlässlichen Hinweis, ob die modellierten Werte richtig seien. Seien die in der Immissionsprognose modellierten Werte nicht mehr mit Messungen belegbar, so könne nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Immissionsmodellierung die Zulassungsentscheidung noch valide trage. Lege man die niedrigste Nachweisgrenze zugrunde, ergebe sich - umgerechnet - für die Summe aus den Depositionen der Stickstoffoxide und Ammoniak eine Größenordnung von 0,5 kg N/(ha*a). Daraus lasse sich, um auf der sicheren Seite zu bleiben, ein Abschneidewert in der Größenordnung der halben Nachweisgrenze, d. h. ein Wert von (gerundet) 0,3 kg N/(ha*a) ableiten.
746Liege der absolute Abschneidewert bei sehr niedrigen Critical Loads oberhalb der 3 %-Bagatellschwelle, sei dem Abschneidewert der Vorrang einzuräumen. Dies sei fachlich vertretbar, weil Zusatzbelastungen unter einer Nachweisgrenze lediglich theoretischer Natur seien.
747Vgl. BASt-Bericht, insbesondere S. 93 f. und 213 ff.
748(2) Das LANUV befürwortet ebenfalls die Anwendung eines vorhabenbezogenen Abschneidewerts, allerdings - in ausdrücklicher Abgrenzung zum BASt-Bericht - lediglich in Höhe von 0,1 kg N/(ha*a) für Stickstoffdepositionen. Es leitet den Abschneidewert in einem ersten Schritt ebenfalls aus der Messunsicherheit für den Nachweis von Stickstoffdepositionen ab; bei einer konservativen Herangehensweise liege diese - wie vom BASt-Bericht vorgeschlagen - bei 0,3 kg N/(ha*a). In einem zweiten Schritt wird dieser Wert aus naturschutzfachlicher Sicht auf 0,1 kg N/(ha*a) gesenkt. Damit soll verhindert werden, dass Zusatzbelastungen, die die Bagatellschwelle hochempfindlicher Lebensraumtypen überschreiten, im Prüfverfahren keine Berücksichtigung finden; durch das Zusammenwirken von mehreren Projekten, deren Zusatzbelastung jeweils unter der 3 %-Bagatellschwelle des Critical Loads liege, könne die summierte Zusatzbelastung die Bagatellschwelle überschreiten. Darüber hinaus sei für bestimmte Fallkonstellationen eine Einzelfallprüfung vorzunehmen.
749Vgl. Vermerk des LANUV vom 18. Juni 2012; ferner Entwurf des Leitfadens zur Prüfung der FFH-Verträglichkeit von Stickstoff-Depositionen in empfindlichen Lebensräumen in FFH-Gebieten vom 18. September 2015, S. 13.
750(3) Das Bundesverwaltungsgericht geht in seiner neueren Rechtsprechung davon aus, dass Zusatzbelastungen durch Stickstoffeinträge unterhalb eines absoluten Werts von 0,3 kg N/(ha* a) bzw. von 3 % eines Critical Loads irrelevant seien. Es sei bereits in der bisherigen Rechtsprechung anerkannt, dass es nach wissenschaftlichem Erkenntnisstand eine Irrelevanzschwelle gebe; erst oberhalb dieser Schwelle sei die Zunahme der Stickstoffbelastung, zumal gegenüber einer ohnehin schon hohen Vorbelastung, als signifikant verändernd einzustufen. Diese Auffassung werde von dem BASt-Bericht wissenschaftlich unterlegt. Unterhalb der genannten Schwellen sei die zusätzlich von einem Vorhaben ausgehende Belastung nicht mehr mit vertretbarer Genauigkeit bestimmbar bzw. nicht mehr eindeutig von der vorhandenen Hintergrundbelastung abgrenzbar. Bei Stickstoffeinträgen von 0,3 kg N/(ha*a) oder weniger ließen sich keine kausalen Zusammenhänge zwischen Emission und Deposition nachweisen.
751Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. April 2014 ‑ 9 A 25.12 -, BVerwGE 149, 289 = juris Rn. 45; auch: OVG Nds., Urteil vom 22. April 2016 - 7 KS 27/15 -, juris Rn. 138 sowie Hess. VGH, Urteil vom 25. Februar 2016 ‑ 9 A 245/14 - , juris Rn. 95 und 106.
752Der dieser Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt betraf allerdings lediglich ein einzelnes Vorhaben, bei dem eine Summationsbetrachtung nicht erforderlich war. Das Bundesverwaltungsgericht hatte daher keinen Anlass, zwischen der Bagatellschwelle und dem Abschneidewert zu differenzieren, und konnte beide Werte einheitlich als Irrelevanzschwellen zugrundelegen. Es wurden auch nur Stickstoffeinträge betrachtet, für die die niedrigste Nachweisgrenze für die Messung (von Stickoxiden und Ammoniak) mit 0,3 kg N/(ha*a) - letztlich zufällig - der 3 %-Schwelle der stickstoffempfindlichsten Pflanzengesellschaften mit einem Critical Load von 10 kg N/(ha*a) entspricht. Auch bei Zugrundelegung des absoluten Wertes von 0,3 kg N/(ha*a) konnten daher nachteilige Wirkungen auf das FFH-Gebiet sicher ausgeschlossen werden.
753(4) Auch in der Literatur wird - in Anlehnung an die Ausführungen in dem BASt-Bericht - das Bedürfnis nach einem vorhabenbezogenen unteren Abschneidewert anerkannt. Dessen Höhe wird indes unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird als Abschneidewert für den Stickstoffeintrag der Vorschlag des BASt-Vorhabens befürwortet,
754so Füßer/Lau, UPR 2014, 121, 124 f.; Kohls/N1. /Zirwick, ZUR 2014, 150, 155; Fellenberg, Gutachten im Auftrag des BDI, 2014, S. 3 ff.,
755teilweise der Vorschlag des LANUV unterstützt,
756Schulte/Kloos, Rechtsgutachten zur FFH-Verträglichkeitsprüfung/Stoffeinträgen im Auftrag des LANUV, 2012, S. 14,
757teilweise 1/10 der Bagatellschwelle des empfindlichsten Lebensraumtyps (0,009 kg N/(ha*a)) als Abschneidekriterium vorgeschlagen,
758Gellermann, NuR 2016, 225, 228,
759und teilweise allgemein empfohlen, dass der Abschneidewert einen ausreichenden Abstand zur Bagatellschwelle mit kumulativer Betrachtung halten müsse,
760Friedrich/Heesen, UPR 2013, 415, 417 f.
761(5) Der Kläger geht davon aus, dass das Abschneidekriterium und die 3 % - Bagatellschwelle allenfalls übergangsweise tolerierbare Hilfskonstruktionen seien. Für beide Irrelevanzschwellen fehle es an einer fundierten wissenschaftlichen Basis und dem erforderlichen breiten fachwissenschaftlichen Konsens. Zwar sei es auch aus seiner Sicht im Grundsatz sinnvoll, den Einwirkungsbereich einer Anlage möglichst konkret zu bestimmen. Mit Blick auf die kumulierenden Effekte anderer Projekte sei jedoch beim Abschneidekriterium die Einhaltung eines „Sicherheitsabstands“ zu der Bagatellschwelle erforderlich. Um insoweit auch mit Blick auf die regelmäßig große Anzahl weiterer zu berücksichtigender Projekte auf der sicheren Seite zu liegen, dürfe das Abschneidekriterium nur 0,1 %, höchstens jedoch 0,3 % des niedrigsten Critical Loads der Berner Liste betragen. Der daraus folgende Einwirkungsbereich sei auch nicht unübersehbar groß. Bei dem dann maßgeblichen Critical Load in Höhe von 3 kg N/(ha*a) belaufe sich der Abschneidewert auf 0,003 (bzw. 0,009) kg N/(ha*a). Für eine typische Stallanlage ergebe sich damit ein Einwirkungsbereich von 24 km. Ein höherer Abschneidewert berge das Risiko, dass viele für sich betrachtet niedrige, aber in der Summe beachtliche Einträge unberücksichtigt blieben.
762Die Beigeladene verweist darauf, dass die Fachkonventionen des BASt-Vorhabens und des LANUV den aktuellen Stand der Wissenschaft wiedergäben. Würden diese Fachkonventionen eingehalten, seien erhebliche Beeinträchtigungen von FFH-Schutzgütern ausgeschlossen.
763(6) Nach Auffassung des Senats ist es zulässig, im vorliegenden Zusammenhang ein vorhabenbezogenes Abschneidekriterium anzuwenden. Es hat Bedeutung für die Frage, ob und in welchem Umfang eine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, und begrenzt darüber hinaus die in eine Kumulationsbetrachtung ggf. einzubeziehenden weiteren Projekte. Seine fachliche und rechtliche Rechtfertigung beruht maßgeblich auf zwei Gründen.
764(a) Zum einen bedarf es der Bestimmung des Einwirkungsbereichs einer Anlage und damit der Festlegung des Untersuchungsraums. Weder unter dem Gesichtspunkt der Wirkungsbezogenheit noch dem der Verhältnismäßigkeit kann der Untersuchungsraum räumlich unbegrenzt sein. Zwar können rechnerisch nahezu unbegrenzt auch kleinste zusätzliche Stoffeinträge in großer Entfernung von dem emittierenden Vorhaben ermittelt werden. Aber schon aus praktischen Gründen bedarf es einer Abgrenzung des Untersuchungsraums durch eine untere Grenze der relevanten Zusatzbelastung; denn die Größe des Betrachtungsraums wächst im Quadrat mit der Entfernung vom Vorhaben. Mit der Größe des Betrachtungsraums steigt auch die Zahl der Variablen und sinkt die statistische Genauigkeit der Ausbreitungsrechnung. Es ist daher notwendig und legitim, Kleinstbeiträge ohne relevante Bedeutung für das Schutzgut nicht in die Berechnung einer Immissionsprognose mit einzubeziehen und den Untersuchungsraum entsprechend zu begrenzen.
765(b) Zum anderen sind bestimmte minimale Immissionsbeiträge dem Verursacher rechtlich nicht mehr zuzurechnen. Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit kann nicht jeder naturwissenschaftlich kausale Immissionsbeitrag als gleichwertig angesehen werden. Es wäre unangemessen, konkrete Vorhaben nicht zuzulassen, wenn deren Immissionsbeitrag derart geringfügig ist, dass er aus Sicht des Gebietsschutzes keine Rolle spielen kann.
766Vgl. Gellermann, NuR 2016, 225, 227; Füßer/Lau, UPR 2014, 121, 125.
767Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt, dass der Verursachungsbeitrag des konkreten Projekts in Beziehung zu den Auswirkungen auf das Schutzgut gesetzt wird. Sehr kleine Beiträge, die im Verhältnis zur Gesamtbelastung nicht ins Gewicht fallen, können vernachlässigt werden. Bei kleinsten Beiträgen kann der „Verursacher“ nicht mehr „für das Ganze“ verantwortlich gemacht werden. Sein Beitrag ist von so untergeordneter Bedeutung, dass eine Berücksichtigung und Zurechnung ausscheidet. Vorhabenträger sind in einem solchen Fall auch nicht mit dem Prüfaufwand einer FFH-Verträglichkeitsprüfung zu belasten.
768Vgl. auch BASt-Bericht, S. 212.
769(7) Die danach im Rahmen der Vorprüfung erforderliche Festlegung des Untersuchungsraums und -umfangs der FFH-Verträglichkeitsprüfung anhand eines vorhabenbezogenen Abschneidekriteriums muss schutzgutbezogen erfolgen. Sie hängt deshalb maßgeblich von der Schutzbedürftigkeit des konkreten FFH-Gebiets bzw. des konkreten Lebensraumtyps ab. Es muss sichergestellt sein, dass nachteilige Auswirkungen durch Immissionen unterhalb des Abschneidewerts auch bei einem Zusammenwirken mit Immissionen anderer Pläne und Projekte nicht ernsthaft zu besorgen sind. Dies ist der Fall, wenn eine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele und Schutzwecke bei Immissionen in dieser Höhe entweder offensichtlich ausgeschlossen ist oder aus wissenschaftlicher Sicht keine ernst zu nehmenden Anhaltspunkte dahin weisen, dass Immissionen in dieser Höhe nachteilige Auswirkungen haben können.
770Aus wissenschaftlicher Sicht bestehen dann keine ernst zu nehmenden Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung des FFH-Gebiets, wenn die Zusatzbelastung die 3 %-Bagatellschwelle nicht übersteigt. Die 3 %- Bagatellschwelle repräsentiert den derzeit besten Stand der Wissenschaft und ist über die oben beschriebene Anbindung an die Critical Loads schutzgut- und wirkungsbezogen. Sie markiert zugleich die Schwelle, unterhalb der signifikante, schädliche Effekte für die betroffenen FFH-Schutzgüter nicht festzustellen sind.
771Da das vorhabenbezogene Abschneidekriterium lediglich die Auswirkungen des konkreten Projekts in den Blick nimmt, nicht jedoch die bei der Bagatellschwelle zu berücksichtigenden Summationseffekte, muss es so weit unterhalb der Bagatellschwelle liegen, dass diese nicht durch das im Prüfungsaufbau vorangehende Abschneiden von Einträgen umgangen oder ausgehöhlt wird.
772(8) Hiervon ausgehend hält der Senat im Regelfall für die eutrophierenden Stickstoffeinträge ein Abschneidekriterium in Höhe von nicht mehr als 0,5 % des Critical Loads des jeweils konkret in Betracht kommenden Lebensraumtyps für zulässig; dies entspricht 1/6 der jeweiligen 3 %-Bagatellschwelle. Im Übrigen gelten für Lebensraumtypen mit einem Critical Load unter 10 kg N/(ha*a) besondere Regeln (siehe unten).
773Dazu im Einzelnen:
774(a) Der vom BASt-Bericht vorgeschlagene Abschneidewert für die vorhabenbedingte Zusatzbelastung an Stickstoff in Höhe von 0,3 kg N/(ha*a) ist nach Auffassung des Senats mit Blick auf die notwendige Summationsbetrachtung zu hoch. Er berücksichtigt die Konstellationen nicht hinreichend, in denen die Einträge mehrerer Vorhaben zusammen die Bagatellschwelle überschreiten.
775Zwar erscheint es grundsätzlich sachgerecht, in einem ersten Schritt die untere Grenze einer relevanten Zusatzbelastung an der Messunsicherheit zu orientieren. Unterhalb einer bestimmten Schwelle ist die zusätzliche von einem Vorhaben ausgehende Belastung nicht mehr mit vertretbarer Genauigkeit bestimmbar bzw. nicht mehr eindeutig von der vorhandenen Hintergrundbelastung abgrenzbar.
776Vgl. Balla/Müller-Pfannenstiehl/Lüttmann/ Uhl, NuR 2010, 616, 623; BVerwG, Urteil vom 23. April 2014 - 9 A 25.12 -, BVerwGE 149, 289 = juris Rn. 45 und vom 23. März 2013 - 9 A 22.11 -, BVerwGE 146, 145 = juris Rn. 66.
777Dieser Ansatz findet seine Rechtfertigung darin, dass es sich dabei um so geringe Größenordnungen handelt, dass konkrete Effekte in Vegetationsbeständen nicht beobachtet worden sind.
778Vgl, BASt-Bericht, S. 220; Balla/Müller-Pfannenstiehl/Lüttmann/Uhl, NuR 2010, 616, 623.
779Er erscheint plausibel, soweit sich die Überlegungen ausschließlich auf ein einzelnes Vorhaben beziehen. Steht indes eine Summationsbetrachtung von mehreren Projekten in Rede, bezieht sich die erforderliche Ermittlung und Verifizierung der Wirkungsschwelle auf die zusätzlichen Immissionen aller zu berücksichtigenden Vorhaben. Insoweit kommt es nicht auf die Messunsicherheit bei der Beurteilung der Wirkungen eines einzelnen Projekts, sondern auf die Messunsicherheit bei der Beurteilung der Wirkung aller kumulierten Projekte an. Insoweit soll der allgemeine empirische Nachweis erbracht werden, dass ein bestimmter minimaler Schadstoffeintrag (gebildet aus der Summe der relevanten Projekte) sich nicht auf das Schutzgut auswirken wird.
780Diesem Zusammenhang wird im BASt-Bericht nicht hinreichend Rechnung getragen. Zwar wird die 3 %-Bagatellschwelle vom BASt-Bericht ausdrücklich als Fachkonvention bestätigt und anerkannt; sie wird nach der Begriffsbestimmung,
781vgl. BASt-Bericht, S. 16,
782als die quantitative Größe bezeichnet, die auf der Basis des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Grenze zwischen (potenziell) erheblichen und lediglich bagatellhaften Beeinträchtigungen definiert. Faktisch wird sie jedoch bei Kumulationsbetrachtungen durch den Abschneidewert unterlaufen. So entspricht der Abschneidewert des BASt-Vorhabens bei einem Lebensraumtyp mit einem Critical Load von 10 kg N/(ha*a) der 3 %-Bagatellschwelle. Dies führt dazu, dass z. B. die Immissionsbeiträge von zwei Projekten in Höhe von jeweils knapp unterhalb 0,3 kg N/(ha*a) aufgrund des Abschneidens von vornherein keiner FFH-Verträglichkeitsprüfung unterliegen, zusammen aber fast 6 % des Critical Loads ausmachen und damit fast das Doppelte der Bagatellschwelle. Erst recht begegnet die weitere Aussage des BASt-Berichts Bedenken, der Abschneidewert habe Vorrang vor der Bagatellschwelle, wenn er höher als der Bagatellschwellenwert sei.
783(b) Auch das LANUV sieht den Abschneidewert des BASt-Berichts kritisch; es hat im Hinblick auf mögliche Summationseffekte eine wirkungsbezogene Korrektur unter Berücksichtigung der Critical Loads vorgenommen und den Wert von 0,3 kg N/(ha*a) auf 0,1 kg N/(ha*a) gesenkt. Der auf der Grundlage des aktuellen Stands der Wissenschaft und unter Verwendung mehrerer worst-case-Ansätze in der Ausbreitungsrechnung entwickelte Abschneidewert von 0,1 kg N/(ha*a) sei auch unter Summationsaspekten naturschutzfachlich belastbar und sachgerecht.
784(c) Der Senat folgt der Kritik des LANUV im Grundsatz. Allerdings wahrt der vom LANUV vorgeschlagene Abschneidewert bei Lebensraumtypen mit Critical Loads unter 20 kg N/(ha*a) den hinreichenden Abstand zur Bagatellschwelle ebenfalls nur bedingt. Um hier auf der sicheren Seite zu liegen, ist das Abschneidekriterium im Regelfall auf 0,5 % des Critical Loads des jeweils in Betracht kommenden empfindlichsten Lebensraumtyps bzw. 1/6 der entsprechenden 3 %-Bagatellschwelle festzusetzen. Nur so ist hinreichend gewährleistet, dass die Einwirkungen mehrerer Anlagen angemessen erfasst werden.
785Eine generelle Anbindung an den Critical Load des im Bundesgebiet vorkommenden stickstoffempfindlichsten Lebensraumtyps von 3 kg N/(ha*a) ist hingegen nicht sachdienlich. Eine Absenkung auf einen derart niedrigen Abschneidewert würde nach der überzeugenden Auffassung des LANUV - auch in Ansehung der Unsicherheiten der Ausbreitungsrechnung - zu einer sachlich nicht mehr gerechtfertigten Überschätzung der Zusatzbelastung führen.
786Die dargelegte konservative Bemessung des Abschneidekriteriums durch den Senat gewährleistet grundsätzlich, dass mögliche Überschreitungen der Bagatellschwelle nicht über einen wirkungsseitig vernachlässigbaren Bereich hinausgehen. Der Senat verkennt nicht, dass es im Einzelfall auch dann zu Überschreitungen der 3 %-Bagatellschwelle kommen kann, wenn das betroffene Vorhaben selbst das Abschneidekriterium von 0,5 % des Critical Loads einhält. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Bagatellschwelle bereits durch ein oder mehrere in die Summationsbetrachtung einzubeziehende Projekte ausgeschöpft ist. Insoweit greift aber der oben dargelegte, aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abgeleitete Gedanke, dass der Verursacher von im Verhältnis zur Gesamtbelastung nicht ins Gewicht fallenden Kleinstbeiträgen für die in der Summation eintretenden Folgen nicht mehr verantwortlich gemacht werden kann. Hiervon unberührt bleiben jedoch Anforderungen an die Emissionen im Rahmen der Vorsorge, die dem Ziel dienen, die Gesamtbelastung durch Stickstoffeinträge zu senken bzw. niedrig zu halten.
787(d) Die Anwendung von absoluten Abschneidewerten unter 0,05 kg N/(ha*a) dürfte allerdings auch für - hier nicht entscheidungsrelevante - sehr stickstoffempfindliche Lebensraumtypen mit Critical Loads unter 10 kg N/(ha*a) nicht in Betracht kommen. Dieser Wert entspricht 0,5 % des Critical Loads von 10 kg N/(ha*a).
788Bei Abschneidewerten unterhalb von 0,05 kg N/(ha*a) würde der Rechenraum bzw. zu betrachtende Untersuchungsraum nach Auffassung der im gerichtlichen Verfahren befragten Fachwissenschaftler zu groß werden, mit der Folge, dass in der Praxis ein völlig unverhältnismäßiger Aufwand verursacht würde. Ein Abschneidewert von 0,05 kg N/(ha*a) führe bei Vorhaben wie dem streitbefangenen Vorhaben zu einem Untersuchungsgebiet von etwa 230 km² und ein Abschneidewert von 0,025 kg N/(ha*a) zu einem Untersuchungsgebiet von etwa 1.500 km². Insoweit könnte es sich vielmehr nach Auffassung der Fachwissenschaftler anbieten, den (engeren) Betrachtungsraum, der durch die ISO-Linie mit einem Abschneidewert von 0,05 kg N/(ha*a) gebildet wird, um einen (zusätzlichen) Kontrollraum in einem Abstand von etwa 4 km zur ISO-Linie zu erweitern. Dieser Kontrollraum ist im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung auf mögliche besonders empfindliche Lebensraumtypen zu untersuchen. Mittels eines Screenings kann geprüft werden, ob in ausgewiesenen FFH-Gebieten Lebensraumtypen mit niedrigeren Critical Loads (‹10 kg N/(ha*a)) existieren. Denkbar ist nach Auffassung der Fachwissenschaftler auch, bei Bedarf die Abgrenzung des (zusätzlichen) Kontrollraums durch Multiplikation des im (engeren) Betrachtungsraum niedrigsten CL-Werts mit 0,75 % zu ermitteln. Auf diese Weise könne Kumulationseffekten auch bei den besonders empfindlichen Lebensraumtypen Rechnung getragen werden.
789Der Senat sieht derzeit keine durchgreifenden Bedenken gegen eine solche Vorgehensweise. Bei einem projektbezogenen Abschneidekriterium von 0,05 kg N/(ha*a) drohen nach Ansicht der Fachwissenschaftler auch für die empfindlichsten Lebensraumtypen in der Regel keine erheblichen Beeinträchtigungen; dies gelte jedenfalls dann, wenn man die beschriebene Einzelfallbetrachtung vornehme. Hierfür spricht, dass die Hintergrundbelastung nahezu flächendeckend die Critical Loads für die empfindlichsten Lebensraumtypen überschreitet, zum Teil sogar erheblich. Gleichwohl werden auch empfindlichste Lebensraumtypen mit einem Erhaltungszustand A angetroffen. Dies beruht insbesondere darauf, dass der Stickstoffeintrag nicht allein für den Erhaltungszustand von Bedeutung ist. Bei minimalen Einträgen von Stickstoff unter 0,05 kg N/(ha*a) kann daher nach Ansicht der befragten Fachwissenschaftler eine wirkungsseitige Relevanz in der Regel ausgeschlossen werden. Hinzu kommt nach Ansicht des LANUV und anderer Fachwissenschaftler, dass bei der Berechnung der Kumulation von mehreren Anlagen (insbesondere mit niedrigen Quellen) sich die grundsätzlich konservative Betrachtung in Bezug auf die einzelne Anlage summiert und gerade bei besonders empfindlichen Lebensraumtypen (mit einem niedrigen Critical Load) zu Überschätzungen führt. Die Überschätzungen der prognostizierten Einträge nehmen mit weiterer Entfernung von der Quelle zu.
790(e) Darüber hinaus kann in besonderen Ausnahmefällen eine Einzelfallprüfung in Betracht kommen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die beschriebenen Prüfungsschritte dem Schutzgut ersichtlich nicht hinreichend gerecht werden.
791(9) Die sich danach ergebende Vorgehensweise bei der Vorprüfung und der FFH-Verträglichkeitsprüfung erscheint auch praktikabel.
792Zwar liegt ihr kein pauschaler, für alle Vorhaben anwendbarer Abschneidewert zugrunde. Vielmehr ist ausgehend von der Schutzgutbezogenheit der Abschneidewert je unterschiedlich in Abhängigkeit von dem jeweils in Rede stehenden Lebensraumtyp. Für denselben Lebensraumtyp ist mithin jeweils derselbe Abschneidewert maßgeblich, unabhängig davon, ob sich in dem Untersuchungsraum noch empfindlichere Lebensraumtypen befinden. Auch wenn sich also der Untersuchungsraum (zunächst) an dem empfindlichsten Lebensraumtyp zu orientieren hat, ist für die Kumulationsbetrachtung jeweils der Abschneidewert des konkreten Lebensraumtyps maßgeblich. Der Abschneidewert für einen bestimmten Lebensraumtyp verändert sich nicht dadurch, dass in der Nähe ein empfindlicherer Lebensraumtyp mit niedrigerem Abschneidewert liegt. Vielmehr hängt bei der Kumulationsbetrachtung der Abschneidewert wie die Bagatellschwelle von dem jeweiligen Critical Load ab. Er beträgt folglich in jedem Fall 0,5 % des konkreten Critical Loads.
793Das schutzgutbezogene Abschneidekriterium von 0,5 % des Critical Loads des jeweiligen (konkret) in Betracht kommenden Lebensraumtyps dürfte sich aber regelmäßig ohne größere Probleme in der Praxis anwenden lassen. Die Prüfung beginnt mit der Ermittlung der in dem anhand des niedrigsten Abschneidewerts von 0,05 kg N/(ha*a) abgegrenzten FFH-Gebiet vorhandenen Lebensraumtypen. Je nach dem Ergebnis dieser Ermittlungen wird dann entweder der Abschneidewert an den - oberhalb von 10 kg N/(ha*a) liegenden - Critical Load der jeweiligen in diesem Raum vorgefundenen Lebensraumtypen angepasst und der - engere - Untersuchungsraum bestimmt oder es wird die oben beschriebene Einzelfallprüfung durchgeführt. Diese Herangehensweise nach dem „Zwiebelprinzip“ dürfte in der Regel keinen übermäßigen Arbeitsaufwand verursachen.
794(10) Auch für die versauernden Stickstoff- und Schwefeleinträge ist bis auf weiteres ein lebensraumtypspezifisch zu bestimmendes vorhabenbezogenes Abschneidekriterium von 0,5 % des jeweiligen Critical Loads zugrunde zu legen. Damit orientiert sich der Senat an der Vorgehensweise des BASt-Vorhabens in Verbindung mit den oben dargestellten Überlegungen zu einer schutzgutbezogenen Ausrichtung an den Bagatellschwellen, solange eine hinreichend schutzgutbezogene Fachkonvention für den Abschneidewert bei versauernden Einträgen fehlt.
795Der vom LANUV festgelegte Abschneidewert von 30 eq (N+S)/(ha*a) ist gemessen an den beschriebenen Anforderungen zu hoch. Er entspricht bereits der 3 %-Bagatellschwelle eines Critical Loads von 1000 eq. Der vorliegende Fall belegt beispielhaft die Problematik eines derart hohen Abschneidewerts. So liegen die vom Kraftwerk der Beigeladenen und zwei weiteren Projekten verursachten Immissionen am Beurteilungspunkt 30 jeweils unter dem genannten Abschneidewert, in der Summation jedoch bei 3,7 bzw. 3,9 % des Critical Loads.
796Der nach dem Ansatz des Senats für die Kumulationsbetrachtung letztlich maßgebliche Abschneidewert von 0,5 % des jeweiligen Critical Loads kann bei versauernden Einträgen allerdings endgültig erst bestimmt werden, nachdem die Critical Loads zuvor bezogen auf die im jeweiligen Einzelfall betroffenen Lebensraumtypen konkret modelliert worden sind. Für die vorrangig erforderliche Bestimmung des Untersuchungsraums hilft dies nicht weiter. Im Unterschied zu den eutrophierenden Stickstoffeinträgen fehlt es bei den versauernden Einträgen bislang noch an hinreichend konkreten, lebensraumtypspezifischen Listen mit empirischen oder modellierten Critical Loads, anhand derer der Untersuchungsraum sachgerecht abgegrenzt werden kann. Der Untersuchungsraum für die versauernden Stoffeinträge kann aber gleichwohl ausreichend konservativ bestimmt werden, wenn dabei ein an den maßgeblichen Critical Load für eutrophierende Stickstoffeinträge angebundener (vorläufiger) Abschneidewert zugrunde gelegt wird, der auch die entsprechenden versauernden Effekte abbildet. Hiervon geht auch das BASt-Vorhaben aus, wenn es für versauernde Stoffeinträge einen Abschneidewert von 24 eq vorschlägt. Dieser Wert liegt über dem bei einer Umrechnung des Abschneidewerts von 0,3 kg N/(ha*a) aus der Massenzahl für Stickstoff folgenden Wert von 21 eq und berücksichtigt damit auch einen Anteil an versauernden Schwefeleinträgen. Das BASt-Vorhaben rechnet mithin den Stickstoffwert (bestimmt als kg N/(ha*a)) mit dem Faktor 80 (8/0,1) in Säureäquivalente (eq) um.
797Ausgehend von den oben dargestellten Maßstäben sind deshalb die jeweiligen lebensraumtypspezifischen Abschneidewerte für eutrophierende Stickstoffeinträge mit dem Faktor 80 in Säureäquivalente umzurechnen. Dies bedeutet, dass sich bei Lebensraumtypen mit einem Critical Load von 10 kg N/(ha*a) und einem (niedrigsten) Abschneidewert von 0,05 kg N/(ha*a) für Stickstoffeinträge ein (niedrigster) Abschneidewert für versauernde Stoffeinträge von umgerechnet 4 eq (0,05 × 80) ergibt.
798Die Prüfung beginnt demnach – entsprechend dem oben skizzierten Vorgehen bei eutrophierenden Stickstoffeinträgen – mit der Ermittlung der in dem anhand des niedrigsten Abschneidewerts von 4 eq abgegrenzten FFH-Gebiet vorhandenen Lebensraumtypen. Fällt danach kein derart empfindlicher Lebensraumtyp in den so bestimmten Untersuchungsraum, kann ein engerer Untersuchungsraum anhand des niedrigsten Abschneidewerts der vorgefundenen Lebensraumtypen gezogen werden. Für diesen werden sodann die Critical Loads modelliert, so dass für die Kumulationsbetrachtung die letztlich maßgeblichen Abschneidewerte an den einzelnen Beurteilungspunkten konkret ermittelt werden können.
799hh) Auch ein Projekt, das zu erheblichen Beeinträchtigungen führen kann, ist nicht in jedem Fall unzulässig.
800Art. 6 Abs. 4 Unterabsatz 1 FFH-RL, der eine Ausprägung des unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darstellt,
801vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 129,
802ermöglicht eine einzelfallbezogene Abweichungsprüfung. Ist trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art ein Plan oder Projekt durchzuführen und ist eine Alternativlösung nicht vorhanden, so hat der Mitgliedstaat nach dieser Regelung alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist (vgl. § 48d Abs. 5 bis 7 LG NRW, § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG).
803b) Subsumtion
804Ausgehend von diesen Maßstäben ist das von der Beigeladenen geplante Kohlekraftwerk mit den Schutzzwecken der im Einwirkungsbereich betroffenen Natura-2000-Gebiete vereinbar.
805Die von der Beigeladenen vorgelegte FFH-Verträglichkeitsuntersuchung belegt, dass die von dem Vorhaben ausgehenden Luftschadstoffeinträge weder eine erhebliche Beeinträchtigung der terrestrischen Lebensräume der Lippeauen noch der "Wälder bei Cappenberg" bewirken.
806Das ergibt sich im Einzelnen aus Folgendem:
807aa) Die im Dezember 2004 erfolgte Unterschutzstellung der im Umfeld des Vorhabenstandorts gelegenen hier relevanten vier Schutzgebiete dient nach den Angaben im Standarddatenbogen und den jeweils maßgeblichen Schutzgebietsausweisungen nachfolgenden Schutzzwecken:
808(1) Das Schutzgebiet DE-4311-304 "Wälder bei Cappenberg" ist ein 673 ha großes Waldgebiet mit hohem Anteil an naturnahen Beständen der Eichen-Hainbuchenwälder sowie der Hainsimsen- und Waldmeister-Buchenwälder mit z.T. hohem Starkholzanteil von bis ca. 250 Jahren Alter. Das Gebiet wird von mehreren naturnahen Bachläufen durchzogen. Es umfasst die Lebensraumtypen (LRT) 9130 (Waldmeister-Buchenwald), 9160 (Stieleichen-Hainbuchenwald), 9110 (Hainsimsen-Buchenwald) und 91E0* (prioritärer LRT Erlen-Eschen- und Weichholz-Auenwälder). Schutzziele sind laut Standarddatenbogen die Erhaltung und Entwicklung naturnaher Sternmieren-Eichen-Hainbuchenwälder (9160) sowie der Erlen-Eschen-Wälder insbesondere durch Schaffung ausreichend großer Pufferzonen zur Vermeidung bzw. Minimierung von Nährstoffeinträgen (91E0*). Der Erhaltungszustand der Lebensraumtypen wird in der Gesamtbeurteilung mit B (gut) beschrieben. Der flächenmäßig größte Teil des Schutzgebiets liegt im Geltungsbereich des Landschaftsplans Nr. 2 des Kreises Unna (Raum Werne-Bergkamen). Nach dessen textlichen Festsetzungen zur Bestimmung des Schutzzwecks (C. 1.1.2., S. 83) erfolgt die Festsetzung als Naturschutzgebiet gemäß § 20 LG NRW zur Erhaltung, Herstellung und Entwicklung überregional bedeutsamer Biotope seltener und gefährdeter sowie landschaftsraumtypischer Tier- und Pflanzenarten innerhalb eines großflächigen Waldkomplexes mit Buchen- und Eichen-Hainbuchenwäldern unter weitest möglicher Schonung bzw. Förderung der entsprechenden Krautschicht sowie im Zusammenhang mit dem Wald stehender schutzwürdiger Bachläufe und Quellbereiche. In ihrer natürlichen Vergesellschaftung sind insbesondere zu schützen: Stieleichen-Hainbuchenwälder, Buchenwälder in ihren standörtlichen verschiedenen Ausprägungen (Hainsimsen- und Waldmeister-Buchenwälder), Erlen-Eschen-Auwälder, Bachläufe und Bacheinschnitte sowie Quellbereiche. Eine gleichlautende Schutzzweckbestimmung findet sich im Landschaftsplan Nr. 3 des Kreises Unna (Raum Selm) unter C. 1.1.1 (S. 103), dessen räumlicher Geltungsbereich die westlich gelegenen Teilflächen der Wälder bei Cappenberg erfasst.
809(2) Die drei weiteren FFH-Gebiete dienen dem Schutz der Lippeauen.
810Das 2417 ha große Schutzgebiet DE-4209-302 "Lippeaue" umfasst die Lippeaue zwischen Unna und Dorsten. Dabei ist der Lauf der Lippe die zentrale Achse dieses großen, abwechslungsreichen und vielfältig gegliederten Gebietes, das trotz überwiegend intensiver Landwirtschaft und Gewässerregulierung noch zahlreiche Elemente der früheren Auenlandschaft aufweist. Mehrfach sind noch Reste von Bruch-, Weichholz- und Hartholz-Auenwäldern vorhanden. Das Schutzgebiet umfasst u. a. die LRT 3270 (Flüsse mit Schlammbänken und einjähriger Vegetation), 6510 (Glatthafer- und Wiesenknopf-Silgenwiese), 9190 (Alte bodensaure Eichenwälder auf Sandebenen), 6430 (Feuchte Hochstaudenfluren), 91F0 (Hartholz-Auenwälder) und den prioritären LRT 91E0* (Erlen-Eschen- und Weichholz-Auenwälder) sowie u. a. die Arten Flussneunauge (Anhang-II-Art) und Helm-Azurjungfer. Schutzziele sind laut Standarddatenbogen insbesondere Erhaltung und Entwicklung der naturnahen Strukturen der schlammigen Flussufer durch möglichst weitgehende Reduzierung der die Wasserqualität beeinträchtigenden direkten und diffusen Einleitungen insbesondere von Schadstoffen (3270), Erhaltung und Entwicklung der feuchten Hochstauden- und Waldsäume durch Schutz vor Eutrophierung (6430), Erhaltung und Entwicklung der artenreichen Flachlandmähwiesen durch zweischürige Mahd bei geringer Düngung, Förderung und Vermehrung der mageren Flachlandwiesen sowie Vermeidung von Eutrophierung (6510), Erhaltung und Entwicklung der Weichholzauenwälder mit ihrer typischen Fauna und Flora, insbesondere durch Schaffung ausreichend großer Pufferzonen zur Vermeidung bzw. Minimierung von Nährstoffeinträgen (91E0*), Erhaltung und Entwicklung der Eichen-Ulmen-Eschen-Auenwälder insbesondere durch Schutz vor Eutrophierung und Verbesserung der Wasserqualität (91F0), Erhaltung und Entwicklung der naturnahen eutrophen Stillgewässer durch Schaffung ausreichend großer Pufferzonen zur Vermeidung bzw. Minimierung von Nährstoffeinträgen (3150). Der Erhaltungszustand wird in Bezug auf einen Lebensraum (91F0) mit A (hervorragend) und im Übrigen teils mit B (gut) und teils mit C (mittel bis schlecht) beschrieben. Letzteres gilt u. a. für den prioritären LRT 91E0*.
811Die Schutzgebiete DE-4314-302 ("Teilabschnitte Lippe - Unna, Hamm, Soest und Warendorf") und DE-4311-301 ("In den Kämpen, Im Mersche und Langerner Hufeisen") umfassen weitere Abschnitte der Lippe (1123 ha bzw. 127 ha); dazu gehören jeweils wiederum u. a. Bereiche des prioritären LRT 91E0*. Der Erhaltungszustand im Gebiet DE-4314-302 wird mit C, der Erhaltungszustand im Gebiet DE-4311-301 mit B beschrieben.
812Die Lippeauen sind - soweit es sich um im Kreis Unna gelegene Teilabschnitte handelt - durch Landschaftspläne als Naturschutzgebiete geschützt (vgl. die textlichen Festsetzungen in den Landschaftsplänen Nr. 1 - Raum Lünen, Nr. 2 - Raum Werne-Bergkamen und Nr. 3 - Raum Selm). Die Unterschutzstellung dient der Erhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Zustandes bezogen auf das Vorkommen natürlicher Lebensräume und wildlebender Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse. Soweit die hier zu untersuchenden Lippeauen-Abschnitte im Kreis Recklinghausen gelegen sind, gilt die "Ordnungsbehördliche Verordnung zur Ausweisung der 'Lippeaue‘, Kreis Recklinghausen, als Naturschutzgebiet“ vom 7. Dezember 1994, mit nachfolgenden Änderungen. Durch die Zweite Verordnung zur Änderung dieser Ordnungsbehördlichen Verordnung vom 26. Juni 2002 ist der Schutzzweck dahin konkretisiert, dass die Ausweisung als Naturschutzgebiet zur Bewahrung und Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der natürlichen Lebensräume und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse dient. Namentlich sind aufgeführt: Erlen-, Eschen- und Weichholz-Auenwälder (91E0, prioritärer Lebensraum), natürliche eutrophe Seen und Altarme (3150), Fließgewässer mit Unterwasservegetation (3260), Flüsse mit Schlammbänken und einjähriger Vegetation (3270), feuchte Hochstaudenfluren (6430), Glatthafer- und Wiesenknopf-Silgenwiesen (6510), alte bodensaure Eichenwälder auf Sandebenen (9190) und Hartholz-Auenwälder (91F0). Unter den zahlreichen im Einzelnen aufgeführten Arten von gemeinschaftlichem Interesse finden sich u. a. das Flussneunauge und der Eisvogel.
813bb) Es steht aufgrund der vorgelegten FFH-Verträglichkeitsuntersuchung des TÜV Nord vom 6. August 2012 einschließlich der im Genehmigungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren erfolgten ergänzenden Stellungnahmen und Berechnungen mit der erforderlichen Sicherheit fest, dass der Betrieb des geplanten Kraftwerks nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen dieser besonderen Schutzgebiete führt.
814Die Größe des Rechengebiets der Ausbreitungsrechnungen ist nicht zu beanstanden (1). Die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung hat alle maßgeblichen Aus- und Einwirkungen des Vorhabens betrachtet (2). Die Auswahl der Beurteilungspunkte für die Bewertung der Stickstoff- und Säureeinträge ist nach zutreffenden sachlichen Kriterien erfolgt (3). Die Heranziehung der empirischen Critical Loads des LANUV für eutrophierende Stickstoffeinträge begegnet keinen Bedenken (4). Die in dem P. -E. -Teilgutachten vom 6. August 2012 nach dem SMB-Modell berechneten Critical Loads für versauernde Stoffeinträge bedürfen dagegen der Korrektur nach unten (5). Die Vorbelastung übersteigt die Critical Loads an den meisten der hier zu untersuchenden Beurteilungspunkte, so dass im Regelfall nur bagatellhafte Zusatzbelastungen zugelassen werden dürfen (6). Die Summationsbetrachtung (7) ergibt, dass die eutrophierenden Stickstoffeinträge die Bagatellschwelle von 3 % des Critical Loads an keinem Beurteilungspunkt überschreiten. Die versauernden Stickstoff- und Schwefeleinträge liegen dagegen in dem FFH-Gebiet “Wälder bei Cappenberg“ teilweise über dieser Bagatellschwelle (8). Die Sonderfalluntersuchung der Beigeladenen hat jedoch ergeben, dass die versauernden Stoffeinträge trotz ihrer teilweise nicht mehr bagatellhaften Höhe aufgrund der morphologischen und hydrologischen Besonderheiten der Böden des FFH-Gebiets „Wälder bei Cappenberg“ nicht zu einer Beeinträchtigung der unter Schutz gestellten Lebensraumtypen führen (9). Eine nachteilige Beeinträchtigung der aquatischen Lebensraumtypen der FFH-Gebiete „Teilabschnitte Lippe - Unna, Hamm, Soest, Warendorf“, „Lippeaue“ und „In den Kämpen, Im Mersche und Langener Hufeisen“ durch eutrophierende und versauernde Stickstoff- und Schwefelverbindungen liegt nicht vor (10). Radioaktive Immissionen haben für die betrachteten FFH-Gebiete keine Relevanz (11).
815(1) Das in den Ausbreitungsrechnungen vom 6. August 2012, vom 13. November 2015 und vom 31. Mai 2016/7. Juni 2016 betrachtete Rechengebiet von 25,6 km x 20,5 km ist ausreichend groß. Die in der Umgebung des streitbefangenen Kraftwerkprojekts befindlichen o.a. FFH-Gebiete liegen vollständig innerhalb des Rechengebiets.
816(2) Die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung hat alle von dem Vorhaben ausgehenden Aus- und Einwirkungen in dem erforderlichen Umfang untersucht. Dies gilt insbesondere für die Einwirkungen der eutrophierenden und versauernden Stoffeinträge, der Schwermetalldepositionen und der Luftschadstoffe Stickstoffdioxid, Schwefeldioxid und Ammoniak auf die terrestrischen Lebensraumtypen.
817(a) Die in der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung vom 6. August 2012 zu Grunde gelegten Abschneidewerte von 0,1 kg N/(ha*a) für eutrophierende Stickstoffeinträge und von 30 eq (N+S)/(ha*a) für versauernde Stickstoff- und Schwefeleinträge sind - wie oben ausgeführt - zu hoch. Das vom Senat für sachgerecht erachtete Abschneidekriterium von 0,5 % des Critical Loads der im vorliegenden Fall stickstoffempfindlichsten Lebensraumtypen 9110 und 9190 von jeweils 13 kg N/(ha*a) ergibt für die eutrophierenden Stickstoffeinträge einen (ersten) Abschneidewert von 0,065 kg N/(ha*a) und für die versauernden Stickstoff- und Schwefeleinträge einen (ersten) Abschneidewert von 5 eq (N+S)/(ha*a). Diese Abschneidewerte sind in einem ersten Prüfungsschritt der zuletzt vorgelegten, ergänzenden Kumulationsbetrachtung des TÜV Nord vom 31. Mai 2016 bei der Festlegung des Untersuchungsraums beachtet worden.
818(b) Auch der Untersuchungsrahmen bei den Schwermetalldepositionen begegnet im Ergebnis keinen Bedenken. Wie oben ausgeführt, ist es grundsätzlich gerechtfertigt, im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung ein Abschneidekriterium anzuwenden. Zum einen bedarf es - auch bei Schwermetalldepositionen - der Bestimmung des Einwirkungsbereichs einer Anlage und damit der schutzgutbezogenen Festlegung des Untersuchungsraums. Zum andern sind bestimmte minimale Immissionsbeiträge dem Verursacher unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit rechtlich nicht mehr zuzurechnen.
819Ob die Höhe der vom LANUV vorgeschlagenen und der Untersuchung der Schwermetalldepositionen zu Grunde gelegten Abschneidekriterien in jeder Hinsicht überzeugend ist, bedarf im vorliegenden Zusammenhang keiner abschließenden Entscheidung. Jedenfalls ist die prognostizierte maximale Zusatzbelastung an Schwermetallen, die in dem FFH-Gebiet „Teilabschnitte Lippe - Unna, Hamm, Soest, Warendorf“ zu erwarten ist, so gering und damit nicht erheblich, dass eine nähere Untersuchung nicht erforderlich war.
820Diese Beurteilung folgt aus einer anhaltsweisen Gegenüberstellung der Zusatzbelastung mit den in Nr. 4.5.1 der TA Luft zum Schutz vor Umwelteinwirkungen, einschließlich schädlicher Bodenveränderungen, vorgesehenen Beurteilungswerten und Irrelevanzschwellen. Die maximale Zusatzbelastung liegt mit Anteilen von weniger als 1 % dieser Beurteilungswerte so deutlich unterhalb der in der TA Luft bestimmten 5 %-Irrelevanzschwelle, dass nachteilige Beeinträchtigungen auch unter Berücksichtigung möglicher Summationen selbst bei sehr empfindlichen Lebensraumtypen ausgeschlossen erscheinen. Die höchste Zusatzbelastung für Thallium und Quecksilber entspricht mit jeweils 0,005 µg/(m2*d) einem Anteil von 0,25 % bzw. 0,5 % des jeweiligen Immissionswerts. Die Zusatzbelastung für Blei entspricht mit einem Wert von 0,14 µg/(m2*d) 0,14 % des Immissionswerts der TA Luft, für Cadmium mit einem Wert von 0,016 µg/(m2*d) 0,8 % des Immissionswerts der TA Luft und für Nickel mit einem Wert von 0,019 µg/(m2*d) 0,13 % des Immissionswerts der TA Luft. Es bestehen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass durch die höchsten prognostizierten Einträge der Schwermetalle Kupfer und Kobalt, für die die TA Luft keine Immissionswerte enthält, in Höhe von 0,014 µg/(m2*d) und 0,009 µg/(m2*d) nachteilige Wirkungen für die in den FFH-Gebieten betroffenen Lebensraumtypen hervorgerufen werden könnten.
821Gegen eine solche Annahme spricht die in der Ergänzung der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung des TÜV Nord vom 28. März 2013 (S. 28 ff., 32) vorgenommene Betrachtung zu Wachstumsbeeinträchtigungen bei Pflanzen und Bodenbeeinträchtigungen durch die (maximalen) Schwermetalleinträge von Blei, Cadmium, Kupfer, Nickel, Quecksilber und Thallium in das FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“. Die mögliche Anreicherung in den Pflanzen über einen Zeitraum von 40 Jahren liegt danach unter Berücksichtigung des maximalen Transferkoeffizienten erheblich unterhalb des in Pflanzen niedrigsten normalen Schwermetallgehalts. Bei Blei beträgt der Anteil 0,2 %, bei Cadmium 5 %, bei Kupfer 0,03 %, bei Nickel 1 %, bei Quecksilber 0,01 % und bei Thallium 0,18 %.
822Die über einen Zeitraum von 40 Jahren zu erwartende Anreicherung an Schwermetallen im Boden ist auch bei einem (anhaltsweisen) Vergleich mit den niedrigsten Vorsorgewerten in Anhang 2 Nr. 4 (Bodenart Sand) der BBodSchV als allenfalls geringfügig zu bezeichnen. Die Anreicherung an Blei erreicht mit 0,0041 mg/kg einen Anteil von 0,01 % (40 mg/kg), bei Cadmium mit 0,0005 mg/kg von 0,14 % (0.4 mg/kg), bei Kupfer mit 0,0005 mg/kg von 0,0025 % (20 mg/kg), bei Nickel mit 0,0006 mg/kg von 0,004 % (15 mg/kg) und bei Quecksilber mit 0,0002 mg/kg von 0,2 % (0,2 mg/kg).
823Dass die aufgrund der Messungen von April 2012 bis April 2013 ermittelte Vorbelastung an Quecksilber den vom Umweltbundesamt bestimmten Critical Load übersteigt und die prognostizierte Zusatzbelastung über einer darauf bezogenen 3 %-Bagatellschwelle liegt, rechtfertigt entgegen der Annahme des Klägers keine andere Beurteilung. Die Critical Loads des Umweltbundesamtes für Schwermetalle sind - nach ausdrücklicher Aussage des Umweltbundesamtes - auf Genehmigungsverfahren nicht anwendbar.
824(c) Für die Konzentration der Luftschadstoffe Stickstoffdioxid (NO2), Schwefeldioxid (SO2) und Ammoniak (NH3) in der Luft sind wirkungsbezogene Abschneidewerte in Höhe von 0,2 µg/m³, 0,3 µg/m³ und 0,08 µg/m³ festgesetzt worden. Diese Werte orientieren sich an den für die Beurteilung der Auswirkungen maßgeblichen Bewertungsmaßstäben der Critical Levels nach UNECE 2004 und WHO 2000. Diese Critical Levels bestimmen die Konzentration für die kumulative Belastung oder den kumulativen Spaltöffnungsdurchfluss von Schadstoffen in der Atmosphäre, oberhalb derer direkte Schadeffekte an sensitiver Vegetation nach derzeitigem Wissen auftreten können.
825Vgl. BASt-Bericht, S. 17 und 208 ff., unter Hinweis auf das ICP Modelling & Mapping Manual 2004, www.icpmapping.org.
826Dieser Ansatz der FFH-Verträglichkeitsprüfung begegnet keinen Bedenken. Die Abschneidewerte entsprechen jeweils einem Anteil von 1 % der Critical Levels. Eines strengeren Abschneidekriteriums bedarf es bei der Bewertung der Konzentration versauernder und eutrophierender Schadstoffe in der Luft in der Regel nicht. Für die Beurteilung der schädigenden Wirkung dieser Schadstoffe auf die ‑ hier allein betroffenen - höheren Pflanzen sichern die Critical Loads einen angemessen strengen Maßstab, der regelmäßig unterhalb der mit den Critical Levels definierten Wirkungsschwelle liegt. Die meisten höheren Pflanzen nehmen ‑ anders als die empfindlicheren Moose und Flechten - z. B. Stickstoff überwiegend aus dem Boden über die Wurzeln und nur in geringem Umfang aus der Luft über die Blätter auf.
827Vgl. - auch zum Folgenden -: BASt-Bericht, S. 50 f. und 210 f.
828Die Critical Levels spielen zudem für die höheren Pflanzen auch deshalb eine nur untergeordnete Rolle, weil sie mangels aussagekräftiger Untersuchungen insbesondere zu den hier besonders bedeutsamen chronischen Langzeiteffekten - anders als die Critical Loads - nicht zwischen den konkreten Vegetationstypen differenzieren.
829Die vorhabenbedingten Emissionen unterschreiten die Abschneidewerte in allen FFH-Gebieten. Dies gilt auch bei Anwendung des für die Konzentration von Ammoniak in der Luft im ICP Modelling & Mapping Manual seit Juli 2011 vorgeschlagenen niedrigeren Critical Levels von 3 µg/m³.
830Vgl. BASt-Bericht, S. 209 Tabelle 52; ICP Modelling & Mapping Manual, Update Juni 2015 Kapitel 3, S. 8 und 9.
831In diesem Fall ergibt sich ein Abschneidewert von 0,03 µg/m³. Die bezogen auf alle FFH-Gebiete höchste maximale Zusatzbelastung von 0,009 µg/m³ liegt deutlich unterhalb dieses Werts. Das Critical Level für Flechten und Moose in Höhe von 1 µg/m³ ist nicht anwendbar, weil diese Pflanzen nicht charakteristisch für die hier betroffenen Lebensraumtypen sind.
832Vgl. BASt-Bericht, S. 210.
833(3) Die insgesamt 35 Beurteilungspunkte für die eutrophierenden und versauernden Stoffeinträge wurden so gewählt, dass für jeden prüfungsrelevanten Lebensraumtyp zumindest ein Beurteilungspunkt vorliegt. Es wurden die Punkte ausgewählt, an denen die höchste projektbedingte Zusatzbelastung eingetragen wird. Diese Auswahl entspricht den vom Senat im vorangegangenen gerichtlichen Verfahren gebilligten Kriterien und den fachlichen Vorgaben des LANUV. Das LANUV hat unter dem 18. Juli 2012 bestätigt, dass seine Empfehlungen auch insoweit aufgegriffen und umgesetzt worden seien. Der Einwand des Klägers, dass es sich um nicht repräsentative und vergleichsweise gut erhaltene Flächen handele, in deren näherem Umfeld bereits erhebliche Vegetationsschäden wie das Vorkommen von Eutrophierungszeigern zu verzeichnen seien, stellt die Auswahl der Beurteilungspunkte nicht durchgreifend in Frage. Die Orientierung an der höchsten Zusatzbelastung ist insbesondere dann sachgerecht, wenn - wie hier - zunächst auf Bagatellschwellen abgestellt wird. Auf den konkreten Pflanzenbestand an den jeweiligen Beurteilungspunkten kommt es, soweit die reale Vegetation in die Ermittlung der Belastungsgrenze oder ggf. eine Einzelfallbetrachtung einzubeziehen ist, nicht entscheidend an, weil jeweils von der Vegetationserhebung in der - einem bestimmten Lebensraumtyp zuzuordnenden - Gesamtfläche auszugehen ist. Vor diesem Hintergrund bedurfte es auch keiner Ausweisung von weiteren Beurteilungspunkten in dem in einem geringeren Ausmaß von Luftschadstoffen betroffenen nordöstlichen Teil des FFH-Gebiets „Wälder bei Cappenberg“. Es bestehen im Übrigen auch keine Anhaltspunkte, dass die in der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung einer eingehenden Untersuchung unterzogenen Beurteilungspunkte C1 bis C11 den Zustand der Böden nicht repräsentativ widerspiegeln würden. Gegen eine solche Annahme spricht, dass die Ergebnisse der von dem Gutachter des Klägers, Dr.-Ing. H. , im Jahr 2012 im nordöstlichen Teil des FFH-Gebiets „Wälder bei Cappenberg“ erhobenen Bodenproben an neun Bodenprofilen jedenfalls nicht in signifikanter Weise von den Untersuchungsergebnissen an diesen Beurteilungspunkten abweichen.
834(4) Die Verwendung der empirischen Critical Loads des LANUV für eutrophierende Stickstoffeinträge wird vom Kläger nicht angegriffen und ist auch sonst nicht zu beanstanden. Der BASt-Bericht hält die Heranziehung empirischer Critical Loads weiterhin für sachgerecht, wenn ein Rückgriff auf modellierte Critical Loads nicht möglich oder - wie hier - nicht gewollt ist. Das LANUV hatte unter Hinweis auf den Unterschied zwischen dem modellierten Critical Load und dem Critical Load der sog. Berner Liste für den Vegetationstyp „Glatthaferwiesen“ die Verwendung seiner eigenen empirischen Critical Loads ausdrücklich gefordert. Dieser Forderung ist die Beigeladene nachgekommen. Die Critical Loads des LANUV für eutrophierende Stoffeinträge stellen sich für die Beurteilungspunkte, die oberhalb des Abschneidekriteriums beaufschlagt werden, wie folgt dar (alle Werte sind in kg N (ha*a) angegeben):
835BP |
LRT |
CL |
3 %-Bagatell-schwelle |
1 |
9190 |
(**) |
|
2 |
91F0 |
(**) |
|
3 |
91E0 |
(**) |
|
4 |
91F0 |
(**) |
|
6 |
91E0 |
(**) |
|
7 |
9190 |
(**) |
|
7b |
9110 |
(**) |
|
9 |
6510 |
(**) |
|
11 |
9160 |
(**) |
|
12 |
91F0 |
(**) |
|
13 |
6430 |
n.e |
|
14 |
6430 |
n.e |
|
18 |
91E0 |
23-25 |
0,69 - 0,75 |
18b |
91E0 |
23-25 |
0,69 - 0,75 |
18c |
91E0 |
23-25 |
0,69 - 0,75 |
19 |
91E0 |
23-25 |
0,69 - 0,75 |
20 |
6430 |
n.e. |
|
22 |
3150 |
n.e. |
|
23 |
6510 |
24-30 |
0,72 - 0,9 |
24 |
91F0 |
20-22 |
0,6 - 0,66 |
26 |
9110 |
13-16 |
0,39 - 0,48 |
27 |
9110 |
13-16 |
0,39 - 0,48 |
28 |
9110 |
13-16 |
0,39 - 0,48 |
29 |
91E0 |
23-25 |
0,69 - 0,75 |
30 |
9110 |
(**) |
|
31 |
9160 |
15 - 20 |
0,45 - 0,6 |
C1 |
9160 |
15 - 20 |
0,45 - 0,6 |
C2 |
9130 |
15 - 20 |
0,45 - 0,6 |
C3 |
9130 |
15 - 20 |
0,45 - 0,6 |
C4 |
9130 |
15 - 20 |
0,45 - 0,6 |
C5 |
9110 |
13 - 16 |
0,39 - 0,48 |
C6 |
9110 |
13 - 16 |
0,39 - 0,48 |
C7 |
9110 |
13 - 16 |
0,39 - 0,48 |
C8 |
91E0 |
23 - 25 |
0,69 - 0,75 |
C9 |
9160 |
15 - 20 |
0,45 - 0,6 |
C10 |
9160 |
(**) |
|
C11 |
9110 |
(**) |
(**) Die eutrophierenden Einträge des Kraftwerks Lünen liegen unterhalb des hier niedrigsten Abschneidewerts von 0,065 kg N(ha*a); n.e. bedeutet: nicht empfindlich
837(5) Die Modellierung der Critical Loads für versauernde Stickstoff- und Schwefeleinträge nach dem SMB-Modell in dem Teilgutachten von P. -E. vom 6. August 2012 weist dagegen Fehler bei der Ermittlung und Verwendung der Eingabeparameter auf. Die Critical Loads sind daher nur in korrigierter Form verwertbar.
838Die vom Senat bestellten Sachverständigen V. - der wie die Gutachterin Dr. T2. von P. -E. Mitautor des BASt-Berichts ist - und K. bestätigen in ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 15. Juni 2016, dass die Modellierung der Critical Loads mit dem SMB-Modell grundsätzlich dem besten derzeit verfügbaren wissenschaftlichen Standard entspricht. Dies gelte sowohl bezogen auf den Zeitpunkt der Erstellung des Teilgutachtens als auch bezogen auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung. Das Teilgutachten habe die für die Berechnung erforderlichen Parameter - nämlich die vegetationsspezifischen Eingangswerte „Basensättigung“ und „C/N-Verhältnis“ - wie von der Modellvorgabe gefordert und beanstandungsfrei nach dem BERN-Modell ermittelt. Die weiteren Parameter „kritischer pH-Wert zur Erhaltung der Bodenfunktion“, „kritisches Verhältnis von basischen Kationen zu Aluminium-Ionen“ (Bc/AL-Verhältnis), „Stickstoff-Immobilisierungsrate“ (Niacc), „Stickstoff-Denitrifikationsrate“ (Nde), „Austrag basischer Kationen mit der Nutzung“ (Bcupt), „Verwitterungsrate basischer Kationen“ (BCw, Bcw), „kritische Austragsrate der Säureneutralisierungskapazität“ (ANCle(crit)) und „Deposition basischer Kationen“ (BCdep = Ca + Mg + K + Na) und „Deposition von Chlorid“ (Cldep) - seien sämtlich berücksichtigt worden. Die Modellierung habe nach Vorlage ergänzender Berechnungsunterlagen durch die Gutachterin Dr. T2. auch auf ihre Plausibilität hin untersucht werden können.
839(a) Die bei dem Term „Austrag basischer Kationen mit der Nutzung“ eingestellten Werte hätten zwar nur im Ansatz nachvollzogen werden können, sie seien aber mit Blick auf die Konvention des BASt-Vorhabens, eine biotopverträgliche Mindestnutzung anzusetzen, sehr konservativ und deshalb aus fachlicher Sicht nicht zu beanstanden.
840Die Annahme der Gutachterin Dr. T2. in dem Teilgutachten vom 6. August 2012, dass in den Wald-Lebensraumtypen nur eine schwache Durchforstung im Rahmen einer extensiven Bestandspflege durchgeführt werde, entspricht im Übrigen auch den Feststellungen von c. vom 29. Juni 2012. Das Gebiet wird danach forstwirtschaftlich nur in geringem Maße genutzt. Der Vorwurf des Klägers, es sei nicht klar, welcher „status quo“ der Waldbewirtschaftung in die Modellierung eingegangen sei, trifft daher nicht zu.
841(b) Die Sachverständigen V. und K. sind in ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 15. Juni 2016 ferner zu der Einschätzung gelangt, dass die abweichend von der SMB-Modellvorgabe nach dem DECOMP-Modell bestimmten Werte der Stickstoff-Immobilisierungsrate mit einer Spanne von 1,66 bis 4,17 kg N/(ha*a) unterhalb der Werte lägen, die sich bei einer Berechnung nach der SMB-Methode ergeben hätten. Sie seien daher trotz der methodischen Abweichung ebenso plausibel wie die zutreffend mit dem BERN-Modell ermitteltenCritical Limits des C/N-Verhältnisses mit Werten von 18 bis 22. Die Werte des Terms „kritische Austragsrate der Säureneutralisierungskapazität“ seien nach der im BASt-Vorhaben empfohlenen Vorgehensweise ermittelt worden und hätten mit den ergänzend von der Gutachterin Dr. T2. zur Verfügung gestellten Unterlagen auch validiert werden können. Die - ebenfalls abweichend nach dem DECOMP-Modell ermittelten - Stickstoff-Denitrifikationsfaktoren von etwa 0,5 bis 0,65 seien insbesondere für die Bestände der „Wälder bei Cappenberg“ der Höhe nach völlig plausibel. Dasselbe gelte für die hohe Denitrifikationsrate der Auwald-Lebensraumtypen.
842(c) Die Vorgehensweise der Gutachterin Dr. T2. sei auch in Bezug auf die besonders sensiblen abiotischen Standortfaktoren Niederschlagsmenge im Jahr und Jahresmitteltemperatur plausibel. Ein Korrekturbedarf sei hier nicht gegeben. Die Jahressumme der Niederschläge und die Jahresdurchschnittstemperatur seien, wie in dem BASt-Vorhaben gefordert, den 1 km x 1 km Rasterdatensätzen der Klimadatenreihe des Deutschen Wetterdienstes für die Periode 1981 bis 2010 entnommen worden. Die Gutachterin habe in ihrer Stellungnahme vom 24. Mai 2016 klargestellt, dass sie nicht - wie in dem Teilgutachten vom 6. August 2012 angegeben - mit einer zu niedrigen Jahresniederschlagssumme von 700 mm/a, sondern mit 820 mm/a gerechnet habe. Dieser Wert weiche nicht wesentlich von den Werten des Deutschen Wetterdienstes an den Beurteilungspunkten mit Spannen von 823 bis 895 mm ab. Dies gelte auch für die gegenüber den Werten des Deutschen Wetterdienstes (10,0°C - 10,5°C) etwas zu niedrig angesetzte Jahresdurchschnittstemperatur zwischen 9,5°C und 10°C.
843Die weiteren Faktoren Bodentyp, Substratschichtung, Muttergestein und Hydromorphietyp stammen aus den im Genehmigungsverfahren von der Beigeladenen in Auftrag gegebenen und angefertigten Bodenkarten im Maßstab 1:50.000 (Bk 50) und 1:5.000 (Bk 5) sowie der bodenkundlichen Aufnahme des FFH-Gebiets „Wälder bei Cappenberg“ von Erlach/Schwender vom 29. Juni 2012. Die Sachverständigen haben die Heranziehung dieser Unterlagen nicht beanstandet. Soweit die Sachverständigen dagegen bemängeln, dass die Angaben in Tabelle 29 des Teilgutachtens zum aktuellen bodenchemischen Zustand der Böden an den Beurteilungspunkten C1 bis C 11 nicht mit den entsprechenden Analysewerten der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt in Einklang stünden, wirkt sich dieser Fehler nicht auf die Modellierung der Critical Loads aus, sondern wird erst bei einem Abgleich der modellierten Critical Loads mit den Critical Loads aus Anhang I des BASt-Berichts relevant. Die Oberböden seien bei Zugrundelegung der bodenchemischen Analysewerte der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt mit Ausnahme der basenreichen Standorte C 1 und C 8 jeweils abweichend von der in Tabelle 21 des Teilgutachtens vom 6. August 2012 vorgenommenen Einstufung als „basenarm“ einzustufen. Die Liste des Anhangs I des BASt-Berichts biete für solche basenarme Ausprägungen der betroffenen Lebensraumtypen 9110, 9130 und 9160 keine einem Vergleich zugänglichen Referenz-Ausprägungen an.
844(d) Die auf der Grundlage der abiotischen Standortfaktoren erfolgte Zuordnung der an den Beurteilungspunkten aufgefundenen Lebensraumtypen zu den Indikatorgesellschaften mit einem günstigen Referenz-Zielerhaltungszustand wird von den Sachverständigen ebenfalls nicht bemängelt. Die dem BERN-Modell entnommenen Quellen für die Indikatorgesellschaften sind in Tabelle 26 des Teilgutachtens aufgelistet. Das angeführte Datenmaterial stammt aus den Jahren 1916 bis 1972, die Indikatorgesellschaften für die in dem FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ gelegenen Beurteilungspunkte TKL 26 bis TKL 31 sowie C1 bis C11 entstammen Untersuchungen aus den Jahren 1936 (2 Beurteilungspunkte), 1942 (1 Beurteilungspunkt), 1957 (4 Beurteilungspunkte), 1959 (2 Beurteilungspunkte) und 1960 (8 Beurteilungspunkte). Die ursprüngliche Forderung des Klägers nach Referenzuntersuchungen von vor den 1970er Jahren ist damit erfüllt. Die zuletzt erhobene Forderung des Klägers nach Referenzuntersuchungen von vor den 1920er Jahren ist zu weitgehend. Untersuchungsergebnissen kommt aufgrund der Unterschiede in der Erhebungsmethodik eine umso geringere Aussagekraft zu, je älter sie sind.
845Die mit dem SMB-Modell ermittelten Belastbarkeitsschwellen sichern entgegen der Annahme des Klägers nicht nur die bloße Möglichkeit der Existenz der jeweiligen Pflanzengesellschaft. Sie sichern modellbedingt die 100 %-Existenzmöglichkeit der Indikatorpflanzengesellschaft und damit die uneingeschränkte Möglichkeit ihrer Existenz, d. h. einen Zustand der maximal möglichen vollen Funktionstüchtigkeit und Selbstregenerationskraft.
846(e) Korrekturbedarf besteht allerdings bei dem Ansatz der - der Versauerung grundsätzlich entgegenwirkenden und die Critical Loads erhöhenden - Deposition basischer Kationen und der - als basenneutralisierend hiervon abzuziehenden, die Critical Loads senkenden - Deposition von Chlorid. Die Sachverständigen V. und K. haben aufgezeigt, dass die (nur) beim Abzug von Chlorid erfolgte Seesalzkorrektur der Konvention des BASt-Vorhabens widerspreche. Dieses habe für die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung den im Vergleich zu den anthropogen verursachten Anteilen überwiegenden Seesalzanteil der basischen Kationen und von Chlorid als natürliche Komponenten in den Vordergrund stellen wollen. Deshalb sollten die basischen Kationen und Chlorid abweichend von der Konvention der Luftreinhalteplanung -
847ICP Modelling & Mapping Manual, Kapitel V, S. 16 und Kapitel II, S. 10 f., www.icpmapping.org -
848ohne Seesalzkorrektur in die Berechnung eingestellt werden. Im Zusammenhang mit der vorliegenden Überprüfung des Teilgutachtens von P. -E. nach entsprechenden Hinweisen des Klägers habe sich jedoch herausgestellt, dass dieser Ansatz des BASt-Vorhabens in der Praxis nicht ohne Weiteres umgesetzt werden könne. Die Hintergrundbelastung der basischen Kationen und von Chlorid lasse sich den vom Umweltbundesamt erhobenen und veröffentlichten Daten (hier Stand 2012, Bezugsjahr 2007) entnehmen. Die Datensätze des Umweltbundesamtes enthielten nicht die für den BASt-Ansatz erforderlichen Werte der ‑ tendenziell die Werte der Trockendeposition von Natrium übersteigenden - Trockendeposition von Chlorid. Deren Kenntnis sei im Rahmen des auch vom Umweltbundesamt vertretenen Ansatzes der Luftreinhalteplanung nicht erforderlich, weil dort seesalzkorrigierte Werte verwendet würden und die Trockendeposition von Chlorid im Wesentlichen meeresbürtig sei. Dass diese Information in den Datensätzen fehle, sei den Teilnehmern des BASt-Vorhabens nicht bewusst gewesen. Bei dieser Sachlage hielten sie es - wie der Kläger - für angezeigt, von der Konvention des BASt-Vorhabens abzuweichen und in der Berechnung der Critical Loads für die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung ausschließlich seesalzkorrigierte Werte zu verwenden; dies sei zweckmäßiger, als die Trockendeposition von Chlorid anhand des Umrechnungsfaktors 1,166 -
849ICP Modelling & Mapping Manual, Kapitel II, S. 11 Table 2.1, www.icpmapping.org -
850aus dem entsprechenden Natriumwert abzuleiten. Stelle man nach alledem sowohl die basischen Kationen als auch Chlorid seesalzkorrigiert in die Berechnung der Critical Loads ein, ergäben sich bei gleichzeitiger Außerachtlassung der Natriumdeposition an den in der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung betrachteten Beurteilungspunkten Abzüge in einer Größenordnung zwischen 400 und 1115 eq.
851Die Gutachterin Dr. T2. hat nicht in Zweifel gezogen, dass der Ansatz des BASt-Vorhabens, auf eine Seesalzkorrektur zu verzichten, aufgrund der unzureichenden Datenbasis nicht realisierbar ist. Die von der Gutachterin Dr. T2. in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 dagegen geäußerten Zweifel an der alternativen Vorgehensweise der Sachverständigen dringen nicht durch. Dies gilt insbesondere, soweit sie in Frage gestellt hat, ob die Natriumdeposition in der Berechnung vollständig außer Acht gelassen werde durfte. Ihre Annahme, der aus der Sahara, dem Tagebau oder anderen anthropogenen Quellen stammende Natriumanteil sei in einer Höhe von bis zu 500 eq zu berücksichtigten, ist nicht überzeugend. Der Sachverständige V. hat für den Senat nachvollziehbar in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 erklärt, dass der Meereinfluss bei der Natriumdeposition nach dem ihm bekannten Kartenmaterial des Umweltbundesamts überwiegt und nicht in nennenswertem Umfang von solchen anthropogenen oder anderen Einträgen überlagert wird. Dies belegten insbesondere die Werte im Ruhrgebiet, das eine Vielzahl anthropogener Quellen aufweise. Auch dort gingen die Werte der Nass- und der Trockendeposition mit der Entfernung vom Meer nach unten. Andere Erkenntnisse seien ihm nicht bekannt. Auch die Fachliteratur gehe davon aus, dass die anthropogenen Einträge von Natrium wegen ihrer Geringfügigkeit vernachlässigt werden könnten. Der Kläger weist insoweit zu Recht ergänzend darauf hin, dass das ICP Modelling & Mapping Manual 2004/2015 ebenfalls davon ausgehe, dass die Natriumdeposition im westlichen und nördlichen Europa regelmäßig ausschließlich aus dem Meer stamme und es diese daher als sog. „tracer“ in der Critical Load-Berechnung auf „Null“ setze.
852Vgl. ICP Modelling & Mapping Manual, Kapitel V, S. 11, www.icpmapping.org.
853Auch der BASt-Bericht geht - mit der Gutachterin Dr. T2. als Mitautorin - davon aus, dass in Deutschland Einträge aus Sahara-Sandstäuben keine Rolle spielen. Hier seien es die Einträge aus Seesalz-Spray, insbesondere aus der Nordsee, die als natürliche Quellen signifikante Auswirkungen auf den Säure-Basen-Status der Ökosysteme hätten. Der Seesalzeintrag korreliere eng mit der Entfernung zur Nordsee.
854Mit diesen Erkenntnissen lässt sich die - bei einer Gesamthintergrunddeposition im Jahr 2007 von Natrium in Höhe von 428 eq am Beurteilungspunkt 9 und bis zu 864 eq an den Beurteilungspunkten C1 bis C 4 implizite - Annahme der Gutachterin nicht in Einklang bringen, gerade in den betroffenen FFH-Gebieten überwiege dagegen ganz deutlich der anthropogen verursachte Natriumanteil.
855(f) Weiterer Korrekturbedarf besteht nach Ansicht der Sachverständigen V. und K. beim Eingangsparameter „Verwitterungsrate basischer Kationen“. Die Verwitterungsrate werde tiefenstufengewichtet anhand der jeweiligen Muttergesteins- und Texturklasse berechnet. Die Oh-Auflage (organische Humusauflage), die in dem Teilgutachten insoweit mit jeweils 50 eq berücksichtigt worden sei, sei einer solchen Klassifizierung nicht zugänglich. Nach gängiger Lehrmeinung finde in der Oh-Auflage zwar eine biologische Immobilisierung von basisch wirkenden Kationen und von Stickstoffverbindungen statt, die bei der Freisetzung als Säure wirkten; soweit die dort gebildeten Stoffe wieder in den Stoffkreislauf zurückkehrten, fänden Mineralisierungsvorgänge statt, die jedoch nicht - wie geschehen - bei der Basenverwitterung, sondern bei der Nettoimmobilisierung zu berücksichtigen seien. Die Ausführungen der Sachverständigen sind nachvollziehbar. Sie stehen insbesondere auch in Einklang mit den Vorgaben des BASt-Vorhabens. Danach sind organische Ausgangssubstrate der Substratklasse 0 und als solche ungeachtet ihrer Texturklasse der Verwitterungsklasse 0 zugeordnet. Der Verwitterungsklasse 0 entspricht eine Verwitterungsrate von 0 eq (ha*a).
856Vgl. BASt-Bericht, S. 172 ff., Tabellen 32, 34 und 35.
857Dem entsprechen die Ausführungen der Gutachterin Dr. T2. auf den Seiten 45 ff. (3.5.3.5) und Tabellen 16, 18 und 19 des Teilgutachtens vom 6. August 2012, wo sie ihre Vorgehensweise bei der Ermittlung der Verwitterungsrate beschreibt. Ihr Hinweis in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016, das ICP Modelling & Mapping Manual sehe für die Humusauflage eine Verwitterungsklasse vor, stellt dies nicht in Frage.
858Die Sachverständigen haben zwar sowohl in ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 15. Juni 2016 als auch in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 betont, dass die Vorgehensweise der Gutachterin Dr. T2. bei der Ermittlung dieses Parameters ansonsten an etlichen Stellen - etwa bei den vertretbar zugrundegelegten Boden- und Durchwurzelungstiefen - konservativ gewesen sei. Auch die Abweichungen, die sich bei der Zuordnung der einzelnen Bodenhorizonte bzw. -schichten zu der Texturklasse aufgrund der im Gutachten durchgeführten Fuzzyfizierung ergäben, erforderten keine weitere Korrektur. An dem Abzug der Verwitterungsrate für die Oh-Auflage in Höhe von 50 eq werde aber auch deshalb festgehalten, weil die eigenen Nachberechnungen die Behauptung der Gutachterin nicht bestätigt hätten, sie habe auch deshalb konservativ gerechnet, weil sie Korrekturfaktoren berücksichtigt habe, um die Ergebnisse nach dem Modell PROFILE zu erreichen.
859(g) Es bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass das SMB-Modell deshalb nicht zu angemessenen Ergebnissen führt, weil insbesondere die Böden in dem FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ bereits irreversibel geschädigt wären. Davon gehen auch die Sachverständigen V. und K. nicht aus. Der BASt-Bericht geht von einer irreversiblen Schädigung dann aus, wenn stark gestörte Pflanzengesellschaften mit deutlich unvollständigem Arteninventar vorliegen, wobei eine Artenausstattung in dem Erhaltungszustand C (mittel bis schlecht) einen Anhaltspunkt für eine solche Sachlage liefern kann. Eine irreversible Schädigung ist ferner bei endversauerten Standortverhältnissen gegeben, d. h. bei pH(H2O)-Werten kleiner als 3,2. Dieser pH(H2O)-Wert markiert den niedrigsten akzeptablen pH(H2O)-Wert des Aluminium-Eisen-Puffers,
860vgl. BASt-Bericht, S. 162, Tabelle 26 (Pufferbereiche nach Ulrich, Stabilität, Elastizität und Resilienz von Waldökosystemen unter dem Einfluss saurer Deposition, Forstarchiv 58 (1987), 232),
861vor dem Übergang in den Eisen-Puffer, der durch einen extremen Nährstoffmangel sowie eine Eisen-und Aluminiumtoxizität geprägt ist.
862Vorliegend fehlt es an solchen Anhaltspunkten für eine irreversible Schädigung der Böden in den „Wäldern bei Cappenberg“. Die Lebensraumtypen befinden sich nach der Bewertung durch c. im Jahr 2012 überwiegend in einem guten Erhaltungszustand (B).
863Der Vegetationszustand der Lebensraumtypen wurde dem Biotopkataster des Landes Nordrhein-Westfalen, der Neukartierung von weluga aus dem Jahr 2010 und den von c. in den „Wäldern bei Cappenberg“ erhobenen Vegetationsaufnahmen entnommen. Die Kritik des Klägers an dem Kartenmaterial und den vegetationskundlichen Erhebungen greift nicht durch. Das LANUV und der Geologische Dienst haben unter dem 8. Februar 2012 detaillierte Vorgaben zu Umfang und Methodik der Vor-Ort-Datenerhebungen gemacht. Das LANUV hat nach Prüfung der vorgelegten Unterlagen unter dem 7. Dezember 2012 bestätigt, dass die einzelnen Untersuchungen diesen Vorgaben entsprechen. Die Forderung des Klägers nach weiteren umfangreichen Vegetationsaufnahmen und Bodenuntersuchungen oder -analysen ist vor diesem Hintergrund unbegründet. Seine Kritik an den Vegetationsaufnahmen von c. stellt deren Aussagekraft nicht in Frage. Nach den textlichen Ausführungen der Aktualisierung der LRT-Kartierung im FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ von c. vom 29. Juni 2012 ist die Erfassung und Bewertung der FFH-Lebensraumtypen in enger Abstimmung mit dem LANUV erfolgt. Es hätten verschiedene gemeinsame Exkursionen stattgefunden, auf denen die Bewertung und Einstufung der verschiedenen Lebensraumtypen im Gelände diskutiert und abgestimmt worden seien. Vor diesem Hintergrund spricht nichts für die Annahme, dass die ausgewählten Flächen nur einen „geschönten“ Teil der Situation repräsentieren und die Standards für Vegetationserhebungen nicht eingehalten worden wären. Auch die Bewertung der Lebensraumtypen überwiegend mit einem Erhaltungszustand B (gut) ist nachvollziehbar. Dies gilt trotz des von c. festgestellten stellenweise starken Auftretens von Eutrophierungszeigern. Die Bewertung der einzelnen LRT-Flächen erfolgte nach den Bewertungsbögen der Kartieranleitung der ehemaligen Landesanstalt für Ökologie, Bodenordnung und Forsten NRW (LÖBF (2004). Insgesamt wurden 101 Flächen einer Betrachtung und Bewertung unterzogen. In die zusammenfassende Gesamtbewertung der einzelnen Flächen sind die Einzelbewertungen zu unterschiedlichen Kriterien eingeflossen. Die Beeinträchtigung des jeweiligen Lebensraumtyps durch Eutrophierungs- und sonstige Störzeiger, durch Befahrung und durch das Wasserregime ist nur eines dieser Kriterien. Daneben wurden die im Einzelnen aufgeführten lebensraumtypischen Gehölze auf ihre Wuchsklassenverteilung, auf den Anteil der Altbäume und das Vorkommen von Totholz hin betrachtet und entsprechend der Ausprägung klassifiziert. Die Flächen wurden weiter auf das anteilmäßige Vorhandensein der lebensraumtypischen Arten in der Hauptschicht und weiteren Schichten hin untersucht und ebenfalls entsprechend klassifiziert. Einer Bewertung der für die betroffenen Lebensraumtypen nicht charakteristischen Moos- und Flechtenarten bedurfte es nicht.
864Für die Frage, ob die Böden in den „Wäldern bei Cappenberg“ im Zustand der Endversauerung sind, ist nach den Vorgaben des BASt-Berichts in erster Linie auf den pH-Wert der Böden abzustellen. Um den notwendigen Vergleich zwischen den gemessenen pH-Werten und den kritischen Spannengrenzen für die Pufferbereiche der Böden nach Ulrich 1987,
865vgl. BASt-Bericht, S. 162 Tabelle 26 (Pufferbereiche nach Ulrich, Stabilität, Elastizität und Resilienz von Waldökosystemen unter dem Einfluss saurer Deposition, Forstarchiv 58 (1987), 232),
866- dem sogenannten pHcrit - zu ermöglichen, bietet es sich an, insoweit auf den hier verwendeten pH(H2O)crit-Wert abzustellen. Eine irreversible Endversauerung ist danach nicht zu erkennen. Insoweit kann dahinstehen, ob die von dem Kläger geforderte horizontweise Betrachtung der pH-Werte zielführend ist, obwohl der pH(H2O)crit-Wert nach Ulrich ein über den gesamten Wurzelbereich tiefenstufengewichteter Mittelwert ist, und ob dieser Mittelwert in dem Teilgutachten von P. -E. zutreffend gebildet wurde. Die Aussage, dass die pH(H2O)-Mittelwerte die untere Grenze des Aluminium-Eisen-Pufferbereichs nicht unterschreiten, d. h. nicht unterhalb des Werts 3,2 liegen, trifft auch bei der vom Kläger geforderten horizontweisen Betrachtung der für die Beurteilungspunkte C 1 bis C 11 erhobenen pH-Werte zu. Etwas anderes gilt auch nicht für die Profilpunkte, die von dem Gutachter des Klägers, Dr.-Ing. H. , untersucht wurden. Auch hier liegt kein pH(H2O)-Wert unterhalb des niedrigsten akzeptablen Werts des Austauscherbereichs Mangan-Oxide. Selbst die tendenziell niedrigeren pH(KCl)-Werte und pH(CACl2)-Werte liegen - mit Ausnahme des pH(KCl)-Werts der obersten Mineralbodenschicht am Profilpunkt 6 mit einem pH-Wert von 3,14 - oberhalb des Werts 3,2 und damit jedenfalls innerhalb des Aluminiumpuffers.
867(h) Die Annahme des Teilgutachtens von P. -E. , dass die in den „Wäldern bei Cappenberg“ durchgeführten Kalkungen diese Werte nicht mehr beeinflussen, erscheint auch den Sachverständigen V. und K. wegen des Zeitablaufs seit der letzten Kalkung im Jahr 1993 plausibel. Dass die Böden der „Wälder bei Cappenberg“ insgesamt schon irreversibel geschädigt wären, behauptet schließlich auch der Kläger nicht. Er geht im Ergebnis davon aus, dass die Böden sich im Zustand einer laufenden Degradation befinden.
868(i) Dem von dem Kläger geforderten Vergleich mit den im Rahmen des sog. PINETI-Vorhabens des Umweltbundesamtes berechneten Critical Loads für versauernde Einträge kommt keine Aussagekraft zu. Das Umweltbundeamt rät in den Erläuterungen zu den Hintergrundbelastungsdaten - Ergebnisse und Daten des PINETI-Projekts -, Stand 3. November 2015, davon ab, die Critical Loads aus dem PINETI-Projekt bei lokalen Bewertungen auf der Ebene der Bundesländer anzuwenden. Der für die Critical-Loads-Berechnung erhobene Datensatz sei aufgrund der geringen räumlichen Auflösung hierfür nicht geeignet. Für die nationale Karte seien die Eingangsdaten aus nationalen Kartenwerken (für den für die Berechnung maßgeblichen Bodentyp etwa aus der Bodenübersichtskarte mit einem Maßstab 1:1.000.000) abgeleitet worden.
869(j) Nach alledem ergeben sich an den Beurteilungspunkten folgende korrigierte Critical Loads (alle Werte sind in eq (N+S)/ha*a) angegeben):
870BP |
LRT |
∑BCdep |
Bc (seesalzkorr.) |
Cldep(nass) |
Abzug vom CL (P. -E. ) |
CL (P. -E. ) |
neuer CL bei zusätzlichem Abzug von 50 eq |
1 |
9190 |
1.312 |
350 |
65 |
1.027 |
(**) |
|
2 |
91F0 |
1.299 |
350 |
65 |
1.014 |
(**) |
|
3 |
91E0 |
1.272 |
343 |
64 |
993 |
(**) |
|
4 |
91F0 |
1.276 |
349 |
65 |
992 |
(**) |
|
6 |
91E0 |
1.295 |
360 |
62 |
997 |
2.112 |
1.065 |
7 |
9190 |
1.295 |
360 |
62 |
997 |
1.971 |
924 |
7b |
9110 |
1.295 |
360 |
62 |
997 |
1.863 |
816 |
9 |
6510 |
730 |
384 |
61 |
407 |
(**) |
|
11 |
9160 |
1.368 |
386 |
60 |
1.042 |
(**) |
|
12 |
91F0 |
1.368 |
386 |
60 |
1.042 |
2466 |
1.374(*) |
13 |
6430 |
838 |
401 |
61 |
498 |
4162 |
3.614 |
14 |
6430 |
849 |
406 |
59 |
502 |
4199 |
3.647 |
18 |
91E0 |
1.429 |
407 |
61 |
1.083 |
3605 |
2.472 |
18b |
91E0 |
1.420 |
406 |
61 |
1.075 |
4176 |
3.051 |
18c |
91E0 |
1.420 |
406 |
61 |
1.075 |
4176 |
3.051 |
19 |
91E0 |
1.447 |
418 |
63 |
1.092 |
3617 |
2.475 |
20 |
6430 |
836 |
382 |
61 |
515 |
4298 |
3.733 |
22 |
3150 |
836 |
382 |
61 |
515 |
4123 |
3.558 |
23 |
6510 |
730 |
385 |
61 |
406 |
2825 |
2.369 |
24 |
91F0 |
1.349 |
380 |
61 |
1.030 |
3648 |
2.568 |
26 |
9110 |
1.372 |
386 |
66 |
1.052 |
2850 |
1.748 |
27 |
9110 |
1.372 |
386 |
66 |
1.052 |
2848 |
1.746 |
28 |
9110 |
1.364 |
383 |
63 |
1.044 |
2841 |
1.747 |
29 |
91E0 |
1.345 |
383 |
64 |
1.026 |
3216 |
2.140 |
30 |
9110 |
1.351 |
372 |
67 |
1.046 |
2781 |
1.685 |
31 |
9160 |
1.323 |
366 |
68 |
1.025 |
2536 |
1.461 |
C1 |
9160 |
1.460 |
413 |
68 |
1.115 |
2635 |
1.470 |
C2 |
9130 |
1.460 |
413 |
68 |
1.115 |
2623 |
1.458 |
C3 |
9130 |
1.460 |
413 |
68 |
1.115 |
2754 |
1.589 |
C4 |
9130 |
1.460 |
413 |
68 |
1.115 |
3016 |
1.851 |
C5 |
9110 |
1.372 |
386 |
66 |
1.052 |
2850 |
1.748 |
C6 |
9110 |
1.365 |
382 |
64 |
1.047 |
2422 |
1.325 |
C7 |
9110 |
1.364 |
382 |
64 |
1.046 |
2841 |
1.745 |
C8 |
91E0 |
1.345 |
372 |
64 |
1.037 |
3216 |
2.129 |
C9 |
9160 |
1.323 |
366 |
69 |
1.026 |
2536 |
1.460 |
C10 |
9160 |
1.323 |
366 |
69 |
1.026 |
2751 |
1.675 |
C11 |
9110 |
1.323 |
366 |
69 |
1.026 |
2800 |
1.724 |
(*) Die versauernden Einträge des Kraftwerks Lünen in Höhe von 5,5 eq (N+S)/(ha*a) sind nach dem lebensraumspezifischen Abschneidewert (0,5 % des neuen Critical Loads = 6,9 eq) abgeschnitten, s.u.
872(**) Die versauernden Einträge des Kraftwerks Lünen liegen bereits unterhalb des Abschneidewerts von 5 eq.
873(6) Unter Zugrundelegung der dargelegten Critical Loads übersteigt an den meisten der in der FFH-Verträglichkeitsprüfung untersuchten Beurteilungspunkte die vom Umweltbundesamt für das Bezugsjahr 2007 veröffentlichte und in dem P. -E. -Teilgutachten vom 6. August 2012 zutreffend zugrunde gelegte Vorbelastung die ökologischen Belastungsgrenzen sowohl für Eutrophierung als auch für Versauerung mit der Folge, dass eine erhebliche Beeinträchtigung der von den Kraftwerksimmissionen betroffenen terrestrischen Lebensräume nicht ohne weiteres auszuschließen ist.
874Bereits die hohen Vorbelastungswerte, die die Belastungsgrenze in den Wäldern bei Cappenberg flächendeckend überschreiten, deuten darauf hin, dass eine zusätzliche Belastung durch eutrophierend und versauernd wirkende Luftschadstoffe eine erhebliche Beeinträchtigung verursachen kann. Wie oben ausgeführt, ist grundsätzlich jede Zusatzbelastung erheblich, wenn die Vorbelastung die für das Erhaltungsziel naturschutzfachlich unbedenkliche Belastungsgrenze ausschöpft oder sogar überschreitet. Jede weitere Belastung läuft prinzipiell der Bewahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands zuwider, es sei denn die Zusatzbelastung übersteigt nicht die oben dargelegte Bagatellschwelle von je 3 % des Critical Loads für eutrophierende und versauernde Einträge. Derart geringe Zusatzbelastungen liegen unter der naturschutzfachlich bestimmten Wirkungsschwelle und sind - wie oben dargestellt - deshalb nicht geeignet, eine erhebliche Beeinträchtigung des Schutzgebiets zu verursachen.
875(7) Um das Maß der Beeinträchtigung ausreichend beurteilen zu können, müssen die bei Realisierung des Projekts im Zusammenwirken mit anderen Plänen und Projekten zu erwartenden Auswirkungen ermittelt und bewertet werden.
876Nach dem oben näher dargestellten Prioritätsprinzip waren im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung als weitere Zusatzbelastung diejenigen Vorhaben zu berücksichtigen, für die nach Unterschutzstellung der Gebiete (7. Dezember 2004) und vor der erstmaligen Einreichung der vollständigen prüffähigen Antragsunterlagen durch die Beigeladene am 31. März 2007 ebenfalls vollständige, prüffähige Unterlagen eingereicht worden waren, so dass deren Auswirkungen zumindest hinreichend konkret absehbar waren.
877Die Beigeladene hat ihre prioritäre Stellung nicht dadurch verloren, dass der zunächst erteilte Vorbescheid vom 6. Mai 2008 mit rechtskräftigem Urteil vom 1. Dezember 2011 aufgehoben wurde. Die Realisierung des Kraftwerksprojekts der Beigeladenen, für das schon bestandskräftige Teilgenehmigungen vorlagen, war trotz der Aufhebung des ersten Vorbescheides nicht erkennbar ausgeschlossen. Entsprechend hat die Beigeladene das Vorbescheidsverfahren schon vor Eintritt der Rechtskraft des Urteils weiter betrieben; der Vorbescheid sollte die Grundlage für die bereits erteilten Teilgenehmigungen wiederherstellen (s. a. unten unter I. 8.).
878Hinsichtlich der konkreten Auswirkungen der nach dem Prioritätsprinzip zu berücksichtigenden Projekte ist dabei der jeweilige Genehmigungsstand einschließlich etwaiger Reduzierungen der Emissionen zugrundezulegen. Altvorhaben ‑ also insbesondere Vorhaben, die vor der Aufnahme eines Gebiets in die Liste der europäischen Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung genehmigt wurden - werden dagegen nicht in der Zusatzbelastung, sondern als Vorbelastung berücksichtigt. Sie gehen als Bestandteil der im Datensatz des Umweltbundesamtes abgebildeten Hintergrundbelastung in die Gesamtbelastung ein. Vorhaben, für die ein prüffähiger Antrag erst nach dem Zeitpunkt der Antragstellung der Beigeladenen gestellt wurde, sind mit Blick auf das Prioritätsprinzip bei der Zusatzbelastung auch dann nicht zu berücksichtigen, wenn sie bereits in Betrieb sind.
879Nach alledem sind neben dem Kraftwerksvorhaben Datteln 4 (Uniper, früher E.O.N.) auch die Tierhaltungsanlagen H1. (Hof Nr. 1), T3. (Hof Nr. 3), T4. -H2. (Hof Nr. 22) und T5. U. (Hof Nr. 24) in die Zusatzbelastung mit einzubeziehen. Der geänderte Kupferwerkrecyclingbetrieb der B. AG ist dagegen ebenso wenig zu berücksichtigen wie das Biomassekraftwerk Lünen.
880Im Einzelnen gilt Folgendes:
881(a) Das Kraftwerk Datteln 4 (Uniper, früher E.O.N.) ist ungeachtet der Frage, von welchem Zeitpunkt an die Auswirkungen eines parallelen Projekts hinreichend konkret absehbar sind, zeitlich vorrangig, weil bereits der erste Vorbescheid vom 31. Januar 2007 und auch die 1. Teilgenehmigung vom 7. Februar 2007 für dieses Kraftwerk vor Einreichung des ersten Genehmigungsantrags für das streitbefangene Kohlekraftwerk am 9. März 2007 ergangen sind. Weder die rechtskräftige Aufhebung des dem Vorhaben Datteln 4 zugrunde liegenden Bebauungsplans,
882OVG NRW, Urteil vom 3. September 2009 ‑ 10 D 121/07.NE -, DVBl. 2009, 1385, nachgehend: BVerwG, Beschluss vom 16. März 2010 - 4 BN 66.09 -, NVwZ 2010, 1246,
883noch die rechtskräftige Aufhebung des Vorbescheids für das Kraftwerk Datteln 4 durch den Senat mit Urteil vom 12. Juni 2012 in der Sache 8 D 38/08.AK und die damit verbundene Unsicherheit, ob, wann und in welcher Form das Kraftwerk Datteln 4 realisiert wird, hat zur Folge, dass das Vorhaben bei der Summationsbetrachtung außer Betracht zu bleiben hätte. Eine Realisierung dieses - zwischenzeitlich in weiten Teilen fast fertig gestellten - Kraftwerks ist ungeachtet dessen gegenwärtig ebenfalls nicht erkennbar ausgeschlossen, zumal auch insoweit einzelne Teilgenehmigungen bestandskräftig geworden und ein neuer Bebauungsplan erlassen worden ist. Das Vorsorgeprinzip gebietet die Berücksichtigung des Kraftwerksvorhabens Datteln 4 im Rahmen der Summationsbetrachtung, weil die Betriebsgenehmigung für das Vorhaben Datteln 4 nach den Grundsätzen des Prioritätsprinzips nicht wegen nachträglich genehmigter Zusatzbelastungen durch das zeitlich nachrangige Vorhaben der Beigeladenen verweigert werden könnte.
884Die Stilllegung der alten Kraftwerksblöcke Datteln 1-3 ist im Rahmen der Summationsbetrachtung als Schadensminderungsmaßnahme ebenfalls zu berücksichtigen. Das Kraftwerksvorhaben Datteln 4 war von Anfang an so geplant, dass nach seiner Inbetriebnahme die alten Kraftwerksblöcke Datteln 1-3 verbindlich stillzulegen sind. Dementsprechend enthielt der aufgehobene Vorbescheid für das Kraftwerk Datteln 4 noch eine entsprechende Regelung, die die Stilllegung der alten Kraftwerksblöcke sicherstellte. Einer solchen Regelung bedarf es in einer neu zu erteilenden Genehmigung jedoch nicht mehr, weil die Beigeladene nunmehr bereits vor Inbetriebnahme des neuen Kraftwerks Datteln 4 auf den weiteren Betrieb der alten Kraftwerksblöcke Datteln 1-3 verbindlich verzichtet und sie stillgelegt hat. Mit der endgültigen Stilllegung ist sichergestellt, dass mit der Realisierung des Kraftwerks Datteln 4 keine höheren als die sich aus der Differenz beider Vorhaben ergebenden Zusatzbelastungen verbunden sein werden. Diese Zusatzbelastung errechnet sich bei der auch insoweit gebotenen konservativen Vorgehensweise aus der Differenz zwischen den Immissionsbeiträgen des neuen Kraftwerks bei einer Worst-case-Betrachtung, also insbesondere unter der Prämisse, dass der Genehmigungsumfang in zeitlicher und kapazitativer Hinsicht vollständig ausgenutzt wird, und den tatsächlichen bisherigen Immissionsbeiträgen des Altkraftwerks Datteln 1-3.
885(b) Die Bezirksregierung hat im gerichtlichen Verfahren unter anderem eine Aufstellung der im Zeitraum vom 7. Dezember 2004 bis zum 31. März 2007 (vollständig) beantragten Tierhaltungsanlagen vorgelegt. Nach den Vorgaben des Senats zum Abschneidekriterium (s.o.) waren nur solche Anlagen zu berücksichtigen, die bei einem anhand des Depositions-/Abschneidewerts 0,065 kg N/(ha*a) berechneten Mindestabstand auf eines der betroffenen FFH-Gebiete einwirken.
886Vgl. zu der Abstandsformel des Einwirkungsbereichs von Tierhaltungsanlagen: LANUV, Entwurf des Leitfadens zur Prüfung der FFH-Verträglichkeit von Stickstoff-Depositionen in empfindliche Lebensräume in FFH-Gebieten vom 18. September 2015, S.16.
887Diese Vorgabe erfüllen die Tierhaltungsanlagen der Landwirte L. I. H1. (Hof Nr. 1/Bullenstall und Kälbermast), Theo T3. (Hof Nr. 3/Mastschweine- und Ferkelplätze), X. T4. -H2. (Hof. Nr. 22/Mastschweine) und N2. T5. U. (Hof Nr. 24/Mastschweine). Die Genehmigungsanträge wurden für den Hof Nr. A am 8. Dezember 2004, für Hof Nr. B am 1. Dezember 2006, für Hof Nr. C am 20. Juni 2006 und für Hof Nr. 24 am 28. Januar 2007 gestellt. Die Genehmigungsanträge der in den Ausbreitungsrechnungen von N. -C. vom 31. Mai 2016/7. Juni 2016 und vom 13. Juni 2016 noch mit einbezogenen Tierhaltungsanlagen des Landwirts I1. (Hof Nr. 15) und der E1. & I2. Schweinemast GbR (Hof Nr. 19) sind nach dem 31. März 2007 eingereicht worden und daher als nachrangig nicht kumulierend zu berücksichtigen.
888(c) Block 5 des Steag-Kraftwerks Herne ist nicht zu berücksichtigen, weil dieses Projekt endgültig nicht verwirklicht wird.
889(d) Die Erweiterung des Kupferrecyclingbetriebs der B. AG ist bei der Summationsbetrachtung nach den Grundsätzen des Prioritätsprinzips ebenfalls nicht zu berücksichtigen. Sie ist zeitlich nachrangig, weil der Antrag auf Erteilung des (Änderungs-) Genehmigungsbescheids vom 4. April 2011 erst am 20. Oktober 2009 gestellt und am 26. Juni 2010 bekannt gemacht wurde. Beide Zeitpunkte liegen nicht nur deutlich nach der Bekanntmachung des ersten Vorbescheidantrags der Beigeladenen am 31. März 2007, sondern sogar deutlich nach der Erteilung des ersten Vorbescheids vom 6. Mai 2008. Bereits im vorangegangenen Verfahren wurde festgestellt, dass die früher beantragten Änderungsgenehmigungen keine Betriebserweiterungen, sondern ausschließlich Maßnahmen zur Emissionsminderung zum Gegenstand hatten. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht, wenn statt auf den Zeitpunkt der Bekanntmachung des ersten Vorbescheidantrags der Beigeladenen am 31. März 2007 auf den Zeitpunkt des Antrags der Beigeladenen für die - mittlerweile unanfechtbare - 2. Teilgenehmigung vom 14. Oktober 2008 am 29. April 2008 abgestellt würde. Der Antrag auf Änderungsgenehmigung für die Erweiterung des Kupferrecyclingbetriebs wurde am 26. Juni 2010 bekannt gemacht. Dieser Zeitpunkt liegt nach der Antragstellung und der Erteilung der 2. Teilgenehmigung vom 14. Oktober 2008. Er liegt sogar nach dem Zeitpunkt der Erteilung der ebenfalls unanfechtbaren 3. Teilgenehmigung vom 14. Januar 2009 für das streitbefangene Kohlekraftwerk.
890(e) Die Einwirkungen des Biomassekraftwerks Lünen unterfallen nicht der kumulierenden Betrachtung. Es wurde bereits vor der Unterschutzstellung der FFH-Gebiete mit Genehmigungsbescheiden vom 12. März 2004 und 17. Juni 2004 genehmigt.
891(f) Andere neue Projekte haben sich bislang nicht derart konkretisiert, dass für sie ein Antrag auf Genehmigung oder Planfeststellung gestellt worden wäre. Sie sind deshalb nicht zu berücksichtigen.
892Auf die Auswirkungen der geplanten B 474n kommt es im Rahmen der Summationsbetrachtung ebenfalls nicht an. Hinsichtlich des Teilabschnitts zwischen der A 45 und Datteln fehlt es an einer den oben dargestellten Anforderungen entsprechenden, hinreichend konkretisierten Planung. Der am 31. März 2009 vom Ministerium für Bauen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen planfestgestellte Teilabschnitt - Ortsumgehung Datteln - ist zwar zeitlich vorrangig; die Unterlagen wurden nämlich schon im Jahr 2005 ausgelegt. Der Senat geht aber mit der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung des TÜV Nord vom 6. August 2012 davon aus, dass sich die aufgrund des Verkehrs zu erwartenden zusätzlichen Luftschadstoffemissionen, da sie von bodennahen Quellen ausgehen und deshalb nur im näheren Umfeld zu erhöhten Schadstoffeinträgen führen, voraussichtlich nicht in den hier zu betrachtenden Schutzgebieten, jedenfalls nicht im hier letztlich maßgeblichen Schutzgebiet „Wälder bei Cappenberg“ auswirken werden. Ausweislich der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung geht das aktuelle Gutachten von Straßen NRW davon aus, dass schon relevante, auch mittelbare Einwirkungen auf das nächstgelegene FFH-Gebiet „Lippeaue“ ausgeschlossen werden können. Unmittelbare bau- und anlagebedingte Auswirkungen seien ausgeschlossen, weil die B 474n ca. 300 m vor der FFH-Gebietsgrenze auf die vorhandene B 235 einschleife und dann die vorhandene Brücke zur Querung des FFH-Gebiets nutze. Der geringste Abstand zwischen Bauende und der Gebietsgrenze betrage 100 m. Die Straßenquerung im Bereich der Lippeaue erhalte keine verkehrsmäßige Aufwertung, da die Verkehrszahlen durch die Ortsumgehung nicht erhöht würden, sondern in der Tendenz leicht zurückgingen. Der Kläger hat die Einschätzung der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung, eine weitere Betrachtung im Zusammenhang mit möglichen Kumulationen sei damit nicht erforderlich, nicht angegriffen. Sie ist auch sonst nicht zu beanstanden.
893(8) Ausgehend von den vorstehenden Prämissen führt das Vorhaben der Beigeladenen weder für sich genommen noch im Zusammenwirken mit den hier zu berücksichtigenden weiteren Projekten zu einer Überschreitung der Bagatellschwelle für eutrophierende Stickstoffeinträge. Die Zusatzbelastung der versauernden Stickstoff- und Schwefeleinträge liegt dagegen in Summation mit den Einwirkungen der weiteren Vorhaben in dem FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ teilweise oberhalb dieser Bagatellschwelle.
894Die Rügen des Klägers gegen die in den letztlich maßgeblichen Immissionsprognosen vom 6. August 2012 sowie vom 31. Mai 2016/7. Juni 2016 erfolgten Ausbreitungsrechnungen der von dem Vorhaben der Beigeladenen und dem Kraftwerkprojekt Datteln 4 ausgehenden Schwefel- und Stickstoffdepositionen dringen ebenso wenig durch wie die Rügen gegen die bei den Tierhaltungsanlagen angesetzten Ammoniakfaktoren oder den Abzug der Immissionen des Altkraftwerks Datteln 1-3.
895Die vom Kläger geforderte umfassende Überprüfung der Immissionsprognose für das Kraftwerkprojekt Datteln 4, die dem Senat in der Fassung vom 15. Februar 2013 vorliegt, oder der Immissions- bzw. Ammoniakprognosen der oben genannten Tierhaltungsanlagen kommt nicht in Betracht. Gegenstand der gerichtlichen Prüfung sind allein die für das streitbefangene Vorhaben vorgelegten Ausbreitungsrechnungen. Hinsichtlich der kumulierend mit einzubeziehenden Vorhaben sind diese lediglich darauf zu prüfen, ob sie methodisch nachvollziehbar sind und ob die für die kumulierenden Vorhaben eingestellten Parameter wie Ableitbedingungen und Emissionswerte mit den vorhandenen Informationen zu dem kumulierenden Vorhaben - etwa aus einer Immissionsprognose - übereinstimmen. Ist die Immissionsprognose des kumulierenden Vorhabens durch Bezugnahme auf die Antragsunterlagen verbindlicher Bestandteil einer bestandskräftigen (immissionsschutzrechtlichen) Genehmigung geworden, bedarf sie nicht mehr einer behördlichen oder gerichtlichen Überprüfung auf ihre Richtigkeit. Der Inhalt der Immissionsprognose kann ohne weitere Prüfung übernommen worden. Dies entspricht auch der vom LANUV in der Stellungnahme vom 8. Juni 2016 beschriebenen Vorgehensweise. Auch sonst scheidet eine Übernahme der Daten und Parameter aus Immissionsprognosen für kumulierende Vorhaben nur bei evidenten Fehlern aus.
896(a) Gemessen hieran sind die letztlich maßgeblichen Ausbreitungsrechnungen vom 6. August 2012 und vom 31. Mai 2016/7.Juni 2016 hinsichtlich der eutrophierenden und versauernden Stoffeinträge des Kraftwerks Datteln 4 nicht zu beanstanden. Das LANUV hat unter dem 7. Dezember 2012 festgestellt, dass sich aus den Unterlagen keine Anhaltspunkte für Unstimmigkeiten oder Unregelmäßigkeiten ergäben. Der Verwendung des Programms LASAT werde zugestimmt. Die Ableitbedingungen sowie die Emissionswerte für Schwefeldioxid, Stickstoffoxide und Ammoniak für das Kraftwerk Datteln 4 stimmten mit den entsprechenden Werten der damals aktuellen Immissionsprognose vom 10. Juni 2011 überein. Dies gilt bezogen auf die unveränderten Ableitbedingungen des Kühlturms und die Emissionswerte auch für die vorliegende Immissionsprognose zu Datteln 4 vom 15. Februar 2013. Beim LANUV zunächst bestehende Bedenken zu der erfolgten Verwendung von Zeitreihen seien in einem Telefonat mit dem Gutachter vom 15. November 2012 ausgeräumt worden. Diese Bedenken hätten darauf beruht, dass es in der Vergangenheit gewisse Unsicherheiten beim Umgang mit Datenlücken in der meteorologischen Zeitreihe gegeben habe. Das LANUV habe die Firma ArgoSoft auf das Problem aufmerksam gemacht, das mittlerweile behoben worden sei. Bis dahin habe das LANUV zwei Vorgehensweisen beim Umgang mit Datenlücken vorgeschlagen, und zwar entweder, die Datenlücken sachgerecht aufzufüllen oder die Stunden mit Datenlücken vollständig zu löschen. Der Gutachter habe in dem Telefonat vom 15. November 2012 bestätigt, dass er die Vorschläge des LANUV umgesetzt habe und der Unterschied zwischen den Ausbreitungsrechnungen vor und nach Korrektur sehr gering ausgefallen sei. Die überarbeiteten Zeitreihen lägen dem LANUV vor.
897Anhaltspunkte dafür, dass der Berechnung nicht - wie ausdrücklich angegeben - der Abgasvolumenstrom im Normzustand (1.103 hPa und 273,15 K) nach Abzug des Feuchtegehalts im Abgas zugrundegelegt worden wäre, liegen nicht vor. Die Berücksichtigung der Fernwärmeauskopplung erfolgte im Rahmen der Ableitbedingungen durch die Berücksichtigung unterschiedlicher maximaler Lastfälle für das Sommer- und das Winterhalbjahr. Für das Winterhalbjahr wurde eine Fernwärmeauskopplung im Umfang von 380 MW und für das Sommerhalbjahr von 200 MW zugrundegelegt. Diesen Lastfällen sind die von der Auslastung abhängigen Werte für den Abluftvolumenstrom, die Austrittsgeschwindigkeit und die Austrittstemperatur angepasst worden. Der Ansatz unterschiedlicher Höhen der Fernwärmeauskoppelung für das Sommer- und das Winterhalbjahr beruht nach den Angaben der Beigeladenen auf Erfahrungswerten aus dem Zeitraum 1961 bis 2009. Die Heranziehung langjähriger Erfahrungswerte erscheint sachgerecht und ist zumindest nicht offensichtlich fehlerhaft; der vom Kläger gewünschten Einholung eines Fachgutachtens zur Frage der zukünftigen Entwicklung der Fernwärmeauskoppelung bedurfte es daher im vorliegenden Verfahren nicht. Im Übrigen erfolgte die Berechnung der Immissionen für das Kraftwerkprojekt Datteln 4 analog zu der in Kapitel 4.1 beschriebenen Vorgehensweise des Gutachters. Diese Vorgehensweise ist - wie oben ausgeführt - nicht zu beanstanden. Sie ist vom LANUV in seiner Stellungnahme vom 7. Dezember 2012 bestätigt worden. Vor diesem Hintergrund bestehen keine Bedenken hinsichtlich der Berücksichtigung der statistischen Unsicherheit. Der Hinweis des Klägers, bei Stickstoffdioxid, Schwefeldioxid und Ammoniak seien - (wohl) in der AUSTAL-Ausgabedatei - deutlich höhere statistische Unsicherheiten ausgewiesen, geht schon deshalb fehl, weil hier Maximalwerte betroffen sind, bei denen die statistische Unsicherheit nach den Regelungen der TA Luft nicht gesondert zu berücksichtigen ist. Soweit der Kläger geltend macht, auch beim Kraftwerkprojekt Datteln 4 finde die von dem Ausbreitungsmodell AUSTAL 2000 angenommene vollständige Durchmischung des Rauchgas- und des Kühlturmschwadens nicht statt, kann auf die oben gemachten Ausführungen verwiesen werden.
898(b) Der Ansatz der – abzuziehenden – Stickstoff- und Säuredeposition des Altkraftwerks Datteln 1-3 begegnet gleichfalls keinen Bedenken. Das vom Kläger kritisierte Abstellen auf die durchschnittlichen jährlichen Emissionsfrachten aus den Jahren 2003 bis 2011 ist auch unter Berücksichtigung des klägerischen Vortrags, eine Berücksichtigung des Zeitraums 2007 bis 2011 hätte voraussichtlich niedrigere Werte ergeben, jedenfalls nicht evident sachwidrig oder fehlerhaft. Die vom Kläger bemängelte Herabsetzung des Emissionswerts für Ammoniak von 2 µg/m³ im Jahr 2011 auf 1 µg/m³ führt - worauf die Beigeladene zutreffend hinweist - nicht zu einem höheren, sondern zu einem geringeren Abzug. Der Vortrag des Klägers, die Ammoniakemission müsse auf „Null“ gesetzt werden, geht daher für die Behauptung, die Depositionen würden überschätzt, erkennbar ins Leere.
899(c) Es kann im Ergebnis offen bleiben, ob die Säuredepositionen des streitbefangenen Vorhabens und der Vorhaben Datteln 4 sowie Datteln 1-3 mit einer Depositionsgeschwindigkeit für SO2 über Wald von 1,25 cm/s oder von 1,5 cm/s berechnet werden muss. Der in der Immissionsprognose vom 6. August 2012 zunächst gewählte Ansatz von 1,25 cm/s beruhte auf der Empfehlung des LANUV, die Ausbreitungsrechnung in einem ersten Schritt mit mesoskaligen Depositionsgeschwindigkeiten und den Auswaschraten nach der VDI-Richtlinie durchzuführen und dann die vom Modell ausgewiesene trockene Deposition nachträglich entsprechend den Depositionsgeschwindigkeiten für die jeweilige Landnutzung, insbesondere für Wald, anzupassen. Es spricht zwar viel für die Annahme, dass dieser Ansatz sachgerecht ist. Das LANUV hat unter dem 7. Dezember 2012 erklärt, soweit der Gutachter unter Hinweis auf das Urteil des Senats vom 1. Dezember 2011 für SO2 über Wald abweichend von dem Wert der VDI-Richtlinie 3872 Blatt 5 von 1,5 cm/s einen Wert von 1,25 cm/s angesetzt habe, sei dieser Ansatz unter Berücksichtigung eigener Nachberechnungen mit ortsabhängigen Depositionsgeschwindigkeiten für das Altkraftwerk Datteln 1-3 für die vorliegende Konstellation plausibel und konservativ. An dieser Einschätzung hat das LANUV in seiner Stellungnahme vom 27. April 2016 und auf entsprechende Nachfragen des Senats in der mündlichen Verhandlung festgehalten. Aus den veröffentlichten Untersuchungen des LANUV gehe hervor, dass eine Depositionsgeschwindigkeit von 1,5 cm/s für SO2 über Wald mit modellseitiger Berücksichtigung des Konzentrationsabfalls (korrekte Massenbilanz) vergleichbar sei mit einer Depositionsgeschwindigkeit von 1,3 cm/s ohne modellseitige Berücksichtigung des Konzentrationsabfalls. Der Unterschied in den Depositionsgeschwindigkeiten gleiche hier also gerade den Massenbilanzfehler bei einer Rechnung ohne modellseitige Berücksichtigung aus und könne nach Auffassung des LANUV daher in der Immissionsprognose verwendet werden. Der den Umgang mit dieser Fragestellung betreffende Sachstandsbericht des VDI von Januar 2014 habe im Zeitpunkt der Stellungnahme von Dezember 2012 noch nicht vorgelegen. Auch bei dem Ansatz von 1,25 cm/s ergibt sich - wie den folgenden Tabellen zu entnehmen ist - an dem Beurteilungspunkt 30 eine Überschreitung der 3 %-Bagatellschwelle.
900(d) Anders als der Kläger meint, bedarf es auch nicht einer Einbeziehung von Ausfällen der Rauchgasreinigungsanlage im Sinne des § 17 Abs. 3 der 13. BImSchV. Ausfälle dieser Art sind in der Ausbreitungsrechnung nach der TA Luft nicht zu betrachten. Da im Genehmigungsverfahren Betriebsstörungen und Störfälle mit unvorhersehbaren Emissionen nicht unterstellt werden können, ist nach Nr. 4.6.1.1 der TA Luft bei der Berechnung nur auf die beim bestimmungsgemäßen Betrieb ungünstigsten Betriebsbedingungen abzustellen. Dem bestimmungsgemäßen Betrieb nicht mehr zuzurechnen ist der Ausfall von Abgasreinigungen, und zwar auch, soweit dem Anlagenbetreiber ein befristeter Weiterbetrieb gestattet ist. Fallen Emissionsminderungseinrichtungen ganz oder teilweise aus, sind die Emissionen auf andere Weise so weit wie möglich zu mindern. Dafür müssen schon vorsorglich Maßnahmen vorgesehen und ggf. im Genehmigungsbescheid gefordert werden.
901Vgl. Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band IV, Stand: 1. Februar 2016 TA Luft Nr. 4.6.1.1 Rn. 9.
902Nichts anderes gilt für die FFH-Verträglichkeitsprüfung, insbesondere auch in Bezug auf die Schwefeldepositionen. Da schon die Höhe der von aufgrund unvorhergesehener Störungen der Rauschgasentschwefelungsanlage entstehenden zusätzlichen Schwefeldepositionen einer Prognose nicht zugänglich ist, scheidet auch eine Bewertung der Auswirkungen auf das betroffene FFH-Gebiet aus. Der Umstand, dass § 17 Abs. 3 Satz 2 der 13. BImSchV ausdrücklich bestimmt, dass die Anlage bei Ausfall einer Abgasreinigungsanlage während eines Zeitraums von zwölf aufeinanderfolgenden Monaten höchstens 120 Stunden ohne diese Abgasreinigungsanlage betrieben werden darf, ändert nichts daran, dass der Ausfall als solcher grundsätzlich unvorhersehbar ist.
903(e) Die in die Ausbreitungsrechnung vom 31. Mai 2016/7. Juni 2016 eingestellten, aus Tabelle 1 ersichtlichen Ammoniakemissionsfaktoren für die Tierhaltungsanlagen entsprechen den Vorgaben der VDI Richtlinie 3894 Blatt 1 und den in den Immissions- bzw. Ammoniakprognosen vorausgesetzten tatsächlichen Bedingungen. Die Immissions- bzw. Ammoniakprognosen sind jeweils verbindlicher Bestandteil der bestandskräftigen Genehmigungsbescheide des Kreises Recklinghausen vom 12. November 2010 (Hof Nr. 1), der Bezirksregierung Arnsberg vom 13. August 2007 (Hof Nr. 3) und vom 19. Dezember 2006 (Hof Nr. 22) sowie der Bezirksregierung Münster vom 29. Juni 2007 (Hof Nr. 24) geworden.
904(f) An den Beurteilungspunkten ergeben sich für die eutrophierenden Stickstoffdepositionen in der Summationsbetrachtung - jeweils unter Berücksichtigung des empirischen lebensraumtypspezifischen Abschneidewerts auch bei den kumulierenden Projekten - die in der folgenden Tabelle aufgeführten Zusatzbelastungen. An den Beurteilungspunkten 1 bis 12 sowie 30, C 10 und C 11 liegen die eutrophierenden Stoffeinträge des streitbefangenen Vorhabens unterhalb des hier untersten Abschneidewerts von 0,065 kg N (ha*a). Soweit die Einträge den jeweils konkret einschlägigen Abschneidewert von 0,5 % des empirischen lebensraumtypspezifischen Critical Loads unterschreiten, ist dies kursiv vermerkt. Das LANUV hat für Lebensraumtypen mit dem Vermerk n.e. (= nicht empfindlich) keine Critical Loads bestimmt. An den Beurteilungspunkten ergeben sich für die eutrophierenden Stickstoffdepositionen in der Summationsbetrachtung - jeweils unter Berücksichtigung des konkreten lebensraumtypspezifischen Abschneidewerts auch bei den kumulierenden Projekten - folgende Zusatzbelastungen:
905BP |
LRT |
CL LANUV |
Abschneidewert 0,5 % des CL |
Zusatzbelastung (vgl. Berechnung N. -C. vom 7. Juni 2016) |
Anteil am CL (gerundet, %) |
BP 13 |
6430 |
n.e |
0,098 |
||
BP 14 |
6430 |
n.e |
0,108 |
||
BP 18 |
91E0 |
23-25 |
0,115 |
TKL 0,100 |
|
BP 18b |
91E0 |
23-25 |
0,115 |
0,362 |
1,6 |
BP 18c |
91E0 |
23-25 |
0,115 |
0,390 |
1,7 |
BP 19 |
91E0 |
23-25 |
0,115 |
0,119 |
0,5 |
BP 20 |
6430 |
n.e |
0,139 |
||
BP 22 |
3150 WasserLRT |
n.e. |
0,095 |
||
BP 23 |
6510 |
24-30 |
0,12 |
TKL 0,099 |
|
BP 24 |
91F0 |
20-22 |
0,10 |
0,099 |
0,5 |
BP 26 |
9110 |
13-16 |
0,065 |
0,100 |
0,8 |
BP 27 |
9110 |
13-16 |
0,065 |
0,108 |
0,8 |
BP 28 |
9110 |
13-16 |
0,065 |
0,094 |
0,7 |
BP 29 |
91E0 |
23-25 |
0,115 |
TKL 0,091 |
0,4 |
BP 30 |
9110 |
13-16 |
0,065 |
TKL 0,063 |
|
BP 31 |
9160 |
15-20 |
0,075 |
TKL 0,066 |
|
BP C1 |
9160 |
15-20 |
0,075 |
0,107 |
0,7 |
BP C2 |
9130 |
15-20 |
0,075 |
0,095 |
0,6 |
BP C3 |
9130 |
15-20 |
0,075 |
0,095 |
0,6 |
BP C4 |
9130 |
15-20 |
0,075 |
0,106 |
0,7 |
BP C5 |
9110 |
13-16 |
0,065 |
0,100 |
0,8 |
BP C6 |
9110 |
13-16 |
0,065 |
0,091 |
0,7 |
BP C7 |
9110 |
13-16 |
0,065 |
0,101 |
0,8 |
BP C8 |
91E0 |
23-25 |
0,115 |
TKL 0,091 |
|
BP C9 |
9160 |
15-20 |
0,075 |
TKL 0,066 |
|
BP C10 |
9160 |
15-20 |
0,075 |
TKL 0,064 |
|
BP C11 |
9110 |
13-16 |
0,065 |
TKL 0,064 |
Die kumulierende Zusatzbelastung der eutrophierenden Stickstoffeinträge liegt danach an allen Beurteilungspunkten unter der anhand des unteren Werts der empirischen Critical Loads des LANUV bestimmten 3 %-Bagatellschwelle.
907(g) Das Vorhaben der Beigeladenen verursacht an den Beurteilungspunkten 1 bis 4 sowie 9 und 11 versauernde Stoffeinträge unterhalb des (ersten) Abschneidewerts von 5 eq (N+S)/(ha*a), an dem Beurteilungspunkt 12 liegen die vorhabenbedingten Stoffeinträge unterhalb des anhand des modellierten lebensraumtypspezifischen Criticals Loads sich ergebenden Abschneidewerts von 6,8 eq. An den übrigen Beurteilungspunkten ergeben sich für die versauernden Stickstoff- und Schwefeldepositionen in der Summationsbetrachtung - jeweils unter Berücksichtigung des lebensraumtypspezifischen Abschneidewerts in Höhe von 0,5 % der modellierten Critical Loads bei den kumulierenden Projekten - folgende Zusatzbelastungen:
908BP |
LRT |
neuer CL |
Abschneidewert 0,5 % des CL |
Zusatzbelastung (gerundet) |
Anteil am CL (gerundet %) |
BP 6 |
91E0 |
1065 |
5,3 |
16 |
1,5 |
BP 7 |
9190 |
924 |
4,6 |
22 |
2,4 |
BP 7b |
9110 |
816 |
(4,1) |
23 |
2,8 |
BP 13 |
6430 |
3614 |
18,1 |
27 |
0,7 |
BP 14 |
6430 |
3647 |
18,2 |
20 |
0,5 |
BP 18 |
91E0 |
2472 |
12,4 |
37 |
1,5 |
BP 18b |
91E0 |
3051 |
15,3 |
93 |
3,0 |
BP 18c |
91E0 |
3051 |
15,3 |
88 |
2,9 |
BP 19 |
91E0 |
2475 |
12,4 |
28 |
1,1 |
BP 20 |
6430 |
3733 |
18,7 |
23 |
0,6 |
BP 22 |
3150 |
3558 |
17,8 |
23 |
0,6 |
BP 23 |
6510 |
2369 |
11,8 |
40 |
1,7 |
BP 24 |
91F0 |
2568 |
12,8 |
43 |
1,7 |
vdep SO2 1,25 cm/s 1,5 cm/s |
vdep SO2 1,25 cm/s 1,5cm/s |
||||
BP 26 |
9110 |
1748 |
8,7 |
46 50 |
2,6 2,9 |
BP 27 |
9110 |
1746 |
8,7 |
47 52 |
2,7 3,0 |
BP 28 |
9110 |
1747 |
8,7 |
42 47 |
2,4 2,7 |
BP 29 |
91E0 |
2140 |
10,7 |
40 44 |
1,9 2,1 |
BP 30 |
9110 |
1685 |
8,4 |
63 66 |
3,7 3,9 |
BP 31 |
9160 |
1461 |
7,3 |
43 48 |
2,9 3,3 |
BP C1 |
9160 |
1470 |
7,3 |
43 46 |
2,9 3,1 |
BP C2 |
9130 |
1458 |
7,3 |
40 44 |
2,7 3,0 |
BP C3 |
9130 |
1589 |
7,9 |
41 44 |
2,6 2,8 |
BP C4 |
9130 |
1851 |
9,3 |
41 44 |
2,2 2,4 |
BP C5 |
9110 |
1748 |
8,7 |
46 50 |
2,6 2,9 |
BP C6 |
9110 |
1325 |
6,6 |
40 44 |
3,0 3,3 |
BP C7 |
9110 |
1745 |
8,7 |
44 49 |
2,5 2,8 |
BP C8 |
91E0 |
2129 |
10,6 |
42 46 |
2,0 2,2 |
BP C9 |
9160 |
1460 |
7,3 |
43 46 |
2,9 3,2 |
BP C10 |
9160 |
1675 |
8,4 |
48 51 |
2,9 3,0 |
BP C11 |
9110 |
1724 |
8,6 |
49 52 |
2,8 3,0 |
Danach überschreitet die Zusatzbelastung der versauernden Stoffeinträge die 3 %-Bagatellschwelle bei einer Depositionsgeschwindigkeit von Schwefeldioxid von 1,25 cm/s an dem Beurteilungspunkt 30, bei einer Depositionsgeschwindigkeit von 1,5 cm/s an den Beurteilungspunkten 30, 31, C1, C6 und C9. Insoweit kann offen bleiben, ob sich schon eine Konvention herausgebildet hat, bereits die erste Nachkommastelle bei der 3 %-Bagatellschwelle durch Rundung wegfallen zu lassen; denn auch unter dieser Voraussetzung liegen die versauernden Stoffeinträge nicht an allen Beurteilungspunkten unter 3,5 %.
910(9) Die prognostizierte Zusatzbelastung an versauernden Stickstoff- und Schwefeleinträgen führt trotz vereinzelter Überschreitungen der 3 %-Bagatellschwelle vorliegend nicht zu einer Beeinträchtigung der in dem FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ unter Schutz gestellten Lebensraumtypen 9110 (Hainsimsen-Buchen-wald), 9130 (Waldmeister-Buchenwald), 9160 (Sternmieren-Eichen-Hainbuchenwald) und 91E0 (Erlen- und Eschenwälder und Weichholzauenwälder an Fließgewässern). Dies hat die im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens ergänzte Sonderfallprüfung belegt, wie sich insbesondere aus den „Bodenökologischen Risikobetrachtungen“ des Prof. Dr. C1. von August 2012 und Januar 2015, den Stellungnahmen des Dr. N1. (Kieler Institut für Landschaftsökologie) vom 6. August 2012, vom 17. Juli 2013 und von Dezember 2014 sowie den Stellungnahmen von Dr. B. (Landesbetrieb Wald und Holz NRW) vom 24. Juli 2014 und vom 6. Juli 2015 ergibt. Die von den Gutachtern des Klägers Dr. I2. . , Dr. C2. , Prof. Dr. S1. und Dr. M. insbesondere in den Gutachten und Stellungnahmen vom 26. Mai 2013, vom 21. Mai 2014 und aus Mai 2015 sowie in der mündlichen Verhandlung hiergegen vorgebrachten Einwände greifen nicht durch.
911Die in dem FFH-Gebiet unter Schutz gestellten Lebensraumtypen verkraften die zum Teil nicht mehr bagatellhafte Zusatzbelastung, ohne dass sich ihr derzeitiger Erhaltungszustand verschlechtert. Die Lebensraumtypen 9110, 9130 und 9160 sind aktuell überwiegend in einem günstigen Erhaltungszustand. Der ungünstige Erhaltungszustand des Lebensraumtyps 91E0 besteht unabhängig von der Säurebelastung (a). Die Pflanzengesellschaften können ihren aktuellen Erhaltungszustand aufrecht erhalten, obwohl die Hintergrundbelastung an versauernden Stickstoff- und Schwefeleinträgen die Critical Loads deutlich übersteigt und die mineralischen Oberböden stark versauert sind. Dies ist möglich, weil sie aufgrund der besonderen morphologischen Bedingungen in dem FFH-Gebiet ausreichenden Zugriff auf die in den Unterböden akkumulierten Basen und Nährstoffe haben. Diese Umstände sind bei der Modellierung der Critical Loads unberücksichtigt geblieben (b). Die im Boden ablaufenden physikalischen und chemischen Schutzmechanismen wirken auch den zusätzlichen versauernden Stoffeinträgen entgegen (c).
912(a) Die Lebensraumtypen 9110, 9130 und 9160 sind überwiegend in einem günstigen Erhaltungszustand (B). Der Lebensraumtyp 91E0 ist aus Gründen, die unabhängig von der Versauerung bestehen, teilweise in einem mittleren oder schlechten Erhaltungszustand.
913Dies ergibt sich zum einen aus der Bewertung der Vegetationsaufnahmen anlässlich der Neukartierung der Lebensraumtypen in dem FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ durch c. vom 29. Juni 2012. Die Lebensraumtypen 9110, 9130 und 9160 sind hier - mit Ausnahme der Flächen Nr. 18 und Nr. 69, die in einem mittleren bis schlechten Erhaltungszustand (C) sind - einem guten (B) oder sogar hervorragenden (A) Erhaltungszustand zugeordnet. Die Zuordnung des Lebensraumtyps 91E0 zu dem Erhaltungszustand (C) beruht auf der schlechten Ausprägung der lebensraumtypischen Strukturen und dem teilweisen Fehlen lebensraumtypischer Gehölzarten an mehreren Beurteilungsflächen. Die gegen diese Bewertung vom Kläger erhobenen Einwendungen stellen - wie oben unter I. 6. b) bb) (5) (g) ausgeführt - deren Richtigkeit nicht in Frage. Die Erfassung und Bewertung der Lebensraumtypen erfolgte entsprechend den methodischen Vorgaben des LANUV. Das LANUV hat die Vegetationserhebungen durch c. vor Ort eng begleitet und die Kartierungen in die eigenen Datenbanken übernommen. Die Bewertung von c. wird von dem Gutachter der Beigeladenen Dr. N1. im Ergebnis geteilt. Er hat Ende Juli 2014 im Rahmen einer flächendeckenden Begehung des FFH-Gebiets alle zuvor beurteilten Flächen ‑ einschließlich der von dem Gutachter des Klägers Dr. I2. . im Jahr 2012 untersuchten Bodenprofilpunkte - nochmals untersucht und kommt in dem Bewertungsbericht von Dezember 2014 zu der Einschätzung, dass die Lebensraumtypen 9110, 9130 und 9160 bezogen auf das gesamte Schutzgebiet in einem günstigen Erhaltungszustand sind. Den Erhaltungszustand des Lebensraumtyps 91E0 bewertet er dagegen - mit den Feststellungen von c. übereinstimmend - wegen der oft fragmentarischen und schmalen Ausbildung dieses Lebensraumtyps entlang der Bachtäler insgesamt als ungünstig.
914Zum anderem kommt auch der Gutachter des Klägers Dr. I2. . in seinem Gutachten vom 26. Mai 2013 - ungeachtet seiner methodischen Bedenken gegenüber der Vorgehensweise von c. und den Beobachtungen von Dr. N1. sowie ungeachtet der abweichenden Gefährdungsprognose hinsichtlich der zusätzlichen Stoffeinträge - auf der Grundlage seiner eigenen Untersuchungen im Jahr 2012 zu der Einschätzung, dass die in dem FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ geschützten Lebensraumtypen überwiegend einen günstigen Erhaltungszustand aufweisen.
915(b) Das Phänomen, dass die Lebensraumtypen 9110, 9130 und 9160 trotz der starken Versauerung des Oberbodens und der auch darauf zurückzuführenden Unterschreitung der Critical Limits in einzelnen Bodenhorizonten einen günstigen Erhaltungszustand aufweisen, ist nur mit den Besonderheiten des Standorts zu erklären. Nach dem Ergebnis der Einzelfalluntersuchung ist der günstige Erhaltungszustand im Wesentlichen auf das bodenspezifische Hydroregime (aa) und auf systeminterne Stoffumsetzungen - insbesondere die sog. „Basenpumpe“ - zurückzuführen (bb). Diese physikalischen und chemischen Abläufe in den Böden der „Wälder bei Cappenberg“ ermöglichen auch den säureempfindlichen und auf eine gute Nährstoffversorgung angewiesenen Pflanzengesellschaften wie den Lebensraumtypen 9130 und 9160 den Zugriff auf das in den tonhaltigen Unterböden vorhandene Puffer- und Nährstoffpotential und sichern damit deren Versorgung mit ausreichend Basizität und Nährstoffen.
916(aa) Bei den Böden der „Wälder bei Cappenberg“ handelt es sich ganz überwiegend um Pseudogleye, Braunerde-Pseudogleye und Pseudogley-Braunerde mit stellenweisen Podsolierungsmerkmalen. Die Wasserdynamik in diesen Böden ‑ insbesondere den Pseudogleyen - ist dadurch geprägt, dass das von oben in den Boden eindringende Niederschlagswasser einschließlich darin aufgelöster Säure aus dem Oberboden auf der weitgehend wasserundurchlässigen Stausohle des Sd-Horizonts im kalkreichen Unterboden gestaut wird. Die Unterböden in den „Wäldern bei Cappenberg“ weisen kalk- und basenreiche Tongehalte von bis zu 30 % auf. Dies gilt vor allem für den Sd-Horizont, in geringerem Umfang auch für den Sw-Horizont. Im Unterboden wird das Niederschlagswasser mit basischen Kationen angereichert und die vom Oberboden nach unten transportierten Säuren werden gepuffert. Mit der Anreicherung mit basischen Kalzium-, Magnesium- und Kaliumkationen ist die für die Versorgung der Pflanzen notwendige Anreicherung von Nährstoffen verbunden. Bei hoher Wassersättigung der Böden - also insbesondere in den niederschlagsreichen Zeiten von November bis April - steigt dieses basen- und nährstoffreiche Stauwasser bis in den versauerten Wurzelraum der Pflanzen. Bei diesen reduzierenden Bedingungen kann bei Temperaturen ab etwa 12°C das in Folge der Mineralisierung des organisch gebundenen Stickstoffs entstandene Nitrat denitrifiziert werden. Bei der Denitrifikation wird das Nitrat in für Pflanzen nicht verfügbare Stickstoffkomponenten, insbesondere in gasförmigen Stickstoff (N2) oder Lachgas (N2O), umgewandelt. Das wieder mit Säure und Nitrat aus dem Oberboden angereicherte Bodenwasser sinkt danach nicht (wieder) in den Unterboden ab, sondern wird auf der Höhe des Sw-Horizonts lateral in Entwässerungsgräben und den Bach „Funne“ ausgetragen. Die Vorräte an basisch wirkenden (Mb-)Kationen in den Unterböden werden daher weniger durch Säure in Anspruch genommen. Zudem werden die Nährstoffe nicht direkt ausgewaschen, sondern verbleiben während des lateralen Abflusses zumindest zeitweise im Wurzelbereich der Bäume und können aufgenommen werden. Das gleiche gilt für Kationenreserven aus dem Unterboden, die eine Zeitlang im durchwurzelten Horizont verbleiben und von den Pflanzen aufgenommen und in die Biomasse eingelagert werden können.
917Vgl. insbesondere - auch zum Folgenden - Beese, Bodenökologische Risikobetrachtungen, August 2012; Mierwald, Begehungsbericht zur Überprüfung des Erhaltungszustands der Lebensraumtypen, Dezember 2014.
918Ab Mai sinkt der Wasserspiegel in der Regel sehr schnell. Mit dem Wegfall der Wassersättigung und damit der reduzierenden Bedingung bleiben die geschilderten Effekte einschließlich der lateralen Wasserabfuhr - wie bei anderen terrestrischen Böden - aus. Eine Denitrifikation findet dann kaum noch statt und der pH-Wert insbesondere der Deckschicht sinkt. Bei starken Niederschlägen wird der Boden allerdings auch im Sommer vom Unterboden her aufgefüllt, so dass - kurzfristig - im Oberboden deponierte Säure in Bereiche mit großer Pufferkapazität verlagert wird und basenreiches Stauwasser bis zur Oberfläche gelangt. Der Gutachter Dr. N1. hat ausweislich des Begehungsberichts von Dezember 2014 anlässlich der Begehung des FFH-Gebiets im Juli 2014 schon nach einzelnen Starkregenereignissen größere Wasserflächen auf der Bodenoberfläche vorgefunden. Vor diesem Hintergrund greift der Hinweis des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016, in den Trockenphasen sei der kapillare Aufstieg der einzige Mechanismus, der der Fließrichtung in Pseudogleyen - nämlich von oben nach unten und lateral - entgegenwirken könne, zu kurz. Der bei geringer Wassersättigung im Sommer wie in anderen terrestrischen Böden grundsätzlich mögliche Transport von Alkalinität mit dem kapillaren Wasseranstieg ist nach den in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 gewonnenen Erkenntnissen aufgrund des hohen Sandanteils in den Böden allerdings von eher untergeordneter Bedeutung. Dass diese von den Gutachtern der Beigeladenen im Einzelnen beschriebenen wasserdynamischen Effekte im Grundsatz - abhängig von Temperatur und Niederschlagsmenge - eintreten, hat der Kläger nicht in Frage gestellt. Sie werden u. a. gestützt durch die von Prof. Dr. C1. in seinem Gutachten von August 2012 zitierten Tensiometermessungen von Lenz (1990) sowie die hydrologischen Untersuchungen von Mull (1987) in den Cappenberger Wäldern.
919Die Gutachter der Beigeladenen räumen ein, dass der Umfang des durch die Wasserdynamik bereitgestellten Puffervermögens nur schwer quantifizierbar ist. Ungeachtet dessen hat Prof. Dr. C1. in den „Bodenökologischen Risikobetrachtungen“ von August 2012 und Januar 2015 überzeugend dargelegt, dass die wasserdynamischen Effekte - Pufferung der im Oberboden deponierten Säuren in den besser mit Alkalinität ausgestatteten, tieferen Bodenbereichen sowie Versorgung der Pflanzen mit Basizität und Nährstoffen durch das aufsteigende Bodenwasser - jedenfalls so groß sind, dass den Wirkungen der Versauerung auf die Pflanzengesellschaften nachhaltig entgegengewirkt wird.
920Diese Annahme wird zum einen durch die von Dr. B. in der Stellungnahme des Landesbetriebs Wald und Holz NRW vom 24. Juli 2014 zitierten Untersuchungen von Ellenberg (1996; Vegetation Mitteleuropas mit den Alpen) gestützt. Danach versauern Standorte, die durch Grundwasser oder Staunässe geprägt sind, bei einem Ausfall der mit der Wasserdynamik verbundenen Effekte innerhalb weniger Jahre. Eine solche schnelle Versauerung ist in den „Wäldern bei Cappenberg“ auch nach Ansicht der Gutachter des Klägers nicht zu verzeichnen.
921Zum anderen belegt die in den Bodenanalysen der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt an den Beurteilungspunkten C1 bis C11 vom 16. Juli 2012 und an den von Dr. I2. . betrachteten Bodenprofilpunkten Ca-1 bis Ca-9 vom 9. Januar 2013 ermittelte Basensättigung, dass Basizität in den Wurzelraum der Pflanzen gelangt. Der Grad der Basensättigung gibt den Anteil der basisch wirkenden Kationen an der effektiven Austauschkapazität an. Zwar liegt die Basensättigung in den mineralischen Oberböden von 0 bis 10 cm Tiefe nach den Feststellungen der Gutachter des Klägers sowie der gerichtlich bestellten Gutachter V. und K. in ihrer Stellungnahme vom 15. Juni 2016 und in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 teilweise (deutlich) unter 15 %. Diese Werte spiegeln die auch von den Gutachtern der Beigeladenen nicht bestrittene starke Versauerung der Oberböden wider. In Bodentiefen ab 10 cm liegt die Basensättigung jedoch überwiegend schon bei über 15 %. In den noch mit dem Grad W2 durchwurzelten tieferen Bodenschichten bis zum Sw-Horizont beträgt die Basensättigung - mit Ausnahme des Beurteilungspunkts C 11 - zwischen 19 % und 99 %, an der überwiegenden Zahl der Beurteilungspunkte liegt sie (deutlich) über 50 %. Die Ergebnisse der Bodenuntersuchungen bestätigen damit tendenziell die von Prof. Dr. C1. für den Hauptwurzelbereich (von ihm in den „bodenökologischen Risikobetrachtungen“ aus Januar 2015 definiert als die oberen 15 bis 20 cm des Mineralbodens) berechneten Werte.
922(bb) Im Zusammenwirken mit den Effekten der Wasserdynamik finden ferner (wiederkehrende) Stoffumsetzungen statt, die einer Versauerung der Humusschicht entgegenwirken und dort für die den günstigen Erhaltungszustand der Lebensraumtypen letztlich sichernde Ausstattung mit Basizität und Nährstoffen sorgen. Insoweit ist insbesondere die Wirkung der sog. „Basenpumpe“ von Bedeutung.
923Die „Basenpumpe“ umfasst folgende chemischen und biologischen Vorgänge: die Aufnahme von basisch reagierenden Kationen und Nährstoffen über die Wurzel, deren Transport über die Leitgewebe der Pflanze bis in die Blattorgane, den Abwurf der Kationen und Nährstoffe auf die Humusauflage mit dem Blattfall und die anschließende - langsame - Mineralisierung oder Auswaschung aus den Blattoberflächen. Mit der Aufnahme der basischen Kationen wird Alkalinität in der Biomasse und den Pflanzenorganen akkumuliert und mit der Blattstreu und anderem Bestandsabfall auf der Bodenoberfläche deponiert. Gleichzeitig läuft ein bodeninterner Nährstoffkreislauf an, der von der mineralischen Bodensubstanz abgekoppelt ist und der ebenfalls immer wieder durch die Streu aufgefüllt wird.
924Vgl. Beese, Bodenökologische Risikobetrachtungen, August 2012, S. 48 ff.; Mierwald, Stellungnahme vom 6. August 2012, S. 2 f.; Asche, Stellungnahme vom 24. Juli 2014, S. 4; Godt, Brumme, Rosenthal, Gutachten vom 21. Mai 2014, S. 14.
925Stoffumsetzungen dieser Art können zwar auch kleinräumig stattfinden, etwa, wenn die basischen Kationen nicht im Unterboden, sondern in einer Bodenschicht. des Oberbodens aufgenommen werden. Anders als der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 meint, legt der Gutachter Prof. Dr. C1. den Schwerpunkt seiner Argumentation jedoch auf den ständigen Zufluss von Basen aus dem Unterboden und nicht auf eine bloß oberbodeninterne Umverteilung von Basen.
926Der Gutachter Prof. Dr. C1. im August 2012 und Januar 2015 sowie die Gutachter Dr. I2. . , Dr. C2. und Prof. Dr. S1. in ihren Stellungnahmen vom 21. Mai 2014 und Mai 2015 weisen übereinstimmend darauf hin, dass die Frage, ob die Blattstreu und sonstiger Bestandsabfall auf der Laubschicht versauernde oder entsauernde Wirkung entfalten, maßgeblich davon abhängt, ob der Überschuss von Kationen gegenüber Anionen im Verhältnis zum Stickstoff ausreicht. Von Bedeutung ist daher, in welchem Umfang das aufgrund der Mineralisierung entstandene Nitrat denitrifiziert und gasförmig ausgetragen wird. Verbleibt Nitrat im Boden, wird die Alkalinität reduziert und im Ergebnis tritt eine versauernde Wirkung ein. Hat die „Basenpumpe“ hingegen alkalinisierende Wirkung, werden für die Versorgung der Pflanzen notwendige Kationen und Nährstoffe aus der sich zersetzenden Laubauflage ständig nachgeliefert, und auch Pflanzen mit hohen Nährstoffansprüchen können auf Standorten mit stark versauerten Oberböden gedeihen. So liegt der Fall hier.
927Der günstige Erhaltungszustand der Lebensraumtypen in den „Wäldern bei Cappenberg“ beruht jedenfalls auch auf den Wirkungen der „Basenpumpe“. Diese ist zwar nicht in der Lage, die vorhandende Versauerung der Böden zu kompensieren, sie wirkt jedoch einer Verschlechterung des Erhaltungszustandes der Pflanzen über die Zufuhr und Bereitstellung von Nährstoffen und Basizität aus den Unterböden in der Humusschicht entgegen. Die Gutachter der Beigeladenen Prof. Dr. C1. und Dr. N1. messen der „Basenpumpe“ nicht die weitergehende Bedeutung einer Anreicherung der oberen Mineralbodenschichten mit nicht von den Pflanzen aufgenommenen Basen und Nährstoffen zu. Dem entspricht die Einschätzung der Gutachter V. und K. in dem Exkurs „Basenpumpe“ in der gutachterlichen Stellungnahme vom 15. Juni 2016, die - als solche nicht bestrittene - „Basenpumpe“ erreiche nicht das Ausmaß, dass sie die Basenverarmung des mineralischen Oberbodens allmählich beheben könne; sie habe insoweit keine über die Laubauflage hinausgehende tiefergreifende, die Böden entsauernde Wirkung. Ist die Wirkung der „Basenpumpe“ jedoch in dieser Weise beschränkt, erklärt sich ohne Weiteres, dass sie sich - wie die Gutachter des Klägers u. a. in dem Gutachten vom 21. Mai 2014 feststellen - nicht maßgeblich in der Oberbodenversauerung widerspiegelt und die Critical Limits horizontweise unterschritten werden.
928Mit der Blattstreu gelangen ausreichend Alkalinität und Nährstoffe auf die Humusauflage. Auch die Gutachter des Klägers Dr. I2. . , Dr. C2. und Prof. Dr. S1. bezweifeln nicht, dass die Wurzeln basische Kationen in die Blätter und über die Streubildung auf die Humusauflage transportieren. In ihrem Gutachten vom 21. Mai 2014 haben sie - insoweit in Einklang mit Prof. Dr. C1. in der Stellungnahme aus August 2012 - allerdings auf S. 18 unten ausdrücklich darauf hingewiesen, dass (nur) eine Blattstreuanalyse belegen könne, ob die Wurzeln in ausreichender Menge Basizität aufnehmen. Eine derartige Blattstreuanalyse hat Prof. Dr. C1. daraufhin im Januar 2015 durchgeführt. Dabei wurde an den von Dr. I2. . untersuchten Bodenprofilpunkten Ca-1 bis Ca-9 Alkalinität in Höhen von 2,344 bis 4,115 kmolc/(ha*a) und in den jungen Pflanzenbeständen an den Standorten Ca-10 und Ca-11 in Höhen von 1,078 und 1,847 kmolc/(ha*a) festgestellt. Diese - von dem Kläger als solche nicht angegriffenen - Werte für die Altbestände nähern sich den von Prof. Dr. C1. angeführten Werten anderer Standorte mit Kalkunterböden an und sind deutlich höher als die Werte auf versauerten Böden ohne Kalkunterböden. Dass die Vergleichswerte für Standorte mit Kalkunterböden nicht an allen Beurteilungspunkten erreicht werden, steht der Beurteilung von Prof. Dr. C1. nicht entgegen, dass trotz der Versauerung des Oberbodens noch ausreichend basische Kationen zur Verfügung stehen. Er hat in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 - unwidersprochen - erklärt, dass der Grad der Alkalinität der Blattstreu nicht nur vom Kalkgehalt des Unterbodens, sondern auch von der jeweiligen Baumart abhänge.
929Die von dem Gutachter des Klägers Dr. C2. in der Stellungnahme vom 27. April 2016 geäußerte Vermutung, „es wäre nicht verwunderlich, wenn die basischen Kationen in den Cappenberger Wäldern größtenteils atmosphärischen Ursprungs (wären)“, stellt die Ausführungen von Prof. Dr. C1. nicht in Frage. Der Gutachter Dr. C2. hat weder diese Hypothese, noch die Vermutung hinreichend belegt, auch die hohe Basensättigung der Laubschicht könne allein oder größtenteils mit der atmosphärischen Deposition basischer Kationen erklärt werden. Er hat etwa die in der Blattstreu aufgefundene Alkalinität nicht zu der - aus den Datensätzen des Umweltbundesamtes für das Jahr 2007 weitgehend bekannten und nach den Angaben in dem Gutachten vom 21. Mai 2014 stark rückläufigen - Hintergrunddeposition basischer Kationen ins Verhältnis gesetzt. Eines solchen Vergleichs bedurfte es jedoch schon mit Blick auf den Hinweis von Prof. Dr. C1. in den „Bodenökologischen Risikobetrachtungen“ von Januar 2015, der Umstand, dass nach 16 Jahren eine langsame Erholung der Puffersystem in den oberen Bodenpartien eingesetzt habe, lasse sich angesichts der rückläufigen Staubeinträge wie alkalischer Flugstäube -
930s. dazu auch Godt, Brumme, Rosenthal, Gutachten vom 21. Mai 2014, S. 16: Vor Einführung von Elektrofiltern seien basisch reagierende Grobstäube aufgrund der schnell wirksamen Sedimentation vor allem in der Umgebung der Emittenten eingetragen worden und hätten dort zur Pufferung der Säureeinträge beigetragen. Die Verringerung der Grobstaubeinträge habe zu einem kontinuierlichen Anstieg der Säurebelastung geführt. -
931nur durch die Wirkung der „Basenpumpe“ erklären. Auch der Hinweis auf die Ergebnisse von Blattstreuuntersuchungen in Österreich (Berger et al., 2006, The role of calcium uptake from deep soils for spruce and beech) führt nicht entscheidend weiter. In der Waldbodenkunde wird in vielen Studien die Wirkung der „Basenpumpe“ beschrieben und anerkannt.
932So auch Brumme, Stellungnahme vom 27. April 2016, S. 1.
933Vor dem Hintergrund dieses Wissensstandes sprechen die von Dr. C2. zitierten Untersuchungen aus Österreich allenfalls für einen weiteren Forschungsbedarf. Eine solche Grundlagenforschung ist jedoch nicht Aufgabe oder Gegenstand der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung. Ergänzend ist anzumerken, dass die Hypothese des Gutachters Dr. C2. schwer vereinbaren lässt mit dem ausdrücklichen Hinweis in dem von ihm mit verfassten Gutachten vom 21. Mai 2014, eine Blattstreuanalyse könne belegen, dass die Wurzeln im Unterboden hinreichend Basizität aufnehmen können.
934Der klägerische Vortrag stellt auch die von Prof. Dr. C1. in seinem Gutachten von Januar 2015 gezogene Schlussfolgerung nicht in Frage, diese Werte stellten ein deutliches Indiz dar, dass die Wurzeln in den kalkreichen Unterboden gelangten. Diese Schlussfolgerung ist schon deshalb plausibel, weil auch angesichts der starken Versauerung des Oberbodens nicht erkennbar ist, dass die in der Blattstreu gemessene Alkalinität aus dem Oberboden stammen könnte. Ungeachtet dessen belegen die Ergebnisse der Aufgrabungen und Wurzeluntersuchungen von F. & T6. im Frühjahr 2012 an den Beurteilungspunkten C1 bis C11 und von Dr. I2. . im Jahr 2012 an den Bodenprofilen Ca-1 bis Ca-9, dass die Wurzeln der untersuchten Lebensraumtypen jedenfalls mit einem Durchwurzelungsgrad W2 bis in Bereiche des Unterbodens mit höherer und hoher Basensättigung absenken. Dass es darauf ankommen könnte, aus welcher Bodenschicht des Unterbodens die Basen kommen, ist auch vor dem Hintergrund der oben geschilderten Wasserdynamik nicht zu erkennen.
935Die Blattstreu hat auch eine im Ergebnis der Versauerung der Humusauflage entgegenwirkende alkalinisierende Wirkung, wie Prof. Dr. C1. in den „Bodenökologischen Risikobetrachtungen“ von Januar 2015 überzeugend dargelegt hat. Es ist mit anderen Worten davon auszugehen, dass der Kationenüberschuss im Verhältnis zum Stickstoff ausreichend ist. Für eine entsauernde Wirkung der Blattstreu streitet die hohe Basensättigung der Humusauflage und hier insbesondere der Laubschicht und des Of-Horizonts. An den Beurteilungspunkten C1 bis C 11 liegt die Basensättigung der L- und Of-Horizonte auch nach den Erkenntnissen des Gutachters Dr. I2. . in dem Gutachten vom 26. Mai 2013 zwischen 82 % und 96 %, im Oh-Horizont dagegen nur noch zwischen 17 % bis 71 %. Die Werte der Laubauflage liegen damit zum Teil deutlich über einer - von dem Gutachter K. als „normal“ bezeichneten - Basensättigung von 80 %. Die von Dr. I2. . betrachteten Bodenprofilpunkte Ca-1 bis Ca-9 bestätigen diesen Befund in der Tendenz. Ein direkter Vergleich der Basensättigung der L- und Of-Horizonte scheidet zwar aus, weil die Basensättigungswerte in dem Gutachten von Dr. I2. . vom 26. Mai 2013 für die gesamte Humusschicht (L-, Of- und Oh-Auflage) nur als Mittelwert angegeben werden. Die aufgrund dieser Mittelung niedrigeren Werte liegen zwischen 35 % bis 98 %, die Basensättigung der obersten Mineralbodenschicht beträgt ca. 5 % bis 69 %. Die Basizität in den oberen Humusschichten kommt den säureempfindlichen Pflanzen auch zugute. Der Kläger weist zwar zu Recht darauf hin, dass der L-Horizont nicht durchwurzelt ist. Der Of- und der Oh-Horizont weisen jedoch fast durchweg hohe Durchwurzelungsgrade (W3, W4 und vereinzelt W5) auf.
936Die - aufgrund der oben beschriebenen Wasserdynamik allerdings jahreszeitlich starken Schwankungen unterliegenden - pH(H2O)-Werte und - auf noch niedrigerem Niveau - die pH(KCl)-Werte korrelieren mit den Werten der Basensättigung. Die pH-Werte sind an den Standorten C1 bis C11 (mit Ausnahme des Standorts C 8, an dem auch der Oberboden kalkhaltig ist) in der Laubschicht zwar niedrig, aber dennoch signifikant höher als in der Oh-Auflage.
937Vgl. Mierwald, Stellungnahme vom 6. August 2012, S. 4 ff.
938Dasselbe gilt an den Standorten Ca-1 bis Ca-9 für die - ebenfalls gemittelten - pH-Werte der gesamten Humusschicht im Vergleich zu den pH-Werten der oberen Mineralbodenschicht.
939Dass die hohe Basensättigung der Laubschicht (auch) auf die „Basenpumpe“ zurückzuführen ist, wird schließlich durch die nachgewiesenen Reduktionsvorgänge in den stauwasserbeeinflussten Böden der „Wälder bei Cappenberg“ gestützt. Die auch von dem Gutachter des Klägers Dr. I2. . im Jahr 2012 festgestellte Bleichung der Sw-Horizonte und Marmorierung der Sd-Horizonte indizieren, dass in diesen Horizonten zeitweise - nämlich insbesondere bei Wassersättigung der Böden - eine nahezu vollständige Reduktion von Nitrat zu gasförmigen Stickstoff (N2) oder zu Lachgas (N2O) erfolgt, die mit entsauernder Wirkung entweder gasförmig entweichen oder in gelöster Form aus dem Boden ausgewaschen werden. Die durch die Reduktion von Eisen und Mangan verursachte Färbung der Bodenhorizonte tritt erst ein, nachdem zuvor das vorhandene Nitrat reduziert wurde, wie Prof. Dr. C1. erläutert hat.
940Vgl. Beese, Bodenökologische Risikobetrachtungen, August 2012, S. 12.
941Die Marmorierung des Sd-Horizonts widerlegt die Behauptung des Gutachters Dr. I2. . in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016, der Stauwassereinfluss sei nur in der Sw-Schicht relevant.
942Die klägerischen Gutachter tragen zutreffend vor, dass gerade die Größenordnung des - zudem zeitlich begrenzten - Austrags von gasförmigem Stickstoff (N2) aufgrund analytischer Schwierigkeiten kaum konkret bestimmt werden kann, und dass aufgrund der Wasserdynamik in den Böden auch nicht von einer 100 %-igen Denitrifikationsrate ausgegangen werden könne. Die Annahme der Gutachter Dr. I2. . , Dr. C2. und Prof. Dr. S1. in ihrer Stellungnahme von Mai 2015, Prof. Dr. C1. habe behauptet, das in den Bodenhorizonten insgesamt vorhandene Nitrat werde zu 100 % reduziert bzw. denitrifiziert, trifft nicht zu. Dies hat Prof. Dr. C1. in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 nochmals ausdrücklich bestätigt. Die Gutachter der Beigeladenen bestreiten ferner nicht, dass sich in den Böden Stickstoff angereichert hat. Prof. Dr. C1. hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, er gehe von einem Vorrat in den Böden in Höhe von 3 bis 6 Tonnen aus. Die Stickstoffbelastung der Böden schlägt sich auch erkennbar in den - im Vergleich zu älteren Werten verengten - Kohlenstoff/Stickstoff(C/N))-Verhältnissen nieder, auf die die Gutachter der Klägers hinweisen. Vor dem Hintergrund, dass bei reduzierenden Bedingungen jedoch eine nahezu vollständige Denitrifikation stattfindet, ist die Annahme einer Denitrifikationsrate von 80 % nachvollziehbar und plausibel. Dies gilt ungeachtet dessen, dass im Sommer bei Trockenheit der Böden keine reduzierenden, sondern oxidierende Bedingungen vorliegen und eine Denitrifikation selbst bei reduzierenden Bedingungen erst ab einer Temperatur von etwa 12°C erfolgen kann. Reduzierende Bedingungen treten in der Zeit von November bis April, bei Starkregenereignissen auch im Sommer auf. Im Sommer besteht in der Regel kein Temperaturproblem. Die Gutachter der Beigeladenen haben zutreffend darauf hingewiesen, dass auch im Herbst und Frühjahr durchaus Temperaturen von 12°C oder mehr auftreten.
943Diese hohe Denitrifikationsrate ist nicht in die Modellierung der Critical Loads eingestellt worden. Die Gutachterin Dr. T2. hat in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 dargelegt, sie habe derart hohe Denitrifikationsraten nur bei den (wenigen) Beurteilungspunkten angesetzt, an denen das Wasser ‑ anders als auf den Pseudogleyen - ständig hoch anstehe. Dazu gehöre unter anderem der von dem Kläger angeführte Beurteilungspunkt BP 26.
944Die „Basenpumpe“ ist entgegen der Annahme des Klägers auch nicht bei der Basenverwitterungsrate der unteren Bodenschichten in die Modellierung der Critical Loads eingeflossen. Die Gutachterin Dr. T2. hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, sie habe - wie auch der Gutachter V. festgestellt habe - die Wurzeltiefen konservativ in die Berechnung eingestellt und daher eine Verwitterungsrate in den unteren Schichten im Wesentlichen nicht angesetzt. Auch die Gutachter V. und K. gehen in ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 15. Juni 2016, davon aus, dass die quantitative Wirkung der „Basenpumpe“ nicht bei dem Parameter „Basenverwitterung“ berücksichtigt wurde.
945(c) Die im Boden ablaufenden standortspezifischen und von den Critical Loads nicht erfassten physikalischen und chemischen Schutzmechanismen sind nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. C1. in der Lage, auch den zusätzlichen versauernden Stoffeinträgen entgegenzuwirken.
946Dass die die Versorgung der Pflanzen mit Nährstoffen und Basen fördernden Effekte der Wasserdynamik bei den zusätzlichen versauernden Stoffeinträgen wegfallen würden, hat der Kläger nicht behauptet. Für eine solche Annahme bestehen im Übrigen auch keine Anhaltspunkte.
947Es ist ferner nicht zu erkennen, dass die hier betroffenen, beschränkten Wirkungen der „Basenpumpe“ aufgrund der zusätzlichen (kumulierten) Säuredeposition entfallen. Die zusätzliche Säuredeposition verursacht keinen erheblichen Versauerungsschub, der die bislang ausreichende Zufuhr von Basizität aus dem Untergrund gefährden könnte. Wie Prof. Dr. C1. in seinen „Bodenökologischen Risikobetrachtungen“ von Januar 2015 im Einzelnen dargelegt hat, ist die zusätzliche (kumulierte) Säuredeposition auch unter Berücksichtigung des Stickstoffumsatzes nicht nur im Verhältnis zur jährlich deponierten Alkalinität sehr gering. Auch die in einem Zeitraum von 50 Jahren zu erwartende Zusatzbelastung ist gegenüber den an den Beurteilungspunkten vorgefundenen Vorräten an austauschbaren basischen Kationen im Bereich von 30 cm bis 100 cm Tiefe in Höhe von 695,5 bis 2.564,5 kmolc/ha zu vernachlässigen. Dasselbe gilt für die minimale Erhöhung der in den Böden bereits vorhandenen Basenneutralisierungskapazität. Dieser Wertung ist auch deshalb zu folgen, weil davon auszugehen ist, dass über die in diese Betrachtung nur einbezogene Alkalinität der Blattstreu noch weitere ‑ ebenfalls nur schwer quantifizierbare - Basizität auf die Humusauflage gelangt. Der Gutachter Prof. Dr. C1. hat im Januar 2015 und in der mündlichen Verhandlung insbesondere auf die mit dem sonstigen Bestandsabfall (Äste, Früchte) eingetragene Basizität verwiesen. Der sonstige Bestandsabfall macht nach seinen - unwidersprochenen - Angaben ein Drittel der Gesamtstreu aus.
948Vgl. C1. , Bodenökologische Risikobetrachtungen, August 2012, S. 5
949Ferner ist in diesem Zusammenhang auf die oben beschriebenen Effekte der Wasserdynamik und auf den Säure- und Nitrataustrag mit dem lateralen Wasserabfluss hinzuweisen. Der von den Gutachtern des Klägers insbesondere in der Stellungnahme aus Mai 2015 geforderte Vergleich mit der Hintergrundbelastung der versauernden Deposition ist an dieser Stelle nicht zielführend. Es mag zwar sein, dass die Vorbelastung das bereitstehende Puffervermögen an einigen Beurteilungspunkten überschreitet. Diese Sachlage lag jedoch schon in der Vergangenheit vor und ist von den Lebensraumtypen erkennbar unter Aufrechterhaltung ihres günstigen Erhaltungszustands verkraftet worden. Im Übrigen ist die Hintergrundbelastung der versauernden Deposition derzeit rückläufig.
950(10) Die in der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung getroffene Einschätzung, auch eine nachteilige Beeinträchtigung der aquatischen Lebensraumtypen der FFH-Gebiete „Teilabschnitte Lippe - Unna, Hamm, Soest, Warendorf“ „Lippeaue“ und „In den Kämpen, Im Mersche und Langener Hufeisen“ - hier insbesondere auch des Lebensraumtyps 3260 Fließgewässer mit Unterwasservegetation - durch die direkt oder die indirekt über den Transferpfad Luft-Boden-Gewässer eingetragene Deposition eutrophierend wirkender anorganischer Stickstoffverbindungen sowie versauernd wirkender Stickstoff- und Schwefelverbindungen sei auszuschließen, ist nicht zu beanstanden.
951Die Untersuchung ist davon ausgegangen, dass ein indirekter Eintrag eutrophierender und versauernder Stoffe deshalb irrelevant ist, weil diese Schadstoffe schon durch Reaktionen im Bereich der Depositionsflächen auf dem Boden weitestgehend durch Neutralisation oder Aufnahme durch Pflanzen zurückgehalten oder assimiliert werden. Diese Annahme ist plausibel und wird vom Kläger auch nicht substantiiert angegriffen.
952Eine beeinträchtigende Wirkung der sauren Depositionen auf der Oberfläche der Lippe wurde mit der Begründung ausgeschlossen, dass sich bei einer worst-case-Rechnung anhand der von der Immissionsprognose gelieferten Daten zu den versauernden Stickstoff- und Schwefelverbindungen eine hypothetische Absenkung des ph-Werts der Lippe um etwa 0,0015 Einheiten ergebe. Diese Veränderung sei durch Messungen in einem natürlichen Gewässer, das infolge der Phytoplanktonproduktion deutlich stärkeren täglichen und saisonalen pH-Wert-Änderungen unterliege, nicht nachweisbar. Sie sei auch ohne Einfluss auf die Gewässerqualität. Selbst eine solche theoretische Absenkung sei jedoch auszuschließen, wenn das aufgrund der Prägung des Oberlaufs der Lippe durch Kalk- bzw. Kreideböden hohe Säureneutralisierungsvermögen des Flusswassers – anders als bei der worst-Case-Betrachtung - mit berücksichtigt werde. Natürlich eutrophe Seen (z. B. LRT 3150), Teiche und Altwässer ohne Anbindung an die Lippe seien aufgrund ihres besonderen Gewässermechanismus gegenüber geringen sauren Zusatzdepositionen unempfindlich. Die Deposition anorganischer Stickstoffverbindungen führe in den FFH-Gebieten „Teilabschnitte Lippe - Unna, Hamm, Soest, Warendorf“, „Lippeaue“ und „In den Kämpen, Im Mersche und Langener Hufeisen“ zu einer maximalen Zusatzkonzentration von 0,0001 mg/l, was etwa 0,002 % der mittleren Hintergrundbelastung entspreche. Die Lebensraumtypen 3150 und 3260 wiesen zudem gegenüber den eutrophierenden Einträgen keine besondere Empfindlichkeit auf. Der Lebensraumtyp 3260 weise in karbonatisch oder basenreich-organisch geprägten Fließgewässern auch keine besondere Empfindlichkeit gegenüber versauernden Einträgen auf. Diese Einschätzung ist vom LANUV nicht in Frage gestellt worden und wird vom Kläger nicht substantiiert angegriffen. Auf die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob der Lebensraumtyp 3260 an allen Stellen zutreffend erfasst worden sei, kommt es angesichts der in jedem Fall irrelevanten Zusatzdepositionen nicht an.
953(11) Hinsichtlich der radioaktiven Immissionen kommt die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung zu der Einschätzung, dass diese keine Relevanz für die betrachteten FFH-Gebiete hätten. Dies begegnet keinen Bedenken. Die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung verweist zur Begründung auf eine im Jahr 2008 durchgeführte Untersuchung des TÜV Nord EnSys Hannover GmbH &Co KG zum Kraftwerk Staudinger in Großkrotzenburg. Die damals mit sehr konservativen Annahmen berechneten Werte für die effektive Jahresdosis durch die in Kohlenstaub und Flugasche enthaltenen natürlichen radioaktiven Stoffe hätten weit ‑ und zwar mehr als drei Größenordnungen - unter den Werten für die jährliche mittlere effektive Dosis der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland durch natürliche Strahlenquellen gelegen (siehe dazu auch oben unter I. 2. d). Die Plausibilität dieser Annahmen hat der Kläger nicht in Frage gestellt.
9547. Wasserrecht
955Dem Vorhaben stehen im Rahmen der vorläufigen positiven Gesamtbeurteilung keine unüberwindlichen genehmigungsrechtlichen Hindernisse entgegen, soweit der Vorbescheid keine abschließende verbindliche Feststellung über die Vereinbarkeit der Einleitung der Abwässer des Kühlturms und der Rauchgasentschwefelungsanlage in die Lippe einschließlich der vorgeschalteten Abwasserbehandlungsanlage sowie des Schwermetalleintrags in die Lippe über den Luftpfad mit immissionsschutzrechtlichen und naturschutzrechtlichen Vorschriften trifft.
956Inwieweit die Immissionsschutzbehörde über wasserrechtliche Bestimmungen zu entscheiden hat, hängt ‑ ausgehend vom Umfang der immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürften Anlage -,
957vgl. Seibert, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand: 1. Februar 2016, § 13 BImSchG, Rn. 70 f., ders., Zeitschrift für Deutsches und Europäisches Wasser-, Abwasser- und Bodenschutzrecht (W + B) 2015, 95 ff.,
958von der Reichweite der Konzentrationswirkung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ab. Nach § 13 BImSchG schließt die Genehmigung andere die Anlage betreffende behördliche Entscheidungen "mit Ausnahme von (...) wasserrechtlichen Erlaubnissen und Bewilligungen nach § 8 in Verbindung mit § 10 des Wasserhaushaltsgesetzes" ein. Damit sind alle sonstigen wasserrechtlichen Genehmigungen, etwa die Zulassung einer Abwasserbehandlungsanlage, wie sie hier im Anschluss an die Rauchgasentschwefelung vorgesehen ist, von der Konzentrationswirkung erfasst.
959Vgl. Seibert, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand: 1. Februar 2016, § 13 BImSchG, Rn. 86 f.
960Der Erstreckung der Konzentrationswirkung auf (sonstige) wasserrechtliche Entscheidungen steht nicht etwa § 2 Abs. 2 Satz 2 BImSchG entgegen, wonach die Vorschriften des Bundes-Immissionsschutzgesetzes nicht gelten, soweit sich aus wasserrechtlichen Vorschriften zum Schutz der Gewässer etwas anderes ergibt. § 2 Abs. 2 Satz 2 BImSchG normiert allein den Vorrang materiell-rechtlicher Vorschriften des Wasserrechts.
961Seibert, a. a. O., Rn. 83.
962Hinsichtlich der Prüfungsanforderungen im Einzelnen ist zwischen der Abwassereinleitung in die Lippe, also dem direkten Schadstoffeintrag über den Wasserpfad (dazu a), dem indirekten Eintrag von Schadstoffen in die Lippe über den Luftpfad (dazu b) und der Abwasserbehandlungsanlage (dazu c) zu unterscheiden.
963a) Direkter Schadstoffeintrag in die Lippe über den Wasserpfad
964Die beabsichtigte Einleitung von warmem, salz- und schwermetallbelastetem Abwasser aus der Kühlturmabflut und der REA in die Lippe ist ein Benutzungstatbestand nach § 9 WHG, der einer wasserrechtlichen Erlaubnis nach § 8 WHG bedarf. § 13 BImSchG klammert die wasserrechtliche Erlaubnis ausdrücklich aus dem Regelungsgehalt der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung aus. Diese vom Gesetz vorgesehene Trennung zwischen dem Regelungsgehalt einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung (bzw. einem Vorbescheid als einem Ausschnitt aus dem feststellenden Teil der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung) und dem Regelungsgehalt einer wasserrechtlichen Gestattung entspricht dem erklärten Willen des Gesetzgebers: Die im wasserrechtlichen Erlaubnis- und Bewilligungsverfahren zu treffenden Entscheidungen beträfen regelmäßig nur einen geringen Teilaspekt des der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung unterliegenden Gesamtvorhabens (z. B. eines Kohlekraftwerks) und erforderten spezielle Prüfungen, für die den immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbehörden der notwendige Sachverstand fehle.
965BT-Drs. 10/4999.
966Die Immissionsschutzbehörde hat die Übereinstimmung des Vorhabens allerdings nicht nur mit immissionsschutzrechtlichen Vorschriften (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG), sondern nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG grundsätzlich mit allen öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu prüfen. Andererseits ist für die Erteilung der wasserrechtlichen Erlaubnis nach §§ 8, 12 Abs. 1 Nr. 2 WHG ebenfalls Voraussetzung, dass andere Anforderungen nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften erfüllt werden. Die insoweit miteinander konkurrierenden bzw. sich überschneidenden umfassenden Prüfungsmaßstäbe sind entsprechend der Sachentscheidungskompetenz der jeweiligen Behörden grundsätzlich auf die konkurrierenden Genehmigungsverfahren aufzuteilen, um umfassende Doppelprüfungen zu vermeiden; maßgebend für die Abgrenzung ist, welches Schutzziel das jeweilige (Fach-)Gesetz mit einem bestimmten Genehmigungsvorbehalt verfolgt.
967Vgl. Gaentzsch, NJW 1986, 2787, 2794; Jarass, Konkurrenz, Konzentration und Bindungswirkung von Genehmigungen, 1984, S. 81 ff.; Seibert, Die Bindungswirkung von Verwaltungsakten, 1989, S. 369 f.
968Hiervon ausgehend ist das Verhältnis von immissionsschutzrechtlicher Genehmigung zu wasserrechtlicher Gestattung wie folgt zu bestimmen: Zu den öffentlichen Belangen, die dem besonderen Schutzzweck der wasserrechtlichen Erlaubnis oder Bewilligung zugewiesen sind, gehört nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 WHG, dass schädliche, auch durch Nebenbestimmungen nicht vermeidbare oder nicht ausgleichbare Gewässerveränderungen nicht zu erwarten sind; das setzt voraus, dass von der beabsichtigten Benutzung eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit nicht zu erwarten ist (§ 3 Nr. 10 WHG). Mit dem Begriff "Wohl der Allgemeinheit" wird der Wasserbehörde ein weitreichender Schutz öffentlicher Belange übertragen. Er umfasst alle wasserwirtschaftlich relevanten Gesichtspunkte, die von einer Benutzung berührt werden können. Diese öffentlichen Belange fallen in die originäre Fachkompetenz der Wasserbehörde.
969Darüber hinaus verfügt die Wasserbehörde anders als die Immissionsschutzbehörde bei der Bewirtschaftung der Gewässer über einen planerischen Gestaltungsfreiraum. Sie hat u. a. den Auftrag, durch eine nachhaltige Gewässerbewirtschaftung die Gewässer als Bestandteil des Naturhaushalts, als Lebensgrundlage des Menschen, als Lebensraum für Tiere und Pflanzen sowie als nutzbares Gut zu erhalten und zu verbessern, insbesondere durch Schutz vor nachteiligen Veränderungen von Gewässereigenschaften (§ 1 und § 6 Abs. 1 Nr. 1 WHG), die Gewässer zum Wohl der Allgemeinheit zu nutzen (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 WHG), bestehende oder künftige Nutzungsmöglichkeiten, insbesondere für die öffentliche Wasserversorgung, zu erhalten oder zu schaffen (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 WHG) und alle Gewässer nach den durch die Wasserrahmenrichtlinie näher vorgegebenen Bewirtschaftungszielen unter Beachtung des Verschlechterungsverbots zu bewirtschaften. Oberirdische Gewässer sind so zu bewirtschaften, dass eine Verschlechterung ihres ökologischen und ihres chemischen Zustands vermieden wird und ein guter ökologischer und ein guter chemischer Zustand erhalten oder erreicht werden (§ 27 Abs. 1 WHG). Dazu gehört insbesondere auch eine ggf. erforderliche FFH-Verträglichkeitsprüfung, soweit sie sich direkt oder indirekt ‑ etwa bezogen auf von der Gewässerqualität abhängige geschützte Lebensraumtypen oder Arten - auf das Schutzgut Wasser bezieht. Nichts anderes gilt für die entsprechende artenschutzrechtliche Prüfung.
970Der Wasserbehörde stehen im Rahmen dieses Bewirtschaftungsermessens (siehe §§ 27 WHG für oberirdische Gewässer) verschiedene, in den §§ 82 ff. WHG geregelte Planungsakte, insbesondere ein Maßnahmenprogramm zur Verfügung. Ein solches planerisches Bewirtschaftungsermessen kann die Immissionsschutzbehörde nicht ausüben. Sie ist nicht dazu berufen und im Allgemeinen auch nicht in der Lage, die dazu gehörenden Dispositionen und Maßnahmen zu treffen.
971Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. September 1987 ‑ 4 C 36.84 -, DVBl. 1988, 489, juris Rn. 12, und Beschluss vom 23. Juni 1989 - 7 B 87.89 -, DVBl. 1990, 57, juris Rn. 4.
972Sie ist insbesondere nicht befugt, Maßnahmen zur Reduzierung der Schadstoffbelastung der Lippe vorzusehen, wie sie im vorliegenden Fall in Betracht zu ziehen sind, um eine rechtmäßige Einleitung zu gewährleisten.
973Entsprechend diesen Grundsätzen hat der Beklagte zu Recht keine abschließende verbindliche Feststellung der naturschutzrechtlichen Unbedenklichkeit der im wasserrechtlichen Erlaubnisverfahren zu prüfenden Abwassereinleitung in die Lippe getroffen.
974Allerdings hat der Beklagte als Immissionsschutzbehörde zu prüfen, ob der Erteilung der wasserrechtlichen Erlaubnis erkennbare rechtliche Hindernisse entgegenstehen. Auch wenn die Entscheidungs- und Prüfungsbefugnisse beider Behörden gegeneinander abzugrenzen sind, müssen die Genehmigungsverfahren sowie die Inhalts- und Nebenbestimmungen vollständig koordiniert werden (§ 10 Abs. 5 Satz 2 BImSchG; § 11 der 9. BImSchV; vgl. auch Art. 7 der Richtlinie 96/61/EG - IVU-RL -, später neugefasst durch die RL 2008/1/EG, nunmehr ersetzt durch die Industrieemissionsrichtlinie, RL 2010/75/EU). Die Koordinierungspflicht betrifft sowohl die Fälle einer Beteiligung mehrerer Behörden als auch den hier vorliegenden Fall, dass die gleiche Behörde die parallelen Zulassungsverfahren durchzuführen hat.
975Vgl. Jarass, NVwZ 2009, 65, 66.
976Die notwendige Koordination paralleler Genehmigungsverfahren setzt einer strikten Separation der Prüfungsmaßstäbe Grenzen und verpflichtet die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbehörde zumindest zur Prüfung, ob der wasserrechtlichen Erlaubnis keine unüberwindlichen Hindernisse entgegenstehen. Allein diese (beschränkte) Doppelprüfung genügt der Koordinationspflicht.
977Vgl. auch zum Folgenden: Seibert, W + B 2015, 95, 99 ff.; im Ergebnis ebenso: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20. Juli 2011 - 10 S 2102/09 -, ZUR 2011, 600 = juris Rn. 375; Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand: 1. Februar 2016, § 6 BImSchG Rn. 24, m. w. N.; Scheidler, in: Feldhaus, BImSchR, § 6 BImSchG Rn. 37; Seibert, Die Bindungswirkung von Verwaltungsakten, S. 375 f. und 399 f.; ferner BVerwG, Beschluss vom 23. Juni 1989 - 7 B 87.89 -, DVBl. 1990, 57 = juris Rn. 4.
978Die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbehörde kann ihrer Koordinationspflicht im Einzelfall dadurch genügen, dass sie die Genehmigung unter den Vorbehalt nachträglicher (sich aus dem parallelen wasserrechtlichen Verfahren ergebender) Anforderungen stellt.
979Jarass, NVwZ 2009, 65, 68.
980Dies ist hier geschehen. Der Vorscheid steht ausdrücklich unter dem Vorbehalt weiterer Neben- oder Inhaltsbestimmungen, die sich aus den Erkenntnissen des laufenden wasserrechtlichen Erlaubnisverfahrens ergeben.
981Besonders intensiv ist die erforderliche behördliche Zusammenarbeit bei - wie hier - UVP-pflichtigen Vorhaben. Die Umweltverträglichkeitsprüfung ist grundsätzlich von der für das Immissionsschutzrecht zuständigen Genehmigungsbehörde gemeinsam mit den anderen Behörden durchzuführen, die für die Anlage eine Genehmigung o.ä. zu erteilen haben.
982Vgl. Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 10 Rn. 52.
983Entsprechend muss die Umweltverträglichkeitsprüfung in parallelen Genehmigungsverfahren einer Gesamtbewertung der Umweltauswirkungen zugeführt werden; die federführende Behörde - hier die Bezirksregierung (vgl. § 14 Abs. 1 Sätze 1 und 3 UVPG, § 3 UVPG NRW) - hat das Zusammenwirken der Zulassungsbehörden und das Zusammenführen von Teilprüfungen einer einheitlichen Umweltverträglichkeitsprüfung sicherzustellen (vgl. Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung ‑ UVPVwV - vom 18. September 1995, GMBl. 1995, 671, Ziffern 0.2 und 0.6.2.3). Der Beklagte hat diesen Anforderungen Rechnung getragen.
984Diese Maßstäbe zugrunde gelegt bestehen im vorliegenden Fall keine Bedenken im Hinblick auf die Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis nach § 8 WHG für das Einleiten des Abwassers in die Lippe. Die wasserrechtliche Erlaubnis ist mit Bescheid der Bezirksregierung Arnsberg vom 22. November 2013, also zwei Tage nach Erteilung des angefochtenen Vorbescheids, erteilt worden. Diese Entscheidung entfaltet für das vorliegende gerichtliche Verfahren Bindungswirkung. Zwar ist grundsätzlich bei Drittanfechtungsklagen die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Vorbescheids maßgeblich; nachträgliche Änderungen zugunsten des Vorhabenträgers sind jedoch sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht zu berücksichtigen.
985An der Bindungswirkung fehlt es nicht etwa deshalb, weil der Kläger gegen die wasserrechtliche Erlaubnis Klage erhoben hat, die beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen noch anhängig ist. Die Klage entfaltet wegen der Anordnung der sofortigen Vollziehung keine aufschiebende Wirkung und hindert daher nicht die Wirksamkeit des Bescheides. Die abschließende Prüfung der wasserrechtlichen Erlaubnisfähigkeit der Abwassereinleitung in Bezug auf die physikalischen (Temperatur) und chemischen (u. a. durch Chlorid-, Sulfat- und Schwermetalleinträge) Auswirkungen auf die Wasserqualität der Lippe über den Wasserpfad sowie die damit zusammenhängenden natur- und artenschutzrechtlichen Fragen insbesondere zur Betroffenheit des Flussneunauges und des Eisvogels durch die Zusatzbelastung an Quecksilber des Lippewassers oder des aquatischen Lebensraumtyps 3260 durch zusätzliche Schwermetalleinträge obliegt dem wasserrechtlichen Verfahren.
986b) Indirekter Schadstoffeintrag in die Lippe über den Luftpfad
987Soweit es um den (indirekten) Eintrag von Schadstoffen in Gewässer über den Luftpfad geht, hat grundsätzlich die für die Anlagengenehmigung zuständige Immissionsschutzbehörde die Einwirkungen der Anlage auf das Wasser durch Luftschadstoffe zu prüfen und darüber zu entscheiden. Der indirekte Schadstoffeintrag in Gewässer über den Luftpfad ist kein Benutzungstatbestand im Sinne von § 3 WHG a. F., § 9 WHG n. F.
988Vgl. im Einzelnen Ohms, NVwZ 2010, 926, 928 f. m. w. N.; Schmid, in: Berendes u. a., WHG, 2011, § 9 WHG Rn. 18 ff.; a. A. Kremer, ZUR 2009, 421, 422 ff.
989Die Wasserqualitätsvorgaben sind allerdings auch für das Immissionsschutzrecht beachtlich. Die Wasserrahmenrichtlinie und ihre Tochterrichtlinien regeln grundsätzlich auch den Schadstoffeintrag in Gewässer über den Luftpfad. Insbesondere erfasst die Phasing-out-Verpflichtung nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a) Ziffer iv WRRL auch Einträge von Quecksilber über den Luftpfad in Gewässer.
990Vgl. ausführlich OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 8 E1. 58/08. AK -, ZUR 2012, 372 = juris Rn. 461 ff. m. w. N.
991Nach dieser Vorschrift sind "Einleitungen, Emissionen und Verluste" prioritärer gefährlicher Stoffe zu beenden oder schrittweise einzustellen. Unter Emissionen sind ungewollte, aber kontrollierbare Einträge zu verstehen.
992Ginzky, ZUR 2009, 242, 246.
993Sie beinhalten auch luftgetragene Stoffe aus der Energieerzeugung. Die gegenteilige Auffassung, die über die Luft vermittelten Wasserbelastungen seien von der Wasserrahmenrichtlinie grundsätzlich nicht erfasst,
994so Ohms, NVwZ 2010, 675, 677; Reidt/Schiller, NuR 2011, 624, 630 f.,
995berücksichtigt nicht hinreichend, dass das Richtlinienziel der schrittweisen Einstellung oder Beendigung des Gewässereintrags prioritärer gefährlicher Stoffe ohne Einbeziehung des Luftpfads nicht erreicht werden könnte.
996Zutreffend Riese/Dieckmann, UPR 2011, 212, 214.
997Wie oben bereits ausgeführt, besteht in Bezug auf den Schwermetalleintrag die Besonderheit, dass sowohl der Wasserpfad als auch der Luftpfad zu berücksichtigen sind. Die Immissionsschutzbehörde kann deshalb die Frage einer wasser- und naturschutzrechtlichen Vereinbarkeit insbesondere des Quecksilbereintrags nicht isoliert bezogen auf den Quecksilberanteil über den Luftpfad abschließend beurteilen. Andererseits kann sie den Gesamteintrag von Quecksilber ‑ wie oben dargestellt ‑ nicht ohne die Bewirtschaftungsmaßnahmen der Wasserbehörde abschließend beurteilen. In dieser Lage ist es auf Grund der originären Fachkompetenz der Wasserbehörde angezeigt, dass die Summe beider Einträge und damit auch der (gegenüber dem Wasserpfad deutlich geringere) Quecksilbereintrag über den Luftpfad im wasserrechtlichen Erlaubnisverfahren berücksichtigt wird, um zu einer sachgerechten Beurteilung kommen zu können. Die Wasserbehörde hat ihrem Bewirtschaftungsermessen und ihren Bewirtschaftungsmaßnahmen die Summe beider Einträge zugrunde zu legen. Für die Immissionsschutzbehörde ergibt sich daraus die Aufgabe, im Rahmen der notwendigen Koordination der sich überschneidenden Zuständigkeiten die Erkenntnisse und Maßnahmen der Wasserbehörde nachträglich einzubeziehen. So können im Hinblick auf Bedenken der Wasserbehörde zusätzliche Anforderungen an die Anlage zu stellen sein. Die Immissionsschutzbehörde ist dieser Aufgabe dadurch gerecht geworden, dass sie ihre Feststellung unter den Vorbehalt nachträglicher Neben- oder Inhaltsbestimmungen gestellt hat, die sich aus Erkenntnissen des wasserrechtlichen Erlaubnisverfahrens ergeben können.
998Zu dieser Vorgehensweise siehe BT-Drs. 12/3944, S. 54 f.; Jarass, NVwZ 2009, 65, 68; ferner Seibert, Die Bindungswirkung von Verwaltungsakten, S. 401 und 569 ff.
999Angesichts der im Verhältnis zum Quecksilber- und sonstigen Schwermetalleintrag über den Wasserpfad relativ geringen direkten und indirekten Zusatzbeiträge über den Luftpfad bestehen - unter Berücksichtigung des Vorbehalts nachträglicher Anordnungen - keine genehmigungsrechtlichen Hindernisse.
1000c) Abwasserbehandlungsanlage
1001Der Beklagte hat auch hinsichtlich der Genehmigungsfähigkeit der Abwasserbehandlungsanlage keine abschließend verbindliche Feststellung über die emissions- und immissionsschutzrechtliche sowie die naturschutzrechtliche Unbedenklichkeit getroffen. Einer vorläufigen positiven Gesamtbeurteilung im Vorbescheidverfahren stehen insoweit keine wasserrechtlichen Bedenken entgegen. Die wasserrechtliche Erlaubnis für die Abwasserbehandlungsanlage ist mit Bescheid der Bezirksregierung Arnsberg vom 22. November 2013, also zwei Tage nach Erteilung des angefochtenen Vorbescheids, erteilt worden. Diese Entscheidung entfaltet für das vorliegende gerichtliche Verfahren ebenfalls Bindungswirkung (vgl. oben unter I.7.a).
1002Der Beklagte hat den Vorbescheid ferner unter den Vorbehalt weiterer Neben- oder Inhaltsbestimmungen gestellt, die sich aus Erkenntnissen des wasserrechtlichen Erlaubnisverfahrens (Einleitung der Abwässer) ergeben. Er hat damit dem Umstand Rechnung getragen, dass bei einer Abwasserbehandlungsanlage die immissionsschutzrechtlich und die wasserrechtlich zu prüfenden Aspekte aufeinander abgestimmt werden müssen. Wasserrechtliche Anforderungen zur Minimierung der Schadstofffracht des Abwassers können sich unmittelbar auf die technische Gestaltung der immissionsschutzrechtlich zu beurteilenden Anlage auswirken.
1003Vgl. BT-Drs. 12/3944, S. 54 f.
10048. Berechtigtes Interesse an Vorbescheidserteilung
1005Ungeachtet der Frage, ob dem Kläger insoweit ein Rügerecht zusteht, fehlt es auch nicht an dem nach § 9 Abs. 1 BImSchG erforderlichen berechtigten Interesse der Beigeladenen an der Erteilung des Vorbescheides. Ein berechtigtes Interesse ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn ein Antrag auf Erteilung einer (Teil-)Genehmigung beabsichtigt ist, die Vorabklärung ohne die Vorlage der vollständigen Antragsunterlagen möglich erscheint und verfahrensökonomische, wirtschaftliche oder technische Gründe dafür bestehen, das Genehmigungsverfahren gestuft vorzunehmen, wenn also etwa die Bindungswirkung des Vorbescheides das Investitionsrisiko des Vorhabenträgers verringern kann oder durch die Erteilung des Vorbescheides eine Beschleunigung des Genehmigungsverfahren zu erwarten ist.
1006Vgl. Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand: 1. Februar 2016, § 9 BImSchG Rn. 49.
1007Gemessen hieran liegen vernünftige Gründe für ein gestuftes Vorgehen vor. Die Beigeladene weist zu Recht auf ein fortbestehendes verfahrensökonomisches und wirtschaftliches Interesse an der Erteilung des Vorbescheides hin. Der Vorbescheid schließt die aufgrund des Wegfalls des ersten Vorbescheides entstandene Regelungslücke und schafft wieder eine Grundlage für die bereits erteilten und die noch ausstehenden Teilgenehmigungen.
1008II. Erste und siebte Teilgenehmigung
1009Aus den vorstehenden Gründen folgt, dass auch die 1. und die 7. Teilgenehmigung rechtmäßig sind.
1010Gemäß § 8 Satz 1 Nr. 3 BImSchG setzt die Erteilung einer Teilgenehmigung u. a. voraus, dass der Errichtung und dem Betrieb der gesamten Anlage keine von vornherein unüberwindlichen Genehmigungshindernisse entgegenstehen. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
1011Der Kläger hat keine darüber hinaus gehenden Bedenken gegen die beiden Teilgenehmigungen geltend gemacht; solche sind auch nicht ersichtlich.
1012Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1 und 3 und 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig, weil sie einen eigenen Antrag gestellt und sich damit gemäß § 154 Abs. 3 VwGO einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat.
1013Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO und den §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.
1014Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.
(1) Eine nach § 3 anerkannte inländische oder ausländische Vereinigung kann, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen einlegen, wenn die Vereinigung
- 1.
geltend macht, dass eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können, widerspricht, - 2.
geltend macht, in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes durch die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen berührt zu sein, und - 3.
im Falle eines Verfahrens nach - a)
§ 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b zur Beteiligung berechtigt war; - b)
§ 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 zur Beteiligung berechtigt war und sie sich hierbei in der Sache gemäß den geltenden Rechtsvorschriften geäußert hat oder ihr entgegen den geltenden Rechtsvorschriften keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist.
(2) Eine Vereinigung, die nicht nach § 3 anerkannt ist, kann einen Rechtsbehelf nach Absatz 1 nur dann einlegen, wenn
- 1.
sie bei Einlegung des Rechtsbehelfs die Voraussetzungen für eine Anerkennung erfüllt, - 2.
sie einen Antrag auf Anerkennung gestellt hat und - 3.
über eine Anerkennung aus Gründen, die von der Vereinigung nicht zu vertreten sind, noch nicht entschieden ist.
(3) Ist eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 nach den geltenden Rechtsvorschriften weder öffentlich bekannt gemacht noch der Vereinigung bekannt gegeben worden, so müssen Widerspruch oder Klage binnen eines Jahres erhoben werden, nachdem die Vereinigung von der Entscheidung Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können. Widerspruch oder Klage gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 oder 6 müssen jedoch spätestens binnen zweier Jahre, nachdem der Verwaltungsakt erteilt wurde, erhoben werden. Satz 1 gilt entsprechend, wenn eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 entgegen geltenden Rechtsvorschriften nicht getroffen worden ist und die Vereinigung von diesem Umstand Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können.
(4) Rechtsbehelfe nach Absatz 1 sind begründet, soweit
- 1.
die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und 2 oder deren Unterlassen gegen Rechtsvorschriften verstößt, die für diese Entscheidung von Bedeutung sind, oder - 2.
die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2a bis 6 oder deren Unterlassen gegen umweltbezogene Rechtsvorschriften verstößt, die für diese Entscheidung von Bedeutung sind,
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage 4 K 459/16 gegen die der Beigeladenen vom Landrat des Antragsgegners erteilte Genehmigung vom 9. Februar 2016 zur Errichtung und zum Betrieb von elf Windenergieanlagen auf den im Stadtgebiet von N. belegenen Grundstücken G1,
G 2 und G 3, wird wiederhergestellt.Der Antragsgegner und die Beigeladene tragen die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers jeweils zur Hälfte sowie ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.Der Streitwert wird auf 82.500,00 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Der sich aus dem Tenor ergebende Antrag des Antragstellers hat Erfolg.
3Er ist nach § 80a Abs. 3 i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der Antragsteller ist nach § 2 Abs. 1 des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes (UmwRG) als anerkannte Naturschutzvereinigung antragsbefugt, ohne analog § 42 Abs. 2 VwGO eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen.
4Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 21. Januar 2016- 4 A 5.14 -, juris Rn. 18.
5Die Anwendbarkeit des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a UmwRG eröffnet, weil der Antragsteller mit seiner in der Hauptsache gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 9. Februar 2016 erhobenen Klage einen Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung im Sinne von § 2 Abs. 3 UVPG über die Zulässigkeit von Vorhaben, für die nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) bestehen kann, eingelegt hat. Die Genehmigung des Landrates des Antragsgegners stellt eine Entscheidung im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 1 UVPG dar. Es ist bei summarischer Prüfung zudem davon auszugehen, dass der Antragsgegner zur Durchführung der – von ihm für das Vorhaben tatsächlich auch durchgeführten – Umweltverträglichkeitsprüfung verpflichtet war. Denn das Vorhaben der Beigeladenen umfasst die Errichtung und den Betrieb von elf Windenergieanlagen, die jeweils eine Gesamthöhe von mehr als 50 m aufweisen und voraussichtlich zusammen als Windfarm anzusehen sind, weil sie einander räumlich so zugeordnet sind, dass sich ihre Einwirkungsbereiche überschneiden oder wenigstens berühren.
6Vgl. zur Einordnung als Windfarm nur: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 23. Juli 2014 - 8 B 356/14 -, Natur und Recht (NuR) 2014, 663, m.w.N..
7Dementsprechend hatte der Antragsgegner jedenfalls gemäß § 3c Satz 1 UVPG i.V.m. Nr. 1.6.2 Spalte 2 der Anlage 1 zum UVPG im Wege einer allgemeinen Vorprüfung des Einzelfalles zu prüfen, ob eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen war, was er voraussichtlich zutreffend bejaht hat. Darüber hinaus kommt unter Einbeziehung der in unmittelbarer Nähe zum Vorhabengebiet bereits bestehenden Windenergieanlagen ggf. auch eine Einordnung als Windfarm mit 20 oder mehr Anlagen in Betracht, für die nach § 3b Abs. 1 oder § 3e Abs. 1 Nr. 1 UVPG i.V.m. Nr. 1.6.1 Spalte 1 der Anlage 1 zum UVPG von vornherein eine UVP-Pflicht bestanden hätte.
8Der Antrag ist auch begründet.
9Nach dem hier einschlägigen § 4a Abs. 3 UmwRG ist § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen oder wiederherstellen kann, wenn im Rahmen einer Gesamtabwägung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen. Mit dieser Regelung knüpft § 4a Abs. 3 UmwRG an die allgemeinen für Anträge auf gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs geltenden Maßstäbe an. In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO bzw. § 80a Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht auf der Grundlage einer eigenen Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen. Wesentliches Element dieser Interessenabwägung ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann. § 4a Abs. 3 UmwRG modifiziert diesen Prüfungsmaßstab nur bezogen auf die gebotene Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs, an dem Erfordernis einer umfassenden Interessenabwägung ändert sich hingegen nichts.
10Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Januar 2015 - 7 VR 6/14 -, juris Rn. 8 m.w.N.; OVG NRW, Beschluss vom 23. Juli 2014 - 8 B 356/14 -, a.a.O.
11Bereits eine sich an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientierende Abwägung der widerstreitenden Interessen führt zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Denn nach summarischer Prüfung sind hier solche ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Genehmigungsbescheids vom 9. Februar 2016 gegeben, die voraussichtlich zur Begründetheit der vom Antragsteller erhobenen Klage führen.
12Gemäß § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UmwRG ist ein Rechtsbehelf nach § 2 Abs. 1 UmwRG gegen eine Entscheidung im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG begründet, soweit die Entscheidung gegen Rechtsvorschriften verstößt, die dem Umweltschutz dienen und für die Entscheidung von Bedeutung sind, und der Verstoß Belange des Umweltschutzes berührt, die zu den Zielen gehören, die die Vereinigung nach ihrer Satzung fördert. Bei Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG – wie der hier streitgegenständlichen Genehmigung – muss gemäß § 2 Abs. 5 Satz 2 UmwRG zudem eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen.
13Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der dafür relevanten Sach- und Rechtslage ist bei einer auf Aufhebung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung gerichteten Anfechtungsklage der Zeitpunkt der Genehmigungserteilung.
14Vgl. zur baurechtlichen Nachbarklage: OVG NRW, Urteil vom 28. November 2007 - 8 A 2325/06 -, Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter (NWVBl.) 2008, 228, juris Rn. 47 ff.; a. A. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 7. August 2014 - 10 S 1853/13 -, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) – Rechtsprechungs-Report (RR) 2015, 18, juris Rn. 6, und Urteil vom 14. Mai 2012 - 10 S 2693/09 -, juris Rn. 60 ff.
15Spätere Änderungen zu Lasten des Betreibers haben außer Betracht zu bleiben. Nachträgliche Änderungen zu seinen Gunsten sind dagegen zu berücksichtigen.
16Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. April 1998 - 4 B 40.98 -, NVwZ 1998, 1179, juris Rn. 3.
17Diese Grundsätze schließen es allerdings nicht aus, im Rahmen einer solchen Drittanfechtungsklage nachträglich gewonnene Erkenntnisse zu berücksichtigen. Denn hierbei handelt es sich nicht um nachträgliche Veränderungen der Sachlage, die zu Lasten des Bauherrn grundsätzlich nicht berücksichtigt werden dürfen, sondern lediglich um spätere Erkenntnisse hinsichtlich der ursprünglichen Sachlage.
18Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. Juni 2010 - 8 A 340/09 -, juris Rn. 18.
19Hieran gemessen bestehen bereits mit Blick auf die gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 des Baugesetzbuchs (BauGB) bestehende Ausschlusswirkung der derzeit noch wirksamen Ausweisungen von Konzentrationszonen für die Windenergienutzung im Flächennutzungsplan der Stadt N. ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Genehmigungsbescheids vom 9. Februar 2016 bezogen auf ein Recht, zu dessen Geltendmachung der Antragsteller befugt ist.
20Die privilegierte Nutzung der Windenergie durch Windenergieanlagen ist im – hier betroffenen – Außenbereich gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB nur zulässig, wenn dem Vorhaben öffentliche Belange nicht entgegenstehen und die ausreichende Erschließung gesichert ist. Gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB stehen öffentliche Belange einem Vorhaben nach Absatz 1 Nr. 5 in der Regel auch dann entgegen, soweit hierfür durch Darstellungen im Flächennutzungsplan oder als Ziele der Raumordnung eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist.
21Durch Darstellungen im zugrundezulegenden Flächennutzungsplan der Stadt N. ist eine Ausweisung von Flächen für die Windenergienutzung (Konzentrationszone) an anderer Stelle als im Vorhabengebiet erfolgt (1.). Entsprechend der gesetzlichen Regel stehen öffentliche Belange dem bislang außerhalb dieser Konzentrationszonen geplanten Vorhaben entgegen (2.). Hierauf kann sich der Antragsteller auch berufen (3.).
221.) Der Landrat des Antragsgegners hat das streitgegenständliche, gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB im Außenbereich privilegierte Vorhaben genehmigt, obgleich seiner Zulässigkeit aktuell noch die im Flächennutzungsplan in seiner bislang weiter gültigen Fassung dargestellte Ausweisung von Konzentrationszonen für die Windenergie an anderer Stelle entgegensteht.
23Seit der 11. Änderung ihres Flächennutzungsplanes im Jahr 1997 stellt die Stadt N. eine Konzentrationszone für Windenergieanlagen westlich von N2. dar, die das Vorhabengebiet nicht erfasst, sondern nördlich davon im Bereich der dort bereits bestehenden Windparks liegt. Soweit der Rat der Stadt N. in seiner Sitzung vom 20. November 2015 die 60. Änderung des Flächennutzungsplanes beschlossen hat, nach der die bisher dargestellte Konzentrationszone nun – als Konzentrationszone 1 – auch auf das streitgegenständliche Vorhabengebiet ausgedehnt werden soll, ist diese Änderung in Ansehung von § 6 Abs. 5 Satz 2 BauGB noch nicht wirksam, da es bislang an der gemäß § 6 Abs. 5 Satz 1 BauGB noch ortsüblich bekanntzumachenden Erteilung der gemäß § 6 Abs. 1 BauGB erforderlichen Genehmigung der höheren Verwaltungsbehörde fehlt.
24Zwar könnte eine spätere Erteilung der Genehmigung und ein damit eintretendes Wirksamwerden der 60. Änderung des Flächennutzungsplans der Stadt N. nach den obigen Ausführungen als nachträglich zugunsten der Beigeladenen eintretende Änderung der Rechtslage zu berücksichtigen sein. Jedoch kann eine derartige Entwicklung nicht mit einer solchen Wahrscheinlichkeit unterstellt werden, dass das Gericht davon bei seiner Entscheidung im jetzigen Zeitpunkt ausgehen könnte bzw. gar müsste. Derzeit ist nicht absehbar, ob die Genehmigung erteilt wird und die Änderung des Flächennutzungsplans wirksam wird. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass die Vorlage des Planfeststellungsbeschlusses zur Genehmigung erst knapp sieben Monate nach der Beschlussfassung erfolgt ist und in der Zwischenzeit offenbar einige Bedenken seitens der Bezirksregierung Arnsberg hinsichtlich der Genehmigungsfähigkeit geäußert worden sind. Anders ist nicht zu erklären, dass der Rat der Stadt N. , wie dem öffentlichen Online-Ratsinformationssystem der Stadt zu entnehmen ist, in seiner Sitzung vom 7. Juli 2016 ein Addendum zur Begründung der 60. Änderung des Flächennutzungsplans beschlossen hat. So ist in der Begründung zur entsprechenden Beschlussvorlage Nr. 106/2016 u.a. ausgeführt, dass die Stadt N. in ihrer Begründung zur 60. Änderung des Flächennutzungsplans nach Auffassung der Regionalplanungsbehörde das Verhältnis zwischen kommunaler Planung und übergeordneten Zielen und Grundsätzen der Raumordnung nicht ausreichend thematisiert, die im Entwurf des sachlichen Teilplans „Energie“ festgelegten Windenergiebereiche nicht ausreichend berücksichtigt und – neben den in Aufstellung befindlichen Zielen der Raumordnung – auch die weiteren Erfordernisse der Raumordnung aus dem rechtskräftigen Regionalplan B. – Teilabschnitt Kreis T. und I. – in der Plankonzeption nicht ausreichend beachtet habe. Da das Addendum selbst nur auf die in Aufstellung befindlichen Ziele der Raumordnung in Gestalt der beabsichtigten Windvorrangzonen eingeht, bestehen zumindest gewichtige Zweifel, dass sämtliche Bedenken der Bezirksregierung B. ausgeräumt sind und die Genehmigung erteilt wird.
25Anhaltspunkte dafür, dass die bisherige Konzentrationsplanung der Stadt N. unwirksam ist, sind im Rahmen der hier nur gebotenen summarischen Prüfung nicht ersichtlich, zumal mit der bisher ausgewiesenen Konzentrationsfläche keine ausschließlich negativ wirkende Verhinderungsplanung stattgefunden hat, sondern eine nicht unbeträchtliche Fläche positiv für geeignete Windenergieanlagen-Standorte ausgewiesen worden ist, in der über 30 Anlagen genehmigt worden sind.
262.) Im Falle der somit entgegenstehenden Ausweisung von Konzentrationszonen für die Windenergienutzung im Flächennutzungsplan tritt die Ausschlusswirkung gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB nur „in der Regel“ ein, so dass in Ausnahmefällen eine Zulassung auch im sonstigen Außenbereich in Betracht kommt. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor.
27Der zur Genehmigung gestellte, abweichend von den Ausweisungen des Flächennutzungsplans vorgesehene Standort darf das gesamträumliche Planungskonzept der Gemeinde nicht in Frage stellen; es muss sich um eine vom Plangeber so nicht vorhergesehene (atypische) Fallkonstellation handeln. Die Möglichkeit von Abweichungen dieser Art unterscheidet den Regelungsanspruch, den § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB der Ausweisung von Konzentrationsflächen vermittelt, nicht von anderen gesetzlichen Regelungen, die sich ebenfalls nur Geltung für den Regelfall beimessen und deren unmittelbare normative Wirkung damit nicht in Frage gestellt wird. Auch etwa die satzungsförmigen Festsetzungen des Bebauungsplans stehen unter dem Befreiungsvorbehalt des § 31 Abs. 2 BauGB.
28Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Dezember 2002 - 4 C 15.01 -, BVerwGE 117, 287, und vom 26. April 2007 - 4 C N 3.06 -, NVwZ 2007, 1081; OVG NRW, Urteile vom 15. März 2006 - 8 A 2672/03 -, Baurecht (BauR) 2006, 1715, und vom 4.12.2006 - 7 A 568/06 -, Zeitschrift für Neues Energierecht (ZNER) 2007, 81
29Eine in diesem Sinne zu verstehende atypische Konstellation liegt hier nicht vor. Die streitigen Anlagenstandorte grenzen zwar südlich an die bisherige Konzentrationszone an. Das Vorhabengebiet mit 11 Windenergieanlagen umfasst mit über 200 ha allerdings ein Areal, das die bisherige, etwa 450 ha große Konzentrationszone faktisch um beinahe die Hälfte vergrößern würde. Bei einer solchen Größenordnung kann von einer bloßen atypischen, vom Plangeber nicht beachteten Sondersituation keine Rede mehr sein; vielmehr würde bei einer Zulassung das bisherige gesamträumliche Planungskonzept der Gemeinde in Frage gestellt, das jedenfalls eine weitere Windkraftnutzung mit dieser Ausdehnung im streitigen Verfahrensgebiet erkennbar ausgeschlossen hat.
303.) Der Antragsteller kann sich voraussichtlich auf den dargelegten Verstoß auch berufen. Soweit sein Rechtsbehelf nach dem Wortlaut von § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes (UmwRG) nur insoweit begründet sein kann, als die angegriffene Behördenentscheidung gegen dem Umweltschutz dienende Rechtsvorschriften verstößt und der Verstoß Belange des Umweltschutzes berührt, die zu den Zielen gehören, die die Vereinigung nach ihrer Satzung fördert, steht dies einem auf den vorstehend dargelegten Verstoß gegen § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB gestützten Erfolg der in der Hauptsache erhobenen Klage nicht entgegen.
31Dabei kann im vorliegenden summarischen Verfahren letztlich dahinstehen, ob die bislang im deutschen Recht noch in § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UmwRG vorgesehene Beschränkung der von Umweltverbänden verfolgbaren Rechtsverstöße auf Verstöße gegen dem Umweltschutz dienende Normen überhaupt mit den zugrundeliegenden völker- und europarechtlichen Vorgaben vereinbar und damit anwendbar ist, wogegen aus den nachfolgenden Erwägungen Bedenken bestehen (hierzu a). Selbst wenn die Beschränkung auf die Verletzung umweltbezogener Vorschriften gleichwohl unbedenklich sein sollte, ist diese vor dem maßgeblichen völker- und europarechtlichen Hintergrund jedenfalls so weit auszulegen, dass auch eine Verletzung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB von dem Antragsteller mit Erfolg gerügt werden kann (hierzu b).
32a) Das deutsche UmwRG dient der Umsetzung bestimmter gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben und des diesen wiederum zugrunde liegenden Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten vom 25. Juni 1998 (im Folgenden: Aarhus-Konvention bzw. kurz: AK). Sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch die Europäische Union haben die Aarhus-Konvention unterzeichnet. In der Bundesrepublik Deutschland ist die Konvention nach Ratifikation vom 15. Januar 2007 am 15. April 2007 in Kraft getreten, in der Europäischen Union (damals noch Europäische Gemeinschaft) nach Genehmigung vom 17. Februar 2005 am 18. Mai 2005 (vgl. BGBl. 2007 II S. 1392).
33Nach Art. 9 Abs. 2 AK haben die Vertragsparteien im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicherzustellen, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, die ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ – sofern das Verwaltungsprozessrecht der Vertragspartei dies als Voraussetzung erfordert – eine Rechtsverletzung geltend machen, Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht und/oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die Art. 6 und – sofern dies nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht vorgesehen ist und unbeschadet von Art. 9 Abs. 3 – sonstige einschlägige Bestimmungen der Aarhus-Konvention gelten. Diese Vorgabe wurde europarechtlich zunächst mit der Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten (im Folgenden kurz: Öffentlichkeitsbeteiligungs-Richtlinie) umgesetzt und – gemäß Art. 6 dieser Richtlinie mit einer Umsetzungsfrist bis zum 25. Juni 2005 – als Art. 10a in die Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (im Folgenden kurz: UVP-Richtlinie 1985) übernommen. Die Regelung findet sich nunmehr im Wesentlichen inhaltsgleich unter beibehaltener Umsetzungsfrist in Art. 11 der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (im Folgenden kurz: UVP-Richtlinie 2011).
34Mittlerweile hat die 5. Vertragsstaatenkonferenz zur Aarhus-Konvention mit Beschluss V/9h vom 2. Juli 2014 klargestellt, dass die Einschränkung der Rügebefugnis auf Vorschriften, die dem Umweltschutz dienen, gegen Art. 9 Abs. 2 AK verstoße und demnach völkerrechtswidrig sei. Davon ausgehend spricht einiges dafür, dass die Beschränkung der Rügebefugnis von Umweltverbänden auf dem Umweltschutz dienende Vorschriften auch als mit Art. 11 Abs. 1 der UVP-Richtlinie 2011 unvereinbar anzusehen ist. Denn mit dieser zuvor in Art. 10a der UVP-Richtlinie 1985 getroffenen Bestimmung wollte der europäische Gesetzgeber die Vorgaben aus Art. 9 Abs. 2 AK offenbar inhaltsgleich umsetzen, wie sich aus dem 5. Erwägungsgrund der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie, wonach das Gemeinschaftsrecht ordnungsgemäß an das Aarhus-Übereinkommen angeglichen werden solle, ergibt.
35Auch wenn der Europäische Gerichtshof (EuGH) – ebenso wie offenbar nationale Gerichte – sich zu dieser Frage noch nicht äußern musste und hinsichtlich des Zugangs zu Gerichten in UVP-Angelegenheiten regelmäßig lediglich betont hat, dass Umweltverbände zwingend die nationalen Rechtsvorschriften, die die unionsrechtlichen Bestimmungen im Bereich der Umwelt umsetzen, sowie die unmittelbar anwendbaren Vorschriften des Umweltrechts der Union geltend machen können müssten,
36vgl. EuGH, Urteile vom 15. Oktober 2015 - Rs. 137/14 -, Rn. 92, und vom 12. Mai 2011 - Rs. C-115/09 - (BUND NRW), Rn. 48,
37hat er wiederholt jedoch ebenso hervorgehoben, dass Art. 11 Abs. 1 der UVP-Richtlinie 2011 mit seiner Formulierung „um ihre materiell-rechtliche oder verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit anzufechten“ keineswegs die Gründe beschränke, die mit einem entsprechenden Rechtsbehelf geltend gemacht werden können.
38vgl. EuGH, Urteile vom 15. Oktober 2015 - Rs. 137/14 -, Rn. 77, vom 7. November 2013 - Rs. C-72/12 - (Altrip), Rn. 36 und vom 12. Mai 2011 - Rs. C-115/09 - (BUND NRW), Rn. 37,
39Zudem scheint auch die Bundesregierung die oben genannten Bedenken im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Art. 2 Abs. 5 Nr. 1 UmwRG mit dem maßgeblichen Völker- bzw. Gemeinschaftsrecht zu teilen. In Reaktion auf die Einschätzung der 5. Vertragsstaatenkonferenz zur Aarhus-Konvention hat sie nämlich bereits einen Gesetzentwurf erarbeitet und am 22. Juni 2016 im Kabinett beschlossen, der u.a. jedenfalls in Bezug auf Entscheidungen im Sinne von § 2 Absatz 3 UVPG für die eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen kann, auf die Geltendmachung eines Verstoßes gegen dem Umweltschutz dienende Vorschriften verzichtet (§ 2 Abs. 4 Nr. 1 UmwRG in der Entwurfsfassung).
40Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben, http://www.bmub.bund.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/ Strategien_Bilanzen_Gesetze/umweltrechtsbehelfsgesetz_entwurf_bf.pdf(letzter Aufruf 27. Juli 2016).
41Da die Vorgabe in Art. 11 Abs. 1 der UVP-Richtlinie 2011 abgesehen von der Möglichkeit der Mitgliedstaaten, für andere Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit als Umweltverbände die Geltendmachung einer Rechtsverletzung zu verlangen und die Rechtsverletzung näher zu bestimmen, keinen Einschränkungen unterliegt und hinreichend klar und eindeutig formuliert sein dürften, dürfte im Falle einer nicht ordnungsgemäßen Umsetzung ins nationale Recht bis zum Inkrafttreten der geplanten Gesetzesänderung eine unmittelbare Wirkung von Art. 11 Abs. 1 UVP-Richtlinie 2011 im nationalen Recht mit entsprechendem Anwendungsvorrang vor § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UmwRG ernsthaft in Betracht zu ziehen sein.
42b) Ob das in § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UmwRG formulierte Tatbestandsmerkmal der Umweltbezogenheit der verletzten Rechtsvorschriften wegen der vorstehend aufgeworfenen Zweifel mithin nicht anwendbar sein sollte, kann indes vorliegend dahinstehen. Gleiches gilt im Übrigen für die Frage, ob die beabsichtigte Streichung des Erfordernisses der Umweltbezogenheit von Rechtsverletzungen in § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UmwRG (§ 2 Abs. 4 Nr. 1 der Entwurfsfassung) ggf. noch vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens in Kraft treten wird.
43Im Falle der Unanwendbarkeit des Tatbestandsmerkmals der Umweltbezogenheit wäre die in der Hauptsache erhobene Klage des Antragstellers mit Blick auf den Verstoß gegen § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB voraussichtlich schon deshalb begründet, weil die weiteren, nach § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 UmwRG zu erfüllenden Voraussetzungen vorliegen. Aber auch soweit nur Verstöße gegen dem Umweltschutz dienende Rechtsvorschriften zur Begründetheit der Klage des Antragstellers führen können, wird der Verstoß gegen § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB unter Zugrundelegung der aktuellen Sach- und Rechtslage voraussichtlich zum Erfolg der in der Hauptsache erhobenen Anfechtungsklage führen, da § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB entgegen der früheren vorläufigen Einschätzung der Kammer in ihrem im vorliegenden Verfahren ergangenen Beschluss vom 22. April 2016 jedenfalls im hier relevanten Zusammenhang – erst recht unter Berücksichtigung der oben ausgeführten völkerrechtlichen Klarstellung und bei richtlinienkonformer Auslegung – als dem Umweltschutz dienende Norm anzusehen sein wird (hierzu aa) und auch die weiteren Voraussetzungen für eine Begründetheit des Rechtsbehelfs gemäß § 2 Abs. 5 UmwRG erfüllt sind (hierzu bb).
44aa) § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB dient bei einer völker- und europarechtlich gebotenen weiten Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Umweltbezogenheit jedenfalls im hier betroffenen Zusammenhang mit der Ausweisung von Konzentrationszonen für die gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB privilegierte Windenergienutzung im Sinne von § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UmwRG dem Umweltschutz. Unter Berücksichtigung der vorstehend dargelegten völker- und europarechtlichen Vorgaben, die im Rahmen des Umweltschutzes einen weitreichenden Zugang zu Gerichten gewähren sollen,
45vgl. EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2015 - Rs. 137/14 -, Rn. 77,
46ist das Erfordernis, dass die verletzte Rechtsnorm dem Umweltschutz dient, weit auszulegen. Nicht erforderlich ist, dass eine Vorschrift ausschließlich Umweltschutzziele verfolgt. Ausreichend ist vielmehr, dass sie zumindest auch dem Schutz der Umwelt dient.
47Vgl. OVG NRW, Urteil vom 12. Juni 2012 - 8 D 38/08.AK -, juris Rn. 199, wonach auch das Planungserfordernis für ein geplantes Kohlekraftwerk zu den umweltrechtlichen Vorschriften gehöre.
48Konkrete Anhaltspunkte, was den Schutz der Umwelt im Sinne von § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UmwRG betrifft, enthält § 1 Abs. 6 BauGB,
49vgl. Seibert, Verbandsklagen im Umweltrecht, NVwZ 2013, 1040, 1044,
50der u.a. Auswirkungen auf Tiere und Pflanzen (Buchstabe a), die Erhaltungsziele und den Schutzzweck der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung und der Europäischen Vogelschutzgebiete im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes (Buchstabe b), aber auch umweltbezogene Auswirkungen auf den Menschen und seine Gesundheit (Buchstabe c) als Belange des Umweltschutzes nennt.
51Wie die Kammer in ihrem Beschluss vom 22. April 2016 im vorliegenden Verfahren bereits ausgeführt hat, regelt § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB im Hinblick auf die Ausweisung von Konzentrationszonen für die Windenergienutzung im Flächennutzungsplan die Rechtsfolge der planerischen Entscheidung einer Gemeinde, in ihrem Gemeindegebiet solche Konzentrationszonen auszuweisen, so dass die Sicherung der gemeindlichen Planung im Vordergrund steht. Jedenfalls im Hinblick auf die Ausweisung von Konzentrationsflächen für diejenigen privilegierten Vorhaben, die – wie Windenergieanlagen – Auswirkungen auf die in § 1 Abs. 6 BauGB genannten Umweltbelange haben können, beinhaltet die gemeindliche Planung aber auch eine Entscheidung darüber, in welchen Gebieten solche Auswirkungen bewusst in Kauf genommen bzw. für akzeptabel erachtet werden und welche Gebiete von solchen Auswirkungen freigehalten werden sollen. Denn im Rahmen der Planung der Ausweisung von Konzentrationszonen für privilegierte Nutzungen in einem Flächennutzungsplan muss der Abwägungsvorgang nicht nur Auskunft darüber geben, von welchen Erwägungen die positive Standortzuweisung getragen wird, sondern auch deutlich machen, welche Gründe es rechtfertigen, den übrigen Planungsraum von Windenergieanlagen freizuhalten. Hierzu werden in einem ersten Arbeitsschritt in der Regel diejenigen Bereiche als – harte oder weiche – "Tabuzonen" ermittelt, die für die Nutzung der Windenergie nicht zur Verfügung stehen. Die Potenzialflächen, die nach Abzug der Tabuzonen übrig bleiben, sind in einem weiteren Arbeitsschritt zu den auf ihnen konkurrierenden Nutzungen in Beziehung zu setzen, d.h. die öffentlichen Belange, die gegen die Ausweisung eines Landschaftsraums als Konzentrationszone sprechen, sind mit dem Anliegen abzuwägen, der privilegierten Nutzung an geeigneten Standorten eine Chance zu geben, die ihrer Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB gerecht wird.
52Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2012 - 4 CN 1/11 -, juris Rn. 10.
53Sowohl bei der Festlegung von Tabuzonen als auch bei der anschließenden Ausscheidung von nicht als Tabuzonen eingestuften Potenzialflächen spielen mithin regelmäßig Gesichtspunkte des Umweltschutzes eine entscheidende Rolle und werden in dieser Weise gleichsam in einer Art Grundsatzentscheidung der Gemeinde mit abgewogen. Diese Systematik, die – wie gezeigt – in Befolgung von § 1 Abs. 6 BauGB gerade auch einer hinreichenden Erfassung und Bewertung bzw. Abwägung betroffener Umweltbelange dient, wird auch nicht etwa durch die gesetzliche Zulassung von Anlagen außerhalb der Konzentrationszonen für Ausnahmefälle verlassen. Das wird schon daran deutlich, dass diese Zulassung – wie ebenfalls bereits oben erläutert – auf solche Fälle beschränkt ist, bei denen die planerische Gesamtkonzeption, mithin also auch die darin erfolgte abwägende Berücksichtigung u.a. von Umweltbelangen, nicht in Frage gestellt wird. Folglich ist festzustellen, dass die gesetzgeberischen Vorgaben in § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB auch die hinreichende Berücksichtigung von Umweltbelangen sicherstellen sollen und in diesem Sinne zumindest mittelbar dem Umweltschutz dienen.
54bb) Der nach den vorstehenden Ausführungen anzunehmende Verstoß gegen die dem Umweltschutz dienende Vorschrift des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB erfüllt voraussichtlich auch die weiteren in § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 UmwRG für die Begründetheit des Rechtsbehelfs aufgestellten Voraussetzungen.
55Der Verstoß ist im Sinne von in § 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UmwRG für die in der Hauptsache angefochtene Genehmigung von Bedeutung, weil er nach den vorstehenden Ausführungen der Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung entgegensteht.
56Durch den Verstoß sind auch gemäß § 2 Abs. 5 Satz 1 UmwRG Belange des Umweltschutzes, die zu den satzungsmäßigen Förderzielen des Antragstellers gehören, berührt. Zum satzungsgemäßen Aufgabenbereich des Antragstellers zählen ausweislich des Anerkennungsbescheides des Umweltbundesamts „die Förderung des Naturschutzes, der Landschaftspflege, des Tierschutzes unter besonderer Berücksichtigung der freilebenden Vogelwelt und das Eintreten für die Belange des Umweltschutzes“. Dies sind Belange, die nach den vorstehenden Ausführungen bereits im Rahmen der planerischen Abwägungen der Stadt N. für ihren Flächennutzungsplan bei der Ausweisung von Konzentrationszonen für die Windenergienutzung und Freihaltung sonstiger Flächen relevant waren und jedenfalls insoweit, als die Ausschlusswirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB eintreten sollte und eingetreten ist, durch die gegen diese Vorschrift verstoßende Genehmigung auch tangiert werden.
57Schließlich besteht nach den Ausführungen zur Zulässigkeit voraussichtlich gemäß § 2 Abs. 5 Satz 2 UmwRG die Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung.
58Ob die immissionsschutzrechtliche Genehmigung des Landrates des Antragsgegners vom 9. Februar 2016 neben dem Verstoß gegen § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB weitere vom Antragsteller verfolgbare Rechtsverstöße aufweist, kann nach alledem offen bleiben.
59Die Kostenfolge ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO. Die Beigeladene ist an der Kostentragung zu beteiligen, da sie einen Antrag gestellt und sich damit einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
60Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs.1, 53 Abs.2 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Das Gericht orientiert sich hierbei am Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Nach Nr. 19.2 i.V.m. Nr. 2.2.2. des Katalogs ist bei Klagen drittbetroffener Personen gegen Beeinträchtigungen durch eine Windenergieanlage ein Streitwert von 15.000,-- € je Anlage anzusetzen, so dass sich bei elf genehmigten Anlagen im Hauptsacheverfahren ein Streitwert von 165.000,- EUR errechnet. Dieser Streitwert wird nach Nr. 1.5 des Katalogs mit Blick auf die Vorläufigkeit des vorliegenden Verfahrens um die Hälfte reduziert.
(1) Es ist verboten,
- 1.
wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, - 2.
wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten erheblich zu stören; eine erhebliche Störung liegt vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert, - 3.
Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, - 4.
wild lebende Pflanzen der besonders geschützten Arten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, sie oder ihre Standorte zu beschädigen oder zu zerstören
(2) Es ist ferner verboten,
- 1.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten in Besitz oder Gewahrsam zu nehmen, in Besitz oder Gewahrsam zu haben oder zu be- oder verarbeiten (Besitzverbote), - 2.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten im Sinne des § 7 Absatz 2 Nummer 13 Buchstabe b und c - a)
zu verkaufen, zu kaufen, zum Verkauf oder Kauf anzubieten, zum Verkauf vorrätig zu halten oder zu befördern, zu tauschen oder entgeltlich zum Gebrauch oder zur Nutzung zu überlassen, - b)
zu kommerziellen Zwecken zu erwerben, zur Schau zu stellen oder auf andere Weise zu verwenden
(3) Die Besitz- und Vermarktungsverbote gelten auch für Waren im Sinne des Anhangs der Richtlinie 83/129/EWG, die entgegen den Artikeln 1 und 3 dieser Richtlinie nach dem 30. September 1983 in die Gemeinschaft gelangt sind.
(4) Entspricht die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung und die Verwertung der dabei gewonnenen Erzeugnisse den in § 5 Absatz 2 bis 4 dieses Gesetzes genannten Anforderungen sowie den sich aus § 17 Absatz 2 des Bundes-Bodenschutzgesetzes und dem Recht der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft ergebenden Anforderungen an die gute fachliche Praxis, verstößt sie nicht gegen die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote. Sind in Anhang IV der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführte Arten, europäische Vogelarten oder solche Arten, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 aufgeführt sind, betroffen, gilt dies nur, soweit sich der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art durch die Bewirtschaftung nicht verschlechtert. Soweit dies nicht durch anderweitige Schutzmaßnahmen, insbesondere durch Maßnahmen des Gebietsschutzes, Artenschutzprogramme, vertragliche Vereinbarungen oder gezielte Aufklärung sichergestellt ist, ordnet die zuständige Behörde gegenüber den verursachenden Land-, Forst- oder Fischwirten die erforderlichen Bewirtschaftungsvorgaben an. Befugnisse nach Landesrecht zur Anordnung oder zum Erlass entsprechender Vorgaben durch Allgemeinverfügung oder Rechtsverordnung bleiben unberührt.
(5) Für nach § 15 Absatz 1 unvermeidbare Beeinträchtigungen durch Eingriffe in Natur und Landschaft, die nach § 17 Absatz 1 oder Absatz 3 zugelassen oder von einer Behörde durchgeführt werden, sowie für Vorhaben im Sinne des § 18 Absatz 2 Satz 1 gelten die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote nach Maßgabe der Sätze 2 bis 5. Sind in Anhang IV Buchstabe a der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführte Tierarten, europäische Vogelarten oder solche Arten betroffen, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 aufgeführt sind, liegt ein Verstoß gegen
- 1.
das Tötungs- und Verletzungsverbot nach Absatz 1 Nummer 1 nicht vor, wenn die Beeinträchtigung durch den Eingriff oder das Vorhaben das Tötungs- und Verletzungsrisiko für Exemplare der betroffenen Arten nicht signifikant erhöht und diese Beeinträchtigung bei Anwendung der gebotenen, fachlich anerkannten Schutzmaßnahmen nicht vermieden werden kann, - 2.
das Verbot des Nachstellens und Fangens wild lebender Tiere und der Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung ihrer Entwicklungsformen nach Absatz 1 Nummer 1 nicht vor, wenn die Tiere oder ihre Entwicklungsformen im Rahmen einer erforderlichen Maßnahme, die auf den Schutz der Tiere vor Tötung oder Verletzung oder ihrer Entwicklungsformen vor Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung und die Erhaltung der ökologischen Funktion der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang gerichtet ist, beeinträchtigt werden und diese Beeinträchtigungen unvermeidbar sind, - 3.
das Verbot nach Absatz 1 Nummer 3 nicht vor, wenn die ökologische Funktion der von dem Eingriff oder Vorhaben betroffenen Fortpflanzungs- und Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird.
(6) Die Zugriffs- und Besitzverbote gelten nicht für Handlungen zur Vorbereitung gesetzlich vorgeschriebener Prüfungen, die von fachkundigen Personen unter größtmöglicher Schonung der untersuchten Exemplare und der übrigen Tier- und Pflanzenwelt im notwendigen Umfang vorgenommen werden. Die Anzahl der verletzten oder getöteten Exemplare von europäischen Vogelarten und Arten der in Anhang IV Buchstabe a der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführten Tierarten ist von der fachkundigen Person der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde jährlich mitzuteilen.
(1) Eine nach § 3 anerkannte inländische oder ausländische Vereinigung kann, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen einlegen, wenn die Vereinigung
- 1.
geltend macht, dass eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können, widerspricht, - 2.
geltend macht, in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes durch die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen berührt zu sein, und - 3.
im Falle eines Verfahrens nach - a)
§ 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b zur Beteiligung berechtigt war; - b)
§ 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 zur Beteiligung berechtigt war und sie sich hierbei in der Sache gemäß den geltenden Rechtsvorschriften geäußert hat oder ihr entgegen den geltenden Rechtsvorschriften keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist.
(2) Eine Vereinigung, die nicht nach § 3 anerkannt ist, kann einen Rechtsbehelf nach Absatz 1 nur dann einlegen, wenn
- 1.
sie bei Einlegung des Rechtsbehelfs die Voraussetzungen für eine Anerkennung erfüllt, - 2.
sie einen Antrag auf Anerkennung gestellt hat und - 3.
über eine Anerkennung aus Gründen, die von der Vereinigung nicht zu vertreten sind, noch nicht entschieden ist.
(3) Ist eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 nach den geltenden Rechtsvorschriften weder öffentlich bekannt gemacht noch der Vereinigung bekannt gegeben worden, so müssen Widerspruch oder Klage binnen eines Jahres erhoben werden, nachdem die Vereinigung von der Entscheidung Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können. Widerspruch oder Klage gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 oder 6 müssen jedoch spätestens binnen zweier Jahre, nachdem der Verwaltungsakt erteilt wurde, erhoben werden. Satz 1 gilt entsprechend, wenn eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 entgegen geltenden Rechtsvorschriften nicht getroffen worden ist und die Vereinigung von diesem Umstand Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können.
(4) Rechtsbehelfe nach Absatz 1 sind begründet, soweit
- 1.
die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und 2 oder deren Unterlassen gegen Rechtsvorschriften verstößt, die für diese Entscheidung von Bedeutung sind, oder - 2.
die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2a bis 6 oder deren Unterlassen gegen umweltbezogene Rechtsvorschriften verstößt, die für diese Entscheidung von Bedeutung sind,
(1) Legt ein Dritter einen Rechtsbehelf gegen den an einen anderen gerichteten, diesen begünstigenden Verwaltungsakt ein, kann die Behörde
- 1.
auf Antrag des Begünstigten nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 die sofortige Vollziehung anordnen, - 2.
auf Antrag des Dritten nach § 80 Abs. 4 die Vollziehung aussetzen und einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der Rechte des Dritten treffen.
(2) Legt ein Betroffener gegen einen an ihn gerichteten belastenden Verwaltungsakt, der einen Dritten begünstigt, einen Rechtsbehelf ein, kann die Behörde auf Antrag des Dritten nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 die sofortige Vollziehung anordnen.
(3) Das Gericht kann auf Antrag Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 ändern oder aufheben oder solche Maßnahmen treffen. § 80 Abs. 5 bis 8 gilt entsprechend.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Legt ein Dritter einen Rechtsbehelf gegen den an einen anderen gerichteten, diesen begünstigenden Verwaltungsakt ein, kann die Behörde
- 1.
auf Antrag des Begünstigten nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 die sofortige Vollziehung anordnen, - 2.
auf Antrag des Dritten nach § 80 Abs. 4 die Vollziehung aussetzen und einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der Rechte des Dritten treffen.
(2) Legt ein Betroffener gegen einen an ihn gerichteten belastenden Verwaltungsakt, der einen Dritten begünstigt, einen Rechtsbehelf ein, kann die Behörde auf Antrag des Dritten nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 die sofortige Vollziehung anordnen.
(3) Das Gericht kann auf Antrag Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 ändern oder aufheben oder solche Maßnahmen treffen. § 80 Abs. 5 bis 8 gilt entsprechend.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 5. März 2015 geändert.
Die aufschiebende Wirkung der bei dem Verwaltungsgericht Köln erhobenen Klage 13 K 4121/14 wird wiederhergestellt.
Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen tragen der Antragsgegner und die Beigeladene jeweils zur Hälfte mit der Maßgabe, dass zwischen ihnen ein Ausgleich ihrer außergerichtlichen Kosten nicht stattfindet.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 30.000,- Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Die Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg. Sie führt zur Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts.
3Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den der Beigeladenen erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheid vom 30. Juni 2014 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 1. Oktober 2014 zur Errichtung und zum Betrieb von vier Windkraftanlagen vom Typ Enercon E-48 auf den Grundstücken Gemeinde T. , Gemarkung P. , Flur , Flurstücke und wiederherzustellen, ist begründet.
4Nach § 4a Abs. 3 UmwRG ist § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO im Anwendungsbereich des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen oder wiederherstellen kann, wenn im Rahmen einer Gesamtabwägung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen.
5Der Vorschrift des § 4a Abs. 3 UmwRG ist nicht eindeutig zu entnehmen, welcher Wahrscheinlichkeitsgrad für das Vorliegen "ernstlicher Zweifel" als Prüfungsmaßstab konkret anzuwenden ist. § 4a Abs. 3 UmwRG macht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, ob die aufschiebende Wirkung angeordnet oder wiederhergestellt wird, von einer Gesamtabwägung abhängig; die erheblichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind lediglich Bestandteil dieser notwendigen Gesamtabwägung. Dabei kommt es nicht auf einen bestimmten, für alle Fälle gleichen Wahrscheinlichkeitsgrad der rechtlichen Bedenken an. Vielmehr kann hier auch ein schwächerer Grad der rechtlichen Bedenken etwa ergänzt oder verstärkt werden durch den Umstand, dass besonders gravierende, möglicherweise nicht reversible Folgen drohen, wenn das Vorhaben vor Unanfechtbarkeit der Genehmigung verwirklicht wird. Insoweit gilt, dass der Sofortvollzug umso eher auszusetzen ist, je berechtigter und gewichtiger die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidung sind. Ist ein voraussichtlicher Erfolg in der Hauptsache offensichtlich, wird sich ein privates oder öffentliches Vollzugsinteresse nur ausnahmsweise durchsetzen können. Ausgehend von diesen Grundsätzen kommt eine Aussetzung des Sofortvollzuges nicht stets erst dann in Betracht, wenn das Verwaltungsgericht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgeht, dass die Klage in der Hauptsache begründet ist. Vielmehr können im Rahmen einer Gesamtabwägung begründete Zweifel ausreichen, die die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung in Frage stellen. Insbesondere bei komplexen und komplizierten Verfahren können sich offene Erfolgsaussichten auch ohne detaillierte Prüfungen ergeben.
6Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 23. Juli 2014 - 8 B 356/14 -, DVBl. 2014, 1415 = juris Rn. 62 ff, und vom 24. Juni 2015 - 8 B 315/15 -, juris Rn. 14; vgl. weiterhin BVerwG, Beschlüsse vom 15. April 2013 ‑ 9 VR 1/13 -, juris Rn. 2, und vom 13. Juni 2013 ‑ 9 VR 3/13 -, NVwZ 2013, 101 = juris Rn. 4; Seibert, NVwZ 2013, 1040, 1046 ff.
7Auf dieser Grundlage fällt die Gesamtabwägung nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand zu Lasten des Antragsgegners aus. Bei summarischer Prüfung sind die Erfolgsaussichten der in der Hauptsache erhobenen Klage als offen zu bezeichnen (dazu I.). Bei einer über die Erfolgsaussichten der Hauptsache hinaus erfolgenden Abwägung der Interessen der Antragstellerin und der Beigeladenen haben letztere vorläufig zurückzustehen (dazu II.).
8I. Die Erfolgsaussichten der in der Hauptsache erhobenen Klage sind - jedenfalls hinsichtlich des auf Aufhebung der erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung zielenden Antrags - nach derzeitigem Sach- und Streitstand als offen zu bezeichnen. Ob die Antragstellerin und Klägerin gemäß § 42 Abs. 2 VwGO insoweit klagebefugt ist, kann derzeit nicht abschließend beurteilt werden.
9Vgl. zur mangelnden Voraussagbarkeit der Erfolgsaussichten der Hauptsache BVerwG, Beschluss vom 14. April 2005 - 4 VR 1005/04 -, BVerwGE 123, 241 = juris Rn. 10 f.
10Jedenfalls soweit sich die Antragstellerin darauf beruft, die durchgeführte standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit genüge nicht dem Maßstab des § 3a Satz 4 UVPG, weil sie nicht den Vorgaben von § 3c UVPG entsprochen habe und das Ergebnis nicht nachvollziehbar sei, bedarf es einer abschließenden Prüfung im Hauptsacheverfahren, ob ihr unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Senats ein subjektiv-öffentliches Recht zustehen kann.
11Ein solches Rügerecht ergibt sich dem Grunde nach aus § 4 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 und 2 UmwRG, der im Lichte des - individualschützende Verfahrensrechte verleihenden - Unionsrechts auszulegen ist. Der sachliche und zeitliche Anwendungsbereich des UmwRG ist eröffnet (dazu 1.). Im vorliegenden Fall besteht die konkrete Möglichkeit, dass die in § 4 Abs. 1 UmwRG genannten UVP-Verfahrenserfordernisse verletzt worden sind; dem steht die Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 25. Oktober 2012 in dem Verfahren VG Köln 13 K 4740/09 nicht entgegen (dazu 2.). § 4 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 und 2 UmwRG räumt den Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit ein selbstständig durchsetzbares, absolutes Verfahrensrecht ein (dazu 3.). Unter welchen Voraussetzungen dies auch für Gemeinden als Teil der mittelbaren, zum Teil mit Selbstverwaltungsrechten ausgestatteten Staatsverwaltung gilt, muss im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes offen bleiben (dazu 4.).
121. Der Anwendungsbereich des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes ist eröffnet. In sachlicher Hinsicht kann infolge der von § 3c Satz 2 i.V. m. Anlage 1 Nr. 1.6.3 UVPG angeordneten standortbezogenen Vorprüfung des Einzelfalls für den angefochtenen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheid eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) UmwRG bestehen. Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz ist auch in zeitlicher Hinsicht anwendbar. Es gilt nach § 5 Abs. 1 Satz 1 UmwRG in der Fassung vom 20. November 2015 (BGBl. I, 2069) für Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 Satz 1, die nach dem 25. Juni 2005 ergangen sind oder hätten ergehen müssen. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 UmwRG ist davon abweichend § 4a UmwRG auf solche Rechtsbehelfe anzuwenden, die nach dem 28. Januar 2013 erhoben worden sind. Beides ist vorliegend angesichts des am 30. Juni 2014 erteilten Genehmigungsbescheids der Fall.
132. Im vorliegenden Fall besteht die hinreichend konkrete Möglichkeit, dass die in § 4 Abs. 1 UmwRG genannten UVP-Verfahrenserfordernisse verletzt sind (dazu II. 1.).
14Dem steht das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 25. Oktober 2012 in dem Verfahren 13 K 4740/09 nicht entgegen. Zwar hat das Verwaltungsgericht den Antragsgegner gemäß § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO verpflichtet, über den Antrag der Beigeladenen unter Beachtung der Rechtsauffassung neu zu bescheiden. Die Bindungswirkung eines Bescheidungsurteils reicht aber jedenfalls nicht über das Vorliegen solcher Anspruchsvoraussetzungen hinaus, deren Vorliegen das Gericht in seiner Entscheidung ausdrücklich bejaht hat.
15Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Juni 1968 - V C 085.67 ‑, DVBl. 1970, 281, und Beschluss vom 22. April 1987 - 7 B 76.87 -, Buchholz 310 § 121 Nr. 54 = juris Rn. 6; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 25. Oktober 2000 ‑ 11 S 43/00 -, juris Rn. 39; Clausing, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: 1. März 2015, § 121 Rn. 85; W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage 2015, § 113 Rn. 212.
16Ausführungen zur Frage der rechtmäßigen Durchführung der UVP-Vorprüfung enthält das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht.
173. Die Verfahrensvorschriften der UVP-Richtlinie 2011/92/EU sind bei unionsrechtskonformer Auslegung Schutznormen im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO. § 4 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 und 2 UmwRG räumt den Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit ein selbstständig durchsetzbares, absolutes Verfahrensrecht ein.
18Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. Februar 2015 ‑ 8 A 959/10 -, ZNER 2015, 177 = juris Rn. 51 ff. m. w. N., sowie Beschluss vom 24. Juni 2015 ‑ 8 B 315/15 -, juris Rn. 6; vgl. ebenfalls OVG NRW, Beschluss vom 23. Juli 2014 - 8 B 356/14 -, DVBl. 2014, 1415 = juris Rn. 17.
19Die UVP-Richtlinie und Art. 9 Abs. 2 der Aarhus-Konvention gebieten eine Auslegung des nationalen Rechts, die die durch die Richtlinie verliehenen Verfahrensrechte als individualschützend anerkennt und ihre prozessuale Durchsetzbarkeit gewährleistet. Im Lichte dieser Regelungen sind der betroffenen Öffentlichkeit nach § 2 Abs. 6 UVPG hinsichtlich der Verletzung von Verfahrenserfordernissen der Umweltverträglichkeitsprüfung einschließlich der in § 4 Abs. 1 UmwRG bezeichneten Verfahrensregelungen Rügerechte zuzuerkennen.
20Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. Februar 2015 ‑ 8 A 959/10 -, ZNER 2015, 177 = juris Rn. 55; zum unionsrechtlichen Umfang des Rügerechts vgl. EuGH, Urteil Altrip vom 7. November 2013 - C-72/12 -, NVwZ 2014, 49 = juris Rn. 36, 38 und 47.
21Gefordert ist dabei ein weiter und effektiver Zugang zu einer gerichtlichen Überprüfung von Zulassungsentscheidungen UVP-pflichtiger Vorhaben. Ein solcher Zugang zu den Gerichten setzt indes voraus, dass die Verfahrensfehler der Umweltverträglichkeitsprüfung auch selbstständig gerügt werden können. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs folgt aus der UVP-Richtline ein eigenständiges Recht "des betroffenen Einzelnen" auf Bewertung der Umweltauswirkungen des fraglichen Projekts durch die zuständigen Stellen und auf Anhörung dazu.
22Vgl. EuGH, Urteil Leth vom 14. März 2013 ‑ C‑420/11 -, NVwZ 2013, 565 = juris Rn. 32; ferner EuGH, Urteil Wells vom 7. Januar 2004 - C-201/02 -, NVwZ 2004, 593 = juris Rn. 56 ff.
23Da die Richtlinie u. a. zur Festlegung von Verfahrensgarantien dient, die insbesondere eine bessere Information und eine Beteiligung der Öffentlichkeit im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung öffentlicher und privater Projekte mit unter Umständen erheblichen Umweltauswirkungen ermöglichen sollen, kommt der Überprüfung der Einhaltung der Verfahrensregeln in diesem Bereich besondere Bedeutung zu. Die betroffene Öffentlichkeit i. S. d Art. 11 Abs. 1 UVP-Richtlinie bzw. § 2 Abs. 6 UVPG muss daher, im Einklang mit dem Ziel, ihr einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren, zur Stützung eines Rechtsbehelfs, mit dem die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen im Sinne der Richtlinie angefochten wird, grundsätzlich jeden Verfahrensfehler geltend machen können.
24Vgl. EuGH, Urteil Altrip vom 7. November 2013 ‑ C‑72/12 -, NVwZ 2014, 49 = juris Rn. 48.
254. Unter welchen Voraussetzungen zur betroffenen Öffentlichkeit im vorgenannten Sinne auch die Gemeinden als Teil der mittelbaren, zum Teil mit Selbstverwaltungsrechten ausgestatteten Staatsverwaltung gehören, muss der abschließenden Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
26Zur Problematik vgl. Kment, in: Hoppe/Beckmann, UVPG, 4. Auflage 2012, § 4 UmwRG Rn. 22; Ogorek, NVwZ 2010, 401, 404; Fellenberg, NVwZ 2015, 1721, 1723; vgl. auch (zur „Öffentlichkeit“ im Rahmen der Umweltinformations-RL) BVerwG, Urteil vom 21. Februar 2008 - 4 C 13/07 -, BVerwGE 130, 223 = juris Rn. 23, 30f.; VG Freiburg, Urteil vom 31. Juli 2010 - 2 K 192/08 -, juris Rn. 264, offengelassen im Berufungsverfahren durch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 23. September 2013 - 3 S 284/11 ‑, juris Rn. 52,
27Nach § 4 Abs. 3 UmwRG gelten dessen Absätze 1 und 2 auch für die Rechtsbehelfe von Beteiligten nach § 61 Nr. 1 und 2 VwGO. Die Antragstellerin ist als Gemeinde eine juristische Person des öffentlichen Rechts und als solche nach § 61 Nr. 1 VwGO beteiligtenfähig.
28Vgl. W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage 2015, § 61 Rn. 6; Czybulka, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 61 Rn. 22; Krausnik, in: Gärditz, VwGO, § 61 Rn. 13; Bier, in: Schoch/Schneider/ders., VwGO, Stand: 1. März 2015, § 61 Rn. 4.
29Die Bezugnahme auf § 61 Nr. 1 VwGO in § 4 Abs. 3 UmwRG eröffnet damit auch Gemeinden als Teil der betroffenen Öffentlichkeit grundsätzlich ein Rügerecht hinsichtlich UVP-bezogener Fehler.
30Vgl. insoweit nur: BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2013 - 4 A 1/13 -, BVerwGE 148, 353 = juris Rn. 41; OVG S.-A., Urteil vom 2. April 2012 - 2 L 193/09 -, juris Rn. 66; Nds. OVG, Urteil vom 8. Mai 2012 ‑ 12 KS 5/10 -, OVGE 55, 339 = NVwZ-RR 2012, 836 = juris Rn. 22; vgl. zu Gemeinden als Teil der betroffenen Öffentlichkeit auch die Schlussanträge des Generalanwalts Pedro Cruz Villalón im Verfahren Altrip ‑ C‑72/12 - vom 20. Juni 2013, juris Rn. 81; ferner Fellenberg, NVwZ 2015, 1721, 1723.
31Wie der Senat in seiner Rechtsprechung ausgeführt hat, können sich Kläger auf die fehlerhafte Durchführung der Vorprüfung unabhängig von der Verletzung in eigenen materiellen Rechten berufen. Dies dient der prozessualen Durchsetzung der durch die UVP-Richtlinie begründeten Verfahrensrechte und damit letztlich der Sicherung einer zutreffenden Entscheidung in der Sache. Eine Begrenzung des Rügerechts der Gemeinden auf Fälle einer materiell-rechtlichen Beeinträchtigung könnte daher den nach der UVP-Richtlinie und Art. 9 Abs. 2 der Aarhus-Konvention zu ermöglichenden weiten und effektiven Zugang zu den Gerichten insoweit beeinträchtigen. Darüber hinaus gilt es, ein Auseinanderfallen des Prüfungsumfangs in Zulässigkeit und Begründetheit zu vermeiden.
32Vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 25. Februar 2015 ‑ 8 A 959/10 -, ZNER 2015, 177 = juris Rn. 69.
33Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Gemeinden generell oder je nach dem Funktionskreis, in dem sie handeln, zur betroffenen Öffentlichkeit gehören. Ihnen dürfte nur insoweit ein Rügerecht zustehen, als sie in ihrem Selbstverwaltungskreis, in Sonderheit in ihren Planungsinteressen berührt werden, ohne dass jedoch eine Verletzung ihrer materiellen Selbstverwaltungsrechte Voraussetzung wäre. Dafür spricht, dass die Gemeinden Teil des Staatsaufbaus sind und nur im Umfang des ihnen gewährten Selbstverwaltungsrechts diesem gegenüber verselbstständigt sind. Insoweit erkennt Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV zwar die regionale und lokale Selbstverwaltung an; was hierunter zu verstehen ist und welche Rechte der lokalen Ebene zustehen, richtet sich aber nach den Verfassungsordnungen der Mitgliedsstaaten, hier also insbesondere nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG.
34Vgl. hierzu nur Puttler, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 4 EUV Rn. 19 f.
35Hiervon ausgehend dürfte die Antragstellerin in der vorliegenden Fallkonstellation zur betroffenen Öffentlichkeit gehören.
36II. Bei einer Abwägung der Interessen der Antragstellerin, der Beigeladenen und dem öffentlichen Vollzugsinteresse über die Erfolgsaussichten der Hauptsache hinaus hat das Vollzugsinteresse vorläufig zurückzustehen.
37Das private Vollzugsinteresse der Beigeladenen und das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung des angefochtenen Genehmigungsbescheides treten hinter das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin zurück. Eine gesetzliche Regelung vergleichbar § 212a BauGB, die bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen als gesetzgeberische Grundentscheidung zu berücksichtigen ist, besteht für die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nicht.
38Die Beigeladene hat ein nachvollziehbares wirtschaftliches Interesse an der möglichst sofortigen Ausnutzbarkeit der Genehmigung. Neben der Erwägung, dass Einnahmen - hier in Form der Einspeisevergütung bzw. Marktprämie nach den §§ 49, 34 EEG - nur im laufenden Betrieb zu erzielen sind, tritt hinsichtlich der finanziellen Förderung der Windenergie hinzu, dass diese (gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. b) EEG 2009 bzw. § 29 Abs. 2 EEG 2014) degressiv ausgestaltet ist und somit eine spätere Inbetriebnahme eine dauerhaft schlechtere Erlössituation herbeiführt. Ob darüber hinaus ein besonderes öffentliches Interesse an der Errichtung gerade dieser Windenergieanlagen zur Förderung des Ausbaus der erneuerbaren Energien nach § 1 Abs. 1, 2 Satz 2 EEG besteht,
39zweifelnd insoweit VG Koblenz, Beschluss vom 18. Oktober 2013 - 4 L 951/13.KO -, juris Rn. 21 f.,
40kann im vorliegenden Fall dahinstehen. Auch wenn man ein solches - trotz der erheblichen Überschreitung des Ausbaukorridors nach §§ 3 Nr. 1, 29 Abs. 3 Nr. 5 EEG 2014 für den Zeitraum November 2014 bis Oktober 2015 um mehr als 800 MW - annimmt,
41vgl. zum Netto-Zubau in dem angegebenen Zeitraum die Veröffentlichung der Bundesnetzagentur unter http://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Downloads/DE/Sachgebiete/Energie/Unternehmen_Institutionen/ErneuerbareEnergien/Anlagenregister/VOeFF _Anlagenregister/EE_Foerderung_Wind_Biomasse_04_2016.xls,
42sind öffentliches und privates Vollzugsinteresse im vorliegenden Einzelfall weniger gewichtig als das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin. Sie werden dadurch entwertet, dass die durchgeführte standortbezogene UVP-Vorprüfung bei summarischer Prüfung voraussichtlich nicht dem Maßstab des § 3a Satz 4 UVPG i. V. m. § 4a Abs. 2 UmwRG genügt (dazu 1.). Die Vorprüfung bzw. UVP haben vor Genehmigungserteilung zu erfolgen, um ihre Zielsetzung erreichen zu können. Zwar kann im Einzelfall eine Nachholung in Betracht kommen; vor erfolgter Nachholung darf das Vorhaben aber nicht durchgeführt werden (dazu 2.).
431. Die durchgeführte standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP- Pflichtigkeit des Vorhabens dürfte dem Maßstab des § 3a Satz 4 UVPG i.V.m. § 4a Abs. 2 UmwRG nicht entsprechen. Das Ergebnis der Vorprüfung, wie es sich aufgrund der vom Antragsgegner gegebenen, maßgeblichen Begründung des Prüfergebnisses darstellt,
44vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 2011 - 9 A 31.10 -, BVerwGE 141, 282 = juris Rn. 29; OVG NRW, Beschlüsse vom 23. Juli 2014 - 8 B 356/14 -, juris Rn. 68, und vom 24. Juni 2015 - 8 B 315/15 -, Rn. 40; Nds. OVG, Beschluss vom 29. August 2013 ‑ 4 ME 76/13 -, ZUR 2013, 683 = juris Rn. 31,
45ist nach dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht nachvollziehbar, weil der Sachverhalt nicht vollständig und zutreffend erfasst worden sein dürfte, vgl. § 4 a Abs. 2 Nr. 1 UmwRG. Die im Jahr 2005 durchgeführte Vorprüfung berücksichtigt das in dem Bereich vorhandene Schwerpunktvorkommen der Grauammer (dazu a) nicht. Der Mangel ist auch nicht durch eine spätere Vorprüfung beseitigt worden (dazu b).
46a) Ausweislich der (undatierten, wohl im November 2005 erstellten) Dokumentation der Vorprüfung ist der Antragsgegner zu dem Ergebnis gekommen, dass Vorsorge gegen das Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen getroffen worden sei und bei bestimmungsgemäßer Errichtung und bestimmungsgemäßem Betrieb der Anlagen sonstige Gefahren nicht hervorgerufen werden könnten; auf die Durchführung einer UVP könne daher verzichtet werden. Dabei hat der Antragsgegner hinsichtlich „Reichtum, Qualität und Regenerationsfähigkeit von Wasser, Boden, Natur und Landschaft des Gebietes (Qualitätskriterien)“ ausgeführt, hochwertige Biotope oder Artenvorkommen seien im Einwirkungsbereich nicht bekannt.
47Diese Vorprüfung hat den Sachverhalt in Bezug auf das UVP-Schutzgut „Tiere“ i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UVPG nicht vollständig und zutreffend erfasst. In der Zülpich-Jülicher Börde, in der sich auch der geplante Anlagenstandort befindet, liegt nach den Angaben des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV NRW) das derzeit letzte Schwerpunktvorkommen der Grauammer in Nordrhein-Westfalen. Der Erhaltungszustand der Grauammer in Nordrhein-Westfalen wird vom LANUV NRW als schlecht beschrieben; die Art gilt in NRW als vom Aussterben bedroht. Der Gesamtbestand wird landesweit auf unter 150 Brutpaare geschätzt.
48Vgl. hierzu die Fachinformation „Geschützte Arten in Nordrhein-Westfalen“: www.naturschutzinformationen-nrw.de/artenschutz/de/arten/gruppe/voegel/-kurzbeschreibung/102939.
49Diese Angabe des Vorkommens deckt sich mit den vor Ort durchgeführten gutachterlichen Erhebungen. Ausweislich des von der Antragstellerin eingeholten avifaunistischen Gutachtens des Büros für Ökologie und Landschaftsplanung I. G. wurde die Grauammer in der Zeit von März bis Juni 2009 an zehn Stellen im Untersuchungsgebiet singend beobachtet. Eine Erfassung der Grauammer durch die f. Umweltgutachten Dr. C. & G1. GbR im April und Mai 2013 ergab bis zu sieben Brutreviere, wobei zwei außerhalb des Untersuchungsraums von 500 m um die Anlagenstandorte lagen. Ein solcher Untersuchungsraum entspricht den Empfehlungen für den Untersuchungsraum im NRW-Leitfaden für die Umsetzung des Arten- und Habitatschutzes bei der WEA-Planung vom 12. November 2013. Der S. -T1. -Kreis hat dem Antragsgegner mit Schreiben vom 11. März 2014 mitgeteilt, dass in den Jahren 2009, 2010 und 2012 Brutvorkommen der Grauammer im Bereich der Abzweigung K 21/B 56 und damit nur 250 m nördlich der geplanten Anlagen nachgewiesen worden seien. Der Gutachter G. hat bei Begehungen zwischen Mai und Juli 2014 vier Brutreviere nördlich bzw. westlich der Anlagenstandorte kartiert, von denen jedenfalls eines im Abstand von weniger als 500 m zu den Anlagenstandorten liegt.
50Die Grauammer gilt als kollisionsgefährdete Vogelart, wobei Anflüge sowohl an den Mast wie auch an den Rotor erfolgen. Insoweit verweist das LANUV NRW in seiner Stellungnahme an den Antragsgegner vom 20. Oktober 2009 auf die im Verhältnis zur Populationsgröße und zu Fundzahlen bei anderen Singvögeln hohe Anzahl an Totfunden. Hinsichtlich der Lage sei davon auszugehen, dass sich die Brutreviere aufgrund von Änderungen in der Fruchtartenverteilung auf den landwirtschaftlich genutzten Flächen von Jahr zu Jahr verschieben. Eine Kartierung der Reviere, nach der ein ausreichender Abstand von mehr als 500 m zu den Windenergieanlagen in einem Jahr eingehalten wird, so das LANUV NRW in einer E-Mail vom 30. September 2013, lasse daher keinen zwingenden Schluss auf die Lage in späteren Jahren zu.
51Vor diesem Hintergrund hätte sich die Vorprüfung des Antragsgegners auch mit den Gefahren für das - 2005 der Behörde noch nicht bekannte - Grauammervorkommen erstrecken müssen. Insoweit liegt auch kein Fall des § 3c Satz 3 UVPG vor, in dem der Sachverhalt, wäre er zutreffend ermittelt worden, jedenfalls im Ergebnis offensichtlich nicht zu einer Rechtsgutbeeinträchtigung führen kann. Schon angesichts des nicht verbindlich festgelegten Inhalts des artenschutzrechtlichen Kompensationskonzepts (vgl. die Nebenbestimmung C8 des Genehmigungsbescheids vom 30. Juni 2014) kann dessen Wirksamkeit nicht abschließend beurteilt werden.
52b) Die fehlerhafte UVP-Vorprüfung ist durch den Antragsgegner auch nicht nachgeholt worden. Ausweislich der Ausführungen unter Ziffer 4.2.2 des Genehmigungsbescheids vom 30. Juni 2014 hat der Antragsgegner auf eine Wiederholung der Vorprüfung verzichtet. Anhaltspunkte für eine entscheidungserhebliche Änderung des zugrundeliegenden Sachverhalts lägen nicht vor. Selbst wenn man - entgegen den ausdrücklichen Ausführungen des Antragsgegners - davon ausginge, dass dieser der Sache nach unter Ziffer 4.2.4.5 des Genehmigungsbescheids unter der Überschrift „Artenschutz“ Ausführungen auch zur Vorprüfung hat machen wollen, hätte der Antragsgegner auch hierbei wohl einen unzutreffenden Sachverhalt zu Grunde gelegt. Er ist insoweit davon ausgegangen, dass die Grauammer-Reviere außerhalb eines 500 m-Radius um die Anlagenstandorte liegen. Dies ist angesichts der Kartierung aus dem Jahr 2014 offenbar nicht der Fall.
532. Die Vorprüfung und die UVP haben grundsätzlich vor der Genehmigungserteilung zu erfolgen, da nur so die mit ihnen verfolgte Zielsetzung vollumfänglich erreicht werden kann. Zwar besteht nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 und 3 UmwRG i. V. m. § 45 Abs. 2 VwVfG NRW,
54vgl. zur Anwendbarkeit der letztgenannten Vorschrift OVG NRW, Urteil vom 25. Februar 2015 - 8 A 959/10 -, ZNER 2015, 177 = juris Rn. 163,
55die Möglichkeit, die allgemeine Vorprüfung im Einzelfall noch bis zum Abschluss der ersten Instanz im Hauptsacheverfahren nachzuholen. Insoweit ist aber schon offen, ob eine erneute standortbezogene Vorprüfung zu dem Ergebnis kommt, es bedürfe keiner Umweltverträglichkeitsprüfung.
56Darüber hinaus sind die Vorgaben des Unionsrechts zu berücksichtigen. Zwar ist die Möglichkeit der Nachholung einer UVP-Vorprüfung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 3 UmwRG i. V. m. § 45 Abs. 2 VwVfG NRW mit Unionsrecht grundsätzlich vereinbar. Insbesondere liegt in der Nachholung keine Legalisierung von Projekten, die einer Umweltverträglichkeitsprüfung hätten unterzogen werden müssen. Das gilt jedenfalls, wenn die nachgeholte UVP-Vorprüfung zu dem Ergebnis kommt, dass es einer Umweltverträglichkeitsprüfung nicht bedurfte. Das Unionsrecht steht nationalen Rechtsvorschriften, die unter bestimmten Umständen die Legalisierung unionsrechtswidriger Vorgänge oder Handlungen zulassen, nicht grundsätzlich entgegen.
57Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. Februar 2015 - 8 A 959/10 -, ZNER 2015, 177 = juris Rn. 165, und Beschluss vom 24. Juni 2015 - 8 B 315/15 -, juris Rn. 65; vgl. weiterhin BVerwG, Urteil vom 20. August 2008 - 4 C 11.07 -, BVerwGE 131, 352 = juris Rn. 27 ff.; EuGH, Urteil vom 3. Juli 2008 - C-215/06 -, juris Rn. 57.
58Allerdings ist zu berücksichtigen, dass im Anwendungsbereich der Richtlinie ein Vorhaben ohne - ggf. nachgeholte - Durchführung einer UVP bzw. Vorprüfung nach Unionsrecht nicht durchgeführt werden darf. Der Gerichtshof hat insoweit entschieden, dass Art. 2 Abs. 1 der geänderten Richtlinie 85/337/EWG nur so verstanden werden könne, dass ein Antragsteller, für dessen Vorhaben die Umweltverträglichkeitsprüfung, sofern sie erforderlich ist, nicht zuvor durchgeführt worden ist, die Arbeiten an dem fraglichen Projekt nicht beginnen kann, ohne gegen die Anforderungen der Richtlinie zu verstoßen. Dies gelte auch für Projekte, die unter Anhang II dieser Richtlinie zu fassen und gemäß Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie nur dann einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen seien, wenn der von dem Mitgliedstaat festgelegte Schwellenwert überschritten und/oder aufgrund einer Einzelfalluntersuchung mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen sei.
59Vgl. EuGH, Urteil vom 3. Juli 2008 - C-215/06 -, juris Rn. 51 ff.
60Nichts anderes gilt für den nunmehr anwendbaren Art. 4 Abs. 2 i. V. m. Anlage II der Richtlinie 2011/92/EU.
61Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. Juni 2015 - 8 B 315/15 -, juris Rn. 69.
62Aufgrund des unionsrechtlichen Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet, die rechtswidrigen Folgen eines Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht zu beheben. Es ist daher Aufgabe der zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten alle erforderlichen allgemeinen oder besonderen Maßnahmen zu treffen, damit die Projekte im Hinblick darauf überprüft werden, ob bei ihnen erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt zu besorgen sind, und damit sie bejahendenfalls auf diese Auswirkungen hin untersucht werden. In diesem Zusammenhang ist es Sache der nationalen Gerichte festzustellen, ob nach nationalem Recht die Möglichkeit besteht, eine bereits erteilte Genehmigung zurückzunehmen oder jedenfalls auszusetzen, um dieses Projekt einer Prüfung gemäß den Anforderungen der UVP-Richtlinie zu unterziehen.
63Vgl. EuGH, Urteil vom 7. Januar 2004 - C-201/02 -, juris Rn. 65 ff.
64Ist wie im vorliegenden Fall die erforderliche Vorprüfung nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden und können somit die zu erwartenden Auswirkungen auf die Schutzgüter nicht hinreichend sicher beurteilt werden, hat das Gericht den Widerspruch dieses Zustands zum Unionsrecht zu berücksichtigen.
65Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. Juni 2015 - 8 B 315/15 -, juris Rn. 72; vgl. auch OVG S.-A., Beschluss vom 17. September 2008 - 2 M 146/08 -, NVwZ 2009, 340 = juris Rn. 16 f.
66Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Kostentragungspflicht der Beigeladenen, die in beiden Rechtszügen eigene Anträge gestellt hat, ergibt sich aus § 154 Abs. 3, 1. Halbsatz VwGO.
67Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Der Senat orientiert sich dabei an den Ziffern 19.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Der danach im Hauptsacheverfahren anzusetzende Streitwert von 60.000,- € ist im Hinblick auf die Vorläufigkeit der erstrebten Regelung in Anlehnung an Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs auf die Hälfte zu reduzieren.
68Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 und 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Minden vom 18. März 2014 ‑ mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung ‑ geändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers mit dem Aktenzeichen 11 K 3060/13 (VG Minden) gegen die immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheide vom 25. Juni 2013 (Errichtung und Betrieb von zwei Windenergieanlagen des Typs Enercon E-101 in Q. P. /T. ), vom 12. August 2013 (Errichtung und Betrieb einer Windenergieanlage des o.g. Typs in Q. P. /T1. ) und vom 14. August 2013 (Errichtung und Betrieb von zwei Windenergieanlagen des o.g. Typs in Q. P. /H. ) wird wiederhergestellt.
Der Antragsgegner und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge je zur Hälfte.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 22.500,- € festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Die zulässige Beschwerde des Antragstellers hat Erfolg.
3A. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheide des Antragsgegners vom 25. Juni 2013, vom 12. August 2013 und vom 14. August 2013 abgelehnt. Der Antrag sei unzulässig. Dem Antragsteller fehle die im Rahmen eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes analog § 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Antragsbefugnis. Die Antragsbefugnis ergebe sich insbesondere nicht aus dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG).
4Hinsichtlich der in der Gemarkung H. geplanten und mit Bescheid des Antragsgegners vom 14. August 2013 genehmigten Windenergieanlagen G 1 und G 1 (Typ Enercon E-101 mit einer Gesamthöhe von 149,50 m, einer Nabenhöhe von 99 m und einem Rotordurchmesser von 101 m) sei der Anwendungsbereich dieses Gesetzes nicht eröffnet. Die von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a UmwRG geforderte Möglichkeit einer UVP-Pflicht des Vorhabens bestehe von vorneherein nicht. Eine (standortbezogene) Vorprüfung des Einzelfalls gemäß § 3 c Satz 2 UVPG sei nach Nr. 1.6.3 der Anlage 1 zum UVPG erst für Windfarmen ab drei Windenergieanlagen durchzuführen. Die Windenergieanlagen G 1 und G 2 bildeten wegen des großen Abstands auch nicht gemeinsam mit den drei in der Gemarkung T1. geplanten und mit Bescheiden des Antragsgegners vom 25. Juni 2013 sowie vom 12. August 2013 genehmigten Windenergieanlagen S 1, S 2 und S 3 des gleichen Typs eine Windfarm.
5Für die Windenergieanlagen S 1, S 2 und S 3 sei zwar die Durchführung einer standortbezogenen Vorprüfung im Einzelfall erforderlich und damit der Anwendungsbereich des Umweltrechtsbehelfsgesetzes eröffnet. Insoweit fehle es jedoch an der Zulässigkeitsvoraussetzung des § 2 Abs. 1 Nr. 3 UmwRG. Der Antragsteller sei auch als Teil der betroffenen Öffentlichkeit in dem vereinfachten Genehmigungsverfahren nach § 19 BImSchG, wie es hier durchgeführt worden sei, nicht zur Beteiligung berechtigt gewesen. Die Vorschrift des § 10 Abs. 3 Satz 4 BImSchG finde gemäß § 19 Abs. 2 BImSchG im vereinfachten Verfahren keine Anwendung. Ein Beteiligungsrecht des Antragstellers ergebe sich auch nicht aus der Auffangvorschrift des § 9 Abs. 1 UVPG. Das Vorhaben unterliege nach dem Ergebnis der standortbezogenen Vorprüfung nicht der UVP-Pflicht. Die Gelegenheit zur Äußerung sei dem Antragsteller schließlich auch nicht entgegen den geltenden Rechtsvorschriften versagt worden. Das Ergebnis der standortbezogenen Vorprüfung des Einzelfalls sei gemessen an § 3 a Satz 4 UVPG nachvollziehbar.
6B. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO beschränkt ist, stellt diese Annahmen des Verwaltungsgerichts durchgreifend in Frage. Der Antrag des Antragstellers nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheide des Antragsgegners vom 25. Juni 2013, vom 12. August 2013 und vom 14. August 2013 ist zulässig (unten I.) und begründet (unten II.).
7I. Der Antrag ist zulässig. Es fehlt insbesondere nicht an einem Klagerecht des Antragstellers in der Hauptsache. Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz findet hinsichtlich aller angefochtenen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheide Anwendung (unten 1.). Dem Antragsteller steht als anerkanntem Umweltverband jedenfalls das Verbandsklagerecht aus § 2 Abs. 1 UmwRG zu (unten 2.).
81. Der Anwendungsbereich des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes ist eröffnet. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a UmwRG findet das Gesetz Anwendung für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen im Sinne von § 2 Abs. 3 UVPG über die Zulässigkeit von Vorhaben, für die nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
9Es besteht die konkrete Möglichkeit, dass nicht nur die Windenergieanlagen S 1, S 2 und S 3, sondern auch die Windenergieanlagen G 1 und G 2 der UVP-Pflicht unterliegen.
10Vgl. Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band I, 70. Erg. 2013, § 1 UmwRG Rn. 29.
11Nach Nr. 1.6 der Anlage 1 zum UVPG bedarf die Errichtung und der Betrieb einer Windfarm mit Anlagen in einer Gesamthöhe von jeweils mehr als 50 m mit 3 bis weniger als 6 Windkraftanlagen einer standortbezogenen Vorprüfung des Einzelfalls gemäß § 3 c Satz 2 UVPG. Für den vorliegenden Sachverhalt kommt in Betracht, dass die fünf betroffenen Windenergieanlagen als sogenannte Windfarm ein einheitliches Vorhaben bilden.
12Eine Windfarm im Sinne der Nr. 1.6 der Anlage 1 zum UVPG ist dadurch gekennzeichnet, dass sie aus mindestens drei Windenergieanlagen besteht, die einander räumlich so zugeordnet sind, dass sich ihre Einwirkungsbereiche überschneiden oder wenigstens berühren. Entscheidend für das Vorhandensein einer Windfarm ist der räumliche Zusammenhang der einzelnen Anlagen. Sind die Anlagen so weit voneinander entfernt, dass sich die maßgeblichen Auswirkungen nicht summieren, so behält jede für sich den Charakter einer Einzelanlage. Verbindliche gesetzliche Bewertungsvorgaben etwa in der Form standardisierter Maßstäbe oder Rechenverfahren hinsichtlich der räumlichen Zuordnung von Windenergieanlagen, die eine Windfarm bilden, gibt es nicht. Welche Bewertungskriterien heranzuziehen sind, hängt vielmehr von den tatsächlichen Gegebenheiten im Einzelfall ab, deren Feststellung und Würdigung im Streitfall dem Tatrichter obliegt. Aufgrund besonderer tatsächlicher Umstände kann daher eine von typisierenden Bewertungsvorgaben - wie etwa dem Abstellen auf eine Entfernung von weniger als dem 10-fachen des Rotordurchmessers, auf die Anlagenhöhe oder auf den geometrischen Schwerpunkt der von den Anlagen umrissenen Fläche - losgelöste Einzelfallbeurteilung anhand der konkreten Auswirkungen auf die Schutzgüter des UVP- und Immissionsschutzrechts angebracht sein.
13Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2004 - 4 C 9.03 -, BVerwGE 121, 182 = juris Rn. 33, sowie Beschluss vom 8. Mai 2007 - 4 B 11.07 -, BRS 71 Nr. 101 (2007) = juris Rn. 7; OVG NRW, Urteil vom 13. März 2006 - 7 A 3415/04 -, juris Rn. 41 ff.; Bay.VGH, Urteil vom 12. Januar 2007 - 1 B 05.3387 u.a. -, NVwZ 2007, 1213 = juris Rn. 23.
14Der kürzeste Abstand zwischen den Windenergieanlagen G 1 und G 1 und den Windenergieanlagen S 1, S 2 und S 3 ist mit etwa 1.250 m größer als das 10-fache des Rotordurchmessers von hier 1.010 m. Dieser Abstand ist jedoch nicht von vorneherein so groß, dass nicht besondere tatsächliche Umstände unter Einbeziehung der konkreten Umweltauswirkungen der Anlagen auf der Grundlage einer von diesem typisierenden Merkmal losgelösten Einzelfallbeurteilung die Einschätzung rechtfertigen könnten, es handele sich ungeachtet dieses Abstands um eine Windfarm. Der vorliegende Sachverhalt bietet auch einen ausreichenden Anhalt für die Annahme, dass solche besonderen Umstände vorliegen könnten, da sich in der Umgebung der geplanten Windenergieanlagen Brutplätze des Weißstorches und der Rohrweihe befinden, die wiederholt genutzt worden sind und die sich zumindest teilweise im Einflussbereich sowohl der Windenergieanlagen S 1, S 2 und S 3 als auch der Windenergieanlagen G 1 und G 2 befinden. Diese Vogelarten gelten im Hinblick auf Windenergieanlagen als besonders störempfindlich bzw. gefährdet.
15Vgl. Länder-Arbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG-VSW), Abstandsregelungen für Windenergieanagen zu bedeutsamen Vogellebensräumen sowie Brutplätzen ausgewählter Vogelarten (2007) ‑ LAG-VSW 2007 -, Tabelle 2; Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (MKULNV) und Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (LANUV), Leitfaden Umsetzung des Arten- und Habitatschutzes bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanalgen in Nordrhein-Westfalen (Fassung: 12. November 2013) - Leitfaden 2013 -, Anhang 2 und Anhang 4.
162. Dem Antragsteller steht auch ein Klagerecht zu.
17a) Der Senat kann offen lassen, ob der Antragsteller geltend machen kann, er sei aufgrund einer unvollständigen und damit fehlerhaften Vorprüfung des Einzelfalls in eigenen Rechten im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO verletzt.
18Vgl. zur Frage des Drittschutzes der UVP-Verfahrensvorschriften allgemein u.a.: Ziekow, NVwZ 2007, 259 ff.; Appel, NVwZ 2010, 473 ff.; Steinbeiß-Winkelmann, NJW 2010, 1233, 1236; Held, NVwZ 2012, 461 ff.; Seibert, NVwZ 2013, 2014 ff.; Gärditz, NVwZ 2014, 1 ff.; Schlacke, NVwZ 2014, 11 ff.; Sauer, ZUR 2014, 195 ff.; Greim, NuR 2014, 81 ff.; Bunge, NuR 2014, 305 ff.; Greim, Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern im Umweltrecht, Schriften zum Umweltrecht, Band 177, 2013, S. 91 ff.; Kment, in: Hoppe/Beckmann, UVPG, 4. Auflage 2012, Einleitung UVPG Rn. 48 und § 4 Rn. 6 ff.; die Frage des Drittschutzes der Verfahrensvorschriften offenlassend: EuGH, Urteil Altrip vom 7. November 2013, C-72/12, EU:C:2013:712, NVwZ 2014, 49 = juris Rn. 55.
19Es spricht allerdings Erhebliches für die Annahme, dass das Unionsrecht die Zuerkennung von Rügerechten der betroffenen Öffentlichkeit nach § 2 Abs. 6 UVPG hinsichtlich der Verletzung von Verfahrenserfordernissen der Umweltverträglichkeitsprüfung einschließlich der in § 4 Abs. 1 UmwRG bezeichneten Verfahrensregelungen gebietet.
20Vgl. zum unionsrechtlichen Umfang des Rügerechts: EuGH, Urteil Altrip vom 7. November 2013, C-72/12, EU:C:2013:712, NVwZ 2014, 49 = juris Rn. 36, 38 und 47.
21Denn es bestehen auch bei einer generellen Erweiterung des Prüfprogramms des § 113 VwGO auf das Vorliegen (objektiv-rechtlicher) UVP-Verfahrensfehler,
22vgl. zu § 4 UmwRG: BVerwG, Urteile vom 20. Dezember 2011 - 9 A 30.10 -, NVwZ 2012, 573 = juris Rn. 20 ff., vom 2. Oktober 2013 - 9 A 23.12 -, NVwZ 2014, 367 = juris Rn. 21 ff., vom 17. Dezember 2013 - 4 A 1.13 -, ZNER 2014, 205 = juris Rn. 41, sowie Beschluss vom 27. Juni 2013 ‑ 4 B 37.12 - , BauR 2013, 2014 = juris Rn. 9 ff.; auch: OVG Münster, Urteil vom 14. Oktober 2013 ‑ 20 D 7/09.AK -, DVBl 2014, 185 = juris Rn. 33,
23Zweifel, ob der unionsrechtlich geforderte weite und effektive Zugang zu einer gerichtlichen Überprüfung von Zulassungsentscheidungen UVP-pflichtiger Vorhaben ausreichend gewährleistet ist. Dies wird insbesondere dann deutlich, wenn Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, die nicht nach § 2 Abs. 1 UmwRG klageberechtigt sind, selbstständig ‑ ohne eine mögliche Verletzung (auch) in eigenen materiellen Rechten ‑ Fehler der Umweltverträglichkeitsprüfung geltend machen. In diesen Fällen würde eine Aufhebung der Zulassungsentscheidung nach § 4 Abs. 1 und Abs. 3 UmwRG oder § 46 VwVfG auch bei einer solchen Erweiterung regelmäßig unabhängig davon ausscheiden, ob der Verfahrensfehler tatsächlich vorliegt. Die allein in Betracht kommenden Rechtsbehelfe nach der Verwaltungsgerichtsordnung würden bereits auf der Zulässigkeitsebene mangels Klagebefugnis scheitern.
24Vgl. zu § 46 VwVfG Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Auflage 2014, § 46 Rn. 28; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Auflage 2013 , § 46 Rn. 8, 18.
25Ein weiter und effektiver Zugang zu Gerichten setzt indes voraus, dass die Verfahrensfehler der Umweltverträglichkeitsprüfung auch selbständig gerügt werden können. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Gerichtshof) folgt aus der UVP-Richtline ein eigenständiges Recht „des betroffenen Einzelnen“ auf Bewertung der Umweltauswirkungen des fraglichen Projekts durch die zuständigen Stellen und auf Anhörung dazu.
26Vgl. EuGH, Urteil Leth vom 14. März 2013, C‑420/11, EU:C:2013:166, NVwZ 2013, 565 = juris Rn. 32; ferner EuGH, Urteil Wells vom 7. Januar 2004, C-201/02, EU:C:2004:12, NVwZ 2004, 593 ff. = juris Rn. 56 ff.
27Da die Richtlinie u. a. zur Festlegung von Verfahrensgarantien dient, die insbesondere eine bessere Information und eine Beteiligung der Öffentlichkeit im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung öffentlicher und privater Projekte mit unter Umständen erheblichen Umweltauswirkungen ermöglichen sollen, kommt der Überprüfung der Einhaltung der Verfahrensregeln in diesem Bereich besondere Bedeutung zu. Die betroffene Öffentlichkeit muss daher, im Einklang mit dem Ziel, ihr einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren, zur Stützung eines Rechtsbehelfs, mit dem die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen im Sinne der Richtlinie angefochten wird, grundsätzlich jeden Verfahrensfehler geltend machen können.
28Vgl. EuGH, Urteil Altrip vom 7. November 2013, C‑72/12, EU:C:2013:712, NVwZ 2014, 49 = juris Rn. 48.
29Es ist dabei zwar grundsätzlich Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung, die Verfahrensmodalitäten für Klagen zu regeln, die den Schutz der „dem Einzelnen“ aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen. Die Mitgliedstaaten sind allerdings für den wirksamen Schutz dieser Rechte in jedem Einzelfall verantwortlich.
30Vgl. EuGH, Urteil Slowakischer Braunbär vom 8. März 2011, C-240/09, EU:C:2011:125, NVwZ 2011, 673 = juris Rn. 47.
31Diesen Anforderungen dürfte nur dann Rechnung getragen sein, wenn Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit als „betroffenen Einzelnen“ im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs bei wesentlichen Fehlern der Umweltverträglichkeitsprüfung sowohl ein (absoluter oder relativer) Aufhebungsanspruch auf der Ebene der Begründetheit als auch - systematisch vorrangig -
32vgl. Held, NVwZ 2012, 461, 463; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Auflage 2014, § 45 Rn. 118, 125 und § 46 Rn. 29; ferner Seibert, NVwZ, 2013, 1040, 1045,
33auf der Ebene der Zulässigkeit ein entsprechendes Rügerecht zusteht. Ob dieses individuell klagbare Recht als subjektives Recht im Sinne der Schutznormtheorie zu qualifizieren wäre und § 42 Abs. 2 VwGO analog oder direkt eingreifen würde, kann im Ergebnis offen bleiben. Das Effektivitätsprinzip verlangt die Umsetzung des unionsrechtlich gebotenen Individualschutzes gegebenenfalls auch unter unionsrechtlicher „Überformung“ oder „Aufladung“ der anerkannten Klagerechte mit der Folge, dass § 42 Abs. 2 VwGO jedenfalls analog anwendbar wäre.
34Vgl. Steinbeiß-Winkelmann, NJW 2010, 1233, 1235; zum Gebot unionsfreundlicher Auslegung nationaler Normen auch: EuGH, Urteil Slowakischer Braunbär vom 8. März 2011, C-240/09, EU:C:2011:125, NVwZ 2011, 673 = juris Rn. 50; Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 42 Rn. 400.
35Die Befürchtung, dass es bei einer Anerkennung einer solchen klagbaren Rechtsposition zu versteckten Popularklagen kommen könne,
36vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 2011 - 9 A 30.10 -, NtVwZ 2012,573 = juris Rn. 20 ff.,
37dürfte unbegründet sein. Nach § 2 Abs. 6 Satz 2 UVPG sind natürliche und juristische Personen „betroffene“ Öffentlichkeit, wenn sie durch die - ein UVP-pflichtiges Vorhaben betreffende - Zulassungsentscheidung in ihren Belangen „berührt“ werden. Bei Berücksichtigung dieser faktischen Komponente ist eine Klage (nur) dann zulässig, wenn der Kläger durch die Entscheidung tatsächlich in seinen Interessen beeinträchtigt wird.
38Vgl. hierzu Seibert, NVwZ 2013, 1040, 1045, m.w.N.
39Dass die unionsrechtliche Forderung nach einem weiten Zugang der „betroffenen Einzelnen“ zu den Gerichten grundsätzlich die Zuerkennung eines diesen Zugang ermöglichenden Rügerechts verlangt, wird - ungeachtet ihrer Reichweite im Übrigen - auch in der neuesten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Klagerechten von Umweltverbänden außerhalb des Anwendungsbereichs der Verbandsklage anerkannt.
40Vgl. BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 7 C 21/12 -, NVwZ 2013, 64 = juris, Rn. 48; hierzu Bunge, ZUR 2014, 3 ff. sowie NuR 2014, 305.
41Der Gesetzgeber war sich dieses Zusammenhangs bei der Kodifizierung des § 4 UmwRG ebenfalls bewusst.
42Vgl. Begründung zum Entwurf über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35 EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz) vom 4. September 2006, BT-Drucksache 16/2495, insbesondere Seiten 7 f., 11 f. und 13 f.
43Die Begründung nimmt ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs Bezug, wonach der Einzelne sich auf Bestimmungen der UVP-Richtlinie berufen können müsse.
44Vgl. Urteil Wells vom 7. Januar 2004, C-201/02, EU:C:2004:12, NVwZ 2004, 593 ff. = juris; vgl. auch Urteile Leth vom 14. März 2013, C-420/11, EU:C:2013:166, NVwZ 2013, 565 = juris Rn. 32 und Altrip vom 7. November 2013, C-72/12, EU:C.2013:712, NVwZ 2014, 49 = juris Rn. 48, hierzu auch: Siegel, NJW 2014, 973, sowie Graim, NuR 2014, 81 ff.; Bunge, NuR 2014, 305; auch Urteil Edwards und Pallikarapoulos vom 11. April 2013, C‑260/11, EU:C:2013:221, NVwZ 2013, 855 = juris Rn. 32.
45Es heißt dort, Art. 10 a der geänderten UVP-Richtlinie fordere, dass die Überprüfung der verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit einer Zulassungsentscheidung für ein UVP-pflichtiges Vorhabenbeantragt werden könne. Diesen Anforderungen stehe jedoch derzeit die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entgegen, wonach das Recht der Umweltverträglichkeitsprüfung aufgrund seiner Einstufung als Verfahrensrecht keine selbstständig durchsetzbaren Rechtspositionen vermittelte. Nach bisheriger Rechtslage könnten die Verfahrensregelungen der Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen Drittschutz nur begründen, wenn die konkrete Möglichkeit bestehe, dass die angegriffene Entscheidung ohne den Verfahrensmangel anders ausgefallen wäre. Die Regelung des § 4 Abs. 1 UmwRG erfolge (auch) vor diesem Hintergrund (Hervorhebungen durch den Senat). Diese Ausführungen haben einen sinnvollen Kontext nur im Zusammenhang mit einer selbständig durchsetzbaren Rechtsposition und damit insbesondere auch in der Zulässigkeit der Klage.
46Für die ab dem 2. Mai 2013 geltende Neufassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes wird mit dem Hinweis auf das „subjektiv-öffentliche Rügerecht“ nach § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UmwRG ausdrücklich klargestellt, dass jedenfalls die in § 4 Abs. 1 UmwRG aufgeführten UVP-Verfahrenserfordernisse rügefähig sein sollen.
47Vgl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und anderer umweltrechtlicher Vorschriften, BT-Drucksache 17/10957, S. 17; dazu auch: Sauer, ZUR 2014, 195, 200.
48b) Der Antragsteller ist ungeachtet all dessen jedenfalls nach § 2 Abs. 1 UmwRG klageberechtigt. Gemäß § 2 Abs. 1 UmwRG in der hier nach der Übergangsvorschrift des § 5 Abs. 4 UmwRG maßgeblichen, seit dem 2. Mai 2013 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 8. April 2013 (BGBl. I S. 753) kann eine nach § 3 UmwRG anerkannte inländische oder ausländische Vereinigung, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder deren Unterlassen einlegen, wenn die Vereinigung geltend macht, dass eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen und für die Entscheidung von Bedeutung sein können, widerspricht (Nr. 1), sie geltend macht, in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes durch die Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 oder deren Unterlassen berührt zu sein (Nr. 2), und sie zur Beteiligung in einem Verfahren nach § 1 Abs. 1 Satz 1 berechtigt war und sie sich hierbei in der Sache gemäß den geltenden Rechtsvorschriften geäußert hat oder ihr entgegen den geltenden Rechtsvorschriften keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist (Nr. 3).
49aa) Die Vorgabe des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG ist erfüllt.
50Der Antragsteller kann sich auf die Möglichkeit einer Verletzung des artenschutzrechtlichen Tötungsverbots nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG berufen. Er kann daneben auch die Möglichkeit von Fehlern der Vorprüfung des Einzelfalls im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 UmwRG sowie § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UmwRG geltend machen. Auch insoweit beruft er sich auf die Verletzung von Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen. Hierunter fallen neben den materiell-rechtlichen Vorschriften des Umweltrechts auch formell-rechtliche Verfahrensvorschriften, die dem Umweltschutz dienen. Dies sind insbesondere die Verfahrensregelungen der Umweltverträglichkeitsprüfung.
51Vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 2011 - 9 A 31.10 -, BVerwGE 141, 282 = juris Rn. 20; Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band I, Stand 70. Erg. 2013, § 1 UmwRG, Rn. 10; EuGH, Urteil Edwards und Pallikarapoulos vom 11. April 2013, C-260/11, EU:C:2013:221, NVwZ 2013, 855 = juris Rn. 32; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 14. Auflage 2013, § 63, Rn. 30.
52Ob diese Verfahrensregelungen subjektive Rügerechte begründen, ist ohne Belang. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG verlangt in Umsetzung der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht (mehr), dass die gerügten Rechtsvorschriften Rechte Dritter begründen.
53Vgl. EuGH, Urteil Trianel vom 12. Mai 2011, C‑115/09, EU:C:2011:289, NJW 2011, 2779 = juris.
54Es besteht auch die konkrete Möglichkeit, dass die in § 4 Abs. 1 UmwRG genannten UVP-Verfahrenserfordernisse verletzt sind. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Ergebnis der durchgeführten standortbezogenen Vorprüfung des Einzelfalls im Sinne des § 3 a Satz 4 UVPG nicht nachvollziehbar ist, vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 UmwRG.
55Beruht die Feststellung, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung unterbleiben soll, auf einer Vorprüfung des Einzelfalls nach § 3 c UVPG, ist die Einschätzung der zuständigen Behörde in einem gerichtlichen Verfahren betreffend die Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens nur daraufhin zu überprüfen, ob die Vorprüfung entsprechend den Vorgaben von § 3 c UVPG durchgeführt worden ist und ob das Ergebnis nachvollziehbar ist, § 3 a Satz 4 UVPG. § 4 a Abs. 2 UmwRG bestimmt, dass eine behördliche Entscheidung, soweit der Verwaltungsbehörde - wie in § 3 a Satz 4 UVPG - bei der Anwendung umweltrechtlicher Vorschriften ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist, im gerichtlichen Verfahren nur daraufhin zu überprüfen ist, ob der Sachverhalt vollständig und zutreffend erfasst wurde (Nr. 1), die Verfahrensregeln und die rechtlichen Bewertungsgrundsätze eingehalten wurden (Nr. 2), das anzuwendende Recht verkannt wurde (Nr. 3), oder sachfremde Erwägungen vorliegen (Nr. 4).
56Das Ergebnis der durchgeführten standortbezogenen Vorprüfung ist gemessen hieran dann nicht nachvollziehbar, wenn es einer Einbeziehung der Windenergieanlagen G 1 und G 2 in die durchgeführte standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalls nach § 3 c Satz 2 UVPG bedurft hätte, weil sie gemeinsam mit den in die Betrachtung einbezogenen Windenergieanlagen S1, S 2 und S 3 eine Windfarm bilden. In diesem Fall fehlt es bezogen auf die Windenergieanlagen G 1 und G 2 auch an der erforderlichen Vorprüfung des Einzelfalls. Wie oben ausgeführt besteht vorliegend die konkrete Möglichkeit, dass es sich bei dem Vorhaben insgesamt um eine Windfarm handelt.
57bb) Es fehlt ferner nicht an der Zulässigkeitsvoraussetzung des § 2 Abs. 1 Nr. 3 UmwRG. Danach muss die anerkannte Vereinigung zur Beteiligung in einem Verfahren nach § 1 Abs. 1 Satz 1 berechtigt gewesen sein und sich hierbei in der Sache gemäß den geltenden Rechtsvorschriften geäußert haben oder ihr muss entgegen den geltenden Rechtsvorschriften keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden sein.
58Die Regelung knüpft an das jeweilige Fachrecht an und bestimmt, dass die dortigen Bestimmungen von der Vereinigung eingehalten werden müssen, damit sie einen Rechtsbehelf nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz geltend machen kann. Diese Voraussetzungen müssen grundsätzlich objektiv gegeben sein; ein bloßes Behaupten durch die Umweltvereinigung genügt im Gegensatz zu § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 UmwRG aufgrund des abweichenden Wortlauts nicht.
59Vgl. Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band I, 70. Erg. 2013, § 1 UmwRG Rn. 29.
60Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes reicht es in der vorliegenden Fallkonstellation aus, dass bei summarischer Prüfung überwiegend wahrscheinlich vom Vorliegen eines Verfahrensfehlers im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 UmwRG und deshalb auch von einem rechtswidrigen Unterbleiben der Beteiligung der betroffenen Öffentlichkeit an der Umweltverträglichkeitsprüfung auszugehen ist. Auf die entsprechenden Ausführungen unten unter II. 2 wird Bezug genommen.
61II. Der Antrag ist auch begründet.
621. Nach § 4 a Abs. 3 UmwRG ist § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO im Anwendungsbereich des Umweltrechtsbehelfsgesetzes mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen oder wiederherstellen kann, wenn im Rahmen einer Gesamtabwägung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen.
63Der Vorschrift des § 4 a Abs. 3 UmwRG ist nicht eindeutig zu entnehmen, welchen Wahrscheinlichkeitsgrad der Gesetzgeber mit dem Hinweis auf das Vorliegen „ernstlicher Zweifel“ als Prüfungsmaßstab konkret angewendet wissen wollte. Der Verweis des Gesetzgebers auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO trägt insoweit nichts zur Klärung bei. Die gleichlautende Formulierung in diesen und in anderen Normen wird nämlich nicht in einem gleichen Sinne verstanden. Ungeachtet dessen stehen die „ernstlichen Zweifel“ in § 4 a Abs. 3 UmwRG auch in einem anderen Kontext als in den zitierten Vorschriften. Dort sind sie alleiniges Tatbestandsmerkmal, während § 4 a Abs. 3 UmwRG die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, ob die aufschiebende Wirkung angeordnet oder wiederhergestellt wird, von einer Gesamtabwägung abhängig macht; die erheblichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind lediglich Bestandteil dieser notwendigen Gesamtabwägung. Im Rahmen dieser Gesamtabwägung kommt es jedoch nicht nur auf einen bestimmten, für alle Fälle gleichen Wahrscheinlichkeitsgrad der rechtlichen Bedenken an. Vielmehr kann hier auch ein schwächerer Grad der rechtlichen Bedenken etwa ergänzt oder verstärkt werden durch den Umstand, dass besonders gravierende, möglicherweise nicht reversible Folgen drohen, wenn das Vorhaben vor Unanfechtbarkeit der Genehmigung verwirklicht wird.
64Je berechtigter und gewichtiger andererseits Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidung sind, desto eher ist der Sofortvollzug auszusetzen. Ist ein voraussichtlicher Erfolg in der Hauptsache offensichtlich, wird sich ein privates oder öffentliches Vollzugsinteresse nur ausnahmsweise durchsetzen können. Ausgehend von diesen Grundsätzen kommt eine Aussetzung des Sofortvollzuges nicht stets erst dann in Betracht, wenn das Verwaltungsgericht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgeht, dass die Klage in der Hauptsache begründet ist. Vielmehr können im Rahmen einer Gesamtabwägung begründete Zweifel ausreichen, die die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung in Frage stellen. Insbesondere bei komplexen und komplizierten Verfahren können sich offene Erfolgsaussichten auch ohne detaillierte Prüfungen ergeben.
65Vgl. hierzu: Seibert, NVwZ 2013, 1040, 1046 ff.; BVerwG, Beschlüsse vom 15. April 2013 - 9 VR 1/13 -, juris Rn. 2, und vom 13. Juni 2013 - 9 VR 3/13 -, NVwZ 2013, 101 = juris Rn. 4.
662. Dies zugrunde gelegt fällt die Gesamtabwägung nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand zu Lasten des Antragsgegners aus. Bei summarischer Prüfung ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Erfolg des Antragstellers in der Hauptsache zu erwarten. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheide des Antragsgegners vom 25. Juni 2013, vom 12. August 2013 und vom 14. August 2013. Dem gegenüber überwiegende Interessen des Antragsgegners oder der Beigeladenen an der weiteren sofortigen Vollziehung der Bescheide sind nicht zu erkennen.
67Die durchgeführte standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit des Vorhabens dürfte dem Maßstab des § 3 a Satz 4 UVPG i.V.m. § 4 a Abs. 2 UmwRG nicht entsprechen. Das Ergebnis der Vorprüfung, wie es sich aufgrund der vom Antragsgegner gegebenen, maßgeblichen Begründung des Prüfergebnisses,
68vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 2011 - 9 A 31.10 -, BVerwGE 141, 282 = juris Rn. 29; OVG Lüneburg, Beschluss vom 29. August 2013 - 4 ME 76/13 -, ZUR 2013, 683 = juris Rn. 31,
69in der Dokumentation vom 18. Juni 2013 darstellt, ist nach dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht nachvollziehbar, weil der Sachverhalt hier nicht vollständig und zutreffend erfasst worden sein dürfte, vgl. § 4 a Abs. 2 Nr. 1 UmwRG.
70Es fehlt an der erforderlichen Einbeziehung der Windenergieanlagen G 1 und G 2 in die Bewertung der Umweltauswirkungen im Sinne des § 12 UVPG. Die fünf von dem Beigeladenen geplanten Windenergieanlagen bilden bei summarischer Prüfung gemessen an den oben dargelegten Anforderungen insgesamt eine vorprüfungspflichtige Windfarm im Sinne der Nr. 1.6 der Anlage 1 zum UVPG. Der weitere Fehler, dass hinsichtlich der Windenergieanlagen G 1 und G 2 die standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalls danach auch im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UmwRG fehlt, geht hierin auf.
71Dass die Windenergieanlagen G 1 und G 2 für sich betrachtet aufgrund ihrer räumlichen Zuordnung als Einheit betrachtet werden müssen, wird zu Recht nicht in Frage gestellt. Dasselbe gilt für die isolierte Betrachtung der Windenergieanlagen S 1, S 2 und S 3, die der Antragsgegner bereits zutreffend als Windfarm qualifiziert und einer standortbezogenen Vorprüfung des Einzelfalls unterzogen hat. Die Windenergieanlagen sind jedoch - ungeachtet des Umstands, dass die geringste Entfernung zwischen ihnen das 10-fache des Rotordurchmessers überschreitet - einander insgesamt räumlich so zugeordnet, dass sich ihre Einwirkungsbereiche bezogen auf das UVP-Schutzgut „Tiere“ im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UVPG überschneiden, und zwar konkret bezogen auf die Vogelarten Weißstorch und Rohrweihe. Die in der Umgebung der Anlagen aufgefundenen Horst- bzw. Brutstätten dieser Arten befinden sich innerhalb der Einwirkungsbereiche aller fünf Windenergieanlagen.
72Der Einwirkungsbereich einer Windenenergieanlage bestimmt sich insoweit anhand der artspezifischen Empfindlichkeit oder Gefährdung der im Einzelfall konkret betroffenen Arten gegenüber der Errichtung und/oder dem Betrieb von Windenergieanlagen. Neben optischen und akustischen Beeinträchtigungen sind auch andere Nachteile wie etwa ein artbedingtes Kollisionsrisiko oder Meideverhalten, Auswirkungen auf Fortpflanzungs- oder Ruhestätten sowie auf die Nahrungssituation oder eine besondere Empfindlichkeit der jeweiligen Art gegenüber betriebsbedingten Veränderungen der physikalischen Umgebung in den Blick zu nehmen. Die in erster Linie auf optische und akustische Beeinträchtigungen zugeschnittene typisierende Betrachtung anhand des am Rotordurchmesser orientierten Abstands der Anlagen ist allein nicht hinreichend aussagekräftig; auch hinsichtlich der anderen artspezifischen Beeinträchtigungen muss ermittelt werden, bis zu welchem Abstand sie zu erwarten sind.
73Nicht erforderlich ist allerdings, dass die artspezifischen nachteiligen Auswirkungen tatsächlich bzw. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintreten oder dass sie konkret möglich sind. Die Zuordnung zu einer Nummer der Anlage 1 zum UVPG löst die Pflicht zur Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. der Vorprüfung des Einzelfalls aus und kann nicht erst von deren Ergebnis abhängen. Die Prüfung, ob ein Vorhaben überhaupt einer der Nummern der Anlage 1 zum UVPG zuzuordnen ist, darf weder die Umweltverträglichkeitsprüfung noch die Vorprüfung des Einzelfalls vorwegnehmen; der Prüfungsmaßstab muss vielmehr weiter sein als bei den nachgelagerten Umweltprüfungen. Die Ermittlung, Beschreibung und Bewertung der tatsächlichen oder der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Umweltauswirkungen eines Vorhabens auf die UVP-Schutzgüter ist nach den §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 1 Satz 2 UVPG Gegenstand der Umweltverträglichkeitsprüfung, während die Vorprüfung des Einzelfalls nach § 3 c Satz 1 UVPG die überschlägige Prüfung, ob das Vorhaben erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen haben kann, und damit deren konkrete Möglichkeit verlangt. Kommt es - wie hier bei der Windfarm - für die Frage der UVP-Pflichtigkeit eines Vorhabens auf dessen nachteilige Auswirkungen an, reicht danach die abstrakte („generelle“) Möglichkeit ihres Eintritts aus.
74Für die Entscheidung, in welchem räumlichen Umkreis um oder in welchem Abstand zu einer Windenergieanlage abstrakt mit artspezifischen Nachteilen zu rechnen sein kann, bieten entsprechende natur- und artenschutzfachliche Erkenntnisse sachgerechte Anhalte. In Betracht kommen etwa die oben angeführten Abstandsempfehlungen der LAG-VSW für Windenergieanlagen. Die LAG-VSW hat in Ermangelung bundesweit einheitlicher Empfehlungen die aus artenschutzfachlicher Sicht notwendigen Abstandsregelungen für Windenergieanlagen zu avifaunistisch bedeutsamen Gebieten sowie zu Brutplätzen besonders störempfindlicher oder durch Windenergieanlagen besonders gefährdeter Vogelarten definiert. Die Empfehlungen sollen nach der Intention der LAG-VSW unter anderem auch zu sachgerechten Entscheidungen im immissionsrechtlichen Verfahren beitragen. Sie verstehen sich als Mindestforderungen, die abweichende - größere Abstände regelnde - Festlegungen in einzelnen Ländern gegebenenfalls ergänzen und eine erforderliche Einzelfallprüfung nicht ersetzen. Die Empfehlungen unterscheiden zwischen Ausschlussbereichen (= Mindestabstand zwischen dem Brutplatz bzw. Revierzentrum einer bestimmten Art und geplanter Windenergieanlage) und sogenannten Prüfbereichen. Die Prüfbereiche sind Radien um jede einzelne Windenergieanlage, innerhalb derer zu prüfen ist, ob Nahrungshabitate der betreffenden Art vorhanden sind. Die LAG-VSW empfiehlt für den Weißstorch und die Rohrweihe einen Mindestabstand zwischen Brutplatz und Windenergieanlage im Sinne eines Ausschlussbereichs von 1.000 m und einen Prüfbereich um die einzelne Windenergieanlage von 6.000 m.
75Der Leitfaden 2013 der Fachministerien des Landes Nordrhein-Westfalen kann zwar ergänzend herangezogen werden, allerdings unter Berücksichtigung, dass diese Empfehlungen erst für die - der Umweltverträglichkeitsprüfung nachgehende - Planungsebene der artschutzrechtlichen Prüfung gelten sollen und deshalb nur bedingt auch als Maßstab für die UVP-Pflichtigkeit eines Vorhabens dienen können. Der Leitfaden 2013 orientiert sich in Anhang 2 (Empfehlungen für die Untersuchungsgebiets-Abgrenzung für WEA-empfindliche Vogelarten in Nordrhein-Westfalen) zwar an den Empfehlungen der LAG-VSW. Er stellt zum einen Empfehlungen für den Radius des Untersuchungsgebietes um die geplante Windenergieanlage für eine vertiefende Prüfung (Artenschutzprüfung, Stufe II) sowie für ein erweitertes Untersuchungsgebiet dar. Letzteres werde nur relevant bei Vorliegen ernst zu nehmender Hinweise auf regelmäßig genutzte, essentielle Nahrungshabitate oder Flugkorridore. Der Radius des Untersuchungsgebiets für die vertiefende Artenschutzprüfung beträgt für den Weißstorch und die Rohrweihe 1.000 m, das erweiterte Untersuchungsgebiet für die Rohrweihe 6.000 m. Für den Weißstorch werden keine Angaben zu einem erweitertes Untersuchungsgebiet gemacht.
76Dies zugrunde gelegt besteht vorliegend die abstrakte Möglichkeit kumulierender nachteiliger Auswirkungen für die im Umfeld der Windenergieanlagen wiederholt angetroffenen und brütenden Vogelarten Weißstorch und Rohrweihe. Der Abstand der nördlich von O. gelegenen Weißstorchbrutstätte zu den Standorten sowohl der geplanten Windenergieanlagen G 1 und G2 als auch zu der Windenergieanlage S 3 beträgt weniger als 1.000 m. Diese drei Windenergieanlagen liegen damit innerhalb des Ausschlussbereichs dieser Brutstätte. Die Windenergieanlage S 3 bildet schon aufgrund der räumlichen Nähe ein einheitliches Vorhaben mit den Windenergieanlagen S 1 und S 2. Sowohl die oben angeführte Brutstätte, als auch die südöstlich von M. gelegene weitere Brutstätte des Weißstorchs und die Brutstätte der Rohrweihe an den Teichen südwestlich von M. liegen zudem innerhalb des für beide Arten maßgeblichen Prüfbereichs von 6000 m um jede der fünf Windenergieanlagen. Die vorliegenden Erkenntnisse bieten auch keinen Anhalt für die Annahme, es sei aufgrund des Abstands der Standorte der Windenergieanlagen voneinander ungeachtet dieser Überschneidungen der artbezogenen Einwirkungsbereiche von vorneherein ausgeschlossen, dass es zu einer Kumulation der möglichen nachteiligen Auswirkungen komme. Die Anlagen bilden grob gesehen eine von Nordosten nach Südwesten verlaufende Linie südlich von M. und werden offenkundig über denselben Weg erschlossen. Es ist auch nicht erkennbar, dass sich zwischen den Anlagen S 1 bis S 3 und den Anlagen G1 und G 2 trennende topographische oder bauliche Hindernisse befinden würden.
77Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und orientiert sich am Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Der danach im Hauptsacheverfahren auf 45.000,- € festzusetzende Streitwert ist mit Blick auf die Vorläufigkeit des vorliegenden Verfahrens auf die Hälfte zu reduzieren.
78Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 und 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 25. Februar 2015 geändert.
Die aufschiebende Wirkung der bei dem Verwaltungsgericht Arnsberg erhobenen Klage 4 K 1917/14 wird wiederhergestellt.
Der Antragsgegner und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge jeweils zur Hälfte mit der Maßgabe, dass zwischen ihnen ein Ausgleich ihrer außergerichtlichen Kosten nicht stattfindet.
Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf 22.500,‑ € festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg. Sie führt zur Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts.
3Der Antrag ist zulässig (dazu I.) und begründet (dazu II.).
4I. Der Antrag ist zulässig; insbesondere ist die Antragstellerin analog § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Sie kann geltend machen, durch die der Beigeladenen erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheide des Antragsgegners vom 20. Juni 2014 zur Errichtung und zum Betrieb von drei Windkraftanlagen vom Typ Senvion 3.0M122 auf den Grundstücken Gemarkung I. , sowie in X. in der Fassung der Änderungs‑/Ergänzungsbescheide vom 4. November 2014 in ihren Rechten verletzt zu sein.
5Die Antragstellerin kann geltend machen, die im Laufe des gerichtlichen Verfahrens durchgeführte allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit genüge nicht dem Maßstab des § 3a Satz 4 UVPG, weil sie nicht den Vorgaben von § 3c UVPG entsprochen habe und das Ergebnis nicht nachvollziehbar sei. Dieses Rügerecht ergibt sich aus § 4 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 und 2 UmwRG, der im Lichte des - individualschützende Verfahrensrechte verleihenden - Unionsrechts auszulegen ist.
6Der sachliche Anwendungsbereich des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes ist eröffnet, weil infolge der von § 3c Satz 1 i.V.m. Anlage 1 Nr. 1.6.2 UVPG angeordneten allgemeinen Vorprüfung des Einzelfalls für die angefochtenen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheide eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) UmwRG bestehen kann.
7Die Antragstellerin kann sich dabei unabhängig von einer Betroffenheit in eigenen materiellen Rechten auf eine fehlerhafte Durchführung der Vorprüfung des Einzelfalls berufen. Die Verfahrensvorschriften der UVP-Richtlinie 2011/92/EU sind bei unionsrechtskonformer Auslegung Schutznormen im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO. § 4 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 und 2 UmwRG räumt ihr nach der Auffassung des Senats ein selbstständig durchsetzbares, absolutes Verfahrensrecht ein.
8Vgl. dazu ausführlich OVG NRW, Urteil vom 25. Februar 2015 - 8 A 959/10 -, ZNER 2015, 177 = juris Rn. 51 ff. m.w.N; vgl. ebenfalls OVG NRW, Beschluss vom 23. Juli 2014 - 8 B 356/14 -, DVBl. 2014, 1415 = juris Rn. 17.
9Im vorliegenden Fall besteht die hinreichend konkrete Möglichkeit, dass die in § 4 Abs. 1 UmwRG genannten UVP-Verfahrenserfordernisse verletzt sind. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Ergebnis der durchgeführten allgemeinen Vorprüfung des Einzelfalls im Sinne des § 3a Satz 4 UVPG nicht nachvollziehbar ist, vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 UmwRG. Es kommt in Betracht, dass der Antragsgegner bei der allgemeinen Vorprüfung des Einzelfalls die Auswirkungen der vorhandenen Windkraftanlagen auf das UVP-Schutzgut „Tiere“ i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UVPG nicht vollständig berücksichtigt und mithin den Sachverhalt nicht zutreffend erfasst hat.
10Im Übrigen erweist sich die Antragstellerin schon deshalb als antragsbefugt, weil die Möglichkeit besteht, dass sie in eigenen materiellen Rechtspositionen verletzt ist. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können. Diese Bestimmung ist für die Nachbarn drittschützend. Dabei sind als Nachbarn einer immissionsschutzrechtlich genehmigten Anlage alle Personen, die sich auf Dauer im Einwirkungsbereich der Anlage aufhalten, oder Eigentümer von Grundstücken im Einwirkungsbereich der Anlage anzusehen.
11Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 7 C 19/02 -, BVerwGE 119, 329 = juris Rn. 11; Beschluss vom 24. Juli 2008 - 7 B 19/08 -, juris Rn. 12; Jarass, BImSchG, 10. Auflage 2013, § 5 Rn. 120, § 3 Rn. 34; Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: November 2014, § 5 BImSchG Rn. 114.
12Ein zu Lasten der Antragstellerin wirkender Verstoß gegen § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG ist jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen. Insoweit hat die Klägerin schädliche Umwelteinwirkungen durch die Windkraftanlagen in Gestalt von Lärmimmissionen und Schattenwurf auf ihr Grundstück geltend gemacht.
13II. Der Antrag ist auch begründet.
14Nach § 4a Abs. 3 UmwRG ist § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO im Anwendungsbereich des Umweltrechtsbehelfsgesetzes mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen oder wiederherstellen kann, wenn im Rahmen einer Gesamtabwägung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen.
15Der Vorschrift des § 4a Abs. 3 UmwRG ist nicht eindeutig zu entnehmen, welcher Wahrscheinlichkeitsgrad für das Vorliegen "ernstlicher Zweifel" als Prüfungsmaßstab konkret anzuwenden ist. § 4a Abs. 3 UmwRG macht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, ob die aufschiebende Wirkung angeordnet oder wiederhergestellt wird, von einer Gesamtabwägung abhängig; die erheblichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind lediglich Bestandteil dieser notwendigen Gesamtabwägung. Dabei kommt es nicht auf einen bestimmten, für alle Fälle gleichen Wahrscheinlichkeitsgrad der rechtlichen Bedenken an. Vielmehr kann hier auch ein schwächerer Grad der rechtlichen Bedenken etwa ergänzt oder verstärkt werden durch den Umstand, dass besonders gravierende, möglicherweise nicht reversible Folgen drohen, wenn das Vorhaben vor Unanfechtbarkeit der Genehmigung verwirklicht wird. Insoweit gilt, dass der Sofortvollzug umso eher auszusetzen ist, je berechtigter und gewichtiger die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidung sind. Ist ein voraussichtlicher Erfolg in der Hauptsache offensichtlich, wird sich ein privates oder öffentliches Vollzugsinteresse nur ausnahmsweise durchsetzen können. Ausgehend von diesen Grundsätzen kommt eine Aussetzung des Sofortvollzuges nicht stets erst dann in Betracht, wenn das Verwaltungsgericht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgeht, dass die Klage in der Hauptsache begründet ist. Vielmehr können im Rahmen einer Gesamtabwägung begründete Zweifel ausreichen, die die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung in Frage stellen. Insbesondere bei komplexen und komplizierten Verfahren können sich offene Erfolgsaussichten auch ohne detaillierte Prüfungen ergeben.
16Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. Juli 2014 - 8 B 356/14 -, DVBl. 2014, 1415 = juris Rn. 62 ff; vgl. weiterhin BVerwG, Beschlüsse vom 15. April 2013 ‑ 9 VR 1/13 -, juris Rn. 2, und vom 13. Juni 2013 ‑ 9 VR 3/13 -, NVwZ 2013, 101 = juris Rn. 4; Seibert, NVwZ 2013, 1040, 1046 ff.
17Auf dieser Grundlage fällt die Gesamtabwägung nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand zu Lasten des Antragsgegners aus. Bei summarischer Prüfung ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Erfolg der Antragstellerin der Hauptsache zu erwarten. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheide des Antragsgegners vom 20. Juni 2014 in der Fassung der Änderungs-/Ergänzungsbescheide vom 4. November 2014. Dies überwiegende Interessen des Antragsgegners oder der Beigeladenen an der weiteren sofortigen Vollziehung der Bescheide sind nicht zu erkennen.
18Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 UmwRG kann die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG unter anderem verlangt werden, wenn eine nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung nicht durchgeführt und nicht nachgeholt worden ist. Dies gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 UmwRG auch dann, wenn eine durchgeführte Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit nicht dem Maßstab von § 3a Satz 4 UVPG genügt. Die Voraussetzungen dieser Regelung, die nach § 4 Abs. 3 UmwRG auch für Rechtsbehelfe von Beteiligten nach § 61 Nr. 1 VwGO - und damit für die Antragstellerin - gilt, liegen hier vor.
19Das Vorhaben unterliegt dem Erfordernis einer allgemeinen Vorprüfung des Einzelfalls (dazu 1.) Der Antragsgegner, der vor Erteilung der Genehmigung nur eine standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalls nach § 3c Satz 2 UVPG durchgeführt hat, hat im Laufe des Beschwerdeverfahrens die allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls zwar nachgeholt. Dieser Umstand ist - ebenso wie der diesbezügliche Vortrag der Antragstellerin - im Beschwerdeverfahren auch berücksichtigungsfähig. Die aufgrund der Vorprüfung gewonnene Einschätzung des Antragsgegners, es bedürfe keiner Umweltverträglichkeitsprüfung, ist jedoch nicht nachvollziehbar, vgl. § 3a Satz 4 UVPG (dazu 2.). Die Möglichkeit, die allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls im Hauptsacheverfahren erneut nachzuholen, rechtfertigt nicht die Annahme offener Erfolgsaussichten (dazu 3.).
201. Das Erfordernis einer allgemeinen Vorprüfung des Einzelfalls folgt aus § 3c Satz 1 i.V.m. Anlage 1 Nr. 1.6.2 UVPG. Danach bedürfen die Errichtung und der Betrieb einer Windfarm mit Anlagen in einer Gesamthöhe von jeweils mehr als 50 m mit sechs bis weniger als 20 Windkraftanlagen einer allgemeinen Vorprüfung des Einzelfalls.
21Das streitgegenständliche Vorhaben betrifft zwar selbst nur drei Windkraftanlagen mit einer Gesamthöhe von mehr als 50 m. Nach § 3c Satz 5 i.V.m. § 3b Abs. 3 Satz 1 UVPG besteht die Verpflichtung zur Durchführung einer allgemeinen Vorprüfung jedoch auch, wenn durch die Änderung oder Erweiterung eines bestehenden Vorhabens die Prüfwerte für Größe oder Leistung erstmals oder erneut überschritten werden. So liegt der Fall hier. Der Größenwert der Nr. 1.6.2 der Anlage 1 zum UVPG wird mit dem Vorhaben der Beigeladenen erstmals erreicht. Die bestehenden Windkraftanlagen, welche in dem schalltechnischen Gutachten der D. F. GmbH vom 20. Februar 2014 als Anlagen „B-04“, „B-05“ und „B-06“ bezeichnet werden, bilden zusammen mit den verfahrensgegenständlichen Anlagen eine Windfarm (dazu a.). Die Windkraftanlagen „B-01“, „B-02“ und „B-03“ bleiben in diesem Zusammenhang allerdings außer Betracht (dazu b.).
22a. Die drei in dem schalltechnischen Gutachten der D. F. GmbH vom 20. Februar 2014 als Anlagen „B-04“, „B-05“ und „B-06“ bezeichneten Windkraftanlagen bilden mit den verfahrensgegenständlichen drei Anlagen eine Windfarm i.S.d. Nr. 1.6 der Anlage 1 zum UVPG. Dabei handelt es sich im Einzelnen um folgende Windkraftanlagen: „B-04“ Typ REpower MD 77 am Standort Gemarkung C. mit einer Nabenhöhe von 96,5 m, einem Rotordurchmesser von 77 m und einer Nennleistung von 1.500 kW, Baugenehmigung erteilt am 13. Oktober 2003; „B-05“ Typ Furländer MD 77 am Standort Gemarkung I. mit einer Nabenhöhe von 96,5 m, einem Rotordurchmesser von 77 m und einer Nennleistung von 1.500 kW, Baugenehmigung erteilt am 2. Juli 2003; „B-06“ Typ REpower MM 92 am Standort Gemarkung C. mit einer Nabenhöhe von 100,0 m, einem Rotordurchmesser von 92,5 m und einer Nennleistung von 2.050 kW, immissionsschutzrechtliche Genehmigung erteilt am 23. Juni 2009. Ob eine Windfarm im Einzelfall anzunehmen ist, richtet sich nach dem räumlichen Zusammenhang der Einwirkungsbereiche (dazu aa.). Ein solcher räumlicher Zusammenhang ist hier schon aufgrund der geringen Abstände und der sich überdeckenden Schallemissionen gegeben (dazu bb.). Auch in Bezug auf das UVP-Schutzgut „Tiere“ überschneiden sich die Einwirkungsbereiche (dazu cc.).
23aa. Eine Windfarm im Sinne der Nr. 1.6 der Anlage 1 zum UVPG ist dadurch gekennzeichnet, dass sie aus mindestens drei Windkraftanlagen besteht, die ‑ unabhängig von der Zahl der Betreiber - einander räumlich so zugeordnet sind, dass sich ihre Einwirkungsbereiche überschneiden oder wenigstens berühren. Entscheidend für das Vorhandensein einer Windfarm ist der räumliche Zusammenhang der einzelnen Anlagen. Sind die Anlagen so weit voneinander entfernt, dass sich die maßgeblichen Auswirkungen nicht summieren, so behält jede für sich den Charakter einer Einzelanlage. Verbindliche gesetzliche Bewertungsvorgaben etwa in der Form standardisierter Maßstäbe oder Rechenverfahren hinsichtlich der räumlichen Zuordnung von Windkraftanlagen, die eine Windfarm bilden, bestehen nicht. Welche Bewertungskriterien heranzuziehen sind, hängt vielmehr von den tatsächlichen Gegebenheiten im Einzelfall ab, deren Feststellung und Würdigung dem Tatrichter obliegt. Aufgrund besonderer tatsächlicher Umstände kann daher eine von typisierenden Bewertungsvorgaben - wie etwa dem Abstellen auf eine Entfernung von weniger als dem 10-fachen des Rotordurchmessers, auf die Anlagenhöhe oder auf den geometrischen Schwerpunkt der von den Anlagen umrissenen Fläche - losgelöste Einzelfallbeurteilung anhand der konkreten Auswirkungen auf die Schutzgüter des UVP- und Immissionsschutzrechts angebracht sein.
24Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2004 - 4 C 9.03 -, BVerwGE 121, 182 = juris Rn. 33, sowie Beschluss vom 8. Mai 2007 - 4 B 11.07 -, BRS 71 Nr. 101 = juris Rn. 7; OVG NRW, Urteil vom 13. März 2006 ‑ 7 A 3415/04 -, juris Rn. 41 ff., Beschluss vom 23. Juli 2014 - 8 B 356/14 -, DVBl. 2014, 1415 = juris Rn. 12; Bay. VGH, Urteil vom 12. Januar 2007 - 1 B 05.3387 u. a. -, NVwZ 2007, 1213 = juris Rn. 23.
25bb. Ein solcher Zusammenhang ist zwischen den Windkraftanlagen „B-04“, „B-05“ und „B-06“ isoliert betrachtet schon aufgrund der geringen Abstände der Anlagen gegeben. Der Abstand zu den jeweils benachbarten Anlagen beträgt insoweit maximal (zwischen den Anlagen „B-04“ und „B-05“) ca. 590 m und damit nur das 7,66-fache des Rotordurchmessers beider Anlagen. Zwischen den Anlagen „B-05“ und „B-06“ beträgt der Abstand nur ca. 250 m. Auch hinsichtlich der nunmehr genehmigten Anlagen „WEA 01“ bis „WEA 03“ ist eine Überschneidung der Einwirkbereiche der Windkraftanlagen anzunehmen. Insoweit hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass die dem schalltechnischen Gutachten als „WEA 03“ bezeichnete Windkraftanlage gleichsam das Bindeglied zwischen den bisher bestehenden Anlagen „B-04“ bis „B-06“ und den neu zu errichtenden Anlagen darstellt. Die Anlage „WEA 03“ liegt von der Bestandsanlage „B-04“ nur ca. 890 m entfernt. Die Abstände der Anlage „WEA 03“ zu den Anlagen „WEA 01“ und „WEA 02“ betragen ca. 600 m bzw. ca. 1.100 m und damit weniger als das Zehnfache des Rotordurchmessers der drei Anlagen (jeweils 122 m).
26Weiterhin ist dem vorgelegten schalltechnischen Gutachten vom 20. Februar 2014 für die drei nunmehr beantragten und genehmigten Windkraftanlagen zu entnehmen, dass sich die auf das UVP-Schutzgut der menschlichen Gesundheit (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UVPG) einwirkenden Schallemissionen der bereits vorhandenen Anlagen summieren und gegenüber in der Nachbarschaft liegenden Immissionspunkten, insbesondere der östlich der drei verfahrensgegenständlichen Anlagen gelegenen Ortschaft I. nebst dort anzutreffender Außenbereichsbebauung, gemeinsam wirken.
27cc. Die Windkraftanlagen sind einander so zugeordnet, dass sich ihre Einwirkungsbereiche auch bezogen auf das UVP-Schutzgut „Tiere“ aus § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UVPG überschneiden. Betroffen sind hier die Vogelarten Wespenbussard und Rotmilan. Der in der Artenschutzprüfung des Ingenieurbüros für Umweltplanung T. und S. vom 10. Dezember 2012 aufgeführte Brutplatz des Wespenbussards liegt im Einwirkungsbereich mehrerer der vorgenannten Windkraftanlagen. Der Einwirkungsbereich bezogen auf den Rotmilan umfasst sogar alle sechs Windkraftanlagen.
28Der Einwirkungsbereich einer Windkraftanlage bestimmt sich insoweit anhand der artspezifischen Empfindlichkeit oder Gefährdung der im Einzelfall konkret betroffenen Arten gegenüber der Errichtung und/oder dem Betrieb von Windkraftanlagen. Neben optischen und akustischen Beeinträchtigungen sind auch andere Nachteile wie etwa ein artbedingtes Kollisionsrisiko oder Meideverhalten, Auswirkungen auf Fortpflanzungs- oder Ruhestätten sowie auf die Nahrungssituation oder eine besondere Empfindlichkeit der jeweiligen Art gegenüber betriebsbedingten Veränderungen der physikalischen Umgebung in den Blick zu nehmen. Die in erster Linie auf optische und akustische Beeinträchtigungen zugeschnittene typisierende Betrachtung anhand des am Rotordurchmesser orientierten Abstands der Anlagen ist allein nicht hinreichend aussagekräftig; auch hinsichtlich der anderen artspezifischen Beeinträchtigungen muss ermittelt werden, bis zu welchem Abstand sie zu erwarten sind. Dabei darf die Prüfung, ob ein Vorhaben überhaupt einer der Nummern der Anlage 1 zum UVPG zuzuordnen ist, weder die Umweltverträglichkeitsprüfung noch die Vorprüfung des Einzelfalls vorwegnehmen; der Prüfungsmaßstab muss vielmehr weiter sein als bei den nachgelagerten Umweltprüfungen. Gegenstand der Vorprüfung des Einzelfalls ist nach § 3c Satz 1 UVPG die überschlägige Prüfung, ob das Vorhaben erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen haben kann. Insoweit genügt die konkrete Möglichkeit des Eintritts. Kommt es - wie hier bei der Windfarm - für die Frage der UVP-Pflichtigkeit eines Vorhabens auf dessen nachteilige Auswirkungen an, reicht danach für die Bestimmung der Einwirkbereiche die abstrakte ("generelle") Möglichkeit des Eintritts derartiger Auswirkungen aus.
29Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 23. Juli 2014 - 8 B 356/14 -, DVBl. 2014, 1415 = juris Rn. 71 f.
30Für die Entscheidung, in welchem räumlichen Umkreis um oder in welchem Abstand zu einer Windkraftanlage abstrakt mit artspezifischen Nachteilen zu rechnen sein kann, bieten entsprechende natur- und artenschutzfachliche Erkenntnisse sachgerechte Anhalte. In Betracht kommen etwa die Abstandsempfehlungen für Windkraftanlagen zu bedeutsamen Vogellebensräumen sowie Brutplätzen ausgewählter Vogelarten der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG-VSW). Die LAG-VSW hat in Ermangelung bundesweit einheitlicher Empfehlungen die aus artenschutzfachlicher Sicht notwendigen Abstandsregelungen für Windkraftanlagen zu avifaunistisch bedeutsamen Gebieten sowie zu Brutplätzen besonders störempfindlicher oder durch Windkraftanlagen besonders gefährdeter Vogelarten definiert. Die Empfehlungen sollen nach der Intention der LAG-VSW unter anderem auch zu sachgerechten Entscheidungen im immissionsrechtlichen Verfahren beitragen. Sie verstehen sich als Mindestforderungen, die abweichende - größere Abstände regelnde - Festlegungen in einzelnen Ländern gegebenenfalls ergänzen und eine erforderliche Einzelfallprüfung nicht ersetzen. Die Empfehlungen unterscheiden zwischen Ausschlussbereichen (= Mindestabstand zwischen dem Brutplatz bzw. Revierzentrum einer bestimmten Art und geplanter Windkraftanlage) und sogenannten Prüfbereichen. Die Prüfbereiche sind Radien um jede einzelne Windkraftanlage, innerhalb derer zu prüfen ist, ob Nahrungshabitate der betreffenden Art vorhanden sind.
31Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. Juli 2014 - 8 B 356/14 -, DVBl. 2014, 1415 = juris Rn. 73.
32Die LAG-VSW empfiehlt für den in der Umgebung der Windkraftanlagen brütenden Wespenbussard einen Mindestabstand zwischen Brutplatz und Windkraftanlage im Sinne eines Ausschlussbereichs von 1.000 m. Eine Empfehlung für einen Prüfbereich besteht nicht. Für den Rotmilan wird der Mindestabstand mit 1.500 m, der Prüfbereich mit 4.000 m angegeben.
33Ergänzend herangezogen werden kann der Leitfaden „Umsetzung des Arten- und Habitatschutz bei der Planung und Genehmigung von Windkraftanlagen“ der Fachministerien des Landes Nordrhein-Westfalen in der Fassung vom 12. Dezember 2013. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass diese Empfehlungen erst für die - der Umweltverträglichkeitsprüfung nachgehende - Planungsebene der artschutzrechtlichen Prüfung gelten sollen und deshalb nur bedingt auch als Maßstab für die UVP-Pflichtigkeit eines Vorhabens dienen können. Der Leitfaden 2013 orientiert sich in Anhang 2 (Empfehlungen für die Untersuchungsgebiets-Abgrenzung für WEA-empfindliche Vogelarten in Nordrhein-Westfalen) an den Empfehlungen der LAG-VSW. Er stellt zum einen Empfehlungen für den Radius des Untersuchungsgebietes um die geplante Windkraftanlage für eine vertiefende Prüfung (Artenschutzprüfung, Stufe II) sowie für ein erweitertes Untersuchungsgebiet dar. Letzteres werde nur relevant bei Vorliegen ernst zu nehmender Hinweise auf regelmäßig genutzte, essentielle Nahrungshabitate oder Flugkorridore.
34Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23. Juli 2014 - 8 B 356/14 -, DVBl. 2014, 1415 = juris Rn. 74.
35Der Radius des erweiterten Untersuchungsgebiets für die vertiefende Artenschutzprüfung beträgt nach dem Leitfaden für den Rotmilan 6.000 m. Empfehlungen für den Wespenbussard nennt der Leitfaden nicht.
36Innerhalb des genannten Mindestradius von 1.000 m um den Brutplatz des Wespenbussards im südlichen Teil des „T1. I1. “ liegen bei summarischer Prüfung zumindest die Windkraftanlagen „WEA 02“ und „WEA 03“ sowie die Bestandsanlage „B-04“. Eine genauere Prüfung lassen die im Genehmigungsverfahren vorgelegten Unterlagen, namentlich der Artenschutzprüfung des Ingenieurbüros für Umweltplanung T. und S. vom 10. Dezember 2012, nicht zu. Innerhalb eines Prüfbereichs von 4.000 m um die zu untersuchenden Windkraftanlagen liegt im Bereich des „T1. I1. “ jedenfalls das Revier eines Rotmilanpaares sowie weiter westlich ein im Jahr 2010 beobachteter Gemeinschaftsschlafplatz von bis zu 15 Exemplaren.
37b. Bei der Bestimmung des Größenwerts für die Frage der UVP-Pflichtigkeit sind die ebenfalls in diesem Bereich befindlichen Windkraftanlagen „B-01“ bis „B-03“ nicht mit einzubeziehen. Nach § 3c Satz 5 i.V.m. § 3b Abs. 3 Satz 3 UVPG bleibt der in den jeweiligen Anwendungsbereich der Richtlinien 85/337/EWG und 97/11/EG fallende, aber vor Ablauf der jeweiligen Umsetzungsfristen erreichte Bestand hinsichtlich des Erreichens oder Überschreitens der Größen- und Leistungswerte unberücksichtigt. Als erreichter Bestand gelten jedenfalls solche Anlagen, die in dem maßgeblichen Zeitpunkt schon genehmigt gewesen sind.
38Vgl. Sangenstedt, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: November 2014, § 3b UVPG Rn. 50; Dienes, in: Hoppe/Beckmann, UVPG, 4. Auflage 2012, § 3b Rn. 42, 25 (die jeweils einen „verfahrensrechtlich verfestigten Status“ genügen lassen).
39Die Windkraftanlagen „B-01“ bis „B-03“ sind in den Jahren 1993 und 1994 bauaufsichtlich genehmigt worden. Von der Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung sind Windkraftanlagen erstmals durch Art. 1 Nr. 6 i.V.m. Anlage II, Nr. 3 Buchst. i) der Änderungsrichtlinie 97/11/EG erfasst worden. Die Umsetzungsfrist dieser Richtlinie lief nach ihrem Art. 3 Abs. 1 UnterAbs. 1 Satz 1 am 14. März 1999 ab.
402. Es kann offen bleiben, ob die erst im Beschwerdeverfahren nachgeholte allgemeine Vorprüfung, auf die sich der Beschwerdegegner und die Beigeladene zu ihren Gunsten berufen, als nachträgliche Änderung der Sach- oder/und Rechtslage im Beschwerdeverfahren berücksichtigungsfähig ist. Denn auch bei Berücksichtigung der nachgeholten allgemeinen Vorprüfung ergibt sich keine für den Beschwerdegegner und die Beigeladene günstigere Rechtslage. Die allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls genügt nicht dem Maßstab des § 3a Satz 4 UVPG i.V.m. § 4a Abs. 2 UmwRG.
41Das Ergebnis der Vorprüfung, wie es sich aufgrund der vom Antragsgegner gegebenen, maßgeblichen Begründung des Prüfergebnisses,
42vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 2011 - 9 A 31.10 -, BVerwGE 141, 282 = juris Rn. 29; OVG NRW, Beschluss vom 23. Juli 2014 - 8 B 356/14 -, DVBl. 2014, 1415 = juris Rn. 66; OVG Lüneburg, Beschluss vom 29. August 2013 - 4 ME 76/13 -, ZUR 2013, 683 = juris Rn. 31,
43in der Dokumentation vom 19. März 2015 und 1. April 2015 darstellt, ist nach dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht nachvollziehbar. Der Sachverhalt dürfte bei summarischer Prüfung nicht vollständig und zutreffend erfasst worden sein, vgl. § 4a Abs. 2 Nr. 1 UmwRG. Die zutreffende Erfassung des Sachverhalts setzt u.a. voraus, dass die geographische Ausdehnung des Gebietes, in dem die Auswirkung des Vorhabens bezogen auf ein UVP-Schutzgut zu betrachten sind, korrekt bestimmt worden ist.
44Vgl. Bunge, UmwRG, § 4a Rn. 42.
45Hieran fehlt es. Gegenstand der allgemeinen Vorprüfung sind vorliegend nicht nur die Umweltauswirkungen des streitgegenständlichen Erweiterungsvorhabens, sondern die Umweltauswirkungen sowohl des Erweiterungsvorhabens als auch der Bestandsanlagen (dazu a.). Die nachgeholte allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls wird diesem umfassenden Prüfungsgegenstand nicht gerecht (dazu b.).
46a. Prüfungsgegenstand der allgemeinen Vorprüfung nach § 3c Satz 1 UVPG ist bei erstmaligem Erreichen und weiterem Überschreiten der Prüfwerte der Anlage 1 zum UVPG das geänderte oder erweiterte Vorhaben.
47Vgl. Sangenstedt, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: November 2014, § 3c UVPG Rn. 41.
48Den - in der vorliegenden Fallkonstellation des „Hineinwachsens in Prüfwerte“ maßgeblichen - Vorschriften der § 3c Satz 1 und Satz 5 i.V.m. § 3b Abs. 3 UVPG ist eine Begrenzung der Vorprüfung auf das Erweiterungsvorhaben nicht zu entnehmen. Dieser umfassende Prüfungsgegenstand entspricht vielmehr dem Prüfungsgegenstand des § 3b Abs. 3 Satz 1 UVPG. Auch im Fall des „Hineinwachsens in die UVP-Pflicht“ sind danach bei der Umweltverträglichkeitsprüfung die Umweltauswirkungen des bestehenden Vorhabens zu berücksichtigen. Dasselbe gilt auch für die nachträgliche Kumulation im Sinne des § 3b Abs. 3 Satz 2 UVPG und die kumulierenden Vorhaben im Sinne des § 3b Abs. 2 UVPG. Ein Unterschied besteht hier (nur) insoweit, als im Fall der Kumulation nach § 3b Abs. 2 UVPG alle zusammenhängenden Vorhaben der UVP-Pflicht unterliegen, während in den Fällen des § 3b Abs. 3 Sätze 1 und 2 UVPG nur das Änderungs- oder Erweiterungsvorhaben bzw. das Neuvorhaben einer Umweltverträglichkeitsprüfung bedarf. Am Prüfungsumfang ändert dies jedoch nichts.
49Vgl. Sangenstedt, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: November 2014, § 3b UVPG Rn. 20 und 54 f.
50Etwas anderes gilt allerdings für die in § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG geregelte allgemeine Vorprüfung. Schon nach dem Wortlaut der Vorschrift ist bei einer für die Zulassung einer Änderung oder Erweiterung eines als solchen bereits UVP-pflichtigen Vorhabens durchzuführenden Vorprüfung des Einzelfalls regelmäßig nur relevant, welche nachteiligen Umweltauswirkungen mit der Änderung oder Erweiterung verbunden sind. Nach dem Halbsatz 1 dieser Bestimmung ist die Vorprüfung des Einzelfalls im Sinne von § 3c Satz 1 und 3 UVPG (nur) auf die Feststellung ausgerichtet, ob (gerade) die Änderung oder Erweiterung eines Vorhabens, für das als solches bereits eine UVP- Pflicht besteht, erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen haben kann. Damit wird deutlich, dass bei der Zulassung einer Änderung oder Erweiterung hinsichtlich der Frage zu erwartender nachteiliger Umwelteinwirkungen grundsätzlich nicht die gesamte Anlage erneut in den Blick zu nehmen ist. Vielmehr ist vom Ansatz her allein darauf abzustellen, welche Folgewirkungen gerade durch die Zulassung der Änderung oder Erweiterung des Anlage eintreten.
51Vgl. OVG NRW, Urteil vom 3. Dezember 2008 - 8 D 19/07 -, NuR 2009, 204 = juris Rn. 93 ff.
52§ 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG setzt jedoch im Regelfall voraus, dass für das bestehende Grundvorhaben im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung schon eine umfassende Prüfung zu erwartender Umweltauswirkungen durchgeführt worden ist. Eine vergleichbare Situation ist weder in den Fällen des § 3b Abs. 2 oder 3 UVPG noch denen des § 3c Satz 5 UVPG - hier jedenfalls im Fall des erstmaligen Überscheitens der Prüfwerte - gegeben. Wurde für frühere Änderungen oder Erweiterungen des UVP-pflichtigen Vorhabens noch keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt, sieht schließlich auch § 3e Abs. 1 Nr. 2 UVPG in Halbsatz 2 vor, dass sie in die Vorprüfung mit einzubeziehen sind.
53Das Erfordernis einer umfassenden, sich auf alle Vorhaben bzw. deren Teile erstreckende Betrachtungsweise soll verhindern, dass die UVP- bzw. Vorprüfungspflicht durch Aufspaltung größerer Vorhaben in kleinere Einheiten umgangen wird.
54Vgl. Sangenstedt, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: November 2014, § 3c UVPG Rn. 40 unter Bezugnahme auf EuGH, Urteil vom 21. September 1999, C-392/96, juris Rn. 76.
55b. Die danach erforderliche Gesamtbetrachtung nimmt die nachgeholte allgemeine Vorprüfung nicht vor. Ausweislich der Dokumentation vom 19. März bzw. 1. April 2015 bezieht sich die allgemeine Vorprüfung auf die drei genehmigten Windkraftanlagen sowie auf alle im Windpark C1. vorhandenen sechs Windkraftanlagen. Insgesamt seien damit neun Windkraftanlagen als Windfarm betrachtet worden. Im Rahmen der 80. Änderung des Flächennutzungsplans und der Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 109 der Stadt X. sei jeweils ein Umweltbericht erstellt worden, der diese in ihren Auswirkungen umfassend berücksichtige. Zu den Beeinträchtigungen des UVP-Schutzguts „Tiere“ führt die Dokumentation vom 19. März 2015 aus:
56„Für planungsrelevante Tierarten können von Vornherein keine erheblichen Beeinträchtigungen / Störungen erkannt werden […]. Die hierzu erbrachten Gutachten (vollständige Artenschutzprüfung, Brutvogelbericht, Art-für-Art-Betrachtung, FFH-VP, Erfassung und Bewertung des Fledermausbestandes) wurden separat erstellt und als Teil des Umweltberichtes definiert. Entsprechend deren Ergebnissen werden kein[e] Fortpflanzungs- und Ruhestätten durch das Vorhaben zerstört oder beschädigt.
57Ebenfalls ist eine erhebliche Störung von Vögeln oder Fledermäusen aufgrund des kleinräumigen bis nicht vorhandenen Meideverhaltens nicht zu besorgen.“
58Das Gutachten „Artenschutzprüfung (ASP) im Bereich des geplanten Windparks ‚X1. ‘, Stadtteil I. der Stadt X. “ des Ingenieurbüros für Umweltplanung T. und S. vom 10. Dezember 2012 beschreibt das Untersuchungsgebiet als 2 km- bzw. 500 m-Umfeld um die nunmehr genehmigten Windkraftanlagenstandorte in der Windkraftkonzentrationszone. Die sechs bestehenden Windkraftanlagen sind in der Kartendarstellung des Untersuchungsgebietes vermerkt. Hält man im Rahmen der allgemeinen Vorprüfung des Einzelfalls eine Untersuchung in Bezug auf Brutvögel im Umkreis von 2.000 m um die jeweiligen Anlagenstandorte für angezeigt, was der Senat - dem vorgelegten Gutachten folgend - jedenfalls für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zugrunde legt, so erfasst die in Bezug genommene Artenschutzprüfung vom 10. Dezember 2012 zwar die Standorte aller sechs vorhandenen Windkraftanlagen. Der Umkreis von 2.000 m um diese Bestandsanlagen wird jedoch durch das angegebene Untersuchungsgebiet nur insoweit erfasst, als es sich mit dem Untersuchungsgebiet um die drei nunmehr genehmigten Windkraftanlagen überschneidet. Im Übrigen bleibt der 2.000 m-Umkreis um die Bestandsanlagen unberücksichtigt. Dies gilt erst recht für die 500 m-Umkreise für die Untersuchung von Fledermäusen. Insoweit dürfte allein die Bestandsanlage „B-04“ im 500 m-Umkreis um die nunmehr genehmigte Windkraftanlage „WEA 03“ liegen. Im Übrigen bleiben auch diese Untersuchungsgebiete um den Anlagenbestand unberücksichtigt.
59Gleiches gilt für den Bericht „Erfassung planungsrelevanter Brutvogelarten im Umfeld des geplanten Windparks ‚X1. ‘, Stadtteil I. der Stadt X. “ des Ingenieurbüros für Umweltplanung T. und S. vom 1. November 2011. Auch dieser beschreibt das Untersuchungsgebiet als das 2 km-Umfeld des geplanten Windparks. Im Weiteren berücksichtigt der Bericht den bestehenden Windpark am Brünningser Berg ausweislich des Kontextes lediglich als Vorbelastung für die drei zu untersuchenden Anlagen. Eine eigenständige Untersuchung des 2.000 m-Umkreises um die bestehenden Windkraftanlagen erfolgt nicht.
60Die FFH-Vorprüfung des „Ingenieurbüros für Umweltplanung T. und S. vom 10. Dezember 2012“ für die Errichtung und den Betrieb von Windkraftanlagen in X. -I. westlich von X1. gibt als Anlass für die Erstellung die Errichtung der drei Windkraftanlagen an. Hinsichtlich der räumlichen Situation führt sie die bestehenden Windkraftanlagen ca. 800 bis 900 m südlich der auszuweisenden Vorrangzone an. In der Folge wird die Lage der Windvorrangzone zu verschiedenen Natura 2000-Gebieten sowie zu dem Vogelschutzgebiet DE 4415-401 „Hellwegbörde“ und die Auswirkungen dieses Projektes auf diese beschrieben. Von den bestehenden Windkraftanlagen, so das Gutachten unter der Überschrift „Relevanz anderer Pläne und Projekte“, sei auch zusammen mit den drei zu errichtenden Anlagen aufgrund der Abstände eine Verriegelungs- und Barrierewirkung nicht zu erwarten. Die FFH-Vorprüfung erschöpft sich damit - mit Ausnahme der Betrachtung der Verriegelungs- und Barrierewirkung - in der Ermittlung der Wirkungen der in der Windvorrangzone zu errichtenden Windkraftanlagen. Eine vollumfängliche Vorprüfung der bestehenden Anlagen in Bezug auf die FFH-Gebiete ist nicht erfolgt.
61Schließlich umfasst auch das Gutachten „Erfassung und Bewertung des Fledermausbestandes im Bereich des geplanten Windparks ‚X1. ‘, Stadtteil I. der Stadt X. “ des Ingenieurbüros für Umweltplanung T. und S. vom 20. Januar 2012 lediglich ein Untersuchungsgebiet von 500 m um die nunmehr genehmigten Windkraftanlagen. Eine Betrachtung des Umkreises um die bestehenden Anlagen erfolgt nicht.
62Das in der Dokumentation der allgemeinen Vorprüfung an anderer Stelle in Bezug genommene Gutachten „Vorprüfung des Einzelfalls zu Bau und Betrieb von 3 WEA des Typs REpower 3.0M122 Windpark X1. “ des Büros für Stadt- und Landschaftsplanung Dipl.-Ing. B. Langenberg vom 30. September 2013 führt zwar aus, es werde aufgrund des Vorhandenseins von sechs Windkraftanlagen eine allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls durchgeführt. Diese beschränkt sich in ihren textlichen Ausführungen aber allein auf die drei nunmehr genehmigten Windkraftanlagen. Dies ergibt sich in Bezug auf die Avifauna/Fledermäuse auch aus der Liste der in Bezug genommenen Gutachten unter den Gliederungspunkten 5.4.1 und 5.4.2. Vier der sechs dort genannten Gutachten entsprechen den oben aufgeführten Gutachten zur FFH-Vorprüfung, zur Erfassung planungsrelevanter Brutvogelarten, zur Artenschutzprüfung und zur Erfassung und Bewertung des Fledermausbestandes. Die beiden Gutachten „Ökologische Voruntersuchung zur Einschätzung der Eignung einer Fläche in X. -I. als Konzentrationsfläche für Windenergieanlagen. (BÜRO T3. , Landschaft, Ökologie, Planung. 2009)“ und „Avifaunistisches Gutachten zur Eignung einer Fläche in X. -I. (Kr. T2. ) als Konzentrationszone für Windkraftanlagen (BÜRO T3. , Landschaft, Ökologie, Planung. 2010)“ beziehen sich schon nach ihrer Bezeichnung ausschließlich auf die bauplanungsrechtlich ausgewiesene Konzentrationszone bzw. das Sondergebiet, in dem die drei nunmehr genehmigten Windkraftanlagen liegen. Sie sind im Übrigen nicht Teil der vorgelegten Verwaltungsvorgänge.
633. Die nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 und 3 UmwRG i.V.m. § 45 Abs. 2 VwVfG NRW,
64vgl. zur Anwendbarkeit der letztgenannten Vorschrift OVG NRW, Urteil vom 25. Februar 2015 - 8 A 959/10 -, ZNER 2015, 177 = juris Rn. 163,
65bestehende Möglichkeit, die allgemeine Vorprüfung im Einzelfall noch bis zum Abschluss der ersten Instanz im Hauptsacheverfahren nachzuholen, führt entgegen der Ansicht des Verwaltungsgericht nicht dazu, dass die Erfolgsaussichten der Klage im Ergebnis als offen zu bezeichnen sind. Es kann schon mangels ausreichender Tatsachengrundlagen nicht hinreichend sicher prognostiziert werden, dass eine erneute allgemeine Vorprüfung zu dem Ergebnis kommt, es bedürfe keiner Umweltverträglichkeitsprüfung.
66Darüber hinaus sind die Vorgaben des Unionsrechts zu berücksichtigen. Zwar ist die Möglichkeit der Nachholung einer UVP-Vorprüfung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 3 UmwRG i.V.m. § 45 Abs. 2 VwVfG NRW mit Unionsrecht grundsätzlich vereinbar. Insbesondere liegt in der Nachholung keine Legalisierung von Projekten, die einer Umweltverträglichkeitsprüfung hätten unterzogen werden müssen. Das gilt jedenfalls, wenn die nachgeholte UVP-Vorprüfung zu dem Ergebnis kommt, dass es einer Umweltverträglichkeitsprüfung nicht bedurfte. Das Unionsrecht steht nationalen Rechtsvorschriften, die unter bestimmten Umständen die Legalisierung unionsrechtswidriger Vorgänge oder Handlungen zulassen, nicht grundsätzlich entgegen.
67Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. Februar 2015 - 8 A 959/10 -, ZNER 2015, 177 = juris Rn. 165; vgl. weiterhin BVerwG, Urteil vom 20. August 2008 - 4 C 11.07 -, BVerwGE 131, 352 = juris Rn. 27 ff.; EuGH, Urteil vom 3. Juli 2008 - C-215/06 -, juris Rn. 57.
68Allerdings ist zu berücksichtigen, dass im Anwendungsbereich der Richtlinie ein Vorhaben ohne - ggf. nachgeholte - Durchführung einer UVP bzw. Vorprüfung nach Unionsrecht nicht durchgeführt werden darf. Der Europäische Gerichtshof hat insoweit entschieden, dass Art. 2 Abs. 1 der geänderten Richtlinie 85/337/EWG nur so verstanden werden könne, dass ein Antragsteller, für dessen Vorhaben die Umweltverträglichkeitsprüfung, sofern sie erforderlich ist, nicht zuvor durchgeführt worden ist, die Arbeiten an dem fraglichen Projekt nicht beginnen kann, ohne gegen die Anforderungen der Richtlinie zu verstoßen. Dies gelte auch für Projekte, die unter Anhang II dieser Richtlinie zu fassen und gemäß Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie nur dann einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen seien, wenn der von dem Mitgliedstaat festgelegte Schwellenwert überschritten und/oder aufgrund einer Einzelfalluntersuchung mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen sei.
69Vgl. EuGH, Urteil vom 3. Juli 2008 - C-215/06 -, juris Rn. 51 ff.
70Nichts anderes gilt für den nunmehr anwendbaren Art. 4 Abs. 2 i.V.m. Anlage II der Richtlinie 2011/92/EU.
71Aufgrund des unionsrechtlichen Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet, die rechtswidrigen Folgen eines Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht zu beheben. Es ist daher Aufgabe der zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten alle erforderlichen allgemeinen oder besonderen Maßnahmen zu treffen, damit die Projekte im Hinblick darauf überprüft werden, ob bei ihnen erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt zu besorgen sind, und damit sie bejahendenfalls auf diese Auswirkungen hin untersucht werden. In diesem Zusammenhang ist es Sache der nationalen Gerichte festzustellen, ob nach nationalem Recht die Möglichkeit besteht, eine bereits erteilte Genehmigung zurückzunehmen oder jedenfalls auszusetzen, um dieses Projekt einer Prüfung gemäß den Anforderungen der UVP-Richtlinie zu unterziehen.
72Vgl. EuGH, Urteil vom 7. Januar 2004 - C-201/02 -, juris Rn. 65 ff.
73Ist wie im vorliegenden Fall die erforderliche Vorprüfung nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden und können somit die zu erwartenden Auswirkungen auf die Schutzgüter nicht hinreichend sicher beurteilt werden, hat das Gericht den Widerspruch dieses Zustands zum Unionsrecht zu berücksichtigen.
74Vgl. insoweit auch OVG S.-A., Beschluss vom 17. September 2008 - 2 M 146/08 -, NVwZ 2009, 340 = juris Rn. 16 f.
75Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Kostentragungspflicht der Beigeladenen, die in beiden Rechtszügen eigene Anträge gestellt hat, ergibt sich aus § 154 Abs. 3 VwGO.
76Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Der Senat orientiert sich dabei an den Ziffern 19.2 und 2.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Der danach im Hauptsacheverfahren je Windkraftanlage festzusetzende Streitwert von 15.000,- € ist im Hinblick auf die Vorläufigkeit der erstrebten Regelung in Anlehnung an Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs auf die Hälfte zu reduzieren. Soweit das Verwaltungsgericht lediglich einen Streitwert von 7.500,- € festgesetzt hat, war dieser Streitwertbeschluss nach § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG von Amts wegen zu ändern.
77Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 und 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
(1) Die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b kann verlangt werden, wenn
- 1.
eine nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung, nach der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder nach entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften - a)
erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder - b)
erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit
- 2.
eine erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne von § 18 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder im Sinne von § 10 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist oder - 3.
ein anderer Verfahrensfehler vorliegt, der - a)
nicht geheilt worden ist, - b)
nach seiner Art und Schwere mit den in den Nummern 1 und 2 genannten Fällen vergleichbar ist und - c)
der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen hat; zur Beteiligung am Entscheidungsprozess gehört auch der Zugang zu den Unterlagen, die zur Einsicht für die Öffentlichkeit auszulegen sind.
(1a) Für Verfahrensfehler, die nicht unter Absatz 1 fallen, gilt § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Lässt sich durch das Gericht nicht aufklären, ob ein Verfahrensfehler nach Satz 1 die Entscheidung in der Sache beeinflusst hat, wird eine Beeinflussung vermutet.
(1b) Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften führt nur dann zur Aufhebung der Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b oder 5, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. Unberührt bleiben
- 1.
§ 45 Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes sowie - 2.
§ 75 Absatz 1a des Verwaltungsverfahrensgesetzes und andere entsprechende Rechtsvorschriften zur Planerhaltung.
(2) Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Beschlüsse im Sinne des § 2 Absatz 6 Nummer 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung sind, gelten abweichend von den Absätzen 1 bis 1b die §§ 214 und 215 und die diesbezüglichen Überleitungsvorschriften des Baugesetzbuchs sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(3) Die Absätze 1 bis 2 gelten für Rechtsbehelfe von
- 1.
Personen gemäß § 61 Nummer 1 der Verwaltungsgerichtsordnung und Vereinigungen gemäß § 61 Nummer 2 der Verwaltungsgerichtsordnung sowie - 2.
Vereinigungen, die die Anforderungen des § 3 Absatz 1 oder des § 2 Absatz 2 erfüllen.
(4) Für Rechtsbehelfe von Vereinigungen nach Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 gegen Entscheidungen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 sind die Absätze 1 bis 2 entsprechend anzuwenden. Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Raumordnungspläne nach dem Raumordnungsgesetz sind, gelten abweichend von Satz 1 die §§ 11 und 27 Absatz 2 des Raumordnungsgesetzes sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(5) Für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3, 5 und 6 gelten bei Verfahrensfehlern die jeweiligen fachrechtlichen Regelungen sowie die Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes.
(1) Dieses Gesetz ist anzuwenden auf Rechtsbehelfe gegen folgende Entscheidungen:
- 1.
Zulassungsentscheidungen im Sinne von § 2 Absatz 6 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung über die Zulässigkeit von Vorhaben, für die nach - a)
dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, - b)
der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder - c)
landesrechtlichen Vorschriften
- 2.
Genehmigungen für Anlagen, die in Spalte c des Anhangs 1 der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen mit dem Buchstaben G gekennzeichnet sind, gegen Entscheidungen nach § 17 Absatz 1a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, gegen Erlaubnisse nach § 8 Absatz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes für Gewässerbenutzungen, die mit einem Vorhaben im Sinne der Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) (Neufassung) (ABl. L 334 vom 17.12.2010, S. 17) verbunden sind, sowie gegen Planfeststellungsbeschlüsse für Deponien nach § 35 Absatz 2 des Kreislaufwirtschaftgesetzes; - 2a.
Genehmigungen für Anlagen nach § 23b Absatz 1 Satz 1 oder § 19 Absatz 4 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes oder Zulassungen für Betriebspläne nach § 57d Absatz 1 des Bundesberggesetzes; - 2b.
Entscheidungen über die Zulässigkeit von Vorhaben, die benachbarte Schutzobjekte im Sinne des § 3 Absatz 5d des Bundes-Immissionsschutzgesetzes darstellen und die innerhalb des angemessenen Sicherheitsabstands zu einem Betriebsbereich nach § 3 Absatz 5a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes verwirklicht werden sollen und einer Zulassung nach landesrechtlichen Vorschriften bedürfen; - 3.
Entscheidungen nach dem Umweltschadensgesetz; - 4.
Entscheidungen über die Annahme von Plänen und Programmen im Sinne von § 2 Absatz 7 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung und im Sinne der entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften, für die nach - a)
Anlage 5 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder - b)
landesrechtlichen Vorschriften
- 5.
Verwaltungsakte oder öffentlich-rechtliche Verträge, durch die andere als in den Nummern 1 bis 2b genannte Vorhaben unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften des Bundesrechts, des Landesrechts oder unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Union zugelassen werden, und - 6.
Verwaltungsakte über Überwachungs- oder Aufsichtsmaßnahmen zur Umsetzung oder Durchführung von Entscheidungen nach den Nummern 1 bis 5, die der Einhaltung umweltbezogener Rechtsvorschriften des Bundesrechts, des Landesrechts oder unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Union dienen.
- 1.
§ 44a der Verwaltungsgerichtsordnung, - 2.
§ 17 Absatz 3 Satz 3 bis 5 und § 19 Absatz 2 Satz 5 bis 7 des Standortauswahlgesetzes sowie - 3.
§ 15 Absatz 3 Satz 2 des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes Übertragungsnetz, § 17a Absatz 5 Satz 1 des Energiewirtschaftsgesetzes, § 6 Absatz 9 Satz 1 des Windenergie-auf-See-Gesetzes, § 47 Absatz 4 und § 49 Absatz 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung und andere entsprechende Rechtsvorschriften.
(2) Dieses Gesetz gilt auch im Bereich der ausschließlichen Wirtschaftszone oder des Festlandsockels im Rahmen der Vorgaben des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 (BGBl. 1994 II S. 1799, 1995 II S. 602).
(3) Soweit in Planfeststellungsverfahren, die Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 2 oder 5 unterfallen, Rechtsbehelfe nach diesem Gesetz eröffnet sind, wird § 64 Absatz 1 des Bundesnaturschutzgesetzes nicht angewendet.
(4) Umweltbezogene Rechtsvorschriften im Sinne dieses Gesetzes sind Bestimmungen, die sich zum Schutz von Mensch und Umwelt auf
- 1.
den Zustand von Umweltbestandteilen im Sinne von § 2 Absatz 3 Nummer 1 des Umweltinformationsgesetzes oder - 2.
Faktoren im Sinne von § 2 Absatz 3 Nummer 2 des Umweltinformationsgesetzes
(1) Die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b kann verlangt werden, wenn
- 1.
eine nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung, nach der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder nach entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften - a)
erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder - b)
erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit
- 2.
eine erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne von § 18 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder im Sinne von § 10 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist oder - 3.
ein anderer Verfahrensfehler vorliegt, der - a)
nicht geheilt worden ist, - b)
nach seiner Art und Schwere mit den in den Nummern 1 und 2 genannten Fällen vergleichbar ist und - c)
der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen hat; zur Beteiligung am Entscheidungsprozess gehört auch der Zugang zu den Unterlagen, die zur Einsicht für die Öffentlichkeit auszulegen sind.
(1a) Für Verfahrensfehler, die nicht unter Absatz 1 fallen, gilt § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Lässt sich durch das Gericht nicht aufklären, ob ein Verfahrensfehler nach Satz 1 die Entscheidung in der Sache beeinflusst hat, wird eine Beeinflussung vermutet.
(1b) Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften führt nur dann zur Aufhebung der Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b oder 5, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. Unberührt bleiben
- 1.
§ 45 Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes sowie - 2.
§ 75 Absatz 1a des Verwaltungsverfahrensgesetzes und andere entsprechende Rechtsvorschriften zur Planerhaltung.
(2) Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Beschlüsse im Sinne des § 2 Absatz 6 Nummer 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung sind, gelten abweichend von den Absätzen 1 bis 1b die §§ 214 und 215 und die diesbezüglichen Überleitungsvorschriften des Baugesetzbuchs sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(3) Die Absätze 1 bis 2 gelten für Rechtsbehelfe von
- 1.
Personen gemäß § 61 Nummer 1 der Verwaltungsgerichtsordnung und Vereinigungen gemäß § 61 Nummer 2 der Verwaltungsgerichtsordnung sowie - 2.
Vereinigungen, die die Anforderungen des § 3 Absatz 1 oder des § 2 Absatz 2 erfüllen.
(4) Für Rechtsbehelfe von Vereinigungen nach Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 gegen Entscheidungen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 sind die Absätze 1 bis 2 entsprechend anzuwenden. Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Raumordnungspläne nach dem Raumordnungsgesetz sind, gelten abweichend von Satz 1 die §§ 11 und 27 Absatz 2 des Raumordnungsgesetzes sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(5) Für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3, 5 und 6 gelten bei Verfahrensfehlern die jeweiligen fachrechtlichen Regelungen sowie die Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes.
(1) Wird ein Vorhaben geändert, für das eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden ist, so besteht für das Änderungsvorhaben die UVP-Pflicht, wenn
- 1.
allein die Änderung die Größen- oder Leistungswerte für eine unbedingte UVP-Pflicht gemäß § 6 erreicht oder überschreitet oder - 2.
die allgemeine Vorprüfung ergibt, dass die Änderung zusätzliche erhebliche nachteilige oder andere erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen hervorrufen kann.
(2) Wird ein Vorhaben geändert, für das keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden ist, so besteht für das Änderungsvorhaben die UVP-Pflicht, wenn das geänderte Vorhaben
- 1.
den Größen- oder Leistungswert für die unbedingte UVP-Pflicht gemäß § 6 erstmals erreicht oder überschreitet oder - 2.
einen in Anlage 1 angegebenen Prüfwert für die Vorprüfung erstmals oder erneut erreicht oder überschreitet und eine Vorprüfung ergibt, dass die Änderung erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen hervorrufen kann.
(3) Wird ein Vorhaben geändert, für das keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden ist, so wird für das Änderungsvorhaben eine Vorprüfung durchgeführt, wenn für das Vorhaben nach Anlage 1
- 1.
eine UVP-Pflicht besteht und dafür keine Größen- oder Leistungswerte vorgeschrieben sind oder - 2.
eine Vorprüfung, aber keine Prüfwerte vorgeschrieben sind.
(4) Für die Vorprüfung bei Änderungsvorhaben gilt § 7 entsprechend.
(5) Der in den jeweiligen Anwendungsbereich der Richtlinien 85/337/EWG und 97/11/EG fallende, aber vor Ablauf der jeweiligen Umsetzungsfristen erreichte Bestand bleibt hinsichtlich des Erreichens oder Überschreitens der Größen- oder Leistungswerte und der Prüfwerte unberücksichtigt.
(1) Das Genehmigungsverfahren setzt einen schriftlichen oder elektronischen Antrag voraus. Dem Antrag sind die zur Prüfung nach § 6 erforderlichen Zeichnungen, Erläuterungen und sonstigen Unterlagen beizufügen. Reichen die Unterlagen für die Prüfung nicht aus, so hat sie der Antragsteller auf Verlangen der zuständigen Behörde innerhalb einer angemessenen Frist zu ergänzen. Erfolgt die Antragstellung elektronisch, kann die zuständige Behörde Mehrfertigungen sowie die Übermittlung der dem Antrag beizufügenden Unterlagen auch in schriftlicher Form verlangen.
(1a) Der Antragsteller, der beabsichtigt, eine Anlage nach der Industrieemissions-Richtlinie zu betreiben, in der relevante gefährliche Stoffe verwendet, erzeugt oder freigesetzt werden, hat mit den Unterlagen nach Absatz 1 einen Bericht über den Ausgangszustand vorzulegen, wenn und soweit eine Verschmutzung des Bodens oder des Grundwassers auf dem Anlagengrundstück durch die relevanten gefährlichen Stoffe möglich ist. Die Möglichkeit einer Verschmutzung des Bodens oder des Grundwassers besteht nicht, wenn auf Grund der tatsächlichen Umstände ein Eintrag ausgeschlossen werden kann.
(2) Soweit Unterlagen Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse enthalten, sind die Unterlagen zu kennzeichnen und getrennt vorzulegen. Ihr Inhalt muss, soweit es ohne Preisgabe des Geheimnisses geschehen kann, so ausführlich dargestellt sein, dass es Dritten möglich ist, zu beurteilen, ob und in welchem Umfang sie von den Auswirkungen der Anlage betroffen werden können.
(3) Sind die Unterlagen des Antragstellers vollständig, so hat die zuständige Behörde das Vorhaben in ihrem amtlichen Veröffentlichungsblatt und außerdem entweder im Internet oder in örtlichen Tageszeitungen, die im Bereich des Standortes der Anlage verbreitet sind, öffentlich bekannt zu machen. Der Antrag und die vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen, mit Ausnahme der Unterlagen nach Absatz 2 Satz 1, sowie die entscheidungserheblichen Berichte und Empfehlungen, die der Behörde im Zeitpunkt der Bekanntmachung vorliegen, sind nach der Bekanntmachung einen Monat zur Einsicht auszulegen. Weitere Informationen, die für die Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens von Bedeutung sein können und die der zuständigen Behörde erst nach Beginn der Auslegung vorliegen, sind der Öffentlichkeit nach den Bestimmungen über den Zugang zu Umweltinformationen zugänglich zu machen. Bis zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist kann die Öffentlichkeit gegenüber der zuständigen Behörde schriftlich oder elektronisch Einwendungen erheben; bei Anlagen nach der Industrieemissions-Richtlinie gilt eine Frist von einem Monat. Mit Ablauf der Einwendungsfrist sind für das Genehmigungsverfahren alle Einwendungen ausgeschlossen, die nicht auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen. Einwendungen, die auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen, sind auf den Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten zu verweisen.
(3a) Nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz anerkannte Vereinigungen sollen die zuständige Behörde in einer dem Umweltschutz dienenden Weise unterstützen.
(4) In der Bekanntmachung nach Absatz 3 Satz 1 ist
- 1.
darauf hinzuweisen, wo und wann der Antrag auf Erteilung der Genehmigung und die Unterlagen zur Einsicht ausgelegt sind; - 2.
dazu aufzufordern, etwaige Einwendungen bei einer in der Bekanntmachung zu bezeichnenden Stelle innerhalb der Einwendungsfrist vorzubringen; dabei ist auf die Rechtsfolgen nach Absatz 3 Satz 5 hinzuweisen; - 3.
ein Erörterungstermin zu bestimmen und darauf hinzuweisen, dass er auf Grund einer Ermessensentscheidung der Genehmigungsbehörde nach Absatz 6 durchgeführt wird und dass dann die formgerecht erhobenen Einwendungen auch bei Ausbleiben des Antragstellers oder von Personen, die Einwendungen erhoben haben, erörtert werden; - 4.
darauf hinzuweisen, dass die Zustellung der Entscheidung über die Einwendungen durch öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden kann.
(5) Die für die Erteilung der Genehmigung zuständige Behörde (Genehmigungsbehörde) holt die Stellungnahmen der Behörden ein, deren Aufgabenbereich durch das Vorhaben berührt wird. Hat eine zu beteiligende Behörde bei einem Verfahren zur Genehmigung einer Anlage zur Nutzung erneuerbarer Energien innerhalb einer Frist von einem Monat keine Stellungnahme abgegeben, so ist davon auszugehen, dass die beteiligte Behörde sich nicht äußern will. Die zuständige Behörde hat die Entscheidung in diesem Fall auf Antrag auf der Grundlage der geltenden Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Ablaufs der Monatsfrist zu treffen. Soweit für das Vorhaben selbst oder für weitere damit unmittelbar in einem räumlichen oder betrieblichen Zusammenhang stehende Vorhaben, die Auswirkungen auf die Umwelt haben können und die für die Genehmigung Bedeutung haben, eine Zulassung nach anderen Gesetzen vorgeschrieben ist, hat die Genehmigungsbehörde eine vollständige Koordinierung der Zulassungsverfahren sowie der Inhalts- und Nebenbestimmungen sicherzustellen.
(5a) Betrifft das Vorhaben eine Anlage, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie (EU) 2018/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen (Neufassung) (ABl. L 328 vom 21.12.2018, S. 82) fällt, gilt ergänzend Folgendes:
- 1.
Auf Antrag des Trägers des Vorhabens wird das Genehmigungsverfahren sowie alle sonstigen Zulassungsverfahren, die für die Durchführung des Vorhabens nach Bundes- oder Landesrecht erforderlich sind, über eine einheitliche Stelle abgewickelt. - 2.
Die einheitliche Stelle nach Nummer 1 stellt ein Verfahrenshandbuch für Träger von Vorhaben bereit und macht diese Informationen auch im Internet zugänglich. Dabei geht sie gesondert auch auf kleinere Vorhaben und Vorhaben zur Eigenversorgung mit Elektrizität ein, soweit sich das Genehmigungserfordernis nach § 1 Absatz 2 der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen darauf erstreckt. In den im Internet veröffentlichten Informationen weist die einheitliche Stelle auch darauf hin, für welche Vorhaben sie zuständig ist und welche weiteren einheitlichen Stellen im jeweiligen Land für Vorhaben nach Satz 1 zuständig sind. - 3.
Die zuständige und die zu beteiligenden Behörden sollen die zur Prüfung des Antrags zusätzlich erforderlichen Unterlagen in einer einmaligen Mitteilung an den Antragsteller zusammenfassen. Nach Eingang der vollständigen Antragsunterlagen erstellt die Genehmigungsbehörde einen Zeitplan für das weitere Verfahren und teilt diesen Zeitplan in den Fällen der Nummer 1 der einheitlichen Stelle, andernfalls dem Antragsteller mit.
(6) Nach Ablauf der Einwendungsfrist kann die Genehmigungsbehörde die rechtzeitig gegen das Vorhaben erhobenen Einwendungen mit dem Antragsteller und denjenigen, die Einwendungen erhoben haben, erörtern.
(6a) Über den Genehmigungsantrag ist nach Eingang des Antrags und der nach Absatz 1 Satz 2 einzureichenden Unterlagen innerhalb einer Frist von sieben Monaten, in vereinfachten Verfahren innerhalb einer Frist von drei Monaten, zu entscheiden. Die zuständige Behörde kann die Frist um jeweils drei Monate verlängern, wenn dies wegen der Schwierigkeit der Prüfung oder aus Gründen, die dem Antragsteller zuzurechnen sind, erforderlich ist. Die Fristverlängerung soll gegenüber dem Antragsteller begründet werden.
(7) Der Genehmigungsbescheid ist schriftlich zu erlassen, schriftlich zu begründen und dem Antragsteller und den Personen, die Einwendungen erhoben haben, zuzustellen. Er ist, soweit die Zustellung nicht nach Absatz 8 erfolgt, öffentlich bekannt zu machen. Die öffentliche Bekanntmachung erfolgt nach Maßgabe des Absatzes 8.
(8) Die Zustellung des Genehmigungsbescheids an die Personen, die Einwendungen erhoben haben, kann durch öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden. Die öffentliche Bekanntmachung wird dadurch bewirkt, dass der verfügende Teil des Bescheides und die Rechtsbehelfsbelehrung in entsprechender Anwendung des Absatzes 3 Satz 1 bekannt gemacht werden; auf Auflagen ist hinzuweisen. In diesem Fall ist eine Ausfertigung des gesamten Bescheides vom Tage nach der Bekanntmachung an zwei Wochen zur Einsicht auszulegen. In der öffentlichen Bekanntmachung ist anzugeben, wo und wann der Bescheid und seine Begründung eingesehen und nach Satz 6 angefordert werden können. Mit dem Ende der Auslegungsfrist gilt der Bescheid auch gegenüber Dritten, die keine Einwendung erhoben haben, als zugestellt; darauf ist in der Bekanntmachung hinzuweisen. Nach der öffentlichen Bekanntmachung können der Bescheid und seine Begründung bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist von den Personen, die Einwendungen erhoben haben, schriftlich oder elektronisch angefordert werden.
(8a) Unbeschadet der Absätze 7 und 8 sind bei Anlagen nach der Industrieemissions-Richtlinie folgende Unterlagen im Internet öffentlich bekannt zu machen:
- 1.
der Genehmigungsbescheid mit Ausnahme in Bezug genommener Antragsunterlagen und des Berichts über den Ausgangszustand sowie - 2.
die Bezeichnung des für die betreffende Anlage maßgeblichen BVT-Merkblatts.
(9) Die Absätze 1 bis 8 gelten entsprechend für die Erteilung eines Vorbescheides.
(10) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Genehmigungsverfahren zu regeln; in der Rechtsverordnung kann auch das Verfahren bei Erteilung einer Genehmigung im vereinfachten Verfahren (§ 19) sowie bei der Erteilung eines Vorbescheides (§ 9), einer Teilgenehmigung (§ 8) und einer Zulassung vorzeitigen Beginns (§ 8a) geregelt werden. In der Verordnung ist auch näher zu bestimmen, welchen Anforderungen das Genehmigungsverfahren für Anlagen genügen muss, für die nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist.
(11) Das Bundesministerium der Verteidigung wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Genehmigungsverfahren für Anlagen, die der Landesverteidigung dienen, abweichend von den Absätzen 1 bis 9 zu regeln.
(1) Die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b kann verlangt werden, wenn
- 1.
eine nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung, nach der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder nach entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften - a)
erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder - b)
erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit
- 2.
eine erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne von § 18 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder im Sinne von § 10 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist oder - 3.
ein anderer Verfahrensfehler vorliegt, der - a)
nicht geheilt worden ist, - b)
nach seiner Art und Schwere mit den in den Nummern 1 und 2 genannten Fällen vergleichbar ist und - c)
der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen hat; zur Beteiligung am Entscheidungsprozess gehört auch der Zugang zu den Unterlagen, die zur Einsicht für die Öffentlichkeit auszulegen sind.
(1a) Für Verfahrensfehler, die nicht unter Absatz 1 fallen, gilt § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Lässt sich durch das Gericht nicht aufklären, ob ein Verfahrensfehler nach Satz 1 die Entscheidung in der Sache beeinflusst hat, wird eine Beeinflussung vermutet.
(1b) Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften führt nur dann zur Aufhebung der Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b oder 5, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. Unberührt bleiben
- 1.
§ 45 Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes sowie - 2.
§ 75 Absatz 1a des Verwaltungsverfahrensgesetzes und andere entsprechende Rechtsvorschriften zur Planerhaltung.
(2) Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Beschlüsse im Sinne des § 2 Absatz 6 Nummer 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung sind, gelten abweichend von den Absätzen 1 bis 1b die §§ 214 und 215 und die diesbezüglichen Überleitungsvorschriften des Baugesetzbuchs sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(3) Die Absätze 1 bis 2 gelten für Rechtsbehelfe von
- 1.
Personen gemäß § 61 Nummer 1 der Verwaltungsgerichtsordnung und Vereinigungen gemäß § 61 Nummer 2 der Verwaltungsgerichtsordnung sowie - 2.
Vereinigungen, die die Anforderungen des § 3 Absatz 1 oder des § 2 Absatz 2 erfüllen.
(4) Für Rechtsbehelfe von Vereinigungen nach Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 gegen Entscheidungen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 sind die Absätze 1 bis 2 entsprechend anzuwenden. Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Raumordnungspläne nach dem Raumordnungsgesetz sind, gelten abweichend von Satz 1 die §§ 11 und 27 Absatz 2 des Raumordnungsgesetzes sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(5) Für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3, 5 und 6 gelten bei Verfahrensfehlern die jeweiligen fachrechtlichen Regelungen sowie die Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes.
Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
(1) Die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b kann verlangt werden, wenn
- 1.
eine nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung, nach der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder nach entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften - a)
erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder - b)
erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit
- 2.
eine erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne von § 18 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder im Sinne von § 10 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist oder - 3.
ein anderer Verfahrensfehler vorliegt, der - a)
nicht geheilt worden ist, - b)
nach seiner Art und Schwere mit den in den Nummern 1 und 2 genannten Fällen vergleichbar ist und - c)
der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen hat; zur Beteiligung am Entscheidungsprozess gehört auch der Zugang zu den Unterlagen, die zur Einsicht für die Öffentlichkeit auszulegen sind.
(1a) Für Verfahrensfehler, die nicht unter Absatz 1 fallen, gilt § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Lässt sich durch das Gericht nicht aufklären, ob ein Verfahrensfehler nach Satz 1 die Entscheidung in der Sache beeinflusst hat, wird eine Beeinflussung vermutet.
(1b) Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften führt nur dann zur Aufhebung der Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b oder 5, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. Unberührt bleiben
- 1.
§ 45 Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes sowie - 2.
§ 75 Absatz 1a des Verwaltungsverfahrensgesetzes und andere entsprechende Rechtsvorschriften zur Planerhaltung.
(2) Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Beschlüsse im Sinne des § 2 Absatz 6 Nummer 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung sind, gelten abweichend von den Absätzen 1 bis 1b die §§ 214 und 215 und die diesbezüglichen Überleitungsvorschriften des Baugesetzbuchs sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(3) Die Absätze 1 bis 2 gelten für Rechtsbehelfe von
- 1.
Personen gemäß § 61 Nummer 1 der Verwaltungsgerichtsordnung und Vereinigungen gemäß § 61 Nummer 2 der Verwaltungsgerichtsordnung sowie - 2.
Vereinigungen, die die Anforderungen des § 3 Absatz 1 oder des § 2 Absatz 2 erfüllen.
(4) Für Rechtsbehelfe von Vereinigungen nach Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 gegen Entscheidungen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 sind die Absätze 1 bis 2 entsprechend anzuwenden. Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Raumordnungspläne nach dem Raumordnungsgesetz sind, gelten abweichend von Satz 1 die §§ 11 und 27 Absatz 2 des Raumordnungsgesetzes sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(5) Für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3, 5 und 6 gelten bei Verfahrensfehlern die jeweiligen fachrechtlichen Regelungen sowie die Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes.
(1) Eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 44 nichtig macht, ist unbeachtlich, wenn
- 1.
der für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderliche Antrag nachträglich gestellt wird; - 2.
die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird; - 3.
die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird; - 4.
der Beschluss eines Ausschusses, dessen Mitwirkung für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderlich ist, nachträglich gefasst wird; - 5.
die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde nachgeholt wird.
(2) Handlungen nach Absatz 1 können bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.
(3) Fehlt einem Verwaltungsakt die erforderliche Begründung oder ist die erforderliche Anhörung eines Beteiligten vor Erlass des Verwaltungsaktes unterblieben und ist dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsaktes versäumt worden, so gilt die Versäumung der Rechtsbehelfsfrist als nicht verschuldet. Das für die Wiedereinsetzungsfrist nach § 32 Abs. 2 maßgebende Ereignis tritt im Zeitpunkt der Nachholung der unterlassenen Verfahrenshandlung ein.
(1) Die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b kann verlangt werden, wenn
- 1.
eine nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung, nach der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder nach entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften - a)
erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder - b)
erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit
- 2.
eine erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne von § 18 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder im Sinne von § 10 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist oder - 3.
ein anderer Verfahrensfehler vorliegt, der - a)
nicht geheilt worden ist, - b)
nach seiner Art und Schwere mit den in den Nummern 1 und 2 genannten Fällen vergleichbar ist und - c)
der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen hat; zur Beteiligung am Entscheidungsprozess gehört auch der Zugang zu den Unterlagen, die zur Einsicht für die Öffentlichkeit auszulegen sind.
(1a) Für Verfahrensfehler, die nicht unter Absatz 1 fallen, gilt § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Lässt sich durch das Gericht nicht aufklären, ob ein Verfahrensfehler nach Satz 1 die Entscheidung in der Sache beeinflusst hat, wird eine Beeinflussung vermutet.
(1b) Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften führt nur dann zur Aufhebung der Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b oder 5, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. Unberührt bleiben
- 1.
§ 45 Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes sowie - 2.
§ 75 Absatz 1a des Verwaltungsverfahrensgesetzes und andere entsprechende Rechtsvorschriften zur Planerhaltung.
(2) Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Beschlüsse im Sinne des § 2 Absatz 6 Nummer 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung sind, gelten abweichend von den Absätzen 1 bis 1b die §§ 214 und 215 und die diesbezüglichen Überleitungsvorschriften des Baugesetzbuchs sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(3) Die Absätze 1 bis 2 gelten für Rechtsbehelfe von
- 1.
Personen gemäß § 61 Nummer 1 der Verwaltungsgerichtsordnung und Vereinigungen gemäß § 61 Nummer 2 der Verwaltungsgerichtsordnung sowie - 2.
Vereinigungen, die die Anforderungen des § 3 Absatz 1 oder des § 2 Absatz 2 erfüllen.
(4) Für Rechtsbehelfe von Vereinigungen nach Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 gegen Entscheidungen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 sind die Absätze 1 bis 2 entsprechend anzuwenden. Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Raumordnungspläne nach dem Raumordnungsgesetz sind, gelten abweichend von Satz 1 die §§ 11 und 27 Absatz 2 des Raumordnungsgesetzes sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(5) Für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3, 5 und 6 gelten bei Verfahrensfehlern die jeweiligen fachrechtlichen Regelungen sowie die Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes.
Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
(1) Die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b kann verlangt werden, wenn
- 1.
eine nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung, nach der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder nach entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften - a)
erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder - b)
erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit
- 2.
eine erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne von § 18 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder im Sinne von § 10 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist oder - 3.
ein anderer Verfahrensfehler vorliegt, der - a)
nicht geheilt worden ist, - b)
nach seiner Art und Schwere mit den in den Nummern 1 und 2 genannten Fällen vergleichbar ist und - c)
der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen hat; zur Beteiligung am Entscheidungsprozess gehört auch der Zugang zu den Unterlagen, die zur Einsicht für die Öffentlichkeit auszulegen sind.
(1a) Für Verfahrensfehler, die nicht unter Absatz 1 fallen, gilt § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Lässt sich durch das Gericht nicht aufklären, ob ein Verfahrensfehler nach Satz 1 die Entscheidung in der Sache beeinflusst hat, wird eine Beeinflussung vermutet.
(1b) Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften führt nur dann zur Aufhebung der Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b oder 5, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. Unberührt bleiben
- 1.
§ 45 Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes sowie - 2.
§ 75 Absatz 1a des Verwaltungsverfahrensgesetzes und andere entsprechende Rechtsvorschriften zur Planerhaltung.
(2) Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Beschlüsse im Sinne des § 2 Absatz 6 Nummer 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung sind, gelten abweichend von den Absätzen 1 bis 1b die §§ 214 und 215 und die diesbezüglichen Überleitungsvorschriften des Baugesetzbuchs sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(3) Die Absätze 1 bis 2 gelten für Rechtsbehelfe von
- 1.
Personen gemäß § 61 Nummer 1 der Verwaltungsgerichtsordnung und Vereinigungen gemäß § 61 Nummer 2 der Verwaltungsgerichtsordnung sowie - 2.
Vereinigungen, die die Anforderungen des § 3 Absatz 1 oder des § 2 Absatz 2 erfüllen.
(4) Für Rechtsbehelfe von Vereinigungen nach Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 gegen Entscheidungen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 sind die Absätze 1 bis 2 entsprechend anzuwenden. Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Raumordnungspläne nach dem Raumordnungsgesetz sind, gelten abweichend von Satz 1 die §§ 11 und 27 Absatz 2 des Raumordnungsgesetzes sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(5) Für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3, 5 und 6 gelten bei Verfahrensfehlern die jeweiligen fachrechtlichen Regelungen sowie die Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
(1) Die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b kann verlangt werden, wenn
- 1.
eine nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung, nach der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder nach entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften - a)
erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder - b)
erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit
- 2.
eine erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne von § 18 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder im Sinne von § 10 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist oder - 3.
ein anderer Verfahrensfehler vorliegt, der - a)
nicht geheilt worden ist, - b)
nach seiner Art und Schwere mit den in den Nummern 1 und 2 genannten Fällen vergleichbar ist und - c)
der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen hat; zur Beteiligung am Entscheidungsprozess gehört auch der Zugang zu den Unterlagen, die zur Einsicht für die Öffentlichkeit auszulegen sind.
(1a) Für Verfahrensfehler, die nicht unter Absatz 1 fallen, gilt § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Lässt sich durch das Gericht nicht aufklären, ob ein Verfahrensfehler nach Satz 1 die Entscheidung in der Sache beeinflusst hat, wird eine Beeinflussung vermutet.
(1b) Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften führt nur dann zur Aufhebung der Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b oder 5, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. Unberührt bleiben
- 1.
§ 45 Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes sowie - 2.
§ 75 Absatz 1a des Verwaltungsverfahrensgesetzes und andere entsprechende Rechtsvorschriften zur Planerhaltung.
(2) Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Beschlüsse im Sinne des § 2 Absatz 6 Nummer 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung sind, gelten abweichend von den Absätzen 1 bis 1b die §§ 214 und 215 und die diesbezüglichen Überleitungsvorschriften des Baugesetzbuchs sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(3) Die Absätze 1 bis 2 gelten für Rechtsbehelfe von
- 1.
Personen gemäß § 61 Nummer 1 der Verwaltungsgerichtsordnung und Vereinigungen gemäß § 61 Nummer 2 der Verwaltungsgerichtsordnung sowie - 2.
Vereinigungen, die die Anforderungen des § 3 Absatz 1 oder des § 2 Absatz 2 erfüllen.
(4) Für Rechtsbehelfe von Vereinigungen nach Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 gegen Entscheidungen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 sind die Absätze 1 bis 2 entsprechend anzuwenden. Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Raumordnungspläne nach dem Raumordnungsgesetz sind, gelten abweichend von Satz 1 die §§ 11 und 27 Absatz 2 des Raumordnungsgesetzes sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(5) Für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3, 5 und 6 gelten bei Verfahrensfehlern die jeweiligen fachrechtlichen Regelungen sowie die Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes.
Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
(1) Die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b kann verlangt werden, wenn
- 1.
eine nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung, nach der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder nach entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften - a)
erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder - b)
erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit
- 2.
eine erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne von § 18 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder im Sinne von § 10 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist oder - 3.
ein anderer Verfahrensfehler vorliegt, der - a)
nicht geheilt worden ist, - b)
nach seiner Art und Schwere mit den in den Nummern 1 und 2 genannten Fällen vergleichbar ist und - c)
der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen hat; zur Beteiligung am Entscheidungsprozess gehört auch der Zugang zu den Unterlagen, die zur Einsicht für die Öffentlichkeit auszulegen sind.
(1a) Für Verfahrensfehler, die nicht unter Absatz 1 fallen, gilt § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Lässt sich durch das Gericht nicht aufklären, ob ein Verfahrensfehler nach Satz 1 die Entscheidung in der Sache beeinflusst hat, wird eine Beeinflussung vermutet.
(1b) Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften führt nur dann zur Aufhebung der Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b oder 5, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. Unberührt bleiben
- 1.
§ 45 Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes sowie - 2.
§ 75 Absatz 1a des Verwaltungsverfahrensgesetzes und andere entsprechende Rechtsvorschriften zur Planerhaltung.
(2) Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Beschlüsse im Sinne des § 2 Absatz 6 Nummer 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung sind, gelten abweichend von den Absätzen 1 bis 1b die §§ 214 und 215 und die diesbezüglichen Überleitungsvorschriften des Baugesetzbuchs sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(3) Die Absätze 1 bis 2 gelten für Rechtsbehelfe von
- 1.
Personen gemäß § 61 Nummer 1 der Verwaltungsgerichtsordnung und Vereinigungen gemäß § 61 Nummer 2 der Verwaltungsgerichtsordnung sowie - 2.
Vereinigungen, die die Anforderungen des § 3 Absatz 1 oder des § 2 Absatz 2 erfüllen.
(4) Für Rechtsbehelfe von Vereinigungen nach Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 gegen Entscheidungen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 sind die Absätze 1 bis 2 entsprechend anzuwenden. Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Raumordnungspläne nach dem Raumordnungsgesetz sind, gelten abweichend von Satz 1 die §§ 11 und 27 Absatz 2 des Raumordnungsgesetzes sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(5) Für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3, 5 und 6 gelten bei Verfahrensfehlern die jeweiligen fachrechtlichen Regelungen sowie die Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes.
(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.
(2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag kann nur durch einen Gerichtsbeschluß, der zu begründen ist, abgelehnt werden.
(3) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.
(4) Die Beteiligten sollen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze einreichen. Hierzu kann sie der Vorsitzende unter Fristsetzung auffordern. Die Schriftsätze sind den Beteiligten von Amts wegen zu übermitteln.
(5) Den Schriftsätzen sind die Urkunden oder elektronischen Dokumente, auf die Bezug genommen wird, in Abschrift ganz oder im Auszug beizufügen. Sind die Urkunden dem Gegner bereits bekannt oder sehr umfangreich, so genügt die genaue Bezeichnung mit dem Anerbieten, Einsicht bei Gericht zu gewähren.
(1) Die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b kann verlangt werden, wenn
- 1.
eine nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung, nach der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder nach entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften - a)
erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder - b)
erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit
- 2.
eine erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne von § 18 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder im Sinne von § 10 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist oder - 3.
ein anderer Verfahrensfehler vorliegt, der - a)
nicht geheilt worden ist, - b)
nach seiner Art und Schwere mit den in den Nummern 1 und 2 genannten Fällen vergleichbar ist und - c)
der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen hat; zur Beteiligung am Entscheidungsprozess gehört auch der Zugang zu den Unterlagen, die zur Einsicht für die Öffentlichkeit auszulegen sind.
(1a) Für Verfahrensfehler, die nicht unter Absatz 1 fallen, gilt § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Lässt sich durch das Gericht nicht aufklären, ob ein Verfahrensfehler nach Satz 1 die Entscheidung in der Sache beeinflusst hat, wird eine Beeinflussung vermutet.
(1b) Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften führt nur dann zur Aufhebung der Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b oder 5, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. Unberührt bleiben
- 1.
§ 45 Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes sowie - 2.
§ 75 Absatz 1a des Verwaltungsverfahrensgesetzes und andere entsprechende Rechtsvorschriften zur Planerhaltung.
(2) Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Beschlüsse im Sinne des § 2 Absatz 6 Nummer 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung sind, gelten abweichend von den Absätzen 1 bis 1b die §§ 214 und 215 und die diesbezüglichen Überleitungsvorschriften des Baugesetzbuchs sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(3) Die Absätze 1 bis 2 gelten für Rechtsbehelfe von
- 1.
Personen gemäß § 61 Nummer 1 der Verwaltungsgerichtsordnung und Vereinigungen gemäß § 61 Nummer 2 der Verwaltungsgerichtsordnung sowie - 2.
Vereinigungen, die die Anforderungen des § 3 Absatz 1 oder des § 2 Absatz 2 erfüllen.
(4) Für Rechtsbehelfe von Vereinigungen nach Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 gegen Entscheidungen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 sind die Absätze 1 bis 2 entsprechend anzuwenden. Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Raumordnungspläne nach dem Raumordnungsgesetz sind, gelten abweichend von Satz 1 die §§ 11 und 27 Absatz 2 des Raumordnungsgesetzes sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(5) Für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3, 5 und 6 gelten bei Verfahrensfehlern die jeweiligen fachrechtlichen Regelungen sowie die Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes.
Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
(1) Die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b kann verlangt werden, wenn
- 1.
eine nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung, nach der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder nach entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften - a)
erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder - b)
erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit
- 2.
eine erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne von § 18 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder im Sinne von § 10 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist oder - 3.
ein anderer Verfahrensfehler vorliegt, der - a)
nicht geheilt worden ist, - b)
nach seiner Art und Schwere mit den in den Nummern 1 und 2 genannten Fällen vergleichbar ist und - c)
der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen hat; zur Beteiligung am Entscheidungsprozess gehört auch der Zugang zu den Unterlagen, die zur Einsicht für die Öffentlichkeit auszulegen sind.
(1a) Für Verfahrensfehler, die nicht unter Absatz 1 fallen, gilt § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Lässt sich durch das Gericht nicht aufklären, ob ein Verfahrensfehler nach Satz 1 die Entscheidung in der Sache beeinflusst hat, wird eine Beeinflussung vermutet.
(1b) Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften führt nur dann zur Aufhebung der Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b oder 5, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. Unberührt bleiben
- 1.
§ 45 Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes sowie - 2.
§ 75 Absatz 1a des Verwaltungsverfahrensgesetzes und andere entsprechende Rechtsvorschriften zur Planerhaltung.
(2) Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Beschlüsse im Sinne des § 2 Absatz 6 Nummer 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung sind, gelten abweichend von den Absätzen 1 bis 1b die §§ 214 und 215 und die diesbezüglichen Überleitungsvorschriften des Baugesetzbuchs sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(3) Die Absätze 1 bis 2 gelten für Rechtsbehelfe von
- 1.
Personen gemäß § 61 Nummer 1 der Verwaltungsgerichtsordnung und Vereinigungen gemäß § 61 Nummer 2 der Verwaltungsgerichtsordnung sowie - 2.
Vereinigungen, die die Anforderungen des § 3 Absatz 1 oder des § 2 Absatz 2 erfüllen.
(4) Für Rechtsbehelfe von Vereinigungen nach Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 gegen Entscheidungen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 sind die Absätze 1 bis 2 entsprechend anzuwenden. Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Raumordnungspläne nach dem Raumordnungsgesetz sind, gelten abweichend von Satz 1 die §§ 11 und 27 Absatz 2 des Raumordnungsgesetzes sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(5) Für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3, 5 und 6 gelten bei Verfahrensfehlern die jeweiligen fachrechtlichen Regelungen sowie die Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes.
(1) Dieses Gesetz ist anzuwenden auf Rechtsbehelfe gegen folgende Entscheidungen:
- 1.
Zulassungsentscheidungen im Sinne von § 2 Absatz 6 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung über die Zulässigkeit von Vorhaben, für die nach - a)
dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, - b)
der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder - c)
landesrechtlichen Vorschriften
- 2.
Genehmigungen für Anlagen, die in Spalte c des Anhangs 1 der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen mit dem Buchstaben G gekennzeichnet sind, gegen Entscheidungen nach § 17 Absatz 1a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, gegen Erlaubnisse nach § 8 Absatz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes für Gewässerbenutzungen, die mit einem Vorhaben im Sinne der Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) (Neufassung) (ABl. L 334 vom 17.12.2010, S. 17) verbunden sind, sowie gegen Planfeststellungsbeschlüsse für Deponien nach § 35 Absatz 2 des Kreislaufwirtschaftgesetzes; - 2a.
Genehmigungen für Anlagen nach § 23b Absatz 1 Satz 1 oder § 19 Absatz 4 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes oder Zulassungen für Betriebspläne nach § 57d Absatz 1 des Bundesberggesetzes; - 2b.
Entscheidungen über die Zulässigkeit von Vorhaben, die benachbarte Schutzobjekte im Sinne des § 3 Absatz 5d des Bundes-Immissionsschutzgesetzes darstellen und die innerhalb des angemessenen Sicherheitsabstands zu einem Betriebsbereich nach § 3 Absatz 5a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes verwirklicht werden sollen und einer Zulassung nach landesrechtlichen Vorschriften bedürfen; - 3.
Entscheidungen nach dem Umweltschadensgesetz; - 4.
Entscheidungen über die Annahme von Plänen und Programmen im Sinne von § 2 Absatz 7 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung und im Sinne der entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften, für die nach - a)
Anlage 5 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder - b)
landesrechtlichen Vorschriften
- 5.
Verwaltungsakte oder öffentlich-rechtliche Verträge, durch die andere als in den Nummern 1 bis 2b genannte Vorhaben unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften des Bundesrechts, des Landesrechts oder unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Union zugelassen werden, und - 6.
Verwaltungsakte über Überwachungs- oder Aufsichtsmaßnahmen zur Umsetzung oder Durchführung von Entscheidungen nach den Nummern 1 bis 5, die der Einhaltung umweltbezogener Rechtsvorschriften des Bundesrechts, des Landesrechts oder unmittelbar geltender Rechtsakte der Europäischen Union dienen.
- 1.
§ 44a der Verwaltungsgerichtsordnung, - 2.
§ 17 Absatz 3 Satz 3 bis 5 und § 19 Absatz 2 Satz 5 bis 7 des Standortauswahlgesetzes sowie - 3.
§ 15 Absatz 3 Satz 2 des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes Übertragungsnetz, § 17a Absatz 5 Satz 1 des Energiewirtschaftsgesetzes, § 6 Absatz 9 Satz 1 des Windenergie-auf-See-Gesetzes, § 47 Absatz 4 und § 49 Absatz 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung und andere entsprechende Rechtsvorschriften.
(2) Dieses Gesetz gilt auch im Bereich der ausschließlichen Wirtschaftszone oder des Festlandsockels im Rahmen der Vorgaben des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 (BGBl. 1994 II S. 1799, 1995 II S. 602).
(3) Soweit in Planfeststellungsverfahren, die Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 2 oder 5 unterfallen, Rechtsbehelfe nach diesem Gesetz eröffnet sind, wird § 64 Absatz 1 des Bundesnaturschutzgesetzes nicht angewendet.
(4) Umweltbezogene Rechtsvorschriften im Sinne dieses Gesetzes sind Bestimmungen, die sich zum Schutz von Mensch und Umwelt auf
- 1.
den Zustand von Umweltbestandteilen im Sinne von § 2 Absatz 3 Nummer 1 des Umweltinformationsgesetzes oder - 2.
Faktoren im Sinne von § 2 Absatz 3 Nummer 2 des Umweltinformationsgesetzes
(1) Hinzutretende kumulierende Vorhaben liegen vor, wenn zu einem beantragten oder bestehenden Vorhaben (früheren Vorhaben) nachträglich ein kumulierendes Vorhaben hinzutritt.
(2) Wenn für das frühere Vorhaben eine Zulassungsentscheidung getroffen worden ist, so besteht für den Fall, dass für das frühere Vorhaben bereits eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden ist, für das hinzutretende kumulierende Vorhaben die UVP-Pflicht, wenn
- 1.
das hinzutretende Vorhaben allein die Größen- oder Leistungswerte für eine UVP-Pflicht gemäß § 6 erreicht oder überschreitet oder - 2.
eine allgemeine Vorprüfung ergibt, dass durch sein Hinzutreten zusätzliche erhebliche nachteilige oder andere erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen hervorgerufen werden können.
(3) Wenn für das frühere Vorhaben eine Zulassungsentscheidung getroffen worden ist, so ist für den Fall, dass für das frühere Vorhaben keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden ist, für das hinzutretende kumulierende Vorhaben
- 1.
die Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, wenn die kumulierenden Vorhaben zusammen die maßgeblichen Größen- oder Leistungswerte nach § 6 erreichen oder überschreiten oder - 2.
die allgemeine Vorprüfung durchzuführen, wenn die kumulierenden Vorhaben zusammen die Prüfwerte für die allgemeine Vorprüfung erstmals oder erneut erreichen oder überschreiten oder - 3.
die standortbezogene Vorprüfung durchzuführen, wenn die kumulierenden Vorhaben zusammen die Prüfwerte für die standortbezogene Vorprüfung erstmals oder erneut erreichen oder überschreiten.
(4) Erreichen oder überschreiten in den Fällen des Absatzes 3 die kumulierenden Vorhaben zwar zusammen die maßgeblichen Größen- oder Leistungswerte nach § 6, werden jedoch für das hinzutretende kumulierende Vorhaben weder der Prüfwert für die standortbezogene Vorprüfung noch der Prüfwert für die allgemeine Vorprüfung erreicht oder überschritten, so besteht für das hinzutretende kumulierende Vorhaben die UVP-Pflicht nur, wenn die allgemeine Vorprüfung ergibt, dass durch sein Hinzutreten zusätzliche erhebliche nachteilige oder andere erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen eintreten können. Für die allgemeine Vorprüfung gilt § 7 Absatz 1 und 3 bis 7 entsprechend.
(5) In der Vorprüfung für das hinzutretende kumulierende Vorhaben ist das frühere Vorhaben als Vorbelastung zu berücksichtigen.
(6) Der in den jeweiligen Anwendungsbereich der Richtlinien 85/337/EWG und 97/11/EG fallende, aber vor Ablauf der jeweiligen Umsetzungsfristen erreichte Bestand bleibt hinsichtlich des Erreichens oder Überschreitens der Größen- oder Leistungswerte und der Prüfwerte unberücksichtigt.
(1) Wenn für das frühere Vorhaben zum Zeitpunkt der Antragstellung für das hinzutretende kumulierende Vorhaben noch keine Zulassungsentscheidung getroffen worden ist, so besteht für den Fall, dass für das frühere Vorhaben allein die UVP-Pflicht besteht, für das hinzutretende kumulierende Vorhaben die UVP-Pflicht, wenn
- 1.
das hinzutretende Vorhaben allein die Größen- und Leistungswerte für die UVP-Pflicht gemäß § 6 erreicht oder überschreitet oder - 2.
die allgemeine Vorprüfung ergibt, dass durch das hinzutretende Vorhaben zusätzliche erhebliche nachteilige oder andere erhebliche Umweltauswirkungen hervorgerufen werden können.
(2) Wenn für das frühere Vorhaben zum Zeitpunkt der Antragstellung für das hinzutretende kumulierende Vorhaben noch keine Zulassungsentscheidung getroffen worden ist, so ist für den Fall, dass für das frühere Vorhaben allein keine UVP-Pflicht besteht und die Antragsunterlagen für dieses Zulassungsverfahren bereits vollständig eingereicht sind, für das hinzutretende kumulierende Vorhaben
- 1.
die Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, wenn die kumulierenden Vorhaben zusammen die maßgeblichen Größen- oder Leistungswerte nach § 6 erreichen oder überschreiten, - 2.
die allgemeine Vorprüfung durchzuführen, wenn die kumulierenden Vorhaben zusammen die Prüfwerte für die allgemeine Vorprüfung erstmals oder erneut erreichen oder überschreiten, oder - 3.
die standortbezogene Vorprüfung durchzuführen, wenn die kumulierenden Vorhaben zusammen die Prüfwerte für die standortbezogene Vorprüfung erstmals oder erneut erreichen oder überschreiten.
(3) Wenn für das frühere Vorhaben zum Zeitpunkt der Antragstellung für das hinzutretende kumulierende Vorhaben noch keine Zulassungsentscheidung getroffen worden ist, so ist für den Fall, dass für das frühere Vorhaben allein keine UVP-Pflicht besteht und die Antragsunterlagen für dieses Zulassungsverfahren noch nicht vollständig eingereicht sind, für die kumulierenden Vorhaben jeweils
- 1.
eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, wenn die kumulierenden Vorhaben zusammen die maßgeblichen Größen- oder Leistungswerte nach § 6 erreichen oder überschreiten, - 2.
eine allgemeine Vorprüfung durchzuführen, wenn die kumulierenden Vorhaben zusammen die Prüfwerte für eine allgemeine Vorprüfung erstmals oder erneut erreichen oder überschreiten, oder - 3.
eine standortbezogene Vorprüfung durchzuführen, wenn die kumulierenden Vorhaben zusammen die Prüfwerte für eine standortbezogene Vorprüfung erstmals oder erneut erreichen oder überschreiten.
(4) Erreichen oder überschreiten in den Fällen des Absatzes 2 oder Absatzes 3 die kumulierenden Vorhaben zwar zusammen die maßgeblichen Größen- oder Leistungswerte nach § 6, werden jedoch für das hinzutretende kumulierende Vorhaben weder der Prüfwert für die standortbezogene Vorprüfung noch der Prüfwert für die allgemeine Vorprüfung erreicht oder überschritten, so besteht für das hinzutretende kumulierende Vorhaben die UVP-Pflicht nur, wenn die allgemeine Vorprüfung ergibt, dass durch sein Hinzutreten zusätzliche erhebliche nachteilige oder andere erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen hervorgerufen werden können. Für die allgemeine Vorprüfung gilt § 7 Absatz 1 und 3 bis 7 entsprechend. Im Fall des Absatzes 3 sind die Sätze 1 und 2 für das frühere Vorhaben entsprechend anzuwenden.
(5) Das frühere Vorhaben und das hinzutretende kumulierende Vorhaben sind in der Vorprüfung für das jeweils andere Vorhaben als Vorbelastung zu berücksichtigen.
(6) Der in den jeweiligen Anwendungsbereich der Richtlinien 85/337/EWG und 97/11/EG fallende, aber vor Ablauf der jeweiligen Umsetzungsfristen erreichte Bestand bleibt hinsichtlich des Erreichens oder Überschreitens der Größen- oder Leistungswerte und der Prüfwerte unberücksichtigt.
(1) Die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b kann verlangt werden, wenn
- 1.
eine nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung, nach der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder nach entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften - a)
erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder - b)
erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit
- 2.
eine erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne von § 18 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder im Sinne von § 10 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist oder - 3.
ein anderer Verfahrensfehler vorliegt, der - a)
nicht geheilt worden ist, - b)
nach seiner Art und Schwere mit den in den Nummern 1 und 2 genannten Fällen vergleichbar ist und - c)
der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen hat; zur Beteiligung am Entscheidungsprozess gehört auch der Zugang zu den Unterlagen, die zur Einsicht für die Öffentlichkeit auszulegen sind.
(1a) Für Verfahrensfehler, die nicht unter Absatz 1 fallen, gilt § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Lässt sich durch das Gericht nicht aufklären, ob ein Verfahrensfehler nach Satz 1 die Entscheidung in der Sache beeinflusst hat, wird eine Beeinflussung vermutet.
(1b) Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften führt nur dann zur Aufhebung der Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b oder 5, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. Unberührt bleiben
- 1.
§ 45 Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes sowie - 2.
§ 75 Absatz 1a des Verwaltungsverfahrensgesetzes und andere entsprechende Rechtsvorschriften zur Planerhaltung.
(2) Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Beschlüsse im Sinne des § 2 Absatz 6 Nummer 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung sind, gelten abweichend von den Absätzen 1 bis 1b die §§ 214 und 215 und die diesbezüglichen Überleitungsvorschriften des Baugesetzbuchs sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(3) Die Absätze 1 bis 2 gelten für Rechtsbehelfe von
- 1.
Personen gemäß § 61 Nummer 1 der Verwaltungsgerichtsordnung und Vereinigungen gemäß § 61 Nummer 2 der Verwaltungsgerichtsordnung sowie - 2.
Vereinigungen, die die Anforderungen des § 3 Absatz 1 oder des § 2 Absatz 2 erfüllen.
(4) Für Rechtsbehelfe von Vereinigungen nach Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 gegen Entscheidungen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 sind die Absätze 1 bis 2 entsprechend anzuwenden. Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Raumordnungspläne nach dem Raumordnungsgesetz sind, gelten abweichend von Satz 1 die §§ 11 und 27 Absatz 2 des Raumordnungsgesetzes sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(5) Für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3, 5 und 6 gelten bei Verfahrensfehlern die jeweiligen fachrechtlichen Regelungen sowie die Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes.
(1) Das Genehmigungsverfahren setzt einen schriftlichen oder elektronischen Antrag voraus. Dem Antrag sind die zur Prüfung nach § 6 erforderlichen Zeichnungen, Erläuterungen und sonstigen Unterlagen beizufügen. Reichen die Unterlagen für die Prüfung nicht aus, so hat sie der Antragsteller auf Verlangen der zuständigen Behörde innerhalb einer angemessenen Frist zu ergänzen. Erfolgt die Antragstellung elektronisch, kann die zuständige Behörde Mehrfertigungen sowie die Übermittlung der dem Antrag beizufügenden Unterlagen auch in schriftlicher Form verlangen.
(1a) Der Antragsteller, der beabsichtigt, eine Anlage nach der Industrieemissions-Richtlinie zu betreiben, in der relevante gefährliche Stoffe verwendet, erzeugt oder freigesetzt werden, hat mit den Unterlagen nach Absatz 1 einen Bericht über den Ausgangszustand vorzulegen, wenn und soweit eine Verschmutzung des Bodens oder des Grundwassers auf dem Anlagengrundstück durch die relevanten gefährlichen Stoffe möglich ist. Die Möglichkeit einer Verschmutzung des Bodens oder des Grundwassers besteht nicht, wenn auf Grund der tatsächlichen Umstände ein Eintrag ausgeschlossen werden kann.
(2) Soweit Unterlagen Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse enthalten, sind die Unterlagen zu kennzeichnen und getrennt vorzulegen. Ihr Inhalt muss, soweit es ohne Preisgabe des Geheimnisses geschehen kann, so ausführlich dargestellt sein, dass es Dritten möglich ist, zu beurteilen, ob und in welchem Umfang sie von den Auswirkungen der Anlage betroffen werden können.
(3) Sind die Unterlagen des Antragstellers vollständig, so hat die zuständige Behörde das Vorhaben in ihrem amtlichen Veröffentlichungsblatt und außerdem entweder im Internet oder in örtlichen Tageszeitungen, die im Bereich des Standortes der Anlage verbreitet sind, öffentlich bekannt zu machen. Der Antrag und die vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen, mit Ausnahme der Unterlagen nach Absatz 2 Satz 1, sowie die entscheidungserheblichen Berichte und Empfehlungen, die der Behörde im Zeitpunkt der Bekanntmachung vorliegen, sind nach der Bekanntmachung einen Monat zur Einsicht auszulegen. Weitere Informationen, die für die Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens von Bedeutung sein können und die der zuständigen Behörde erst nach Beginn der Auslegung vorliegen, sind der Öffentlichkeit nach den Bestimmungen über den Zugang zu Umweltinformationen zugänglich zu machen. Bis zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist kann die Öffentlichkeit gegenüber der zuständigen Behörde schriftlich oder elektronisch Einwendungen erheben; bei Anlagen nach der Industrieemissions-Richtlinie gilt eine Frist von einem Monat. Mit Ablauf der Einwendungsfrist sind für das Genehmigungsverfahren alle Einwendungen ausgeschlossen, die nicht auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen. Einwendungen, die auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen, sind auf den Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten zu verweisen.
(3a) Nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz anerkannte Vereinigungen sollen die zuständige Behörde in einer dem Umweltschutz dienenden Weise unterstützen.
(4) In der Bekanntmachung nach Absatz 3 Satz 1 ist
- 1.
darauf hinzuweisen, wo und wann der Antrag auf Erteilung der Genehmigung und die Unterlagen zur Einsicht ausgelegt sind; - 2.
dazu aufzufordern, etwaige Einwendungen bei einer in der Bekanntmachung zu bezeichnenden Stelle innerhalb der Einwendungsfrist vorzubringen; dabei ist auf die Rechtsfolgen nach Absatz 3 Satz 5 hinzuweisen; - 3.
ein Erörterungstermin zu bestimmen und darauf hinzuweisen, dass er auf Grund einer Ermessensentscheidung der Genehmigungsbehörde nach Absatz 6 durchgeführt wird und dass dann die formgerecht erhobenen Einwendungen auch bei Ausbleiben des Antragstellers oder von Personen, die Einwendungen erhoben haben, erörtert werden; - 4.
darauf hinzuweisen, dass die Zustellung der Entscheidung über die Einwendungen durch öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden kann.
(5) Die für die Erteilung der Genehmigung zuständige Behörde (Genehmigungsbehörde) holt die Stellungnahmen der Behörden ein, deren Aufgabenbereich durch das Vorhaben berührt wird. Hat eine zu beteiligende Behörde bei einem Verfahren zur Genehmigung einer Anlage zur Nutzung erneuerbarer Energien innerhalb einer Frist von einem Monat keine Stellungnahme abgegeben, so ist davon auszugehen, dass die beteiligte Behörde sich nicht äußern will. Die zuständige Behörde hat die Entscheidung in diesem Fall auf Antrag auf der Grundlage der geltenden Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Ablaufs der Monatsfrist zu treffen. Soweit für das Vorhaben selbst oder für weitere damit unmittelbar in einem räumlichen oder betrieblichen Zusammenhang stehende Vorhaben, die Auswirkungen auf die Umwelt haben können und die für die Genehmigung Bedeutung haben, eine Zulassung nach anderen Gesetzen vorgeschrieben ist, hat die Genehmigungsbehörde eine vollständige Koordinierung der Zulassungsverfahren sowie der Inhalts- und Nebenbestimmungen sicherzustellen.
(5a) Betrifft das Vorhaben eine Anlage, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie (EU) 2018/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen (Neufassung) (ABl. L 328 vom 21.12.2018, S. 82) fällt, gilt ergänzend Folgendes:
- 1.
Auf Antrag des Trägers des Vorhabens wird das Genehmigungsverfahren sowie alle sonstigen Zulassungsverfahren, die für die Durchführung des Vorhabens nach Bundes- oder Landesrecht erforderlich sind, über eine einheitliche Stelle abgewickelt. - 2.
Die einheitliche Stelle nach Nummer 1 stellt ein Verfahrenshandbuch für Träger von Vorhaben bereit und macht diese Informationen auch im Internet zugänglich. Dabei geht sie gesondert auch auf kleinere Vorhaben und Vorhaben zur Eigenversorgung mit Elektrizität ein, soweit sich das Genehmigungserfordernis nach § 1 Absatz 2 der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen darauf erstreckt. In den im Internet veröffentlichten Informationen weist die einheitliche Stelle auch darauf hin, für welche Vorhaben sie zuständig ist und welche weiteren einheitlichen Stellen im jeweiligen Land für Vorhaben nach Satz 1 zuständig sind. - 3.
Die zuständige und die zu beteiligenden Behörden sollen die zur Prüfung des Antrags zusätzlich erforderlichen Unterlagen in einer einmaligen Mitteilung an den Antragsteller zusammenfassen. Nach Eingang der vollständigen Antragsunterlagen erstellt die Genehmigungsbehörde einen Zeitplan für das weitere Verfahren und teilt diesen Zeitplan in den Fällen der Nummer 1 der einheitlichen Stelle, andernfalls dem Antragsteller mit.
(6) Nach Ablauf der Einwendungsfrist kann die Genehmigungsbehörde die rechtzeitig gegen das Vorhaben erhobenen Einwendungen mit dem Antragsteller und denjenigen, die Einwendungen erhoben haben, erörtern.
(6a) Über den Genehmigungsantrag ist nach Eingang des Antrags und der nach Absatz 1 Satz 2 einzureichenden Unterlagen innerhalb einer Frist von sieben Monaten, in vereinfachten Verfahren innerhalb einer Frist von drei Monaten, zu entscheiden. Die zuständige Behörde kann die Frist um jeweils drei Monate verlängern, wenn dies wegen der Schwierigkeit der Prüfung oder aus Gründen, die dem Antragsteller zuzurechnen sind, erforderlich ist. Die Fristverlängerung soll gegenüber dem Antragsteller begründet werden.
(7) Der Genehmigungsbescheid ist schriftlich zu erlassen, schriftlich zu begründen und dem Antragsteller und den Personen, die Einwendungen erhoben haben, zuzustellen. Er ist, soweit die Zustellung nicht nach Absatz 8 erfolgt, öffentlich bekannt zu machen. Die öffentliche Bekanntmachung erfolgt nach Maßgabe des Absatzes 8.
(8) Die Zustellung des Genehmigungsbescheids an die Personen, die Einwendungen erhoben haben, kann durch öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden. Die öffentliche Bekanntmachung wird dadurch bewirkt, dass der verfügende Teil des Bescheides und die Rechtsbehelfsbelehrung in entsprechender Anwendung des Absatzes 3 Satz 1 bekannt gemacht werden; auf Auflagen ist hinzuweisen. In diesem Fall ist eine Ausfertigung des gesamten Bescheides vom Tage nach der Bekanntmachung an zwei Wochen zur Einsicht auszulegen. In der öffentlichen Bekanntmachung ist anzugeben, wo und wann der Bescheid und seine Begründung eingesehen und nach Satz 6 angefordert werden können. Mit dem Ende der Auslegungsfrist gilt der Bescheid auch gegenüber Dritten, die keine Einwendung erhoben haben, als zugestellt; darauf ist in der Bekanntmachung hinzuweisen. Nach der öffentlichen Bekanntmachung können der Bescheid und seine Begründung bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist von den Personen, die Einwendungen erhoben haben, schriftlich oder elektronisch angefordert werden.
(8a) Unbeschadet der Absätze 7 und 8 sind bei Anlagen nach der Industrieemissions-Richtlinie folgende Unterlagen im Internet öffentlich bekannt zu machen:
- 1.
der Genehmigungsbescheid mit Ausnahme in Bezug genommener Antragsunterlagen und des Berichts über den Ausgangszustand sowie - 2.
die Bezeichnung des für die betreffende Anlage maßgeblichen BVT-Merkblatts.
(9) Die Absätze 1 bis 8 gelten entsprechend für die Erteilung eines Vorbescheides.
(10) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Genehmigungsverfahren zu regeln; in der Rechtsverordnung kann auch das Verfahren bei Erteilung einer Genehmigung im vereinfachten Verfahren (§ 19) sowie bei der Erteilung eines Vorbescheides (§ 9), einer Teilgenehmigung (§ 8) und einer Zulassung vorzeitigen Beginns (§ 8a) geregelt werden. In der Verordnung ist auch näher zu bestimmen, welchen Anforderungen das Genehmigungsverfahren für Anlagen genügen muss, für die nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist.
(11) Das Bundesministerium der Verteidigung wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Genehmigungsverfahren für Anlagen, die der Landesverteidigung dienen, abweichend von den Absätzen 1 bis 9 zu regeln.
(1) Die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b kann verlangt werden, wenn
- 1.
eine nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung, nach der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder nach entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften - a)
erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder - b)
erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit
- 2.
eine erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne von § 18 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder im Sinne von § 10 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist oder - 3.
ein anderer Verfahrensfehler vorliegt, der - a)
nicht geheilt worden ist, - b)
nach seiner Art und Schwere mit den in den Nummern 1 und 2 genannten Fällen vergleichbar ist und - c)
der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen hat; zur Beteiligung am Entscheidungsprozess gehört auch der Zugang zu den Unterlagen, die zur Einsicht für die Öffentlichkeit auszulegen sind.
(1a) Für Verfahrensfehler, die nicht unter Absatz 1 fallen, gilt § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Lässt sich durch das Gericht nicht aufklären, ob ein Verfahrensfehler nach Satz 1 die Entscheidung in der Sache beeinflusst hat, wird eine Beeinflussung vermutet.
(1b) Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften führt nur dann zur Aufhebung der Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b oder 5, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. Unberührt bleiben
- 1.
§ 45 Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes sowie - 2.
§ 75 Absatz 1a des Verwaltungsverfahrensgesetzes und andere entsprechende Rechtsvorschriften zur Planerhaltung.
(2) Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Beschlüsse im Sinne des § 2 Absatz 6 Nummer 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung sind, gelten abweichend von den Absätzen 1 bis 1b die §§ 214 und 215 und die diesbezüglichen Überleitungsvorschriften des Baugesetzbuchs sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(3) Die Absätze 1 bis 2 gelten für Rechtsbehelfe von
- 1.
Personen gemäß § 61 Nummer 1 der Verwaltungsgerichtsordnung und Vereinigungen gemäß § 61 Nummer 2 der Verwaltungsgerichtsordnung sowie - 2.
Vereinigungen, die die Anforderungen des § 3 Absatz 1 oder des § 2 Absatz 2 erfüllen.
(4) Für Rechtsbehelfe von Vereinigungen nach Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 gegen Entscheidungen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 sind die Absätze 1 bis 2 entsprechend anzuwenden. Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Raumordnungspläne nach dem Raumordnungsgesetz sind, gelten abweichend von Satz 1 die §§ 11 und 27 Absatz 2 des Raumordnungsgesetzes sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(5) Für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3, 5 und 6 gelten bei Verfahrensfehlern die jeweiligen fachrechtlichen Regelungen sowie die Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes.
Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
(1) Die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b kann verlangt werden, wenn
- 1.
eine nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung, nach der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder nach entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften - a)
erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder - b)
erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit
- 2.
eine erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne von § 18 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder im Sinne von § 10 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist oder - 3.
ein anderer Verfahrensfehler vorliegt, der - a)
nicht geheilt worden ist, - b)
nach seiner Art und Schwere mit den in den Nummern 1 und 2 genannten Fällen vergleichbar ist und - c)
der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen hat; zur Beteiligung am Entscheidungsprozess gehört auch der Zugang zu den Unterlagen, die zur Einsicht für die Öffentlichkeit auszulegen sind.
(1a) Für Verfahrensfehler, die nicht unter Absatz 1 fallen, gilt § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Lässt sich durch das Gericht nicht aufklären, ob ein Verfahrensfehler nach Satz 1 die Entscheidung in der Sache beeinflusst hat, wird eine Beeinflussung vermutet.
(1b) Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften führt nur dann zur Aufhebung der Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b oder 5, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. Unberührt bleiben
- 1.
§ 45 Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes sowie - 2.
§ 75 Absatz 1a des Verwaltungsverfahrensgesetzes und andere entsprechende Rechtsvorschriften zur Planerhaltung.
(2) Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Beschlüsse im Sinne des § 2 Absatz 6 Nummer 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung sind, gelten abweichend von den Absätzen 1 bis 1b die §§ 214 und 215 und die diesbezüglichen Überleitungsvorschriften des Baugesetzbuchs sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(3) Die Absätze 1 bis 2 gelten für Rechtsbehelfe von
- 1.
Personen gemäß § 61 Nummer 1 der Verwaltungsgerichtsordnung und Vereinigungen gemäß § 61 Nummer 2 der Verwaltungsgerichtsordnung sowie - 2.
Vereinigungen, die die Anforderungen des § 3 Absatz 1 oder des § 2 Absatz 2 erfüllen.
(4) Für Rechtsbehelfe von Vereinigungen nach Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 gegen Entscheidungen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 sind die Absätze 1 bis 2 entsprechend anzuwenden. Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Raumordnungspläne nach dem Raumordnungsgesetz sind, gelten abweichend von Satz 1 die §§ 11 und 27 Absatz 2 des Raumordnungsgesetzes sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(5) Für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3, 5 und 6 gelten bei Verfahrensfehlern die jeweiligen fachrechtlichen Regelungen sowie die Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes.
Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
(1) Die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b kann verlangt werden, wenn
- 1.
eine nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung, nach der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder nach entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften - a)
erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder - b)
erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit
- 2.
eine erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne von § 18 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder im Sinne von § 10 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist oder - 3.
ein anderer Verfahrensfehler vorliegt, der - a)
nicht geheilt worden ist, - b)
nach seiner Art und Schwere mit den in den Nummern 1 und 2 genannten Fällen vergleichbar ist und - c)
der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen hat; zur Beteiligung am Entscheidungsprozess gehört auch der Zugang zu den Unterlagen, die zur Einsicht für die Öffentlichkeit auszulegen sind.
(1a) Für Verfahrensfehler, die nicht unter Absatz 1 fallen, gilt § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Lässt sich durch das Gericht nicht aufklären, ob ein Verfahrensfehler nach Satz 1 die Entscheidung in der Sache beeinflusst hat, wird eine Beeinflussung vermutet.
(1b) Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften führt nur dann zur Aufhebung der Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b oder 5, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. Unberührt bleiben
- 1.
§ 45 Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes sowie - 2.
§ 75 Absatz 1a des Verwaltungsverfahrensgesetzes und andere entsprechende Rechtsvorschriften zur Planerhaltung.
(2) Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Beschlüsse im Sinne des § 2 Absatz 6 Nummer 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung sind, gelten abweichend von den Absätzen 1 bis 1b die §§ 214 und 215 und die diesbezüglichen Überleitungsvorschriften des Baugesetzbuchs sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(3) Die Absätze 1 bis 2 gelten für Rechtsbehelfe von
- 1.
Personen gemäß § 61 Nummer 1 der Verwaltungsgerichtsordnung und Vereinigungen gemäß § 61 Nummer 2 der Verwaltungsgerichtsordnung sowie - 2.
Vereinigungen, die die Anforderungen des § 3 Absatz 1 oder des § 2 Absatz 2 erfüllen.
(4) Für Rechtsbehelfe von Vereinigungen nach Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 gegen Entscheidungen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 sind die Absätze 1 bis 2 entsprechend anzuwenden. Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Raumordnungspläne nach dem Raumordnungsgesetz sind, gelten abweichend von Satz 1 die §§ 11 und 27 Absatz 2 des Raumordnungsgesetzes sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(5) Für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3, 5 und 6 gelten bei Verfahrensfehlern die jeweiligen fachrechtlichen Regelungen sowie die Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes.
(1) Eine nach § 3 anerkannte inländische oder ausländische Vereinigung kann, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen einlegen, wenn die Vereinigung
- 1.
geltend macht, dass eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften, die für die Entscheidung von Bedeutung sein können, widerspricht, - 2.
geltend macht, in ihrem satzungsgemäßen Aufgabenbereich der Förderung der Ziele des Umweltschutzes durch die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 oder deren Unterlassen berührt zu sein, und - 3.
im Falle eines Verfahrens nach - a)
§ 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b zur Beteiligung berechtigt war; - b)
§ 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 zur Beteiligung berechtigt war und sie sich hierbei in der Sache gemäß den geltenden Rechtsvorschriften geäußert hat oder ihr entgegen den geltenden Rechtsvorschriften keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden ist.
(2) Eine Vereinigung, die nicht nach § 3 anerkannt ist, kann einen Rechtsbehelf nach Absatz 1 nur dann einlegen, wenn
- 1.
sie bei Einlegung des Rechtsbehelfs die Voraussetzungen für eine Anerkennung erfüllt, - 2.
sie einen Antrag auf Anerkennung gestellt hat und - 3.
über eine Anerkennung aus Gründen, die von der Vereinigung nicht zu vertreten sind, noch nicht entschieden ist.
(3) Ist eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 nach den geltenden Rechtsvorschriften weder öffentlich bekannt gemacht noch der Vereinigung bekannt gegeben worden, so müssen Widerspruch oder Klage binnen eines Jahres erhoben werden, nachdem die Vereinigung von der Entscheidung Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können. Widerspruch oder Klage gegen eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 oder 6 müssen jedoch spätestens binnen zweier Jahre, nachdem der Verwaltungsakt erteilt wurde, erhoben werden. Satz 1 gilt entsprechend, wenn eine Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 entgegen geltenden Rechtsvorschriften nicht getroffen worden ist und die Vereinigung von diesem Umstand Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können.
(4) Rechtsbehelfe nach Absatz 1 sind begründet, soweit
- 1.
die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und 2 oder deren Unterlassen gegen Rechtsvorschriften verstößt, die für diese Entscheidung von Bedeutung sind, oder - 2.
die Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2a bis 6 oder deren Unterlassen gegen umweltbezogene Rechtsvorschriften verstößt, die für diese Entscheidung von Bedeutung sind,
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
G l i e d e r u n g
2T a t b e s t a n d…………………………………………………………….…………..7
3E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e…………………………………………………….49
4A. Zulässigkeit……………………………………………………….………………….49
5B. Begründetheit…………………………………………………….………………….51
6I. Vorbescheid………………………………………………………….…………….51
71. Rechtsgrundlagen…………………………………………………………...52
82. Immissionsschutzrecht……………………………………………………...55
9a) Rechtsgrundlagen………………………………………………………..55
10b) Plausibilität der Immissionsprognose………………………………….59
11aa) Volllastbetrieb als ungünstigster Betriebszustand……………….59
12bb) Diffuse Quellen………………………………………………………60
13cc) Emissionen…………………………………………………………...61
14(1) Transferfaktoren…………………………………………………61
15(2) Elementares und oxidiertes Quecksilber…………………..…61
16(3) Emissionswerte……………………………………………….…62
17(4) Emissionsmassenströme……………………………………… 63
18(5) Überwachung der festgelegten Emissionen………………….63
19(6) Hilfsdampferzeugungsanlage………………………………….63
20dd) Ausbreitungsrechnung……………………………………………...64
21(1) Durchmischung von Rauchgas und Kühlturmabluft………...64
22(2) Abgasvolumenstrom………………………….…………………65
23(3) Austrittstemperatur und -geschwindigkeit………………….…65
24(4) Abluftfahnenüberhöhung……………………………………….66
25(5) Depositionsgeschwindigkeit bei Quecksilber und Ammoniak 66
26(6) Nasse Deposition von Quecksilber……………………………67
27(7) Synthetische Windrosen………………………………………..67
28(8) Meteorologische Messdaten…………………………………...67
29(9) Niederschlagszeitreihe………………………………………….69
30(10) Gebäudeeinflüsse……………………………………………..70
31(11) Statistische Unsicherheit……………...……………………...70
32(12) Gefasste Kleinquellen…………………………………………71
33(13) Ableitung über Kühlturm ……………………………………..71
34c) Luftverunreinigungen…………………………………………………….72
35aa) Irrelevanzschwelle nach Nr. 4.2.2 TA Luft………………………..72
36bb) Irrelevanzschwelle nach Nr. 4.3.2 TA Luft………………………..76
37cc) Irrelevanzschwelle nach Nr. 4.4.3 TA Luft………………………..77
38dd) Irrelevanzschwelle nach Nr. 4.5.2 TA Luft………………………..77
39ee) Schadstoffe ohne Immissionswerte in der TA Luft………………78
40d) Freisetzung radioaktiver Stoffe…………………………………………82
41e) Anlagensicherheit (Störfallverordnung)………………………………..83
42aa) Erweiterte Betreiberpflichten ………………………………………84
43bb) Grundpflichten ………………………………………………………84
44(1) Ammoniaklager………………………………………………….86
45(2) Entladung der Bahnwaggons…………………………………..88
46(3) Gasleitung………………………………………………………..88
47(4) Brandgefahr……………………………………………………...88
48(5) Ungewöhnliche Naturereignisse……………………………….89
49(6) Gefahren durch Eingriffe Unbefugter………………………….89
50cc) Sonstige Anforderungen…………………………………………….90
513. (Bau-)Planungsrecht………………………………………………………..90
52a) Wirksamkeit des Bebauungsplans……………………………………..91
53aa) Anpassungsgebot des § 1 Abs. 4 BauGB………………………..91
54(1) Landesentwicklungsplan NRW………………………………..92
55(2) Regionalplan 2004……………………………………………...95
56(3) Gebietsentwicklungsplan 1984/88…………………………….96
57bb) Entwicklungsgebot des § 8 Abs. 2 BauGB……………………….96
58cc) Abwägungsgebot…………………………………………………….97
59(1) Keine Abwägungsmängel………………………………………97
60(2) Unbeachtlichkeit von Abwägungsmängeln………………….101
61dd) Funktionslosigkeit des Bebauungsplans………………………...101
62ee) Umweltprüfungen…………………………………………………..103
63(1) Keine Pflicht bei Planaufstellung……………………………..103
64(a) Strategische Umweltprüfung…………………………….103
65(b) Umweltverträglichkeitsprüfung…………………………..104
66(c) FFH-Verträglichkeitsprüfung……………………………..105
67(2) Keine nachträgliche Pflicht aus Unionsrecht………………..105
68ff) Kein weitergehendes Planungserfordernis……………………….108
69b) Vereinbarkeit des Vorhabens mit Bebauungsplan………………….111
70aa) Art der baulichen Nutzung………………………………………..110
71bb) Befreiungen nach § 31 Abs. 2 BauGB…………………………..112
72(1) Maß der baulichen Nutzung…………………………………..112
73(2) Baugrenzen………………………………….…………………113
744. Artenschutzrecht…………………………………………………………..114
755. Umweltverträglichkeitsprüfung……………………………………………114
766. FFH-Verträglichkeitsprüfung……………………………………………...117
77a) Prüfungsmaßstab……………………………………………………….117
78aa) Projektbegriff……………………………………………………….118
79bb) „Erhebliche Beeinträchtigungen“…………………………………119
80(1) Allgemeiner Maßstab………………………………………….120
81(2) Vorsorgeprinzip………………………………………………...121
82cc) Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten………..125
83(1) Grundsatz………………………………………………………125
84(2) Konkretisierung………………………………………………...126
85(a) Prioritätsprinzip…………………………………………....126
86(b) „Prüffähiger Antrag“ maßgebend………………………..128
87(c) Gesicherte Vorrangstellung………………………………130
88(d) Vorrangstellung bei Drittanfechtung…………………….131
89(e) Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt……………………131
90(f) Kompensationen…………………………………………..132
91dd) Erheblichkeitsschwelle…………………………………………….132
92ee) Konzept der Critical Loads………………………………………..135
93(1) UN-ECE-Luftreinhaltekonvention…………………………….135
94(2) Naturwissenschaftlich begründete Belastungsgrenzen……135
95(3) Ermittlungsarten………………………………………………..136
96(a) Dynamische Modelle (DECOMP)……………………….136
97(b) Steady-State-Ansatz (SMB)……………………………..136
98(c) BERN-Modell/Critical Limits……………………………...137
99(d) Sonderfallprüfung ……………………………………..….139
100(e) BASt-Bericht……………………………………………….140
101(f) Grundsätzliche Eignung der CL………………………….141
102ff) Bagatellschwelle…………………………………………………….144
103gg) Abschneidekriterium……………………………………………….147
104(1) BASt-Bericht……………………………………………………147
105(2) LANUV………………………………………………………….148
106(3) BVerwG…………………………………………………………149
107(4) Literatur…………………………………………………………150
108(5) Beteiligte………………………………………………………..151
109(6) Zulässigkeit und Rechtfertigung des Abschneidekriteriums 151
110(a) Abgrenzung des Untersuchungsraums…………………152
111(b) Rechtliche Zurechnung/Verhältnismäßigkeits-
112grundsatz…………………………………………………...152
113(7) Schutzgutbezogene Festlegung……………………………...152
114(8) Abschneidekriterium: 0,5 % des CL………………………….153
115(a) BASt-Wert zu hoch………………………………………..154
116(b) Kritik des LANUV…………………………………………..155
117(c) Anbindung an konkrete Lebensraumtypen……………..155
118(d) 0,05 kg N/(ha*a) als untere Grenze……………………..156
119(e) Ausnahmevorbehalt……………………………………….158
120(9) Praktikabilität……………………………………………………158
121(10) Abschneidekriterium bei versauernden Einträgen………..159
122hh) Abweichungsprüfung………………………………………………161
123b) Subsumtion……………………………………………………………...161
124aa) Erhaltungsziele der betroffenen Schutzgebiete…………………161
125(1) Wälder bei Cappenberg……………………………………….162
126(2) Lippeauen…………………………………………….…………163
127bb) Keine erheblichen Beeinträchtigungen…………………………..164
128(1) Größe des Rechengebiets…………………………………….165
129(2) Untersuchungsrahmen………………………………………..166
130(a) Abschneidewerte für eutrophierende und versauernde
131Einträge…………………………………………………….166
132(b) Abschneidewerte für Schwermetalldepositionen……...166
133(c) Abschneidewerte für Luftschadstoffe…………………..168
134(3) Auswahl der Beurteilungspunkte…………………………….170
135(4) CL für eutrophierende Stickstoffeinträge……………………171
136(5) CL für versauernde Stickstoff- und Schwefeleinträge……..172
137(a) Austrag basischer Kationen mit der Nutzung………….173
138(b) Stickstoff-Immobilisierungsrate u. a…………………….173
139(c) Niederschlagsmenge u. a………………………………..174
140(d) Indikatorgesellschaften…………………………………..175
141(e) Depositionen von basischen Kationen und Chlorid
142(Korrekturbedarf)………………………………………….176
143(f) Verwitterungsrate basischer Kationen (Korrekturbedarf)………………………………………….178
144(g) Keine irreversible Schädigung der Böden……………...179
145(h) Kein Einfluss durch Kalkung……………………………..182
146(i) CL des PINETI-Vorhabens………………………………..182
147(j) Korrigierte CL……………………………………………….183
148(6) Vorbelastung…………………………………………………...184
149(7) Summationsbetrachtung/Prioritätsprinzip………………...…185
150(a) Kraftwerk Datteln 4………………………………………..186
151(b) Tierhaltungsanlagen………………………………………187
152(c) Steag-Kraftwerk Herne Block 5………………………….188
153(d) B. AG Lünen……………………………….………………188
154(e) Biomassekraftwerk Lünen………………………………..189
155(f) Sonstige Projekte………………………………………….189
156(8) Teilweise Überschreitung der Bagatellschwellen…………..190
157(a) Ausbreitungsrechnungen………………………………...191
158(b) Datteln 1-3…………………………………………………193
159(c) Depositionsgeschwindigkeit für SO2…………………….193
160(d) Ausfälle der Rauchgasreinigungsanlage…………….….194 (e) Ammoniakemissionsfaktoren der Tierhaltungs-
161anlagen…..………………………………………………...195
162(f) Eutrophierende Stickstoffdepositionen (Ergebnis)……..195
163(g) Versauernde Stoffeinträge (Ergebnis)…………………..197
164(9) Sonderfallprüfung……………………………………………...200
165(a) Überwiegend günstiger Erhaltungszustand der
166Lebensraumtypen………………………………………...201
167(b) Besonderheiten des Standorts…………………………..202
168(aa) Hydroregime…………………………………………202
169(bb) Basenpumpe………………………………………...205
170(c) Keine Beeinträchtigung durch zusätzliche
171Säuredeposition…………………………………………...213
172(10) Aquatische Lebensraumtypen……………………………...214
173(11) Radioaktive Immissionen……………………………………216
1747. Wasserrecht………………………………………………………………..216
175a) Direkter Schadstoffeintrag in die Lippe über den Wasserpfad…….217
176b) Indirekter Schadstoffeintrag in die Lippe über den Luftpfad……….223
177c) Abwasserbehandlungsanlage…………………………………………225
1788. Berechtigtes Interesse an Vorbescheidserteilung……………………...226
179II. Erste und siebte Teilgenehmigung……………………………………………226
180S t r e i t w e r t b e s c h l u s s……………………………………………………..228
181T a t b e s t a n d :
182Der Kläger, ein seit 1981 anerkannter Naturschutzverein, begehrt die Aufhebung des Vorbescheids vom 20. November 2013, der 1. Teilgenehmigung vom 21. November 2013 und der 7. Teilgenehmigung vom 22. November 2013 für den Neubau eines Steinkohlekraftwerks in Lünen auf einer ehemaligen Industriebrache am Datteln-Hamm-Kanal. Das Kraftwerk wurde zwischenzeitlich errichtet und läuft seit dem 1. Januar 2014 im Regelbetrieb.
183Der Landesentwicklungsplan NRW 1995 enthält für den Vorhabenbereich keine planungsrechtlichen Aussagen. Im Gebietsentwicklungsplan für den Regierungsbezirk Arnsberg, Teilabschnitt Dortmund-Unna-Hamm aus dem Jahr 1984 ist ein den Vorhabenstandort einschließender, größerer Gewerbe- und Industrieansiedlungsbereich ausgewiesen, versehen mit dem Piktogramm „konventionelles Kraftwerk“ am Standort des Steag-Kraftwerks Lünen. In ähnlicher Weise ist im Regionalplan für den Regierungsbezirk Arnsberg, Teilabschnitt Oberbereich Dortmund, westlicher Teil (Dortmund/Kreis Hamm) aus dem Jahr 2004 der Bereich als Teil eines auch die Standorte der Fa. S. und des Steag-Kraftwerks Lünen umfassenden Gewerbe- und Industrieansiedlungsgebiets (GIB) mit der Zusatzsignatur "Kraftwerke und einschlägige Nebenbetriebe" ausgewiesen. Im Flächennutzungsplan der Stadt Lünen ist die Standortfläche als Industriegebiet (GI) dargestellt. Der Bebauungsplan Nr. 80 „Stummhafen“ ist in der Fassung der 1. Änderung vom 19. März 1983 in Kraft. Danach sind Anlagen ab Abstandsklasse III des Abstandserlasses 1974 zulässig.
184Das Kraftwerk soll auf der Basis von Steinkohle unterschiedlicher Qualität bei einer Feuerungswärmeleistung von bis zu 1.705 MW und einer elektrischen Leistung von 750 MWnetto im Wesentlichen - ganzjährig und im Dreischichtbetrieb - Strom erzeugen. Die erzeugte elektrische Energie wird in das Hochspannungs-Verbundnetz eingespeist. Ohne Berücksichtigung einer Fernwärmeauskopplung beträgt der elektrische Wirkungsgrad des Kraftwerks 45,6 %. Das Rauchgas soll nach Reinigung in einer mehrstufigen Rauchgasbehandlungsanlage auf ca. 51 m Höhe über ein Rohr zentrisch in den 160 m hohen Kühlturm eingeleitet und mit dem Kühlturmschwaden abgeleitet werden.
185Die beantragten Emissionsgrenzwerte entsprechen mindestens den Anforderungen der 13. BImSchV in der ab dem 2. Mai 2013 geltenden Fassung, die Jahresemissionsfrachten der Luftschadstoffe Stickstoffoxide und Schwefeloxide sollen auf 85 % der rechnerischen Jahresemissionsfrachten bei 8.760 Vollastbetriebsstunden pro Jahr abgesenkt werden.
186Die Abwässer aus der Kühlturmabflut und der Rauchgasentschwefelungsanlage (REA) - letztere nach Reinigung in einer Abwasserbehandlungsanlage - sollen ca. 1 km flussaufwärts über eine Abwasserleitung des Stadtbetriebs Abwasserbeseitigung Lünen AöR (SAL) im Bereich des FFH-Gebiets DE-4314-302 („Teilabschnitte Lippe - Unna, Soest, Warendorf“) in die Lippe eingeleitet werden.
187Die Kohleanlieferung soll durch die n. Kohlenstäube GmbH (im Folgenden: n.) erfolgen, die südlich des Kraftwerksgeländes als Rechtsnachfolgerin der Stadthafen Lünen GmbH den Stummhafen und eine Kohleaufbereitungsanlage betreibt. Die Kohle wird am Übergabepunkt des Kraftwerks über geschlossene Förderbandanlagen in eines von zwei geschlossenen Kohlesilos übergeben. Das Transportbandsystem innerhalb des Kraftwerks soll ebenfalls geschlossen ausgeführt werden. N. wurde zuletzt am 25. Mai 2011 eine immissionsschutzrechtliche Änderungsgenehmigung erteilt, die die Erweiterung des Umschlags von staubenden Gütern, die Erhöhung der Umschlagmasse auf 3 Mio. t/a sowie die Errichtung und den Betrieb einer Verladeanlage für Flugasche umfasst.
188Die 2. Teilgenehmigung vom 14. Oktober 2008 (Baustelleneinrichtung, Gründungsmaßnahmen einschließlich Erstellung der Fundamente und vorbereitende Maßnahmen), die 3. Teilgenehmigung vom 14. Januar 2009, die 4. Teilgenehmigung vom 11. November 2009 und die 5. Teilgenehmigung vom 4. Oktober 2010 (jeweils Durchführung von unterschiedlichen Hoch- und Tiefbaumaßnahmen) sind bestandskräftig. Der Antrag der Beigeladenen vom 8. Oktober 2010 auf Erteilung einer 6. Teilgenehmigung hat eine geänderte Betriebsweise (Absenken des Kühlturmschwadenvolumens und Erhöhung der Rauchgastemperatur) zum Inhalt.
189Auf Klage des Klägers hob der Senat mit rechtskräftigem Urteil vom 1. Dezember 2011 - 8 D 58/08.AK - den auf Antrag der Beigeladenen vom 9. März 2007 erteilten Vorbescheid der Bezirksregierung Arnsberg (Bezirksregierung) zur Feststellung der Genehmigungsfähigkeit des Steinkohlekraftwerks in emissions- und immissionsschutzrechtlicher Hinsicht, aus naturschutzrechtlicher Sicht und zum Standort der Anlage sowie die 1. Teilgenehmigung zur Baustellenfreimachung, Errichtung und Umzäunung des Kraftwerksgeländes jeweils vom 6. Mai 2008 auf. Zur Begründung führte der Senat unter anderem aus, die Verträglichkeit des geplanten Kohlekraftwerks mit den Schutzzwecken des im Einwirkungsbereich liegenden FFH-Schutzgebiets DE-4311-304 „Wälder bei Cappenberg“ könne nicht festgestellt werden. Zwar sei der Untersuchungsraum zutreffend abgegrenzt und die Auswahl der Beurteilungspunkte nicht zu beanstanden. Die zuletzt erfolgte Berechnung höherer lebensraumtypischer Belastungsgrenzen (Critical Loads) für versauernde Stoffeinträge sei jedoch fachlich nicht nachvollziehbar. Da die Vorbelastung die ursprünglich angesetzten Critical Loads an den meisten Beurteilungspunkten übersteige, seien lediglich irrelevante Zusatzbelastungen zulässig. Die eutrophierenden Stickstoffeinträge lägen ausweislich der nach Prioritätsgesichtspunkten durchzuführenden Summationsbetrachtung zwar unterhalb der insoweit maßgeblichen Bagatellgrenze von 3 % der Critical Loads. Die versauernden Einträge lägen jedoch an drei Beurteilungspunkten oberhalb der Bagatellschwelle. Die Einzelfallbetrachtung der Beigeladenen und ihrer Gutachter sei ‑ letztlich aus vergleichbaren Gründen wie die nachträgliche Anhebung der Critical Loads - fachlich nicht ausreichend.
190Am 25. Januar 2012 erklärte die Beigeladene gegenüber der Bezirksregierung, sie begehre weiter einen Vorbescheid und werde die entsprechenden Unterlagen neu vorlegen.
191Die Bezirksregierung und das LANUV verständigten sich bei Dienstbesprechungen am 1. und 6. Februar 2012 darauf, dass die Critical-Loads-Berechnung transparent sein müsse. Aufgrund der Unterschiede zwischen dem modellierten Wert und dem Wert der sog. Berner Liste für den Critical Load des Vegetationstyps Glatthaferwiesen sollten für die Stickstoffeinträge die empirischen Critical Loads des LANUV verwendet werden. Es sei zudem sinnvoll, das betroffene Gebiet zu untersuchen. Das LANUV werde insoweit Vorgaben an die Untersuchungsmethodik und die Kartierungen machen. Als vorhabenbezogene Abschneidekriterien schlage das LANUV für die Stickstoffdeposition einen Wert von 0,1 kg N/(ha*a) vor, für versauernde Einträge einen Wert von 30 eq (N+S)/(ha*a). Einträge in dieser Größenordnung seien empirisch nicht messbar. Die Abschneidekriterien für Schwermetalle würden analog anhand der jeweiligen Messunsicherheit bestimmt. Je nachdem sei - über Isolinien oder über Flächen ‑ nur ein Teil des FFH-Gebiets zu betrachten; Maßstab für die abschließende Beurteilung sei aber das gesamte FFH-Gebiet. Die konkrete Größe des Untersuchungsgebiets werde noch abgestimmt. Die trockene und nasse Stickstoffdeposition und die Säuredeposition sollten mit dem LASAT-Programm nach der TA Luft Anlage 3 und der VDI-Richtlinie 3783 Blatt 13 berechnet werden.
192Unter dem 8. Februar 2012, dem 18. April 2012 und dem 18. Juni 2012 präzisierte das LANUV die methodischen Anforderungen an die insbesondere im FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ erforderlichen Untersuchungen. Die Beurteilungspunkte seien auf der Grundlage eindeutiger und nachvollziehbarer Fachkriterien unter Berücksichtigung der höchsten Zusatzbelastungen auszuwählen. Die Kartierung der FFH-Lebensraumtypen im Erhebungsmaßstab 1:5.000 einschließlich einer Bewertung der Erhaltungszustände und lebensraumtypspezifischer Artenlisten müsse aktualisiert werden. Die Daten seien nach der FFH-Kartieranleitung (Natura 2000) zu erheben, und der Erhaltungszustand nach den Erläuterungen zur Bewertung von FFH- und § 62-Biotoptypen zu bewerten. Weiter müsse eine flächendeckende Bodenkartierung im Maßstab 1:500 nach der bodenkundlichen Kartieranleitung, verbunden mit einer lückenlosen Feldansprache des Carbonatgehalts, erstellt werden. Man benötige Bodenprofilaufnahmen der flächenmäßig repräsentativen Bodenformen einschließlich Bodenprobeentnahme und Laboranalyse. Es müssten mindestens zwei Wurzelprofile für die Buche, eine Vegetationsaufnahme nach der Arbeitsanleitung „Forstliche Standortaufnahme“ und DIN 19686:2012 erstellt und die Bestockungsverhältnisse an den Punkten der Bodenprofilaufnahme erfasst werden.
193Die Bodenproben seien aus den oberen Humusauflagen L und Ol als Mischprobe und aus der Humusschicht Oh sowie aus dem Mineralboden in den Tiefen 0 bis 5 cm, 5 bis 10 cm, 10 bis 30 cm und darunter jeweils als Horizontprobe zu entnehmen.
194Das Rechengebiet für die FFH-Verträglichkeitsprüfung müsse so dimensioniert sein, dass die Isolinien der Abschneidekriterien vollständig darin enthalten seien.
195Die Depositionsgeschwindigkeiten und die Auswaschraten für die nassen Depositionen seien nach der VDI-Richtlinie 3783 Blatt 5 zu bestimmen. Sofern die VDI-Richtlinie oder die TA Luft - wie bei Quecksilber - keine Auswaschraten vorsähen, seien die nassen Depositionen nicht zu berücksichtigen. Für die (trockene) Quecksilberdeposition gelte ein Abschneidekriterium von 10ng/(m2*d). Sie könne mit einem Ansatz von jeweils 50 % elementarem und oxidiertem Quecksilber berechnet werden. Die Abschneidekriterien für die übrigen Schwermetalle lägen bei den Stoffen, für die die TA Luft Grenzwerte vorsehe, sämtlich unterhalb der 5 %-Bagatellschwelle der TA Luft. Für Blei werde der Wert vor diesem Hintergrund von 6 µg/(m2*d) auf 5 µg/(m2*d) abgesenkt.
196Für die erforderliche Berücksichtigung der nassen eutrophierenden und versauernden Deposition müsse eine Niederschlagsreihe erstellt werden. Für die Schwefeldioxideinträge könne nach dem Urteil des OVG NRW abweichend von der VDI-Richtlinie über Wald eine Depositionsgeschwindigkeit von 1,25 cm angesetzt werden.
197Das LANUV nahm unter dem 18. Juli 2012 Stellung zu dem Entwurf einer Immissionsprognose für Luftschadstoffe vom 4. Juni 2012 der N. -BBM GmbH, Kerpen. Die Vorgehensweise, die zu erwartende Reingaskonzentration aus den gegenüber den Unterlagen zur 6. Teilgenehmigung abgesenkten maximalen Schwermetallgehalten in der verfeuerten Kohle (Kohleband) auf Basis der Transferfaktoren aus dem MUNLV-Leitfaden zu ermitteln, sei plausibel; die Werte seien rechnerisch geprüft worden und ebenfalls plausibel. Die Berücksichtigung der Emission von Quecksilber mit einer Aufteilung von je 50 % für elementares Quecksilber und oxidiertes Quecksilber sei unter Berücksichtigung von aktuellen Messergebnissen an vergleichbaren Anlagen plausibel.
198Die Anwendung des Ausbreitungsmodells AUSTAL2000 für die auf der Grundlage dieser Emissionsdaten durchgeführte Ausbreitungsrechnung sei mit der TA-Luft konform. Die Verwendung der meteorologischen Daten der Messstation Lünen-Niederaden aus dem Jahr 2009 sei plausibel. Der Immissionsprognose sei eine Übertragbarkeitsprüfung für diese Messstation beigefügt. Das Rechengebiet mit einer Ausdehnung von mindestens 20 km x 25 km zur Bestimmung der Immissionszusatzbelastung sei sachgerecht, die Wahl der Maschenweiten plausibel. Auch die Berücksichtigung der Abluftfahnenüberhöhung des Kühlturms gemäß Richtlinie VDI 3784 Blatt 2 sei sachgerecht und die Modellierung der Emissionsquelle als horizontale Flächenquelle plausibel. Die Qualitätsstufe von +3 sei sachgerecht. Die angegebenen Emissions- und Immissionswerte seien stichprobenartig mit der Modellrechnung verglichen worden. Es sei festzustellen, dass bei Quecksilber nicht mit dem Jahresmittelwert, sondern mit dem höheren Tagesmittelwert gerechnet worden sei. Die Erläuterungen des Gutachters zu den Schwierigkeiten der Berechnung von Staubniederschlag seien nachvollziehbar. Weitere Einzelheiten dazu seien auch in der Modellbeschreibung von AUSTAL2000 dokumentiert; vor diesem Hintergrund erschienen die Angaben des Gutachters zur Immissionsjahreszusatzbelastung des Staubniederschlags plausibel. Die Berechnung der Quecksilberdeposition sei nachvollziehbar. Gemäß Nr. 9 Abs. 2 des Anhangs 3 der TA Luft sei die statistische Unsicherheit auf den prognostizierten Immissionswert zu beaufschlagen, solange die betrachteten Beurteilungspunkte nicht im Emissionsmaximum lägen. Im Gutachten seien ausschließlich Emissionsmaxima diskutiert worden, die Darstellung ohne Berücksichtigung der statistischen Unsicherheit sei somit sachgerecht. Zusammenfassend sei aus Sicht des LANUV festzustellen, dass die Bestimmung der Immissionszusatzbelastung im Volllastfall nachvollziehbar und plausibel sei.
199Für die gefassten Kleinquellen gelte hinsichtlich der Wahl des Ausbreitungsmodells, der verwendeten meteorologischen Daten, der Wahl der Rauhigkeitslänge, der Festlegung der Anemometerhöhe, der Ausdehnung des Rechengebiets, der Wahl der Maschenweite und der Modellierung der Emissionsquellen sowie der Berücksichtigung der Gebäudeeinflüsse das bereits Gesagte. Aus der Sicht des LANUV sei feststellbar, dass die Bestimmung der Immissionszusatzbelastung für die gefassten Kleinquellen nachvollziehbar und plausibel sei.
200Zu der Berechnung der Stickstoff- und Säuredeposition sei festzuhalten: Das verwendete Ausbreitungsmodell LASAT beruhe wie AUSTAL2000 auf der VDI-Richtlinie 3945 Blatt 3. Der Verwendung von LASAT werde daher zugestimmt. Die Verwendung der meteorologischen Daten der Station Lünen-Niederaden als Ausbreitungsklassenzeitreihe für das Jahr 2009 sei plausibel. Da eine Bestimmung der nassen Deposition nach TA Luft nicht vorgesehen sei, existierten keine Regelungen zur Auswahl der dazu notwendigen Niederschlagsdaten. Das LANUV empfehle daher grundsätzlich, eine Niederschlagszeitreihe zu verwenden, die eine Jahresniederschlagssumme in Höhe des langjährigen Mittelwerts aufweise. Dieser Empfehlung sei der Gutachter gefolgt.
201Die Ausbreitungsrechnungen seien zunächst mit mesoskaligen Depositionsgeschwindigkeiten und Auswaschraten nach der VDI-Richtlinie 3782 Blatt 5 durchzuführen. Das Beurteilungsfeld sei auf diejenigen Flächen auszudehnen, die mit einer Stickstoffdeposition von 0,10 kg N/(ha*a) oder mehr bzw. mit einer Säuredeposition von 30 eq (N+S)/(ha*a) oder mehr beaufschlagt würden. In diesen Gebieten sei die vom Modell ausgewiesene trockene Deposition nachträglich anzupassen und zwar entsprechend den Depositionsgeschwindigkeiten für die jeweilige Landnutzung, insbesondere für Wald. Dazu seien grundsätzlich die Depositionsgeschwindigkeiten nach der VDI-Richtlinie 3782 Blatt 5 anzusetzen. Auch dieser Empfehlung sei der Gutachter gefolgt. Er habe nur für die Depositionsgeschwindigkeit von Schwefeldioxid über Wald eine abweichende Depositionsgeschwindigkeit von 1,25 cm/s angesetzt. Dieser Ansatz sei nach den eigenen Berechnungen mit ortsabhängigen Depositionsgeschwindigkeiten für Datteln für die hier vorliegende Konstellation plausibel und konservativ.
202Die weiteren Randbedingungen der Ausbreitungsrechnung zu Schwaden und Rauchgas entsprächen den maßgeblichen Vorgaben. Die Angaben im Gutachten seien stichprobenartig mit den nachgereichten LASAT-Defs verglichen worden. Zusammenfassend erweise sich die Bestimmung der nassen und trockenen Deposition als nachvollziehbar und plausibel.
203Die berechneten Zusatzbelastungen durch die Kraftwerke Datteln und Herne seien überschlägig geprüft worden. Es hätten sich keine Anhaltspunkte für Unstimmigkeiten ergeben.
204Aufgrund des weit unterhalb des Abschneidewerts liegenden Säureeintrags könne eine erhebliche Beeinträchtigung der für die Erhaltungsziele maßgeblicher Bestandteile des FFH-Gebietes „Wälder bei Cappenberg“ mit ausreichend hoher Sicherheit ausgeschlossen werden. Auf eine vergleichbare Abschätzung bei den weiteren FFH-Gebieten sei verzichtet worden. Auch bei einer temporären Inbetriebnahme mit Heizöl sei eine erhebliche Beeinträchtigung nicht zu erkennen.
205Zur FFH-Verträglichkeitsuntersuchung werde folgende vorläufige Einschätzung abgegeben: Die Aussage des TÜV Nord, dass erhebliche Beeinträchtigungen der Cappenberger Wälder durch die vorhabenbedingte Zusatzbelastung und bei kumulativer Betrachtung anderer Pläne und Projekte ausgeschlossen werden könnten, werde mitgetragen. Die Empfehlungen des LANUV seien aufgegriffen und umgesetzt worden. Der Beurteilungsraum der Cappenberger Wälder sei für die versauernd wirkenden Depositionen anhand des Abschneidewerts von 30 eq (N+S)/(ha*a) festgelegt worden, d. h. Werte < 30 eq lägen außerhalb, Werte ≥ 30 eq innerhalb des Beurteilungsgebiets. Auf diesen Ausschnitt entfielen die Lebensraumtypen 9110, 9130, 9160 und 91E0. Insgesamt seien hier 13 Beurteilungspunkte angelegt worden. Die Lage der Punkte sei so gewählt worden, dass sie die Bereiche der maximalen Zusatzbelastung versauernd wirkender Einträge berücksichtigten und die unterschiedliche Empfindlichkeit der Lebensraumtypen bzw. der Waldböden gegenüber der Säuredeposition repräsentierten. Die für das Beurteilungsgebiet berechneten Critical Loads passten gut in den Wertebereich der landesweiten Bodenzustandserhebung BZE I (1990). Danach lägen die Critical Loads für Säureeinträge im Durchschnitt der Waldböden Nordrhein-Westfalens bei 1563 eq/(ha*a). Reine Verwitterungsböden wiesen Werte von mehr als 4500 eq/(ha*a) auf. Für Waldböden, die sich aus Silikatverwitterungsmaterial über karbonathaltigem Grundgestein entwickelt hätten, seien Werte in der Größenordnung von 2000-3000 eq/(ha*a) charakteristisch. Die Vorbelastung überschreite an allen 13 Beurteilungspunkten den jeweiligen Critical Load für den Säureeintrag. Daraus folge, dass an allen Beurteilungspunkten der Abschneidewert und die jeweilige Bagatellschwelle zu prüfen seien. Der Abschneidewert werde an den Beurteilungspunkten TKL 27 und C7 durch die vorhabenbedingte Zusatzbelastung erreicht bzw. überschritten. Die 3 %-Bagatellschwelle werde dagegen bei kumulativer Betrachtung durch die Zusatzbelastung an allen Beurteilungspunkten eingehalten.
206Die bodenkundliche Aufnahme habe belegt, dass die Lebensraumtypen in den Wäldern bei Cappenberg mit ihren Wurzeln den Kalkmergel im Unterboden erreichten und die oberen Bodenschichten über die Pflanzenaufnahme und den Streufall mit zusätzlicher Basizität versorgt würden, die dort zur Pufferung weiterer Säureeinträge zur Verfügung stünden. Die Böden der Cappenberger Wälder seien danach ausreichend mit Pufferkapazität ausgestattet, um den maximalen Säureeintrag des Kraftwerks ökosystemverträglich zu binden, ohne dass hierdurch auf Dauer funktionale oder strukturelle Schäden an den geschützten Lebensraumtypen zu befürchten seien. Dies gelte auch für den temporären Betrieb mit Heizöl. Die vorhabenbedingte Säurebelastung liege in dieser Phase nur bei ca. 1 eq/(ha*a).
207Unter dem 3. Juli 2012 leitete die Beigeladene das Abweichungsverfahren ein.
208Die Beigeladene beantragte am 9. Juli 2012, ergänzt am 23. August 2012 und am 21. Juni 2013, die Erteilung eines Vorbescheides hinsichtlich der Feststellung der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens in immissionsschutzrechtlicher und naturschutzrechtlicher Hinsicht sowie zum Standort der Anlage.
209Am 15. Mai 2013 und 4. Juni 2013 beantragte sie die Erteilung der 1. Teilgenehmigung zur Freimachung der Baustelle, zur Einzäunung des Baustellengrundstücks und zur Durchführung verschiedener Testbohrungen und Testpfählungen. Den Antrag vom 14. März 2011 auf Erteilung der 7. Teilgenehmigung (Betrieb des Kohlekraftwerks für den Einsatz von Steinkohle unterschiedlicher Qualitäten mit einer Feuerungswärmeleistung von 1.705 MW, entsprechend einer elektrischen Nettoleistung von 750 MW, dessen Errichtung mit der 1. Teilgenehmigung bis 5. Teilgenehmigung genehmigt wurde) aktualisierte sie am 5. Juli 2013.
210Dem Antrag auf Erteilung des Vorbescheides beigefügt waren u. a. eine Immissionsprognose für Luftschadstoffe der N. -BBM GmbH vom 6. August 2012, ein Störfallkonzept der N. -BBM GmbH, eine Umweltverträglichkeitsuntersuchung der N. -BBM GmbH vom 6. August 2012, eine FFH-Verträglichkeitsuntersuchung des Kieler Instituts für Landschaftsökologie (KIfL)/TÜV Nord vom 6. August 2012 einschließlich einer Modellierung der Critical Loads für eutrophierende und versauernde Einträge von P. Strausberg vom 6. August 2012 sowie ein Abweichungsdokument vom 23. August 2012.
211Die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung hat die FFH-Gebiete DE-4209-302 „Lippeaue“, DE-4314-302 „Teilabschnitte Lippe-Unna, Hamm, Soest, Warendorf“, DE-4311-301 „In den Kaempen, Im Mersche und Langerner Hufeisen“ sowie DE- 4311-304 „Wälder bei Cappenberg“ einer Betrachtung unterzogen. Besondere Bedeutung komme den Stickstoff- und Schwefeldioxidemissionen sowie den Schwermetallemissionen zu, die über den Luftpfad oder den Wasserpfad in die Schutzgebiete gelangten. Im Rahmen der Einzeluntersuchungen sei jeweils stoffbezogen eine Darstellung der aus dem Vorhaben resultierenden Auswirkungen erfolgt. Der jeweilige Untersuchungsraum sei stoffspezifisch in Verbindung mit der Empfindlichkeit potentiell betroffener Gebiete festgelegt worden und ergebe sich aus den Ergebnissen der Immissionsprognose unter Berücksichtigung der Abschneidekriterien. Als Abschneidekriterien dienten wissenschaftlich begründete Wirkschwellen und die in den jeweiligen DIN-Normen beschriebenen Messunsicherheiten für Depositionen. Insgesamt seien entsprechend der Empfindlichkeit der Lebensraumtypen gegenüber den Wirkungen durch Luftschadstoffe 42 Beurteilungspunkte festgelegt worden. Die Lage der Beurteilungspunkte sei so gewählt worden, dass sie jeweils die Lebensraumtypen im Bereich der höchsten Zusatzbelastung repräsentierten.
212Die luftpfadbezogenen eutrophierenden Stickstoffeinträge des Vorhabens lägen in allen betrachteten FFH-Gebieten über dem Abschneidewert 0,1 kg N/(ha*a), der Abschneidewert für versauernde Stickstoff- und Schwefeleinträge von 30 eq (N+S)/(ha*a) werde dagegen nur im FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ überschritten. Die eutrophierenden und versauernden Einträge des Kraftwerks Herne Block 5 überschritten die Abschneidewerte nur im FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“; die entsprechenden Einträge des Kraftwerks Datteln 4 (abzüglich Datteln 1-3) lägen sämtlich unterhalb der Abschneidewerte. Keines der Vorhaben überschreite die Abschneidewerte für Schwermetalle.
213Die Kumulationsbetrachtung ergebe für die FFH-Gebiete „Teilabschnitte Lippe“, „In den Kaempen, Im Mersche und Langerner Hufeisen“ und „Wälder bei Cappenberg“ hinsichtlich der eutrophierenden Einträge jeweils Zusatzbelastungen unterhalb der Bagatellschwelle von 3 % der Critical Loads, dasselbe gelte im FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ für die kumulierenden versauernden Einträge. Die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung habe dabei hinsichtlich der Eutrophierung auf vom LANUV bereit gestellte, empirische Critical Loads abgestellt, hilfsweise auf die von P. modellierten Critical Loads. Insgesamt seien in keinem der FFH-Gebiete erhebliche Beeinträchtigungen zu erwarten.
214Nach öffentlicher Bekanntmachung des Antrags im Amtsblatt für den Regierungsbezirk Arnsberg Nr. 35 vom 1. September 2012, auf der Website der Bezirksregierung sowie in verschiedenen Tageszeitungen wurde der Antrag einschließlich der eingereichten Unterlagen in der Zeit vom 10. September 2012 bis einschließlich 9. Oktober 2012 bei der Bezirksregierung sowie in verschiedenen Gemeinden ausgelegt.
215Der Kläger hat mit am 23. Oktober 2012 bei der Bezirksregierung eingegangenem Schreiben unter Vorlage ergänzender, auch fachgutachterlicher Unterlagen Einwendungen gegen die Planung erhoben. Die Einwendungen aller Einwender wurden am 10., 11. und 12. Dezember 2012 erörtert. Das Ergebnis der Erörterungen ist in der Niederschrift vom 12. August 2013 dokumentiert.
216Das LANUV nahm unter dem 7. Dezember 2012 Stellung zur Plausibilität der Luftschadstoff- und Lärmimmissionsprognosen und der Umweltverträglichkeitsuntersuchung einschließlich der FFH-Verträglichkeitsprüfung vom 6. August 2012. Darin heißt es - über den Inhalt der Stellungnahme vom 18. Juli 2012 hinausgehend - unter anderem: Die vom Gutachter aufgeführten Bewertungsmaßstäbe zu den Stoffen mit Immissionswert in der TA Luft zum Schutz der menschlichen Gesundheit seien fachlich zutreffend. Dasselbe gelte für die Bewertungsmaßstäbe für die Stoffe ohne Immissionswert in der TA Luft. Aufgrund der Erlasslage bestünden keine Bedenken, für Stoffe ohne Immissionswert nach der TA Luft den LAI-Bericht und die darin enthaltenen Orientierungswerte als Erkenntnisquelle zu nutzen. Die Orientierungswerte zur Bewertung von Kohlenmonoxid betrügen 10 mg/m³ (8-Stunden-Mittelwert) und 30 mg/m³ (Halbstundenwert) für die kurzfristige inhalative Exposition. Die Zusatzbelastung übersteige bei keinem der Stoffe ohne Irrelevanzwert der TA Luft 1 % des jeweiligen Bewertungsmaßstabes. Für PCDD/F einschließlich dioxinähnlicher PCB (Deposition) unterschreite die Zusatzbelastung die Irrelevanzschwelle von 5 %.
217Für die Critical-Load-Berechnung seien für den Niederschlag und die Lufttemperatur in der Endfassung des P.-Gutachtens aktuelle Daten aus der Periode 1981-2010 verwendet worden. Die zur Berechnung benötigten Eingangsdaten seien genannt und inhaltlich konkret aufgezählt. Eine wesentliche Rolle spiele neben den Texturdaten und dem Basengehalt an den Referenzpunkten die reale Durchwurzelung der Bodenprofile. Einerseits seien diese Informationen von zentraler Bedeutung für die Einschätzung der so genannten Basenpumpe, andererseits sei die im internationalen Bereich übliche, pauschale Untergrenze des Bodens von 80 cm - veranlasst durch die festgestellte Durchwurzelungstiefe - an die lokalen Verhältnisse im Cappenberger Wald angepasst worden und weiter nach unten verschoben worden. Da der Kalkmergel im Unterboden von den Wurzeln mittelalter und alter Waldbäume erreicht werde, sei diese Anpassung folgerichtig. Insgesamt sei festzustellen, dass alle aktuellen Datenquellen für die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung vom 6. August 2012 genutzt worden seien. Die Empfehlungen des LANUV vom 18. Juli 2012 seien damit umgesetzt worden. Im Zuge der Verbesserung der Datengrundlagen hätten sich die ab August 2011 ermittelten Critical Loads schrittweise in Richtung einer feineren Standortdifferenzierung verändert. Dies sei als Beleg für die Sensitivität der verwendeten Critical-Load-Modellierung zu werten. Diese sei im Übrigen fachwissenschaftlich nicht weiter geprüft worden, weil das Verfahren als solches in der Rechtsprechung bereits anerkannt sei.
218Im Anschluss an den Erörterungstermin vom 10., 11. und 12 Dezember 2012 legte die Beigeladene ergänzende Unterlagen vor, unter anderem eine ergänzende Immissionsprognose von N. -BBM GmbH vom 25. Februar 2013 für den 60 %-Teillastbetrieb, zu den emissions- und immissionsseitigen Auswirkungen der Hilfsdampferzeugungsanlage (Betriebszeit <1.500 h/a) und der zukünftigen Fernwärmeauskopplung (45 MW), das Konzept zur Verhinderung von Störfällen von N. -BBM GmbH vom 12. April 2013, die Stellungnahme zu den Auswirkungen des Kraftwerks Lünen auf die Lippe durch das Einleiten von REA-Abwasser und Kühlturmabschlämmwasser von N. -BBM GmbH vom 27. Februar 2012, Ergänzungen der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung vom TÜV Nord vom 28. März 2013, Erläuterungen zum Gefährdungspotential für das Flussneunauge durch zusätzliche Quecksilbereinträge und zum Gefährdungspotential für den Eisvogel vom TÜV Nord jeweils vom 28. Februar 2013, eine Berechnung der Immissionszusatzbelastung an 2 Beurteilungspunkten im Nahbereich von N. -BBM GmbH vom 17. Mai 2013, eine „Ergänzung der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung: Kumulationswirkungen Lippe“ vom TÜV Nord vom 18. Juni 2013, eine ergänzende Stellungnahme zur Umweltverträglichkeitsuntersuchung von N. -BBM GmbH vom 19. Juni 2013, ein Störfallkonzept von N. -BBM GmbH vom 20. Juni 2013, das Abweichungsdokument Stand 20. Juni 2013, den Antrag vom 21. Juni 2013 (Beantragung der in der neuen 13. BImSchV festgelegten Emissionsgrenzwerte, soweit diese strengere Grenzwerte vorschreibt als bislang beantragt, ansonsten bleibe es bei den Grenzwerten im Antrag vom 9. Juli 2013) sowie eine Ergänzung von Dr. N1. (Stellungnahme zur Versauerung der Lebensraumtypen im FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ durch Kumulationswirkung) vom 17. Juli 2013, eine ergänzende Stellungnahme des TÜV Nord zur Vorbelastung durch Selen vom 18. Juli 2013, die Verpflichtung zur Durchführung von Kohärenzmaßnahmen vom 15. August 2013 und eine Stellungnahme von N. -BBM GmbH zum anlagenbezogenen Verkehr vom 5. November 2013. Ferner legte die Beigeladene in Reaktion auf die Einwendungen rechtliche Stellungnahmen zum Bauplanungsrecht, zur Qualifizierung von Abwasser in Tankwagen, zur Abgrenzung Naturschutz und Wasserrecht, zu den Bagatellschwellen, zu den Critical Loads für Schwermetalle, zum Prioritätsgrundsatz, zu wasserwirtschaftlichen Fragestellungen und zu den Geräuschimmissionen vor.
219Das LANUV nahm unter dem 13. August 2013 unter anderem wie folgt Stellung zu der ergänzenden Immissionsprognose vom 25. Februar 2013: Die Auswirkungen des Teillastbetriebes auf die Höhe der Einträge der Stickstoff- und Säuredeposition an bestimmten Beurteilungspunkten seien dargestellt. Die für die Immissionsprognose benötigten Daten für Austrittsgeschwindigkeit und -temperatur basierten auf Angaben des Kühlturmplaners; sie lägen im Bereich der Werte, die von Genehmigungsverfahren vergleichbarer Kraftwerke bekannt seien. Zur Bestimmung der Immissionszusatzbelastung für den Teillastbetrieb sei bei der Ausbreitungsrechnung analog zu den Bestimmungen der Immissionszusatzbelastung für den Volllastbetrieb vorgegangen worden. Damit würden die Anmerkungen aus der Stellungnahme vom 7. Dezember 2012 auch hier gelten. Dort sei festgestellt worden, dass die Bestimmung der Emissionszusatzbelastung nachvollziehbar und plausibel sei.
220Zur Bestimmung der Immissionszusatzbelastung durch den Hilfsdampferzeuger sei analog der Bestimmung der Immissionszusatzbelastung für den Volllastbetrieb des beantragten Kohlekessels vorgegangen worden. Auch hier gelte das unter dem 7. Dezember 2012 zur Nachvollziehbarkeit und Plausibilität Gesagte. Zusammenfassend sei festzustellen, dass die Vorgehensweise zur Bestimmung der Immissionszusatzbelastung und die Ausführungen dazu, dass die Fernwärmeauskopplung von 45 MW zu keiner signifikanten Änderung der Immissionssituation führe, plausibel seien.
221Eine vertiefende Prüfung der Ergänzungen der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung vom TÜV Nord vom 28. März 2013 sei nur für die Themenbereiche Versauerung, Eutrophierung und die Einschätzung zu den charakteristischen Arten durchgeführt worden. Die überarbeiteten Inhalte seien in der Gesamtbetrachtung plausibel.
222Eine ergänzende Stellungnahme zur möglichen Versauerung von Lebensraumtypen im FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ durch Kumulationswirkung vom 17. Juli 2013 sei nachgereicht worden. Der wesentliche Unterschied zur Ausarbeitung des KIfL vom 6. August 2012 bestehe darin, dass in der nachgereichten Stellungnahme die Gesamtbelastung geprüft werde. Die Einschätzung, dass auch bei Berücksichtigung der Kumulation erhebliche Beeinträchtigungen durch Säureeinträge sicher auszuschließen seien, ergebe sich aus dem Umstand, dass am Beurteilungspunkt TKL 27 (Lebensraumtyp 9110) mit der höchsten Säurebelastung die in der Humusauflage verfügbare Basenmenge (18,7 kmol/ha) ausreiche, um die Gesamtsäurebelastung kumulativ aus 50 Jahren Betriebszeit (3,75 kmol) vollständig und ohne nachhaltige Schädigung des Lebensraumtyps 9110 abzupuffern.
223Mit Bescheid vom 20. November 2013 erteilte die Bezirksregierung der Beigeladenen den Vorbescheid, mit Bescheid vom 21. November 2013 die 1. Teilgenehmigung und mit Bescheid vom 22. November 2013 die 7. Teilgenehmigung.
224Mit dem Vorbescheid stellte die Bezirksregierung das Vorliegen der Genehmigungsvoraussetzungen zum Standort der Anlage sowie der immissionsschutzrechtlichen und naturschutzrechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen fest. Das Vorhaben umfasse die Errichtung und den Betrieb eines Steinkohlekraftwerks mit einer Feuerungswärmeleistung von maximal 1.705 MWth, entsprechend einer elektrischen Nettoleistung von ca. 750 MWel netto. Die abschließende verbindliche Feststellung beziehe sich nicht auf die Abwassereinleitung (Kühlturmabflut, REA-Abwasser) in die Lippe einschließlich der vorgeschalteten Abwasserbehandlungsanlage sowie auf den Schwermetalleintrag in die Lippe über den Luftpfad. Der Vorbescheid sei unter den Vorbehalt weiterer Neben- oder Inhaltsbestimmungen gestellt, die sich aus Erkenntnissen des laufenden wasserrechtlichen Erlaubnisverfahrens ergäben. Der Vorbescheid berechtige nicht zur Errichtung der Anlagen oder von Teilen der Anlage und ergehe unbeschadet der behördlichen Entscheidungen, die nicht von der Konzentrationswirkung des § 13 BImSchG erfasst werden. Insbesondere Entscheidungen im Hinblick auf § 7 WHG alter Fassung bzw. § 8 WHG neuer Fassung sowie § 58 WHG ergingen in entsprechenden wasserrechtlichen Verfahren. Der Abgaskanal sei vor Einleitung der Abgase in den Kühlturm mit Messeinrichtungen auszurüsten, die in der Lage sein, die Funktionsfähigkeit der Abgasreinigungseinrichtung, die Einhaltung der festgelegten Immissionsgrenzwerte der Massenkonzentration für Gesamtstaub, Quecksilber, Stickstoffoxide, Schwefeloxide und den Volumengehalt an Sauerstoff im Abgas sowie die zur Beurteilung des ordnungsgemäßen Betriebs erforderlichen Betriebsgrößen kontinuierlich zu messen und auszuwerten.
225Die 1. Teilgenehmigung umfasst die Freimachung der Baustelle einschließlich etwaiger Renovierungsarbeiten, die Einzäunung des Baustellengrundstücks und die Durchführung verschiedener Testbohrungen und Testempfehlungen. Die 7. Teilgenehmigung umfasst den Betrieb des Kohlekraftwerks für den Einsatz von Steinkohle unterschiedlicher Qualitäten mit einer Forderungswärmeleistung des Kohlekraftwerkblocks von 1.705 MW, entsprechend einer elektrischen Nettoleistung von 750 MW, dessen Errichtung mit der 1. bis 5. Teilgenehmigung genehmigt wurde.
226Der Vorbescheid, die 1. Teilgenehmigung und die 7. Teilgenehmigung betreffen nicht die Errichtung der Freileitung, die Benutzung des Datteln-Hamm-Kanals und der Lippe durch Entnahme und/oder Einleitung von Wasser und die Erweiterung der Gleisanlagen. Diese Teile des Vorhabens sind Gegenstand gesonderter Planfeststellungs-, Genehmigungs- bzw. Erlaubnisverfahren nach dem Energiewirtschaftsgesetz, Wasserhaushaltsgesetz und Allgemeinen Eisenbahngesetz. Die von diesen Vorhabenteilen ausgehenden Umwelteinwirkungen wurden zur Beurteilung des vorläufigen positiven Gesamturteils und im Rahmen der Bewertung der Umweltauswirkungen und der naturschutzrechtlichen Betrachtung berücksichtigt. Zusammenfassend wird festgestellt, dass weder durch die indirekte noch durch die direkte Einleitung von Abwasser in die Lippe noch durch Einträge von Schadstoffen über den Luft-, Boden- oder Wasserpfad erhebliche Auswirkungen auf die Lippe zu erwarten seien.
227Der Vorbescheid vom 20. November 2013 wurde öffentlich bekannt gemacht und außerdem dem Kläger am 2. Dezember 2013 zugestellt.
228Die Beklagte erteilte dem SAL mit Bescheid vom 22. November 2013 die wasserrechtliche Erlaubnis gemäß § 8 WHG zur Einleitung von Abwasser (Kühlturmabwasser, Rauchgasentschwefelungsanlagenwasser) in die Lippe für das Steinkohlekraftwerk der Beigeladenen. Der Kläger hat hiergegen am 27. Dezember 2013 Klage erhoben. Die Klage ist beim VG Gelsenkirchen anhängig.
229Der Kläger hat am 30. Dezember 2013 gegen den Vorbescheid sowie die 1. und 7. Teilgenehmigung Klage erhoben. Er macht zur Begründung seiner Klage im Wesentlichen geltend: Als anerkannter Umweltverband sei er umfassend rügeberechtigt. Der angefochtene Vorbescheid und die angefochtenen Teilgenehmigungen erwiesen sich jeweils aus denselben Gründen als rechtswidrig.
230Das Vorhaben der Beigeladenen sei bereits bauplanungsrechtlich unzulässig. Auch die Auswirkungen des vorhabenbedingten Schadstoffausstoßes könnten nicht zuverlässig abgeschätzt werden. Die vorgelegte Immissionsprognose sei nicht nachvollziehbar und fehlerhaft. Ferner sei das Vorhaben entgegen der Einschätzung der Bezirksregierung und der Beigeladenen nicht mit den Schutzzwecken der von den Auswirkungen betroffenen FFH-Gebiete zu vereinbaren, weil nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden könne, dass es zu erheblichen Beeinträchtigungen komme. Die Voraussetzungen für eine Ausnahme vom FFH-Schutzregime lägen nicht vor.
231Im Einzelnen trägt der Kläger vor:
232Der Bebauungsplan der Stadt Lünen Nr. 80 „Stummhafen“ enthalte keine positive planerische Aussage zur Zulässigkeit von Kraftwerken. Auch der Landesentwicklungsplan NRW 1995 enthalte ebenso wenig eine positive Aussage zur Zulässigkeit eines Großkraftwerks an diesem Standort wie der Flächennutzungsplan oder der Regionalplan. Der im Zeitpunkt der Beschlussfassung geltende Gebietsentwicklungsplan weise für die Stadt Lünen sogar einen anderen Standort aus. Der Bebauungsplan Nr. 80 sei zudem seit 30 Jahren nicht in Richtung eines Großkraftwerks vollzogen worden und deshalb funktionslos. Die tatsächlichen und rechtlichen Änderungen, etwa infolge des nachträglichen Erlasses der Luftreinhalterichtlinie, der Wasserrahmenrichtlinie und der FFH-Richtlinie, seien planerisch nicht bewältigt worden. Der Bebauungsplan trage auch dem Umstand nicht Rechnung, dass die Planung jetzt der UVP- und FFH-Pflicht unterliege. Vor diesem Hintergrund bestehe eine zwingende Planungspflicht.
233Der Störfallschutz sei nicht zureichend bewältigt worden.
234Die Immissionsprognose vom 6. August 2012 sei sowohl hinsichtlich der Ausbreitungsrechnung für das streitgegenständliche Vorhaben als auch hinsichtlich der Berechnung der kumulierenden Auswirkungen fehlerhaft. Die Prüfung der Ausbreitungsrechnung durch das LANUV sei defizitär.
235Die Angaben zu den Kühlturmparametern - insbesondere zu der Austrittstemperatur - seien widersprüchlich. Die Kühlturmparameter seien zudem nicht belegt worden. Es falle jedoch auf, dass sich die Austrittsgeschwindigkeit und die Temperatur des Mischschwadens im Verlauf des Verfahrens erheblich verändert hätten.
236Es sei nicht der ungünstigste Betriebszustand im Sinne von Nr. 4.6.1.1 Anhang 3 Nr. 2 TA Luft berücksichtigt worden. Weder die Ausbreitungsrechnung vom 25. Februar 2013 zum 60 %-Lastbetrieb noch die Ausbreitungsrechnung vom 15. April 2016 zum 80 %-Lastbetrieb reichten aus, eine solche Annahme zu rechtfertigen. Da zunächst Ammoniak nicht gesondert ausgewiesen worden sei, bestehe die Vermutung, dass gerade dieser Wert gestiegen sei.
237Der Ansatz der Schwadenüberhöhung sei fehlerhaft. Nach der Modellbeschreibung in Anhang A der VDI Richtlinie 3784 Blatt 2 seien Schwankungen bis zu einem Faktor 2 möglich. Es führe zu einer Unterschätzung der Immissionen, dass die Prognose von einer vollständigen Durchmischung des Abgases des Kühlturmschwadens im Kühlturm und danach ausgehe, obwohl eine solche tatsächlich nicht stattfinde. Es fehle auch an einer Untersuchung zur Vergleichbarkeit von Schornsteinen und Kühltürmen.
238Die systematischen Fehler und die statistische Unsicherheit der Ausbreitungsrechnung seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Auch die in § 17 der 13. BImSchV geregelten Ausfallzeiten der Rauchgasreinigungsanlage seien nicht einbezogen worden.
239Die Wahl des Anemometerstandorts Lünen-Niederaden sei nicht plausibel. Die Auswahl der Messstation Werl-Waltrop - wie beim Vorhaben Datteln 4 - habe näher gelegen. Dies ergäben auch die selbst durchgeführten Berechnungen mit diesen Wetterdaten. Die ausgewählte Messstation entspreche auch nicht den Vorgaben des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Dieser fordere einen zehnfachen Abstand von relevanten Störungshindernissen und eine maximale Höhe von 15 m. Diese Vorgaben würden nicht eingehalten. Der massive Rückgang der Zusatzbelastung durch Säureeinträge des Vorhabens der Beigeladenen in der Immissionsprognose vom 6. August 2012 gegenüber den im vorhergehenden Verfahren ermittelten Werten sei ohne die Änderungen in der Meteorologie unverständlich. Die manuelle Korrektur der Regenzeitdaten für die nasse Deposition der Stickstoff- und Schwefeleinträge sei dabei besonders problematisch. Die in der Immissionsprognose verwendeten Niederschlagsdaten aus dem Jahr 2009 seien entgegen der Angaben der Beigeladenen nicht auf den langjährigen Mittelwert der Jahre 2002 bis 2011 hochskaliert worden. Die angesetzte Niederschlagsmenge liege mit 764,3 l/(m²*a) deutlich unterhalb dieses Mittelwerts von 789 l/(m²*a). Dasselbe gelte für die in der Immissionsprognose für das Kraftwerksprojekt Datteln 4 verwendeten Niederschlagsdaten. Keiner dieser Werte stimme mit den in der Critical-Loads-Berechnung von P. -E. verwendeten Niederschlagsdaten überein.
240Die Emissionen und Immissionen der Schwermetalle - insbesondere von Quecksilber - seien nicht hinreichend berücksichtigt worden. Der Anteil an - im Vergleich zu elementarem Quecksilber aufgrund der höheren Depositionsgeschwindigkeit schneller sinkendem - oxidiertem Quecksilber sei mit 50 % zu klein. Bei einem konservativen Ansatz müsse von 100 % oxidiertem Quecksilber ausgegangen werden. Aufgrund der im Kühlturm zu erwartenden Oxidationsvorgänge liege nach kurzer Zeit das gesamte Quecksilber in oxidierter Form vor. Wie schnell die Reaktionen im Mischschwaden und bei höheren Schadstoffkonzentrationen abliefen, sei zwar weitgehend unerforscht. Die von der Beigeladenen erfolgte Heranziehung atmosphärischer Bedingungen sei jedoch nicht sachgerecht, weil im Mischschwaden keine homogenen Gasphasen bestünden. Wegen der erheblich höheren Schadstoffkonzentrationen sei auch von höheren Reaktionsgeschwindigkeiten auszugehen. Die Heranziehung der Depositionsgeschwindigkeiten für Quecksilber aus der TA Luft bzw. der VDI Richtlinie 3782 Blatt 5 entspreche nicht dem neuesten Kenntnisstand. Neuere, auf Messungen beruhende Erkenntnisse aus Japan und den USA sprächen je nach Landnutzung für höhere Depositionsgeschwindigkeiten. Erkenntnisse aus Japan zeigten auch, dass die ‑ hier nicht betrachtete - nasse Deposition gegenüber der trockenen dominiere.
241Auch für die LASAT-Berechnung fehle es an einer Begründung oder Ableitung der Zahlenwerte; die Berechnungsgrundlagen seien nicht vorgelegt worden. Die Depositionsgeschwindigkeit für die trockene Säuredeposition könne - anders als in dem vorangegangen Verfahren angenommen - zweidimensional in das Programm LASAT eingegeben werden. Für Schwefeldioxid habe daher über den Cappenberger Wäldern eine Depositionsgeschwindigkeit von 1,5 cm/s angesetzt werden müssen.
242In der Immissionsprognose für das Kraftwerkprojekt vom 15. Februar 2013 Datteln 4 sei - anders als beim streitgegenständlichen Vorhaben - der LASAT-Korrekturterm für die Abgasgeschwindigkeit nicht angepasst worden. Die Austrittsgeschwindigkeit für Datteln 4 sei für den Realzustand angesetzt worden, für das Vorhaben der Beigeladenen für den Normzustand. Für das Kraftwerk Datteln seien keine Kühlturmberechnungen vorgelegt worden. Der angesetzte Austrittsdurchmesser entspreche nicht der Anlagenbeschreibung (60,6 m/60 m), was nicht plausibel sei. Die der Immissionsprognose zu Grunde gelegten Kühlturmparameter für das Kraftwerk Datteln gälten im Übrigen nur für den Fall der idealen Durchmischung von Abluft und Kühlturmschwaden.
243Die Immissionsprognose für Datteln 4 sei auch sonst fehlerhaft und die entsprechende Zusatzbelastung nur unzureichend ermittelt worden. Die Emissionsmassenströme seien um 7 % zu niedrig, weil für 600 Stunden keine Emissionen eingestellt worden seien. Ob dieser Fehler in der neuen Immissionsprognose behoben worden sei, sei nicht klar. Daten lägen hierzu nicht vor. In der Immissionsprognose für Datteln 4 sei die statistische Unsicherheit mit kleiner als 3 % angegeben, es sei aber unklar, ob bei den einzelnen Beurteilungspunkten die statistische Unsicherheit mit eingerechnet worden sei. Dies gelte auch für spätere Immissionsprognosen und die Immissionsprognose für Herne.
244Die Unterscheidung zwischen Sommer- und Winterhalbjahr bei der Fernwärmeauskoppelung für Datteln 4 entspreche nicht den zukunftsbezogenen Prognosen. Insoweit bedürfe es eines Fachgutachtens und der Auseinandersetzung mit dem klägerischen Vorbringen. Dieser Fehler schlage auf die Immissionsprognose vom 6. August 2012 durch, weil nicht angegeben worden sei, von welcher Fernwärmeauskopplung für Datteln 4 ausgegangen worden sei. Außerdem könne nicht nachvollzogen werden, warum die Zusatzbelastung durch Datteln 4 in der Immissionsprognose vom 6. August 2012 niedriger sei als in der zur FFH-Verträglichkeitsuntersuchung zu Datteln 4 erstellten Immissionsprognose vom 12. April 2012, obwohl die Eingangsdaten identisch seien; auch bei Datteln 1-3 seien solche Unterschiede festzustellen.
245Der Abzug der Zusatzbelastung für das Kraftwerk Datteln 1-3 sei zu hoch. Der Ansatz des Durchschnittswerts der Emissionsmassenströme aus den Jahren 2003-2011 sei nicht sachgerecht. Analog der TA Luft hätten lediglich 5 Jahre betrachtet werden dürfen. Eine solche Betrachtung führe zu deutlich geringeren Emissionsmassenströmen und damit auch einem geringeren Abzug. Der Wert für Ammoniak sei mit 1 mg/m³ nicht nachvollziehbar, da im Jahr 2011 noch ein Wert von 2 mg/m³ angesetzt worden sei.
246Auch der Umstand, dass sich - trotz der ähnlichen Austrittsparameter des Kraftwerks der Beigeladenen und des Kraftwerks Herne Block 5 - die Ausdehnung der Abluftschwaden deutlich unterscheide, sei unverständlich.
247Dem Vorhaben stünden naturschutzrechtliche Bedenken entgegen. Die Annahme, es sei ausgeschlossen, dass das FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ durch den Eintrag von Säure, Stickstoff und Schwermetallen auf dem Luftpfad und dass die FFH-Gebiete „Lippeaue“ und „Teilabschnitte Lippe“ durch Einträge über den Luft- und Wasserpfad erheblich beeinträchtigt würden, sei nicht hinreichend belastbar. Die Critical Loads für Säureeinträge seien in allen Waldlebensräumen überschritten.
248Weder das Abschneiden von Einträgen zur Abgrenzung des Untersuchungsraums oder bei der Ermittlung der kumulierenden Wirkung anderer Quellen noch der Ansatz einer Bagatellschwelle sei sachgerecht oder fachwissenschaftlich gerechtfertigt.
249Die Berechnung der Critical Loads für versauernde Stoffeinträge durch P. -E. sei unzureichend und intransparent. Es sei unklar, wie das Ziel-Ökosystem für die Bewertung der zusätzlichen Stickstoffeinträge definiert werde. Referenzzustände aus weniger belasteten Gebieten oder geringer belasteten Epochen (etwa den 1920er Jahren) würden nicht benannt. Es bleibe an vielen Stellen offen, welche Paramater verwendet worden seien. Die Parameterauswahl sei auch nicht sachgerecht erfolgt. Sie weiche an mehreren Stellen von der gängigen Praxis des ICP Modelling & Mapping 2010 ab. Dies betreffe neben dem Term der seesalzkorrigierten Deposition basischer Kationen insbesondere die Annahme anderer Durchwurzelungstiefen und Verwitterungsraten im Unterboden, die Stickstoff-Immobilisierungsrate, die Denitrifikationsrate und die kritische Austragsrate der Säureneutralisierungskapazität. Die unzulässige Mittelwertbildung verschiedener Parameter - unter anderem des pH-Werts - über mehrere Bodenhorizonte hinweg führe zu einer Fehleinschätzung der realen Verhältnisse. Es bedürfe einer objektiven Betrachtung anhand der - den eigenen Berechnungen entsprechenden - Critical Loads des Umweltbundesamtes. Die dort ausgewiesenen Werte für die Cappenberger Wälder lägen um bis zu 43 % niedriger als die modellierten Critical Loads.
250Es seien nicht alle kumulierenden Vorhaben berücksichtigt worden. Es müssten sowohl die Vorhaben, die vor dem Kraftwerkprojekt der Beigeladenen beantragt worden seien als auch die Vorhaben, die später beantragt, aber zwischenzeitlich realisiert worden seien, einbezogen werden. Das Vorhaben der Beigeladenen habe seine Prioritätsstellung infolge der Aufhebung des Vorbescheids vom 6. Mai 2008 verloren. Der maßgebliche Stichtag sei damit der 23. August 2012. Dies gelte auch deshalb, weil der erste Antrag wegen Fehlern der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung unvollständig gewesen sei. Nach alledem habe die Zusatzbelastung durch die B. AG mit berücksichtigt werden müssen. Die Schadstoffemissionen des Kraftwerks Datteln 1-3 seien nicht abzuziehen, sondern der Vorbelastung zuzurechnen. Auch die in der Umgebung vorhandenen Tierhaltungsanlagen seien nicht zureichend berücksichtigt worden.
251Eigene Berechnungen hätten ergeben, dass bei einer Einbeziehung der Auswirkungen von Datteln 1-3 und der B. AG in die Summation die Critical Loads für versauernde Einträge um mehr als 3 % überschritten würden. Dasselbe gelte bei der - insbesondere, was den Ammoniak-Faktor angehe - zutreffenden Einbeziehung der Tierhaltungsanlagen.
252Die Beigeladene habe den Nachweis der Unbedenklichkeit der Einträge auch in der Einzelfalluntersuchung nicht erbringen können. Sie habe insbesondere das Bestehen einer Basenpumpe nicht belegt. Es sei ohnehin fraglich, ob die Basenpumpe als Schutzmechanismus in Betracht komme. Die Oberböden in den Wäldern bei Cappenberg seien trotz der hohen Basizität in den Unterböden stark versauert, die Säurebelastung trotz der rückläufigen Stoffeinträge so hoch, dass aus den Silikaten Aluminium freigesetzt werde. Die Eutrophierung sei an einigen Stellen irreversibel. Auch die Versauerung sei wegen der Tonzerstörung und des freigesetzten, aktuell an Austauscher gebundenen Aluminiums nicht reversibel. Die Behauptung, die Critical Limits würden in der krautdurchwurzelten Mineralbodenzone der Hauptwurzelzone nicht erreicht, sei falsch; für eine fehlerfreie Berechnung über mehrere Bodenhorizonte hätten die Feinbodenmengen bekannt sein müssen, erst dann hätten gewichtete Mittelwerte berechnet werden können.
253Die Vegetationsaufnahmen reichten nicht aus, um die aktuelle Waldvegetation pflanzensoziologisch einzuordnen. Die vegetationskundliche Methode sei nur dann geeignet, die Wirkungen zusätzlicher Stoffeinträge zu bewerten, wenn weitere Analysewerkzeuge (zeitliche, typologische und räumliche Vergleiche, Experimente, Zeigerwerte) hinzugenommen würden. Die Untersuchungen der Beigeladenen würden dem nicht gerecht. Um den aktuellen Zustand und die Schadenssymptome quantifizieren sowie den Zielzustand definieren zu können, sei eine größere Zahl an Vegetationsaufnahmen (einschließlich der besonders empfindlichen Moos- und Flechtenarten), deren Verortung und Informationen über andere Schadeinflüsse und forstliche Maßnahmen erforderlich. Der eigene Gutachter habe zuletzt festgestellt, dass stickstoffarme Verhältnisse bevorzugende Arten ab- und Nitratpflanzen zugenommen hätten. Starksäureanzeiger seien entgegen der Annahme der Beigeladenen nicht zu erwarten, sondern eher das Vorkommen säuretoleranter Nitratpflanzen, die die Cappenberger Wälder tatsächlich prägten. Auch der Degradationsgrad sei falsch eingeschätzt worden. Es sei zu vermuten, dass die Waldgesellschaften der Cappenberger Wälder floristisch bereits deutlich degradiert seien. Die untersuchten Flächen stellten die „günstigste“ Auswahl dar; schon in der Nachbarschaft dieser Flächen komme es zu Verschiebungen im Arteninventar, die umso deutlicher würden, je größer die Entfernung sei. Dort seien Stickstoffanzeiger zu verzeichnen, insbesondere die Brombeere habe stark zugenommen. Außerhalb der betrachteten Flächen würden auch Säureanzeiger auftreten.
254Wegen der Schwermetalleinträge werde ebenfalls auf die Erkenntnisse der eigenen Gutachter verwiesen. Es gebe fachlich anerkannte und ausreichend validierte Critical Loads für Schwermetalle für Europa, in Deutschland für Blei, Cadmium und Quecksilber. Für Blei und Cadmium existierten Critical Loads für landwirtschaftliche und naturnahe Ökosysteme (Trinkwasserschutz, Sickerwasser, Wirkungen auf die in den oberen Bodenschichten lebenden Organismen). Diese Critical Loads seien aber nicht genutzt worden. Sie seien jedenfalls für die kleinräumige Betrachtung heranzuziehen. Sie seien durch die Vorbelastung schon überschritten. Auch die vielfältigen Wirkungen erhöhter Ammoniakkonzentrationen seien nicht berücksichtigt worden. Seit 2009 existierten insoweit nach unten korrigierte Critical Level.
255Das Vorhaben sei auch nicht ausnahmsweise genehmigungsfähig. Die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 4 der FFH-Richtlinie lägen nicht vor. Die Unterstellung, es erfolge eine erhebliche Beeinträchtigung der „Wälder bei Cappenberg“ durch Stickstoff- und Säureeinträge und der FFH-Gebiete DE 4209-302 und 4313-302 durch Abwassereinleitung, bleibe im Ausmaß hinter den vom Kläger geltend gemachten Beeinträchtigungen zurück und sei nicht haltbar. Wenn das Ausmaß der Beeinträchtigung nicht ordnungsgemäß und sachgerecht festgestellt sei, sei auf keiner Stufe der Prüfung der richtige bezugspunktbildende Vergleich möglich. Die Prüfung gehe daher von vorneherein ins Leere. Es fehle auch an zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses. Weder die Alternativenprüfung noch der Kohärenzausgleich sei ausreichend.
256Die Umweltverträglichkeitsprüfung sei bezüglich der aquatischen Lebensraumtypen und der Arten Flussneunauge und Eisvogel unzureichend und teilweise unzutreffend. Auch die Belange des nationalen und des globalen Klimaschutzes seien nicht hinreichend berücksichtigt worden. Es sei zu Unrecht nur das Kleinklima betrachtet worden. Die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 2 UVPG verstoße gegen die UVP-Richtlinie, sofern dort die von dem Vorhaben ausgehenden Treibhausgasemissionen erfasst seien. Diese Frage sei dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen.
257Der Artenschutzbeitrag sei nur begrenzt aussagekräftig, denn er sei erst nach Errichtung der Bauwerke erstellt worden. Es bestehe der konkrete Verdacht, dass die Kreuzkröte sich im Baufeld aufgehalten habe. Daher wäre eine artenschutzrechtliche Ausnahme erforderlich gewesen. Dasselbe gelte für den Eisvogel, bei dem die Aufnahme von quecksilberbelasteten Tieren zu einer populationsrelevanten Verminderung der Vitalität führe.
258Die Freisetzung radioaktiver Strahlung bei der Kohleverbrennung führe zu einer Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung. Radioaktive Isotope blieben nicht vollständig in den Aschen bzw. Reststoffen zurück. Isotope von Radon, Blei und Polonium gingen beim Verbrennungsvorgang oder in den Trocknungsvorgängen in die Gasphase über und gelangten über die Atemluft oder die Nahrung in den menschlichen Körper. Es handele sich in erster Linie um Alphastrahler (Radionuklide in Kohle), die um den Faktor 20 biologisch wirksamer als die Beta- und Gammastrahlungen seien. Die Dosis der Strahlenbelastung sei bis zu dreimal höher als bei Atomkraftwerken im Normalbetrieb.
259Es fehle an dem vorläufigen positiven Gesamturteil. Die Stoffeinleitung und Stoffeinträge in die Gewässer seien nicht genehmigungsfähig. Der Kläger habe Klage gegen die der SAL erteilte wasserrechtliche Erlaubnis erhoben.
260Die Beigeladene könne schließlich auch kein berechtigtes Interesse an der Erteilung des Vorbescheides geltend machen. Es sei bereits eine Betriebsgenehmigung erteilt worden, so dass kein Raum mehr für eine verfahrensökonomische Abschichtung sei. Die Teilgenehmigungen, die auf dem ersten Vorbescheid beruhten, seien mit dem Wegfall des ursprünglichen Vorbescheides rechtswidrig geworden, weil über wesentliche Genehmigungsvoraussetzungen nicht entschieden worden sei. Erforderlich gewesen sei ein Antrag auf Vollgenehmigung. Die Aufteilung des Genehmigungsverfahrens führe zu einer Erschwerung der Beteiligung der Öffentlichkeit und der Rechtsschutzmöglichkeiten.
261Der Kläger beantragt,
262den Vorbescheid vom 20. November 2013, die 1. Teilgenehmigung vom 21. November 2013 und die 7. Teilgenehmigung vom 22. November 2013 der Bezirksregierung Arnsberg aufzuheben.
263Der Beklagte beantragt,
264die Klage abzuweisen.
265Der Beklagte trägt vor: Der Kläger sei mit den baurechtlichen Rügen weiterhin präkludiert; jedenfalls sei der Kläger insoweit nicht rügebefugt. Eine Anpassung des Bebauungsplans an höherrangiges Planungsrecht sei auch nicht erforderlich. Wegen des Landesentwicklungsplans werde auf die Stellungnahme des Regionalverbands Ruhr vom 15. Juli 2014 hingewiesen. Eignungsgebiete im Sinne des § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 ROG, die dem Kraftwerkstandort entgegenstehen könnten, seien landesplanerisch nicht festgelegt worden. Insbesondere für das Gebiet der Stadt Lünen gebe es keine (abweichende) Festlegung eines Kraftwerkstandortes. Im Regionalplan sei ein Bereich für gewerbliche und industrielle Nutzungen (GIB) ausgewiesen, in dem aufgrund des Piktogramms ohne Zackenlinie auch Kraftwerke zulässig seien. Im Flächennutzungsplan sei ein Industriegebiet dargestellt.
266Der Bebauungsplan sei auch nicht funktionslos geworden. Eine nachträgliche UVP- oder FFH-Verträglichkeitsuntersuchungs-Pflicht bestehe nicht, die entsprechenden Richtlinien seien erst später in Kraft getreten. Beide Prüfungen seien bei der Zulassungsentscheidung durchgeführt worden.
267Das Störfallkonzept sei vom LANUV geprüft und für plausibel erachtet worden. Hinsichtlich der Kritik an der Immissionsprognose und der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung jeweils vom 6. August 2012 sei es nicht Aufgabe des beklagten Landes, die wissenschaftlichen Daten, Modelle und Schlussfolgerungen zu hinterfragen. Deshalb werde im Wesentlichen auf die Stellungnahmen des LANUV vom 7. Dezember 2012, vom 13. August 2013, vom 21. August 2014 und vom 8. Juli 2015 hingewiesen. Die Begrenzung der Schwermetalle und deren Überwachung seien in der 7. Teilgenehmigung geregelt. Die diffusen Quellen hätten vernachlässigt werden können, weil die Bänder und Ecktürme eingehaust und verkapselt seien. Die Quecksilberdepositionen seien nicht unterschätzt worden. Weder die TA Luft noch die VDI-Richtlinie verlangten die Berücksichtigung der nassen Depositionen von Quecksilber. Die Aufteilung zwischen oxidiertem und elementarem Quecksilber sei zutreffend. Die Depositionsgeschwindigkeit für Schwefeldioxid entspreche den Vorgaben des OVG NRW, ansonsten entsprächen die Depositionsgeschwindigkeiten der VDI Richtlinie 3782 Blatt 5. Es sei auch der ungünstigste Betriebszustand betrachtet worden. Auf die Ausführungen des LANUV in dem Erörterungstermin zum Kraftwerkprojekt Datteln 4 und in der Stellungnahme vom 13. August 2013 werde Bezug genommen. Wegen der Kühlturmauslegung habe am 10. Juli 2015 ein Gespräch mit dem Kühlturmhersteller stattgefunden. Dabei seien Auslegungsgrundlagen des Kühlturms für den 100 %‑, den 80 %- und den 60 %-Betrieb zur Verfügung gestellt worden. Eine vollständige Vermischung der deutlich wärmeren, in einer Höhe von ca. 50 m eingeleiteten Feuerungsabgase mit dem Kühlturmschwaden finde zwar nicht statt. Ungeachtet dessen sei die abweichende Annahme in der Immissionsprognose konservativ, da das nach der TA Luft verwendete Modell für eine jeweils über die Kühlturmmündung gemittelte Temperatur und Austrittsgeschwindigkeit des Schwaden-Abgasgemischs parametrisiert worden sei. Die Ausbreitungsrechnungen für den 100 %- und für den 60 %-Lastfall seien weitgehend linear. Bei einer Reduzierung des Lastbetriebs nehme der Schwadenvolumenstrom geringer ab als der Volumenstrom der Feuerungsabgase, die Reduzierung der Emissionsmassenströme führe zu einer Verminderung der resultierenden Immissionsbelastung, weil das Schwaden-Abgasgemisch noch ausreichenden Auftrieb aufweise, d. h. die Reduzierung der Emissionen werde nicht durch einen verminderten Auftrieb überkompensiert. Die geringere Luftfeuchtigkeit von weniger als 80 % führe aufgrund des damit verbundenden größeren Kühlgrenzabstandes ebenfalls zu höheren Austrittsgeschwindigkeiten.
268Das Vorhaben verstoße auch nicht gegen Naturschutzrecht. Beeinträchtigungen der FFH-Gebiete seien nicht zu erwarten. Insoweit werde auf die Einschätzung des LANUV, des Landesbetriebes Wald und Holz NRW und des Geologischen Dienstes vom 8. August 2014 verwiesen. Das Critical-Loads-Konzept und die Abschneidekriterien stellten die besten wissenschaftlichen Erkenntnisse dar. Die Critical Loads für den Säureeintrag seien von P. -E. modelliert worden, die Critical Loads für Stickstoffeinträge stammten vom LANUV. Zur Plausibilisierung der Modellierung seien Vegetationsaufnahmen und bodenkundliche Kartierungen sowie Bodenanalysen erstellt worden. Zusätzlich sei vorsorglich eine Einzelfallbetrachtung vorgenommen worden. Bezüglich der Wirkungen sei die Methodik des LANUV angewandt worden, die auf den besten wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhe. Die Abschneidekriterien seien vom LANUV anhand der Grenze der Nachweisbarkeit projektbezogen entwickelt worden. Sie beträfen rechnerisch darstellbare, keiner Emissionsquelle zurechenbare Immissionen. Der Abschneidewert für Stickstoffeinträge sei äußerst konservativ, er sei kleiner als der in dem Vorhaben des Bundesamtes für Straßenwesen vorgeschlagene Wert. Die Summierung mit den anderen Projekten habe sich am Prioritätsprinzip ausgerichtet. Als maßgeblicher Stichtag sei auf dem 31. März 2007 abgestellt worden, maßgeblicher Zeitraum sei demnach der 7. Dezember 2004 bis zum 31. März 2007. Die Zusatzbelastung der B. AG sei daher ebenso wenig zu berücksichtigten wie das von der Beigeladenen in die Kumulationsrechnung vom 15. November 2015 eingestellte Biomassewerk Lünen, das schon vor Unterschutzstellung des FFH-Gebiets genehmigt worden sei.
269Der Erlass des MKULNV vom 30. September 2014 sei beachtet worden. Die Betrachtung der FFH-Gebiete sei schutzgebietsbezogen erfolgt. Es seien alle potenziellen Einwirkungen des Kraftwerks und alle Wirkungspfade in einem aufeinander aufbauenden System von Prüfschritten einbezogen worden.
270Die Unterschiede zu den früheren Immissionsprognosen beruhten auf den neuen Emissionsbegrenzungen und den daraus resultierenden Jahresfrachten bei 85 % der maximalen Betriebsstunden. Der Wert für Ammoniak sei nach den Ergebnissen von Einzelmessungen praxisnah.
271Da die Erstellung von dynamischen Stoffhaushaltsbilanzen in den Leitfäden nicht vorgesehen sei, werde von weiterem Vortrag zur Kritik des Klägers abgesehen. Die boden- und vegetationskundlichen Untersuchungen entsprächen den Anforderungen des Geologischen Dienstes und des LANUV, die Probeentnahmen seien an repräsentativen Stellen erfolgt. Die Kartierung der Lebensraumtypen im FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ sei vom LANUV abgenommen worden, und die Ergebnisse seien in die dortige Datenbank eingepflegt worden.
272Die Schwermetalleinträge in die Lippe seien anhand der Abschneidekriterien des LANUV bewertet worden. Die Ausnahmeprüfung sei nur äußerst vorsorglich erfolgt und weise keine Fehler auf.
273Der Artenschutzbeitrag sei ausreichend und beruhe auf fachlich korrekt durchgeführten Ermittlungen auch während der Bauvorbereitung und vor der Errichtung der Bauwerke. Ein Verstoß gegen Tötungs- und Verbotstatbestände liege nicht vor. Für die Kreuzkröte habe es nur einen Rufnachweis gegeben, nachdem das Gelände von der Vegetation geräumt worden sei. Eine Ortung sei nicht möglich gewesen. Beim Eisvogel lägen die Akkumulationswerte unter einer möglichen Effektschwelle, beim Flussneunauge sei eine Verschlechterung des Erhaltungszustands ausgeschlossen. Der Kläger sei mit dem Vortrag zur Radioaktivität weiter präkludiert. Der TÜV Nord gebe im Übrigen an, dass die Werte kleiner seien als die natürlichen Strahlungswerte. Die vom Kläger gewünschte Bewertung des Makroklimas sei nicht Gegenstand der Umweltverträglichkeitsprüfung. Die Beigeladene habe schließlich auch weiter ein berechtigtes Interesse an der Erteilung eines Vorbescheides, weil die Grundlage für die bereits erteilten Teilgenehmigungen wiederhergestellt werden müsse.
274Die Beigeladene beantragt,
275die Klage abzuweisen.
276Die Beigeladene weist darauf hin, dass das Vorhaben Kraftwerk Herne Block 5 endgültig weggefallen sei, nachdem der Vorbescheid vom 14. Dezember 2007 mit Ablauf des 12. Oktober 2014 unwirksam geworden sei. Für das Kraftwerkprojekt Datteln 4 sei ein Vollgenehmigungsverfahren geplant. Im Übrigen sei die Klage teilweise unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.
277Der Vortrag des Klägers sei in weiten Teilen schon deshalb nicht zu berücksichtigen, weil er zu pauschal und unsubstantiiert sowie anwaltlich nicht aufbereitet sei. Der Kläger könne auch nur Vorschriften mit Umweltbezug rügen. Verstöße gegen baurechtliche Vorschriften könne er daher nicht geltend machen, ein nur mittelbarer Zusammenhang mit Umweltvorschriften reiche für die Klagebefugnis nicht aus. Ungeachtet dessen entspreche das Vorhaben den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 80. Die Ausweisungen auf der Ebene der Landes- und Regionalplanung stünden der Errichtung und dem Betrieb eines Kraftwerks nicht entgegen. Der Bebauungsplan sei weder funktionslos geworden noch unterliege er einer nachträglichen UVP- oder FFH-Verträglichkeitsuntersuchungs-Pflicht. Es reiche aus, wenn die Zulassungsentscheidung - wie hier - einer Umwelt- und FFH-Verträglichkeitsprüfung unterzogen worden sei.
278Die vorgelegten Antragsunterlagen entsprächen vollumfänglich den störfallrechtlichen Anforderungen. Das Vorhaben der Beigeladenen sei auch immissionsschutzrechtlich genehmigungsfähig. Die Ausbreitungsrechnungen vom 6. August 2012, vom 25. Februar 2013 und vom 15. April 2016 seien vom LANUV geprüft und für plausibel befunden worden.
279Die Schwermetallemissionen und -immissionen, insbesondere von Quecksilber, seien zutreffend ermittelt worden. Aufgrund der Reinigungswirkung der DeNOx-Anlage sei oxidiertes Quecksilber mit einem Anteil von 50 % konservativ berücksichtigt worden. Das habe das LANUV auch für das Kraftwerk Datteln 4 bestätigt. Das oxidierte Quecksilber werde in der REA-Anlage zudem weitgehend aus dem Rauchgas entfernt. Der Tagesmittelwert für Quecksilber von 0,013 mg/m3 werde so eingehalten. Der Emissionswert für Ammoniak sei freiwillig beantragt worden; der Anlagenhersteller habe gewährleistet, dass der Ammoniakgehalt im Rauchgas nach dem Katalysator den Wert von 5 mg/m³ nicht überschreite. Aufgrund der Erhöhung des Rauchgasvolumenstroms auf 2,21 Mio m³/h sei der Wert von 5 mg/m³ auf 4,8 mg/m³ angepasst worden.
280Die Depositionsgeschwindigkeit für Quecksilber von 0,5 cm/s entspreche den Vorgaben der TA Luft und der VDI-Richtlinie 3783 Blatt 3 für gasförmiges Quecksilber. Die vom Kläger benannten Studien aus anderen Ländern seien wegen der unterschiedlichen meteorologischen, geologischen und biologischen Verhältnisse nicht übertragbar. Die nasse Deposition von Quecksilber sei nach der TA Luft zu Recht unberücksichtigt geblieben.
281Mit dem Volllastbetrieb sei der ungünstigste Zustand in den Blick genommen worden. Beim 60 %-Lastbetrieb seien die Emissionsmassenströme und der thermische und impulsbehaftete Auftrieb des Abgasschwadens bei gleichen Randbedingungen geringer, das schadstoffspezifische Immissionsmaximum liege näher an der Emissionsquelle. Er rufe geringere Emissionen hervor; dasselbe gelte für die Fernwärmeauskopplung. Dieses Ergebnis werde durch die Untersuchung des 80 %-Lastfalls mit Ausbreitungsrechnung vom 15. April 2016 und die isolierte Betrachtung von Ammoniak beim 60 %-Lastfall mit Ausbreitungsrechnung vom 13. April 2016 bestätigt. Einer weiteren Darstellung der Auswirkungen der Luftschadstoffe an den einzelnen Beurteilungspunkten der FFH-Gebiete bedürfe es daher nicht. Die Teillastrechnungen beruhten auf denselben Kühlturmparametern wie die Immissionsprognose vom 6. August 2012. Dies gelte insbesondere auch für die Austrittsgeschwindigkeit und -temperatur.
282Die Schwadenüberhöhung sei auf der Grundlage des in das Programm AUSTAL2000 implementierten Anhangs 3 Nr. 6 TA Luft/VDI 3784 Blatt 2 berechnet worden. Die Ausbreitungsrechnung sei vom LANUV unter dem 7. Dezember 2012 bestätigt worden. Auf den Grad der Durchmischung von Abgas und Kühlturmschwaden komme es nicht an. Auch die statistische Unsicherheit sei bei der Ausbreitungsrechnung angemessen berücksichtigt worden. Die statistische Unsicherheit werde von dem Ausbreitungsmodell neben der schadstoffspezifischen Immissionszusatzbelastung automatisch ausgewiesen. Ergebe die Ausbreitungsrechnung eine statistische Unsicherheit von mehr als 3 % des Jahres-Immissionswerts, müsse entsprechend Nr. 9 des Anhangs 3 der TA Luft eine erneute Ausbreitungsrechnung mit einer höheren Partikelzahl oder Qualitätsstufe durchgeführt werden. Die statistische Unsicherheit betrage beim Kraftwerk der Beigeladenen für Schwefel- und Stickstoffdioxid weniger als 0,03 % des Jahres-Immissionswerts.
283Die Wahl des Anemometerstandorts sei sachgerecht und plausibel, die Anforderungen an das DWD-Messnetz müssten nicht vorliegen. Der Standort Lünen-Niederaden sei nach dem Gutachten von ArguSoft vom 13. Februar 2012 geeignet. Er sei vom DWD auch im ersten Vorbescheidsverfahren empfohlen worden.
284Das Vorhaben entspreche den naturschutzrechtlichen Vorgaben. Es verursache weder erhebliche Beeinträchtigungen der FFH-Gebiete über den Luftpfad auf terrestrische Schutzgüter noch über den Luftpfad oder Wasserpfad auf aquatische Schutzgüter.
285Die Kritik des Klägers an den Abschneidekriterien sei unbegründet. Das LANUV habe die Abschneidekriterien empfohlen. Sie seien in der Fachwelt anerkannt und auch rechtlich geboten. Die Grenze des von § 34 BNatSchG verlangten Kausalzusammenhangs werde durch die Nachweisbarkeit markiert. Der Vorhabenträger müsse kein „Nullrisiko“ nachweisen.
286Die kumulierende Betrachtung sei entsprechend der Vorgaben des LANUV und des OVG NRW erfolgt. Das streitbefangene Vorhaben habe seine aufgrund des ersten Antrags auf Erteilung eines Vorbescheides erlangte Vorrangstellung nicht verloren. Daher seien nur die Projekte, die seit Unterschutzstellung des FFH-Gebiets am 7. Dezember 2004 bis zum 31. März 2007 einen prüffähigen Antrag gestellt hätten, in die Kumulation einzubeziehen, also aktuell die Vorhaben Datteln 4 und die Ortsumfahrung Datteln B 474n, nicht jedoch die Änderungen des Werks der B. AG. Der Wegfall der Emissionen von Datteln 1-3 sei als Schadensminderungsmaßnahme zu berücksichtigen; ein unmittelbarer und untrennbarer Zusammenhang bestehe, weil kein paralleler Betrieb möglich sei. Die früheren Einträge von Datteln 1-3 seien in der Vorbelastung abgebildet. Die Beigeladene habe ungeachtet dessen vorsorglich neue Kumulationsbetrachtungen auch bezüglich der Tierhaltungsanlagen vorgelegt.
287Die Ausbreitungsrechnung vom 6. August 2012 beruhe auf veränderten Eingangsdaten. Die Emissionsfrachten für Stickstoff- und Schwefeloxide seien im Jahresmittel reduziert worden. Die resultierenden Jahresfrachten seien bei Volllastbetrieb auf Antrag auf 85 % des Wertes begrenzt worden. Die meteorologischen Zeitreihen der Windrichtungs-, Windgeschwindigkeits- und Ausbreitungsklassenverteilung sowie die Niederschlagsreihen seien aktualisiert worden. Für das Kraftwerk Datteln 1-3 seien abweichend die Emissionsfrachten aus den Jahren 2003 bis 2011 eingestellt worden. Die Emissionsfrachten und -begrenzungen für Datteln 4 seien entsprechend der textlichen Festsetzungen im Vorhaben- und Erschließungsplan und im vorhabenbezogenen Bebauungsplan aktualisiert worden. Die Ableitbedingungen des Kühlturms Datteln 4 seien mit Blick auf die Fernwärmeauskopplung angepasst worden.
288Es sei nicht mit synthetischen Windrosen gearbeitet worden, die Prognose beruhe auf den meteorologischen Daten 2009 der Messstation Lünen-Niederaden. Dies sei vom LANUV als plausibel erachtet worden. Die Depositionsgeschwindigkeiten seien mit dem LANUV abgestimmt worden, für Schwefeldioxid seien 1,25 cm/s über Wald ausreichend konservativ. Die VDI-Richtlinie 3782 enthalte mit 1,5 cm/s nur einen Anhaltswert für Wald, der Anhang D differenziere nach der Art des Waldes. Es ergebe sich als Mittelwert eher ein Wert kleiner als 1 cm/s; Berechnungen von N. -BBM mit ortsabhängigen Depositionsgeschwindigkeiten unter Berücksichtigung der VDI-Richtlinie 3782 Blatt 5 und Untersuchungen des LANUV hätten ergeben, dass der gewählte Ansatz pessimal sei; Auswirkungen auf die Bagatellschwelle ergäben sich nicht.
289Die Zusatzbelastung für das Kraftwerk Datteln 1-3 sei korrekt ermittelt worden. Es bedürfe einer repräsentativen Emissionssituation. Der Zeitraum von 9 Jahren sei aussagekräftiger als ein Zeitraum von 5 Jahren. Ammoniak sei mit 1 mg/m³ angemessen berücksichtigt worden.
290Die Austrittgeschwindigkeit für das Kraftwerk Datteln 4 sei mit 4,5 bzw. 4,3 m/s zutreffend angesetzt worden, die Zahlen seien in der Immissionsprognose für Datteln 4 vom 20. September 2013 verifizierbar; im Anhang 8.8. seien die Auslegungsdaten des Kühlturmherstellers wiedergegeben. Nach der VDI-Richtlinie 3784 Blatt 2 sei eine Berechnung des Wärmestroms nicht erforderlich, maßgeblich seien die Austrittsgeschwindigkeit, die Temperatur, die relative Feuchtigkeit und der Flüssigwassergehalt. Dies sei vom LANUV bestätigt worden. Die Zusatzbelastung für das Kraftwerk Datteln 4 sei auch sonst zutreffend ermittelt worden. Die ursprünglich in den Zeitreihen fehlerhaft unbesetzt gebliebenen Emissionsstellen seien auf Empfehlung des LANUV manuell nachbesetzt worden. Nur bei der Ermittlung der maximalen Zusatzbelastung sei die statistische Unsicherheit nicht berücksichtigt worden.
291Die halbjahresweise Berücksichtigung der Fernwärmeauskoppelung beim Kraftwerk Datteln 4 beruhe auf Erkenntnissen aus dem Zeitraum von 1961 bis 2009. Dieser langjährige Zeitraum erlaube eine konservative Abschätzung auch für die Zukunft.
292Die Unterschiede zwischen der Immissionsprognose zur FFH-Verträglichkeitsprüfung zu Datteln 4 vom 12. April 2012 und der Immissionsprognose vom 6. August 2012 beruhten auf dem Umstand, dass die Lücken in den Emissionszeitreihen am 12. April 2012 noch nicht geschlossen gewesen seien, dies sei in Abstimmung mit dem LANUV erst nach dem 24. Juli 2012 erfolgt.
293Die Datengrundlagen der bodenkundlichen Erhebungen reichten für die Modellierung der Critical Loads aus. Es sei eine flächendeckende Bodenkartierung im Maßstab 1:5.000 nach Kartieranleitung, konkretisiert nach den Vorgaben des Geologischen Dienstes, erstellt worden. Das LANUV habe bestätigt, dass die Anforderungen erfüllt worden seien. Die Vegetationsaufnahmen von Bioplan 2012 seien mit dem LANUV abgestimmt und dort geprüft worden. Alle wichtigen Bodenparameter seien betrachtet worden.
294Die Beurteilungspunkte C 1 bis 11 seien repräsentativ anhand der aktualisierten Immissionsprognose ausgewählt worden. In dem so ermittelten Wirkraum sei jeweils mindestens ein repräsentativer Beurteilungspunkt für die unterschiedlich empfindlichen Kombinationen aus Boden- und Vegetationstypen gewählt worden, vorrangig an Stellen, die den höchsten Depositionswert der Säureeinträge aufweisen. Diese Vorgehensweise sei vom LANUV bestätigt worden und entspreche einer worst-case-Betrachtung. Die Beurteilungspunkte konzentrierten sich auf den westlichen und südwestlichen Teil des FFH-Gebiets, weil hier die höchsten Immissionen prognostiziert worden seien. Eine gezielte Auswahl von Flächen mit Eutrophierungsanzeigern habe es nicht gegeben. Die Vegetationsaufnahmen dienten nicht der flächendeckenden Erfassung jeglicher Ausprägung der Vegetationseinheit, sie seien repräsentativ für den „Kern“ der Pflanzengesellschaften. Im Nordwesten seien keine vorhabenbedingten Auswirkungen zu besorgen.
295Die Änderung der Höhe der Critical Loads im Vergleich zu den im vorhergehenden Verfahren ermittelten Critical Loads sei plausibel. Der Informationsstand habe sich durch die neuen Bodenuntersuchungen verändert, frühere Annahmen seien relativiert worden. Außerdem liege eine aktualisierte Immissionsprognose mit neuen Beurteilungspunkten mit der höchsten zu erwartenden Zusatzdeposition vor. Ferner seien aktualisierte Wetterdaten des DWD mit den Mittelwerten für die Periode 1981 bis 2010 vorgelegt worden.
296Im Ergebnis sei festzustellen, dass sämtliche Stickstoff- und Säureeinträge des Vorhabens in Summation mit den zu berücksichtigenden Projekten unterhalb der rezeptorspezifischen 3 %-Bagatellschwelle lägen. Ungeachtet dessen sei vorsorglich eine gebietsbezogene Einzelfallbetrachtung der Auswirkungen von Säureeinträgen in das FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ durchgeführt worden. Alle Gutachter gelangten zu der übereinstimmenden Einschätzung, dass für alle als Erhaltungsziel ausgewiesenen Lebensraumtypen ausgeschlossen sei, dass die prognostizierten Schadstoffimmissionen zu Bodenversauerungen führten, die eine erhebliche Beeinträchtigung auslösen könnten. Dieses Ergebnis sei vom LANUV für plausibel erachtet und mitgetragen worden.
297Die Einzeluntersuchungen belegten, dass der Baumbestand über eine funktionierende Basenpumpe verfüge, die zur Pufferung weiterer Säureeinträge zur Verfügung stehe. Auch diese Einschätzung werde vom LANUV mitgetragen. Ferner lägen hydrologische Verhältnisse mit ausgeprägtem Stauhorizont im Bereich basenreicher Bodenschichten sowie ein lateraler Wasserabfluss vor. Auch diese Umstände wirkten der Bodenversauerung entgegen. Die Kritik des Klägers an der Einzelfalluntersuchung sei unberechtigt und beziehe sich in weiten Teilen auf die Beurteilung eutrophierender Effekte, die gerade nicht Gegenstand der Einzelfallprüfung gewesen seien.
298Die vom Kläger in den Mittelpunkt seiner Argumentation gestellte starke Oberbodenversauerung impliziere nicht ohne weiteres eine erhebliche Beeinträchtigung der Schutzzwecke des FFH-Gebiets. Die Beigeladene bestreite nicht, dass die Oberböden versauert seien. Bei ohnehin rückläufiger Hintergrundbelastung liege jedoch keine irreversible Schädigung der Böden vor, und die prognostizierten kumulierenden Einträge führten nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung des FFH-Gebiets „Wälder bei Cappenberg“. Die aktuell bestehende Versauerung sei den deutlich stärkeren Säureeinträgen des letzten Jahrhunderts geschuldet. Bei einer flächendeckenden Begehung im Jahr 2014 sei keine Verdrängung säureintoleranter Arten festgestellt und es seien keine Starksäureanzeiger gefunden worden. Eine Verdrängung säureintoleranter Arten sei auch nicht zu erwarten, weil flächendeckend basenreicher Kalkmergel im durchwurzelten Unterboden vorhanden sei, aus dem sowohl durch die Basenpumpe als auch durch aufsteigendes Stauwasser eine Kationennachlieferung erfolge. Eine Beprobung der Podsole nordöstlich von Cappenberg sei nicht erforderlich gewesen. In diesem Bereich würden geringere Depositionen prognostiziert.
299Die vom Kläger kritisierte Critical-Load-Methodik entspreche den derzeit besten wissenschaftlichen Erkenntnissen aus dem Forschungsvorhaben des Bundesamtes für Straßenwesen (BASt), die auf andere Projekttypen übertragbar seien. Ihre Anwendung werde vom LANUV empfohlen.
300Für die eutrophierenden Stickstoffeinträge seien die empirischen Critical Loads des LANUV und nicht die Modellierung von P. -E. verwendet worden. Für die versauernden Einträge sei die Simple-Mass-Balance-Modellierung von P. -E. vom 6. August 2012 herangezogen worden. Die genutzten Datensammlungen stammten von vor 1960 und repräsentierten weitgehend ausbalancierte Verhältnisse der Artenzusammensetzung und des Stickstoff- und Basenhaushalts, jedenfalls aber keinen schlechteren Zustand als bei Inkrafttreten der FFH-Richtlinie. Die Modellierung der Critical Loads mit Hilfe des BERN-Modells stelle einen Schutz der Lebensraumtypen mit sehr gutem Erhaltungszustand sicher. Die Critical Loads seien ein anerkannter Beurteilungsmaßstab, der auch vom Bundesverwaltungsgericht akzeptiert werde. Sie seien als der aktuelle Stand der Wissenschaft und Forschung anzusehen und stellten einen konservativen worst-case-Ansatz dar.
301Auch die Anwendung der 3 %-Bagatellschwelle sei fachlich begründet. Sie finde ihren rechtlichen Ansatz im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Höhe der Bagatellschwelle beruhe ebenfalls auf einem fachwissenschaftlichen Konsens. Der Endbericht des BASt-Vorhabens sei auch insoweit das neueste Forschungsvorhaben und enthalte eine Auswertung der aktuellen Forschung und Literatur im In- und Ausland. Er sei als Fachkonvention vom Bundesverwaltungsgericht anerkannt und nicht politisch motiviert oder sonst interessengesteuert. Der Fachkonsens sei unabhängig von Vorhabenträgern hergestellt worden. Die Bagatellschwelle gelte auch für versauernde Einträge. Sie werde für alle Lebensraumtypen unterschritten.
302Die vom Kläger angeführten und eingeholten Gutachten stellten die Feststellung der FFH-Verträglichkeit nicht in Frage.
303Eine horizontweise Bewertung der pH-Werte und deren Zuordnung zu Pufferbereichen seien nicht zielführend. Die Pufferbereiche nach Ulrich 1987 bezögen sich auf die gesamte durchwurzelte Bodenschicht, da die Wurzeltracht über mehrere Horizonte verteilt sei und der Einfluss einzelner Horizonte sich nivelliere. Die Mittelwertbildung führe nicht zu Fehleinschätzungen. Der Kläger fordere zu Unrecht eine vergleichende Betrachtung, um die Entwicklung, Vorbelastung und Auswirkung von im Rahmen der Einzelfallbetrachtung nicht relevanten Stickstoff-Einträgen angeblich besser beurteilen zu können, worauf es für die Ermittlung der idealtypischen, auf einen günstigen Erhaltungszustand abstellenden Critical Loads aber nicht ankomme. Derartige Vergleiche seien auch nicht geeignet. Sie erforderten Erhebungen an derselben Stelle über einen langen Zeitraum. Dies könne nur in einem Forschungsprojekt geleistet werden. Solche Untersuchungen lieferten auch keine weitergehenden Erkenntnisse zu den versauernden Effekten. Auch eine Auswertung historischer Zeitreihen sei nicht erforderlich. Bei der Ermittlung der Critical Loads werde auf Referenzzustände von vor 1960 abgestellt, die Einzelfallbetrachtung beruhe auf der Auswertung aktueller Standortparameter. Die Verwendung von Stickstoff-Zeigerwerten führe ebenfalls nicht weiter. Diese seien monokausal auf die Indikation eines einzigen Nährstoffes ausgerichtet und könnten einen allgemeinen großräumigen Trend oder Extreme anzeigen, sie hätten aber kaum Aussagekraft für das verbreiterte Mittelfeld. Sie seien damit nicht geeignet für die vegetationskundliche Untersuchung von Standorten, auf denen der Critical Load eines Lebensraumtyps seit Jahrzehnten überschritten sei, weil die empfindlichsten Rezeptoren nicht mehr da seien. Der Critical Load sei deshalb auf den anzustrebenden günstigen Referenzzustand bezogen. Die Frage nach dem Entwicklungsstadium sei nicht zielführend, weil nicht der aktuelle, sondern der günstige Erhaltungszustand eines Lebensraumtyps Basis für die Critical-Loads-Berechnungen sei. Die hier getroffenen Annahmen des Klägers seien fachwissenschaftlich nicht haltbar.
304Als Fazit zu den “Wäldern bei Cappenberg“ sei festzustellen, dass die eutrophierend wirkenden Stickstoffeinträge das Abschneidekriterium von 0,1 kg N/(ha*a) geringfügig überschritten, nicht aber das Abschneidekriterium von 0,3 kg N/(ha*a). Das Abschneidekriterium für versauernde Einträge werde ebenfalls nur geringfügig überschritten. Die Vorbelastung überschreite die Critical Loads, die kumulierte Zusatzbelastung liege aber unterhalb der 3 %-Bagatellschwelle. Die nur vorsorglich durchgeführte Einzelfallprüfung für versauernde Einträge habe keine erhebliche Beeinträchtigung festgestellt. Dies gelte auch, wenn die 3 %-Bagatellschwelle für Säureeinträge aufgrund anderer Ausgangswerte oder aber der weiteren Berücksichtigung von Vorhaben Dritter überschritten würde.
305Die Schwermetalleinträge gingen ebenfalls seit 2008 zurück. Die Schwermetallbelastung in den Wäldern bei Cappenberg sei gering und rückläufig. Auch nach dem Waldzustandsbericht 2013 hätten die Konzentrationen in den oberen, neu gebildeten Humuslagen L und Oh abgenommen. Die vorhabenbedingten Schwermetalleinträge unterschritten die vom LANUV empfohlenen Abschneidekriterien. Eine nähere Betrachtung der Auswirkungen sei daher nicht erforderlich gewesen. Die natürlichen Pflanzengehalte würden allerdings auch über einen Zeitraum von 40 Jahren nicht relevant verändert, eine Gefährdung der Lebensraumtypen könne daher ausgeschlossen werden. Die Critical Loads für Schwermetalle des Umweltbundesamtes seien als Maßstab ungeeignet.
306Die Schwermetalleinträge in aquatische Schutzgüter über den Luftpfad seien geprüft worden. Die maximale Zusatzbelastung über den Luftweg unterschreite in allen untersuchten FFH-Gebieten mit aquatischen Lebensraumtypen und Arten die vom LANUV empfohlenen Abschneidekriterien für Quecksilber und staubgebundene Schwermetalle, eine nähere Betrachtung sei daher nicht erforderlich gewesen.
307Die indirekte Einleitung versauernder und eutrophierender Einträge sei irrelevant, weil diese im Bereich der terrestrischen Depositionsflächen weitestgehend durch Reaktionen zurückgehalten bzw. assimiliert würden. Die direkte Einleitung auf dem Luftpfad sei ebenfalls irrelevant, der pH-Wert der Lippe werde nur irrelevant beeinträchtigt. Die hypothetische Absenkung um 0,015 Einheiten sei durch Messungen nicht nachweisbar und ohne Einfluss auf die Gewässerqualität als Lebensraum für Tiere und Pflanzen.
308Die Deposition anorganischer Stickstoff-Verbindungen in die Gewässer von konservativ angenommenen 0,5 kg N/(Ha*a) führe zu einer hypothetisch kalkulierbaren Zusatzkonzentration von ≤ 0,0001 mg/l. Dies entspreche in Bezug auf die mittlere Hintergrundkonzentration 0,002 %, was analytisch nicht nachweisbar und in Bezug auf mögliche eutrophierende Wirkungen nicht relevant sei. Die mögliche erhöhte organische Produktion sei messtechnisch nicht erfassbar. Erhebliche Auswirkungen seien nicht zu erwarten.
309Artenschutzrechtliche Verbotstatbestände seien nicht erfüllt. Für die Kreuzkröte habe es nur einen Rufnachweis gegeben, die gezielte Suche habe keinen Nachweis ergeben. Eine Tötung des Eisvogels sei ausgeschlossen.
310Die Bedenken des Klägers hinsichtlich der Radioaktivität seien unbegründet. Der Kläger verwende falsche Einheiten und betrachte ausschließlich die Emissionen unabhängig von der Art der Strahlung. Eine vom Kläger angenommene Strahlenexposition von 0,4 µSv/a entspreche 1/1000 der natürlichen Strahlenbelastung.
311Es fehle auch hinsichtlich des Wasserrechts nicht an einem vorläufigen positiven Gesamturteil. Die wasserrechtliche Erlaubnis sei erteilt worden. Sie sei zwar angefochten worden, aber bislang nicht aufgehoben und weiterhin wirksam. Der Vorbescheid beschreibe und betrachte die wasserrechtlich bedeutsamen Auswirkungen und habe die Koordinierungspflicht erkannt. Die Schwermetalleinträge über den Luftpfad seien nicht von der Konzentrationswirkung des § 13 BImSchG ausgenommen, aber die Betrachtung der Summe von Luft- und Wasserpfad erfolge durch die Wasserbehörde. Die Schwermetalleinträge über den Luftpfad unterschritten das Abschneidekriterium. Der Beitrag sei im Verhältnis zur Wasservorbelastung vernachlässigbar gering und derzeit messtechnisch nicht nachweisbar. Trotzdem sei vorsorglich der Einfluss auf die Schwermetallkonzentration anhand der in der Immissionsprognose vom 6. August 1012 für Luftschadstoffe prognostizierten Schwermetalldepositionen berechnet worden. Es ergäben sich äußerst geringfügige rechnerische Veränderungen, ein Kausalzusammenhang sei nicht herstellbar. Dies zeige auch, dass die Abschneidekriterien eine geeignete Beurteilungsmethode seien.
312Der Klimaschutz sei nicht Bestandteil der Umweltverträglichkeitsprüfung. Die Prüfung sei durch den Auswirkungsbereich des Vorhabens begrenzt. Ein Zusammenhang mit dem globalem Klima oder dem Klimawandel könne nicht verlässlich hergestellt werden.
313Es fehle auch nicht an dem berechtigten Interesse an einem Vorbescheid. Erforderlich sei ein objektiver Vorteil, verfahrensökonomische, wirtschaftliche oder technische Gründe seien ausreichend. Hier lägen verfahrensökonomische und wirtschaftliche Gründe vor. Die durch den Wegfall des ursprünglichen Vorbescheids entstandene Regelungslücke werde geschlossen, was mehr Rechts- und Planungssicherheit als ein neues Vollgenehmigungsverfahren biete. Rechtsverlust oder Erschwernisse für den Kläger oder andere Betroffene seien nicht gegeben.
314Der Senat hat mit Beschlüssen vom 30. und 31. Mai 2016 zu der Frage Beweis erhoben, ob die Berechnung der standort- und lebensraumtypspezifischen Critical Loads für versauernde Stoffeinträge im Gutachten der Fa. P. -E. vom 6. August 2012 unter Berücksichtigung der klägerischen Einwände gegen verschiedene Parameter (z. B. Umgang mit den basischen Kationen, insbesondere Natrium, und den Chloridionen, N-Immobilisierungsrate, Denitrifikation und kritische Austragsrate der Säureneutralisierungskapazität) methodisch und fachwissenschaftlich vertretbar ist. Insoweit wird auf den Inhalt der gutachterlichen Stellungnahme des Herrn Dipl.-Biol. S. V. und des Herrn Dipl.-Forstwirt D. K. vom 15. Juni 2016 verwiesen.
315Hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung einschließlich der ergänzenden Befragung der Sachverständigen V. und K. sowie der von den Beteiligten und dem LANUV gestellten Gutachter wird auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 11. und 12. Mai 2016 sowie vom 16. Juni 2016 Bezug genommen.
316Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.
317E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
318Die Klage gegen den Vorbescheid vom 20. November 2013, die 1. Teilgenehmigung vom 21. November 2013 und die 7. Teilgenehmigung vom 22. November 2013 hat keinen Erfolg.
319A. Zulässigkeit
320Die Klage ist zulässig. Der Kläger ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG klagebefugt. Danach kann eine nach § 3 UmwRG anerkannte inländische oder ausländische Vereinigung, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG oder deren Unterlassen einlegen, wenn sie geltend macht, dass eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen und für die Entscheidung von Bedeutung sein können, widerspricht. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
321Der Kläger ist als im Jahr 1981 (vgl. MBl. NRW vom 28. Juli 1981, S. 1459) nach § 29 BNatSchG a. F. anerkannter Umwelt- und Naturschutzverein eine nach § 3 UmwRG anerkannte Vereinigung. Die Anerkennung gilt nach der Übergangsregelung des § 5 Abs. 2 UmwRG in der am 1. März 2010 in Kraft getretenen Fassung vom 29. Juli 2009 (BGBl. I, S. 2542) als Anerkennung im Sinne des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes fort.
322Die angefochtenen Bescheide betreffen Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) UmwRG. Nach dieser Vorschrift findet das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz Anwendung auf Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen im Sinne von § 2 Abs. 3 UVPG über die Zulässigkeit von Vorhaben, für die nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen kann. Das trifft auf das streitbefangene Vorhaben zu. Nach § 3 Abs. 1 UVPG i. V. m. Nr. 1.1.1 der Anlage 1 zum UVPG sind die Errichtung und der Betrieb einer Anlage zur Erzeugung von Strom, Dampf, Warmwasser, Prozesswärme oder erhitztem Abgas durch den Einsatz von Brennstoffen in einer Verbrennungseinrichtung (wie Kraftwerk, Heizkraftwerk, Heizwerk, Gasturbine, Verbrennungsmotoranlage, sonstige Feuerungsanlage), einschließlich des jeweils zugehörigen Dampfkessels, mit einer Feuerungswärmeleistung von mehr als 200 MW - zwingend - UVP-pflichtig. Das streitbefangene Kohlekraftwerk hat eine Feuerungswärmeleistung von bis zu 1.705 MW.
323Der Kläger macht die Verletzung von Vorschriften geltend, die dem Umweltschutz dienen und die er damit als Umweltverband zu rügen berechtigt ist. Er kann sich insbesondere darauf berufen, dass die Voraussetzungen der §§ 9, 6 und 5 Abs. 1 BImSchG nicht vorliegen und dass das Kraftwerksvorhaben gegen die Anforderungen der FFH-Richtlinie,
324Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206, S. 7) in der Fassung der Richtlinie 2006/105/EG des Rates vom 20. November 2006 zur Anpassung der Richtlinien 73/239/EWG, 74/557 EWG und 2002/83/EG im Bereich Umwelt anlässlich des Beitritts Bulgariens und Rumäniens (ABl. L 363, S. 368) und der Richtlinie 2013/17/EU des Rates vom 13. Mai 2013 zur Anpassung bestimmter Richtlinien im Bereich Umwelt aufgrund des Beitritts der Republik Kroatien (ABL. L 158, S. 193) - FFH-RL -,
325verstößt. Der Kläger ist ferner berechtigt, Fehler der Umweltverträglichkeitsprüfung geltend zu machen und Verstöße gegen das Artenschutz- und Wasserrecht zu rügen. Inwieweit der Kläger die Verletzung bauordnungs- und bauplanungsrechtlicher Vorschriften rügen darf,
326siehe dazu etwa BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 2013 - 7 C 36.11 -, BVerwGE 148, 155 = juris Rn. 23 ff., 60; OVG NRW, Urteil vom 12. Juni 2012 ‑ 8 D 38/08.AK -, NuR 2012, 722 = juris Rn. 195 ff.; Seibert, NVwZ 2013, 1040, 1043 f., je m. w. N.,
327kann offen bleiben. Dem Vorhaben stehen baurechtliche Vorschriften nicht entgegen (vgl. unter I. 3).
328Der Kläger ist nicht präkludiert. Der Einwendungsausschluss des § 2 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 UmwRG ist unionsrechtswidrig und kann dem Kläger daher nicht entgegengehalten werden.
329Vgl. EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2015 ‑ C‑137/14 (Kommission/Bundesrepublik Deutschland) -, NJW 2015, 3495 = juris Rn. 75 ff.
330Auch die Frage einer Präklusion wegen missbräuchlichen Verhaltens stellt sich im vorliegenden Verfahren nicht. Weder hat der Gesetzgeber bislang eine entsprechende Vorschrift erlassen noch liegen Anhaltspunkte für ein missbräuchliches Verhalten vor.
331B. Begründetheit
332Die Klage ist jedoch unbegründet.
333Der Kläger kann nicht die Aufhebung der angefochtenen Bescheide beanspruchen (§ 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 UmwRG). Der immissionsschutzrechtliche Vorbescheid vom 20. November 2013, die 1. Teilgenehmigung vom 21. November 2013 und die 7. Teilgenehmigung vom 22. November 2013 sind rechtmäßig.
334I. Vorbescheid
335Der Vorbescheid (1) verstößt nicht gegen Vorschriften des materiellen Immissionsschutzrechts, namentlich des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der dazu ergangenen Verordnungen (2). Dem Vorhaben stehen auch weder baurechtliche (3) noch artenschutzrechtliche (4) Hindernisse entgegen. Die Umweltverträglichkeitsprüfung weist keine Fehler auf (5). Das Vorhaben ist naturschutzrechtlich mit der FFH-Richtlinie vereinbar (6). Der Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung stehen auch in wasserrechtlicher Hinsicht keine von vorneherein unüberwindlichen Hindernisse entgegen (7). Die Beigeladene hat ein berechtigtes Interesse an der Erteilung des Vorbescheides (8).
3361. Rechtsgrundlagen
337Der streitgegenständliche Vorbescheid beruht auf §§ 9 Abs. 1 und 3, 6 Abs. 1 BImSchG.
338Auf Antrag soll gemäß § 9 Abs. 1 BImSchG durch Vorbescheid über einzelne Genehmigungsvoraussetzungen sowie über den Standort der Anlage verbindlich entschieden werden, sofern die Auswirkungen der geplanten Anlage ausreichend beurteilt werden können und ein berechtigtes Interesse an der Erteilung eines Vorbescheides besteht. Die Vorschriften der §§ 6 und 21 BImSchG gelten sinngemäß (§ 9 Abs. 3 BImSchG). Die Genehmigung ist nach § 6 Abs. 1 BImSchG zu erteilen, wenn sichergestellt ist, dass die sich aus § 5 BImSchG und den aufgrund des § 7 BImSchG erlassenen Rechtsverordnungen ergebenden Pflichten erfüllt werden (Nr. 1), und andere öffentlich-rechtliche Vorschriften und Belange des Arbeitsschutzes der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegen stehen (Nr. 2).
339Soweit der Vorbescheid über das Vorliegen bestimmter Genehmigungsvoraussetzungen entscheidet, bindet er als Ausschnitt aus dem feststellenden Teil der Genehmigung die Genehmigungsbehörde für das weitere Genehmigungsverfahren und nimmt insoweit die Entscheidung vorweg. Die festgestellten Genehmigungsvoraussetzungen müssen schon bei der Bescheidung des Antrags auf Erteilung eines Vorbescheids abschließend geprüft werden. Erforderlichenfalls ist ‑ um keine rechtswidrige Genehmigung in Aussicht zu stellen - die Bindungswirkung des Vorbescheides durch Vorbehalte, insbesondere durch Angabe von Nebenbestimmungen zu der späteren Genehmigung einzuschränken.
340Ein Vorbescheid kann zu jeder für die Genehmigung relevanten Frage ergehen, die im Vorgriff auf sie rechtlich und tatsächlich auch geklärt werden kann. Dies schließt umgekehrt für den Antragsteller auch das Recht ein, einzelne für die Genehmigung relevante Fragen aus der Prüfung auszuklammern.
341Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. Dezember 2009 ‑ 8 D 12/08.AK -, DVBl. 2010, 719 = juris Rn. 146; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 15. Februar 1990 ‑ 10 S 2893/88 -, juris Rn. 23.
342Voraussetzung für die Erteilung des Vorbescheids ist weiter, dass die "Auswirkungen der geplanten Anlage ausreichend beurteilt werden können". Aufgrund einer vorläufigen Prüfung anhand der vollständigen und insoweit endgültigen Pläne muss feststehen, dass die gesamte Anlage am vorgesehenen Standort genehmigungsfähig ist (sog. vorläufige positive Gesamtbeurteilung). Die in diesem Zusammenhang geläufige Formulierung, dass dem Gesamtvorhaben "keine von vornherein unüberwindlichen Hindernisse" entgegenstehen dürfen (vgl. § 8 Satz 1 Nr. 3 BImSchG), darf allerdings nicht dahin missverstanden werden, dass das vorläufige positive Gesamturteil erst dann fehlt, wenn die Verwirklichung des Vorhabens bei kursorischer Prüfung mit Sicherheit ausgeschlossen ist. Eine positive Gesamtbeurteilung setzt vielmehr eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Genehmigungsfähigkeit der Gesamtanlage voraus.
343Vgl. Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 8 Rn. 12, m. w. N.
344Bei der abschließenden Genehmigung des Gesamtvorhabens dürfen sich nur noch solche Probleme stellen, die der Vorhabenträger durch Modifikationen des Vorhabens oder ggf. die Genehmigungsbehörde durch Beifügung von Nebenbestimmungen bewältigen kann und voraussichtlich bewältigen wird.
345Die an die vorläufige positive Gesamtbeurteilung anknüpfende Bindungswirkung steht unter zwei Einschränkungen, die sich aus der Vorläufigkeit der dem Urteil zugrundeliegenden Prüfung ergeben. Sie entfällt einmal, wenn die spätere Detailprüfung eines noch zu genehmigenden Anlageteils ergibt, dass dieser so, wie ursprünglich geplant, nicht ausgeführt werden kann. Sie entfällt weiter, wenn infolge einer Änderung der Sach- oder Rechtslage an die noch nicht genehmigten Anlagenteile neue Anforderungen gestellt werden müssen. Wegen dieser beiden Vorbehalte ist die Bindungswirkung des vorläufigen positiven Gesamturteils notwendigerweise eingeschränkter als die Bindungswirkung von Feststellungen des Vorbescheides, die die endgültige Prüfung von Genehmigungsvoraussetzungen betreffen.
346In der Rechtsprechung ist geklärt, dass das vorläufige positive Gesamturteil von einem klagebefugten Dritten insoweit angegriffen werden kann, als es die Einhaltung vorhabenbezogener Genehmigungsvoraussetzungen sicherstellen soll, die der Dritte geltend machen kann.
347Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Februar 1978 - I C 102.76 -, BVerwGE 55, 250 = juris Rn. 56; OVG NRW, Urteile vom 9. Dezember 2009 - 8 D 12/08.AK -, DVBl. 2010, 719 = juris Rn. 148 und vom 1. Dezember 2011 - 8 D 58/08.AK -, ZUR 2012, 372 = juris Rn. 132 ff. .
348Entsprechendes gilt für den Rechtsschutz eines - wie hier - klagebefugten Umweltverbandes. Er kann nicht nur die mit dem Vorbescheid festgestellten Genehmigungsvoraussetzungen, sondern auch die vorläufige positive Gesamtbeurteilung mit der Begründung angreifen, dass das Vorhaben wegen Verstoßes gegen rügefähige Umweltvorschriften - hier insbesondere des Wasser- und Naturschutzrechts - nicht genehmigungsfähig sei.
349Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Vorbescheids ist im Falle der Drittanfechtung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids. Das schließt nicht aus, nachträgliche Änderungen zugunsten des Vorhabenträgers sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht zu berücksichtigen.
350Ständige Rspr. des BVerwG, vgl. nur Beschluss vom 11. Januar 1991 - 7 B 102.90 -, juris Rn. 3 m. w. N.; ferner zum Baurecht Beschluss vom 8. November 2010 - 4 B 43.10 -, BauR 2011, 499 = juris Rn. 9 m.w. N.
351Deshalb sind insbesondere auch während des gerichtlichen Verfahrens vorgelegte neue Immissionsprognosen und Gutachten zur FFH-Verträglichkeit einzubeziehen. Denn in materieller Hinsicht ist maßgeblich, ob das Vorhaben die Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt. Wenn die entsprechende Feststellung im Vorbescheid in der Sache zutreffend ist, besteht kein prozessualer Anspruch auf Aufhebung des Vorbescheids, weil die Genehmigungsbehörde verpflichtet wäre, sogleich einen neuen Vorbescheid zu erteilen.
3522. Immissionsschutzrecht
353Der Vorbescheid stellt zu Recht die Zulässigkeit des Vorhabens in Bezug auf die Emissionen und Immissionen fest.
354a) Rechtsgrundlagen
355Nach dem gemäß § 9 Abs. 3 und § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG auch im Verfahren auf Erteilung eines Vorbescheids beachtlichen § 5 Abs. 1 BImSchG sind genehmigungsbedürftige Anlagen unter anderem so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können (Nr. 1) und Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen getroffen wird, insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen (Nr. 2).
356Die immissionsschutzrechtliche Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG als Instrument der Gefahrenabwehr greift ein, wenn die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts besteht. Ob schädliche Umwelteinwirkungen durch Luftschadstoffe verursacht werden, ist nach den normkonkretisierenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften, insbesondere nach den die Anforderungen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisierenden Bestimmungen in Nummer 4 der TA Luft zu bestimmen. Sind für luftverunreinigende Stoffe Immissionswerte festgelegt, ist bei deren Einhaltung davon auszugehen, dass schädliche Umwelteinwirkungen nicht hervorgerufen werden.
357Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2003 ‑ 7 C 19.02 -, BVerwGE 119, 329 = juris Rn. 12 ff.; Hess. VGH, Urteile vom 24. September 2008 ‑ 6 C 1600/07.T -, DVBl. 2009, 186 = juris Rn. 73 f., und vom 7. Mai 2009 - 6 C 1142/07.T -, ZUR 2009, 504 = juris Rn. 102 f.; OVG NRW Urteil vom 1. Dezember 2011 - 8 D 58/08.AK -, ZUR 2012, 372 = juris Rn. 195 ff.
358Entsprechendes gilt für die Genehmigungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG, soweit die TA Luft für einzelne Stoffe Immissionswerte vorsieht, die die Vorsorge zum Schutz empfindlicher Ökosysteme konkretisieren.
359Soweit sich die Prüfung im Vorbescheidsverfahren auf das Vorliegen bestimmter Genehmigungsvoraussetzungen bezieht, ist gemäß Nr. 3.2 Abs. 1 TA Luft die Bestimmung der Nr. 3.1 TA Luft anzuwenden, nach deren Absatz 2 für die Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen Nr. 4 und Nr. 5 TA Luft gelten.
360Bei luftverunreinigenden Stoffen, für die in der TA Luft Immissionswerte (Nr. 2.3 TA Luft) als Jahres-, Tages- oder Stundenwerte für Stoffe in der Luft (Nr. 4.2 und Nr. 4.4 TA Luft), für Staubniederschlag (Nr. 4.3 TA Luft) und für Schadstoffdepositionen (Nr. 4.5 TA Luft) festgelegt sind, erfolgt die Prüfung, ob bezüglich des jeweiligen Schadstoffes der Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen sichergestellt ist, grundsätzlich durch einen Vergleich der tatsächlichen oder der zu erwartenden Immissionen mit den Immissionswerten. Die zum Vergleich mit den Immissionswerten heranzuziehenden Immissionen bestehen aus der Gesamtbelastung, die sich aus der Summe der Vorbelastung und der Zusatzbelastung durch die neu zu errichtende Anlage ergibt. Der für den jeweiligen Schadstoff angegebene Immissions-Jahreswert ist eingehalten, wenn die Summe aus Vorbelastung und Zusatzbelastung, d. h. die Gesamtbelastung, an den jeweiligen Beurteilungspunkten kleiner oder gleich dem Immissions-Jahreswert ist (Nr. 4.7 TA Luft).
361Bei Einhaltung der Immissionswerte ist davon auszugehen, dass schädliche Umwelteinwirkungen nicht hervorgerufen werden. Werden die Immissionswerte für Stoffe zum Schutz der menschlichen Gesundheit in Tabelle 1 zu Nr. 4.2.1 TA Luft jedoch überschritten, sind grundsätzlich schädliche Umwelteinwirkungen zu befürchten. Eine Genehmigung kann in diesem Fall nur unter den Voraussetzungen der Nr. 4.2.2 Abs. 1 Buchst. a) TA Luft erteilt werden, wenn von der zu beurteilenden Anlage kein relevanter Beitrag zu der schädlichen Immissionsbelastung geleistet wird. Bei einer Überschreitung der weiteren in den Tabellen 2, 3, 4 und 6 zu Nr. 4.3.1, 4.4.1, 4.4.2 und 4.5.1 TA Luft festgelegten Immissionswerte liegen dagegen lediglich Anhaltspunkte für schädliche Umwelteinwirkungen vor. Ob solche tatsächlich auftreten oder zu erwarten sind, ist gegebenenfalls in einer Sonderfallprüfung nach Nr. 4.8 TA Luft festzustellen (Nr. 4.3.2 Buchst. d), 4.4.3 Buchst. d), 4.5.2 Buchst. d) TA Luft).
362Vgl. OVG NRW, Urteile vom 9. Dezember 2009 ‑ 8 D 12/08.AK -, DVBl. 2010, 719 = juris Rn. 178, und vom 1. Dezember 2011 - 8 D 58/08.AK -, ZUR 2012, 372 = juris Rn. 195 ff.; Hess. VGH, Urteile vom 24. September 2008 ‑ 6 C 1600/07.T -, DVBl. 2009, 186 = juris Rn. 74, und vom 7. Mai 2009 ‑ 6 C 1142/07.T -, ZUR 2009, 504 = juris Rn. 103.
363Die Ermittlung der Vor-, Zusatz- und Gesamtbelastung für den jeweiligen luftverunreinigenden Stoff erfolgt auf der Grundlage entsprechender Immissionskenngrößen (Nr. 2.2 und Nr. 4.6 TA Luft). Die Kenngröße für die Vorbelastung kennzeichnet die vorhandene Belastung durch einen Schadstoff (Nr. 2.2 Abs. 1 Satz 2 TA Luft). Die Kenngröße für die Zusatzbelastung ist nach Nr. 2.2 Abs. 1 Satz 3 TA Luft der Immissionsbeitrag, der durch das beantragte Vorhaben voraussichtlich hervorgerufen wird. Sie ergibt sich aus einer Immissionsprognose, die nach dem im Anhang 3 angegebenen Berechnungsverfahren durchzuführen ist, auf der Basis einer mittleren jährlichen Häufigkeitsverteilung oder einer repräsentativen Jahreszeitreihe von Windrichtung, Windgeschwindigkeit und Ausbreitungsklasse (Nr. 4.6.4.1 TA Luft).
364Die Pflicht zur Ermittlung aller vorgenannten Kenngrößen besteht indes nicht in jedem Fall. So besteht nach Nr. 4.1 Abs. 4 Satz 1 a) TA Luft keine Verpflichtung zur Ermittlung von Immissionskenngrößen für die Vor-, Zusatz- und Gesamtbelastung und zum Vergleich der Gesamtbelastung mit den in Nr. 4.2 bis 4.5 TA Luft bestimmten Immissionswerten in den Fällen geringer Emissionsmassenströme (Nr. 4.6.1.1 TA Luft). Ergibt die Immissionsprognose bei einem Luftschadstoff für das gesamte Beurteilungsgebiet eine irrelevante Zusatzbelastung (Nr. 4.2.2 Abs. 1 Buchst. a), 4.3.2 Buchst. a), 4.4.1 Satz 3, 4.4.3 Buchst. a) und 4.5.2 Buchst. a) TA Luft), so entfällt für diesen Stoff im Regelfall die Verpflichtung zur Ermittlung der Kenngrößen für die Vor- und die Gesamtbelastung (Nr. 4.1 Abs. 4 Satz 1 Buchst. c) TA Luft).
365Bei Schadstoffen, für die die TA Luft keine Immissionswerte festlegt, sind weitere Ermittlungen nur bei hinreichenden Anhaltspunkten für schädliche Umwelteinwirkungen erforderlich (Nr. 4.1 Abs. 6 i. V. m. Nr. 4.8 TA Luft). Hieran fehlt es jedenfalls dann, wenn aufgrund anderweitiger sachverständiger Risikoabschätzung anzunehmen ist, dass das durch den emittierenden Betrieb verursachte Gesundheitsrisiko angesichts der bestehenden Vorbelastung irrelevant ist.
366In Anlehnung an den in Nr. 4.6.1.1 Abs. 1 TA Luft zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken, dass bei der Ermittlung der Immissionskenngrößen Massenströme unterhalb einer bestimmten Grenze ohne weitere Prüfung vernachlässigbar sind, sowie unter Berücksichtigung, dass die Zusatzbelastungen mit Schadstoffen, für die Immissionswerte in den Nrn. 4.2 bis 4.5 TA Luft bestimmt sind, als unbeachtlich angesehen werden, sofern sie bestimmte Irrelevanzgrenzen nicht überschreiten, ist es gerechtfertigt, auch im Rahmen der Sonderfallprüfung für Immissionsbeiträge von Schadstoffen, für die eine Irrelevanzschwelle in der TA Luft nicht bestimmt ist, eine Bagatellgrenze in Form eines bestimmten Anteils am Beurteilungsmaßstab anzuerkennen.
367Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2003 ‑ 7 C 19.02 -, BVerwGE 119, 329 = juris Rn. 14; Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band IV, Stand: 1. Februar 2016, Nr. 4.1 TA Luft Rn. 22.
368Die geplante Anlage genügt diesen Bestimmungen. Der Betrieb des streitbefangenen Kraftwerks ruft nach den Ergebnissen der Immissionsprognose vom 6. August 2012 lediglich irrelevante Zusatzbelastungen hervor.
369b) Plausibilität der Immissionsprognose
370Die Immissionsprognose vom 6. August 2012 ist plausibel. Auch an der Plausibilität der auf denselben Modellgrundlagen beruhenden Ausbreitungsrechnungen vom 25. Februar 2013 in der Fassung vom 13. April 2016 für den 60 %‑Lastbetrieb, die Hilfsdampferzeugeranlage und die Fernwärmeauskoppelung und vom 15. April 2016 für den 80 %-Lastbetrieb bestehen daher keine Zweifel.
371Das LANUV hat in den Stellungnahmen vom 18. Juli 2012 und vom 7. Dezember 2012 zusammenfassend festgestellt, dass die Ausbreitungsrechnung vom 6. August 2012 nachvollziehbar und plausibel ist. Dasselbe gilt nach der Stellungnahme vom 13. August 2013 für die Ausbreitungsrechnung vom 25. Februar 2013. Das LANUV bestätigt diese Feststellung in der Stellungnahme vom 27. April 2016, nachdem es die im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Eingangsdaten der Ausbreitungsrechnungen stichprobenweise überprüft hat. Die Eingabedateien für die Immissionsprognosen vom 6. August 2012 und vom 25. Februar 2013 einschließlich der meteorologischen Daten und der verwendeten Niederschlagsreihen seien vollständig vorgelegt worden. Sie stimmten mit den Angaben des Gutachters überein. Die Einwände des Klägers stellen diese fachliche Bewertung nicht in Frage.
372aa) Der in der Immissionsprognose vom 6. August 2012 betrachtete Volllastbetrieb ist der ungünstigste Betriebszustand im Sinne von Nr. 4.6.1.1 und Anhang 3 Nr. 2 TA Luft. Nach den Ergebnissen der von der Beigeladenen im Genehmigungsverfahren vorgelegten Ausbreitungsrechnungen vom 25. Februar 2013 bzw. 13. April 2016 und vom 15. April 2016 verursacht der Betrieb der streitbefangenen Anlage in den 60 %- und 80 %-Lastbetrieben keine höheren Immissionen der hier betrachteten Schadstoffe Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid, Ammoniak, Quecksilber und Schwebstaub als der Volllastbetrieb. Auch ein isolierter Anstieg des Säurebestandteils Ammoniak in den Teillastbetrieben ist nach den ergänzenden Berechnungen vom 13. April 2016 und vom 15. April 2016 nicht zu verzeichnen. Die maximalen Kenngrößen der Immissions-Jahreszusatzbelastung von Ammoniak in der Luft sind im 60 %-Lastfall mit einem Wert von 0,010 µg/m³ und im 80 %-Lastfall mit einem Wert von 0,009 µg/m³ mit der Zusatzbelastung im Volllastbetrieb von 0,010 µg/m³ letztlich identisch. Die maximale Kenngröße der Immissions-Jahreszusatzbelastung der Quecksilberdeposition beträgt in allen Lastfällen 0,005 µg/(m²*d). Die maximalen Jahres-Zusatzimmissionen der Luftschadstoffe Stickstoffdioxid und Schwefeldioxid liegen mit 0,206 µg/m³ und 0,088 µg/m³ bzw. 0,207 µg/m³ und 0,085 µg/m³ unter den Werten des Volllastbetriebs (0,218 µg/m³ bzw. 0,098 µg/m³). Das Ergebnis der ergänzenden Ausbreitungsrechnungen bestätigt damit tendenziell die Annahme des Kühlturmherstellers, dass der Kühlturmabluftvolumenstrom bei einer Reduzierung des Lastbetriebs in geringerem Umfang abnimmt als der Abgasvolumenstrom, die reduzierten Emissionsmassenströme also noch ausreichend Auftrieb haben.
373Bei dieser Sachlage bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Säurebelastung an den Beurteilungspunkten des FFH-Gebiets „Wälder bei Cappenberg“ im 80 %-Lastbetrieb höher sein könnte als im Volllastbetrieb. Der Gutachter der Beigeladenen, Herr Dr. T. , hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass die Immissionswerte für den 80 %-Lastbetrieb in den „Wäldern bei Cappenberg“ erwartungsgemäß zwischen den Werten des Volllastbetriebs und den Werten des 60 %-Lastbetriebs liegen. Die Tatsache, dass die Säurebelastung im 80 %-Lastfall höher ist als im 60 %-Lastfall, vermag für sich nicht die Befürchtung des Klägers zu stützen, dass der Volllastbetrieb nicht den „worst case“ abbilde.
374bb) Die diffusen Quellen „Transport der Kohle“, „Abwurf von Überkerngrößen“ und „Freilager“ durften außer Betracht bleiben. Das Transportbandsystem und die Ecktürme sind - wie auch die von der Bezirksregierung vorgelegten Lichtbilder belegen - vollständig eingehaust. Der Betrieb eines Kohlefreilagers ist nach den Antragsunterlagen nicht vorgesehen, die Kohle wird in Containern gelagert. Bei der Überkerngröße handelt es sich nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben der Beigeladenen um nicht staubendes Gut.
375cc) Die in die Ausbreitungsrechnung eingestellten Emissionen begegnen keinen Bedenken. Dass nicht alle Schadstoffe betrachtet worden seien, die bei Kraftwerken der in Rede stehenden Art emissionsrelevant sind, behauptet auch der Kläger nicht.
376(1) Die in der Immissionsprognose vom 6. August 2012 für den Kühlturm zu Grunde gelegten Emissionskonzentrationen sind auf der Basis der Transferfaktoren des MUNLV-Leitfadens unter Berücksichtigung der gegenüber dem früheren Verfahren abgesenkten maximalen Schwermetallgehalte in der verfeuerten Kohle („Kohleband“) ermittelt worden. Das LANUV hat diese - auch bei der Zusammensetzung der Flugasche erfolgte - Vorgehensweise zuletzt unter dem 8. Juli 2015 für sachgerecht erachtet; die Werte seien rechnerisch geprüft worden und plausibel. Der Kläger hat diese Einschätzung nicht substantiiert angegriffen.
377(2) Der Ansatz der Quecksilberdeposition begegnet keinen Bedenken. Das LANUV hält die der Berechnung zugrundeliegende Speziesverteilung von je 50 % elementarem und oxidiertem Quecksilber in seinen Stellungnahmen vom 18. Juli 2012 und vom 7. Dezember 2012 für sachgerecht. Messungen an bezogen auf die Feuerung und die Rauchgasreinigung vergleichbaren Kraftwerken hätten für elementares Quecksilber im Rauchgas Anteile zwischen 44 % und 77 % und für oxidiertes Quecksilber Anteile zwischen 23 % und 56 % ausgewiesen. Die für die Ausbreitungsrechnungen gewählte Verteilung sei darüber hinaus auch wegen der Wirkung der 3. Katalysatoranlage der DeNOx-Anlage des Vorhabens der Beigeladenen plausibel. Diese erreiche bei Quecksilber eine hohe Oxidationsrate. Das oxidierte Quecksilber werde danach in der Rauchgasentschwefelungsanlage (REA) mit einem ebenfalls hohen Wirkungsgrad abgeschieden, während elementares Quecksilber diese Anlage weitgehend passieren könne.
378Das Vorbringen des Klägers begründet keine durchgreifenden Zweifel an dieser Einschätzung. Der Kläger hat weder die Wirkungsweise noch den Wirkungsgrad der DeNOx-Anlage oder der REA in Frage gestellt. Die Effektivität dieser Anlagen wird durch die am 16. September 2014 im Kraftwerk der Beigeladenen durchgeführten Messungen auch bestätigt. An der hinter der REA und vor dem Kühlturm gelegenen Messstelle wurden dabei im Volllastbetrieb bei Einsatz der Kohlemischung Russland/60 %-USA/40 % im gereinigten Rauchgas Anteile zwischen 79,9 % und 91,7 % für elementares Quecksilber und Anteile zwischen 8,3 % und 20,4 % für oxidiertes Quecksilber festgestellt. Die Annahme des Klägers, (erst) nach Eintritt des Rauchgases in den Kühlturm erfolgten im Mischschwaden möglicherweise vielfältige chemische Reaktionen mit anderen Schadstoffen, so dass nach kurzer Zeit nur noch oxidiertes Quecksilber vorliege, bleibt hypothetisch. Der Kläger räumt zum einen selbst ein, dass die chemischen Reaktionen im Mischschwaden weitgehend unerforscht seien. Zum anderen erlauben - auch wenn eine undifferenzierte Übertragung der atmosphärischen Bedingungen auf chemische Abläufe im Kühlturm und im Mischschwaden nicht angezeigt sein dürfte - vorhandene Kenntnisse über chemische Reaktionen unter atmosphärischen Bedingungen zumindest Rückschlüsse auf entsprechende Vorgänge im Mischschwaden. So ist nicht zu erkennen, warum eine unter atmosphärischen Bedingungen ausgeschlossene Reaktion von Brom mit elementarem Quecksilber gerade im Mischschwaden ausnahmsweise stattfinden sollte. Der vom Kläger angeführte höhere Schadstoffgehalt im Mischschwaden belegt nicht, dass sich an dem beschriebenen chemischen Grundverhalten der beteiligten Stoffe etwas ändern würde. Dies gilt auch für die Reaktionszeit von elementarem Quecksilber mit Chlor, die unter atmosphärischen Bedingungen immerhin 4 Tage beträgt.
379(3) Soweit die 13. BImSchV in der Fassung vom 2. Mai 2013 Grenzwerte für den Einsatz von Kohle vorsieht - nämlich nach §§ 4 Abs. 1 Satz 2 und 11 der 13. BImSchV für Gesamtstaub, Quecksilber, Kohlenmonoxid, Stickstoffdioxid und Schwefeldioxid - sind diese der Ausbreitungsrechnung für den Kühlturm zugrunde gelegt worden und - wie im Änderungsantrag der Beigeladenen vom 21. Juni 2013 beantragt - Gegenstand des Vorbescheids geworden. Für Dioxine/Furane (PCDD/F), für die die 13. BImSchV - wie für Ammoniak - keinen Grenzwert bestimmt, wurde ein - vom Kläger nicht angegriffener - konservativer Erfahrungswert angenommen. Der für Ammoniak festgelegte Emissionswert begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Er beruht nach den nachvollziehbaren Angaben der Beigeladenen auf der Zusicherung des Anlagenherstellers, der Ammoniakgehalt im Rauchgas werde nach dem Durchlaufen des Katalysators einen Wert von 5 mg/m³ nicht überschreiten. Nach der Erhöhung des Rauchgasvolumenstroms von 2,12 auf 2,21 Mio m³/h sei der Wert im Antrag auf 4,8 mg/m³ angepasst worden, um die Immissionszusatzbelastung beizubehalten.
380(4) Die für die Befüllung des Flugaschesilos als größter Einzelquelle unter den sog. Kleinquellen angegebenen Emissionsmassenströme sind nach den Feststellungen des LANUV plausibel. Auch die Bestimmung der Immissionszusatzbelastung für die übrigen gefassten Kleinquellen ist nach Auffassung des LANUV nachvollziehbar. Dem ist der Kläger nicht entgegengetreten.
381(5) Die erforderliche Überwachung der Emissionen ist in der 7. Teilgenehmigung geregelt. Die 7. Teilgenehmigung enthält in Ziffer 2 Nebenstimmungen zum Emissions- und Immissionsschutz einschließlich der Überwachung der festgelegten Emissionen durch Einzelmessungen und kontinuierliche Messungen; die Nebenbestimmungen Ziffer 2.2.3 und 2.2.4 regeln die Modalitäten der Messungen der Emissionen der Quelle Q 1 (Kühlturm mit Rauchgasableitung).
382(6) Die zusätzlichen Emissionen durch die Hilfsdampferzeugungsanlage beim An- und Abfahrbetrieb sind in der Immissionsprognose vom 25. Februar 2013 betrachtet worden. Das LANUV hat die Berechnungen unter dem 13. August 2013 für plausibel befunden. Es hat die entsprechenden Eingangsparameter der Ausbreitungsrechnung geprüft und auch in der Stellungnahme vom 27. April 2016 nicht beanstandet.
383Nach alledem ist nicht anzunehmen, dass die im Vorbescheid festgesetzten Emissionsgrenzwerte nicht eingehalten werden können. Es obliegt dem Betreiber, die festgesetzten Grenzwerte, die auch der Immissionsprognose zugrunde liegen, zu beachten.
384dd) Auch die Ausbreitungsrechnung selbst ist - gemessen an den Anforderungen der TA Luft - nach fachkundiger Einschätzung des LANUV nicht zu beanstanden.
385(1) Die Ausbreitungsrechnung ist insbesondere nicht schon deshalb fehlerhaft, weil eine vollständige Durchmischung des Rauchgases und der Kühlturmabluft entgegen der Modellvorgabe des die Vorgaben der TA Luft umsetzenden Rechenprogramms AUSTAL2000 nicht stattfindet. Das LANUV hat in seinen Stellungnahmen vom 20. April 2016 und vom 4. Mai 2016 sowie ergänzend durch Herrn Dr. Straub in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Senats dargelegt, dass die dem Ausbreitungsmodell zugrundeliegende Annahme einer vollständigen Vermischung insbesondere auch hinsichtlich der eutrophierenden und versauernden Stickstoff- und Schwefeldepositionen zu konservativeren Ergebnissen führe als die Annahme einer nur teilweisen Durchmischung. Dies folge daraus, dass das oberhalb der Kühleinbauten und der Tropfenabscheider in den Kühlturm eingeleitete und in der Kühlturmmitte aus dem senkrecht nach oben abgewinkelten Glasfaserrohr in den Kühlluftstrom freigegebene Reingas eine höhere Geschwindigkeit habe und deutlich wärmer sei als der Kühlturmschwaden. Es sei aufgrund dieser Einleitbedingungen turbulent angeregt. Zwischen Schwaden und Reingas bilde sich im weiteren Verlauf bis zum Kühlturmaustritt eine Grenzschicht mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, Temperaturen, Dichten und Luftfeuchtigkeiten. Dadurch vermehre sich die Turbulenz, die insbesondere wegen der Unterschiede in der Geschwindigkeit der beiden Schwaden spürbar sein dürfte. Bis zur Kühlturmmündung erfolge allerdings keine vollständige Durchmischung der Schwaden. Da das Reingas in die Mitte des Kühlturmes eingeleitet werde, sei davon auszugehen, dass auch im langfristigen Mittel die Schadstoffkonzentration, die Temperatur und die Geschwindigkeit im Zentrum des Mischschwadens höher seien als in den Außenbereichen. Dies bestätigten auch die vom Kläger vorgelegten Wärmebildaufnahmen des Mischschwadens des streitbefangenen Vorhabens. Eine nur den Abgasvolumenstrom betreffende Ausbreitungsrechnung könnte daher eine höhere Austrittsgeschwindigkeit und ‑temperatur ansetzen. Damit steige nach den Gesetzmäßigkeiten der Abluftfahnenüberhöhung die Abluftfahne an, der Ausbreitungsweg bis zum Erreichen des Bodens werde länger und die Schadstoffkonzentrationen und ‑depositionen würden verdünnt. Dasselbe gelte bei der - hypothetischen - Annahme der geringstmöglichen Durchmischung des Mischschwadens (sog. Freistrahltheorie). Auch in diesem Fall seien die Immissionen flächendeckend kleiner als die Immissionen bei Annahme einer Volldurchmischung. In der Betrachtung der beiden extremen Szenarien der vollständigen und der geringstmöglichen Durchmischung seien gedanklich alle anderen Mischungsverhältnisse mit enthalten. Diese anhand von Untersuchungen für das Kraftwerkprojekt Datteln 4 erlangten Erkenntnisse ließen sich grundsätzlich auf alle Kühltürme vergleichbarer Bauart übertragen. Hinweise, dass der Kühlturm des streitbefangenen Vorhabens maßgeblich von dem des Kraftwerksvorhabens Datteln 4 abweichen würde, lägen nicht vor. Die vom Kläger vorgeschlagene Ausblendung eines Teils des Mischschwadens sei dagegen nicht plausibel. Diese Überlegungen stünden auch in Einklang mit der ausdrücklichen Aussage der für die Ableitung von Rauchgasen über Naturzugnasskühltürme maßgeblichen VDI-Richtlinie 3784 Blatt 2 in Kapitel 2 (S. 5), dass ihre Anwendbarkeit gerade nicht von der Einhaltung eines bestimmten Mischungsverhältnisses von Abluftschwaden und Rauchgas abhängig sei. Entsprechend sei auch aus den anderen Bundesländern eine von der VDI-Richtlinie abweichende Praxis nicht bekannt.
386(2) Der Abgasvolumenstrom ist in Höhe von 2.210.000 m³/h korrekt angesetzt worden. Nach Tabelle 1 der Immissionsprognose vom 6. August 2012 wurde der Abgasvolumenstrom im Normzustand (1013 kPa und 273,15 K) trocken, d. h. nach Abzug der Feuchtegehalts, ermittelt. Diese Vorgehensweise entspricht Nr. 2.4 TA Luft, wonach Angaben des Abgasvolumens und des Abgasvolumenstroms auf den Normzustand (273,15 K; 1013 kPa) nach Abzug des Feuchtegehalts im Wasserdampf bezogen sind, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes angegeben wird (vgl. auch die Definition für „Abgas“ in § 2 Abs. 1 der 13. BImSchV).
387(3) Die in den Ausbreitungsrechnungen angesetzten Austrittstemperaturen und ‑geschwindigkeiten entsprechen den Auslegungsdaten des Kühlturmherstellers. Die in dem Schriftsatz der Beigeladenen vom 18. September 2015 aufgeführten, im Vergleich zu den Ausbreitungsrechnungen niedrigeren Werte geben nicht die in den Immissionsprognosen betrachtete Austrittstemperatur und ‑geschwindigkeit des Mischschwadens (Rauchgas und Kühlturmabluft) wieder, sondern die Austrittstemperatur und -geschwindigkeit des Abluftschwadens.
388(4) Die Berücksichtigung der Abluftfahnenüberhöhung des Kühlturms entspricht nach den Feststellungen des LANUV den Vorgaben der VDI-Richtlinie 3784 Blatt 2 und wird für sachgerecht erachtet; die Modellierung als horizontale Flächenquelle sei plausibel. Herr Dr. T1. vom LANUV hat in der mündlichen Verhandlung betont, der Ansatz der Abluftfahnenüberhöhung nach der VDI-Richtlinie 3784 Blatt 2 sei auch hinreichend konservativ. Der vom Kläger geforderten Berücksichtigung einer Unsicherheit mit dem Faktor 2 bedürfe es nicht. Die mit der ‑ in der Meteorologie immer auftretenden und messbaren - Streuung verbundene Unsicherheit werde über längere Zeiträume ausgeglichen. Die VDI-Richtlinie 3784 Blatt 2 enthalte zudem an anderen Stellen weitere, diese Unsicherheit ausgleichende konservative Faktoren, wie etwa bei der Abschätzung der Stabilitätsklassen und dem Flüssigwassergehalt. Auch diese Ausführungen sind überzeugend.
389(5) Die bei Quecksilber zugrundegelegte Depositionsgeschwindigkeit entspricht der VDI-Richtlinie 3782 Blatt 5, die Depositionsgeschwindigkeit für Ammoniak entspricht Nr. 3 Tabelle 12 des Anhangs 3 der TA Luft. Das LANUV hat die Verwendung dieser Depositionsgeschwindigkeiten methodisch gefordert. Der Hinweis des Klägers auf abweichende Vorgaben der US-EPA (Environmental Protection Agency) stellt diese Forderung nicht in Frage. Das LANUV hat schon zu dem Vorbescheid vom 6. Mai 2008 nachvollziehbar dargelegt, dass diese Abweichungen nicht auf besseren fachwissenschaftlichen Erkenntnissen beruhten. Sie erklärten sich vielmehr dadurch, dass die Regelwerke im Zusammenhang mit unterschiedlichen Modellarten stünden. Während das Modell der US-EPA der Ermittlung des großräumigen Hintergrundniveaus diene, gehe es bei der Ausbreitungsrechnung nach der TA Luft um die Ermittlung der bodennahen Konzentration (Deposition).
390Vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2011 ‑ 8 D 58/08.AK -, ZUR 2012, 372 = juris Rn. 233.
391Etwas anderes folgt auch nicht aus den vom Kläger ferner angeführten, ebenfalls abweichenden Untersuchungsergebnissen aus Japan. Der Kläger hat nicht belegt, dass die meteorologischen Verhältnisse und die Vegetation in Japan und Mitteleuropa derart ähnlich wären, dass diese Ergebnisse auf das streitbefangene Vorhaben übertragen werden könnten.
392(6) Die nasse Deposition von Quecksilber ist weder nach der o.a. VDI-Richtlinie noch nach der TA Luft zu berücksichtigen und durfte daher auch nach den entsprechenden Vorgaben des LANUV außer Betracht bleiben. Dass bei den erwähnten Untersuchungen in Japan gerade die Relevanz der nassen Deposition von Quecksilber festgestellt worden sein soll, zwingt nicht zu einer anderen Vorgehensweise. Die Übertragbarkeit dieser Erkenntnisse auf mitteleuropäische Verhältnisse ist ebenfalls nicht ersichtlich. Die Bindungswirkung der TA Luft entfällt im Übrigen nur dann, wenn die in der TA Luft enthaltenen Aussagen durch ‑ hier nicht erkennbare ‑ gesicherte Erkenntnisfortschritte in Wissenschaft und Technik überholt sind und sie deshalb den gesetzlichen Anforderungen nicht mehr gerecht werden.
393Vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. März 1996 ‑ 7 B 164/95 -, UPR 1996, 306 = juris Rn. 19.
394(7) Die Ausbreitungsrechnung hat entgegen der Annahme des Klägers keine synthetischen Windrosen verarbeitet. Eine synthetische Windrose wurde als Modell für die am Kraftwerkstandort zu erwartende Windrichtungsverteilung ausschließlich in der Übertragbarkeitsprüfung der ArguSoft GmbH & Co. KG vom 13. Februar 2012 erstellt. Sie diente dort dem Vergleich mit den Windverhältnissen an den im Detail betrachteten Messstationen Lünen-Niederaden, Castrop-Rauxel, Werl-Waltrop und Unna.
395(8) Die Verwendung der meteorologischen Messdaten der Station Lünen-Niederaden aus dem Jahr 2009 entspricht dem Ergebnis der Übertragbarkeitsprüfung vom 13. Februar 2012. Das LANUV hält dieses Ergebnis für sachgerecht.
396Dass die Messstation Lünen-Niederaden nicht die Vorgaben an das DWD-Messnetz erfüllt, ist ohne Belang. Nach Nr. 8.1. Sätze 2 bis 4 des Anhangs 3 der TA Luft sollen die in der Ausbreitungsrechnung verwendeten meteorologischen Werte für den Standort der Anlage charakteristisch sein. Liegen keine Messungen am Standort der Anlage vor, sind Daten einer geeigneten Station des DWD oder einer anderen entsprechend ausgerüsteten Station zu verwenden. Die Übertragbarkeit dieser Daten auf den Standort der Anlage ist zu prüfen. Danach ist nicht gefordert, dass die Messstation die Anforderungen an das Messnetz des DWD erfüllt. Sie muss lediglich die Bestimmung der erforderlichen meteorologischen Daten - Windrichtung, Windgeschwindigkeit und atmosphärische Schichtung (vgl. Nr. 8.2 ff.) - ermöglichen. Der DWD hat dementsprechend im vorangegangen Verfahren - vom Senat unbeanstandet - in der „Qualifizierten Prüfung“ vom 11. August 2006 die Verwendung der Daten der Station Lünen-Niederaden für sachgerecht gehalten.
397Vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2011 ‑ 8 D 58/08.AK -, ZUR 2012, 372 = juris Rn. 234.
398Die vom DWD damals geäußerten Bedenken, ob der Jahresmittelwert der Windgeschwindigkeit der Messstation Lünen-Niederaden eine pessimale Betrachtung zulässt, betrafen die Wetterdaten aus dem Zeitraum Januar 1993 bis Dezember 2002. Die Übertragbarkeitsprüfung vom 13. Februar 2012 stellt dagegen auf die Wetterdaten aus dem Zeitraum 2002 bis 2011 ab.
399Die Wahl der Messstation Lünen-Niederaden ist auch nicht aus anderen Gründen fehlerhaft. Es ist insbesondere nicht zu erkennen, dass die beim Kraftwerkprojekt Datteln 4 verwendeten Daten der Messstation Werl-Waltrop oder die beim Kraftwerkprojekt Herne 5 verwendeten Daten der Messstation Castrop-Rauxel den Standortbedingungen in Lünen besser entsprechen würden. Die Entscheidung für die Station Lünen-Niederaden beruhte gemessen an den Vorgaben der Nr. 8.1 des Anhangs 3 der TA Luft auf sachlich nachvollziehbaren Erwägungen. Nach den Feststellungen der Übertragbarkeitsprüfung vom 13. Februar 2012 wiesen die Daten der Stationen Lünen-Niederaden (2002-2011) und Werl-Waltrop (2004-2010) die besten Übereinstimmungen mit den Sollwerten der synthetischen Windrose des Standorts auf. Der Station Lünen-Niederaden sei der Vorzug gegeben worden, weil die Daten dieser Station im Vergleich mit den Daten der Station Werl-Waltrop den synthetischen Daten des Standorts noch etwas besser entsprächen und weil sie darüber hinaus mit einer Entfernung von nur 7,5 km in größerer Nähe zum Vorhabenstandort innerhalb des Rechengebiets der Ausbreitungsrechnung liege. Dass gerade eine möglichst große Nähe zum Vorhabenstandort ein wichtiges Auswahlkriterium für die Übertragbarkeit meteorologischer Daten ist, räumt auch der Kläger ein. Die Behauptung, die Station Werl-Waltrop liege günstiger als die Station Lünen-Niederaden, ist bei einer Entfernung von 30 km zu dem Vorhaben nicht überzeugend.
400Die Entfernung und Lage der Messstation zu den von vorhabenbedingten Schadstoffimmissionen betroffenen FFH-Gebieten ist nach den Vorgaben der TA Luft ebenso wenig ein sachliches Kriterium für die Auswahl der meteorologischen Daten wie die Frage, welche meteorologischen Daten in der Ausbreitungsrechnung zu den höchsten oder geringsten Immissionen führen. Die vom Kläger vorgelegten Ausbreitungsrechnungen mit den - in der Übertragbarkeitsprüfung vom 13. Februar 2012 nicht betrachteten - Wetterdaten der Station Werl-Waltrop aus dem Jahr 1987 und der Station Castrop-Rauxel aus dem Jahr 2007 dienen dem Vergleich der unterschiedlichen immissionsseitigen Auswirkungen auf die FFH-Gebiete und gehen daher an der Sache vorbei.
401(9) Der Vermerk „korr.“ bei der AKT-Datei der Eingabedaten der Ausbreitungsrechnungen bezieht sich nach den Angaben der Beigeladenen auf die im Rahmen der Berechnung der nassen Säure- und Schwefeldeposition in Abstimmung mit dem LANUV erfolgte Bestimmung einer maßgeblichen Niederschlagszeitreihe. Dieser Korrektur bedurfte es, weil die Niederschlagsjahressumme des Referenzjahres 2009 mit 746 l/(m²*a) unter dem 10-jährigen Mittel der Jahre 2002 bis 2011 von 789 l/(m²*a) liegt. Die Niederschlagsjahressumme des Jahres 2009 wurde daher anhand des Faktors 789/746 auf das 10-jährige Mittel hochskaliert. Das LANUV hat in seiner Stellungnahme vom 27. April 2016 bestätigt, dass die Ausbreitungsrechnung insoweit den Vorgaben entspricht. Dass - wie der Kläger rügt - in der Ausbreitungsrechnung tatsächlich nicht mit dem Mittelwert von 789 l/(m²*a), sondern mit einer Niederschlagsjahressumme von nur 764,3 l/(m²*a) gerechnet wurde, beruht nach den überzeugenden Darlegungen der Beigeladenen auf der Rundung der jeweils mit dem o.a. Faktor hochskalierten Jahresstundenwerte.
402(10) Dass die Ausbreitungsrechnung fehlerhaft sei, weil Gebäudeeinflüsse nicht berücksichtigt worden seien, hat der Kläger nicht behauptet. Das LANUV hat in seiner Stellungnahme vom 7. Dezember 2012 festgestellt, dass in Anwendung von Nr. 10 des Anhangs 3 der TA Luft Gebäude im Umkreis von 960 m, die niedriger sind als 94 m, zu berücksichtigen gewesen seien, was nur auf das Kesselhaus und den Kühlturm zutreffe. Deren Einflüsse seien durch das diagnostische Windfeldmodell TALdia sachgerecht berücksichtigt worden. Es besteht kein Anlass, diese Ausführungen in Zweifel zu ziehen.
403(11) Die statistische Unsicherheit ist auch in der Ausbreitungsrechnung zutreffend berücksichtigt worden. Nach Anhang 3 Nr. 9 der TA Luft besitzen die berechneten Immissionskenngrößen auf Grund der statistischen Natur des in der VDI-Richtlinie 3945 Blatt 3 beschriebenen Verfahrens eine statistische Unsicherheit. Es ist darauf zu achten, dass die modellbedingte statistische Unsicherheit, berechnet als statistische Streuung des berechneten Werts, beim Jahres-Immissionskennwert 3 % des Jahres-Immissionswerts und beim Tages-Immissionskennwert 30 % des Tages-Immissionswerts nicht überschreitet. Die statistische Unsicherheit ist entsprechend durch Erhöhung der Partikelzahl zu reduzieren. Liegen die Beurteilungspunkte an den Orten der maximalen Zusatzbelastung, muss die statistische Unsicherheit nicht gesondert berücksichtigt werden.
404Die statistische Unsicherheit ist danach zu Recht (nur) bei den Beurteilungspunkten außerhalb der maximalen Zusatzbelastung berücksichtigt worden. Dies geschah auch zutreffend durch die Erhöhung der Partikelzahl. Nach der Modellbeschreibung des Programms AUSTAL2000 bestimmt der Parameter „qs“ die Qualitätsstufe der Freisetzungsrate von Partikeln. Dieser Parameter weist einen Standardwert von 0 auf, wobei eine Erhöhung des Werts um 1 jeweils eine Verdoppelung der Partikelzahl und eine Verringerung der statistischen Unsicherheit (Streuung) um den Faktor 1/(2**0,5) = 0,7071 bewirkt. Ausweislich der Ausgabedatei zu der Immissionsprognose vom 6. August 2012 ist die Partikelzahl bei den hohen Quellen von 0 auf 3, und bei den Kleinquellen von 0 auf 1 erhöht worden. Der Gutachter der Beigeladenen hat die in der Immissionsprognose vom 6. August 2012 in Abschnitt 4.1.6 getroffene Aussage, auf diese Weise sei sichergestellt worden, dass die statistische Unsicherheit beim Jahres-Immissionskennwert weniger als 3 % des Jahresimmissionswerts betrage, auch nachvollziehbar erläutert. Das Verfahren zur Berechnung der statistischen Unsicherheit als statistische Streuung des ermittelten Werts sei in das Ausbreitungsmodell AUSTAL2000 integriert. Die statistische Unsicherheit werde als relativer Fehler neben den schadstoffspezifischen Immissionszusatzbelastungen automatisch mit ausgegeben. Überschreite die ausgeworfene statistische Unsicherheit beim Jahres-Immissionskennwert 3 % des Jahres-Immissionswerts, müsse die statistische Unsicherheit durch eine (weitere) Erhöhung der Partikelzahl reduziert werden. Entsprechend sei hier verfahren worden.
405(12) Das LANUV hat die Ausbreitungsrechnung auch hinsichtlich der gefassten Kleinquellen geprüft und für plausibel erachtet. Die Depositions- und Sedimentationsgeschwindigkeiten für Stäube und Ammoniak entsprächen den Vorgaben der Nr. 4 bzw. Nr. 3 des Anhangs 3 der TA Luft. Der Kläger hat hiergegen keine Einwände vorgebracht.
406(13) Die Plausibilität der Immissionsprognose wird schließlich nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Ableitung über den Kühlturm statt über einen Schornstein erfolgt. Es besteht - wie schon im vorhergehenden Verfahren 8 D 58/08.AK - auch weiterhin kein Anhalt dafür, dass die Immissionsprognose durch die Höhe des Kühlturms verfälscht wird, so dass es einer Kontrollberechnung auf der Grundlage einer fiktiven Schornsteinhöhe nicht bedarf.
407c) Luftverunreinigungen
408Die beim Anlagenbetrieb zu erwartenden Luftverunreinigungen sind irrelevant und stehen deshalb der Genehmigung nicht entgegen.
409Gemäß Nr. 4.1 Abs. 4 Satz 1 Buchst. c) und Satz 2 TA Luft kann für die Schadstoffe, für die Immissionswerte in den Nrn. 4.2. bis 4.5 TA Luft festgelegt sind, unter anderem dann davon ausgegangen werden, dass schädliche Umwelteinwirkungen durch die Anlage nicht hervorgerufen werden können, wenn durch die Anlage lediglich eine irrelevante Zusatzbelastung hervorgerufen wird. Dem liegt die Erwägung zu Grunde, dass eine Anlage von atypischen Sonderfällen abgesehen bei Verursachung einer im Verhältnis zur bestehenden Vorbelastung geringfügigen Zusatzbelastung keinen im Sinne rechtlicher Zurechnung kausalen Beitrag zu den schädlichen Umwelteinwirkungen durch den betroffenen Stoff leistet.
410Vgl. näher hierzu: Hansmann, in: Landmann/ Rohmer, Umweltrecht, Band II, Stand: 1. Februar 2016, Nr. 4.2 TA Luft Rn. 19 ff.; zur Irrelevanzschwelle als Grenze der Schutzpflicht: BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2003 ‑ 7 C 19.02 -, BVerwGE 119, 329 = juris Rn. 14; OVG NRW, Urteil vom 10. Juni 2008 - 8 D 103/07.AK -, ZUR 2008, 1137 = juris Rn. 59, m. w. N.
411Unter welchen Voraussetzungen von einer irrelevanten Zusatzbelastung ausgegangen werden kann, ist für die in Nr. 4.2.1, 4.3.1, 4.4.1 und 4.5.1 TA Luft genannten Schadstoffe unterschiedlich geregelt. Im Einzelnen gilt Folgendes:
412aa) Hinsichtlich der unter Nr. 4.2.1 TA Luft genannten Schadstoffe liegt nach Nr. 4.2.2 Abs. 1 Buchst. a) TA Luft eine irrelevante Zusatzbelastung vor, wenn die Kenngröße für die Zusatzbelastung durch Emissionen der Anlage an dem Beurteilungspunkt 3,0 % des in Nr. 4.2.1 TA Luft zum Schutz der menschlichen Gesundheit bestimmten Immissions-Jahreswertes nicht überschreitet.
413Für Blei, Schwebstaub (PM10), Schwefeldioxid und Stickstoffoxid gelten die in Nr. 4.2.1 Abs. 1 TA Luft genannten Immissionswerte. Für Cadmium und anorganische Cadmiumverbindungen als Bestandteile des Schwebstaubes (PM10), angegeben als Cd, gilt gemäß Nr. 4.2.1 Abs. 2 Satz 2 TA Luft ein Immissionswert von 0,02 µg/m³ bei einem Mittelungszeitraum von einem Jahr. Ausgehend von diesen Vorgaben stellen sich die zu erwartenden Zusatzimmissionen von Blei, Schwebstaub (PM10), Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Cadmium als irrelevant dar.
414Das Maß der im Beurteilungsgebiet maximal auftretenden Immissionen ist der Ausbreitungsrechnung in der Fassung vom 6. August 2012 zu entnehmen.
415Die prognostizierten Zusatzbelastungen unterschreiten die in der TA Luft bestimmte Irrelevanzschwelle von 3,0 % des jeweiligen Immissionswertes:
416Immissionswert bei einem Mittelungszeitraum von einem Jahr |
Jahreszusatzimmissionen bei einem Mittelungszeitraum von einem Jahr |
Anteil der Jahreszusatzimmissionen am Immissionswert |
|
BleiPb |
0,5 µg/m³ |
0,000131 µg/m³ |
<0,1 % |
Schwebstaub(PM10) |
40 µg/m³ |
0,032 µg/m³ |
<0,1 % |
SchwefeldioxidSO2 |
50 µg/m³ |
0,218 µg/m³ |
0,4 % |
StickstoffdioxidNO2 |
40 µg/m³ |
0,098 µg/m³ |
0,2 % |
Cadmium Cd |
0,02 µg/m³ |
0,000015 µg/m³ |
<0,1 % |
In Bezug auf Cadmium wird auch die Grenze von 1 % des Zielwerts der Richtline 2004/107/EG von 0,005 µg/m³,
418vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 8 D 58/08.AK -, ZUR 2012, 372 = juris Rn. 248 ff.,
419nicht überschritten.
420Der Senat hat in seinem Urteil vom 9. Dezember 2009
421- 8 D 12/08.AK -, DVBl. 2010, 719 = juris Rn. 248 ff.,
422im Anschluss an die im Schrifttum geäußerte Kritik Bedenken geäußert, ob die Irrelevanzschwelle der Nr. 4.2.2 Abs. 1 Buchst. a) TA Luft 2002 von 3,0 % eine rechtmäßige Konkretisierung des Begriffs der schädlichen Umwelteinwirkungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG darstellt. Er hat diese Bedenken insbesondere vor dem Hintergrund gesehen, dass die in der TA Luft 1986 vorgesehene Irrelevanzschwelle von 1,0 % mit der Novelle der TA Luft im Jahr 2002 auf 3,0 % angehoben wurde, allerdings bei gleichzeitiger Absenkung des Immissionsrichtwerts und einer Änderung der Berechnungsmethode. Der Vorschriftengeber ging davon aus, dass die Irrelevanzschwellen von 1,0 % nach Nr. 2.2.1.1 Buchst. b) der TA Luft 1986 und 3,0 % nach Nr. 4.2.2 Abs. 1 Buchst. a) der TA Luft 2002 unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Berechnungsgrundlagen (flächen- bzw. punktbezogen) in der Sache vergleichbar seien.
423Vgl. BR-Drs. 1058/01, S. 240.
424Wie in dem genannten Urteil ausgeführt ist, sind Irrelevanzklauseln Ausdruck des allgemeinen Gedankens, dass geringfügige Zusatzbelastungen durch einen bestimmten Luftschadstoff einem bestimmten Anlagenbetreiber nicht im Sinne eines kausalen Beitrags zu schädlichen Umwelteinwirkungen zugerechnet werden können. Daher steht die prinzipielle Zulässigkeit von Irrelevanzklauseln im Immissionsschutzrecht auch unter Berücksichtigung der insoweit maßgeblichen Vorgaben des Unionsrechts letztlich nicht in Frage. Ob die Irrelevanzklausel von 3,0 % der Nr. 4.2.2 Abs. 1 Buchst. a) TA Luft eine rechtmäßige Konkretisierung des Begriffs der schädlichen Umwelteinwirkungen darstellt oder ob sie im Hinblick auf die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG gesetzeskonform einzuschränken ist, kann im vorliegenden Zusammenhang offen bleiben.
425Vgl. zum Ganzen VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20. Juli 2011 - 10 S 2102/09 -, ZUR 2011, 600 = juris Rn. 196 ff.; nachgehend BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 2013 - 7 C 36.11 -, NVwZ 2014, 515 = juris Rn. 46 ff. (die rechtliche Zulässigkeit bejahend); ferner Hansmann, in: Landmann/ Rohmer, Umweltrecht, Band IV, Stand: 1. Februar 2016, Nr. 4.2 TA Luft Rn. 25 und 33 ff.; Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand: 1. Februar 2016, § 5 BImSchG, Rn. 58; Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 5 Rn. 17.
426Der Senat ist in dem o.a. Urteil vom 9. Dezember 2009 davon ausgegangen, dass jedenfalls eine Zusatzbelastung von weniger als 1,0 % des jeweiligen Immissionswertes nicht mehr als nennenswerter, kausaler Beitrag zur Immissionsbelastung angesehen werden kann.
427Vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20. Juli 2011 - 10 S 2102/09 -, ZUR 2011, 600 = juris Rn. 206; Hess. VGH, Urteil vom 24. September 2008 - 6 C 1600/07.T -, DVBl. 2009, 186 = juris Rn. 100.
428Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Auch die 1 %-Irrelevanzschwelle ist nicht überschritten. Bei dieser Sachlage besteht auch weiterhin kein Anlass, die Geeignetheit der in der TA Luft 2002 vorgesehenen Irrelevanzschwelle von 3,0 % für Luftschadstoffe sowie die Unionsrechtskonformität dieser Irrelevanzschwelle zu prüfen.
429Ob und inwieweit auch dann, wenn die in der TA Luft bestimmte Irrelevanzschwelle nicht überschritten wird, Raum für die Annahme bleibt, es könnten gleichwohl schädliche Umwelteinwirkungen bestehen, kann offen bleiben, weil es dafür hier an Anhaltspunkten fehlt.
430Anlass für eine solche Annahme könnte etwa bestehen, wenn der Betrieb der zu prüfenden Anlage kurzfristig zu hohen Emissionen führt. Denn dann ist die Vermutung nicht gerechtfertigt, dass eine Anlage mit über das Jahr gemittelten geringen Immissionsbeiträgen nicht zu einer relevanten Erhöhung der zugelassenen Überschreitungshäufigkeit bei den Tages- und Stundenmittelwerten beitragen wird.
431Vgl. Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band IV, Stand: 1. Februar 2016, Nr. 4.2 TA Luft Rn. 39.
432Dies ist hier nicht der Fall. Das Kraftwerk der Beigeladenen soll unter Einhaltung der im angefochtenen Vorbescheid festgelegten Emissionsgrenzwerte kontinuierlich betrieben werden. Auch beim An- und Abfahrbetrieb ist nach den Ergebnissen der Ausbreitungsrechnung vom 25. Februar 2013 nicht mit höheren Emissionen zu rechnen.
433Hinreichende Anhaltspunkte für das Bestehen schädlicher Umwelteinwirkungen können trotz Unterschreitung der Irrelevanzschwelle auch dann vorliegen, wenn die Zusatzbelastung durch Emissionen der zu prüfenden Anlage von in Nr. 4.2.1 TA Luft genannten Schadstoffen mehr als 1 % beträgt und vergleichbare Beiträge aus anderen Quellen bestehen oder zu erwarten sind, deren Höhe es als möglich erscheinen lässt, dass bei Hinzutreten der Zusatzbelastung der Immissionswert am Beurteilungspunkt mehr als nur geringfügig überschritten wird (relevante Vorbelastung).
434Vgl. Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band IV, Stand: 1. Februar 2016, Nr. 4.2 TA Luft Rn. 38, und in: NVwZ 2003, 266, 272 f.; eine Sonderfallprüfung bei Unterschreiten der Irrelevanzgrenze ohne Einschränkungen verneinend: Gerhold, UPR 2003, 44, 47.
435Diese Voraussetzungen sind hier ebenfalls nicht gegeben. Die unter Nr. 4.2.1 TA Luft genannten, hier relevanten Schadstoffe liegen - wie dargestellt - bereits unterhalb der äußersten, dem früheren Irrelevanzwert der TA Luft 1986 entsprechenden Irrelevanzschwelle von 1,0 % (Immissionsprognose vom 6. August 2012, Tabelle 11).
436bb) Die Zusatzbelastung durch den in Nr. 4.3.1 TA Luft genannten Staubniederschlag (Deposition) ist nach Nr. 4.3.2, Buchst. a) TA Luft irrelevant, weil die Kenngröße für die Zusatzbelastung nicht über einem Wert von 10,5 mg/(m²·d) ‑ gerechnet als Mittelwert für das Jahr - liegt.
437Nach dem Ergebnis der Ausbreitungsrechnung wird diese Irrelevanzgrenze deutlich unterschritten. Im Immissionsmaximum erreicht die Zusatzbelastung, bezogen auf den Mittelungszeitraum von einem Jahr, lediglich einen Wert von 0,033 mg/(m²·d) bzw. 0,009 % des Beurteilungswerts von 0,35 g/(m²·d). Es besteht danach auch kein Anlass für die Annahme, die Staubdeposition führe gleichwohl zu schädlichen Umwelteinwirkungen durch die Staubdeposition.
438cc) Die prognostizierten Immissionswerte für die Konzentration von Schwefeldioxid und Stickstoffoxide in der Luft zum Schutz von Ökosystemen und der Vegetation in Nr. 4.4.1 TA Luft als Vorsorgewerte weisen ebenfalls nur auf irrelevante Zusatzbelastungen.
439Nach Nr. 4.4.3 Buchst. a) TA Luft ist eine Zusatzbelastung hier irrelevant, wenn die Kenngröße für die Zusatzbelastung durch die Emissionen der Anlagen die in Tabelle 5 bezeichneten Werte - gerechnet als Mittelwert für das Jahr - nicht überschreitet. Danach sind Immissionen von Schwefeldioxiden in der Luft bei einer Zusatzbelastung von 2 µg/m³ und von Stickstoffoxid bei einer Zusatzbelastung von 3 µg/m³ irrelevant. Diese Werte werden mit jeweils 0,218 µg/m³ unterschritten (Immissionsprognose vom 6. August 2012, Tabelle 13).
440dd) Für die Deposition der unter Nr. 4.5.1 TA Luft genannten Schadstoffe Arsen, Blei, Cadmium, Nickel, Quecksilber und Thallium ist nach Nr. 4.5.2 Buchst. a) aa) TA Luft eine irrelevante Zusatzbelastung anzunehmen, wenn die Kenngröße 5 % der jeweils maßgeblichen Immissionswerte nicht überschreitet. Dies ist am Ort der jeweils maximalen Zusatzbelastung der Fall, wie sich aus der folgenden Tabelle ergibt:
441Immissionswert bei einem Mittelungszeitraum von einem Jahr |
Jahreszusatzimmissionen bei einem Mittelungszeitraum von einem Jahr |
Anteil der Jahreszusatzimmissionen am Immissionswert |
|
Arsen As Deposition |
4 µg/(m²·d) |
0,032 µg/(m²·d) |
0,8 % |
BleiPb Deposition |
100 µg/(m²·d) |
0,141 µg/(m²·d) |
0,1 % |
CadmiumCd Deposition |
2 µg/(m²·d) |
0,016 µg/(m²·d) |
0,8 % |
NickelNi Deposition |
15 µg/(m²·d) |
0,019 µg/(m²·d) |
0,1 % |
QuecksilberHg Deposition |
1 µg/(m²·d) |
0,005 µg/(m²·d) |
0,5 % |
ThalliumTl Deposition |
2 µg/(m²·d) |
0,005 µg/(m²·d) |
0,3 % |
Anhaltspunkte dafür, dass trotz erheblicher Unterschreitung der Irrelevanzschwelle schädliche Umwelteinwirkungen bestehen, sind - anknüpfend an die oben dargelegten Überlegungen - nicht gegeben.
443ee) Für die in der Luft enthaltenen Konzentrationen der Schadstoffe Ammoniak, Arsen, Benzo(a)pyren, Chrom, PCDD/F, Kohlenmonoxid, Quecksilber und Thallium, für die die TA Luft keine Immissionswerte bestimmt, fehlt es in Anlehnung an Nr. 4.8 TA Luft an hinreichenden Anhaltspunkten, dass schädliche Umwelteinwirkungen hervorgerufen werden können.
444In der Immissionsprognose wurden für die oben genannten Schadstoffe folgende Beurteilungsmaßstäbe zu Grunde gelegt:
445Mittelungszeitraum |
Beurteilungsmaßstab |
|
AmmoniakNH3 |
1 Jahr |
3 µg/m³ |
Arsen As |
1 Jahr |
6 ng/m³ |
Benzo(a)pyren (BaP)C20H12 |
1 Jahr |
1 ng/m³ |
Chrom Cr |
1 Jahr |
17 ng/m³ |
Dioxine/Furane (TE) PCDD/F |
1 Jahr |
150 fg/m³ |
KohlenmonoxidCO |
1 Jahr |
350 mg/m³ |
NickelNi |
1 Jahr |
20 ng/m³ |
QuecksilberHg (gasf.) |
1 Jahr |
50 ng/m³ |
ThalliumTl |
1 Jahr |
280 ng/m³ |
Diese Beurteilungsmaßstäbe hat das LANUV in der Stellungnahme vom 7. Dezember 2012 als fachlich zutreffend bewertet. Für Stoffe, für die keine Immissionswerte nach der TA Luft festgelegt sind, aber andere Bewertungsmaßstäbe (z. B. LAI-Orientierungswerte) angegeben werden könnten, fehle es an hinreichenden Anhaltspunkten für eine Sonderfallprüfung auch dann, wenn die Emissionen der Anlage für den jeweiligen Schadstoff keinen nennenswerten Beitrag zu der Immissionssituation lieferten. Hiervon sei bei einer Zusatzbelastung durch die gesamte Anlage von weniger als 1 % des zulässigen Immissionswertes oder Bewertungsmaßstabes auszugehen. Die Bewertungsmaßstäbe stimmen mit den vom LANUV bislang angewandten und vom Senat zugrunde gelegten,
447vgl. OVG NRW, Urteile vom 10. Juni 2008 - 8 D 103/07.AK -, ZUR 2008, 492, juris Rn. 105, und vom 9. Dezember 2009 - 8 D 12/08.AK -, DVBl. 2010, 719, juris Rn. 348,
448Beurteilungsmaßstäben weitgehend überein oder liegen ‑ wie bei Ammoniak ‑ darunter.
449Die von der Beigeladenen vorgenommene Bewertung von Kohlenmonoxid über einen Jahresmittelwert hält das LANUV allerdings nicht für zielführend. Für die Prüfung, ob die Durchführung einer Sonderfallprüfung erforderlich sei, sei auf den MUNLV-Erlass zur Sonderfallprüfung vom 7. Februar 2006 und den LAI-Bericht (2004) abzustellen. Danach sei eine Sonderfallprüfung nicht erforderlich, wenn die vorhandenen Erkenntnisse keine Anhaltspunkte für eine mögliche Überschreitung der LAI-Orientierungswerte (8-Stunden-Mittelwert und 30-Minuten-Mittelwert) böten.
450Dass die sachverständige Einschätzung des LANUV unzutreffend ist, ist nicht ersichtlich. Sie entspricht der für die Betroffenen günstigen Irrelevanzbetrachtung bei der Sonderfallprüfung nach Nr. 4.8 TA Luft.
451Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10. Juni 2008 - 8 D 103/07.AK -, ZUR 2008, 492 = juris Rn. 111 ff.; Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band IV, Stand: 1. Februar 2016, Nr. 4.8 TA Luft Rn. 18.
452Gemessen hieran steht das Vorhaben der Beigeladenen in Bezug auf die in der Luft enthaltenen Konzentrationen der Schadstoffe Ammoniak, Arsen, Benzo(a)pyren, Chrom, PCDD/F, Kohlenmonoxid, Nickel, Quecksilber und Thallium mit der Schutzpflicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG in Einklang. Die Zusatzbelastungen betragen im Einzelnen:
453Mittelungszeitraum |
Beurteilungsmaßstab |
Jahreszusatzimmissionen bei einem Mittelungszeitraum von einem Jahr |
Anteil der Jahreszusatzimmissionen am Immissionswert |
|
AmmoniakNH3 |
1 Jahr |
10 µg/m³ |
0,010 µg/m³ |
0,1 % |
Arsen As |
1 Jahr |
6 ng/m³ |
0,031 ng/m³ |
0,5 % |
Benzo(a)pyrenC20H12 (BaP) |
1 Jahr |
1 ng/m³ |
0,006 ng/m³ |
0,6 % |
ChromCr |
1 Jahr |
17 ng/m³ |
0,018 ng/m³ |
0,1 % |
Dioxine/Furane (TE) PCDD/F |
1 Jahr |
150 fg/m³ |
0,158 fg/m³ |
0,1 % |
KohlenmonoxidCO |
1 Jahr |
350 µg/m³ |
0,492 µg/m³ |
0,1 % |
NickelNi |
1 Jahr |
20 ng/m³ |
0,018 ng/m³ |
<0,1 % |
QuecksilberHg |
1 Jahr |
50 ng/m³ |
0,026 ng/m³ |
<0,1 % |
ThalliumTl |
1 Jahr |
280 ng/m³ |
0,004 ng/m³ |
<0,1 % |
Die Zusatzbelastung überschreitet in keinem Fall den Wert von 1 % des Beurteilungswerts. Bei Kohlenmonoxid bestehen auch keine Anhaltspunkte, dass die gesundheitsbezogenen Orientierungswerte für die Sonderfallprüfung des LAI‑Berichts 2004 mit einem 8-Stunden-Mittelwert von 10 mg/m³ und einem 30‑Minuten-Mittelwert von 30 mg/m³ überschritten würden.
455Die prognostizierte Zusatzbelastung für PCDD/F im Staubniederschlag (Deposition) von 0,170 pg/(m²·d) entspricht 1,9 % des Beurteilungswerts in Höhe von 9 pg/(m²·d) im Jahresmittel. Die Zusatzbelastung liegt damit unter der entsprechend anwendbaren Irrelevanzschwelle von 5 % für Depositionen. Nach Auffassung des LANUV in seinen Stellungnahmen vom 7. Dezember 2012 und vom 20. April 2016 stellt ein Immissionswert von 9 pg/(m²·d) den Schutz der menschlichen Gesundheit hinreichend sicher.
456Vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2011 ‑ 8 D 58/08.AK -, ZUR 2012, 342 = juris Rn. 295 ff.
457Erst bei Überschreitung dieses LAI-Orientierungswerts könnten nachteilige gesundheitliche Effekte erwartet werden. Das LANUV hat in der Stellungnahme vom 20. April 2016 ergänzend erklärt, es halte - wie bei den anderen Depositionen - eine Irrelvanzschwelle von 5 % dieses Beurteilungswert für sachgerecht; erst bei Überschreiten dieser Irrelvanzschwelle durch die Zusatzbelastung liege ein Anhaltspunkt für eine Sonderfallprüfung vor.
458Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 1. Dezember 2011 ausgeführt hat, ist im vorliegenden Fall eine Sonderfallprüfung durchgeführt worden, die zu dem Ergebnis geführt hat, dass allein am damaligen Messpunkt 2 aufgrund einer hohen Vorbelastung die Gesamtbelastung für die Deposition den Beurteilungswert von 9 pg/(m²·d) überschritten hat. Die Einschätzung des LANUV, dass gleichwohl keine Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung innerhalb des Beurteilungsgebiets zu erwarten sei, sieht der Senat weiterhin als plausibel an. Bei der hohen Vorbelastung am Messpunkt 2 handelt es sich nicht um ein repräsentatives, sondern um ein - von einem oder mehreren Emittenten hervorgerufenes - lokales Phänomen, das ohne Aussagekraft für die tatsächliche Gefährdungssituation im Umfeld der geplanten Anlage ist. Die an den übrigen Messpunkten für PCDD/F ermittelte Vorbelastung in der Deposition liegt wie die Gesamtbelastung unterhalb des vom LANUV vorgeschlagenen Beurteilungswerts und ist daher irrelevant.
459d) Freisetzung radioaktiver Stoffe
460Der Vorbescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil das Vorhaben aufgrund der mit der Kohleverbrennung verbundenen Freisetzung radioaktiver Stoffe schädliche Umwelteinwirkungen bzw. Gefahren oder erhebliche Nachteile für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG hervorruft. Der Kläger weist insoweit auf internationale Untersuchungen hin, wonach die zusätzliche Strahlenexposition (effektive Dosis) durch die Abgabe radioaktiver Stoffe aus einem Kohlekraftwerk in die Atmosphäre etwa 0,4 µSv betrage. Im Einzelfall könne die Bevölkerung auch effektiven Dosen von bis zu 100 µSv ausgesetzt werden.
461Eine zusätzliche Strahlenexposition in der Größenordnung von 0,4 µSv fällt im Vergleich zu der Hintergrundbelastung nicht ins Gewicht und kann daher vernachlässigt werden. Nach den Angaben des Bundesamtes für Strahlenschutz (www.bfs.de) beträgt die durchschnittliche jährliche effektive Dosis eines Mitglieds der Bevölkerung in Deutschland aktuell (umgerechnet) 2100 µSv. Die jährliche effektive Dosis schwanke je nach den örtlichen Verhältnissen zwischen 1000 und 10000 µSv. Eine Zusatzbelastung von 0,4 µSv entspricht damit einem Anteil von 0,02 % der durchschnittlichen Hintergrundstrahlenbelastung und einem Anteil von 0,04 % bis 0,004 % der örtlich variierenden Hintergrundstrahlenbelastung. Dass vorliegend ein außergewöhnlicher Einzelfall gegeben wäre, ist nicht ersichtlich und hat der Kläger auch nicht behauptet.
462e) Anlagensicherheit (Störfallverordnung)
463Auch unter dem Aspekt der Anlagensicherheit stehen dem Vorhaben keine rechtlichen Hindernisse entgegen. Der Vorbescheid trägt insbesondere den Anforderungen der Störfallverordnung (12. BImSchV) Rechnung.
464Die Störfallverordnung konkretisiert den Schutz der Nachbarschaft vor sonstigen schädlichen Einwirkungen im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 BImSchG. Derartige Einwirkungen sind sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen, die nicht durch Immissionen hervorgerufen werden und nicht im eigentlichen Sinne betriebsbedingt sind. Dazu zählen physische Einwirkungen wie Explosionen, Brandereignisse, Stoffeintrag in Boden oder Gewässer oder Überflutungen.
465Vgl. Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand: 1. Februar 2016 , § 5 BImSchG, Rn. 124 ff.; Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 5 Rn. 27.
466Die 12. BImSchV regelt die Sicherheit des Betriebs technischer Anlagen allerdings nicht umfassend. Ihr Ziel ist es vielmehr, die schwerwiegenden Gefahren abzuwehren, die von bestimmten gefährlichen Stoffen ausgehen können, wenn diese in Betriebsbereichen im Sinne des § 3 Abs. 5a BImSchG freigesetzt werden, entstehen, in Brand geraten oder explodieren.
467Vgl. Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band IV, Stand: 1. Februar 2016, Vorb. 12. BImSchV Rn. 7.
468Ob die 12. BImSchV auf einen Betriebsbereich anzuwenden ist und ob der Betreiber bejahendenfalls nur die Grundpflichten zu erfüllen hat oder ihn darüber hinaus die erweiterten Pflichten nach §§ 9 ff. der 12. BImSchV treffen, hängt nach § 1 Abs. 1 der 12. BImSchV i. V. m. Anhang I Spalten 4 und 5 von Art und Menge der jeweils vorhandenen gefährlichen Stoffe ab. Die erweiterten Pflichten nach §§ 9 ff. der 12. BImSchV gelten nach § 1 Abs. 1 Satz 2 der 12. BImSchV neben den Grundpflichten der §§ 3 ff. der 12. BImSchV nur für die Betriebsbereiche, in denen gefährliche Stoffe in Mengen vorhanden sind, die die in Anhang I Spalte 5 genannten Mengenschwellen erreichen oder überschreiten. Die Grundpflichten der §§ 3 ff. der 12. BImSchV gelten für die Betriebsbereiche, in denen gefährliche Stoffe in Mengen vorhanden sind, die die in Anhang I Spalte 4 genannten Mengenschwellen erreichen oder unterschreiten.
469aa) Das streitbefangene Vorhaben unterliegt nicht den erweiterten Betreiberpflichten der §§ 9 ff. der 12. BImSchV. Der Erstellung eines Sicherheitsberichts nach § 9 Abs. 1 und Abs. 2 der 12. BImSchV i. V. m. Anhang II bedurfte es nicht. Die in den Betriebsbereichen vorhandenen Stoffe erreichen oder überschreiten auch unter Berücksichtigung der sog. Quotientenregelung des Anhangs I Nr. 5 nicht die Mengenschwellen des Anhangs I Nr. 3, Tabelle Spalte 5. In dem Störfallkonzept vom 20. Juni 2013 sind die Stoffe Ammoniak, Ammoniaklösung 15 %, Natriumhypochlorid, Heizöl, Gasöle sowie Sauer- und Wasserstoff mit den jeweils zugehörigen Mengenangaben aufgeführt. Es ist nicht ersichtlich, dass diese Aufstellung unvollständig oder, was die Mengenangaben angeht, unzutreffend wäre. Die Mengenschwelle der Stoffkategorie 2 Spalte 4 der Tabelle des Anhangs I der 12. BImSchV („giftig“) in Höhe von 50.000 kg wird (nur) durch Ammoniak mit einer gelagerten Menge von 103.400 kg überschritten. Die Quotientenregelung kommt nicht zur Anwendung, weil keine weiteren Stoffe der Kategorien 1 und 2 vorhanden sind. Die Quotientensumme der Kategorien 3, 4, 5, 6, 7a und 7b („brandfördernd“, „explosionsgefährlich“, „entzündlich“, „leichtentzündlich“) ist mit einem Wert in Höhe von 0,003373 kleiner als 1. Die Quotientensumme der Kategorien 9a und b („umweltgefährlich“) ist mit einem Wert von 0,772 ebenfalls kleiner als 1. Der insoweit betroffene Anlagenbereich Brennstoffversorgung ist dennoch vorsorglich als sicherheitsrelevant eingestuft worden.
470bb) Ein Verstoß gegen die Grundpflichten der §§ 3 ff. der 12. BImSchV liegt nicht vor. Der Betreiber hat nach § 3 der 12. BImSchV die nach Art und Ausmaß der möglichen Gefahren erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um Störfälle zu verhindern. Bei der Erfüllung dieser Pflicht sind betriebliche Gefahrenquellen, umgebungsbedingte Gefahrenquellen, wie Erdbeben oder Hochwasser, und Eingriffe Unbefugter zu berücksichtigen, es sei denn, dass diese Gefahrenquellen oder Eingriffe als Störfallursachen vernünftigerweise ausgeschlossen werden können. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 der 12. BImSchV hat der Betreiber Maßnahmen zu treffen, damit Brände und Explosionen innerhalb des Betriebsbereichs vermieden werden, nicht in einer die Sicherheit beeinträchtigenden Weise von einer Anlage auf andere Anlagen des Betriebsbereichs einwirken können und nicht in einer die Sicherheit des Betriebsbereichs beeinträchtigenden Weise von außen auf ihn einwirken können.
471Das insoweit zuletzt vorgelegte Störfallkonzept vom 20. Juni 2013 trägt diesen Anforderungen Rechnung und weist auch nach der Einschätzung des LANUV in der Stellungnahme vom 25. Juli 2013 keine Mängel auf. Diese Einschätzung wird durch das Vorbringen des Klägers nicht in Frage gestellt.
472Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 der 12. BImSchV hat der Betreiber vor Inbetriebnahme ein schriftliches Konzept zur Verhinderung von Störfällen auszuarbeiten. Es soll den Gefahren von Störfällen im Betriebsbereich angemessen sein und muss den in Anhang III genannten Grundsätzen Rechnung tragen, vgl. § 8 Abs. 1 Satz 2 der 12. BImSchV. Die Beigeladene ist dieser Pflicht mit ihrem Konzept vom 20. Juni 2013 in ausreichender Weise nachgekommen.
473Ein Störfallkonzept ist angemessen, wenn es einerseits auf die besonderen Verhältnisse in dem konkret betroffenen Betriebsbereich abgestimmt ist und es andererseits keine übermäßigen Aufwendungen verlangt. Vor diesem Hintergrund müssen die Sicherheitsüberlegungen nicht jedem nur denkbaren Risiko nachgehen. Bestimmte Restrisiken sind nicht zu vermeiden. Risiken, die als Gefahren für Mensch oder Umwelt anzusehen wären, müssen jedoch stets berücksichtigt werden. Andere Risiken sollen in das Konzept einbezogen werden, soweit das mit verhältnismäßigem Aufwand möglich ist.
474Vgl. - auch zum Folgenden - Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band IV, Stand: 1. Februar 2016, § 8 der 12. BImSchV Rn. 9.
475Nach Nr. 1 des Anhangs III der 12. BImSchV soll das Konzept zur Verhinderung von Störfällen die Gesamtziele und die allgemeinen Grundsätze des Vorgehens des Betreibers zur Begrenzung der Gefahren von Störfällen umfassen. Eine Behandlung jedes der in Absatz II genannten Details ist nicht erforderlich. Die Nrn. 2 und 3 der Anlage III dürften unmittelbar nur das Sicherheitsmanagementsystem im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 1 der 12. BImSchV betreffen. Auch in dem Störfallkonzept sind die Gefahren durch konkrete Störfälle allerdings in Grundzügen zu ermitteln und zu bewerten. Dies ist hier geschehen.
476(1) Die von dem Ammoniaklager ausgehenden Gefahren wurden in räumlicher Hinsicht ausreichend ermittelt. Das Vorhaben genügt der unionsrechtlichen Verpflichtung des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG des Rates vom 9. Dezember 1996 zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen in der durch die Richtlinie 2003/105/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2003 geänderten Fassung, einen angemessenen Abstand zwischen einem Störfallbetrieb und Wohngebäuden zu wahren.
477Vgl. EuGH, Urteil vom 15. September 2011 ‑ C‑53/10 -, Slg. 2011, I-8311 = juris.
478Der Untersuchungsraum musste nicht in Anlehnung an den Leitfaden der Kommission für Anlagensicherheit „Empfehlungen für Abstände zwischen Betriebsbereichen nach der Störfall-Verordnung und schutzbedürftigen Gebieten im Rahmen der Bauleitplanung - Umsetzung § 50 BImSchG“ von November 2010 (KAS 18) ausgedehnt werden. Die vom Kläger geforderte Erweiterung des Untersuchungsradius auf 580 m mit einer Einbeziehung u. a. der Bahnlinie Datteln-Lünen, der Kreisstraße 1 und weiterer Gewerbebetriebe oder auf 850 m unter Einbeziehung der Lippeauen ist auch nach den Abstandsempfehlungen des Leitfadens KAS 18 nicht geboten. Der Leitfaden KAS 18 findet bei Genehmigungen von Einzelvorhaben keine unmittelbare Anwendung (Leitfaden, S. 7). Seine Abstandsempfehlungen sind Richtwerte für die Bauleitplanung und ihrer Zweckbestimmung nach von typisierender Art (Leitfaden, S. 21); sie stehen daher einzelfallbezogenen Konkretisierungen von Sicherheitsabständen nicht entgegen. Ammoniak ist in dem Leitfaden KAS 18 der Abstandsklasse II (bis 500 m) zugeordnet. Für Planungen in ebenem Gelände und bei mittleren Ausbreitungsbedingungen wird ein Sicherheitsabstand von 398 m empfohlen; je nach den örtlichen Verhältnissen können sich Abweichungen ergeben. Die Annahme des Störfallkonzepts, nach den örtlichen Verhältnissen sei danach ein Abstand von 400 m zu Wohngebäuden, öffentlich genutzten Gebäuden und Gebieten sowie Freizeit- und Naturschutzgebieten ausreichend, erscheint plausibel. Besondere örtliche Bedingungen, die einen größeren Abstand erfordern würden, hat der Kläger nicht dargelegt und sind auch sonst nicht ersichtlich.
479Der Abstand von 400 m wird bis auf drei Ausnahmen eingehalten. Die ausnahmsweise Unterschreitung des Sicherheitsabstandes ist jedoch gerechtfertigt. Das Gefährdungspotential des Betriebsbereichs Ammoniaklager beruht ausweislich des Störfallkonzepts im Wesentlichen auf der Giftigkeit von Ammoniak bei seiner Freisetzung. Eine Freisetzung von Ammoniak werde hier vorrangig dadurch vermieden, dass es in einem geschlossenen System gehandhabt werde. Es sei dennoch eine worst-case-Einzelfallbetrachtung durchgeführt worden, indem man ein Leck in einer flüssigphaseführenden Rohrleitung im Bereich der Entladestation unterstellt habe. Im Sinne einer konservativen Betrachtungsweise sei man trotz des Umstands, dass die Wahrscheinlichkeit einer relevanten Freisetzung außerhalb der Entladestation vernünftigerweise ausgeschlossen werden könne, davon ausgegangen, dass 30 % des Ammoniaks an den Öffnungen des Gebäudes freigesetzt werden. Unter diesen Voraussetzungen werde der PAC2-Toxizitätswert (Protectice Action Criteria) bei mittleren Ausbreitungsbedingungen nur bis zu einer Entfernung von 20 m überschritten, das Immissionsmaximum liege in einem Abstand von 10 m zur Entladestation. Ab einem Abstand von 30 m werde der Wert deutlich unterschritten. Diese Bewertung ist nachvollziehbar. Die lückenlose Einhaltung eines Sicherheitsabstands von 400 m war daher nicht erforderlich.
480(2) Die mit der Entladung der Bahnwaggons mit einer Freisetzung von Ammoniak verbundenen Gefahren wurden ebenfalls umfassend betrachtet und bewertet. Die vorgesehenen Schutzvorkehrungen und -mechanismen sind in dem Störfallkonzept im Detail beschrieben. Es ist nicht ersichtlich, dass diese Maßnahmen unzureichend wären.
481(3) Mögliche Gefahren aufgrund der in unmittelbarer Nähe des Ammoniaklagers verlaufenden Gasleitung sind zu Recht nicht berücksichtigt worden. Nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben der Beigeladenen ist die Gasleitung nicht mehr in Betrieb.
482(4) Das Störfallkonzept hat die von den benachbarten Kohlesilos ausgehenden Brandgefahren unter Hinweis auf die im Brandschutzkonzept vom 23. März 2012 vorgesehenen Maßnahmen zur Verhinderung einer Selbstentzündung der Kohle und zur Branderkennung sowie zur Brandbekämpfung - Überwachung der Temperatur der angelieferten Kohle, hoher Durchsatz der Kohle, Einsatz von Detektoren für Kohlenmonoxid, Methan und Sauerstoffe, Flutung des betroffenen Silos mit Stickstoff im Brandfall - und mit Blick darauf, dass die Ammoniakbehälter erdgedeckt sind und die Entladestation eingehaust ist, zutreffend ausgeschlossen. Es ist nicht ersichtlich, dass es über die Brandschutzmaßnahmen hinaus vernünftigerweise noch genauerer Brandmelder zur Lokalisierung von Brandherden bedürfte. Für die Brandfrüherkennung im Bereich der Kohlesilos kommen bereits Sonderbrandmelder zum Einsatz, die als Gasmelder in der Lage sein sollen, einen Schwelbrand der Kohle bereits in der Entstehungsphase zu detektieren. Auch ein - selbst mit Gefahren verbundenes - Vorhalten von Stickstoff auf dem Betriebsgelände ist entbehrlich. Die kurzfristige Anlieferung des für die Flutung der Kohlesilos im Brandfall erforderlichen Stickstoffes mit Tanklastwagen ist nach den Angaben der Beigeladenen rund um die Uhr gewährleistet. Neben den Siloanlagen befinden sich zudem ausreichend dimensionierte Aufstellflächen für die Tanklastwagen. Im Bereich der Aufstellflächen ist die erforderliche Stromversorgung sichergestellt.
483(5) Die vom Kläger aufgrund des Klimawandels prognostizierten Naturereignisse - heftige Stürme und Hagel - konnten ebenfalls vernünftigerweise außer Betracht bleiben. Das Ammoniaklager ist unterirdisch ausgeführt und daher auch gegenüber ungewöhnlichen meteorologischen Ereignissen unempfindlich. Es ist nicht zu erkennen, dass die Annahme der Beigeladenen, aufgrund der baulichen Ausführung gelte dasselbe auch für das Heizöllager, unzutreffend wäre.
484(6) Auch die Gefahren durch Eingriffe Unbefugter sind in dem Störfallkonzept angemessen beschrieben und bewertet worden. Zwar kann sich aufgrund des Anlagentyps durch den Betrieb einer Anlage ein erhöhtes Risiko von Anschlägen oder Sabotageakten ergeben. Da es sich bei der Terrorbekämpfung jedoch typischerweise um eine Aufgabe der Polizei und nicht um eine private Angelegenheit des Betreibers handelt, steht die Pflicht zur präventiven Vermeidung von Gefahren, die sich aus eigenverantwortlichen rechtswidrigen Handlungen Dritter ergeben, ebenfalls jedenfalls unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit.
485Vgl. Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand: 1. Februar 2016, § 5 BImSchG, Rn. 98.
486Das Störfallkonzept beschreibt solche verhältnismäßigen Maßnahmen des Objektschutzes zur Abwehr politisch motivierter Übergriffe. Als mögliche Ursachen solcher Gefahren werden eine unzulängliche Einfriedung des Betriebsgeländes, eine unzureichende Be- und Überwachung der Anlage und eine unzureichende Einweisung von Betriebsfremden benannt. Dem soll dadurch entgegengewirkt werden, dass der gesamte Betriebsbereich mit einem 2 m hohen Sicherheitszaun umfriedet ist, der nachts beleuchtet wird. Während der Betriebszeiten sei qualifiziertes und ausgebildetes Sicherheitspersonal in ausreichender Zahl vor Ort. Der Zugang zu dem Gelände sei durch eine Eingangskontrolle gesichert. Ferner sollen die hierarchisch geregelten Zugangsberechtigungen insbesondere zu den sicherheitsrelevanten Bereichen sowie eine Sensibilisierung des Personals Gefahren durch Eingriffe von Innentätern vermindern.
487cc) Nach alledem bestehen keine Bedenken, dass die von der Beigeladenen vorgelegten Antragsunterlagen nicht den Anforderungen des § 4 a Abs. 1 Nr. 5 oder des § 4 b Abs. 1 Nr. 2 a und b der 9. BImSchV entsprechen. Nach § 4 a Abs. 1 Nr. 5 der 9. BImschV müssen die Unterlagen Angaben über die mögliche Freisetzung oder Reaktionen von Stoffen bei Störungen im Verfahrensablauf enthalten. Ferner müssen die Unterlagen Angaben enthalten über die vorgesehenen Maßnahmen zum Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vor sonstigen Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen, wie Angaben über die vorgesehenen technischen und organisatorischen Vorkehrungen zur Verhinderung von Störungen des bestimmungsgemäßen Betriebes und zur Begrenzung der Auswirkungen, die sich aus Störungen des bestimmungsgemäßen Betriebes ergeben können, vgl. § 4 b Abs. 1 Nr. 2 a und b der 9. BImSchV. Die Beigeladene hat neben dem Konzept für die Verhinderung von Störfällen auch ein Brandschutzkonzept und ein Explosionsgutachten vorgelegt. Anhaltspunkte für eine Unvollständigkeit dieser Unterlagen bestehen nicht.
4883. (Bau-)Planungsrecht
489Die Einwendungen gegen die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens greifen nicht durch. Gemäß § 30 Abs. 1 BauGB ist ein Vorhaben im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der allein oder gemeinsam mit sonstigen baurechtlichen Vorschriften mindestens Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen enthält (sog. qualifizierter Bebauungsplan), zulässig, wenn es diesen Festsetzungen nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Das Vorhaben liegt im Geltungsbereich eines wirksamen Bebauungsplans im Sinne des § 30 Abs. 1 BauGB (unten a). Es entspricht hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung auch dessen Festsetzungen (unten b) aa)). Die auf § 31 Abs. 2 BauGB beruhenden Befreiungen von den festgesetzten Baugrenzen und der höchstzulässigen Baumassenzahl sind rechtlich nicht zu beanstanden (unten b) bb).
490a) Wirksamkeit des Bebauungsplans
491Das Kohlekraftwerk liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 80 „Stummhafen“ 1. Änderung, bekannt gemacht am 19. März 1983, der alle für einen qualifizierten Bebauungsplan im Sinne des § 30 Abs. 1 BauGB notwendigen Festsetzungen enthält. Er setzt für das gesamte Plangebiet ein Industriegebiet (GI) fest. Gründe für eine Unwirksamkeit dieses Bebauungsplans sind nicht zu erkennen.
492Der Bebauungsplan ist gemäß § 1 Abs. 4 BauGB den Zielen der Raumordnung angepasst (dazu aa). Er ist auch - wie von § 8 Abs. 2 BauGB verlangt - aus dem Flächennutzungsplan entwickelt (dazu bb). Abwägungsmängel, die zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans führen würden, sind nicht erkennbar (dazu cc). Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Bebauungsplan nicht wegen Funktionslosigkeit außer Kraft getreten (dazu dd). Der Bebauungsplan unterlag nicht der Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltprüfung, Umweltverträglichkeitsprüfung oder FFH-Verträglichkeitsuntersuchung. Es besteht auch keine Notwendigkeit, derartige Prüfungen nachträglich durchzuführen (dazu ee). Ebenso wenig besteht eine weitergehende Planungspflicht (dazu ff).
493aa) Der Bebauungsplan verstößt nicht gegen das Anpassungsgebot des § 1 Abs. 4 BauGB. Nach dieser Vorschrift sind die Bauleitpläne den Zielen der Raumordnung anzupassen. Darin kommt ein umfassendes Gebot zu dauerhafter materieller Übereinstimmung der kommunalen Bauleitplanung mit den Rahmenvorgaben der Raumordnungsplanung zum Ausdruck.
494Vgl. Runkel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/ Krautzberger, BauGB, Bd. I, § 1 Rn. 67; BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 2007 - 4 BN 17.07 - BRS 71 Nr. 45 = juris Rn. 9.
495An dieser Übereinstimmung bestehen hier keine Zweifel.
496(1) Der Bebauungsplan steht nicht in Widerspruch zu Zielen der Raumordnung, die sich aus dem Landesentwicklungsplan NRW vom 11. Mai 1995 (GV. NRW. S. 532, im Folgenden: LEP NRW) ergeben. Den in diesem Plan andernorts zeichnerisch festgelegten Standorten für Kraftwerke kommt nicht die Wirkung zu, dass nachgeordnete Planungsträger gehindert wären, auf dem Gebiet der Stadt Lünen ein Kraftwerk auszuweisen.
497Ziele der Raumordnung sind gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Raumordnung abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raumes. Hierzu dürften auch die zeichnerischen Festlegungen von Standorten für die Energieerzeugung im LEP NRW, Teil B, zählen.
498Vgl. OVG NRW, Urteil vom 3. September 2009 ‑ 10 D 121/07.NE -, DVBl. 2009, 1385 = juris Rn. 67.
499Sie enthalten zulässige, gebietsscharfe Zielfestlegungen, die dem überörtlichen Interesse an einer Sicherstellung der Energieversorgung dienen und zu diesem Zweck eine Standortvorsorge treffen. Für das Gebiet der Stadt Lünen sind derartige Standorte im LEP NRW nicht festgelegt. Ausgehend davon besteht auf den nachgeordneten Planungsebenen kein Verbot, auf dem Gebiet der Stadt Lünen einen Kraftwerksstandort vorzusehen bzw. planerisch zu ermöglichen.
500Es spricht viel dafür, dass die landesplanerisch festgelegten Standorte für die Energieversorgung allenfalls als Vorranggebiete im Sinne der aktuellen Regelung des § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 ROG zu verstehen sind, ohne dass ihnen darüber hinaus auch die Wirkung eines Ausschlusses der vorgesehenen Maßnahmen bzw. Nutzungen außerhalb der vorgesehenen Standorte zukommt (sog. Eignungsgebiet, vgl. § 8 Abs. 7 Satz 2, Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 ROG). Mit einer Vorrangplanung werden die festgelegten Bereiche für die vorgesehene Nutzung als Kraftwerksstandorte gegen etwaige entgegenstehende Planungen nachgeordneter Planungsträger an gleicher Stelle gesichert. Eine Ausschlusswirkung für alle anderen Bereiche ist mit derartigen Festlegungen in Raumordnungsplänen nach den genannten Regelungen des Raumordnungsgesetzes nur verbunden, wenn sich dies aus dem Raumordnungsplan unmissverständlich ergibt. Auch der Gesetzgeber des ROG geht von einer rein innergebietlichen Wirkung von Vorranggebieten aus (vgl. § 8 Abs. 7 ROG, ebenso bereits § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 ROG i. d. F. vom 18. August 1997),
501vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. März 2011 ‑ 4 BN 18.10 -, juris Rn. 10, - 4 BN 19.19 -, juris Rn. 13 ff.
502Die landesplanerische Reservierung bestimmter als geeignet angesehener Kraftwerkstandorte und deren Sicherung gegen abweichende Nutzungen setzt nicht zwingend die umfassende Untersuchung des Landesgebiets auf potentiell geeignete Standorte voraus. Eine angemessene und abschließende Abwägungsentscheidung muss sich in diesem Fall vielmehr nur auf den - begrenzten - Inhalt einer Vorrangplanung beziehen. Maßgeblich ist dafür, ob sich die in Aussicht genommenen Bereiche als Kraftwerkstandorte eignen und dort gegenüber anderweitigen Vorhaben durchsetzen sollen.
503Vorliegend waren dem Plangeber des LEP NRW die Raumgebietskategorien „Vorranggebiet“ bzw. „Eignungsgebiet“ zwar in der Terminologie noch unbekannt, weil sie erst mit Wirkung vom 1. Januar 1998 gesetzlich geregelt worden sind. Dem LEP NRW ist aber auch der Sache nach nicht zu entnehmen, dass der Plangeber mit der Festlegung bestimmter Standorte für die Energieerzeugung und flächenintensive Großvorhaben die Planung von Kraftwerken im übrigen Landesgebiet hätte ausschließen wollen. Nach den Erläuterungen des LEP NRW zum Punkt „Energieversorgung“ (D. II. 3 am Ende) sind die dargestellten Kraftwerkstandorte ausdrücklich als „Angebotsplanung“ zu verstehen. Sie sind aus dem ehemaligen Landesentwicklungsplan LEP VI übernommen worden (vgl. D. II. 1. LEP NRW). Der LEP VI vom 8. November 1978 (MBl. NRW 1978 S. 1878) hatte neben 14 Standorten für die industrielle Nutzung vorsorglich 27 Standorte für Energieprojekte landesplanerisch festgelegt. Nach Nr. 5.3 Abs. 1 sowie Nr. 4.3 Abs. 2 LEP VI sollte für Kraftwerksstandorte kein „Darstellungsprivileg“ bestehen. Dieses ehemalige landesplanerische Instrument hatte - ähnlich wie das heutige „Eignungsgebiet“ - die Funktion zu verhindern, dass bestimmte Vorhaben oder Anlagen auf anderen als den tatsächlich ausgewiesenen Flächen verwirklicht werden. Den Festlegungen für Kraftwerke kam demnach eine Konzentrationswirkung, d. h. ein Ausschluss der Nutzung außerhalb der festgelegten Standorte, nicht zu.
504Vgl. Franßen/Grunow, NWVBl. 2016, 11, 14 f., die auch darauf hinweisen, dass der Landesplangeber bei der Übernahme der Standorte in den LEP NRW eine flächendeckende Standortalternativenprüfung nicht durchgeführt habe; so auch Regionalverband Ruhr (RVR), Stellungnahme vom 15. Juli 2014.
505Ungeachtet dessen steht die planerische Ermöglichung eines Kraftwerks am Standort Lünen/Stummhafen auch dann nicht im Widerspruch zum LEP NRW, wenn mit dem 10. Senat des OVG NRW von einer begrenzten „äußeren Verbindlichkeit“ der zeichnerischen Festlegungen von Standorten für die Energieerzeugung ausgegangen wird. Auch nach dieser Auffassung bedeutet die Standortfestlegung im LEP NRW für die nachgeordnete Planung nicht, dass eine Planung an anderer Stelle von vornherein ausgeschlossen wäre. Eine Gemeinde soll danach allerdings im Regelfall an einer Planung an anderer Stelle gehindert sein, wenn der Landesentwicklungsplan im Gemeindegebiet selbst eine Fläche als Kraftwerkstandort in Kenntnis der regionalen Besonderheiten ausgewiesen hat und die Verwirklichung der Planziele an dieser Stelle planerisch nicht ausgeschlossen ist. Insbesondere darf eine Planung in der Umgebung die Realisierung der landesplanerisch gewünschten Flächennutzung nicht beeinträchtigen.
506Vgl. OVG NRW, Urteil vom 3. September 2009 - 10 D 121/07.NE -, DVBl. 2009, 1385 = juris Rn. 82; Franßen/Grunow, NWVBl. 2016, 11, 15.
507Dies ist vorliegend nicht der Fall, da der LEP NRW für das Gebiet der Stadt Lünen keinen Standort für die Energieerzeugung vorgesehen hat. Derartige Standorte werden durch den LEP NRW in der Umgebung etwa für das Gebiet Datteln-Waltrop in westlicher und für das Gebiet Bergkamen in östlicher Richtung festgelegt. Die Stadt Lünen ist demgegenüber mangels einschlägiger Vorgaben in ihrer Planung nicht gebunden.
508(2) Ein dem Bebauungsplan entgegenstehendes Ziel der Raumordnung ergibt sich nicht aus dem am 9. August 2004 bekannt gemachten (GV. NRW. S. 440) Regionalplan für den Regierungsbezirk Arnsberg, Teilabschnitt Oberbereich Dortmund - westlicher Bereich (Dortmund/Kreis Unna/Hamm), im Folgenden: Regionalplan 2004. Das Gelände des Stummhafens ist im Regionalplan 2004 Teil eines großen Bereichs für die gewerbliche und industrielle Nutzung (GIB). GIB-Bereiche dienen der Entwicklung und Sicherung von gewerblich-industriellen Bauflächen, insbesondere für die Unterbringung von emittierenden Industrie-, Gewerbe- und öffentlichen Betrieben sowie diesen zuzuordnenden Einrichtungen und Anlagen (Regionalplan 2004, S. 32). Der fragliche GIB-Bereich umfasst vorliegend auch die Standorte der Unternehmen S. und Inovatherm sowie das STEAG-Kraftwerk. Der Bereich des STEAG-Kraftwerks ist mit dem Piktogramm für „Kraftwerke und einschlägige Nebenbetriebe“ versehen. Hierbei handelt es sich nicht um eine gebietsscharfe Ausweisung einer Fläche für ein bestimmtes Kraftwerk. Vielmehr bietet der Plangeber mit der Anbringung der Zusatzsignatur für Kraftwerke der nachgeordneten Bauleitplanung die gesamte ungeteilte GIB-Fläche (auch) als potentiellen Standort für ein oder mehrere Kraftwerke an (vgl. auch die der zeichnerischen Darstellung beigefügte Legende).
509Diese Art der Darstellung entsprach der Anlage 1 (Planzeichenverzeichnis) der seinerzeit geltenden Verordnung über Gegenstand, Form und Merkmale des Planungsinhalts der Landesentwicklungspläne, Gebietsentwicklungspläne und Braunkohlenpläne (3. DVO zum Landesplanungsgesetz) vom 17. Januar 1995, GV. NRW. S. 144, auf die der Regionalplan (S. 32) Bezug nimmt. Darin waren „Kraftwerke und einschlägige Nebenbetriebe“ - anders als nach der aktuell geltenden Anlage 3 zur Verordnung zur Durchführung des Landesplanungsgesetzes (LPlG DVO) vom 8. Juni 2010, nach der sie unter „GIB für zweckgebundene Nutzungen“ fallen - noch ausdrücklich den allgemeinen Bereichen für gewerbliche und industrielle Nutzungen (GIB) zugeordnet.
510(3) Der Bebauungsplan ist auch nicht bereits wegen fehlender Anpassung an Ziele der Raumordnung in dem vorher geltenden Gebietsentwicklungsplan für den Regierungsbezirk Arnsberg, Teilabschnitt Dortmund-Unna-Hamm (genehmigt am 14. Februar 1984 bzw. 29. Oktober 1984, 4. und letzte Änderung genehmigt mit Erlass vom 26. Oktober 1988) unwirksam geworden. Für diesen Gebietsentwicklungsplan gilt im Ergebnis dasselbe wie unter (2) ausgeführt; insbesondere enthält er für das Gebiet der Stadt Lünen ebenfalls keine gebietsscharfe Darstellung eines Bereichs für ein Kraftwerk. Wie in dem späteren Regionalplan ist auch hier auf dem Gebiet der Stadt Lünen ein den Vorhabenstandort einschließender, größerer Gewerbe- und Industrieansiedlungsbereich ausgewiesen, der am Standort eines bestehenden Kraftwerks zusätzlich über das Piktogramm „konventionelles Kraftwerk“ verfügt. Dies schließt die Planung bzw. Genehmigung weiterer Kraftwerke in dem - lediglich der allgemeinen Größenordnung und annähernden räumlichen Lage nach dargestellten - Gewerbe- und Industrieansiedlungsbereich nicht aus.
511bb) Der Bebauungsplan genügt dem Entwicklungsgebot des § 8 Abs. 2 BauGB. Nach dieser Vorschrift sind Bebauungspläne aus dem Flächennutzungsplan zu entwickeln. Dabei ist auf den zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bebauungsplans geltenden Flächennutzungsplan abzustellen.
512Vgl. Runkel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautz-berger, BauGB, Stand: November 2015, § 8 Rn. 19, 35.
513Es kann dahinstehen, ob es danach maßgeblich auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bebauungsplans Nr. 80 in seiner ursprünglichen Fassung (3. Januar 1980) oder in der Fassung der 1. Änderung (19. März 1983) ankommt. Zu beiden Zeitpunkten war der Flächennutzungsplan der Stadt Lünen vom 27. April 1979 in Kraft, welcher nach Auskunft der Stadt Lünen vom 28. April 2016 für den Bereich des Stummhafens ein GI-Gebiet darstellt. Der Bebauungsplan Nr. 80 „Stummhafen“ stellt sich damit ohne Zweifel als aus diesem Flächennutzungsplan entwickelt dar, da er für diese Fläche ebenfalls ein Industriegebiet (GI) festsetzt.
514Ob der Bebauungsplan mit dem Flächennutzungsplan der Stadt Lünen vom 3. Februar 2006 in der zum Zeitpunkt des Vorbescheids geltenden Fassung vom 12. Februar 2010 (4. Änderung, vgl. Vorbescheid S. 269) in Einklang steht, ist demgegenüber rechtlich unerheblich. Eine fortlaufende Anpassungspflicht rechtswirksam in Kraft getretener Bebauungspläne an spätere Änderungen des Flächennutzungsplans - wie sie § 1 Abs. 4 hinsichtlich der Ziele der Raumordnung begründet - ist gesetzlich nicht vorgesehen. Ungeachtet dessen ist ein Widerspruch auch nicht gegeben, weil die Standortfläche in diesem Flächennutzungsplan gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 9 BauNVO weiterhin als Industriegebiet (GI) dargestellt ist.
515Die Rüge, der Flächennutzungsplan enthalte keine ausdrückliche Aussage zur Zulässigkeit von Großkraftwerken, greift auch unabhängig davon nicht durch. In Industriegebieten gehören generell auch Kraftwerke zu den zulässigen Betrieben (vgl. § 9 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO 1977, sowie unten unter b). Für den Plangeber des - noch grobmaschigen - Flächennutzungsplans besteht kein Zwang, stattdessen die nach § 1 Abs. 2 Nr. 10 BauNVO ggf. auch mögliche Darstellung eines - zweckgebundenen - Sondergebiets für ein Kraftwerk zu wählen. Dies gilt umso mehr, als hier auch der Bebauungsplan nicht von vornherein auf ein Kraftwerk zugeschnitten ist, sondern mit der Festsetzung eines Industriegebiets eine Angebotsplanung für alle danach konkret zulässigen Betriebe darstellt.
516cc) Abwägungsfehler, die zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans führen würden, sind nicht erkennbar.
517(1) Nach § 1 Abs. 7 BauGB sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Das in dieser Vorschrift normierte Abwägungsgebot ist verletzt, wenn eine sachgerechte Abwägung überhaupt nicht stattfindet, wenn in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, wenn die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens ist dem Abwägungserfordernis jedoch genügt, wenn sich die zur Planung berufene Gemeinde im Widerstreit verschiedener Belange für die Bevorzugung des einen und damit notwendigerweise für die Zurückstellung des anderen Belanges entscheidet.
518Vgl. OVG NRW, Urteil vom 3. September 2009 ‑ 10 D 121/07.NE -, DVBl. 2009, 1385 = juris Rn. 120, 121 m. w. N.; BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1974 - 4 C 50.72 -, BVerwGE 45, 309 = juris Rn. 45.
519Gemessen daran zeigt das Klagevorbringen keinen Abwägungsfehler auf. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen das aus dem Abwägungsgebot abgeleitete Gebot der planerischen Konfliktbewältigung vor. Ein Bebauungsplan hat grundsätzlich die von ihm geschaffenen oder ihm zurechenbaren Konflikte zu lösen. Handelt es sich - wie hier - um eine Angebotsplanung, muss die Gemeinde ihrer Prognose diejenigen baulichen Nutzungen zugrunde legen, die bei einer vollständigen Ausnutzung der planerischen Festsetzungen möglich sind. Eine Verlagerung von Problemlösungen aus dem Bauleitverfahren auf nachfolgendes Verwaltungshandeln ist dabei nicht ausgeschlossen. Von einer abschließenden Konfliktbewältigung im Bebauungsplan darf die Gemeinde Abstand nehmen, wenn bei vorausschauender Betrachtung die Durchführung der als notwendig erkannten Konfliktlösungsmaßnahmen außerhalb des Planungsverfahrens auf der Stufe der Verwirklichung der Planung sichergestellt ist. Die Planung darf jedoch nicht dazu führen, dass Konflikte, die durch sie hervorgerufen werden, zu Lasten Betroffener auf der Ebene der Vorhabenzulassung letztlich ungelöst bleiben.
520Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. November 2006 - 4 BN 32.06 -, juris Rn. 10; OVG NRW, Urteil vom 3. September 2009 - 10 D 121/07.NE -, DVBl. 2009, 1385 = juris Rn. 202 ff.
521Nach diesen Maßstäben lässt der Bebauungsplan Nr. 80 der Stadt Lünen in der Fassung der 1. Änderung vom 19. März 1983 keine unzureichende Konfliktbewältigung erkennen. Er setzt für das gesamte, den Vorhabenstandort umfassende Plangebiet ein Industriegebiet (GI) fest. In den textlichen Festsetzungen wird auf den Abstandserlass und die Abstandsliste vom 25. Juli 1974 (MBl. NW. S. 992/SMBl. NW. 280) Bezug genommen und für das Plangebiet festgelegt, dass Anlagen der Abstandsklassen I und II der Abstandsliste ausgeschlossen sind. Der Abwägung hat damit bereits der Abstandserlass in der bei Beschlussfassung über den Bebauungsplan gültigen Fassung der Änderung vom 2. November 1977 (MBl. NW. S. 1688) zugrunde gelegen, welcher in der Abstandsliste die Abstandsklassen eingeführt hat.
522Diese durch § 1 Abs. 5 BauNVO 1977 eröffnete Möglichkeit ermöglicht ähnlich wie die Gliederung von Baugebieten nach § 1 Abs. 4 BauNVO eine planerische Feinsteuerung, die in besonderem Maße dem Umwelt- und Immissionsschutz dient. Zulässig ist danach auch ein Ausschluss bestimmter Betriebe und Anlagen nach Störgraden bzw. Emissionsverhalten und nach den insofern notwendigen Schutzabständen zu Wohnnutzungen, soweit die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt bleibt. Hierbei kann ein Bebauungsplan auf den sog. Abstandserlass und die diesem beigefügte Abstandsliste Bezug nehmen.
523Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. Mai 2014 - 8 A 3002/11 -, juris Rn. 71 ff. m. w. N.; Beschluss vom 27. November 2009 - 8 B 1549/09.AK -, DVBl. 2010, 444 = juris Rn. 100, 101 m. w. N.
524Der Abstandserlass dient dazu, die durch das Aufeinandertreffen von Wohnbebauung und Industrie- bzw. Gewerbebauung entstehenden Nutzungskonflikte durch Festlegung bestimmter Mindestabstände zu lösen. Damit wird dem Trennungsgebot des § 50 BImSchG Rechnung getragen. Die zu erwartenden Konflikte können - wie hier - auch durch negative Festsetzungen bewältigt werden, um so die Störungen und Emissionen der ausgeschlossenen Anlagen - hier der Abstandsklasse I und II nach dem Abstandserlass von 1974 i. d. F. der Änderung von 1977 - zu verhindern. Die Stadt Lünen war dabei nicht verpflichtet, stattdessen - dynamisch - auf den Abstandserlass in seiner jeweils geltenden Fassung zu verweisen. Nach § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB ist für die Abwägung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Bebauungsplan maßgeblich. Die Vorschrift soll verhindern, dass nachträgliche Änderungen der tatsächlichen Umstände bzw. der zugrunde gelegten Vorschriften die Planung der Gemeinde im Nachhinein in Frage stellen. Mit der Beschlussfassung endet die Pflicht der Gemeinde, ihr Abwägungsprogramm an dem jeweils aktuellen Stand der Entwicklung auszurichten.
525Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Februar 1997 ‑ 4 NB 40.96 -, BauR 1997, 590 = juris Rn. 14; Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 214 Rn. 19 m. w. N.
526Der Kläger macht nicht geltend, dass die Abstände zu Wohngebieten, die der der Abwägung zugrunde gelegte Abstandserlass vorsieht, vorliegend nicht eingehalten wären. Sein Vorbringen lässt auch nicht hervortreten, dass der Bebauungsplan unter Berücksichtigung seines vorstehend dargestellten Inhalts und der tatsächlich vorhandenen Abstände zur nächstgelegenen Wohnbebauung Konflikte verursachte, die im Rahmen nachfolgender immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren nicht zu lösen wären. Er rügt zwar, dass für den Bebauungsplan - anders als nach heutigem Recht erforderlich - keine Umweltverträglichkeits- bzw. Umweltprüfung und keine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchgeführt worden seien (dazu näher unter ee)). Das Unterbleiben derartiger, seinerzeit noch unbekannter Prüfungsschritte indiziert aber für sich genommen nicht, dass die in § 1 Abs. 6 BBauGB besonders erwähnten abwägungserheblichen Gesichtspunkte, zu denen auch der Umweltschutz sowie die Erhaltung und Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen (Boden, Wasser, Klima, Luft etc.) bereits gehörten, nicht mit dem ihnen zukommenden Gewicht in der Abwägung berücksichtigt worden wären. Dass der Bebauungsplan ungelöste Konflikte verursacht, ist auch mit den umfangreich begründeten Zweifeln des Klägers an der Einhaltung der immissionsschutz-, naturschutz- und sonstigen umweltrechtlichen Anforderungen durch das genehmigte Steinkohlekraftwerk nicht zu belegen. Denn diese greifen, wie sich aus den vorangegangenen und nachfolgenden Ausführungen ergibt, sämtlich nicht durch.
527(2) Selbst wenn die Festsetzung eines Industriegebiets in Verbindung mit dem Ausschluss von Anlagen der Abstandsklassen I und II der Abstandsliste an einem erheblichen Abwägungsmangel im Sinne von § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB leiden würde, führte dies nicht zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans. Nach Maßgabe des § 233 Abs. 2 Satz 3 BauGB sind für vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung in Kraft getretene Bebauungspläne zwar die vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung geltenden Vorschriften über die Geltendmachung u. a. von Mängeln der Abwägung einschließlich ihrer Fristen weiterhin anzuwenden. Für den im Jahre 1980 bzw. 1983 bekannt gemachten Bebauungsplan kommt daher die Überleitungsvorschrift des § 244 Abs. 2 BauGB (i. d. F. vom 8. Dezember 1986) zur Anwendung. Nach dieser Vorschrift sind Mängel der Abwägung von Bebauungsplänen, die vor dem 1. Juli 1987 bekannt gemacht worden sind, aber unbeachtlich, wenn sie nicht innerhalb von sieben Jahren nach dem 1. Juli 1987 schriftlich gegenüber der Gemeinde geltend gemacht worden sind. Die Unbeachtlichkeit von Abwägungsmängeln tritt dabei unabhängig davon ein, ob in der Gemeinde ein Hinweis auf diese Änderung der Rechtslage erfolgt ist.
528Vgl. OVG NRW, Urteile vom 17. Dezember 2008 - 10 A 3000/07 -, juris Rn. 44 f., und vom 4. September 2008 - 7 A 2358/07 -, juris Rn. 91.
529dd) Der Bebauungsplan ist nicht funktionslos geworden.
530Festsetzungen in einem Bebauungsplan treten im Einzelfall wegen Funktionslosigkeit außer Kraft, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sie sich beziehen, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf absehbare Zeit ausschließt. Insoweit bedarf es nachträglicher rechtlicher oder tatsächlicher Veränderungen, die der Planverwirklichung objektiv entgegenstehen. In diesem Zusammenhang ist nicht nur bezogen auf einzelne Grundstücke im Geltungsbereich zu fragen, ob die betroffene Festsetzung dort noch einen Sinn ergibt. Entscheidend ist vielmehr, ob die jeweilige Festsetzung geeignet ist, zur städtebaulichen Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB im Geltungsbereich des Bebauungsplans einen wirksamen Beitrag zu leisten und die städtebauliche Entwicklung noch in eine bestimmte Richtung zu steuern. Hinzutreten muss weiter ein Maß an Offenkundigkeit des Mangels, das einen Grad erreicht haben muss, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt.
531Den inzwischen eingetretenen Verhältnissen muss es - in Anlehnung an die zu § 44 VwVfG ergangene Rechtsprechung - gleichsam auf die Stirn geschrieben sein, dass eine Verwirklichung der Planung nicht nur bisher und jetzt, sondern auch für die Zukunft auf Dauer ausgeschlossen ist. Allein diese Offensichtlichkeit rechtfertigt es, auf die Durchführung eines förmlichen Aufhebungsverfahrens zu verzichten. Wann von einem solchen Grad der Erkennbarkeit die Rede sein kann, lässt sich nicht abstrakt bestimmen, sondern bedarf einer wertenden Entscheidung unter Berücksichtigung u. a. der Art der Festsetzung, des Maßes der Abweichung und der Irreversibilität der entstandenen tatsächlichen Verhältnisse. Grundsätzlich ist erforderlich, dass sich die bauliche Entwicklung abweichend von dem städtebaulichen Ziel des Bebauungsplans vollzieht. Ein Verlust der städtebaulichen Steuerungsmöglichkeit durch die Festsetzungen eines Bebauungsplans kann daher in aller Regel erst offensichtlich sein, wenn diese einen objektiv erkennbaren Niederschlag - sei es in den Bauten selbst oder in ihrer Nutzung - gefunden hat.
532Vgl. BVerwG, Urteile vom 29. April 1977 - IV C 39.75 -, BVerwGE 54, 5 = juris Rn. 35, und vom 17. Juni 1993 - 4 C 7.91 -, NVwZ 1994, 281 = juris Rn. 19, sowie Beschlüsse vom 17. Februar 1997 - 4 B 16.97 -, BRS 59 Nr. 55 = juris Rn. 4, vom 23. Januar 2003 - 4 B 79.02 -, BRS 66 Nr. 2 = juris Rn. 4, und vom 9. Oktober 2003 - 4 B 85.03 -, BRS 66 Nr. 52 = juris Rn. 9; OVG NRW, Urteile vom 20. Februar 2004 - 10 A 4840/01 -, BRS 67 Nr. 84 = juris Rn. 42 ff., vom 18. Februar 2010 - 10 A 2472/08 -, BRS 76 Nr. 140 = juris Rn. 37, und vom 22. März 2011 - 2 A 371/09 -, juris Rn. 94.
533Für das Vorliegen dieser Voraussetzungen bestehen hier keinerlei Anhaltspunkte. Das geplante Industriegebiet ist am Stummhafen entstanden; namentlich das streitgegenständliche Kraftwerk ist errichtet und in Betrieb. Dass es erst rund 30 Jahre nach Beschlussfassung über den Bebauungsplan realisiert worden ist, führt zu keinem anderen Ergebnis. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass im Plangebiet realisierte konfligierende Nutzungen - etwa eine Wohnbebauung - den Betrieb eines Kohlekraftwerks ausschlössen. Weder die Nutzung durch das Kohlekraftwerk und weitere Gewerbebetriebe (vgl. etwa den kohleverarbeitenden Betrieb der n. Kohlenstäube GmbH), noch die vorherige Nutzung im Gebiet des alten Kohlehafens durch eine Bodenaufbereitungs- und Kohleaufbereitungsanlage stellen die planerische Intention in irgendeiner Weise in Frage.
534ee) Der Wirksamkeit des Bebauungsplans steht nicht entgegen, dass vor der Beschlussfassung keine Umweltprüfung oder FFH-Verträglichkeitsprüfung durchgeführt wurde [(1)]. Es besteht auch keine Notwendigkeit, derartige Prüfungen nachzuholen [(2)].
535(1) Für den Bebauungsplan war keine Umweltprüfung, Umweltverträglichkeitsprüfung oder FFH-Verträglichkeitsprüfung durchzuführen.
536(a) § 14b Abs. 1 Nr. 1 UVPG in Verbindung mit der Anlage 3 Nr. 1.8 zum UVPG begründet heute auch für Angebotsbebauungspläne die Pflicht zur Durchführung einer Strategischen Umweltprüfung (SUP). Hierfür wird gemäß § 17 Abs. 2 UVPG eine Umweltprüfung einschließlich der Überwachung nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs durchgeführt (§ 2 Abs. 4 BauGB i. d. F. der Bekanntmachung vom 23. September 2004, BGBl. I S. 2414). Diese Verpflichtung, die der Umsetzung der Richtlinie 2001/42/EG vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (ABl. L 197, S. 30, Plan-UP-Richtlinie) dient, fand jedoch auf den Bebauungsplan Nr. 80 noch keine Anwendung. Nach den Übergangsvorschriften in § 25 Abs. 8 und 9 UVPG unterliegen Pläne und Programme, deren erster förmlicher Vorbereitungsakt vor dem 21. Juli 2004 erfolgt ist, nur dann den Vorschriften des Teils 3 über die Strategische Umweltprüfung, wenn sie später als am 20. Juli 2006 angenommen oder in ein Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden. Der Bebauungsplan Nr. 80 ist jedoch bereits im Jahr 1980, seine 1. Änderung am 19. März 1983 in Kraft getreten. Eine Erstreckung der während der Ausarbeitung und vor der Annahme eines Plans bestehenden Pflicht zur Umweltprüfung nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie auf diesen Bebauungsplan ist auch unionsrechtlich nicht gefordert. Die Umsetzung in § 25 Abs. 8 und 9 UVPG entspricht im Wesentlichen der in Art. 13 Abs. 3 Plan-UP-Richtlinie getroffenen Regelung über den zeitlichen Anwendungsbereich dieser Verpflichtung. Diese Regelung verlangt in zeitlicher Hinsicht keine weitergehende Anwendung als vom deutschen Gesetzgeber in § 25 Abs. 8 und 9 UVPG geregelt.
537Gemäß Art. 4 Abs. 1 der Plan-UP-Richtlinie muss die Umweltprüfung nach Art. 3 Plan-UP-Richtlinie während der Ausarbeitung und vor der Annahme eines Plans oder Programms oder dessen Einbringung in das Gesetzgebungsverfahren durchgeführt werden. Diese Verpflichtung greift gemäß Art. 13 Abs. 1 und 3 der Richtlinie ausschließlich für die Pläne und Programme, deren erster förmlicher Vorbereitungsakt nach dem 21. Juli 2004 erstellt wurde.
538(b) Aus vergleichbaren Gründen kommt auch von vornherein nicht in Betracht, dass der Bebauungsplan Nr. 80 einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen war. § 17 Abs. 1 UVPG sieht vor, die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) als Umweltprüfung (UP) nach dem BauGB durchzuführen. Das Verhältnis der UP-Pflicht zur UVP-Pflicht kann hier jedoch ebenso dahinstehen wie die Frage, ob der vorliegende Angebotsbebauungsplan überhaupt ein UVP-pflichtiges Projekt ist (§§ 17 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. 2 Abs. 3 Nr. 3 UVPG). Denn jedenfalls ist der zeitliche Anwendungsbereich der UVP-Richtlinie und der diese umsetzenden nationalen Vorschriften nicht eröffnet. Die erste Richtlinie zur UVP (Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten) datiert vom 27. Juni 1985 und sah in Art. 12 Abs. 1 eine Umsetzung binnen drei Jahren vor. Sie ist damit ebenfalls deutlich nach Inkrafttreten der letzten Änderung der Bebauungsplans Nr. 80 der Stadt Lünen in Kraft getreten bzw. verbindlich geworden. § 25 Abs. 4 UVPG i. V. m. § 244 Abs. 2 BauGB enthält lediglich eine Überleitungsregelung für Bebauungsplanverfahren, die ab dem 14. März 1999 förmlich eingeleitet wurde. Ansonsten gelten die allgemeinen Regeln des § 233 Abs. 1, 3 BauGB.
539(c) Auch die nunmehr in § 1a Abs. 4 BauGB (seit der Fassung der Bekanntmachung vom 23. September 2004, BGBl. I, S. 2414) i. V. m. § 34 BNatSchG vorgesehene FFH-Verträglichkeitsprüfung für Bebauungspläne, die ein Natura 2000-Gebiet im Sinne des BNatSchG in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen erheblich beeinträchtigen können, war für den Anfang der 80er Jahre beschlossenen und geänderten Bebauungsplan Nr. 80 noch nicht durchzuführen. Diese Regelungen dienen der Umsetzung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (Richtlinie 92/43/EWG vom 21. Mai 1992, ABl. L 206, S. 7 - FFH-Richtlinie, zuletzt angepasst durch die Richtlinie 2013/17/EU vom 13. Mai 2013, ABl. L 158, S. 193). Für die Umsetzung der ursprünglichen FFH-Richtlinie wurde den Mitgliedstaaten in Artikel 23 eine Frist von zwei Jahren nach Bekanntgabe der Richtlinie gesetzt. Die in Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie geregelte Pflicht zur Durchführung einer FFH-Verträglichkeitsprüfung konnte daher auf den vorliegenden Bebauungsplan, der bereits Jahre vor Bekanntgabe der Richtlinie beschlossen wurde, noch keine Anwendung finden.
540(2) Es besteht auch unter Berücksichtigung des Unionsrechts keine Verpflichtung, den Bebauungsplan Nr. 80, bei dessen Aufstellung die Pflicht zur Durchführung einer Umwelt- bzw. Umweltverträglichkeitsprüfung und einer FFH-Verträglichkeitsprüfung noch nicht galt, vor der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung eines Kraftwerks nachträglich derartigen Prüfungen zu unterziehen bzw. den Bebauungsplan unter Beachtung der aktuell geltenden Vorschriften insgesamt neu aufzustellen.
541Das Urteil des EuGH vom 3. März 2011 - C-50/09 -, Kommission/Irland, gibt die vom Kläger gezogenen Schlüsse nicht her. Darin wurde das irische Planungsrecht für unionsrechtswidrig befunden, weil es keine klaren Bestimmungen darüber traf, wie sich die im Zuge einer Umweltverträglichkeitsprüfung gewonnenen Erkenntnisse in der Genehmigungsentscheidung niederschlagen. In der Urteilsbegründung (vgl. insbesondere Rn. 40) mag der Kläger zu Recht die Klarstellung sehen, dass die Bewertung als letzter Schritt der Umweltverträglichkeitsprüfung materielle und nicht nur prozedurale Bedeutung hat. Hieraus folgt aber nicht, dass die Umwelt(verträglichkeits)prüfung bei der - ihrerseits UVP-pflichtigen - Genehmigung eines Großkraftwerks gerade in einem Verfahren mit planerischem Gestaltungsspielraum - also zusätzlich auch in einem Bebauungsplanverfahren - durchgeführt werden müsste.
542Vgl. auch BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 2013 ‑ 7 C 36.11 -, BVerwGE 148, 15 = juris Rn. 57.
543Auch die Ausführungen im Urteil vom 24. November 2011 in der Rechtssache Kommission/Spanien zur Umweltverträglichkeitsprüfung sind nicht einschlägig. Darin hat der EuGH u. a. entschieden, dass bei der für ein Projekt durchzuführenden Umweltverträglichkeitsprüfung die kumulativen Auswirkungen anderer, bestehender Projekte auf die Umwelt mit zu berücksichtigen sind.
544Vgl. EuGH, Urteil vom 24. November 2011 ‑ C‑404/09 - (Kommission/Spanien), ZUR 2012, 163 = juris Rn. 76 ff., 80; in Deutschland umgesetzt etwa durch § 3c Satz 1 UVPG i. V. m. Anlage 2 Nr. 2 zum UVG, vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 16. März 2016 - 8 A 1577/15 -.
545Aus dieser Rechtsprechung ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht zu schließen, dass Projekte bzw. Pläne, die vor Umsetzung der UVP-Richtlinie bzw. Ablauf der Umsetzungsfrist bestandskräftig genehmigt bzw. rechtswirksam geworden sind, nachträglich selbstständig - d. h. mit potentiellen Auswirkungen auf die bestandskräftige Genehmigung/den rechtsgültigen Plan - einer Umwelt(verträglichkeits)prüfung zu unterziehen sind.
546Eine Verpflichtung zur Durchführung einer nachträglichen FFH-Verträglichkeitsprüfung für den Bebauungsplan besteht im konkreten Fall ebenfalls nicht. Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie ist auf den Bebauungsplan Nr. 80 „Stummhafen“ auch nicht mit Blick auf zukünftige Auswirkungen des Plans anwendbar. Ohne Erfolg beruft sich der Kläger insoweit auf die Aussage des EuGH in der Rechtssache Papenburg, wonach das Ausbaggern einer Fahrrinne der Ems unter den Projektbegriff des Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie falle und der Umstand, dass die in Rede stehende Tätigkeit vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie nach nationalem Recht endgültig genehmigt wurde, als solcher nicht daran hindert, diese Tätigkeit bei jedem Eingriff in die Fahrrinne als gesondertes Projekt im Sinne der Habitatrichtlinie anzusehen.
547Vgl. EuGH, Urteil vom 14. April 2010 - C-226/08 - (Papenburg), EuZW 2010, 222 = juris Rn. 41.
548Dies lässt sich auf Pläne schon nicht übertragen; denn weitere, sukzessive Ausführungen eines Bebauungsplans sind nicht ihrerseits ein „Plan“, sie dürften vielmehr ein „Projekt“ darstellen.
549Einschlägig bleibt aber das Störungs- und Verschlechterungsverbot gemäß Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie. Nach der Rechtsprechung des EuGH fällt die Ausführung eines Projekts, das genehmigt wurde, bevor die Schutzregelung der Habitatrichtlinie aufgrund seiner Ausweisung als Natura 2000-Gebiet für das fragliche Gebiet anwendbar wurde, und daher nicht den Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie über eine Ex-ante-Prüfung unterliegt, gleichwohl unter Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie. Dies gilt gleichermaßen für Pläne, wie der EuGH in seinem jüngsten Urteil zur Dresdner Waldschlösschenbrücke ausdrücklich bestätigt hat.
550Vgl. EuGH, Urteile vom 14. Januar 2016 ‑ C‑399/14 - (Grüne Liga Sachsen u. a.), NVwZ 2016, 515 = juris Rn. 33; vom 14. April 2010 - C-226/08 -, EuZW 2010, 222 = juris Rn. 48 f. und vom 24. November 2011 - C-404/09 -, ZUR 2012, 163 = juris Rn. 124 f.
551Daraus kann sich unter Umständen - nicht automatisch - eine Verpflichtung ergeben, bestehende Pläne oder Projekte nachträglich auf Verträglichkeit mit dem betreffenden Gebiet zu prüfen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Tätigkeit nur dann im Einklang mit Art. 6 Abs. 2 der FFH-Richtlinie steht, wenn gewährleistet ist, dass sie keine Störung verursacht, die die Erhaltungsziele der Richtlinie erheblich beeinträchtigen kann. Im Einzelfall ist daher zu überprüfen, ob eine neue Prüfung eines Plans, der ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung beeinträchtigen könnte, oder eines solchen Projekts die einzige geeignete Maßnahme im Sinne von Art. 6 Abs. 2 der FFH-Richtlinie darstellt, um die Wahrscheinlichkeit oder Gefahr einer Verschlechterung der Lebensräume oder von Störungen von Arten, die sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten, auszuräumen.
552Vgl. EuGH, Urteil vom 14. Januar 2016 ‑ C‑399/14 - (Grüne Liga Sachsen u. a.), NVwZ 2016, 595 = juris Rn. 33 ff., 45.
553Gemessen daran bedarf es hier nicht der Nachholung einer FFH-Verträglichkeitsprüfung für den Bebauungsplan. Eine derartige Verträglichkeitsprüfung stellt vorliegend nicht die einzige geeignete Maßnahme dar, um die Beachtung des Störungs- und Verschlechterungsverbots des Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie zu gewährleisten. Vielmehr ist diesem Ziel bereits dadurch genügt, dass im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren für das streitgegenständliche Kohlekraftwerk eine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchgeführt worden ist. In diesem ‑ ebenso wie in etwaigen weiteren Genehmigungsverfahren für UVP-pflichtige Vorhaben im Geltungsbereich des Bebauungsplans - ist auch zu prüfen, ob das jeweilige Projekt das geschützte Gebiet in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen kann (vgl. Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie). Vor diesem Hintergrund ist eine zusätzliche FFH-Verträglichkeitsprüfung für den ein Industriegebiet festsetzenden Bebauungsplan nicht zwingend notwendig, um das Ziel des Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie zu erreichen.
554Siehe auch Stüer, DVBl. 2010, 245, 246; Krautzberger/Wagner, in: Ernst/Zinkahn/Bielen-berg/Krautzberger, BauGB, § 1a Rn. 259.
555ff) Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen ist - anders als der Kläger meint - auch nicht von einer (weitergehenden) Planungspflicht der Stadt Lünen auszugehen. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. September 2003, auf das der Kläger sich beruft, bezieht sich auf eine gemeindliche Erstplanungspflicht im unbeplanten Innenbereich, die aus § 1 Abs. 3 oder § 1 Abs. 4 BauGB folgen kann. Eine ähnliche Fallgestaltung - Zulassung eines komplexen Vorhabens ohne eine verbindliche Bauleitplanung im Außenbereich - lag dem Urteil des Senats zum Kohlekraftwerk Datteln 4 zugrunde.
556Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. September 2003 ‑ 4 C 14.01 -, BVerwGE 119, 25 = juris Rn. 16 ff., 30 ff.; OVG NRW, Urteil vom 12. Juni 2012 - 8 D 38/08.AK, NuR 2012, 722 = juris Rn. 148 ff.
557Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in der vorgenannten Entscheidung seine grundsätzlichen Aussagen zu einer Planungspflicht auch auf den Fall einer Planänderung bezogen (Rn. 10). Eine strikte Planungspflicht besteht insoweit aber nur, wenn dies aus städtebaulichen Gründen zwingend erforderlich ist.
558Die in den vorgenannten Entscheidungen jeweils angestellten Erwägungen sind im Ergebnis nicht übertragbar auf den Streitfall, in dem dem Vorhaben ein wirksamer und städtebaulich hinreichender Bebauungsplan zugrunde liegt. Weder liegt eine „planlose“ städtebauliche Entwicklung vor, noch sind qualifizierte städtebauliche Gründe von besonderem Gewicht vorgetragen oder erkennbar, die im vorliegenden Fall eine Verdichtung des Planungsermessens der Gemeinde zur strikten Planungspflicht bewirken würden. Der Beklagte weist vielmehr zu Recht darauf hin, dass sich die Realisierung eines Kraftwerks gerade im Rahmen der durch den Bebauungsplan vorgezeichneten Bebauung bewegt. Eine Verpflichtung, Bebauungspläne mit Angebotscharakter bei der Realisierung industrieller Großprojekte durch vorhabenbezogene Pläne zu ersetzen, gibt es nicht. Der Kläger behauptet im Übrigen lediglich pauschal, dass das Vorhaben bodenrechtliche Spannungen verursache, die auf der Grundlage des bestehenden Bebauungsplans im Rahmen des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens nicht bewältigt werden könnten, ohne diesen Vortrag substantiiert zu untermauern. Dass die Rechtsänderungen infolge der Einführung von Umwelt- und FFH-Verträglichkeitsprüfungen nicht zu einer Planänderungspflicht führen, wurde oben bereits dargelegt.
559Ein (weitergehendes) Planungserfordernis besteht auch nicht deshalb, weil den in Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG des Rates vom 9. Dezember 1996 zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen (i. d. F. der Änderungsrichtlinie 2003/105/EG vom 16. Dezember 2003 - Seveso-II-Richtlinie) gestellten Anforderungen auf der Grundlage des bestehenden Bebauungsplans nicht ausreichend Rechnung getragen wäre. Zwar hat der EuGH Art. 12 Abs. 1 Seveso-II-Richtlinie dahin ausgelegt, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, langfristig dem Erfordernis der Wahrung angemessener Abstände zwischen einem Störfallbetrieb und öffentlich genutzten Gebäuden Rechnung zu tragen, auch von Genehmigungsbehörden bei gebundenen Entscheidungen über die Zulassung von Vorhaben zu beachten ist.
560Vgl. EuGH, Urteil vom 15. September 2011 ‑ C‑53/10 -, Slg. 2011, I-8311 = juris.
561Hinsichtlich der Abstände zwischen einem Störfallbetrieb und Wohngebieten, auf die sich Art. 12 Abs. 1 Seveso-II-Richtlinie ebenfalls bezieht, kann nichts anderes gelten. Dies kann einen Koordinierungsbedarf auslösen, dem nicht allein durch eine gebundene Vorhabenszulassung, sondern nur durch eine förmliche Planung entsprochen werden kann.
562Vgl. BVerwG, Urteile vom 24. Oktober 2013 - 7 C 36.11 -, BVerwGE 148, 155 = juris Rn. 58, und vom 20. Dezember 2012 - 4 C 11.11 -, BVerwGE 145, 290 = juris Rn. 35.
563Inwieweit diese zum unbeplanten Innenbereich ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf den Streitfall übertragbar ist, kann dahinstehen. Vorliegend besteht jedenfalls kein planerisch nicht hinreichend bewältigter Koordinierungsbedarf. Es ist nicht ersichtlich, dass die Zulassung des Vorhabens der Beigeladenen auf der Grundlage des bestehenden Bebauungsplans gegen die ‑ wenig konkreten - Abstandsanforderungen von Art. 12 Abs. 1 Satz 2 Seveso-II-Richtlinie, umgesetzt durch § 50 BImSchG, verstößt. Hinsichtlich der vereinzelten Unterschreitungen der Abstandsvorgaben im - normativ nicht verbindlichen - Leitfaden 18 der Kommission für Anlagensicherheit (KAS) kann auf die Ausführungen unter 2. e) bb) (1) Bezug genommen werden.
564b) Vereinbarkeit des Vorhabens mit Bebauungsplan
565Das mithin im Geltungsbereich eines wirksamen Bebauungsplans liegende Vorhaben ist nach §§ 30 Abs. 1, 31 Abs. 2 BauGB zulässig.
566aa) Es widerspricht den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 80 der Stadt Lünen nicht (vgl. § 30 Abs. 1 BauGB), soweit diese die Art der baulichen Nutzung betreffen.
567Der Bebauungsplan setzt für das gesamte Plangebiet ein Industriegebiet (GI) fest. Welche Nutzungen auf der Grundlage dieser Festsetzung im Einzelnen zulässig sind, richtet sich nach der Baunutzungsverordnung (§ 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO). Deren Vorschriften zur Art der baulichen Nutzung werden mit der Festsetzung von Baugebieten Bestandteil des Bebauungsplans. Für den Bebauungsplan Nr. 80 „Stummhafen“ 1. Änderung der Stadt Lünen, der 1982 als Satzung beschlossen worden ist, ist dabei die Baunutzungsverordnung in der Fassung von 1977 maßgeblich.
568Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. Dezember 2008 ‑ 10 A 3000/07 -, juris Rn. 46 f. m. w. N.
569Dahinstehen kann, ob ein der Stromversorgung dienendes Kraftwerk in einem derartigen Baugebiet bereits als öffentlicher Betrieb im Sinne von § 9 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO 1977 zulässig ist. Trägerschaft und Rechtsform dürften hierbei nicht entscheidend sein; maßgeblich ist vielmehr, dass eine öffentliche Aufgabe der Daseinsvorsorge wahrgenommen wird.
570Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Oktober 2007 - 8 B 1340/07 -, ZUR 2008, 97 = juris Rn. 31;Fickert/Fieseler, BauNVO, 12. Aufl. 2014, § 8 Rn. 10.
571Soweit dieser Einordnung bei von Privaten, mit Gewinnerzielungsabsicht betriebenen Anlagen wie dem streitgegenständlichen Kohlekraftwerk nicht zu folgen sein sollte, handelte es sich jedenfalls um einen - erheblich belästigenden - Gewerbebetrieb i. S. v. § 9 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 BauNVO 1977.
572Das Kraftwerksvorhaben entspricht auch der weitergehenden Eingrenzung der zulässigen Betriebsarten durch die textliche Festsetzung unter Nr. 5 des Bebauungsplans Nr. 80 (dazu siehe oben unter a) cc) (1)), da es der Abstandsklasse III zum Abstandserlass 1974/1977 unterfällt. Diese erfasst unter lfd. Nr. 13 der Abstandsliste auch Kraftwerke (Kohle, Öl, Gas) ab 500 Gcal/h (ca. 220 MW).
573bb) Soweit das Vorhaben die im Bebauungsplan getroffenen Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung und den überbaubaren Grundstücksflächen nicht einhält, ist hiervon gemäß § 31 Abs. 2 BauGB in rechtlich nicht zu beanstandender Weise befreit worden; das nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB erforderliche Einvernehmen der Stadt Lünen wurde erteilt.
574(1) Der Bebauungsplan Nr. 80 bestimmt das Maß der baulichen Nutzung u. a. durch Festsetzung der maximalen Baumassenzahl (vgl. §§ 16 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 21 Abs. 1 BauNVO 1977) auf 9,0. Mit einer Baumassenzahl von 11,68 überschreitet das Kraftwerk diese Obergrenze. Gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB kann von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden, die Abweichung städtebaulich vertretbar und auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Diese Voraussetzungen liegen - ungeachtet der Frage, ob der Kläger einen Verstoß überhaupt rügen könnte - jedenfalls vor.
575Die Grundzüge der Planung werden nicht berührt. Durch die unter Mitwirkung der n. Kohlenstäube GmbH eingetragene Vereinigungsbaulast gemäß § 83 BauO NRW wird sichergestellt, dass auf den von ihr erfassten Grundstücken der Beigeladenen und der n. die festgesetzte Baumassenzahl von 9,0 zusammen mit 8,69 unterschritten wird. Die maximal zulässige Baumassenzahl wird damit bezogen auf den gesamten Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 80 eingehalten.
576Die Befreiung ist städtebaulich vertretbar. Dies setzt voraus, dass die Abweichung von der Festsetzung des Bebauungsplans im Rahmen der Aufstellung bzw. Änderung eines Bebauungsplans abwägungsfehlerfrei planbar wäre.
577Vgl. Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 31 Rn. 38.
578Dagegen spricht hier nichts. Öffentliche oder private Belange, die gerade durch die punktuelle Überschreitung der festgesetzten Baumassenzahl beeinträchtigt werden könnten, sind nicht ersichtlich. Der Verweis des Klägers auf die von ihm beanstandeten Umweltauswirkungen des Vorhabens führt zu keinem anderen Ergebnis. Es schon nicht erkennbar, in welchem Zusammenhang diese gerade mit der Überschreitung der Baumassenzahl stehen sollen. Jedenfalls erweisen sich die Umweltauswirkungen des streitgegenständlichen Kohlekraftwerks - wie die vorstehenden und nachfolgenden Ausführungen zeigen - als zulässig. Aus den genannten Gründen ist die Abweichung schließlich auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
579(2) Die Befreiung von den festgesetzten Baugrenzen ist offensichtlich rechtmäßig. Der Beklagte hat im Vorbescheid (S. 209 f., 269) dargelegt, dass die Baugrenzen, von denen befreit wurde, seinerzeit dazu dienten, eine Überbauung des unterirdisch verlaufenden, verrohrten Stellenbachs zu vermeiden; weitergehende städtebauliche Gründe für die Baugrenzen gebe es nicht. Mit der Verlegung des Stellenbachs im Jahre 2006 sei die Festsetzung dieser Baugrenzen, die das Baufeld trennten, obsolet geworden. Es kann dahinstehen, ob die an dieser Stelle festgesetzten Baugrenzen bereits wegen Funktionslosigkeit unwirksam geworden sind und es demnach einer Befreiung nicht einmal bedurfte. Jedenfalls bestehen gegen die gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB erteilte Befreiung keine rechtlichen Bedenken; der Kläger macht dies im Übrigen auch nicht geltend.
5804. Artenschutzrecht
581Dem Vorhaben stehen keine artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG entgegen. Es fehlt insbesondere an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass die Errichtung oder der Betrieb des streitbefangenen Vorhabens zur Tötung oder Verletzung eines oder mehrerer Exemplare der besonders geschützten Art Kreuzkröte führen würde, vgl. § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG. Ein Vorkommen der Kreuzkröte auf der Baustelle ist nicht konkret nachgewiesen worden. Der artenschutzrechtliche Fachbeitrag vom 6. August 2012 behandelt die Kreuzkröte (Bufo calamita) unter Ziff. 6.3.3 (Amphibien) und führt aus, dass während der Baufeldvorbereitung im Rahmen der faunistischen Kartierung 2008 ein einzelner Rufnachweis einer Kreuzkröte erfasst und im westlichen Bereich des Kraftwerksstandorts verortet worden sei. Da der Ruf der Kreuzkröte jedoch bis zu einer Entfernung von 2 km hörbar sei, habe der genaue Standort auf dem Gelände nicht bestimmt werden können. Laichvorkommen der Kreuzkröte seien nicht aufgefunden worden. Auch bei der während der Baumaßnahmen durchgeführten ökologischen Baubegleitung, bei der möglicherweise vorkommende Kreuzkröten und Laich sowie Eidechsen erfasst und umgesetzt werden sollten, seien keine Amphibien festgestellt worden.
582Die artenschutzrechtliche Untersuchung der Arten Flussneunauge und Eisvogel ist dem wasserrechtlichen Erlaubnisverfahren vorbehalten, vgl. unten I. 7.
5835. Umweltverträglichkeitsprüfung
584Der Vorbescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die durchgeführte Umweltverträglichkeitsprüfung unvollständig wäre. Die Belange des nationalen und des globalen Klimaschutzes mussten nicht in die Umweltverträglichkeitsprüfung einbezogen werden.
585Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 4 UVPG umfasst die Umweltverträglichkeitsprüfung die Ermittlung, Beschreibung und Bewertung der unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen eines Vorhabens auf Menschen, einschließlich der menschlichen Gesundheit, Tiere, Pflanzen und die biologische Vielfalt (Nr. 1), auf Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft (Nr. 2), auf Kulturgüter und sonstige Sachgüter (Nr. 3) sowie die Wechselwirkung zwischen den vorgenannten Schutzgütern (Nr. 4). Das weite Verständnis des Begriffs Umweltauswirkungen einschließlich der Wechselwirkungen gebietet eine umfassende und medienübergreifende Untersuchung der von einem Vorhaben ausgehenden Aus- und Einwirkungen. Die Umwelt wird in diesem Zusammenhang als komplexes Wirkungsgefüge aller naturwissenschaftlichen Phänomene begriffen, in das das Vorhaben nicht nur monokausal und in der unmittelbaren Umgebung, sondern regelmäßig multikausal eingreift. Die Umweltverträglichkeitsprüfung muss allerdings auch insoweit (nur) auf den jeweils aktuellen Stand der Wissenschaft und damit auf die bekannten und erforschten Wirkungszusammenhänge abstellen. Werden Erkenntnisgrenzen erreicht, ist die Forderung nach der Ermittlung der Umweltauswirkungen eines Vorhabens - oder nach ihrer Beschreibung und Bewertung - schlechterdings nicht erfüllbar.
586Vgl. - auch zum Folgenden - Kment und Appold, in: Hoppe/Beckmann, UVPG, 4. Aufl. 2012, Einleitung Rn. 15 und § 2 Rn. 20, 35 und 60.
587Vor diesem Hintergrund umfasst der nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UVPG in die Umweltverträglichkeitsprüfung einzubeziehende Umweltfaktor „KIima“ - jedenfalls unter den derzeitigen Erkenntnismöglichkeiten - nicht das globale oder nationale, sondern nur das lokale und regionale Klima.
588Der Begriff Klima bezeichnet allgemein den für ein Gebiet typischen Ablauf der Witterung über einen bestimmten Zeitraum, d. h. den mittleren Zustand der Witterungserscheinungen in einem konkreten geographischen Raum und für eine gewisse Zeitspanne. In räumlicher Hinsicht wird zwischen lokalem, regionalem und globalem Klima bzw. zwischen Mikro-, Meso- und Makroklima unterschieden. Das Makroklima umfasst großskalige Effekte in Bereichen mit einer Ausdehnung von mehr als 500 Kilometern und beschreibt daher auch kontinentale oder globale Zusammenhänge. Das Mesoklima umfasst dagegen Effekte auf Landschaften bis zu einigen hundert Kilometern Ausdehnung, während das Mikroklima sich auf wenige Meter (Zimmer, Gebäude, Wiese) bis auf einige Kilometer (Straßenzug) beschränkt.
589Im Unterschied zu den kleinräumigen Auswirkungen auf das Mikro- und Mesoklima kann die nachteilige Veränderung des nationalen, kontinentalen oder globalen (Makro)Klimas derzeit mangels hinreichender technischer und wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Wirkungszusammenhänge dem Immissionsbeitrag einer einzelnen Anlage nicht zugerechnet werden. Die Auswirkungen eines einzelnen Vorhabens auf dieser räumlichen Ebene sind quantitativ kaum abschätzbar und darstellbar.
590Vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20. Juli 2011 ‑ 10 S 2102/09 -, ZUR 2011, 600 = juris Rn. 57 m.w.N; Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand: 1. Februar 2016, § 5 BImSchG Rn. 82 und in Band IV, Stand: 1. Februar 2016, § 1 a der 9. BImSchV Rn. 6; a. A. unter Hinweis u. a. auf den Verweis des § 5 Abs. 2 BImSchG auf das TEHG: Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 1 Rn. 6c.
591Sie können daher im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsprüfung weder einzelfallbezogen ermittelt noch beschrieben oder bewertet werden. Vor diesem Hintergrund bestehen auch keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Unionsrecht. Der in Art. 3 Abs. 1 Buchstabe d) der Richtlinie 2011/92/EU vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (UVP-Richtlinie) genannte Umweltfaktor „Klima“ weist denselben Projektbezug auf. Auch Art. 3 Abs. 1 der UVP-Richtlinie bestimmt, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung die unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen eines Projekts auf die aufgeführten Faktoren in geeigneter Weise nach Maßgabe des Einzelfalls identifizieren, beschreiben und bewerten soll. Wirkungen, die einer einzelfallbezogenen Beschreibung nicht zugänglich sind, fallen nicht hierunter.
592Diese Auslegung führt nicht zu einem Ausfall des globalen Klimaschutzes auf der Ebene der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten. Die Verringerung der insoweit in erster Linie relevanten Treibhausemissionen soll durch die in der Richtlinie 2003/87/EG vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft geregelten Maßnahmen erreicht werden. Danach bedürfen Tätigkeiten, durch die in besonderem Maße Treibhausgase emittiert werden, einer gesonderten Emissionsgenehmigung; die Betreiber solcher Anlagen unterliegen besonderen Berichts- und Überwachungspflichten in Bezug auf diese Emissionen und sie müssen regelmäßig eine der Höhe ihrer Emissionen entsprechende Anzahl von Berechtigungen (Zertifikaten) vorweisen.
593Siehe dazu auch OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2011 – 8 D 58/08.AK -, ZUR 2012, 372 = juris Rn. 376 ff.
594Es bedarf daher auch nicht der Vorlage der vom Kläger aufgeworfenen Frage an den Europäischen Gerichtshof, ob § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UVPG gegen die UVP-Richtlinie verstößt, wenn die Auswirkungen der von dem Vorhaben ausgehenden Treibhausgasemissionen auf das nationale und globale Klima nicht geprüft werden.
5956. FFH-Verträglichkeitsprüfung
596Der Vorbescheid hat auch zu Recht die Feststellung getroffen, dass das Vorhaben mit den Vorschriften über den Schutz von Flora-Fauna-Habitat-Gebieten vereinbar ist, soweit er nicht unter dem Vorbehalt einer abschließenden verbindlichen Prüfung steht.
597a) Prüfungsmaßstab
598Prüfungsmaßstab ist § 48d LG NRW i. d. F. der Bekanntmachung vom 21. Juli 2000 (GV. NRW S. 568) bzw. - inhaltsgleich - § 34 BNatSchG i. d. F. des Gesetzes vom 29. Juli 2009 (BGBl. I, S. 2542) i. V. m. § 48d LG NRW i. d. F. des Gesetzes vom 16. März 2010 (GV. NRW S. 185).
599Danach sind Projekte, die einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung (Natura 2000-Gebiet) erheblich beeinträchtigen könnten, vor ihrer Zulassung oder Durchführung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen dieses Gebiets zu überprüfen (§ 48d Abs. 2 bis 4 LG NRW bzw. § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG). Zuständig für die Prüfung ist die Behörde, die nach anderen Rechtsvorschriften für die behördliche Gestattung oder Entgegennahme einer Anzeige zuständig ist (§ 48d Abs. 2 LG NRW). Die zur Prüfung der Verträglichkeit erforderlichen Unterlagen hat der Projektträger vorzulegen (§ 48d Abs. 3 LG NRW bzw. § 34 Abs. 1 Satz 3 BNatSchG). Ergibt die Prüfung, dass das Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann, ist es - vorbehaltlich einer nach § 48d Abs. 5 und 6 LG NRW bzw. § 34 Abs. 3 und 4 BNatSchG ausnahmsweise zulässigen Abweichung - unzulässig (§ 48d Abs. 4 LG NRW bzw. § 34 Abs. 2 BNatSchG).
600§ 48d LG NRW und § 34 BNatSchG dienen der Umsetzung des in Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL zugunsten von FFH-Gebieten angeordneten Gebietsschutzes. Die FFH-Gebiete bilden zusammen mit den Europäischen Vogelschutzgebieten gemäß Art. 3 Abs. 1 FFH-RL das Netz "Natura 2000" (vgl. auch § 7 Abs. 1 Nr. 8 BNatSchG).
601Bei der Auslegung und Anwendung dieser nationalen Vorschriften zur Umsetzung des Art. 6 FFH-RL geht der Senat
602- vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2011 ‑ 8 D 58/08.AK - ZUR 2012, 372 = juris Rn. 558 ff., m. w. N. -
603von folgenden Grundsätzen aus:
604aa) Der Begriff des "Projekts" wird weder im Landschaftsgesetz NRW noch im Bundesnaturschutzgesetz noch in der FFH-Richtlinie definiert. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist von dem Projektbegriff der UVP-Richtlinie auszugehen. Danach sind die Errichtung von baulichen oder sonstigen Anlagen sowie sonstige Eingriffe in Natur und Landschaft einschließlich derjenigen zum Abbau von Bodenschätzen als Projekte im Sinne des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL und damit im Wege unionsrechtskonformer Auslegung auch im Sinne des § 48d LG NRW und des § 34 BNatSchG anzusehen.
605Vgl. EuGH, Urteile vom 14. Januar 2010 ‑ C‑226/08 - (Stadt Papenburg), Rn. 38, und vom 7. September 2004 - C-127/02 - (Waddenzee/ Herzmuschelfischerei), Rn. 23 ff.; vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 21. Februar 2011 - 8 A 1837/09 -, NWVBl. 2011, 322 = juris Rn. 25 ff.; zur landwirtschaftlichen Bodennutzung BVerwGE, Urteil vom 6. November 2012 - 9 A 17.11 -, BVerwGE 145, 40 = juris Leitsatz 5 und Rn. 89.
606Auch Projekte, die außerhalb eines Natura 2000-Gebiets realisiert werden sollen, können nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung Anlass für eine Verträglichkeitsprüfung geben. Sie sind gleichfalls auf ihre Vereinbarkeit mit den gebietsbezogenen Erhaltungszielen und Schutzzwecken zu überprüfen, soweit sie geeignet sind, ein Natura 2000-Gebiet ‑ etwa durch Immissionen - erheblich zu beeinträchtigen, also auf den geschützten Raum selbst einwirken und Auswirkungen auf den Lebensraum in den Schutzgebieten - das "Gebiet als solches" - haben.
607Vgl. BVerwG, Urteile vom 19. Mai 1998 - 4 A 9.97 -, BVerwGE 107, 1 = juris Rn. 66, und vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 36; OVG NRW, Urteile vom 3. August 2010 ‑ 8 A 4062/04 -, UPR 2011, 157= juris Rn. 117, vom 30. Juli 2009 - 8 A 2357/08 -, juris Rn. 118, und vom 13. Dezember 2007 - 8 A 2810/04 -, NWVBl. 2008, 271 = juris Rn. 74 (zur Berücksichtigung der FFH-Verträglichkeit im Rahmen der Bauleitplanung).
608bb) Mit dem zentralen Tatbestandsmerkmal der "erheblichen Beeinträchtigungen" knüpfen § 48d Abs. 4 LG NRW und § 34 Abs. 2 BNatSchG an den Wortlaut von Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL an. Pläne oder Projekte können im Sinne dieser unionsrechtlichen Norm das Gebiet erheblich beeinträchtigen, "wenn sie drohen, die für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungsziele zu gefährden".
609Vgl. EuGH, Urteil vom 7. September 2004 - C-127/02 - (Waddenzee/Herzmuschelfischerei), Rn. 49.
610(1) Ob ein Vorhaben zu "erheblichen Beeinträchtigungen" führen kann, ist vorrangig eine naturschutzfachliche Fragestellung, die anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalls beantwortet werden muss.
611Die Bewertung der Ergebnisse der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung durch die Genehmigungsbehörde unterliegt, soweit es um die Beurteilung geht, ob das in Rede stehende Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann, der vollen gerichtlichen Nachprüfung.
612Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 38; OVG NRW, Urteile vom 13. Dezember 2007 - 8 A 2810/04 -, NWVBl. 2008, 271 = juris Rn. 104 f., und vom 11. September 2007 - 8 A 2696/06 -, ZUR 2008, 99 = juris Rn. 52 f., jeweils m. w. N.
613Nach dem Wortlaut des § 48d Abs. 4 LG NRW bzw. des § 34 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 BNatSchG ist eine Verträglichkeit bereits dann nicht gegeben, wenn das Projekt einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen "kann". Dies entspricht der Sache nach dem von Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL vorgegebenen Maßstab. Nach Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL dürfen Projekte nur zugelassen werden, wenn die zuständigen Behörden festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, d. h. wenn sie Gewissheit darüber erlangt haben, dass die Pläne oder Projekte sich nicht nachteilig auf das geschützte Gebiet als solches auswirken. Dies ist dann der Fall, wenn aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass es keine solchen Auswirkungen gibt.
614Vgl. EuGH, Urteil vom 7. September 2004 ‑ C‑127/02 - (Wadenzee/Herzmuschelfischerei), Rn. 61.
615Ein Projekt ist also nicht erst dann unzulässig, wenn die Gewissheit besteht, dass es das betreffende Gebiet erheblich beeinträchtigt. Vielmehr reicht schon die Wahrscheinlichkeit bzw. die Gefahr aus, dass das Gebiet aufgrund des Projekts erheblich beeinträchtigt wird. Unter Berücksichtigung insbesondere des Vorsorgeprinzips liegt eine solche Gefahr dann vor, wenn anhand objektiver Umstände nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Projekt das fragliche Gebiet erheblich beeinträchtigt.
616Vgl. EuGH, Urteile vom 26. Mai 2011 ‑ C‑538/09 ‑ (Kommission ./. Belgien), Rn. 39 m. w. N., und vom 7. September 2004 - C-127/02 - (Waddenzee/Herzmuschelfischerei), Rn. 41 und 44; BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 58.
617Die Vorschrift des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL konkretisiert zusammen mit ihrem Abs. 2 das Vorsorgeprinzip des Art. 191 Abs. 2 Satz 2 AEUV (zuvor: Art. 174 Abs. 2 Satz 2 EGV) für den Gebietsschutz im Rahmen von "Natura 2000".
618Vgl. EuGH, Urteil vom 7. September 2004 ‑ C‑127/02 - (Waddenzee/Herzmuschelfischerei), Rn. 58 und 44; BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 ‑ 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 58; OVG NRW, Urteil vom 13. Dezember 2007 ‑ 8 A 2810/04 -, NWVBl. 2008, 271 = juris Rn. 123.
619Nach Art. 191 Abs. 2 AEUV zielt die Umweltpolitik der Union auf ein hohes Schutzniveau ab und beruht auf den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung, auf dem Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen, sowie auf dem Verursacherprinzip.
620(2) Das unionsrechtliche Vorsorgeprinzip verlangt nicht, die FFH-Verträglichkeitsprüfung auf ein "Nullrisiko" auszurichten. Das wäre schon deswegen unzulässig, weil dafür ein wissenschaftlicher Nachweis nie geführt werden könnte. Verbleibt nach Abschluss einer FFH-Verträglichkeitsprüfung kein vernünftiger Zweifel, dass nachteilige Auswirkungen auf das Schutzgebiet vermieden werden, ist das Vorhaben zulässig. Rein theoretische Besorgnisse begründen von vornherein keine Prüfungspflicht und scheiden ebenso als Grundlage für die Annahme erheblicher Beeinträchtigungen aus, die dem Vorhaben entgegengehalten werden können.
621Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 60.
622Aus dem unionsrechtlichen Vorsorgegrundsatz ergibt sich, dass bestehende wissenschaftliche Unsicherheiten nach Möglichkeit auf ein Minimum reduziert werden müssen. Dies macht die Ausschöpfung aller wissenschaftlichen Mittel und Quellen erforderlich, bedeutet aber nicht, dass im Rahmen einer FFH-Verträglichkeitsprüfung Forschungsaufträge zu vergeben sind, um Erkenntnislücken und methodische Unsicherheiten der Wissenschaft zu beheben. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL gebietet vielmehr nur den Einsatz der besten verfügbaren wissenschaftlichen Mittel. Zur anerkannten wissenschaftlichen Methodik gehört es in diesem Fall, die nicht innerhalb angemessener Zeit zu schließenden Wissenslücken aufzuzeigen und ihre Relevanz für die Befunde einzuschätzen.
623Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 66, unter Hinweis auf die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott zur Rechtssache C-127/02 vom 29. Januar 2004, Rn. 100 ff.
624Daraus folgt ferner, dass für den Gang und das Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung der Sache nach eine Beweisregel des Inhalts gilt, dass die Behörde ein Vorhaben ohne Rückgriff auf Art. 6 Abs. 4 FFH-RL nur dann zulassen darf, wenn sie zuvor Gewissheit darüber erlangt hat, dass dieses sich nicht nachteilig auf das Gebiet als solches auswirkt.
625Wenn bei einem Vorhaben im Rahmen der Vorprüfung (sog. Screening) nach Lage der Dinge ernsthaft die Besorgnis entstanden ist, dass die Wirkfaktoren des Vorhabens aus sich heraus oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen oder Projekten nachteilige Auswirkungen auf das Schutzgebiet haben können, kann dieser Verdacht im Rahmen der eigentlichen Verträglichkeitsprüfung nach alledem nur durch eine schlüssige naturschutzfachliche Argumentation ausgeräumt werden, mit der ein Gegenbeweis geführt wird.
626Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. September 2011 ‑ 7 C 21.09 -, NVwZ 2012, 176 = juris Rn. 40; zur Vorprüfung Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band II, Stand: 15. Dezember 2015, § 34 BNatSchG Rn. 9 ff. m. w. N.,
627Verzichtbar ist eine Verträglichkeitsprüfung daher nur, wenn eine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele bzw. Schutzzwecke offensichtlich ausgeschlossen ist oder aus wissenschaftlicher Sicht keine ernst zu nehmenden Anhaltspunkte in diese Richtung weisen.
628Der Gegenbeweis misslingt zum einen, wenn die Risikoanalyse, -prognose und ‑bewertung nicht den besten Stand der Wissenschaft berücksichtigt, zum anderen aber auch dann, wenn die einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse derzeit objektiv nicht ausreichen, jeden vernünftigen Zweifel auszuschließen, dass erhebliche Beeinträchtigungen vermieden werden. Außerdem ist es zulässig, mit Prognosewahrscheinlichkeiten und Schätzungen zu arbeiten; diese müssen kenntlich gemacht und begründet werden. Ein Beispiel für eine gängige Methode dieser Art ist auch der Analogieschluss, bei dem bei Einhaltung eines wissenschaftlichen Standards bestehende Wissenslücken überbrückt werden. Zur Abschätzung der Auswirkungen des Vorhabens auf die Erhaltungsziele des Gebiets können häufig sogenannte Schlüsselindikatoren verwendet werden. Als Form der wissenschaftlichen Schätzung ist ebenso eine Worst-case-Betrachtung zulässig, die im Zweifelsfall verbleibende negative Auswirkungen des Vorhabens unterstellt; denn diese ist nichts anderes als eine in der Wissenschaft anerkannte konservative Risikoabschätzung. Allerdings muss dadurch ein Ergebnis erzielt werden, das hinsichtlich der untersuchten Fragestellung "auf der sicheren Seite" liegt.
629Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 64 unter teilweiser Bezugnahme auf die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott zur Rechtssache C‑127/02 vom 29. Januar 2004, Rn. 97.
630Derzeit nicht ausräumbare wissenschaftliche Unsicherheiten über Wirkungszusammenhänge sind dann kein unüberwindbares Zulassungshindernis, wenn ein vom Vorhabenträger geplantes oder behördlich angeordnetes Schutzkonzept ein wirksames Risikomanagement entwickelt hat. Wenn durch Schutz- und/oder Kompensationsmaßnahmen gewährleistet ist, dass ein günstiger Erhaltungszustand der geschützten Lebensraumtypen und Arten stabil bleibt, bewegen sich die nachteiligen Wirkungen des Vorhabens unterhalb der Erheblichkeitsschwelle (vgl. auch § 48d Abs. 1 LG NRW). Es macht aus der Sicht des Habitatschutzes keinen Unterschied, ob durch ein Vorhaben verursachte Beeinträchtigungen von vornherein als unerheblich einzustufen sind oder ob sie diese Eigenschaft erst dadurch erlangen, dass Schutzvorkehrungen angeordnet und getroffen werden.
631Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 53 ("Schutz- und Kompensationsmaßnahmen"), und vom 9. Juli 2009 - 4 C 12.07 -, BVerwGE 134, 166 = juris Rn. 27 unter Hinweis auf die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott zur Rechtssache C-239/04 vom 22. April 2006, Rn. 35, sowie Urteil vom 14. April 2010 ‑ 9 A 5.08 -, BVerwGE 136, 291= juris Rn. 57.
632Als wirksam können solche Maßnahmen indessen nur angesehen werden, wenn sie erhebliche Beeinträchtigungen des geschützten Gebiets nachweislich verhindern. Diesen Nachweis zu erbringen ist - entsprechend der vorstehend dargelegten Beweisregel - Sache des Vorhabenträgers. Sämtliche Risiken, die aus Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Maßnahmen oder der Beurteilung ihrer langfristigen Wirksamkeit resultieren, gehen zu Lasten des Vorhabenträgers.
633Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 54; OVG NRW, Beschluss vom 21. Februar 2011 - 8 A 1837/09 -, NWVBl. 2011, 322 = juris Leitsatz 2 und Rn. 57.
634cc) Die Verträglichkeitsprüfung darf sich nicht auf die Prüfung beschränken, ob das Projekt für sich genommen erhebliche Beeinträchtigungen verursachen kann. Nach § 48d Abs. 4 LG NRW, § 34 Abs. 1 BNatSchG und Art. 6 Abs. 3 FFH-RL ist vielmehr auch zu prüfen, ob derartige Wirkungen "in Zusammenwirkung mit anderen Plänen oder Projekten" verursacht werden können.
635Unter welchen Voraussetzungen andere Projekte in eine solche Summationsbetrachtung einzubeziehen sind, ist noch nicht in jeder Hinsicht geklärt.
636(1) Art. 6 Abs. 3 FFH-RL sieht vor, dass Pläne oder Projekte, die ein besonderes Schutzgebiet "einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten", eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen erfordern. Die Europäische Kommission hat hierzu in ihrem Leitfaden "Natura 2000 - Gebietsmanagement - Die Vorgaben des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG" unter Nr. 4.4.3 ausgeführt: Aus mehreren, für sich allein genommen geringen Auswirkungen könne durch Zusammenwirkung eine erhebliche Auswirkung erwachsen. Sinn dieser Bestimmung sei, kumulative Auswirkungen zu berücksichtigen, die sich allerdings oft erst im Laufe der Zeit herausstellten. In diesem Zusammenhang könne man "bis zu einem gewissen Grade" Pläne und Projekte in die Verträglichkeitsprüfung einbeziehen, wenn diese das Gebiet dauerhaft beeinflussten und Anzeichen für eine fortschreitende Beeinträchtigung des Gebiets bestünden. Darüber hinaus sollten bereits genehmigte Pläne und Projekte berücksichtigt werden, die noch nicht durchgeführt oder abgeschlossen wurden, sowie "tatsächlich vorgeschlagene" Pläne und Projekte.
637Erkennbarer Sinn und Zweck der von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL geforderten Summationsbetrachtung ist, auch eine schleichende Beeinträchtigung durch nacheinander genehmigte, für sich genommen das Gebiet nicht erheblich beeinträchtigende Vorhaben zu verhindern. Mit dieser Zielsetzung wäre es nicht vereinbar, sämtliche bereits genehmigten Vorhaben bei der Summationsbetrachtung außer Betracht zu lassen und nur noch das beantragte sowie - etwa durch Erlass eines Vorbescheids - "planerisch verfestigte" Vorhaben in die Ermittlung der Zusatzbelastung einzubeziehen.
638Erst recht unvereinbar mit dem beschriebenen Schutzziel ist die Auffassung, dass ausschließlich das zur Genehmigung gestellte Vorhaben zu betrachten und bei Unterschreiten von 3 % - Bagatellschwellen zulässig sei, eine Summationsbetrachtung also zu unterbleiben habe. Ein solche Sichtweise würde bei - wie hier - in kurzen zeitlichen Abständen nacheinander genehmigten Vorhaben, die jeweils nur eine relativ geringe Zusatzbelastung verursachen, einer "Salamitaktik" den Weg bereiten, die dem Sinn der FFH-Richtlinie, die Erhaltung und Entwicklung der besonderen Schutzgebiete des Europäischen Natura 2000-Netzes auf Dauer zu gewährleisten, zuwiderliefe.
639Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. März 2013 - 9 A 22.11 -, BVerwGE 146, 145 = juris Rn. 68 und Beschluss vom 5. September 2012 - 7 B 24.12 -, NuR 2012, 784 = juris Rn. 12 zu OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 8 D 58/08.AK -.
640Dies gilt umso mehr bei der zusätzlichen Anwendung eines vorhabenbezogenen Abschneidekriteriums (hierzu im Einzelnen unten unter gg)
641(2) Unter welchen Voraussetzungen und in welcher Reihenfolge "tatsächlich vorgeschlagene" oder "planerisch verfestigte" Projekte in die Summationsbetrachtung einzubeziehen sind, bedarf der Konkretisierung. Der Senat geht insoweit von dem „Prioritätsprinzip“ aus und stellt für die zeitliche Reihenfolge auf den Zeitpunkt der Einreichung eines prüffähigen Genehmigungsantrages ab. Dem liegen folgende Überlegungen zu Grunde:
642(a) Problematisch sind insbesondere solche Fälle, in denen die Belastungsgrenze weitgehend ausgeschöpft ist, aber nach der Unterschutzstellung als FFH-Gebiet mehrere neue Projekte hinzutreten, die auf das FFH-Gebiet einwirken und alle zusammen nicht FFH-verträglich sind, sie es aber je einzeln oder in einzelnen Kombinationen wären. In einer solchen Konstellation würde den Vorgaben der Richtlinie jedenfalls entsprochen, wenn keines der Projekte zugelassen würde. Richtlinienkonform ist aber auch eine Vorgehensweise, bei der nur so viele der anstehenden Projekte zugelassen werden, dass eine wesentliche Beeinträchtigung ausscheidet. Im letzteren Fall ist es notwendig, anhand eines bestimmten, hinreichend klaren Kriteriums festzulegen, welche der Vorhaben genehmigungsfähig sind.
643In derartigen Konkurrenzfällen entspricht es, wenn und solange der Gesetzgeber nichts anderes geregelt hat,
644vgl. etwa zum Telekommunikationsrecht: BVerwG, Urteil vom 15. April 1988 - 7 C 48.87 -, BVerwGE 79, 218 = juris Rn. 12; Hess.VGH, Beschluss vom 18. Oktober 2011 - 7 A 438/10.Z -, juris Rn.11; vorrangige Spezialregelungen finden sich etwa auch in §§ 28 LWG NRW, 18 Abs. 1 WG BW, 4 Nds. WG, 122 LWG SH,
645anerkannter Auffassung, dass regelmäßig eine Entscheidung nach Maßgabe des sog. "Prioritätsprinzips" sachgerecht ist. Danach ist - ggf. vorbehaltlich besonderer Einzelfallumstände - die zeitliche Reihenfolge maßgebend, wenn ein geplantes Projekt auf bereits vorhandene Projekte trifft.
646Dieser Grundsatz gilt insbesondere im Immissionsschutz- und Baurecht.
647Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1989 - 7 C 77.87 -, BVerwGE 81, 197 = juris Leitsatz 4 und Rn. 29; zum Prioritätsprinzip vgl. auch OVG M.‑V., Beschluss vom 28. März 2008 - 3 M 188/07 -, BauR 2008, 1562 = juris Rn. 32; Rolshoven, NVwZ 2006, 516, 521 ff.
648Im Planungs- und Planfeststellungsrecht ist das Prioritätsprinzip ebenfalls anerkannt. Danach hat diejenige Planung Rücksicht auf eine hinreichend verfestigte andere Planung zu nehmen, die den zeitlichen „Vorsprung“ hat.
649Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 5. November 2002 - 9 VR 14.02 -, NVwZ 2003, 207 = juris Rn. 9 m. w. N., und vom 14. Mai 2004 - 4 BN 13.04 -, juris Rn. 5; Bay.VGH, Urteil vom 30. November 2006 - 1 N 05.1665 -, juris Rn. 37.
650In gleicher Weise können die Grundsätze des Prioritätsprinzips bei der Summationsbetrachtung im Rahmen einer FFH-Verträglichkeitsprüfung Geltung beanspruchen, wenn in einer gewissen zeitlichen Nähe für mehrere beabsichtigte Projekte Genehmigungsanträge gestellt werden.
651So auch Schütte, NuR 2008, 142, 145 f.; Riese/ Dieckmann, UPR 2009, 371, 375 f.; a. A. (Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme) Reidt, DVBl. 2009, 274, 281.
652(b) In diesen Fällen ist nach Auffassung des Senats der Zeitpunkt maßgebend, in dem der Genehmigungsbehörde ein prüffähiger Antrag vorliegt.
653Für die Einbeziehung anderer Pläne und Projekte in die Summationsbetrachtung kommt es darauf an, dass deren Auswirkungen und damit das Ausmaß der Summationswirkung "verlässlich absehbar" sind. Das soll bei einem Vorhaben wie der Errichtung und dem Betrieb einer Windkraftanlage grundsätzlich erst dann der Fall sein, wenn die hierfür erforderliche Genehmigung erteilt ist.
654Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Mai 2008 - 9 A 68.07 -, Buchholz 406.400 § 34 BNatSchG 2002 Nr. 1 = juris Rn. 21, unter Hinweis auf den Leitfaden des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zur FFH-Verträglichkeitsprüfung im Bundesfernstraßenbau, Ausgabe 2004, S. 49, der allerdings von einer ausreichenden planerischen Verfestigung eines Projekts bereits dann ausgeht, wenn ein Anhörungsverfahren nach § 17 FStrG, § 73 VwVfG oder nach der 9. BImSchV eingeleitet ist; auch Urteile vom 24. November 2011 - 9 A 23.10 -, BVerwGE 141, 171 = juris Rn. 40 (Planfeststellungsverfahren noch nicht eingeleitet), und vom 28. November 2013 - 9 B 14.13 -, DVBl 2014, 237 = juris Rn. 11 (Planfeststellungsantrag noch nicht gestellt).
655Ob sich die gebotene Gewissheit von Summationswirkungen schon zu einem früheren Zeitpunkt ergeben kann, hat das BVerwG in dem Beschluss vom 21. Mai 2008 (a. a. O.) allerdings ausdrücklich offen gelassen.
656Ebenso BVerwG, Urteil vom 14. Juli 2011 ‑ 9 A 12.10 -, NuR 2011, 866 = juris Rn. 81.
657Nach Auffassung des Senats sind die Auswirkungen eines Vorhabens in der Regel schon mit Einreichung eines prüffähigen Antrags hinreichend konkret vorhersehbar. Findet eine Öffentlichkeitsbeteiligung statt, kann spätestens mit Auslegung der Unterlagen davon ausgegangen werden, dass der Antrag prüffähig ist (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 1 der 9. BImSchV).
658Zum Beginn des Anhörungsverfahrens als maßgebliche Zäsur: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, 2010, Rn. 490, sowie Lütkes/Ewer, BNatSchG, 2011, § 34 Rn. 10.
659Ob die Antragsunterlagen inhaltlich überzeugend sind, ist für dieses formale Kriterium unerheblich. Der "prüffähige Antrag" wird auch ansonsten in der Verwaltungspraxis als hinreichend klare zeitliche Zäsur verwendet, etwa um Prioritäten im Zusammenhang mit Lärm- und Luftbeurteilungen festzulegen.
660Vgl. Buckel, "Priorität" und "Vorbelastung" im öffentlichen und zivilen Immissionsschutzrecht, 2009, S. 68 ff. und 79 ff.
661Das Kriterium des prüffähigen Antrags gewährleistet im Übrigen, dass eine Vorrangposition nicht missbräuchlich durch vorschnelles Einreichen unvollständiger Genehmigungsanträge "gesichert" werden kann.
662Wäre demgegenüber der Zeitpunkt der Genehmigungserteilung maßgebend, hinge die Reihenfolge von der - vom Projektträger weitgehend nicht steuerbaren ‑ Dauer des jeweiligen Verwaltungsverfahrens ab. Dies würde zu Zufälligkeiten führen, die weder vom Vorhabenträger noch von der Genehmigungsbehörde hinreichend zu überblicken sind. So sind dem Senat aus seiner Praxis Konstellationen bekannt, in denen ein deutlich später beantragtes „konkurrierendes“ Vorhaben einen Tag vor dem angegriffenen Vorhaben genehmigt wurde, mit der Folge, dass die der (späteren) Genehmigung zu Grunde liegende Summationsbetrachtung obsolet geworden wäre und die Genehmigung bereits bei ihrem Erlass ‑ praktisch nicht erkennbar - rechtswidrig gewesen wäre, würde man auf den Zeitpunkt der Genehmigungserteilung abstellen. Das Kriterium des prüffähigen Antrags vermittelt hingegen unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes die größere Planungssicherheit. Sowohl für Anlagenbetreiber als auch Behörden ist bereits zu Beginn – und nicht erst am Ende – des Verwaltungsverfahrens erkennbar, welche konkreten Projekte zu berücksichtigen und in die gutachterliche Prüfung einzubeziehen sind. Zudem wird verhindert, dass größere Projekte, deren Genehmigungsverfahren erfahrungsgemäß einen längeren Zeitraum beanspruchen, durch andere („kleinere“) emissionsintensive Projekte im Laufe eines aufwändigen Genehmigungsverfahrens faktisch „ausgebremst“ werden.
663Stellt man auf den Zeitpunkt des prüffähigen Antrags ab, führt dies im Übrigen keineswegs zwangsläufig dazu, dass stets mehr konkurrierende Projekte zu berücksichtigen sind, wie die Formulierung des Bundesverwaltungsgerichts, ein Projekt sei „erst“ nach der Zulassungsentscheidung zu berücksichtigen, nahelegen könnte. Vielmehr bleiben nach dem Ansatz des Senats bei der Summationsbetrachtung diejenigen Projekte unberücksichtigt, die zwar inzwischen genehmigt, aber später beantragt worden sind.
664(c) Die mit Einreichung der prüffähigen Unterlagen erreichte Vorrangstellung kann einem Antragsteller durch ein zeitlich nachfolgendes Projekt nicht wieder entzogen werden. Dasjenige Projekt, das als später hinzukommendes bewirken würde, dass die Schwelle zur FFH-Unverträglichkeit überschritten würde, kann nicht genehmigt werden. Das Prioritätsprinzip bewirkt also, dass (erst) das nachfolgende Projekt, das im Zusammenwirken mit den anderen Projekten zu erheblichen Beeinträchtigungen führen würde, nicht genehmigungsfähig ist. Auf diese Weise ist auch gewährleistet, dass ein Vorhabenträger nicht durch außerhalb seiner Sphäre liegende Umstände gezwungen wird, seinen ursprünglich vollständigen Antrag nachträglich zeitaufwändig durch eine neue FFH-Verträglichkeitsstudie zu vervollständigen.
665Diese zeitliche Reihenfolge entspricht den Zielen der FFH-Richtlinie, dass nur solche Projekte zugelassen werden können, die - auch im Zusammenwirken - die FFH-Gebiete nicht erheblich beeinträchtigen.
666(d) Die von einem früheren Projekt einmal erlangte Vorrangstellung wird diesem nicht dadurch genommen, dass die Genehmigung für dieses Projekt von einem Dritten angefochten wird, die Genehmigungen für die zeitlich nachfolgenden (konkurrierenden) Projekte jedoch nicht. Das gilt auch dann, wenn der Vorbescheid oder eine Genehmigung für das vorrangige Projekt auf die Klage eines Dritten oder eines Umweltverbands aufgehoben wird, es sei denn, aus dem Urteil ergibt sich, dass das Vorhaben an dem geplanten Standort endgültig nicht realisiert werden kann. Voraussetzung ist, dass der Vorhabenträger erkennbar an seinem Projekt festhält. Davon ist insbesondere auszugehen, wenn in einem Teilgenehmigungsverfahren nur einzelne Teilgenehmigungen oder der Vorbescheid aufgehoben wurden, andere Teilgenehmigungen hingegen unanfechtbar geworden sind.
667Vgl. bereits OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 8 D 58/08.AK -, ZUR 2012, 372 = juris Rn. 645.
668(e) Der Prioritätsgrundsatz gilt allerdings nur für die Reihenfolge der Projekte als solche. Im Übrigen ist - entsprechend den allgemeinen Grundsätzen - für die Beurteilung der FFH-Verträglichkeit die im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung vorliegende Sach- und Rechtslage maßgeblich. Deshalb müssen im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung nach Einreichen des prüffähigen Antrags ggf. erfolgte Konkretisierungen oder Änderungen bei den zu prüfenden Projekten berücksichtigt werden. In tatsächlicher Hinsicht muss die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung grundsätzlich den aktuellen Zustand, also die bei abschließender behördlicher Beurteilung aktuellen Verhältnisse zugrunde legen. Maßgeblich sind der zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung feststellbare Zustand der Gebiete sowie der bis zu diesem Zeitpunkt konkretisierte Stand der Projekte.
669Das bedeutet, dass von den aktuellen Daten hinsichtlich der Beschaffenheit und Entwicklung der FFH-Gebiete auszugehen ist. Ebenso müssen die in Rede stehenden Critical Loads und - erst recht - naturschutzfachliche Begründungen etwaiger Bagatellschwellen auf den bei der Behördenentscheidung aktuellen Erkenntnisstand bezogen sein.
670Änderungen der Emissions- oder Immissionsprognose aufgrund von Anlagenmodifikationen, Nebenbestimmungen oder Teilverzichtserklärungen sind für die Verträglichkeitsprüfung ebenfalls relevant. Dabei obliegt es zwar grundsätzlich nicht dem jeweiligen Vorhabenträger, Daten in Bezug auf ein anderes Vorhaben zu erheben oder sogar diesbezügliche Gutachten erstellen zu lassen.
671Vgl. Leitfaden des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zur FFH-Verträglichkeitsprüfung im Bundesfernstraßenbau, Ausgabe 2004, S. 50.
672Bei Unklarheiten bezüglich der Auswirkungen eines zeitlich vorrangigen Vorhabens bedarf es aber - in Anlehnung an allgemeine Prognose-Grundsätze - einer Worst-case-Betrachtung, weshalb es durchaus im Interesse des Vorhabenträgers liegen kann, möglichst konkrete Erkenntnisse über die Auswirkungen des vorrangigen Vorhabens zu erlangen.
673(f) Kompensationen, die im unmittelbaren und untrennbaren Zusammenhang mit einem Projekt stehen, sind ebenfalls zu berücksichtigen. Sie sind zwangsläufige Folge und Konsequenz des neuen Projekts und mindern von vornherein die von diesem verursachten Belastungsbeiträge. Dies gilt insbesondere, wenn ein Vorbescheid oder eine (Teil-)Genehmigung solche Maßnahmen ausdrücklich vorsehen und verbindlich absichern.
674dd) Grundsätzlich ist nach alldem jede Beeinträchtigung von Erhaltungszielen (oder Schutzzwecken) erheblich und muss als Beeinträchtigung des Gebiets gewertet werden. Unerheblich sind im Rahmen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL nur Beeinträchtigungen, die kein Erhaltungsziel bzw. keinen Schutzzweck nachteilig berühren. Der abweichende Vorschlag der EU-Kommission, die Erheblichkeitsschwelle erst bei der "Vereitelung von Erhaltungszielen" oder der "Zerstörung essenzieller Gebietsbestandteile" anzusiedeln, hat in der Rechtsprechung des EuGH keine Resonanz gefunden.
675Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 ‑ 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1= juris Rn. 41, unter Bezugnahme auf die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache C-127/02 vom 29. Januar 2004, Rn. 82 ff.
676Prüfungsmaßstab sind dabei allein die Auswirkungen auf die für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Gebietsbestandteile. Mit diesen Tatbestandsmerkmalen wird - im Einklang mit den Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL - die Verknüpfung zu dem konkreten Schutzgebiet und seiner spezifischen Funktion im Rahmen des Netzes "Natura 2000" hergestellt.
677Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 73; vgl. auch EuGH, Urteil vom 26. Mai 2011 - C-538/09 - (Kommission ./. Belgien), Rn. 40.
678Als Erhaltungsziele gelten diejenigen Ziele, die im Hinblick auf die Erhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands eines in Anhang I der FFH-Richtlinie aufgeführten natürlichen Lebensraumtyps oder einer in Anhang II der FFH-Richtlinie aufgeführten Art für ein Natura 2000-Gebiet festgelegt sind. Ein günstiger Erhaltungszustand muss trotz Durchführung des Vorhabens stabil bleiben.
679Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 43, und vom 12. März 2008 - 9 A 3.06 -, BVerwGE 130, 299 = juris Rn. 94.
680Bei einem ungünstigen Erhaltungszustand reicht es nicht aus, diesen zu erhalten; es muss vielmehr sichergestellt sein, dass ein günstiger Erhaltungszustand erreichbar bleibt.
681Der Schutzzweck eines Natura 2000-Gebiets wird gemäß § 48c Abs. 2 LG NRW durch die Schutzausweisung entsprechend den jeweiligen Erhaltungszielen bestimmt. Fehlt es an einem festgelegten Schutzzweck, sind die Erhaltungsziele bis auf weiteres der Gebietsmeldung zu entnehmen; insoweit sind die sog. Standard-Datenbögen auszuwerten.
682BVerwG, Urteile vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 75, und vom 14. April 2010 ‑ 9 A 5.08 -, BVerwGE 136, 291= juris Rn. 30.
683Der Begriff des günstigen Erhaltungszustandes eines Lebensraumtyps bzw. einer Art wird weder im Landschaftsgesetz NRW noch im Bundesnaturschutzgesetz definiert. Insoweit ist auf die Begriffsbestimmungen in Art. 1 Buchst. e) und i) FFH-RL zurückzugreifen.
684BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1= juris Rn. 43.
685Der Erhaltungszustand eines in einem FFH-Gebiet geschützten Lebensraumtyps im Sinne des Anhangs I der FFH-RL wird gemäß Art. 1 Buchst. e) Abs. 2 1. Anstrich FFH-RL als günstig erachtet, wenn "sein natürliches Verbreitungsgebiet sowie die Flächen, die er in diesem Gebiet einnimmt, beständig sind oder sich ausdehnen".
686Davon ausgehend sind Vorhaben, die einen direkten Flächenverlust für einen in den Schutzzweck der Gebietsausweisung einbezogenen Lebensraumtyp bewirken, in besonderer Weise geeignet, das Erhaltungsziel des Gebiets zu gefährden.
687BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1= juris Rn. 50; Halama, NVwZ 2001, 506, 510; Gellermann, NVwZ 2001, 500, 504; zu Bagatellschwellen in Fällen eines direkten Flächenverlusts vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 3. August 2010 - 8 A 4062/04 -, UPR 2011, 157 = juris Rn. 104.
688ee) Das - hier zugrunde gelegte - Konzept der Critical Loads ist als Beurteilungsmaßstab für die FFH-Verträglichkeitsprüfung rechtlich nicht zu beanstanden.
689(1) Das Konzept der Critical Loads ist im Rahmen der UN-ECE-Luftreinhaltekonvention entwickelt worden und wird in Deutschland unter anderem durch die ‑ auch im vorliegenden Verfahren für die Beigeladene tätige - P. -E. GmbH vertreten. Auch das Forschungs- und Entwicklungsvorhaben FE 84.0102/2009 des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung
690- vgl. Balla u. a., Untersuchung und Bewertung von straßenverkehrsbedingten Nährstoffeinträgen in empfindliche Biotope. Bericht zum FE-Vorhaben 84.0102/2009 der Bundesanstalt für Straßenwesen, in: Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, 2013, Heft 1099 (BASt-Bericht) sowie Kurzbericht zu FE 84.0102/2009/Straßenverkehrsbedingte Nährstoffeinträge in empfindliche Biotope -
691hat diesen Ansatz als geeigneten Beurteilungsmaßstab für die FFH-Verträglichkeitsprüfung übernommen.
692Vgl. BASt-Bericht, S. 187 ff.
693(2) Critical Loads bestimmen naturwissenschaftlich begründete Belastungsgrenzen für Vegetationstypen oder andere Schutzgüter, bei deren Einhaltung eine Luftschadstoffdeposition nach derzeitigem Erkenntnisstand auch langfristig keine signifikant schädlichen Effekte erwarten lässt („no-effect“-Werte). Critical Loads für eutrophierende Stickstoffeinträge und für versauernde Stickstoff- und Schwefeleinträge werden üblicherweise in Kilogramm pro Hektar und Jahr (kg N/[ha*a]) bzw. als Stoffmengen-Äquivalente pro Hektar und Jahr (eq [N+S]/[ha*a]) angegeben.
694Vgl. hierzu und zum Folgenden: BASt-Bericht, S. 114 ff.
695(3) Critical Loads werden empirisch ermittelt oder in Berechnungen modelliert.
696Empirische Critical Loads sind in erster Linie die im sogenannten Manual des ICP Modelling & Mapping veröffentlichten Ergebnisse der Arbeitsgruppe Bobbink ‑ auch „Berner Liste“ -, die auf Erfahrungen und Felduntersuchungen beruhen und für repräsentative europäische Vegetationstypen Spannbreiten der Critical Loads für eutrophierende Stickstoffeinträge benennen. Das LANUV hat im Jahre 2012 hierauf aufbauend eine an die lokalen Bedingungen in Nordrhein-Westfalen angepasste Liste mit empirischen Critical Loads für eutrophierende Stickstoffeinträge erstellt. Entsprechende Listen mit empirischen Critical Loads für versauernde Stoffeinträge existieren nicht.
697Bei der Modellierung von Critical Loads für eutrophierende und versauernde Einträge unterscheidet man zwischen dynamischen Modellen und dem sog. Steady-State-Modell.
698(a) Dynamische Modelle - wie das sog. DECOMP-Modell - simulieren zeitliche Abfolgen der wichtigsten Prozesse im Ökosystem in Reaktion auf eine retrospektive oder/und prognostizierte Zeitreihe von Stoffeintragsraten oder anderer Umweltfaktoren. Ein Vorteil dieser Modelle ist, dass Veränderungen des ökosystemimmanenten Stoffkreislaufes durch Stoffeinträge in der Vergangenheit berücksichtigt werden können. Allerdings sind sie aufgrund der hohen Anzahl der einzustellenden Parameter sehr aufwändig.
699(b) Der Steady-State-Ansatz zielt auf die langfristige Erhaltung eines bestehenden natürlichen (Fließ-)Gleichgewichts im Zusammenwirken mit einem ungestörten Wasser- und Energiehaushalt. Die Critical Loads sollen nachhaltig stabile Standortbedingungen für die Existenz einer naturnahen oder halbnatürlichen Pflanzengesellschaft sichern. Die auch im Manual des ICP Modelling & Mapping empfohlene Einfache-Massenbilanz-Methode („Simple-Mass-Balance“, SMB) geht davon aus, dass langfristige Stoffeinträge in ein Ökosystem (nur) in der Höhe erfolgen dürfen, in der sie durch gegenläufige ökosysteminterne Prozesse gepuffert, gespeichert oder aufgenommen bzw. in unbedenklicher Größe aus dem System heraustragen werden. In Eintrags-Austrags-Rechnungen werden den eutrophierenden Stickstoffdepositionen die stickstoffspeichernden, ‑verbrauchenden und -austragenden Prozesse im Ökosystem und den versauernd wirkenden Stoffeinträgen die gesamte Säureneutralisierungskapazität gegenübergestellt. Sowohl die vom Umweltbundesamt veröffentlichten als auch die im o. a. Forschungs- und Entwicklungsvorgaben im Anhang I für eine große Anzahl von Vegetationsgesellschaften dargestellten Critical Loads für versauernde Stoffeinträge wurden mit Hilfe des SMB-Modells modelliert. Im Rahmen des BASt-Forschungsvorhabens habe man sich auf der Grundlage der durchgeführten fachlichen Diskussion für die Verwendung dieses Modells entschieden. Dem Nachteil, dass dynamische Ökosystementwicklungen nicht betrachtet werden, stünden die im Vergleich zu dem DECOMP-Modell einfachere rechnerische Nachvollziehbarkeit und breitere Akzeptanz in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit als Vorteile gegenüber.
700Vgl. BASt-Bericht, S. 128 ff., und 130 ff.
701Nach der Einschätzung des BASt-Berichts bieten die mit dem SMB-Modell berechneten Critical Loads genaue standortspezifische Erkenntnisse zur Belastung geschützter Lebensraumtypen. Erfolge im Einzelfall allerdings keine Modellierung oder werde nicht auf die im Rahmen des Forschungs- und Entwicklungsvorhaben modellierten Critical Loads für eutrophierende Stickstoffeinträge zurückgegriffen, komme weiter die Verwendung der empirischen Critical Loads in Betracht.
702Vgl. BASt-Bericht, S. 126 ff., 204.
703(c) Das SMB-Modell greift bei der Ermittlung der standort- und vegetationstypischen Critical Loads - wie das DECOMP-Modell - auf das sog. BERN-Modell zu. Das BERN-Modell (BERN = Bioindication for Ecosystem Regeneration towards Natural conditions) ist eine Datenbank mitteleuropäischer Arten und Pflanzengesellschaften, die die jeweilige ökologische Nische abiotischen Standortparametern zuordnet. Es basiert auf Erkenntnissen, wonach sich die biologischen Ökosystem-Komponenten an ein standorttypisches harmonisches Nährstoffverhältnis (Stickstoff, Phosphor, Kohlenstoff, basische Kationen wie Kalzium, Kalium und Magnesium) über Jahrtausende evolutionär angepasst haben. In der Datenbank sind bezogen auf Arten und Pflanzengesellschaften jeweils Daten über Basensättigung, Kohlenstoff/Stickstoff(C/N)-Verhältnis im Oberboden, Bodenfeuchte, Vegetationszeitlänge und Kontinentalitätsindex anhand von Erhebungen zu Vegetationsaufnahmen zu langfristig stabilen Standorttypen und Pflanzengesellschaften ausgewertet. Die BERN-Datenbank wird fortlaufend ergänzt. Mit Hilfe des BERN-Modells kann die Empfindlichkeit der maßgeblichen Bestandteile von FFH-Lebensraumtypen gegenüber Veränderungen verschiedener abiotischer Standorteigenschaften quantifiziert bewertet werden. Für die Critical-Load-Berechnung werden zunächst die charakteristischen Pflanzengesellschaften der FFH-Lebensraumtypen ihren Referenz-Standorten und dann die Referenz-Standortparameter bestimmten Standorttypen zugeordnet, die einen günstigen Erhaltungszustand, d. h. optimale Existenzbedingungen für die charakteristische Pflanzengesellschaft ermöglichen. Aus diesen Standorttypen werden die bodenchemischen und pflanzenphysiologischen Schwellenwerte (Critical Limits) für eutrophierende und versauernde Effekte abgeleitet, die wiederum wesentliche Parameter der Eingangsdaten (z. B. Immobilisierungsrate, Denitrifikationsrate, tolerierbare Stickstoff-Auswaschrate mit dem Sickerwasser, Depositionsrate basischer Kationen, Freisetzungsrate basischer Kationen durch Verwitterung des Ausgangsubstrats, Aufnahmerate von basischen Kationen und Stickstoff in die Vegetation) der Berechnung der Belastbarkeitsgrenzen (Critical Loads) sind. Der Referenzzustand der Modellierung entspricht einem idealtypischen Zustand des Stickstoffhaushalts, der aus Vorsorgegründen die Kriterien des günstigen Erhaltungszustands übererfüllt.
704Vgl. BASt-Bericht, S. 135, 157 ff.
705Für die Einzelfallermittlung von Critical Loads ist nach alledem die möglichst sichere Bestimmung der Critical Limits und der sonstigen, nicht-kritischen Parameter erforderlich. Die Eingangsdaten des Modells haben unterschiedlich starken Einfluss auf die Höhe des Critical Loads. Die kritischen Schwellenwerte - die Critical Limits – werden modellbedingt an der Grenze des Optimumplateaus der ökologischen Nische der Pflanzengesellschaft bzw. an der Grenze der bodentypischen (geo)chemischen Pufferbereiche angesetzt. Sie charakterisieren das Ökosystem bei 100 % Regenerierungspotenzial an der Schwelle einer möglichen Abnahme der optimalen Existenzmöglichkeit einzelner charakteristischer Arten und sind daher kaum variabel. Demgegenüber sind die nicht kritischen Parameter in der Regel Mittelwerte der jeweiligen Spannen der einem Standort- und Vegetationstyp zugeordneten Werte. Wesentliche Eingangsgrößen, die diese Parameter bestimmen, sind die Niederschlagssumme im Jahr, die Jahresmitteltemperatur und der Biomasseentzug. Die entsprechenden Werte können standortbedingt deutlich variieren und haben signifikanten Einfluss auf den Critical Load.
706Vgl. BASt-Bericht, S. 196.
707Die Eingabeparameter des Modells sind zwar als Bestandteile der anerkannten wissenschaftlichen Methode als solche nicht selbständig angreifbar.
708Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. April 2014 ‑ 9 A 25.12 -, BVerwGE 149, 289 = juris Rn. 44.
709Sie müssen jedoch zutreffend ermittelt und verwendet worden sein.
710(d) Spiegeln die in der Modellierung der Critical Loads verwendeten Parameterwerte ausnahmsweise nicht die realen Bedingungen des konkreten Standorts wider, kommt dem Critical Load eine allenfalls eingeschränkte Aussagekraft bezüglich der Beeinträchtigung der Lebensraumtypen zu. Ob die zusätzlichen eutrophierenden oder versauernden Stoffeinträge zu einer Beeinträchtigung der Lebensraumtypen führen, ist dann im Rahmen einer Sonderfallprüfung zu ermitteln.
711Vgl. BASt-Bericht, S. 200 und 205 ff.
712Ein solcher Ausnahmefall liegt bei irreversibel geschädigten Böden vor. Das SMB-Modell führt hier mit dem Maßstab eines sehr guten Erhaltungszustands nicht mehr zu angemessenen Ergebnissen und das weitere Vorgehen muss mit der zuständigen Naturschutzbehörde abgestimmt werden. Eine solche Situation liegt bei stark gestörten Pflanzengesellschaften mit deutlich unvollständigem Arteninventar vor. Ein erster Anhaltspunkt hierfür ist eine Artenausstattung im Erhaltungszustand C. Eine nachhaltig gestörte Situation kann auch bei irreversibel endversauerten Standortverhältnissen, d.h. bei pH(H2O)-Werten von kleiner als 3,2, vorliegen.
713Die Anwendung eines höheren als des berechneten Critical Loads kommt dagegen in Betracht, wenn sich ein Lebensraumtyp mit einem guten Erhaltungszustand auf einem bereits degradierten Standort befindet, d.h. wenn der idealtypische Pufferbereich verbraucht und der nächstfolgende Pufferbereich erreicht ist mit der Folge, dass sich ein neuer Gleichgewichtszustand von Freisetzungsrate der basischen Kationen aus der Verwitterung des Ausgangssubstrats zu Aufnahme- und Auswaschungsrate eingestellt hat - und der aktuelle Zustand des Bodens und der Vegetation als ausreichend günstig erachtet wird.
714Die Durchführung einer Sonderfallprüfung ist ferner zum einen für Standorte geboten, die bereits stickstoffgesättigt sind, deren Lebensraumtypen jedoch in einem guten Erhaltungszustand sind. Zum anderen bedarf es einer Sonderfallprüfung an Standorten mit einer außerordentlichen, nicht in der Modellierung der Critical Loads berücksichtigten Stickstoffdynamik. Diese kann etwa auf dem bodenspezifischen Wasserhaushalt oder dem natürlichen Stickstoffreichtum des Standorts beruhen, und dazu führen, dass zusätzliche eutrophierende Stickstoffeinträge entweder ausnahmsweise nur unmaßgeblich Einfluss auf den Erhaltungszustand der Lebensraumtypen haben oder - bei einer Störung dieser Dynamik - ausnahmsweise beeinträchtigend wirken. Dasselbe gilt, wenn der konkrete Standort eine außergewöhnliche bodenspezifische Dynamik gegenüber versauernden Stoffeinträgen aufweist.
715(e) Der Senat geht mit dem Bundesverwaltungsgericht,
716vgl. Urteil vom 23. April 2014 - 9 A 25.12 -, BVerwGE 149, 289 = juris Rn. 37; S. auch: OVG Nds., Urteil vom 22. April 2016 - 7 KS 27/15 -,juris Rn. 138 ff. sowie Hess. VGH, Urteil vom 25. Februar 2016 - 9 A 245/14 - , Rn. 95 und 106,
717davon aus, dass der BASt-Bericht im Grundsatz aktuell die besten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu dem Konzept der Critical Loads und zu der Ermittlung der Belastungsgrenzen für geschützte Lebensraumtypen enthält. Das Forschungs- und Entwicklungsvorhaben diente der Entwicklung einer Methode zur Erfassung und Bewertung von Stickstoffeinträgen im Rahmen von FFH-Verträglichkeitsprüfungen für den Neu- oder Ausbau von Straßen. Es gibt einen aktuellen Überblick zum Wissensstand zu den Critical Loads und leitet daraus ‑ auch für die versauernden Stoffeinträge - methodische Empfehlungen ab. An dem Vorhaben haben ausgewiesene Fachleute mitgearbeitet. Zur Konventionsbildung wurden zudem weitere Expertengespräche durchgeführt. Neben regelmäßigen Treffen des Fachbetreuerkreises fanden zwei Sitzungen eines projektbegleitenden Arbeitskreises und ein zweitägiges Expertengespräch mit ausgewählten externen Wissenschaftlern und Fachleuten aus der Genehmigungspraxis statt. Die Fachleute gehen übereinstimmend davon aus, dass die vorgeschlagenen Konventionen auch für andere Projekttypen gelten sollen.
718Vgl. Balla u. a., Kurzbericht zu FE 84.0102/ 2009/Straßenverkehrsbedingte Nährstoffeinträge in empfindliche Biotope, BASt-Bericht, S. 356.
719(f) Das Vorbringen des Klägers stellt die grundsätzliche Eignung der Critical Loads und im Wesentlichen auch die methodischen Empfehlungen des BASt-Berichts nicht in Frage. Die im Rahmen des Forschungsvorhabens gewonnenen Erkenntnisse bestätigen vielmehr, dass die lebensraumtypspezifischen Auswirkungen von Stoffeinträgen mit Hilfe von Critical Loads sachgerecht bewertet werden können und es nicht zwingend umfassender vegetationskundlicher Untersuchungen sowie Stoffhaushaltsuntersuchungen bedarf, um die Belastungsgrenze eines Lebensraumtyps valide einzuschätzen. Keiner der Teilnehmer des Fachgesprächs hat dem Critical-Loads-Ansatz widersprochen; es wurde im Gegenteil ganz überwiegend von dessen grundsätzlicher Eignung auch für FFH-Verträglichkeitsuntersuchungen ausgegangen. Auch wenn dieser Ansatz selbstverständlich der ständigen fachwissenschaftlichen Überprüfung unterliege, basiere er auf dem aktuellen Stand des Wissens und sei derzeit als der beste Lösungsansatz anzusehen.
720Vgl. BASt-Bericht, S. 344 f.
721Auch die vom Kläger gegen das in das SMB-Modell implementierte sog. BERN-Modell gerichteten Bedenken greifen nicht durch. Der Kläger hat insoweit insbesondere bemängelt, dass die Referenzstandorte sich nicht mehr in einem naturnahen Zustand befänden und die den Standortfaktoren zugeordneten Wertespannen nicht den neuesten Erkenntnissen entsprächen. Diese Bedenken werden von den Fachleuten des BASt-Vorhabens offenkundig nicht geteilt. Die Entscheidung des BASt-Vorhabens für die Verwendung des BERN-Modells beruht im Gegenteil gerade auf der großen Anzahl und Bandbreite der dort verarbeiteten (Feld-)Untersuchungen, die aus den 1960er Jahren stammten oder sogar noch älter seien. Das BERN-Modell ist im Übrigen integraler Bestandteil der SMB-Methode und teilt deren fachliche Anerkennung. Vor diesem Hintergrund dringt der Kläger auch mit seiner Kritik an der Verwendung anderer Quellen aus der Fachliteratur für die Bestimmung der nicht kritischen Parameter nicht durch.
722Eine Validierung der modellierten Critical Loads durch Vor-Ort-Untersuchungen der betroffenen Lebensraumtypen und FFH-Gebiete oder durch Vergleiche mit den Ergebnissen anderer Untersuchungen bzw. Messungen an vergleichbaren Standorten ist im SMB-Modell nicht vorgesehen. Im BASt-Bericht wird zwar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Modellierung der Critical Loads auf Eingangsdaten basiere, die auf Messungen an nur annähernd vergleichbaren Standorten und auf Expertenschätzungen sowie historischen Daten beruhten, die mit heute nicht mehr üblichen Messmethoden gewonnen worden seien. Aus diesem Grund und aufgrund der notwendigen Vereinfachungen der realen bodenchemischen Wirkprozesse bei der Anwendung der Modell-Algorithmen und bei der Klassifizierung der Lebensraum-Standorttypen seien die Eingangsdaten mit einer modellbedingten Ungenauigkeit behaftet, die sich nicht exakt quantifizieren lasse. Der Grad der Ungenauigkeit werde allerdings durch die Verwendung der BERN-Datenbank, die für das Ziel eines langfristig guten Erhaltungszustands eine repräsentative Datenbasis biete, auf ein Minimum reduziert. Aktuelle Messungen vor Ort könnten die Ungenauigkeit dagegen nur bedingt reduzieren. Die Critical Limits einer bestimmten Pflanzengesellschaft ließen sich nicht ohne weiteres für einen langen Zeitraum aus einzelnen Messungen ableiten.
723Vgl. BASt-Bericht, S. 190.
724Die modellierten Critical Loads für eutrophierende Stickstoffeinträge würden darüber hinaus durch den Vergleich mit den empirischen Critical Loads validiert. Dieser Vergleich ergebe, dass die Modellierung nach der SMB-Methode ganz überwiegend zu vergleichbaren oder tendenziell eher niedrigeren Critical-Load-Werten führe.
725Vgl. BASt-Bericht, S. 195.
726Es reicht nach alledem für die Modellierung der Critical Loads aus, wenn durch Vor-Ort-Untersuchungen abgeklärt wird, ob der konkrete Standort irreversibel geschädigt ist und das SMB-Modell nicht mehr zu validen Ergebnissen führt.
727Mit der Entscheidung für den Steady-State-Ansatz des SMB-Modells ist notwendig die Entscheidung gegen einen dynamischen Ansatz verbunden. Eine Rekonstruktion der Depositionsgeschichte findet entgegen der Annahme des Klägers im SMB-Modell gerade nicht statt. Der Wahl des Steady-State-Ansatzes ist daher auch immanent, dass kumulative Effekte oder die räumliche/zeitliche Variabilität destabilisierender Prozesse nicht berücksichtigt werden und ein zeitlicher Kontext fehlt. Auch für die vom Kläger noch geforderte Einbeziehung dynamischer Input-Output-Bilanzen ist ebenso wenig Raum wie für eine historische Beurteilung der Eutrophierung und Versauerung, die retrospektive Auswertung historischer Zeitreihen oder einen Vergleich zwischen den historischen und den aktuellen C/N-Werten.
728Die Critical Loads sollen die auf die Erhaltung der Biodiversität ausgerichteten Schutzziele der FFH-Richtlinie sicherstellen und beziehen sich in erster Linie auf die betroffenen FFH-Lebensraumtypen oder die Anhang-II-Pflanzenarten. Die besondere Stickstoffempfindlichkeit der epiphytischen Flechten und Moose ist daher nur dann gesondert zu berücksichtigen, wenn die betroffenen Lebensraumtypen - anders als im vorliegenden Fall - durch das Vorkommen dieser Pflanzenarten charakterisiert werden. Auch der BASt-Bericht stellt als Fazit des Fachgesprächs zu der Frage, ob es gerechtfertigt sei, Flechten und Moose in die Critical-Load-Berechnung einzubeziehen, fest, dass dies (nur) für diejenigen Lebensraumtypen sinnvoll und notwendig sei, die durch das Vorkommen von Flechten und Moosen charakterisiert seien.
729Vgl. BASt-Bericht, S. 354.
730ff) Die Überschreitung eines Critical Loads steht allerdings unter einem Bagatellvorbehalt. Nach der Rechtsprechung ist eine Irrelevanzschwelle von 3 % des jeweiligen Critical Load-Wertes sowohl für eutrophierende als auch versauernde Stoffeinträge anzuerkennen.
731Schöpft bereits die Vorbelastung die durch den Critical Load bestimmte Belastungsgrenze aus oder überschreitet sie diese sogar, so folgt daraus zwar, dass prinzipiell jede Zusatzbelastung dem Erhaltungsziel zuwiderläuft und deshalb erheblich ist, weil entweder Schadeffekte nicht mehr sicher ausgeschlossen werden können oder schon mit der Vorbelastung verbundene Schadeffekte verstärkt werden. Zusatzbelastungen, die eine den maßgeblichen Critical Load ausschöpfende oder überschreitende Vorbelastung nur geringfügig anheben, können allerdings noch als Bagatelle zu werten sein, wenn eine Schädigung nach naturschutzfachlicher Einschätzung ausgeschlossen ist.
732Unter Bezugnahme auf die naturschutzfachliche Beurteilung des Kieler Instituts für Landschaftsökologie (KIfL), wonach eine Zunahme der Stickstoffbelastung um nicht mehr als 3 % der Critical Loads als nicht signifikant verändernd einzustufen sei, hat das Bundesverwaltungsgericht für Fallgestaltungen, in denen die Vorbelastung den maßgeblichen Critical-Load-Wert für eutrophierende Stoffeinträge übersteigt, eine Irrelevanzschwelle von 3 % dieses Wertes anerkannt. Dies gilt unabhängig von der Höhe der Überschreitung.
733Vgl. BVerwG, Urteile vom 14. April 2010 - 9 A 5.08 -, BVerwGE 136, 291 = juris Leitsatz 2 und Rn. 94, vom 29. September 2011 - 7 C 21.09 , NVwZ 2012, 176 = juris Rn. 42, vom 28. März 2013 - 9 A 22.11 -, BVerwGE 146, 145 = juris Rn. 65 f. und vom 23. April 2014 - 9 A 25.12 -, BVerwGE 149, 289 = juris Rn. 45 ff.
734Auch der Senat hält weiter an der Anwendung einer solchen Bagatellschwelle fest. Die Annahme des Klägers, es fehle an einem entsprechenden fachwissenschaftlichen Konsens, trifft nicht zu. Der fachwissenschaftliche Konsens wird auf nationaler Ebene durch das o.a. Forschungs- und Entwicklungsvorhaben des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung belegt. Dieser Konsens ist nicht auf die direkten Teilnehmer des Vorhabens beschränkt. Zweifel an der fachlichen und politischen Neutralität sowie der wirtschaftlichen Unabhängigkeit der internen und externen Fachleute bestehen nicht.
735Das Forschungsvorhaben befürwortet ausdrücklich eine von dem Grad der Überschreitung des Critical Loads durch die Gesamtbelastung unabhängige Bagatellschwelle in Höhe von 3 % des Critical Loads. Auch die Unterscheidung, ob sich einzelne Lebensraumtypen in einem günstigen oder ungünstigen Erhaltungszustand befinden und dieser Erhaltungszustand durch Stickstoffeinträge verursacht worden sei, sei verzichtbar. Die Critical Loads setzten eine entsprechende Empfindlichkeit der Lebensraumtypen bereits voraus.
736Vgl. BASt-Bericht, S. 216 ff.
737Es bestehen auch weiterhin keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass Zusatzbelastungen unterhalb einer Schwelle von 3 % des Critical Loads geeignet wären, erhebliche Beeinträchtigungen der Lebensraumtypen oder des Schutzgebiets zu verursachen. Der Auffassung des Klägers, bei einer Überschreitung der Critical Loads sei definitionsgemäß nur noch eine „Nulldeposition“ zulässig, kann ebenso wenig gefolgt werden wie der weiteren Behauptung, die Höhe der Bagatellschwelle sei willkürlich bestimmt und entbehre jeder wissenschaftlichen Grundlage.
738Critical Loads dienen ihrer Definition nach dazu, langfristig schädliche Einträge auszuschließen. Sie treffen jedoch keine Aussage dazu, ab welcher Überschreitungshöhe und -dauer Schäden eintreten, welches Ausmaß mögliche Schäden im Einzelnen annehmen und wie das Maß ihrer Überschreitung die Eintrittswahrscheinlichkeit und die Schwere der Wirkungen beeinflusst. Nach dem BASt-Bericht sprechen, auch wenn bisher ausreichend quantifizierte Dosis-Wirkungs-Beziehungen nicht zur Verfügung stehen, die verfügbaren Untersuchungen im Ergebnis dafür, bei kleineren Beiträgen auch von kleineren Wirkungen auszugehen.
739Vgl. BASt-Bericht, S. 221.
740Die Reichweite von im Rahmen empirischer Studien beobachteter Wirkungen entlang von Straßen sei mit dem 3 %-Kriterium gut abgedeckt. Bei stickstoffhaltigen Einträgen unterhalb dieser Schwelle seien keine signifikant schädlichen Effekte festgestellt worden. Dasselbe Ergebnis hätten empirische Studien erbracht, die außerhalb des Umfeldes von Straßen die Wirkung von Stickstoffeinträgen auf die Vegetation untersucht hätten. Die meisten experimentellen wissenschaftlichen Studien zu den Einflüssen zusätzlicher Stickstoffeinträge auf die Vegetation arbeiteten dementsprechend mit Stickstoffabgaben bzw. Stufen der Stickstoffabgaben in einer Größenordnung von mindestens 5-10 kg N/(ha*a). Der 3 %-Schwellenwert entspreche bei Critical Loads von 10-20 kg N/(ha* a) demgegenüber absoluten Werten von 0,3 bis 0,6 kg N/(ha*a). Er liege zudem zum einen innerhalb der Unsicherheitsspanne, die sich aus den Wertespannen der Bewertungsmaßstäbe ergäben, und zum anderen im BERN-Modell innerhalb des Unschärfebereiches zwischen 50 % und 100 % Existenzmöglichkeit einer Pflanzengesellschaft. Stickstoffbelastungen in dieser Größenordnung lägen schließlich deutlich unterhalb der natürlichen räumlichen Variabilität von Stickstoffeinträgen (Hintergrundbelastung) in Vegetationsbestände und lägen damit bereits unterhalb des Bereiches der empirisch nachweisbaren Wirkungsschwellen.
741Vgl. BASt-Bericht, S. 217 ff., 221 und 356.
742gg) Der Senat hält darüber hinaus die Anwendung eines vorhabenbezogenen Abschneidekriteriums für fachlich und rechtlich gerechtfertigt. Das Abschneidekriterium dient der Bestimmung des Einwirkungsbereichs der geplanten Anlage und damit des Untersuchungsraums bzw. -umfangs der FFH-Verträglichkeitsprüfung. Zugleich wird mit ihm festgelegt, welche Vorhaben in die Kumulationsprüfung einzubeziehen sind; Vorhaben, deren Immissionsbeiträge unter dem Abschneidekriterium liegen, bleiben bei der Kumulationsrechnung unberücksichtigt. Im Regelfall ist für eutrophierende Stickstoffeinträge ein Abschneidekriterium in Höhe von nicht mehr als 0,5 % des Critical Loads des jeweils in Betracht kommenden Lebensraumtyps zugrundezulegen. Dies entspricht 1/6 der 3 %-Bagatellschwelle. Der Abschneidewert sollte jedoch nicht weniger als 0,05 kg N/(ha*a) betragen.
743Während über die Notwendigkeit eines Abschneidekriteriums - soweit ersichtlich - weitgehend Einigkeit herrscht, bestehen in der Fachwissenschaft und der juristischen Literatur unterschiedliche Auffassungen über dessen Ableitung und Höhe.
744(1) Der BASt-Bericht schlägt einen vorhabenbezogenen Abschneidewert für Stickstoffeinträge in Höhe von 0,3 kg N/(ha* a) vor. Er kennzeichne die maximale Höhe der Stickstoffdeposition, die unter konservativen Annahmen nach dem Stand der Wissenschaft einer bestimmten Quelle valide zugeordnet werden könne. Erhebliche Beeinträchtigungen durch Stickstoffeinträge könnten erst bei Überschreitung dieses Schwellenwertes auftreten. Bei Depositionsraten kleiner oder gleich 0,3 kg N/(ha*a) ließen sich keine kausalen Zusammenhänge zwischen Emission und Deposition nachweisen; ein derart niedriger Stickstoffeintrag liege deutlich unterhalb nachweisbarer Wirkungen auf die Schutzgüter der FFH-Richtlinie und werde daher als Konvention „wie Null“ behandelt. Die zusätzliche Menge an vorhabenbedingten Stickstoffeinträgen sei bis zu dieser Schwelle weder durch Messungen empirisch nachweisbar noch wirkungsseitig relevant und damit auch nach den Maßstäben der praktischen Vernunft und der Verhältnismäßigkeit irrelevant.
745Als Kriterium für die Bestimmung der Höhe des Abschneidewerts wählt der BASt-Bericht die messtechnische Nachweis- bzw. Bestimmungsgrenze der Einträge. Der Vergleich von modellierten und gemessenen Werten biete neben theoretischen Überlegungen einen verlässlichen Hinweis, ob die modellierten Werte richtig seien. Seien die in der Immissionsprognose modellierten Werte nicht mehr mit Messungen belegbar, so könne nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Immissionsmodellierung die Zulassungsentscheidung noch valide trage. Lege man die niedrigste Nachweisgrenze zugrunde, ergebe sich - umgerechnet - für die Summe aus den Depositionen der Stickstoffoxide und Ammoniak eine Größenordnung von 0,5 kg N/(ha*a). Daraus lasse sich, um auf der sicheren Seite zu bleiben, ein Abschneidewert in der Größenordnung der halben Nachweisgrenze, d. h. ein Wert von (gerundet) 0,3 kg N/(ha*a) ableiten.
746Liege der absolute Abschneidewert bei sehr niedrigen Critical Loads oberhalb der 3 %-Bagatellschwelle, sei dem Abschneidewert der Vorrang einzuräumen. Dies sei fachlich vertretbar, weil Zusatzbelastungen unter einer Nachweisgrenze lediglich theoretischer Natur seien.
747Vgl. BASt-Bericht, insbesondere S. 93 f. und 213 ff.
748(2) Das LANUV befürwortet ebenfalls die Anwendung eines vorhabenbezogenen Abschneidewerts, allerdings - in ausdrücklicher Abgrenzung zum BASt-Bericht - lediglich in Höhe von 0,1 kg N/(ha*a) für Stickstoffdepositionen. Es leitet den Abschneidewert in einem ersten Schritt ebenfalls aus der Messunsicherheit für den Nachweis von Stickstoffdepositionen ab; bei einer konservativen Herangehensweise liege diese - wie vom BASt-Bericht vorgeschlagen - bei 0,3 kg N/(ha*a). In einem zweiten Schritt wird dieser Wert aus naturschutzfachlicher Sicht auf 0,1 kg N/(ha*a) gesenkt. Damit soll verhindert werden, dass Zusatzbelastungen, die die Bagatellschwelle hochempfindlicher Lebensraumtypen überschreiten, im Prüfverfahren keine Berücksichtigung finden; durch das Zusammenwirken von mehreren Projekten, deren Zusatzbelastung jeweils unter der 3 %-Bagatellschwelle des Critical Loads liege, könne die summierte Zusatzbelastung die Bagatellschwelle überschreiten. Darüber hinaus sei für bestimmte Fallkonstellationen eine Einzelfallprüfung vorzunehmen.
749Vgl. Vermerk des LANUV vom 18. Juni 2012; ferner Entwurf des Leitfadens zur Prüfung der FFH-Verträglichkeit von Stickstoff-Depositionen in empfindlichen Lebensräumen in FFH-Gebieten vom 18. September 2015, S. 13.
750(3) Das Bundesverwaltungsgericht geht in seiner neueren Rechtsprechung davon aus, dass Zusatzbelastungen durch Stickstoffeinträge unterhalb eines absoluten Werts von 0,3 kg N/(ha* a) bzw. von 3 % eines Critical Loads irrelevant seien. Es sei bereits in der bisherigen Rechtsprechung anerkannt, dass es nach wissenschaftlichem Erkenntnisstand eine Irrelevanzschwelle gebe; erst oberhalb dieser Schwelle sei die Zunahme der Stickstoffbelastung, zumal gegenüber einer ohnehin schon hohen Vorbelastung, als signifikant verändernd einzustufen. Diese Auffassung werde von dem BASt-Bericht wissenschaftlich unterlegt. Unterhalb der genannten Schwellen sei die zusätzlich von einem Vorhaben ausgehende Belastung nicht mehr mit vertretbarer Genauigkeit bestimmbar bzw. nicht mehr eindeutig von der vorhandenen Hintergrundbelastung abgrenzbar. Bei Stickstoffeinträgen von 0,3 kg N/(ha*a) oder weniger ließen sich keine kausalen Zusammenhänge zwischen Emission und Deposition nachweisen.
751Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. April 2014 ‑ 9 A 25.12 -, BVerwGE 149, 289 = juris Rn. 45; auch: OVG Nds., Urteil vom 22. April 2016 - 7 KS 27/15 -, juris Rn. 138 sowie Hess. VGH, Urteil vom 25. Februar 2016 ‑ 9 A 245/14 - , juris Rn. 95 und 106.
752Der dieser Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt betraf allerdings lediglich ein einzelnes Vorhaben, bei dem eine Summationsbetrachtung nicht erforderlich war. Das Bundesverwaltungsgericht hatte daher keinen Anlass, zwischen der Bagatellschwelle und dem Abschneidewert zu differenzieren, und konnte beide Werte einheitlich als Irrelevanzschwellen zugrundelegen. Es wurden auch nur Stickstoffeinträge betrachtet, für die die niedrigste Nachweisgrenze für die Messung (von Stickoxiden und Ammoniak) mit 0,3 kg N/(ha*a) - letztlich zufällig - der 3 %-Schwelle der stickstoffempfindlichsten Pflanzengesellschaften mit einem Critical Load von 10 kg N/(ha*a) entspricht. Auch bei Zugrundelegung des absoluten Wertes von 0,3 kg N/(ha*a) konnten daher nachteilige Wirkungen auf das FFH-Gebiet sicher ausgeschlossen werden.
753(4) Auch in der Literatur wird - in Anlehnung an die Ausführungen in dem BASt-Bericht - das Bedürfnis nach einem vorhabenbezogenen unteren Abschneidewert anerkannt. Dessen Höhe wird indes unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird als Abschneidewert für den Stickstoffeintrag der Vorschlag des BASt-Vorhabens befürwortet,
754so Füßer/Lau, UPR 2014, 121, 124 f.; Kohls/N1. /Zirwick, ZUR 2014, 150, 155; Fellenberg, Gutachten im Auftrag des BDI, 2014, S. 3 ff.,
755teilweise der Vorschlag des LANUV unterstützt,
756Schulte/Kloos, Rechtsgutachten zur FFH-Verträglichkeitsprüfung/Stoffeinträgen im Auftrag des LANUV, 2012, S. 14,
757teilweise 1/10 der Bagatellschwelle des empfindlichsten Lebensraumtyps (0,009 kg N/(ha*a)) als Abschneidekriterium vorgeschlagen,
758Gellermann, NuR 2016, 225, 228,
759und teilweise allgemein empfohlen, dass der Abschneidewert einen ausreichenden Abstand zur Bagatellschwelle mit kumulativer Betrachtung halten müsse,
760Friedrich/Heesen, UPR 2013, 415, 417 f.
761(5) Der Kläger geht davon aus, dass das Abschneidekriterium und die 3 % - Bagatellschwelle allenfalls übergangsweise tolerierbare Hilfskonstruktionen seien. Für beide Irrelevanzschwellen fehle es an einer fundierten wissenschaftlichen Basis und dem erforderlichen breiten fachwissenschaftlichen Konsens. Zwar sei es auch aus seiner Sicht im Grundsatz sinnvoll, den Einwirkungsbereich einer Anlage möglichst konkret zu bestimmen. Mit Blick auf die kumulierenden Effekte anderer Projekte sei jedoch beim Abschneidekriterium die Einhaltung eines „Sicherheitsabstands“ zu der Bagatellschwelle erforderlich. Um insoweit auch mit Blick auf die regelmäßig große Anzahl weiterer zu berücksichtigender Projekte auf der sicheren Seite zu liegen, dürfe das Abschneidekriterium nur 0,1 %, höchstens jedoch 0,3 % des niedrigsten Critical Loads der Berner Liste betragen. Der daraus folgende Einwirkungsbereich sei auch nicht unübersehbar groß. Bei dem dann maßgeblichen Critical Load in Höhe von 3 kg N/(ha*a) belaufe sich der Abschneidewert auf 0,003 (bzw. 0,009) kg N/(ha*a). Für eine typische Stallanlage ergebe sich damit ein Einwirkungsbereich von 24 km. Ein höherer Abschneidewert berge das Risiko, dass viele für sich betrachtet niedrige, aber in der Summe beachtliche Einträge unberücksichtigt blieben.
762Die Beigeladene verweist darauf, dass die Fachkonventionen des BASt-Vorhabens und des LANUV den aktuellen Stand der Wissenschaft wiedergäben. Würden diese Fachkonventionen eingehalten, seien erhebliche Beeinträchtigungen von FFH-Schutzgütern ausgeschlossen.
763(6) Nach Auffassung des Senats ist es zulässig, im vorliegenden Zusammenhang ein vorhabenbezogenes Abschneidekriterium anzuwenden. Es hat Bedeutung für die Frage, ob und in welchem Umfang eine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, und begrenzt darüber hinaus die in eine Kumulationsbetrachtung ggf. einzubeziehenden weiteren Projekte. Seine fachliche und rechtliche Rechtfertigung beruht maßgeblich auf zwei Gründen.
764(a) Zum einen bedarf es der Bestimmung des Einwirkungsbereichs einer Anlage und damit der Festlegung des Untersuchungsraums. Weder unter dem Gesichtspunkt der Wirkungsbezogenheit noch dem der Verhältnismäßigkeit kann der Untersuchungsraum räumlich unbegrenzt sein. Zwar können rechnerisch nahezu unbegrenzt auch kleinste zusätzliche Stoffeinträge in großer Entfernung von dem emittierenden Vorhaben ermittelt werden. Aber schon aus praktischen Gründen bedarf es einer Abgrenzung des Untersuchungsraums durch eine untere Grenze der relevanten Zusatzbelastung; denn die Größe des Betrachtungsraums wächst im Quadrat mit der Entfernung vom Vorhaben. Mit der Größe des Betrachtungsraums steigt auch die Zahl der Variablen und sinkt die statistische Genauigkeit der Ausbreitungsrechnung. Es ist daher notwendig und legitim, Kleinstbeiträge ohne relevante Bedeutung für das Schutzgut nicht in die Berechnung einer Immissionsprognose mit einzubeziehen und den Untersuchungsraum entsprechend zu begrenzen.
765(b) Zum anderen sind bestimmte minimale Immissionsbeiträge dem Verursacher rechtlich nicht mehr zuzurechnen. Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit kann nicht jeder naturwissenschaftlich kausale Immissionsbeitrag als gleichwertig angesehen werden. Es wäre unangemessen, konkrete Vorhaben nicht zuzulassen, wenn deren Immissionsbeitrag derart geringfügig ist, dass er aus Sicht des Gebietsschutzes keine Rolle spielen kann.
766Vgl. Gellermann, NuR 2016, 225, 227; Füßer/Lau, UPR 2014, 121, 125.
767Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt, dass der Verursachungsbeitrag des konkreten Projekts in Beziehung zu den Auswirkungen auf das Schutzgut gesetzt wird. Sehr kleine Beiträge, die im Verhältnis zur Gesamtbelastung nicht ins Gewicht fallen, können vernachlässigt werden. Bei kleinsten Beiträgen kann der „Verursacher“ nicht mehr „für das Ganze“ verantwortlich gemacht werden. Sein Beitrag ist von so untergeordneter Bedeutung, dass eine Berücksichtigung und Zurechnung ausscheidet. Vorhabenträger sind in einem solchen Fall auch nicht mit dem Prüfaufwand einer FFH-Verträglichkeitsprüfung zu belasten.
768Vgl. auch BASt-Bericht, S. 212.
769(7) Die danach im Rahmen der Vorprüfung erforderliche Festlegung des Untersuchungsraums und -umfangs der FFH-Verträglichkeitsprüfung anhand eines vorhabenbezogenen Abschneidekriteriums muss schutzgutbezogen erfolgen. Sie hängt deshalb maßgeblich von der Schutzbedürftigkeit des konkreten FFH-Gebiets bzw. des konkreten Lebensraumtyps ab. Es muss sichergestellt sein, dass nachteilige Auswirkungen durch Immissionen unterhalb des Abschneidewerts auch bei einem Zusammenwirken mit Immissionen anderer Pläne und Projekte nicht ernsthaft zu besorgen sind. Dies ist der Fall, wenn eine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele und Schutzwecke bei Immissionen in dieser Höhe entweder offensichtlich ausgeschlossen ist oder aus wissenschaftlicher Sicht keine ernst zu nehmenden Anhaltspunkte dahin weisen, dass Immissionen in dieser Höhe nachteilige Auswirkungen haben können.
770Aus wissenschaftlicher Sicht bestehen dann keine ernst zu nehmenden Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung des FFH-Gebiets, wenn die Zusatzbelastung die 3 %-Bagatellschwelle nicht übersteigt. Die 3 %- Bagatellschwelle repräsentiert den derzeit besten Stand der Wissenschaft und ist über die oben beschriebene Anbindung an die Critical Loads schutzgut- und wirkungsbezogen. Sie markiert zugleich die Schwelle, unterhalb der signifikante, schädliche Effekte für die betroffenen FFH-Schutzgüter nicht festzustellen sind.
771Da das vorhabenbezogene Abschneidekriterium lediglich die Auswirkungen des konkreten Projekts in den Blick nimmt, nicht jedoch die bei der Bagatellschwelle zu berücksichtigenden Summationseffekte, muss es so weit unterhalb der Bagatellschwelle liegen, dass diese nicht durch das im Prüfungsaufbau vorangehende Abschneiden von Einträgen umgangen oder ausgehöhlt wird.
772(8) Hiervon ausgehend hält der Senat im Regelfall für die eutrophierenden Stickstoffeinträge ein Abschneidekriterium in Höhe von nicht mehr als 0,5 % des Critical Loads des jeweils konkret in Betracht kommenden Lebensraumtyps für zulässig; dies entspricht 1/6 der jeweiligen 3 %-Bagatellschwelle. Im Übrigen gelten für Lebensraumtypen mit einem Critical Load unter 10 kg N/(ha*a) besondere Regeln (siehe unten).
773Dazu im Einzelnen:
774(a) Der vom BASt-Bericht vorgeschlagene Abschneidewert für die vorhabenbedingte Zusatzbelastung an Stickstoff in Höhe von 0,3 kg N/(ha*a) ist nach Auffassung des Senats mit Blick auf die notwendige Summationsbetrachtung zu hoch. Er berücksichtigt die Konstellationen nicht hinreichend, in denen die Einträge mehrerer Vorhaben zusammen die Bagatellschwelle überschreiten.
775Zwar erscheint es grundsätzlich sachgerecht, in einem ersten Schritt die untere Grenze einer relevanten Zusatzbelastung an der Messunsicherheit zu orientieren. Unterhalb einer bestimmten Schwelle ist die zusätzliche von einem Vorhaben ausgehende Belastung nicht mehr mit vertretbarer Genauigkeit bestimmbar bzw. nicht mehr eindeutig von der vorhandenen Hintergrundbelastung abgrenzbar.
776Vgl. Balla/Müller-Pfannenstiehl/Lüttmann/ Uhl, NuR 2010, 616, 623; BVerwG, Urteil vom 23. April 2014 - 9 A 25.12 -, BVerwGE 149, 289 = juris Rn. 45 und vom 23. März 2013 - 9 A 22.11 -, BVerwGE 146, 145 = juris Rn. 66.
777Dieser Ansatz findet seine Rechtfertigung darin, dass es sich dabei um so geringe Größenordnungen handelt, dass konkrete Effekte in Vegetationsbeständen nicht beobachtet worden sind.
778Vgl, BASt-Bericht, S. 220; Balla/Müller-Pfannenstiehl/Lüttmann/Uhl, NuR 2010, 616, 623.
779Er erscheint plausibel, soweit sich die Überlegungen ausschließlich auf ein einzelnes Vorhaben beziehen. Steht indes eine Summationsbetrachtung von mehreren Projekten in Rede, bezieht sich die erforderliche Ermittlung und Verifizierung der Wirkungsschwelle auf die zusätzlichen Immissionen aller zu berücksichtigenden Vorhaben. Insoweit kommt es nicht auf die Messunsicherheit bei der Beurteilung der Wirkungen eines einzelnen Projekts, sondern auf die Messunsicherheit bei der Beurteilung der Wirkung aller kumulierten Projekte an. Insoweit soll der allgemeine empirische Nachweis erbracht werden, dass ein bestimmter minimaler Schadstoffeintrag (gebildet aus der Summe der relevanten Projekte) sich nicht auf das Schutzgut auswirken wird.
780Diesem Zusammenhang wird im BASt-Bericht nicht hinreichend Rechnung getragen. Zwar wird die 3 %-Bagatellschwelle vom BASt-Bericht ausdrücklich als Fachkonvention bestätigt und anerkannt; sie wird nach der Begriffsbestimmung,
781vgl. BASt-Bericht, S. 16,
782als die quantitative Größe bezeichnet, die auf der Basis des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Grenze zwischen (potenziell) erheblichen und lediglich bagatellhaften Beeinträchtigungen definiert. Faktisch wird sie jedoch bei Kumulationsbetrachtungen durch den Abschneidewert unterlaufen. So entspricht der Abschneidewert des BASt-Vorhabens bei einem Lebensraumtyp mit einem Critical Load von 10 kg N/(ha*a) der 3 %-Bagatellschwelle. Dies führt dazu, dass z. B. die Immissionsbeiträge von zwei Projekten in Höhe von jeweils knapp unterhalb 0,3 kg N/(ha*a) aufgrund des Abschneidens von vornherein keiner FFH-Verträglichkeitsprüfung unterliegen, zusammen aber fast 6 % des Critical Loads ausmachen und damit fast das Doppelte der Bagatellschwelle. Erst recht begegnet die weitere Aussage des BASt-Berichts Bedenken, der Abschneidewert habe Vorrang vor der Bagatellschwelle, wenn er höher als der Bagatellschwellenwert sei.
783(b) Auch das LANUV sieht den Abschneidewert des BASt-Berichts kritisch; es hat im Hinblick auf mögliche Summationseffekte eine wirkungsbezogene Korrektur unter Berücksichtigung der Critical Loads vorgenommen und den Wert von 0,3 kg N/(ha*a) auf 0,1 kg N/(ha*a) gesenkt. Der auf der Grundlage des aktuellen Stands der Wissenschaft und unter Verwendung mehrerer worst-case-Ansätze in der Ausbreitungsrechnung entwickelte Abschneidewert von 0,1 kg N/(ha*a) sei auch unter Summationsaspekten naturschutzfachlich belastbar und sachgerecht.
784(c) Der Senat folgt der Kritik des LANUV im Grundsatz. Allerdings wahrt der vom LANUV vorgeschlagene Abschneidewert bei Lebensraumtypen mit Critical Loads unter 20 kg N/(ha*a) den hinreichenden Abstand zur Bagatellschwelle ebenfalls nur bedingt. Um hier auf der sicheren Seite zu liegen, ist das Abschneidekriterium im Regelfall auf 0,5 % des Critical Loads des jeweils in Betracht kommenden empfindlichsten Lebensraumtyps bzw. 1/6 der entsprechenden 3 %-Bagatellschwelle festzusetzen. Nur so ist hinreichend gewährleistet, dass die Einwirkungen mehrerer Anlagen angemessen erfasst werden.
785Eine generelle Anbindung an den Critical Load des im Bundesgebiet vorkommenden stickstoffempfindlichsten Lebensraumtyps von 3 kg N/(ha*a) ist hingegen nicht sachdienlich. Eine Absenkung auf einen derart niedrigen Abschneidewert würde nach der überzeugenden Auffassung des LANUV - auch in Ansehung der Unsicherheiten der Ausbreitungsrechnung - zu einer sachlich nicht mehr gerechtfertigten Überschätzung der Zusatzbelastung führen.
786Die dargelegte konservative Bemessung des Abschneidekriteriums durch den Senat gewährleistet grundsätzlich, dass mögliche Überschreitungen der Bagatellschwelle nicht über einen wirkungsseitig vernachlässigbaren Bereich hinausgehen. Der Senat verkennt nicht, dass es im Einzelfall auch dann zu Überschreitungen der 3 %-Bagatellschwelle kommen kann, wenn das betroffene Vorhaben selbst das Abschneidekriterium von 0,5 % des Critical Loads einhält. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Bagatellschwelle bereits durch ein oder mehrere in die Summationsbetrachtung einzubeziehende Projekte ausgeschöpft ist. Insoweit greift aber der oben dargelegte, aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abgeleitete Gedanke, dass der Verursacher von im Verhältnis zur Gesamtbelastung nicht ins Gewicht fallenden Kleinstbeiträgen für die in der Summation eintretenden Folgen nicht mehr verantwortlich gemacht werden kann. Hiervon unberührt bleiben jedoch Anforderungen an die Emissionen im Rahmen der Vorsorge, die dem Ziel dienen, die Gesamtbelastung durch Stickstoffeinträge zu senken bzw. niedrig zu halten.
787(d) Die Anwendung von absoluten Abschneidewerten unter 0,05 kg N/(ha*a) dürfte allerdings auch für - hier nicht entscheidungsrelevante - sehr stickstoffempfindliche Lebensraumtypen mit Critical Loads unter 10 kg N/(ha*a) nicht in Betracht kommen. Dieser Wert entspricht 0,5 % des Critical Loads von 10 kg N/(ha*a).
788Bei Abschneidewerten unterhalb von 0,05 kg N/(ha*a) würde der Rechenraum bzw. zu betrachtende Untersuchungsraum nach Auffassung der im gerichtlichen Verfahren befragten Fachwissenschaftler zu groß werden, mit der Folge, dass in der Praxis ein völlig unverhältnismäßiger Aufwand verursacht würde. Ein Abschneidewert von 0,05 kg N/(ha*a) führe bei Vorhaben wie dem streitbefangenen Vorhaben zu einem Untersuchungsgebiet von etwa 230 km² und ein Abschneidewert von 0,025 kg N/(ha*a) zu einem Untersuchungsgebiet von etwa 1.500 km². Insoweit könnte es sich vielmehr nach Auffassung der Fachwissenschaftler anbieten, den (engeren) Betrachtungsraum, der durch die ISO-Linie mit einem Abschneidewert von 0,05 kg N/(ha*a) gebildet wird, um einen (zusätzlichen) Kontrollraum in einem Abstand von etwa 4 km zur ISO-Linie zu erweitern. Dieser Kontrollraum ist im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung auf mögliche besonders empfindliche Lebensraumtypen zu untersuchen. Mittels eines Screenings kann geprüft werden, ob in ausgewiesenen FFH-Gebieten Lebensraumtypen mit niedrigeren Critical Loads (‹10 kg N/(ha*a)) existieren. Denkbar ist nach Auffassung der Fachwissenschaftler auch, bei Bedarf die Abgrenzung des (zusätzlichen) Kontrollraums durch Multiplikation des im (engeren) Betrachtungsraum niedrigsten CL-Werts mit 0,75 % zu ermitteln. Auf diese Weise könne Kumulationseffekten auch bei den besonders empfindlichen Lebensraumtypen Rechnung getragen werden.
789Der Senat sieht derzeit keine durchgreifenden Bedenken gegen eine solche Vorgehensweise. Bei einem projektbezogenen Abschneidekriterium von 0,05 kg N/(ha*a) drohen nach Ansicht der Fachwissenschaftler auch für die empfindlichsten Lebensraumtypen in der Regel keine erheblichen Beeinträchtigungen; dies gelte jedenfalls dann, wenn man die beschriebene Einzelfallbetrachtung vornehme. Hierfür spricht, dass die Hintergrundbelastung nahezu flächendeckend die Critical Loads für die empfindlichsten Lebensraumtypen überschreitet, zum Teil sogar erheblich. Gleichwohl werden auch empfindlichste Lebensraumtypen mit einem Erhaltungszustand A angetroffen. Dies beruht insbesondere darauf, dass der Stickstoffeintrag nicht allein für den Erhaltungszustand von Bedeutung ist. Bei minimalen Einträgen von Stickstoff unter 0,05 kg N/(ha*a) kann daher nach Ansicht der befragten Fachwissenschaftler eine wirkungsseitige Relevanz in der Regel ausgeschlossen werden. Hinzu kommt nach Ansicht des LANUV und anderer Fachwissenschaftler, dass bei der Berechnung der Kumulation von mehreren Anlagen (insbesondere mit niedrigen Quellen) sich die grundsätzlich konservative Betrachtung in Bezug auf die einzelne Anlage summiert und gerade bei besonders empfindlichen Lebensraumtypen (mit einem niedrigen Critical Load) zu Überschätzungen führt. Die Überschätzungen der prognostizierten Einträge nehmen mit weiterer Entfernung von der Quelle zu.
790(e) Darüber hinaus kann in besonderen Ausnahmefällen eine Einzelfallprüfung in Betracht kommen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die beschriebenen Prüfungsschritte dem Schutzgut ersichtlich nicht hinreichend gerecht werden.
791(9) Die sich danach ergebende Vorgehensweise bei der Vorprüfung und der FFH-Verträglichkeitsprüfung erscheint auch praktikabel.
792Zwar liegt ihr kein pauschaler, für alle Vorhaben anwendbarer Abschneidewert zugrunde. Vielmehr ist ausgehend von der Schutzgutbezogenheit der Abschneidewert je unterschiedlich in Abhängigkeit von dem jeweils in Rede stehenden Lebensraumtyp. Für denselben Lebensraumtyp ist mithin jeweils derselbe Abschneidewert maßgeblich, unabhängig davon, ob sich in dem Untersuchungsraum noch empfindlichere Lebensraumtypen befinden. Auch wenn sich also der Untersuchungsraum (zunächst) an dem empfindlichsten Lebensraumtyp zu orientieren hat, ist für die Kumulationsbetrachtung jeweils der Abschneidewert des konkreten Lebensraumtyps maßgeblich. Der Abschneidewert für einen bestimmten Lebensraumtyp verändert sich nicht dadurch, dass in der Nähe ein empfindlicherer Lebensraumtyp mit niedrigerem Abschneidewert liegt. Vielmehr hängt bei der Kumulationsbetrachtung der Abschneidewert wie die Bagatellschwelle von dem jeweiligen Critical Load ab. Er beträgt folglich in jedem Fall 0,5 % des konkreten Critical Loads.
793Das schutzgutbezogene Abschneidekriterium von 0,5 % des Critical Loads des jeweiligen (konkret) in Betracht kommenden Lebensraumtyps dürfte sich aber regelmäßig ohne größere Probleme in der Praxis anwenden lassen. Die Prüfung beginnt mit der Ermittlung der in dem anhand des niedrigsten Abschneidewerts von 0,05 kg N/(ha*a) abgegrenzten FFH-Gebiet vorhandenen Lebensraumtypen. Je nach dem Ergebnis dieser Ermittlungen wird dann entweder der Abschneidewert an den - oberhalb von 10 kg N/(ha*a) liegenden - Critical Load der jeweiligen in diesem Raum vorgefundenen Lebensraumtypen angepasst und der - engere - Untersuchungsraum bestimmt oder es wird die oben beschriebene Einzelfallprüfung durchgeführt. Diese Herangehensweise nach dem „Zwiebelprinzip“ dürfte in der Regel keinen übermäßigen Arbeitsaufwand verursachen.
794(10) Auch für die versauernden Stickstoff- und Schwefeleinträge ist bis auf weiteres ein lebensraumtypspezifisch zu bestimmendes vorhabenbezogenes Abschneidekriterium von 0,5 % des jeweiligen Critical Loads zugrunde zu legen. Damit orientiert sich der Senat an der Vorgehensweise des BASt-Vorhabens in Verbindung mit den oben dargestellten Überlegungen zu einer schutzgutbezogenen Ausrichtung an den Bagatellschwellen, solange eine hinreichend schutzgutbezogene Fachkonvention für den Abschneidewert bei versauernden Einträgen fehlt.
795Der vom LANUV festgelegte Abschneidewert von 30 eq (N+S)/(ha*a) ist gemessen an den beschriebenen Anforderungen zu hoch. Er entspricht bereits der 3 %-Bagatellschwelle eines Critical Loads von 1000 eq. Der vorliegende Fall belegt beispielhaft die Problematik eines derart hohen Abschneidewerts. So liegen die vom Kraftwerk der Beigeladenen und zwei weiteren Projekten verursachten Immissionen am Beurteilungspunkt 30 jeweils unter dem genannten Abschneidewert, in der Summation jedoch bei 3,7 bzw. 3,9 % des Critical Loads.
796Der nach dem Ansatz des Senats für die Kumulationsbetrachtung letztlich maßgebliche Abschneidewert von 0,5 % des jeweiligen Critical Loads kann bei versauernden Einträgen allerdings endgültig erst bestimmt werden, nachdem die Critical Loads zuvor bezogen auf die im jeweiligen Einzelfall betroffenen Lebensraumtypen konkret modelliert worden sind. Für die vorrangig erforderliche Bestimmung des Untersuchungsraums hilft dies nicht weiter. Im Unterschied zu den eutrophierenden Stickstoffeinträgen fehlt es bei den versauernden Einträgen bislang noch an hinreichend konkreten, lebensraumtypspezifischen Listen mit empirischen oder modellierten Critical Loads, anhand derer der Untersuchungsraum sachgerecht abgegrenzt werden kann. Der Untersuchungsraum für die versauernden Stoffeinträge kann aber gleichwohl ausreichend konservativ bestimmt werden, wenn dabei ein an den maßgeblichen Critical Load für eutrophierende Stickstoffeinträge angebundener (vorläufiger) Abschneidewert zugrunde gelegt wird, der auch die entsprechenden versauernden Effekte abbildet. Hiervon geht auch das BASt-Vorhaben aus, wenn es für versauernde Stoffeinträge einen Abschneidewert von 24 eq vorschlägt. Dieser Wert liegt über dem bei einer Umrechnung des Abschneidewerts von 0,3 kg N/(ha*a) aus der Massenzahl für Stickstoff folgenden Wert von 21 eq und berücksichtigt damit auch einen Anteil an versauernden Schwefeleinträgen. Das BASt-Vorhaben rechnet mithin den Stickstoffwert (bestimmt als kg N/(ha*a)) mit dem Faktor 80 (8/0,1) in Säureäquivalente (eq) um.
797Ausgehend von den oben dargestellten Maßstäben sind deshalb die jeweiligen lebensraumtypspezifischen Abschneidewerte für eutrophierende Stickstoffeinträge mit dem Faktor 80 in Säureäquivalente umzurechnen. Dies bedeutet, dass sich bei Lebensraumtypen mit einem Critical Load von 10 kg N/(ha*a) und einem (niedrigsten) Abschneidewert von 0,05 kg N/(ha*a) für Stickstoffeinträge ein (niedrigster) Abschneidewert für versauernde Stoffeinträge von umgerechnet 4 eq (0,05 × 80) ergibt.
798Die Prüfung beginnt demnach – entsprechend dem oben skizzierten Vorgehen bei eutrophierenden Stickstoffeinträgen – mit der Ermittlung der in dem anhand des niedrigsten Abschneidewerts von 4 eq abgegrenzten FFH-Gebiet vorhandenen Lebensraumtypen. Fällt danach kein derart empfindlicher Lebensraumtyp in den so bestimmten Untersuchungsraum, kann ein engerer Untersuchungsraum anhand des niedrigsten Abschneidewerts der vorgefundenen Lebensraumtypen gezogen werden. Für diesen werden sodann die Critical Loads modelliert, so dass für die Kumulationsbetrachtung die letztlich maßgeblichen Abschneidewerte an den einzelnen Beurteilungspunkten konkret ermittelt werden können.
799hh) Auch ein Projekt, das zu erheblichen Beeinträchtigungen führen kann, ist nicht in jedem Fall unzulässig.
800Art. 6 Abs. 4 Unterabsatz 1 FFH-RL, der eine Ausprägung des unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darstellt,
801vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 129,
802ermöglicht eine einzelfallbezogene Abweichungsprüfung. Ist trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art ein Plan oder Projekt durchzuführen und ist eine Alternativlösung nicht vorhanden, so hat der Mitgliedstaat nach dieser Regelung alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist (vgl. § 48d Abs. 5 bis 7 LG NRW, § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG).
803b) Subsumtion
804Ausgehend von diesen Maßstäben ist das von der Beigeladenen geplante Kohlekraftwerk mit den Schutzzwecken der im Einwirkungsbereich betroffenen Natura-2000-Gebiete vereinbar.
805Die von der Beigeladenen vorgelegte FFH-Verträglichkeitsuntersuchung belegt, dass die von dem Vorhaben ausgehenden Luftschadstoffeinträge weder eine erhebliche Beeinträchtigung der terrestrischen Lebensräume der Lippeauen noch der "Wälder bei Cappenberg" bewirken.
806Das ergibt sich im Einzelnen aus Folgendem:
807aa) Die im Dezember 2004 erfolgte Unterschutzstellung der im Umfeld des Vorhabenstandorts gelegenen hier relevanten vier Schutzgebiete dient nach den Angaben im Standarddatenbogen und den jeweils maßgeblichen Schutzgebietsausweisungen nachfolgenden Schutzzwecken:
808(1) Das Schutzgebiet DE-4311-304 "Wälder bei Cappenberg" ist ein 673 ha großes Waldgebiet mit hohem Anteil an naturnahen Beständen der Eichen-Hainbuchenwälder sowie der Hainsimsen- und Waldmeister-Buchenwälder mit z.T. hohem Starkholzanteil von bis ca. 250 Jahren Alter. Das Gebiet wird von mehreren naturnahen Bachläufen durchzogen. Es umfasst die Lebensraumtypen (LRT) 9130 (Waldmeister-Buchenwald), 9160 (Stieleichen-Hainbuchenwald), 9110 (Hainsimsen-Buchenwald) und 91E0* (prioritärer LRT Erlen-Eschen- und Weichholz-Auenwälder). Schutzziele sind laut Standarddatenbogen die Erhaltung und Entwicklung naturnaher Sternmieren-Eichen-Hainbuchenwälder (9160) sowie der Erlen-Eschen-Wälder insbesondere durch Schaffung ausreichend großer Pufferzonen zur Vermeidung bzw. Minimierung von Nährstoffeinträgen (91E0*). Der Erhaltungszustand der Lebensraumtypen wird in der Gesamtbeurteilung mit B (gut) beschrieben. Der flächenmäßig größte Teil des Schutzgebiets liegt im Geltungsbereich des Landschaftsplans Nr. 2 des Kreises Unna (Raum Werne-Bergkamen). Nach dessen textlichen Festsetzungen zur Bestimmung des Schutzzwecks (C. 1.1.2., S. 83) erfolgt die Festsetzung als Naturschutzgebiet gemäß § 20 LG NRW zur Erhaltung, Herstellung und Entwicklung überregional bedeutsamer Biotope seltener und gefährdeter sowie landschaftsraumtypischer Tier- und Pflanzenarten innerhalb eines großflächigen Waldkomplexes mit Buchen- und Eichen-Hainbuchenwäldern unter weitest möglicher Schonung bzw. Förderung der entsprechenden Krautschicht sowie im Zusammenhang mit dem Wald stehender schutzwürdiger Bachläufe und Quellbereiche. In ihrer natürlichen Vergesellschaftung sind insbesondere zu schützen: Stieleichen-Hainbuchenwälder, Buchenwälder in ihren standörtlichen verschiedenen Ausprägungen (Hainsimsen- und Waldmeister-Buchenwälder), Erlen-Eschen-Auwälder, Bachläufe und Bacheinschnitte sowie Quellbereiche. Eine gleichlautende Schutzzweckbestimmung findet sich im Landschaftsplan Nr. 3 des Kreises Unna (Raum Selm) unter C. 1.1.1 (S. 103), dessen räumlicher Geltungsbereich die westlich gelegenen Teilflächen der Wälder bei Cappenberg erfasst.
809(2) Die drei weiteren FFH-Gebiete dienen dem Schutz der Lippeauen.
810Das 2417 ha große Schutzgebiet DE-4209-302 "Lippeaue" umfasst die Lippeaue zwischen Unna und Dorsten. Dabei ist der Lauf der Lippe die zentrale Achse dieses großen, abwechslungsreichen und vielfältig gegliederten Gebietes, das trotz überwiegend intensiver Landwirtschaft und Gewässerregulierung noch zahlreiche Elemente der früheren Auenlandschaft aufweist. Mehrfach sind noch Reste von Bruch-, Weichholz- und Hartholz-Auenwäldern vorhanden. Das Schutzgebiet umfasst u. a. die LRT 3270 (Flüsse mit Schlammbänken und einjähriger Vegetation), 6510 (Glatthafer- und Wiesenknopf-Silgenwiese), 9190 (Alte bodensaure Eichenwälder auf Sandebenen), 6430 (Feuchte Hochstaudenfluren), 91F0 (Hartholz-Auenwälder) und den prioritären LRT 91E0* (Erlen-Eschen- und Weichholz-Auenwälder) sowie u. a. die Arten Flussneunauge (Anhang-II-Art) und Helm-Azurjungfer. Schutzziele sind laut Standarddatenbogen insbesondere Erhaltung und Entwicklung der naturnahen Strukturen der schlammigen Flussufer durch möglichst weitgehende Reduzierung der die Wasserqualität beeinträchtigenden direkten und diffusen Einleitungen insbesondere von Schadstoffen (3270), Erhaltung und Entwicklung der feuchten Hochstauden- und Waldsäume durch Schutz vor Eutrophierung (6430), Erhaltung und Entwicklung der artenreichen Flachlandmähwiesen durch zweischürige Mahd bei geringer Düngung, Förderung und Vermehrung der mageren Flachlandwiesen sowie Vermeidung von Eutrophierung (6510), Erhaltung und Entwicklung der Weichholzauenwälder mit ihrer typischen Fauna und Flora, insbesondere durch Schaffung ausreichend großer Pufferzonen zur Vermeidung bzw. Minimierung von Nährstoffeinträgen (91E0*), Erhaltung und Entwicklung der Eichen-Ulmen-Eschen-Auenwälder insbesondere durch Schutz vor Eutrophierung und Verbesserung der Wasserqualität (91F0), Erhaltung und Entwicklung der naturnahen eutrophen Stillgewässer durch Schaffung ausreichend großer Pufferzonen zur Vermeidung bzw. Minimierung von Nährstoffeinträgen (3150). Der Erhaltungszustand wird in Bezug auf einen Lebensraum (91F0) mit A (hervorragend) und im Übrigen teils mit B (gut) und teils mit C (mittel bis schlecht) beschrieben. Letzteres gilt u. a. für den prioritären LRT 91E0*.
811Die Schutzgebiete DE-4314-302 ("Teilabschnitte Lippe - Unna, Hamm, Soest und Warendorf") und DE-4311-301 ("In den Kämpen, Im Mersche und Langerner Hufeisen") umfassen weitere Abschnitte der Lippe (1123 ha bzw. 127 ha); dazu gehören jeweils wiederum u. a. Bereiche des prioritären LRT 91E0*. Der Erhaltungszustand im Gebiet DE-4314-302 wird mit C, der Erhaltungszustand im Gebiet DE-4311-301 mit B beschrieben.
812Die Lippeauen sind - soweit es sich um im Kreis Unna gelegene Teilabschnitte handelt - durch Landschaftspläne als Naturschutzgebiete geschützt (vgl. die textlichen Festsetzungen in den Landschaftsplänen Nr. 1 - Raum Lünen, Nr. 2 - Raum Werne-Bergkamen und Nr. 3 - Raum Selm). Die Unterschutzstellung dient der Erhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Zustandes bezogen auf das Vorkommen natürlicher Lebensräume und wildlebender Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse. Soweit die hier zu untersuchenden Lippeauen-Abschnitte im Kreis Recklinghausen gelegen sind, gilt die "Ordnungsbehördliche Verordnung zur Ausweisung der 'Lippeaue‘, Kreis Recklinghausen, als Naturschutzgebiet“ vom 7. Dezember 1994, mit nachfolgenden Änderungen. Durch die Zweite Verordnung zur Änderung dieser Ordnungsbehördlichen Verordnung vom 26. Juni 2002 ist der Schutzzweck dahin konkretisiert, dass die Ausweisung als Naturschutzgebiet zur Bewahrung und Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der natürlichen Lebensräume und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse dient. Namentlich sind aufgeführt: Erlen-, Eschen- und Weichholz-Auenwälder (91E0, prioritärer Lebensraum), natürliche eutrophe Seen und Altarme (3150), Fließgewässer mit Unterwasservegetation (3260), Flüsse mit Schlammbänken und einjähriger Vegetation (3270), feuchte Hochstaudenfluren (6430), Glatthafer- und Wiesenknopf-Silgenwiesen (6510), alte bodensaure Eichenwälder auf Sandebenen (9190) und Hartholz-Auenwälder (91F0). Unter den zahlreichen im Einzelnen aufgeführten Arten von gemeinschaftlichem Interesse finden sich u. a. das Flussneunauge und der Eisvogel.
813bb) Es steht aufgrund der vorgelegten FFH-Verträglichkeitsuntersuchung des TÜV Nord vom 6. August 2012 einschließlich der im Genehmigungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren erfolgten ergänzenden Stellungnahmen und Berechnungen mit der erforderlichen Sicherheit fest, dass der Betrieb des geplanten Kraftwerks nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen dieser besonderen Schutzgebiete führt.
814Die Größe des Rechengebiets der Ausbreitungsrechnungen ist nicht zu beanstanden (1). Die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung hat alle maßgeblichen Aus- und Einwirkungen des Vorhabens betrachtet (2). Die Auswahl der Beurteilungspunkte für die Bewertung der Stickstoff- und Säureeinträge ist nach zutreffenden sachlichen Kriterien erfolgt (3). Die Heranziehung der empirischen Critical Loads des LANUV für eutrophierende Stickstoffeinträge begegnet keinen Bedenken (4). Die in dem P. -E. -Teilgutachten vom 6. August 2012 nach dem SMB-Modell berechneten Critical Loads für versauernde Stoffeinträge bedürfen dagegen der Korrektur nach unten (5). Die Vorbelastung übersteigt die Critical Loads an den meisten der hier zu untersuchenden Beurteilungspunkte, so dass im Regelfall nur bagatellhafte Zusatzbelastungen zugelassen werden dürfen (6). Die Summationsbetrachtung (7) ergibt, dass die eutrophierenden Stickstoffeinträge die Bagatellschwelle von 3 % des Critical Loads an keinem Beurteilungspunkt überschreiten. Die versauernden Stickstoff- und Schwefeleinträge liegen dagegen in dem FFH-Gebiet “Wälder bei Cappenberg“ teilweise über dieser Bagatellschwelle (8). Die Sonderfalluntersuchung der Beigeladenen hat jedoch ergeben, dass die versauernden Stoffeinträge trotz ihrer teilweise nicht mehr bagatellhaften Höhe aufgrund der morphologischen und hydrologischen Besonderheiten der Böden des FFH-Gebiets „Wälder bei Cappenberg“ nicht zu einer Beeinträchtigung der unter Schutz gestellten Lebensraumtypen führen (9). Eine nachteilige Beeinträchtigung der aquatischen Lebensraumtypen der FFH-Gebiete „Teilabschnitte Lippe - Unna, Hamm, Soest, Warendorf“, „Lippeaue“ und „In den Kämpen, Im Mersche und Langener Hufeisen“ durch eutrophierende und versauernde Stickstoff- und Schwefelverbindungen liegt nicht vor (10). Radioaktive Immissionen haben für die betrachteten FFH-Gebiete keine Relevanz (11).
815(1) Das in den Ausbreitungsrechnungen vom 6. August 2012, vom 13. November 2015 und vom 31. Mai 2016/7. Juni 2016 betrachtete Rechengebiet von 25,6 km x 20,5 km ist ausreichend groß. Die in der Umgebung des streitbefangenen Kraftwerkprojekts befindlichen o.a. FFH-Gebiete liegen vollständig innerhalb des Rechengebiets.
816(2) Die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung hat alle von dem Vorhaben ausgehenden Aus- und Einwirkungen in dem erforderlichen Umfang untersucht. Dies gilt insbesondere für die Einwirkungen der eutrophierenden und versauernden Stoffeinträge, der Schwermetalldepositionen und der Luftschadstoffe Stickstoffdioxid, Schwefeldioxid und Ammoniak auf die terrestrischen Lebensraumtypen.
817(a) Die in der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung vom 6. August 2012 zu Grunde gelegten Abschneidewerte von 0,1 kg N/(ha*a) für eutrophierende Stickstoffeinträge und von 30 eq (N+S)/(ha*a) für versauernde Stickstoff- und Schwefeleinträge sind - wie oben ausgeführt - zu hoch. Das vom Senat für sachgerecht erachtete Abschneidekriterium von 0,5 % des Critical Loads der im vorliegenden Fall stickstoffempfindlichsten Lebensraumtypen 9110 und 9190 von jeweils 13 kg N/(ha*a) ergibt für die eutrophierenden Stickstoffeinträge einen (ersten) Abschneidewert von 0,065 kg N/(ha*a) und für die versauernden Stickstoff- und Schwefeleinträge einen (ersten) Abschneidewert von 5 eq (N+S)/(ha*a). Diese Abschneidewerte sind in einem ersten Prüfungsschritt der zuletzt vorgelegten, ergänzenden Kumulationsbetrachtung des TÜV Nord vom 31. Mai 2016 bei der Festlegung des Untersuchungsraums beachtet worden.
818(b) Auch der Untersuchungsrahmen bei den Schwermetalldepositionen begegnet im Ergebnis keinen Bedenken. Wie oben ausgeführt, ist es grundsätzlich gerechtfertigt, im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung ein Abschneidekriterium anzuwenden. Zum einen bedarf es - auch bei Schwermetalldepositionen - der Bestimmung des Einwirkungsbereichs einer Anlage und damit der schutzgutbezogenen Festlegung des Untersuchungsraums. Zum andern sind bestimmte minimale Immissionsbeiträge dem Verursacher unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit rechtlich nicht mehr zuzurechnen.
819Ob die Höhe der vom LANUV vorgeschlagenen und der Untersuchung der Schwermetalldepositionen zu Grunde gelegten Abschneidekriterien in jeder Hinsicht überzeugend ist, bedarf im vorliegenden Zusammenhang keiner abschließenden Entscheidung. Jedenfalls ist die prognostizierte maximale Zusatzbelastung an Schwermetallen, die in dem FFH-Gebiet „Teilabschnitte Lippe - Unna, Hamm, Soest, Warendorf“ zu erwarten ist, so gering und damit nicht erheblich, dass eine nähere Untersuchung nicht erforderlich war.
820Diese Beurteilung folgt aus einer anhaltsweisen Gegenüberstellung der Zusatzbelastung mit den in Nr. 4.5.1 der TA Luft zum Schutz vor Umwelteinwirkungen, einschließlich schädlicher Bodenveränderungen, vorgesehenen Beurteilungswerten und Irrelevanzschwellen. Die maximale Zusatzbelastung liegt mit Anteilen von weniger als 1 % dieser Beurteilungswerte so deutlich unterhalb der in der TA Luft bestimmten 5 %-Irrelevanzschwelle, dass nachteilige Beeinträchtigungen auch unter Berücksichtigung möglicher Summationen selbst bei sehr empfindlichen Lebensraumtypen ausgeschlossen erscheinen. Die höchste Zusatzbelastung für Thallium und Quecksilber entspricht mit jeweils 0,005 µg/(m2*d) einem Anteil von 0,25 % bzw. 0,5 % des jeweiligen Immissionswerts. Die Zusatzbelastung für Blei entspricht mit einem Wert von 0,14 µg/(m2*d) 0,14 % des Immissionswerts der TA Luft, für Cadmium mit einem Wert von 0,016 µg/(m2*d) 0,8 % des Immissionswerts der TA Luft und für Nickel mit einem Wert von 0,019 µg/(m2*d) 0,13 % des Immissionswerts der TA Luft. Es bestehen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass durch die höchsten prognostizierten Einträge der Schwermetalle Kupfer und Kobalt, für die die TA Luft keine Immissionswerte enthält, in Höhe von 0,014 µg/(m2*d) und 0,009 µg/(m2*d) nachteilige Wirkungen für die in den FFH-Gebieten betroffenen Lebensraumtypen hervorgerufen werden könnten.
821Gegen eine solche Annahme spricht die in der Ergänzung der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung des TÜV Nord vom 28. März 2013 (S. 28 ff., 32) vorgenommene Betrachtung zu Wachstumsbeeinträchtigungen bei Pflanzen und Bodenbeeinträchtigungen durch die (maximalen) Schwermetalleinträge von Blei, Cadmium, Kupfer, Nickel, Quecksilber und Thallium in das FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“. Die mögliche Anreicherung in den Pflanzen über einen Zeitraum von 40 Jahren liegt danach unter Berücksichtigung des maximalen Transferkoeffizienten erheblich unterhalb des in Pflanzen niedrigsten normalen Schwermetallgehalts. Bei Blei beträgt der Anteil 0,2 %, bei Cadmium 5 %, bei Kupfer 0,03 %, bei Nickel 1 %, bei Quecksilber 0,01 % und bei Thallium 0,18 %.
822Die über einen Zeitraum von 40 Jahren zu erwartende Anreicherung an Schwermetallen im Boden ist auch bei einem (anhaltsweisen) Vergleich mit den niedrigsten Vorsorgewerten in Anhang 2 Nr. 4 (Bodenart Sand) der BBodSchV als allenfalls geringfügig zu bezeichnen. Die Anreicherung an Blei erreicht mit 0,0041 mg/kg einen Anteil von 0,01 % (40 mg/kg), bei Cadmium mit 0,0005 mg/kg von 0,14 % (0.4 mg/kg), bei Kupfer mit 0,0005 mg/kg von 0,0025 % (20 mg/kg), bei Nickel mit 0,0006 mg/kg von 0,004 % (15 mg/kg) und bei Quecksilber mit 0,0002 mg/kg von 0,2 % (0,2 mg/kg).
823Dass die aufgrund der Messungen von April 2012 bis April 2013 ermittelte Vorbelastung an Quecksilber den vom Umweltbundesamt bestimmten Critical Load übersteigt und die prognostizierte Zusatzbelastung über einer darauf bezogenen 3 %-Bagatellschwelle liegt, rechtfertigt entgegen der Annahme des Klägers keine andere Beurteilung. Die Critical Loads des Umweltbundesamtes für Schwermetalle sind - nach ausdrücklicher Aussage des Umweltbundesamtes - auf Genehmigungsverfahren nicht anwendbar.
824(c) Für die Konzentration der Luftschadstoffe Stickstoffdioxid (NO2), Schwefeldioxid (SO2) und Ammoniak (NH3) in der Luft sind wirkungsbezogene Abschneidewerte in Höhe von 0,2 µg/m³, 0,3 µg/m³ und 0,08 µg/m³ festgesetzt worden. Diese Werte orientieren sich an den für die Beurteilung der Auswirkungen maßgeblichen Bewertungsmaßstäben der Critical Levels nach UNECE 2004 und WHO 2000. Diese Critical Levels bestimmen die Konzentration für die kumulative Belastung oder den kumulativen Spaltöffnungsdurchfluss von Schadstoffen in der Atmosphäre, oberhalb derer direkte Schadeffekte an sensitiver Vegetation nach derzeitigem Wissen auftreten können.
825Vgl. BASt-Bericht, S. 17 und 208 ff., unter Hinweis auf das ICP Modelling & Mapping Manual 2004, www.icpmapping.org.
826Dieser Ansatz der FFH-Verträglichkeitsprüfung begegnet keinen Bedenken. Die Abschneidewerte entsprechen jeweils einem Anteil von 1 % der Critical Levels. Eines strengeren Abschneidekriteriums bedarf es bei der Bewertung der Konzentration versauernder und eutrophierender Schadstoffe in der Luft in der Regel nicht. Für die Beurteilung der schädigenden Wirkung dieser Schadstoffe auf die ‑ hier allein betroffenen - höheren Pflanzen sichern die Critical Loads einen angemessen strengen Maßstab, der regelmäßig unterhalb der mit den Critical Levels definierten Wirkungsschwelle liegt. Die meisten höheren Pflanzen nehmen ‑ anders als die empfindlicheren Moose und Flechten - z. B. Stickstoff überwiegend aus dem Boden über die Wurzeln und nur in geringem Umfang aus der Luft über die Blätter auf.
827Vgl. - auch zum Folgenden -: BASt-Bericht, S. 50 f. und 210 f.
828Die Critical Levels spielen zudem für die höheren Pflanzen auch deshalb eine nur untergeordnete Rolle, weil sie mangels aussagekräftiger Untersuchungen insbesondere zu den hier besonders bedeutsamen chronischen Langzeiteffekten - anders als die Critical Loads - nicht zwischen den konkreten Vegetationstypen differenzieren.
829Die vorhabenbedingten Emissionen unterschreiten die Abschneidewerte in allen FFH-Gebieten. Dies gilt auch bei Anwendung des für die Konzentration von Ammoniak in der Luft im ICP Modelling & Mapping Manual seit Juli 2011 vorgeschlagenen niedrigeren Critical Levels von 3 µg/m³.
830Vgl. BASt-Bericht, S. 209 Tabelle 52; ICP Modelling & Mapping Manual, Update Juni 2015 Kapitel 3, S. 8 und 9.
831In diesem Fall ergibt sich ein Abschneidewert von 0,03 µg/m³. Die bezogen auf alle FFH-Gebiete höchste maximale Zusatzbelastung von 0,009 µg/m³ liegt deutlich unterhalb dieses Werts. Das Critical Level für Flechten und Moose in Höhe von 1 µg/m³ ist nicht anwendbar, weil diese Pflanzen nicht charakteristisch für die hier betroffenen Lebensraumtypen sind.
832Vgl. BASt-Bericht, S. 210.
833(3) Die insgesamt 35 Beurteilungspunkte für die eutrophierenden und versauernden Stoffeinträge wurden so gewählt, dass für jeden prüfungsrelevanten Lebensraumtyp zumindest ein Beurteilungspunkt vorliegt. Es wurden die Punkte ausgewählt, an denen die höchste projektbedingte Zusatzbelastung eingetragen wird. Diese Auswahl entspricht den vom Senat im vorangegangenen gerichtlichen Verfahren gebilligten Kriterien und den fachlichen Vorgaben des LANUV. Das LANUV hat unter dem 18. Juli 2012 bestätigt, dass seine Empfehlungen auch insoweit aufgegriffen und umgesetzt worden seien. Der Einwand des Klägers, dass es sich um nicht repräsentative und vergleichsweise gut erhaltene Flächen handele, in deren näherem Umfeld bereits erhebliche Vegetationsschäden wie das Vorkommen von Eutrophierungszeigern zu verzeichnen seien, stellt die Auswahl der Beurteilungspunkte nicht durchgreifend in Frage. Die Orientierung an der höchsten Zusatzbelastung ist insbesondere dann sachgerecht, wenn - wie hier - zunächst auf Bagatellschwellen abgestellt wird. Auf den konkreten Pflanzenbestand an den jeweiligen Beurteilungspunkten kommt es, soweit die reale Vegetation in die Ermittlung der Belastungsgrenze oder ggf. eine Einzelfallbetrachtung einzubeziehen ist, nicht entscheidend an, weil jeweils von der Vegetationserhebung in der - einem bestimmten Lebensraumtyp zuzuordnenden - Gesamtfläche auszugehen ist. Vor diesem Hintergrund bedurfte es auch keiner Ausweisung von weiteren Beurteilungspunkten in dem in einem geringeren Ausmaß von Luftschadstoffen betroffenen nordöstlichen Teil des FFH-Gebiets „Wälder bei Cappenberg“. Es bestehen im Übrigen auch keine Anhaltspunkte, dass die in der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung einer eingehenden Untersuchung unterzogenen Beurteilungspunkte C1 bis C11 den Zustand der Böden nicht repräsentativ widerspiegeln würden. Gegen eine solche Annahme spricht, dass die Ergebnisse der von dem Gutachter des Klägers, Dr.-Ing. H. , im Jahr 2012 im nordöstlichen Teil des FFH-Gebiets „Wälder bei Cappenberg“ erhobenen Bodenproben an neun Bodenprofilen jedenfalls nicht in signifikanter Weise von den Untersuchungsergebnissen an diesen Beurteilungspunkten abweichen.
834(4) Die Verwendung der empirischen Critical Loads des LANUV für eutrophierende Stickstoffeinträge wird vom Kläger nicht angegriffen und ist auch sonst nicht zu beanstanden. Der BASt-Bericht hält die Heranziehung empirischer Critical Loads weiterhin für sachgerecht, wenn ein Rückgriff auf modellierte Critical Loads nicht möglich oder - wie hier - nicht gewollt ist. Das LANUV hatte unter Hinweis auf den Unterschied zwischen dem modellierten Critical Load und dem Critical Load der sog. Berner Liste für den Vegetationstyp „Glatthaferwiesen“ die Verwendung seiner eigenen empirischen Critical Loads ausdrücklich gefordert. Dieser Forderung ist die Beigeladene nachgekommen. Die Critical Loads des LANUV für eutrophierende Stoffeinträge stellen sich für die Beurteilungspunkte, die oberhalb des Abschneidekriteriums beaufschlagt werden, wie folgt dar (alle Werte sind in kg N (ha*a) angegeben):
835BP |
LRT |
CL |
3 %-Bagatell-schwelle |
1 |
9190 |
(**) |
|
2 |
91F0 |
(**) |
|
3 |
91E0 |
(**) |
|
4 |
91F0 |
(**) |
|
6 |
91E0 |
(**) |
|
7 |
9190 |
(**) |
|
7b |
9110 |
(**) |
|
9 |
6510 |
(**) |
|
11 |
9160 |
(**) |
|
12 |
91F0 |
(**) |
|
13 |
6430 |
n.e |
|
14 |
6430 |
n.e |
|
18 |
91E0 |
23-25 |
0,69 - 0,75 |
18b |
91E0 |
23-25 |
0,69 - 0,75 |
18c |
91E0 |
23-25 |
0,69 - 0,75 |
19 |
91E0 |
23-25 |
0,69 - 0,75 |
20 |
6430 |
n.e. |
|
22 |
3150 |
n.e. |
|
23 |
6510 |
24-30 |
0,72 - 0,9 |
24 |
91F0 |
20-22 |
0,6 - 0,66 |
26 |
9110 |
13-16 |
0,39 - 0,48 |
27 |
9110 |
13-16 |
0,39 - 0,48 |
28 |
9110 |
13-16 |
0,39 - 0,48 |
29 |
91E0 |
23-25 |
0,69 - 0,75 |
30 |
9110 |
(**) |
|
31 |
9160 |
15 - 20 |
0,45 - 0,6 |
C1 |
9160 |
15 - 20 |
0,45 - 0,6 |
C2 |
9130 |
15 - 20 |
0,45 - 0,6 |
C3 |
9130 |
15 - 20 |
0,45 - 0,6 |
C4 |
9130 |
15 - 20 |
0,45 - 0,6 |
C5 |
9110 |
13 - 16 |
0,39 - 0,48 |
C6 |
9110 |
13 - 16 |
0,39 - 0,48 |
C7 |
9110 |
13 - 16 |
0,39 - 0,48 |
C8 |
91E0 |
23 - 25 |
0,69 - 0,75 |
C9 |
9160 |
15 - 20 |
0,45 - 0,6 |
C10 |
9160 |
(**) |
|
C11 |
9110 |
(**) |
(**) Die eutrophierenden Einträge des Kraftwerks Lünen liegen unterhalb des hier niedrigsten Abschneidewerts von 0,065 kg N(ha*a); n.e. bedeutet: nicht empfindlich
837(5) Die Modellierung der Critical Loads für versauernde Stickstoff- und Schwefeleinträge nach dem SMB-Modell in dem Teilgutachten von P. -E. vom 6. August 2012 weist dagegen Fehler bei der Ermittlung und Verwendung der Eingabeparameter auf. Die Critical Loads sind daher nur in korrigierter Form verwertbar.
838Die vom Senat bestellten Sachverständigen V. - der wie die Gutachterin Dr. T2. von P. -E. Mitautor des BASt-Berichts ist - und K. bestätigen in ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 15. Juni 2016, dass die Modellierung der Critical Loads mit dem SMB-Modell grundsätzlich dem besten derzeit verfügbaren wissenschaftlichen Standard entspricht. Dies gelte sowohl bezogen auf den Zeitpunkt der Erstellung des Teilgutachtens als auch bezogen auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung. Das Teilgutachten habe die für die Berechnung erforderlichen Parameter - nämlich die vegetationsspezifischen Eingangswerte „Basensättigung“ und „C/N-Verhältnis“ - wie von der Modellvorgabe gefordert und beanstandungsfrei nach dem BERN-Modell ermittelt. Die weiteren Parameter „kritischer pH-Wert zur Erhaltung der Bodenfunktion“, „kritisches Verhältnis von basischen Kationen zu Aluminium-Ionen“ (Bc/AL-Verhältnis), „Stickstoff-Immobilisierungsrate“ (Niacc), „Stickstoff-Denitrifikationsrate“ (Nde), „Austrag basischer Kationen mit der Nutzung“ (Bcupt), „Verwitterungsrate basischer Kationen“ (BCw, Bcw), „kritische Austragsrate der Säureneutralisierungskapazität“ (ANCle(crit)) und „Deposition basischer Kationen“ (BCdep = Ca + Mg + K + Na) und „Deposition von Chlorid“ (Cldep) - seien sämtlich berücksichtigt worden. Die Modellierung habe nach Vorlage ergänzender Berechnungsunterlagen durch die Gutachterin Dr. T2. auch auf ihre Plausibilität hin untersucht werden können.
839(a) Die bei dem Term „Austrag basischer Kationen mit der Nutzung“ eingestellten Werte hätten zwar nur im Ansatz nachvollzogen werden können, sie seien aber mit Blick auf die Konvention des BASt-Vorhabens, eine biotopverträgliche Mindestnutzung anzusetzen, sehr konservativ und deshalb aus fachlicher Sicht nicht zu beanstanden.
840Die Annahme der Gutachterin Dr. T2. in dem Teilgutachten vom 6. August 2012, dass in den Wald-Lebensraumtypen nur eine schwache Durchforstung im Rahmen einer extensiven Bestandspflege durchgeführt werde, entspricht im Übrigen auch den Feststellungen von c. vom 29. Juni 2012. Das Gebiet wird danach forstwirtschaftlich nur in geringem Maße genutzt. Der Vorwurf des Klägers, es sei nicht klar, welcher „status quo“ der Waldbewirtschaftung in die Modellierung eingegangen sei, trifft daher nicht zu.
841(b) Die Sachverständigen V. und K. sind in ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 15. Juni 2016 ferner zu der Einschätzung gelangt, dass die abweichend von der SMB-Modellvorgabe nach dem DECOMP-Modell bestimmten Werte der Stickstoff-Immobilisierungsrate mit einer Spanne von 1,66 bis 4,17 kg N/(ha*a) unterhalb der Werte lägen, die sich bei einer Berechnung nach der SMB-Methode ergeben hätten. Sie seien daher trotz der methodischen Abweichung ebenso plausibel wie die zutreffend mit dem BERN-Modell ermitteltenCritical Limits des C/N-Verhältnisses mit Werten von 18 bis 22. Die Werte des Terms „kritische Austragsrate der Säureneutralisierungskapazität“ seien nach der im BASt-Vorhaben empfohlenen Vorgehensweise ermittelt worden und hätten mit den ergänzend von der Gutachterin Dr. T2. zur Verfügung gestellten Unterlagen auch validiert werden können. Die - ebenfalls abweichend nach dem DECOMP-Modell ermittelten - Stickstoff-Denitrifikationsfaktoren von etwa 0,5 bis 0,65 seien insbesondere für die Bestände der „Wälder bei Cappenberg“ der Höhe nach völlig plausibel. Dasselbe gelte für die hohe Denitrifikationsrate der Auwald-Lebensraumtypen.
842(c) Die Vorgehensweise der Gutachterin Dr. T2. sei auch in Bezug auf die besonders sensiblen abiotischen Standortfaktoren Niederschlagsmenge im Jahr und Jahresmitteltemperatur plausibel. Ein Korrekturbedarf sei hier nicht gegeben. Die Jahressumme der Niederschläge und die Jahresdurchschnittstemperatur seien, wie in dem BASt-Vorhaben gefordert, den 1 km x 1 km Rasterdatensätzen der Klimadatenreihe des Deutschen Wetterdienstes für die Periode 1981 bis 2010 entnommen worden. Die Gutachterin habe in ihrer Stellungnahme vom 24. Mai 2016 klargestellt, dass sie nicht - wie in dem Teilgutachten vom 6. August 2012 angegeben - mit einer zu niedrigen Jahresniederschlagssumme von 700 mm/a, sondern mit 820 mm/a gerechnet habe. Dieser Wert weiche nicht wesentlich von den Werten des Deutschen Wetterdienstes an den Beurteilungspunkten mit Spannen von 823 bis 895 mm ab. Dies gelte auch für die gegenüber den Werten des Deutschen Wetterdienstes (10,0°C - 10,5°C) etwas zu niedrig angesetzte Jahresdurchschnittstemperatur zwischen 9,5°C und 10°C.
843Die weiteren Faktoren Bodentyp, Substratschichtung, Muttergestein und Hydromorphietyp stammen aus den im Genehmigungsverfahren von der Beigeladenen in Auftrag gegebenen und angefertigten Bodenkarten im Maßstab 1:50.000 (Bk 50) und 1:5.000 (Bk 5) sowie der bodenkundlichen Aufnahme des FFH-Gebiets „Wälder bei Cappenberg“ von Erlach/Schwender vom 29. Juni 2012. Die Sachverständigen haben die Heranziehung dieser Unterlagen nicht beanstandet. Soweit die Sachverständigen dagegen bemängeln, dass die Angaben in Tabelle 29 des Teilgutachtens zum aktuellen bodenchemischen Zustand der Böden an den Beurteilungspunkten C1 bis C 11 nicht mit den entsprechenden Analysewerten der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt in Einklang stünden, wirkt sich dieser Fehler nicht auf die Modellierung der Critical Loads aus, sondern wird erst bei einem Abgleich der modellierten Critical Loads mit den Critical Loads aus Anhang I des BASt-Berichts relevant. Die Oberböden seien bei Zugrundelegung der bodenchemischen Analysewerte der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt mit Ausnahme der basenreichen Standorte C 1 und C 8 jeweils abweichend von der in Tabelle 21 des Teilgutachtens vom 6. August 2012 vorgenommenen Einstufung als „basenarm“ einzustufen. Die Liste des Anhangs I des BASt-Berichts biete für solche basenarme Ausprägungen der betroffenen Lebensraumtypen 9110, 9130 und 9160 keine einem Vergleich zugänglichen Referenz-Ausprägungen an.
844(d) Die auf der Grundlage der abiotischen Standortfaktoren erfolgte Zuordnung der an den Beurteilungspunkten aufgefundenen Lebensraumtypen zu den Indikatorgesellschaften mit einem günstigen Referenz-Zielerhaltungszustand wird von den Sachverständigen ebenfalls nicht bemängelt. Die dem BERN-Modell entnommenen Quellen für die Indikatorgesellschaften sind in Tabelle 26 des Teilgutachtens aufgelistet. Das angeführte Datenmaterial stammt aus den Jahren 1916 bis 1972, die Indikatorgesellschaften für die in dem FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ gelegenen Beurteilungspunkte TKL 26 bis TKL 31 sowie C1 bis C11 entstammen Untersuchungen aus den Jahren 1936 (2 Beurteilungspunkte), 1942 (1 Beurteilungspunkt), 1957 (4 Beurteilungspunkte), 1959 (2 Beurteilungspunkte) und 1960 (8 Beurteilungspunkte). Die ursprüngliche Forderung des Klägers nach Referenzuntersuchungen von vor den 1970er Jahren ist damit erfüllt. Die zuletzt erhobene Forderung des Klägers nach Referenzuntersuchungen von vor den 1920er Jahren ist zu weitgehend. Untersuchungsergebnissen kommt aufgrund der Unterschiede in der Erhebungsmethodik eine umso geringere Aussagekraft zu, je älter sie sind.
845Die mit dem SMB-Modell ermittelten Belastbarkeitsschwellen sichern entgegen der Annahme des Klägers nicht nur die bloße Möglichkeit der Existenz der jeweiligen Pflanzengesellschaft. Sie sichern modellbedingt die 100 %-Existenzmöglichkeit der Indikatorpflanzengesellschaft und damit die uneingeschränkte Möglichkeit ihrer Existenz, d. h. einen Zustand der maximal möglichen vollen Funktionstüchtigkeit und Selbstregenerationskraft.
846(e) Korrekturbedarf besteht allerdings bei dem Ansatz der - der Versauerung grundsätzlich entgegenwirkenden und die Critical Loads erhöhenden - Deposition basischer Kationen und der - als basenneutralisierend hiervon abzuziehenden, die Critical Loads senkenden - Deposition von Chlorid. Die Sachverständigen V. und K. haben aufgezeigt, dass die (nur) beim Abzug von Chlorid erfolgte Seesalzkorrektur der Konvention des BASt-Vorhabens widerspreche. Dieses habe für die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung den im Vergleich zu den anthropogen verursachten Anteilen überwiegenden Seesalzanteil der basischen Kationen und von Chlorid als natürliche Komponenten in den Vordergrund stellen wollen. Deshalb sollten die basischen Kationen und Chlorid abweichend von der Konvention der Luftreinhalteplanung -
847ICP Modelling & Mapping Manual, Kapitel V, S. 16 und Kapitel II, S. 10 f., www.icpmapping.org -
848ohne Seesalzkorrektur in die Berechnung eingestellt werden. Im Zusammenhang mit der vorliegenden Überprüfung des Teilgutachtens von P. -E. nach entsprechenden Hinweisen des Klägers habe sich jedoch herausgestellt, dass dieser Ansatz des BASt-Vorhabens in der Praxis nicht ohne Weiteres umgesetzt werden könne. Die Hintergrundbelastung der basischen Kationen und von Chlorid lasse sich den vom Umweltbundesamt erhobenen und veröffentlichten Daten (hier Stand 2012, Bezugsjahr 2007) entnehmen. Die Datensätze des Umweltbundesamtes enthielten nicht die für den BASt-Ansatz erforderlichen Werte der ‑ tendenziell die Werte der Trockendeposition von Natrium übersteigenden - Trockendeposition von Chlorid. Deren Kenntnis sei im Rahmen des auch vom Umweltbundesamt vertretenen Ansatzes der Luftreinhalteplanung nicht erforderlich, weil dort seesalzkorrigierte Werte verwendet würden und die Trockendeposition von Chlorid im Wesentlichen meeresbürtig sei. Dass diese Information in den Datensätzen fehle, sei den Teilnehmern des BASt-Vorhabens nicht bewusst gewesen. Bei dieser Sachlage hielten sie es - wie der Kläger - für angezeigt, von der Konvention des BASt-Vorhabens abzuweichen und in der Berechnung der Critical Loads für die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung ausschließlich seesalzkorrigierte Werte zu verwenden; dies sei zweckmäßiger, als die Trockendeposition von Chlorid anhand des Umrechnungsfaktors 1,166 -
849ICP Modelling & Mapping Manual, Kapitel II, S. 11 Table 2.1, www.icpmapping.org -
850aus dem entsprechenden Natriumwert abzuleiten. Stelle man nach alledem sowohl die basischen Kationen als auch Chlorid seesalzkorrigiert in die Berechnung der Critical Loads ein, ergäben sich bei gleichzeitiger Außerachtlassung der Natriumdeposition an den in der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung betrachteten Beurteilungspunkten Abzüge in einer Größenordnung zwischen 400 und 1115 eq.
851Die Gutachterin Dr. T2. hat nicht in Zweifel gezogen, dass der Ansatz des BASt-Vorhabens, auf eine Seesalzkorrektur zu verzichten, aufgrund der unzureichenden Datenbasis nicht realisierbar ist. Die von der Gutachterin Dr. T2. in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 dagegen geäußerten Zweifel an der alternativen Vorgehensweise der Sachverständigen dringen nicht durch. Dies gilt insbesondere, soweit sie in Frage gestellt hat, ob die Natriumdeposition in der Berechnung vollständig außer Acht gelassen werde durfte. Ihre Annahme, der aus der Sahara, dem Tagebau oder anderen anthropogenen Quellen stammende Natriumanteil sei in einer Höhe von bis zu 500 eq zu berücksichtigten, ist nicht überzeugend. Der Sachverständige V. hat für den Senat nachvollziehbar in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 erklärt, dass der Meereinfluss bei der Natriumdeposition nach dem ihm bekannten Kartenmaterial des Umweltbundesamts überwiegt und nicht in nennenswertem Umfang von solchen anthropogenen oder anderen Einträgen überlagert wird. Dies belegten insbesondere die Werte im Ruhrgebiet, das eine Vielzahl anthropogener Quellen aufweise. Auch dort gingen die Werte der Nass- und der Trockendeposition mit der Entfernung vom Meer nach unten. Andere Erkenntnisse seien ihm nicht bekannt. Auch die Fachliteratur gehe davon aus, dass die anthropogenen Einträge von Natrium wegen ihrer Geringfügigkeit vernachlässigt werden könnten. Der Kläger weist insoweit zu Recht ergänzend darauf hin, dass das ICP Modelling & Mapping Manual 2004/2015 ebenfalls davon ausgehe, dass die Natriumdeposition im westlichen und nördlichen Europa regelmäßig ausschließlich aus dem Meer stamme und es diese daher als sog. „tracer“ in der Critical Load-Berechnung auf „Null“ setze.
852Vgl. ICP Modelling & Mapping Manual, Kapitel V, S. 11, www.icpmapping.org.
853Auch der BASt-Bericht geht - mit der Gutachterin Dr. T2. als Mitautorin - davon aus, dass in Deutschland Einträge aus Sahara-Sandstäuben keine Rolle spielen. Hier seien es die Einträge aus Seesalz-Spray, insbesondere aus der Nordsee, die als natürliche Quellen signifikante Auswirkungen auf den Säure-Basen-Status der Ökosysteme hätten. Der Seesalzeintrag korreliere eng mit der Entfernung zur Nordsee.
854Mit diesen Erkenntnissen lässt sich die - bei einer Gesamthintergrunddeposition im Jahr 2007 von Natrium in Höhe von 428 eq am Beurteilungspunkt 9 und bis zu 864 eq an den Beurteilungspunkten C1 bis C 4 implizite - Annahme der Gutachterin nicht in Einklang bringen, gerade in den betroffenen FFH-Gebieten überwiege dagegen ganz deutlich der anthropogen verursachte Natriumanteil.
855(f) Weiterer Korrekturbedarf besteht nach Ansicht der Sachverständigen V. und K. beim Eingangsparameter „Verwitterungsrate basischer Kationen“. Die Verwitterungsrate werde tiefenstufengewichtet anhand der jeweiligen Muttergesteins- und Texturklasse berechnet. Die Oh-Auflage (organische Humusauflage), die in dem Teilgutachten insoweit mit jeweils 50 eq berücksichtigt worden sei, sei einer solchen Klassifizierung nicht zugänglich. Nach gängiger Lehrmeinung finde in der Oh-Auflage zwar eine biologische Immobilisierung von basisch wirkenden Kationen und von Stickstoffverbindungen statt, die bei der Freisetzung als Säure wirkten; soweit die dort gebildeten Stoffe wieder in den Stoffkreislauf zurückkehrten, fänden Mineralisierungsvorgänge statt, die jedoch nicht - wie geschehen - bei der Basenverwitterung, sondern bei der Nettoimmobilisierung zu berücksichtigen seien. Die Ausführungen der Sachverständigen sind nachvollziehbar. Sie stehen insbesondere auch in Einklang mit den Vorgaben des BASt-Vorhabens. Danach sind organische Ausgangssubstrate der Substratklasse 0 und als solche ungeachtet ihrer Texturklasse der Verwitterungsklasse 0 zugeordnet. Der Verwitterungsklasse 0 entspricht eine Verwitterungsrate von 0 eq (ha*a).
856Vgl. BASt-Bericht, S. 172 ff., Tabellen 32, 34 und 35.
857Dem entsprechen die Ausführungen der Gutachterin Dr. T2. auf den Seiten 45 ff. (3.5.3.5) und Tabellen 16, 18 und 19 des Teilgutachtens vom 6. August 2012, wo sie ihre Vorgehensweise bei der Ermittlung der Verwitterungsrate beschreibt. Ihr Hinweis in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016, das ICP Modelling & Mapping Manual sehe für die Humusauflage eine Verwitterungsklasse vor, stellt dies nicht in Frage.
858Die Sachverständigen haben zwar sowohl in ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 15. Juni 2016 als auch in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 betont, dass die Vorgehensweise der Gutachterin Dr. T2. bei der Ermittlung dieses Parameters ansonsten an etlichen Stellen - etwa bei den vertretbar zugrundegelegten Boden- und Durchwurzelungstiefen - konservativ gewesen sei. Auch die Abweichungen, die sich bei der Zuordnung der einzelnen Bodenhorizonte bzw. -schichten zu der Texturklasse aufgrund der im Gutachten durchgeführten Fuzzyfizierung ergäben, erforderten keine weitere Korrektur. An dem Abzug der Verwitterungsrate für die Oh-Auflage in Höhe von 50 eq werde aber auch deshalb festgehalten, weil die eigenen Nachberechnungen die Behauptung der Gutachterin nicht bestätigt hätten, sie habe auch deshalb konservativ gerechnet, weil sie Korrekturfaktoren berücksichtigt habe, um die Ergebnisse nach dem Modell PROFILE zu erreichen.
859(g) Es bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass das SMB-Modell deshalb nicht zu angemessenen Ergebnissen führt, weil insbesondere die Böden in dem FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ bereits irreversibel geschädigt wären. Davon gehen auch die Sachverständigen V. und K. nicht aus. Der BASt-Bericht geht von einer irreversiblen Schädigung dann aus, wenn stark gestörte Pflanzengesellschaften mit deutlich unvollständigem Arteninventar vorliegen, wobei eine Artenausstattung in dem Erhaltungszustand C (mittel bis schlecht) einen Anhaltspunkt für eine solche Sachlage liefern kann. Eine irreversible Schädigung ist ferner bei endversauerten Standortverhältnissen gegeben, d. h. bei pH(H2O)-Werten kleiner als 3,2. Dieser pH(H2O)-Wert markiert den niedrigsten akzeptablen pH(H2O)-Wert des Aluminium-Eisen-Puffers,
860vgl. BASt-Bericht, S. 162, Tabelle 26 (Pufferbereiche nach Ulrich, Stabilität, Elastizität und Resilienz von Waldökosystemen unter dem Einfluss saurer Deposition, Forstarchiv 58 (1987), 232),
861vor dem Übergang in den Eisen-Puffer, der durch einen extremen Nährstoffmangel sowie eine Eisen-und Aluminiumtoxizität geprägt ist.
862Vorliegend fehlt es an solchen Anhaltspunkten für eine irreversible Schädigung der Böden in den „Wäldern bei Cappenberg“. Die Lebensraumtypen befinden sich nach der Bewertung durch c. im Jahr 2012 überwiegend in einem guten Erhaltungszustand (B).
863Der Vegetationszustand der Lebensraumtypen wurde dem Biotopkataster des Landes Nordrhein-Westfalen, der Neukartierung von weluga aus dem Jahr 2010 und den von c. in den „Wäldern bei Cappenberg“ erhobenen Vegetationsaufnahmen entnommen. Die Kritik des Klägers an dem Kartenmaterial und den vegetationskundlichen Erhebungen greift nicht durch. Das LANUV und der Geologische Dienst haben unter dem 8. Februar 2012 detaillierte Vorgaben zu Umfang und Methodik der Vor-Ort-Datenerhebungen gemacht. Das LANUV hat nach Prüfung der vorgelegten Unterlagen unter dem 7. Dezember 2012 bestätigt, dass die einzelnen Untersuchungen diesen Vorgaben entsprechen. Die Forderung des Klägers nach weiteren umfangreichen Vegetationsaufnahmen und Bodenuntersuchungen oder -analysen ist vor diesem Hintergrund unbegründet. Seine Kritik an den Vegetationsaufnahmen von c. stellt deren Aussagekraft nicht in Frage. Nach den textlichen Ausführungen der Aktualisierung der LRT-Kartierung im FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ von c. vom 29. Juni 2012 ist die Erfassung und Bewertung der FFH-Lebensraumtypen in enger Abstimmung mit dem LANUV erfolgt. Es hätten verschiedene gemeinsame Exkursionen stattgefunden, auf denen die Bewertung und Einstufung der verschiedenen Lebensraumtypen im Gelände diskutiert und abgestimmt worden seien. Vor diesem Hintergrund spricht nichts für die Annahme, dass die ausgewählten Flächen nur einen „geschönten“ Teil der Situation repräsentieren und die Standards für Vegetationserhebungen nicht eingehalten worden wären. Auch die Bewertung der Lebensraumtypen überwiegend mit einem Erhaltungszustand B (gut) ist nachvollziehbar. Dies gilt trotz des von c. festgestellten stellenweise starken Auftretens von Eutrophierungszeigern. Die Bewertung der einzelnen LRT-Flächen erfolgte nach den Bewertungsbögen der Kartieranleitung der ehemaligen Landesanstalt für Ökologie, Bodenordnung und Forsten NRW (LÖBF (2004). Insgesamt wurden 101 Flächen einer Betrachtung und Bewertung unterzogen. In die zusammenfassende Gesamtbewertung der einzelnen Flächen sind die Einzelbewertungen zu unterschiedlichen Kriterien eingeflossen. Die Beeinträchtigung des jeweiligen Lebensraumtyps durch Eutrophierungs- und sonstige Störzeiger, durch Befahrung und durch das Wasserregime ist nur eines dieser Kriterien. Daneben wurden die im Einzelnen aufgeführten lebensraumtypischen Gehölze auf ihre Wuchsklassenverteilung, auf den Anteil der Altbäume und das Vorkommen von Totholz hin betrachtet und entsprechend der Ausprägung klassifiziert. Die Flächen wurden weiter auf das anteilmäßige Vorhandensein der lebensraumtypischen Arten in der Hauptschicht und weiteren Schichten hin untersucht und ebenfalls entsprechend klassifiziert. Einer Bewertung der für die betroffenen Lebensraumtypen nicht charakteristischen Moos- und Flechtenarten bedurfte es nicht.
864Für die Frage, ob die Böden in den „Wäldern bei Cappenberg“ im Zustand der Endversauerung sind, ist nach den Vorgaben des BASt-Berichts in erster Linie auf den pH-Wert der Böden abzustellen. Um den notwendigen Vergleich zwischen den gemessenen pH-Werten und den kritischen Spannengrenzen für die Pufferbereiche der Böden nach Ulrich 1987,
865vgl. BASt-Bericht, S. 162 Tabelle 26 (Pufferbereiche nach Ulrich, Stabilität, Elastizität und Resilienz von Waldökosystemen unter dem Einfluss saurer Deposition, Forstarchiv 58 (1987), 232),
866- dem sogenannten pHcrit - zu ermöglichen, bietet es sich an, insoweit auf den hier verwendeten pH(H2O)crit-Wert abzustellen. Eine irreversible Endversauerung ist danach nicht zu erkennen. Insoweit kann dahinstehen, ob die von dem Kläger geforderte horizontweise Betrachtung der pH-Werte zielführend ist, obwohl der pH(H2O)crit-Wert nach Ulrich ein über den gesamten Wurzelbereich tiefenstufengewichteter Mittelwert ist, und ob dieser Mittelwert in dem Teilgutachten von P. -E. zutreffend gebildet wurde. Die Aussage, dass die pH(H2O)-Mittelwerte die untere Grenze des Aluminium-Eisen-Pufferbereichs nicht unterschreiten, d. h. nicht unterhalb des Werts 3,2 liegen, trifft auch bei der vom Kläger geforderten horizontweisen Betrachtung der für die Beurteilungspunkte C 1 bis C 11 erhobenen pH-Werte zu. Etwas anderes gilt auch nicht für die Profilpunkte, die von dem Gutachter des Klägers, Dr.-Ing. H. , untersucht wurden. Auch hier liegt kein pH(H2O)-Wert unterhalb des niedrigsten akzeptablen Werts des Austauscherbereichs Mangan-Oxide. Selbst die tendenziell niedrigeren pH(KCl)-Werte und pH(CACl2)-Werte liegen - mit Ausnahme des pH(KCl)-Werts der obersten Mineralbodenschicht am Profilpunkt 6 mit einem pH-Wert von 3,14 - oberhalb des Werts 3,2 und damit jedenfalls innerhalb des Aluminiumpuffers.
867(h) Die Annahme des Teilgutachtens von P. -E. , dass die in den „Wäldern bei Cappenberg“ durchgeführten Kalkungen diese Werte nicht mehr beeinflussen, erscheint auch den Sachverständigen V. und K. wegen des Zeitablaufs seit der letzten Kalkung im Jahr 1993 plausibel. Dass die Böden der „Wälder bei Cappenberg“ insgesamt schon irreversibel geschädigt wären, behauptet schließlich auch der Kläger nicht. Er geht im Ergebnis davon aus, dass die Böden sich im Zustand einer laufenden Degradation befinden.
868(i) Dem von dem Kläger geforderten Vergleich mit den im Rahmen des sog. PINETI-Vorhabens des Umweltbundesamtes berechneten Critical Loads für versauernde Einträge kommt keine Aussagekraft zu. Das Umweltbundeamt rät in den Erläuterungen zu den Hintergrundbelastungsdaten - Ergebnisse und Daten des PINETI-Projekts -, Stand 3. November 2015, davon ab, die Critical Loads aus dem PINETI-Projekt bei lokalen Bewertungen auf der Ebene der Bundesländer anzuwenden. Der für die Critical-Loads-Berechnung erhobene Datensatz sei aufgrund der geringen räumlichen Auflösung hierfür nicht geeignet. Für die nationale Karte seien die Eingangsdaten aus nationalen Kartenwerken (für den für die Berechnung maßgeblichen Bodentyp etwa aus der Bodenübersichtskarte mit einem Maßstab 1:1.000.000) abgeleitet worden.
869(j) Nach alledem ergeben sich an den Beurteilungspunkten folgende korrigierte Critical Loads (alle Werte sind in eq (N+S)/ha*a) angegeben):
870BP |
LRT |
∑BCdep |
Bc (seesalzkorr.) |
Cldep(nass) |
Abzug vom CL (P. -E. ) |
CL (P. -E. ) |
neuer CL bei zusätzlichem Abzug von 50 eq |
1 |
9190 |
1.312 |
350 |
65 |
1.027 |
(**) |
|
2 |
91F0 |
1.299 |
350 |
65 |
1.014 |
(**) |
|
3 |
91E0 |
1.272 |
343 |
64 |
993 |
(**) |
|
4 |
91F0 |
1.276 |
349 |
65 |
992 |
(**) |
|
6 |
91E0 |
1.295 |
360 |
62 |
997 |
2.112 |
1.065 |
7 |
9190 |
1.295 |
360 |
62 |
997 |
1.971 |
924 |
7b |
9110 |
1.295 |
360 |
62 |
997 |
1.863 |
816 |
9 |
6510 |
730 |
384 |
61 |
407 |
(**) |
|
11 |
9160 |
1.368 |
386 |
60 |
1.042 |
(**) |
|
12 |
91F0 |
1.368 |
386 |
60 |
1.042 |
2466 |
1.374(*) |
13 |
6430 |
838 |
401 |
61 |
498 |
4162 |
3.614 |
14 |
6430 |
849 |
406 |
59 |
502 |
4199 |
3.647 |
18 |
91E0 |
1.429 |
407 |
61 |
1.083 |
3605 |
2.472 |
18b |
91E0 |
1.420 |
406 |
61 |
1.075 |
4176 |
3.051 |
18c |
91E0 |
1.420 |
406 |
61 |
1.075 |
4176 |
3.051 |
19 |
91E0 |
1.447 |
418 |
63 |
1.092 |
3617 |
2.475 |
20 |
6430 |
836 |
382 |
61 |
515 |
4298 |
3.733 |
22 |
3150 |
836 |
382 |
61 |
515 |
4123 |
3.558 |
23 |
6510 |
730 |
385 |
61 |
406 |
2825 |
2.369 |
24 |
91F0 |
1.349 |
380 |
61 |
1.030 |
3648 |
2.568 |
26 |
9110 |
1.372 |
386 |
66 |
1.052 |
2850 |
1.748 |
27 |
9110 |
1.372 |
386 |
66 |
1.052 |
2848 |
1.746 |
28 |
9110 |
1.364 |
383 |
63 |
1.044 |
2841 |
1.747 |
29 |
91E0 |
1.345 |
383 |
64 |
1.026 |
3216 |
2.140 |
30 |
9110 |
1.351 |
372 |
67 |
1.046 |
2781 |
1.685 |
31 |
9160 |
1.323 |
366 |
68 |
1.025 |
2536 |
1.461 |
C1 |
9160 |
1.460 |
413 |
68 |
1.115 |
2635 |
1.470 |
C2 |
9130 |
1.460 |
413 |
68 |
1.115 |
2623 |
1.458 |
C3 |
9130 |
1.460 |
413 |
68 |
1.115 |
2754 |
1.589 |
C4 |
9130 |
1.460 |
413 |
68 |
1.115 |
3016 |
1.851 |
C5 |
9110 |
1.372 |
386 |
66 |
1.052 |
2850 |
1.748 |
C6 |
9110 |
1.365 |
382 |
64 |
1.047 |
2422 |
1.325 |
C7 |
9110 |
1.364 |
382 |
64 |
1.046 |
2841 |
1.745 |
C8 |
91E0 |
1.345 |
372 |
64 |
1.037 |
3216 |
2.129 |
C9 |
9160 |
1.323 |
366 |
69 |
1.026 |
2536 |
1.460 |
C10 |
9160 |
1.323 |
366 |
69 |
1.026 |
2751 |
1.675 |
C11 |
9110 |
1.323 |
366 |
69 |
1.026 |
2800 |
1.724 |
(*) Die versauernden Einträge des Kraftwerks Lünen in Höhe von 5,5 eq (N+S)/(ha*a) sind nach dem lebensraumspezifischen Abschneidewert (0,5 % des neuen Critical Loads = 6,9 eq) abgeschnitten, s.u.
872(**) Die versauernden Einträge des Kraftwerks Lünen liegen bereits unterhalb des Abschneidewerts von 5 eq.
873(6) Unter Zugrundelegung der dargelegten Critical Loads übersteigt an den meisten der in der FFH-Verträglichkeitsprüfung untersuchten Beurteilungspunkte die vom Umweltbundesamt für das Bezugsjahr 2007 veröffentlichte und in dem P. -E. -Teilgutachten vom 6. August 2012 zutreffend zugrunde gelegte Vorbelastung die ökologischen Belastungsgrenzen sowohl für Eutrophierung als auch für Versauerung mit der Folge, dass eine erhebliche Beeinträchtigung der von den Kraftwerksimmissionen betroffenen terrestrischen Lebensräume nicht ohne weiteres auszuschließen ist.
874Bereits die hohen Vorbelastungswerte, die die Belastungsgrenze in den Wäldern bei Cappenberg flächendeckend überschreiten, deuten darauf hin, dass eine zusätzliche Belastung durch eutrophierend und versauernd wirkende Luftschadstoffe eine erhebliche Beeinträchtigung verursachen kann. Wie oben ausgeführt, ist grundsätzlich jede Zusatzbelastung erheblich, wenn die Vorbelastung die für das Erhaltungsziel naturschutzfachlich unbedenkliche Belastungsgrenze ausschöpft oder sogar überschreitet. Jede weitere Belastung läuft prinzipiell der Bewahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands zuwider, es sei denn die Zusatzbelastung übersteigt nicht die oben dargelegte Bagatellschwelle von je 3 % des Critical Loads für eutrophierende und versauernde Einträge. Derart geringe Zusatzbelastungen liegen unter der naturschutzfachlich bestimmten Wirkungsschwelle und sind - wie oben dargestellt - deshalb nicht geeignet, eine erhebliche Beeinträchtigung des Schutzgebiets zu verursachen.
875(7) Um das Maß der Beeinträchtigung ausreichend beurteilen zu können, müssen die bei Realisierung des Projekts im Zusammenwirken mit anderen Plänen und Projekten zu erwartenden Auswirkungen ermittelt und bewertet werden.
876Nach dem oben näher dargestellten Prioritätsprinzip waren im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung als weitere Zusatzbelastung diejenigen Vorhaben zu berücksichtigen, für die nach Unterschutzstellung der Gebiete (7. Dezember 2004) und vor der erstmaligen Einreichung der vollständigen prüffähigen Antragsunterlagen durch die Beigeladene am 31. März 2007 ebenfalls vollständige, prüffähige Unterlagen eingereicht worden waren, so dass deren Auswirkungen zumindest hinreichend konkret absehbar waren.
877Die Beigeladene hat ihre prioritäre Stellung nicht dadurch verloren, dass der zunächst erteilte Vorbescheid vom 6. Mai 2008 mit rechtskräftigem Urteil vom 1. Dezember 2011 aufgehoben wurde. Die Realisierung des Kraftwerksprojekts der Beigeladenen, für das schon bestandskräftige Teilgenehmigungen vorlagen, war trotz der Aufhebung des ersten Vorbescheides nicht erkennbar ausgeschlossen. Entsprechend hat die Beigeladene das Vorbescheidsverfahren schon vor Eintritt der Rechtskraft des Urteils weiter betrieben; der Vorbescheid sollte die Grundlage für die bereits erteilten Teilgenehmigungen wiederherstellen (s. a. unten unter I. 8.).
878Hinsichtlich der konkreten Auswirkungen der nach dem Prioritätsprinzip zu berücksichtigenden Projekte ist dabei der jeweilige Genehmigungsstand einschließlich etwaiger Reduzierungen der Emissionen zugrundezulegen. Altvorhaben ‑ also insbesondere Vorhaben, die vor der Aufnahme eines Gebiets in die Liste der europäischen Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung genehmigt wurden - werden dagegen nicht in der Zusatzbelastung, sondern als Vorbelastung berücksichtigt. Sie gehen als Bestandteil der im Datensatz des Umweltbundesamtes abgebildeten Hintergrundbelastung in die Gesamtbelastung ein. Vorhaben, für die ein prüffähiger Antrag erst nach dem Zeitpunkt der Antragstellung der Beigeladenen gestellt wurde, sind mit Blick auf das Prioritätsprinzip bei der Zusatzbelastung auch dann nicht zu berücksichtigen, wenn sie bereits in Betrieb sind.
879Nach alledem sind neben dem Kraftwerksvorhaben Datteln 4 (Uniper, früher E.O.N.) auch die Tierhaltungsanlagen H1. (Hof Nr. 1), T3. (Hof Nr. 3), T4. -H2. (Hof Nr. 22) und T5. U. (Hof Nr. 24) in die Zusatzbelastung mit einzubeziehen. Der geänderte Kupferwerkrecyclingbetrieb der B. AG ist dagegen ebenso wenig zu berücksichtigen wie das Biomassekraftwerk Lünen.
880Im Einzelnen gilt Folgendes:
881(a) Das Kraftwerk Datteln 4 (Uniper, früher E.O.N.) ist ungeachtet der Frage, von welchem Zeitpunkt an die Auswirkungen eines parallelen Projekts hinreichend konkret absehbar sind, zeitlich vorrangig, weil bereits der erste Vorbescheid vom 31. Januar 2007 und auch die 1. Teilgenehmigung vom 7. Februar 2007 für dieses Kraftwerk vor Einreichung des ersten Genehmigungsantrags für das streitbefangene Kohlekraftwerk am 9. März 2007 ergangen sind. Weder die rechtskräftige Aufhebung des dem Vorhaben Datteln 4 zugrunde liegenden Bebauungsplans,
882OVG NRW, Urteil vom 3. September 2009 ‑ 10 D 121/07.NE -, DVBl. 2009, 1385, nachgehend: BVerwG, Beschluss vom 16. März 2010 - 4 BN 66.09 -, NVwZ 2010, 1246,
883noch die rechtskräftige Aufhebung des Vorbescheids für das Kraftwerk Datteln 4 durch den Senat mit Urteil vom 12. Juni 2012 in der Sache 8 D 38/08.AK und die damit verbundene Unsicherheit, ob, wann und in welcher Form das Kraftwerk Datteln 4 realisiert wird, hat zur Folge, dass das Vorhaben bei der Summationsbetrachtung außer Betracht zu bleiben hätte. Eine Realisierung dieses - zwischenzeitlich in weiten Teilen fast fertig gestellten - Kraftwerks ist ungeachtet dessen gegenwärtig ebenfalls nicht erkennbar ausgeschlossen, zumal auch insoweit einzelne Teilgenehmigungen bestandskräftig geworden und ein neuer Bebauungsplan erlassen worden ist. Das Vorsorgeprinzip gebietet die Berücksichtigung des Kraftwerksvorhabens Datteln 4 im Rahmen der Summationsbetrachtung, weil die Betriebsgenehmigung für das Vorhaben Datteln 4 nach den Grundsätzen des Prioritätsprinzips nicht wegen nachträglich genehmigter Zusatzbelastungen durch das zeitlich nachrangige Vorhaben der Beigeladenen verweigert werden könnte.
884Die Stilllegung der alten Kraftwerksblöcke Datteln 1-3 ist im Rahmen der Summationsbetrachtung als Schadensminderungsmaßnahme ebenfalls zu berücksichtigen. Das Kraftwerksvorhaben Datteln 4 war von Anfang an so geplant, dass nach seiner Inbetriebnahme die alten Kraftwerksblöcke Datteln 1-3 verbindlich stillzulegen sind. Dementsprechend enthielt der aufgehobene Vorbescheid für das Kraftwerk Datteln 4 noch eine entsprechende Regelung, die die Stilllegung der alten Kraftwerksblöcke sicherstellte. Einer solchen Regelung bedarf es in einer neu zu erteilenden Genehmigung jedoch nicht mehr, weil die Beigeladene nunmehr bereits vor Inbetriebnahme des neuen Kraftwerks Datteln 4 auf den weiteren Betrieb der alten Kraftwerksblöcke Datteln 1-3 verbindlich verzichtet und sie stillgelegt hat. Mit der endgültigen Stilllegung ist sichergestellt, dass mit der Realisierung des Kraftwerks Datteln 4 keine höheren als die sich aus der Differenz beider Vorhaben ergebenden Zusatzbelastungen verbunden sein werden. Diese Zusatzbelastung errechnet sich bei der auch insoweit gebotenen konservativen Vorgehensweise aus der Differenz zwischen den Immissionsbeiträgen des neuen Kraftwerks bei einer Worst-case-Betrachtung, also insbesondere unter der Prämisse, dass der Genehmigungsumfang in zeitlicher und kapazitativer Hinsicht vollständig ausgenutzt wird, und den tatsächlichen bisherigen Immissionsbeiträgen des Altkraftwerks Datteln 1-3.
885(b) Die Bezirksregierung hat im gerichtlichen Verfahren unter anderem eine Aufstellung der im Zeitraum vom 7. Dezember 2004 bis zum 31. März 2007 (vollständig) beantragten Tierhaltungsanlagen vorgelegt. Nach den Vorgaben des Senats zum Abschneidekriterium (s.o.) waren nur solche Anlagen zu berücksichtigen, die bei einem anhand des Depositions-/Abschneidewerts 0,065 kg N/(ha*a) berechneten Mindestabstand auf eines der betroffenen FFH-Gebiete einwirken.
886Vgl. zu der Abstandsformel des Einwirkungsbereichs von Tierhaltungsanlagen: LANUV, Entwurf des Leitfadens zur Prüfung der FFH-Verträglichkeit von Stickstoff-Depositionen in empfindliche Lebensräume in FFH-Gebieten vom 18. September 2015, S.16.
887Diese Vorgabe erfüllen die Tierhaltungsanlagen der Landwirte L. I. H1. (Hof Nr. 1/Bullenstall und Kälbermast), Theo T3. (Hof Nr. 3/Mastschweine- und Ferkelplätze), X. T4. -H2. (Hof. Nr. 22/Mastschweine) und N2. T5. U. (Hof Nr. 24/Mastschweine). Die Genehmigungsanträge wurden für den Hof Nr. A am 8. Dezember 2004, für Hof Nr. B am 1. Dezember 2006, für Hof Nr. C am 20. Juni 2006 und für Hof Nr. 24 am 28. Januar 2007 gestellt. Die Genehmigungsanträge der in den Ausbreitungsrechnungen von N. -C. vom 31. Mai 2016/7. Juni 2016 und vom 13. Juni 2016 noch mit einbezogenen Tierhaltungsanlagen des Landwirts I1. (Hof Nr. 15) und der E1. & I2. Schweinemast GbR (Hof Nr. 19) sind nach dem 31. März 2007 eingereicht worden und daher als nachrangig nicht kumulierend zu berücksichtigen.
888(c) Block 5 des Steag-Kraftwerks Herne ist nicht zu berücksichtigen, weil dieses Projekt endgültig nicht verwirklicht wird.
889(d) Die Erweiterung des Kupferrecyclingbetriebs der B. AG ist bei der Summationsbetrachtung nach den Grundsätzen des Prioritätsprinzips ebenfalls nicht zu berücksichtigen. Sie ist zeitlich nachrangig, weil der Antrag auf Erteilung des (Änderungs-) Genehmigungsbescheids vom 4. April 2011 erst am 20. Oktober 2009 gestellt und am 26. Juni 2010 bekannt gemacht wurde. Beide Zeitpunkte liegen nicht nur deutlich nach der Bekanntmachung des ersten Vorbescheidantrags der Beigeladenen am 31. März 2007, sondern sogar deutlich nach der Erteilung des ersten Vorbescheids vom 6. Mai 2008. Bereits im vorangegangenen Verfahren wurde festgestellt, dass die früher beantragten Änderungsgenehmigungen keine Betriebserweiterungen, sondern ausschließlich Maßnahmen zur Emissionsminderung zum Gegenstand hatten. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht, wenn statt auf den Zeitpunkt der Bekanntmachung des ersten Vorbescheidantrags der Beigeladenen am 31. März 2007 auf den Zeitpunkt des Antrags der Beigeladenen für die - mittlerweile unanfechtbare - 2. Teilgenehmigung vom 14. Oktober 2008 am 29. April 2008 abgestellt würde. Der Antrag auf Änderungsgenehmigung für die Erweiterung des Kupferrecyclingbetriebs wurde am 26. Juni 2010 bekannt gemacht. Dieser Zeitpunkt liegt nach der Antragstellung und der Erteilung der 2. Teilgenehmigung vom 14. Oktober 2008. Er liegt sogar nach dem Zeitpunkt der Erteilung der ebenfalls unanfechtbaren 3. Teilgenehmigung vom 14. Januar 2009 für das streitbefangene Kohlekraftwerk.
890(e) Die Einwirkungen des Biomassekraftwerks Lünen unterfallen nicht der kumulierenden Betrachtung. Es wurde bereits vor der Unterschutzstellung der FFH-Gebiete mit Genehmigungsbescheiden vom 12. März 2004 und 17. Juni 2004 genehmigt.
891(f) Andere neue Projekte haben sich bislang nicht derart konkretisiert, dass für sie ein Antrag auf Genehmigung oder Planfeststellung gestellt worden wäre. Sie sind deshalb nicht zu berücksichtigen.
892Auf die Auswirkungen der geplanten B 474n kommt es im Rahmen der Summationsbetrachtung ebenfalls nicht an. Hinsichtlich des Teilabschnitts zwischen der A 45 und Datteln fehlt es an einer den oben dargestellten Anforderungen entsprechenden, hinreichend konkretisierten Planung. Der am 31. März 2009 vom Ministerium für Bauen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen planfestgestellte Teilabschnitt - Ortsumgehung Datteln - ist zwar zeitlich vorrangig; die Unterlagen wurden nämlich schon im Jahr 2005 ausgelegt. Der Senat geht aber mit der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung des TÜV Nord vom 6. August 2012 davon aus, dass sich die aufgrund des Verkehrs zu erwartenden zusätzlichen Luftschadstoffemissionen, da sie von bodennahen Quellen ausgehen und deshalb nur im näheren Umfeld zu erhöhten Schadstoffeinträgen führen, voraussichtlich nicht in den hier zu betrachtenden Schutzgebieten, jedenfalls nicht im hier letztlich maßgeblichen Schutzgebiet „Wälder bei Cappenberg“ auswirken werden. Ausweislich der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung geht das aktuelle Gutachten von Straßen NRW davon aus, dass schon relevante, auch mittelbare Einwirkungen auf das nächstgelegene FFH-Gebiet „Lippeaue“ ausgeschlossen werden können. Unmittelbare bau- und anlagebedingte Auswirkungen seien ausgeschlossen, weil die B 474n ca. 300 m vor der FFH-Gebietsgrenze auf die vorhandene B 235 einschleife und dann die vorhandene Brücke zur Querung des FFH-Gebiets nutze. Der geringste Abstand zwischen Bauende und der Gebietsgrenze betrage 100 m. Die Straßenquerung im Bereich der Lippeaue erhalte keine verkehrsmäßige Aufwertung, da die Verkehrszahlen durch die Ortsumgehung nicht erhöht würden, sondern in der Tendenz leicht zurückgingen. Der Kläger hat die Einschätzung der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung, eine weitere Betrachtung im Zusammenhang mit möglichen Kumulationen sei damit nicht erforderlich, nicht angegriffen. Sie ist auch sonst nicht zu beanstanden.
893(8) Ausgehend von den vorstehenden Prämissen führt das Vorhaben der Beigeladenen weder für sich genommen noch im Zusammenwirken mit den hier zu berücksichtigenden weiteren Projekten zu einer Überschreitung der Bagatellschwelle für eutrophierende Stickstoffeinträge. Die Zusatzbelastung der versauernden Stickstoff- und Schwefeleinträge liegt dagegen in Summation mit den Einwirkungen der weiteren Vorhaben in dem FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ teilweise oberhalb dieser Bagatellschwelle.
894Die Rügen des Klägers gegen die in den letztlich maßgeblichen Immissionsprognosen vom 6. August 2012 sowie vom 31. Mai 2016/7. Juni 2016 erfolgten Ausbreitungsrechnungen der von dem Vorhaben der Beigeladenen und dem Kraftwerkprojekt Datteln 4 ausgehenden Schwefel- und Stickstoffdepositionen dringen ebenso wenig durch wie die Rügen gegen die bei den Tierhaltungsanlagen angesetzten Ammoniakfaktoren oder den Abzug der Immissionen des Altkraftwerks Datteln 1-3.
895Die vom Kläger geforderte umfassende Überprüfung der Immissionsprognose für das Kraftwerkprojekt Datteln 4, die dem Senat in der Fassung vom 15. Februar 2013 vorliegt, oder der Immissions- bzw. Ammoniakprognosen der oben genannten Tierhaltungsanlagen kommt nicht in Betracht. Gegenstand der gerichtlichen Prüfung sind allein die für das streitbefangene Vorhaben vorgelegten Ausbreitungsrechnungen. Hinsichtlich der kumulierend mit einzubeziehenden Vorhaben sind diese lediglich darauf zu prüfen, ob sie methodisch nachvollziehbar sind und ob die für die kumulierenden Vorhaben eingestellten Parameter wie Ableitbedingungen und Emissionswerte mit den vorhandenen Informationen zu dem kumulierenden Vorhaben - etwa aus einer Immissionsprognose - übereinstimmen. Ist die Immissionsprognose des kumulierenden Vorhabens durch Bezugnahme auf die Antragsunterlagen verbindlicher Bestandteil einer bestandskräftigen (immissionsschutzrechtlichen) Genehmigung geworden, bedarf sie nicht mehr einer behördlichen oder gerichtlichen Überprüfung auf ihre Richtigkeit. Der Inhalt der Immissionsprognose kann ohne weitere Prüfung übernommen worden. Dies entspricht auch der vom LANUV in der Stellungnahme vom 8. Juni 2016 beschriebenen Vorgehensweise. Auch sonst scheidet eine Übernahme der Daten und Parameter aus Immissionsprognosen für kumulierende Vorhaben nur bei evidenten Fehlern aus.
896(a) Gemessen hieran sind die letztlich maßgeblichen Ausbreitungsrechnungen vom 6. August 2012 und vom 31. Mai 2016/7.Juni 2016 hinsichtlich der eutrophierenden und versauernden Stoffeinträge des Kraftwerks Datteln 4 nicht zu beanstanden. Das LANUV hat unter dem 7. Dezember 2012 festgestellt, dass sich aus den Unterlagen keine Anhaltspunkte für Unstimmigkeiten oder Unregelmäßigkeiten ergäben. Der Verwendung des Programms LASAT werde zugestimmt. Die Ableitbedingungen sowie die Emissionswerte für Schwefeldioxid, Stickstoffoxide und Ammoniak für das Kraftwerk Datteln 4 stimmten mit den entsprechenden Werten der damals aktuellen Immissionsprognose vom 10. Juni 2011 überein. Dies gilt bezogen auf die unveränderten Ableitbedingungen des Kühlturms und die Emissionswerte auch für die vorliegende Immissionsprognose zu Datteln 4 vom 15. Februar 2013. Beim LANUV zunächst bestehende Bedenken zu der erfolgten Verwendung von Zeitreihen seien in einem Telefonat mit dem Gutachter vom 15. November 2012 ausgeräumt worden. Diese Bedenken hätten darauf beruht, dass es in der Vergangenheit gewisse Unsicherheiten beim Umgang mit Datenlücken in der meteorologischen Zeitreihe gegeben habe. Das LANUV habe die Firma ArgoSoft auf das Problem aufmerksam gemacht, das mittlerweile behoben worden sei. Bis dahin habe das LANUV zwei Vorgehensweisen beim Umgang mit Datenlücken vorgeschlagen, und zwar entweder, die Datenlücken sachgerecht aufzufüllen oder die Stunden mit Datenlücken vollständig zu löschen. Der Gutachter habe in dem Telefonat vom 15. November 2012 bestätigt, dass er die Vorschläge des LANUV umgesetzt habe und der Unterschied zwischen den Ausbreitungsrechnungen vor und nach Korrektur sehr gering ausgefallen sei. Die überarbeiteten Zeitreihen lägen dem LANUV vor.
897Anhaltspunkte dafür, dass der Berechnung nicht - wie ausdrücklich angegeben - der Abgasvolumenstrom im Normzustand (1.103 hPa und 273,15 K) nach Abzug des Feuchtegehalts im Abgas zugrundegelegt worden wäre, liegen nicht vor. Die Berücksichtigung der Fernwärmeauskopplung erfolgte im Rahmen der Ableitbedingungen durch die Berücksichtigung unterschiedlicher maximaler Lastfälle für das Sommer- und das Winterhalbjahr. Für das Winterhalbjahr wurde eine Fernwärmeauskopplung im Umfang von 380 MW und für das Sommerhalbjahr von 200 MW zugrundegelegt. Diesen Lastfällen sind die von der Auslastung abhängigen Werte für den Abluftvolumenstrom, die Austrittsgeschwindigkeit und die Austrittstemperatur angepasst worden. Der Ansatz unterschiedlicher Höhen der Fernwärmeauskoppelung für das Sommer- und das Winterhalbjahr beruht nach den Angaben der Beigeladenen auf Erfahrungswerten aus dem Zeitraum 1961 bis 2009. Die Heranziehung langjähriger Erfahrungswerte erscheint sachgerecht und ist zumindest nicht offensichtlich fehlerhaft; der vom Kläger gewünschten Einholung eines Fachgutachtens zur Frage der zukünftigen Entwicklung der Fernwärmeauskoppelung bedurfte es daher im vorliegenden Verfahren nicht. Im Übrigen erfolgte die Berechnung der Immissionen für das Kraftwerkprojekt Datteln 4 analog zu der in Kapitel 4.1 beschriebenen Vorgehensweise des Gutachters. Diese Vorgehensweise ist - wie oben ausgeführt - nicht zu beanstanden. Sie ist vom LANUV in seiner Stellungnahme vom 7. Dezember 2012 bestätigt worden. Vor diesem Hintergrund bestehen keine Bedenken hinsichtlich der Berücksichtigung der statistischen Unsicherheit. Der Hinweis des Klägers, bei Stickstoffdioxid, Schwefeldioxid und Ammoniak seien - (wohl) in der AUSTAL-Ausgabedatei - deutlich höhere statistische Unsicherheiten ausgewiesen, geht schon deshalb fehl, weil hier Maximalwerte betroffen sind, bei denen die statistische Unsicherheit nach den Regelungen der TA Luft nicht gesondert zu berücksichtigen ist. Soweit der Kläger geltend macht, auch beim Kraftwerkprojekt Datteln 4 finde die von dem Ausbreitungsmodell AUSTAL 2000 angenommene vollständige Durchmischung des Rauchgas- und des Kühlturmschwadens nicht statt, kann auf die oben gemachten Ausführungen verwiesen werden.
898(b) Der Ansatz der – abzuziehenden – Stickstoff- und Säuredeposition des Altkraftwerks Datteln 1-3 begegnet gleichfalls keinen Bedenken. Das vom Kläger kritisierte Abstellen auf die durchschnittlichen jährlichen Emissionsfrachten aus den Jahren 2003 bis 2011 ist auch unter Berücksichtigung des klägerischen Vortrags, eine Berücksichtigung des Zeitraums 2007 bis 2011 hätte voraussichtlich niedrigere Werte ergeben, jedenfalls nicht evident sachwidrig oder fehlerhaft. Die vom Kläger bemängelte Herabsetzung des Emissionswerts für Ammoniak von 2 µg/m³ im Jahr 2011 auf 1 µg/m³ führt - worauf die Beigeladene zutreffend hinweist - nicht zu einem höheren, sondern zu einem geringeren Abzug. Der Vortrag des Klägers, die Ammoniakemission müsse auf „Null“ gesetzt werden, geht daher für die Behauptung, die Depositionen würden überschätzt, erkennbar ins Leere.
899(c) Es kann im Ergebnis offen bleiben, ob die Säuredepositionen des streitbefangenen Vorhabens und der Vorhaben Datteln 4 sowie Datteln 1-3 mit einer Depositionsgeschwindigkeit für SO2 über Wald von 1,25 cm/s oder von 1,5 cm/s berechnet werden muss. Der in der Immissionsprognose vom 6. August 2012 zunächst gewählte Ansatz von 1,25 cm/s beruhte auf der Empfehlung des LANUV, die Ausbreitungsrechnung in einem ersten Schritt mit mesoskaligen Depositionsgeschwindigkeiten und den Auswaschraten nach der VDI-Richtlinie durchzuführen und dann die vom Modell ausgewiesene trockene Deposition nachträglich entsprechend den Depositionsgeschwindigkeiten für die jeweilige Landnutzung, insbesondere für Wald, anzupassen. Es spricht zwar viel für die Annahme, dass dieser Ansatz sachgerecht ist. Das LANUV hat unter dem 7. Dezember 2012 erklärt, soweit der Gutachter unter Hinweis auf das Urteil des Senats vom 1. Dezember 2011 für SO2 über Wald abweichend von dem Wert der VDI-Richtlinie 3872 Blatt 5 von 1,5 cm/s einen Wert von 1,25 cm/s angesetzt habe, sei dieser Ansatz unter Berücksichtigung eigener Nachberechnungen mit ortsabhängigen Depositionsgeschwindigkeiten für das Altkraftwerk Datteln 1-3 für die vorliegende Konstellation plausibel und konservativ. An dieser Einschätzung hat das LANUV in seiner Stellungnahme vom 27. April 2016 und auf entsprechende Nachfragen des Senats in der mündlichen Verhandlung festgehalten. Aus den veröffentlichten Untersuchungen des LANUV gehe hervor, dass eine Depositionsgeschwindigkeit von 1,5 cm/s für SO2 über Wald mit modellseitiger Berücksichtigung des Konzentrationsabfalls (korrekte Massenbilanz) vergleichbar sei mit einer Depositionsgeschwindigkeit von 1,3 cm/s ohne modellseitige Berücksichtigung des Konzentrationsabfalls. Der Unterschied in den Depositionsgeschwindigkeiten gleiche hier also gerade den Massenbilanzfehler bei einer Rechnung ohne modellseitige Berücksichtigung aus und könne nach Auffassung des LANUV daher in der Immissionsprognose verwendet werden. Der den Umgang mit dieser Fragestellung betreffende Sachstandsbericht des VDI von Januar 2014 habe im Zeitpunkt der Stellungnahme von Dezember 2012 noch nicht vorgelegen. Auch bei dem Ansatz von 1,25 cm/s ergibt sich - wie den folgenden Tabellen zu entnehmen ist - an dem Beurteilungspunkt 30 eine Überschreitung der 3 %-Bagatellschwelle.
900(d) Anders als der Kläger meint, bedarf es auch nicht einer Einbeziehung von Ausfällen der Rauchgasreinigungsanlage im Sinne des § 17 Abs. 3 der 13. BImSchV. Ausfälle dieser Art sind in der Ausbreitungsrechnung nach der TA Luft nicht zu betrachten. Da im Genehmigungsverfahren Betriebsstörungen und Störfälle mit unvorhersehbaren Emissionen nicht unterstellt werden können, ist nach Nr. 4.6.1.1 der TA Luft bei der Berechnung nur auf die beim bestimmungsgemäßen Betrieb ungünstigsten Betriebsbedingungen abzustellen. Dem bestimmungsgemäßen Betrieb nicht mehr zuzurechnen ist der Ausfall von Abgasreinigungen, und zwar auch, soweit dem Anlagenbetreiber ein befristeter Weiterbetrieb gestattet ist. Fallen Emissionsminderungseinrichtungen ganz oder teilweise aus, sind die Emissionen auf andere Weise so weit wie möglich zu mindern. Dafür müssen schon vorsorglich Maßnahmen vorgesehen und ggf. im Genehmigungsbescheid gefordert werden.
901Vgl. Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band IV, Stand: 1. Februar 2016 TA Luft Nr. 4.6.1.1 Rn. 9.
902Nichts anderes gilt für die FFH-Verträglichkeitsprüfung, insbesondere auch in Bezug auf die Schwefeldepositionen. Da schon die Höhe der von aufgrund unvorhergesehener Störungen der Rauschgasentschwefelungsanlage entstehenden zusätzlichen Schwefeldepositionen einer Prognose nicht zugänglich ist, scheidet auch eine Bewertung der Auswirkungen auf das betroffene FFH-Gebiet aus. Der Umstand, dass § 17 Abs. 3 Satz 2 der 13. BImSchV ausdrücklich bestimmt, dass die Anlage bei Ausfall einer Abgasreinigungsanlage während eines Zeitraums von zwölf aufeinanderfolgenden Monaten höchstens 120 Stunden ohne diese Abgasreinigungsanlage betrieben werden darf, ändert nichts daran, dass der Ausfall als solcher grundsätzlich unvorhersehbar ist.
903(e) Die in die Ausbreitungsrechnung vom 31. Mai 2016/7. Juni 2016 eingestellten, aus Tabelle 1 ersichtlichen Ammoniakemissionsfaktoren für die Tierhaltungsanlagen entsprechen den Vorgaben der VDI Richtlinie 3894 Blatt 1 und den in den Immissions- bzw. Ammoniakprognosen vorausgesetzten tatsächlichen Bedingungen. Die Immissions- bzw. Ammoniakprognosen sind jeweils verbindlicher Bestandteil der bestandskräftigen Genehmigungsbescheide des Kreises Recklinghausen vom 12. November 2010 (Hof Nr. 1), der Bezirksregierung Arnsberg vom 13. August 2007 (Hof Nr. 3) und vom 19. Dezember 2006 (Hof Nr. 22) sowie der Bezirksregierung Münster vom 29. Juni 2007 (Hof Nr. 24) geworden.
904(f) An den Beurteilungspunkten ergeben sich für die eutrophierenden Stickstoffdepositionen in der Summationsbetrachtung - jeweils unter Berücksichtigung des empirischen lebensraumtypspezifischen Abschneidewerts auch bei den kumulierenden Projekten - die in der folgenden Tabelle aufgeführten Zusatzbelastungen. An den Beurteilungspunkten 1 bis 12 sowie 30, C 10 und C 11 liegen die eutrophierenden Stoffeinträge des streitbefangenen Vorhabens unterhalb des hier untersten Abschneidewerts von 0,065 kg N (ha*a). Soweit die Einträge den jeweils konkret einschlägigen Abschneidewert von 0,5 % des empirischen lebensraumtypspezifischen Critical Loads unterschreiten, ist dies kursiv vermerkt. Das LANUV hat für Lebensraumtypen mit dem Vermerk n.e. (= nicht empfindlich) keine Critical Loads bestimmt. An den Beurteilungspunkten ergeben sich für die eutrophierenden Stickstoffdepositionen in der Summationsbetrachtung - jeweils unter Berücksichtigung des konkreten lebensraumtypspezifischen Abschneidewerts auch bei den kumulierenden Projekten - folgende Zusatzbelastungen:
905BP |
LRT |
CL LANUV |
Abschneidewert 0,5 % des CL |
Zusatzbelastung (vgl. Berechnung N. -C. vom 7. Juni 2016) |
Anteil am CL (gerundet, %) |
BP 13 |
6430 |
n.e |
0,098 |
||
BP 14 |
6430 |
n.e |
0,108 |
||
BP 18 |
91E0 |
23-25 |
0,115 |
TKL 0,100 |
|
BP 18b |
91E0 |
23-25 |
0,115 |
0,362 |
1,6 |
BP 18c |
91E0 |
23-25 |
0,115 |
0,390 |
1,7 |
BP 19 |
91E0 |
23-25 |
0,115 |
0,119 |
0,5 |
BP 20 |
6430 |
n.e |
0,139 |
||
BP 22 |
3150 WasserLRT |
n.e. |
0,095 |
||
BP 23 |
6510 |
24-30 |
0,12 |
TKL 0,099 |
|
BP 24 |
91F0 |
20-22 |
0,10 |
0,099 |
0,5 |
BP 26 |
9110 |
13-16 |
0,065 |
0,100 |
0,8 |
BP 27 |
9110 |
13-16 |
0,065 |
0,108 |
0,8 |
BP 28 |
9110 |
13-16 |
0,065 |
0,094 |
0,7 |
BP 29 |
91E0 |
23-25 |
0,115 |
TKL 0,091 |
0,4 |
BP 30 |
9110 |
13-16 |
0,065 |
TKL 0,063 |
|
BP 31 |
9160 |
15-20 |
0,075 |
TKL 0,066 |
|
BP C1 |
9160 |
15-20 |
0,075 |
0,107 |
0,7 |
BP C2 |
9130 |
15-20 |
0,075 |
0,095 |
0,6 |
BP C3 |
9130 |
15-20 |
0,075 |
0,095 |
0,6 |
BP C4 |
9130 |
15-20 |
0,075 |
0,106 |
0,7 |
BP C5 |
9110 |
13-16 |
0,065 |
0,100 |
0,8 |
BP C6 |
9110 |
13-16 |
0,065 |
0,091 |
0,7 |
BP C7 |
9110 |
13-16 |
0,065 |
0,101 |
0,8 |
BP C8 |
91E0 |
23-25 |
0,115 |
TKL 0,091 |
|
BP C9 |
9160 |
15-20 |
0,075 |
TKL 0,066 |
|
BP C10 |
9160 |
15-20 |
0,075 |
TKL 0,064 |
|
BP C11 |
9110 |
13-16 |
0,065 |
TKL 0,064 |
Die kumulierende Zusatzbelastung der eutrophierenden Stickstoffeinträge liegt danach an allen Beurteilungspunkten unter der anhand des unteren Werts der empirischen Critical Loads des LANUV bestimmten 3 %-Bagatellschwelle.
907(g) Das Vorhaben der Beigeladenen verursacht an den Beurteilungspunkten 1 bis 4 sowie 9 und 11 versauernde Stoffeinträge unterhalb des (ersten) Abschneidewerts von 5 eq (N+S)/(ha*a), an dem Beurteilungspunkt 12 liegen die vorhabenbedingten Stoffeinträge unterhalb des anhand des modellierten lebensraumtypspezifischen Criticals Loads sich ergebenden Abschneidewerts von 6,8 eq. An den übrigen Beurteilungspunkten ergeben sich für die versauernden Stickstoff- und Schwefeldepositionen in der Summationsbetrachtung - jeweils unter Berücksichtigung des lebensraumtypspezifischen Abschneidewerts in Höhe von 0,5 % der modellierten Critical Loads bei den kumulierenden Projekten - folgende Zusatzbelastungen:
908BP |
LRT |
neuer CL |
Abschneidewert 0,5 % des CL |
Zusatzbelastung (gerundet) |
Anteil am CL (gerundet %) |
BP 6 |
91E0 |
1065 |
5,3 |
16 |
1,5 |
BP 7 |
9190 |
924 |
4,6 |
22 |
2,4 |
BP 7b |
9110 |
816 |
(4,1) |
23 |
2,8 |
BP 13 |
6430 |
3614 |
18,1 |
27 |
0,7 |
BP 14 |
6430 |
3647 |
18,2 |
20 |
0,5 |
BP 18 |
91E0 |
2472 |
12,4 |
37 |
1,5 |
BP 18b |
91E0 |
3051 |
15,3 |
93 |
3,0 |
BP 18c |
91E0 |
3051 |
15,3 |
88 |
2,9 |
BP 19 |
91E0 |
2475 |
12,4 |
28 |
1,1 |
BP 20 |
6430 |
3733 |
18,7 |
23 |
0,6 |
BP 22 |
3150 |
3558 |
17,8 |
23 |
0,6 |
BP 23 |
6510 |
2369 |
11,8 |
40 |
1,7 |
BP 24 |
91F0 |
2568 |
12,8 |
43 |
1,7 |
vdep SO2 1,25 cm/s 1,5 cm/s |
vdep SO2 1,25 cm/s 1,5cm/s |
||||
BP 26 |
9110 |
1748 |
8,7 |
46 50 |
2,6 2,9 |
BP 27 |
9110 |
1746 |
8,7 |
47 52 |
2,7 3,0 |
BP 28 |
9110 |
1747 |
8,7 |
42 47 |
2,4 2,7 |
BP 29 |
91E0 |
2140 |
10,7 |
40 44 |
1,9 2,1 |
BP 30 |
9110 |
1685 |
8,4 |
63 66 |
3,7 3,9 |
BP 31 |
9160 |
1461 |
7,3 |
43 48 |
2,9 3,3 |
BP C1 |
9160 |
1470 |
7,3 |
43 46 |
2,9 3,1 |
BP C2 |
9130 |
1458 |
7,3 |
40 44 |
2,7 3,0 |
BP C3 |
9130 |
1589 |
7,9 |
41 44 |
2,6 2,8 |
BP C4 |
9130 |
1851 |
9,3 |
41 44 |
2,2 2,4 |
BP C5 |
9110 |
1748 |
8,7 |
46 50 |
2,6 2,9 |
BP C6 |
9110 |
1325 |
6,6 |
40 44 |
3,0 3,3 |
BP C7 |
9110 |
1745 |
8,7 |
44 49 |
2,5 2,8 |
BP C8 |
91E0 |
2129 |
10,6 |
42 46 |
2,0 2,2 |
BP C9 |
9160 |
1460 |
7,3 |
43 46 |
2,9 3,2 |
BP C10 |
9160 |
1675 |
8,4 |
48 51 |
2,9 3,0 |
BP C11 |
9110 |
1724 |
8,6 |
49 52 |
2,8 3,0 |
Danach überschreitet die Zusatzbelastung der versauernden Stoffeinträge die 3 %-Bagatellschwelle bei einer Depositionsgeschwindigkeit von Schwefeldioxid von 1,25 cm/s an dem Beurteilungspunkt 30, bei einer Depositionsgeschwindigkeit von 1,5 cm/s an den Beurteilungspunkten 30, 31, C1, C6 und C9. Insoweit kann offen bleiben, ob sich schon eine Konvention herausgebildet hat, bereits die erste Nachkommastelle bei der 3 %-Bagatellschwelle durch Rundung wegfallen zu lassen; denn auch unter dieser Voraussetzung liegen die versauernden Stoffeinträge nicht an allen Beurteilungspunkten unter 3,5 %.
910(9) Die prognostizierte Zusatzbelastung an versauernden Stickstoff- und Schwefeleinträgen führt trotz vereinzelter Überschreitungen der 3 %-Bagatellschwelle vorliegend nicht zu einer Beeinträchtigung der in dem FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ unter Schutz gestellten Lebensraumtypen 9110 (Hainsimsen-Buchen-wald), 9130 (Waldmeister-Buchenwald), 9160 (Sternmieren-Eichen-Hainbuchenwald) und 91E0 (Erlen- und Eschenwälder und Weichholzauenwälder an Fließgewässern). Dies hat die im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens ergänzte Sonderfallprüfung belegt, wie sich insbesondere aus den „Bodenökologischen Risikobetrachtungen“ des Prof. Dr. C1. von August 2012 und Januar 2015, den Stellungnahmen des Dr. N1. (Kieler Institut für Landschaftsökologie) vom 6. August 2012, vom 17. Juli 2013 und von Dezember 2014 sowie den Stellungnahmen von Dr. B. (Landesbetrieb Wald und Holz NRW) vom 24. Juli 2014 und vom 6. Juli 2015 ergibt. Die von den Gutachtern des Klägers Dr. I2. . , Dr. C2. , Prof. Dr. S1. und Dr. M. insbesondere in den Gutachten und Stellungnahmen vom 26. Mai 2013, vom 21. Mai 2014 und aus Mai 2015 sowie in der mündlichen Verhandlung hiergegen vorgebrachten Einwände greifen nicht durch.
911Die in dem FFH-Gebiet unter Schutz gestellten Lebensraumtypen verkraften die zum Teil nicht mehr bagatellhafte Zusatzbelastung, ohne dass sich ihr derzeitiger Erhaltungszustand verschlechtert. Die Lebensraumtypen 9110, 9130 und 9160 sind aktuell überwiegend in einem günstigen Erhaltungszustand. Der ungünstige Erhaltungszustand des Lebensraumtyps 91E0 besteht unabhängig von der Säurebelastung (a). Die Pflanzengesellschaften können ihren aktuellen Erhaltungszustand aufrecht erhalten, obwohl die Hintergrundbelastung an versauernden Stickstoff- und Schwefeleinträgen die Critical Loads deutlich übersteigt und die mineralischen Oberböden stark versauert sind. Dies ist möglich, weil sie aufgrund der besonderen morphologischen Bedingungen in dem FFH-Gebiet ausreichenden Zugriff auf die in den Unterböden akkumulierten Basen und Nährstoffe haben. Diese Umstände sind bei der Modellierung der Critical Loads unberücksichtigt geblieben (b). Die im Boden ablaufenden physikalischen und chemischen Schutzmechanismen wirken auch den zusätzlichen versauernden Stoffeinträgen entgegen (c).
912(a) Die Lebensraumtypen 9110, 9130 und 9160 sind überwiegend in einem günstigen Erhaltungszustand (B). Der Lebensraumtyp 91E0 ist aus Gründen, die unabhängig von der Versauerung bestehen, teilweise in einem mittleren oder schlechten Erhaltungszustand.
913Dies ergibt sich zum einen aus der Bewertung der Vegetationsaufnahmen anlässlich der Neukartierung der Lebensraumtypen in dem FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ durch c. vom 29. Juni 2012. Die Lebensraumtypen 9110, 9130 und 9160 sind hier - mit Ausnahme der Flächen Nr. 18 und Nr. 69, die in einem mittleren bis schlechten Erhaltungszustand (C) sind - einem guten (B) oder sogar hervorragenden (A) Erhaltungszustand zugeordnet. Die Zuordnung des Lebensraumtyps 91E0 zu dem Erhaltungszustand (C) beruht auf der schlechten Ausprägung der lebensraumtypischen Strukturen und dem teilweisen Fehlen lebensraumtypischer Gehölzarten an mehreren Beurteilungsflächen. Die gegen diese Bewertung vom Kläger erhobenen Einwendungen stellen - wie oben unter I. 6. b) bb) (5) (g) ausgeführt - deren Richtigkeit nicht in Frage. Die Erfassung und Bewertung der Lebensraumtypen erfolgte entsprechend den methodischen Vorgaben des LANUV. Das LANUV hat die Vegetationserhebungen durch c. vor Ort eng begleitet und die Kartierungen in die eigenen Datenbanken übernommen. Die Bewertung von c. wird von dem Gutachter der Beigeladenen Dr. N1. im Ergebnis geteilt. Er hat Ende Juli 2014 im Rahmen einer flächendeckenden Begehung des FFH-Gebiets alle zuvor beurteilten Flächen ‑ einschließlich der von dem Gutachter des Klägers Dr. I2. . im Jahr 2012 untersuchten Bodenprofilpunkte - nochmals untersucht und kommt in dem Bewertungsbericht von Dezember 2014 zu der Einschätzung, dass die Lebensraumtypen 9110, 9130 und 9160 bezogen auf das gesamte Schutzgebiet in einem günstigen Erhaltungszustand sind. Den Erhaltungszustand des Lebensraumtyps 91E0 bewertet er dagegen - mit den Feststellungen von c. übereinstimmend - wegen der oft fragmentarischen und schmalen Ausbildung dieses Lebensraumtyps entlang der Bachtäler insgesamt als ungünstig.
914Zum anderem kommt auch der Gutachter des Klägers Dr. I2. . in seinem Gutachten vom 26. Mai 2013 - ungeachtet seiner methodischen Bedenken gegenüber der Vorgehensweise von c. und den Beobachtungen von Dr. N1. sowie ungeachtet der abweichenden Gefährdungsprognose hinsichtlich der zusätzlichen Stoffeinträge - auf der Grundlage seiner eigenen Untersuchungen im Jahr 2012 zu der Einschätzung, dass die in dem FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ geschützten Lebensraumtypen überwiegend einen günstigen Erhaltungszustand aufweisen.
915(b) Das Phänomen, dass die Lebensraumtypen 9110, 9130 und 9160 trotz der starken Versauerung des Oberbodens und der auch darauf zurückzuführenden Unterschreitung der Critical Limits in einzelnen Bodenhorizonten einen günstigen Erhaltungszustand aufweisen, ist nur mit den Besonderheiten des Standorts zu erklären. Nach dem Ergebnis der Einzelfalluntersuchung ist der günstige Erhaltungszustand im Wesentlichen auf das bodenspezifische Hydroregime (aa) und auf systeminterne Stoffumsetzungen - insbesondere die sog. „Basenpumpe“ - zurückzuführen (bb). Diese physikalischen und chemischen Abläufe in den Böden der „Wälder bei Cappenberg“ ermöglichen auch den säureempfindlichen und auf eine gute Nährstoffversorgung angewiesenen Pflanzengesellschaften wie den Lebensraumtypen 9130 und 9160 den Zugriff auf das in den tonhaltigen Unterböden vorhandene Puffer- und Nährstoffpotential und sichern damit deren Versorgung mit ausreichend Basizität und Nährstoffen.
916(aa) Bei den Böden der „Wälder bei Cappenberg“ handelt es sich ganz überwiegend um Pseudogleye, Braunerde-Pseudogleye und Pseudogley-Braunerde mit stellenweisen Podsolierungsmerkmalen. Die Wasserdynamik in diesen Böden ‑ insbesondere den Pseudogleyen - ist dadurch geprägt, dass das von oben in den Boden eindringende Niederschlagswasser einschließlich darin aufgelöster Säure aus dem Oberboden auf der weitgehend wasserundurchlässigen Stausohle des Sd-Horizonts im kalkreichen Unterboden gestaut wird. Die Unterböden in den „Wäldern bei Cappenberg“ weisen kalk- und basenreiche Tongehalte von bis zu 30 % auf. Dies gilt vor allem für den Sd-Horizont, in geringerem Umfang auch für den Sw-Horizont. Im Unterboden wird das Niederschlagswasser mit basischen Kationen angereichert und die vom Oberboden nach unten transportierten Säuren werden gepuffert. Mit der Anreicherung mit basischen Kalzium-, Magnesium- und Kaliumkationen ist die für die Versorgung der Pflanzen notwendige Anreicherung von Nährstoffen verbunden. Bei hoher Wassersättigung der Böden - also insbesondere in den niederschlagsreichen Zeiten von November bis April - steigt dieses basen- und nährstoffreiche Stauwasser bis in den versauerten Wurzelraum der Pflanzen. Bei diesen reduzierenden Bedingungen kann bei Temperaturen ab etwa 12°C das in Folge der Mineralisierung des organisch gebundenen Stickstoffs entstandene Nitrat denitrifiziert werden. Bei der Denitrifikation wird das Nitrat in für Pflanzen nicht verfügbare Stickstoffkomponenten, insbesondere in gasförmigen Stickstoff (N2) oder Lachgas (N2O), umgewandelt. Das wieder mit Säure und Nitrat aus dem Oberboden angereicherte Bodenwasser sinkt danach nicht (wieder) in den Unterboden ab, sondern wird auf der Höhe des Sw-Horizonts lateral in Entwässerungsgräben und den Bach „Funne“ ausgetragen. Die Vorräte an basisch wirkenden (Mb-)Kationen in den Unterböden werden daher weniger durch Säure in Anspruch genommen. Zudem werden die Nährstoffe nicht direkt ausgewaschen, sondern verbleiben während des lateralen Abflusses zumindest zeitweise im Wurzelbereich der Bäume und können aufgenommen werden. Das gleiche gilt für Kationenreserven aus dem Unterboden, die eine Zeitlang im durchwurzelten Horizont verbleiben und von den Pflanzen aufgenommen und in die Biomasse eingelagert werden können.
917Vgl. insbesondere - auch zum Folgenden - Beese, Bodenökologische Risikobetrachtungen, August 2012; Mierwald, Begehungsbericht zur Überprüfung des Erhaltungszustands der Lebensraumtypen, Dezember 2014.
918Ab Mai sinkt der Wasserspiegel in der Regel sehr schnell. Mit dem Wegfall der Wassersättigung und damit der reduzierenden Bedingung bleiben die geschilderten Effekte einschließlich der lateralen Wasserabfuhr - wie bei anderen terrestrischen Böden - aus. Eine Denitrifikation findet dann kaum noch statt und der pH-Wert insbesondere der Deckschicht sinkt. Bei starken Niederschlägen wird der Boden allerdings auch im Sommer vom Unterboden her aufgefüllt, so dass - kurzfristig - im Oberboden deponierte Säure in Bereiche mit großer Pufferkapazität verlagert wird und basenreiches Stauwasser bis zur Oberfläche gelangt. Der Gutachter Dr. N1. hat ausweislich des Begehungsberichts von Dezember 2014 anlässlich der Begehung des FFH-Gebiets im Juli 2014 schon nach einzelnen Starkregenereignissen größere Wasserflächen auf der Bodenoberfläche vorgefunden. Vor diesem Hintergrund greift der Hinweis des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016, in den Trockenphasen sei der kapillare Aufstieg der einzige Mechanismus, der der Fließrichtung in Pseudogleyen - nämlich von oben nach unten und lateral - entgegenwirken könne, zu kurz. Der bei geringer Wassersättigung im Sommer wie in anderen terrestrischen Böden grundsätzlich mögliche Transport von Alkalinität mit dem kapillaren Wasseranstieg ist nach den in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 gewonnenen Erkenntnissen aufgrund des hohen Sandanteils in den Böden allerdings von eher untergeordneter Bedeutung. Dass diese von den Gutachtern der Beigeladenen im Einzelnen beschriebenen wasserdynamischen Effekte im Grundsatz - abhängig von Temperatur und Niederschlagsmenge - eintreten, hat der Kläger nicht in Frage gestellt. Sie werden u. a. gestützt durch die von Prof. Dr. C1. in seinem Gutachten von August 2012 zitierten Tensiometermessungen von Lenz (1990) sowie die hydrologischen Untersuchungen von Mull (1987) in den Cappenberger Wäldern.
919Die Gutachter der Beigeladenen räumen ein, dass der Umfang des durch die Wasserdynamik bereitgestellten Puffervermögens nur schwer quantifizierbar ist. Ungeachtet dessen hat Prof. Dr. C1. in den „Bodenökologischen Risikobetrachtungen“ von August 2012 und Januar 2015 überzeugend dargelegt, dass die wasserdynamischen Effekte - Pufferung der im Oberboden deponierten Säuren in den besser mit Alkalinität ausgestatteten, tieferen Bodenbereichen sowie Versorgung der Pflanzen mit Basizität und Nährstoffen durch das aufsteigende Bodenwasser - jedenfalls so groß sind, dass den Wirkungen der Versauerung auf die Pflanzengesellschaften nachhaltig entgegengewirkt wird.
920Diese Annahme wird zum einen durch die von Dr. B. in der Stellungnahme des Landesbetriebs Wald und Holz NRW vom 24. Juli 2014 zitierten Untersuchungen von Ellenberg (1996; Vegetation Mitteleuropas mit den Alpen) gestützt. Danach versauern Standorte, die durch Grundwasser oder Staunässe geprägt sind, bei einem Ausfall der mit der Wasserdynamik verbundenen Effekte innerhalb weniger Jahre. Eine solche schnelle Versauerung ist in den „Wäldern bei Cappenberg“ auch nach Ansicht der Gutachter des Klägers nicht zu verzeichnen.
921Zum anderen belegt die in den Bodenanalysen der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt an den Beurteilungspunkten C1 bis C11 vom 16. Juli 2012 und an den von Dr. I2. . betrachteten Bodenprofilpunkten Ca-1 bis Ca-9 vom 9. Januar 2013 ermittelte Basensättigung, dass Basizität in den Wurzelraum der Pflanzen gelangt. Der Grad der Basensättigung gibt den Anteil der basisch wirkenden Kationen an der effektiven Austauschkapazität an. Zwar liegt die Basensättigung in den mineralischen Oberböden von 0 bis 10 cm Tiefe nach den Feststellungen der Gutachter des Klägers sowie der gerichtlich bestellten Gutachter V. und K. in ihrer Stellungnahme vom 15. Juni 2016 und in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 teilweise (deutlich) unter 15 %. Diese Werte spiegeln die auch von den Gutachtern der Beigeladenen nicht bestrittene starke Versauerung der Oberböden wider. In Bodentiefen ab 10 cm liegt die Basensättigung jedoch überwiegend schon bei über 15 %. In den noch mit dem Grad W2 durchwurzelten tieferen Bodenschichten bis zum Sw-Horizont beträgt die Basensättigung - mit Ausnahme des Beurteilungspunkts C 11 - zwischen 19 % und 99 %, an der überwiegenden Zahl der Beurteilungspunkte liegt sie (deutlich) über 50 %. Die Ergebnisse der Bodenuntersuchungen bestätigen damit tendenziell die von Prof. Dr. C1. für den Hauptwurzelbereich (von ihm in den „bodenökologischen Risikobetrachtungen“ aus Januar 2015 definiert als die oberen 15 bis 20 cm des Mineralbodens) berechneten Werte.
922(bb) Im Zusammenwirken mit den Effekten der Wasserdynamik finden ferner (wiederkehrende) Stoffumsetzungen statt, die einer Versauerung der Humusschicht entgegenwirken und dort für die den günstigen Erhaltungszustand der Lebensraumtypen letztlich sichernde Ausstattung mit Basizität und Nährstoffen sorgen. Insoweit ist insbesondere die Wirkung der sog. „Basenpumpe“ von Bedeutung.
923Die „Basenpumpe“ umfasst folgende chemischen und biologischen Vorgänge: die Aufnahme von basisch reagierenden Kationen und Nährstoffen über die Wurzel, deren Transport über die Leitgewebe der Pflanze bis in die Blattorgane, den Abwurf der Kationen und Nährstoffe auf die Humusauflage mit dem Blattfall und die anschließende - langsame - Mineralisierung oder Auswaschung aus den Blattoberflächen. Mit der Aufnahme der basischen Kationen wird Alkalinität in der Biomasse und den Pflanzenorganen akkumuliert und mit der Blattstreu und anderem Bestandsabfall auf der Bodenoberfläche deponiert. Gleichzeitig läuft ein bodeninterner Nährstoffkreislauf an, der von der mineralischen Bodensubstanz abgekoppelt ist und der ebenfalls immer wieder durch die Streu aufgefüllt wird.
924Vgl. Beese, Bodenökologische Risikobetrachtungen, August 2012, S. 48 ff.; Mierwald, Stellungnahme vom 6. August 2012, S. 2 f.; Asche, Stellungnahme vom 24. Juli 2014, S. 4; Godt, Brumme, Rosenthal, Gutachten vom 21. Mai 2014, S. 14.
925Stoffumsetzungen dieser Art können zwar auch kleinräumig stattfinden, etwa, wenn die basischen Kationen nicht im Unterboden, sondern in einer Bodenschicht. des Oberbodens aufgenommen werden. Anders als der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 meint, legt der Gutachter Prof. Dr. C1. den Schwerpunkt seiner Argumentation jedoch auf den ständigen Zufluss von Basen aus dem Unterboden und nicht auf eine bloß oberbodeninterne Umverteilung von Basen.
926Der Gutachter Prof. Dr. C1. im August 2012 und Januar 2015 sowie die Gutachter Dr. I2. . , Dr. C2. und Prof. Dr. S1. in ihren Stellungnahmen vom 21. Mai 2014 und Mai 2015 weisen übereinstimmend darauf hin, dass die Frage, ob die Blattstreu und sonstiger Bestandsabfall auf der Laubschicht versauernde oder entsauernde Wirkung entfalten, maßgeblich davon abhängt, ob der Überschuss von Kationen gegenüber Anionen im Verhältnis zum Stickstoff ausreicht. Von Bedeutung ist daher, in welchem Umfang das aufgrund der Mineralisierung entstandene Nitrat denitrifiziert und gasförmig ausgetragen wird. Verbleibt Nitrat im Boden, wird die Alkalinität reduziert und im Ergebnis tritt eine versauernde Wirkung ein. Hat die „Basenpumpe“ hingegen alkalinisierende Wirkung, werden für die Versorgung der Pflanzen notwendige Kationen und Nährstoffe aus der sich zersetzenden Laubauflage ständig nachgeliefert, und auch Pflanzen mit hohen Nährstoffansprüchen können auf Standorten mit stark versauerten Oberböden gedeihen. So liegt der Fall hier.
927Der günstige Erhaltungszustand der Lebensraumtypen in den „Wäldern bei Cappenberg“ beruht jedenfalls auch auf den Wirkungen der „Basenpumpe“. Diese ist zwar nicht in der Lage, die vorhandende Versauerung der Böden zu kompensieren, sie wirkt jedoch einer Verschlechterung des Erhaltungszustandes der Pflanzen über die Zufuhr und Bereitstellung von Nährstoffen und Basizität aus den Unterböden in der Humusschicht entgegen. Die Gutachter der Beigeladenen Prof. Dr. C1. und Dr. N1. messen der „Basenpumpe“ nicht die weitergehende Bedeutung einer Anreicherung der oberen Mineralbodenschichten mit nicht von den Pflanzen aufgenommenen Basen und Nährstoffen zu. Dem entspricht die Einschätzung der Gutachter V. und K. in dem Exkurs „Basenpumpe“ in der gutachterlichen Stellungnahme vom 15. Juni 2016, die - als solche nicht bestrittene - „Basenpumpe“ erreiche nicht das Ausmaß, dass sie die Basenverarmung des mineralischen Oberbodens allmählich beheben könne; sie habe insoweit keine über die Laubauflage hinausgehende tiefergreifende, die Böden entsauernde Wirkung. Ist die Wirkung der „Basenpumpe“ jedoch in dieser Weise beschränkt, erklärt sich ohne Weiteres, dass sie sich - wie die Gutachter des Klägers u. a. in dem Gutachten vom 21. Mai 2014 feststellen - nicht maßgeblich in der Oberbodenversauerung widerspiegelt und die Critical Limits horizontweise unterschritten werden.
928Mit der Blattstreu gelangen ausreichend Alkalinität und Nährstoffe auf die Humusauflage. Auch die Gutachter des Klägers Dr. I2. . , Dr. C2. und Prof. Dr. S1. bezweifeln nicht, dass die Wurzeln basische Kationen in die Blätter und über die Streubildung auf die Humusauflage transportieren. In ihrem Gutachten vom 21. Mai 2014 haben sie - insoweit in Einklang mit Prof. Dr. C1. in der Stellungnahme aus August 2012 - allerdings auf S. 18 unten ausdrücklich darauf hingewiesen, dass (nur) eine Blattstreuanalyse belegen könne, ob die Wurzeln in ausreichender Menge Basizität aufnehmen. Eine derartige Blattstreuanalyse hat Prof. Dr. C1. daraufhin im Januar 2015 durchgeführt. Dabei wurde an den von Dr. I2. . untersuchten Bodenprofilpunkten Ca-1 bis Ca-9 Alkalinität in Höhen von 2,344 bis 4,115 kmolc/(ha*a) und in den jungen Pflanzenbeständen an den Standorten Ca-10 und Ca-11 in Höhen von 1,078 und 1,847 kmolc/(ha*a) festgestellt. Diese - von dem Kläger als solche nicht angegriffenen - Werte für die Altbestände nähern sich den von Prof. Dr. C1. angeführten Werten anderer Standorte mit Kalkunterböden an und sind deutlich höher als die Werte auf versauerten Böden ohne Kalkunterböden. Dass die Vergleichswerte für Standorte mit Kalkunterböden nicht an allen Beurteilungspunkten erreicht werden, steht der Beurteilung von Prof. Dr. C1. nicht entgegen, dass trotz der Versauerung des Oberbodens noch ausreichend basische Kationen zur Verfügung stehen. Er hat in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 - unwidersprochen - erklärt, dass der Grad der Alkalinität der Blattstreu nicht nur vom Kalkgehalt des Unterbodens, sondern auch von der jeweiligen Baumart abhänge.
929Die von dem Gutachter des Klägers Dr. C2. in der Stellungnahme vom 27. April 2016 geäußerte Vermutung, „es wäre nicht verwunderlich, wenn die basischen Kationen in den Cappenberger Wäldern größtenteils atmosphärischen Ursprungs (wären)“, stellt die Ausführungen von Prof. Dr. C1. nicht in Frage. Der Gutachter Dr. C2. hat weder diese Hypothese, noch die Vermutung hinreichend belegt, auch die hohe Basensättigung der Laubschicht könne allein oder größtenteils mit der atmosphärischen Deposition basischer Kationen erklärt werden. Er hat etwa die in der Blattstreu aufgefundene Alkalinität nicht zu der - aus den Datensätzen des Umweltbundesamtes für das Jahr 2007 weitgehend bekannten und nach den Angaben in dem Gutachten vom 21. Mai 2014 stark rückläufigen - Hintergrunddeposition basischer Kationen ins Verhältnis gesetzt. Eines solchen Vergleichs bedurfte es jedoch schon mit Blick auf den Hinweis von Prof. Dr. C1. in den „Bodenökologischen Risikobetrachtungen“ von Januar 2015, der Umstand, dass nach 16 Jahren eine langsame Erholung der Puffersystem in den oberen Bodenpartien eingesetzt habe, lasse sich angesichts der rückläufigen Staubeinträge wie alkalischer Flugstäube -
930s. dazu auch Godt, Brumme, Rosenthal, Gutachten vom 21. Mai 2014, S. 16: Vor Einführung von Elektrofiltern seien basisch reagierende Grobstäube aufgrund der schnell wirksamen Sedimentation vor allem in der Umgebung der Emittenten eingetragen worden und hätten dort zur Pufferung der Säureeinträge beigetragen. Die Verringerung der Grobstaubeinträge habe zu einem kontinuierlichen Anstieg der Säurebelastung geführt. -
931nur durch die Wirkung der „Basenpumpe“ erklären. Auch der Hinweis auf die Ergebnisse von Blattstreuuntersuchungen in Österreich (Berger et al., 2006, The role of calcium uptake from deep soils for spruce and beech) führt nicht entscheidend weiter. In der Waldbodenkunde wird in vielen Studien die Wirkung der „Basenpumpe“ beschrieben und anerkannt.
932So auch Brumme, Stellungnahme vom 27. April 2016, S. 1.
933Vor dem Hintergrund dieses Wissensstandes sprechen die von Dr. C2. zitierten Untersuchungen aus Österreich allenfalls für einen weiteren Forschungsbedarf. Eine solche Grundlagenforschung ist jedoch nicht Aufgabe oder Gegenstand der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung. Ergänzend ist anzumerken, dass die Hypothese des Gutachters Dr. C2. schwer vereinbaren lässt mit dem ausdrücklichen Hinweis in dem von ihm mit verfassten Gutachten vom 21. Mai 2014, eine Blattstreuanalyse könne belegen, dass die Wurzeln im Unterboden hinreichend Basizität aufnehmen können.
934Der klägerische Vortrag stellt auch die von Prof. Dr. C1. in seinem Gutachten von Januar 2015 gezogene Schlussfolgerung nicht in Frage, diese Werte stellten ein deutliches Indiz dar, dass die Wurzeln in den kalkreichen Unterboden gelangten. Diese Schlussfolgerung ist schon deshalb plausibel, weil auch angesichts der starken Versauerung des Oberbodens nicht erkennbar ist, dass die in der Blattstreu gemessene Alkalinität aus dem Oberboden stammen könnte. Ungeachtet dessen belegen die Ergebnisse der Aufgrabungen und Wurzeluntersuchungen von F. & T6. im Frühjahr 2012 an den Beurteilungspunkten C1 bis C11 und von Dr. I2. . im Jahr 2012 an den Bodenprofilen Ca-1 bis Ca-9, dass die Wurzeln der untersuchten Lebensraumtypen jedenfalls mit einem Durchwurzelungsgrad W2 bis in Bereiche des Unterbodens mit höherer und hoher Basensättigung absenken. Dass es darauf ankommen könnte, aus welcher Bodenschicht des Unterbodens die Basen kommen, ist auch vor dem Hintergrund der oben geschilderten Wasserdynamik nicht zu erkennen.
935Die Blattstreu hat auch eine im Ergebnis der Versauerung der Humusauflage entgegenwirkende alkalinisierende Wirkung, wie Prof. Dr. C1. in den „Bodenökologischen Risikobetrachtungen“ von Januar 2015 überzeugend dargelegt hat. Es ist mit anderen Worten davon auszugehen, dass der Kationenüberschuss im Verhältnis zum Stickstoff ausreichend ist. Für eine entsauernde Wirkung der Blattstreu streitet die hohe Basensättigung der Humusauflage und hier insbesondere der Laubschicht und des Of-Horizonts. An den Beurteilungspunkten C1 bis C 11 liegt die Basensättigung der L- und Of-Horizonte auch nach den Erkenntnissen des Gutachters Dr. I2. . in dem Gutachten vom 26. Mai 2013 zwischen 82 % und 96 %, im Oh-Horizont dagegen nur noch zwischen 17 % bis 71 %. Die Werte der Laubauflage liegen damit zum Teil deutlich über einer - von dem Gutachter K. als „normal“ bezeichneten - Basensättigung von 80 %. Die von Dr. I2. . betrachteten Bodenprofilpunkte Ca-1 bis Ca-9 bestätigen diesen Befund in der Tendenz. Ein direkter Vergleich der Basensättigung der L- und Of-Horizonte scheidet zwar aus, weil die Basensättigungswerte in dem Gutachten von Dr. I2. . vom 26. Mai 2013 für die gesamte Humusschicht (L-, Of- und Oh-Auflage) nur als Mittelwert angegeben werden. Die aufgrund dieser Mittelung niedrigeren Werte liegen zwischen 35 % bis 98 %, die Basensättigung der obersten Mineralbodenschicht beträgt ca. 5 % bis 69 %. Die Basizität in den oberen Humusschichten kommt den säureempfindlichen Pflanzen auch zugute. Der Kläger weist zwar zu Recht darauf hin, dass der L-Horizont nicht durchwurzelt ist. Der Of- und der Oh-Horizont weisen jedoch fast durchweg hohe Durchwurzelungsgrade (W3, W4 und vereinzelt W5) auf.
936Die - aufgrund der oben beschriebenen Wasserdynamik allerdings jahreszeitlich starken Schwankungen unterliegenden - pH(H2O)-Werte und - auf noch niedrigerem Niveau - die pH(KCl)-Werte korrelieren mit den Werten der Basensättigung. Die pH-Werte sind an den Standorten C1 bis C11 (mit Ausnahme des Standorts C 8, an dem auch der Oberboden kalkhaltig ist) in der Laubschicht zwar niedrig, aber dennoch signifikant höher als in der Oh-Auflage.
937Vgl. Mierwald, Stellungnahme vom 6. August 2012, S. 4 ff.
938Dasselbe gilt an den Standorten Ca-1 bis Ca-9 für die - ebenfalls gemittelten - pH-Werte der gesamten Humusschicht im Vergleich zu den pH-Werten der oberen Mineralbodenschicht.
939Dass die hohe Basensättigung der Laubschicht (auch) auf die „Basenpumpe“ zurückzuführen ist, wird schließlich durch die nachgewiesenen Reduktionsvorgänge in den stauwasserbeeinflussten Böden der „Wälder bei Cappenberg“ gestützt. Die auch von dem Gutachter des Klägers Dr. I2. . im Jahr 2012 festgestellte Bleichung der Sw-Horizonte und Marmorierung der Sd-Horizonte indizieren, dass in diesen Horizonten zeitweise - nämlich insbesondere bei Wassersättigung der Böden - eine nahezu vollständige Reduktion von Nitrat zu gasförmigen Stickstoff (N2) oder zu Lachgas (N2O) erfolgt, die mit entsauernder Wirkung entweder gasförmig entweichen oder in gelöster Form aus dem Boden ausgewaschen werden. Die durch die Reduktion von Eisen und Mangan verursachte Färbung der Bodenhorizonte tritt erst ein, nachdem zuvor das vorhandene Nitrat reduziert wurde, wie Prof. Dr. C1. erläutert hat.
940Vgl. Beese, Bodenökologische Risikobetrachtungen, August 2012, S. 12.
941Die Marmorierung des Sd-Horizonts widerlegt die Behauptung des Gutachters Dr. I2. . in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016, der Stauwassereinfluss sei nur in der Sw-Schicht relevant.
942Die klägerischen Gutachter tragen zutreffend vor, dass gerade die Größenordnung des - zudem zeitlich begrenzten - Austrags von gasförmigem Stickstoff (N2) aufgrund analytischer Schwierigkeiten kaum konkret bestimmt werden kann, und dass aufgrund der Wasserdynamik in den Böden auch nicht von einer 100 %-igen Denitrifikationsrate ausgegangen werden könne. Die Annahme der Gutachter Dr. I2. . , Dr. C2. und Prof. Dr. S1. in ihrer Stellungnahme von Mai 2015, Prof. Dr. C1. habe behauptet, das in den Bodenhorizonten insgesamt vorhandene Nitrat werde zu 100 % reduziert bzw. denitrifiziert, trifft nicht zu. Dies hat Prof. Dr. C1. in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 nochmals ausdrücklich bestätigt. Die Gutachter der Beigeladenen bestreiten ferner nicht, dass sich in den Böden Stickstoff angereichert hat. Prof. Dr. C1. hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, er gehe von einem Vorrat in den Böden in Höhe von 3 bis 6 Tonnen aus. Die Stickstoffbelastung der Böden schlägt sich auch erkennbar in den - im Vergleich zu älteren Werten verengten - Kohlenstoff/Stickstoff(C/N))-Verhältnissen nieder, auf die die Gutachter der Klägers hinweisen. Vor dem Hintergrund, dass bei reduzierenden Bedingungen jedoch eine nahezu vollständige Denitrifikation stattfindet, ist die Annahme einer Denitrifikationsrate von 80 % nachvollziehbar und plausibel. Dies gilt ungeachtet dessen, dass im Sommer bei Trockenheit der Böden keine reduzierenden, sondern oxidierende Bedingungen vorliegen und eine Denitrifikation selbst bei reduzierenden Bedingungen erst ab einer Temperatur von etwa 12°C erfolgen kann. Reduzierende Bedingungen treten in der Zeit von November bis April, bei Starkregenereignissen auch im Sommer auf. Im Sommer besteht in der Regel kein Temperaturproblem. Die Gutachter der Beigeladenen haben zutreffend darauf hingewiesen, dass auch im Herbst und Frühjahr durchaus Temperaturen von 12°C oder mehr auftreten.
943Diese hohe Denitrifikationsrate ist nicht in die Modellierung der Critical Loads eingestellt worden. Die Gutachterin Dr. T2. hat in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 dargelegt, sie habe derart hohe Denitrifikationsraten nur bei den (wenigen) Beurteilungspunkten angesetzt, an denen das Wasser ‑ anders als auf den Pseudogleyen - ständig hoch anstehe. Dazu gehöre unter anderem der von dem Kläger angeführte Beurteilungspunkt BP 26.
944Die „Basenpumpe“ ist entgegen der Annahme des Klägers auch nicht bei der Basenverwitterungsrate der unteren Bodenschichten in die Modellierung der Critical Loads eingeflossen. Die Gutachterin Dr. T2. hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, sie habe - wie auch der Gutachter V. festgestellt habe - die Wurzeltiefen konservativ in die Berechnung eingestellt und daher eine Verwitterungsrate in den unteren Schichten im Wesentlichen nicht angesetzt. Auch die Gutachter V. und K. gehen in ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 15. Juni 2016, davon aus, dass die quantitative Wirkung der „Basenpumpe“ nicht bei dem Parameter „Basenverwitterung“ berücksichtigt wurde.
945(c) Die im Boden ablaufenden standortspezifischen und von den Critical Loads nicht erfassten physikalischen und chemischen Schutzmechanismen sind nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. C1. in der Lage, auch den zusätzlichen versauernden Stoffeinträgen entgegenzuwirken.
946Dass die die Versorgung der Pflanzen mit Nährstoffen und Basen fördernden Effekte der Wasserdynamik bei den zusätzlichen versauernden Stoffeinträgen wegfallen würden, hat der Kläger nicht behauptet. Für eine solche Annahme bestehen im Übrigen auch keine Anhaltspunkte.
947Es ist ferner nicht zu erkennen, dass die hier betroffenen, beschränkten Wirkungen der „Basenpumpe“ aufgrund der zusätzlichen (kumulierten) Säuredeposition entfallen. Die zusätzliche Säuredeposition verursacht keinen erheblichen Versauerungsschub, der die bislang ausreichende Zufuhr von Basizität aus dem Untergrund gefährden könnte. Wie Prof. Dr. C1. in seinen „Bodenökologischen Risikobetrachtungen“ von Januar 2015 im Einzelnen dargelegt hat, ist die zusätzliche (kumulierte) Säuredeposition auch unter Berücksichtigung des Stickstoffumsatzes nicht nur im Verhältnis zur jährlich deponierten Alkalinität sehr gering. Auch die in einem Zeitraum von 50 Jahren zu erwartende Zusatzbelastung ist gegenüber den an den Beurteilungspunkten vorgefundenen Vorräten an austauschbaren basischen Kationen im Bereich von 30 cm bis 100 cm Tiefe in Höhe von 695,5 bis 2.564,5 kmolc/ha zu vernachlässigen. Dasselbe gilt für die minimale Erhöhung der in den Böden bereits vorhandenen Basenneutralisierungskapazität. Dieser Wertung ist auch deshalb zu folgen, weil davon auszugehen ist, dass über die in diese Betrachtung nur einbezogene Alkalinität der Blattstreu noch weitere ‑ ebenfalls nur schwer quantifizierbare - Basizität auf die Humusauflage gelangt. Der Gutachter Prof. Dr. C1. hat im Januar 2015 und in der mündlichen Verhandlung insbesondere auf die mit dem sonstigen Bestandsabfall (Äste, Früchte) eingetragene Basizität verwiesen. Der sonstige Bestandsabfall macht nach seinen - unwidersprochenen - Angaben ein Drittel der Gesamtstreu aus.
948Vgl. C1. , Bodenökologische Risikobetrachtungen, August 2012, S. 5
949Ferner ist in diesem Zusammenhang auf die oben beschriebenen Effekte der Wasserdynamik und auf den Säure- und Nitrataustrag mit dem lateralen Wasserabfluss hinzuweisen. Der von den Gutachtern des Klägers insbesondere in der Stellungnahme aus Mai 2015 geforderte Vergleich mit der Hintergrundbelastung der versauernden Deposition ist an dieser Stelle nicht zielführend. Es mag zwar sein, dass die Vorbelastung das bereitstehende Puffervermögen an einigen Beurteilungspunkten überschreitet. Diese Sachlage lag jedoch schon in der Vergangenheit vor und ist von den Lebensraumtypen erkennbar unter Aufrechterhaltung ihres günstigen Erhaltungszustands verkraftet worden. Im Übrigen ist die Hintergrundbelastung der versauernden Deposition derzeit rückläufig.
950(10) Die in der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung getroffene Einschätzung, auch eine nachteilige Beeinträchtigung der aquatischen Lebensraumtypen der FFH-Gebiete „Teilabschnitte Lippe - Unna, Hamm, Soest, Warendorf“ „Lippeaue“ und „In den Kämpen, Im Mersche und Langener Hufeisen“ - hier insbesondere auch des Lebensraumtyps 3260 Fließgewässer mit Unterwasservegetation - durch die direkt oder die indirekt über den Transferpfad Luft-Boden-Gewässer eingetragene Deposition eutrophierend wirkender anorganischer Stickstoffverbindungen sowie versauernd wirkender Stickstoff- und Schwefelverbindungen sei auszuschließen, ist nicht zu beanstanden.
951Die Untersuchung ist davon ausgegangen, dass ein indirekter Eintrag eutrophierender und versauernder Stoffe deshalb irrelevant ist, weil diese Schadstoffe schon durch Reaktionen im Bereich der Depositionsflächen auf dem Boden weitestgehend durch Neutralisation oder Aufnahme durch Pflanzen zurückgehalten oder assimiliert werden. Diese Annahme ist plausibel und wird vom Kläger auch nicht substantiiert angegriffen.
952Eine beeinträchtigende Wirkung der sauren Depositionen auf der Oberfläche der Lippe wurde mit der Begründung ausgeschlossen, dass sich bei einer worst-case-Rechnung anhand der von der Immissionsprognose gelieferten Daten zu den versauernden Stickstoff- und Schwefelverbindungen eine hypothetische Absenkung des ph-Werts der Lippe um etwa 0,0015 Einheiten ergebe. Diese Veränderung sei durch Messungen in einem natürlichen Gewässer, das infolge der Phytoplanktonproduktion deutlich stärkeren täglichen und saisonalen pH-Wert-Änderungen unterliege, nicht nachweisbar. Sie sei auch ohne Einfluss auf die Gewässerqualität. Selbst eine solche theoretische Absenkung sei jedoch auszuschließen, wenn das aufgrund der Prägung des Oberlaufs der Lippe durch Kalk- bzw. Kreideböden hohe Säureneutralisierungsvermögen des Flusswassers – anders als bei der worst-Case-Betrachtung - mit berücksichtigt werde. Natürlich eutrophe Seen (z. B. LRT 3150), Teiche und Altwässer ohne Anbindung an die Lippe seien aufgrund ihres besonderen Gewässermechanismus gegenüber geringen sauren Zusatzdepositionen unempfindlich. Die Deposition anorganischer Stickstoffverbindungen führe in den FFH-Gebieten „Teilabschnitte Lippe - Unna, Hamm, Soest, Warendorf“, „Lippeaue“ und „In den Kämpen, Im Mersche und Langener Hufeisen“ zu einer maximalen Zusatzkonzentration von 0,0001 mg/l, was etwa 0,002 % der mittleren Hintergrundbelastung entspreche. Die Lebensraumtypen 3150 und 3260 wiesen zudem gegenüber den eutrophierenden Einträgen keine besondere Empfindlichkeit auf. Der Lebensraumtyp 3260 weise in karbonatisch oder basenreich-organisch geprägten Fließgewässern auch keine besondere Empfindlichkeit gegenüber versauernden Einträgen auf. Diese Einschätzung ist vom LANUV nicht in Frage gestellt worden und wird vom Kläger nicht substantiiert angegriffen. Auf die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob der Lebensraumtyp 3260 an allen Stellen zutreffend erfasst worden sei, kommt es angesichts der in jedem Fall irrelevanten Zusatzdepositionen nicht an.
953(11) Hinsichtlich der radioaktiven Immissionen kommt die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung zu der Einschätzung, dass diese keine Relevanz für die betrachteten FFH-Gebiete hätten. Dies begegnet keinen Bedenken. Die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung verweist zur Begründung auf eine im Jahr 2008 durchgeführte Untersuchung des TÜV Nord EnSys Hannover GmbH &Co KG zum Kraftwerk Staudinger in Großkrotzenburg. Die damals mit sehr konservativen Annahmen berechneten Werte für die effektive Jahresdosis durch die in Kohlenstaub und Flugasche enthaltenen natürlichen radioaktiven Stoffe hätten weit ‑ und zwar mehr als drei Größenordnungen - unter den Werten für die jährliche mittlere effektive Dosis der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland durch natürliche Strahlenquellen gelegen (siehe dazu auch oben unter I. 2. d). Die Plausibilität dieser Annahmen hat der Kläger nicht in Frage gestellt.
9547. Wasserrecht
955Dem Vorhaben stehen im Rahmen der vorläufigen positiven Gesamtbeurteilung keine unüberwindlichen genehmigungsrechtlichen Hindernisse entgegen, soweit der Vorbescheid keine abschließende verbindliche Feststellung über die Vereinbarkeit der Einleitung der Abwässer des Kühlturms und der Rauchgasentschwefelungsanlage in die Lippe einschließlich der vorgeschalteten Abwasserbehandlungsanlage sowie des Schwermetalleintrags in die Lippe über den Luftpfad mit immissionsschutzrechtlichen und naturschutzrechtlichen Vorschriften trifft.
956Inwieweit die Immissionsschutzbehörde über wasserrechtliche Bestimmungen zu entscheiden hat, hängt ‑ ausgehend vom Umfang der immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürften Anlage -,
957vgl. Seibert, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand: 1. Februar 2016, § 13 BImSchG, Rn. 70 f., ders., Zeitschrift für Deutsches und Europäisches Wasser-, Abwasser- und Bodenschutzrecht (W + B) 2015, 95 ff.,
958von der Reichweite der Konzentrationswirkung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ab. Nach § 13 BImSchG schließt die Genehmigung andere die Anlage betreffende behördliche Entscheidungen "mit Ausnahme von (...) wasserrechtlichen Erlaubnissen und Bewilligungen nach § 8 in Verbindung mit § 10 des Wasserhaushaltsgesetzes" ein. Damit sind alle sonstigen wasserrechtlichen Genehmigungen, etwa die Zulassung einer Abwasserbehandlungsanlage, wie sie hier im Anschluss an die Rauchgasentschwefelung vorgesehen ist, von der Konzentrationswirkung erfasst.
959Vgl. Seibert, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand: 1. Februar 2016, § 13 BImSchG, Rn. 86 f.
960Der Erstreckung der Konzentrationswirkung auf (sonstige) wasserrechtliche Entscheidungen steht nicht etwa § 2 Abs. 2 Satz 2 BImSchG entgegen, wonach die Vorschriften des Bundes-Immissionsschutzgesetzes nicht gelten, soweit sich aus wasserrechtlichen Vorschriften zum Schutz der Gewässer etwas anderes ergibt. § 2 Abs. 2 Satz 2 BImSchG normiert allein den Vorrang materiell-rechtlicher Vorschriften des Wasserrechts.
961Seibert, a. a. O., Rn. 83.
962Hinsichtlich der Prüfungsanforderungen im Einzelnen ist zwischen der Abwassereinleitung in die Lippe, also dem direkten Schadstoffeintrag über den Wasserpfad (dazu a), dem indirekten Eintrag von Schadstoffen in die Lippe über den Luftpfad (dazu b) und der Abwasserbehandlungsanlage (dazu c) zu unterscheiden.
963a) Direkter Schadstoffeintrag in die Lippe über den Wasserpfad
964Die beabsichtigte Einleitung von warmem, salz- und schwermetallbelastetem Abwasser aus der Kühlturmabflut und der REA in die Lippe ist ein Benutzungstatbestand nach § 9 WHG, der einer wasserrechtlichen Erlaubnis nach § 8 WHG bedarf. § 13 BImSchG klammert die wasserrechtliche Erlaubnis ausdrücklich aus dem Regelungsgehalt der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung aus. Diese vom Gesetz vorgesehene Trennung zwischen dem Regelungsgehalt einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung (bzw. einem Vorbescheid als einem Ausschnitt aus dem feststellenden Teil der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung) und dem Regelungsgehalt einer wasserrechtlichen Gestattung entspricht dem erklärten Willen des Gesetzgebers: Die im wasserrechtlichen Erlaubnis- und Bewilligungsverfahren zu treffenden Entscheidungen beträfen regelmäßig nur einen geringen Teilaspekt des der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung unterliegenden Gesamtvorhabens (z. B. eines Kohlekraftwerks) und erforderten spezielle Prüfungen, für die den immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbehörden der notwendige Sachverstand fehle.
965BT-Drs. 10/4999.
966Die Immissionsschutzbehörde hat die Übereinstimmung des Vorhabens allerdings nicht nur mit immissionsschutzrechtlichen Vorschriften (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG), sondern nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG grundsätzlich mit allen öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu prüfen. Andererseits ist für die Erteilung der wasserrechtlichen Erlaubnis nach §§ 8, 12 Abs. 1 Nr. 2 WHG ebenfalls Voraussetzung, dass andere Anforderungen nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften erfüllt werden. Die insoweit miteinander konkurrierenden bzw. sich überschneidenden umfassenden Prüfungsmaßstäbe sind entsprechend der Sachentscheidungskompetenz der jeweiligen Behörden grundsätzlich auf die konkurrierenden Genehmigungsverfahren aufzuteilen, um umfassende Doppelprüfungen zu vermeiden; maßgebend für die Abgrenzung ist, welches Schutzziel das jeweilige (Fach-)Gesetz mit einem bestimmten Genehmigungsvorbehalt verfolgt.
967Vgl. Gaentzsch, NJW 1986, 2787, 2794; Jarass, Konkurrenz, Konzentration und Bindungswirkung von Genehmigungen, 1984, S. 81 ff.; Seibert, Die Bindungswirkung von Verwaltungsakten, 1989, S. 369 f.
968Hiervon ausgehend ist das Verhältnis von immissionsschutzrechtlicher Genehmigung zu wasserrechtlicher Gestattung wie folgt zu bestimmen: Zu den öffentlichen Belangen, die dem besonderen Schutzzweck der wasserrechtlichen Erlaubnis oder Bewilligung zugewiesen sind, gehört nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 WHG, dass schädliche, auch durch Nebenbestimmungen nicht vermeidbare oder nicht ausgleichbare Gewässerveränderungen nicht zu erwarten sind; das setzt voraus, dass von der beabsichtigten Benutzung eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit nicht zu erwarten ist (§ 3 Nr. 10 WHG). Mit dem Begriff "Wohl der Allgemeinheit" wird der Wasserbehörde ein weitreichender Schutz öffentlicher Belange übertragen. Er umfasst alle wasserwirtschaftlich relevanten Gesichtspunkte, die von einer Benutzung berührt werden können. Diese öffentlichen Belange fallen in die originäre Fachkompetenz der Wasserbehörde.
969Darüber hinaus verfügt die Wasserbehörde anders als die Immissionsschutzbehörde bei der Bewirtschaftung der Gewässer über einen planerischen Gestaltungsfreiraum. Sie hat u. a. den Auftrag, durch eine nachhaltige Gewässerbewirtschaftung die Gewässer als Bestandteil des Naturhaushalts, als Lebensgrundlage des Menschen, als Lebensraum für Tiere und Pflanzen sowie als nutzbares Gut zu erhalten und zu verbessern, insbesondere durch Schutz vor nachteiligen Veränderungen von Gewässereigenschaften (§ 1 und § 6 Abs. 1 Nr. 1 WHG), die Gewässer zum Wohl der Allgemeinheit zu nutzen (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 WHG), bestehende oder künftige Nutzungsmöglichkeiten, insbesondere für die öffentliche Wasserversorgung, zu erhalten oder zu schaffen (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 WHG) und alle Gewässer nach den durch die Wasserrahmenrichtlinie näher vorgegebenen Bewirtschaftungszielen unter Beachtung des Verschlechterungsverbots zu bewirtschaften. Oberirdische Gewässer sind so zu bewirtschaften, dass eine Verschlechterung ihres ökologischen und ihres chemischen Zustands vermieden wird und ein guter ökologischer und ein guter chemischer Zustand erhalten oder erreicht werden (§ 27 Abs. 1 WHG). Dazu gehört insbesondere auch eine ggf. erforderliche FFH-Verträglichkeitsprüfung, soweit sie sich direkt oder indirekt ‑ etwa bezogen auf von der Gewässerqualität abhängige geschützte Lebensraumtypen oder Arten - auf das Schutzgut Wasser bezieht. Nichts anderes gilt für die entsprechende artenschutzrechtliche Prüfung.
970Der Wasserbehörde stehen im Rahmen dieses Bewirtschaftungsermessens (siehe §§ 27 WHG für oberirdische Gewässer) verschiedene, in den §§ 82 ff. WHG geregelte Planungsakte, insbesondere ein Maßnahmenprogramm zur Verfügung. Ein solches planerisches Bewirtschaftungsermessen kann die Immissionsschutzbehörde nicht ausüben. Sie ist nicht dazu berufen und im Allgemeinen auch nicht in der Lage, die dazu gehörenden Dispositionen und Maßnahmen zu treffen.
971Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. September 1987 ‑ 4 C 36.84 -, DVBl. 1988, 489, juris Rn. 12, und Beschluss vom 23. Juni 1989 - 7 B 87.89 -, DVBl. 1990, 57, juris Rn. 4.
972Sie ist insbesondere nicht befugt, Maßnahmen zur Reduzierung der Schadstoffbelastung der Lippe vorzusehen, wie sie im vorliegenden Fall in Betracht zu ziehen sind, um eine rechtmäßige Einleitung zu gewährleisten.
973Entsprechend diesen Grundsätzen hat der Beklagte zu Recht keine abschließende verbindliche Feststellung der naturschutzrechtlichen Unbedenklichkeit der im wasserrechtlichen Erlaubnisverfahren zu prüfenden Abwassereinleitung in die Lippe getroffen.
974Allerdings hat der Beklagte als Immissionsschutzbehörde zu prüfen, ob der Erteilung der wasserrechtlichen Erlaubnis erkennbare rechtliche Hindernisse entgegenstehen. Auch wenn die Entscheidungs- und Prüfungsbefugnisse beider Behörden gegeneinander abzugrenzen sind, müssen die Genehmigungsverfahren sowie die Inhalts- und Nebenbestimmungen vollständig koordiniert werden (§ 10 Abs. 5 Satz 2 BImSchG; § 11 der 9. BImSchV; vgl. auch Art. 7 der Richtlinie 96/61/EG - IVU-RL -, später neugefasst durch die RL 2008/1/EG, nunmehr ersetzt durch die Industrieemissionsrichtlinie, RL 2010/75/EU). Die Koordinierungspflicht betrifft sowohl die Fälle einer Beteiligung mehrerer Behörden als auch den hier vorliegenden Fall, dass die gleiche Behörde die parallelen Zulassungsverfahren durchzuführen hat.
975Vgl. Jarass, NVwZ 2009, 65, 66.
976Die notwendige Koordination paralleler Genehmigungsverfahren setzt einer strikten Separation der Prüfungsmaßstäbe Grenzen und verpflichtet die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbehörde zumindest zur Prüfung, ob der wasserrechtlichen Erlaubnis keine unüberwindlichen Hindernisse entgegenstehen. Allein diese (beschränkte) Doppelprüfung genügt der Koordinationspflicht.
977Vgl. auch zum Folgenden: Seibert, W + B 2015, 95, 99 ff.; im Ergebnis ebenso: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20. Juli 2011 - 10 S 2102/09 -, ZUR 2011, 600 = juris Rn. 375; Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand: 1. Februar 2016, § 6 BImSchG Rn. 24, m. w. N.; Scheidler, in: Feldhaus, BImSchR, § 6 BImSchG Rn. 37; Seibert, Die Bindungswirkung von Verwaltungsakten, S. 375 f. und 399 f.; ferner BVerwG, Beschluss vom 23. Juni 1989 - 7 B 87.89 -, DVBl. 1990, 57 = juris Rn. 4.
978Die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbehörde kann ihrer Koordinationspflicht im Einzelfall dadurch genügen, dass sie die Genehmigung unter den Vorbehalt nachträglicher (sich aus dem parallelen wasserrechtlichen Verfahren ergebender) Anforderungen stellt.
979Jarass, NVwZ 2009, 65, 68.
980Dies ist hier geschehen. Der Vorscheid steht ausdrücklich unter dem Vorbehalt weiterer Neben- oder Inhaltsbestimmungen, die sich aus den Erkenntnissen des laufenden wasserrechtlichen Erlaubnisverfahrens ergeben.
981Besonders intensiv ist die erforderliche behördliche Zusammenarbeit bei - wie hier - UVP-pflichtigen Vorhaben. Die Umweltverträglichkeitsprüfung ist grundsätzlich von der für das Immissionsschutzrecht zuständigen Genehmigungsbehörde gemeinsam mit den anderen Behörden durchzuführen, die für die Anlage eine Genehmigung o.ä. zu erteilen haben.
982Vgl. Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 10 Rn. 52.
983Entsprechend muss die Umweltverträglichkeitsprüfung in parallelen Genehmigungsverfahren einer Gesamtbewertung der Umweltauswirkungen zugeführt werden; die federführende Behörde - hier die Bezirksregierung (vgl. § 14 Abs. 1 Sätze 1 und 3 UVPG, § 3 UVPG NRW) - hat das Zusammenwirken der Zulassungsbehörden und das Zusammenführen von Teilprüfungen einer einheitlichen Umweltverträglichkeitsprüfung sicherzustellen (vgl. Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung ‑ UVPVwV - vom 18. September 1995, GMBl. 1995, 671, Ziffern 0.2 und 0.6.2.3). Der Beklagte hat diesen Anforderungen Rechnung getragen.
984Diese Maßstäbe zugrunde gelegt bestehen im vorliegenden Fall keine Bedenken im Hinblick auf die Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis nach § 8 WHG für das Einleiten des Abwassers in die Lippe. Die wasserrechtliche Erlaubnis ist mit Bescheid der Bezirksregierung Arnsberg vom 22. November 2013, also zwei Tage nach Erteilung des angefochtenen Vorbescheids, erteilt worden. Diese Entscheidung entfaltet für das vorliegende gerichtliche Verfahren Bindungswirkung. Zwar ist grundsätzlich bei Drittanfechtungsklagen die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Vorbescheids maßgeblich; nachträgliche Änderungen zugunsten des Vorhabenträgers sind jedoch sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht zu berücksichtigen.
985An der Bindungswirkung fehlt es nicht etwa deshalb, weil der Kläger gegen die wasserrechtliche Erlaubnis Klage erhoben hat, die beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen noch anhängig ist. Die Klage entfaltet wegen der Anordnung der sofortigen Vollziehung keine aufschiebende Wirkung und hindert daher nicht die Wirksamkeit des Bescheides. Die abschließende Prüfung der wasserrechtlichen Erlaubnisfähigkeit der Abwassereinleitung in Bezug auf die physikalischen (Temperatur) und chemischen (u. a. durch Chlorid-, Sulfat- und Schwermetalleinträge) Auswirkungen auf die Wasserqualität der Lippe über den Wasserpfad sowie die damit zusammenhängenden natur- und artenschutzrechtlichen Fragen insbesondere zur Betroffenheit des Flussneunauges und des Eisvogels durch die Zusatzbelastung an Quecksilber des Lippewassers oder des aquatischen Lebensraumtyps 3260 durch zusätzliche Schwermetalleinträge obliegt dem wasserrechtlichen Verfahren.
986b) Indirekter Schadstoffeintrag in die Lippe über den Luftpfad
987Soweit es um den (indirekten) Eintrag von Schadstoffen in Gewässer über den Luftpfad geht, hat grundsätzlich die für die Anlagengenehmigung zuständige Immissionsschutzbehörde die Einwirkungen der Anlage auf das Wasser durch Luftschadstoffe zu prüfen und darüber zu entscheiden. Der indirekte Schadstoffeintrag in Gewässer über den Luftpfad ist kein Benutzungstatbestand im Sinne von § 3 WHG a. F., § 9 WHG n. F.
988Vgl. im Einzelnen Ohms, NVwZ 2010, 926, 928 f. m. w. N.; Schmid, in: Berendes u. a., WHG, 2011, § 9 WHG Rn. 18 ff.; a. A. Kremer, ZUR 2009, 421, 422 ff.
989Die Wasserqualitätsvorgaben sind allerdings auch für das Immissionsschutzrecht beachtlich. Die Wasserrahmenrichtlinie und ihre Tochterrichtlinien regeln grundsätzlich auch den Schadstoffeintrag in Gewässer über den Luftpfad. Insbesondere erfasst die Phasing-out-Verpflichtung nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a) Ziffer iv WRRL auch Einträge von Quecksilber über den Luftpfad in Gewässer.
990Vgl. ausführlich OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 8 E1. 58/08. AK -, ZUR 2012, 372 = juris Rn. 461 ff. m. w. N.
991Nach dieser Vorschrift sind "Einleitungen, Emissionen und Verluste" prioritärer gefährlicher Stoffe zu beenden oder schrittweise einzustellen. Unter Emissionen sind ungewollte, aber kontrollierbare Einträge zu verstehen.
992Ginzky, ZUR 2009, 242, 246.
993Sie beinhalten auch luftgetragene Stoffe aus der Energieerzeugung. Die gegenteilige Auffassung, die über die Luft vermittelten Wasserbelastungen seien von der Wasserrahmenrichtlinie grundsätzlich nicht erfasst,
994so Ohms, NVwZ 2010, 675, 677; Reidt/Schiller, NuR 2011, 624, 630 f.,
995berücksichtigt nicht hinreichend, dass das Richtlinienziel der schrittweisen Einstellung oder Beendigung des Gewässereintrags prioritärer gefährlicher Stoffe ohne Einbeziehung des Luftpfads nicht erreicht werden könnte.
996Zutreffend Riese/Dieckmann, UPR 2011, 212, 214.
997Wie oben bereits ausgeführt, besteht in Bezug auf den Schwermetalleintrag die Besonderheit, dass sowohl der Wasserpfad als auch der Luftpfad zu berücksichtigen sind. Die Immissionsschutzbehörde kann deshalb die Frage einer wasser- und naturschutzrechtlichen Vereinbarkeit insbesondere des Quecksilbereintrags nicht isoliert bezogen auf den Quecksilberanteil über den Luftpfad abschließend beurteilen. Andererseits kann sie den Gesamteintrag von Quecksilber ‑ wie oben dargestellt ‑ nicht ohne die Bewirtschaftungsmaßnahmen der Wasserbehörde abschließend beurteilen. In dieser Lage ist es auf Grund der originären Fachkompetenz der Wasserbehörde angezeigt, dass die Summe beider Einträge und damit auch der (gegenüber dem Wasserpfad deutlich geringere) Quecksilbereintrag über den Luftpfad im wasserrechtlichen Erlaubnisverfahren berücksichtigt wird, um zu einer sachgerechten Beurteilung kommen zu können. Die Wasserbehörde hat ihrem Bewirtschaftungsermessen und ihren Bewirtschaftungsmaßnahmen die Summe beider Einträge zugrunde zu legen. Für die Immissionsschutzbehörde ergibt sich daraus die Aufgabe, im Rahmen der notwendigen Koordination der sich überschneidenden Zuständigkeiten die Erkenntnisse und Maßnahmen der Wasserbehörde nachträglich einzubeziehen. So können im Hinblick auf Bedenken der Wasserbehörde zusätzliche Anforderungen an die Anlage zu stellen sein. Die Immissionsschutzbehörde ist dieser Aufgabe dadurch gerecht geworden, dass sie ihre Feststellung unter den Vorbehalt nachträglicher Neben- oder Inhaltsbestimmungen gestellt hat, die sich aus Erkenntnissen des wasserrechtlichen Erlaubnisverfahrens ergeben können.
998Zu dieser Vorgehensweise siehe BT-Drs. 12/3944, S. 54 f.; Jarass, NVwZ 2009, 65, 68; ferner Seibert, Die Bindungswirkung von Verwaltungsakten, S. 401 und 569 ff.
999Angesichts der im Verhältnis zum Quecksilber- und sonstigen Schwermetalleintrag über den Wasserpfad relativ geringen direkten und indirekten Zusatzbeiträge über den Luftpfad bestehen - unter Berücksichtigung des Vorbehalts nachträglicher Anordnungen - keine genehmigungsrechtlichen Hindernisse.
1000c) Abwasserbehandlungsanlage
1001Der Beklagte hat auch hinsichtlich der Genehmigungsfähigkeit der Abwasserbehandlungsanlage keine abschließend verbindliche Feststellung über die emissions- und immissionsschutzrechtliche sowie die naturschutzrechtliche Unbedenklichkeit getroffen. Einer vorläufigen positiven Gesamtbeurteilung im Vorbescheidverfahren stehen insoweit keine wasserrechtlichen Bedenken entgegen. Die wasserrechtliche Erlaubnis für die Abwasserbehandlungsanlage ist mit Bescheid der Bezirksregierung Arnsberg vom 22. November 2013, also zwei Tage nach Erteilung des angefochtenen Vorbescheids, erteilt worden. Diese Entscheidung entfaltet für das vorliegende gerichtliche Verfahren ebenfalls Bindungswirkung (vgl. oben unter I.7.a).
1002Der Beklagte hat den Vorbescheid ferner unter den Vorbehalt weiterer Neben- oder Inhaltsbestimmungen gestellt, die sich aus Erkenntnissen des wasserrechtlichen Erlaubnisverfahrens (Einleitung der Abwässer) ergeben. Er hat damit dem Umstand Rechnung getragen, dass bei einer Abwasserbehandlungsanlage die immissionsschutzrechtlich und die wasserrechtlich zu prüfenden Aspekte aufeinander abgestimmt werden müssen. Wasserrechtliche Anforderungen zur Minimierung der Schadstofffracht des Abwassers können sich unmittelbar auf die technische Gestaltung der immissionsschutzrechtlich zu beurteilenden Anlage auswirken.
1003Vgl. BT-Drs. 12/3944, S. 54 f.
10048. Berechtigtes Interesse an Vorbescheidserteilung
1005Ungeachtet der Frage, ob dem Kläger insoweit ein Rügerecht zusteht, fehlt es auch nicht an dem nach § 9 Abs. 1 BImSchG erforderlichen berechtigten Interesse der Beigeladenen an der Erteilung des Vorbescheides. Ein berechtigtes Interesse ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn ein Antrag auf Erteilung einer (Teil-)Genehmigung beabsichtigt ist, die Vorabklärung ohne die Vorlage der vollständigen Antragsunterlagen möglich erscheint und verfahrensökonomische, wirtschaftliche oder technische Gründe dafür bestehen, das Genehmigungsverfahren gestuft vorzunehmen, wenn also etwa die Bindungswirkung des Vorbescheides das Investitionsrisiko des Vorhabenträgers verringern kann oder durch die Erteilung des Vorbescheides eine Beschleunigung des Genehmigungsverfahren zu erwarten ist.
1006Vgl. Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand: 1. Februar 2016, § 9 BImSchG Rn. 49.
1007Gemessen hieran liegen vernünftige Gründe für ein gestuftes Vorgehen vor. Die Beigeladene weist zu Recht auf ein fortbestehendes verfahrensökonomisches und wirtschaftliches Interesse an der Erteilung des Vorbescheides hin. Der Vorbescheid schließt die aufgrund des Wegfalls des ersten Vorbescheides entstandene Regelungslücke und schafft wieder eine Grundlage für die bereits erteilten und die noch ausstehenden Teilgenehmigungen.
1008II. Erste und siebte Teilgenehmigung
1009Aus den vorstehenden Gründen folgt, dass auch die 1. und die 7. Teilgenehmigung rechtmäßig sind.
1010Gemäß § 8 Satz 1 Nr. 3 BImSchG setzt die Erteilung einer Teilgenehmigung u. a. voraus, dass der Errichtung und dem Betrieb der gesamten Anlage keine von vornherein unüberwindlichen Genehmigungshindernisse entgegenstehen. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
1011Der Kläger hat keine darüber hinaus gehenden Bedenken gegen die beiden Teilgenehmigungen geltend gemacht; solche sind auch nicht ersichtlich.
1012Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1 und 3 und 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig, weil sie einen eigenen Antrag gestellt und sich damit gemäß § 154 Abs. 3 VwGO einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat.
1013Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO und den §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.
1014Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.
(1) Das Genehmigungsverfahren setzt einen schriftlichen oder elektronischen Antrag voraus. Dem Antrag sind die zur Prüfung nach § 6 erforderlichen Zeichnungen, Erläuterungen und sonstigen Unterlagen beizufügen. Reichen die Unterlagen für die Prüfung nicht aus, so hat sie der Antragsteller auf Verlangen der zuständigen Behörde innerhalb einer angemessenen Frist zu ergänzen. Erfolgt die Antragstellung elektronisch, kann die zuständige Behörde Mehrfertigungen sowie die Übermittlung der dem Antrag beizufügenden Unterlagen auch in schriftlicher Form verlangen.
(1a) Der Antragsteller, der beabsichtigt, eine Anlage nach der Industrieemissions-Richtlinie zu betreiben, in der relevante gefährliche Stoffe verwendet, erzeugt oder freigesetzt werden, hat mit den Unterlagen nach Absatz 1 einen Bericht über den Ausgangszustand vorzulegen, wenn und soweit eine Verschmutzung des Bodens oder des Grundwassers auf dem Anlagengrundstück durch die relevanten gefährlichen Stoffe möglich ist. Die Möglichkeit einer Verschmutzung des Bodens oder des Grundwassers besteht nicht, wenn auf Grund der tatsächlichen Umstände ein Eintrag ausgeschlossen werden kann.
(2) Soweit Unterlagen Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse enthalten, sind die Unterlagen zu kennzeichnen und getrennt vorzulegen. Ihr Inhalt muss, soweit es ohne Preisgabe des Geheimnisses geschehen kann, so ausführlich dargestellt sein, dass es Dritten möglich ist, zu beurteilen, ob und in welchem Umfang sie von den Auswirkungen der Anlage betroffen werden können.
(3) Sind die Unterlagen des Antragstellers vollständig, so hat die zuständige Behörde das Vorhaben in ihrem amtlichen Veröffentlichungsblatt und außerdem entweder im Internet oder in örtlichen Tageszeitungen, die im Bereich des Standortes der Anlage verbreitet sind, öffentlich bekannt zu machen. Der Antrag und die vom Antragsteller vorgelegten Unterlagen, mit Ausnahme der Unterlagen nach Absatz 2 Satz 1, sowie die entscheidungserheblichen Berichte und Empfehlungen, die der Behörde im Zeitpunkt der Bekanntmachung vorliegen, sind nach der Bekanntmachung einen Monat zur Einsicht auszulegen. Weitere Informationen, die für die Entscheidung über die Zulässigkeit des Vorhabens von Bedeutung sein können und die der zuständigen Behörde erst nach Beginn der Auslegung vorliegen, sind der Öffentlichkeit nach den Bestimmungen über den Zugang zu Umweltinformationen zugänglich zu machen. Bis zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist kann die Öffentlichkeit gegenüber der zuständigen Behörde schriftlich oder elektronisch Einwendungen erheben; bei Anlagen nach der Industrieemissions-Richtlinie gilt eine Frist von einem Monat. Mit Ablauf der Einwendungsfrist sind für das Genehmigungsverfahren alle Einwendungen ausgeschlossen, die nicht auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen. Einwendungen, die auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen, sind auf den Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten zu verweisen.
(3a) Nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz anerkannte Vereinigungen sollen die zuständige Behörde in einer dem Umweltschutz dienenden Weise unterstützen.
(4) In der Bekanntmachung nach Absatz 3 Satz 1 ist
- 1.
darauf hinzuweisen, wo und wann der Antrag auf Erteilung der Genehmigung und die Unterlagen zur Einsicht ausgelegt sind; - 2.
dazu aufzufordern, etwaige Einwendungen bei einer in der Bekanntmachung zu bezeichnenden Stelle innerhalb der Einwendungsfrist vorzubringen; dabei ist auf die Rechtsfolgen nach Absatz 3 Satz 5 hinzuweisen; - 3.
ein Erörterungstermin zu bestimmen und darauf hinzuweisen, dass er auf Grund einer Ermessensentscheidung der Genehmigungsbehörde nach Absatz 6 durchgeführt wird und dass dann die formgerecht erhobenen Einwendungen auch bei Ausbleiben des Antragstellers oder von Personen, die Einwendungen erhoben haben, erörtert werden; - 4.
darauf hinzuweisen, dass die Zustellung der Entscheidung über die Einwendungen durch öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden kann.
(5) Die für die Erteilung der Genehmigung zuständige Behörde (Genehmigungsbehörde) holt die Stellungnahmen der Behörden ein, deren Aufgabenbereich durch das Vorhaben berührt wird. Hat eine zu beteiligende Behörde bei einem Verfahren zur Genehmigung einer Anlage zur Nutzung erneuerbarer Energien innerhalb einer Frist von einem Monat keine Stellungnahme abgegeben, so ist davon auszugehen, dass die beteiligte Behörde sich nicht äußern will. Die zuständige Behörde hat die Entscheidung in diesem Fall auf Antrag auf der Grundlage der geltenden Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Ablaufs der Monatsfrist zu treffen. Soweit für das Vorhaben selbst oder für weitere damit unmittelbar in einem räumlichen oder betrieblichen Zusammenhang stehende Vorhaben, die Auswirkungen auf die Umwelt haben können und die für die Genehmigung Bedeutung haben, eine Zulassung nach anderen Gesetzen vorgeschrieben ist, hat die Genehmigungsbehörde eine vollständige Koordinierung der Zulassungsverfahren sowie der Inhalts- und Nebenbestimmungen sicherzustellen.
(5a) Betrifft das Vorhaben eine Anlage, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie (EU) 2018/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen (Neufassung) (ABl. L 328 vom 21.12.2018, S. 82) fällt, gilt ergänzend Folgendes:
- 1.
Auf Antrag des Trägers des Vorhabens wird das Genehmigungsverfahren sowie alle sonstigen Zulassungsverfahren, die für die Durchführung des Vorhabens nach Bundes- oder Landesrecht erforderlich sind, über eine einheitliche Stelle abgewickelt. - 2.
Die einheitliche Stelle nach Nummer 1 stellt ein Verfahrenshandbuch für Träger von Vorhaben bereit und macht diese Informationen auch im Internet zugänglich. Dabei geht sie gesondert auch auf kleinere Vorhaben und Vorhaben zur Eigenversorgung mit Elektrizität ein, soweit sich das Genehmigungserfordernis nach § 1 Absatz 2 der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen darauf erstreckt. In den im Internet veröffentlichten Informationen weist die einheitliche Stelle auch darauf hin, für welche Vorhaben sie zuständig ist und welche weiteren einheitlichen Stellen im jeweiligen Land für Vorhaben nach Satz 1 zuständig sind. - 3.
Die zuständige und die zu beteiligenden Behörden sollen die zur Prüfung des Antrags zusätzlich erforderlichen Unterlagen in einer einmaligen Mitteilung an den Antragsteller zusammenfassen. Nach Eingang der vollständigen Antragsunterlagen erstellt die Genehmigungsbehörde einen Zeitplan für das weitere Verfahren und teilt diesen Zeitplan in den Fällen der Nummer 1 der einheitlichen Stelle, andernfalls dem Antragsteller mit.
(6) Nach Ablauf der Einwendungsfrist kann die Genehmigungsbehörde die rechtzeitig gegen das Vorhaben erhobenen Einwendungen mit dem Antragsteller und denjenigen, die Einwendungen erhoben haben, erörtern.
(6a) Über den Genehmigungsantrag ist nach Eingang des Antrags und der nach Absatz 1 Satz 2 einzureichenden Unterlagen innerhalb einer Frist von sieben Monaten, in vereinfachten Verfahren innerhalb einer Frist von drei Monaten, zu entscheiden. Die zuständige Behörde kann die Frist um jeweils drei Monate verlängern, wenn dies wegen der Schwierigkeit der Prüfung oder aus Gründen, die dem Antragsteller zuzurechnen sind, erforderlich ist. Die Fristverlängerung soll gegenüber dem Antragsteller begründet werden.
(7) Der Genehmigungsbescheid ist schriftlich zu erlassen, schriftlich zu begründen und dem Antragsteller und den Personen, die Einwendungen erhoben haben, zuzustellen. Er ist, soweit die Zustellung nicht nach Absatz 8 erfolgt, öffentlich bekannt zu machen. Die öffentliche Bekanntmachung erfolgt nach Maßgabe des Absatzes 8.
(8) Die Zustellung des Genehmigungsbescheids an die Personen, die Einwendungen erhoben haben, kann durch öffentliche Bekanntmachung ersetzt werden. Die öffentliche Bekanntmachung wird dadurch bewirkt, dass der verfügende Teil des Bescheides und die Rechtsbehelfsbelehrung in entsprechender Anwendung des Absatzes 3 Satz 1 bekannt gemacht werden; auf Auflagen ist hinzuweisen. In diesem Fall ist eine Ausfertigung des gesamten Bescheides vom Tage nach der Bekanntmachung an zwei Wochen zur Einsicht auszulegen. In der öffentlichen Bekanntmachung ist anzugeben, wo und wann der Bescheid und seine Begründung eingesehen und nach Satz 6 angefordert werden können. Mit dem Ende der Auslegungsfrist gilt der Bescheid auch gegenüber Dritten, die keine Einwendung erhoben haben, als zugestellt; darauf ist in der Bekanntmachung hinzuweisen. Nach der öffentlichen Bekanntmachung können der Bescheid und seine Begründung bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist von den Personen, die Einwendungen erhoben haben, schriftlich oder elektronisch angefordert werden.
(8a) Unbeschadet der Absätze 7 und 8 sind bei Anlagen nach der Industrieemissions-Richtlinie folgende Unterlagen im Internet öffentlich bekannt zu machen:
- 1.
der Genehmigungsbescheid mit Ausnahme in Bezug genommener Antragsunterlagen und des Berichts über den Ausgangszustand sowie - 2.
die Bezeichnung des für die betreffende Anlage maßgeblichen BVT-Merkblatts.
(9) Die Absätze 1 bis 8 gelten entsprechend für die Erteilung eines Vorbescheides.
(10) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Genehmigungsverfahren zu regeln; in der Rechtsverordnung kann auch das Verfahren bei Erteilung einer Genehmigung im vereinfachten Verfahren (§ 19) sowie bei der Erteilung eines Vorbescheides (§ 9), einer Teilgenehmigung (§ 8) und einer Zulassung vorzeitigen Beginns (§ 8a) geregelt werden. In der Verordnung ist auch näher zu bestimmen, welchen Anforderungen das Genehmigungsverfahren für Anlagen genügen muss, für die nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist.
(11) Das Bundesministerium der Verteidigung wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Genehmigungsverfahren für Anlagen, die der Landesverteidigung dienen, abweichend von den Absätzen 1 bis 9 zu regeln.
(1) Eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 44 nichtig macht, ist unbeachtlich, wenn
- 1.
der für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderliche Antrag nachträglich gestellt wird; - 2.
die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird; - 3.
die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird; - 4.
der Beschluss eines Ausschusses, dessen Mitwirkung für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderlich ist, nachträglich gefasst wird; - 5.
die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde nachgeholt wird.
(2) Handlungen nach Absatz 1 können bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.
(3) Fehlt einem Verwaltungsakt die erforderliche Begründung oder ist die erforderliche Anhörung eines Beteiligten vor Erlass des Verwaltungsaktes unterblieben und ist dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsaktes versäumt worden, so gilt die Versäumung der Rechtsbehelfsfrist als nicht verschuldet. Das für die Wiedereinsetzungsfrist nach § 32 Abs. 2 maßgebende Ereignis tritt im Zeitpunkt der Nachholung der unterlassenen Verfahrenshandlung ein.
(1) Die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b kann verlangt werden, wenn
- 1.
eine nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung, nach der Verordnung über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher Vorhaben oder nach entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften - a)
erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder - b)
erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls zur Feststellung der UVP-Pflichtigkeit
- 2.
eine erforderliche Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne von § 18 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder im Sinne von § 10 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist oder - 3.
ein anderer Verfahrensfehler vorliegt, der - a)
nicht geheilt worden ist, - b)
nach seiner Art und Schwere mit den in den Nummern 1 und 2 genannten Fällen vergleichbar ist und - c)
der betroffenen Öffentlichkeit die Möglichkeit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung am Entscheidungsprozess genommen hat; zur Beteiligung am Entscheidungsprozess gehört auch der Zugang zu den Unterlagen, die zur Einsicht für die Öffentlichkeit auszulegen sind.
(1a) Für Verfahrensfehler, die nicht unter Absatz 1 fallen, gilt § 46 des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Lässt sich durch das Gericht nicht aufklären, ob ein Verfahrensfehler nach Satz 1 die Entscheidung in der Sache beeinflusst hat, wird eine Beeinflussung vermutet.
(1b) Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften führt nur dann zur Aufhebung der Entscheidung nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 2b oder 5, wenn sie nicht durch Entscheidungsergänzung oder ein ergänzendes Verfahren behoben werden kann. Unberührt bleiben
- 1.
§ 45 Absatz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes sowie - 2.
§ 75 Absatz 1a des Verwaltungsverfahrensgesetzes und andere entsprechende Rechtsvorschriften zur Planerhaltung.
(2) Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Beschlüsse im Sinne des § 2 Absatz 6 Nummer 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung sind, gelten abweichend von den Absätzen 1 bis 1b die §§ 214 und 215 und die diesbezüglichen Überleitungsvorschriften des Baugesetzbuchs sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(3) Die Absätze 1 bis 2 gelten für Rechtsbehelfe von
- 1.
Personen gemäß § 61 Nummer 1 der Verwaltungsgerichtsordnung und Vereinigungen gemäß § 61 Nummer 2 der Verwaltungsgerichtsordnung sowie - 2.
Vereinigungen, die die Anforderungen des § 3 Absatz 1 oder des § 2 Absatz 2 erfüllen.
(4) Für Rechtsbehelfe von Vereinigungen nach Absatz 3 Satz 1 Nummer 2 gegen Entscheidungen nach § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 sind die Absätze 1 bis 2 entsprechend anzuwenden. Soweit Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung Raumordnungspläne nach dem Raumordnungsgesetz sind, gelten abweichend von Satz 1 die §§ 11 und 27 Absatz 2 des Raumordnungsgesetzes sowie die einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften.
(5) Für Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3, 5 und 6 gelten bei Verfahrensfehlern die jeweiligen fachrechtlichen Regelungen sowie die Regelungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes.
(1) Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn
- 1.
sichergestellt ist, dass die sich aus § 5 und einer auf Grund des § 7 erlassenen Rechtsverordnung ergebenden Pflichten erfüllt werden, und - 2.
andere öffentlich-rechtliche Vorschriften und Belange des Arbeitsschutzes der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegenstehen.
(2) Bei Anlagen, die unterschiedlichen Betriebsweisen dienen oder in denen unterschiedliche Stoffe eingesetzt werden (Mehrzweck- oder Vielstoffanlagen), ist die Genehmigung auf Antrag auf die unterschiedlichen Betriebsweisen und Stoffe zu erstrecken, wenn die Voraussetzungen nach Absatz 1 für alle erfassten Betriebsweisen und Stoffe erfüllt sind.
(3) Eine beantragte Änderungsgenehmigung darf auch dann nicht versagt werden, wenn zwar nach ihrer Durchführung nicht alle Immissionswerte einer Verwaltungsvorschrift nach § 48 oder einer Rechtsverordnung nach § 48a eingehalten werden, wenn aber
- 1.
der Immissionsbeitrag der Anlage unter Beachtung des § 17 Absatz 3a Satz 3 durch das Vorhaben deutlich und über das durch nachträgliche Anordnungen nach § 17 Absatz 1 durchsetzbare Maß reduziert wird, - 2.
weitere Maßnahmen zur Luftreinhaltung, insbesondere Maßnahmen, die über den Stand der Technik bei neu zu errichtenden Anlagen hinausgehen, durchgeführt werden, - 3.
der Antragsteller darüber hinaus einen Immissionsmanagementplan zur Verringerung seines Verursacheranteils vorlegt, um eine spätere Einhaltung der Anforderungen nach § 5 Absatz 1 Nummer 1 zu erreichen, und - 4.
die konkreten Umstände einen Widerruf der Genehmigung nicht erfordern.
(1) Im Außenbereich ist ein Vorhaben nur zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen, die ausreichende Erschließung gesichert ist und wenn es
- 1.
einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dient und nur einen untergeordneten Teil der Betriebsfläche einnimmt, - 2.
einem Betrieb der gartenbaulichen Erzeugung dient, - 3.
der öffentlichen Versorgung mit Elektrizität, Gas, Telekommunikationsdienstleistungen, Wärme und Wasser, der Abwasserwirtschaft oder einem ortsgebundenen gewerblichen Betrieb dient, - 4.
wegen seiner besonderen Anforderungen an die Umgebung, wegen seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung oder wegen seiner besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden soll, es sei denn, es handelt sich um die Errichtung, Änderung oder Erweiterung einer baulichen Anlage zur Tierhaltung, die dem Anwendungsbereich der Nummer 1 nicht unterfällt und die einer Pflicht zur Durchführung einer standortbezogenen oder allgemeinen Vorprüfung oder einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt, wobei bei kumulierenden Vorhaben für die Annahme eines engen Zusammenhangs diejenigen Tierhaltungsanlagen zu berücksichtigen sind, die auf demselben Betriebs- oder Baugelände liegen und mit gemeinsamen betrieblichen oder baulichen Einrichtungen verbunden sind, - 5.
der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie nach Maßgabe des § 249 oder der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Wasserenergie dient, - 6.
der energetischen Nutzung von Biomasse im Rahmen eines Betriebs nach Nummer 1 oder 2 oder eines Betriebs nach Nummer 4, der Tierhaltung betreibt, sowie dem Anschluss solcher Anlagen an das öffentliche Versorgungsnetz dient, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben steht in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit dem Betrieb, - b)
die Biomasse stammt überwiegend aus dem Betrieb oder überwiegend aus diesem und aus nahe gelegenen Betrieben nach den Nummern 1, 2 oder 4, soweit letzterer Tierhaltung betreibt, - c)
es wird je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage betrieben und - d)
die Kapazität einer Anlage zur Erzeugung von Biogas überschreitet nicht 2,3 Millionen Normkubikmeter Biogas pro Jahr, die Feuerungswärmeleistung anderer Anlagen überschreitet nicht 2,0 Megawatt,
- 7.
der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken oder der Entsorgung radioaktiver Abfälle dient, mit Ausnahme der Neuerrichtung von Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität, - 8.
der Nutzung solarer Strahlungsenergie dient - a)
in, an und auf Dach- und Außenwandflächen von zulässigerweise genutzten Gebäuden, wenn die Anlage dem Gebäude baulich untergeordnet ist, oder - b)
auf einer Fläche längs von - aa)
Autobahnen oder - bb)
Schienenwegen des übergeordneten Netzes im Sinne des § 2b des Allgemeinen Eisenbahngesetzes mit mindestens zwei Hauptgleisen
- 9.
der Nutzung solarer Strahlungsenergie durch besondere Solaranlagen im Sinne des § 48 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 Buchstabe a, b oder c des Erneuerbare-Energien-Gesetzes dient, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben steht in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit einem Betrieb nach Nummer 1 oder 2, - b)
die Grundfläche der besonderen Solaranlage überschreitet nicht 25 000 Quadratmeter und - c)
es wird je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage betrieben.
(2) Sonstige Vorhaben können im Einzelfall zugelassen werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist.
(3) Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange liegt insbesondere vor, wenn das Vorhaben
- 1.
den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspricht, - 2.
den Darstellungen eines Landschaftsplans oder sonstigen Plans, insbesondere des Wasser-, Abfall- oder Immissionsschutzrechts, widerspricht, - 3.
schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann oder ihnen ausgesetzt wird, - 4.
unwirtschaftliche Aufwendungen für Straßen oder andere Verkehrseinrichtungen, für Anlagen der Versorgung oder Entsorgung, für die Sicherheit oder Gesundheit oder für sonstige Aufgaben erfordert, - 5.
Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege, des Bodenschutzes, des Denkmalschutzes oder die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert beeinträchtigt oder das Orts- und Landschaftsbild verunstaltet, - 6.
Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur beeinträchtigt, die Wasserwirtschaft oder den Hochwasserschutz gefährdet, - 7.
die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt oder - 8.
die Funktionsfähigkeit von Funkstellen und Radaranlagen stört.
(4) Den nachfolgend bezeichneten sonstigen Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 kann nicht entgegengehalten werden, dass sie Darstellungen des Flächennutzungsplans oder eines Landschaftsplans widersprechen, die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen oder die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lassen, soweit sie im Übrigen außenbereichsverträglich im Sinne des Absatzes 3 sind:
- 1.
die Änderung der bisherigen Nutzung eines Gebäudes, das unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nummer 1 errichtet wurde, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben dient einer zweckmäßigen Verwendung erhaltenswerter Bausubstanz, - b)
die äußere Gestalt des Gebäudes bleibt im Wesentlichen gewahrt, - c)
die Aufgabe der bisherigen Nutzung liegt nicht länger als sieben Jahre zurück, - d)
das Gebäude ist vor mehr als sieben Jahren zulässigerweise errichtet worden, - e)
das Gebäude steht im räumlich-funktionalen Zusammenhang mit der Hofstelle des land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs, - f)
im Falle der Änderung zu Wohnzwecken entstehen neben den bisher nach Absatz 1 Nummer 1 zulässigen Wohnungen höchstens fünf Wohnungen je Hofstelle und - g)
es wird eine Verpflichtung übernommen, keine Neubebauung als Ersatz für die aufgegebene Nutzung vorzunehmen, es sei denn, die Neubebauung wird im Interesse der Entwicklung des Betriebs im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 erforderlich,
- 2.
die Neuerrichtung eines gleichartigen Wohngebäudes an gleicher Stelle unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das vorhandene Gebäude ist zulässigerweise errichtet worden, - b)
das vorhandene Gebäude weist Missstände oder Mängel auf, - c)
das vorhandene Gebäude wurde oder wird seit längerer Zeit vom Eigentümer selbst genutzt und - d)
Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des bisherigen Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird; hat der Eigentümer das vorhandene Gebäude im Wege der Erbfolge von einem Voreigentümer erworben, der es seit längerer Zeit selbst genutzt hat, reicht es aus, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird,
- 3.
die alsbaldige Neuerrichtung eines zulässigerweise errichteten, durch Brand, Naturereignisse oder andere außergewöhnliche Ereignisse zerstörten, gleichartigen Gebäudes an gleicher Stelle, - 4.
die Änderung oder Nutzungsänderung von erhaltenswerten, das Bild der Kulturlandschaft prägenden Gebäuden, auch wenn sie aufgegeben sind, wenn das Vorhaben einer zweckmäßigen Verwendung der Gebäude und der Erhaltung des Gestaltwerts dient, - 5.
die Erweiterung eines Wohngebäudes auf bis zu höchstens zwei Wohnungen unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Gebäude ist zulässigerweise errichtet worden, - b)
die Erweiterung ist im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse angemessen und - c)
bei der Errichtung einer weiteren Wohnung rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass das Gebäude vom bisherigen Eigentümer oder seiner Familie selbst genutzt wird,
- 6.
die bauliche Erweiterung eines zulässigerweise errichteten gewerblichen Betriebs, wenn die Erweiterung im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und Betrieb angemessen ist.
(5) Die nach den Absätzen 1 bis 4 zulässigen Vorhaben sind in einer flächensparenden, die Bodenversiegelung auf das notwendige Maß begrenzenden und den Außenbereich schonenden Weise auszuführen. Für Vorhaben nach Absatz 1 Nummer 2 bis 6, 8 Buchstabe b und Nummer 9 ist als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung eine Verpflichtungserklärung abzugeben, das Vorhaben nach dauerhafter Aufgabe der zulässigen Nutzung zurückzubauen und Bodenversiegelungen zu beseitigen; bei einer nach Absatz 1 Nummer 2 bis 6 und 8 Buchstabe b zulässigen Nutzungsänderung ist die Rückbauverpflichtung zu übernehmen, bei einer nach Absatz 1 Nummer 1 oder Absatz 2 zulässigen Nutzungsänderung entfällt sie. Die Baugenehmigungsbehörde soll durch nach Landesrecht vorgesehene Baulast oder in anderer Weise die Einhaltung der Verpflichtung nach Satz 2 sowie nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe g sicherstellen. Im Übrigen soll sie in den Fällen des Absatzes 4 Satz 1 sicherstellen, dass die bauliche oder sonstige Anlage nach Durchführung des Vorhabens nur in der vorgesehenen Art genutzt wird.
(6) Die Gemeinde kann für bebaute Bereiche im Außenbereich, die nicht überwiegend landwirtschaftlich geprägt sind und in denen eine Wohnbebauung von einigem Gewicht vorhanden ist, durch Satzung bestimmen, dass Wohnzwecken dienenden Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 nicht entgegengehalten werden kann, dass sie einer Darstellung im Flächennutzungsplan über Flächen für die Landwirtschaft oder Wald widersprechen oder die Entstehung oder Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lassen. Die Satzung kann auch auf Vorhaben erstreckt werden, die kleineren Handwerks- und Gewerbebetrieben dienen. In der Satzung können nähere Bestimmungen über die Zulässigkeit getroffen werden. Voraussetzung für die Aufstellung der Satzung ist, dass
- 1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar ist, - 2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und - 3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
(1) Genehmigungsbedürftige Anlagen sind so zu errichten und zu betreiben, dass zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt
- 1.
schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können; - 2.
Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen getroffen wird, insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen; - 3.
Abfälle vermieden, nicht zu vermeidende Abfälle verwertet und nicht zu verwertende Abfälle ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit beseitigt werden; Abfälle sind nicht zu vermeiden, soweit die Vermeidung technisch nicht möglich oder nicht zumutbar ist; die Vermeidung ist unzulässig, soweit sie zu nachteiligeren Umweltauswirkungen führt als die Verwertung; die Verwertung und Beseitigung von Abfällen erfolgt nach den Vorschriften des Kreislaufwirtschaftsgesetzes und den sonstigen für die Abfälle geltenden Vorschriften; - 4.
Energie sparsam und effizient verwendet wird.
(2) Soweit genehmigungsbedürftige Anlagen dem Anwendungsbereich des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes unterliegen, sind Anforderungen zur Begrenzung von Emissionen von Treibhausgasen nur zulässig, um zur Erfüllung der Pflichten nach Absatz 1 Nummer 1 sicherzustellen, dass im Einwirkungsbereich der Anlage keine schädlichen Umwelteinwirkungen entstehen; dies gilt nur für Treibhausgase, die für die betreffende Tätigkeit nach Anhang 1 des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes umfasst sind. Bei diesen Anlagen dürfen zur Erfüllung der Pflicht zur effizienten Verwendung von Energie in Bezug auf die Emissionen von Kohlendioxid, die auf Verbrennungs- oder anderen Prozessen der Anlage beruhen, keine Anforderungen gestellt werden, die über die Pflichten hinausgehen, welche das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz begründet.
(3) Genehmigungsbedürftige Anlagen sind so zu errichten, zu betreiben und stillzulegen, dass auch nach einer Betriebseinstellung
- 1.
von der Anlage oder dem Anlagengrundstück keine schädlichen Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft hervorgerufen werden können, - 2.
vorhandene Abfälle ordnungsgemäß und schadlos verwertet oder ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit beseitigt werden und - 3.
die Wiederherstellung eines ordnungsgemäßen Zustandes des Anlagengrundstücks gewährleistet ist.
(4) Wurden nach dem 7. Januar 2013 auf Grund des Betriebs einer Anlage nach der Industrieemissions-Richtlinie erhebliche Bodenverschmutzungen oder erhebliche Grundwasserverschmutzungen durch relevante gefährliche Stoffe im Vergleich zu dem im Bericht über den Ausgangszustand angegebenen Zustand verursacht, so ist der Betreiber nach Einstellung des Betriebs der Anlage verpflichtet, soweit dies verhältnismäßig ist, Maßnahmen zur Beseitigung dieser Verschmutzung zu ergreifen, um das Anlagengrundstück in jenen Ausgangszustand zurückzuführen. Die zuständige Behörde hat der Öffentlichkeit relevante Informationen zu diesen vom Betreiber getroffenen Maßnahmen zugänglich zu machen, und zwar auch über das Internet. Soweit Informationen Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse enthalten, gilt § 10 Absatz 2 entsprechend.
(1) Schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne dieses Gesetzes sind Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen.
(2) Immissionen im Sinne dieses Gesetzes sind auf Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter einwirkende Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Umwelteinwirkungen.
(3) Emissionen im Sinne dieses Gesetzes sind die von einer Anlage ausgehenden Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnlichen Erscheinungen.
(4) Luftverunreinigungen im Sinne dieses Gesetzes sind Veränderungen der natürlichen Zusammensetzung der Luft, insbesondere durch Rauch, Ruß, Staub, Gase, Aerosole, Dämpfe oder Geruchsstoffe.
(5) Anlagen im Sinne dieses Gesetzes sind
- 1.
Betriebsstätten und sonstige ortsfeste Einrichtungen, - 2.
Maschinen, Geräte und sonstige ortsveränderliche technische Einrichtungen sowie Fahrzeuge, soweit sie nicht der Vorschrift des § 38 unterliegen, und - 3.
Grundstücke, auf denen Stoffe gelagert oder abgelagert oder Arbeiten durchgeführt werden, die Emissionen verursachen können, ausgenommen öffentliche Verkehrswege.
(5a) Ein Betriebsbereich ist der gesamte unter der Aufsicht eines Betreibers stehende Bereich, in dem gefährliche Stoffe im Sinne des Artikels 3 Nummer 10 der Richtlinie 2012/18/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 zur Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen, zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinie 96/82/EG des Rates (ABl. L 197 vom 24.7.2012, S. 1) in einer oder mehreren Anlagen einschließlich gemeinsamer oder verbundener Infrastrukturen oder Tätigkeiten auch bei Lagerung im Sinne des Artikels 3 Nummer 16 der Richtlinie in den in Artikel 3 Nummer 2 oder Nummer 3 der Richtlinie bezeichneten Mengen tatsächlich vorhanden oder vorgesehen sind oder vorhanden sein werden, soweit vernünftigerweise vorhersehbar ist, dass die genannten gefährlichen Stoffe bei außer Kontrolle geratenen Prozessen anfallen; ausgenommen sind die in Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie 2012/18/EU angeführten Einrichtungen, Gefahren und Tätigkeiten, es sei denn, es handelt sich um eine in Artikel 2 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2012/18/EU genannte Einrichtung, Gefahr oder Tätigkeit.
(5b) Eine störfallrelevante Errichtung und ein Betrieb oder eine störfallrelevante Änderung einer Anlage oder eines Betriebsbereichs ist eine Errichtung und ein Betrieb einer Anlage, die Betriebsbereich oder Bestandteil eines Betriebsbereichs ist, oder eine Änderung einer Anlage oder eines Betriebsbereichs einschließlich der Änderung eines Lagers, eines Verfahrens oder der Art oder physikalischen Form oder der Mengen der gefährlichen Stoffe im Sinne des Artikels 3 Nummer 10 der Richtlinie 2012/18/EU, aus der sich erhebliche Auswirkungen auf die Gefahren schwerer Unfälle ergeben können. Eine störfallrelevante Änderung einer Anlage oder eines Betriebsbereichs liegt zudem vor, wenn eine Änderung dazu führen könnte, dass ein Betriebsbereich der unteren Klasse zu einem Betriebsbereich der oberen Klasse wird oder umgekehrt.
(5c) Der angemessene Sicherheitsabstand im Sinne dieses Gesetzes ist der Abstand zwischen einem Betriebsbereich oder einer Anlage, die Betriebsbereich oder Bestandteil eines Betriebsbereichs ist, und einem benachbarten Schutzobjekt, der zur gebotenen Begrenzung der Auswirkungen auf das benachbarte Schutzobjekt, welche durch schwere Unfälle im Sinne des Artikels 3 Nummer 13 der Richtlinie 2012/18/EU hervorgerufen werden können, beiträgt. Der angemessene Sicherheitsabstand ist anhand störfallspezifischer Faktoren zu ermitteln.
(5d) Benachbarte Schutzobjekte im Sinne dieses Gesetzes sind ausschließlich oder überwiegend dem Wohnen dienende Gebiete, öffentlich genutzte Gebäude und Gebiete, Freizeitgebiete, wichtige Verkehrswege und unter dem Gesichtspunkt des Naturschutzes besonders wertvolle oder besonders empfindliche Gebiete.
(6) Stand der Technik im Sinne dieses Gesetzes ist der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme zur Begrenzung von Emissionen in Luft, Wasser und Boden, zur Gewährleistung der Anlagensicherheit, zur Gewährleistung einer umweltverträglichen Abfallentsorgung oder sonst zur Vermeidung oder Verminderung von Auswirkungen auf die Umwelt zur Erreichung eines allgemein hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt gesichert erscheinen lässt. Bei der Bestimmung des Standes der Technik sind insbesondere die in der Anlage aufgeführten Kriterien zu berücksichtigen.
(6a) BVT-Merkblatt im Sinne dieses Gesetzes ist ein Dokument, das auf Grund des Informationsaustausches nach Artikel 13 der Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) (Neufassung) (ABl. L 334 vom 17.12.2010, S. 17) für bestimmte Tätigkeiten erstellt wird und insbesondere die angewandten Techniken, die derzeitigen Emissions- und Verbrauchswerte, alle Zukunftstechniken sowie die Techniken beschreibt, die für die Festlegung der besten verfügbaren Techniken sowie der BVT-Schlussfolgerungen berücksichtigt wurden.
(6b) BVT-Schlussfolgerungen im Sinne dieses Gesetzes sind ein nach Artikel 13 Absatz 5 der Richtlinie 2010/75/EU von der Europäischen Kommission erlassenes Dokument, das die Teile eines BVT-Merkblatts mit den Schlussfolgerungen in Bezug auf Folgendes enthält:
- 1.
die besten verfügbaren Techniken, ihrer Beschreibung und Informationen zur Bewertung ihrer Anwendbarkeit, - 2.
die mit den besten verfügbaren Techniken assoziierten Emissionswerte, - 3.
die zu den Nummern 1 und 2 gehörigen Überwachungsmaßnahmen, - 4.
die zu den Nummern 1 und 2 gehörigen Verbrauchswerte sowie - 5.
die gegebenenfalls einschlägigen Standortsanierungsmaßnahmen.
(6c) Emissionsbandbreiten im Sinne dieses Gesetzes sind die mit den besten verfügbaren Techniken assoziierten Emissionswerte.
(6d) Die mit den besten verfügbaren Techniken assoziierten Emissionswerte im Sinne dieses Gesetzes sind der Bereich von Emissionswerten, die unter normalen Betriebsbedingungen unter Verwendung einer besten verfügbaren Technik oder einer Kombination von besten verfügbaren Techniken entsprechend der Beschreibung in den BVT-Schlussfolgerungen erzielt werden, ausgedrückt als Mittelwert für einen vorgegebenen Zeitraum unter spezifischen Referenzbedingungen.
(6e) Zukunftstechniken im Sinne dieses Gesetzes sind neue Techniken für Anlagen nach der Industrieemissions-Richtlinie, die bei gewerblicher Nutzung entweder ein höheres allgemeines Umweltschutzniveau oder zumindest das gleiche Umweltschutzniveau und größere Kostenersparnisse bieten könnten als der bestehende Stand der Technik.
(7) Dem Herstellen im Sinne dieses Gesetzes steht das Verarbeiten, Bearbeiten oder sonstige Behandeln, dem Einführen im Sinne dieses Gesetzes das sonstige Verbringen in den Geltungsbereich dieses Gesetzes gleich.
(8) Anlagen nach der Industrieemissions-Richtlinie im Sinne dieses Gesetzes sind die in der Rechtsverordnung nach § 4 Absatz 1 Satz 4 gekennzeichneten Anlagen.
(9) Gefährliche Stoffe im Sinne dieses Gesetzes sind Stoffe oder Gemische gemäß Artikel 3 der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, zur Änderung und Aufhebung der Richtlinien
(10) Relevante gefährliche Stoffe im Sinne dieses Gesetzes sind gefährliche Stoffe, die in erheblichem Umfang in der Anlage verwendet, erzeugt oder freigesetzt werden und die ihrer Art nach eine Verschmutzung des Bodens oder des Grundwassers auf dem Anlagengrundstück verursachen können.
(1) Im Außenbereich ist ein Vorhaben nur zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen, die ausreichende Erschließung gesichert ist und wenn es
- 1.
einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dient und nur einen untergeordneten Teil der Betriebsfläche einnimmt, - 2.
einem Betrieb der gartenbaulichen Erzeugung dient, - 3.
der öffentlichen Versorgung mit Elektrizität, Gas, Telekommunikationsdienstleistungen, Wärme und Wasser, der Abwasserwirtschaft oder einem ortsgebundenen gewerblichen Betrieb dient, - 4.
wegen seiner besonderen Anforderungen an die Umgebung, wegen seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung oder wegen seiner besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden soll, es sei denn, es handelt sich um die Errichtung, Änderung oder Erweiterung einer baulichen Anlage zur Tierhaltung, die dem Anwendungsbereich der Nummer 1 nicht unterfällt und die einer Pflicht zur Durchführung einer standortbezogenen oder allgemeinen Vorprüfung oder einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt, wobei bei kumulierenden Vorhaben für die Annahme eines engen Zusammenhangs diejenigen Tierhaltungsanlagen zu berücksichtigen sind, die auf demselben Betriebs- oder Baugelände liegen und mit gemeinsamen betrieblichen oder baulichen Einrichtungen verbunden sind, - 5.
der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie nach Maßgabe des § 249 oder der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Wasserenergie dient, - 6.
der energetischen Nutzung von Biomasse im Rahmen eines Betriebs nach Nummer 1 oder 2 oder eines Betriebs nach Nummer 4, der Tierhaltung betreibt, sowie dem Anschluss solcher Anlagen an das öffentliche Versorgungsnetz dient, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben steht in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit dem Betrieb, - b)
die Biomasse stammt überwiegend aus dem Betrieb oder überwiegend aus diesem und aus nahe gelegenen Betrieben nach den Nummern 1, 2 oder 4, soweit letzterer Tierhaltung betreibt, - c)
es wird je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage betrieben und - d)
die Kapazität einer Anlage zur Erzeugung von Biogas überschreitet nicht 2,3 Millionen Normkubikmeter Biogas pro Jahr, die Feuerungswärmeleistung anderer Anlagen überschreitet nicht 2,0 Megawatt,
- 7.
der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken oder der Entsorgung radioaktiver Abfälle dient, mit Ausnahme der Neuerrichtung von Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität, - 8.
der Nutzung solarer Strahlungsenergie dient - a)
in, an und auf Dach- und Außenwandflächen von zulässigerweise genutzten Gebäuden, wenn die Anlage dem Gebäude baulich untergeordnet ist, oder - b)
auf einer Fläche längs von - aa)
Autobahnen oder - bb)
Schienenwegen des übergeordneten Netzes im Sinne des § 2b des Allgemeinen Eisenbahngesetzes mit mindestens zwei Hauptgleisen
- 9.
der Nutzung solarer Strahlungsenergie durch besondere Solaranlagen im Sinne des § 48 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 Buchstabe a, b oder c des Erneuerbare-Energien-Gesetzes dient, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben steht in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit einem Betrieb nach Nummer 1 oder 2, - b)
die Grundfläche der besonderen Solaranlage überschreitet nicht 25 000 Quadratmeter und - c)
es wird je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage betrieben.
(2) Sonstige Vorhaben können im Einzelfall zugelassen werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist.
(3) Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange liegt insbesondere vor, wenn das Vorhaben
- 1.
den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspricht, - 2.
den Darstellungen eines Landschaftsplans oder sonstigen Plans, insbesondere des Wasser-, Abfall- oder Immissionsschutzrechts, widerspricht, - 3.
schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann oder ihnen ausgesetzt wird, - 4.
unwirtschaftliche Aufwendungen für Straßen oder andere Verkehrseinrichtungen, für Anlagen der Versorgung oder Entsorgung, für die Sicherheit oder Gesundheit oder für sonstige Aufgaben erfordert, - 5.
Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege, des Bodenschutzes, des Denkmalschutzes oder die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert beeinträchtigt oder das Orts- und Landschaftsbild verunstaltet, - 6.
Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur beeinträchtigt, die Wasserwirtschaft oder den Hochwasserschutz gefährdet, - 7.
die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt oder - 8.
die Funktionsfähigkeit von Funkstellen und Radaranlagen stört.
(4) Den nachfolgend bezeichneten sonstigen Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 kann nicht entgegengehalten werden, dass sie Darstellungen des Flächennutzungsplans oder eines Landschaftsplans widersprechen, die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen oder die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lassen, soweit sie im Übrigen außenbereichsverträglich im Sinne des Absatzes 3 sind:
- 1.
die Änderung der bisherigen Nutzung eines Gebäudes, das unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nummer 1 errichtet wurde, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben dient einer zweckmäßigen Verwendung erhaltenswerter Bausubstanz, - b)
die äußere Gestalt des Gebäudes bleibt im Wesentlichen gewahrt, - c)
die Aufgabe der bisherigen Nutzung liegt nicht länger als sieben Jahre zurück, - d)
das Gebäude ist vor mehr als sieben Jahren zulässigerweise errichtet worden, - e)
das Gebäude steht im räumlich-funktionalen Zusammenhang mit der Hofstelle des land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs, - f)
im Falle der Änderung zu Wohnzwecken entstehen neben den bisher nach Absatz 1 Nummer 1 zulässigen Wohnungen höchstens fünf Wohnungen je Hofstelle und - g)
es wird eine Verpflichtung übernommen, keine Neubebauung als Ersatz für die aufgegebene Nutzung vorzunehmen, es sei denn, die Neubebauung wird im Interesse der Entwicklung des Betriebs im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 erforderlich,
- 2.
die Neuerrichtung eines gleichartigen Wohngebäudes an gleicher Stelle unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das vorhandene Gebäude ist zulässigerweise errichtet worden, - b)
das vorhandene Gebäude weist Missstände oder Mängel auf, - c)
das vorhandene Gebäude wurde oder wird seit längerer Zeit vom Eigentümer selbst genutzt und - d)
Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des bisherigen Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird; hat der Eigentümer das vorhandene Gebäude im Wege der Erbfolge von einem Voreigentümer erworben, der es seit längerer Zeit selbst genutzt hat, reicht es aus, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird,
- 3.
die alsbaldige Neuerrichtung eines zulässigerweise errichteten, durch Brand, Naturereignisse oder andere außergewöhnliche Ereignisse zerstörten, gleichartigen Gebäudes an gleicher Stelle, - 4.
die Änderung oder Nutzungsänderung von erhaltenswerten, das Bild der Kulturlandschaft prägenden Gebäuden, auch wenn sie aufgegeben sind, wenn das Vorhaben einer zweckmäßigen Verwendung der Gebäude und der Erhaltung des Gestaltwerts dient, - 5.
die Erweiterung eines Wohngebäudes auf bis zu höchstens zwei Wohnungen unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Gebäude ist zulässigerweise errichtet worden, - b)
die Erweiterung ist im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse angemessen und - c)
bei der Errichtung einer weiteren Wohnung rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass das Gebäude vom bisherigen Eigentümer oder seiner Familie selbst genutzt wird,
- 6.
die bauliche Erweiterung eines zulässigerweise errichteten gewerblichen Betriebs, wenn die Erweiterung im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und Betrieb angemessen ist.
(5) Die nach den Absätzen 1 bis 4 zulässigen Vorhaben sind in einer flächensparenden, die Bodenversiegelung auf das notwendige Maß begrenzenden und den Außenbereich schonenden Weise auszuführen. Für Vorhaben nach Absatz 1 Nummer 2 bis 6, 8 Buchstabe b und Nummer 9 ist als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung eine Verpflichtungserklärung abzugeben, das Vorhaben nach dauerhafter Aufgabe der zulässigen Nutzung zurückzubauen und Bodenversiegelungen zu beseitigen; bei einer nach Absatz 1 Nummer 2 bis 6 und 8 Buchstabe b zulässigen Nutzungsänderung ist die Rückbauverpflichtung zu übernehmen, bei einer nach Absatz 1 Nummer 1 oder Absatz 2 zulässigen Nutzungsänderung entfällt sie. Die Baugenehmigungsbehörde soll durch nach Landesrecht vorgesehene Baulast oder in anderer Weise die Einhaltung der Verpflichtung nach Satz 2 sowie nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe g sicherstellen. Im Übrigen soll sie in den Fällen des Absatzes 4 Satz 1 sicherstellen, dass die bauliche oder sonstige Anlage nach Durchführung des Vorhabens nur in der vorgesehenen Art genutzt wird.
(6) Die Gemeinde kann für bebaute Bereiche im Außenbereich, die nicht überwiegend landwirtschaftlich geprägt sind und in denen eine Wohnbebauung von einigem Gewicht vorhanden ist, durch Satzung bestimmen, dass Wohnzwecken dienenden Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 nicht entgegengehalten werden kann, dass sie einer Darstellung im Flächennutzungsplan über Flächen für die Landwirtschaft oder Wald widersprechen oder die Entstehung oder Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lassen. Die Satzung kann auch auf Vorhaben erstreckt werden, die kleineren Handwerks- und Gewerbebetrieben dienen. In der Satzung können nähere Bestimmungen über die Zulässigkeit getroffen werden. Voraussetzung für die Aufstellung der Satzung ist, dass
- 1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar ist, - 2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und - 3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
(1) Es ist verboten,
- 1.
wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, - 2.
wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten erheblich zu stören; eine erhebliche Störung liegt vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert, - 3.
Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, - 4.
wild lebende Pflanzen der besonders geschützten Arten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, sie oder ihre Standorte zu beschädigen oder zu zerstören
(2) Es ist ferner verboten,
- 1.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten in Besitz oder Gewahrsam zu nehmen, in Besitz oder Gewahrsam zu haben oder zu be- oder verarbeiten (Besitzverbote), - 2.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten im Sinne des § 7 Absatz 2 Nummer 13 Buchstabe b und c - a)
zu verkaufen, zu kaufen, zum Verkauf oder Kauf anzubieten, zum Verkauf vorrätig zu halten oder zu befördern, zu tauschen oder entgeltlich zum Gebrauch oder zur Nutzung zu überlassen, - b)
zu kommerziellen Zwecken zu erwerben, zur Schau zu stellen oder auf andere Weise zu verwenden
(3) Die Besitz- und Vermarktungsverbote gelten auch für Waren im Sinne des Anhangs der Richtlinie 83/129/EWG, die entgegen den Artikeln 1 und 3 dieser Richtlinie nach dem 30. September 1983 in die Gemeinschaft gelangt sind.
(4) Entspricht die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung und die Verwertung der dabei gewonnenen Erzeugnisse den in § 5 Absatz 2 bis 4 dieses Gesetzes genannten Anforderungen sowie den sich aus § 17 Absatz 2 des Bundes-Bodenschutzgesetzes und dem Recht der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft ergebenden Anforderungen an die gute fachliche Praxis, verstößt sie nicht gegen die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote. Sind in Anhang IV der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführte Arten, europäische Vogelarten oder solche Arten, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 aufgeführt sind, betroffen, gilt dies nur, soweit sich der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art durch die Bewirtschaftung nicht verschlechtert. Soweit dies nicht durch anderweitige Schutzmaßnahmen, insbesondere durch Maßnahmen des Gebietsschutzes, Artenschutzprogramme, vertragliche Vereinbarungen oder gezielte Aufklärung sichergestellt ist, ordnet die zuständige Behörde gegenüber den verursachenden Land-, Forst- oder Fischwirten die erforderlichen Bewirtschaftungsvorgaben an. Befugnisse nach Landesrecht zur Anordnung oder zum Erlass entsprechender Vorgaben durch Allgemeinverfügung oder Rechtsverordnung bleiben unberührt.
(5) Für nach § 15 Absatz 1 unvermeidbare Beeinträchtigungen durch Eingriffe in Natur und Landschaft, die nach § 17 Absatz 1 oder Absatz 3 zugelassen oder von einer Behörde durchgeführt werden, sowie für Vorhaben im Sinne des § 18 Absatz 2 Satz 1 gelten die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote nach Maßgabe der Sätze 2 bis 5. Sind in Anhang IV Buchstabe a der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführte Tierarten, europäische Vogelarten oder solche Arten betroffen, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 aufgeführt sind, liegt ein Verstoß gegen
- 1.
das Tötungs- und Verletzungsverbot nach Absatz 1 Nummer 1 nicht vor, wenn die Beeinträchtigung durch den Eingriff oder das Vorhaben das Tötungs- und Verletzungsrisiko für Exemplare der betroffenen Arten nicht signifikant erhöht und diese Beeinträchtigung bei Anwendung der gebotenen, fachlich anerkannten Schutzmaßnahmen nicht vermieden werden kann, - 2.
das Verbot des Nachstellens und Fangens wild lebender Tiere und der Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung ihrer Entwicklungsformen nach Absatz 1 Nummer 1 nicht vor, wenn die Tiere oder ihre Entwicklungsformen im Rahmen einer erforderlichen Maßnahme, die auf den Schutz der Tiere vor Tötung oder Verletzung oder ihrer Entwicklungsformen vor Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung und die Erhaltung der ökologischen Funktion der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang gerichtet ist, beeinträchtigt werden und diese Beeinträchtigungen unvermeidbar sind, - 3.
das Verbot nach Absatz 1 Nummer 3 nicht vor, wenn die ökologische Funktion der von dem Eingriff oder Vorhaben betroffenen Fortpflanzungs- und Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird.
(6) Die Zugriffs- und Besitzverbote gelten nicht für Handlungen zur Vorbereitung gesetzlich vorgeschriebener Prüfungen, die von fachkundigen Personen unter größtmöglicher Schonung der untersuchten Exemplare und der übrigen Tier- und Pflanzenwelt im notwendigen Umfang vorgenommen werden. Die Anzahl der verletzten oder getöteten Exemplare von europäischen Vogelarten und Arten der in Anhang IV Buchstabe a der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführten Tierarten ist von der fachkundigen Person der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde jährlich mitzuteilen.
(1) Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn
- 1.
sichergestellt ist, dass die sich aus § 5 und einer auf Grund des § 7 erlassenen Rechtsverordnung ergebenden Pflichten erfüllt werden, und - 2.
andere öffentlich-rechtliche Vorschriften und Belange des Arbeitsschutzes der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegenstehen.
(2) Bei Anlagen, die unterschiedlichen Betriebsweisen dienen oder in denen unterschiedliche Stoffe eingesetzt werden (Mehrzweck- oder Vielstoffanlagen), ist die Genehmigung auf Antrag auf die unterschiedlichen Betriebsweisen und Stoffe zu erstrecken, wenn die Voraussetzungen nach Absatz 1 für alle erfassten Betriebsweisen und Stoffe erfüllt sind.
(3) Eine beantragte Änderungsgenehmigung darf auch dann nicht versagt werden, wenn zwar nach ihrer Durchführung nicht alle Immissionswerte einer Verwaltungsvorschrift nach § 48 oder einer Rechtsverordnung nach § 48a eingehalten werden, wenn aber
- 1.
der Immissionsbeitrag der Anlage unter Beachtung des § 17 Absatz 3a Satz 3 durch das Vorhaben deutlich und über das durch nachträgliche Anordnungen nach § 17 Absatz 1 durchsetzbare Maß reduziert wird, - 2.
weitere Maßnahmen zur Luftreinhaltung, insbesondere Maßnahmen, die über den Stand der Technik bei neu zu errichtenden Anlagen hinausgehen, durchgeführt werden, - 3.
der Antragsteller darüber hinaus einen Immissionsmanagementplan zur Verringerung seines Verursacheranteils vorlegt, um eine spätere Einhaltung der Anforderungen nach § 5 Absatz 1 Nummer 1 zu erreichen, und - 4.
die konkreten Umstände einen Widerruf der Genehmigung nicht erfordern.
(1) Im Außenbereich ist ein Vorhaben nur zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen, die ausreichende Erschließung gesichert ist und wenn es
- 1.
einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dient und nur einen untergeordneten Teil der Betriebsfläche einnimmt, - 2.
einem Betrieb der gartenbaulichen Erzeugung dient, - 3.
der öffentlichen Versorgung mit Elektrizität, Gas, Telekommunikationsdienstleistungen, Wärme und Wasser, der Abwasserwirtschaft oder einem ortsgebundenen gewerblichen Betrieb dient, - 4.
wegen seiner besonderen Anforderungen an die Umgebung, wegen seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung oder wegen seiner besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden soll, es sei denn, es handelt sich um die Errichtung, Änderung oder Erweiterung einer baulichen Anlage zur Tierhaltung, die dem Anwendungsbereich der Nummer 1 nicht unterfällt und die einer Pflicht zur Durchführung einer standortbezogenen oder allgemeinen Vorprüfung oder einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt, wobei bei kumulierenden Vorhaben für die Annahme eines engen Zusammenhangs diejenigen Tierhaltungsanlagen zu berücksichtigen sind, die auf demselben Betriebs- oder Baugelände liegen und mit gemeinsamen betrieblichen oder baulichen Einrichtungen verbunden sind, - 5.
der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie nach Maßgabe des § 249 oder der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Wasserenergie dient, - 6.
der energetischen Nutzung von Biomasse im Rahmen eines Betriebs nach Nummer 1 oder 2 oder eines Betriebs nach Nummer 4, der Tierhaltung betreibt, sowie dem Anschluss solcher Anlagen an das öffentliche Versorgungsnetz dient, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben steht in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit dem Betrieb, - b)
die Biomasse stammt überwiegend aus dem Betrieb oder überwiegend aus diesem und aus nahe gelegenen Betrieben nach den Nummern 1, 2 oder 4, soweit letzterer Tierhaltung betreibt, - c)
es wird je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage betrieben und - d)
die Kapazität einer Anlage zur Erzeugung von Biogas überschreitet nicht 2,3 Millionen Normkubikmeter Biogas pro Jahr, die Feuerungswärmeleistung anderer Anlagen überschreitet nicht 2,0 Megawatt,
- 7.
der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken oder der Entsorgung radioaktiver Abfälle dient, mit Ausnahme der Neuerrichtung von Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität, - 8.
der Nutzung solarer Strahlungsenergie dient - a)
in, an und auf Dach- und Außenwandflächen von zulässigerweise genutzten Gebäuden, wenn die Anlage dem Gebäude baulich untergeordnet ist, oder - b)
auf einer Fläche längs von - aa)
Autobahnen oder - bb)
Schienenwegen des übergeordneten Netzes im Sinne des § 2b des Allgemeinen Eisenbahngesetzes mit mindestens zwei Hauptgleisen
- 9.
der Nutzung solarer Strahlungsenergie durch besondere Solaranlagen im Sinne des § 48 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 Buchstabe a, b oder c des Erneuerbare-Energien-Gesetzes dient, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben steht in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit einem Betrieb nach Nummer 1 oder 2, - b)
die Grundfläche der besonderen Solaranlage überschreitet nicht 25 000 Quadratmeter und - c)
es wird je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage betrieben.
(2) Sonstige Vorhaben können im Einzelfall zugelassen werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist.
(3) Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange liegt insbesondere vor, wenn das Vorhaben
- 1.
den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspricht, - 2.
den Darstellungen eines Landschaftsplans oder sonstigen Plans, insbesondere des Wasser-, Abfall- oder Immissionsschutzrechts, widerspricht, - 3.
schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann oder ihnen ausgesetzt wird, - 4.
unwirtschaftliche Aufwendungen für Straßen oder andere Verkehrseinrichtungen, für Anlagen der Versorgung oder Entsorgung, für die Sicherheit oder Gesundheit oder für sonstige Aufgaben erfordert, - 5.
Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege, des Bodenschutzes, des Denkmalschutzes oder die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert beeinträchtigt oder das Orts- und Landschaftsbild verunstaltet, - 6.
Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur beeinträchtigt, die Wasserwirtschaft oder den Hochwasserschutz gefährdet, - 7.
die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt oder - 8.
die Funktionsfähigkeit von Funkstellen und Radaranlagen stört.
(4) Den nachfolgend bezeichneten sonstigen Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 kann nicht entgegengehalten werden, dass sie Darstellungen des Flächennutzungsplans oder eines Landschaftsplans widersprechen, die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen oder die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lassen, soweit sie im Übrigen außenbereichsverträglich im Sinne des Absatzes 3 sind:
- 1.
die Änderung der bisherigen Nutzung eines Gebäudes, das unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nummer 1 errichtet wurde, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben dient einer zweckmäßigen Verwendung erhaltenswerter Bausubstanz, - b)
die äußere Gestalt des Gebäudes bleibt im Wesentlichen gewahrt, - c)
die Aufgabe der bisherigen Nutzung liegt nicht länger als sieben Jahre zurück, - d)
das Gebäude ist vor mehr als sieben Jahren zulässigerweise errichtet worden, - e)
das Gebäude steht im räumlich-funktionalen Zusammenhang mit der Hofstelle des land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs, - f)
im Falle der Änderung zu Wohnzwecken entstehen neben den bisher nach Absatz 1 Nummer 1 zulässigen Wohnungen höchstens fünf Wohnungen je Hofstelle und - g)
es wird eine Verpflichtung übernommen, keine Neubebauung als Ersatz für die aufgegebene Nutzung vorzunehmen, es sei denn, die Neubebauung wird im Interesse der Entwicklung des Betriebs im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 erforderlich,
- 2.
die Neuerrichtung eines gleichartigen Wohngebäudes an gleicher Stelle unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das vorhandene Gebäude ist zulässigerweise errichtet worden, - b)
das vorhandene Gebäude weist Missstände oder Mängel auf, - c)
das vorhandene Gebäude wurde oder wird seit längerer Zeit vom Eigentümer selbst genutzt und - d)
Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des bisherigen Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird; hat der Eigentümer das vorhandene Gebäude im Wege der Erbfolge von einem Voreigentümer erworben, der es seit längerer Zeit selbst genutzt hat, reicht es aus, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird,
- 3.
die alsbaldige Neuerrichtung eines zulässigerweise errichteten, durch Brand, Naturereignisse oder andere außergewöhnliche Ereignisse zerstörten, gleichartigen Gebäudes an gleicher Stelle, - 4.
die Änderung oder Nutzungsänderung von erhaltenswerten, das Bild der Kulturlandschaft prägenden Gebäuden, auch wenn sie aufgegeben sind, wenn das Vorhaben einer zweckmäßigen Verwendung der Gebäude und der Erhaltung des Gestaltwerts dient, - 5.
die Erweiterung eines Wohngebäudes auf bis zu höchstens zwei Wohnungen unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Gebäude ist zulässigerweise errichtet worden, - b)
die Erweiterung ist im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse angemessen und - c)
bei der Errichtung einer weiteren Wohnung rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass das Gebäude vom bisherigen Eigentümer oder seiner Familie selbst genutzt wird,
- 6.
die bauliche Erweiterung eines zulässigerweise errichteten gewerblichen Betriebs, wenn die Erweiterung im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und Betrieb angemessen ist.
(5) Die nach den Absätzen 1 bis 4 zulässigen Vorhaben sind in einer flächensparenden, die Bodenversiegelung auf das notwendige Maß begrenzenden und den Außenbereich schonenden Weise auszuführen. Für Vorhaben nach Absatz 1 Nummer 2 bis 6, 8 Buchstabe b und Nummer 9 ist als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung eine Verpflichtungserklärung abzugeben, das Vorhaben nach dauerhafter Aufgabe der zulässigen Nutzung zurückzubauen und Bodenversiegelungen zu beseitigen; bei einer nach Absatz 1 Nummer 2 bis 6 und 8 Buchstabe b zulässigen Nutzungsänderung ist die Rückbauverpflichtung zu übernehmen, bei einer nach Absatz 1 Nummer 1 oder Absatz 2 zulässigen Nutzungsänderung entfällt sie. Die Baugenehmigungsbehörde soll durch nach Landesrecht vorgesehene Baulast oder in anderer Weise die Einhaltung der Verpflichtung nach Satz 2 sowie nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe g sicherstellen. Im Übrigen soll sie in den Fällen des Absatzes 4 Satz 1 sicherstellen, dass die bauliche oder sonstige Anlage nach Durchführung des Vorhabens nur in der vorgesehenen Art genutzt wird.
(6) Die Gemeinde kann für bebaute Bereiche im Außenbereich, die nicht überwiegend landwirtschaftlich geprägt sind und in denen eine Wohnbebauung von einigem Gewicht vorhanden ist, durch Satzung bestimmen, dass Wohnzwecken dienenden Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 nicht entgegengehalten werden kann, dass sie einer Darstellung im Flächennutzungsplan über Flächen für die Landwirtschaft oder Wald widersprechen oder die Entstehung oder Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lassen. Die Satzung kann auch auf Vorhaben erstreckt werden, die kleineren Handwerks- und Gewerbebetrieben dienen. In der Satzung können nähere Bestimmungen über die Zulässigkeit getroffen werden. Voraussetzung für die Aufstellung der Satzung ist, dass
- 1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar ist, - 2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und - 3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
(1) Es ist verboten,
- 1.
wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, - 2.
wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten erheblich zu stören; eine erhebliche Störung liegt vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert, - 3.
Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, - 4.
wild lebende Pflanzen der besonders geschützten Arten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, sie oder ihre Standorte zu beschädigen oder zu zerstören
(2) Es ist ferner verboten,
- 1.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten in Besitz oder Gewahrsam zu nehmen, in Besitz oder Gewahrsam zu haben oder zu be- oder verarbeiten (Besitzverbote), - 2.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten im Sinne des § 7 Absatz 2 Nummer 13 Buchstabe b und c - a)
zu verkaufen, zu kaufen, zum Verkauf oder Kauf anzubieten, zum Verkauf vorrätig zu halten oder zu befördern, zu tauschen oder entgeltlich zum Gebrauch oder zur Nutzung zu überlassen, - b)
zu kommerziellen Zwecken zu erwerben, zur Schau zu stellen oder auf andere Weise zu verwenden
(3) Die Besitz- und Vermarktungsverbote gelten auch für Waren im Sinne des Anhangs der Richtlinie 83/129/EWG, die entgegen den Artikeln 1 und 3 dieser Richtlinie nach dem 30. September 1983 in die Gemeinschaft gelangt sind.
(4) Entspricht die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung und die Verwertung der dabei gewonnenen Erzeugnisse den in § 5 Absatz 2 bis 4 dieses Gesetzes genannten Anforderungen sowie den sich aus § 17 Absatz 2 des Bundes-Bodenschutzgesetzes und dem Recht der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft ergebenden Anforderungen an die gute fachliche Praxis, verstößt sie nicht gegen die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote. Sind in Anhang IV der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführte Arten, europäische Vogelarten oder solche Arten, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 aufgeführt sind, betroffen, gilt dies nur, soweit sich der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art durch die Bewirtschaftung nicht verschlechtert. Soweit dies nicht durch anderweitige Schutzmaßnahmen, insbesondere durch Maßnahmen des Gebietsschutzes, Artenschutzprogramme, vertragliche Vereinbarungen oder gezielte Aufklärung sichergestellt ist, ordnet die zuständige Behörde gegenüber den verursachenden Land-, Forst- oder Fischwirten die erforderlichen Bewirtschaftungsvorgaben an. Befugnisse nach Landesrecht zur Anordnung oder zum Erlass entsprechender Vorgaben durch Allgemeinverfügung oder Rechtsverordnung bleiben unberührt.
(5) Für nach § 15 Absatz 1 unvermeidbare Beeinträchtigungen durch Eingriffe in Natur und Landschaft, die nach § 17 Absatz 1 oder Absatz 3 zugelassen oder von einer Behörde durchgeführt werden, sowie für Vorhaben im Sinne des § 18 Absatz 2 Satz 1 gelten die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote nach Maßgabe der Sätze 2 bis 5. Sind in Anhang IV Buchstabe a der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführte Tierarten, europäische Vogelarten oder solche Arten betroffen, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 aufgeführt sind, liegt ein Verstoß gegen
- 1.
das Tötungs- und Verletzungsverbot nach Absatz 1 Nummer 1 nicht vor, wenn die Beeinträchtigung durch den Eingriff oder das Vorhaben das Tötungs- und Verletzungsrisiko für Exemplare der betroffenen Arten nicht signifikant erhöht und diese Beeinträchtigung bei Anwendung der gebotenen, fachlich anerkannten Schutzmaßnahmen nicht vermieden werden kann, - 2.
das Verbot des Nachstellens und Fangens wild lebender Tiere und der Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung ihrer Entwicklungsformen nach Absatz 1 Nummer 1 nicht vor, wenn die Tiere oder ihre Entwicklungsformen im Rahmen einer erforderlichen Maßnahme, die auf den Schutz der Tiere vor Tötung oder Verletzung oder ihrer Entwicklungsformen vor Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung und die Erhaltung der ökologischen Funktion der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang gerichtet ist, beeinträchtigt werden und diese Beeinträchtigungen unvermeidbar sind, - 3.
das Verbot nach Absatz 1 Nummer 3 nicht vor, wenn die ökologische Funktion der von dem Eingriff oder Vorhaben betroffenen Fortpflanzungs- und Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird.
(6) Die Zugriffs- und Besitzverbote gelten nicht für Handlungen zur Vorbereitung gesetzlich vorgeschriebener Prüfungen, die von fachkundigen Personen unter größtmöglicher Schonung der untersuchten Exemplare und der übrigen Tier- und Pflanzenwelt im notwendigen Umfang vorgenommen werden. Die Anzahl der verletzten oder getöteten Exemplare von europäischen Vogelarten und Arten der in Anhang IV Buchstabe a der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführten Tierarten ist von der fachkundigen Person der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde jährlich mitzuteilen.
(1) Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn
- 1.
sichergestellt ist, dass die sich aus § 5 und einer auf Grund des § 7 erlassenen Rechtsverordnung ergebenden Pflichten erfüllt werden, und - 2.
andere öffentlich-rechtliche Vorschriften und Belange des Arbeitsschutzes der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegenstehen.
(2) Bei Anlagen, die unterschiedlichen Betriebsweisen dienen oder in denen unterschiedliche Stoffe eingesetzt werden (Mehrzweck- oder Vielstoffanlagen), ist die Genehmigung auf Antrag auf die unterschiedlichen Betriebsweisen und Stoffe zu erstrecken, wenn die Voraussetzungen nach Absatz 1 für alle erfassten Betriebsweisen und Stoffe erfüllt sind.
(3) Eine beantragte Änderungsgenehmigung darf auch dann nicht versagt werden, wenn zwar nach ihrer Durchführung nicht alle Immissionswerte einer Verwaltungsvorschrift nach § 48 oder einer Rechtsverordnung nach § 48a eingehalten werden, wenn aber
- 1.
der Immissionsbeitrag der Anlage unter Beachtung des § 17 Absatz 3a Satz 3 durch das Vorhaben deutlich und über das durch nachträgliche Anordnungen nach § 17 Absatz 1 durchsetzbare Maß reduziert wird, - 2.
weitere Maßnahmen zur Luftreinhaltung, insbesondere Maßnahmen, die über den Stand der Technik bei neu zu errichtenden Anlagen hinausgehen, durchgeführt werden, - 3.
der Antragsteller darüber hinaus einen Immissionsmanagementplan zur Verringerung seines Verursacheranteils vorlegt, um eine spätere Einhaltung der Anforderungen nach § 5 Absatz 1 Nummer 1 zu erreichen, und - 4.
die konkreten Umstände einen Widerruf der Genehmigung nicht erfordern.
(1) Es ist verboten,
- 1.
wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, - 2.
wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten erheblich zu stören; eine erhebliche Störung liegt vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert, - 3.
Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, - 4.
wild lebende Pflanzen der besonders geschützten Arten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, sie oder ihre Standorte zu beschädigen oder zu zerstören
(2) Es ist ferner verboten,
- 1.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten in Besitz oder Gewahrsam zu nehmen, in Besitz oder Gewahrsam zu haben oder zu be- oder verarbeiten (Besitzverbote), - 2.
Tiere und Pflanzen der besonders geschützten Arten im Sinne des § 7 Absatz 2 Nummer 13 Buchstabe b und c - a)
zu verkaufen, zu kaufen, zum Verkauf oder Kauf anzubieten, zum Verkauf vorrätig zu halten oder zu befördern, zu tauschen oder entgeltlich zum Gebrauch oder zur Nutzung zu überlassen, - b)
zu kommerziellen Zwecken zu erwerben, zur Schau zu stellen oder auf andere Weise zu verwenden
(3) Die Besitz- und Vermarktungsverbote gelten auch für Waren im Sinne des Anhangs der Richtlinie 83/129/EWG, die entgegen den Artikeln 1 und 3 dieser Richtlinie nach dem 30. September 1983 in die Gemeinschaft gelangt sind.
(4) Entspricht die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung und die Verwertung der dabei gewonnenen Erzeugnisse den in § 5 Absatz 2 bis 4 dieses Gesetzes genannten Anforderungen sowie den sich aus § 17 Absatz 2 des Bundes-Bodenschutzgesetzes und dem Recht der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft ergebenden Anforderungen an die gute fachliche Praxis, verstößt sie nicht gegen die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote. Sind in Anhang IV der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführte Arten, europäische Vogelarten oder solche Arten, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 aufgeführt sind, betroffen, gilt dies nur, soweit sich der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art durch die Bewirtschaftung nicht verschlechtert. Soweit dies nicht durch anderweitige Schutzmaßnahmen, insbesondere durch Maßnahmen des Gebietsschutzes, Artenschutzprogramme, vertragliche Vereinbarungen oder gezielte Aufklärung sichergestellt ist, ordnet die zuständige Behörde gegenüber den verursachenden Land-, Forst- oder Fischwirten die erforderlichen Bewirtschaftungsvorgaben an. Befugnisse nach Landesrecht zur Anordnung oder zum Erlass entsprechender Vorgaben durch Allgemeinverfügung oder Rechtsverordnung bleiben unberührt.
(5) Für nach § 15 Absatz 1 unvermeidbare Beeinträchtigungen durch Eingriffe in Natur und Landschaft, die nach § 17 Absatz 1 oder Absatz 3 zugelassen oder von einer Behörde durchgeführt werden, sowie für Vorhaben im Sinne des § 18 Absatz 2 Satz 1 gelten die Zugriffs-, Besitz- und Vermarktungsverbote nach Maßgabe der Sätze 2 bis 5. Sind in Anhang IV Buchstabe a der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführte Tierarten, europäische Vogelarten oder solche Arten betroffen, die in einer Rechtsverordnung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 aufgeführt sind, liegt ein Verstoß gegen
- 1.
das Tötungs- und Verletzungsverbot nach Absatz 1 Nummer 1 nicht vor, wenn die Beeinträchtigung durch den Eingriff oder das Vorhaben das Tötungs- und Verletzungsrisiko für Exemplare der betroffenen Arten nicht signifikant erhöht und diese Beeinträchtigung bei Anwendung der gebotenen, fachlich anerkannten Schutzmaßnahmen nicht vermieden werden kann, - 2.
das Verbot des Nachstellens und Fangens wild lebender Tiere und der Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung ihrer Entwicklungsformen nach Absatz 1 Nummer 1 nicht vor, wenn die Tiere oder ihre Entwicklungsformen im Rahmen einer erforderlichen Maßnahme, die auf den Schutz der Tiere vor Tötung oder Verletzung oder ihrer Entwicklungsformen vor Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung und die Erhaltung der ökologischen Funktion der Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang gerichtet ist, beeinträchtigt werden und diese Beeinträchtigungen unvermeidbar sind, - 3.
das Verbot nach Absatz 1 Nummer 3 nicht vor, wenn die ökologische Funktion der von dem Eingriff oder Vorhaben betroffenen Fortpflanzungs- und Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird.
(6) Die Zugriffs- und Besitzverbote gelten nicht für Handlungen zur Vorbereitung gesetzlich vorgeschriebener Prüfungen, die von fachkundigen Personen unter größtmöglicher Schonung der untersuchten Exemplare und der übrigen Tier- und Pflanzenwelt im notwendigen Umfang vorgenommen werden. Die Anzahl der verletzten oder getöteten Exemplare von europäischen Vogelarten und Arten der in Anhang IV Buchstabe a der Richtlinie 92/43/EWG aufgeführten Tierarten ist von der fachkundigen Person der für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörde jährlich mitzuteilen.
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Tenor
- 1
Das Verfahren wird eingestellt, soweit sich die Klage auf die Nebenbestimmung Ziffer 14.1 im Genehmigungsbescheid vom 29. August 2013 bezogen hat; die Nebenbestimmung Ziffer 14.3 wird aufgehoben; im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
- 2
Die Klägerin trägt 4/5, der Beklagte 1/5 der Kosten des Verfahrens.
- 3
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar; der Beklagte kann die Vollstreckung durch die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
- 4
Die Klägerin wendet sich gegen Nebenbestimmungen zu einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für eine Windenergieanlage.
- 5
Mit Bescheid vom 29. August 2013 wurde der A... GmbH, B..., die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für Errichtung und Betrieb einer Windenergieanlage (Vestas V 112, Nabenhöhe 119 m, Rotordurchmesser 112 m, Gesamthöhe 185 m, Nennleistung 3,0 MW) in der Gemarkung C... Flur 5 Flurstück-Nrn. 27 und 28 erteilt. Es handelt sich um die sogenannte WEA 1 im „Windpark Elchweiler“. In der Folgezeit wurden folgende Bauherren- bzw. Betreiberwechsel angezeigt: Am 13. September 2013 auf die D... GmbH & Co. KG, am 17. Juli 2014 auf die E... GmbH & Co. KG, sowie am 21. April 2015 auf die jetzige Klägerin.
- 6
Der Genehmigung vom 29. August 2013 sind unter Ziffer 14 unter anderem folgende naturschutzrechtliche Nebenbestimmungen beigefügt:
14. Naturschutzrechtliche Nebenbestimmungen
- 7
Aufgrund der komplexen naturschutzfachlichen Zusammenhänge werden für eine bessere Nachvollziehbarkeit in den folgenden Nebenbestimmungen auch die Regelungen zu den WEA 2 - 5 aus der Stellungnahme der Unteren Naturschutzbehörde der Kreisverwaltung B. vom 15.05.2013 übernommen, obwohl mit diesem Bescheid ausdrücklich nur die Errichtung und der Betrieb der WEA 1 genehmigt wird.
- 8
Das Vorhaben stellt gemäß § 14 Abs. 1 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) einen Eingriff in die Landschaft dar.
- 9
Die vorgelegten naturschutzfachlichen Unterlagen mit allen vorgelegten Nachträgen, Änderungen und Ergänzungen werden Bestandteil der Genehmigung. Alle in den naturschutzfachlichen Unterlagen empfohlenen Vermeidungs- und Minimierungsmaßnahmen sind (soweit nicht in den untenstehenden Ausführungen weitergehende Maßnahmen beschrieben sind) verbindlich durchzuführen.
14.1 Gehölze
- 10
Gehölze dürfen ausschließlich in dem Maße gerodet oder zurück geschnitten werden, wie dies in den Antragsunterlagen dargestellt ist. In allen anderen Bereichen sind entsprechend den einschlägigen DIN-Vorschriften die in der Nachbarschaft vorhandenen Gehölze vor Baubeginn durch geeignete Maßnahmen vor Beeinträchtigungen zu schützen.
- 11
Alle Gehölzrückschnitte und Gehölzrodungen sind in der Zeit von 1.Oktober bis 28. Februar durchzuführen.
14.2 Nebenbestimmung zum Schutz von Fledermäusen
- 12
Die Windkraftanlagen sind derart zu betreiben, dass eine erhebliche Beeinträchtigung von Fledermauspopulationen dauerhaft sicher verhindert wird und dass eine erhebliche Störung heimischer Fledermausarten sicher vermieden wird. Eine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos für Fledermäuse durch die Windkraftanlagen ist zu verhindern.
Allgemeines zum Fledermaus-Monitoring:
- 13
In einem Forschungsvorhaben des BMU (BRINKMANN et al. 2011) wurde ein Verfahren zur Vorhersage der Kollisionszahlen entwickelt und daraus mit Hilfe eines Rechenmodells ggf. abgeleitete Abschaltzeiten vorgeschlagen. Dieses Verfahren erstellt anlagenspezifische Betriebsalgorithmen, die der örtlichen Fledermausaktivität Rechnung tragen. Es vermeidet unnötige Abschaltzeiten und damit Betriebseinbußen.
- 14
- Das bioakustische Gondelmonitoring dient dazu, falls erforderlich, spezifisch für einen Windpark oder für einzelne Anlagen Zeiten mit erhöhter Fledermausaktivität an einem Standort zu bestimmen.
- 15
- Das Gondelmonitoring erlaubt ausreichende Rückschlüsse auf die Aktivität der Fledermäuse in Rotorhöhe.
- 16
- In Verbindung mit den Faktoren Jahreszeit, Klima, Windgeschwindigkeit, Niederschlag können Zeiten identifiziert werden, an denen mit einem erhöhten Schlagrisiko für Fledermäuse gerechnet werden muss.
- 17
Allerdings gilt, dass diese für WEA-Offenlandstandorte entwickelten Abschaltalgorithmen auf WEA im Wald nicht direkt übertragbar sind. Die für WEA im Offenland entwickelten Abschaltalgorithmen sind auf Waldstandorte zu spezifizieren, eine direkte Übertragbarkeit kann unzureichend sein. Die Anwendung des Vorsorgeprinzips ist zu beachten.
- 18
Eine Totfundsuche als Methode kann stark fehlerbehaftet sein und wird deshalb ausdrücklich nicht gefordert.
- 19
14.2.1 Die Windkraftanlagen WEA 2 und WEA 3 werden nach der Inbetriebnahme in den beiden nächstfolgenden Jahres- Aktivitätsperioden der Fledermäuse einem Fledermaus-Höhenmonitoring unterzogen. Falls WEA 2 und WEA 3 nicht errichtet werden, so sind die Nebenbestimmungen zum Höhenmonitoring auf anderen Anlagen, in Abstimmung mit der Unteren Naturschutzbehörde zu übertragen.
- 20
14.2.2 Der Gutachter für das Höhenmonitoring ist im Einvernehmen mit der Unteren Naturschutzbehörde zu beauftragen.
- 21
14.2.3 Für das Gondelmonitoring an den WEA gelten folgende Rahmenbedingungen und Zeitabläufe:
- 22
- Für die Anerkennung der Untersuchungen und der Algorithmen ist es unbedingt erforderlich, die im Forschungsvorhaben des BMU (vgl. BRINKMANN et al. 2011) verwendeten Methoden, Einstellungen und vergleichbar geeignete Geräte zu verwenden.
- 23
- Die Ermittlung der Fledermausaktivität erfolgt über automatische Aufzeichnungsgeräte mit der Möglichkeit der artgenauen Auswertung (Batcorder, Anabat oder ähnlich geeignete Geräte), die in der Gondel der WEA installiert werden.
- 24
- Das Gondelmonitoring erstreckt sich über zwei vollständige Fledermaus-Aktivitätsperioden, um beispielsweise witterungsbedingte Schwankungen im jahreszeitlichen Auftreten der Fledermäuse (einschl. phänologischer Unterschiede) zu erfassen.
- 25
- Die Erfassungsgeräte sind mindestens vom 1. April bis 31. Oktober zu betreiben. Die Erfassungen sollen grundsätzlich 24 Stunden pro Tag erfolgen. Sollen geringere Erfassungszeiten gewählt werden, so ist dies vor Beginn der Erfassungsperiode mit der Unteren Naturschutzbehörde abzustimmen.
- 26
- Für technische Details wie der Installation der Aufzeichnungsgeräte ist in jedem Fall die Hilfe eines Serviceteams des jeweiligen Herstellers nötig.
Abschaltung im 1. Monitoring-Jahr:
- 27
01.04.-31.08.1 h vor Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang
- 28
01.09.-31.10. 3 h vor Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang
- 29
- Abschaltung bei Windgeschwindigkeit < 6 m/s und ab 10 °C Temperatur (in Gondelhöhe)
Abschaltung im 2. Monitoring-Jahr:
- 30
- Auswertung des Monitorings des ersten Jahres für Vorschläge zum Algorithmus durch einen Sachverständigen und Vorlage bei der Naturschutzbehörde bis Ende Januar des Folgejahres
- 31
- Betriebszeitenbeschränkung: Festlegen des Algorithmus und der Abschaltwindgeschwindigkeit durch die Naturschutzbehörde aufgrund der Monitoring-Ergebnisse aus dem 1. Jahr (in den aktivitätsarmen Zeiten des 2. Jahres kann das Monitoring ohne Abschaltalgorithmus durchgeführt werden)
Ab 3. Jahr
- 32
Gültige Betriebszeiten-Regelung für alle WEA nach (neu) festgelegtem Algorithmus
- 33
- Auswertung des Monitorings und Vorschläge zum Algorithmus durch einen Sachverständigen und Vorlage bei der Naturschutzbehörde bis Ende Januar des Folgejahrs
- 34
- Betriebszeitenbeschränkung: Festlegen des Algorithmus und der Abschaltwindgeschwindigkeit durch die Naturschutzbehörde aufgrund der Monitoringergebnisse aus dem 1. + 2. Jahr
- 35
14.2.4 Die Steuerung hat so zu erfolgen, dass eine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos für Fledermäuse sicher vermieden wird. Eine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos ist dann anzunehmen, wenn pro Windenergieanlage 2 oder mehr Fledermäuse je Anlage und Jahr (Schwellenwert) getötet werden oder für mindestens eine Fledermausart die prognostizierten Tötungen über der Signifikanzschwelle für diese Art an diesem Standort liegen.
- 36
14.2.5 Die Steuerung hat weiterhin so zu erfolgen, dass eine erhebliche Beeinträchtigung von Fledermauspopulationen dauerhaft sicher verhindert wird und dass eine erhebliche Störung heimischer Fledermausarten sicher vermieden wird.
- 37
14.2.6 Mit der Auswertung des Monitorings sind auch das Betriebsprotokoll (als Nachweis für die Abschaltung) und die Ergebnisse der Klimadaten- Messung (als Grundlage für die Neufestlegung des Abschaltalgorithmus) vorzulegen.
- 38
14.2.7 Die Genehmigungsbehörde behält sich somit den Erlass nachträglicher Betriebsbeschränkungen (zeitlich beschränkte Abschaltalgorithmen) vor, soweit dies auf Grundlage der Ergebnisse des akustischen Monitoring naturschutzfachlich erforderlich ist.
- 39
14.2.8 Der Betreiber trägt dafür Sorge, dass der vereinbarte Betriebsalgorithmus auch nach der Monitoringphase eingehalten wird. Der Betreiber unterbreitet der Genehmigungsbehörde einen Vorschlag, wie dies nachgewiesen werden kann und unabhängig prüfbar ist.
- 40
14.2.9 Die Genehmigungsbehörde behält sich vor, im Bedarfsfall auch von sich aus Fledermaus-Monitoringuntersuchungen in den Gondeln der Windkraftanlagen durchführen zu lassen. Der jeweilige Betreiber der Windenergieanlagen wird verpflichtet, solche Untersuchungen zu dulden bzw. im notwendigen Umfange kostenfrei zu unterstützen.
14.3 Kranichabschaltung
- 41
Die Windkraftanlagen sind so zu betreiben, dass erhebliche Beeinträchtigungen ziehender Kraniche sicher verhindert werden. Eine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos für Kraniche durch die Windkraftanlagen ist zu verhindern. An den auf wenige Tage im Jähr begrenzten Haupt- bzw. Massenzugtagen des Kranichs im Frühjahr und Herbst sind, wenn während des voraussichtlichen Überflugs der Zugwelle am Standort der Windkraftanlagen eine Wetterlage (z.B. starker Regen, starker Gegenwind, Nebel) herrscht, welche Flugbewegungen im Einwirkungsbereich der Anlagen und somit erhebliche Beeinträchtigungen ziehender Kraniche erwarten lassen, die Anlagen spontan für die Dauer der laufenden Zugwelle abzuschalten und die Rotoren längs zur Zugrichtung auszurichten.
- 42
Der Anlagenbetreiber trägt dafür Sorge, dass für diese "Kranichabschaltung" jeweils fundierte ornithologische Daten zu den Massenzugtagen sowie fundierte ortsbezogene Wetterdaten (vom Standort der Windkraftanlagen) verwendet werden.
- 43
Der Anlagenbetreiber legt der Unteren Naturschutzbehörde jährlich einen Bericht über die "Kranichabschaltung" (inklusive Betriebsprotokoll der betroffenen Tage) vor."
- 44
Am 10. Oktober 2013 legte der Betreiber D... GmbH & Co. KG Widerspruch gegen verschiedene Nebenbestimmungen ein, darunter die Ziffern 14.1, 14.2.3, 14.2.4, 14.2.7 und 14.3. Mit Bescheid des Beklagten vom 14. Februar 2014 wurde dem Widerspruch teilweise abgeholfen, indes nicht gegen die im vorliegenden Verfahren streitigen Bestimmungen unter Ziffer 14.
- 45
Der Kreisrechtsausschuss beim Beklagten wies den Widerspruch hinsichtlich der noch streitigen Nebenbestimmungen durch Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2014 zurück. Dabei führte er hinsichtlich der Nebenbestimmung 14.2.7 aus, dass diese keinen durchgreifend rechtlichen Bedenken begegne. „Denn diese hat – derzeit – keinen eigenen Regelungscharakter, sondern formuliert die ohnehin für den Widerspruchsgegner bestehende Möglichkeit, bei Eintreten bestimmter Umstände kraft Gesetzes ergänzende Regelungen zutreffen.“ Wegen der übrigen Begründung wird auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides Bezug genommen.
- 46
Die Klägerin hat am 14. November 2014 Klage hinsichtlich der Nebenbestimmungen Ziffern 14.1, 14.2.3, 14.2.4, 14.2.7 und 14.3 erhoben.
- 47
Sie geht von echten Nebenbestimmungen aus, die Gegenstand einer Anfechtungsklage sein können. Die Ziffer 14.1 habe sich durch die Errichtung und Inbetriebnahme der WEA 1 Ende Dezember 2014 erledigt. Für die Ziffer 14.2.3 fehle es an der erforderlichen Rechtsgrundlage, die nicht in § 12 Abs. 1 Satz 1 des Bundesimmissionsschutzgesetzes – BImSchG – gesehen werden könne. Es liege eine Maßnahme der Eigenüberwachung vor, die ohne Ermächtigungsgrundlage nicht zulässig sei. Das Höhenmonitoring verhindere keine Tötung von Fledermäusen und sei nicht geeignet, dem Tötungs- bzw. Verletzungsverbot entgegenzuwirken. Bei einem Betrieb der Anlage ohne Abschaltzeiten liege kein Verstoß gegen das Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 des Bundesnaturschutzgesetzes – BNatSchG – vor. Es fehle an der erforderlichen signifikanten Risikoerhöhung, was sich aus den vorgelegten Gutachten ergebe. Die Nebenbestimmung Ziffer 14.2.4 sei zu unbestimmt, da die Klägerin nicht wisse, was genau zu tun sei, um eine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos sicher zu vermeiden. Eine Signifikanz sei im Übrigen nicht bereits bei 2 Fledermäusen gegeben. Was die Nebenbestimmung Ziffer 14.2.7 anbelange, so sei die im Widerspruchsbescheid geäußerte Rechtsauffassung unzutreffend. Der Auflage bedürfe es bereits nicht vor dem Hintergrund der Ausführungen zu den Monitoring- und Abschaltauflagen. Es handele sich um einen Vorbehalt im Sinne des § 12 Abs. 2a BImSchG, der ohne Einverständnis der Klägerin nicht zulässig sei. Schließlich sei die Nebenbestimmung Ziffer 14.3 unbestimmt und auch fachlich unbegründet.
- 48
Die Klägerin beantragt,
1. den Genehmigungsbescheid des Beklagten vom 29.08.2013 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 14.02.2014 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2014 hinsichtlich folgender Nebenbestimmungen
- Ziff. 14.2.3 (Abschaltzeiten Fledermausschutz und Durchführung eines Gondelmonitorings)
- Ziff. 14.2.4 (Steuerung der WEA zur Vermeidung einer signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos für Fledermäuse durch Vorgabe von Schwellenwerten)
- Ziff. 14.2.7 (Vorbehalt nachträglicher Betriebsbeschränkungen) und
- Ziff.14.3 (Abschaltung zum Schutz des Kranich)
aufzuheben;
2. hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die beantragte Errichtung und den Betrieb der WEA des Typs Vestas V 112, 3,0 MW ohne die unter Ziff. 1. des Antrags angefochtenen Nebenbestimmungen zu erteilen;
3. die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
- 49
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
- 50
Er ist dem Vorbringen der Klägerin unter Wiederholung und Vertiefung der Argumentation im Widerspruchsbescheid entgegengetreten. Die Nebenbestimmungen Ziffern 14, 14.2 und 14.2.1 seien bestandskräftig geworden. Was die übrigen Nebenbestimmungen Ziffern 14.2.3, 14.2.4 und 14.3 anbelange, so seien die zum Fledermausschutz festgesetzten Maßnahmen im Wesentlichen bereits Teil des zur Genehmigung eingereichten Antrags gewesen. Auch das Kranichmonitoring bzw. die Kranichabschaltung seien bereits in den Antragsunterlagen als geeignete Maßnahme zum Schutz ziehender Kraniche beschrieben worden. Die Ausführungen in den Antragsunterlagen deckten sich weitgehend mit den Vorgaben der Unteren Naturschutzbehörde. Insoweit sei bereits das Rechtsschutzinteresse für die Klage infrage zu stellen. Im Übrigen wird auf die Klageerwiderung vom 10. Februar 2015 (Bl. 176 ff. d. GA) Bezug genommen.
- 51
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die sonstigen zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze Bezug genommen sowie 12 Ordner und 1 Heft Verwaltungs- sowie Widerspruchsakten und die nachfolgenden Gerichtsakten: 7 K 1112/12.KO, 4 L 792/13.KO, 4 K 1094/13.KO, 4 L 1169/13.KO, 4 L 120/14.KO, 4 K 481/14.KO, 4 K 505/14.KO, 4 L 905/14.KO, 4 K 918/14.KO und 4 L 951/14; diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
- 52
Die Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
- 53
Die Klägerin hat eine statthafte Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO erhoben. Denn bei den angefochtenen Nebenbestimmungen zur immissionsschutzrechtlichen Genehmigung vom 29. August 2013 handelt es sich um Auflagen im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 LVwVfG, die selbständig anfechtbar sind. Eine Auflage stellt nach herrschender Rechtsansicht einen Verwaltungsakt dar, der allerdings an den Hauptverwaltungsakt, dem er beigefügt ist, gebunden und insoweit akzessorisch ist. Es liegt keine sogenannte modifizierende Auflage vor, welche als untrennbarer Bestandteil einer Genehmigung nur im Wege einer Verpflichtungsklage auf Erteilung einer Genehmigung ohne Nebenbestimmung angegriffen werden kann.
- 54
Maßgeblich für die Abgrenzung zwischen einer selbständig anfechtbaren Auflage und einer die erteilte Genehmigung näher gestaltenden Inhaltsbestimmung ist der Erklärungswert des Genehmigungsbescheides, wie er sich bei objektiver Betrachtung aus Sicht des Empfängers darstellt; die sprachliche Bezeichnung der Regelung ist nicht entscheidend. Eine (echte) Auflage ist eine Nebenbestimmung, durch die dem Genehmigungsinhaber ein selbständiges Tun, Dulden oder Unterlassen vorgeschrieben wird, deren Einhaltung also für Bestand und Wirksamkeit der Genehmigung ohne unmittelbare Bedeutung ist und selbständig erzwungen werden kann. Sie enthält regelmäßig Nebenpflichten zum Betrieb der Anlage. Demgegenüber führt die sogenannte modifizierende Auflage der Genehmigung keine zusätzliche Pflicht hinzu, sondern begrenzt den Genehmigungsgegenstand und legt dessen Umfang fest (vgl. VG Koblenz, Urteil vom 27. Oktober 2011, 7 K 78/11.KO).
- 55
Nach diesen Grundsätzen regeln die hier streitigen Nebenbestimmungen aus Sicht eines objektiven Bescheidempfängers lediglich Nebenpflichten oder Begleitpflichten zur eigentlichen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, nämlich der Errichtung und dem Betrieb der näher bezeichneten Windenergieanlage. Die dem Genehmigungsadressaten aufgegebenen Pflichten in Bezug auf Fledermaus- und Kranichschutz legen weder den Gegenstand noch den Umfang der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung fest. Durch die genannten Nebenbestimmungen wird der zugelassene Betrieb auch weder räumlich noch sachlich bestimmt.
- 56
Das Verfahren war hinsichtlich der Nebenbestimmung Ziffer 14.1 einzustellen, da die Klägerin ihre zunächst auch hierauf bezogene Klage nicht mehr weiter verfolgt hat. Damit liegt eine zumindest konkludente Klagerücknahme vor und das Verfahren ist gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
- 57
Was die Nebenbestimmungen Ziffern 14.2.3, 14.2.4 und 14.2.7 anbelangt, so ist derzeit keine Rechtsverletzung der Klägerin erkennbar. Die Kammer lässt offen, ob dies zur Unzulässigkeit der Klage mangels Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO führt oder eine Rechtsverletzung der Klägerin ausscheidet mit der Folge einer Unbegründetheit der Klage, da diese gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nur dann Erfolg haben kann, wenn die angefochtenen Nebenbestimmungen rechtswidrig sind und die Klägerin in ihren Rechten verletzen. Im Einzelnen sind für die Kammer die nachfolgenden Erwägungen maßgeblich:
- 58
Die angefochtenen Nebenbestimmungen zum Schutz von Fledermäusen Ziffern 14.2.3, 14.2.4 und 14.2.7 gelten ausweislich der (im Übrigen bestandskräftigen) Auflage Ziffer 14.2.1 nicht für die hier streitige WEA 1, sondern für die Windkraftanlagen WEA 2 und WEA 3, wie der eindeutige Wortlaut der Ziffer 14.2.1 belegt. Nichts anderes folgt aus der unter Ziffer 14 in Bezug genommenen Stellungnahme der Unteren Naturschutzbehörde vom 15. Mai 2013, die auf Seite 3 eine der Nebenbestimmung Ziffer 14.2.1 inhaltsgleiche Regelung enthält. Die WEA 1 ist von den entsprechenden Nebenbestimmungen zum Schutz von Fledermäusen derzeit nicht unmittelbar betroffen. Vielmehr bedarf es nach dem eindeutigen Wortlaut der Ziffer 14.2.1 eines eigenständigen Übertragungsaktes, der dann erst für den Rechtsschutz erhebliche und unmittelbare Beschwer bedeutet.
- 59
Der fehlende Regelungscharakter hinsichtlich der Nebenbestimmung Ziffer 14.2.7 folgt im Übrigen aus dem Widerspruchsbescheid. Dort heißt es auf Seite 17, dass die genannte Ziffer – derzeit – keinen eigenen Regelungscharakter hat, sondern die ohnehin für die Behörde bestehende Möglichkeit formuliert, bei Eintreten bestimmter Umstände kraft Gesetzes ergänzende Regelungen zu treffen. Hierin liegt eine Gestaltgebung im Sinne des § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, wonach Gegenstand der Anfechtungsklage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt ist, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat.
- 60
Eine Rechtsverletzung für die Klägerin ergibt sich demgegenüber nicht aus der einleitenden Ziffer 14 (Naturschutzrechtliche Nebenbestimmungen). Diese macht zwar die vorgelegten naturschutzfachlichen Unterlagen mit allen vorgelegten Nachträgen, Änderungen und Ergänzungen zum Bestandteil der Genehmigung und bestimmt, dass alle in den naturschutzfachlichen Unterlagen empfohlenen Vermeidungs- und Minimierungsmaßnahmen – soweit nicht in den folgenden Ausführungen weitergehende Maßnahmen beschrieben sind – verbindlich durchzuführen seien. Auch wenn man berücksichtigt, dass die Ziffer 14 – einen eigenen Regelungscharakter angenommen – nicht mit Widerspruch angefochten und damit bestandskräftig wurde, vermag diese Ziffer für die hier streitige WEA 1 keine konkrete Rechtsbeeinträchtigung zu begründen. Dafür ist die bloße Bezugnahme auf die in den naturschutzfachlichen Unterlagen empfohlenen Maßnahmen zu unspezifisch und lässt konkrete, auch der Vollstreckung zugängliche Auflagen nicht erkennen.
- 61
In Bezug auf die Nebenbestimmung Ziffer 14.3 hat die Klage hingegen Erfolg. Diese Nebenbestimmung erweist sich wegen fehlender Bestimmtheit als formell rechtswidrig und verletzt die Klägerin von daher in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sie war daher aufzuheben.
- 62
Die nach § 12 Abs. 1 Satz 1 BImSchG dem Grunde nach zulässige Nebenbestimmung ist formell rechtswidrig, da sie nicht den Anforderungen an die Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes nach § 37 Abs. 1 VwVfG genügt. Danach muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Hinreichende Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes bedeutet, dass der Inhalt der getroffenen Regelung insbesondere für den Adressaten so vollständig klar und unzweideutig erkennbar sein muss, dass er sein Verhalten danach ausrichten kann, und dass auch die mit dem Vollzug betraute Behörde den Inhalt des Verwaltungsaktes etwaigen Vollstreckungsmaßnahmen oder sonstigen weiteren Entscheidungen zugrunde legen kann (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 15. Auflage 2014, § 37 Rdnr. 5). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
- 63
Nicht eindeutig im vorbezeichneten Sinne ist die Regelung im 2. Absatz der Ziffer 14.3 bereits insoweit, als die Abschaltung für diejenigen Tage angeordnet wird, „wenn während des voraussichtlichen Überflugs… eine Wetterlage (z.B. starker Regen, starker Gegenwind, Nebel) herrscht, welche Flugbewegungen im Einwirkungsbereich der Anlagen und somit erhebliche Beeinträchtigungen ziehender Kraniche erwarten lassen,…“. Trotz der in Klammer gesetzten Beispiele für die Annahme einer „Wetterlage“ bleibt bereits im Ansatz unklar, welche Wettersituationen insgesamt und ansonsten noch gemeint sein können. Dies lässt sich weder der durch Ziffer 14 der Nebenbestimmungen in Bezug genommenen Stellungnahme der Unteren Naturschutzbehörde vom 15. Mai 2013 noch den bei den Verwaltungsakten befindlichen Sachverständigen-Stellungnahmen entnehmen. Auf Seite 6 des Schriftsatzes der Unteren Naturschutzbehörde vom 15. Mai 2013 findet sich die inhaltlich gleiche Formulierung wie in der Nebenbestimmung Ziffer 14.3, so dass hieraus keine weiteren Erkenntnisse zur näheren Bestimmung dieser Auflage abgeleitet werden können. Ebenso wenig lässt sich den vorgelegten Gutachten Näheres entnehmen. Das gilt zum einen für die „Ergebnisse der Erfassung von europäischen Vogelarten und Fledermäusen am Windenergiestandort Elchweiler, Verbandsgemeinde Birkenfeld, Landkreis Birkenfeld, Rheinland-Pfalz, im Jahr 2011“ von Henning (überarbeitete Fassung vom 17. Oktober 2012).
- 64
Der Gutachter führt auf Seite 15 folgendes aus:
- 65
„Der Kranich wurde während des Herbstzuges ebenfalls nachgewiesen. Zirka 300 Vögel überflogen den Planungsraum in Richtung Westen in mehreren Hundert Metern Höhe. Der Kranich wird in Rheinland-Pfalz regelmäßig auf dem Durchzug sowohl im Frühjahr als auch im Herbst beobachtet. Die Anzahl der rastenden Kraniche schwankt von Jahr zu Jahr aufgrund der bestehenden Witterungsverhältnisse. Regelmäßige Rastplätze können für den Kranich im Planungsraum jedoch ausgeschlossen werden, da aufgrund der Beobachtungsintensität sowie fehlende Nachweise ein traditioneller Rastplatz nicht nachgewiesen wurde.“
- 66
Angesichts der genannten Überflughöhe und des Ausschlusses von Rastplätzen kann hiernach bereits eine signifikante Steigerung des Tötungsrisikos vernachlässigt werden. Davon abgesehen ist auch eine für Kraniche gefährliche Wetterlage nicht beschrieben.
- 67
Eine Gefährdung mit konkreter Angabe der schädlichen Witterungsbedingungen kann zum anderen auch nicht der Artenschutzfachlichen Prüfung von Henning (überarbeitete Fassung vom 17. Oktober 2010) entnommen werden. Dieser stuft zunächst die Gefährdung des Kranichs aufgrund Kollision mit Windenergieanlagen als „verschwindend gering“ ein und nimmt Bezug auf bisher in der Fundkartei dokumentierte 4 Schlagopfer. Darüber hinaus verweist er darauf, dass ein Durchfliegen größerer Kranich-Trupps durch Windparks bislang nicht beobachtet worden sei. „Vielmehr versuchen die Kraniche, die Windparks zu umfliegen oder zu überfliegen. An Freileitungen, Gebäuden und Abspannungen von Funkmasten sind mehrere Massenunfälle von ziehenden und rastenden Kranichen unter ungünstigen Sichtbedingungen (vor allem Nebel) dokumentiert … Eine signifikante Steigerung des Tötungsrisikos ist somit für den Kranich mit Sicherheit auszuschließen. Sollte eine Prognoseunsicherheit bezüglich der oben getroffenen Aussagen für den Standort Elchweiler gesehen werden – insbesondere im Hinblick auf einen Verdichtungsraum des Kranichzuges südlich des Soonwaldes und entlang der Achse des Nahetales –, so sind Vermeidungsmaßnahmen möglich…“. Der Gutachter schlägt sodann für den Fall der Prognoseunsicherheit kurzzeitige Abschaltungen sowie Kranichzug-Monitoring vor und nennt „eine Wetterlage z.B. Niederschlag, Gegenwind, Nebel …, welche Flugbewegungen im Einwirkungsbereich der Anlagen und somit erhebliche Beeinträchtigungen ziehender Kraniche erwarten lassen, …“. Auch damit bleibt für den Anlagenbetreiber als Adressaten der Nebenbestimmung unklar, welche Wettersituationen insgesamt und ansonsten noch gemeint sein können.
- 68
Neben dieser Unbestimmtheit in Bezug auf die Wettersituation(en) allgemein, welche zu einer Abschaltung führen sollen, erweisen sich auch die im Klammerzusatz genannten Beispiele als unbestimmt. Die Bezeichnung „Nebel“ erfordert zunächst die Angabe einer Sichtweite, um dem Anlagenbetreiber die Möglichkeit zu geben, der Auflage nachzukommen. Daneben kommt es auch darauf an, in welcher Höhe sich der Nebel befindet. Gerade wenn, wie aus den vorgenannten Stellungnahmen ersichtlich, Kraniche in mehreren 100 m Höhe fliegen und versuchen, Windparks zu umfliegen oder zu überfliegen, ist eine Angabe dazu nötig, in welcher Höhe sich der Nebel befinden muss, um dem Zweck der Auflage genügen zu können. Diesbezüglich verweist die Kammer auch auf Erkenntnisse aus einem für das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz zum Aktenzeichen 1 A 10937/06.OVG erstellten Gutachten des Dipl.-Biologen T. I. vom 22. November 2007. Danach muss es sich, was ungünstige Wetterverhältnisse durch Nebel anbelangt, um „dichte Nebellagen“ oder „Hochnebel“ handeln. Demgegenüber ist die bloße Bezeichnung „Nebel“ in der angegriffenen Nebenbestimmung zu unspezifisch. Das gleiche gilt für die Bezeichnung „starker Gegenwind“. Eine ausreichend bestimmte Auflage setzt hier die Angabe einer Mindestwindgeschwindigkeit voraus, ab der ein für den Kranich ungünstiger Gegenwind anzunehmen ist (vgl. hierzu auch das in der mündlichen Verhandlung angesprochene Urteil der Kammer vom 27. Oktober 2011 – 7 K 78/11.KO, das eine vergleichbare Nebenbestimmung wie die hier streitige Ziffer 14.3 zum Gegenstand hat).
- 69
Die Notwendigkeit einer besonderen Spezifizierung sieht die Kammer auch mit Blick darauf, dass das Risiko einer Kranichgefährdung durch Kollision mit Windenergieanlagen nach der Sachverständigen-Stellungnahme von Henning (Artenschutzfachliche Prüfung… vom 17. Oktober 2012) „als verschwindend gering eingestuft werden“ kann. Der Gutachter führt unter anderem aus:
- 70
„Aufgrund der bisher vorliegenden sehr geringen Schlagopferzahlen (s.o.) sowie der Anzahl der Windenergieanlagen in Deutschland (mehr als 20.000) und den gemeldeten Zahlen überfliegender Kraniche (http://www.kraniche.de) ist eine signifikante Steigerung des Tötungsrisikos ausgeschlossen. Sollten Prognoseunsicherheiten bestehen, kann eine Abschaltung unter den gegebenen Bedingungen diese ausräumen.“
- 71
Gerade angesichts des geringen Gefährdungsrisikos (zum Begriff der signifikanten Steigerung des Tötungsrisikos siehe Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 8. Januar 2014 – 9 A 4/13 –, juris) sind hohe Anforderungen an die Beschreibung der kritischen Wetterlage geboten. Diesen Vorgaben wird die streitige Nebenbestimmung nicht gerecht.
- 72
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO. Bei der Kostenteilung ist die aus Sicht der Klägerin hohe wirtschaftliche Bedeutung der Nebenbestimmung zum Schutz von Fledermäusen berücksichtigt worden.
- 73
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO.
Beschluss
- 74
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 50.000,-- € festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 GKG); die Kammer hat sich hierbei an der Empfehlung Ziffer 19.1.3 des Streitwertkataloges 2013 orientiert und den durch die angefochtenen Nebenbestimmungen möglichen Mehrkostenbetrag entsprechend geschätzt.
Tatbestand
- 1
Die Klägerin begehrt eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Erweiterung eines bestehenden Windparks um weitere 8 Anlagen.
- 2
Mit Antrag vom 17.01.2007 beantragte die (...) GmbH die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von 9 Windkraftanlagen (WKA) des Typs Enercon E-70 E-4 mit einer Nennleistung von je 2,3 Megawatt (MW), einer Nabenhöhe von 98,2 m, einem Rotordurchmesser von 71 m und einer Gesamthöhe von 133,70 m auf mehreren Flurstücken in den Gemarkungen L., B. und R. im Landkreis Börde. Mit Schreiben vom 09.02.2007 zeigte die (...) GmbH den Übergang der Bauherrneigenschaft auf die Klägerin an. Mit Schreiben vom 07.08.2008 reichte diese neue Antragsunterlagen mit 5 veränderten Standorten ein. Mit Schreiben vom 06.12.2010 nahm sie den Antrag für eine Windkraftanlage zurück. Gegenstand des Antrags sind damit noch die im Tenor genannten Windkraftanlagen. Es handelt sich um eine Erweiterung des bestehenden Windparks L.. Mit Genehmigungsbescheid vom 29.11.2006 hatte der Beklagte einer anderen Betreiberin die Errichtung und den Betrieb von 9 Windkraftanlagen nahe L. genehmigt. Die von der Klägerin geplanten Windkraftanlagen sind auf Standorten in der Nähe bzw. zwischen den bereits genehmigten und errichteten Anlagen vorgesehen.
- 3
Das Vorhabengebiet liegt innerhalb des im Regionalen Entwicklungsplan für die Planungsregion Magdeburg (REP MD) unter Nr. 5.8.3.1 festgelegten Eignungsgebietes für die Nutzung der Windenergie 10 Oebisfelde. Nach Nr. 5.8.3.5 des REP MD ist für alle Vorhaben zur Errichtung von Windkraftanlagen in diesem Eignungsgebiet im Rahmen des Genehmigungsverfahrens insbesondere die Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen des Vogelschutzgebietes Drömling zu untersuchen.
- 4
Ca. 1,8 km nördlich des Vorhabengebietes liegt das EU SPA Vogelschutzgebiet Drömling (DE 3532-401; SPA0007). Charakteristisch für die Landschaft im Drömling sind die stark durch Grundwassereinflüsse geprägten Wälder sowie die von vielen Gräben durchzogenen Wiesen und Niederungen. Der Drömling stellt für viele Vogelarten ein bedeutendes Brutgebiet dar und ist für 8 Brutvogelarten nach Anhang I der EU-Vogelschutzrichtlinie eines der Top-5-Gebiete in Sachsen-Anhalt (Mammen, Kerstin/Mammen, Ubbo/Dornbusch, Gunthard/Fischer, Stefan, Die Europäischen Vogelschutzgebiete des Landes Sachsen-Anhalt, Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt, Halle, Heft 10/2013, S. 69 ff.
). Die weite Niederungslandschaft im Drömling hat zudem als Rast- und Überwinterungsgebiet für eine Vielzahl von Watvögeln, Gänsen, Enten sowie für den Kranich eine große Bedeutung. Alljährlich rasten hier mehr als 20.000 Wasservögel. Für Saatgans, Kranich und Kiebitz stellt der Drömling ein Schlüsselgebiet dar, in dem zur Zugzeit mehr als 1 % der Flyway-Population rasten (Mammen, Kerstin/Mammen, Ubbo/Dornbusch, Gunthard/Fischer, Stefan, a.a.O., S. 76). Als vorläufiges Schutz- und Erhaltungsziel für das Vogelschutzgebiet Drömling wurde durch das Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt u.a. die Erhaltung des Gebietes, insbesondere der Habitat- und Strukturfunktionen der Lebensräume der im Gebiet vorkommenden Vogelarten nach Abs. 4 Abs. 1 (Anhang-I-Arten) (etwa Weißstorch, Seeadler, Rotmilan, Wiesenweihe, Kranich) und Art. 4 Abs. 2 der EU-Vogelschutzrichtlinie (u.a. Goldregenpfeifer) definiert. Zwei Drittel des Gebietes liegen in dem mit Verordnung des Beklagten vom 20.06.2005 (ABl. LVwA 2005, S. 135) festgesetzten Naturschutzgebiet "Ohre-Drömling". Darüber hinaus liegt das Gebiet in dem mit Verordnung des Ministerrats der Deutschen Demokratischen Republik vom 12.09.1990 (GBl. 1990, Sonderdruck Nr. 1478) festgesetzten Naturpark "Drömling".
- 5
Etwa 650 m südlich des Vorhabengebietes liegt die Speetzeniederung, die auch als Nahrungshabitat für im südlichen Teil des Vogelschutzgebietes Drömling rastende oder brütende Vögel dienen kann. Der Bachlauf der Speetze ist als FFH-Gebiet "Speetze und Krummbek im Ohre-Aller-Hügelland" (DE 3633-301; FFH0023) unter Schutz gestellt.
- 6
Im Genehmigungsverfahren legte die Klägerin einen avifaunistischen Fachbeitrag des Ingenieurbüros P. (Dipl.-Ing. W.) zur Erweiterung des Windparks L. vom 20.11.2006 vor. Die Arbeit baute auf einem avifaunistischen Fachbeitrag vom 10.07.2005 auf, der für den bereits genehmigten Windpark L. angefertigt worden war. Neue Daten oder Kartierungsergebnisse wurden nicht einbezogen. Zusammenfassend wurde ausgeführt, durch das Vorhaben würden keine größeren Rastvogeltrupps oder wertvolle Rastplätze direkt betroffen. Es komme auch nicht zu direkten Beeinträchtigungen von Brutplätzen. Das Vorhaben sei auch mit dem Vogelschutzgebiet Drömling verträglich, da die Abstände zu weiteren Windparks bzw. Eignungsgebieten groß genug seien und die dazwischen liegenden Korridore bestehen blieben.
- 7
Am 01.03.2007 nahm die Naturparkverwaltung Drömling hierzu Stellung. Das Maß der Beeinträchtigung der Funktion des Vogelschutzgebiets Drömling als Rastgebiet für mehrere von der Vogelschutzrichtlinie geschützte Vogelarten könne anhand der vorliegenden Unterlagen nicht eingeschätzt werden, da der Untersuchungszeitraum zu kurz gewesen sei. Es sei eine mehrjährige (mindestens dreijährige) Untersuchung notwendig, da die Rastvogelzahlen jährlich schwankten. Es fänden regelmäßig Zugbewegungen vom Drömling in die Speetzeniederung statt, die in den einzelnen Jahren recht unterschiedlich verlaufen könnten. Von den Windkraftanlagen gehe insoweit eine Barrierewirkung aus.
- 8
Ähnlich äußerte sich die untere Naturschutzbehörde des Landkreises Börde in einer Stellungnahme vom 26.03.2007. Die Erheblichkeit möglicher Beeinträchtigungen der Erhaltungsziele des Vogelschutzgebietes Drömling könne anhand der vorliegenden Unterlagen nicht eingeschätzt werden. Es sei eine 3-jährige Untersuchung für den gesamten Südrand des Drömling (Höhenrücken zwischen Drömling und Speetzetal) durchzuführen. Ökologische Funktionen, die durch den Windpark beeinträchtigt werden könnten, wie z.B. das allgemeine Zug- und Rastverhalten der Zugvögel in diesem Bereich, also insbesondere Flughöhen, Hauptzugswege im Frühjahr und Herbst, Rastflächen, Nahrungsflächen und Übernachtungsgewässer, die für die Funktionsfähigkeit des Drömling als Brut- und Rastgebiet unerlässlich seien, seien nicht betrachtet worden. Zudem seien in den Jahren 2005 und 2006 in einer Entfernung von ca. 500 m bzw. 600 m östlich bzw. nördlich der geplanten Anlagenstandorte Wiesenweihenbrutplätze festgestellt worden. Aufgrund des Kollisionsrisikos sei ein Bereich von 3.000 m um den Horst der Wiesenweihe von Windenergieanlagen freizuhalten.
- 9
In einem Schreiben vom 15.05.2007 äußerte die Staatliche Vogelschutzwarte Steckby die Auffassung, der Windpark L. sei aus naturschutzfachlicher Sicht, insbesondere aus Sicht des Vogelschutzes, an dieser Stelle nicht vertretbar. Die vorliegenden Unterlagen seien nicht ausreichend, um zweifelsfrei auszuschließen, dass das Vorhaben zu erheblichen Beeinträchtigungen des Vogelschutzgebietes Drömling führen könne. Erforderlich seien mehrjährige Untersuchungen. Hauptflugkorridore zwischen Schlaf- und Nahrungsplätzen, insbesondere von Kranichen, Schwänen und Gänsen, seien von Windkraftanlagen freizuhalten. Zur Feststellung solcher Korridore sei eine längere Untersuchungszeit erforderlich. Auch das Zusammenwirken mit anderen Plänen und Projekten, insbesondere solchen westlich, nördlich und östlich des Drömling sowie mit solchen außerhalb der Windkraftnutzung, seien nicht hinreichend untersucht worden. Zudem sei die Neuansiedlung eines Revierpaares vom Seeadler sowie das vermehrte Auftreten der Wiesenweihe (3 – 6 Paare) im Untersuchungsraum nicht hinreichend beachtet worden.
- 10
In einem weiteren avifaunistischen Fachbeitrag des Büros für Ökologie, Naturschutz und räumliche Planung (Dipl.-Ing., Dipl.-Biol. S.) zur Erweiterung des Windparks L. vom 12.04.2008 wird die Untersuchung aus dem Jahr 2005 um weitere Brut- und Rastvogelkartierungen ergänzt und zusammenfassend bewertet. Zu dem bereits genehmigten Windpark L. wurde ausgeführt, dieser könne für sich allein keine negativen Auswirkungen auf die Avifauna im 2 km entfernten Vogelschutzgebiet Drömling haben. Brutvögel seien nicht unmittelbar betroffen. Auch die mögliche Beeinträchtigung von rastenden Kiebitzen über 2 km vom Drömling entfernt lasse keine Beeinträchtigung im Sinne der Vogelschutzrichtlinie erwarten. Genauso sei das potentielle Schlagrisiko für einige Greifvögel zu werten. Das bloße Schlagrisiko in mehr als 2 km Entfernung zum Schutzgebiet könne nicht als erheblich eingestuft werden. Auswirkungen auf das Schutzgebiet selbst seien nicht zu erwarten. Dies gelte auch bei Betrachtung kumulierender Wirkungen.
- 11
Ein Gutachten von Dr. R. (A. GmbH) und Dipl.-Ing., Dipl.-Biol. S. vom 27.05.2008 bewertet die Verträglichkeit der Erweiterung des Windparks L. mit den Erhaltungszielen des Vogelschutzgebietes Drömling und gelangt zu dem Ergebnis, dass der Windpark nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Erhaltungsziele des Vogelschutzgebietes Drömling führe.
- 12
In einer naturschutzfachlichen Stellungnahme des Büros für Landschaftsökologie M. (Dipl.-Ing. L.) vom 30.06.2011 wird ausgeführt, die Vorgehensweise und die Ableitungen in der vorliegenden FFH-Verträglichkeitsprüfung seien plausibel. Erhebliche Auswirkungen auf das lokale Rast- und Äsungsgeschehen durch die geplanten Windenergieanlagen seien aufgrund der bestehenden Vorbelastung nicht zu erwarten. Bereits durch die vorhandenen Anlagen werde im 500-m-Radius eine Fläche von etwa 316 ha als potenzieller Rast- und Äsungsraum entzogen, weitere 760 ha würden im 1.000-m-Radius devastiert. Bei zusätzlicher Errichtung der geplanten Anlagen sei mit einem Entzug von etwa 100 ha sowie einer Devastierung von weiteren 140 ha zu rechnen. Im Verhältnis zu der bereits durch den bestehenden Windpark belasteten Fläche und unter Beachtung des im Umfeld zur Verfügung stehenden Potentials von Flächen gleicher oder höherer Wertigkeit lasse sich keine Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle ableiten. Auch eine Unterschreitung der Mindestabstandsempfehlungen zu bekannten Horsten bzw. Brutplätzen von Großvogelarten, etwa der Wiesenweihe, sei nicht erkennbar.
- 13
Zur Fledermausproblematik legte die Klägerin ein ergänzendes Abschaltkonzept zum Fachbeitrag "Fledermäuse" zur Erweiterung des bestehenden Windparks L. der M. & R. GbR (Dipl.-Biol. R.) von November 2010 vor. Hierzu erklärte die Obere Naturschutzbehörde mit Vermerken vom 20.12.2010 und 17.02.2011, eine Abschaltung der drei wegen Beeinträchtigungen von Fledermäusen als artenschutzrechtlich problematisch eingeschätzten Windenergieanlagen entsprechend dem eingereichten Abschaltkonzept sei ausreichend, soweit die Verträglichkeit des Vorhabens mit den Erhaltungszielen des Vogelschutzgebietes Drömling nachgewiesen werde.
- 14
Mit Bescheid vom 25.07.2011 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin vom 17.01.2007 ab. Zur Begründung führte er aus, die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens sei nicht prüfbar, da dessen Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen des Vogelschutzgebietes Drömling nicht ausreichend untersucht worden sei. Durch die Errichtung von Windkraftanlagen außerhalb eines Vogelschutzgebietes könne ein Funktionsverlust des Schutzgebietes zu besorgen sein, etwa wenn sie die Gefahr einer möglichen Verriegelung des Gebietes mit sich brächten oder wenn sie eine Barrierewirkung dergestalt entfalteten, dass die Vögel daran gehindert werden, das Schutzgebiet zu erreichen oder zwischen Nahrungs- und Rastplätzen, die sich jeweils in einem Schutzgebiet befänden, zu wechseln. Daher sei im vorliegenden Verfahren die Verträglichkeit des Vorhabens mit den Schutz- und Erhaltungszielen des Vogelschutzgebietes Drömling zu prüfen. Ein Vorhaben dürfe nur dann zugelassen werden, wenn die Gewissheit bestehe, dass es sich nicht nachteilig auf das Gebiet als solches auswirke. Dieser Nachweis habe nicht erbracht werden können. Es könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass die Errichtung und der Betrieb der streitgegenständlichen Windkraftanlagen nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen des Vogelschutzgebietes Drömling in seiner Funktion als Durchzugs-, Rast- und Überwinterungsgebiet der geschützten nordischen Gänsearten Bläss-, Saat- und Graugans sowie des Goldregenpfeifers und des Kranichs führe. Eine Beeinträchtigung des Vogelschutzgebietes Drömling durch eine Barrierewirkung infolge der Errichtung weiterer Windkraftanlagen im Vorhabengebiet L.-R., die zu einer Störung des Flugverhaltens der Gänse beim Pendeln zwischen Schlaf-, Nahrungs- und Komfortflächen mit negativen Auswirkungen auf die Populationsgröße führen könne, sei nach dem derzeitigen Forschungsstand nicht mit der erforderlichen Gewissheit ausgeschlossen. Dem stehe nicht entgegen, dass die Windkraftanlagen die empfohlenen Schutzabstände einhielten, denn diese seien nur als allgemeine Hinweise zu verstehen, während bei einer Entscheidung über die Zulassung einer Windkraftanlage auf die konkrete Situation vor Ort abgestellt werden müsse. Daher könne nur eine auf den konkreten Einzelfall abgestellte mehrjährige Untersuchung der Rastplätze, Nahrungsflächen und Zuwege insbesondere der o. g. fernziehenden Vogelarten zu einer sicheren Bewertung der Gefährdung der Schutz- und Erhaltungsziele des Vogelschutzgebietes beitragen. Das Vorhaben führe darüber hinaus zu einem erheblichen Totschlagsrisiko für die dort brütende Wiesenweihe. Auch die Stellungnahme des Büros M. vom 30.06.2011 führe nicht zu einer geänderten Bewertung der Windparkerweiterung.
- 15
Am 11.08.2011 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Klage erhoben.
- 16
Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren hat sie eine faunistische Sonderuntersuchung der Durchzügler und Wintergäste im Bereich des Windparks L.-R. durch das Büro M. (Dipl.-Ing. L.) vom 31.08.2012 vorgelegt. Untersuchungsgebiet war der Raum in einem Radius von 2.000 m um die geplanten WEA-Standorte. Begehungen fanden in der Zeit von September 2011 bis April 2012 an 16 Tagen und im Zeitraum Juli bis August 2012 an 4 Tagen statt. Insgesamt seien bei den Erfassungen 117 Vogelarten nachgewiesen worden. Eine Artenliste nebst Angabe der Anzahl der Nachweise sowie der maximalen Truppstärke enthält Tabelle 1 (S. 8 – 12). Zudem wurde der Status der Vögel als Durchzügler (DZ), Standvogel (SV) (Art, die im Umfeld des Brutgebietes überwintert), überfliegend (Üf) oder Wintergast (WG) angegeben.
- 17
Darüber hinaus hat die Klägerin eine zusammenfassende avifaunistische Bewertung der Erweiterung des Windparks L.-R. durch das Büro M. (Dipl.-Ing. L.) vom 13.08.2013 vorgelegt. Grundlage hierfür waren folgende Untersuchungen:
- 18
Vogelart
Jahr
Zeitraum
Begehungen
Radius
Brutvögel
2004
03/2004 bis 08/2004
11 (+4)
500/1.000/2.000m
Brutvögel
2006
03/2006 bis 07/2006
11
500/1.000/2.000m
Rastvögel, Durchzügler, Wintergäste
2004/2005
02/2004 bis 04/2004 06/2004 bis 03/2005
30
2.000 m
Rastvögel, Durchzügler, Wintergäste
2006/2007
07/2006 bis 03/2007
25
2.000 m
Rastvögel, Durchzügler, Wintergäste
2011/2012
09/2011 bis 04/2012
07/2012 bis 08/201220
2.000 m
- 19
Die einschlägigen Abstandsempfehlungen zu Horsten, Brutplätzen oder Brutgebieten bestimmter Brutvögel wurden in Tabelle 5 und zu Rast- und Durchzugsgebieten einzelner Rast- und Zugvögel in Tabelle 6 angegeben. Bewertet wurden die Auswirkungen des Vorhabens auf Brutvögel (S. 17 – 29) und Rastvögel, Durchzügler und Wintergäste (S. 30 – 40).
- 20
Mit Blick auf die Brutvögel wird ausgeführt, durch das Vorhaben sei mit einer Beeinträchtigung der Wachtel durch Vergrämung zu rechnen. Diese werde ihre Reviere verlagern oder Habitatteile aufgeben. Negative Auswirkungen auf die Bestandsdynamik der lokalen Population würden jedoch nicht hervorgerufen (S. 19). Zudem könne die Erweiterung des Windparks zu einer Erhöhung der Barrierewirkung für die im Umfeld brütenden Großvogelarten, insbesondere den Weißstorch, z.B. auf den Transferflügen zwischen den Horstplätzen und den Nahrungsgebieten, führen. Zumindest ein gelegentliches Überfluggeschehen könne nicht ausgeschlossen werden, wobei die Tiere den Windpark ggf. nicht passieren oder überfliegen, sondern umfliegen. Durch die Erweiterung des Windfeldes komme es bei der Ost-West-Achse von derzeit 980 m zu einer Ausdehnung von ca. 250 m (25,3 %) und in der Nord-Süd-Achse um eine Verlängerung von 1.620 m um 235 m (14,5 %) (S. 20). Damit verstärke die Erweiterung des Windparks die Barrierewirkung der vorhandenen Anlagenkonfiguration. Die Ausdehnung der Achse bzw. Barriere sei jedoch nur geringfügig. Im Vergleich zur aktuellen Situation sei zwar eine zusätzliche Beeinträchtigung anzunehmen; diese überschreite die Erheblichkeitsschwelle jedoch nicht (S. 22). Das Risiko des Vogelschlags wird im Hinblick auf 12 Vogelarten bzw. Artengruppen untersucht (Tabelle 8):
- 21
- Für die Arten Graureiher, Schwarzstorch, Weißstorch, Rohrweihe, Schwarzmilan, Seeadler, Baumfalke, Kranich, Wachtelkönig und Sumpfohreule sowie Wiesenbrüter (insbesondere Limikolen) sei keine (regelmäßige) Unterschreitung der Mindestabstände erkennbar.
- 22
- Für den Rotmilan lägen derzeit keine konkreten Daten vor, die eine Unterschreitung des Mindestabstands belegten.
- 23
- Bei der Wiesenweihe sei mehrfach eine Unterschreitung des Mindestabstandes von 1.000 m zu verzeichnen. Einen Überblick über das Brutvorkommen der Wiesenweihe im Zeitraum 2004 – 2012 im Umkreis von 6 km um die Anlagen bietet die Plananlage 1 vom 06.04.2013 (GA Bl. 148). Hierdurch bestehe bereits an den bestehenden Anlagen ein Risiko für Kollisionen der im Umfeld brütenden Paare der Wiesenweihe. Inwieweit durch die geplante Erweiterung des Windparks eine spürbare Erhöhung des Tötungsrisikos gegenüber dem Bestand erfolge, lasse sich nicht mit ausreichender Sicherheit prognostizieren (S. 29).
- 24
Zu den Rastvögeln, Durchzüglern und Wintergästen wurde ausgeführt, durch deren Meideverhalten komme es durch den von dem Betrieb der Anlagen ausgelösten Scheuch- und Vergrämungseffekt zu einem Verlust von Nahrungsgebieten und Rastflächen. Bei Errichtung der geplanten Anlagen gingen für Kiebitz und Goldregenpfeifer zusätzlich 79 ha potentieller Rast- und Nahrungsraum verloren. Bei Saat- und Blässgans sowie Kranich sei mit einem Entzug von ca. 96 ha und einer Devastierung von 137 ha zu rechnen. Im Verhältnis zu der bereits durch den bestehenden Windpark belasteten Fläche und unter Beachtung des im Umfeld zur Verfügung stehenden Potentials von Flächen gleicher oder höherer Wertigkeit lasse sich jedoch keine Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle ableiten (S. 33). Zudem komme es im Vergleich zur aktuellen Situation zu einer Verstärkung der Barrierewirkung; es sei jedoch nicht zu erwarten, dass diese die Erheblichkeitsschwelle erreiche (S. 33). Im Hinblick auf das Kollisionsrisiko werde die Einhaltung von Mindestabständen empfohlen. Insoweit ergebe sich Folgendes (Tabelle 13):
- 25
- Im Hinblick auf den Kranich, die Saat- und Blessgans, den Sing- und Zwergschwan sowie den Kiebitz sei keine Unterschreitung des Mindestabstandes erkennbar.
- 26
- Im Hinblick auf den Goldregenpfeifer wird auf die einschlägige Empfehlung hingewiesen, wonach ein Abstand von 1.000 m zu Gebieten eingehalten werden soll, in denen regelmäßig mindestens 200 Goldregenpfeifer rasten. In der Vergangenheit (2004/2005) seien in der nur 650 m entfernten Speetze-Niederung regelmäßig Nachweise von Truppstärken von mehr als 200 erfolgt. Dies spreche dafür, dass vor der Errichtung der Bestandsanlagen die Speetze-Aue regelmäßig auch von größeren Truppstärken zur Rast genutzt worden sei. Nach Errichtung der Bestandsanlagen lägen keine Beobachtungen mehr vor, die für eine regelmäßige Rast in diesem Bereich sprächen. Wegen des Fehlens langjähriger Erfassungsreihen könne nicht abschließend abgeleitet werden, dass die Art dort noch in relevanten Beständen raste. Für die drei südlichen Bestandsanlagen und die geplante Anlage Rä2 könne daher nicht mit letztlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass es zu einer Unterschreitung des empfohlenen Mindestabstandes komme (S. 35).
- 27
- Die empfohlenen Mindestabstände zu Europäischen Vogelschutzgebieten, nationalen Schutzgebieten mit Vogelschutz im Schutzzweck, Ramsar-Gebieten, Gastvogellebensräumen internationaler, nationaler und landesweiter Bedeutung, Gastvogellebensräumen regionaler und lokaler Bedeutung, Gewässer oder Gewässerkomplexe >10 ha, traditionellen Überwinterungsgebieten von Greifvögeln und Eulen mit hohen Individuendichten und Gewässer mit Konzentrationen von regelmäßig >1.000 Wasservögeln (ohne Gänse) würden eingehalten. In einen Zugkonzentrationskorridor werde nicht eingegriffen. Nicht ausgeschlossen sei, dass die drei südlichen Bestandsanlagen und die geplante Anlage Rä2 den empfohlenen Mindestabstand von 1.000 m zur Hochwassergrenze eines Gewässers 1. Ordnung mit Zugleitlinienfunktion unterschreiten. Bei der ca. 700 m entfernten Speetze könnte es sich für den Goldregenpfeifer um ein solches Gewässer mit Zugkorridorfunktion handeln. Dies könne jedoch derzeit nicht abschließend abgeleitet werden (Seite 38).
- 28
Als Maßnahmen zur Vermeidung der Beeinträchtigung bzw. Schädigung von Niststätten sowie Gelegen und Jungtieren von Bodenbrütern bzw. zur Vermeidung baubedingter Vergrämung bei den im Umfeld brütenden Revierpaaren wird vorgeschlagen, die Baumaßnahmen außerhalb des Zeitraums 1. März bis 30. September durchzuführen (V01, S. 41). Das Tötungsrisiko für Wiesenweihen lasse sich durch Abschaltung der Anlagen während der Balz deutlich reduzieren. Soweit innerhalb des 1.000-m-Umfelds der Anlagen Aktivitäten zur Brutplatzwahl festgestellt würden, sei in den betreffenden Jahren eine Änderung des Betriebsregimes der Windenergieanlagen die einzige effektive Möglichkeit, Tötungen zu vermeiden. Die geplanten Windenergieanlagen sollten daher während der Balzphase jeweils von einer Stunde vor Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang abgeschaltet werden (V02, S. 41). Zur Absicherung eines ausreichenden Angebots an als Rastflächen für den Goldregenpfeifer geeigneten Grünlandflächen könne im Bereich der Niederungen von Speetze und Aller präventiv Ackerland in Grünland umgewandelt werden (V03, S. 41).
- 29
In der abschließenden artenschutzrechtlichen Würdigung kommt der Gutachter zu dem Ergebnis, ein Verstoß gegen das Tötungsverbot sei nicht zu erwarten. Eine Tötung oder Verletzung von Gelegen oder Jungtieren bei bodenbrütenden Arten werde durch die jahreszeitliche Steuerung der Baumaßnahmen gemäß V01 vermieden. Bei Abschaltung der Anlagen in Brutjahren gemäß V02 bestehe auch für die Wiesenweihe innerhalb der Balzphase kein Kollisionsrisiko mehr. Bei allen anderen Spezies ergebe sich kein betriebsbedingtes Tötungsrisiko durch Vogelschlag oberhalb des allgemeinen Lebensrisikos. Es sei auch kein Verstoß gegen das Verbot der erheblichen Störung zu erwarten. Der anlage- und betriebsbedingte Verlust von Lebensräumen stelle bei den Brutvögeln keine solche Störung dar. Auch die von dem Vorhaben ausgehende Barrierewirkung sei aufgrund der vorhandenen Vorbelastung nicht erheblich. Bei Rastvögeln und Durchzüglern sei das Störungsverbot nicht einschlägig, da diese keine lokale Population i.S.d. § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG bildeten. Ein Verstoß gegen das Verbot der Schädigung von Niststätten gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG sei bei Umsetzung der Vermeidungsmaßnahme V01 nicht zu erwarten (S. 42 – 43).
- 30
Die Klägerin hat vorgetragen, dem Vorhaben stünden keine öffentlichen Belange entgegen. Die Verträglichkeit mit dem Vogelschutzgebiet Drömling sei wegen des Abstandes zu dem Windpark von ca. 2 km gegeben. Die Forderung nach einer 3-jährigen Kartierung sei willkürlich. Im Übrigen hat sie auf die vorgelegten avifaunistischen Gutachten des Büros M. Bezug genommen. Diese belegten, dass die beantragten Windenergieanlagen an den vorgesehenen Standorten genehmigungsfähig seien, wenn auch nur mit gewissen Einschränkungen.
- 31
Die Klägerin hat beantragt,
- 32
den Bescheid des Beklagten vom 25.07.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihr eine Genehmigung gemäß § 4 BImSchG zur Errichtung und zum Betrieb von 8 Windenergieanlagen des Typs Enercon E-70 E-4 auf den Flurstücken 76/44 der Flur A der Gemarkung B., 17/1 der Flur B der Gemarkung R., 2/2 der Flur A der Gemarkung R., 199/31, 205/27, 299/27, 149/23, 223/68, alle der Flur B der Gemarkung L., gemäß ihrem Antrag vom 17.01.2007 zu erteilen.
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Der Beklagte hat beantragt,
- 34
die Klage abzuweisen.
- 35
Er hat den angefochtenen Ablehnungsbescheid verteidigt und ergänzend ausgeführt, die vorliegenden avifaunistischen Fachgutachten seien nicht ausreichend, um die Verträglichkeit der beantragen Windenergieanlagen mit den Schutz- und Erhaltungszielen des Vogelschutzgebietes Drömling sicher zu belegen. Die Untersuchungen zu den Zug- und Rastvögeln aus den Jahren 2004/2005 und 2006/2007 litten an methodischen Mängeln. Erforderlich zur Erfassung des Zug-, Rast-, Wander- und Überwinterungsgeschehens sei eine wöchentliche Untersuchung von Mitte Juli bis Mitte Mai des Folgejahres. Hierzu hätten 44 Untersuchungstermine stattfinden müssen. In der Studie 2004/2005 sei das Zug- und Rastgeschehen aber nur an 30 Tagen, in der Studie 2006/2007 nur an 25 Tagen untersucht worden. In den vorliegenden Gutachten fehlten auch Aussagen dazu, wie sich der Rast- und Nahrungsflächenentzug und die Barrierewirkung auf den Rast- und Zugvogelbestand des Vogelschutzgebietes auswirkten. Durch die Beeinträchtigung der Verbindung zwischen angestammten Schlaf- und Nahrungsflächen infolge des Barriereeffekts und die Kollisionsgefahr könne der Kranichzug erheblich gestört werden. Großräumiges Ausweichen und Zugumkehr könnten die Folge sein. Hierdurch könnten traditionelle Rast- bzw. Schlafplätze aufgegeben werden. Berücksichtige man neben dem bestehenden Windpark R. und der geplanten Erweiterung auch den Windpark bei W. einschließlich der Meidungsabstände von bis zu 1.000 m, so ergebe sich am Südrand des Vogelschutzgebietes eine Barrierewirkung für von Südwest auf dem Frühjahrszug durchziehende Kraniche auf ca. 7 km Breite. Dies entspreche einem Störungsbereich von 26,9 % auf der Gesamtlänge der Südgrenze des Vogelschutzgebietes (26 km von NW nach SO). Darüber hinaus befinde sich im westlich angrenzenden Niedersachsen ebenfalls ein Windpark in 8 km Entfernung zur Südgrenze des Vogelschutzgebietes Drömling. Dieser Störungsbereich (ca. 4 km breit) für durchziehende Kraniche und Gänse könne möglicherweise zu einer Verstärkung der Barrierewirkung der beiden genannten Windparks beitragen. Unter Berücksichtigung der genannten Stör- und Barrierewirkungen der Windenergieanlagen gegenüber ziehenden Kranichen sei eine Verträglichkeit des Vorhabens mit den Schutz- und Erhaltungszielen des Vogelschutzgebietes Drömling nicht gegeben. Dem Vorhaben stünden aber auch artenschutzrechtliche Versagungsgründe entgegen. Im Untersuchungsraum des Windparks seien 7 – 9 Revierpaare der Wiesenweihe bekannt. Diese unterlägen einer erhöhten Schlaggefährdung durch Windenergieanlagen. Bei der Untersuchung im Jahr 2006 sei ein Wiesenweihenbrutplatz nur 400 m vom Standort der Windenergieanlage EC Rä1 entfernt ausgemacht worden. In den Jahren 2008 – 2010 seien in einem Umkreis von 1.000 m um die Anlagen insgesamt 4 Wiesenweihenbrutplätze beobachtet worden (2 Brutplätze in 2008 und je 1 Brutplatz in 2009 und 2010). Im Jahr 2011 hätten zwei Wiesenweihenpaare die Brut im Nahbereich der bestehenden Windenergieanlagen begonnen. Auch im Jahr 2013 seien im südöstlichen Bereich des Windparks zwei Brutplätze der Wiesenweihe festgestellt worden. Zu Brutplätzen der Wiesenweihe sei ein Mindestabstand von 1.000 m einzuhalten. Die Erweiterung des Windparks L.-R. könne daher auf Grund der neuesten Erkenntnisse zum erhöhten Schlagrisiko der Wiesenweihe an Windenergieanlagen sowie infolge des Nachweises mehrerer Wiesenweihenbruten im Tabubereich nicht zugelassen werden. Der Zulässigkeit des Vorhabens stünden auch die Schutzabstände zu den Brut- und Nahrungsgebieten des Weißstorchs entgegen. Für mehrere Weißstorchbrutpaare aus der Umgebung des Windparks könne die Windpark-Erweiterung eine Barriere zwischen Brutplatz und Nahrungshabitat darstellen, auch wenn sich die Windenergieanlagen außerhalb der Tabuzone von 1.000 m um den jeweiligen Horst befänden. Bezüglich des Weißstorches sei innerhalb eines Prüfbereichs von 6 km um die Windenergieanlagen zu prüfen, ob Nahrungshabitate der betreffenden Art vorhanden seien. Diese seien einschließlich der Flugwege dorthin von Windenergieanlagen freizuhalten. Innerhalb des Prüfbereichs von 6.000 m befänden sich 6 besetzte Horste des Weißstorchs. Zwei Windenergieanlagen-Standorte am Südrand des Windparks (EC Rä2 und EC Lo6) seien auch zum Schutz traditioneller Rastplätze des Goldregenpfeifers unzulässig. Die Speetzeniederung südlich des Windparks sei ein Rastplatz des Goldregenpfeifers. Trupps durchziehender Goldregenpfeifer erreichten regelmäßig eine Kopfstärke von mehr als 200 Tieren. Zu Rastgebieten, in denen regelmäßig mindestens 200 Goldregenpfeifer rasteten, sei ein Schutzradius von 1.000 m einzuhalten. Zudem sei in den Jahren 2012 und 2013 im Umkreis von 1.000 m um sechs der geplanten Windkraftanlagen ein Rotmilanhorst festgestellt worden.
- 36
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
- 37
Mit Urteil vom 22.08.2013 – 2 A 184/11 MD – hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dem Vorhaben stünden Belange des Naturschutzes unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Vogelschutzgebietes Drömling entgegen. Es sei nicht auszuschließen, dass das Vorhaben zu nachteiligen Auswirkungen auf das Zug- und Rastgeschehen im Drömling und zu einer Entwertung dieses Gebietes als Rast- und Überwinterungsgebiet für die nordischen Gänsearten Bläss-, Saat- und Graugans sowie für den Goldregepfeifer und den Kranich führe. Die Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Genehmigung beurteile sich nach der Vogelschutzrichtlinie (Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.11.2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten – VRL). Da das Vogelschutzgebiet Drömling bislang noch nicht im Sinne des Art. 4 Abs. 1 VRL zum Schutzgebiet erklärt worden sei, unterliege es als "faktisches" Vogelschutzgebiet dem Rechtsregime des Art. 4 Abs. 4 VRL. Das Vorhaben der Klägerin sei mit dieser Vorschrift nicht vereinbar. Eine Beeinträchtigung des Vogelschutzgebietes Drömling sei nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil das Vorhaben außerhalb des Schutzgebietes liege. Erhebliche Gebietsbeeinträchtigungen könnten auch von außerhalb des Schutzgebietes gelegenen Vorhaben ausgehen, soweit sie innerhalb des Vogelschutzgebietes wirkten. Die Behörde dürfe ein Vorhaben nur dann zulassen, wenn sie zuvor Gewissheit darüber erlangt habe, dass dieses sich nicht nachteilig auf das Gebiet als solches auswirke. Die Verträglichkeit der streitbefangenen Windenergieanlagen mit dem Schutzzweck des Vogelschutzgebietes Drömling sei nicht nachgewiesen. Es lasse sich anhand der von der Klägerin vorgelegten FFH-Verträglichkeitsuntersuchung nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, dass deren Errichtung und Betrieb nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen dieses Vogelschutzgebietes führe, da diese aufgrund einer unzureichenden Tatsachengrundlage erfolgt sei. Die von der Klägerin bislang vorgelegten Kartierungen zum Zug- und Rastverhalten der Gastvögel böten keine taugliche Grundlage, um etwaige Beeinträchtigungen als ausgeschlossen zu bewerten. Konkrete Anforderungen an die avifaunistischen Untersuchungen zum Zweck der Bestandserhebung und Bewertung im Rahmen von Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen ergäben sich aus den Abstandsempfehlungen der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG-VSW) und aus den Hinweisen des Niedersächsischen Landkreistages zur Berücksichtigung des Naturschutzes und der Landschaftspflege bei Standortplanung und Zulassung von Windenergieanlagen (NLT-Papier). Diese seien zwar für das Gericht nicht bindend, enthielten aber eine Zusammenfassung der in Fachkreisen zu der Problematik gewonnenen aktuellen Erkenntnisse, so dass aus ihnen – naturschutzfachlich vertretbar – die maßgeblichen Anforderungen für die avifaunistische Bestandserhebung und Bewertung im Rahmen von Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen abgeleitet werden könnten. Diese Anforderungen, deren Anwendung im vorliegenden Fall geboten und sachgerecht sei, würden durch die von der Klägerin beigebrachten Kartierungen und Untersuchungen nicht erfüllt. Es sei notwendig, das Durchzugs-, Rast- und Überwinterungsverhalten der geschützten nordischen Gänsearten Bläss-, Saat- und Graugans sowie des Goldregenpfeifers und des Kranichs im Vorhabengebiet und dessen näherer Umgebung zu erfassen. Der Drömling habe als Rast- und Überwinterungsgebiet für diese Vogelarten eine große Bedeutung. Zudem seien das Vorhabengebiet und dessen nähere Umgebung jedenfalls bis zur Errichtung der ersten 9 Windenergieanlagen ein bedeutendes Nahrungshabitat für die im Vogelschutzgebiet rastenden Kraniche und nordischen Gänse gewesen. Hinzu trete die besondere Lage des Vorhabengebietes zwischen dem im Norden gelegenen Drömling und der Speetze-Aue im Süden. Vor diesem Hintergrund bestehe hinreichender Anlass, das Rast- und Gastvogelgeschehen sowie den Vogelzug systematisch entsprechend der genannten Anforderungen zu erfassen. Nur dann lasse sich mit der erforderlichen Gewissheit ausschließen, dass das geplante Vorhaben zu einer beachtlichen Verlagerung der Rastgebiete und einer Beeinträchtigung bestehender Zugkorridore im Sinne einer Barrierewirkung führe. Eine solche systematische Erfassung liege nicht vor. Die im NLT-Papier festgelegten Anforderungen würden durch die von der Klägerin beigebrachten Kartierungen und Untersuchungen aus den Jahren 2004/2005, 2006/2007 und 2011/2012 nicht erfüllt. Erforderlich sei eine wöchentliche Gastvogelerfassung auf der gesamten Fläche des Untersuchungsraumes von der ersten Juli-Woche bis zur letzten April-Woche des Folgejahres. Die bisherigen Begehungen seien jedoch nicht wöchentlich, sondern in einem Abstand von 9 – 11 Tagen erfolgt. Infolge des gewählten größeren Abstandes zwischen den einzelnen Untersuchungsterminen sei nicht ausgeschlossen, dass auch größere Durchzugswellen von Rast- und Gastvögeln nicht erfasst worden seien. Unzureichend sei auch der gewählte Untersuchungsraum. Bei Vogelarten mit größeren Raumansprüchen – wie z.B. dem Kranich – beschränke sich dieser nicht auf einen Radius von 2.000 m im Umkreis der Gesamtanlagenfläche. Vielmehr seien auch Interaktionsräume dieser Vogelarten (u.a. Wander- und Zugkorridore) zu berücksichtigen, die über diesen Mindestabstand hinausgehen könnten. Bei Rotmilanen und Kranichen sei ein Meideverhalten bis zu einer Distanz von 3.000 m erkennbar. Daher sei insbesondere bei Kranichen ein Untersuchungsraum von mindestens 3.000 m im Umkreis der Gesamtanlagenfläche geboten, um das Zuggeschehen sachgerecht erfassen und die hierauf bezogenen anlagenbedingten Störungen hinreichend bewerten zu können. Eine anlagenbedingte Verlagerung bzw. Zerstörung von Rastflächen und Zugkorridoren der geschützten Vogelarten könne auch deshalb nicht mit der erforderlichen Gewissheit ausgeschlossen werden, weil es hierfür mehrjähriger, systematischer und ausreichend dokumentierter Erfassungen bedürfe, die hier nicht vorlägen. Im Hinblick auf das streitgegenständliche Vorhaben fehle es an einer mehrjährigen sorgfältig dokumentierten Erfassungsreihe, da die Feststellungen aus den Erfassungen 2006/2007 nicht konkret verortet seien und damit für den Zeitraum nach Errichtung der ersten 9 Windenergieanlagen im Jahr 2006 nur die Feststellungen aus den Erfassungen 2011/2012 vorlägen, denn nur bei diesen sei die Anzahl der rastenden Vögel und die räumliche Verteilung der rastenden Vogeltrupps kartiert worden. Dem stehe nicht entgegen, dass die streitgegenständlichen Windenergieanlagen in einem im REP MD ausgewiesenen Eignungsgebiet errichtet werden sollten, denn dies bedeute nicht, dass die entsprechenden Vorhaben dort ohne weitere Prüfung zugelassen werden müssten. Vor diesem Hintergrund könne offenbleiben, ob im Hinblick auf den Rotmilan und die Wiesenweihe wegen des bestehenden Kollisionsrisikos ein Verstoß gegen das Verletzungs- und Tötungsverbot vorliege.
- 38
Die Klägerin trägt zur Begründung der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung vor, vorliegend sei nicht die VRL, sondern Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL i.V.m. § 34 BNatSchG anwendbar. Es liege eine Erklärung zum Schutzgebiet i.S.d. Art. 4 Abs. 1 VRL vor, die gemäß Art. 7 FFH-RL zu einem Wechsel des Schutzregimes geführt habe. Etwa zwei Drittel der Fläche des Vogelschutzgebietes Drömling liege in einem Naturschutzgebiet. Der Rest sei als Landschaftsschutzgebiet bzw. Naturpark ausreichend geschützt. Die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL i.V.m. § 34 BNatSchG würden eingehalten. Da das Gebiet des Drömlings in einer Entfernung von ca. 2.000 m zu den geplanten Anlagen liege, sei der Untersuchungsraum ausreichend groß bemessen. Eine Beeinträchtigung des FFH-Gebietes "Speetze und Krummbek im Ohre-Aller-Hügelland" erfolge nicht. Auch eine Beeinträchtigung des Vogelschutzgebietes Drömling durch die geplante Verdichtung der Anlagen sei ausgeschlossen. Die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens werde durch das M-Gutachten vom 13.08.2013 belegt. Das Verwaltungsgericht habe einen falschen Maßstab angelegt. Ein Ausschluss von Beeinträchtigungen sei nicht erforderlich. Maßgeblich sei vielmehr, ob die Beeinträchtigungen die Erheblichkeitsschwelle überschritten. Das sei hier nicht der Fall. Eine Verriegelungs- oder Barrierewirkung sei wegen der Entfernung von ca. 2.000 m zum Schutzgebiet nur geringfügig. Es sei unklar, ob ein etwaiger Rückgang der in der Speetzeniederung rastenden Vögel, insbesondere der Goldregenpfeifer, auf den Betrieb der Windenergieanlagen zurückzuführen sei. Ursache hierfür könne auch eine Veränderung der landwirtschaftlichen Nutzung der umliegenden Flächen sein. Schließlich folge die Verträglichkeit ihres Vorhabens mit den Erhaltungszielen des Schutzgebietes auch aus der Lage in einem in der Regionalplanung abgewogenen Eignungsgebiet. Dem Vorhaben stünden auch keine artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände entgegen. Insbesondere bestehe für den Rotmilan kein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko durch die Errichtung und den Betrieb der geplanten Windkraftanlagen. Die Auswirkungen von Windenergieanlagen auf Rotmilane würden überschätzt. In den letzten Jahren habe die Zahl der an Windenergieanlagen getöteten Rotmilane deutlich abgenommen und dessen Bestand stark zugenommen, obwohl sich gleichzeitig die Zahl der Windenergieanlagen stetig erhöht habe. Mindestabstände zwischen Windenergieanlagen und Rotmilanhorsten hätten keinen nennenswerten Einfluss auf das Tötungsrisiko. Die Klägerin verweist insoweit auf die Studie "Windenergie und Rotmilan: Ein Scheinproblem" der KohleNusbaumer SA, Lausanne, vom 15.01.2016. Im Hinblick auf die Wiesenweihe lägen keine belastbaren Untersuchungen für ein erhöhtes Kollisionsrisiko an Windenergieanlagen vor. Zudem kämen Nebenbestimmungen, wie etwa eine Abschaltauflage, zur Verminderung des Kollisionsrisikos in Betracht.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 22.08.2013 – 2 A 184/11 MD – zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung seines Ablehnungsbescheids vom 25.07.2011 zu verpflichten, ihr eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von 8 Windenergieanlagen des Typs Enercon E-70 E-4 (Nennleistung: 2,3 MW, Nabenhöhe: 98,2 m, Rotordurchmesser: 71 m, Gesamthöhe: 133,7 m) auf den Flurstücken 76/44 der Flur A der Gemarkung B., 17/1 der Flur B der Gemarkung R., 2/2 der Flur A der Gemarkung R. sowie 199/31, 205/27, 299/27, 149/23, 223/68, alle der Flur B der Gemarkung L., gemäß ihrem Antrag vom 17.01.2007 zu erteilen.
- 41
Der Beklagte beantragt,
- 42
die Berufung zurückzuweisen.
- 43
Zur Begründung trägt er vor, das Verwaltungsgericht sei zu Recht von der Anwendbarkeit der VRL ausgegangen. Das Vogelschutzgebiet Drömling befinde sich nur zum Teil innerhalb des im Jahr 2005 ausgewiesenen Naturschutzgebietes "Ohre-Drömling". Für die außerhalb des Naturschutzgebietes liegenden Flächen fehle es an einer den Anforderungen der VRL entsprechenden Schutzgebietsausweisung. Die schon im Jahr 1990 erfolgte Ausweisung des Drömling als Landschaftsschutzgebiet bzw. Naturpark erfülle die Mindestanforderungen an eine Erklärung zu einem besonderen Schutzgebiet im Sinne des Art. 4 VRL bzw. Art. 7 FFH-RL nicht. Selbst wenn das Vorhaben nach Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL i.V.m. § 34 BNatSchG zu beurteilen sein sollte, würde dies nicht zu seiner Zulässigkeit führen. Das Vorhabengebiet und seine nähere Umgebung sei ein bedeutendes Nahrungshabitat für Kraniche und nordische Gänse, welche im Vogelschutzgebiet Schlafplätze nutzten. Nach den Erhebungen des Büros M in der Zugperiode 2011/2012 bestünden diese bedeutsamen Rastplätze für den Kranich und den Goldregenpfeifer im Bereich des geplanten Windparks und in dessen Nähe nicht mehr bzw. nur noch in seinem sehr reduzierten Umfang. Diese Rastplatzaufgabe bzw. -zerstörung sei Folge der im Jahr 2006 zugelassenen 9 Windenergieanlagen. Die Errichtung dieser Windenergieanlagen sei somit eine erhebliche Beeinträchtigung des Vogelschutzgebietes Drömling, denn wegen der Barrierewirkung von Windenergieanlagen für den Kranich und den Goldregenpfeifer könne eine Beeinträchtigung der bisherigen Flugkorridore dieser Arten von und zum Vogelschutzgebiet nicht ausgeschlossen werden. Traditionelle Rastplätze wie der Vorhabenstandort aber auch die Schlafplätze im nördlich der Windenergieanlagen gelegenen Vogelschutzgebiet Drömling könnten so entwertet und dauerhaft aufgegeben werden. Auch führe ein Ausweichen der Kraniche auf weiter von den Schlafplätzen im Vogelschutzgebiet entfernte Nahrungsflächen zu einem erhöhten Energiebedarf der Tiere bzw. zu einem erhöhten Energieverbrauch. Dies gehe auf Kosten der Fitness der Tiere und könne ihre Überlebenswahrscheinlichkeit auf dem Zug verringern. All dies könne zu einem geringeren Nutzen des Vogelschutzgebietes als Rastgebiet für Kraniche und Goldregenpfeifer führen und negative Auswirkungen auf die Funktion des Gebietes bewirken. Der Errichtung der 8 Windenergieanlagen stünden aber auch artenschutzrechtliche Versagungstatbestände entgegen. Im Nahbereich der Anlagen sei es auch im Jahr 2013 wieder zu Wiesenweihenbruten gekommen. Bei Zugrundelegung eines Abstandes von 1.000 m zu Wiesenweihenbrutplätzen seien die 6 südlichen der insgesamt 8 beantragten Windenergieanlagen unzulässig. Zudem sei in den Jahren 2012 und 2013 in einem Feldgehölz im Nordwesten des geplanten Windparks jeweils eine Rotmilanbrut erfasst worden. Auch in den Jahren 2014 und 2015 sei nach Auskunft der Naturparkverwaltung Drömling dort jeweils ein Brutpaar beobachtet worden, 2015 mit einer erfolgreichen Brut. Allerdings sei bei einer weiteren Begehung kurz vor der mündlichen Verhandlung festgestellt worden, dass das Nest inzwischen durch Sturm zerstört worden sei. Zur Veranschaulichung der Lages des Rotmilanhorstes und der Abstände der geplanten 8 Windenergieanlagen zu diesem Horst hat der Beklagte einen aktuellen Lageplan überreicht. Auch der Mindestabstand zu Kranich-Schlafplätzen nach dem 1-%-Kriterium von 3.000 m werde durch die beantragten Windenergieanlagen nicht eingehalten. Durch den Betrieb der 8 Windenergieanlagen komme es zu einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko für den Rotmilan und die Wiesenweihe. Auch bei Wiesenweihenbruten in einem Abstand von bis zu 1.000 m zu einer Windenergieanlage bestehe ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko. Dies könne durch Abschalten der Anlagen nicht hinreichend minimiert werden. Ein Abschalten der Anlagen müsste bei Ankunft der Tiere im Revier, während der Balz, bei der Futterübergabe in der Luft und während der ersten Flugversuche der Jungtiere erfolgen. Dies sei in der Praxis nicht umsetzbar. Letztlich wäre ein Abschalten während der gesamten Zeit der Anwesenheit der Tiere im Gebiet erforderlich, also während ca. 5 – 6 Monaten im Frühjahr – Spätsommer.
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Die Beigeladenen stellen keine Anträge.
- 45
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
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Die auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung der beantragten Genehmigung gerichtete Klage ist abzuweisen, da sich im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht im Sinne des § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO spruchreif feststellen lässt, dass die Klägerin einen Anspruch auf die beantragte Genehmigung hat. Es ist insbesondere nicht hinreichend geklärt, ob das Vorhaben der Klägerin zu einer erheblichen Beeinträchtigung von Belangen des Naturschutzes in Gestalt des Vogelschutzes führt (dazu I.). Da sich andererseits ein Genehmigungsanspruch der Klägerin nach dem derzeitigen Erkenntnisstand auch nicht verneinen lässt, unterliegt die Klage nicht insgesamt der Abweisung. Die Beklagte ist vielmehr unter Heranziehung der zum "stecken gebliebenen" Genehmigungsverfahren entwickelten Grundsätze gemäß § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO zu einer Neubescheidung des Genehmigungsantrags der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten (dazu II.).
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I. Es kann nicht im Sinne des § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO spruchreif festgestellt werden, dass die Klägerin einen Anspruch auf die beantragte Genehmigung hat. Rechtlicher Anknüpfungspunkt ist § 6 Abs. 1 BImSchG. Danach ist die Genehmigung zu erteilen, wenn sichergestellt ist, dass die sich aus § 5 und einer auf Grund des § 7 erlassenen Rechtsverordnung ergebenden Pflichten erfüllt werden und andere öffentlich-rechtliche Vorschriften und Belange des Arbeitsschutzes der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegenstehen. Ein Versagungsgrund i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG liegt auch dann vor, wenn dem Vorhaben das Beeinträchtigungsverbot des Art. 4 Abs. 4 der Vogelschutzrichtlinie (dazu 1.) oder Belange des Naturschutzes i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB (dazu 2.) entgegenstehen.
- 49
1. Das Vorhaben steht in Einklang mit dem Beeinträchtigungsverbot des Art. 4 Abs. 4 der Vogelschutzrichtlinie (Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.11.2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten
– VRL).
- 50
a) Die VRL ist hier anwendbar. Für Vogelschutzgebiete, die noch nicht nach § 32 Abs. 2 BNatSchG zu besonderen Schutzgebieten im Sinne von Art. 7 der FFH-Richtlinie (Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21.05.1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen
– FFH-RL) erklärt worden sind (sog. "faktische" Vogelschutzgebiete), beurteilt sich die Rechtmäßigkeit von Genehmigungen nach Art. 4 Abs. 4 VRL und nicht nach dem weniger strengen Regime, das Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL und die seiner Umsetzung dienende Vorschrift des § 34 BNatSchG errichten (BVerwG, Urt. v. 01.04.2004 – BVerwG 4 C 2.03 –, juris RdNr. 24 ff.; Urt. v. 03.05.2013 – BVerwG 9 A 16.12 –, juris RdNr. 52). Eine Erklärung zum besonderen Schutzgebiet nach Art. 4 Abs. 1 VRL, die nach Art. 7 FFH-RL den Wechsel des Schutzregimes auslöst, muss eine endgültige rechtsverbindliche Entscheidung mit Außenwirkung darstellen; deren rechtliche Gestalt wird durch das Recht der Mitgliedstaaten näher bestimmt. Nach § 32 Abs. 2 BNatSchG sind die Europäischen Vogelschutzgebiete entsprechend den jeweiligen Erhaltungszielen zu geschützten Teilen von Natur und Landschaft im Sinne des § 20 Abs. 2 BNatSchG zu erklären. Die Schutzerklärung bestimmt den Schutzgegenstand, den Schutzzweck, die zur Erreichung des Schutzzwecks notwendigen Gebote und Verbote und, soweit erforderlich, die Pflege-, Entwicklungs- und Wiederherstellungsmaßnahmen (§§ 22 Abs. 1 Satz 2, 32 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG). Eine solche Erklärung des Vogelschutzgebietes Drömling zum besonderen Schutzgebiet im Sinne des Art. 7 FFH-RL liegt nicht vor. Die Verordnung über das Naturschutzgebiet "Ohre-Drömling" vom 20.06.2005 umfasst nur einen Teilbereich des Vogelschutzgebietes Drömling. Die bereits am 12.09.1990 erlassene Verordnung über den Naturpark "Drömling" dient nicht dem Vogelschutz.
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b) Nach Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL treffen die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen, um die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume sowie die Belästigung der Vögel, sofern sich diese auf die Zielsetzung dieses Artikels erheblich auswirken, in den Schutzgebieten zu vermeiden. Die Vorschrift begründet seinem Wortlaut nach zunächst unabhängig von der Zulassung einzelner Bauvorhaben eine Dauerpflicht der Mitgliedstaaten, die Lebensräume der geschützten Populationen zu erhalten und Störungen der wildlebenden Vogelarten zu vermeiden bzw. zu unterlassen. Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL erschöpft sich aber nicht in der Normierung einer Dauerpflicht. Er bildet zugleich den Maßstab für die Zulässigkeit von Infrastrukturvorhaben im Einzelfall. Die Bestimmung erfüllt damit auch die Funktionen eines Zulassungstatbestandes, wie er voll ausgebildet in Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL bzw. § 34 BNatSchG enthalten ist (BVerwG, Urt. v. 01.04.2004 – BVerwG 4 C 2.03 –, a.a.O. RdNr. 40; Urt. v. 03.05.2013 – BVerwG 9 A 16.12 –, a.a.O.). Vorhaben dürfen nur zugelassen werden, wenn sie nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen und Störungen führen. Die Schwelle der Erheblichkeit ist dabei nicht erst dann erreicht, wenn die Verwirklichung von Erhaltungszielen unmöglich oder unwahrscheinlich gemacht wird. Die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus Art. 3 und 4 VRL bestehen bereits, bevor eine Verringerung der Anzahl von Vögeln oder die konkrete Gefahr des Aussterbens einer geschützten Art nachgewiesen wird (BVerwG, Urt. v. 01.04.2004 – BVerwG 4 C 2.03 –, a.a.O. RdNr. 42; Urt. v. 03.05.2013 – BVerwG 9 A 16.12 –, a.a.O.). Das Überleben der geschützten Vogelarten und ihre Vermehrung im Verbreitungsgebiet müssen sichergestellt sein; außerdem ist für die geschützten Vogelarten eine ausreichende Vielfalt und eine ausreichende Flächengröße der Lebensräume zu erhalten und ggf. wiederherzustellen (BVerwG, Urt. v. 08.01.2014 – BVerwG 9 A 4.13 –, juris RdNr. 48).
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aa) Auch Projekte, die außerhalb eines Europäischen Vogelschutzgebietes realisiert werden sollen, können Anlass für eine Verträglichkeitsprüfung nach § 34 Abs. 2 BNatSchG bzw. – in "faktischen" Vogelschutzgebieten – nach Art. 4 Abs. 4 VRL geben. Sie sind gleichfalls auf ihre Vereinbarkeit mit den gebietsbezogenen Erhaltungszielen und Schutzzwecken zu überprüfen, soweit sie geeignet sind, ein Europäisches Vogelschutzgebiet erheblich zu beeinträchtigen, also auf den geschützten Raum selbst einwirken und Auswirkungen auf den Lebensraum in den Schutzgebieten – das "Gebiet als solches" – haben (vgl. Fischer-Hüftle, NuR 2004, 157). Im Regelfall beeinträchtigen Windenergieanlagen, die außerhalb eines Europäischen Vogelschutzgebiets errichtet werden sollen, Gebietsbestandteile, die für dessen Erhaltungsziele und Schutzzweck maßgebend sind, allerdings nicht mittels der von ihnen ausgehenden Emissionen erheblich. Durch die Errichtung der Windenergieanlagen kann aber ein Funktionsverlust des Schutzgebiets zu besorgen sein, etwa wenn sie die Gefahr einer möglichen Verriegelung des Gebiets mit sich bringen, oder wenn sie eine Barrierewirkung dergestalt entfalten, dass die Vögel daran gehindert werden, das Schutzgebiet zu erreichen oder zwischen Nahrungs- und Rastplätzen, die sich jeweils in einem Schutzgebiet befinden, zu wechseln. Die bloße Erschwerung, das Schutzgebiet zu erreichen, kann demgegenüber nicht genügen. Anderenfalls käme es zu einem überzogenen, der Abwägung mit anderen geschützten Belangen kaum noch zugänglichen Gebietsschutz vor Projekten, die ausschließlich mittelbare Auswirkungen auf den Bestand bzw. die Erhaltung der in den Schutzgebieten geschützten Arten haben können (vgl. OVG NW, Urt. v. 30.07.2009 – 8 A 2357/08 –, juris RdNr. 118 ff.; Urt. v. 03.08.2010 – 8 A 4062/04 –, juris RdNr. 117 ff.; VG Düsseldorf, Urt. v. 11.07.2013 – 11 K 2057/11 –, juris RdNr. 54).
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bb) Nach dem Wortlaut des § 34 Abs. 2 BNatSchG ist eine Verträglichkeit bereits dann nicht gegeben, wenn das Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen "kann". Der insoweit erforderliche Wahrscheinlichkeitsgrad ist dann erreicht, wenn anhand objektiver Umstände eine derartige Beeinträchtigung nicht ausgeschlossen werden kann. Die FFH-Verträglichkeitsprüfung ist jedoch nicht auf ein "Nullrisiko" auszurichten. Das wäre schon deswegen unzulässig, weil dafür ein wissenschaftlicher Nachweis nie geführt werden könnte. Verbleibt nach Abschluss einer FFH-Verträglichkeitsprüfung kein vernünftiger Zweifel, dass nachteilige Auswirkungen auf das Schutzgebiet vermieden werden, ist das Vorhaben zulässig. Rein theoretische Besorgnisse begründen von vornherein keine Prüfungspflicht und scheiden ebenso als Grundlage für die Annahme erheblicher Beeinträchtigungen aus, die dem Vorhaben entgegengehalten werden können. Bestehende wissenschaftliche Unsicherheiten müssen nach Möglichkeit auf ein Minimum reduziert werden. Dies macht die Ausschöpfung aller wissenschaftlichen Mittel und Quellen erforderlich, bedeutet aber nicht, dass im Rahmen einer FFH-Verträglichkeitsprüfung Forschungsaufträge zu vergeben sind, um Erkenntnislücken und methodische Unsicherheiten der Wissenschaft zu beheben. Geboten ist vielmehr nur der Einsatz der besten verfügbaren wissenschaftlichen Mittel. Zur anerkannten wissenschaftlichen Methodik gehört es in diesem Fall, die nicht innerhalb angemessener Zeit zu schließenden Wissenslücken aufzuzeigen und ihre Relevanz für die Befunde einzuschätzen. Daraus folgt ferner, dass für den Gang und das Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung der Sache nach eine Beweisregel des Inhalts gilt, dass die Behörde ein Vorhaben nur dann zulassen darf, wenn sie zuvor Gewissheit darüber erlangt hat, dass dieses sich nicht nachteilig auf das Gebiet als solches auswirkt. Die zu fordernde Gewissheit liegt nur dann vor, wenn aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass solche Auswirkungen nicht auftreten werden (vgl. OVG NW, Urt. v. 03.08.2010 – 8 A 4062/04 –, a.a.O. RdNr. 128 ff.). Diese zu § 34 BNatSchG bzw. Art. 6 FFH-RL entwickelten Grundsätze gelten im Anwendungsbereich des Art. 4 Abs. 4 VRL entsprechend.
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cc) Gemessen daran stünde der Schutz des Europäischen Vogelschutzgebietes Drömling der Erteilung der Genehmigung der beantragen 8 Windenergieanlagen nur dann entgegen, wenn es durch sie zu einer "Gebietsbeeinträchtigung von außerhalb" in dem oben genannten Sinne kommt. Dies ist jedoch nicht der Fall. Bei der Beurteilung dieser Frage bieten die einschlägigen Empfehlungen zu Schutzabständen eine Orientierungshilfe (vgl. OVG NW, Urt. v. 30.07.2009 – 8 A 2357/08 –, a.a.O. RdNr. 135). Nach den Abstandsempfehlungen der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG-VSW) für Windenergieanlagen zu bedeutenden Vogellebensräumen sowie Brutplätzen ausgewählter Vogelarten (Stand April 2015) (http://www.vogelschutzwarten.de/downloads/lagvsw2015_abstand.pdf) sowie der Arbeitshilfe "Naturschutz und Windenergie – Hinweise zur Berücksichtigung des Naturschutzes und der Landschaftspflege bei Standortplanung und Zulassung von Windenergieanlagen" (Stand Oktober 2014) des Niedersächsischen Landkreistages (NLT-Papier) (http://www.nlt.de/pics/medien/1_1414133175/2014_10_01_Arbeitshilfe_Naturschutz_und_Windenergie__5__Auflage__Stand_Oktober_2014_Arbeitshilfe.pdf) beträgt der empfohlene Abstand von Windenergieanlagen zu Europäischen Vogelschutzgebieten 1.200 m bzw. das 10-fache der Anlagenhöhe. Bei einer Anlagenhöhe von 134 m ergibt sich danach ein einzuhaltender Mindestabstand von 1.340 m. Diese Empfehlung wird hier mit einem Abstand der nächstgelegenen Windenergieanlagen von ca. 1.800 m zum Vogelschutzgebiet Drömling eingehalten. Auch nach der Rechtsprechung des Senats ist bei einer Entfernung von ca. 2.000 m eine Beeinträchtigung eines Vogelschutzgebietes durch Windenergieanlagen regelmäßig auszuschließen (Beschl. d. Senats v. 21.03.2013 – 2 M 154/12 –, juris RdNr. 26). Dass die Windenergieanlagen gleichwohl ausnahmsweise geeignet sein könnten, den Schutzzweck des Europäischen Vogelschutzgebiets Drömling erheblich zu beeinträchtigen, ist nicht ersichtlich.
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(1) Eine Verriegelung des Gebietes bzw. eine Barrierewirkung, die dazu führen könnte, dass die zu schützenden Vögel vom Drömling geradezu abgeschnitten und so von der Benutzung des Gebietes ausgeschlossen sind, weil sie es nicht erreichen können, geht von dem Vorhaben nicht aus. Insoweit folgt der Senat den überzeugenden Ausführungen in dem avifaunistischen Fachbeitrag des Büros für Ökologie, Naturschutz und räumliche Planung vom 12.04.2008. Hierin wird zu dem bereits genehmigten Windpark L. ausgeführt, dieser könne für sich allein keine negativen Auswirkungen auf die Avifauna im 2 km entfernten Vogelschutzgebiet Drömling haben. Dies gelte auch bei Betrachtung kumulierender Wirkungen. Um den Drömling herum seien 8 Windeignungsgebiete zu betrachten. Hierbei handele es sich um je 4 Standorte nördlich und südlich des Drömling. Diese seien so positioniert, dass in westlicher Richtung vom Drömling ein unbelasteter Zugkorridor von ca. 20 km und in nordöstlicher Richtung von ca. 10 km Breite verbleibe. In alle anderen Richtungen verbleibe zwischen den einzelnen Eignungsgebieten jeweils ein Abstand von mindestens ca. 6,5 km. Ausgehend von dem in der Regionalplanung angewendeten 5-km-Kriterium, das den erforderlichen Abstand von Windparks zueinander festlege, um dazwischen ausreichend Freiflächen und Zugkorridore zu erhalten, sei davon auszugehen, dass bei den Abständen der 8 zu betrachtenden Eignungsgebiete zueinander auch im Rahmen einer kumulierenden Wirkung keine Unverträglichkeit festzustellen sein werde. Bei einem Abstand von 5 km zwischen einzelnen Windparks sei auch in einem Kranich- und Gänsekorridor nicht von erheblichen Beeinträchtigungen für die Zuglinien auszugehen. Die Verdichtung des Windparks L. durch 8 weitere Windkraftanlagen habe keine darüber hinaus gehenden negativen Auswirkungen auf das Vogelschutzgebiet Drömling.
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Diese Einschätzung wird bestätigt durch die Ausführungen in dem Gutachten von Dr. R. (A. GmbH) und Dipl.-Ing., Dipl.-Biol. S. vom 27.05.2008 zur Verträglichkeit der Erweiterung des Windparks L. mit den Erhaltungszielen des Vogelschutzgebietes Drömling. Hierin wird ausgeführt, es wirke sich insoweit günstig aus, dass die Anlagen keinen ausgeprägten Querriegel zum Drömling bildeten. Eine Barrierewirkung, die eine ungehinderte Erreichbarkeit des Drömlings verhindere, sei durch den Windpark L. auch im Zusammenwirken mit den benachbarten Windparks W. und S. aus zwei Gründen nicht zu befürchten. Es habe bei den Untersuchungen keine Hinweise darauf gegeben, dass ein gebündelter Zug gerade über diese Standorte führe. Zudem sei durch die verbleibenden Korridore von über 7 km zwischen den Standorten ein ungestörter Zu- und Abflug gewährleistet. Die Standorte riefen somit keine erheblichen negativen Beeinträchtigungen für den Drömling bzw. dessen Erreichbarkeit für die wertgebenden Vogelarten hervor.
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Etwas anderes folgt auch nicht aus den vom Beklagten in der Klageerwiderung vom 17.02.2012 vorgetragenen Überlegungen. Der Beklagte meint, bei Berücksichtigung des bestehenden Windparks, der geplanten Erweiterung sowie des Windparks bei W. einschließlich der Meidungsabstände von bis zu 1.000 m ergebe sich am Südrand des Vogelschutzgebietes eine Barrierewirkung für von Südwest auf dem Frühjahrszug durchziehende Kraniche auf ca. 7 km Breite. Dies entspreche einem Störungsbereich von 26,9 % auf der Gesamtlänge der Südgrenze des Vogelschutzgebietes (26 km von NW nach SO). Darüber hinaus könne der Störungsbereich (ca. 4 km breit) eines im westlich angrenzenden Niedersachsen liegenden Windparks in 8 km Entfernung zur Südgrenze des Vogelschutzgebietes Drömling zu einer Verstärkung der Barrierewirkung der beiden genannten Windparks beitragen. Diese Überlegungen greifen nicht durch. Die genannten Windparks mögen eine Behinderung für die von Südwest nach Nordost fliegenden Zugvögel darstellen; eine Verriegelung des Vogelschutzgebietes bilden sie angesichts der immer noch sehr großen Abstände zwischen den Windparks nicht.
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Darüber hinaus ist bei der Prüfung, ob das Vorhaben zu einer Verriegelung des Vogelschutzgebietes führt, die Vorbelastung durch den bereits genehmigten Windpark L. zu berücksichtigen. Zu bewerten ist hier nur die Verträglichkeit der Erweiterung des Windparks mit den Erhaltungszielen und dem Schutzzweck des Vogelschutzgebietes Drömling. Hierzu wurde in dem M-Gutachten vom 13.08.2013 auf den Seiten 19 – 22 überzeugend dargestellt, dass die Verstärkung der Barrierewirkung durch die zusätzlichen 8 Windkraftanlagen als unerheblich zu bewerten ist. Hiervon ausgehend ist der Senat davon überzeugt, dass mit dem Vorhaben keine Gefahr einer "Verriegelung" des Vogelschutzgebietes verbunden ist.
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(2) Die Erweiterung des Windparks L.-R. durch weitere 8 Windenergieanlagen führt auch nicht zu einer Barrierewirkung in dem Sinne, dass die in dem Vogelschutzgebiet rastenden bzw. schlafenden Vögel gehindert werden, zwischen Nahrungs- und Rastplätzen, die sich jeweils in einem Schutzgebiet befinden, zu wechseln. Insoweit wird zunächst auf die überzeugenden Ausführungen in dem Gutachten von Dr. R. (A. GmbH) und Dipl.-Ing., Dipl.-Biol. S. vom 27.05.2008 verwiesen. Die Gutachter führen aus, aufgrund der Entfernung des geplanten Windparks zum Vogelschutzgebiet Drömling von ca. 2 km könnten Beeinträchtigungen von Brutvögeln in Form von Störungen oder Vertreibungen sicher ausgeschlossen werden. Auch für Rastvögel könne eine Beeinträchtigung der Funktion als Überwinterungsgebiet und als Schlafplatz ausgeschlossen werden. Fraglich sei allein eine mögliche Beeinträchtigung des günstigen Erhaltungszustandes derjenigen wertgebenden Gastvogelarten, die zum Zweck der Nahrungsaufnahme das Vogelschutzgebiet verließen. Zu klären sei, ob durch das geplante Vorhaben Kraniche, Kiebitze, Goldregenpfeifer, Saatgänse und/oder Bläßgänse in einer Weise beeinträchtigt würden, dass der Lebensraum für diese Arten so klein bzw. dessen Erreichbarkeit so eingeschränkt werde, dass langfristig das Überleben der Population und damit der günstige Erhaltungszustand nicht mehr gewährleistet sei. Es sei zu beurteilen, ob mögliche Beeinträchtigungen durch das geplante Vorhaben außerhalb des Schutzgebietes dazu führen können, dass dieses nur noch in geringerem Maße von den genannten Arten aufgesucht werde. Zwar könne es durch die geplanten Anlagen zu einer Barrierewirkung kommen, jedoch könnten die Vögel den Windpark mit geringen Kurskorrekturen umfliegen. Der Windpark unterbinde oder behindere den Zu- und Abflug von Arten zum Schutzgebiet nicht derart massiv, dass die Bestände im Schutzgebiet selbst darunter litten. Die Vögel könnten das Schutzgebiet weiter erreichen, auch wenn dabei im Bereich des Windparks ein geringer Umweg durch Ausweichbewegungen in Kauf genommen werden müsse. Es komme nicht zu einem Verlust oder einer Einschränkung des Lebensraums der geschützten Vogelarten. Auch werde der erforderliche Mindestabstand zu Brut- und Nahrungshabitaten eingehalten. Es komme zwar zu Beeinträchtigungen von Äsungsflächen insbesondere von Kranichen, deren Schlafplätze im Drömling lägen. Eine Gefährdung der Schlafplatzfunktion im Drömling sei damit jedoch nicht verbunden. Zudem könnten durch Kompensationsmaßnahmen in größerer Nähe zum Drömling attraktive Äsungsflächen für Kraniche zur Verfügung gestellt werden, die mit Sicherstellung eines ausreichenden Nahrungsangebotes den Kranichen die Notwendigkeit nähmen, in größerer Entfernung oder in der Nähe eines der geplanten Windparks Nahrung zu suchen. Insgesamt führe der Windpark nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Erhaltungsziele des Vogelschutzgebietes Drömling. Es sei nicht damit zu rechnen, dass das Vogelschutzgebiet nach der Erweiterung des Windparks nur noch in geringerem Maße von den wertgebenden Arten aufgesucht werde. Auf der Grundlage dieser gut nachvollziehbaren Ausführungen ist der Senat der Überzeugung, dass eine von dem Vorhaben verursachte "Barrierewirkung" nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Vogelschutzgebietes Drömling führt.
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Es kommt hinzu, dass eine etwaige Barrierewirkung (der Erweiterung) des Windparks nur zwischen den im Norden liegenden Flächen des Vogelschutzgebietes und den südlich des Vorhabengebietes liegenden Nahrungs- oder Rastflächen, etwa in der Speetzeniederung besteht. Letztere befinden sich indessen nicht in einem Schutzgebiet. Die Windenergieanlagen führen vielmehr lediglich zu einer bloßen Erschwerung, das Schutzgebiet von den südlich des Vorhabengebietes liegenden Flächen (Speetzeniederung) aus zu erreichen, und umgekehrt. Diese Auswirkungen auf das Vogelschutzgebiet sind gering und lassen sich durch die Schaffung von Nahrungshabitaten nördlich des Vorhabengebietes weiter verringern. Zudem steht den die Anlagen im Windpark über- oder umfliegenden Vögeln genügend Ausweichraum beiderseits der geplanten Anlagen zur Verfügung. Der dadurch entstehende Umweg beträgt nur wenige 100 m. Dadurch entstehen nur geringe energetische Verluste bei den Tieren (vgl. NdsOVG, Urt. v. 24.03.2003 – 1 LB 3571/01 –, juris RdNr. 50). Zudem ist auch insoweit bei der Bewertung einer Verstärkung der Barrierewirkung durch die geplanten 8 zusätzlichen Windenergieanlagen die Vorbelastung durch den bereits genehmigten Windpark L. zu berücksichtigen. Insoweit wurde in dem M-Gutachten vom 13.08.2013 auf den Seiten 19 – 22 überzeugend ausgeführt, dass die Verstärkung der Barrierewirkung durch das Vorhaben nur geringfügig ist. Dies gilt insbesondere für die vom Beklagten angeführte Barrierewirkung für den Weißstorch. Nach Auffassung des Beklagten könnten die Weißstörche aus B., R. und E. durch die Windenergieanlagen von ihren Nahrungsflügen nach Süden abgehalten werden (Barrierewirkung). Gleiches gelte für die Weißstörche aus Lockstedt, Everingen und Seggerde südlich des Windparks auf Nahrungsflügen nach Norden in die Niederungsgebiete des Drömling. In dem M-Gutachten vom 13.08.2013 wird jedoch anschaulich gezeigt, dass die Verstärkung der bereits vorhandenen Barrierewirkung keinen erheblichen Effekt auf die Nahrungsfüge der Weißstörche haben wird.
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(3) Auch mit der Gefahr, dass bestimmte Vogelarten, die sich aus dem Schutzgebiet – etwa zur Nahrungssuche – wegbewegen, in einem weiteren Umkreis dem Risiko einer Kollision mit den Windenergieanlagen ausgesetzt sind, lässt sich eine erhebliche Beeinträchtigung des geschützten Gebiets selbst nicht begründen. Zwar sind auch die Tierarten, die vom Schutzzweck oder den Erhaltungszielen des Gebiets erfasst werden, „Bestandteile“ des Gebiets. Sie transportieren aber nicht gleichsam den Gebietsschutz mit sich in die Umgebung hinaus (Beschl. d. Senats v. 21.03.2013 – 2 M 154/12 –, a.a.O. unter Hinweis auf Fischer-Hüftle, NuR 2004, 157).
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2. Ob die Errichtung und der Betrieb der geplanten 8 Windenergieanlagen gegen § 35 BauGB verstößt, weil wegen einer erheblichen Beeinträchtigung geschützter Vogelarten Belange des Naturschutzes i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB entgegenstehen, lässt sich aus derzeitiger Sicht nach den im bisherigen Verfahren gewonnenen Erkenntnissen nicht feststellen. Dem Vorhaben stehen Belange des Naturschutzes i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB entgegen, wenn das Vorhaben gegen das artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BauGB verstößt. Artenschutzrechtliche Verbote i.S.d. § 44 BNatSchG sind nach dem Prüfprogramm des § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG zugleich Belange des Naturschutzes i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB, die einem privilegierten Außenbereichsvorhaben bauplanungsrechtlich nicht entgegenstehen dürfen. Das Naturschutzrecht konkretisiert die öffentlichen Belange i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB. Ist über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 35 Abs. 1 BauGB zu entscheiden, hat die zuständige Behörde daher auch die naturschutzrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens zu prüfen. Können artenschutzrechtliche Verbote naturschutzrechtlich nicht überwunden werden, stehen sie einem gemäß § 35 Abs. 1 BauGB privilegierten Vorhaben als öffentliche Belange i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB zwingend entgegen. Das Vorhaben ist dann bauplanungsrechtlich unzulässig. Es decken sich also die bauplanungsrechtlichen Anforderungen des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB, soweit sie naturschutzbezogen sind, mit den Anforderungen des Naturschutzrechts. Artenschutzrechtliche Verbote, von denen weder eine Ausnahme noch eine Befreiung erteilt werden kann, stehen einem immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Außenbereichsvorhaben deshalb stets zwingend entgegen, und zwar sowohl als verbindliche Vorschriften des Naturschutzrechts als auch als Belange des Naturschutzes i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB. Für eine nachvollziehende Abwägung ist kein Raum (BVerwG, Urt. v. 27.06.2013 – BVerwG 4 C 1.12 –, juris RdNr. 6).
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Es kann derzeit nicht sicher festgestellt werden, ob der Erteilung der beantragten Genehmigung das artenschutzrechtliche Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG entgegensteht. Danach ist es verboten, wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören. Zu den besonders geschützten Arten gehören gemäß § 7 Nr. 13 Buchst. a BNatSchG i.V.m. Anhang A der Artenschutzverordnung (Verordnung
Nr. 338/97 des Rates vom 09.12.1996 über den Schutz von Exemplaren wildlebender Tier- und Pflanzenorten durch Überwachung des Handels ) der Rotmilan, die Wiesenweihe und der Kranich. Der Goldregenpfeifer ist nach § 7 Nr. 13 Buchst. b Doppelbuchst. bb BNatSchG als europäische Vogelart im Sinne des § 7 Nr. 12 BNatSchG i.V.m. Art. 1 VRL ebenfalls eine besonders geschützte Art.
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Der Tötungstatbestand ist auch dann erfüllt, wenn sich die Tötung als unausweichliche Konsequenz eines im Übrigen rechtmäßigen Verwaltungshandelns erweist. Dass einzelne Exemplare besonders geschützter Arten durch Kollisionen mit Windkraftanlagen bzw. deren Rotorblättern zu Schaden kommen können, ist allerdings bei lebensnaher Betrachtung nie völlig auszuschließen. Der artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungstatbestand (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG) ist dann nicht erfüllt, wenn das Vorhaben nach naturschutzfachlicher Einschätzung kein signifikant erhöhtes Risiko kollisionsbedingter Verluste von Einzelexemplaren verursacht, mithin unter der Gefahrenschwelle in einem Risikobereich bleibt, der mit dem Vorhaben im Naturraum immer verbunden ist, vergleichbar dem ebenfalls stets gegebenen Risiko, dass einzelne Exemplare einer Art im Rahmen des allgemeinen Naturgeschehens Opfer einer anderen Art werden. Der Verbotstatbestand ist zwar individuenbezogen; dass einzelne Exemplare etwa durch Kollisionen zu Schaden kommen, reicht aber nicht aus. Soll das Tötungs- und Verletzungsverbot nicht zu einem unverhältnismäßigen Planungshindernis werden, ist vielmehr zu fordern, dass sich das Risiko des Erfolgseintritts in signifikanter Weise erhöht, wobei Maßnahmen, mittels derer solche Kollisionen vermieden oder dieses Risiko zumindest minimiert werden soll, einzubeziehen sind. Gemeint ist eine "deutliche" Steigerung des Tötungsrisikos. Dafür genügt es nicht, dass im Eingriffsbereich überhaupt Tiere der (besonders) geschützten Art angetroffen worden sind; erforderlich sind vielmehr Anhaltspunkte dafür, dass sich das Risiko eines Vogelschlages durch das Vorhaben deutlich und damit signifikant erhöht (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.07.2008 – BVerwG 9 A 14.07 –, juris RdNr. 91; Urt. d. Senats v. 26.10.2011 – 2 L 6/09 –, juris RdNr. 59; Urt. d. Senats v. 19.01.2012 – 2 L 124/09 –, juris RdNr. 46).
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Da zur fachgerechten Beurteilung dieser Frage ornithologische Kriterien maßgeblich sind, die zu treffende Entscheidung prognostische Elemente enthält und überdies naturschutzfachlich allgemein anerkannte standardisierte Maßstäbe sowie rechenhaft handhabbare Verfahren fehlen, muss der zuständigen Behörde eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zuerkannt werden. Die gerichtliche Prüfung ist insoweit grundsätzlich auf eine Vertretbarkeitskontrolle beschränkt (vgl. Urt. d. Senats v. 26.10.2011 – 2 L 6/09 –, a.a.O. RdNr. 60, bestätigt durch BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – BVerwG 7 C 40.11 –, juris RdNr. 14; Urt. d. Senats v. 19.01.2012 – 2 L 124/09 –, a.a.O. RdNr. 46, bestätigt durch BVerwG, Urt. v. 27.06.2013 – BVerwG 4 C 1.12 –, juris RdNr. 14). Gerade die Bewertung, wann ein bestehendes Tötungs- oder Verletzungsrisiko "signifikant" erhöht ist, lässt sich nicht im strengen Sinne "beweisen", sondern unterliegt einer wertenden Betrachtung (Urt. d. Senats v. 26.10.2011 – 2 L 6/09 –, a.a.O. RdNr. 65; Urt. d. Senats v. 19.01.2012 – 2 L 124/09 –, a.a.O. RdNr. 46).
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a) Aus den zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln kann derzeit nicht hinreichend sicher abgeleitet werden, ob für die Vogelart Rotmilan von einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko durch die Verwirklichung des Vorhabens der Klägerin ausgegangen werden kann.
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aa) Zunächst ist ungewiss, ob der in den vom Beklagten vorgelegten Lageplänen eingezeichnete Rotmilanhorst überhaupt noch existiert. Zweifel ergeben sich insoweit aus den Angaben des Herrn Sender von der Naturparkverwaltung Drömling in der mündlichen Verhandlung, er habe bei einer Begehung kurz vor dem Termin festgestellt, dass der Horst durch Sturm zerstört worden sei. Erst im Frühjahr könne festgestellt werden, ob sich an dieser Stelle erneut ein Rotmilan zur Brut niederlasse. Vor diesem Hintergrund hält es der Senat für erforderlich, zu Beginn der diesjährigen Brutperiode erneut zu prüfen, ob der in den Lageplänen eingezeichnete Rotmilanhorst überhaupt noch genutzt wird. Darüber hinaus ist festzustellen, ob im Umfeld der Windenergieanlagen aktuell weitere Rotmilanhorste vorhanden sind, die einer Genehmigung des Vorhabens der Klägerin entgegenstehen können. Schließlich ist zu beurteilen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Rotmilan auch in Zukunft an Standorten, an denen er in den Vorjahren einen Horst errichtet hat, erneut brüten wird. Diese Beurteilung, die auch für die Frage nach der generellen Sinnhaftigkeit von (langfristig) einzuhaltenden Abständen zu einem zu einem bestimmten Zeitpunkt entdeckten Rotmilanhorst von Bedeutung ist, hat der Beklagte vorzunehmen, da diesem – und nicht dem erkennenden Gericht – u.a. bei der Bestandserfassung von Arten eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zuzuerkennen ist.
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bb) Darüber hinaus ist – erneut – grundsätzlich zu prüfen, ob bei Unterschreitung eines bestimmten Abstandes eines Rotmilanhorstes zu einer Windenergieanlage von einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko für den Rotmilan ausgegangen werden kann. Zwar besteht nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats für den Rotmilan ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko, wenn der Abstand einer Windenergieanlage zu einem Rotmilanhorst weniger als 1.000 m beträgt, es sei denn, es liegen zuverlässige Erkenntnisse darüber vor, dass sich in einer größeren Entfernung als 1.000 m ein oder mehrere für den Rotmilan attraktive, nicht nur kurzzeitig bzw. zeitweise zur Verfügung stehende Nahrungshabitate befinden und die Windenergieanlage dort oder innerhalb eines Flugkorridors dorthin liegt (vgl. Urt. d. Senats v. 26.10.2011 – 2 L 6/09 –, a.a.O. RdNr. 77, bestätigt durch BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – BVerwG 7 C 40.11 –, a.a.O. RdNr. 23; Urt. d. Senats v. 19.01.2012 – 2 L 124/09 –, a.a.O. RdNr. 94, bestätigt durch BVerwG, Urt. v. 27.06.2013 – BVerwG 4 C 1.12 –, a.a.O. RdNr. 11). Diese – oder eine ähnliche – Einschätzung wird auch durch neuere Untersuchungen gestützt. Insbesondere in der Studie "Greifvögel und Windkraftanlagen: Problemanalyse und Lösungsvorschläge", Schlussbericht für das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Juni 2013) von Hötker, Hermann/Krone, Oliver/Nehls, Georg (https://www.nabu.de/downloads/Endbericht-Greifvogelprojekt.pdf) wird auf der Grundlage umfangreicher Untersuchungen die Auffassung vertreten, dass sich durch einen ausreichend hohen Abstand zwischen Windkraftanlagen und Rotmilanhorst das Kollisionsrisiko vermindern lasse, wobei die Wahrscheinlichkeit für Rotmilane, mit den Rotoren der Windkraftanlagen zu kollidieren, umso geringer sei, je größer der Abstand zwischen Windkraftanlage und Rotmilanhorst sei. Ab einem Abstand von 1.250 m lasse sich das Kollisionsrisiko deutlich reduzieren (Hötker, Hermann/Krone, Oliver/Nehls, Georg, Greifvögel und Windkraftanlagen, a.a.O., S. 93, S. 311 f., S. 332 f.). Darüber hinaus liegen nach Informationen der Süddeutschen Zeitung (vgl. SZ vom 05./06.01.2016, S. 3) erste Ergebnisse einer neuen, im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit erstellten Studie der BioConsult SH GmbH & Co. KG "PROGRESS – Ermittlung der Kollisionsraten von Greifvögeln und Schaffung planungsbezogener Grundlagen für die Prognose und Bewertung des Kollisionsrisikos durch Windenergieanlagen" (http://www.vernetzung-forschung-ee-naturschutz.de/forschungsprojekte?pid=54) vor, die offenbar ebenfalls erhebliche Risiken für Greifvögel, insbesondere den Rotmilan, durch Windkraftanlagen sieht. Demgegenüber hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung eine Studie mit dem Titel "Windenergie und Rotmilan: Ein Scheinproblem" der KohleNusbaumer SA, Lausanne, vom 15.01.2016 (https://www.yumpu.com/de/document/view/54987473/rotmilan-und-windenergie-ein-scheinproblem) vorgelegt, in der u.a. die Auffassung vertreten wird, Mindestabstände zwischen Windenergieanlagen und Rotmilanhorsten hätten weder einen nennenswerten Einfluss auf die Bestände noch seien sie wegen der hohen Fluktuation von Brutplätzen sinnvoll. Bei dieser Sachlage bedarf es der erneuten – naturschutzfachlichen – Prüfung der Frage, ob die grundsätzliche Annahme eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos für den Rotmilan bei einem Abstand des Rotmilanhorstes zu einer Windenergieanlagen von weniger als 1.000 m noch gerechtfertigt ist. Diese Prüfung hat der Beklagte vorzunehmen, da diesem bei der Risikobewertung eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zuzuerkennen ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass für eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative der Genehmigungsbehörde für die Risikobewertung kein Raum mehr ist, wenn sich ein bestimmter Maßstab durchgesetzt hat und gegenteilige Meinungen nicht mehr als vertretbar angesehen werden können. Die Behörde muss im Genehmigungsverfahren stets den aktuellen Stand der ökologischen Wissenschaft – gegebenenfalls durch Einholung fachgutachtlicher Stellungnahmen – ermitteln und berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – BVerwG 7 C 40.11 –, a.a.O. RdNr. 19). Vor diesem Hintergrund hat der Beklagte zu prüfen, ob – insbesondere bei Berücksichtigung der oben genannten Studie vom 15.01.2016 – noch von einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko für den Rotmilan ab einem bestimmten Abstand seines Horstes zu einer Windenergieanlagen ausgegangen werden kann.
- 69
cc) Im vorliegenden Fall ist zusätzlich zu prüfen, ob auch dann noch ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko für den Rotmilan durch die Errichtung und den Betrieb mehrerer Windenergieanlagen in der Nähe eines Rotmilanhorstes angenommen werden kann, wenn im näheren Umfeld der Standorte für die neu zu errichtenden Windenergieanlagen bereits mehrere Windenergieanlagen vorhanden sind. Im vorliegenden Fall sind im Windpark L.-R. bereits 9 Windenergieanlagen seit mehreren Jahren in Betrieb. Die von der Klägerin geplanten Windkraftanlagen sind auf Standorten in der Nähe bzw. zwischen den bereits genehmigten und errichteten Anlagen vorgesehen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die – naturschutzfachliche – Frage, ob bereits durch die Anlagen des Bestandwindparks ein Risiko für Kollisionen für im Umfeld brütende Rotmilane besteht und inwieweit durch die geplante Erweiterung der Windenergienutzung eine spürbare Erhöhung des Tötungsrisikos gegenüber dem Bestand erfolgt (vgl. dazu – im Hinblick auf die Wiesenweihe – bereits das M-Gutachten vom 13.08.2013, S. 29). Diese Prüfung hat der Beklagte vorzunehmen, da diesem im Hinblick auf die Bewertung der Risiken eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zuzuerkennen ist.
- 70
dd) Zu prüfen ist weiterhin, ab welchem Abstand eine hinreichende Vermeidung des Kollisionsrisikos angenommen werden kann. Während die bisherigen Abstandsempfehlungen – wiedergegeben im M-Gutachten vom 13.08.2013 auf Seite 13 – einen Mindestabstand von 1.000 m zwischen einem Rotmilanhorst und einer zu errichtenden Windenergieanlagen forderten, halten die neueren Arbeitshilfen, insbesondere die Abstandsempfehlungen der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (Stand April 2015) und das NLT-Papier, einen Mindestabstand von Windenergieanlagen zu Brutplätzen von Rotmilanen von 1.500 m für erforderlich. Eine dritte Abstandsempfehlung ließe sich aus der Studie "Greifvögel und Windkraftanlagen" ableiten, in der im Rahmen der Empfehlungen für die Praxis ausgeführt wird, das Kollisionsrisiko lasse sich mit einem Abstand von 1.250 m deutlich reduzieren (vgl. Hötker, Hermann/Krone, Oliver/Nehls, Georg, a.a.O., S. 332 f.). Auch diese Frage ist zunächst vom Beklagten – wegen der ihm bei der Bewertung der Risiken zustehenden naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative – zu klären.
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ee) Der Beklagte hat ferner festzustellen, welche Abstände die Standorte der geplanten Windenergieanlagen zu dem festgestellten Rotmilanhorst tatsächlich aufweisen. Die bisherigen Angaben hierzu sind widersprüchlich. Während der Beklagte noch in seinem Schriftsatz vom 13.01.2016 erklärt hat, alle 8 Windenergieanlagen lägen in einer Entfernung von weniger als 1.500 m zu dem in den Jahren 2012 – 2015 besetzten Rotmilanhorst, geht aus dem in der mündlichen Verhandlung überreichten Lageplan hervor, dass offenbar nur 7 der 8 Standorte der beantragten Windenergieanlagen eine Entfernung von weniger als 1.500 m zu dem eingezeichneten Rotmilanhorst aufweisen. Der Standort für die Windenergieanlagen EC Rä2 liegt offenbar weiter als 1.500 m von dem Rotmilanhorst entfernt.
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ff) Schließlich ist zu prüfen, ob das Kollisionsrisiko durch geeignete Nebenbestimmungen hinreichend vermindert werden kann. In Betracht kommen insoweit Abschaltpläne für Jahreszeiten mit hohem Konfliktpotential und/oder eine gezielte Steuerung der landwirtschaftlichen Nutzung im Umfeld der Anlagen, um eine Nutzung des Umfeldes der Windenergieanlagen für den Rotmilan möglichst unattraktiv zu gestalten. Diese Maßnahme könnten mit der Herstellung attraktiverer Flächen in weiterem Abstand zu den Anlagen verbunden werden (vgl. OVG NW, Urt. v. 30.07.2009 – 8 A 2357/08 –, a.a.O. RdNr. 174).
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b) Die einschlägigen Erkenntnismittel lassen derzeit auch nicht die – naturschutzfachlich vertretbare – Annahme zu, dass für die Wiesenweihe von einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko durch die Errichtung und den Betrieb der geplanten Windkraftanlagen ausgegangen werden kann.
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aa) Auch im Hinblick auf die Wiesenweihe ist grundsätzlich zu prüfen, ob bei Unterschreitung eines bestimmten Abstandes zwischen dem Brutplatz einer Wiesenweihe und einer Windenergieanlage von einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko ausgegangen werden kann. Allein mit den Abstandsempfehlungen der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten, dem NLT-Papier sowie den "Tierökologischen Abstandskriterien für die Errichtung von Windenergieanlagen in Brandenburg (TAK)" vom 15.10.2012 (http://www.mlul.brandenburg.de/media_fast/4055/tak_anl1.pdf), die übereinstimmend einen Mindestabstand von Windenergieanlagen zu Brutplätzen der Wiesenweihe von 1.000 m für erforderlich halten, lässt sich ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko für die Wiesenweihe bei einer Unterschreitung des empfohlenen Mindestabstandes nicht begründen. Anhaltspunkte für ein erhöhtes Tötungsrisiko auch für die Wiesenweihe ergeben sich jedoch aus der Studie "Greifvögel und Windkraftanlagen", in der im Hinblick auf die Wiesenweihe zusammenfassend ausgeführt wird, aufgrund der hohen Flugaktivität und des geringen Meideverhaltens gegenüber Windkraftanlagen bestehe im Bereich des Brutplatzes ein erhöhtes Kollisionsrisiko. Auch die Entfernung zwischen Nest und Windkraftanlage sei ein entscheidender Faktor des Kollisionsrisikos (vgl. Hötker, Hermann/Krone, Oliver/Nehls, Georg, a.a.O., S. 145). Von Bedeutung für das Kollisionsrisiko ist aber auch die Flughöhe der Wiesenweihe, da diese überwiegend in geringer Höhe fliegt und sich daher nur selten in dem hier maßgeblichen Rotorbereich von 62,7 m – 133,7 m aufhält (Hötker, Hermann/Krone, Oliver/Nehls, Georg, a.a.O., S. 142 ff.). Die hiernach erforderliche Risikobewertung im Hinblick auf die Wiesenweihe obliegt wegen der ihm insoweit zustehenden naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative dem Beklagten.
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bb) Zu prüfen ist weiterhin, ob sich ein signifikant erhöhtes Risiko kollisionsbedingter Verluste von Einzelexemplaren durch die Einhaltung eines bestimmten Abstandes zwischen Windenergieanlagen und Brutplätzen der Wiesenweihe vermeiden lässt und, wenn ja, ab welchem Abstand eine hinreichende Vermeidung des Kollisionsrisikos angenommen werden kann. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass in der einschlägigen Studie "Greifvögel und Windkraftanlagen" die Auffassung vertreten wird, dass bei der Wiesenweihe eine Abstandsregelung zu Nestern der Wiesenweihe nicht praktikabel sei, da Wiesenweihen ihren Standort jährlich neu wählten (Hötker, Hermann/Krone, Oliver/Nehls, Georg, a.a.O., S. 312). Das Kollisionsrisiko für Wiesenweihen könne jedoch durch die räumliche Trennung von Brutgebieten und Windparks deutlich reduziert werden (Hötker, Hermann/Krone, Oliver/Nehls, Georg, a.a.O., S. 333 f.). Hiermit in der Sache übereinstimmend sehen die Empfehlungen zur Berücksichtigung tierökologischer Belange bei Windenergieplanungen in Schleswig-Holstein (https://www.umweltdaten.landsh.de/nuis/upool/gesamt/windenergie/windenergie.pdf) von Dezember 2008 die Freihaltung von Brutverbreitungsschwerpunkten der Wiesenweihe von Windenergieanlagen vor. Vor diesem Hintergrund hat der Beklagte im Rahmen seiner naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative zu prüfen, ob er – entgegen der Einschätzung in der Studie "Greifvögel und Windenergieanlagen" – die Einhaltung eines bestimmten Mindestabstandes zu Brutplätzen der Wiesenweihe für erforderlich hält oder ob stattdessen die Freihaltung von "Brutgebieten" oder "Brutverbreitungsschwerpunkten" zu fordern ist. Hieran anknüpfend ist ggf. festzustellen, wo genau sich derzeit Brutplätze von Wiesenweihen befinden und in welchen Abständen hierzu die von der Klägerin beantragten Windenergieanlagen im Einzelnen errichtet werden sollen. Andernfalls hat der Beklagte näher zu bestimmen, was unter "Brutgebieten" oder "Brutverbreitungsschwerpunkten" der Wiesenweihe genau zu verstehen ist, wo derartige Gebiete liegen und ob die geplanten Windenergieanlagen hiervon betroffen sind. Auch die insoweit erforderliche Risikobewertung obliegt dem Beklagten im Rahmen seiner naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative.
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cc) Im vorliegenden Fall ist zusätzlich zu prüfen, ob auch dann noch ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko für die Wiesenweihe durch die Errichtung und den Betrieb mehrerer Windenergieanlagen angenommen werden kann, wenn im näheren Umfeld der Standorte der geplanten Windenergieanlagen bereits mehrere Windenergieanlagen vorhanden sind. Es stellt sich die Frage, ob bereits durch die Anlagen des Bestandwindparks ein Risiko für Kollisionen für im Umfeld brütende Wiesenweihen besteht und inwieweit durch die geplante Erweiterung der Windenergienutzung eine spürbare Erhöhung des Tötungsrisikos gegenüber dem Bestand erfolgt (vgl. M-Gutachten vom 13.08.2013, S. 29). Die Bewertung der entsprechenden Risiken hat der Beklagte aufgrund der ihm zustehenden naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative zunächst selbst vorzunehmen.
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dd) Schließlich ist auch im Hinblick auf die Wiesenweihe zu prüfen, ob das Kollisionsrisiko durch geeignete Nebenbestimmungen hinreichend vermindert werden kann. Auch insoweit kommen Abschaltpläne für Jahreszeiten mit hohem Konfliktpotential und/oder eine gezielte Steuerung der landwirtschaftlichen Nutzung im Umfeld der Anlagen in Betracht, um eine Nutzung des Umfeldes der Windenergieanlagen für die Wiesenweihe möglichst unattraktiv zu gestalten. Diese Maßnahmen können mit der Herstellung attraktiverer Flächen in weiterem Abstand zu den Anlagen verbunden werden.
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c) Unklar ist ferner, ob der Kranich von einem artenschutzrechtlichen Verbotstatbestand im Sinne des § 44 Abs. 1 BNatSchG betroffen ist. Sowohl in den Abstandsempfehlungen der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten als auch im NLT-Papier wird zu Schlafplätzen von Kranichen ab dem 1-%-Kriterium, also bei einem Rastgebiet für mehr als 1 % der Flyway-Population zur Zugzeit, ein Abstand von 3.000 m empfohlen. Ferner wird die Freihaltung der Hauptflugkorridore von Kranichen zwischen Schlaf- und Nahrungsplätzen empfohlen. Im Hinblick auf diese Regelungen ist – naturschutzfachlich – zu klären, ob das Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG verletzt wird, wenn der empfohlene Mindestabstand unterschritten oder ein Hauptflugkorridor überbaut wird. Das wäre der Fall, wenn für den Kranich in diesen Fällen ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko besteht. Andernfalls ist – naturschutzfachlich – zu prüfen, ob bei einer Unterschreitung des Mindestabstandes oder einer Überbauung einer Hauptflugroute das Störungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG einschlägig ist. Zu prüfen ist, ob der Kranich im Umfeld des Windparks eine "lokale Population" i.S.d. § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG aufweist und ob diese durch das Vorhaben durch Verschlechterung ihres Erhaltungszustandes erheblich gestört wird. Weiter ist zu klären, durch welche der 8 geplanten Windenergieanlagen der empfohlene Abstand von 3.000 m zu Schlafplätzen von Kranichen unterschritten wird. Insoweit gehen die Angaben der Beteiligten auseinander. Während der Beklagte in seiner Stellungnahme vom 13.01.2016 ausführt, die Standorte der beantragten Windenergieanlagen hielten die empfohlenen Abstände zu den großen Kranichrastgebieten im Süden des Vogelschutzgebietes nicht ein, heißt es in dem M-Gutachten vom 13.08.2013 auf Seite 34, eine Unterschreitung des Mindestabstandes zu Schlafplätzen von Kranichen sei nicht erkennbar. Zur Lage der Hauptflugkorridore zwischen Schlaf- und Nahrungsplätzen von Kranichen liegen bislang noch keine Feststellungen vor.
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d) Ebenfalls unklar ist, ob im Hinblick auf den Goldregenpfeifer bei Verwirklichung des Vorhabens ein artenschutzrechtlicher Verbotstatbestand im Sinne des § 44 Abs. 1 BNatSchG verwirklicht wird. In den tierökologischen Abstandskriterien für die Errichtung von Windenergieanlagen in Brandenburg vom 15.10.2012 wird ein Schutzbereich von 1.000 m zu Rastgebieten, in denen regelmäßig mindestens 200 Goldregenpfeifer rasten, festgelegt. Im Hinblick auf diese Regelung ist – naturschutzfachlich – zu klären, ob das Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG berührt wird, wenn dieser Schutzabstand unterschritten wird. Andernfalls ist – naturschutzfachlich – zu prüfen, ob bei einer Unterschreitung des genannten Schutzabstandes das Störungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG einschlägig ist und ob dieses auf den Goldregenpfeifer anwendbar ist. Zweifel ergeben sich daraus, dass der Goldregenpfeifer in dem M-Gutachten vom 13.08.2013 nicht als Brut-, sondern als Zugvogel eingeordnet wurde. Insoweit könnte fraglich sein, ob der Goldregenpfeifer eine "lokale Population" i.S.d. § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG aufweist. Wäre dies nicht der Fall, könnte dies zur Folge haben, dass eine erhebliche Störung des Goldregenpfeifers im Sinne dieser Vorschrift durch Verschlechterung des Erhaltungszustandes einer lokalen Population nicht möglich ist. Darüber hinaus bedarf es der Prüfung, ob die Speetze-Aue südlich des Vorhabengebietes ein Rastgebiet ist, in dem regelmäßig mindestens 200 Goldregenpfeifer rasten. In dieser Hinsicht ergeben sich Zweifel aus den Angaben in dem M-Gutachten vom 13.08.2013, in dem auf Seite 35 ausgeführt wird, nach Errichtung der Bestandsanlagen lägen keine Beobachtungen mehr vor, die für eine regelmäßige Rast von Goldregenpfeifern in diesem Gebiet sprächen.
- 80
II. Da sich ein Genehmigungsanspruch der Klägerin nach alledem mit hinreichender Sicherheit weder spruchreif bejahen noch spruchreif verneinen lässt, weil sich die naturschutzrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach dem derzeitigen Erkenntnisstand gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG als offen darstellt, ist der Beklagte unter Heranziehung der zum "stecken gebliebenen" Genehmigungsverfahren entwickelten Grundsätze gemäß § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO zu einer Neubescheidung des Genehmigungsantrags der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten.
- 81
In der Situation eines "stecken gebliebenen" Genehmigungsverfahrens entfällt die Verpflichtung des Gerichts zur Herbeiführung der Spruchreife, wenn ansonsten im Verwaltungsverfahren noch nicht behandelte komplexe (technische) Fragen erstmals im gerichtlichen Verfahren erschöpfend geprüft werden müssten. Dabei ist ferner zu berücksichtigen, dass eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung im Allgemeinen nicht ohne zahlreiche Nebenbestimmungen erteilt wird. Grundsätzlich könnte zwar auch das Gericht mit Hilfe kundiger Sachverständiger ein Auflagenprogramm entwickeln und ihm mit dem Tenor eines Verpflichtungsurteils Verbindlichkeit verschaffen. Im Allgemeinen sind jedoch individuelle Einschätzungen und Zweckmäßigkeitserwägungen dafür erheblich, ob diese oder jene gleichermaßen geeignete Auflage oder sonstige Nebenbestimmung anzufügen ist. Es ist in derartigen besonders gelagerten Fällen nicht Aufgabe der Gerichte, ein "stecken gebliebenes" Genehmigungsverfahren in allen Einzelheiten durchzuführen. Es kann daher ausnahmsweise gerechtfertigt sein, dass das Tatsachengericht davon absieht, die Sache spruchreif zu machen. In diesem Falle kann es ein Bescheidungsurteil i.S.v. § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO erlassen (OVG NW, Urt. v. 30.07.2009 – 8 A 2357/08 –, a.a.O. RdNr. 208 m.w.N.).
- 82
So liegt der Fall hier. Im Genehmigungsverfahren ist nicht geprüft worden, ob dem Vorhaben des Klägers Belange des Naturschutzes in der Gestalt des Tötungsverbotes gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG, insbesondere im Hinblick auf den Rotmilan, entgegenstehen. Die im Zuge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens durchgeführten Ermittlungen haben insoweit nicht zur Spruchreife geführt. Es sind noch weitergehende naturschutzfachliche Erhebungen und Beurteilungen anzustellen. Sodann ist zu prüfen, ob ein von fachbehördlichen Einschätzungen getragenes Auflagenprogramm entwickelt werden kann, durch das eine etwaige erhebliche Beeinträchtigung von Belangen des Vogelschutzes unter der Erheblichkeits- bzw. Signifikanzschwelle gehalten werden kann. Bei dieser Sachlage entfällt die Verpflichtung des Gerichts, die Sache weiter spruchreif zu machen.
- 83
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 162 Abs. 3 VwGO.Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nicht für erstattungsfähig zu erklären, weil diese keinen Sachantrag gestellt und sich damit gemäß § 154 Abs. 3 VwGO keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben.
- 84
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
- 85
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.
Gründe
I.
- 1
Mit Bescheid vom 06.02.2012 erteilte der Antragsgegner der Beigeladenen unter Anordnung der sofortigen Vollziehung eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von neun Windenergieanlagen des Typs Enercon E-82 mit einer Nennleistung von jeweils 2,0 MW, einer Nabenhöhe von 138,38 m und einem Rotordurchmesser von 82 m in den Gemarkungen R. und G.. Dem Bescheid waren naturschutzrechtliche Nebenbestimmungen u.a. zum Schutz des Schwarzstorchs, des Rotmilans und von Fledermäusen beigefügt. Die Standorte der Anlagen befinden sich innerhalb eines im Regionalen Entwicklungsplan für die Planungsregion C-Stadt festgesetzten Eignungsgebiets für die Nutzung der Windenergie. Mit Bescheid vom 12.03.2012 stellte der Antragsgegner fest, dass ein von der Beigeladenen angezeigter Einsatz eines geänderten Anlagentyps keiner Genehmigung nach dem BImSchG bedürfe. Über die vom Antragsteller gegen die Genehmigung am 25.03.2012 erhobene Klage ist noch nicht entschieden.
- 2
Auf den Antrag des Antragstellers vom 09.08.2012 hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt und zur Begründung u.a. ausgeführt:
- 3
Der Antragsteller sei mit der Rüge, die Genehmigung sei wegen unzulänglicher FFH-Vorprüfung bzw. fehlender FFH-Verträglichkeitsprüfung unter Verstoß gegen § 34 BNatSchG erteilt worden, im gerichtlichen Verfahren nicht ausgeschlossen. Zwar habe er seine Einwendungen im Schreiben vom 06.09.2010 nicht ausdrücklich so bezeichnet; er habe aber insgesamt hinreichend detailliert dargelegt, in Bezug auf welche Brut- und Rastvogelarten (Rotmilan, Rohrweihe, Schwarzstorch, Weißstorch) sowie Fledermäuse ein erhebliches Konfliktpotenzial im Falle der Errichtung der neun Windkraftanlagen bestehe und weshalb die Ausgleichs- und Ersatzmaßnahme M7 (Luzerneanbau) unzureichend sei. Unschädlich sei insoweit, dass der Antragsteller die im Zusammenhang mit der Umweltverträglichkeitsstudie ebenfalls im Auftrag der Beigeladenen erstellte Heftung „FFH-Vorprüfung" (FFH-V) nicht namentlich erwähnt habe; denn sie betreffe denselben Untersuchungsraum. Zudem habe der Antragsteller den in der Umweltverträglichkeitsstudie unterbliebenen Nachweis besetzter Schwarzstorchhorste ausdrücklich gerügt.
- 4
Das im angefochtenen Bescheid angegebene besondere öffentliche Vollziehungsinteresse sei nicht geeignet, die Sofortvollzugsanordnung zu tragen. Es möge zwar ein öffentliches Interesse an der Steigerung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen bestehen; aus welchen Gründen hierzu gerade die von der Beigeladenen geplanten neun Windkraftanlagen ohne Rücksicht auf den Suspensiveffekt der Klage errichtet werden müssen, sei der Bescheidbegründung aber nicht zu entnehmen.
- 5
Soweit die Sofortvollzugsanordnung auf Antrag und im Interesse der Beigeladenen ergangen sei, sei der Antrag begründet. Im Ergebnis einer Interessenabwägung sei die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen, weil die Klage nach derzeitiger Aktenlage weder offensichtlich erfolglos noch erfolgreich sei.
- 6
Derzeit sei nicht offensichtlich, dass die von der Beigeladenen zusammen mit der Umweltverträglichkeitsstudie mit Stand vom Mai 2010 vorgelegte FFH-Vorprüfung den Anforderungen des § 34 BNatSchG genüge. Eine solche Prüfung sei hier geboten, weil in einer Entfernung von etwa 2.000 Metern von den Windenergieanlagen Nr. 1, 2 und 3 die südöstliche Grenze des FFH-Schutzgebiets „Bürgerholz bei Burg" liege. In diesem Gebiet befänden sich vier in den letzten Jahren wechselnd besetzte Horste des Schwarzstorches mit 1 bis 5 Brutpaaren sowie 1 bis 5 Brutpaare des Rotmilans. Außerdem habe eine nachträgliche Horsterfassung ergeben, dass dieses Gebiet ganzjährig Seeadlerpaaren als Revier diene und eine Brutansiedlung des Schreiadlers im Hinblick auf Einzelbeobachtungen dieser Art möglich sei. Gleichwohl sei der Untersuchungsraum in Übereinstimmung mit der Umweltverträglichkeitsstudie (UVS) festgelegt worden, ohne seine räumliche Ausdehnung näher zu bezeichnen. Auch den Darstellungen der von der Beigeladenen vorgelegten Umweltverträglichkeitsstudie sei keine konkrete Größenangabe oder geographische Definition des Untersuchungsraums zu entnehmen. Lediglich den Karten in der Anlage zur UVS sei zu entnehmen, dass die Grenze des Untersuchungsraums der UVS jeweils 2.000 Meter von den äußeren Windenergieanlagen nahezu kreisförmig verlaufe. Mit der Übernahme dieser Grenze des Untersuchungsraums bei der FFH-Vorprüfung sei indes das FFH-Gebiet „Bürgerholz“ nahezu vollständig von dem Untersuchungsraum ausgeschlossen, wenngleich es in der Gebietsbeschreibung als „möglicherweise betroffen" bezeichnet werde. Wenn – wie hier – bereits die Vorprüfung auf einer zu unbestimmten oder fehlerhaften Tatsachengrundlage erfolge, könne auch deren Ergebnis nicht dazu dienen, etwaige Beeinträchtigungen als offensichtlich ausgeschlossen zu bewerten und die Notwendigkeit einer FFH-Verträglichkeitsuntersuchung zu verneinen. Der Antragsteller habe hierzu vorgetragen, dass selbst innerhalb des Untersuchungsraumes im Umkreis der geplanten Windenergieanlagen nicht alle Rotmilanhorste im Gesamtzeitraum der UVS und der FFH-Vorprüfung festgestellt und dokumentiert worden seien. Zudem sei die FFH-Vorprüfung zunächst davon ausgegangen, dass sich weitere FFH-Gebiete in der Umgebung des Vorhabens befänden. In der weiteren Untersuchung fänden diese aber keine Erwähnung mehr.
- 7
Zudem bestünden Zweifel an der richtigen Anwendung des Prüfprogramms des § 34 BNatSchG durch den Antragsgegner, weil die FFH-Vorprüfung nicht erkennen lasse, ob die der Untersuchung zugrunde gelegten Erhaltungsziele tatsächlich dem Schutzzweck bzw. den Erhaltungszielen des FFH-Gebiets „Bürgerholz" entsprechen. Maßgeblich könnte bereits der sich aus der Verordnung des Regierungspräsidiums Magdeburg über das Naturschutzgebiet Bürgerholz bei Burg vom 03.06.1997 ergebende Schutzzweck sein. Nur wenn für das Gebiet im Verordnungswege kein Schutzzweck festgelegt sei, seien die Erhaltungsziele bis auf Weiteres der EU-Gebietsmeldung zu entnehmen. Ob vorliegend dennoch die Gebietsmeldung und der sog. Standarddatenbogen der anschließenden Untersuchung zugrunde zu legen sei, wenn der Inhalt der FFH-Gebietsmeldung konkreter oder umfassender sei oder die äußeren Grenzen des durch Verordnung bestimmten Naturschutzgebietes hinter denjenigen des FFH-Gebietes desselben Namens zurückblieben, könne vorerst dahinstehen. Denn der FFH-Vorprüfung sei nicht zu entnehmen, auf welchen Daten die Beschreibung des Gebiets beruhe. Bei dieser Sachlage sei nicht auszuschließen, dass die insoweit bestehenden Ermittlungsdefizite sich auf das Ergebnis der Vorprüfung ausgewirkt hätten. Dasselbe gelte für die vom Antragsgegner getroffenen naturschutzfachliche Bewertung, auch wenn der Genehmigungsbehörde eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zustehe; denn eine solche Rücknahme der Kontrolldichte setze voraus, dass – anders als hier – von der Behörde eine den wissenschaftlichen Maßstäben und vorhandenen Erkenntnissen entsprechende Sachverhaltsermittlung vorgenommen worden sei.
- 8
Den Unterlagen der Vorprüfungen könne zudem nicht entnommen werden, ob der Antragsgegner bei der Bewertung der Betroffenheit der zu schützenden Brut- und Rastvögel die mittlerweile in der Rechtsprechung anerkannten Abstandsempfehlungen der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten vom Mai 2008 berücksichtigt habe. Das gelte namentlich für die Brutplätze des Schwarzstorches im FFH-Gebiet „Bürgerholz". Der Abstand von Windenergieanlagen zu Brutstätten des Schwarzstorches sollten danach mindestens 3.000 m (Ausschlussbereich) betragen. Daneben werde ein so genannter Prüfbereich von 10.000 m um jede Windenergieanlage angegeben, innerhalb dessen zu prüfen sei, ob Nahrungshabitate der betreffenden Art vorhanden sind. Letzterer käme als Prüfbereich im Übrigen auch für die Brutstätte des Schwarzstorches südlich von G. in Betracht, denn diese Entfernung liege auch innerhalb des Prüfbereichs etwaiger Nahrungshabitate. Den Aussagen der FFH-Vorprüfung und der Begründung des Genehmigungsbescheides sei nicht ansatzweise zu entnehmen, dass diese Abstandsempfehlungen zugrunde gelegt oder sonst berücksichtigt worden seien. Hiergegen spreche bereits die Aussage, dass die möglichen negativen Auswirkungen aufgrund der Entfernung von 2 km als gering zu betrachten seien. Schließlich sei selbst der Verfasser einer avifaunistischen Nachuntersuchung zu dem Schluss gekommen, dass das etwa 1.000 m vom geplanten Windpark gelegene Tal der Ihle als Nahrungsgebiet für den Schwarzstorch in Betracht komme, und zwar auch für Störche aus anderen Gebieten. Die gleichwohl getroffene Einschätzung, dass das Kollisionsrisikos gering sei, weil der Windpark westlich umflogen werden könne, sei angesichts der Defizite der Bewertungsgrundlagen derzeit nicht offensichtlich rechtmäßig. Eher bestätigt als ausgeräumt würden diese Zweifel durch den Bericht aus dem Jahr 2011 über das Vorkommen des Schwarzstorches in den Brutrevieren „Burger Holz“ und „Madel“ des Büros für Ökologie & Naturschutz „Elbe-Havel-Natur“.
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Entsprechendes gelte für den für Rotmilane zugrunde zu legenden, aber bislang nicht berücksichtigten Prüfbereich von 6.000 m. Der Antragsteller habe nunmehr unter Berufung auf die Feststellung des Diplom-Biologen M. dargelegt, dass innerhalb dieses Prüfbereichs in einer Entfernung von 3.270 m zu einer der geplanten Windenergieanlage am 02.09.2012 an einer bereits vorhandenen einzeln stehenden Windenergieanlage ein toter Rotmilan als Schlagopfer gefunden worden sei. Für eine Eignung des Vorhabengebiets als Nahrungshabitat für Rotmilane außerhalb des Tabubereichs von 1.000 m spreche auch die wiederholte Beobachtung von Nahrungsflügen des Rotmilans im Vorhabengebiet – teilweise direkt an den Standorten der geplanten Windenergieanlagen. Dabei könne dahinstehen und bedürfe ggf. einer Klärung im Klageverfahren, ob die Anzahl der Beobachtungstage hinreichend gewesen sei, um eine wissenschaftlich fundierte Prognose zu ermöglichen.
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Nicht hinreichend geklärt sei derzeit ferner, ob das Vorhaben für jede der genannten Tierarten sowie in Bezug auf die nach Darstellung des Antragstellers darüber hinaus vorhandene Brutstätte der Rohrweihe inmitten des Vorhabengebiets nicht gegen die Zugriffsverbote des § 44 Abs. 1 BNatSchG verstoße. Der so genannte Tabubereich der Rohrweihe würde danach durch alle neun Windenergieanlagen erheblich unterschritten. Ob es sich tatsächlich bei dem am 31.07.2012 fotografierten „Bodenhorststandort" um einen potenziellen Brutplatz der Rohrweihe handele, bedürfe ggf. einer Klärung im Klageverfahren. In Bezug auf den potenziellen Schwarzstorchhorst am Südrand des Bürgerholzes wäre der Tabubereich vom Standort der Windenergieanlagen Nr. 1 bis 5 unterschritten. Die Windenergieanlage Nr. 9 liege mit 980 m innerhalb des Tabubereichs eines oder mehrerer Rotmilanhorste im Süden. Ob noch weitere Brutplätze des Rotmilans vorhanden, aber bislang vom Antragsgegner nur nicht dokumentiert worden seien, könne bei dieser Sachlage dahinstehen. Eine Beseitigung oder deutliche Verringerung des Kollisionsrisikos durch bestimmte Maßnahmen sei derzeit nicht glaubhaft. Ungeachtet dessen bestünden durchgreifende Zweifel an der Möglichkeit und Wirksamkeit derartiger Kompensationsmaßnahmen jedenfalls dann, wenn die regelmäßig zu mähende Fläche zu gering bemessen sei. Zudem sei hier nicht ersichtlich, dass die zur Ablenkung dienenden Luzerneflächen durch alle vom Kollisionsrisiko betroffenen Arten gleichzeitig genutzt werde.
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Damit könne offenbleiben, ob der Genehmigung derzeit das Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG in Bezug auf die festgestellten insgesamt 12 Fledermausarten entgegenstehe. Die von dem Antragsgegner angenommene mangelhafte wissenschaftliche Erkenntnislage hinsichtlich der Barrierewirkung von Windkraftanlagen für Fledermäuse bewirke unter dem Einfluss des Europarechts, dass sich das Verständnis vom Zugriffsverbot des § 44 Abs. 1 BNatSchG in Richtung Tierschutz verschiebe und damit die Nichtaufklärbarkeit möglicher nicht nur hypothetischer Schädigungen der Tierwelt zu Lasten des Anlagenbetreibers gehe. Das bedeute hier im Ergebnis, dass die in den Nebenbestimmungen Nr. 9.3.1. und Nr. 9.3.2. angeordneten Fledermausbeobachtungsmaßnahmen im laufenden Betrieb der Windkraftanlagen 2, 5 und 8 zwar zur Verbesserung der derzeitigen Erkenntnislage, aber nicht zur Verringerung des Tötungsrisikos geeignet seien. Letzterem könnte durch die Festlegung von befristeten Aussetzungen des Betriebes abhängig von Jahreszeit, Tageszeit und Windgeschwindigkeit (Abschaltzeiten) begegnet werden. Ein als Nebenbestimmung vom Antragsgegner angeordnetes so genanntes Gondelmonitoring könne zwar geeignet sein, bei wissenschaftlicher Unsicherheit über die Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen weitere Erkenntnisse zu gewinnen; es beseitige oder mindere jedoch ein anzunehmendes erhöhtes Tötungsrisiko nicht.
II.
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A. Die zulässige Beschwerde der Beigeladenen ist in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang begründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht in vollem Umfang die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung wiederhergestellt. Die nach §§ 80a Abs. 3 Satz 1, 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das Interesse der Beigeladenen an der Verwirklichung ihres Vorhabens nur zu einem geringen Teil überwiegt.
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Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nimmt das Gericht eine eigene Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Aufschubinteressen der Beteiligten vor. Dem Charakter des Eilverfahrens nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO entsprechend kann das Gericht seine vorläufige Entscheidung im Regelfall nur auf der Grundlage einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als wesentliches Element der Interessensabwägung für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angeordneten Sofortvollzugs treffen. Kann – wegen der besonderen Dringlichkeit oder der Komplexität der Rechtsfragen – keine Abschätzung über die Erfolgsaussichten im Sinne einer Evidenzkontrolle getroffen werden, sind allein die einander gegenüber stehenden Interessen zu gewichten (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Beschl. v. 22.03.2010 – 7 VR 1.10 [7 C 21.7 C 21.09] –, Juris, RdNr. 13). Wird – wie hier – von einem Dritten die einem anderen erteilte und diesen begünstigende Genehmigung angegriffen, bestimmt sich die Frage, wer bis zur Hauptsacheentscheidung das Risiko der Herbeiführung vollendeter Tatsachen tragen muss, nach dem materiellen Recht, also der Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs; Art 19 Abs. 4 GG lässt sich nicht entnehmen, dass eine der beiden Rechtspositionen bevorzugt wäre oder dass für ihre sofortige Ausnutzung zusätzlich ein besonderes öffentliches Interesse vorliegen müsse (BVerfG, Beschl. v. 01.10.2008 – 1 BvR 2466 – NVwZ 2009, 240 [242], RdNr. 21 in Juris).
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Danach führt die gemäß §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung des Suspensivinteresses des Antragstellers gegen das öffentliche Interesse und das private Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Vollziehung des Genehmigungsbescheides unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens der Beigeladenen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) zu dem Ergebnis, dass das Vollzugsinteresse überwiegt, soweit es um die Errichtung und den Betrieb der Windenergieanlagen Nr. 1 bis 8 geht. Die Klage wird nach summarischer Prüfung voraussichtlich nur hinsichtlich der Windenergieanlage Nr. 9 Erfolg haben. Ein besonderes, vom Antragsteller wahrzunehmendes Interesse daran, dass die Genehmigung bis zur Hauptsacheentscheidung gleichwohl insgesamt nicht ausgenutzt werden darf, ist nicht ersichtlich.
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1. Der Antragsteller wird die Genehmigung voraussichtlich nicht mit der Begründung anfechten können, es sei keine ordnungsgemäße FFH-Vorprüfung durchgeführt worden.
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1.1. Mit diesem Vorbringen dürfte er – wie die Beigeladene zu Recht rügt – voraussichtlich gemäß § 2 Abs. 3 des Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG vom 07.12.2006 (BGBI I 2816) – Umwelt-Rechtsbehelfegesetz (UmwRG) – ausgeschlossen sein. Nach dieser Vorschrift ist eine Vereinigung im Sinne von § 3 UmwRG (wie der Antragsteller), die nach § 2 Abs. 1 UmwRG ohne eigene Rechtsverletzung Rechtsbehelfe nach der VwGO geltend machen kann, im Verfahren über den Rechtsbehelf mit allen Einwendungen ausgeschlossen, die sie im Verfahren nach § 1 Absatz 1 Satz 1 UmwRG nicht oder nach den geltenden Rechtsvorschriften nicht rechtzeitig geltend gemacht hat, aber hätte geltend machen können, wenn sie im Verfahren nach § 1 Absatz 1 Satz 1 UmwRG Gelegenheit zur Äußerung gehabt hat.
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Mit der Präklusionsregelung sollen die Vereinigungen angehalten werden, bereits im Verwaltungsverfahren ihre Sachkunde einzubringen und mit dem Ziel nutzbar zu machen, dass für Konflikte zwischen Infrastrukturplanung bzw. industriellen Großvorhaben einerseits und Natur- und Umweltschutz andererseits eine Problembewältigung erzielt wird, bei der die Belange des Natur- und Umweltschutzes nicht vernachlässigt werden. Der damit angestrebte Abbau von Vollzugsdefiziten setzt voraus, dass die Vereinigungen ihren Sachverstand so in das Verfahren einbringen, dass dadurch die der Planfeststellungs- bzw. Genehmigungsbehörde aufgetragene Problembewältigung gefördert wird. Den Natur- und Umweltschutzverbänden obliegt insoweit eine Mitwirkungslast. Durch diese Mitwirkung sollen zugleich von der Verwaltungsentscheidung Begünstigte vor einem überraschenden Prozessvortrag der Verbände geschützt werden. Ausgehend von diesen Funktionen der für Natur- und Umweltschutzvereinigungen maßgeblichen Beteiligungs- und Präklusionsregelungen muss eine solche Vereinigung in ihren Einwendungen zumindest Angaben dazu machen, welches Schutzgut durch ein Vorhaben betroffen wird und welche Beeinträchtigungen ihm drohen. Auch die räumliche Zuordnung eines Vorkommens oder einer Beeinträchtigung ist zu spezifizieren, wenn sie sich nicht ohne Weiteres von selbst versteht. Je umfangreicher und intensiver die vom Vorhabenträger bereits geleistete Begutachtung und fachliche Bewertung in den Planunterlagen ausgearbeitet ist, desto intensiver muss – jedenfalls grundsätzlich – auch die Auseinandersetzung mit dem vorhandenen Material ausfallen (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 29.09.2011 – 7 C 21.09 –, NuR 2012, 119, RdNrn. 34 f.).
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Gemessen daran dürften die Darlegungen des Antragstellers in seinem Einwendungsschreiben vom 06.09.2010 entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht ausreichen, um die Rüge einer unzulänglichen FFH-Vorprüfung als rechtzeitig erhoben zu betrachten. Die Frage einer erforderlichen FFH-Vorprüfung wird darin nicht erwähnt. Im anwaltlichen Schriftsatz heißt es vielmehr unter Nr. 1, der Antragsteller wende sich aus artenschutzrechtlichen Gründen gegen die beantragte Genehmigung. Es folgen Ausführungen zur UVP-Pflicht des Vorhabens (Nr. 2 bis 8) sowie zum Kollisionsrisiko insbesondere des Rotmilans (Nr. 9). In der dem Schriftsatz beigefügten Stellungnahme des Antragstellers selbst wird zunächst darauf verwiesen, dass hinsichtlich der Lage und Habitatsstruktur „des Vorhabensgebiets“ ein erhebliches Konfliktpotenzial aus der Sicht der Avifauna und der Fledermäuse gesehen werde. Im Folgenden legt der Antragsteller dar, dass und aus welchen Gründen Greifvögel, insbesondere der Rotmilan, nachgewiesenermaßen ein erhöhtes Risiko hätten, an Windenergieanlagen zu verunglücken, und dass sich in Abständen von weniger als 1.000 m zu den Windenergieanlagen Nr. 2 und 9 und damit im Tabubereich zwei Rotmilanhorste befänden. Weiter führt er aus, dass in einer Riedfläche zwischen den Windenergieanlagen Nr. 3, 5 und 7 ein „Brutverdacht“ bezüglich der Rohrweihe bestehe und in der Umweltverträglichkeitsstudie der Baumfalke als Brutvogel fehle, obwohl es Brutzeitbeobachtungen aus dem Bereich des geplanten Windparks gebe. Daran anschließend weist der Antragsteller zwar darauf hin, dass sich nicht nur südlich der Planfläche in einiger Entfernung ein Brutplatz des Seeadlers befinde, sondern „auch für das Burger Holz“ seit einigen Jahren Brutverdacht bestehe. Schließlich wird auf Vorkommen des Weiß- und Schwarzstorches sowie von Fledermäusen hingewiesen. Es findet sich indes kein Hinweis darauf, dass durch die geplanten Windenergieanlagen ein FFH-Gebiet beeinträchtigt werden könnte. In dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall (Urt. v. 29.09.2011, a.a.O), auf den die Vorinstanz Bezug genommen hat, enthielt das Einwendungsschreiben des dortigen Klägers Ausführungen des Inhalts, dass „die Problematik von Schäden an Flora und Fauna der Gebiete „Schwanheimer Düne" und „Schwanheimer Wald" durch Schadstoffemissionen der beantragten Verbrennungsanlage sowie die Folgen der zu erwartenden Schadstoffanreicherungen (Summationsschäden) für Flora und Fauna im Rahmen des Antrags nicht untersucht bzw. abgearbeitet worden seien. Zudem wurde beanstandet, dass die konkreten Auswirkungen des Vorhabens auf Flora und Fauna sowie die im Umfeld liegenden FFH-Gebiete in der Umweltverträglichkeitsuntersuchung nicht betrachtet worden seien. Damit wurde (noch) hinreichend deutlich gemacht, dass auch die Erhaltungsziele der angrenzenden FFH-Gebiete durch das Vorhaben erheblich beeinträchtigt werden können. Im Gegensatz dazu beschränkten sich die Einwendungen des Antragstellers im Schriftsatz vom 06.09.2010 und der beigefügten Anlage auf artenschutzrechtliche Fragen. Artenschutz einerseits und Habitatsschutz andererseits verfolgen indes unterschiedliche Schutzgüter. Während der Artenschutz individuenbezogen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.07.2008 – 9 A 14.07 –, BVerwGE 131, 274 [301], RdNr. 91; Urt. v. 09.07.2009 – 4 C 12.07 –, Juris, RdNr. 44), ist der Habitatsschutz gebietsbezogen (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.06.2010 – 9 A 20.09 –, NuR 2010, 870 [873], RdNr. 60; Beschl. v. 14.03.2008 – 9 VR 9.07 –, Buchholz 451.91 Europ UmweltR Nr. 33, S. 206, RdNr. 45). Gegenstand der FFH-Verträglichkeitsprüfung ist die Verträglichkeit eines Projekts mit den Erhaltungszielen des betreffenden Gebiets (BVerwG, Beschl. v. 14.04.2011 – 4 B 77.09 –, Juris. RdNr. 36, m.w.N.).
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1.2. Unabhängig davon ist die vom Antragsgegner vorgenommene FFH-Vorprüfung voraussichtlich nicht zu beanstanden.
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Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG sind Projekte vor ihrer Zulassung oder Durchführung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Natura 2000-Gebiets zu überprüfen, wenn sie einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen geeignet sind, das Gebiet erheblich zu beeinträchtigen, und nicht unmittelbar der Verwaltung des Gebiets dienen. Ergibt die Prüfung der Verträglichkeit, dass das Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann, ist es unzulässig (§ 34 Abs. 2 BNatSchG).
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Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. v. 29.09.2011, a.a.O., RdNr. 40 ) ist eine FFH-Verträglichkeitsprüfung erforderlich, wenn und soweit derartige Beeinträchtigungen nicht offensichtlich ausgeschlossen werden können, also zumindest vernünftige Zweifel am Ausbleiben von erheblichen Beeinträchtigungen bestehen. Der eigentlichen Verträglichkeitsprüfung ist eine Vorprüfung bzw. Erheblichkeitseinschätzung vorgeschaltet. Die bei der Vorprüfung (sog. Screening) anzulegenden Maßstäbe sind nicht identisch mit den Maßstäben für die Verträglichkeitsprüfung selbst. Bei der Vorprüfung ist nur zu untersuchen, ob erhebliche Beeinträchtigungen des Schutzgebiets ernstlich zu besorgen sind. Erst wenn das zu bejahen ist, schließt sich die Verträglichkeitsprüfung mit ihren Anforderungen an den diese Besorgnis ausräumenden naturschutzfachlichen Gegenbeweis an. Die Vorprüfung braucht nicht formalisiert durchgeführt zu werden (BVerwG, Urt. v. 14.07.2011 – 9 A 12.10 –, Juris, RdNr. 89). Fehlen die Voraussetzungen, unter denen eine Verträglichkeitsprüfung geboten ist, bei Erlass des Genehmigungsbescheides, weil eine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele des Gebiets ohne vertiefte Prüfung ausgeschlossen werden kann, so stellt der Verzicht auf eine Verträglichkeitsprüfung unabhängig davon, auf welche Weise die Behörde sich diese Gewissheit verschafft hat, keinen Rechtsfehler dar (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.07.2011, a.a.O.).
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Auf der Grundlage der von der Beigeladenen vorgelegten Umweltverträglichkeitsstudie der Stadt und Land Planungsgesellschaft mbH vom Mai 2010 durfte der Antragsgegner voraussichtlich davon ausgehen, dass erhebliche Beeinträchtigungen des Schutzgebiets nicht ernstlich zu besorgen sind.
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Maßstab für die Prüfung, ob die streitigen Windenergieanlagen die Erhaltungsziele des hier in Rede stehenden FFH-Gebiets Nr. 40 – DE 3637-302 „Bürgerholz bei Burg“ beeinträchtigen können, ist zunächst § 3 der Verordnung des Regierungspräsidiums Magdeburg über das Naturschutzgebiet „Bürgerholz bei Burg“ in der Stadt Burg und in der Gemeinde R. im Landkreis Jerichower Land vom 03.06.1997 (Amtsblatt für den Regierungsbezirk Magdeburg 1997, 184 f.) – nachfolgend: NatSchV Bürgerholz. Soweit ein Natura 2000-Gebiet ein geschützter Teil von Natur und Landschaft im Sinne des § 20 Abs. 2 BNatSchG ist, ergeben sich die Maßstäbe für die Verträglichkeit aus dem Schutzzweck und den dazu erlassenen Vorschriften, wenn hierbei die jeweiligen Erhaltungsziele bereits berücksichtigt wurden (§ 34 Abs. 1 Satz 2 BNatSchG). Nur wenn für das betreffende Gebiet ein im Verordnungswege festgelegter Schutzzweck fehlt, sind die Erhaltungsziele bis auf weiteres grundsätzlich der Gebietsmeldung zu entnehmen, die der Aufnahme eines Gebiets in die Liste nach Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 3 FFH-RL und dem dadurch begründeten Schutz des § 34 BNatSchG zugrunde liegt (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.01.2007 – 9 A 20.05 –, BVerwGE 128, 1 [35], RdNr. 75). Eine andere Beurteilung ist dann in Betracht zu ziehen, wenn der jeweilige Akt der Unterschutzstellung den unionsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht wird, was namentlich bei FFH-Gebieten zu besorgen ist, die als bereits bestehende Schutzgebiete gemeldet wurden (Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, 11 BNatSchG, § 34 RdNr. 17). Nach § 3 Abs. 2 NatSchV Bürgerholz besteht der Schutzzweck der Verordnung darin, das Gebiet zu erhalten und zu entwickeln als Standort naturnaher Laubwaldgesellschaften mit Resten der ehemaligen Hartholzaue in einer hohen Struktur- und Artenvielfalt (Nr. 1), als Standort extensiv bewirtschafteter Wiesengesellschaften des Feuchtgrünlandes (Nr. 2), als Standort von Kohldistelwiesen (Angelico-Cirsietum), Röhrichten und Großseggenrieden (z.B. Phragmitetum) und verschieden Seggengesellschaften (Cariceten) (Nr. 3), als Lebensraum seltener, vom Aussterben bedrohter Großvogelarten unter dem Aspekt der Erhaltung von geeigneten Reproduktionsgebieten (Nr. 4), als Lebensraum besonders geschützter, bestandsbedrohter und vom Aussterben bedrohter Tiere (Nr. 5) sowie als Lebensraum besonders geschützter, bestandsbedrohter und vom Aussterben bedrohter Pflanzen. Gemäß § 3 Abs. 3 NatSchV Bürgerholz sind grundlegende Voraussetzungen für die langfristige Sicherung und Verbesserung der Lebensbedingungen der Pflanzen- und Tierwelt des Gebietes die Erhaltung bzw. Wiederherstellung eines solchen Wasserregimes, wie es zur Gewährleistung der Existenz der für das Gebiet typischen Pflanzen- und Tierarten notwendig ist (Nr. 1), die Erhaltung und Entwicklung bzw. Wiederherstellung von naturnahen Waldbeständen und die eigendynamische Entwicklung einer Kernzone (Totalreservat) (Nr. 2), die Erhaltung und Entwicklung der vorhandenen naturnahen Wiesengesellschaften (Nr. 3), die Extensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung (Nr. 4), die Bewahrung des Gebietes vor anthropogenen Schad- und Störeinflüssen (insbesondere Vermeidung von Störungen durch die Jagdausübung und die Erholungsnutzung) (Nr. 5) sowie die Erhaltung der für das Gebiet typischen Bodenformen (Nr. 6). Die Gebietsmeldung begründet die Schutzwürdigkeit des Gebiets damit, dass das geschlossene Waldgebiet als elbferner Auwaldrest strukturreiche Bruch- und Auwälder umfasse, von einem Gürtel extensiv genutzter Feuchtgrünländereien umgeben sei und Bedeutung als Lebensraum für Kranich, Bekassine und Schwarzstorch habe. Als weitere vorkommende Vogelarten nach den Anhängen der FFH-/Vogelschutzrichtlinie werden der Eisvogel, die Rohrweihe, der Mittelspecht, der Schwarzspecht, der Wendehals, der Neuntöter, der Schwarzmilan, der Rotmilan, der Wespenbussard sowie die Waldschnepfe genannt.
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Ausgehend von dem Schutzzweck der NatSchV Bürgerholz und den Erhaltungszielen der Gebietsmeldung bestehen keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass die streitigen Windenergieanlagen, die in etwa 2 km Entfernung von diesem Gebiet errichtet werden sollen, das Gebiet erheblich beeinträchtigen können. Auch dies rügt die Beigeladene zu Recht.
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Die Möglichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung der Erhaltungsziele von FFH-Gebieten durch Windenergieanlagen besteht ohne weiteres dann, wenn die Standorte innerhalb eines solchen Gebiets liegen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 26.02.2008 – 7 B 67.07 –, BauR 2008, 1128). In Bezug auf eine vom Erhaltungsziel eines europäischen Vogelschutzgebietes erfasste Tierart soll langfristig gesehen eine Qualitätseinbuße vermieden werden. Stressfaktoren, wie sie mit der Errichtung, aber insbesondere mit dem Betrieb einer Windenergieanlage der vorgesehenen Art einhergehen, dürfen somit die artspezifische Populationsdynamik nicht in einem Ausmaß stören, dass die Tierart kein lebensfähiges Element des natürlichen Lebensraums mehr bilden kann. Die so beschriebene Belastungsschwelle, die bei einem Betrieb einer Windenergieanlage stets in Betracht zu nehmen ist, kann dabei unter Berücksichtigung der konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls gewisse Einwirkungen zulassen, solange diese das Erhaltungsziel nicht nachteilig berühren (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Beschl. v. 26.02.2008, a.a.O.). Für FFH-Gebiete dürften keine strengeren Maßstäbe gelten.
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Gemessen an diesem Zweck können zwar auch Windenergieanlagen außerhalb solcher Gebiete erhebliche Beeinträchtigungen für dort lebende geschützte Vogelarten mit sich bringen, wenn sie in unmittelbarer Nähe zu einem solchen Gebiet liegen (vgl. NdsOVG, Urt. v. 14.09.2000 – 1 L 2153/99 –, ZfBR 2001, 208 [210], dort: ca. 500 m „Mindestfluchtdistanz“). Bei der hier in Rede stehenden Entfernung von ca. 2.000 m dürfte dies aber regelmäßig auszuschließen sein. So empfehlen die vom niedersächsischen Landkreistag erarbeiteten Hinweise zur Berücksichtigung des Naturschutzes und der Landschaftspflege sowie zur Durchführung der Umweltprüfung und Umweltverträglichkeitsprüfung bei Standortplanung und Zulassung von Windenergieanlagen mit Stand vom Januar 2011 (NLT-Papier) im Abschnitt 4.1 (allgemeine Hinweise), Abstände des 10-fachen den Anlagenhöhe, mindestens jedoch 1.200 m, u.a. zu Gebieten des Europäischen ökologischen Netzes Natura 2000, soweit sie zum Schutz von Vogel- oder Fledermausarten erforderlich sind. Soweit in Abschnitt 5.1 (Brut- und Gastvögel, Vogelzug) ein „Untersuchungsraum“ von mindestens des 10-fachen der Anlagenhöhe, bei Windfarmen ab 6 Windenergieanlagen mindestens 2.000 m im Umkreis von den äußeren Anlagenstandorten empfohlen wird, dürfte dies die spezifischen Abstände zu den Brut- und Rastplätzen der einzelnen geschützten Vogelarten betreffen. Mit der Gefahr, dass bestimmte Vogelarten, die sich aus dem Schutzgebiet – etwa zur Nahrungssuche – wegbewegen, in einem weiteren Umkreis dem Risiko einer Kollision mit den Windenergieanlagen ausgesetzt sind, wird sich eine erhebliche Beeinträchtigung des geschützten Gebiets selbst nicht begründen lassen. Zwar sind auch die Tierarten, die vom Schutzzweck oder den Erhaltungszielen des Gebiets erfasst werden, „Bestandteile“ des Gebiets im Sinne von § 34 Abs. 2 BNatSchG. Sie transportieren aber nicht gleichsam den Gebietsschutz mit sich in die Umgebung hinaus (vgl. Fischer-Hütte, Zur Beeinträchtigung von FFH- und Vogelschutzgebieten durch Einwirkungen von außerhalb, NuR 2004, 157). Es bedarf keiner Vertiefung, ob dem VGH BW (vgl. Urt. v. 29.11.2002 – 5 S 2312 – Nur 2003, 228) darin zu folgen ist, dass das Schutzregime des § 34 BNatSchG nur dann anwendbar ist, wenn das Projekt auf den geschützten Raum einwirkt, und die Kollisionsgefahr mit technischen Anlagen außerhalb des Schutzgebiets insoweit ohne Bedeutung ist. Eine erhebliche Beeinträchtigung eines Vogelschutzgebiets und ggf. eines FFH-Gebiets mag auch dann vorliegen, wenn die technischen Anlagen innerhalb eines Flugkorridors zwischen zwei solchen Gebieten mit ständigen Austauschbewegungen liegen, weil Gegenstand einer Beeinträchtigung auch die Funktion eines Gebiets als Teil des Netzes Natura 2000 sein kann (vgl. Fischer-Hütte, a.a.O, Gassner, Anmerkung zum Urteil des VGH BW, NuR 2003, 233). Eine solche Konstellation liegt hier nicht vor. Zwar befinden sich auch in dem südlich des Vorhabensgebiets gelegenen „Madeler Forst“ Horste insbesondere des Schwarzstorches. Dieses Gebiet ist aber kein FFH- oder Vogelschutzgebiet und damit auch nicht Teil des Netzes Natura 2000.
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2. Die vom Antragsteller erhobene Klage hat voraussichtlich nur insoweit Erfolg, als sie sich gegen die Genehmigung der Windenergieanlage Nr. 9 richtet. Nur in diesem Umfang dürfte die angefochtene Genehmigung gegen das Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG verstoßen.
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Nach dieser Vorschrift ist es verboten, wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören. Der Rotmilan (Milvus milvus) gehört zu der danach geschützten Gruppe (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 13 a) und 14 a) BNatSchG i. V. m. dem Anhang A der Verordnung (EG) Nr. 338/97 des Rates vom 09.12.1996 über den Schutz von Exemplaren wildlebender Tier- und Pflanzenarten durch Überwachung des Handels (ABl. L 61 vom 03.03.1997, S. 1, ABl. L 100 vom 17.04.1997, S. 72, ABl. L 298 vom 01.11.1997, S. 70, ABl. L 113 vom 27.04.2006, S. 26), zuletzt geändert durch Verordnung (EU) Nr. 709/2010 der Kommission vom 22.07.2010 (ABl L 212 vom 12.08.2010).
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Der Tötungstatbestand ist nach der Rechtsprechung des EuGH auch dann erfüllt, wenn sich die Tötung als unausweichliche Konsequenz eines im Übrigen rechtmäßigen Verwaltungshandelns erweist (EuGH, Urt. v. 20.10.2005 – Rs. C-6/04 –, Slg. 2005, I-9017). Dass einzelne Exemplare besonders geschützter Arten durch Kollisionen mit Windkraftanlagen bzw. deren Rotorblättern zu Schaden kommen können, ist allerdings bei lebensnaher Betrachtung nie völlig auszuschließen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urt. v. 09.07.2008 – 9 A 14.07 –, BVerwGE 131, 274 [301 f.], RdNr. 91) ist daher der artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungstatbestand dann nicht erfüllt, wenn das Vorhaben nach naturschutzfachlicher Einschätzung kein signifikant erhöhtes Risiko kollisionsbedingter Verluste von Einzelexemplaren verursacht, mithin unter der Gefahrenschwelle in einem Risikobereich bleibt, der mit dem Vorhaben im Naturraum immer verbunden ist, vergleichbar dem ebenfalls stets gegebenen Risiko, dass einzelne Exemplare einer Art im Rahmen des allgemeinen Naturgeschehens Opfer einer anderen Art werden. Der Verbotstatbestand ist zwar individuenbezogen; dass einzelne Exemplare etwa durch Kollisionen zu Schaden kommen, reicht aber nicht aus. Soll das Tötungs- und Verletzungsverbot nicht zu einem unverhältnismäßigen Planungshindernis werden, ist vielmehr zu fordern, dass sich das Risiko des Erfolgseintritts in signifikanter Weise erhöht, wobei Maßnahmen, mittels derer solche Kollisionen vermieden oder dieses Risiko zumindest minimiert werden soll, einzubeziehen sind. Gemeint ist eine „deutliche" Steigerung des Tötungsrisikos. Dafür genügt es nicht, dass im Eingriffsbereich überhaupt Tiere der (besonders) geschützten Art angetroffen worden sind; erforderlich sind vielmehr Anhaltspunkte dafür, dass sich das Risiko eines Vogelschlages durch das Vorhaben deutlich und damit signifikant erhöht (BVerwG, Urt. v. 09.07.2009 – 4 C 12.07 –, NuR 2009, 789 [797], RdNr. 42).
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Da zur fachgerechten Beurteilung dieser Frage ornithologische Kriterien maßgeblich sind, die zu treffende Entscheidung prognostische Elemente enthält und überdies naturschutzfachlich allgemein anerkannte standardisierte Maßstäbe und rechenhaft handhabbare Verfahren fehlen, muss der zuständigen Behörde eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zuerkannt werden (vgl. zum Planfeststellungsverfahren BVerwG, Urt. v. 14.04.2010 – 9 A 5.08 –, BVerwGE 136, 291 [318], RdNr. 113). Die gerichtliche Prüfung ist insoweit grundsätzlich auf eine Vertretbarkeitskontrolle beschränkt (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.03.2008 – 9 A 3.06 –, NuR 2008, 633).
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Hierauf aufbauend und ausgehend von der in Fachkreisen gewonnenen Erkenntnis, dass der Rotmilan artspezifisch zu den Arten gehört, die häufiger als Schlagopfer von Windenergieanlagen auftreten, und dass die bisher gefundenen Zahlen der von Windkraftanlagen getöteten Rotmilane relativ höher ist als die Opferzahlen anderer Greifvögel, hat der Senat entschieden (vgl. (Urte. v. 19.01.2012 – 2 L 124/09 –, BImSchG-Rspr § 6 Nr. 59; RdNr. 94 in Juris, u. v. 26.10.2011 – 2 L 6/09 –, NuR 2012, 196, RdNr. 77), es sei naturschutzfachlich vertretbar, von einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko für den Rotmilan durch den Betrieb von Windkraftanlagen grundsätzlich dann auszugehen, wenn der Abstand der Windenergieanlage zu einem festgestellten Horst weniger als 1.000 m beträgt, es sei denn es liegen zuverlässige Erkenntnisse darüber vor, dass sich in einer größeren Entfernung als 1.000 m ein oder mehrere für den Rotmilan attraktive, nicht nur kurzzeitig bzw. zeitweise zur Verfügung stehende Nahrungshabitate befinden und die Windenergieanlagen dort oder innerhalb eines Flugkorridors dorthin liegen.
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2.1. Wendet man diese Maßstäbe auf den vorliegenden Fall an, dürfte Betrieb der Windenergieanlage Nr. 9 gegen das Tötungsverbot des § 44 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG verstoßen; denn diese Anlage befindet sich nach der von der Beigeladenen vorgelegten Umweltverträglichkeitsstudie in nur ca. 980 m Entfernung zu einem Rotmilanhorst südlich des Vorhabengebiets. Dies kann die Beigeladene nicht mit dem Einwand entkräften, eine amtliche Vermessung durch einen öffentlich bestellten Vermessungsingenieur habe ein Maß von lediglich 1.001 m ergeben. Zutreffend hat der Antragsteller darauf hingewiesen, dass es aus naturschutzfachlicher Sicht keinen wesentlichen Unterschied macht, ob der Standort einer Windkraftanlage zu einem Rotmilanhorst nur wenige Meter größer ist als 1.000 m. Es liegt auf der Hand, dass die Tiere sich bei ihren Flügen nicht an „starre“ Grenzen halten.
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2.2. Dagegen dürfte die Genehmigung der übrigen acht Windenergieanlagen nicht zu beanstanden sein.
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2.2.1. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Rotmilan durch diese Anlagen einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko ausgesetzt ist. Sie befinden sich – wie die Beigeladenen zutreffend einwendet – sämtlich außerhalb des Tabubereichs von 1.000 zu von diesem Greifvogel genutzten Horsten, insbesondere auch zu dem festgestellten Horst südlich des Vorhabengebiets. Für die Annahme des Antragstellers in seinem Einwendungsschreiben vom 06.09.2010, ein weiterer im Jahr 2010 besetzter Milanhorst befinde sich ca. 800 m nordöstlich der Windenergieanlagen 2 im Wald neben einer aktiven Sandgrube, gibt es keine genügenden Anhaltspunkte. Insbesondere konnte Entsprechendes bei der Horsterfassung durch das Büro für Ökologie & Naturschutz „Elbe-Have-Natur“ im Mai 2011 nicht festgestellt werden. Eine andere Beurteilung folgt auch nicht aus der im Beschwerdeverfahren vom Antragsteller vorgelegten eidesstattlichen Versicherung vom 22.10.2012, nach der südlich des Vorhabengebiets weitere Rotmilanhorste beobachtet wurden. Die Standorte der Horste in der als Anlage beigefügten Karte befinden sich in einer größeren Entfernung als 1.000 zu den Windenergieanlagen Nr. 1 bis 8. Ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko durch den Betrieb dieser Anlagen lässt sich für den Rotmilan auch nicht damit begründen, dass deren Standorte innerhalb des im NLT-Papier für den Rotmilan vorgeschlagenen Prüfbereichs von 6.000 m liegen. In den bereits zitierten Urteilen vom 26.10.2011 und 19.01.2012 hat der Senat betont, dass es wegen der potentiellen Weite des Prüfbereichs jedenfalls greifbarer Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer besonderen Prüfung bedürfe (so auch ThürOVG, Urt. v. 14.10.2009 – 1 KO 372/06 –, NuR 2010, 368, RdNr. 42). Es genüge nicht die Feststellung, dass sämtliche Offenlandbereiche prinzipiell als Nahrungshabitate des Rotmilans im näheren oder weiteren Umfeld des Vorhabensstandortes in Betracht kommen. Andernfalls ließe sich, da die Nahrungssituation für den Rotmilan sich innerhalb der Jahreszeiten und von Jahr zu Jahr – je nach der Bewirtschaftung der Flächen – sehr unterschiedlich darstellen kann, die Gefährdung dieser Vogelart kaum zuverlässig eingrenzen. Soweit man generell größere Abstände fordern würde, wäre zudem fraglich, ob der im Außenbereich privilegierten Nutzung der Windenergie überhaupt noch substanziell Raum verschafft werden könnte. In dem dem Urteil vom 26.10.2011 (a.a.O.) zugrunde liegenden Fall hatten Greifvogel-Planbeobachtungen gezeigt, dass Rotmilane das Gebiet intensiv durchfliegen bzw. als Nahrungshabitat nutzen; dort waren jede Stunde im Mittel zwischen 1,5 und 5 Flüge von Rotmilanen durch das Eingriffsgebiet beobachtet worden. Hinreichende Anhaltspunkte für eine solche intensive Nutzung des Vorhabengebiets bestehen hier nicht, auch wenn dort nach der Umweltverträglichkeitsstudie Nahrungsflüge beobachtet wurden.
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2.2.2. Im Rahmen der summarischen Prüfung ist es ferner als naturschutzfachlich vertretbar zu bewerten, dass der Antragsgegner ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko für die in der Umgebung der streitigen Anlagen vorhandenen Schwarzstörche (Ciconia nigra) verneint hat, die gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 13 a) und 14 a) BNatSchG i. V. m. dem Anhang A der Verordnung (EG) Nr. 338/97 ebenfalls einer besonders geschützten bzw. streng geschützten Art angehören (so auch ThürOVG, Urt. v. 14.10.2009, a.a.O., RdNr. 41). Das NLT-Papier empfiehlt zwar für diese Vogelart einen Tabubereich von 3.000 m, der nach den Feststellungen der Umweltverträglichkeitsstudie vom Mai 2010 hinsichtlich eines Horststandortes nicht eingehalten wird; die Abstände zu den Windenergieanlagen Nr. 1 und 2 betragen danach lediglich ca. 2.500 m. Unabhängig davon, ob dieser Horst – was die Beigeladene in Abrede stellt – noch vorhanden ist, ist aber zu berücksichtigen, dass der Schwarzstorch – anders als etwa der Rotmilan – nach den derzeitigen Erkenntnissen nicht zu den Vogelarten zählt, die artspezifisch häufig Schlagopfer von Windenergieanlagen sind. Dafür sprechen insbesondere die Daten aus der Zentralen Fundkartei der Staatlichen Vogelschutzwarte im Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz Brandenburg, zusammengestellt von Tobias Dürr, mit Stand vom 19.01.2011 – Vogelverluste an Windenergieanlagen in Deutschland (sog. Dürr-Liste). Danach wurde für den Schwarzstorch bundesweit lediglich ein Schlagopfer nachgewiesen (vgl. auch VG Hannover, Urt. v. 22.11.2012 – 12 A 2305/11 –, NuR 2013, 69 [73], RdNr. 57). Im Gegensatz dazu wurden etwa beim Rotmilan bundesweit 146 Schlagopfer erfasst. Der im NLT-Papier und auch in der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten empfohlene große Ausschlussradius von 3.000 m folgt dem Vorsorgeprinzip aufgrund des unzureichenden Wissensstandes zur Empfindlichkeit des Schwarzstorches gegenüber Windenergieanlagen (vgl. das Fachgutachten der Diplombiologen Dr. M. Steverding und A. Lenk zur Raumnutzung des Schwarzstorches im Bereich Schweinschieder Wald in der Verbandsgemeinde Meisenheim vom August 2011, S. 3, veröffentlicht im Internet unter http://www.vg-msh.de/Flächennutzungsplan/). Nach der Rechtsprechung des Senats kommt aber gerade dem artspezifischen Verhalten der Vogelart maßgebliche Bedeutung bei der Beurteilung eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos zu.
- 36
2.2.3. Gleiches gilt für die – ebenfalls besonders und streng geschützte – Rohrweihe (Circus aeruginosus), auch wenn sich in der Nähe oder gar innerhalb des Vorhabengebiets Brutplätze dieser Vogelart befinden sollten, wie der Antragsteller geltend macht. Für sie weist die „Dürr-Liste“ mit Stand vom Januar 2011 bundesweit lediglich 9 Schlagopfer auf. Es wird angenommen, dass wegen der geringen Flughöhe bei der Jagd unterhalb der Gefahrenzone von Windkraftanlagen kein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko besteht (vgl. VG Lüneburg, Urt. v. 29.11.2007 – 2 A 695/06 –, Juris, RdNrn. 48, 75 ff., unter Bezugnahme auf ein Fachgutachten).
- 37
2.2.4. Für naturschutzfachlich vertretbar hält es der Senat auch, dass der Antragsgegner für den besonders und streng geschützten Seeadler (Haliaeetus albicilla) ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko durch den Betrieb der streitigen Windenergieanlagen verneint hat. Dieser Greifvogel ist zwar vergleichsweise häufig Schlagopfer von Windenergieanlagen. Die „Dürr-Liste“ mit Stand von Januar 2011 weist bundesweit eine Zahl von 57 aus, was angesichts des vergleichsweise geringen Verbreitungsgrades dieses Greifvogels in Deutschland darauf hindeutet, dass er zu den durch Windenergieanlagen am stärksten betroffenen Vogelarten gehört (vgl. NdsOVG, Urt. v. 12.11.2008 – 12 LC 72/07 –, Juris, RdNr. 84). Das NLT-Papier empfiehlt einen Mindestabstand von 3.000 m zu Brutplätzen. Es bestehen indes keine genügenden Anhaltspunkte dafür, dass sich Brutplätze des Seeadlers in einem Abstand von weniger als 3.000 zu den Standorten der geplanten Windenergieanlagen befinden. Nach dem Bericht zur Erfassung von See- und Schreiadler sowie Rotmilan des Büros für Ökologie & Naturschutz Elbe-Havel-Natur vom 10.05.2011 wurde festgestellt, dass im Gebiet des Bürgerholzes, und zwar in einem der ruhigen Teile (Totalreservat) ein Horst zwar begonnen worden sei, ein Adlerpaar die Seeadler jedoch verdrängt hätten und darüber hinaus nicht ausgeschlossen werden könne, dass sich Waldarbeiten zusätzlich negativ auf die Brutansiedlung ausgewirkt hätten. Allein der Umstand, dass ein Seeadler südöstlich des Vorhabengebiets in einem Abstand zur Windenergieanlage Nr. 9 von etwas mehr 1.000 m beobachtet wurde, wie es in einer eidesstattlichen Versicherung erklärt wurde, dürfte nicht für die Feststellung ausreichen, dass der im NLT-Papier empfohlene Mindestabstand zu einem Brutplatz des Seeadlers von 3.000 m unterschritten wird.
- 38
2.2.5. Naturschutzfachlich vertretbar dürfte schließlich die Annahme sein, dass besonders bzw. streng geschützte Fledermausarten durch die streitigen Anlagen keinem signifikant erhöhten Tötungsrisiko ausgesetzt sein werden.
- 39
Wie bereits oben dargelegt, genügt es für die Annahme eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos nicht, dass im Eingriffsbereich überhaupt Tiere der besonders geschützten Art angetroffen worden sind; erforderlich sind vielmehr Anhaltspunkte dafür, dass sich das Risiko einer Kollision durch das Vorhaben deutlich und damit signifikant erhöht (BVerwG, Urt. v. 09.07.2009 – 4 C 12.07 –, NuR 2009, 789 [797], RdNr. 42). Es genügt daher nicht, wenn verschiedene Fledermausarten in dem betroffenen Naturraum anzutreffen sind und deshalb nicht auszuschließen ist, dass einzelne Exemplare durch das Vorhaben zu Schaden kommen. Ergeben durchgeführte Erhebungen für den betroffenen Bereich nur eine geringe Aktivitätsdichte, erscheint es fraglich, ob von einer deutlichen Steigerung des Kollisionsrisikos ausgegangen werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.03.2008 – 9 A 3.06 –, BVerwGE 130, 299 [366], RdNr. 219). Von einer solchen geringen Aktivitätsdichte durfte der Antragsgegner hier voraussichtlich ausgehen. Nach den Fledermausuntersuchungen (Ganzjahresstudie) zu dem geplanten Windpark der Diplom-Biologin Dr. R. vom November 2007 und Mai 2010 (S. 23) habe sich bei der Auswertung gezeigt, dass die Aktivitäten an den Standorten auf den Freiflächen fast ausnahmslos gering waren, so dass keine Konflikte mit den Windenergieanlagen zu erwarten seien. An den Standorten für die Anlage Nr. 2 und die (nicht mehr in Rede stehende) Anlage Nr. 11 werde das Konfliktpotenzial zwar etwas höher, aber insgesamt noch immer gering eingestuft.
- 40
Um bei dem Betrieb der Anlagen möglicherweise doch auftretenden Konflikten mit Fledermäusen Rechnung tragen zu können, hat der Antragsgegner der angefochtenen Genehmigung die Nebenbestimmungen Nr. 9.3.1 und 9.3.2 beigefügt. Diese sehen vor, dass bei den Anlagen Nr. 2, 5 und 8, die einem Gehölzstreifen und dem Waldrand am nächsten liegen, (zunächst) ein sog. Gondelmonitoring durchzuführen ist und die Ergebnisse des Monitorings der oberen Naturschutzbehörde zu übermitteln sind. Ein solches Monitoring kann dazu dienen, aufgrund einer fachgerecht vorgenommenen Risikobewertung Unsicherheiten Rechnung zu tragen, die sich aus nicht behebbaren naturschutzfachlichen Erkenntnislücken ergeben, sofern ggf. wirksame Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen (BVerwG, Urt. v. 14.07.2011, a.a.O, RdNr. 105). Ein in der Genehmigung angeordnetes Monitoring ist bei nur geringer Aktivitätsdichte von Fledermäusen ein geeignetes und zulässiges Mittel, um die Tragfähigkeit der Prognose, dass kein signifikant erhöhtes Kollisionsrisiko besteht, zu überprüfen (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 18.04.2011 – 12 ME 274/10 –, NuR 2011, 431 [433], RdNr. 10 in Juris). Ein Monitoring stellt allerdings – gerade bei stark frequentierten Flugrouten – kein zulässiges Mittel dar, um behördliche Ermittlungsdefizite und Bewertungsmängel zu kompensieren; dies umso weniger, wenn offen bleibt, mit welchen Mitteln nachträglich zu Tage tretenden Eignungsmängeln eines Schutzkonzepts wirkungsvoll begegnet werden soll (BVerwG, Urt. v. 14.07.2011, a.a.O.).
- 41
Im konkreten Fall wurden indes in der genannten Ganzjahresstudie die konkreten Fledermausaktivitäten ermittelt. Es dürfte zwar zutreffen, dass – wie der Antragsteller erstinstanzlich unter Bezugnahme auf die Stellungnahmen der Landesreferenzstelle für Fledermausschutz Sachsen-Anhalt vom 18.06.2009 und 25.09.2010 vorgetragen hat – die im Wesentlichen auf Geländehöhe aufgestellten Horchboxen die Flugaktivitäten sämtlicher Fledermausarten im Bereich der Rotoren nicht zuverlässig erfassen können. Dies räumte auch die Gutachterin in ihrer Stellungnahme vom 14.01.2010 (Bl. 455 Beiakte B) ein, verwies aber zugleich darauf, dass die von ihr durchgeführte Untersuchung den Standardmethoden zur Untersuchung der Fledermausfauna im Zuge der Errichtung von Windenergieanlagen entspreche. Weiter gab sie an, dass es zwar sinnvoll gewesen wäre, im Zuge der Untersuchungen im Jahre 2007 an einem mobilen Messturm bereits Messungen in der Höhe vorzunehmen, an anderen Standorten in Deutschland bei vergleichenden Untersuchungen in der Höhe und am Boden aber bereits mehrfach belegt worden sei, dass die Aktivität am Boden in der Regel deutlich über der Aktivität in der Höhe liege; Ausnahmen bildeten Windenergieanlagenstandorte direkt im Wald. Auch die Landesreferenzstelle für Fledermausschutz kam in ihrer Stellungnahme vom 25.09.2010 (Bl. 465 der Beiakte B) ungeachtet des Umstandes, dass auch aus ihrer Sicht die – übliche – Methode, Horchboxen terrestrisch aufzustellen, die tatsächlichen Aktivitäten der Fledermäuse auf dem Nabenhöhen-Niveau nicht widerspiegle, zu dem Ergebnis, dass die Unterschreitung des Abstandes zwischen Windenergieanlagen und Wald von 200 m zulässig sei, da nur geringe Aktivitäten von Fledermäusen vom Boden registriert worden seien. Entsprechend der in dieser Stellungnahme ausgesprochenen Empfehlung erteilte der Antragsgegner die angefochtene Genehmigung gemäß § 12 Abs. 2a Satz 1 BImSchG unter dem Vorbehalt der nachträglichen Aufnahme von Abschaltzeiten für die Windenergieanlagen Nr. 2, 5 und 8 in Auswertung des Gondelmonitorings, um bei dennoch festgestellter erhöhter Aktivität von Feldermäusen im Bereich der Rotoren wirksam reagieren zu können. Vor diesem Hintergrund erscheint es naturschutzfachlich vertretbar, die verbleibende Unsicherheit, ob nicht doch ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko bei einzelnen Fledermausarten gegeben ist, für einen begrenzten Zeitraum hinzunehmen.
- 42
2.2.6. Die streitige immissionsschutzrechtliche Genehmigung dürfte auch nicht – wie der Antragsteller erstinstanzlich vorgetragen hat – wegen einer unzureichenden UVP-Vorprüfung fehlerhaft sein.
- 43
Gemäß § 3c Satz 1 UVPG, ist, sofern in der Anlage 1 für ein Vorhaben eine allgemeine Vorprüfung des Einzelfalls vorgesehen ist, eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, wenn das Vorhaben nach Einschätzung der zuständigen Behörde aufgrund überschlägiger Prüfung unter Berücksichtigung der in der Anlage 2 aufgeführten Kriterien erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen haben kann, die nach § 12 UVPG zu berücksichtigen wären. Nach Nr. 1.6.2 der Anlage 1 ist bei einer Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Windfarm mit Anlagen in einer Gesamthöhe von mehr als 50 m mit 6 bis weniger als 20 Windkraftanlagen und damit auch für Vorhaben der hier streitigen Art eine allgemeine Vorprüfung erforderlich. Eine solche Vorprüfung hat der Antragsgegner hier durchgeführt. Sie ist im Schreiben an das Referat 402.2.6 vom 24.09.2010 (Bl. 526 der Beiakte B) dokumentiert. Die Entscheidung, keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, wurde im Amtsblatt des Antragsgegners vom 15.03.2011 gemäß § 3a Satz 2 UVPG bekannt gemacht. Beachtliche Fehler bei der Vorprüfung dürften nicht vorliegen.
- 44
Bei der UVP-Vorprüfung muss die Behörde aufgrund summarischer Ermittlungen und Bewertungen eine Prognose anstellen. Angesichts des Gesetzeswortlauts („Einschätzung" der Behörde) und wegen des Prognosecharakters der Vorprüfung besitzt die Behörde auch insoweit einen gerichtlich nur beschränkt überprüfbaren naturschutzfachlichen Beurteilungsspielraum (Einschätzungsprärogative). Dem trägt die Vorschrift des § 3a Satz 4 UVPG Rechnung, nach der die auf einer Vorprüfung des Einzelfalls beruhende Einschätzung der zuständigen Behörde, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung unterbleiben soll, in einem gerichtlichen Verfahren betreffend die Zulässigkeit des Vorhabens nur darauf zu überprüfen ist, ob die Vorprüfung entsprechend den Vorgaben von § 3c UVPG durchgeführt worden und ob das Ergebnis nachvollziehbar ist. Die Einschätzungsprärogative der Behörde erstreckt sich auch auf die Frage, ob die vom Vorhabenträger vorgelegten Unterlagen (und die eigenen Informationen der Behörde) eine geeignete Grundlage bilden, um unverzüglich aufgrund überschlägiger Prüfung über die UVP-Pflichtigkeit des Vorhabens zu entscheiden. Inhaltlich umfasst die richterliche Kontrolle der negativen Feststellung (§ 3a Satz 1 UVPG) nach einer Vorprüfung die Frage, ob die Behörde bei ihrer Einschätzung die in der Anlage 2 zum Gesetz aufgeführten Kriterien berücksichtigt hat (vgl. § 3c Abs. 1 Satz 1) und (aufgrund der ihr obliegenden überschlägigen Prüfung) insgesamt zu einem den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden, naturschutzfachlich nachvollziehbaren und in diesem Sinne vertretbaren Ergebnis gelangt ist (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 07.12.2006 – 4 C 16.04 –, BVerwGE 127, 208 [228 f.], RdNr. 48 ff.). Nachvollziehbar im Sinne des § 3a Satz 4 UVPG bedeutet, dass das Ergebnis der behördlichen Prognose nach § 12 UVPG durch ein Gericht nicht auf materielle Richtigkeit, sondern lediglich auf Plausibilität zu überprüfen ist; im gerichtlichen Verfahren zu beanstandende Rechtsfehler, welche die Nachvollziehbarkeit ausschließen, liegen lediglich dann vor, wenn die Vorprüfung entweder Ermittlungsfehler aufweist, die so schwer wiegen, dass sie ersichtlich auf das Ergebnis durchschlagen konnten, oder wenn das Ergebnis außerhalb des Rahmens zulässiger Einschätzung liegt (VGH BW, Beschl. v. 25.09.2012 – 10 S 731/12 –, DVBl 2012, 1506, RdNr. 28 in Juris, m.w.N.). Gefordert ist eine Plausibilitätskontrolle, bei der die von der Behörde für ihr Prüfergebnis gegebene Begründung zugrunde zu legen ist; dies bedeutet zugleich, dass nachträglich gewonnene Erkenntnisse, die die Auswirkungen in einem anderen Licht erscheinen lassen könnten, für die Frage der Tragfähigkeit des Prüfergebnisses und damit der verfahrenslenkenden Entscheidung über die Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung nicht maßgeblich sein können (BVerwG, Urt. v. 20.12.2011 – 9 A 31.10 –, BVerwGE 141, 282 [288], RdNr. 29).
- 45
Nach der Anlage 2 sind, soweit in § 3c Satz 1 und 2 UVPG, auch in Verbindung mit den §§ 3e und 3f UVPG auf diese Anlage Bezug genommen wird, nachstehende Kriterien anzuwenden:
- 46
1. Merkmale der Vorhaben
- 47
Die Merkmale eines Vorhabens sind insbesondere hinsichtlich folgender Kriterien zu beurteilen:
- 48
1.1 Größe des Vorhabens,
- 49
1.2 Nutzung und Gestaltung von Wasser, Boden, Natur und Landschaft,
- 50
1.3 Abfallerzeugung,
- 51
1.4 Umweltverschmutzung und Belästigungen,
- 52
1.5 Unfallrisiko, insbesondere mit Blick auf verwendete Stoffe und Technologien.
- 53
2. Standort der Vorhaben
- 54
Die ökologische Empfindlichkeit eines Gebiets, das durch ein Vorhaben möglicherweise beeinträchtigt wird, ist insbesondere hinsichtlich folgender Nutzungs- und Schutzkriterien unter Berücksichtigung der Kumulierung mit anderen Vorhaben in ihrem gemeinsamen Einwirkungsbereich zu beurteilen:
- 55
2.1 bestehende Nutzung des Gebietes, insbesondere als Fläche für Siedlung und Erholung, für land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Nutzungen, für sonstige wirtschaftliche und öffentliche Nutzungen, Verkehr, Ver- und Entsorgung (Nutzungskriterien),
- 56
2.2 Reichtum, Qualität und Regenerationsfähigkeit von Wasser, Boden, Natur und Landschaft des Gebietes (Qualitätskriterien),
- 57
2.3 Belastbarkeit der Schutzgüter unter besonderer Berücksichtigung folgender Gebiete und von Art und Umfang des ihnen jeweils zugewiesenen Schutzes (Schutzkriterien):
- 58
2.3.1 Natura 2 000-Gebiete nach § 7 Absatz 1 Nummer 8 des Bundesnaturschutzgesetzes,
- 59
2.3.2 Naturschutzgebiete nach § 23 des Bundesnaturschutzgesetzes, soweit nicht bereits von Nummer 2.3.1 erfasst,
- 60
2.3.3 Nationalparke und Nationale Naturmonumente nach § 24 des Bundesnaturschutzgesetzes, soweit nicht bereits von Nummer 2.3.1 erfasst,
- 61
2.3.4 Biosphärenreservate und Landschaftsschutzgebiete gemäß den §§ 25 und 26 des Bundesnaturschutzgesetzes,
- 62
2.3.5 Naturdenkmäler nach § 28 des Bundesnaturschutzgesetzes,
- 63
2.3.6 geschützte Landschaftsbestandteile, einschließlich Alleen, nach § 29 des Bundesnaturschutzgesetzes,
- 64
2.3.7 gesetzlich geschützte Biotope nach § 30 des Bundesnaturschutzgesetzes,
- 65
2.3.8 Wasserschutzgebiete nach § 51 des Wasserhaushaltsgesetzes, Heilquellenschutzgebiete nach § 53 Absatz 4 des Wasserhaushaltsgesetzes, Risikogebiete nach § 73 Absatz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes sowie Überschwemmungsgebiete nach § 76 des Wasserhaushaltsgesetzes,
- 66
2.3.9 Gebiete, in denen die in den Gemeinschaftsvorschriften festgelegten Umweltqualitätsnormen bereits überschritten sind,
- 67
2.3.10 Gebiete mit hoher Bevölkerungsdichte, insbesondere Zentrale Orte im Sinne des § 2 Absatz 2 Nummer 2 des Raumordnungsgesetzes,
- 68
2.3.11 in amtlichen Listen oder Karten verzeichnete Denkmäler, Denkmalensembles, Bodendenkmäler oder Gebiete, die von der durch die Länder bestimmten Denkmalschutzbehörde als archäologisch bedeutende Landschaften eingestuft worden sind.
- 69
3. Merkmale der möglichen Auswirkungen
- 70
Die möglichen erheblichen Auswirkungen eines Vorhabens sind anhand der unter den Nummern 1 und 2 aufgeführten Kriterien zu beurteilen; insbesondere ist Folgendem Rechnung zu tragen:
- 71
3.1 dem Ausmaß der Auswirkungen (geographisches Gebiet und betroffene Bevölkerung),
- 72
3.2 dem etwaigen grenzüberschreitenden Charakter der Auswirkungen,
- 73
3.3 der Schwere und der Komplexität der Auswirkungen,
- 74
3.4 der Wahrscheinlichkeit von Auswirkungen,
- 75
3.5 der Dauer, Häufigkeit und Reversibilität der Auswirkungen.
- 76
Mit diesen Kriterien wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass die wesentlichen Gesichtspunkte, unter denen sich nachteilige Umweltauswirkungen eines Vorhabens als „erheblich“ darstellen können, in die Vorprüfung einbezogen werden (Sagenstedt, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, UVPG § 3c RdNr. 23).
- 77
Gemessen daran dürfte die Vorprüfung des Antragsgegners nach summarischer Prüfung nicht zu beanstanden sein. Dem Schreiben an das Referat 402.2.6 vom 24.09.2010 (Bl. 526 der Beiakte B) lässt sich entnehmen, dass sich der Antragsgegner an den in der Anlage 2 zu § 3c Satz 1 und 2 UVPG aufgeführten Kriterien orientiert hat. Er hat dabei insbesondere auch gemäß Nr. 2.3.1 der Anlage 2 die Lage der Standorte der einzelnen Windenergieanlagen zu Natura 2000-Gebieten, insbesondere zum FFH-Gebiet „Bürgerholz“ berücksichtigt. Aufgrund der vorliegenden naturschutzfachlichen Gutachten und Stellungnahmen durfte der Antragsgegner voraussichtlich davon ausgehen, dass das Vorhaben des Beigeladenen keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen insbesondere auf das FFH-Gebiet „Bürgerholz“ haben wird. Er hat die dort lebende Schwarzstorchpopulation in den Blick genommen und entsprechende Schutzmaßnahmen festgelegt. Die Einschätzung des Antragsgegners, dass das FFH-Gebiet wegen des Abstandes von ca. 2.000 m durch das Vorhaben der Beigeladenen nicht „erheblich“ beeinträchtigt wird, dürfte aus den oben bereits dargelegten Gründen naturschutzfachlich vertretbar sein.
- 78
3. Kann aber die Klage nach summarischer Prüfung nur hinsichtlich der Windenergieanlage Nr. 9 Erfolg haben, ist die aufschiebende Wirkung auch nur in diesem Umfang wiederherzustellen.
- 79
Eine nur teilweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs kommt in Betracht, wenn die Genehmigung teilbar ist (vgl. Beschl. d. Senats v. 12.11.2010 – 2 M 142/10 –, BauR 2011, 667, RdNr. 5 in Juris). Dies ist dann der Fall, wenn das genehmigte Vorhaben teilbar ist und sich ein abtrennbarer rechtmäßiger Teil feststellen lässt; es muss ohne den abzutrennenden Teil ein sinnvolles und dem Willen des Bauherrn entsprechendes Vorhaben übrig bleiben (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 06.11.1992 – 1 M 4717/92 –, Juris, RdNr. 12). Diese Voraussetzungen liegen vor, wenn – wie hier – anstelle von 9 Windenergieanlagen lediglich 8 errichtet und betrieben werden.
- 80
B. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 155 Abs. 1 Satz 1, 162 Abs. 3 VwGO.
- 81
C. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Der Senat schließt sich der Bemessung des Streitwerts der Vorinstanz in Anlehnung an Nr. 19.2 und 2.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit an.
- 82
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Tenor
I.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
II.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Gründe
Rechtsmittelbelehrung
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 663.000 Euro festgesetzt (§ 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG).
Tenor
I.
Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg
II.
Der Bescheid des Landratsamtes Donau-Ries vom
Im Übrigen werden die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.
III.
Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen die Klägerin zu 2/3, der Beklagte und die Beigeladene zu je 1/6.
IV.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Gründe
Rechtsmittelbelehrung
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 635.000 Euro festgesetzt (§ 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG).
Tatbestand
- 1
Die Klägerin begehrt eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Erweiterung eines bestehenden Windparks um weitere 8 Anlagen.
- 2
Mit Antrag vom 17.01.2007 beantragte die (...) GmbH die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von 9 Windkraftanlagen (WKA) des Typs Enercon E-70 E-4 mit einer Nennleistung von je 2,3 Megawatt (MW), einer Nabenhöhe von 98,2 m, einem Rotordurchmesser von 71 m und einer Gesamthöhe von 133,70 m auf mehreren Flurstücken in den Gemarkungen L., B. und R. im Landkreis Börde. Mit Schreiben vom 09.02.2007 zeigte die (...) GmbH den Übergang der Bauherrneigenschaft auf die Klägerin an. Mit Schreiben vom 07.08.2008 reichte diese neue Antragsunterlagen mit 5 veränderten Standorten ein. Mit Schreiben vom 06.12.2010 nahm sie den Antrag für eine Windkraftanlage zurück. Gegenstand des Antrags sind damit noch die im Tenor genannten Windkraftanlagen. Es handelt sich um eine Erweiterung des bestehenden Windparks L.. Mit Genehmigungsbescheid vom 29.11.2006 hatte der Beklagte einer anderen Betreiberin die Errichtung und den Betrieb von 9 Windkraftanlagen nahe L. genehmigt. Die von der Klägerin geplanten Windkraftanlagen sind auf Standorten in der Nähe bzw. zwischen den bereits genehmigten und errichteten Anlagen vorgesehen.
- 3
Das Vorhabengebiet liegt innerhalb des im Regionalen Entwicklungsplan für die Planungsregion Magdeburg (REP MD) unter Nr. 5.8.3.1 festgelegten Eignungsgebietes für die Nutzung der Windenergie 10 Oebisfelde. Nach Nr. 5.8.3.5 des REP MD ist für alle Vorhaben zur Errichtung von Windkraftanlagen in diesem Eignungsgebiet im Rahmen des Genehmigungsverfahrens insbesondere die Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen des Vogelschutzgebietes Drömling zu untersuchen.
- 4
Ca. 1,8 km nördlich des Vorhabengebietes liegt das EU SPA Vogelschutzgebiet Drömling (DE 3532-401; SPA0007). Charakteristisch für die Landschaft im Drömling sind die stark durch Grundwassereinflüsse geprägten Wälder sowie die von vielen Gräben durchzogenen Wiesen und Niederungen. Der Drömling stellt für viele Vogelarten ein bedeutendes Brutgebiet dar und ist für 8 Brutvogelarten nach Anhang I der EU-Vogelschutzrichtlinie eines der Top-5-Gebiete in Sachsen-Anhalt (Mammen, Kerstin/Mammen, Ubbo/Dornbusch, Gunthard/Fischer, Stefan, Die Europäischen Vogelschutzgebiete des Landes Sachsen-Anhalt, Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt, Halle, Heft 10/2013, S. 69 ff.
). Die weite Niederungslandschaft im Drömling hat zudem als Rast- und Überwinterungsgebiet für eine Vielzahl von Watvögeln, Gänsen, Enten sowie für den Kranich eine große Bedeutung. Alljährlich rasten hier mehr als 20.000 Wasservögel. Für Saatgans, Kranich und Kiebitz stellt der Drömling ein Schlüsselgebiet dar, in dem zur Zugzeit mehr als 1 % der Flyway-Population rasten (Mammen, Kerstin/Mammen, Ubbo/Dornbusch, Gunthard/Fischer, Stefan, a.a.O., S. 76). Als vorläufiges Schutz- und Erhaltungsziel für das Vogelschutzgebiet Drömling wurde durch das Landesamt für Umweltschutz Sachsen-Anhalt u.a. die Erhaltung des Gebietes, insbesondere der Habitat- und Strukturfunktionen der Lebensräume der im Gebiet vorkommenden Vogelarten nach Abs. 4 Abs. 1 (Anhang-I-Arten) (etwa Weißstorch, Seeadler, Rotmilan, Wiesenweihe, Kranich) und Art. 4 Abs. 2 der EU-Vogelschutzrichtlinie (u.a. Goldregenpfeifer) definiert. Zwei Drittel des Gebietes liegen in dem mit Verordnung des Beklagten vom 20.06.2005 (ABl. LVwA 2005, S. 135) festgesetzten Naturschutzgebiet "Ohre-Drömling". Darüber hinaus liegt das Gebiet in dem mit Verordnung des Ministerrats der Deutschen Demokratischen Republik vom 12.09.1990 (GBl. 1990, Sonderdruck Nr. 1478) festgesetzten Naturpark "Drömling".
- 5
Etwa 650 m südlich des Vorhabengebietes liegt die Speetzeniederung, die auch als Nahrungshabitat für im südlichen Teil des Vogelschutzgebietes Drömling rastende oder brütende Vögel dienen kann. Der Bachlauf der Speetze ist als FFH-Gebiet "Speetze und Krummbek im Ohre-Aller-Hügelland" (DE 3633-301; FFH0023) unter Schutz gestellt.
- 6
Im Genehmigungsverfahren legte die Klägerin einen avifaunistischen Fachbeitrag des Ingenieurbüros P. (Dipl.-Ing. W.) zur Erweiterung des Windparks L. vom 20.11.2006 vor. Die Arbeit baute auf einem avifaunistischen Fachbeitrag vom 10.07.2005 auf, der für den bereits genehmigten Windpark L. angefertigt worden war. Neue Daten oder Kartierungsergebnisse wurden nicht einbezogen. Zusammenfassend wurde ausgeführt, durch das Vorhaben würden keine größeren Rastvogeltrupps oder wertvolle Rastplätze direkt betroffen. Es komme auch nicht zu direkten Beeinträchtigungen von Brutplätzen. Das Vorhaben sei auch mit dem Vogelschutzgebiet Drömling verträglich, da die Abstände zu weiteren Windparks bzw. Eignungsgebieten groß genug seien und die dazwischen liegenden Korridore bestehen blieben.
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Am 01.03.2007 nahm die Naturparkverwaltung Drömling hierzu Stellung. Das Maß der Beeinträchtigung der Funktion des Vogelschutzgebiets Drömling als Rastgebiet für mehrere von der Vogelschutzrichtlinie geschützte Vogelarten könne anhand der vorliegenden Unterlagen nicht eingeschätzt werden, da der Untersuchungszeitraum zu kurz gewesen sei. Es sei eine mehrjährige (mindestens dreijährige) Untersuchung notwendig, da die Rastvogelzahlen jährlich schwankten. Es fänden regelmäßig Zugbewegungen vom Drömling in die Speetzeniederung statt, die in den einzelnen Jahren recht unterschiedlich verlaufen könnten. Von den Windkraftanlagen gehe insoweit eine Barrierewirkung aus.
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Ähnlich äußerte sich die untere Naturschutzbehörde des Landkreises Börde in einer Stellungnahme vom 26.03.2007. Die Erheblichkeit möglicher Beeinträchtigungen der Erhaltungsziele des Vogelschutzgebietes Drömling könne anhand der vorliegenden Unterlagen nicht eingeschätzt werden. Es sei eine 3-jährige Untersuchung für den gesamten Südrand des Drömling (Höhenrücken zwischen Drömling und Speetzetal) durchzuführen. Ökologische Funktionen, die durch den Windpark beeinträchtigt werden könnten, wie z.B. das allgemeine Zug- und Rastverhalten der Zugvögel in diesem Bereich, also insbesondere Flughöhen, Hauptzugswege im Frühjahr und Herbst, Rastflächen, Nahrungsflächen und Übernachtungsgewässer, die für die Funktionsfähigkeit des Drömling als Brut- und Rastgebiet unerlässlich seien, seien nicht betrachtet worden. Zudem seien in den Jahren 2005 und 2006 in einer Entfernung von ca. 500 m bzw. 600 m östlich bzw. nördlich der geplanten Anlagenstandorte Wiesenweihenbrutplätze festgestellt worden. Aufgrund des Kollisionsrisikos sei ein Bereich von 3.000 m um den Horst der Wiesenweihe von Windenergieanlagen freizuhalten.
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In einem Schreiben vom 15.05.2007 äußerte die Staatliche Vogelschutzwarte Steckby die Auffassung, der Windpark L. sei aus naturschutzfachlicher Sicht, insbesondere aus Sicht des Vogelschutzes, an dieser Stelle nicht vertretbar. Die vorliegenden Unterlagen seien nicht ausreichend, um zweifelsfrei auszuschließen, dass das Vorhaben zu erheblichen Beeinträchtigungen des Vogelschutzgebietes Drömling führen könne. Erforderlich seien mehrjährige Untersuchungen. Hauptflugkorridore zwischen Schlaf- und Nahrungsplätzen, insbesondere von Kranichen, Schwänen und Gänsen, seien von Windkraftanlagen freizuhalten. Zur Feststellung solcher Korridore sei eine längere Untersuchungszeit erforderlich. Auch das Zusammenwirken mit anderen Plänen und Projekten, insbesondere solchen westlich, nördlich und östlich des Drömling sowie mit solchen außerhalb der Windkraftnutzung, seien nicht hinreichend untersucht worden. Zudem sei die Neuansiedlung eines Revierpaares vom Seeadler sowie das vermehrte Auftreten der Wiesenweihe (3 – 6 Paare) im Untersuchungsraum nicht hinreichend beachtet worden.
- 10
In einem weiteren avifaunistischen Fachbeitrag des Büros für Ökologie, Naturschutz und räumliche Planung (Dipl.-Ing., Dipl.-Biol. S.) zur Erweiterung des Windparks L. vom 12.04.2008 wird die Untersuchung aus dem Jahr 2005 um weitere Brut- und Rastvogelkartierungen ergänzt und zusammenfassend bewertet. Zu dem bereits genehmigten Windpark L. wurde ausgeführt, dieser könne für sich allein keine negativen Auswirkungen auf die Avifauna im 2 km entfernten Vogelschutzgebiet Drömling haben. Brutvögel seien nicht unmittelbar betroffen. Auch die mögliche Beeinträchtigung von rastenden Kiebitzen über 2 km vom Drömling entfernt lasse keine Beeinträchtigung im Sinne der Vogelschutzrichtlinie erwarten. Genauso sei das potentielle Schlagrisiko für einige Greifvögel zu werten. Das bloße Schlagrisiko in mehr als 2 km Entfernung zum Schutzgebiet könne nicht als erheblich eingestuft werden. Auswirkungen auf das Schutzgebiet selbst seien nicht zu erwarten. Dies gelte auch bei Betrachtung kumulierender Wirkungen.
- 11
Ein Gutachten von Dr. R. (A. GmbH) und Dipl.-Ing., Dipl.-Biol. S. vom 27.05.2008 bewertet die Verträglichkeit der Erweiterung des Windparks L. mit den Erhaltungszielen des Vogelschutzgebietes Drömling und gelangt zu dem Ergebnis, dass der Windpark nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Erhaltungsziele des Vogelschutzgebietes Drömling führe.
- 12
In einer naturschutzfachlichen Stellungnahme des Büros für Landschaftsökologie M. (Dipl.-Ing. L.) vom 30.06.2011 wird ausgeführt, die Vorgehensweise und die Ableitungen in der vorliegenden FFH-Verträglichkeitsprüfung seien plausibel. Erhebliche Auswirkungen auf das lokale Rast- und Äsungsgeschehen durch die geplanten Windenergieanlagen seien aufgrund der bestehenden Vorbelastung nicht zu erwarten. Bereits durch die vorhandenen Anlagen werde im 500-m-Radius eine Fläche von etwa 316 ha als potenzieller Rast- und Äsungsraum entzogen, weitere 760 ha würden im 1.000-m-Radius devastiert. Bei zusätzlicher Errichtung der geplanten Anlagen sei mit einem Entzug von etwa 100 ha sowie einer Devastierung von weiteren 140 ha zu rechnen. Im Verhältnis zu der bereits durch den bestehenden Windpark belasteten Fläche und unter Beachtung des im Umfeld zur Verfügung stehenden Potentials von Flächen gleicher oder höherer Wertigkeit lasse sich keine Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle ableiten. Auch eine Unterschreitung der Mindestabstandsempfehlungen zu bekannten Horsten bzw. Brutplätzen von Großvogelarten, etwa der Wiesenweihe, sei nicht erkennbar.
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Zur Fledermausproblematik legte die Klägerin ein ergänzendes Abschaltkonzept zum Fachbeitrag "Fledermäuse" zur Erweiterung des bestehenden Windparks L. der M. & R. GbR (Dipl.-Biol. R.) von November 2010 vor. Hierzu erklärte die Obere Naturschutzbehörde mit Vermerken vom 20.12.2010 und 17.02.2011, eine Abschaltung der drei wegen Beeinträchtigungen von Fledermäusen als artenschutzrechtlich problematisch eingeschätzten Windenergieanlagen entsprechend dem eingereichten Abschaltkonzept sei ausreichend, soweit die Verträglichkeit des Vorhabens mit den Erhaltungszielen des Vogelschutzgebietes Drömling nachgewiesen werde.
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Mit Bescheid vom 25.07.2011 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin vom 17.01.2007 ab. Zur Begründung führte er aus, die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens sei nicht prüfbar, da dessen Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen des Vogelschutzgebietes Drömling nicht ausreichend untersucht worden sei. Durch die Errichtung von Windkraftanlagen außerhalb eines Vogelschutzgebietes könne ein Funktionsverlust des Schutzgebietes zu besorgen sein, etwa wenn sie die Gefahr einer möglichen Verriegelung des Gebietes mit sich brächten oder wenn sie eine Barrierewirkung dergestalt entfalteten, dass die Vögel daran gehindert werden, das Schutzgebiet zu erreichen oder zwischen Nahrungs- und Rastplätzen, die sich jeweils in einem Schutzgebiet befänden, zu wechseln. Daher sei im vorliegenden Verfahren die Verträglichkeit des Vorhabens mit den Schutz- und Erhaltungszielen des Vogelschutzgebietes Drömling zu prüfen. Ein Vorhaben dürfe nur dann zugelassen werden, wenn die Gewissheit bestehe, dass es sich nicht nachteilig auf das Gebiet als solches auswirke. Dieser Nachweis habe nicht erbracht werden können. Es könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass die Errichtung und der Betrieb der streitgegenständlichen Windkraftanlagen nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen des Vogelschutzgebietes Drömling in seiner Funktion als Durchzugs-, Rast- und Überwinterungsgebiet der geschützten nordischen Gänsearten Bläss-, Saat- und Graugans sowie des Goldregenpfeifers und des Kranichs führe. Eine Beeinträchtigung des Vogelschutzgebietes Drömling durch eine Barrierewirkung infolge der Errichtung weiterer Windkraftanlagen im Vorhabengebiet L.-R., die zu einer Störung des Flugverhaltens der Gänse beim Pendeln zwischen Schlaf-, Nahrungs- und Komfortflächen mit negativen Auswirkungen auf die Populationsgröße führen könne, sei nach dem derzeitigen Forschungsstand nicht mit der erforderlichen Gewissheit ausgeschlossen. Dem stehe nicht entgegen, dass die Windkraftanlagen die empfohlenen Schutzabstände einhielten, denn diese seien nur als allgemeine Hinweise zu verstehen, während bei einer Entscheidung über die Zulassung einer Windkraftanlage auf die konkrete Situation vor Ort abgestellt werden müsse. Daher könne nur eine auf den konkreten Einzelfall abgestellte mehrjährige Untersuchung der Rastplätze, Nahrungsflächen und Zuwege insbesondere der o. g. fernziehenden Vogelarten zu einer sicheren Bewertung der Gefährdung der Schutz- und Erhaltungsziele des Vogelschutzgebietes beitragen. Das Vorhaben führe darüber hinaus zu einem erheblichen Totschlagsrisiko für die dort brütende Wiesenweihe. Auch die Stellungnahme des Büros M. vom 30.06.2011 führe nicht zu einer geänderten Bewertung der Windparkerweiterung.
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Am 11.08.2011 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Klage erhoben.
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Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren hat sie eine faunistische Sonderuntersuchung der Durchzügler und Wintergäste im Bereich des Windparks L.-R. durch das Büro M. (Dipl.-Ing. L.) vom 31.08.2012 vorgelegt. Untersuchungsgebiet war der Raum in einem Radius von 2.000 m um die geplanten WEA-Standorte. Begehungen fanden in der Zeit von September 2011 bis April 2012 an 16 Tagen und im Zeitraum Juli bis August 2012 an 4 Tagen statt. Insgesamt seien bei den Erfassungen 117 Vogelarten nachgewiesen worden. Eine Artenliste nebst Angabe der Anzahl der Nachweise sowie der maximalen Truppstärke enthält Tabelle 1 (S. 8 – 12). Zudem wurde der Status der Vögel als Durchzügler (DZ), Standvogel (SV) (Art, die im Umfeld des Brutgebietes überwintert), überfliegend (Üf) oder Wintergast (WG) angegeben.
- 17
Darüber hinaus hat die Klägerin eine zusammenfassende avifaunistische Bewertung der Erweiterung des Windparks L.-R. durch das Büro M. (Dipl.-Ing. L.) vom 13.08.2013 vorgelegt. Grundlage hierfür waren folgende Untersuchungen:
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Vogelart
Jahr
Zeitraum
Begehungen
Radius
Brutvögel
2004
03/2004 bis 08/2004
11 (+4)
500/1.000/2.000m
Brutvögel
2006
03/2006 bis 07/2006
11
500/1.000/2.000m
Rastvögel, Durchzügler, Wintergäste
2004/2005
02/2004 bis 04/2004 06/2004 bis 03/2005
30
2.000 m
Rastvögel, Durchzügler, Wintergäste
2006/2007
07/2006 bis 03/2007
25
2.000 m
Rastvögel, Durchzügler, Wintergäste
2011/2012
09/2011 bis 04/2012
07/2012 bis 08/201220
2.000 m
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Die einschlägigen Abstandsempfehlungen zu Horsten, Brutplätzen oder Brutgebieten bestimmter Brutvögel wurden in Tabelle 5 und zu Rast- und Durchzugsgebieten einzelner Rast- und Zugvögel in Tabelle 6 angegeben. Bewertet wurden die Auswirkungen des Vorhabens auf Brutvögel (S. 17 – 29) und Rastvögel, Durchzügler und Wintergäste (S. 30 – 40).
- 20
Mit Blick auf die Brutvögel wird ausgeführt, durch das Vorhaben sei mit einer Beeinträchtigung der Wachtel durch Vergrämung zu rechnen. Diese werde ihre Reviere verlagern oder Habitatteile aufgeben. Negative Auswirkungen auf die Bestandsdynamik der lokalen Population würden jedoch nicht hervorgerufen (S. 19). Zudem könne die Erweiterung des Windparks zu einer Erhöhung der Barrierewirkung für die im Umfeld brütenden Großvogelarten, insbesondere den Weißstorch, z.B. auf den Transferflügen zwischen den Horstplätzen und den Nahrungsgebieten, führen. Zumindest ein gelegentliches Überfluggeschehen könne nicht ausgeschlossen werden, wobei die Tiere den Windpark ggf. nicht passieren oder überfliegen, sondern umfliegen. Durch die Erweiterung des Windfeldes komme es bei der Ost-West-Achse von derzeit 980 m zu einer Ausdehnung von ca. 250 m (25,3 %) und in der Nord-Süd-Achse um eine Verlängerung von 1.620 m um 235 m (14,5 %) (S. 20). Damit verstärke die Erweiterung des Windparks die Barrierewirkung der vorhandenen Anlagenkonfiguration. Die Ausdehnung der Achse bzw. Barriere sei jedoch nur geringfügig. Im Vergleich zur aktuellen Situation sei zwar eine zusätzliche Beeinträchtigung anzunehmen; diese überschreite die Erheblichkeitsschwelle jedoch nicht (S. 22). Das Risiko des Vogelschlags wird im Hinblick auf 12 Vogelarten bzw. Artengruppen untersucht (Tabelle 8):
- 21
- Für die Arten Graureiher, Schwarzstorch, Weißstorch, Rohrweihe, Schwarzmilan, Seeadler, Baumfalke, Kranich, Wachtelkönig und Sumpfohreule sowie Wiesenbrüter (insbesondere Limikolen) sei keine (regelmäßige) Unterschreitung der Mindestabstände erkennbar.
- 22
- Für den Rotmilan lägen derzeit keine konkreten Daten vor, die eine Unterschreitung des Mindestabstands belegten.
- 23
- Bei der Wiesenweihe sei mehrfach eine Unterschreitung des Mindestabstandes von 1.000 m zu verzeichnen. Einen Überblick über das Brutvorkommen der Wiesenweihe im Zeitraum 2004 – 2012 im Umkreis von 6 km um die Anlagen bietet die Plananlage 1 vom 06.04.2013 (GA Bl. 148). Hierdurch bestehe bereits an den bestehenden Anlagen ein Risiko für Kollisionen der im Umfeld brütenden Paare der Wiesenweihe. Inwieweit durch die geplante Erweiterung des Windparks eine spürbare Erhöhung des Tötungsrisikos gegenüber dem Bestand erfolge, lasse sich nicht mit ausreichender Sicherheit prognostizieren (S. 29).
- 24
Zu den Rastvögeln, Durchzüglern und Wintergästen wurde ausgeführt, durch deren Meideverhalten komme es durch den von dem Betrieb der Anlagen ausgelösten Scheuch- und Vergrämungseffekt zu einem Verlust von Nahrungsgebieten und Rastflächen. Bei Errichtung der geplanten Anlagen gingen für Kiebitz und Goldregenpfeifer zusätzlich 79 ha potentieller Rast- und Nahrungsraum verloren. Bei Saat- und Blässgans sowie Kranich sei mit einem Entzug von ca. 96 ha und einer Devastierung von 137 ha zu rechnen. Im Verhältnis zu der bereits durch den bestehenden Windpark belasteten Fläche und unter Beachtung des im Umfeld zur Verfügung stehenden Potentials von Flächen gleicher oder höherer Wertigkeit lasse sich jedoch keine Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle ableiten (S. 33). Zudem komme es im Vergleich zur aktuellen Situation zu einer Verstärkung der Barrierewirkung; es sei jedoch nicht zu erwarten, dass diese die Erheblichkeitsschwelle erreiche (S. 33). Im Hinblick auf das Kollisionsrisiko werde die Einhaltung von Mindestabständen empfohlen. Insoweit ergebe sich Folgendes (Tabelle 13):
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- Im Hinblick auf den Kranich, die Saat- und Blessgans, den Sing- und Zwergschwan sowie den Kiebitz sei keine Unterschreitung des Mindestabstandes erkennbar.
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- Im Hinblick auf den Goldregenpfeifer wird auf die einschlägige Empfehlung hingewiesen, wonach ein Abstand von 1.000 m zu Gebieten eingehalten werden soll, in denen regelmäßig mindestens 200 Goldregenpfeifer rasten. In der Vergangenheit (2004/2005) seien in der nur 650 m entfernten Speetze-Niederung regelmäßig Nachweise von Truppstärken von mehr als 200 erfolgt. Dies spreche dafür, dass vor der Errichtung der Bestandsanlagen die Speetze-Aue regelmäßig auch von größeren Truppstärken zur Rast genutzt worden sei. Nach Errichtung der Bestandsanlagen lägen keine Beobachtungen mehr vor, die für eine regelmäßige Rast in diesem Bereich sprächen. Wegen des Fehlens langjähriger Erfassungsreihen könne nicht abschließend abgeleitet werden, dass die Art dort noch in relevanten Beständen raste. Für die drei südlichen Bestandsanlagen und die geplante Anlage Rä2 könne daher nicht mit letztlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass es zu einer Unterschreitung des empfohlenen Mindestabstandes komme (S. 35).
- 27
- Die empfohlenen Mindestabstände zu Europäischen Vogelschutzgebieten, nationalen Schutzgebieten mit Vogelschutz im Schutzzweck, Ramsar-Gebieten, Gastvogellebensräumen internationaler, nationaler und landesweiter Bedeutung, Gastvogellebensräumen regionaler und lokaler Bedeutung, Gewässer oder Gewässerkomplexe >10 ha, traditionellen Überwinterungsgebieten von Greifvögeln und Eulen mit hohen Individuendichten und Gewässer mit Konzentrationen von regelmäßig >1.000 Wasservögeln (ohne Gänse) würden eingehalten. In einen Zugkonzentrationskorridor werde nicht eingegriffen. Nicht ausgeschlossen sei, dass die drei südlichen Bestandsanlagen und die geplante Anlage Rä2 den empfohlenen Mindestabstand von 1.000 m zur Hochwassergrenze eines Gewässers 1. Ordnung mit Zugleitlinienfunktion unterschreiten. Bei der ca. 700 m entfernten Speetze könnte es sich für den Goldregenpfeifer um ein solches Gewässer mit Zugkorridorfunktion handeln. Dies könne jedoch derzeit nicht abschließend abgeleitet werden (Seite 38).
- 28
Als Maßnahmen zur Vermeidung der Beeinträchtigung bzw. Schädigung von Niststätten sowie Gelegen und Jungtieren von Bodenbrütern bzw. zur Vermeidung baubedingter Vergrämung bei den im Umfeld brütenden Revierpaaren wird vorgeschlagen, die Baumaßnahmen außerhalb des Zeitraums 1. März bis 30. September durchzuführen (V01, S. 41). Das Tötungsrisiko für Wiesenweihen lasse sich durch Abschaltung der Anlagen während der Balz deutlich reduzieren. Soweit innerhalb des 1.000-m-Umfelds der Anlagen Aktivitäten zur Brutplatzwahl festgestellt würden, sei in den betreffenden Jahren eine Änderung des Betriebsregimes der Windenergieanlagen die einzige effektive Möglichkeit, Tötungen zu vermeiden. Die geplanten Windenergieanlagen sollten daher während der Balzphase jeweils von einer Stunde vor Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang abgeschaltet werden (V02, S. 41). Zur Absicherung eines ausreichenden Angebots an als Rastflächen für den Goldregenpfeifer geeigneten Grünlandflächen könne im Bereich der Niederungen von Speetze und Aller präventiv Ackerland in Grünland umgewandelt werden (V03, S. 41).
- 29
In der abschließenden artenschutzrechtlichen Würdigung kommt der Gutachter zu dem Ergebnis, ein Verstoß gegen das Tötungsverbot sei nicht zu erwarten. Eine Tötung oder Verletzung von Gelegen oder Jungtieren bei bodenbrütenden Arten werde durch die jahreszeitliche Steuerung der Baumaßnahmen gemäß V01 vermieden. Bei Abschaltung der Anlagen in Brutjahren gemäß V02 bestehe auch für die Wiesenweihe innerhalb der Balzphase kein Kollisionsrisiko mehr. Bei allen anderen Spezies ergebe sich kein betriebsbedingtes Tötungsrisiko durch Vogelschlag oberhalb des allgemeinen Lebensrisikos. Es sei auch kein Verstoß gegen das Verbot der erheblichen Störung zu erwarten. Der anlage- und betriebsbedingte Verlust von Lebensräumen stelle bei den Brutvögeln keine solche Störung dar. Auch die von dem Vorhaben ausgehende Barrierewirkung sei aufgrund der vorhandenen Vorbelastung nicht erheblich. Bei Rastvögeln und Durchzüglern sei das Störungsverbot nicht einschlägig, da diese keine lokale Population i.S.d. § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG bildeten. Ein Verstoß gegen das Verbot der Schädigung von Niststätten gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 3 BNatSchG sei bei Umsetzung der Vermeidungsmaßnahme V01 nicht zu erwarten (S. 42 – 43).
- 30
Die Klägerin hat vorgetragen, dem Vorhaben stünden keine öffentlichen Belange entgegen. Die Verträglichkeit mit dem Vogelschutzgebiet Drömling sei wegen des Abstandes zu dem Windpark von ca. 2 km gegeben. Die Forderung nach einer 3-jährigen Kartierung sei willkürlich. Im Übrigen hat sie auf die vorgelegten avifaunistischen Gutachten des Büros M. Bezug genommen. Diese belegten, dass die beantragten Windenergieanlagen an den vorgesehenen Standorten genehmigungsfähig seien, wenn auch nur mit gewissen Einschränkungen.
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Die Klägerin hat beantragt,
- 32
den Bescheid des Beklagten vom 25.07.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihr eine Genehmigung gemäß § 4 BImSchG zur Errichtung und zum Betrieb von 8 Windenergieanlagen des Typs Enercon E-70 E-4 auf den Flurstücken 76/44 der Flur A der Gemarkung B., 17/1 der Flur B der Gemarkung R., 2/2 der Flur A der Gemarkung R., 199/31, 205/27, 299/27, 149/23, 223/68, alle der Flur B der Gemarkung L., gemäß ihrem Antrag vom 17.01.2007 zu erteilen.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er hat den angefochtenen Ablehnungsbescheid verteidigt und ergänzend ausgeführt, die vorliegenden avifaunistischen Fachgutachten seien nicht ausreichend, um die Verträglichkeit der beantragen Windenergieanlagen mit den Schutz- und Erhaltungszielen des Vogelschutzgebietes Drömling sicher zu belegen. Die Untersuchungen zu den Zug- und Rastvögeln aus den Jahren 2004/2005 und 2006/2007 litten an methodischen Mängeln. Erforderlich zur Erfassung des Zug-, Rast-, Wander- und Überwinterungsgeschehens sei eine wöchentliche Untersuchung von Mitte Juli bis Mitte Mai des Folgejahres. Hierzu hätten 44 Untersuchungstermine stattfinden müssen. In der Studie 2004/2005 sei das Zug- und Rastgeschehen aber nur an 30 Tagen, in der Studie 2006/2007 nur an 25 Tagen untersucht worden. In den vorliegenden Gutachten fehlten auch Aussagen dazu, wie sich der Rast- und Nahrungsflächenentzug und die Barrierewirkung auf den Rast- und Zugvogelbestand des Vogelschutzgebietes auswirkten. Durch die Beeinträchtigung der Verbindung zwischen angestammten Schlaf- und Nahrungsflächen infolge des Barriereeffekts und die Kollisionsgefahr könne der Kranichzug erheblich gestört werden. Großräumiges Ausweichen und Zugumkehr könnten die Folge sein. Hierdurch könnten traditionelle Rast- bzw. Schlafplätze aufgegeben werden. Berücksichtige man neben dem bestehenden Windpark R. und der geplanten Erweiterung auch den Windpark bei W. einschließlich der Meidungsabstände von bis zu 1.000 m, so ergebe sich am Südrand des Vogelschutzgebietes eine Barrierewirkung für von Südwest auf dem Frühjahrszug durchziehende Kraniche auf ca. 7 km Breite. Dies entspreche einem Störungsbereich von 26,9 % auf der Gesamtlänge der Südgrenze des Vogelschutzgebietes (26 km von NW nach SO). Darüber hinaus befinde sich im westlich angrenzenden Niedersachsen ebenfalls ein Windpark in 8 km Entfernung zur Südgrenze des Vogelschutzgebietes Drömling. Dieser Störungsbereich (ca. 4 km breit) für durchziehende Kraniche und Gänse könne möglicherweise zu einer Verstärkung der Barrierewirkung der beiden genannten Windparks beitragen. Unter Berücksichtigung der genannten Stör- und Barrierewirkungen der Windenergieanlagen gegenüber ziehenden Kranichen sei eine Verträglichkeit des Vorhabens mit den Schutz- und Erhaltungszielen des Vogelschutzgebietes Drömling nicht gegeben. Dem Vorhaben stünden aber auch artenschutzrechtliche Versagungsgründe entgegen. Im Untersuchungsraum des Windparks seien 7 – 9 Revierpaare der Wiesenweihe bekannt. Diese unterlägen einer erhöhten Schlaggefährdung durch Windenergieanlagen. Bei der Untersuchung im Jahr 2006 sei ein Wiesenweihenbrutplatz nur 400 m vom Standort der Windenergieanlage EC Rä1 entfernt ausgemacht worden. In den Jahren 2008 – 2010 seien in einem Umkreis von 1.000 m um die Anlagen insgesamt 4 Wiesenweihenbrutplätze beobachtet worden (2 Brutplätze in 2008 und je 1 Brutplatz in 2009 und 2010). Im Jahr 2011 hätten zwei Wiesenweihenpaare die Brut im Nahbereich der bestehenden Windenergieanlagen begonnen. Auch im Jahr 2013 seien im südöstlichen Bereich des Windparks zwei Brutplätze der Wiesenweihe festgestellt worden. Zu Brutplätzen der Wiesenweihe sei ein Mindestabstand von 1.000 m einzuhalten. Die Erweiterung des Windparks L.-R. könne daher auf Grund der neuesten Erkenntnisse zum erhöhten Schlagrisiko der Wiesenweihe an Windenergieanlagen sowie infolge des Nachweises mehrerer Wiesenweihenbruten im Tabubereich nicht zugelassen werden. Der Zulässigkeit des Vorhabens stünden auch die Schutzabstände zu den Brut- und Nahrungsgebieten des Weißstorchs entgegen. Für mehrere Weißstorchbrutpaare aus der Umgebung des Windparks könne die Windpark-Erweiterung eine Barriere zwischen Brutplatz und Nahrungshabitat darstellen, auch wenn sich die Windenergieanlagen außerhalb der Tabuzone von 1.000 m um den jeweiligen Horst befänden. Bezüglich des Weißstorches sei innerhalb eines Prüfbereichs von 6 km um die Windenergieanlagen zu prüfen, ob Nahrungshabitate der betreffenden Art vorhanden seien. Diese seien einschließlich der Flugwege dorthin von Windenergieanlagen freizuhalten. Innerhalb des Prüfbereichs von 6.000 m befänden sich 6 besetzte Horste des Weißstorchs. Zwei Windenergieanlagen-Standorte am Südrand des Windparks (EC Rä2 und EC Lo6) seien auch zum Schutz traditioneller Rastplätze des Goldregenpfeifers unzulässig. Die Speetzeniederung südlich des Windparks sei ein Rastplatz des Goldregenpfeifers. Trupps durchziehender Goldregenpfeifer erreichten regelmäßig eine Kopfstärke von mehr als 200 Tieren. Zu Rastgebieten, in denen regelmäßig mindestens 200 Goldregenpfeifer rasteten, sei ein Schutzradius von 1.000 m einzuhalten. Zudem sei in den Jahren 2012 und 2013 im Umkreis von 1.000 m um sechs der geplanten Windkraftanlagen ein Rotmilanhorst festgestellt worden.
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Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
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Mit Urteil vom 22.08.2013 – 2 A 184/11 MD – hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dem Vorhaben stünden Belange des Naturschutzes unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Vogelschutzgebietes Drömling entgegen. Es sei nicht auszuschließen, dass das Vorhaben zu nachteiligen Auswirkungen auf das Zug- und Rastgeschehen im Drömling und zu einer Entwertung dieses Gebietes als Rast- und Überwinterungsgebiet für die nordischen Gänsearten Bläss-, Saat- und Graugans sowie für den Goldregepfeifer und den Kranich führe. Die Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Genehmigung beurteile sich nach der Vogelschutzrichtlinie (Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.11.2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten – VRL). Da das Vogelschutzgebiet Drömling bislang noch nicht im Sinne des Art. 4 Abs. 1 VRL zum Schutzgebiet erklärt worden sei, unterliege es als "faktisches" Vogelschutzgebiet dem Rechtsregime des Art. 4 Abs. 4 VRL. Das Vorhaben der Klägerin sei mit dieser Vorschrift nicht vereinbar. Eine Beeinträchtigung des Vogelschutzgebietes Drömling sei nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil das Vorhaben außerhalb des Schutzgebietes liege. Erhebliche Gebietsbeeinträchtigungen könnten auch von außerhalb des Schutzgebietes gelegenen Vorhaben ausgehen, soweit sie innerhalb des Vogelschutzgebietes wirkten. Die Behörde dürfe ein Vorhaben nur dann zulassen, wenn sie zuvor Gewissheit darüber erlangt habe, dass dieses sich nicht nachteilig auf das Gebiet als solches auswirke. Die Verträglichkeit der streitbefangenen Windenergieanlagen mit dem Schutzzweck des Vogelschutzgebietes Drömling sei nicht nachgewiesen. Es lasse sich anhand der von der Klägerin vorgelegten FFH-Verträglichkeitsuntersuchung nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, dass deren Errichtung und Betrieb nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen dieses Vogelschutzgebietes führe, da diese aufgrund einer unzureichenden Tatsachengrundlage erfolgt sei. Die von der Klägerin bislang vorgelegten Kartierungen zum Zug- und Rastverhalten der Gastvögel böten keine taugliche Grundlage, um etwaige Beeinträchtigungen als ausgeschlossen zu bewerten. Konkrete Anforderungen an die avifaunistischen Untersuchungen zum Zweck der Bestandserhebung und Bewertung im Rahmen von Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen ergäben sich aus den Abstandsempfehlungen der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG-VSW) und aus den Hinweisen des Niedersächsischen Landkreistages zur Berücksichtigung des Naturschutzes und der Landschaftspflege bei Standortplanung und Zulassung von Windenergieanlagen (NLT-Papier). Diese seien zwar für das Gericht nicht bindend, enthielten aber eine Zusammenfassung der in Fachkreisen zu der Problematik gewonnenen aktuellen Erkenntnisse, so dass aus ihnen – naturschutzfachlich vertretbar – die maßgeblichen Anforderungen für die avifaunistische Bestandserhebung und Bewertung im Rahmen von Genehmigungsverfahren für Windenergieanlagen abgeleitet werden könnten. Diese Anforderungen, deren Anwendung im vorliegenden Fall geboten und sachgerecht sei, würden durch die von der Klägerin beigebrachten Kartierungen und Untersuchungen nicht erfüllt. Es sei notwendig, das Durchzugs-, Rast- und Überwinterungsverhalten der geschützten nordischen Gänsearten Bläss-, Saat- und Graugans sowie des Goldregenpfeifers und des Kranichs im Vorhabengebiet und dessen näherer Umgebung zu erfassen. Der Drömling habe als Rast- und Überwinterungsgebiet für diese Vogelarten eine große Bedeutung. Zudem seien das Vorhabengebiet und dessen nähere Umgebung jedenfalls bis zur Errichtung der ersten 9 Windenergieanlagen ein bedeutendes Nahrungshabitat für die im Vogelschutzgebiet rastenden Kraniche und nordischen Gänse gewesen. Hinzu trete die besondere Lage des Vorhabengebietes zwischen dem im Norden gelegenen Drömling und der Speetze-Aue im Süden. Vor diesem Hintergrund bestehe hinreichender Anlass, das Rast- und Gastvogelgeschehen sowie den Vogelzug systematisch entsprechend der genannten Anforderungen zu erfassen. Nur dann lasse sich mit der erforderlichen Gewissheit ausschließen, dass das geplante Vorhaben zu einer beachtlichen Verlagerung der Rastgebiete und einer Beeinträchtigung bestehender Zugkorridore im Sinne einer Barrierewirkung führe. Eine solche systematische Erfassung liege nicht vor. Die im NLT-Papier festgelegten Anforderungen würden durch die von der Klägerin beigebrachten Kartierungen und Untersuchungen aus den Jahren 2004/2005, 2006/2007 und 2011/2012 nicht erfüllt. Erforderlich sei eine wöchentliche Gastvogelerfassung auf der gesamten Fläche des Untersuchungsraumes von der ersten Juli-Woche bis zur letzten April-Woche des Folgejahres. Die bisherigen Begehungen seien jedoch nicht wöchentlich, sondern in einem Abstand von 9 – 11 Tagen erfolgt. Infolge des gewählten größeren Abstandes zwischen den einzelnen Untersuchungsterminen sei nicht ausgeschlossen, dass auch größere Durchzugswellen von Rast- und Gastvögeln nicht erfasst worden seien. Unzureichend sei auch der gewählte Untersuchungsraum. Bei Vogelarten mit größeren Raumansprüchen – wie z.B. dem Kranich – beschränke sich dieser nicht auf einen Radius von 2.000 m im Umkreis der Gesamtanlagenfläche. Vielmehr seien auch Interaktionsräume dieser Vogelarten (u.a. Wander- und Zugkorridore) zu berücksichtigen, die über diesen Mindestabstand hinausgehen könnten. Bei Rotmilanen und Kranichen sei ein Meideverhalten bis zu einer Distanz von 3.000 m erkennbar. Daher sei insbesondere bei Kranichen ein Untersuchungsraum von mindestens 3.000 m im Umkreis der Gesamtanlagenfläche geboten, um das Zuggeschehen sachgerecht erfassen und die hierauf bezogenen anlagenbedingten Störungen hinreichend bewerten zu können. Eine anlagenbedingte Verlagerung bzw. Zerstörung von Rastflächen und Zugkorridoren der geschützten Vogelarten könne auch deshalb nicht mit der erforderlichen Gewissheit ausgeschlossen werden, weil es hierfür mehrjähriger, systematischer und ausreichend dokumentierter Erfassungen bedürfe, die hier nicht vorlägen. Im Hinblick auf das streitgegenständliche Vorhaben fehle es an einer mehrjährigen sorgfältig dokumentierten Erfassungsreihe, da die Feststellungen aus den Erfassungen 2006/2007 nicht konkret verortet seien und damit für den Zeitraum nach Errichtung der ersten 9 Windenergieanlagen im Jahr 2006 nur die Feststellungen aus den Erfassungen 2011/2012 vorlägen, denn nur bei diesen sei die Anzahl der rastenden Vögel und die räumliche Verteilung der rastenden Vogeltrupps kartiert worden. Dem stehe nicht entgegen, dass die streitgegenständlichen Windenergieanlagen in einem im REP MD ausgewiesenen Eignungsgebiet errichtet werden sollten, denn dies bedeute nicht, dass die entsprechenden Vorhaben dort ohne weitere Prüfung zugelassen werden müssten. Vor diesem Hintergrund könne offenbleiben, ob im Hinblick auf den Rotmilan und die Wiesenweihe wegen des bestehenden Kollisionsrisikos ein Verstoß gegen das Verletzungs- und Tötungsverbot vorliege.
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Die Klägerin trägt zur Begründung der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung vor, vorliegend sei nicht die VRL, sondern Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL i.V.m. § 34 BNatSchG anwendbar. Es liege eine Erklärung zum Schutzgebiet i.S.d. Art. 4 Abs. 1 VRL vor, die gemäß Art. 7 FFH-RL zu einem Wechsel des Schutzregimes geführt habe. Etwa zwei Drittel der Fläche des Vogelschutzgebietes Drömling liege in einem Naturschutzgebiet. Der Rest sei als Landschaftsschutzgebiet bzw. Naturpark ausreichend geschützt. Die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL i.V.m. § 34 BNatSchG würden eingehalten. Da das Gebiet des Drömlings in einer Entfernung von ca. 2.000 m zu den geplanten Anlagen liege, sei der Untersuchungsraum ausreichend groß bemessen. Eine Beeinträchtigung des FFH-Gebietes "Speetze und Krummbek im Ohre-Aller-Hügelland" erfolge nicht. Auch eine Beeinträchtigung des Vogelschutzgebietes Drömling durch die geplante Verdichtung der Anlagen sei ausgeschlossen. Die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens werde durch das M-Gutachten vom 13.08.2013 belegt. Das Verwaltungsgericht habe einen falschen Maßstab angelegt. Ein Ausschluss von Beeinträchtigungen sei nicht erforderlich. Maßgeblich sei vielmehr, ob die Beeinträchtigungen die Erheblichkeitsschwelle überschritten. Das sei hier nicht der Fall. Eine Verriegelungs- oder Barrierewirkung sei wegen der Entfernung von ca. 2.000 m zum Schutzgebiet nur geringfügig. Es sei unklar, ob ein etwaiger Rückgang der in der Speetzeniederung rastenden Vögel, insbesondere der Goldregenpfeifer, auf den Betrieb der Windenergieanlagen zurückzuführen sei. Ursache hierfür könne auch eine Veränderung der landwirtschaftlichen Nutzung der umliegenden Flächen sein. Schließlich folge die Verträglichkeit ihres Vorhabens mit den Erhaltungszielen des Schutzgebietes auch aus der Lage in einem in der Regionalplanung abgewogenen Eignungsgebiet. Dem Vorhaben stünden auch keine artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände entgegen. Insbesondere bestehe für den Rotmilan kein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko durch die Errichtung und den Betrieb der geplanten Windkraftanlagen. Die Auswirkungen von Windenergieanlagen auf Rotmilane würden überschätzt. In den letzten Jahren habe die Zahl der an Windenergieanlagen getöteten Rotmilane deutlich abgenommen und dessen Bestand stark zugenommen, obwohl sich gleichzeitig die Zahl der Windenergieanlagen stetig erhöht habe. Mindestabstände zwischen Windenergieanlagen und Rotmilanhorsten hätten keinen nennenswerten Einfluss auf das Tötungsrisiko. Die Klägerin verweist insoweit auf die Studie "Windenergie und Rotmilan: Ein Scheinproblem" der KohleNusbaumer SA, Lausanne, vom 15.01.2016. Im Hinblick auf die Wiesenweihe lägen keine belastbaren Untersuchungen für ein erhöhtes Kollisionsrisiko an Windenergieanlagen vor. Zudem kämen Nebenbestimmungen, wie etwa eine Abschaltauflage, zur Verminderung des Kollisionsrisikos in Betracht.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 22.08.2013 – 2 A 184/11 MD – zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung seines Ablehnungsbescheids vom 25.07.2011 zu verpflichten, ihr eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von 8 Windenergieanlagen des Typs Enercon E-70 E-4 (Nennleistung: 2,3 MW, Nabenhöhe: 98,2 m, Rotordurchmesser: 71 m, Gesamthöhe: 133,7 m) auf den Flurstücken 76/44 der Flur A der Gemarkung B., 17/1 der Flur B der Gemarkung R., 2/2 der Flur A der Gemarkung R. sowie 199/31, 205/27, 299/27, 149/23, 223/68, alle der Flur B der Gemarkung L., gemäß ihrem Antrag vom 17.01.2007 zu erteilen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Zur Begründung trägt er vor, das Verwaltungsgericht sei zu Recht von der Anwendbarkeit der VRL ausgegangen. Das Vogelschutzgebiet Drömling befinde sich nur zum Teil innerhalb des im Jahr 2005 ausgewiesenen Naturschutzgebietes "Ohre-Drömling". Für die außerhalb des Naturschutzgebietes liegenden Flächen fehle es an einer den Anforderungen der VRL entsprechenden Schutzgebietsausweisung. Die schon im Jahr 1990 erfolgte Ausweisung des Drömling als Landschaftsschutzgebiet bzw. Naturpark erfülle die Mindestanforderungen an eine Erklärung zu einem besonderen Schutzgebiet im Sinne des Art. 4 VRL bzw. Art. 7 FFH-RL nicht. Selbst wenn das Vorhaben nach Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL i.V.m. § 34 BNatSchG zu beurteilen sein sollte, würde dies nicht zu seiner Zulässigkeit führen. Das Vorhabengebiet und seine nähere Umgebung sei ein bedeutendes Nahrungshabitat für Kraniche und nordische Gänse, welche im Vogelschutzgebiet Schlafplätze nutzten. Nach den Erhebungen des Büros M in der Zugperiode 2011/2012 bestünden diese bedeutsamen Rastplätze für den Kranich und den Goldregenpfeifer im Bereich des geplanten Windparks und in dessen Nähe nicht mehr bzw. nur noch in seinem sehr reduzierten Umfang. Diese Rastplatzaufgabe bzw. -zerstörung sei Folge der im Jahr 2006 zugelassenen 9 Windenergieanlagen. Die Errichtung dieser Windenergieanlagen sei somit eine erhebliche Beeinträchtigung des Vogelschutzgebietes Drömling, denn wegen der Barrierewirkung von Windenergieanlagen für den Kranich und den Goldregenpfeifer könne eine Beeinträchtigung der bisherigen Flugkorridore dieser Arten von und zum Vogelschutzgebiet nicht ausgeschlossen werden. Traditionelle Rastplätze wie der Vorhabenstandort aber auch die Schlafplätze im nördlich der Windenergieanlagen gelegenen Vogelschutzgebiet Drömling könnten so entwertet und dauerhaft aufgegeben werden. Auch führe ein Ausweichen der Kraniche auf weiter von den Schlafplätzen im Vogelschutzgebiet entfernte Nahrungsflächen zu einem erhöhten Energiebedarf der Tiere bzw. zu einem erhöhten Energieverbrauch. Dies gehe auf Kosten der Fitness der Tiere und könne ihre Überlebenswahrscheinlichkeit auf dem Zug verringern. All dies könne zu einem geringeren Nutzen des Vogelschutzgebietes als Rastgebiet für Kraniche und Goldregenpfeifer führen und negative Auswirkungen auf die Funktion des Gebietes bewirken. Der Errichtung der 8 Windenergieanlagen stünden aber auch artenschutzrechtliche Versagungstatbestände entgegen. Im Nahbereich der Anlagen sei es auch im Jahr 2013 wieder zu Wiesenweihenbruten gekommen. Bei Zugrundelegung eines Abstandes von 1.000 m zu Wiesenweihenbrutplätzen seien die 6 südlichen der insgesamt 8 beantragten Windenergieanlagen unzulässig. Zudem sei in den Jahren 2012 und 2013 in einem Feldgehölz im Nordwesten des geplanten Windparks jeweils eine Rotmilanbrut erfasst worden. Auch in den Jahren 2014 und 2015 sei nach Auskunft der Naturparkverwaltung Drömling dort jeweils ein Brutpaar beobachtet worden, 2015 mit einer erfolgreichen Brut. Allerdings sei bei einer weiteren Begehung kurz vor der mündlichen Verhandlung festgestellt worden, dass das Nest inzwischen durch Sturm zerstört worden sei. Zur Veranschaulichung der Lages des Rotmilanhorstes und der Abstände der geplanten 8 Windenergieanlagen zu diesem Horst hat der Beklagte einen aktuellen Lageplan überreicht. Auch der Mindestabstand zu Kranich-Schlafplätzen nach dem 1-%-Kriterium von 3.000 m werde durch die beantragten Windenergieanlagen nicht eingehalten. Durch den Betrieb der 8 Windenergieanlagen komme es zu einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko für den Rotmilan und die Wiesenweihe. Auch bei Wiesenweihenbruten in einem Abstand von bis zu 1.000 m zu einer Windenergieanlage bestehe ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko. Dies könne durch Abschalten der Anlagen nicht hinreichend minimiert werden. Ein Abschalten der Anlagen müsste bei Ankunft der Tiere im Revier, während der Balz, bei der Futterübergabe in der Luft und während der ersten Flugversuche der Jungtiere erfolgen. Dies sei in der Praxis nicht umsetzbar. Letztlich wäre ein Abschalten während der gesamten Zeit der Anwesenheit der Tiere im Gebiet erforderlich, also während ca. 5 – 6 Monaten im Frühjahr – Spätsommer.
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Die Beigeladenen stellen keine Anträge.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Berufung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
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Die auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung der beantragten Genehmigung gerichtete Klage ist abzuweisen, da sich im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht im Sinne des § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO spruchreif feststellen lässt, dass die Klägerin einen Anspruch auf die beantragte Genehmigung hat. Es ist insbesondere nicht hinreichend geklärt, ob das Vorhaben der Klägerin zu einer erheblichen Beeinträchtigung von Belangen des Naturschutzes in Gestalt des Vogelschutzes führt (dazu I.). Da sich andererseits ein Genehmigungsanspruch der Klägerin nach dem derzeitigen Erkenntnisstand auch nicht verneinen lässt, unterliegt die Klage nicht insgesamt der Abweisung. Die Beklagte ist vielmehr unter Heranziehung der zum "stecken gebliebenen" Genehmigungsverfahren entwickelten Grundsätze gemäß § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO zu einer Neubescheidung des Genehmigungsantrags der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten (dazu II.).
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I. Es kann nicht im Sinne des § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO spruchreif festgestellt werden, dass die Klägerin einen Anspruch auf die beantragte Genehmigung hat. Rechtlicher Anknüpfungspunkt ist § 6 Abs. 1 BImSchG. Danach ist die Genehmigung zu erteilen, wenn sichergestellt ist, dass die sich aus § 5 und einer auf Grund des § 7 erlassenen Rechtsverordnung ergebenden Pflichten erfüllt werden und andere öffentlich-rechtliche Vorschriften und Belange des Arbeitsschutzes der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegenstehen. Ein Versagungsgrund i.S.d. § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG liegt auch dann vor, wenn dem Vorhaben das Beeinträchtigungsverbot des Art. 4 Abs. 4 der Vogelschutzrichtlinie (dazu 1.) oder Belange des Naturschutzes i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB (dazu 2.) entgegenstehen.
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1. Das Vorhaben steht in Einklang mit dem Beeinträchtigungsverbot des Art. 4 Abs. 4 der Vogelschutzrichtlinie (Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.11.2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten
– VRL).
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a) Die VRL ist hier anwendbar. Für Vogelschutzgebiete, die noch nicht nach § 32 Abs. 2 BNatSchG zu besonderen Schutzgebieten im Sinne von Art. 7 der FFH-Richtlinie (Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21.05.1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen
– FFH-RL) erklärt worden sind (sog. "faktische" Vogelschutzgebiete), beurteilt sich die Rechtmäßigkeit von Genehmigungen nach Art. 4 Abs. 4 VRL und nicht nach dem weniger strengen Regime, das Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL und die seiner Umsetzung dienende Vorschrift des § 34 BNatSchG errichten (BVerwG, Urt. v. 01.04.2004 – BVerwG 4 C 2.03 –, juris RdNr. 24 ff.; Urt. v. 03.05.2013 – BVerwG 9 A 16.12 –, juris RdNr. 52). Eine Erklärung zum besonderen Schutzgebiet nach Art. 4 Abs. 1 VRL, die nach Art. 7 FFH-RL den Wechsel des Schutzregimes auslöst, muss eine endgültige rechtsverbindliche Entscheidung mit Außenwirkung darstellen; deren rechtliche Gestalt wird durch das Recht der Mitgliedstaaten näher bestimmt. Nach § 32 Abs. 2 BNatSchG sind die Europäischen Vogelschutzgebiete entsprechend den jeweiligen Erhaltungszielen zu geschützten Teilen von Natur und Landschaft im Sinne des § 20 Abs. 2 BNatSchG zu erklären. Die Schutzerklärung bestimmt den Schutzgegenstand, den Schutzzweck, die zur Erreichung des Schutzzwecks notwendigen Gebote und Verbote und, soweit erforderlich, die Pflege-, Entwicklungs- und Wiederherstellungsmaßnahmen (§§ 22 Abs. 1 Satz 2, 32 Abs. 3 Satz 1 BNatSchG). Eine solche Erklärung des Vogelschutzgebietes Drömling zum besonderen Schutzgebiet im Sinne des Art. 7 FFH-RL liegt nicht vor. Die Verordnung über das Naturschutzgebiet "Ohre-Drömling" vom 20.06.2005 umfasst nur einen Teilbereich des Vogelschutzgebietes Drömling. Die bereits am 12.09.1990 erlassene Verordnung über den Naturpark "Drömling" dient nicht dem Vogelschutz.
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b) Nach Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL treffen die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen, um die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume sowie die Belästigung der Vögel, sofern sich diese auf die Zielsetzung dieses Artikels erheblich auswirken, in den Schutzgebieten zu vermeiden. Die Vorschrift begründet seinem Wortlaut nach zunächst unabhängig von der Zulassung einzelner Bauvorhaben eine Dauerpflicht der Mitgliedstaaten, die Lebensräume der geschützten Populationen zu erhalten und Störungen der wildlebenden Vogelarten zu vermeiden bzw. zu unterlassen. Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL erschöpft sich aber nicht in der Normierung einer Dauerpflicht. Er bildet zugleich den Maßstab für die Zulässigkeit von Infrastrukturvorhaben im Einzelfall. Die Bestimmung erfüllt damit auch die Funktionen eines Zulassungstatbestandes, wie er voll ausgebildet in Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL bzw. § 34 BNatSchG enthalten ist (BVerwG, Urt. v. 01.04.2004 – BVerwG 4 C 2.03 –, a.a.O. RdNr. 40; Urt. v. 03.05.2013 – BVerwG 9 A 16.12 –, a.a.O.). Vorhaben dürfen nur zugelassen werden, wenn sie nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen und Störungen führen. Die Schwelle der Erheblichkeit ist dabei nicht erst dann erreicht, wenn die Verwirklichung von Erhaltungszielen unmöglich oder unwahrscheinlich gemacht wird. Die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus Art. 3 und 4 VRL bestehen bereits, bevor eine Verringerung der Anzahl von Vögeln oder die konkrete Gefahr des Aussterbens einer geschützten Art nachgewiesen wird (BVerwG, Urt. v. 01.04.2004 – BVerwG 4 C 2.03 –, a.a.O. RdNr. 42; Urt. v. 03.05.2013 – BVerwG 9 A 16.12 –, a.a.O.). Das Überleben der geschützten Vogelarten und ihre Vermehrung im Verbreitungsgebiet müssen sichergestellt sein; außerdem ist für die geschützten Vogelarten eine ausreichende Vielfalt und eine ausreichende Flächengröße der Lebensräume zu erhalten und ggf. wiederherzustellen (BVerwG, Urt. v. 08.01.2014 – BVerwG 9 A 4.13 –, juris RdNr. 48).
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aa) Auch Projekte, die außerhalb eines Europäischen Vogelschutzgebietes realisiert werden sollen, können Anlass für eine Verträglichkeitsprüfung nach § 34 Abs. 2 BNatSchG bzw. – in "faktischen" Vogelschutzgebieten – nach Art. 4 Abs. 4 VRL geben. Sie sind gleichfalls auf ihre Vereinbarkeit mit den gebietsbezogenen Erhaltungszielen und Schutzzwecken zu überprüfen, soweit sie geeignet sind, ein Europäisches Vogelschutzgebiet erheblich zu beeinträchtigen, also auf den geschützten Raum selbst einwirken und Auswirkungen auf den Lebensraum in den Schutzgebieten – das "Gebiet als solches" – haben (vgl. Fischer-Hüftle, NuR 2004, 157). Im Regelfall beeinträchtigen Windenergieanlagen, die außerhalb eines Europäischen Vogelschutzgebiets errichtet werden sollen, Gebietsbestandteile, die für dessen Erhaltungsziele und Schutzzweck maßgebend sind, allerdings nicht mittels der von ihnen ausgehenden Emissionen erheblich. Durch die Errichtung der Windenergieanlagen kann aber ein Funktionsverlust des Schutzgebiets zu besorgen sein, etwa wenn sie die Gefahr einer möglichen Verriegelung des Gebiets mit sich bringen, oder wenn sie eine Barrierewirkung dergestalt entfalten, dass die Vögel daran gehindert werden, das Schutzgebiet zu erreichen oder zwischen Nahrungs- und Rastplätzen, die sich jeweils in einem Schutzgebiet befinden, zu wechseln. Die bloße Erschwerung, das Schutzgebiet zu erreichen, kann demgegenüber nicht genügen. Anderenfalls käme es zu einem überzogenen, der Abwägung mit anderen geschützten Belangen kaum noch zugänglichen Gebietsschutz vor Projekten, die ausschließlich mittelbare Auswirkungen auf den Bestand bzw. die Erhaltung der in den Schutzgebieten geschützten Arten haben können (vgl. OVG NW, Urt. v. 30.07.2009 – 8 A 2357/08 –, juris RdNr. 118 ff.; Urt. v. 03.08.2010 – 8 A 4062/04 –, juris RdNr. 117 ff.; VG Düsseldorf, Urt. v. 11.07.2013 – 11 K 2057/11 –, juris RdNr. 54).
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bb) Nach dem Wortlaut des § 34 Abs. 2 BNatSchG ist eine Verträglichkeit bereits dann nicht gegeben, wenn das Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen "kann". Der insoweit erforderliche Wahrscheinlichkeitsgrad ist dann erreicht, wenn anhand objektiver Umstände eine derartige Beeinträchtigung nicht ausgeschlossen werden kann. Die FFH-Verträglichkeitsprüfung ist jedoch nicht auf ein "Nullrisiko" auszurichten. Das wäre schon deswegen unzulässig, weil dafür ein wissenschaftlicher Nachweis nie geführt werden könnte. Verbleibt nach Abschluss einer FFH-Verträglichkeitsprüfung kein vernünftiger Zweifel, dass nachteilige Auswirkungen auf das Schutzgebiet vermieden werden, ist das Vorhaben zulässig. Rein theoretische Besorgnisse begründen von vornherein keine Prüfungspflicht und scheiden ebenso als Grundlage für die Annahme erheblicher Beeinträchtigungen aus, die dem Vorhaben entgegengehalten werden können. Bestehende wissenschaftliche Unsicherheiten müssen nach Möglichkeit auf ein Minimum reduziert werden. Dies macht die Ausschöpfung aller wissenschaftlichen Mittel und Quellen erforderlich, bedeutet aber nicht, dass im Rahmen einer FFH-Verträglichkeitsprüfung Forschungsaufträge zu vergeben sind, um Erkenntnislücken und methodische Unsicherheiten der Wissenschaft zu beheben. Geboten ist vielmehr nur der Einsatz der besten verfügbaren wissenschaftlichen Mittel. Zur anerkannten wissenschaftlichen Methodik gehört es in diesem Fall, die nicht innerhalb angemessener Zeit zu schließenden Wissenslücken aufzuzeigen und ihre Relevanz für die Befunde einzuschätzen. Daraus folgt ferner, dass für den Gang und das Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung der Sache nach eine Beweisregel des Inhalts gilt, dass die Behörde ein Vorhaben nur dann zulassen darf, wenn sie zuvor Gewissheit darüber erlangt hat, dass dieses sich nicht nachteilig auf das Gebiet als solches auswirkt. Die zu fordernde Gewissheit liegt nur dann vor, wenn aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass solche Auswirkungen nicht auftreten werden (vgl. OVG NW, Urt. v. 03.08.2010 – 8 A 4062/04 –, a.a.O. RdNr. 128 ff.). Diese zu § 34 BNatSchG bzw. Art. 6 FFH-RL entwickelten Grundsätze gelten im Anwendungsbereich des Art. 4 Abs. 4 VRL entsprechend.
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cc) Gemessen daran stünde der Schutz des Europäischen Vogelschutzgebietes Drömling der Erteilung der Genehmigung der beantragen 8 Windenergieanlagen nur dann entgegen, wenn es durch sie zu einer "Gebietsbeeinträchtigung von außerhalb" in dem oben genannten Sinne kommt. Dies ist jedoch nicht der Fall. Bei der Beurteilung dieser Frage bieten die einschlägigen Empfehlungen zu Schutzabständen eine Orientierungshilfe (vgl. OVG NW, Urt. v. 30.07.2009 – 8 A 2357/08 –, a.a.O. RdNr. 135). Nach den Abstandsempfehlungen der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG-VSW) für Windenergieanlagen zu bedeutenden Vogellebensräumen sowie Brutplätzen ausgewählter Vogelarten (Stand April 2015) (http://www.vogelschutzwarten.de/downloads/lagvsw2015_abstand.pdf) sowie der Arbeitshilfe "Naturschutz und Windenergie – Hinweise zur Berücksichtigung des Naturschutzes und der Landschaftspflege bei Standortplanung und Zulassung von Windenergieanlagen" (Stand Oktober 2014) des Niedersächsischen Landkreistages (NLT-Papier) (http://www.nlt.de/pics/medien/1_1414133175/2014_10_01_Arbeitshilfe_Naturschutz_und_Windenergie__5__Auflage__Stand_Oktober_2014_Arbeitshilfe.pdf) beträgt der empfohlene Abstand von Windenergieanlagen zu Europäischen Vogelschutzgebieten 1.200 m bzw. das 10-fache der Anlagenhöhe. Bei einer Anlagenhöhe von 134 m ergibt sich danach ein einzuhaltender Mindestabstand von 1.340 m. Diese Empfehlung wird hier mit einem Abstand der nächstgelegenen Windenergieanlagen von ca. 1.800 m zum Vogelschutzgebiet Drömling eingehalten. Auch nach der Rechtsprechung des Senats ist bei einer Entfernung von ca. 2.000 m eine Beeinträchtigung eines Vogelschutzgebietes durch Windenergieanlagen regelmäßig auszuschließen (Beschl. d. Senats v. 21.03.2013 – 2 M 154/12 –, juris RdNr. 26). Dass die Windenergieanlagen gleichwohl ausnahmsweise geeignet sein könnten, den Schutzzweck des Europäischen Vogelschutzgebiets Drömling erheblich zu beeinträchtigen, ist nicht ersichtlich.
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(1) Eine Verriegelung des Gebietes bzw. eine Barrierewirkung, die dazu führen könnte, dass die zu schützenden Vögel vom Drömling geradezu abgeschnitten und so von der Benutzung des Gebietes ausgeschlossen sind, weil sie es nicht erreichen können, geht von dem Vorhaben nicht aus. Insoweit folgt der Senat den überzeugenden Ausführungen in dem avifaunistischen Fachbeitrag des Büros für Ökologie, Naturschutz und räumliche Planung vom 12.04.2008. Hierin wird zu dem bereits genehmigten Windpark L. ausgeführt, dieser könne für sich allein keine negativen Auswirkungen auf die Avifauna im 2 km entfernten Vogelschutzgebiet Drömling haben. Dies gelte auch bei Betrachtung kumulierender Wirkungen. Um den Drömling herum seien 8 Windeignungsgebiete zu betrachten. Hierbei handele es sich um je 4 Standorte nördlich und südlich des Drömling. Diese seien so positioniert, dass in westlicher Richtung vom Drömling ein unbelasteter Zugkorridor von ca. 20 km und in nordöstlicher Richtung von ca. 10 km Breite verbleibe. In alle anderen Richtungen verbleibe zwischen den einzelnen Eignungsgebieten jeweils ein Abstand von mindestens ca. 6,5 km. Ausgehend von dem in der Regionalplanung angewendeten 5-km-Kriterium, das den erforderlichen Abstand von Windparks zueinander festlege, um dazwischen ausreichend Freiflächen und Zugkorridore zu erhalten, sei davon auszugehen, dass bei den Abständen der 8 zu betrachtenden Eignungsgebiete zueinander auch im Rahmen einer kumulierenden Wirkung keine Unverträglichkeit festzustellen sein werde. Bei einem Abstand von 5 km zwischen einzelnen Windparks sei auch in einem Kranich- und Gänsekorridor nicht von erheblichen Beeinträchtigungen für die Zuglinien auszugehen. Die Verdichtung des Windparks L. durch 8 weitere Windkraftanlagen habe keine darüber hinaus gehenden negativen Auswirkungen auf das Vogelschutzgebiet Drömling.
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Diese Einschätzung wird bestätigt durch die Ausführungen in dem Gutachten von Dr. R. (A. GmbH) und Dipl.-Ing., Dipl.-Biol. S. vom 27.05.2008 zur Verträglichkeit der Erweiterung des Windparks L. mit den Erhaltungszielen des Vogelschutzgebietes Drömling. Hierin wird ausgeführt, es wirke sich insoweit günstig aus, dass die Anlagen keinen ausgeprägten Querriegel zum Drömling bildeten. Eine Barrierewirkung, die eine ungehinderte Erreichbarkeit des Drömlings verhindere, sei durch den Windpark L. auch im Zusammenwirken mit den benachbarten Windparks W. und S. aus zwei Gründen nicht zu befürchten. Es habe bei den Untersuchungen keine Hinweise darauf gegeben, dass ein gebündelter Zug gerade über diese Standorte führe. Zudem sei durch die verbleibenden Korridore von über 7 km zwischen den Standorten ein ungestörter Zu- und Abflug gewährleistet. Die Standorte riefen somit keine erheblichen negativen Beeinträchtigungen für den Drömling bzw. dessen Erreichbarkeit für die wertgebenden Vogelarten hervor.
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Etwas anderes folgt auch nicht aus den vom Beklagten in der Klageerwiderung vom 17.02.2012 vorgetragenen Überlegungen. Der Beklagte meint, bei Berücksichtigung des bestehenden Windparks, der geplanten Erweiterung sowie des Windparks bei W. einschließlich der Meidungsabstände von bis zu 1.000 m ergebe sich am Südrand des Vogelschutzgebietes eine Barrierewirkung für von Südwest auf dem Frühjahrszug durchziehende Kraniche auf ca. 7 km Breite. Dies entspreche einem Störungsbereich von 26,9 % auf der Gesamtlänge der Südgrenze des Vogelschutzgebietes (26 km von NW nach SO). Darüber hinaus könne der Störungsbereich (ca. 4 km breit) eines im westlich angrenzenden Niedersachsen liegenden Windparks in 8 km Entfernung zur Südgrenze des Vogelschutzgebietes Drömling zu einer Verstärkung der Barrierewirkung der beiden genannten Windparks beitragen. Diese Überlegungen greifen nicht durch. Die genannten Windparks mögen eine Behinderung für die von Südwest nach Nordost fliegenden Zugvögel darstellen; eine Verriegelung des Vogelschutzgebietes bilden sie angesichts der immer noch sehr großen Abstände zwischen den Windparks nicht.
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Darüber hinaus ist bei der Prüfung, ob das Vorhaben zu einer Verriegelung des Vogelschutzgebietes führt, die Vorbelastung durch den bereits genehmigten Windpark L. zu berücksichtigen. Zu bewerten ist hier nur die Verträglichkeit der Erweiterung des Windparks mit den Erhaltungszielen und dem Schutzzweck des Vogelschutzgebietes Drömling. Hierzu wurde in dem M-Gutachten vom 13.08.2013 auf den Seiten 19 – 22 überzeugend dargestellt, dass die Verstärkung der Barrierewirkung durch die zusätzlichen 8 Windkraftanlagen als unerheblich zu bewerten ist. Hiervon ausgehend ist der Senat davon überzeugt, dass mit dem Vorhaben keine Gefahr einer "Verriegelung" des Vogelschutzgebietes verbunden ist.
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(2) Die Erweiterung des Windparks L.-R. durch weitere 8 Windenergieanlagen führt auch nicht zu einer Barrierewirkung in dem Sinne, dass die in dem Vogelschutzgebiet rastenden bzw. schlafenden Vögel gehindert werden, zwischen Nahrungs- und Rastplätzen, die sich jeweils in einem Schutzgebiet befinden, zu wechseln. Insoweit wird zunächst auf die überzeugenden Ausführungen in dem Gutachten von Dr. R. (A. GmbH) und Dipl.-Ing., Dipl.-Biol. S. vom 27.05.2008 verwiesen. Die Gutachter führen aus, aufgrund der Entfernung des geplanten Windparks zum Vogelschutzgebiet Drömling von ca. 2 km könnten Beeinträchtigungen von Brutvögeln in Form von Störungen oder Vertreibungen sicher ausgeschlossen werden. Auch für Rastvögel könne eine Beeinträchtigung der Funktion als Überwinterungsgebiet und als Schlafplatz ausgeschlossen werden. Fraglich sei allein eine mögliche Beeinträchtigung des günstigen Erhaltungszustandes derjenigen wertgebenden Gastvogelarten, die zum Zweck der Nahrungsaufnahme das Vogelschutzgebiet verließen. Zu klären sei, ob durch das geplante Vorhaben Kraniche, Kiebitze, Goldregenpfeifer, Saatgänse und/oder Bläßgänse in einer Weise beeinträchtigt würden, dass der Lebensraum für diese Arten so klein bzw. dessen Erreichbarkeit so eingeschränkt werde, dass langfristig das Überleben der Population und damit der günstige Erhaltungszustand nicht mehr gewährleistet sei. Es sei zu beurteilen, ob mögliche Beeinträchtigungen durch das geplante Vorhaben außerhalb des Schutzgebietes dazu führen können, dass dieses nur noch in geringerem Maße von den genannten Arten aufgesucht werde. Zwar könne es durch die geplanten Anlagen zu einer Barrierewirkung kommen, jedoch könnten die Vögel den Windpark mit geringen Kurskorrekturen umfliegen. Der Windpark unterbinde oder behindere den Zu- und Abflug von Arten zum Schutzgebiet nicht derart massiv, dass die Bestände im Schutzgebiet selbst darunter litten. Die Vögel könnten das Schutzgebiet weiter erreichen, auch wenn dabei im Bereich des Windparks ein geringer Umweg durch Ausweichbewegungen in Kauf genommen werden müsse. Es komme nicht zu einem Verlust oder einer Einschränkung des Lebensraums der geschützten Vogelarten. Auch werde der erforderliche Mindestabstand zu Brut- und Nahrungshabitaten eingehalten. Es komme zwar zu Beeinträchtigungen von Äsungsflächen insbesondere von Kranichen, deren Schlafplätze im Drömling lägen. Eine Gefährdung der Schlafplatzfunktion im Drömling sei damit jedoch nicht verbunden. Zudem könnten durch Kompensationsmaßnahmen in größerer Nähe zum Drömling attraktive Äsungsflächen für Kraniche zur Verfügung gestellt werden, die mit Sicherstellung eines ausreichenden Nahrungsangebotes den Kranichen die Notwendigkeit nähmen, in größerer Entfernung oder in der Nähe eines der geplanten Windparks Nahrung zu suchen. Insgesamt führe der Windpark nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Erhaltungsziele des Vogelschutzgebietes Drömling. Es sei nicht damit zu rechnen, dass das Vogelschutzgebiet nach der Erweiterung des Windparks nur noch in geringerem Maße von den wertgebenden Arten aufgesucht werde. Auf der Grundlage dieser gut nachvollziehbaren Ausführungen ist der Senat der Überzeugung, dass eine von dem Vorhaben verursachte "Barrierewirkung" nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung des Vogelschutzgebietes Drömling führt.
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Es kommt hinzu, dass eine etwaige Barrierewirkung (der Erweiterung) des Windparks nur zwischen den im Norden liegenden Flächen des Vogelschutzgebietes und den südlich des Vorhabengebietes liegenden Nahrungs- oder Rastflächen, etwa in der Speetzeniederung besteht. Letztere befinden sich indessen nicht in einem Schutzgebiet. Die Windenergieanlagen führen vielmehr lediglich zu einer bloßen Erschwerung, das Schutzgebiet von den südlich des Vorhabengebietes liegenden Flächen (Speetzeniederung) aus zu erreichen, und umgekehrt. Diese Auswirkungen auf das Vogelschutzgebiet sind gering und lassen sich durch die Schaffung von Nahrungshabitaten nördlich des Vorhabengebietes weiter verringern. Zudem steht den die Anlagen im Windpark über- oder umfliegenden Vögeln genügend Ausweichraum beiderseits der geplanten Anlagen zur Verfügung. Der dadurch entstehende Umweg beträgt nur wenige 100 m. Dadurch entstehen nur geringe energetische Verluste bei den Tieren (vgl. NdsOVG, Urt. v. 24.03.2003 – 1 LB 3571/01 –, juris RdNr. 50). Zudem ist auch insoweit bei der Bewertung einer Verstärkung der Barrierewirkung durch die geplanten 8 zusätzlichen Windenergieanlagen die Vorbelastung durch den bereits genehmigten Windpark L. zu berücksichtigen. Insoweit wurde in dem M-Gutachten vom 13.08.2013 auf den Seiten 19 – 22 überzeugend ausgeführt, dass die Verstärkung der Barrierewirkung durch das Vorhaben nur geringfügig ist. Dies gilt insbesondere für die vom Beklagten angeführte Barrierewirkung für den Weißstorch. Nach Auffassung des Beklagten könnten die Weißstörche aus B., R. und E. durch die Windenergieanlagen von ihren Nahrungsflügen nach Süden abgehalten werden (Barrierewirkung). Gleiches gelte für die Weißstörche aus Lockstedt, Everingen und Seggerde südlich des Windparks auf Nahrungsflügen nach Norden in die Niederungsgebiete des Drömling. In dem M-Gutachten vom 13.08.2013 wird jedoch anschaulich gezeigt, dass die Verstärkung der bereits vorhandenen Barrierewirkung keinen erheblichen Effekt auf die Nahrungsfüge der Weißstörche haben wird.
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(3) Auch mit der Gefahr, dass bestimmte Vogelarten, die sich aus dem Schutzgebiet – etwa zur Nahrungssuche – wegbewegen, in einem weiteren Umkreis dem Risiko einer Kollision mit den Windenergieanlagen ausgesetzt sind, lässt sich eine erhebliche Beeinträchtigung des geschützten Gebiets selbst nicht begründen. Zwar sind auch die Tierarten, die vom Schutzzweck oder den Erhaltungszielen des Gebiets erfasst werden, „Bestandteile“ des Gebiets. Sie transportieren aber nicht gleichsam den Gebietsschutz mit sich in die Umgebung hinaus (Beschl. d. Senats v. 21.03.2013 – 2 M 154/12 –, a.a.O. unter Hinweis auf Fischer-Hüftle, NuR 2004, 157).
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2. Ob die Errichtung und der Betrieb der geplanten 8 Windenergieanlagen gegen § 35 BauGB verstößt, weil wegen einer erheblichen Beeinträchtigung geschützter Vogelarten Belange des Naturschutzes i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB entgegenstehen, lässt sich aus derzeitiger Sicht nach den im bisherigen Verfahren gewonnenen Erkenntnissen nicht feststellen. Dem Vorhaben stehen Belange des Naturschutzes i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB entgegen, wenn das Vorhaben gegen das artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BauGB verstößt. Artenschutzrechtliche Verbote i.S.d. § 44 BNatSchG sind nach dem Prüfprogramm des § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG zugleich Belange des Naturschutzes i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB, die einem privilegierten Außenbereichsvorhaben bauplanungsrechtlich nicht entgegenstehen dürfen. Das Naturschutzrecht konkretisiert die öffentlichen Belange i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB. Ist über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 35 Abs. 1 BauGB zu entscheiden, hat die zuständige Behörde daher auch die naturschutzrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens zu prüfen. Können artenschutzrechtliche Verbote naturschutzrechtlich nicht überwunden werden, stehen sie einem gemäß § 35 Abs. 1 BauGB privilegierten Vorhaben als öffentliche Belange i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB zwingend entgegen. Das Vorhaben ist dann bauplanungsrechtlich unzulässig. Es decken sich also die bauplanungsrechtlichen Anforderungen des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB, soweit sie naturschutzbezogen sind, mit den Anforderungen des Naturschutzrechts. Artenschutzrechtliche Verbote, von denen weder eine Ausnahme noch eine Befreiung erteilt werden kann, stehen einem immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Außenbereichsvorhaben deshalb stets zwingend entgegen, und zwar sowohl als verbindliche Vorschriften des Naturschutzrechts als auch als Belange des Naturschutzes i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB. Für eine nachvollziehende Abwägung ist kein Raum (BVerwG, Urt. v. 27.06.2013 – BVerwG 4 C 1.12 –, juris RdNr. 6).
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Es kann derzeit nicht sicher festgestellt werden, ob der Erteilung der beantragten Genehmigung das artenschutzrechtliche Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG entgegensteht. Danach ist es verboten, wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören. Zu den besonders geschützten Arten gehören gemäß § 7 Nr. 13 Buchst. a BNatSchG i.V.m. Anhang A der Artenschutzverordnung (Verordnung
Nr. 338/97 des Rates vom 09.12.1996 über den Schutz von Exemplaren wildlebender Tier- und Pflanzenorten durch Überwachung des Handels ) der Rotmilan, die Wiesenweihe und der Kranich. Der Goldregenpfeifer ist nach § 7 Nr. 13 Buchst. b Doppelbuchst. bb BNatSchG als europäische Vogelart im Sinne des § 7 Nr. 12 BNatSchG i.V.m. Art. 1 VRL ebenfalls eine besonders geschützte Art.
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Der Tötungstatbestand ist auch dann erfüllt, wenn sich die Tötung als unausweichliche Konsequenz eines im Übrigen rechtmäßigen Verwaltungshandelns erweist. Dass einzelne Exemplare besonders geschützter Arten durch Kollisionen mit Windkraftanlagen bzw. deren Rotorblättern zu Schaden kommen können, ist allerdings bei lebensnaher Betrachtung nie völlig auszuschließen. Der artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungstatbestand (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG) ist dann nicht erfüllt, wenn das Vorhaben nach naturschutzfachlicher Einschätzung kein signifikant erhöhtes Risiko kollisionsbedingter Verluste von Einzelexemplaren verursacht, mithin unter der Gefahrenschwelle in einem Risikobereich bleibt, der mit dem Vorhaben im Naturraum immer verbunden ist, vergleichbar dem ebenfalls stets gegebenen Risiko, dass einzelne Exemplare einer Art im Rahmen des allgemeinen Naturgeschehens Opfer einer anderen Art werden. Der Verbotstatbestand ist zwar individuenbezogen; dass einzelne Exemplare etwa durch Kollisionen zu Schaden kommen, reicht aber nicht aus. Soll das Tötungs- und Verletzungsverbot nicht zu einem unverhältnismäßigen Planungshindernis werden, ist vielmehr zu fordern, dass sich das Risiko des Erfolgseintritts in signifikanter Weise erhöht, wobei Maßnahmen, mittels derer solche Kollisionen vermieden oder dieses Risiko zumindest minimiert werden soll, einzubeziehen sind. Gemeint ist eine "deutliche" Steigerung des Tötungsrisikos. Dafür genügt es nicht, dass im Eingriffsbereich überhaupt Tiere der (besonders) geschützten Art angetroffen worden sind; erforderlich sind vielmehr Anhaltspunkte dafür, dass sich das Risiko eines Vogelschlages durch das Vorhaben deutlich und damit signifikant erhöht (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.07.2008 – BVerwG 9 A 14.07 –, juris RdNr. 91; Urt. d. Senats v. 26.10.2011 – 2 L 6/09 –, juris RdNr. 59; Urt. d. Senats v. 19.01.2012 – 2 L 124/09 –, juris RdNr. 46).
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Da zur fachgerechten Beurteilung dieser Frage ornithologische Kriterien maßgeblich sind, die zu treffende Entscheidung prognostische Elemente enthält und überdies naturschutzfachlich allgemein anerkannte standardisierte Maßstäbe sowie rechenhaft handhabbare Verfahren fehlen, muss der zuständigen Behörde eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zuerkannt werden. Die gerichtliche Prüfung ist insoweit grundsätzlich auf eine Vertretbarkeitskontrolle beschränkt (vgl. Urt. d. Senats v. 26.10.2011 – 2 L 6/09 –, a.a.O. RdNr. 60, bestätigt durch BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – BVerwG 7 C 40.11 –, juris RdNr. 14; Urt. d. Senats v. 19.01.2012 – 2 L 124/09 –, a.a.O. RdNr. 46, bestätigt durch BVerwG, Urt. v. 27.06.2013 – BVerwG 4 C 1.12 –, juris RdNr. 14). Gerade die Bewertung, wann ein bestehendes Tötungs- oder Verletzungsrisiko "signifikant" erhöht ist, lässt sich nicht im strengen Sinne "beweisen", sondern unterliegt einer wertenden Betrachtung (Urt. d. Senats v. 26.10.2011 – 2 L 6/09 –, a.a.O. RdNr. 65; Urt. d. Senats v. 19.01.2012 – 2 L 124/09 –, a.a.O. RdNr. 46).
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a) Aus den zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln kann derzeit nicht hinreichend sicher abgeleitet werden, ob für die Vogelart Rotmilan von einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko durch die Verwirklichung des Vorhabens der Klägerin ausgegangen werden kann.
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aa) Zunächst ist ungewiss, ob der in den vom Beklagten vorgelegten Lageplänen eingezeichnete Rotmilanhorst überhaupt noch existiert. Zweifel ergeben sich insoweit aus den Angaben des Herrn Sender von der Naturparkverwaltung Drömling in der mündlichen Verhandlung, er habe bei einer Begehung kurz vor dem Termin festgestellt, dass der Horst durch Sturm zerstört worden sei. Erst im Frühjahr könne festgestellt werden, ob sich an dieser Stelle erneut ein Rotmilan zur Brut niederlasse. Vor diesem Hintergrund hält es der Senat für erforderlich, zu Beginn der diesjährigen Brutperiode erneut zu prüfen, ob der in den Lageplänen eingezeichnete Rotmilanhorst überhaupt noch genutzt wird. Darüber hinaus ist festzustellen, ob im Umfeld der Windenergieanlagen aktuell weitere Rotmilanhorste vorhanden sind, die einer Genehmigung des Vorhabens der Klägerin entgegenstehen können. Schließlich ist zu beurteilen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Rotmilan auch in Zukunft an Standorten, an denen er in den Vorjahren einen Horst errichtet hat, erneut brüten wird. Diese Beurteilung, die auch für die Frage nach der generellen Sinnhaftigkeit von (langfristig) einzuhaltenden Abständen zu einem zu einem bestimmten Zeitpunkt entdeckten Rotmilanhorst von Bedeutung ist, hat der Beklagte vorzunehmen, da diesem – und nicht dem erkennenden Gericht – u.a. bei der Bestandserfassung von Arten eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zuzuerkennen ist.
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bb) Darüber hinaus ist – erneut – grundsätzlich zu prüfen, ob bei Unterschreitung eines bestimmten Abstandes eines Rotmilanhorstes zu einer Windenergieanlage von einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko für den Rotmilan ausgegangen werden kann. Zwar besteht nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats für den Rotmilan ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko, wenn der Abstand einer Windenergieanlage zu einem Rotmilanhorst weniger als 1.000 m beträgt, es sei denn, es liegen zuverlässige Erkenntnisse darüber vor, dass sich in einer größeren Entfernung als 1.000 m ein oder mehrere für den Rotmilan attraktive, nicht nur kurzzeitig bzw. zeitweise zur Verfügung stehende Nahrungshabitate befinden und die Windenergieanlage dort oder innerhalb eines Flugkorridors dorthin liegt (vgl. Urt. d. Senats v. 26.10.2011 – 2 L 6/09 –, a.a.O. RdNr. 77, bestätigt durch BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – BVerwG 7 C 40.11 –, a.a.O. RdNr. 23; Urt. d. Senats v. 19.01.2012 – 2 L 124/09 –, a.a.O. RdNr. 94, bestätigt durch BVerwG, Urt. v. 27.06.2013 – BVerwG 4 C 1.12 –, a.a.O. RdNr. 11). Diese – oder eine ähnliche – Einschätzung wird auch durch neuere Untersuchungen gestützt. Insbesondere in der Studie "Greifvögel und Windkraftanlagen: Problemanalyse und Lösungsvorschläge", Schlussbericht für das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Juni 2013) von Hötker, Hermann/Krone, Oliver/Nehls, Georg (https://www.nabu.de/downloads/Endbericht-Greifvogelprojekt.pdf) wird auf der Grundlage umfangreicher Untersuchungen die Auffassung vertreten, dass sich durch einen ausreichend hohen Abstand zwischen Windkraftanlagen und Rotmilanhorst das Kollisionsrisiko vermindern lasse, wobei die Wahrscheinlichkeit für Rotmilane, mit den Rotoren der Windkraftanlagen zu kollidieren, umso geringer sei, je größer der Abstand zwischen Windkraftanlage und Rotmilanhorst sei. Ab einem Abstand von 1.250 m lasse sich das Kollisionsrisiko deutlich reduzieren (Hötker, Hermann/Krone, Oliver/Nehls, Georg, Greifvögel und Windkraftanlagen, a.a.O., S. 93, S. 311 f., S. 332 f.). Darüber hinaus liegen nach Informationen der Süddeutschen Zeitung (vgl. SZ vom 05./06.01.2016, S. 3) erste Ergebnisse einer neuen, im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit erstellten Studie der BioConsult SH GmbH & Co. KG "PROGRESS – Ermittlung der Kollisionsraten von Greifvögeln und Schaffung planungsbezogener Grundlagen für die Prognose und Bewertung des Kollisionsrisikos durch Windenergieanlagen" (http://www.vernetzung-forschung-ee-naturschutz.de/forschungsprojekte?pid=54) vor, die offenbar ebenfalls erhebliche Risiken für Greifvögel, insbesondere den Rotmilan, durch Windkraftanlagen sieht. Demgegenüber hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung eine Studie mit dem Titel "Windenergie und Rotmilan: Ein Scheinproblem" der KohleNusbaumer SA, Lausanne, vom 15.01.2016 (https://www.yumpu.com/de/document/view/54987473/rotmilan-und-windenergie-ein-scheinproblem) vorgelegt, in der u.a. die Auffassung vertreten wird, Mindestabstände zwischen Windenergieanlagen und Rotmilanhorsten hätten weder einen nennenswerten Einfluss auf die Bestände noch seien sie wegen der hohen Fluktuation von Brutplätzen sinnvoll. Bei dieser Sachlage bedarf es der erneuten – naturschutzfachlichen – Prüfung der Frage, ob die grundsätzliche Annahme eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos für den Rotmilan bei einem Abstand des Rotmilanhorstes zu einer Windenergieanlagen von weniger als 1.000 m noch gerechtfertigt ist. Diese Prüfung hat der Beklagte vorzunehmen, da diesem bei der Risikobewertung eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zuzuerkennen ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass für eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative der Genehmigungsbehörde für die Risikobewertung kein Raum mehr ist, wenn sich ein bestimmter Maßstab durchgesetzt hat und gegenteilige Meinungen nicht mehr als vertretbar angesehen werden können. Die Behörde muss im Genehmigungsverfahren stets den aktuellen Stand der ökologischen Wissenschaft – gegebenenfalls durch Einholung fachgutachtlicher Stellungnahmen – ermitteln und berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.11.2013 – BVerwG 7 C 40.11 –, a.a.O. RdNr. 19). Vor diesem Hintergrund hat der Beklagte zu prüfen, ob – insbesondere bei Berücksichtigung der oben genannten Studie vom 15.01.2016 – noch von einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko für den Rotmilan ab einem bestimmten Abstand seines Horstes zu einer Windenergieanlagen ausgegangen werden kann.
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cc) Im vorliegenden Fall ist zusätzlich zu prüfen, ob auch dann noch ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko für den Rotmilan durch die Errichtung und den Betrieb mehrerer Windenergieanlagen in der Nähe eines Rotmilanhorstes angenommen werden kann, wenn im näheren Umfeld der Standorte für die neu zu errichtenden Windenergieanlagen bereits mehrere Windenergieanlagen vorhanden sind. Im vorliegenden Fall sind im Windpark L.-R. bereits 9 Windenergieanlagen seit mehreren Jahren in Betrieb. Die von der Klägerin geplanten Windkraftanlagen sind auf Standorten in der Nähe bzw. zwischen den bereits genehmigten und errichteten Anlagen vorgesehen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die – naturschutzfachliche – Frage, ob bereits durch die Anlagen des Bestandwindparks ein Risiko für Kollisionen für im Umfeld brütende Rotmilane besteht und inwieweit durch die geplante Erweiterung der Windenergienutzung eine spürbare Erhöhung des Tötungsrisikos gegenüber dem Bestand erfolgt (vgl. dazu – im Hinblick auf die Wiesenweihe – bereits das M-Gutachten vom 13.08.2013, S. 29). Diese Prüfung hat der Beklagte vorzunehmen, da diesem im Hinblick auf die Bewertung der Risiken eine naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative zuzuerkennen ist.
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dd) Zu prüfen ist weiterhin, ab welchem Abstand eine hinreichende Vermeidung des Kollisionsrisikos angenommen werden kann. Während die bisherigen Abstandsempfehlungen – wiedergegeben im M-Gutachten vom 13.08.2013 auf Seite 13 – einen Mindestabstand von 1.000 m zwischen einem Rotmilanhorst und einer zu errichtenden Windenergieanlagen forderten, halten die neueren Arbeitshilfen, insbesondere die Abstandsempfehlungen der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (Stand April 2015) und das NLT-Papier, einen Mindestabstand von Windenergieanlagen zu Brutplätzen von Rotmilanen von 1.500 m für erforderlich. Eine dritte Abstandsempfehlung ließe sich aus der Studie "Greifvögel und Windkraftanlagen" ableiten, in der im Rahmen der Empfehlungen für die Praxis ausgeführt wird, das Kollisionsrisiko lasse sich mit einem Abstand von 1.250 m deutlich reduzieren (vgl. Hötker, Hermann/Krone, Oliver/Nehls, Georg, a.a.O., S. 332 f.). Auch diese Frage ist zunächst vom Beklagten – wegen der ihm bei der Bewertung der Risiken zustehenden naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative – zu klären.
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ee) Der Beklagte hat ferner festzustellen, welche Abstände die Standorte der geplanten Windenergieanlagen zu dem festgestellten Rotmilanhorst tatsächlich aufweisen. Die bisherigen Angaben hierzu sind widersprüchlich. Während der Beklagte noch in seinem Schriftsatz vom 13.01.2016 erklärt hat, alle 8 Windenergieanlagen lägen in einer Entfernung von weniger als 1.500 m zu dem in den Jahren 2012 – 2015 besetzten Rotmilanhorst, geht aus dem in der mündlichen Verhandlung überreichten Lageplan hervor, dass offenbar nur 7 der 8 Standorte der beantragten Windenergieanlagen eine Entfernung von weniger als 1.500 m zu dem eingezeichneten Rotmilanhorst aufweisen. Der Standort für die Windenergieanlagen EC Rä2 liegt offenbar weiter als 1.500 m von dem Rotmilanhorst entfernt.
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ff) Schließlich ist zu prüfen, ob das Kollisionsrisiko durch geeignete Nebenbestimmungen hinreichend vermindert werden kann. In Betracht kommen insoweit Abschaltpläne für Jahreszeiten mit hohem Konfliktpotential und/oder eine gezielte Steuerung der landwirtschaftlichen Nutzung im Umfeld der Anlagen, um eine Nutzung des Umfeldes der Windenergieanlagen für den Rotmilan möglichst unattraktiv zu gestalten. Diese Maßnahme könnten mit der Herstellung attraktiverer Flächen in weiterem Abstand zu den Anlagen verbunden werden (vgl. OVG NW, Urt. v. 30.07.2009 – 8 A 2357/08 –, a.a.O. RdNr. 174).
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b) Die einschlägigen Erkenntnismittel lassen derzeit auch nicht die – naturschutzfachlich vertretbare – Annahme zu, dass für die Wiesenweihe von einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko durch die Errichtung und den Betrieb der geplanten Windkraftanlagen ausgegangen werden kann.
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aa) Auch im Hinblick auf die Wiesenweihe ist grundsätzlich zu prüfen, ob bei Unterschreitung eines bestimmten Abstandes zwischen dem Brutplatz einer Wiesenweihe und einer Windenergieanlage von einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko ausgegangen werden kann. Allein mit den Abstandsempfehlungen der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten, dem NLT-Papier sowie den "Tierökologischen Abstandskriterien für die Errichtung von Windenergieanlagen in Brandenburg (TAK)" vom 15.10.2012 (http://www.mlul.brandenburg.de/media_fast/4055/tak_anl1.pdf), die übereinstimmend einen Mindestabstand von Windenergieanlagen zu Brutplätzen der Wiesenweihe von 1.000 m für erforderlich halten, lässt sich ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko für die Wiesenweihe bei einer Unterschreitung des empfohlenen Mindestabstandes nicht begründen. Anhaltspunkte für ein erhöhtes Tötungsrisiko auch für die Wiesenweihe ergeben sich jedoch aus der Studie "Greifvögel und Windkraftanlagen", in der im Hinblick auf die Wiesenweihe zusammenfassend ausgeführt wird, aufgrund der hohen Flugaktivität und des geringen Meideverhaltens gegenüber Windkraftanlagen bestehe im Bereich des Brutplatzes ein erhöhtes Kollisionsrisiko. Auch die Entfernung zwischen Nest und Windkraftanlage sei ein entscheidender Faktor des Kollisionsrisikos (vgl. Hötker, Hermann/Krone, Oliver/Nehls, Georg, a.a.O., S. 145). Von Bedeutung für das Kollisionsrisiko ist aber auch die Flughöhe der Wiesenweihe, da diese überwiegend in geringer Höhe fliegt und sich daher nur selten in dem hier maßgeblichen Rotorbereich von 62,7 m – 133,7 m aufhält (Hötker, Hermann/Krone, Oliver/Nehls, Georg, a.a.O., S. 142 ff.). Die hiernach erforderliche Risikobewertung im Hinblick auf die Wiesenweihe obliegt wegen der ihm insoweit zustehenden naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative dem Beklagten.
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bb) Zu prüfen ist weiterhin, ob sich ein signifikant erhöhtes Risiko kollisionsbedingter Verluste von Einzelexemplaren durch die Einhaltung eines bestimmten Abstandes zwischen Windenergieanlagen und Brutplätzen der Wiesenweihe vermeiden lässt und, wenn ja, ab welchem Abstand eine hinreichende Vermeidung des Kollisionsrisikos angenommen werden kann. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass in der einschlägigen Studie "Greifvögel und Windkraftanlagen" die Auffassung vertreten wird, dass bei der Wiesenweihe eine Abstandsregelung zu Nestern der Wiesenweihe nicht praktikabel sei, da Wiesenweihen ihren Standort jährlich neu wählten (Hötker, Hermann/Krone, Oliver/Nehls, Georg, a.a.O., S. 312). Das Kollisionsrisiko für Wiesenweihen könne jedoch durch die räumliche Trennung von Brutgebieten und Windparks deutlich reduziert werden (Hötker, Hermann/Krone, Oliver/Nehls, Georg, a.a.O., S. 333 f.). Hiermit in der Sache übereinstimmend sehen die Empfehlungen zur Berücksichtigung tierökologischer Belange bei Windenergieplanungen in Schleswig-Holstein (https://www.umweltdaten.landsh.de/nuis/upool/gesamt/windenergie/windenergie.pdf) von Dezember 2008 die Freihaltung von Brutverbreitungsschwerpunkten der Wiesenweihe von Windenergieanlagen vor. Vor diesem Hintergrund hat der Beklagte im Rahmen seiner naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative zu prüfen, ob er – entgegen der Einschätzung in der Studie "Greifvögel und Windenergieanlagen" – die Einhaltung eines bestimmten Mindestabstandes zu Brutplätzen der Wiesenweihe für erforderlich hält oder ob stattdessen die Freihaltung von "Brutgebieten" oder "Brutverbreitungsschwerpunkten" zu fordern ist. Hieran anknüpfend ist ggf. festzustellen, wo genau sich derzeit Brutplätze von Wiesenweihen befinden und in welchen Abständen hierzu die von der Klägerin beantragten Windenergieanlagen im Einzelnen errichtet werden sollen. Andernfalls hat der Beklagte näher zu bestimmen, was unter "Brutgebieten" oder "Brutverbreitungsschwerpunkten" der Wiesenweihe genau zu verstehen ist, wo derartige Gebiete liegen und ob die geplanten Windenergieanlagen hiervon betroffen sind. Auch die insoweit erforderliche Risikobewertung obliegt dem Beklagten im Rahmen seiner naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative.
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cc) Im vorliegenden Fall ist zusätzlich zu prüfen, ob auch dann noch ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko für die Wiesenweihe durch die Errichtung und den Betrieb mehrerer Windenergieanlagen angenommen werden kann, wenn im näheren Umfeld der Standorte der geplanten Windenergieanlagen bereits mehrere Windenergieanlagen vorhanden sind. Es stellt sich die Frage, ob bereits durch die Anlagen des Bestandwindparks ein Risiko für Kollisionen für im Umfeld brütende Wiesenweihen besteht und inwieweit durch die geplante Erweiterung der Windenergienutzung eine spürbare Erhöhung des Tötungsrisikos gegenüber dem Bestand erfolgt (vgl. M-Gutachten vom 13.08.2013, S. 29). Die Bewertung der entsprechenden Risiken hat der Beklagte aufgrund der ihm zustehenden naturschutzfachlichen Einschätzungsprärogative zunächst selbst vorzunehmen.
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dd) Schließlich ist auch im Hinblick auf die Wiesenweihe zu prüfen, ob das Kollisionsrisiko durch geeignete Nebenbestimmungen hinreichend vermindert werden kann. Auch insoweit kommen Abschaltpläne für Jahreszeiten mit hohem Konfliktpotential und/oder eine gezielte Steuerung der landwirtschaftlichen Nutzung im Umfeld der Anlagen in Betracht, um eine Nutzung des Umfeldes der Windenergieanlagen für die Wiesenweihe möglichst unattraktiv zu gestalten. Diese Maßnahmen können mit der Herstellung attraktiverer Flächen in weiterem Abstand zu den Anlagen verbunden werden.
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c) Unklar ist ferner, ob der Kranich von einem artenschutzrechtlichen Verbotstatbestand im Sinne des § 44 Abs. 1 BNatSchG betroffen ist. Sowohl in den Abstandsempfehlungen der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten als auch im NLT-Papier wird zu Schlafplätzen von Kranichen ab dem 1-%-Kriterium, also bei einem Rastgebiet für mehr als 1 % der Flyway-Population zur Zugzeit, ein Abstand von 3.000 m empfohlen. Ferner wird die Freihaltung der Hauptflugkorridore von Kranichen zwischen Schlaf- und Nahrungsplätzen empfohlen. Im Hinblick auf diese Regelungen ist – naturschutzfachlich – zu klären, ob das Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG verletzt wird, wenn der empfohlene Mindestabstand unterschritten oder ein Hauptflugkorridor überbaut wird. Das wäre der Fall, wenn für den Kranich in diesen Fällen ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko besteht. Andernfalls ist – naturschutzfachlich – zu prüfen, ob bei einer Unterschreitung des Mindestabstandes oder einer Überbauung einer Hauptflugroute das Störungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG einschlägig ist. Zu prüfen ist, ob der Kranich im Umfeld des Windparks eine "lokale Population" i.S.d. § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG aufweist und ob diese durch das Vorhaben durch Verschlechterung ihres Erhaltungszustandes erheblich gestört wird. Weiter ist zu klären, durch welche der 8 geplanten Windenergieanlagen der empfohlene Abstand von 3.000 m zu Schlafplätzen von Kranichen unterschritten wird. Insoweit gehen die Angaben der Beteiligten auseinander. Während der Beklagte in seiner Stellungnahme vom 13.01.2016 ausführt, die Standorte der beantragten Windenergieanlagen hielten die empfohlenen Abstände zu den großen Kranichrastgebieten im Süden des Vogelschutzgebietes nicht ein, heißt es in dem M-Gutachten vom 13.08.2013 auf Seite 34, eine Unterschreitung des Mindestabstandes zu Schlafplätzen von Kranichen sei nicht erkennbar. Zur Lage der Hauptflugkorridore zwischen Schlaf- und Nahrungsplätzen von Kranichen liegen bislang noch keine Feststellungen vor.
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d) Ebenfalls unklar ist, ob im Hinblick auf den Goldregenpfeifer bei Verwirklichung des Vorhabens ein artenschutzrechtlicher Verbotstatbestand im Sinne des § 44 Abs. 1 BNatSchG verwirklicht wird. In den tierökologischen Abstandskriterien für die Errichtung von Windenergieanlagen in Brandenburg vom 15.10.2012 wird ein Schutzbereich von 1.000 m zu Rastgebieten, in denen regelmäßig mindestens 200 Goldregenpfeifer rasten, festgelegt. Im Hinblick auf diese Regelung ist – naturschutzfachlich – zu klären, ob das Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG berührt wird, wenn dieser Schutzabstand unterschritten wird. Andernfalls ist – naturschutzfachlich – zu prüfen, ob bei einer Unterschreitung des genannten Schutzabstandes das Störungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG einschlägig ist und ob dieses auf den Goldregenpfeifer anwendbar ist. Zweifel ergeben sich daraus, dass der Goldregenpfeifer in dem M-Gutachten vom 13.08.2013 nicht als Brut-, sondern als Zugvogel eingeordnet wurde. Insoweit könnte fraglich sein, ob der Goldregenpfeifer eine "lokale Population" i.S.d. § 44 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG aufweist. Wäre dies nicht der Fall, könnte dies zur Folge haben, dass eine erhebliche Störung des Goldregenpfeifers im Sinne dieser Vorschrift durch Verschlechterung des Erhaltungszustandes einer lokalen Population nicht möglich ist. Darüber hinaus bedarf es der Prüfung, ob die Speetze-Aue südlich des Vorhabengebietes ein Rastgebiet ist, in dem regelmäßig mindestens 200 Goldregenpfeifer rasten. In dieser Hinsicht ergeben sich Zweifel aus den Angaben in dem M-Gutachten vom 13.08.2013, in dem auf Seite 35 ausgeführt wird, nach Errichtung der Bestandsanlagen lägen keine Beobachtungen mehr vor, die für eine regelmäßige Rast von Goldregenpfeifern in diesem Gebiet sprächen.
- 80
II. Da sich ein Genehmigungsanspruch der Klägerin nach alledem mit hinreichender Sicherheit weder spruchreif bejahen noch spruchreif verneinen lässt, weil sich die naturschutzrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach dem derzeitigen Erkenntnisstand gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG als offen darstellt, ist der Beklagte unter Heranziehung der zum "stecken gebliebenen" Genehmigungsverfahren entwickelten Grundsätze gemäß § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO zu einer Neubescheidung des Genehmigungsantrags der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten.
- 81
In der Situation eines "stecken gebliebenen" Genehmigungsverfahrens entfällt die Verpflichtung des Gerichts zur Herbeiführung der Spruchreife, wenn ansonsten im Verwaltungsverfahren noch nicht behandelte komplexe (technische) Fragen erstmals im gerichtlichen Verfahren erschöpfend geprüft werden müssten. Dabei ist ferner zu berücksichtigen, dass eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung im Allgemeinen nicht ohne zahlreiche Nebenbestimmungen erteilt wird. Grundsätzlich könnte zwar auch das Gericht mit Hilfe kundiger Sachverständiger ein Auflagenprogramm entwickeln und ihm mit dem Tenor eines Verpflichtungsurteils Verbindlichkeit verschaffen. Im Allgemeinen sind jedoch individuelle Einschätzungen und Zweckmäßigkeitserwägungen dafür erheblich, ob diese oder jene gleichermaßen geeignete Auflage oder sonstige Nebenbestimmung anzufügen ist. Es ist in derartigen besonders gelagerten Fällen nicht Aufgabe der Gerichte, ein "stecken gebliebenes" Genehmigungsverfahren in allen Einzelheiten durchzuführen. Es kann daher ausnahmsweise gerechtfertigt sein, dass das Tatsachengericht davon absieht, die Sache spruchreif zu machen. In diesem Falle kann es ein Bescheidungsurteil i.S.v. § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO erlassen (OVG NW, Urt. v. 30.07.2009 – 8 A 2357/08 –, a.a.O. RdNr. 208 m.w.N.).
- 82
So liegt der Fall hier. Im Genehmigungsverfahren ist nicht geprüft worden, ob dem Vorhaben des Klägers Belange des Naturschutzes in der Gestalt des Tötungsverbotes gemäß § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG, insbesondere im Hinblick auf den Rotmilan, entgegenstehen. Die im Zuge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens durchgeführten Ermittlungen haben insoweit nicht zur Spruchreife geführt. Es sind noch weitergehende naturschutzfachliche Erhebungen und Beurteilungen anzustellen. Sodann ist zu prüfen, ob ein von fachbehördlichen Einschätzungen getragenes Auflagenprogramm entwickelt werden kann, durch das eine etwaige erhebliche Beeinträchtigung von Belangen des Vogelschutzes unter der Erheblichkeits- bzw. Signifikanzschwelle gehalten werden kann. Bei dieser Sachlage entfällt die Verpflichtung des Gerichts, die Sache weiter spruchreif zu machen.
- 83
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 162 Abs. 3 VwGO.Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nicht für erstattungsfähig zu erklären, weil diese keinen Sachantrag gestellt und sich damit gemäß § 154 Abs. 3 VwGO keinem Kostenrisiko ausgesetzt haben.
- 84
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
- 85
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.
Tenor
I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 30.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
II.
(1) Im Außenbereich ist ein Vorhaben nur zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen, die ausreichende Erschließung gesichert ist und wenn es
- 1.
einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dient und nur einen untergeordneten Teil der Betriebsfläche einnimmt, - 2.
einem Betrieb der gartenbaulichen Erzeugung dient, - 3.
der öffentlichen Versorgung mit Elektrizität, Gas, Telekommunikationsdienstleistungen, Wärme und Wasser, der Abwasserwirtschaft oder einem ortsgebundenen gewerblichen Betrieb dient, - 4.
wegen seiner besonderen Anforderungen an die Umgebung, wegen seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung oder wegen seiner besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden soll, es sei denn, es handelt sich um die Errichtung, Änderung oder Erweiterung einer baulichen Anlage zur Tierhaltung, die dem Anwendungsbereich der Nummer 1 nicht unterfällt und die einer Pflicht zur Durchführung einer standortbezogenen oder allgemeinen Vorprüfung oder einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt, wobei bei kumulierenden Vorhaben für die Annahme eines engen Zusammenhangs diejenigen Tierhaltungsanlagen zu berücksichtigen sind, die auf demselben Betriebs- oder Baugelände liegen und mit gemeinsamen betrieblichen oder baulichen Einrichtungen verbunden sind, - 5.
der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie nach Maßgabe des § 249 oder der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Wasserenergie dient, - 6.
der energetischen Nutzung von Biomasse im Rahmen eines Betriebs nach Nummer 1 oder 2 oder eines Betriebs nach Nummer 4, der Tierhaltung betreibt, sowie dem Anschluss solcher Anlagen an das öffentliche Versorgungsnetz dient, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben steht in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit dem Betrieb, - b)
die Biomasse stammt überwiegend aus dem Betrieb oder überwiegend aus diesem und aus nahe gelegenen Betrieben nach den Nummern 1, 2 oder 4, soweit letzterer Tierhaltung betreibt, - c)
es wird je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage betrieben und - d)
die Kapazität einer Anlage zur Erzeugung von Biogas überschreitet nicht 2,3 Millionen Normkubikmeter Biogas pro Jahr, die Feuerungswärmeleistung anderer Anlagen überschreitet nicht 2,0 Megawatt,
- 7.
der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken oder der Entsorgung radioaktiver Abfälle dient, mit Ausnahme der Neuerrichtung von Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität, - 8.
der Nutzung solarer Strahlungsenergie dient - a)
in, an und auf Dach- und Außenwandflächen von zulässigerweise genutzten Gebäuden, wenn die Anlage dem Gebäude baulich untergeordnet ist, oder - b)
auf einer Fläche längs von - aa)
Autobahnen oder - bb)
Schienenwegen des übergeordneten Netzes im Sinne des § 2b des Allgemeinen Eisenbahngesetzes mit mindestens zwei Hauptgleisen
- 9.
der Nutzung solarer Strahlungsenergie durch besondere Solaranlagen im Sinne des § 48 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 Buchstabe a, b oder c des Erneuerbare-Energien-Gesetzes dient, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben steht in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit einem Betrieb nach Nummer 1 oder 2, - b)
die Grundfläche der besonderen Solaranlage überschreitet nicht 25 000 Quadratmeter und - c)
es wird je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage betrieben.
(2) Sonstige Vorhaben können im Einzelfall zugelassen werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist.
(3) Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange liegt insbesondere vor, wenn das Vorhaben
- 1.
den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspricht, - 2.
den Darstellungen eines Landschaftsplans oder sonstigen Plans, insbesondere des Wasser-, Abfall- oder Immissionsschutzrechts, widerspricht, - 3.
schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann oder ihnen ausgesetzt wird, - 4.
unwirtschaftliche Aufwendungen für Straßen oder andere Verkehrseinrichtungen, für Anlagen der Versorgung oder Entsorgung, für die Sicherheit oder Gesundheit oder für sonstige Aufgaben erfordert, - 5.
Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege, des Bodenschutzes, des Denkmalschutzes oder die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert beeinträchtigt oder das Orts- und Landschaftsbild verunstaltet, - 6.
Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur beeinträchtigt, die Wasserwirtschaft oder den Hochwasserschutz gefährdet, - 7.
die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt oder - 8.
die Funktionsfähigkeit von Funkstellen und Radaranlagen stört.
(4) Den nachfolgend bezeichneten sonstigen Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 kann nicht entgegengehalten werden, dass sie Darstellungen des Flächennutzungsplans oder eines Landschaftsplans widersprechen, die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen oder die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lassen, soweit sie im Übrigen außenbereichsverträglich im Sinne des Absatzes 3 sind:
- 1.
die Änderung der bisherigen Nutzung eines Gebäudes, das unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nummer 1 errichtet wurde, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben dient einer zweckmäßigen Verwendung erhaltenswerter Bausubstanz, - b)
die äußere Gestalt des Gebäudes bleibt im Wesentlichen gewahrt, - c)
die Aufgabe der bisherigen Nutzung liegt nicht länger als sieben Jahre zurück, - d)
das Gebäude ist vor mehr als sieben Jahren zulässigerweise errichtet worden, - e)
das Gebäude steht im räumlich-funktionalen Zusammenhang mit der Hofstelle des land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs, - f)
im Falle der Änderung zu Wohnzwecken entstehen neben den bisher nach Absatz 1 Nummer 1 zulässigen Wohnungen höchstens fünf Wohnungen je Hofstelle und - g)
es wird eine Verpflichtung übernommen, keine Neubebauung als Ersatz für die aufgegebene Nutzung vorzunehmen, es sei denn, die Neubebauung wird im Interesse der Entwicklung des Betriebs im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 erforderlich,
- 2.
die Neuerrichtung eines gleichartigen Wohngebäudes an gleicher Stelle unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das vorhandene Gebäude ist zulässigerweise errichtet worden, - b)
das vorhandene Gebäude weist Missstände oder Mängel auf, - c)
das vorhandene Gebäude wurde oder wird seit längerer Zeit vom Eigentümer selbst genutzt und - d)
Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des bisherigen Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird; hat der Eigentümer das vorhandene Gebäude im Wege der Erbfolge von einem Voreigentümer erworben, der es seit längerer Zeit selbst genutzt hat, reicht es aus, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird,
- 3.
die alsbaldige Neuerrichtung eines zulässigerweise errichteten, durch Brand, Naturereignisse oder andere außergewöhnliche Ereignisse zerstörten, gleichartigen Gebäudes an gleicher Stelle, - 4.
die Änderung oder Nutzungsänderung von erhaltenswerten, das Bild der Kulturlandschaft prägenden Gebäuden, auch wenn sie aufgegeben sind, wenn das Vorhaben einer zweckmäßigen Verwendung der Gebäude und der Erhaltung des Gestaltwerts dient, - 5.
die Erweiterung eines Wohngebäudes auf bis zu höchstens zwei Wohnungen unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Gebäude ist zulässigerweise errichtet worden, - b)
die Erweiterung ist im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse angemessen und - c)
bei der Errichtung einer weiteren Wohnung rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass das Gebäude vom bisherigen Eigentümer oder seiner Familie selbst genutzt wird,
- 6.
die bauliche Erweiterung eines zulässigerweise errichteten gewerblichen Betriebs, wenn die Erweiterung im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und Betrieb angemessen ist.
(5) Die nach den Absätzen 1 bis 4 zulässigen Vorhaben sind in einer flächensparenden, die Bodenversiegelung auf das notwendige Maß begrenzenden und den Außenbereich schonenden Weise auszuführen. Für Vorhaben nach Absatz 1 Nummer 2 bis 6, 8 Buchstabe b und Nummer 9 ist als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung eine Verpflichtungserklärung abzugeben, das Vorhaben nach dauerhafter Aufgabe der zulässigen Nutzung zurückzubauen und Bodenversiegelungen zu beseitigen; bei einer nach Absatz 1 Nummer 2 bis 6 und 8 Buchstabe b zulässigen Nutzungsänderung ist die Rückbauverpflichtung zu übernehmen, bei einer nach Absatz 1 Nummer 1 oder Absatz 2 zulässigen Nutzungsänderung entfällt sie. Die Baugenehmigungsbehörde soll durch nach Landesrecht vorgesehene Baulast oder in anderer Weise die Einhaltung der Verpflichtung nach Satz 2 sowie nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe g sicherstellen. Im Übrigen soll sie in den Fällen des Absatzes 4 Satz 1 sicherstellen, dass die bauliche oder sonstige Anlage nach Durchführung des Vorhabens nur in der vorgesehenen Art genutzt wird.
(6) Die Gemeinde kann für bebaute Bereiche im Außenbereich, die nicht überwiegend landwirtschaftlich geprägt sind und in denen eine Wohnbebauung von einigem Gewicht vorhanden ist, durch Satzung bestimmen, dass Wohnzwecken dienenden Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 nicht entgegengehalten werden kann, dass sie einer Darstellung im Flächennutzungsplan über Flächen für die Landwirtschaft oder Wald widersprechen oder die Entstehung oder Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lassen. Die Satzung kann auch auf Vorhaben erstreckt werden, die kleineren Handwerks- und Gewerbebetrieben dienen. In der Satzung können nähere Bestimmungen über die Zulässigkeit getroffen werden. Voraussetzung für die Aufstellung der Satzung ist, dass
- 1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar ist, - 2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und - 3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
(1) Landschaftsschutzgebiete sind rechtsverbindlich festgesetzte Gebiete, in denen ein besonderer Schutz von Natur und Landschaft erforderlich ist
- 1.
zur Erhaltung, Entwicklung oder Wiederherstellung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder der Regenerationsfähigkeit und nachhaltigen Nutzungsfähigkeit der Naturgüter, einschließlich des Schutzes von Lebensstätten und Lebensräumen bestimmter wild lebender Tier- und Pflanzenarten, - 2.
wegen der Vielfalt, Eigenart und Schönheit oder der besonderen kulturhistorischen Bedeutung der Landschaft oder - 3.
wegen ihrer besonderen Bedeutung für die Erholung.
(2) In einem Landschaftsschutzgebiet sind unter besonderer Beachtung des § 5 Absatz 1 und nach Maßgabe näherer Bestimmungen alle Handlungen verboten, die den Charakter des Gebiets verändern oder dem besonderen Schutzzweck zuwiderlaufen.
(3) In einem Landschaftsschutzgebiet sind die Errichtung und der Betrieb von Windenergieanlagen sowie der zugehörigen Nebenanlagen nicht verboten, wenn sich der Standort der Windenergieanlagen in einem Windenergiegebiet nach § 2 Nummer 1 des Windenergieflächenbedarfsgesetzes vom 20. Juli 2022 (BGBl. I S. 1353) befindet. Satz 1 gilt auch, wenn die Erklärung zur Unterschutzstellung nach § 22 Absatz 1 entgegenstehende Bestimmungen enthält. Für die Durchführung eines im Übrigen zulässigen Vorhabens bedarf es insoweit keiner Ausnahme oder Befreiung. Bis gemäß § 5 des Windenergieflächenbedarfsgesetzes festgestellt wurde, dass das jeweilige Land den Flächenbeitragswert nach Anlage 1 Spalte 2 des Windenergieflächenbedarfsgesetzes oder der jeweilige regionale oder kommunale Planungsträger ein daraus abgeleitetes Teilflächenziel erreicht hat, gelten die Sätze 1 bis 3 auch außerhalb von für die Windenergienutzung ausgewiesenen Gebieten im gesamten Landschaftsschutzgebiet entsprechend. Die Sätze 1 bis 4 gelten nicht, wenn der Standort in einem Natura 2000-Gebiet oder einer Stätte, die nach Artikel 11 des Übereinkommens vom 16. November 1972 zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt (BGBl. 1977 II S. 213, 215) in die Liste des Erbes der Welt aufgenommen wurde, liegt.
(1) Im Außenbereich ist ein Vorhaben nur zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen, die ausreichende Erschließung gesichert ist und wenn es
- 1.
einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dient und nur einen untergeordneten Teil der Betriebsfläche einnimmt, - 2.
einem Betrieb der gartenbaulichen Erzeugung dient, - 3.
der öffentlichen Versorgung mit Elektrizität, Gas, Telekommunikationsdienstleistungen, Wärme und Wasser, der Abwasserwirtschaft oder einem ortsgebundenen gewerblichen Betrieb dient, - 4.
wegen seiner besonderen Anforderungen an die Umgebung, wegen seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung oder wegen seiner besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden soll, es sei denn, es handelt sich um die Errichtung, Änderung oder Erweiterung einer baulichen Anlage zur Tierhaltung, die dem Anwendungsbereich der Nummer 1 nicht unterfällt und die einer Pflicht zur Durchführung einer standortbezogenen oder allgemeinen Vorprüfung oder einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt, wobei bei kumulierenden Vorhaben für die Annahme eines engen Zusammenhangs diejenigen Tierhaltungsanlagen zu berücksichtigen sind, die auf demselben Betriebs- oder Baugelände liegen und mit gemeinsamen betrieblichen oder baulichen Einrichtungen verbunden sind, - 5.
der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie nach Maßgabe des § 249 oder der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Wasserenergie dient, - 6.
der energetischen Nutzung von Biomasse im Rahmen eines Betriebs nach Nummer 1 oder 2 oder eines Betriebs nach Nummer 4, der Tierhaltung betreibt, sowie dem Anschluss solcher Anlagen an das öffentliche Versorgungsnetz dient, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben steht in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit dem Betrieb, - b)
die Biomasse stammt überwiegend aus dem Betrieb oder überwiegend aus diesem und aus nahe gelegenen Betrieben nach den Nummern 1, 2 oder 4, soweit letzterer Tierhaltung betreibt, - c)
es wird je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage betrieben und - d)
die Kapazität einer Anlage zur Erzeugung von Biogas überschreitet nicht 2,3 Millionen Normkubikmeter Biogas pro Jahr, die Feuerungswärmeleistung anderer Anlagen überschreitet nicht 2,0 Megawatt,
- 7.
der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken oder der Entsorgung radioaktiver Abfälle dient, mit Ausnahme der Neuerrichtung von Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität, - 8.
der Nutzung solarer Strahlungsenergie dient - a)
in, an und auf Dach- und Außenwandflächen von zulässigerweise genutzten Gebäuden, wenn die Anlage dem Gebäude baulich untergeordnet ist, oder - b)
auf einer Fläche längs von - aa)
Autobahnen oder - bb)
Schienenwegen des übergeordneten Netzes im Sinne des § 2b des Allgemeinen Eisenbahngesetzes mit mindestens zwei Hauptgleisen
- 9.
der Nutzung solarer Strahlungsenergie durch besondere Solaranlagen im Sinne des § 48 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 Buchstabe a, b oder c des Erneuerbare-Energien-Gesetzes dient, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben steht in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit einem Betrieb nach Nummer 1 oder 2, - b)
die Grundfläche der besonderen Solaranlage überschreitet nicht 25 000 Quadratmeter und - c)
es wird je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage betrieben.
(2) Sonstige Vorhaben können im Einzelfall zugelassen werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist.
(3) Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange liegt insbesondere vor, wenn das Vorhaben
- 1.
den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspricht, - 2.
den Darstellungen eines Landschaftsplans oder sonstigen Plans, insbesondere des Wasser-, Abfall- oder Immissionsschutzrechts, widerspricht, - 3.
schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann oder ihnen ausgesetzt wird, - 4.
unwirtschaftliche Aufwendungen für Straßen oder andere Verkehrseinrichtungen, für Anlagen der Versorgung oder Entsorgung, für die Sicherheit oder Gesundheit oder für sonstige Aufgaben erfordert, - 5.
Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege, des Bodenschutzes, des Denkmalschutzes oder die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert beeinträchtigt oder das Orts- und Landschaftsbild verunstaltet, - 6.
Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur beeinträchtigt, die Wasserwirtschaft oder den Hochwasserschutz gefährdet, - 7.
die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt oder - 8.
die Funktionsfähigkeit von Funkstellen und Radaranlagen stört.
(4) Den nachfolgend bezeichneten sonstigen Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 kann nicht entgegengehalten werden, dass sie Darstellungen des Flächennutzungsplans oder eines Landschaftsplans widersprechen, die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen oder die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lassen, soweit sie im Übrigen außenbereichsverträglich im Sinne des Absatzes 3 sind:
- 1.
die Änderung der bisherigen Nutzung eines Gebäudes, das unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nummer 1 errichtet wurde, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben dient einer zweckmäßigen Verwendung erhaltenswerter Bausubstanz, - b)
die äußere Gestalt des Gebäudes bleibt im Wesentlichen gewahrt, - c)
die Aufgabe der bisherigen Nutzung liegt nicht länger als sieben Jahre zurück, - d)
das Gebäude ist vor mehr als sieben Jahren zulässigerweise errichtet worden, - e)
das Gebäude steht im räumlich-funktionalen Zusammenhang mit der Hofstelle des land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs, - f)
im Falle der Änderung zu Wohnzwecken entstehen neben den bisher nach Absatz 1 Nummer 1 zulässigen Wohnungen höchstens fünf Wohnungen je Hofstelle und - g)
es wird eine Verpflichtung übernommen, keine Neubebauung als Ersatz für die aufgegebene Nutzung vorzunehmen, es sei denn, die Neubebauung wird im Interesse der Entwicklung des Betriebs im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 erforderlich,
- 2.
die Neuerrichtung eines gleichartigen Wohngebäudes an gleicher Stelle unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das vorhandene Gebäude ist zulässigerweise errichtet worden, - b)
das vorhandene Gebäude weist Missstände oder Mängel auf, - c)
das vorhandene Gebäude wurde oder wird seit längerer Zeit vom Eigentümer selbst genutzt und - d)
Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des bisherigen Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird; hat der Eigentümer das vorhandene Gebäude im Wege der Erbfolge von einem Voreigentümer erworben, der es seit längerer Zeit selbst genutzt hat, reicht es aus, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird,
- 3.
die alsbaldige Neuerrichtung eines zulässigerweise errichteten, durch Brand, Naturereignisse oder andere außergewöhnliche Ereignisse zerstörten, gleichartigen Gebäudes an gleicher Stelle, - 4.
die Änderung oder Nutzungsänderung von erhaltenswerten, das Bild der Kulturlandschaft prägenden Gebäuden, auch wenn sie aufgegeben sind, wenn das Vorhaben einer zweckmäßigen Verwendung der Gebäude und der Erhaltung des Gestaltwerts dient, - 5.
die Erweiterung eines Wohngebäudes auf bis zu höchstens zwei Wohnungen unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Gebäude ist zulässigerweise errichtet worden, - b)
die Erweiterung ist im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse angemessen und - c)
bei der Errichtung einer weiteren Wohnung rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass das Gebäude vom bisherigen Eigentümer oder seiner Familie selbst genutzt wird,
- 6.
die bauliche Erweiterung eines zulässigerweise errichteten gewerblichen Betriebs, wenn die Erweiterung im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und Betrieb angemessen ist.
(5) Die nach den Absätzen 1 bis 4 zulässigen Vorhaben sind in einer flächensparenden, die Bodenversiegelung auf das notwendige Maß begrenzenden und den Außenbereich schonenden Weise auszuführen. Für Vorhaben nach Absatz 1 Nummer 2 bis 6, 8 Buchstabe b und Nummer 9 ist als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung eine Verpflichtungserklärung abzugeben, das Vorhaben nach dauerhafter Aufgabe der zulässigen Nutzung zurückzubauen und Bodenversiegelungen zu beseitigen; bei einer nach Absatz 1 Nummer 2 bis 6 und 8 Buchstabe b zulässigen Nutzungsänderung ist die Rückbauverpflichtung zu übernehmen, bei einer nach Absatz 1 Nummer 1 oder Absatz 2 zulässigen Nutzungsänderung entfällt sie. Die Baugenehmigungsbehörde soll durch nach Landesrecht vorgesehene Baulast oder in anderer Weise die Einhaltung der Verpflichtung nach Satz 2 sowie nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe g sicherstellen. Im Übrigen soll sie in den Fällen des Absatzes 4 Satz 1 sicherstellen, dass die bauliche oder sonstige Anlage nach Durchführung des Vorhabens nur in der vorgesehenen Art genutzt wird.
(6) Die Gemeinde kann für bebaute Bereiche im Außenbereich, die nicht überwiegend landwirtschaftlich geprägt sind und in denen eine Wohnbebauung von einigem Gewicht vorhanden ist, durch Satzung bestimmen, dass Wohnzwecken dienenden Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 nicht entgegengehalten werden kann, dass sie einer Darstellung im Flächennutzungsplan über Flächen für die Landwirtschaft oder Wald widersprechen oder die Entstehung oder Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lassen. Die Satzung kann auch auf Vorhaben erstreckt werden, die kleineren Handwerks- und Gewerbebetrieben dienen. In der Satzung können nähere Bestimmungen über die Zulässigkeit getroffen werden. Voraussetzung für die Aufstellung der Satzung ist, dass
- 1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar ist, - 2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und - 3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
(1) Von den Geboten und Verboten dieses Gesetzes, in einer Rechtsverordnung auf Grund des § 57 sowie nach dem Naturschutzrecht der Länder kann auf Antrag Befreiung gewährt werden, wenn
- 1.
dies aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer und wirtschaftlicher Art, notwendig ist oder - 2.
die Durchführung der Vorschriften im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen würde und die Abweichung mit den Belangen von Naturschutz und Landschaftspflege vereinbar ist.
(2) Von den Verboten des § 33 Absatz 1 Satz 1 und des § 44 sowie von Geboten und Verboten im Sinne des § 32 Absatz 3 kann auf Antrag Befreiung gewährt werden, wenn die Durchführung der Vorschriften im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen würde. Im Fall des Verbringens von Tieren oder Pflanzen aus dem Ausland wird die Befreiung vom Bundesamt für Naturschutz gewährt.
(3) Die Befreiung kann mit Nebenbestimmungen versehen werden. § 15 Absatz 1 bis 4 und Absatz 6 sowie § 17 Absatz 5 und 7 finden auch dann Anwendung, wenn kein Eingriff in Natur und Landschaft im Sinne des § 14 vorliegt.
Tatbestand
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Entscheidungsgründe
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Gründe
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Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 06.06.2013 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Erteilung eines immissionsschutzrechtlichen Vorbescheides zur Errichtung einer Windenergieanlage auf dem Grundstück Gemarkung E1. , Flur 5, Flurstück 6, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger und der Beklagte je zur Hälfte. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar, jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten um die Erteilung eines Vorbescheides für die Errichtung und zum Betrieb einer Windenergieanlage (WEA) des Typs Enercon E-53 auf dem Grundstück Gemarkung E1. , Flur 5, Flurstück 6, in I1. . Der Vorhabenstandort liegt im bauplanungsrechtlichen Außenbereich und im räumlichen Geltungsbereich des Landschaftsplanes I1. /I2. und des in diesem Plan ausgewiesenen Landschaftsschutzgebietes „S. I3. “.
3Den zunächst unter dem 31.08.2011 gestellten Antrag auf Erteilung eines Vorbescheides hinsichtlich der planungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens und seiner Vereinbarkeit mit militärischen Belangen und Belangen des Luftverkehrs für eine Windenergieanlage des Typs Enercon E-82 E2 nahm der Kläger mit Schreiben vom 12.06.2013 zurück.
4Bereits mit Schreiben vom 06.03.2012 hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers dem Beklagten mitgeteilt, dass am vorgesehenen Standort nunmehr eine Windenergieanlage vom Typ Enercon E-53 errichtet und betrieben werden solle. Mit dieser unter 100 m hohen Windenergieanlage würden die relevanten Abstände zur vorhandenen Wohnbebauung sowohl in Bezug auf eine optisch bedrängende Wirkung als auch auf Geräuscheinwirkungen eingehalten und die nachbarlichen Interessen vollständig gewahrt. Mit Schreiben vom 16.04.2012 übersandten die Prozessbevoll-mächtigten des Klägers dem Beklagten einen Antrag auf Erteilung eines Vorbescheides für die Errichtung und den Betrieb einer Anlage vom Typ Enercon E-53 mit einer Nabenhöhe von 73,25 m, einem Rotorradius von 26,45 m, mithin einer Gesamthöhe von 99,70 m und einer Leistung von 800 kW. Zum Inhalt des Vorbescheidsantrages wurde erklärt, er solle die Erteilung einer landschaftsrechtlichen Befreiung umfassen, die artenschutzrechtliche Prüfung sollte dagegen Gegenstand des sich anschließenden Genehmigungsverfahrens sein.
5Im Rahmen der Beteiligung der Träger öffentlicher Belange zum Genehmigungsantrag teilte die Bezirksregierung E2. mit Schreiben vom 12.11.2012 mit, dass die beantragte Windenergieanlage in einem „Freiraumbereich für zweckgebundene Nutzungen, hier: zur „Sicherung und Abbau oberflächennaher Bodenschätze“ (BSAB = Abgrabungsbereiche) des gültigen Regionalplans „Gebietsentwicklungsplan für den Regierungsbezirk E2. , Teilabschnitt Oberbereich C1. “ liege. Für das vorliegende Verfahren, für das lediglich 0,4 ha von dem insgesamt 20 ha großen BSAB benötigt würden, könnten raumordnerische Bedenken zurückgestellt werden, wenn die geplante Windenergieanlage nach dem genehmigten Zeitraum, 15 bis 20 Jahre seien insoweit denkbar, vollständig zurückgebaut werde und einer Restflächennutzung dem BSAB nicht im Wege stünde.
6Die untere Landschaftsbehörde des Beklagten führte in ihrer Stellungnahme vom 14.05.2013 aus, dass eine Befreiung von den Verboten des Landschaftsplans I1. /I2. für die Errichtung der Anlage nicht in Aussicht gestellt werden könne und gebeten werde, das Vorhaben abzulehnen. Der Kläger beabsichtige, seine Anlage innerhalb eines Landschaftsschutzgebietes zu errichten. Der Landschaftsplan I1. /I2. enthalte für das ausgewiesene Landschaftsschutzgebiet ein generelles Bauverbot. Unberührtheitsklauseln oder Ausnahmevorschriften seien für die Errichtung von Windenergieanlagen nicht vorgesehen. Die geplante Windenergieanlage liege in einem Landschaftsraum, der durch das Tal der L1. geprägt sei. Der geplante Standort liege an der Grenze zwischen dem nach Norden und Osten eher flachen und durch den Siedlungsrand von I1. begrenzten Landschaftsraum und dem nach Süden und Südwesten sich öffnenden Landschaftsraum mit dem Tal der B. und des I4. -N. im weiteren Verlauf. Nach Westen und Nordwesten werde der Landschaftsraum durch den Wald und damit auch von der dahinter betriebenen Tonabgrabung sowie den sich anschließenden Siedlungsbereichen von V. begrenzt. Der Landschaftsraum könne durch die vereinzelte Streubebauung nicht als unberührter Landschaftsraum beschrieben werden. Dennoch werde diese Streubebauung überwiegend durch traditionelle Hofbäume und sonstige Gehölze gut in die Landschaftsstruktur eingebunden. Der Landschaftsraum entspreche in weiten Teilen dem traditionellen Bild der Landschaft im S. I3. mit seiner durch Bäume und Gehölze eingebundenen Streubebauung, den grünlandgenutzten Bachtälern mit begleitenden Gehölzbeständen und den auf den kuppigen Hochlagen ackerbaulich genutzten offenen Flächen.
7Die Festsetzung als Landschaftsschutzgebiet diene dem Schutz dieses Landschaftscharakters. Sie sei u.a. erfolgt zur Erhaltung des für das S. I6. typischen, vielfältig strukturierten Landschaftsbildes. Nach dem WEA-Erlass 2011 gelte das Bauverbot grundsätzlich auch in Landschaftsschutzgebieten, soweit nicht besondere Regelungen aufgenommen worden seien. Dem betroffenen Landschaftsraum komme eine hochwertige Funktion für den Naturschutz und die Landschaftspflege im Sinne des Schutzzwecks des Landschaftsplans zu. Die besondere Schutzwürdigkeit werde unterstrichen durch die Nähe des Landschaftsraums zum Naturschutzgebiet „B. -/L2. “. Dieses Naturschutzgebiet sei u.a. festgesetzt worden zur Erhaltung und Entwicklung eines hervorragend ausgeprägten Sieksystems des S. I6. aus landeskundlichen und erdgeschichtlichen Gründen und zur Erhaltung eines Landschaftsraums von hervorragender Schönheit. Diese Schutzzwecke könnten nicht aus dem Gesamtzusammenhang eines landschaftlichen Gefüges herausgelöst werden. Beeinträchtigungen des Umfeldes wirkten auch auf das Naturschutzgebiet ein. Das Landschaftsschutzgebiet könne zwar nicht für sich die Schutzwürdigkeit des Naturschutzgebietes sichern, sondern stehe in erster Linie nur für die eigene Schutzwürdigkeit, dennoch ergebe sich aus dem gesamträumlichen Zusammenhang eine besonders hochwertige Schutzfunktion.
8Eine Befreiung von dem Bauverbot nach § 67 BNatSchG komme nicht in Betracht. Ein überwiegendes öffentlichen Interesse i.S.d. § 67 Abs. 1 Ziffer 1 BNatSchG an der Erteilung einer Befreiung liege nicht vor, weil den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege im vorliegenden Fall ein höherer Wert beigemessen werde als dem öffentlichen und privaten Interesse an der Nutzung regenerativer Energiequellen.
9Die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes aufgrund der ca. 100 m hohen Anlage sei nicht mit dem Schutzzweck des Landschaftsschutzgebietes vereinbar. Durch die Errichtung der Windkraftanlage werde der im Landschaftsplan „I1. /I2. “ für das Landschaftsschutzgebiet festgelegte Schutzzweck in erheblicher Weise beeinträchtigt. Das Landschaftsschutzgebiet sei u.a. zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes in landwirtschaftlich geprägten sowie durch Siedlungen, Verkehr, Gewerbe und Erholung stark beanspruchten Landschaftsräumen, zur Erhaltung der Nutzungsfähigkeit der Naturgüter, zur Erhaltung des für S. I3. und I7. C2. typischen, vielfältig strukturierten Landschaftsbildes und zur Erhaltung der Erholungseignung der Landschaft, der Ruhe, der Natur und des Naturgenusses in einem dicht besiedelten Raum festgesetzt worden. Der Kreis I1. sei durch eine hohe Bevölkerungsdichte gekennzeichnet. Die hohe Bevölkerungsdichte mit der typischen Streubebauung im S. M. führe dazu, dass es nur relativ wenige Landschaftsräume gebe, die frei von Siedlungsgebieten, Gewerbeflächen, Streubebauung oder Infrastruktureinheiten seien. Gerade die geringe Ausstattung mit unbelasteten oder gering belasteten Landschaftsräumen führe zu einer hohen Gewichtung dieser Bereiche bei der Abwägung gegenüber anderen Belangen.
10Eine Befreiung komme auch nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG nicht in Betracht, weil der Kläger durch die Ablehnung der Befreiung nicht unzumutbar belastet werde.
11Darüber hinaus liege die geplante Anlage in einem Gebiet, das ein traditionelles Rastgebiet des Kiebitzes im zeitigen Frühjahr sei. In der Brutzeit könnten pro Jahr etwa drei bis fünf Brutpaare im Gebiet südlich des beantragten Standortes angetroffen werden. Die Literatur führe mehrheitlich aus, dass der Kiebitz durch Windenergieanlagen zu Meidung von Flächen 100 bis 300 m um eine Windenergieanlage veranlasst werde. Die artenschutzrechtliche Prüfung komme aufgrund dieser Erkenntnisse zum Ergebnis, dass zur Vermeidung von artenschutzrechtlichen Konflikten vorgezogene Maßnahmen zur Optimierung von Kiebitzlebensräumen erforderlich seien. Art und Umfang solcher vorgezogener Maßnahmen seien dem Grunde nach mit der unteren Landschaftsbehörde bereits abgestimmt worden. Allerdings unterstreiche die Bedeutung des Landschaftsraums für den Kiebitz die bereits beschriebene Wertigkeit des Landschaftsraums im Besonderen, zumal es im Stadtgebiet I1. und auch im ganzen Kreisgebiet nur eine geringe Zahl solch traditioneller Rast- und Brutplätze des Kiebitzes gebe.
12Mit Bescheid vom 06.06.2013 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Erteilung eines Vorbescheides gemäß § 9 BImSchG für die Errichtung einer Windenergieanlage des Typs Enercon E-53 auf dem Grundstück Gemarkung E1. , Flur 5, Flurstück 6, ab. Das Bauvorhaben verstoße gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften und Belange. Der beantragte Vorbescheid für die Windenergieanlage könne am jetzigen Standort nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG i.V.m. § 20 Abs. 2 der 9. BImSchV nicht erteilt werden, da die geplante Anlage in einem Landschaftsschutzgebiet liege, das ein Bauverbot bestimme. Die Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 BNatSchG für die Erteilung einer Befreiung von diesem Bauverbot lägen nicht vor. Die weitere Begründung entspricht im Wesentlichen der Stellungnahme der unteren Landschaftsbehörde vom 14.05.2013.
13Der Kläger hat daraufhin am 12.06.2013 Klage erhoben und vorgetragen, der Ablehnungsbescheid vom 06.06.2013 enthalte keine ordnungsgemäße Ermessensausübung des Beklagten hinsichtlich der abgelehnten Befreiung von den Verboten des Landschaftsplanes. Die Begründung sei erkennbar konstruiert und lasse wesentliche Aspekte gänzlich unberücksichtigt. Der vorgesehene Standort befinde sich am äußersten Rand des (insgesamt 605 km² großen) Landschaftsschutzgebietes S. I3. . Er werde eingerahmt im Osten durch die dort in Nord-Süd-Richtung verlaufende, vierspurig ausgebaute Bundesstraße C3. 61 /C3. , die in der Nähe über eine autobahnähnliche Anschlussstelle verfüge, sowie das östlich davon gelegene Stadtgebiet von I1. , im Süden von der in West-Ost-Richtung verlaufenden M1., im Westen von einem kleinen Waldstück sowie im Norden von der Hofstelle des Klägers und weiteren Bauwerken. Der gesamte Bereich werde intensiv landwirtschaftlich genutzt. Darüber hinaus werde in der Umgebung eine größere Tonabgrabung betrieben. Auch der Standort der geplanten Windenergieanlage liege innerhalb eines Tonabgrabungsbereichs, der bislang allerdings nicht zum Tonabbau genutzt worden sei. Eine 110 kV-Freileitung sowie Streubebauung stellten weitere Vorbelastungen dar. Auch befinde sich in einer Entfernung von rund 800 m ein großes Fabrikgebäude am T1.----- . Diese zahlreichen, erheblichen und augenscheinlichen Vorbelastungen des Landschaftsraums räume der Beklagte im Ablehnungsbescheid sogar teilweise ein, berücksichtige diese im Endergebnis jedoch nicht gebührend. Das Naturschutzgebiet „C3. . /L2. “ liege in größerer Entfernung zur geplanten Anlage als die Entfernung des Standorts zur Grenze des Landschaftsschutzgebietes betrage. In Anbetracht dieser Belastungen des Landschaftsbildes, die zum größten Teil bereits vorhanden seien und ansonsten – wie weitere Tonabgrabungen und neues Gewerbegebiet „T1.----- – in absehbarer Zeit hinzuträten, sei die Bewertung des Beklagten nicht nachvollziehbar. Desweiteren habe der Beklagte die besondere Bedeutung der erneuerbaren Energien nicht in ausreichendem Maße gewürdigt.
14Ferner sei zu beachten, dass die Gesamthöhe der Anlage von weniger als 100 m verhältnismäßig gering und damit nicht als raumbedeutsam einzustufen sei. Aufgrund der geringen Gesamthöhe sei eine Kennzeichnung als Luftfahrthindernis nicht erforderlich. Insgesamt habe der Beklagte die Aspekte Landschaftsbild und Erholungswert deutlich überbewertet und die für die Nutzung der Windenergie am fraglichen Standort sprechenden Aspekte allenfalls in allgemeiner Form floskelhaft angedeutet, sich im übrigen aber mit den tatsächlichen Gegebenheiten nicht ansatzweise auseinandergesetzt. Der Beklagte gehe auch nicht darauf ein, dass mit Blick auf das laufende Bebauungsplanverfahren zur Erweiterung des Gewerbegebietes „T1.----- “ dieses anschließend bis auf eine Entfernung von rund 200 m an das Landschaftsschutzgebiet und rund 400 m an den Anlagenstandort heranrücken werde. Ebenso wenig werde gewürdigt, dass der vorgesehene Standort für die Windenergieanlage Teil einer Fläche sei, die im geltenden Gebietsentwicklungsplan als Abgrabungsfläche für Tonvorkommen vorgesehen sei. Dass dieses Ziel der Raumordnung der Errichtung einer Windenergieanlage nicht entgegenstehe, habe die Bezirksregierung ausdrücklich bestätigt. Inwieweit aber die danach ohne weiteres zulässige Abgrabung von Tonvorkommen einen weniger bedeutsamen Eingriff in die Funktion des Landschaftschutzgebietes bedeuten würde als die Errichtung der geplanten Windenergieanlage, die lediglich eine Fläche von insgesamt 2 % der ausgewiesenen Abgrabungsfläche einnähme, lege der Beklagte nicht dar. Schließlich dürfte zu berücksichtigen sein, dass er sein Vorhaben auf einem in seinem Eigentum stehenden Grundstück in der Nähe seiner Hofstelle realisiere wolle. Ihm stehe daher insgesamt ein Anspruch auf Befreiung von den Bauverboten des Landschaftsplanes und damit der beantragte Vorbescheid für die Errichtung der von ihm geplanten Windenergieanlage zu.
15Der Kläger beantragt,
16den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 06.06.2013 i.d.F. des Änderungsbescheides vom 01.07.2013 zu verpflichten, ihm einen immissionsschutzrechtlichen Vorbescheid für die Errichtung einer Windenergieanlage des Typs Enercon E-53 auf dem Grundstück Gemarkung E1. , Flur 5, Flurstück 6, zu erteilen.
17Der Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Er trägt ergänzend vor: Soweit der Kläger vortrage, der vorgesehene Standort für die Anlage befinde sich am äußersten Rand des insgesamt I. km² großen Landschaftsschutzgebietes S. I3. , sei dies falsch. Die Größe des gesamten Kreises I1. betrage lediglich S. km². Der Landschaftsplan I1. /I2. weise das S. I3. mit einer Größe von ca. O. km² und das I7. C4. ebenfalls mit einer Größe von O. km² als Landschaftsschutzgebiet aus. Die im Osten an den vorgesehenen Standort in Nord-Süd-Richtung verlaufende, vierspurig ausgebaute Bundesstraße C3. 61/C3. 239 sei als Vorbelastung nicht zu berücksichtigen, da diese in einem mehr als 4 m tiefen Einschnitt liege und daher kaum sichtbar sei. Soweit der Kläger auf größere Tonabgrabungen verweise, sei diese ebenfalls falsch, da erst in westlicher Richtung zum geplanten Standort in einem Abstand von ca. 700 m eine Abgrabung in einer Größe von ca. 12 ha betrieben werde. Weitere Tonabgrabungen oder andere Abgrabungen bestünden nicht, Planungen lägen ebenfalls nicht vor. Ehemalige Abgrabungsräume seien erfolgreich rekultiviert worden. Das Gewerbegebiet „T1.----- “ beginne erst in einem Abstand von ca. 600 bis 800 m von der geplanten Anlage entfernt. Der Standort der Windenergieanlage sei landschaftlich deutlich abgesetzt von der gewerblichen Bebauung. Allein schon aufgrund der Entfernung könnten die dortigen baulichen Anlagen nicht als Vorbelastung für die beantragte Windenergieanlage angesehen werden. Das Naturschutzgebiet „C3. . -/L2. “ befinde sich an der Stelle, die dem Anlagenstandort am nächsten sei, in einem Abstand von ca. 400 m. Der L3. befinde sich in einem Abstand von ca. 550 m zum Anlagenstandort. Ausschlaggebend für die hier angegriffene Entscheidung sei nicht lediglich die Stellungnahme der unteren Landschaftsbehörde als solche. Er habe im Verwaltungsverfahren durchaus eine differenzierte Analyse des Standortes durchgeführt. Diese habe ergeben, dass der Landschaftsraum ein sehr hohes landschaftliches Potential aufweise, gerade weil die vorhandenen Vorbelastungen nicht prägend seien. Selbst für den Fall, dass es neben den bundesrechtlich geregelten Befreiungstatbeständen des § 67 Abs. 1 S. 1 BNatSchG noch Raum für eine Fortgeltung des landesrechtlich in § 69 Abs. 1 S. 1 a LG NRW geregelten Befreiungsgrundes der unbeabsichtigten Härte gäbe, würde dieser nicht vorliegen. Bei einem Bauverbot als Folge einer naturschutz- bzw. landschaftsschutzrechtlichen Festsetzung liege in aller Regel keine unbeabsichtigte Härte vor. Denn die Untersagung der Errichtung baulicher Anlagen im Schutzgebiet sei vom Normgeber regelmäßig gerade gewollt. Auch eine Befreiung aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses komme nicht in Betracht. Ein allgemeiner Wille bzw. ein allgemeines Bedürfnis, zunehmend regenerative Energiequellen zu nutzen, reiche hierfür nicht aus. Denn dieses Bedürfnis betreffe gerade nicht den konkreten Standort. Soweit der Kläger eine „besondere Nähe zur Bürgerinitiative“ rüge, sei lediglich richtig, dass ihm entsprechendes Material vorliege, es sei jedoch lediglich zur Darstellung des Umfeldes der Anlage in diesem Klageverfahren herangezogen worden.
20Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt, mit Schriftsatz vom 07.07.2014 aber ausgeführt, sie habe ihr Einvernehmen zur Errichtung einer Windkraftanlage am vorgesehenen Standort erteilt. Ihrem Einleitungsbeschluss vom 22.11.2012 zur Änderung des Flächennutzungsplanes liege eine Potentialstudie „Masterplan erneuerbare Energie“ des Planungsbüros L4. und C5. von September 2012 zu Grunde; danach liege die vom Kläger geplante Anlage in einem Ausschlussbereich. Zwischen ihr und dem Beklagten herrsche Dissens bezüglich der Auswirkungen von Windenergieanlagen auf das Landschaftsbild. Da der Freiraum außerhalb des Stadtkerns zum großen Teil als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen sei, habe der Bauausschuss am 17.10.2013 beschlossen, die Ausweisung von Windenergieflächen nicht weiter voranzutreiben, sondern den Ausgang dieses Verfahrens abzuwarten.
21Mit Bescheid vom 01.07.2013 hat der Beklagte den angefochtenen Bescheid vom 06.06.2013 im Hinblick auf die darin (unter III.) erhobene Verwaltungsgebühr geändert.
22Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie die Unterlagen der Bürgerinitiative „Initiative J1. .--/E1. gegen Windrad“ Bezug genommen.
23E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
24Die Klage ist zulässig, jedoch nur teilweise begründet.
25Der Bescheid des Beklagten vom 06.06.2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, weil die Ablehnung des beantragten Vorbescheides aus den im Bescheid aufgeführten Gründen rechtswidrig ist (1.). Ob dem beantragten Vorhaben andere Versagungsgründe entgegenstehen, lässt sich für das Gericht nicht abschließend beurteilen. Mangels Spruchreife war der Beklagte deshalb zur Neubescheidung des Vorbescheidsantrages zu verpflichten (2.).
261.
27Nach § 9 Abs. 1 BImSchG soll auf Antrag durch Vorbescheid über einzelne Genehmigungsvoraussetzungen sowie über den Standort der Anlage entschieden werden, sofern die Auswirkungen der geplanten Anlage ausreichend beurteilt werden können und ein berechtigtes Interesse an der Erteilung eines Vorbescheides besteht.
28a)
29Ein Vorbescheid kann zu jeder für die Genehmigung relevanten Frage ergehen, die im Vorgriff auf sie rechtlich und tatsächlich auch geklärt werden kann. Dies schließt umgekehrt für den Antragsteller auch das Recht ein, einzelne für die Genehmigung relevante Fragen aus der Prüfung auszuklammern.
30Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20.11.2012 – 8 A 252/10 –, juris Rn. 37 unter Bezugnahme auf das Urteil vom 09.12.2009 – 8 D 12/08.AK –, DVBl. 2010, 719 = juris Rn. 146, und VGH BW, Urteil vom 15.02.1990 – 10 S 2893/88 –, juris Rn. 23.
31Der Kläger hat die Prüfung im Vorbescheidsverfahren zunächst mit seinem Antrag vom 22.08.2011 betreffend die Enercon E-82 (in BA VII enthalten) auf die (volle) „planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens“ erstreckt, den Antrag auf Erteilung eines Vorbescheides für eine E-53 aber insoweit beschränkt, als die artenschutzrechtliche Prüfung dem Genehmigungsverfahren vorbehalten sein soll (vgl. Schriftsatz vom 16.04.2012, BA II Bl. 91). Damit ist die planungsrechtliche Prüfung nach § 35 BauGB auch für das Gericht eingeschränkt. Denn zu den planungsrechtlich relevanten Belangen des Naturschutzes i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Var. 1 BauGB gehören auch die naturschutzrechtlichen Vorschriften zum Gebiets- (§§ 31 ff. BNatSchG, §§ 48a ff. LG NRW) und Artenschutz (§§ 39 ff. BNatSchG, §§ 60 ff. LG NRW), zu Letzterem insbesondere die Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG.
32vgl. BVerwG, Urteil vom 27.06.2013 – 4 C 1.12 –, juris Rn. 6; OVG NRW, Urteile vom 30.07.2009 – 8 A 2357/08 –, juris Rn. 39, und vom 20.11.2012 – 8 A 252/10 –, juris Rn. 93.
33Die positive Bescheidung eines Vorbescheidsantrages setzt weiterhin voraus, dass nicht nur die zur Prüfung gestellten Belange dem Vorhaben nicht entgegenstehen, sondern auch die Auswirkungen der geplanten Anlage ausreichend beurteilt werden können. Aufgrund einer vorläufigen Prüfung anhand der vollständigen und insoweit endgültigen Pläne muss feststehen, dass die gesamte Anlage am vorgesehenen Standort genehmigungsfähig ist (sog. vorläufige positive Gesamtbeurteilung). Die in diesem Zusammenhang geläufige Formulierung, dass dem Gesamtvorhaben keine von vornherein unüberwindlichen Hindernisse entgegenstehen dürften (vgl. § 8 Satz 1 Nr. 3 BImSchG), darf allerdings nicht dahin missverstanden werden, dass das vorläufige positive Gesamturteil erst dann fehlt, wenn die Verwirklichung des Vorhabens bei kursorischer Prüfung mit Sicherheit ausgeschlossen ist. Eine positive Gesamtbeurteilung setzt vielmehr eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Genehmigungsfähigkeit der Gesamtanlage voraus.
34Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20.11.2012 – 8 A 252/10 –, juris Rn . 39 unter Bezugnahme auf das Urteil vom 12.06.2012 – 8 D 38/08.AK –, juris Rn. 109 ff., und Jarass, BImSchG, 10. Auflage 2013, § 8 Rn. 12 m.w.N.
35b)
36Gemessen an diesen Voraussetzungen tragen die im Bescheid des Beklagten vom 06.06.2013 aufgeführten Gründe die Versagung des beantragten Vorbescheides nicht. Der Errichtung und dem Betrieb der beantragten WEA stehen weder planungsrechtliche Festsetzungen i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB (aa) entgegen noch stehen dem Vorhaben Belange des Naturschutzes (unter Ausklammerung des Artenschutzes) und der Landschaftspflege mit Blick auf die Festsetzungen eines Landschaftsplanes bzw. die Ausweisung eines Landschaftsschutzgebietes entgegen (bb). Es fehlt auch nicht an einer vorläufigen positiven Gesamtbeurteilung (cc).
37aa)
38Darstellungen im Flächennutzungsplan i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB stehen dem Vorhaben nicht entgegen, weil es an einer Ausweisung von Konzentrationszonen für WEA an andere Stelle in einem (rechtsgültigen) Flächennutzungsplan der Beigeladenen fehlt. Wie die Beigeladene im Schriftsatz vom 07.07.2014 (Bl. 164 ff. GA) mitgeteilt hat, liegt bisher nur ein Aufstellungsbeschluss vom 22.12.2012 und eine Potentialstudie „Masterplan erneuerbare Energie“ vor. Das Verfahren zur Teiländerung des Flächennutzungsplanes ruht z.Zt. mit Blick auf den Ausgang des vorliegenden Rechtsstreites. Da aus Sicht der Beigeladenen dem Vorhaben auch keine landschaftsschutzrechtlichen Belange entgegenstehen, hat sie das Einvernehmen nach § 36 BauGB erteilt.
39Ebenso wenig kann dem Vorhaben entgegengehalten werden, dass als Ziel der Raumordnung i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB in überörtlichen Plänen eine Ausweisung von Konzentrationsflächen für WEA an anderer Stelle erfolgt ist. Der Gebietsentwicklungsplan für den Regierungsbezirk E2. – Teilabschnitt Windenergie – enthält derartige Festsetzungen nicht. Der Gebietsentwicklungsplan für den Regierungsbezirk E2. – Teilabschnitt Oberbereich C1. – weist den hier streitigen Standort als Bereich „zur Sicherung und Abbau oberflächennaher Bodenschätze“ (BSAB = Abgrabungsbereiche) aus. Die Ausweisung von BSAB in Regionalplänen hat zwar die Rechtswirkung von Vorranggebieten mit der Wirkung von Eignungsgebieten (§ 8 Abs. 7 ROG NRW), die grundsätzlich von konkurrierenden Nutzungen freizuhalten ist (Ziffer C3. .III Ziel 1). Mit Blick darauf, dass der ausgewiesene BSAB eine Größe von 20 ha hat, die WEA aber nur eine Fläche von 0,4 ha beansprucht und eine abschnittsweise Inanspruchnahme der (übrigen) Fläche zum Abbau möglich ist, hat die Regionalplanungsbehörde keine planungsrechtlichen Bedenken erhoben, wenn die Nutzung auf einen Zeitraum von 15 bis 20 Jahren befristet wird (BA II Bl. 197). Eine derartige Befristung in einem Genehmigungsbescheid ist auf Antrag nach § 12 Abs. 2 Satz 1 BImSchG möglich.
40bb)
41Belange des Natur- und Landschaftsschutzes i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Var. 1 BauGB stehen dem Vorhaben nicht entgegen.
42Ob einem durch § 35 Abs. 1 BauGB privilegierten Vorhaben öffentliche Belange i.S.v. § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB entgegenstehen, ist grundsätzlich im Wege einer sogenannten nachvollziehenden Abwägung zu ermitteln. Privilegierte Vorhaben sind nicht an jedem beliebigen Standort im Außenbereich zulässig. Auch für privilegierte Anlagen gilt das Gebot der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs. Mit § 35 Abs. 1 BauGB hat der Gesetzgeber den Außenbereich insbesondere nicht generell als Baubereich für privilegierte Vorhaben freigegeben, sondern ihre Zulässigkeit vielmehr von der Einzelfallprüfung abhängig gemacht, ob ihnen an einem konkreten Standort öffentliche Belange entgegenstehen. Im Einzelnen bestimmt sich das Gewicht sowohl der Privilegierung als auch das der öffentlichen Belange anhand einer Bewertung des Einzelfalles.
43Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20.11.2012 – 8 A 252/10 –, juris Rn. 76 ff. m.w.N. auf die Rechtsprechung des BVerwG; Gatz, Windenergieanlagen in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis, 2. Auflage 2013, Rn. 198 ff. m.w.N.; Söfker in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg/Krautzberger, Kommentar zum BauGB, Loseblatt-Sammlung (Stand: Juli 2011), § 35 Rn. 60 ff.
44Belange des Landschaftsschutzes i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Var. 1 BauGB stehen der Errichtung und dem Betrieb einer WEA u.a. dann entgegen, wenn der Standort im räumlichen Geltungsbereich einer Landschaftsschutzverordnung liegt, die Errichtung derartiger Anlagen im Geltungsbereich der Verordnung grundsätzlich verboten ist und von diesem Verbot durch Erteilung von Ausnahmen und Befreiungen nicht abgewichen werden kann.
45Vgl. BVerwG, Beschluss vom 02.02.2000 – 4 C3. 104/99 –, juris Rn. 2, und Urteil vom 19.04.1985 – 4 C 25.84 –, BauR 1985, 544.
46Ob die Belange des Landschaftsschutzes sich gegenüber dem entgegenstehenden Interessen des Bauherrn an der Realisierung eines privilegierten Vorhabens i.S.d. § 35 Abs. 1 BauGB durchsetzen, ist im Rahmen der nachvollziehenden Abwägung nach der konkreten Schutzwürdigkeit der Landschaft am vorgesehenen Standort zu beurteilen. Diese hängt insbesondere von den verfolgten Schutzzielen und dem Grad der Beeinträchtigung des Landschaftsbildes durch die streitige WEA ab, wobei auch etwaige Vorbelastungen zu berücksichtigen sind.
47vgl. OVG NRW, Urteil vom 05.09.2006 – 8 A 1971/04 –; VGH BW, Urteil vom 13.10.2005 – 3 S 2521/04 –, juris Rn 46; Gatz, a.a.O., Rn. 300 ff.; Scheidler, Errichtung von Windkraftanlagen in naturschutzrechtlich festgesetzten Schutzgebieten, NuR 2011, 848 ff.
48Ausgehend von diesen Maßstäben ist das Vorhaben des Klägers mit den Belangen des Landschaftsschutzes vereinbar.
49Der streitige Standort liegt im räumlichen Geltungsbereich des im Jahre 1996 durch den Landschaftsplan I1. /I2. förmlich festgesetzten Landschaftsschutzgebietes (LSG) „S. I3. “. In förmlich festgesetzten Landschaftsschutzgebieten sind alle Handlungen, die zu einer Zerstörung, Beschädigung oder Veränderung des geschützten Landschaftsbestandteils führen können, nach Maßgabe näherer Bestimmungen verboten (§ 26 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG). Von den Geboten und Verboten dieses Gesetzes, einer Rechtsverordnung auf Grund des § 57 sowie nach dem Naturschutzrecht der Länder kann nach § 67 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG auf Antrag Befreiung gewährt werden, wenn 1. dies aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer und wirtschaftlicher Art, notwendig ist oder 2. die Durchführung der Vorschriften im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen würde und die Abweichung mit den Belangen von Naturschutz und Landschaftspflege vereinbar ist.
50Nach Nr. 3.2.3.1 Satz 1 der textlichen Festsetzungen des Landschaftsplanes sind in den festgesetzten Landschaftsschutzgebieten Nr. 3.2.1.1 – 3.2.1.3.65 – zu denen das LSG „S. I3. “ zählt – nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen alle Handlungen verboten, die den Charakter des Gebietes verändern können oder dem Schutzzweck zu widerlaufen. Hierzu gehört insbesondere nach Satz 2 lit. a der Vorschrift das Errichten baulicher Anlagen. Ausnahmen von diesem Bauverbot sieht der Landschaftsplan in Nr. 3.2.3.2 lit b. für Vorhaben i.S.d. § 35 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BauGB (a.F.) und § 35 Abs. 4 Nr. 5 BauGB (a.F.) vor. Die Errichtung einer WEA wird hiervon nicht erfasst, weil im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Landschaftsplanes im Jahre 1995 WEA nicht zu den nach § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB privilegierten Anlagen zählten. Den Status eines baurechtlich-privilegierten Vorhabens erhielten diese Anlagen erst durch die Änderung des BauGB mit Gesetz vom 30.07.1996 (BGBl. I S. 1189),
51vgl. zur Änderung des BauGB: Gatz, a.a.O., Rn. 29 ff.,
52sodass eine Ausnahme vom Bauverbot nach dem Landschaftsplan nicht in Betracht kommt.
53Dem Kläger ist jedoch eine Befreiung vom Bauverbot im Landschaftsschutzgebiet nach § 67 BNatSchG zu erteilen. Aufgrund des am 1. März 2010 in Kraft getretenen (neuen) Bundesnaturschutzgesetzes ist diese Vorschrift an Stelle des weitgehend inhaltsgleichen § 69 LG NRW getreten. Von der nach Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG bestehenden Möglichkeit, durch ein nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes erlassenen Landesgesetz hiervon abzuweichen, hat der Landesgesetzgeber keinen Gebrauch gemacht. Die Regelung in § 69 Abs. 1 Satz 1 LG NRW ist unverändert geblieben und damit nicht mehr anwendbar.
54Vgl. OVG NRW, Urteil vom 16.01.2013 – 8 A 2252/11 –, juris Rn. 65; offengelassen noch im Urteil vom 11.09.2012 – 8 A 104/10 –, juris Rn. 27, und im Beschluss vom 21.02. 2011 – 8 A 1837/09 – juris Rn.14.
55aaa)
56Der Kläger hat allerdings keinen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung von dem Bauverbot der Landschaftsschutzverordnung nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG wegen einer „unzumutbaren Belastung“.
57Der Begriff der unzumutbaren Belastung in § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG knüpft nicht an die Intention des Normgebers – so noch § 69 LG NRW –, sondern an die Rechtsfolgen an. Hiermit wollte der Gesetzgeber den sich aus Art. 14 GG ergebenden verfassungsrechtlichen Grenzen Rechnung tragen. Ein die Inhaltsbestimmung des Eigentums überschreitendes, unzumutbares Sonderopfer liegt z.C3. . dann vor, wenn durch das Bauverbot die Privatnützigkeit des Eigentums nahezu vollständig beseitigt wird, sodass aus dem Recht eine Last wird, die der Eigentümer im öffentlichen Interesse zu tragen hat, ohne dafür die Vorteile einer privaten Nutzung genießen zu können.
58Vgl. Lau in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG Kommentar, 1. Auflage 2011, § 67 Rn. 4 unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 02.03.1999 – 1 BvL 7/91 – juris; Sauthoff in: Schlacke, BNatSchG Kommentar, 1. Auflage 2012, § 67 Rn. 20.
59Vor dem Hintergrund, dass es sich bei den naturschutzrechtlichen Ge- und Verboten um Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums i.S.d. Art 14 Abs. 1 Satz 2 GG handelt, muss sich die Unzumutbarkeit gerade aus grundstückbezogenen Besonderheiten, dagegen nicht aus personenbezogenen Umständen, wie persönlichen, finanziellen oder familiären Bedingungen ergeben.
60Vgl. Konrad in: Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-Walter/Stöckel, Naturschutzrecht, 3. Auflage 2013 § 67 BNatSchG Rn. 11; Sauthoff, a.a.O., § 67 Rn. 22; Lau, a.a.O., § 67 Rn. 4.
61Von einer unzumutbaren Härte i.S.d. § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG kann deshalb nicht ausgegangen werden. Der Kläger ist zwar Eigentümer des Grundstückes, auf dem die Anlage errichtet werden soll, sodass die Versagung des Vorbescheides ihn in den eigentumsrechtlich geschützten Nutzungsmöglichkeiten beschränkt. Es ist aber weder vorgetragen worden noch ersichtlich, dass die bisher ausgeübte landwirtschaftliche Nutzung des Grundstückes nicht (mehr) möglich ist und die Versagung des Vorbescheides ihn deshalb schwer und unerträglich beeinträchtigt. Ein Anspruch auf eine möglichst lukrative Nutzung des Grundstücks vermittelt das Eigentumsrecht nicht.
62bbb)
63Eine Befreiung von dem Bauverbot der Landschaftsschutzverordnung hat der Beklagte jedoch unter dem Blickwinkel des § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG zu Unrecht abgelehnt.
64Der Begriff des „überwiegenden öffentlichen Interesses“ i.S.d. § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG setzt eine atypische Sondersituation voraus, die der Verordnungsgeber beim Erlass der Verordnung nicht in den Blick genommen hat. Erst wenn diese Voraussetzung vorliegt, bedarf es einer Abwägungsentscheidung.
65Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.03.1998 – 4 A 7.97 –, und Beschluss vom 20.02.2002 – 4 C3. 12. –, juris Rn. 3; VGH BW, Urteil vom 13.10.2005 – 3 S 2521/04 –, juris Rn. 46; Lau, a.a.O., § 67 Rn. 3; Sauthoff, a.a.O., § 67 Rn. 13.
66Von einer derartigen atypischen Sondersituation ist hier auszugehen. WEA gehörten zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Landschaftsplanes im Januar 1996 nicht zu den nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegierten Anlagen, für die – wie oben bereits ausgeführt – der Verordnungsgeber weitgehende Ausnahmetatbestände vom Bauverbot vorsah. Durch die mit der Änderung des BauGB im Jahre 1997 erfolgte baurechtliche Privilegierung von WEA, die verfassungsrechtlich und einfachgesetzlich hervorgehobene Bedeutung erneuerbarer Energien für den Klimaschutz und die Erhaltung natürlicher Lebensgrundlagen (Art. 20a GG, Art. 29a LV NRW, § 1 Abs. 3 Nr. 4 BNatSchG) und die staatliche Subventionierung derartiger Energieträger durch das EEG hat der Gesetzgeber ein öffentliches Interesse am Ausbau regenerativer Energien und damit auch an der Errichtung von WEA zum Ausdruck gebracht, das zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Landschaftsplanes so noch nicht bestand und sich daher nach heutiger Rechtslage im Einzelfall im Rahmen einer Abwägung gegenüber den Bauverboten einer Landschaftsschutzverordnung durchsetzen kann.
67In dem nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG für die Befreiung erforderlichen „Überwiegen" des öffentlichen Interesses kommt ein Bilanzierungsgedanke zum Ausdruck. Dies bedeutet, dass die Gründe des öffentlichen Interesses im Einzelfall so gewichtig sein müssen, dass sie sich gegenüber den mit der Verordnung verfolgten Belangen durchsetzen. Ob dies der Fall ist, ist aufgrund einer Abwägung zu ermitteln, in deren Rahmen eine bilanzierende Gegenüberstellung der jeweils zu erwartenden Eingriffe und Folgen vorzunehmen ist.
68Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.02.2002 – 4 C3. 12.02 –, juris Rn. 4; Sauthoff, a.a.O., Rn. 18; Gatz, a.a.O., Rn. 286.
69Dabei entspricht nicht jedes beliebige, sondern nur ein qualifiziertes öffentliches Interesse den mit diesem Befreiungsgrund verfolgten Gemeinwohlbelangen. Bei der Abwägung ist in Rechnung zu stellen, dass eine Befreiung allenfalls in Betracht kommt, wenn Gründe des öffentlichen Interesses von besonderem Gewicht dies rechtfertigen.
70Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.02.2002 – 4 C3. 12.02 –, juris Rn. 5 ; Sauthoff, a.a.O., Rn. 17.
71Ein derartiges besonderes öffentliches Interesse ist hier gegeben.
72Das mit § 1 Abs. 2 EEG verfolgte Ziel, den Anteil des aus erneuerbaren Energien erzeugten Stroms am Bruttostromverbrauch stetig und kosteneffizient auf mindestens 40 bis 45 % bis zum Jahr 2025 und auf 55 bis 60 % bis zum Jahre 2035 zu erhöhen, kann letztlich nur erreicht werden, wenn die Errichtung von WEA auch in Landschaftsschutzgebieten nicht grundsätzlich ausgeschlossen und die Erteilung von Befreiungen und Ausnahmen hierfür in Betracht gezogen wird. Nach dem Willen der nordrhein-westfälischen Landesregierung soll der Anteil der Windenergie an der Stromerzeugung von derzeit (2011) 3 % bis auf mindestens 15 % im Jahre 2020 ausgebaut werden, was die Überprüfung bestehender und die Planung neuer Konzentrationszonen erforderlich macht.
73Vgl. hierzu Nr. 1.1 des WEA-Erlasses 2011.
74Die Ausweisung von Flächen für die Windenergienutzung oder die Errichtung von Einzelanlagen in Landschaftsschutzgebieten kommt deshalb insbesondere in Teilbereichen großräumiger Landschaftsschutzgebiete mit einer im Einzelfall weniger hochwertigen Funktion für den Naturschutz und die Landschaftspflege sowie die landschaftsorientierte Erholung in Betracht, soweit die Vereinbarkeit mit der Schutzfunktion des Landschaftsschutzgebietes insgesamt gegeben ist.
75Vgl. Nr. 8.2.1.5 des WEA-Erlasses 2011.
76Dementsprechend ist auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass im Rahmen der Flächennutzungsplanung Landschaftschutzgebiete nicht als „harte“ Tabuzonen zu betrachten sind, weil Ausnahmen oder Befreiungen vom Bauverbot grundsätzlich möglich, die Errichtung von WEA damit nicht schlechthin tatsächlich oder rechtlich unmöglich ist. Sie können allenfalls auf der zweiten Ebene als „weiche“ Tabuzonen – sofern nach dem planerischen Willen der Gemeinde die Errichtung von WEA dort von vornherein aus städtebaulichen Gründen ausgeschlossen werden soll – oder als Potenzialflächen auf der dritten Ebene im Rahmen der Abwägung mit den entgegenstehenden öffentlichen Interessen des Landschaftsschutzes als Eignungsgebiete ausgeschlossen werden.
77Vgl. zum Abwägungsvorgang: BVerwG, Urteile vom 13.12.2012 – 4 CN 1.11 –, juris Rn. 10, und vom 20.05.2010 – 4 C 7.09 –, juris Rn. 25, sowie Beschluss vom 15.09.2009 – 4 BN 25.09 –, juris Rn. 8; ebenso OVG NRW, Urteil vom 01.07.2013 – 2 D 46/12.NE –, juris Rn. 34 ff. und 52 ff..
78Das Abwägungsergebnis muss dabei dem mit § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB verfolgten Ziel gerecht werden, der Windenergie substanziellen Raum zu verschaffen. Erkennt die Gemeinde, dass dies nicht der Fall ist, muss sie ihr Auswahlkonzept noch einmal überprüfen und gegebenenfalls ändern.
79Vgl. BVerwG, Urteile vom 17.12.2002 – 4 C 15.01 –, juris
80Rn. 36, und vom 24.01.2008 – 4 CN 2.07 –, juris Rn. 15.
81Dies verdeutlicht, dass im Rahmen der Regional- und Flächennutzungsplanung den Belangen des Landschaftsschutzes kein grundsätzlicher Vorrang vor den öffentlichen Interessen an dem Ausbau und der Nutzung der Windenergie einzuräumen ist.
82Steht der Errichtung und dem Betrieb einer WEA – wie hier (s.o.) – nicht die wirksame Ausweisung einer Konzentrationszone an anderer Stelle des Gemeindegebietes entgegen, so scheidet in einem Genehmigungsverfahren die Erteilung einer Befreiung nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG deshalb nur dann aus, wenn die konkrete Anlage auch unter Berücksichtigung der Zwecke, die die Verordnung selbst im Auge hat, aus Gründen des Gemeinwohls nicht gerechtfertigt ist. Hierbei kommt es auf die Schutzwürdigkeit der Landschaft am konkreten Standort an.
83Vgl. Gatz, a.a.O. Rn. 304
84Maßgebend ist deshalb, ob die Errichtung und der Betrieb der WEA am vorgesehenen Standort den Charakter des Gebietes verändert oder dem besonderen Schutzzweck zuwiderläuft (§ 26 Abs. 2 BNatSchG).
85Auf der Grundlage der mit der Unterschutzstellung des Landschaftsschutzgebiets „S. I3. “ verfolgten Zwecken, nach Nr. 3.2.2.1 des Landschaftsplanes also
86- der Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes in landwirtschaftlich geprägten sowie durch Siedlungen, Verkehr, Gewerbe und Erholung stark beanspruchten Landschaftsräumen (lit a),
87- der Erhaltung der Nutzungsfähigkeit der Naturgüter (lit b),
88- der Erhaltung des für das S. I3. und I7. C4. typischen, vielfältig strukturierten Landschaftsbildes (lit c) und
89- der Erhaltung der Erholungseignung der Landschaft, der Ruhe der Natur und des Naturgenusses in einem dicht besiedelten Raum (lit d),
90kann hiervon nicht ausgegangen werden. Der Beklagte hat sich im angefochtenen Bescheid (Seite 6) im Wesentlichen darauf berufen, dass die Ablehnung der Befreiung zur Erhaltung des Landschaftsbildes (Nr. 3.2.2.1 lit c des Landschaftsplanes) und zur Erhaltung der Erholungseigenschaft der Landschaft, der Ruhe der Natur und des Naturgenusses (lit d) erforderlich sei. Seine diesbezüglichen Ausführungen zu § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG rechnet die Kammer – auch – dem Befreiungstatbestand des § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG zu.
91Diese Bewertung kann das Gericht nach Auswertung der örtlichen Gegebenheiten auf Grund der vorliegenden Lichtbildaufnahmen nicht nachvollziehen.
92Es ist schon nicht ersichtlich, dass die Ablehnung der Befreiung zur Erhaltung der Erholungseigenschaft der Landschaft erforderlich ist. Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang auf die geringe Ausstattung des Kreises I1. mit unbelasteten oder gering belasteten Landschaftsräumen verweist (Seite 6 des Bescheides), ist die Begründung schon deshalb unzureichend, weil sie nicht auf die konkrete Schutzwürdigkeit der Landschaft am Vorhabenstandort Bezug nimmt. Eine derartige standortbezogene Prüfung ist aber insbesondere dann erforderlich, wenn – wie hier – fast der gesamte Außenbereich einer Gemeinde oder Stadt unter Landschaftsschutz gestellt ist und die Errichtung von WEA grundsätzlich am Landschaftsschutz scheitern würde.
93Auch der standortbezogenen Begründung des Bescheides vom 06.06.2013 (Seite 3) vermag die Kammer nicht zu folgen. Es lässt sich nicht erkennen, dass hier durch die Errichtung der geplanten WEA die Erhaltung der Erholungseigenschaft der Landschaft beeinträchtigt werden könnte.
94Wie der Beklagte selber einräumt, kann zunächst auf Grund der Vorbelastungen nicht von einem im Wesentlichen unberührten Landschaftsraum gesprochen werden.
95Der streitige Vorhabenstandort liegt am äußersten Rand des Landschaftsschutzgebietes. Er wird eingerahmt durch die ca. 700 m nördlich liegende Siedlung J1. .-- und die in Ost-West-Richtung verlaufende M1. 472 (F.---- ), durch die in Nord-Süd-Richtung verlaufende C3. /C3. im Osten und durch die südlich des Vorhabengrundstücks verlaufende M1. 543 (E3. ). In nordöstlicher Richtung – ca. 800 m vom Standort entfernt – befindet sich derzeit ein einzelner Gewerbebetrieb. Der Rat der Beigeladenen hat in der Sitzung vom 28.09.2012 die Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 8.74 „T1.-----“ beschlossen, der die Ausweisung eines Gewerbegebietes östlich des T2.----- in einer Größe von ca. 11,2 ha vorsieht. Die Bekanntmachung des Bebauungsplanes erfolgte am 17.09.2014. Westlich vom Vorhabenstandort befindet sich ein Tonabgrabungsgelände und ca. 700 m in südwestlicher Richtung eine 110 kV-Leitung.
96Schon dies zeigt, dass die nähere Umgebung des Vorhabenstandortes durch verschiedene landschaftsfremde Nutzungen vorbelastet ist und der Erholungswert der Landschaft sowie das Landschaftsbild bereits erheblich beeinträchtigt ist.
97Innerhalb des Gebietes befinden sich auch keine Rad- und Fußwege, die vorrangig durch die erholungssuchende Bevölkerung genutzt werden. Der östlich des streitigen Standortes verlaufende T1.-----weg verbindet die F.----straße und die E3. Straße und wird hauptsächlich als Zuwegung zu den landwirtschaftlich genutzten Flächen, dem Gewerbebetrieb und der dort vorhandenen Wohnbebauung genutzt. Die E3. Straße verfügt über keine Fuß- oder Radwegspuren, ebenso wenig ist ersichtlich, dass sich in der näheren Umgebung Wege befinden, die in ein örtliches oder überörtliches Radwegenetz eingebunden sind. Eine besondere Bedeutung des Landschaftsraumes für die erholungssuchende Bevölkerung hat der Beklagte nur mit Blick auf das südlich der E3. Straße gelegenen Tal der L1. dargelegt. Die entlang der L1. verlaufenden Wirtschaftswege befinden sich aber ca. 550 m südlich des Vorhabenstandortes und werden von diesem durch landwirtschaftliche Nutzflächen und durch die E3. Straße getrennt. Das Gelände fällt von der E3. Straße außerdem steil zum Tal der L1. ab. Die L1. ist in diesem Bereich von bachbegleitenden Gehölzen umgeben. Für die dort erholungssuchende Bevölkerung ist der Bereich nördlich der E3. Straße daher nur in Teilbereichen einsehbar, eine WEA am Anlagestandort deshalb nur eingeschränkt wahrnehmbar. Insoweit ist nicht ersichtlich, dass die Erholungseigenschaft der Landschaft durch die Errrichtung der WEA am vorgesehenen Standort beeinträchtigt werden könnte.
98Die Versagung der Befreiung war auch nicht zur Erhaltung des Landschaftsbildes erforderlich. Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang (Seite 6 des Bescheides) auf das für das S. I3. typische vielfältige Landschaftsbild– den Wechsel zwischen großflächigen ackerbaulichen Nutzungen, einzelnen Gehölzreihen, kleinflächigem Grünland und Sonderkulturen mit teilweise heckenartigen Einfassungen – verweist, greift dies nicht durch. Die Ortsbesichtigung hat vielmehr ergeben, dass die Umgebung um den hier streitigen Standort eben nicht die an anderen Stellen des S. I6. typische vielfältige Landschaftsstruktur aufweist. Die Flächen in der Nähe des Anlagenstandortes werden weitgehend flächig landwirtschaftlich genutzt und weder durch einzelne Gehölzstreifen noch durch Bäche oder Sieke unterbrochen. Erst die südlich der E3. Straße gelegene Landschaft weist die für das S. I3. typische vielfältige Landschaftstruktur auf. Sie wird wesentlich von der L1. geprägt, die beidseitig von dichten Gehölzbeständen umgeben ist und sich nach Süden leicht ansteigend in das Sieksytem des I4. - N1. fortsetzt.
99Es kann entgegen der Auffassung des Beklagten (Seite 2) nicht davon ausgegangen werden, dass die Landschaft am Vorhabenstandort wesentlich durch die Landschaftsstruktur südlich der E3. Straße mitgeprägt wird und die Errichtung einer WEA auch dort das Landschaftsbild in einer Weise beeinträchtigt, die die Erteilung einer Befreiung ausschließt. Wie der Beklagte selber einräumt (Seite 3 des Bescheides) befindet sich der Standort im Übergangsbereich zwischen dem nach Norden eher flachen und durch Siedlungen begrenzten Landschaftsraum und dem sich nach Süden öffnenden Landschaftsraum mit dem Tal der C3. . und dem I4. -N2. . Die E3. Straße schneidet diesen Landschaftsraum nicht nur, sondern stellt hier den Übergang in eine wesentlich anders strukturierte Landschaftsform dar. Wie oben bereits dargelegt, fällt das Gelände zur L1. hin steil ab. Durch den beidseitig des Baches vorhandenen Gehölzbewuchs wird der Blick auf den Bereich nördlich der E3. Straße verstellt. Eine dort geplante WEA würde deshalb das das L2. prägende Landschaftsbild nicht beeinträchtigen.
100Im Ergebnis ist der Beklagte deshalb zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Erteilung einer Befreiung Versagungsgründe i.S.d. § 67 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG entgegenstehen. Liegen keine Versagungsgründe i.S.d. § 67 BNatSchG vor, so ist das Ermessen der genehmigenden Behörde regelmäßig dahingehend reduziert, dass die Befreiung zu erteilen ist.
101Vgl. VG Aachen, Urteil vom 07.05.2012 – 6 K 1140/10 –, juris Rn. 119 unter Bezugnahme auf Gatz, a.a.O. Rn. 294.
102cc)
103Dem Vorhaben stehen auch keine von vornherein unüberwindlichen Hindernisse entgegen, deren Prüfung nicht Gegenstand des Vorbescheidsantrages ist. Bei Vorhaben, für die eine allgemeine oder standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalles nach § 3c Sätze 1 oder 2 UVPG erforderlich ist, muss sich die vorläufige Gesamtbeurteilung auch auf die Frage erstrecken, ob für das Vorhaben die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich ist.
104Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20.11.2012 – 8 A 252/10 –, juris Rn. 116.
105Für den Betrieb und die Errichtung (nur) einer WEA – wie hier – bedarf es aber keiner Vorprüfung nach § 3c UVPG, da das Vorhaben nicht UVP-pflichtig ist (vgl. Nr. 1.6 der Anlage 1 zum UVPG).
1062.
107Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf Erteilung eines Vorbescheides, weil ungeachtet dessen, dass die Ablehnung des beantragten Vorbescheides aus den im Bescheid genannten Gründen rechtswidrig war, die Sache nicht spruchreif ist und das Gericht die Spruchreife auch nicht herstellen kann (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
108Lehnt die Genehmigungsbehörde die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ab, liegt der Fall eines „stecken gebliebenen" Genehmigungsverfahrens vor, in dem die Verpflichtung des Gerichts zur Herbeiführung der Spruchreife entfällt, wenn ansonsten im Verwaltungsverfahren noch nicht behandelte komplexe Fragen erstmals im gerichtlichen Verfahren geprüft werden müssten.
109Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 14.04.1989 – 4 C 52/87 –, NVwZ 1990, 257; OVG NRW, Urteile vom 19.06 2007 – 8 A 2677/06 –, NWVBl. 2008, 26, und vom 30.07.2009 – 8 A 2357/08 –, juris.
110Die Grundsätze des „stecken gebliebenen“ Genehmigungsverfahrens gelten auch für immissionsschutzrechtliche Vorbescheide nach § 9 BImSchG.
111Vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 21.04.2010 – 12 LC 9/07 –, juris.
112Das Gericht war im vorliegenden Fall nicht verpflichtet, die Spruchreife der Sache herbeizuführen, weil der Beklagte nicht geprüft hat, ob der Erteilung des Vorbescheides weitere bauplanungsrechtliche Hindernisse entgegenstehen. Es lässt sich insbesondere für das Gericht nicht ohne weitere aufwendige Ermittlungen feststellen, ob bei der Verwirklichung des Vorhabens mit schädlichen Umwelteinwirkungen i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB zu rechnen ist
113Eine Schallimmissions- und Schattenwurfprognose war dem Vorbescheidsantrag nicht beigefügt. Obwohl der Kläger im Rahmen einer Besprechung am 24.02.2012 (BA I Bl. 73) selbst erklärt hatte, dass die Verschiebung des Standortes und die Wahl einer anderen Anlage (E-53 statt E-82) erfolge, da der bisherige Standort wegen der durch die Anlage entstehenden Geräuschimmissionen nicht aufrecht erhalten bleiben könne, legte er in Ergänzung des Antrages betreffend die Errichtung einer E-53 nur einen landschaftspflegerischen Begleitplan von L4. und C5. Landschaftsarchitekten GmbH vom 10.01.2012 vor. Erst in der mündlichen Verhandlung wurde eine Schallimmissions- und Schattenwurfprognose der F1. GmbH vom 05.04.2012 bzw. 12.04.2012 eingereicht.
114Die Prüfung der Schallimmissions- und Schattenwurfprognose obliegt in erster Linie der genehmigenden Behörde. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, die erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen auf ihre fachliche Richtigkeit zu überprüfen. Ungeachtet dessen ist fraglich, ob die Einhaltung der nach der TA Lärm maßgeblichen Immissionsrichtwerte nach der nunmehr vorgelegten Prognose sichergestellt ist. Denn danach (Seite 26) wird zumindest am Wohnhaus des Klägers– dem Immissionsort G – mit 48 dB(A) der nach Nr. 6.1. Buchstabe c TA Lärm maßgebliche Immissionsrecht von 45 dB(A) deutlich überschritten. Ob bei einer Eigenbeschallung ein (erhöhter) Immissionsrichtwert von 48 dB(A) zugrunde gelegt werden kann, ist umstritten und bedarf eingehender Prüfung.
115Vgl. (bejahend) das in der Prognose zitierte Windenergie Handbuch, Seite 28 Fn. 7; a.A.: VG Oldenburg, Urteil vom 26.02.2009 – 5 A 4836/06 –, juris Rn. 27.
116Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Es entspricht billigem Ermessen, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nicht für erstattungsfähig zu erklären, weil sie keinen eigenen Sachantrag gestellt und sich damit nicht am Prozesskostenrisiko beteiligt hat (vgl. §§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO).
117Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO i.V.m. 709 ZPO.
(1) Im Außenbereich ist ein Vorhaben nur zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen, die ausreichende Erschließung gesichert ist und wenn es
- 1.
einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dient und nur einen untergeordneten Teil der Betriebsfläche einnimmt, - 2.
einem Betrieb der gartenbaulichen Erzeugung dient, - 3.
der öffentlichen Versorgung mit Elektrizität, Gas, Telekommunikationsdienstleistungen, Wärme und Wasser, der Abwasserwirtschaft oder einem ortsgebundenen gewerblichen Betrieb dient, - 4.
wegen seiner besonderen Anforderungen an die Umgebung, wegen seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung oder wegen seiner besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden soll, es sei denn, es handelt sich um die Errichtung, Änderung oder Erweiterung einer baulichen Anlage zur Tierhaltung, die dem Anwendungsbereich der Nummer 1 nicht unterfällt und die einer Pflicht zur Durchführung einer standortbezogenen oder allgemeinen Vorprüfung oder einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt, wobei bei kumulierenden Vorhaben für die Annahme eines engen Zusammenhangs diejenigen Tierhaltungsanlagen zu berücksichtigen sind, die auf demselben Betriebs- oder Baugelände liegen und mit gemeinsamen betrieblichen oder baulichen Einrichtungen verbunden sind, - 5.
der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie nach Maßgabe des § 249 oder der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Wasserenergie dient, - 6.
der energetischen Nutzung von Biomasse im Rahmen eines Betriebs nach Nummer 1 oder 2 oder eines Betriebs nach Nummer 4, der Tierhaltung betreibt, sowie dem Anschluss solcher Anlagen an das öffentliche Versorgungsnetz dient, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben steht in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit dem Betrieb, - b)
die Biomasse stammt überwiegend aus dem Betrieb oder überwiegend aus diesem und aus nahe gelegenen Betrieben nach den Nummern 1, 2 oder 4, soweit letzterer Tierhaltung betreibt, - c)
es wird je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage betrieben und - d)
die Kapazität einer Anlage zur Erzeugung von Biogas überschreitet nicht 2,3 Millionen Normkubikmeter Biogas pro Jahr, die Feuerungswärmeleistung anderer Anlagen überschreitet nicht 2,0 Megawatt,
- 7.
der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken oder der Entsorgung radioaktiver Abfälle dient, mit Ausnahme der Neuerrichtung von Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität, - 8.
der Nutzung solarer Strahlungsenergie dient - a)
in, an und auf Dach- und Außenwandflächen von zulässigerweise genutzten Gebäuden, wenn die Anlage dem Gebäude baulich untergeordnet ist, oder - b)
auf einer Fläche längs von - aa)
Autobahnen oder - bb)
Schienenwegen des übergeordneten Netzes im Sinne des § 2b des Allgemeinen Eisenbahngesetzes mit mindestens zwei Hauptgleisen
- 9.
der Nutzung solarer Strahlungsenergie durch besondere Solaranlagen im Sinne des § 48 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 Buchstabe a, b oder c des Erneuerbare-Energien-Gesetzes dient, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben steht in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit einem Betrieb nach Nummer 1 oder 2, - b)
die Grundfläche der besonderen Solaranlage überschreitet nicht 25 000 Quadratmeter und - c)
es wird je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage betrieben.
(2) Sonstige Vorhaben können im Einzelfall zugelassen werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist.
(3) Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange liegt insbesondere vor, wenn das Vorhaben
- 1.
den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspricht, - 2.
den Darstellungen eines Landschaftsplans oder sonstigen Plans, insbesondere des Wasser-, Abfall- oder Immissionsschutzrechts, widerspricht, - 3.
schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann oder ihnen ausgesetzt wird, - 4.
unwirtschaftliche Aufwendungen für Straßen oder andere Verkehrseinrichtungen, für Anlagen der Versorgung oder Entsorgung, für die Sicherheit oder Gesundheit oder für sonstige Aufgaben erfordert, - 5.
Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege, des Bodenschutzes, des Denkmalschutzes oder die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert beeinträchtigt oder das Orts- und Landschaftsbild verunstaltet, - 6.
Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur beeinträchtigt, die Wasserwirtschaft oder den Hochwasserschutz gefährdet, - 7.
die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt oder - 8.
die Funktionsfähigkeit von Funkstellen und Radaranlagen stört.
(4) Den nachfolgend bezeichneten sonstigen Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 kann nicht entgegengehalten werden, dass sie Darstellungen des Flächennutzungsplans oder eines Landschaftsplans widersprechen, die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen oder die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lassen, soweit sie im Übrigen außenbereichsverträglich im Sinne des Absatzes 3 sind:
- 1.
die Änderung der bisherigen Nutzung eines Gebäudes, das unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nummer 1 errichtet wurde, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben dient einer zweckmäßigen Verwendung erhaltenswerter Bausubstanz, - b)
die äußere Gestalt des Gebäudes bleibt im Wesentlichen gewahrt, - c)
die Aufgabe der bisherigen Nutzung liegt nicht länger als sieben Jahre zurück, - d)
das Gebäude ist vor mehr als sieben Jahren zulässigerweise errichtet worden, - e)
das Gebäude steht im räumlich-funktionalen Zusammenhang mit der Hofstelle des land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs, - f)
im Falle der Änderung zu Wohnzwecken entstehen neben den bisher nach Absatz 1 Nummer 1 zulässigen Wohnungen höchstens fünf Wohnungen je Hofstelle und - g)
es wird eine Verpflichtung übernommen, keine Neubebauung als Ersatz für die aufgegebene Nutzung vorzunehmen, es sei denn, die Neubebauung wird im Interesse der Entwicklung des Betriebs im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 erforderlich,
- 2.
die Neuerrichtung eines gleichartigen Wohngebäudes an gleicher Stelle unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das vorhandene Gebäude ist zulässigerweise errichtet worden, - b)
das vorhandene Gebäude weist Missstände oder Mängel auf, - c)
das vorhandene Gebäude wurde oder wird seit längerer Zeit vom Eigentümer selbst genutzt und - d)
Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des bisherigen Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird; hat der Eigentümer das vorhandene Gebäude im Wege der Erbfolge von einem Voreigentümer erworben, der es seit längerer Zeit selbst genutzt hat, reicht es aus, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird,
- 3.
die alsbaldige Neuerrichtung eines zulässigerweise errichteten, durch Brand, Naturereignisse oder andere außergewöhnliche Ereignisse zerstörten, gleichartigen Gebäudes an gleicher Stelle, - 4.
die Änderung oder Nutzungsänderung von erhaltenswerten, das Bild der Kulturlandschaft prägenden Gebäuden, auch wenn sie aufgegeben sind, wenn das Vorhaben einer zweckmäßigen Verwendung der Gebäude und der Erhaltung des Gestaltwerts dient, - 5.
die Erweiterung eines Wohngebäudes auf bis zu höchstens zwei Wohnungen unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Gebäude ist zulässigerweise errichtet worden, - b)
die Erweiterung ist im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse angemessen und - c)
bei der Errichtung einer weiteren Wohnung rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass das Gebäude vom bisherigen Eigentümer oder seiner Familie selbst genutzt wird,
- 6.
die bauliche Erweiterung eines zulässigerweise errichteten gewerblichen Betriebs, wenn die Erweiterung im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und Betrieb angemessen ist.
(5) Die nach den Absätzen 1 bis 4 zulässigen Vorhaben sind in einer flächensparenden, die Bodenversiegelung auf das notwendige Maß begrenzenden und den Außenbereich schonenden Weise auszuführen. Für Vorhaben nach Absatz 1 Nummer 2 bis 6, 8 Buchstabe b und Nummer 9 ist als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung eine Verpflichtungserklärung abzugeben, das Vorhaben nach dauerhafter Aufgabe der zulässigen Nutzung zurückzubauen und Bodenversiegelungen zu beseitigen; bei einer nach Absatz 1 Nummer 2 bis 6 und 8 Buchstabe b zulässigen Nutzungsänderung ist die Rückbauverpflichtung zu übernehmen, bei einer nach Absatz 1 Nummer 1 oder Absatz 2 zulässigen Nutzungsänderung entfällt sie. Die Baugenehmigungsbehörde soll durch nach Landesrecht vorgesehene Baulast oder in anderer Weise die Einhaltung der Verpflichtung nach Satz 2 sowie nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe g sicherstellen. Im Übrigen soll sie in den Fällen des Absatzes 4 Satz 1 sicherstellen, dass die bauliche oder sonstige Anlage nach Durchführung des Vorhabens nur in der vorgesehenen Art genutzt wird.
(6) Die Gemeinde kann für bebaute Bereiche im Außenbereich, die nicht überwiegend landwirtschaftlich geprägt sind und in denen eine Wohnbebauung von einigem Gewicht vorhanden ist, durch Satzung bestimmen, dass Wohnzwecken dienenden Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 nicht entgegengehalten werden kann, dass sie einer Darstellung im Flächennutzungsplan über Flächen für die Landwirtschaft oder Wald widersprechen oder die Entstehung oder Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lassen. Die Satzung kann auch auf Vorhaben erstreckt werden, die kleineren Handwerks- und Gewerbebetrieben dienen. In der Satzung können nähere Bestimmungen über die Zulässigkeit getroffen werden. Voraussetzung für die Aufstellung der Satzung ist, dass
- 1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar ist, - 2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und - 3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.
(1) Natur und Landschaft sind auf Grund ihres eigenen Wertes und als Grundlage für Leben und Gesundheit des Menschen auch in Verantwortung für die künftigen Generationen im besiedelten und unbesiedelten Bereich nach Maßgabe der nachfolgenden Absätze so zu schützen, dass
- 1.
die biologische Vielfalt, - 2.
die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts einschließlich der Regenerationsfähigkeit und nachhaltigen Nutzungsfähigkeit der Naturgüter sowie - 3.
die Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie der Erholungswert von Natur und Landschaft
(2) Zur dauerhaften Sicherung der biologischen Vielfalt sind entsprechend dem jeweiligen Gefährdungsgrad insbesondere
- 1.
lebensfähige Populationen wild lebender Tiere und Pflanzen einschließlich ihrer Lebensstätten zu erhalten und der Austausch zwischen den Populationen sowie Wanderungen und Wiederbesiedelungen zu ermöglichen, - 2.
Gefährdungen von natürlich vorkommenden Ökosystemen, Biotopen und Arten entgegenzuwirken, - 3.
Lebensgemeinschaften und Biotope mit ihren strukturellen und geografischen Eigenheiten in einer repräsentativen Verteilung zu erhalten; bestimmte Landschaftsteile sollen der natürlichen Dynamik überlassen bleiben.
(3) Zur dauerhaften Sicherung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts sind insbesondere
- 1.
die räumlich abgrenzbaren Teile seines Wirkungsgefüges im Hinblick auf die prägenden biologischen Funktionen, Stoff- und Energieflüsse sowie landschaftlichen Strukturen zu schützen; Naturgüter, die sich nicht erneuern, sind sparsam und schonend zu nutzen; sich erneuernde Naturgüter dürfen nur so genutzt werden, dass sie auf Dauer zur Verfügung stehen, - 2.
Böden so zu erhalten, dass sie ihre Funktion im Naturhaushalt erfüllen können; nicht mehr genutzte versiegelte Flächen sind zu renaturieren, oder, soweit eine Entsiegelung nicht möglich oder nicht zumutbar ist, der natürlichen Entwicklung zu überlassen, - 3.
Meeres- und Binnengewässer vor Beeinträchtigungen zu bewahren und ihre natürliche Selbstreinigungsfähigkeit und Dynamik zu erhalten; dies gilt insbesondere für natürliche und naturnahe Gewässer einschließlich ihrer Ufer, Auen und sonstigen Rückhalteflächen; Hochwasserschutz hat auch durch natürliche oder naturnahe Maßnahmen zu erfolgen; für den vorsorgenden Grundwasserschutz sowie für einen ausgeglichenen Niederschlags-Abflusshaushalt ist auch durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege Sorge zu tragen, - 4.
Luft und Klima auch durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu schützen; dies gilt insbesondere für Flächen mit günstiger lufthygienischer oder klimatischer Wirkung wie Frisch- und Kaltluftentstehungsgebiete, Luftaustauschbahnen oder Freiräume im besiedelten Bereich; dem Aufbau einer nachhaltigen Energieversorgung insbesondere durch zunehmende Nutzung erneuerbarer Energien kommt eine besondere Bedeutung zu, - 5.
wild lebende Tiere und Pflanzen, ihre Lebensgemeinschaften sowie ihre Biotope und Lebensstätten auch im Hinblick auf ihre jeweiligen Funktionen im Naturhaushalt, einschließlich ihrer Stoffumwandlungs- und Bestäubungsleistungen, zu erhalten, - 6.
der Entwicklung sich selbst regulierender Ökosysteme auf hierfür geeigneten Flächen Raum und Zeit zu geben.
(4) Zur dauerhaften Sicherung der Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie des Erholungswertes von Natur und Landschaft sind insbesondere
- 1.
Naturlandschaften und historisch gewachsene Kulturlandschaften, auch mit ihren Kultur-, Bau- und Bodendenkmälern, vor Verunstaltung, Zersiedelung und sonstigen Beeinträchtigungen zu bewahren, - 2.
Vorkommen von Tieren und Pflanzen sowie Ausprägungen von Biotopen und Gewässern auch im Hinblick auf ihre Bedeutung für das Natur- und Landschaftserlebnis zu bewahren und zu entwickeln, - 3.
zum Zweck der Erholung in der freien Landschaft nach ihrer Beschaffenheit und Lage geeignete Flächen vor allem im besiedelten und siedlungsnahen Bereich sowie großflächige Erholungsräume zu schützen und zugänglich zu machen.
(5) Großflächige, weitgehend unzerschnittene Landschaftsräume sind vor weiterer Zerschneidung zu bewahren. Die erneute Inanspruchnahme bereits bebauter Flächen sowie die Bebauung unbebauter Flächen im beplanten und unbeplanten Innenbereich, soweit sie nicht als Grünfläche oder als anderer Freiraum für die Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege vorgesehen oder erforderlich sind, hat Vorrang vor der Inanspruchnahme von Freiflächen im Außenbereich. Verkehrswege, Energieleitungen und ähnliche Vorhaben sollen landschaftsgerecht geführt, gestaltet und so gebündelt werden, dass die Zerschneidung und die Inanspruchnahme der Landschaft sowie Beeinträchtigungen des Naturhaushalts vermieden oder so gering wie möglich gehalten werden. Beim Aufsuchen und bei der Gewinnung von Bodenschätzen, bei Abgrabungen und Aufschüttungen sind dauernde Schäden des Naturhaushalts und Zerstörungen wertvoller Landschaftsteile zu vermeiden; unvermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft sind insbesondere durch Förderung natürlicher Sukzession, Renaturierung, naturnahe Gestaltung, Wiedernutzbarmachung oder Rekultivierung auszugleichen oder zu mindern.
(6) Freiräume im besiedelten und siedlungsnahen Bereich einschließlich ihrer Bestandteile, wie Grünzüge, Parkanlagen, Kleingartenanlagen und sonstige Grünflächen, Wälder, Waldränder und andere Gehölzstrukturen einschließlich Einzelbäume, Fluss- und Bachläufe mit ihren Uferzonen und Auenbereichen, stehende Gewässer und ihre Uferzonen, gartenbau- und landwirtschaftlich genutzte Flächen, Flächen für natürliche Entwicklungsprozesse, Naturerfahrungsräume sowie naturnahe Bereiche im Umfeld von Verkehrsflächen und anderen Nutzungen einschließlich wegebegleitender Säume, sind zu erhalten und dort, wo sie nicht in ausreichendem Maße und hinreichender Qualität vorhanden sind, neu zu schaffen oder zu entwickeln.
(7) Den Zielen des Naturschutzes und der Landschaftspflege können auch Maßnahmen dienen, die den Zustand von Biotopen und Arten durch Nutzung, Pflege oder das Ermöglichen ungelenkter Sukzession auf einer Fläche nur für einen begrenzten Zeitraum verbessern.
Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 06.06.2013 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Erteilung eines immissionsschutzrechtlichen Vorbescheides zur Errichtung einer Windenergieanlage auf dem Grundstück Gemarkung E1. , Flur 5, Flurstück 6, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger und der Beklagte je zur Hälfte. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar, jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten um die Erteilung eines Vorbescheides für die Errichtung und zum Betrieb einer Windenergieanlage (WEA) des Typs Enercon E-53 auf dem Grundstück Gemarkung E1. , Flur 5, Flurstück 6, in I1. . Der Vorhabenstandort liegt im bauplanungsrechtlichen Außenbereich und im räumlichen Geltungsbereich des Landschaftsplanes I1. /I2. und des in diesem Plan ausgewiesenen Landschaftsschutzgebietes „S. I3. “.
3Den zunächst unter dem 31.08.2011 gestellten Antrag auf Erteilung eines Vorbescheides hinsichtlich der planungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens und seiner Vereinbarkeit mit militärischen Belangen und Belangen des Luftverkehrs für eine Windenergieanlage des Typs Enercon E-82 E2 nahm der Kläger mit Schreiben vom 12.06.2013 zurück.
4Bereits mit Schreiben vom 06.03.2012 hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers dem Beklagten mitgeteilt, dass am vorgesehenen Standort nunmehr eine Windenergieanlage vom Typ Enercon E-53 errichtet und betrieben werden solle. Mit dieser unter 100 m hohen Windenergieanlage würden die relevanten Abstände zur vorhandenen Wohnbebauung sowohl in Bezug auf eine optisch bedrängende Wirkung als auch auf Geräuscheinwirkungen eingehalten und die nachbarlichen Interessen vollständig gewahrt. Mit Schreiben vom 16.04.2012 übersandten die Prozessbevoll-mächtigten des Klägers dem Beklagten einen Antrag auf Erteilung eines Vorbescheides für die Errichtung und den Betrieb einer Anlage vom Typ Enercon E-53 mit einer Nabenhöhe von 73,25 m, einem Rotorradius von 26,45 m, mithin einer Gesamthöhe von 99,70 m und einer Leistung von 800 kW. Zum Inhalt des Vorbescheidsantrages wurde erklärt, er solle die Erteilung einer landschaftsrechtlichen Befreiung umfassen, die artenschutzrechtliche Prüfung sollte dagegen Gegenstand des sich anschließenden Genehmigungsverfahrens sein.
5Im Rahmen der Beteiligung der Träger öffentlicher Belange zum Genehmigungsantrag teilte die Bezirksregierung E2. mit Schreiben vom 12.11.2012 mit, dass die beantragte Windenergieanlage in einem „Freiraumbereich für zweckgebundene Nutzungen, hier: zur „Sicherung und Abbau oberflächennaher Bodenschätze“ (BSAB = Abgrabungsbereiche) des gültigen Regionalplans „Gebietsentwicklungsplan für den Regierungsbezirk E2. , Teilabschnitt Oberbereich C1. “ liege. Für das vorliegende Verfahren, für das lediglich 0,4 ha von dem insgesamt 20 ha großen BSAB benötigt würden, könnten raumordnerische Bedenken zurückgestellt werden, wenn die geplante Windenergieanlage nach dem genehmigten Zeitraum, 15 bis 20 Jahre seien insoweit denkbar, vollständig zurückgebaut werde und einer Restflächennutzung dem BSAB nicht im Wege stünde.
6Die untere Landschaftsbehörde des Beklagten führte in ihrer Stellungnahme vom 14.05.2013 aus, dass eine Befreiung von den Verboten des Landschaftsplans I1. /I2. für die Errichtung der Anlage nicht in Aussicht gestellt werden könne und gebeten werde, das Vorhaben abzulehnen. Der Kläger beabsichtige, seine Anlage innerhalb eines Landschaftsschutzgebietes zu errichten. Der Landschaftsplan I1. /I2. enthalte für das ausgewiesene Landschaftsschutzgebiet ein generelles Bauverbot. Unberührtheitsklauseln oder Ausnahmevorschriften seien für die Errichtung von Windenergieanlagen nicht vorgesehen. Die geplante Windenergieanlage liege in einem Landschaftsraum, der durch das Tal der L1. geprägt sei. Der geplante Standort liege an der Grenze zwischen dem nach Norden und Osten eher flachen und durch den Siedlungsrand von I1. begrenzten Landschaftsraum und dem nach Süden und Südwesten sich öffnenden Landschaftsraum mit dem Tal der B. und des I4. -N. im weiteren Verlauf. Nach Westen und Nordwesten werde der Landschaftsraum durch den Wald und damit auch von der dahinter betriebenen Tonabgrabung sowie den sich anschließenden Siedlungsbereichen von V. begrenzt. Der Landschaftsraum könne durch die vereinzelte Streubebauung nicht als unberührter Landschaftsraum beschrieben werden. Dennoch werde diese Streubebauung überwiegend durch traditionelle Hofbäume und sonstige Gehölze gut in die Landschaftsstruktur eingebunden. Der Landschaftsraum entspreche in weiten Teilen dem traditionellen Bild der Landschaft im S. I3. mit seiner durch Bäume und Gehölze eingebundenen Streubebauung, den grünlandgenutzten Bachtälern mit begleitenden Gehölzbeständen und den auf den kuppigen Hochlagen ackerbaulich genutzten offenen Flächen.
7Die Festsetzung als Landschaftsschutzgebiet diene dem Schutz dieses Landschaftscharakters. Sie sei u.a. erfolgt zur Erhaltung des für das S. I6. typischen, vielfältig strukturierten Landschaftsbildes. Nach dem WEA-Erlass 2011 gelte das Bauverbot grundsätzlich auch in Landschaftsschutzgebieten, soweit nicht besondere Regelungen aufgenommen worden seien. Dem betroffenen Landschaftsraum komme eine hochwertige Funktion für den Naturschutz und die Landschaftspflege im Sinne des Schutzzwecks des Landschaftsplans zu. Die besondere Schutzwürdigkeit werde unterstrichen durch die Nähe des Landschaftsraums zum Naturschutzgebiet „B. -/L2. “. Dieses Naturschutzgebiet sei u.a. festgesetzt worden zur Erhaltung und Entwicklung eines hervorragend ausgeprägten Sieksystems des S. I6. aus landeskundlichen und erdgeschichtlichen Gründen und zur Erhaltung eines Landschaftsraums von hervorragender Schönheit. Diese Schutzzwecke könnten nicht aus dem Gesamtzusammenhang eines landschaftlichen Gefüges herausgelöst werden. Beeinträchtigungen des Umfeldes wirkten auch auf das Naturschutzgebiet ein. Das Landschaftsschutzgebiet könne zwar nicht für sich die Schutzwürdigkeit des Naturschutzgebietes sichern, sondern stehe in erster Linie nur für die eigene Schutzwürdigkeit, dennoch ergebe sich aus dem gesamträumlichen Zusammenhang eine besonders hochwertige Schutzfunktion.
8Eine Befreiung von dem Bauverbot nach § 67 BNatSchG komme nicht in Betracht. Ein überwiegendes öffentlichen Interesse i.S.d. § 67 Abs. 1 Ziffer 1 BNatSchG an der Erteilung einer Befreiung liege nicht vor, weil den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege im vorliegenden Fall ein höherer Wert beigemessen werde als dem öffentlichen und privaten Interesse an der Nutzung regenerativer Energiequellen.
9Die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes aufgrund der ca. 100 m hohen Anlage sei nicht mit dem Schutzzweck des Landschaftsschutzgebietes vereinbar. Durch die Errichtung der Windkraftanlage werde der im Landschaftsplan „I1. /I2. “ für das Landschaftsschutzgebiet festgelegte Schutzzweck in erheblicher Weise beeinträchtigt. Das Landschaftsschutzgebiet sei u.a. zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes in landwirtschaftlich geprägten sowie durch Siedlungen, Verkehr, Gewerbe und Erholung stark beanspruchten Landschaftsräumen, zur Erhaltung der Nutzungsfähigkeit der Naturgüter, zur Erhaltung des für S. I3. und I7. C2. typischen, vielfältig strukturierten Landschaftsbildes und zur Erhaltung der Erholungseignung der Landschaft, der Ruhe, der Natur und des Naturgenusses in einem dicht besiedelten Raum festgesetzt worden. Der Kreis I1. sei durch eine hohe Bevölkerungsdichte gekennzeichnet. Die hohe Bevölkerungsdichte mit der typischen Streubebauung im S. M. führe dazu, dass es nur relativ wenige Landschaftsräume gebe, die frei von Siedlungsgebieten, Gewerbeflächen, Streubebauung oder Infrastruktureinheiten seien. Gerade die geringe Ausstattung mit unbelasteten oder gering belasteten Landschaftsräumen führe zu einer hohen Gewichtung dieser Bereiche bei der Abwägung gegenüber anderen Belangen.
10Eine Befreiung komme auch nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG nicht in Betracht, weil der Kläger durch die Ablehnung der Befreiung nicht unzumutbar belastet werde.
11Darüber hinaus liege die geplante Anlage in einem Gebiet, das ein traditionelles Rastgebiet des Kiebitzes im zeitigen Frühjahr sei. In der Brutzeit könnten pro Jahr etwa drei bis fünf Brutpaare im Gebiet südlich des beantragten Standortes angetroffen werden. Die Literatur führe mehrheitlich aus, dass der Kiebitz durch Windenergieanlagen zu Meidung von Flächen 100 bis 300 m um eine Windenergieanlage veranlasst werde. Die artenschutzrechtliche Prüfung komme aufgrund dieser Erkenntnisse zum Ergebnis, dass zur Vermeidung von artenschutzrechtlichen Konflikten vorgezogene Maßnahmen zur Optimierung von Kiebitzlebensräumen erforderlich seien. Art und Umfang solcher vorgezogener Maßnahmen seien dem Grunde nach mit der unteren Landschaftsbehörde bereits abgestimmt worden. Allerdings unterstreiche die Bedeutung des Landschaftsraums für den Kiebitz die bereits beschriebene Wertigkeit des Landschaftsraums im Besonderen, zumal es im Stadtgebiet I1. und auch im ganzen Kreisgebiet nur eine geringe Zahl solch traditioneller Rast- und Brutplätze des Kiebitzes gebe.
12Mit Bescheid vom 06.06.2013 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Erteilung eines Vorbescheides gemäß § 9 BImSchG für die Errichtung einer Windenergieanlage des Typs Enercon E-53 auf dem Grundstück Gemarkung E1. , Flur 5, Flurstück 6, ab. Das Bauvorhaben verstoße gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften und Belange. Der beantragte Vorbescheid für die Windenergieanlage könne am jetzigen Standort nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG i.V.m. § 20 Abs. 2 der 9. BImSchV nicht erteilt werden, da die geplante Anlage in einem Landschaftsschutzgebiet liege, das ein Bauverbot bestimme. Die Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 BNatSchG für die Erteilung einer Befreiung von diesem Bauverbot lägen nicht vor. Die weitere Begründung entspricht im Wesentlichen der Stellungnahme der unteren Landschaftsbehörde vom 14.05.2013.
13Der Kläger hat daraufhin am 12.06.2013 Klage erhoben und vorgetragen, der Ablehnungsbescheid vom 06.06.2013 enthalte keine ordnungsgemäße Ermessensausübung des Beklagten hinsichtlich der abgelehnten Befreiung von den Verboten des Landschaftsplanes. Die Begründung sei erkennbar konstruiert und lasse wesentliche Aspekte gänzlich unberücksichtigt. Der vorgesehene Standort befinde sich am äußersten Rand des (insgesamt 605 km² großen) Landschaftsschutzgebietes S. I3. . Er werde eingerahmt im Osten durch die dort in Nord-Süd-Richtung verlaufende, vierspurig ausgebaute Bundesstraße C3. 61 /C3. , die in der Nähe über eine autobahnähnliche Anschlussstelle verfüge, sowie das östlich davon gelegene Stadtgebiet von I1. , im Süden von der in West-Ost-Richtung verlaufenden M1., im Westen von einem kleinen Waldstück sowie im Norden von der Hofstelle des Klägers und weiteren Bauwerken. Der gesamte Bereich werde intensiv landwirtschaftlich genutzt. Darüber hinaus werde in der Umgebung eine größere Tonabgrabung betrieben. Auch der Standort der geplanten Windenergieanlage liege innerhalb eines Tonabgrabungsbereichs, der bislang allerdings nicht zum Tonabbau genutzt worden sei. Eine 110 kV-Freileitung sowie Streubebauung stellten weitere Vorbelastungen dar. Auch befinde sich in einer Entfernung von rund 800 m ein großes Fabrikgebäude am T1.----- . Diese zahlreichen, erheblichen und augenscheinlichen Vorbelastungen des Landschaftsraums räume der Beklagte im Ablehnungsbescheid sogar teilweise ein, berücksichtige diese im Endergebnis jedoch nicht gebührend. Das Naturschutzgebiet „C3. . /L2. “ liege in größerer Entfernung zur geplanten Anlage als die Entfernung des Standorts zur Grenze des Landschaftsschutzgebietes betrage. In Anbetracht dieser Belastungen des Landschaftsbildes, die zum größten Teil bereits vorhanden seien und ansonsten – wie weitere Tonabgrabungen und neues Gewerbegebiet „T1.----- – in absehbarer Zeit hinzuträten, sei die Bewertung des Beklagten nicht nachvollziehbar. Desweiteren habe der Beklagte die besondere Bedeutung der erneuerbaren Energien nicht in ausreichendem Maße gewürdigt.
14Ferner sei zu beachten, dass die Gesamthöhe der Anlage von weniger als 100 m verhältnismäßig gering und damit nicht als raumbedeutsam einzustufen sei. Aufgrund der geringen Gesamthöhe sei eine Kennzeichnung als Luftfahrthindernis nicht erforderlich. Insgesamt habe der Beklagte die Aspekte Landschaftsbild und Erholungswert deutlich überbewertet und die für die Nutzung der Windenergie am fraglichen Standort sprechenden Aspekte allenfalls in allgemeiner Form floskelhaft angedeutet, sich im übrigen aber mit den tatsächlichen Gegebenheiten nicht ansatzweise auseinandergesetzt. Der Beklagte gehe auch nicht darauf ein, dass mit Blick auf das laufende Bebauungsplanverfahren zur Erweiterung des Gewerbegebietes „T1.----- “ dieses anschließend bis auf eine Entfernung von rund 200 m an das Landschaftsschutzgebiet und rund 400 m an den Anlagenstandort heranrücken werde. Ebenso wenig werde gewürdigt, dass der vorgesehene Standort für die Windenergieanlage Teil einer Fläche sei, die im geltenden Gebietsentwicklungsplan als Abgrabungsfläche für Tonvorkommen vorgesehen sei. Dass dieses Ziel der Raumordnung der Errichtung einer Windenergieanlage nicht entgegenstehe, habe die Bezirksregierung ausdrücklich bestätigt. Inwieweit aber die danach ohne weiteres zulässige Abgrabung von Tonvorkommen einen weniger bedeutsamen Eingriff in die Funktion des Landschaftschutzgebietes bedeuten würde als die Errichtung der geplanten Windenergieanlage, die lediglich eine Fläche von insgesamt 2 % der ausgewiesenen Abgrabungsfläche einnähme, lege der Beklagte nicht dar. Schließlich dürfte zu berücksichtigen sein, dass er sein Vorhaben auf einem in seinem Eigentum stehenden Grundstück in der Nähe seiner Hofstelle realisiere wolle. Ihm stehe daher insgesamt ein Anspruch auf Befreiung von den Bauverboten des Landschaftsplanes und damit der beantragte Vorbescheid für die Errichtung der von ihm geplanten Windenergieanlage zu.
15Der Kläger beantragt,
16den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 06.06.2013 i.d.F. des Änderungsbescheides vom 01.07.2013 zu verpflichten, ihm einen immissionsschutzrechtlichen Vorbescheid für die Errichtung einer Windenergieanlage des Typs Enercon E-53 auf dem Grundstück Gemarkung E1. , Flur 5, Flurstück 6, zu erteilen.
17Der Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Er trägt ergänzend vor: Soweit der Kläger vortrage, der vorgesehene Standort für die Anlage befinde sich am äußersten Rand des insgesamt I. km² großen Landschaftsschutzgebietes S. I3. , sei dies falsch. Die Größe des gesamten Kreises I1. betrage lediglich S. km². Der Landschaftsplan I1. /I2. weise das S. I3. mit einer Größe von ca. O. km² und das I7. C4. ebenfalls mit einer Größe von O. km² als Landschaftsschutzgebiet aus. Die im Osten an den vorgesehenen Standort in Nord-Süd-Richtung verlaufende, vierspurig ausgebaute Bundesstraße C3. 61/C3. 239 sei als Vorbelastung nicht zu berücksichtigen, da diese in einem mehr als 4 m tiefen Einschnitt liege und daher kaum sichtbar sei. Soweit der Kläger auf größere Tonabgrabungen verweise, sei diese ebenfalls falsch, da erst in westlicher Richtung zum geplanten Standort in einem Abstand von ca. 700 m eine Abgrabung in einer Größe von ca. 12 ha betrieben werde. Weitere Tonabgrabungen oder andere Abgrabungen bestünden nicht, Planungen lägen ebenfalls nicht vor. Ehemalige Abgrabungsräume seien erfolgreich rekultiviert worden. Das Gewerbegebiet „T1.----- “ beginne erst in einem Abstand von ca. 600 bis 800 m von der geplanten Anlage entfernt. Der Standort der Windenergieanlage sei landschaftlich deutlich abgesetzt von der gewerblichen Bebauung. Allein schon aufgrund der Entfernung könnten die dortigen baulichen Anlagen nicht als Vorbelastung für die beantragte Windenergieanlage angesehen werden. Das Naturschutzgebiet „C3. . -/L2. “ befinde sich an der Stelle, die dem Anlagenstandort am nächsten sei, in einem Abstand von ca. 400 m. Der L3. befinde sich in einem Abstand von ca. 550 m zum Anlagenstandort. Ausschlaggebend für die hier angegriffene Entscheidung sei nicht lediglich die Stellungnahme der unteren Landschaftsbehörde als solche. Er habe im Verwaltungsverfahren durchaus eine differenzierte Analyse des Standortes durchgeführt. Diese habe ergeben, dass der Landschaftsraum ein sehr hohes landschaftliches Potential aufweise, gerade weil die vorhandenen Vorbelastungen nicht prägend seien. Selbst für den Fall, dass es neben den bundesrechtlich geregelten Befreiungstatbeständen des § 67 Abs. 1 S. 1 BNatSchG noch Raum für eine Fortgeltung des landesrechtlich in § 69 Abs. 1 S. 1 a LG NRW geregelten Befreiungsgrundes der unbeabsichtigten Härte gäbe, würde dieser nicht vorliegen. Bei einem Bauverbot als Folge einer naturschutz- bzw. landschaftsschutzrechtlichen Festsetzung liege in aller Regel keine unbeabsichtigte Härte vor. Denn die Untersagung der Errichtung baulicher Anlagen im Schutzgebiet sei vom Normgeber regelmäßig gerade gewollt. Auch eine Befreiung aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses komme nicht in Betracht. Ein allgemeiner Wille bzw. ein allgemeines Bedürfnis, zunehmend regenerative Energiequellen zu nutzen, reiche hierfür nicht aus. Denn dieses Bedürfnis betreffe gerade nicht den konkreten Standort. Soweit der Kläger eine „besondere Nähe zur Bürgerinitiative“ rüge, sei lediglich richtig, dass ihm entsprechendes Material vorliege, es sei jedoch lediglich zur Darstellung des Umfeldes der Anlage in diesem Klageverfahren herangezogen worden.
20Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt, mit Schriftsatz vom 07.07.2014 aber ausgeführt, sie habe ihr Einvernehmen zur Errichtung einer Windkraftanlage am vorgesehenen Standort erteilt. Ihrem Einleitungsbeschluss vom 22.11.2012 zur Änderung des Flächennutzungsplanes liege eine Potentialstudie „Masterplan erneuerbare Energie“ des Planungsbüros L4. und C5. von September 2012 zu Grunde; danach liege die vom Kläger geplante Anlage in einem Ausschlussbereich. Zwischen ihr und dem Beklagten herrsche Dissens bezüglich der Auswirkungen von Windenergieanlagen auf das Landschaftsbild. Da der Freiraum außerhalb des Stadtkerns zum großen Teil als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen sei, habe der Bauausschuss am 17.10.2013 beschlossen, die Ausweisung von Windenergieflächen nicht weiter voranzutreiben, sondern den Ausgang dieses Verfahrens abzuwarten.
21Mit Bescheid vom 01.07.2013 hat der Beklagte den angefochtenen Bescheid vom 06.06.2013 im Hinblick auf die darin (unter III.) erhobene Verwaltungsgebühr geändert.
22Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie die Unterlagen der Bürgerinitiative „Initiative J1. .--/E1. gegen Windrad“ Bezug genommen.
23E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
24Die Klage ist zulässig, jedoch nur teilweise begründet.
25Der Bescheid des Beklagten vom 06.06.2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, weil die Ablehnung des beantragten Vorbescheides aus den im Bescheid aufgeführten Gründen rechtswidrig ist (1.). Ob dem beantragten Vorhaben andere Versagungsgründe entgegenstehen, lässt sich für das Gericht nicht abschließend beurteilen. Mangels Spruchreife war der Beklagte deshalb zur Neubescheidung des Vorbescheidsantrages zu verpflichten (2.).
261.
27Nach § 9 Abs. 1 BImSchG soll auf Antrag durch Vorbescheid über einzelne Genehmigungsvoraussetzungen sowie über den Standort der Anlage entschieden werden, sofern die Auswirkungen der geplanten Anlage ausreichend beurteilt werden können und ein berechtigtes Interesse an der Erteilung eines Vorbescheides besteht.
28a)
29Ein Vorbescheid kann zu jeder für die Genehmigung relevanten Frage ergehen, die im Vorgriff auf sie rechtlich und tatsächlich auch geklärt werden kann. Dies schließt umgekehrt für den Antragsteller auch das Recht ein, einzelne für die Genehmigung relevante Fragen aus der Prüfung auszuklammern.
30Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20.11.2012 – 8 A 252/10 –, juris Rn. 37 unter Bezugnahme auf das Urteil vom 09.12.2009 – 8 D 12/08.AK –, DVBl. 2010, 719 = juris Rn. 146, und VGH BW, Urteil vom 15.02.1990 – 10 S 2893/88 –, juris Rn. 23.
31Der Kläger hat die Prüfung im Vorbescheidsverfahren zunächst mit seinem Antrag vom 22.08.2011 betreffend die Enercon E-82 (in BA VII enthalten) auf die (volle) „planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens“ erstreckt, den Antrag auf Erteilung eines Vorbescheides für eine E-53 aber insoweit beschränkt, als die artenschutzrechtliche Prüfung dem Genehmigungsverfahren vorbehalten sein soll (vgl. Schriftsatz vom 16.04.2012, BA II Bl. 91). Damit ist die planungsrechtliche Prüfung nach § 35 BauGB auch für das Gericht eingeschränkt. Denn zu den planungsrechtlich relevanten Belangen des Naturschutzes i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Var. 1 BauGB gehören auch die naturschutzrechtlichen Vorschriften zum Gebiets- (§§ 31 ff. BNatSchG, §§ 48a ff. LG NRW) und Artenschutz (§§ 39 ff. BNatSchG, §§ 60 ff. LG NRW), zu Letzterem insbesondere die Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG.
32vgl. BVerwG, Urteil vom 27.06.2013 – 4 C 1.12 –, juris Rn. 6; OVG NRW, Urteile vom 30.07.2009 – 8 A 2357/08 –, juris Rn. 39, und vom 20.11.2012 – 8 A 252/10 –, juris Rn. 93.
33Die positive Bescheidung eines Vorbescheidsantrages setzt weiterhin voraus, dass nicht nur die zur Prüfung gestellten Belange dem Vorhaben nicht entgegenstehen, sondern auch die Auswirkungen der geplanten Anlage ausreichend beurteilt werden können. Aufgrund einer vorläufigen Prüfung anhand der vollständigen und insoweit endgültigen Pläne muss feststehen, dass die gesamte Anlage am vorgesehenen Standort genehmigungsfähig ist (sog. vorläufige positive Gesamtbeurteilung). Die in diesem Zusammenhang geläufige Formulierung, dass dem Gesamtvorhaben keine von vornherein unüberwindlichen Hindernisse entgegenstehen dürften (vgl. § 8 Satz 1 Nr. 3 BImSchG), darf allerdings nicht dahin missverstanden werden, dass das vorläufige positive Gesamturteil erst dann fehlt, wenn die Verwirklichung des Vorhabens bei kursorischer Prüfung mit Sicherheit ausgeschlossen ist. Eine positive Gesamtbeurteilung setzt vielmehr eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Genehmigungsfähigkeit der Gesamtanlage voraus.
34Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20.11.2012 – 8 A 252/10 –, juris Rn . 39 unter Bezugnahme auf das Urteil vom 12.06.2012 – 8 D 38/08.AK –, juris Rn. 109 ff., und Jarass, BImSchG, 10. Auflage 2013, § 8 Rn. 12 m.w.N.
35b)
36Gemessen an diesen Voraussetzungen tragen die im Bescheid des Beklagten vom 06.06.2013 aufgeführten Gründe die Versagung des beantragten Vorbescheides nicht. Der Errichtung und dem Betrieb der beantragten WEA stehen weder planungsrechtliche Festsetzungen i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB (aa) entgegen noch stehen dem Vorhaben Belange des Naturschutzes (unter Ausklammerung des Artenschutzes) und der Landschaftspflege mit Blick auf die Festsetzungen eines Landschaftsplanes bzw. die Ausweisung eines Landschaftsschutzgebietes entgegen (bb). Es fehlt auch nicht an einer vorläufigen positiven Gesamtbeurteilung (cc).
37aa)
38Darstellungen im Flächennutzungsplan i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB stehen dem Vorhaben nicht entgegen, weil es an einer Ausweisung von Konzentrationszonen für WEA an andere Stelle in einem (rechtsgültigen) Flächennutzungsplan der Beigeladenen fehlt. Wie die Beigeladene im Schriftsatz vom 07.07.2014 (Bl. 164 ff. GA) mitgeteilt hat, liegt bisher nur ein Aufstellungsbeschluss vom 22.12.2012 und eine Potentialstudie „Masterplan erneuerbare Energie“ vor. Das Verfahren zur Teiländerung des Flächennutzungsplanes ruht z.Zt. mit Blick auf den Ausgang des vorliegenden Rechtsstreites. Da aus Sicht der Beigeladenen dem Vorhaben auch keine landschaftsschutzrechtlichen Belange entgegenstehen, hat sie das Einvernehmen nach § 36 BauGB erteilt.
39Ebenso wenig kann dem Vorhaben entgegengehalten werden, dass als Ziel der Raumordnung i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB in überörtlichen Plänen eine Ausweisung von Konzentrationsflächen für WEA an anderer Stelle erfolgt ist. Der Gebietsentwicklungsplan für den Regierungsbezirk E2. – Teilabschnitt Windenergie – enthält derartige Festsetzungen nicht. Der Gebietsentwicklungsplan für den Regierungsbezirk E2. – Teilabschnitt Oberbereich C1. – weist den hier streitigen Standort als Bereich „zur Sicherung und Abbau oberflächennaher Bodenschätze“ (BSAB = Abgrabungsbereiche) aus. Die Ausweisung von BSAB in Regionalplänen hat zwar die Rechtswirkung von Vorranggebieten mit der Wirkung von Eignungsgebieten (§ 8 Abs. 7 ROG NRW), die grundsätzlich von konkurrierenden Nutzungen freizuhalten ist (Ziffer C3. .III Ziel 1). Mit Blick darauf, dass der ausgewiesene BSAB eine Größe von 20 ha hat, die WEA aber nur eine Fläche von 0,4 ha beansprucht und eine abschnittsweise Inanspruchnahme der (übrigen) Fläche zum Abbau möglich ist, hat die Regionalplanungsbehörde keine planungsrechtlichen Bedenken erhoben, wenn die Nutzung auf einen Zeitraum von 15 bis 20 Jahren befristet wird (BA II Bl. 197). Eine derartige Befristung in einem Genehmigungsbescheid ist auf Antrag nach § 12 Abs. 2 Satz 1 BImSchG möglich.
40bb)
41Belange des Natur- und Landschaftsschutzes i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Var. 1 BauGB stehen dem Vorhaben nicht entgegen.
42Ob einem durch § 35 Abs. 1 BauGB privilegierten Vorhaben öffentliche Belange i.S.v. § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB entgegenstehen, ist grundsätzlich im Wege einer sogenannten nachvollziehenden Abwägung zu ermitteln. Privilegierte Vorhaben sind nicht an jedem beliebigen Standort im Außenbereich zulässig. Auch für privilegierte Anlagen gilt das Gebot der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs. Mit § 35 Abs. 1 BauGB hat der Gesetzgeber den Außenbereich insbesondere nicht generell als Baubereich für privilegierte Vorhaben freigegeben, sondern ihre Zulässigkeit vielmehr von der Einzelfallprüfung abhängig gemacht, ob ihnen an einem konkreten Standort öffentliche Belange entgegenstehen. Im Einzelnen bestimmt sich das Gewicht sowohl der Privilegierung als auch das der öffentlichen Belange anhand einer Bewertung des Einzelfalles.
43Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20.11.2012 – 8 A 252/10 –, juris Rn. 76 ff. m.w.N. auf die Rechtsprechung des BVerwG; Gatz, Windenergieanlagen in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis, 2. Auflage 2013, Rn. 198 ff. m.w.N.; Söfker in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg/Krautzberger, Kommentar zum BauGB, Loseblatt-Sammlung (Stand: Juli 2011), § 35 Rn. 60 ff.
44Belange des Landschaftsschutzes i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Var. 1 BauGB stehen der Errichtung und dem Betrieb einer WEA u.a. dann entgegen, wenn der Standort im räumlichen Geltungsbereich einer Landschaftsschutzverordnung liegt, die Errichtung derartiger Anlagen im Geltungsbereich der Verordnung grundsätzlich verboten ist und von diesem Verbot durch Erteilung von Ausnahmen und Befreiungen nicht abgewichen werden kann.
45Vgl. BVerwG, Beschluss vom 02.02.2000 – 4 C3. 104/99 –, juris Rn. 2, und Urteil vom 19.04.1985 – 4 C 25.84 –, BauR 1985, 544.
46Ob die Belange des Landschaftsschutzes sich gegenüber dem entgegenstehenden Interessen des Bauherrn an der Realisierung eines privilegierten Vorhabens i.S.d. § 35 Abs. 1 BauGB durchsetzen, ist im Rahmen der nachvollziehenden Abwägung nach der konkreten Schutzwürdigkeit der Landschaft am vorgesehenen Standort zu beurteilen. Diese hängt insbesondere von den verfolgten Schutzzielen und dem Grad der Beeinträchtigung des Landschaftsbildes durch die streitige WEA ab, wobei auch etwaige Vorbelastungen zu berücksichtigen sind.
47vgl. OVG NRW, Urteil vom 05.09.2006 – 8 A 1971/04 –; VGH BW, Urteil vom 13.10.2005 – 3 S 2521/04 –, juris Rn 46; Gatz, a.a.O., Rn. 300 ff.; Scheidler, Errichtung von Windkraftanlagen in naturschutzrechtlich festgesetzten Schutzgebieten, NuR 2011, 848 ff.
48Ausgehend von diesen Maßstäben ist das Vorhaben des Klägers mit den Belangen des Landschaftsschutzes vereinbar.
49Der streitige Standort liegt im räumlichen Geltungsbereich des im Jahre 1996 durch den Landschaftsplan I1. /I2. förmlich festgesetzten Landschaftsschutzgebietes (LSG) „S. I3. “. In förmlich festgesetzten Landschaftsschutzgebieten sind alle Handlungen, die zu einer Zerstörung, Beschädigung oder Veränderung des geschützten Landschaftsbestandteils führen können, nach Maßgabe näherer Bestimmungen verboten (§ 26 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG). Von den Geboten und Verboten dieses Gesetzes, einer Rechtsverordnung auf Grund des § 57 sowie nach dem Naturschutzrecht der Länder kann nach § 67 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG auf Antrag Befreiung gewährt werden, wenn 1. dies aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer und wirtschaftlicher Art, notwendig ist oder 2. die Durchführung der Vorschriften im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen würde und die Abweichung mit den Belangen von Naturschutz und Landschaftspflege vereinbar ist.
50Nach Nr. 3.2.3.1 Satz 1 der textlichen Festsetzungen des Landschaftsplanes sind in den festgesetzten Landschaftsschutzgebieten Nr. 3.2.1.1 – 3.2.1.3.65 – zu denen das LSG „S. I3. “ zählt – nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen alle Handlungen verboten, die den Charakter des Gebietes verändern können oder dem Schutzzweck zu widerlaufen. Hierzu gehört insbesondere nach Satz 2 lit. a der Vorschrift das Errichten baulicher Anlagen. Ausnahmen von diesem Bauverbot sieht der Landschaftsplan in Nr. 3.2.3.2 lit b. für Vorhaben i.S.d. § 35 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BauGB (a.F.) und § 35 Abs. 4 Nr. 5 BauGB (a.F.) vor. Die Errichtung einer WEA wird hiervon nicht erfasst, weil im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Landschaftsplanes im Jahre 1995 WEA nicht zu den nach § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB privilegierten Anlagen zählten. Den Status eines baurechtlich-privilegierten Vorhabens erhielten diese Anlagen erst durch die Änderung des BauGB mit Gesetz vom 30.07.1996 (BGBl. I S. 1189),
51vgl. zur Änderung des BauGB: Gatz, a.a.O., Rn. 29 ff.,
52sodass eine Ausnahme vom Bauverbot nach dem Landschaftsplan nicht in Betracht kommt.
53Dem Kläger ist jedoch eine Befreiung vom Bauverbot im Landschaftsschutzgebiet nach § 67 BNatSchG zu erteilen. Aufgrund des am 1. März 2010 in Kraft getretenen (neuen) Bundesnaturschutzgesetzes ist diese Vorschrift an Stelle des weitgehend inhaltsgleichen § 69 LG NRW getreten. Von der nach Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG bestehenden Möglichkeit, durch ein nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes erlassenen Landesgesetz hiervon abzuweichen, hat der Landesgesetzgeber keinen Gebrauch gemacht. Die Regelung in § 69 Abs. 1 Satz 1 LG NRW ist unverändert geblieben und damit nicht mehr anwendbar.
54Vgl. OVG NRW, Urteil vom 16.01.2013 – 8 A 2252/11 –, juris Rn. 65; offengelassen noch im Urteil vom 11.09.2012 – 8 A 104/10 –, juris Rn. 27, und im Beschluss vom 21.02. 2011 – 8 A 1837/09 – juris Rn.14.
55aaa)
56Der Kläger hat allerdings keinen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung von dem Bauverbot der Landschaftsschutzverordnung nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG wegen einer „unzumutbaren Belastung“.
57Der Begriff der unzumutbaren Belastung in § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG knüpft nicht an die Intention des Normgebers – so noch § 69 LG NRW –, sondern an die Rechtsfolgen an. Hiermit wollte der Gesetzgeber den sich aus Art. 14 GG ergebenden verfassungsrechtlichen Grenzen Rechnung tragen. Ein die Inhaltsbestimmung des Eigentums überschreitendes, unzumutbares Sonderopfer liegt z.C3. . dann vor, wenn durch das Bauverbot die Privatnützigkeit des Eigentums nahezu vollständig beseitigt wird, sodass aus dem Recht eine Last wird, die der Eigentümer im öffentlichen Interesse zu tragen hat, ohne dafür die Vorteile einer privaten Nutzung genießen zu können.
58Vgl. Lau in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG Kommentar, 1. Auflage 2011, § 67 Rn. 4 unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 02.03.1999 – 1 BvL 7/91 – juris; Sauthoff in: Schlacke, BNatSchG Kommentar, 1. Auflage 2012, § 67 Rn. 20.
59Vor dem Hintergrund, dass es sich bei den naturschutzrechtlichen Ge- und Verboten um Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums i.S.d. Art 14 Abs. 1 Satz 2 GG handelt, muss sich die Unzumutbarkeit gerade aus grundstückbezogenen Besonderheiten, dagegen nicht aus personenbezogenen Umständen, wie persönlichen, finanziellen oder familiären Bedingungen ergeben.
60Vgl. Konrad in: Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-Walter/Stöckel, Naturschutzrecht, 3. Auflage 2013 § 67 BNatSchG Rn. 11; Sauthoff, a.a.O., § 67 Rn. 22; Lau, a.a.O., § 67 Rn. 4.
61Von einer unzumutbaren Härte i.S.d. § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG kann deshalb nicht ausgegangen werden. Der Kläger ist zwar Eigentümer des Grundstückes, auf dem die Anlage errichtet werden soll, sodass die Versagung des Vorbescheides ihn in den eigentumsrechtlich geschützten Nutzungsmöglichkeiten beschränkt. Es ist aber weder vorgetragen worden noch ersichtlich, dass die bisher ausgeübte landwirtschaftliche Nutzung des Grundstückes nicht (mehr) möglich ist und die Versagung des Vorbescheides ihn deshalb schwer und unerträglich beeinträchtigt. Ein Anspruch auf eine möglichst lukrative Nutzung des Grundstücks vermittelt das Eigentumsrecht nicht.
62bbb)
63Eine Befreiung von dem Bauverbot der Landschaftsschutzverordnung hat der Beklagte jedoch unter dem Blickwinkel des § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG zu Unrecht abgelehnt.
64Der Begriff des „überwiegenden öffentlichen Interesses“ i.S.d. § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG setzt eine atypische Sondersituation voraus, die der Verordnungsgeber beim Erlass der Verordnung nicht in den Blick genommen hat. Erst wenn diese Voraussetzung vorliegt, bedarf es einer Abwägungsentscheidung.
65Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.03.1998 – 4 A 7.97 –, und Beschluss vom 20.02.2002 – 4 C3. 12. –, juris Rn. 3; VGH BW, Urteil vom 13.10.2005 – 3 S 2521/04 –, juris Rn. 46; Lau, a.a.O., § 67 Rn. 3; Sauthoff, a.a.O., § 67 Rn. 13.
66Von einer derartigen atypischen Sondersituation ist hier auszugehen. WEA gehörten zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Landschaftsplanes im Januar 1996 nicht zu den nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegierten Anlagen, für die – wie oben bereits ausgeführt – der Verordnungsgeber weitgehende Ausnahmetatbestände vom Bauverbot vorsah. Durch die mit der Änderung des BauGB im Jahre 1997 erfolgte baurechtliche Privilegierung von WEA, die verfassungsrechtlich und einfachgesetzlich hervorgehobene Bedeutung erneuerbarer Energien für den Klimaschutz und die Erhaltung natürlicher Lebensgrundlagen (Art. 20a GG, Art. 29a LV NRW, § 1 Abs. 3 Nr. 4 BNatSchG) und die staatliche Subventionierung derartiger Energieträger durch das EEG hat der Gesetzgeber ein öffentliches Interesse am Ausbau regenerativer Energien und damit auch an der Errichtung von WEA zum Ausdruck gebracht, das zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Landschaftsplanes so noch nicht bestand und sich daher nach heutiger Rechtslage im Einzelfall im Rahmen einer Abwägung gegenüber den Bauverboten einer Landschaftsschutzverordnung durchsetzen kann.
67In dem nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG für die Befreiung erforderlichen „Überwiegen" des öffentlichen Interesses kommt ein Bilanzierungsgedanke zum Ausdruck. Dies bedeutet, dass die Gründe des öffentlichen Interesses im Einzelfall so gewichtig sein müssen, dass sie sich gegenüber den mit der Verordnung verfolgten Belangen durchsetzen. Ob dies der Fall ist, ist aufgrund einer Abwägung zu ermitteln, in deren Rahmen eine bilanzierende Gegenüberstellung der jeweils zu erwartenden Eingriffe und Folgen vorzunehmen ist.
68Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.02.2002 – 4 C3. 12.02 –, juris Rn. 4; Sauthoff, a.a.O., Rn. 18; Gatz, a.a.O., Rn. 286.
69Dabei entspricht nicht jedes beliebige, sondern nur ein qualifiziertes öffentliches Interesse den mit diesem Befreiungsgrund verfolgten Gemeinwohlbelangen. Bei der Abwägung ist in Rechnung zu stellen, dass eine Befreiung allenfalls in Betracht kommt, wenn Gründe des öffentlichen Interesses von besonderem Gewicht dies rechtfertigen.
70Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.02.2002 – 4 C3. 12.02 –, juris Rn. 5 ; Sauthoff, a.a.O., Rn. 17.
71Ein derartiges besonderes öffentliches Interesse ist hier gegeben.
72Das mit § 1 Abs. 2 EEG verfolgte Ziel, den Anteil des aus erneuerbaren Energien erzeugten Stroms am Bruttostromverbrauch stetig und kosteneffizient auf mindestens 40 bis 45 % bis zum Jahr 2025 und auf 55 bis 60 % bis zum Jahre 2035 zu erhöhen, kann letztlich nur erreicht werden, wenn die Errichtung von WEA auch in Landschaftsschutzgebieten nicht grundsätzlich ausgeschlossen und die Erteilung von Befreiungen und Ausnahmen hierfür in Betracht gezogen wird. Nach dem Willen der nordrhein-westfälischen Landesregierung soll der Anteil der Windenergie an der Stromerzeugung von derzeit (2011) 3 % bis auf mindestens 15 % im Jahre 2020 ausgebaut werden, was die Überprüfung bestehender und die Planung neuer Konzentrationszonen erforderlich macht.
73Vgl. hierzu Nr. 1.1 des WEA-Erlasses 2011.
74Die Ausweisung von Flächen für die Windenergienutzung oder die Errichtung von Einzelanlagen in Landschaftsschutzgebieten kommt deshalb insbesondere in Teilbereichen großräumiger Landschaftsschutzgebiete mit einer im Einzelfall weniger hochwertigen Funktion für den Naturschutz und die Landschaftspflege sowie die landschaftsorientierte Erholung in Betracht, soweit die Vereinbarkeit mit der Schutzfunktion des Landschaftsschutzgebietes insgesamt gegeben ist.
75Vgl. Nr. 8.2.1.5 des WEA-Erlasses 2011.
76Dementsprechend ist auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass im Rahmen der Flächennutzungsplanung Landschaftschutzgebiete nicht als „harte“ Tabuzonen zu betrachten sind, weil Ausnahmen oder Befreiungen vom Bauverbot grundsätzlich möglich, die Errichtung von WEA damit nicht schlechthin tatsächlich oder rechtlich unmöglich ist. Sie können allenfalls auf der zweiten Ebene als „weiche“ Tabuzonen – sofern nach dem planerischen Willen der Gemeinde die Errichtung von WEA dort von vornherein aus städtebaulichen Gründen ausgeschlossen werden soll – oder als Potenzialflächen auf der dritten Ebene im Rahmen der Abwägung mit den entgegenstehenden öffentlichen Interessen des Landschaftsschutzes als Eignungsgebiete ausgeschlossen werden.
77Vgl. zum Abwägungsvorgang: BVerwG, Urteile vom 13.12.2012 – 4 CN 1.11 –, juris Rn. 10, und vom 20.05.2010 – 4 C 7.09 –, juris Rn. 25, sowie Beschluss vom 15.09.2009 – 4 BN 25.09 –, juris Rn. 8; ebenso OVG NRW, Urteil vom 01.07.2013 – 2 D 46/12.NE –, juris Rn. 34 ff. und 52 ff..
78Das Abwägungsergebnis muss dabei dem mit § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB verfolgten Ziel gerecht werden, der Windenergie substanziellen Raum zu verschaffen. Erkennt die Gemeinde, dass dies nicht der Fall ist, muss sie ihr Auswahlkonzept noch einmal überprüfen und gegebenenfalls ändern.
79Vgl. BVerwG, Urteile vom 17.12.2002 – 4 C 15.01 –, juris
80Rn. 36, und vom 24.01.2008 – 4 CN 2.07 –, juris Rn. 15.
81Dies verdeutlicht, dass im Rahmen der Regional- und Flächennutzungsplanung den Belangen des Landschaftsschutzes kein grundsätzlicher Vorrang vor den öffentlichen Interessen an dem Ausbau und der Nutzung der Windenergie einzuräumen ist.
82Steht der Errichtung und dem Betrieb einer WEA – wie hier (s.o.) – nicht die wirksame Ausweisung einer Konzentrationszone an anderer Stelle des Gemeindegebietes entgegen, so scheidet in einem Genehmigungsverfahren die Erteilung einer Befreiung nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG deshalb nur dann aus, wenn die konkrete Anlage auch unter Berücksichtigung der Zwecke, die die Verordnung selbst im Auge hat, aus Gründen des Gemeinwohls nicht gerechtfertigt ist. Hierbei kommt es auf die Schutzwürdigkeit der Landschaft am konkreten Standort an.
83Vgl. Gatz, a.a.O. Rn. 304
84Maßgebend ist deshalb, ob die Errichtung und der Betrieb der WEA am vorgesehenen Standort den Charakter des Gebietes verändert oder dem besonderen Schutzzweck zuwiderläuft (§ 26 Abs. 2 BNatSchG).
85Auf der Grundlage der mit der Unterschutzstellung des Landschaftsschutzgebiets „S. I3. “ verfolgten Zwecken, nach Nr. 3.2.2.1 des Landschaftsplanes also
86- der Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes in landwirtschaftlich geprägten sowie durch Siedlungen, Verkehr, Gewerbe und Erholung stark beanspruchten Landschaftsräumen (lit a),
87- der Erhaltung der Nutzungsfähigkeit der Naturgüter (lit b),
88- der Erhaltung des für das S. I3. und I7. C4. typischen, vielfältig strukturierten Landschaftsbildes (lit c) und
89- der Erhaltung der Erholungseignung der Landschaft, der Ruhe der Natur und des Naturgenusses in einem dicht besiedelten Raum (lit d),
90kann hiervon nicht ausgegangen werden. Der Beklagte hat sich im angefochtenen Bescheid (Seite 6) im Wesentlichen darauf berufen, dass die Ablehnung der Befreiung zur Erhaltung des Landschaftsbildes (Nr. 3.2.2.1 lit c des Landschaftsplanes) und zur Erhaltung der Erholungseigenschaft der Landschaft, der Ruhe der Natur und des Naturgenusses (lit d) erforderlich sei. Seine diesbezüglichen Ausführungen zu § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG rechnet die Kammer – auch – dem Befreiungstatbestand des § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG zu.
91Diese Bewertung kann das Gericht nach Auswertung der örtlichen Gegebenheiten auf Grund der vorliegenden Lichtbildaufnahmen nicht nachvollziehen.
92Es ist schon nicht ersichtlich, dass die Ablehnung der Befreiung zur Erhaltung der Erholungseigenschaft der Landschaft erforderlich ist. Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang auf die geringe Ausstattung des Kreises I1. mit unbelasteten oder gering belasteten Landschaftsräumen verweist (Seite 6 des Bescheides), ist die Begründung schon deshalb unzureichend, weil sie nicht auf die konkrete Schutzwürdigkeit der Landschaft am Vorhabenstandort Bezug nimmt. Eine derartige standortbezogene Prüfung ist aber insbesondere dann erforderlich, wenn – wie hier – fast der gesamte Außenbereich einer Gemeinde oder Stadt unter Landschaftsschutz gestellt ist und die Errichtung von WEA grundsätzlich am Landschaftsschutz scheitern würde.
93Auch der standortbezogenen Begründung des Bescheides vom 06.06.2013 (Seite 3) vermag die Kammer nicht zu folgen. Es lässt sich nicht erkennen, dass hier durch die Errichtung der geplanten WEA die Erhaltung der Erholungseigenschaft der Landschaft beeinträchtigt werden könnte.
94Wie der Beklagte selber einräumt, kann zunächst auf Grund der Vorbelastungen nicht von einem im Wesentlichen unberührten Landschaftsraum gesprochen werden.
95Der streitige Vorhabenstandort liegt am äußersten Rand des Landschaftsschutzgebietes. Er wird eingerahmt durch die ca. 700 m nördlich liegende Siedlung J1. .-- und die in Ost-West-Richtung verlaufende M1. 472 (F.---- ), durch die in Nord-Süd-Richtung verlaufende C3. /C3. im Osten und durch die südlich des Vorhabengrundstücks verlaufende M1. 543 (E3. ). In nordöstlicher Richtung – ca. 800 m vom Standort entfernt – befindet sich derzeit ein einzelner Gewerbebetrieb. Der Rat der Beigeladenen hat in der Sitzung vom 28.09.2012 die Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 8.74 „T1.-----“ beschlossen, der die Ausweisung eines Gewerbegebietes östlich des T2.----- in einer Größe von ca. 11,2 ha vorsieht. Die Bekanntmachung des Bebauungsplanes erfolgte am 17.09.2014. Westlich vom Vorhabenstandort befindet sich ein Tonabgrabungsgelände und ca. 700 m in südwestlicher Richtung eine 110 kV-Leitung.
96Schon dies zeigt, dass die nähere Umgebung des Vorhabenstandortes durch verschiedene landschaftsfremde Nutzungen vorbelastet ist und der Erholungswert der Landschaft sowie das Landschaftsbild bereits erheblich beeinträchtigt ist.
97Innerhalb des Gebietes befinden sich auch keine Rad- und Fußwege, die vorrangig durch die erholungssuchende Bevölkerung genutzt werden. Der östlich des streitigen Standortes verlaufende T1.-----weg verbindet die F.----straße und die E3. Straße und wird hauptsächlich als Zuwegung zu den landwirtschaftlich genutzten Flächen, dem Gewerbebetrieb und der dort vorhandenen Wohnbebauung genutzt. Die E3. Straße verfügt über keine Fuß- oder Radwegspuren, ebenso wenig ist ersichtlich, dass sich in der näheren Umgebung Wege befinden, die in ein örtliches oder überörtliches Radwegenetz eingebunden sind. Eine besondere Bedeutung des Landschaftsraumes für die erholungssuchende Bevölkerung hat der Beklagte nur mit Blick auf das südlich der E3. Straße gelegenen Tal der L1. dargelegt. Die entlang der L1. verlaufenden Wirtschaftswege befinden sich aber ca. 550 m südlich des Vorhabenstandortes und werden von diesem durch landwirtschaftliche Nutzflächen und durch die E3. Straße getrennt. Das Gelände fällt von der E3. Straße außerdem steil zum Tal der L1. ab. Die L1. ist in diesem Bereich von bachbegleitenden Gehölzen umgeben. Für die dort erholungssuchende Bevölkerung ist der Bereich nördlich der E3. Straße daher nur in Teilbereichen einsehbar, eine WEA am Anlagestandort deshalb nur eingeschränkt wahrnehmbar. Insoweit ist nicht ersichtlich, dass die Erholungseigenschaft der Landschaft durch die Errrichtung der WEA am vorgesehenen Standort beeinträchtigt werden könnte.
98Die Versagung der Befreiung war auch nicht zur Erhaltung des Landschaftsbildes erforderlich. Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang (Seite 6 des Bescheides) auf das für das S. I3. typische vielfältige Landschaftsbild– den Wechsel zwischen großflächigen ackerbaulichen Nutzungen, einzelnen Gehölzreihen, kleinflächigem Grünland und Sonderkulturen mit teilweise heckenartigen Einfassungen – verweist, greift dies nicht durch. Die Ortsbesichtigung hat vielmehr ergeben, dass die Umgebung um den hier streitigen Standort eben nicht die an anderen Stellen des S. I6. typische vielfältige Landschaftsstruktur aufweist. Die Flächen in der Nähe des Anlagenstandortes werden weitgehend flächig landwirtschaftlich genutzt und weder durch einzelne Gehölzstreifen noch durch Bäche oder Sieke unterbrochen. Erst die südlich der E3. Straße gelegene Landschaft weist die für das S. I3. typische vielfältige Landschaftstruktur auf. Sie wird wesentlich von der L1. geprägt, die beidseitig von dichten Gehölzbeständen umgeben ist und sich nach Süden leicht ansteigend in das Sieksytem des I4. - N1. fortsetzt.
99Es kann entgegen der Auffassung des Beklagten (Seite 2) nicht davon ausgegangen werden, dass die Landschaft am Vorhabenstandort wesentlich durch die Landschaftsstruktur südlich der E3. Straße mitgeprägt wird und die Errichtung einer WEA auch dort das Landschaftsbild in einer Weise beeinträchtigt, die die Erteilung einer Befreiung ausschließt. Wie der Beklagte selber einräumt (Seite 3 des Bescheides) befindet sich der Standort im Übergangsbereich zwischen dem nach Norden eher flachen und durch Siedlungen begrenzten Landschaftsraum und dem sich nach Süden öffnenden Landschaftsraum mit dem Tal der C3. . und dem I4. -N2. . Die E3. Straße schneidet diesen Landschaftsraum nicht nur, sondern stellt hier den Übergang in eine wesentlich anders strukturierte Landschaftsform dar. Wie oben bereits dargelegt, fällt das Gelände zur L1. hin steil ab. Durch den beidseitig des Baches vorhandenen Gehölzbewuchs wird der Blick auf den Bereich nördlich der E3. Straße verstellt. Eine dort geplante WEA würde deshalb das das L2. prägende Landschaftsbild nicht beeinträchtigen.
100Im Ergebnis ist der Beklagte deshalb zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Erteilung einer Befreiung Versagungsgründe i.S.d. § 67 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG entgegenstehen. Liegen keine Versagungsgründe i.S.d. § 67 BNatSchG vor, so ist das Ermessen der genehmigenden Behörde regelmäßig dahingehend reduziert, dass die Befreiung zu erteilen ist.
101Vgl. VG Aachen, Urteil vom 07.05.2012 – 6 K 1140/10 –, juris Rn. 119 unter Bezugnahme auf Gatz, a.a.O. Rn. 294.
102cc)
103Dem Vorhaben stehen auch keine von vornherein unüberwindlichen Hindernisse entgegen, deren Prüfung nicht Gegenstand des Vorbescheidsantrages ist. Bei Vorhaben, für die eine allgemeine oder standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalles nach § 3c Sätze 1 oder 2 UVPG erforderlich ist, muss sich die vorläufige Gesamtbeurteilung auch auf die Frage erstrecken, ob für das Vorhaben die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich ist.
104Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20.11.2012 – 8 A 252/10 –, juris Rn. 116.
105Für den Betrieb und die Errichtung (nur) einer WEA – wie hier – bedarf es aber keiner Vorprüfung nach § 3c UVPG, da das Vorhaben nicht UVP-pflichtig ist (vgl. Nr. 1.6 der Anlage 1 zum UVPG).
1062.
107Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf Erteilung eines Vorbescheides, weil ungeachtet dessen, dass die Ablehnung des beantragten Vorbescheides aus den im Bescheid genannten Gründen rechtswidrig war, die Sache nicht spruchreif ist und das Gericht die Spruchreife auch nicht herstellen kann (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
108Lehnt die Genehmigungsbehörde die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ab, liegt der Fall eines „stecken gebliebenen" Genehmigungsverfahrens vor, in dem die Verpflichtung des Gerichts zur Herbeiführung der Spruchreife entfällt, wenn ansonsten im Verwaltungsverfahren noch nicht behandelte komplexe Fragen erstmals im gerichtlichen Verfahren geprüft werden müssten.
109Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 14.04.1989 – 4 C 52/87 –, NVwZ 1990, 257; OVG NRW, Urteile vom 19.06 2007 – 8 A 2677/06 –, NWVBl. 2008, 26, und vom 30.07.2009 – 8 A 2357/08 –, juris.
110Die Grundsätze des „stecken gebliebenen“ Genehmigungsverfahrens gelten auch für immissionsschutzrechtliche Vorbescheide nach § 9 BImSchG.
111Vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 21.04.2010 – 12 LC 9/07 –, juris.
112Das Gericht war im vorliegenden Fall nicht verpflichtet, die Spruchreife der Sache herbeizuführen, weil der Beklagte nicht geprüft hat, ob der Erteilung des Vorbescheides weitere bauplanungsrechtliche Hindernisse entgegenstehen. Es lässt sich insbesondere für das Gericht nicht ohne weitere aufwendige Ermittlungen feststellen, ob bei der Verwirklichung des Vorhabens mit schädlichen Umwelteinwirkungen i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB zu rechnen ist
113Eine Schallimmissions- und Schattenwurfprognose war dem Vorbescheidsantrag nicht beigefügt. Obwohl der Kläger im Rahmen einer Besprechung am 24.02.2012 (BA I Bl. 73) selbst erklärt hatte, dass die Verschiebung des Standortes und die Wahl einer anderen Anlage (E-53 statt E-82) erfolge, da der bisherige Standort wegen der durch die Anlage entstehenden Geräuschimmissionen nicht aufrecht erhalten bleiben könne, legte er in Ergänzung des Antrages betreffend die Errichtung einer E-53 nur einen landschaftspflegerischen Begleitplan von L4. und C5. Landschaftsarchitekten GmbH vom 10.01.2012 vor. Erst in der mündlichen Verhandlung wurde eine Schallimmissions- und Schattenwurfprognose der F1. GmbH vom 05.04.2012 bzw. 12.04.2012 eingereicht.
114Die Prüfung der Schallimmissions- und Schattenwurfprognose obliegt in erster Linie der genehmigenden Behörde. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, die erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen auf ihre fachliche Richtigkeit zu überprüfen. Ungeachtet dessen ist fraglich, ob die Einhaltung der nach der TA Lärm maßgeblichen Immissionsrichtwerte nach der nunmehr vorgelegten Prognose sichergestellt ist. Denn danach (Seite 26) wird zumindest am Wohnhaus des Klägers– dem Immissionsort G – mit 48 dB(A) der nach Nr. 6.1. Buchstabe c TA Lärm maßgebliche Immissionsrecht von 45 dB(A) deutlich überschritten. Ob bei einer Eigenbeschallung ein (erhöhter) Immissionsrichtwert von 48 dB(A) zugrunde gelegt werden kann, ist umstritten und bedarf eingehender Prüfung.
115Vgl. (bejahend) das in der Prognose zitierte Windenergie Handbuch, Seite 28 Fn. 7; a.A.: VG Oldenburg, Urteil vom 26.02.2009 – 5 A 4836/06 –, juris Rn. 27.
116Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Es entspricht billigem Ermessen, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nicht für erstattungsfähig zu erklären, weil sie keinen eigenen Sachantrag gestellt und sich damit nicht am Prozesskostenrisiko beteiligt hat (vgl. §§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO).
117Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO i.V.m. 709 ZPO.
(1) Von den Geboten und Verboten dieses Gesetzes, in einer Rechtsverordnung auf Grund des § 57 sowie nach dem Naturschutzrecht der Länder kann auf Antrag Befreiung gewährt werden, wenn
- 1.
dies aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer und wirtschaftlicher Art, notwendig ist oder - 2.
die Durchführung der Vorschriften im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen würde und die Abweichung mit den Belangen von Naturschutz und Landschaftspflege vereinbar ist.
(2) Von den Verboten des § 33 Absatz 1 Satz 1 und des § 44 sowie von Geboten und Verboten im Sinne des § 32 Absatz 3 kann auf Antrag Befreiung gewährt werden, wenn die Durchführung der Vorschriften im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen würde. Im Fall des Verbringens von Tieren oder Pflanzen aus dem Ausland wird die Befreiung vom Bundesamt für Naturschutz gewährt.
(3) Die Befreiung kann mit Nebenbestimmungen versehen werden. § 15 Absatz 1 bis 4 und Absatz 6 sowie § 17 Absatz 5 und 7 finden auch dann Anwendung, wenn kein Eingriff in Natur und Landschaft im Sinne des § 14 vorliegt.
Tatbestand
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Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 06.06.2013 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Erteilung eines immissionsschutzrechtlichen Vorbescheides zur Errichtung einer Windenergieanlage auf dem Grundstück Gemarkung E1. , Flur 5, Flurstück 6, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger und der Beklagte je zur Hälfte. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar, jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten um die Erteilung eines Vorbescheides für die Errichtung und zum Betrieb einer Windenergieanlage (WEA) des Typs Enercon E-53 auf dem Grundstück Gemarkung E1. , Flur 5, Flurstück 6, in I1. . Der Vorhabenstandort liegt im bauplanungsrechtlichen Außenbereich und im räumlichen Geltungsbereich des Landschaftsplanes I1. /I2. und des in diesem Plan ausgewiesenen Landschaftsschutzgebietes „S. I3. “.
3Den zunächst unter dem 31.08.2011 gestellten Antrag auf Erteilung eines Vorbescheides hinsichtlich der planungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens und seiner Vereinbarkeit mit militärischen Belangen und Belangen des Luftverkehrs für eine Windenergieanlage des Typs Enercon E-82 E2 nahm der Kläger mit Schreiben vom 12.06.2013 zurück.
4Bereits mit Schreiben vom 06.03.2012 hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers dem Beklagten mitgeteilt, dass am vorgesehenen Standort nunmehr eine Windenergieanlage vom Typ Enercon E-53 errichtet und betrieben werden solle. Mit dieser unter 100 m hohen Windenergieanlage würden die relevanten Abstände zur vorhandenen Wohnbebauung sowohl in Bezug auf eine optisch bedrängende Wirkung als auch auf Geräuscheinwirkungen eingehalten und die nachbarlichen Interessen vollständig gewahrt. Mit Schreiben vom 16.04.2012 übersandten die Prozessbevoll-mächtigten des Klägers dem Beklagten einen Antrag auf Erteilung eines Vorbescheides für die Errichtung und den Betrieb einer Anlage vom Typ Enercon E-53 mit einer Nabenhöhe von 73,25 m, einem Rotorradius von 26,45 m, mithin einer Gesamthöhe von 99,70 m und einer Leistung von 800 kW. Zum Inhalt des Vorbescheidsantrages wurde erklärt, er solle die Erteilung einer landschaftsrechtlichen Befreiung umfassen, die artenschutzrechtliche Prüfung sollte dagegen Gegenstand des sich anschließenden Genehmigungsverfahrens sein.
5Im Rahmen der Beteiligung der Träger öffentlicher Belange zum Genehmigungsantrag teilte die Bezirksregierung E2. mit Schreiben vom 12.11.2012 mit, dass die beantragte Windenergieanlage in einem „Freiraumbereich für zweckgebundene Nutzungen, hier: zur „Sicherung und Abbau oberflächennaher Bodenschätze“ (BSAB = Abgrabungsbereiche) des gültigen Regionalplans „Gebietsentwicklungsplan für den Regierungsbezirk E2. , Teilabschnitt Oberbereich C1. “ liege. Für das vorliegende Verfahren, für das lediglich 0,4 ha von dem insgesamt 20 ha großen BSAB benötigt würden, könnten raumordnerische Bedenken zurückgestellt werden, wenn die geplante Windenergieanlage nach dem genehmigten Zeitraum, 15 bis 20 Jahre seien insoweit denkbar, vollständig zurückgebaut werde und einer Restflächennutzung dem BSAB nicht im Wege stünde.
6Die untere Landschaftsbehörde des Beklagten führte in ihrer Stellungnahme vom 14.05.2013 aus, dass eine Befreiung von den Verboten des Landschaftsplans I1. /I2. für die Errichtung der Anlage nicht in Aussicht gestellt werden könne und gebeten werde, das Vorhaben abzulehnen. Der Kläger beabsichtige, seine Anlage innerhalb eines Landschaftsschutzgebietes zu errichten. Der Landschaftsplan I1. /I2. enthalte für das ausgewiesene Landschaftsschutzgebiet ein generelles Bauverbot. Unberührtheitsklauseln oder Ausnahmevorschriften seien für die Errichtung von Windenergieanlagen nicht vorgesehen. Die geplante Windenergieanlage liege in einem Landschaftsraum, der durch das Tal der L1. geprägt sei. Der geplante Standort liege an der Grenze zwischen dem nach Norden und Osten eher flachen und durch den Siedlungsrand von I1. begrenzten Landschaftsraum und dem nach Süden und Südwesten sich öffnenden Landschaftsraum mit dem Tal der B. und des I4. -N. im weiteren Verlauf. Nach Westen und Nordwesten werde der Landschaftsraum durch den Wald und damit auch von der dahinter betriebenen Tonabgrabung sowie den sich anschließenden Siedlungsbereichen von V. begrenzt. Der Landschaftsraum könne durch die vereinzelte Streubebauung nicht als unberührter Landschaftsraum beschrieben werden. Dennoch werde diese Streubebauung überwiegend durch traditionelle Hofbäume und sonstige Gehölze gut in die Landschaftsstruktur eingebunden. Der Landschaftsraum entspreche in weiten Teilen dem traditionellen Bild der Landschaft im S. I3. mit seiner durch Bäume und Gehölze eingebundenen Streubebauung, den grünlandgenutzten Bachtälern mit begleitenden Gehölzbeständen und den auf den kuppigen Hochlagen ackerbaulich genutzten offenen Flächen.
7Die Festsetzung als Landschaftsschutzgebiet diene dem Schutz dieses Landschaftscharakters. Sie sei u.a. erfolgt zur Erhaltung des für das S. I6. typischen, vielfältig strukturierten Landschaftsbildes. Nach dem WEA-Erlass 2011 gelte das Bauverbot grundsätzlich auch in Landschaftsschutzgebieten, soweit nicht besondere Regelungen aufgenommen worden seien. Dem betroffenen Landschaftsraum komme eine hochwertige Funktion für den Naturschutz und die Landschaftspflege im Sinne des Schutzzwecks des Landschaftsplans zu. Die besondere Schutzwürdigkeit werde unterstrichen durch die Nähe des Landschaftsraums zum Naturschutzgebiet „B. -/L2. “. Dieses Naturschutzgebiet sei u.a. festgesetzt worden zur Erhaltung und Entwicklung eines hervorragend ausgeprägten Sieksystems des S. I6. aus landeskundlichen und erdgeschichtlichen Gründen und zur Erhaltung eines Landschaftsraums von hervorragender Schönheit. Diese Schutzzwecke könnten nicht aus dem Gesamtzusammenhang eines landschaftlichen Gefüges herausgelöst werden. Beeinträchtigungen des Umfeldes wirkten auch auf das Naturschutzgebiet ein. Das Landschaftsschutzgebiet könne zwar nicht für sich die Schutzwürdigkeit des Naturschutzgebietes sichern, sondern stehe in erster Linie nur für die eigene Schutzwürdigkeit, dennoch ergebe sich aus dem gesamträumlichen Zusammenhang eine besonders hochwertige Schutzfunktion.
8Eine Befreiung von dem Bauverbot nach § 67 BNatSchG komme nicht in Betracht. Ein überwiegendes öffentlichen Interesse i.S.d. § 67 Abs. 1 Ziffer 1 BNatSchG an der Erteilung einer Befreiung liege nicht vor, weil den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege im vorliegenden Fall ein höherer Wert beigemessen werde als dem öffentlichen und privaten Interesse an der Nutzung regenerativer Energiequellen.
9Die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes aufgrund der ca. 100 m hohen Anlage sei nicht mit dem Schutzzweck des Landschaftsschutzgebietes vereinbar. Durch die Errichtung der Windkraftanlage werde der im Landschaftsplan „I1. /I2. “ für das Landschaftsschutzgebiet festgelegte Schutzzweck in erheblicher Weise beeinträchtigt. Das Landschaftsschutzgebiet sei u.a. zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes in landwirtschaftlich geprägten sowie durch Siedlungen, Verkehr, Gewerbe und Erholung stark beanspruchten Landschaftsräumen, zur Erhaltung der Nutzungsfähigkeit der Naturgüter, zur Erhaltung des für S. I3. und I7. C2. typischen, vielfältig strukturierten Landschaftsbildes und zur Erhaltung der Erholungseignung der Landschaft, der Ruhe, der Natur und des Naturgenusses in einem dicht besiedelten Raum festgesetzt worden. Der Kreis I1. sei durch eine hohe Bevölkerungsdichte gekennzeichnet. Die hohe Bevölkerungsdichte mit der typischen Streubebauung im S. M. führe dazu, dass es nur relativ wenige Landschaftsräume gebe, die frei von Siedlungsgebieten, Gewerbeflächen, Streubebauung oder Infrastruktureinheiten seien. Gerade die geringe Ausstattung mit unbelasteten oder gering belasteten Landschaftsräumen führe zu einer hohen Gewichtung dieser Bereiche bei der Abwägung gegenüber anderen Belangen.
10Eine Befreiung komme auch nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG nicht in Betracht, weil der Kläger durch die Ablehnung der Befreiung nicht unzumutbar belastet werde.
11Darüber hinaus liege die geplante Anlage in einem Gebiet, das ein traditionelles Rastgebiet des Kiebitzes im zeitigen Frühjahr sei. In der Brutzeit könnten pro Jahr etwa drei bis fünf Brutpaare im Gebiet südlich des beantragten Standortes angetroffen werden. Die Literatur führe mehrheitlich aus, dass der Kiebitz durch Windenergieanlagen zu Meidung von Flächen 100 bis 300 m um eine Windenergieanlage veranlasst werde. Die artenschutzrechtliche Prüfung komme aufgrund dieser Erkenntnisse zum Ergebnis, dass zur Vermeidung von artenschutzrechtlichen Konflikten vorgezogene Maßnahmen zur Optimierung von Kiebitzlebensräumen erforderlich seien. Art und Umfang solcher vorgezogener Maßnahmen seien dem Grunde nach mit der unteren Landschaftsbehörde bereits abgestimmt worden. Allerdings unterstreiche die Bedeutung des Landschaftsraums für den Kiebitz die bereits beschriebene Wertigkeit des Landschaftsraums im Besonderen, zumal es im Stadtgebiet I1. und auch im ganzen Kreisgebiet nur eine geringe Zahl solch traditioneller Rast- und Brutplätze des Kiebitzes gebe.
12Mit Bescheid vom 06.06.2013 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Erteilung eines Vorbescheides gemäß § 9 BImSchG für die Errichtung einer Windenergieanlage des Typs Enercon E-53 auf dem Grundstück Gemarkung E1. , Flur 5, Flurstück 6, ab. Das Bauvorhaben verstoße gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften und Belange. Der beantragte Vorbescheid für die Windenergieanlage könne am jetzigen Standort nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG i.V.m. § 20 Abs. 2 der 9. BImSchV nicht erteilt werden, da die geplante Anlage in einem Landschaftsschutzgebiet liege, das ein Bauverbot bestimme. Die Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 BNatSchG für die Erteilung einer Befreiung von diesem Bauverbot lägen nicht vor. Die weitere Begründung entspricht im Wesentlichen der Stellungnahme der unteren Landschaftsbehörde vom 14.05.2013.
13Der Kläger hat daraufhin am 12.06.2013 Klage erhoben und vorgetragen, der Ablehnungsbescheid vom 06.06.2013 enthalte keine ordnungsgemäße Ermessensausübung des Beklagten hinsichtlich der abgelehnten Befreiung von den Verboten des Landschaftsplanes. Die Begründung sei erkennbar konstruiert und lasse wesentliche Aspekte gänzlich unberücksichtigt. Der vorgesehene Standort befinde sich am äußersten Rand des (insgesamt 605 km² großen) Landschaftsschutzgebietes S. I3. . Er werde eingerahmt im Osten durch die dort in Nord-Süd-Richtung verlaufende, vierspurig ausgebaute Bundesstraße C3. 61 /C3. , die in der Nähe über eine autobahnähnliche Anschlussstelle verfüge, sowie das östlich davon gelegene Stadtgebiet von I1. , im Süden von der in West-Ost-Richtung verlaufenden M1., im Westen von einem kleinen Waldstück sowie im Norden von der Hofstelle des Klägers und weiteren Bauwerken. Der gesamte Bereich werde intensiv landwirtschaftlich genutzt. Darüber hinaus werde in der Umgebung eine größere Tonabgrabung betrieben. Auch der Standort der geplanten Windenergieanlage liege innerhalb eines Tonabgrabungsbereichs, der bislang allerdings nicht zum Tonabbau genutzt worden sei. Eine 110 kV-Freileitung sowie Streubebauung stellten weitere Vorbelastungen dar. Auch befinde sich in einer Entfernung von rund 800 m ein großes Fabrikgebäude am T1.----- . Diese zahlreichen, erheblichen und augenscheinlichen Vorbelastungen des Landschaftsraums räume der Beklagte im Ablehnungsbescheid sogar teilweise ein, berücksichtige diese im Endergebnis jedoch nicht gebührend. Das Naturschutzgebiet „C3. . /L2. “ liege in größerer Entfernung zur geplanten Anlage als die Entfernung des Standorts zur Grenze des Landschaftsschutzgebietes betrage. In Anbetracht dieser Belastungen des Landschaftsbildes, die zum größten Teil bereits vorhanden seien und ansonsten – wie weitere Tonabgrabungen und neues Gewerbegebiet „T1.----- – in absehbarer Zeit hinzuträten, sei die Bewertung des Beklagten nicht nachvollziehbar. Desweiteren habe der Beklagte die besondere Bedeutung der erneuerbaren Energien nicht in ausreichendem Maße gewürdigt.
14Ferner sei zu beachten, dass die Gesamthöhe der Anlage von weniger als 100 m verhältnismäßig gering und damit nicht als raumbedeutsam einzustufen sei. Aufgrund der geringen Gesamthöhe sei eine Kennzeichnung als Luftfahrthindernis nicht erforderlich. Insgesamt habe der Beklagte die Aspekte Landschaftsbild und Erholungswert deutlich überbewertet und die für die Nutzung der Windenergie am fraglichen Standort sprechenden Aspekte allenfalls in allgemeiner Form floskelhaft angedeutet, sich im übrigen aber mit den tatsächlichen Gegebenheiten nicht ansatzweise auseinandergesetzt. Der Beklagte gehe auch nicht darauf ein, dass mit Blick auf das laufende Bebauungsplanverfahren zur Erweiterung des Gewerbegebietes „T1.----- “ dieses anschließend bis auf eine Entfernung von rund 200 m an das Landschaftsschutzgebiet und rund 400 m an den Anlagenstandort heranrücken werde. Ebenso wenig werde gewürdigt, dass der vorgesehene Standort für die Windenergieanlage Teil einer Fläche sei, die im geltenden Gebietsentwicklungsplan als Abgrabungsfläche für Tonvorkommen vorgesehen sei. Dass dieses Ziel der Raumordnung der Errichtung einer Windenergieanlage nicht entgegenstehe, habe die Bezirksregierung ausdrücklich bestätigt. Inwieweit aber die danach ohne weiteres zulässige Abgrabung von Tonvorkommen einen weniger bedeutsamen Eingriff in die Funktion des Landschaftschutzgebietes bedeuten würde als die Errichtung der geplanten Windenergieanlage, die lediglich eine Fläche von insgesamt 2 % der ausgewiesenen Abgrabungsfläche einnähme, lege der Beklagte nicht dar. Schließlich dürfte zu berücksichtigen sein, dass er sein Vorhaben auf einem in seinem Eigentum stehenden Grundstück in der Nähe seiner Hofstelle realisiere wolle. Ihm stehe daher insgesamt ein Anspruch auf Befreiung von den Bauverboten des Landschaftsplanes und damit der beantragte Vorbescheid für die Errichtung der von ihm geplanten Windenergieanlage zu.
15Der Kläger beantragt,
16den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 06.06.2013 i.d.F. des Änderungsbescheides vom 01.07.2013 zu verpflichten, ihm einen immissionsschutzrechtlichen Vorbescheid für die Errichtung einer Windenergieanlage des Typs Enercon E-53 auf dem Grundstück Gemarkung E1. , Flur 5, Flurstück 6, zu erteilen.
17Der Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Er trägt ergänzend vor: Soweit der Kläger vortrage, der vorgesehene Standort für die Anlage befinde sich am äußersten Rand des insgesamt I. km² großen Landschaftsschutzgebietes S. I3. , sei dies falsch. Die Größe des gesamten Kreises I1. betrage lediglich S. km². Der Landschaftsplan I1. /I2. weise das S. I3. mit einer Größe von ca. O. km² und das I7. C4. ebenfalls mit einer Größe von O. km² als Landschaftsschutzgebiet aus. Die im Osten an den vorgesehenen Standort in Nord-Süd-Richtung verlaufende, vierspurig ausgebaute Bundesstraße C3. 61/C3. 239 sei als Vorbelastung nicht zu berücksichtigen, da diese in einem mehr als 4 m tiefen Einschnitt liege und daher kaum sichtbar sei. Soweit der Kläger auf größere Tonabgrabungen verweise, sei diese ebenfalls falsch, da erst in westlicher Richtung zum geplanten Standort in einem Abstand von ca. 700 m eine Abgrabung in einer Größe von ca. 12 ha betrieben werde. Weitere Tonabgrabungen oder andere Abgrabungen bestünden nicht, Planungen lägen ebenfalls nicht vor. Ehemalige Abgrabungsräume seien erfolgreich rekultiviert worden. Das Gewerbegebiet „T1.----- “ beginne erst in einem Abstand von ca. 600 bis 800 m von der geplanten Anlage entfernt. Der Standort der Windenergieanlage sei landschaftlich deutlich abgesetzt von der gewerblichen Bebauung. Allein schon aufgrund der Entfernung könnten die dortigen baulichen Anlagen nicht als Vorbelastung für die beantragte Windenergieanlage angesehen werden. Das Naturschutzgebiet „C3. . -/L2. “ befinde sich an der Stelle, die dem Anlagenstandort am nächsten sei, in einem Abstand von ca. 400 m. Der L3. befinde sich in einem Abstand von ca. 550 m zum Anlagenstandort. Ausschlaggebend für die hier angegriffene Entscheidung sei nicht lediglich die Stellungnahme der unteren Landschaftsbehörde als solche. Er habe im Verwaltungsverfahren durchaus eine differenzierte Analyse des Standortes durchgeführt. Diese habe ergeben, dass der Landschaftsraum ein sehr hohes landschaftliches Potential aufweise, gerade weil die vorhandenen Vorbelastungen nicht prägend seien. Selbst für den Fall, dass es neben den bundesrechtlich geregelten Befreiungstatbeständen des § 67 Abs. 1 S. 1 BNatSchG noch Raum für eine Fortgeltung des landesrechtlich in § 69 Abs. 1 S. 1 a LG NRW geregelten Befreiungsgrundes der unbeabsichtigten Härte gäbe, würde dieser nicht vorliegen. Bei einem Bauverbot als Folge einer naturschutz- bzw. landschaftsschutzrechtlichen Festsetzung liege in aller Regel keine unbeabsichtigte Härte vor. Denn die Untersagung der Errichtung baulicher Anlagen im Schutzgebiet sei vom Normgeber regelmäßig gerade gewollt. Auch eine Befreiung aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses komme nicht in Betracht. Ein allgemeiner Wille bzw. ein allgemeines Bedürfnis, zunehmend regenerative Energiequellen zu nutzen, reiche hierfür nicht aus. Denn dieses Bedürfnis betreffe gerade nicht den konkreten Standort. Soweit der Kläger eine „besondere Nähe zur Bürgerinitiative“ rüge, sei lediglich richtig, dass ihm entsprechendes Material vorliege, es sei jedoch lediglich zur Darstellung des Umfeldes der Anlage in diesem Klageverfahren herangezogen worden.
20Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt, mit Schriftsatz vom 07.07.2014 aber ausgeführt, sie habe ihr Einvernehmen zur Errichtung einer Windkraftanlage am vorgesehenen Standort erteilt. Ihrem Einleitungsbeschluss vom 22.11.2012 zur Änderung des Flächennutzungsplanes liege eine Potentialstudie „Masterplan erneuerbare Energie“ des Planungsbüros L4. und C5. von September 2012 zu Grunde; danach liege die vom Kläger geplante Anlage in einem Ausschlussbereich. Zwischen ihr und dem Beklagten herrsche Dissens bezüglich der Auswirkungen von Windenergieanlagen auf das Landschaftsbild. Da der Freiraum außerhalb des Stadtkerns zum großen Teil als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen sei, habe der Bauausschuss am 17.10.2013 beschlossen, die Ausweisung von Windenergieflächen nicht weiter voranzutreiben, sondern den Ausgang dieses Verfahrens abzuwarten.
21Mit Bescheid vom 01.07.2013 hat der Beklagte den angefochtenen Bescheid vom 06.06.2013 im Hinblick auf die darin (unter III.) erhobene Verwaltungsgebühr geändert.
22Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie die Unterlagen der Bürgerinitiative „Initiative J1. .--/E1. gegen Windrad“ Bezug genommen.
23E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
24Die Klage ist zulässig, jedoch nur teilweise begründet.
25Der Bescheid des Beklagten vom 06.06.2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, weil die Ablehnung des beantragten Vorbescheides aus den im Bescheid aufgeführten Gründen rechtswidrig ist (1.). Ob dem beantragten Vorhaben andere Versagungsgründe entgegenstehen, lässt sich für das Gericht nicht abschließend beurteilen. Mangels Spruchreife war der Beklagte deshalb zur Neubescheidung des Vorbescheidsantrages zu verpflichten (2.).
261.
27Nach § 9 Abs. 1 BImSchG soll auf Antrag durch Vorbescheid über einzelne Genehmigungsvoraussetzungen sowie über den Standort der Anlage entschieden werden, sofern die Auswirkungen der geplanten Anlage ausreichend beurteilt werden können und ein berechtigtes Interesse an der Erteilung eines Vorbescheides besteht.
28a)
29Ein Vorbescheid kann zu jeder für die Genehmigung relevanten Frage ergehen, die im Vorgriff auf sie rechtlich und tatsächlich auch geklärt werden kann. Dies schließt umgekehrt für den Antragsteller auch das Recht ein, einzelne für die Genehmigung relevante Fragen aus der Prüfung auszuklammern.
30Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20.11.2012 – 8 A 252/10 –, juris Rn. 37 unter Bezugnahme auf das Urteil vom 09.12.2009 – 8 D 12/08.AK –, DVBl. 2010, 719 = juris Rn. 146, und VGH BW, Urteil vom 15.02.1990 – 10 S 2893/88 –, juris Rn. 23.
31Der Kläger hat die Prüfung im Vorbescheidsverfahren zunächst mit seinem Antrag vom 22.08.2011 betreffend die Enercon E-82 (in BA VII enthalten) auf die (volle) „planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens“ erstreckt, den Antrag auf Erteilung eines Vorbescheides für eine E-53 aber insoweit beschränkt, als die artenschutzrechtliche Prüfung dem Genehmigungsverfahren vorbehalten sein soll (vgl. Schriftsatz vom 16.04.2012, BA II Bl. 91). Damit ist die planungsrechtliche Prüfung nach § 35 BauGB auch für das Gericht eingeschränkt. Denn zu den planungsrechtlich relevanten Belangen des Naturschutzes i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Var. 1 BauGB gehören auch die naturschutzrechtlichen Vorschriften zum Gebiets- (§§ 31 ff. BNatSchG, §§ 48a ff. LG NRW) und Artenschutz (§§ 39 ff. BNatSchG, §§ 60 ff. LG NRW), zu Letzterem insbesondere die Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG.
32vgl. BVerwG, Urteil vom 27.06.2013 – 4 C 1.12 –, juris Rn. 6; OVG NRW, Urteile vom 30.07.2009 – 8 A 2357/08 –, juris Rn. 39, und vom 20.11.2012 – 8 A 252/10 –, juris Rn. 93.
33Die positive Bescheidung eines Vorbescheidsantrages setzt weiterhin voraus, dass nicht nur die zur Prüfung gestellten Belange dem Vorhaben nicht entgegenstehen, sondern auch die Auswirkungen der geplanten Anlage ausreichend beurteilt werden können. Aufgrund einer vorläufigen Prüfung anhand der vollständigen und insoweit endgültigen Pläne muss feststehen, dass die gesamte Anlage am vorgesehenen Standort genehmigungsfähig ist (sog. vorläufige positive Gesamtbeurteilung). Die in diesem Zusammenhang geläufige Formulierung, dass dem Gesamtvorhaben keine von vornherein unüberwindlichen Hindernisse entgegenstehen dürften (vgl. § 8 Satz 1 Nr. 3 BImSchG), darf allerdings nicht dahin missverstanden werden, dass das vorläufige positive Gesamturteil erst dann fehlt, wenn die Verwirklichung des Vorhabens bei kursorischer Prüfung mit Sicherheit ausgeschlossen ist. Eine positive Gesamtbeurteilung setzt vielmehr eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Genehmigungsfähigkeit der Gesamtanlage voraus.
34Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20.11.2012 – 8 A 252/10 –, juris Rn . 39 unter Bezugnahme auf das Urteil vom 12.06.2012 – 8 D 38/08.AK –, juris Rn. 109 ff., und Jarass, BImSchG, 10. Auflage 2013, § 8 Rn. 12 m.w.N.
35b)
36Gemessen an diesen Voraussetzungen tragen die im Bescheid des Beklagten vom 06.06.2013 aufgeführten Gründe die Versagung des beantragten Vorbescheides nicht. Der Errichtung und dem Betrieb der beantragten WEA stehen weder planungsrechtliche Festsetzungen i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB (aa) entgegen noch stehen dem Vorhaben Belange des Naturschutzes (unter Ausklammerung des Artenschutzes) und der Landschaftspflege mit Blick auf die Festsetzungen eines Landschaftsplanes bzw. die Ausweisung eines Landschaftsschutzgebietes entgegen (bb). Es fehlt auch nicht an einer vorläufigen positiven Gesamtbeurteilung (cc).
37aa)
38Darstellungen im Flächennutzungsplan i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB stehen dem Vorhaben nicht entgegen, weil es an einer Ausweisung von Konzentrationszonen für WEA an andere Stelle in einem (rechtsgültigen) Flächennutzungsplan der Beigeladenen fehlt. Wie die Beigeladene im Schriftsatz vom 07.07.2014 (Bl. 164 ff. GA) mitgeteilt hat, liegt bisher nur ein Aufstellungsbeschluss vom 22.12.2012 und eine Potentialstudie „Masterplan erneuerbare Energie“ vor. Das Verfahren zur Teiländerung des Flächennutzungsplanes ruht z.Zt. mit Blick auf den Ausgang des vorliegenden Rechtsstreites. Da aus Sicht der Beigeladenen dem Vorhaben auch keine landschaftsschutzrechtlichen Belange entgegenstehen, hat sie das Einvernehmen nach § 36 BauGB erteilt.
39Ebenso wenig kann dem Vorhaben entgegengehalten werden, dass als Ziel der Raumordnung i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB in überörtlichen Plänen eine Ausweisung von Konzentrationsflächen für WEA an anderer Stelle erfolgt ist. Der Gebietsentwicklungsplan für den Regierungsbezirk E2. – Teilabschnitt Windenergie – enthält derartige Festsetzungen nicht. Der Gebietsentwicklungsplan für den Regierungsbezirk E2. – Teilabschnitt Oberbereich C1. – weist den hier streitigen Standort als Bereich „zur Sicherung und Abbau oberflächennaher Bodenschätze“ (BSAB = Abgrabungsbereiche) aus. Die Ausweisung von BSAB in Regionalplänen hat zwar die Rechtswirkung von Vorranggebieten mit der Wirkung von Eignungsgebieten (§ 8 Abs. 7 ROG NRW), die grundsätzlich von konkurrierenden Nutzungen freizuhalten ist (Ziffer C3. .III Ziel 1). Mit Blick darauf, dass der ausgewiesene BSAB eine Größe von 20 ha hat, die WEA aber nur eine Fläche von 0,4 ha beansprucht und eine abschnittsweise Inanspruchnahme der (übrigen) Fläche zum Abbau möglich ist, hat die Regionalplanungsbehörde keine planungsrechtlichen Bedenken erhoben, wenn die Nutzung auf einen Zeitraum von 15 bis 20 Jahren befristet wird (BA II Bl. 197). Eine derartige Befristung in einem Genehmigungsbescheid ist auf Antrag nach § 12 Abs. 2 Satz 1 BImSchG möglich.
40bb)
41Belange des Natur- und Landschaftsschutzes i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Var. 1 BauGB stehen dem Vorhaben nicht entgegen.
42Ob einem durch § 35 Abs. 1 BauGB privilegierten Vorhaben öffentliche Belange i.S.v. § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB entgegenstehen, ist grundsätzlich im Wege einer sogenannten nachvollziehenden Abwägung zu ermitteln. Privilegierte Vorhaben sind nicht an jedem beliebigen Standort im Außenbereich zulässig. Auch für privilegierte Anlagen gilt das Gebot der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs. Mit § 35 Abs. 1 BauGB hat der Gesetzgeber den Außenbereich insbesondere nicht generell als Baubereich für privilegierte Vorhaben freigegeben, sondern ihre Zulässigkeit vielmehr von der Einzelfallprüfung abhängig gemacht, ob ihnen an einem konkreten Standort öffentliche Belange entgegenstehen. Im Einzelnen bestimmt sich das Gewicht sowohl der Privilegierung als auch das der öffentlichen Belange anhand einer Bewertung des Einzelfalles.
43Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20.11.2012 – 8 A 252/10 –, juris Rn. 76 ff. m.w.N. auf die Rechtsprechung des BVerwG; Gatz, Windenergieanlagen in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis, 2. Auflage 2013, Rn. 198 ff. m.w.N.; Söfker in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg/Krautzberger, Kommentar zum BauGB, Loseblatt-Sammlung (Stand: Juli 2011), § 35 Rn. 60 ff.
44Belange des Landschaftsschutzes i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Var. 1 BauGB stehen der Errichtung und dem Betrieb einer WEA u.a. dann entgegen, wenn der Standort im räumlichen Geltungsbereich einer Landschaftsschutzverordnung liegt, die Errichtung derartiger Anlagen im Geltungsbereich der Verordnung grundsätzlich verboten ist und von diesem Verbot durch Erteilung von Ausnahmen und Befreiungen nicht abgewichen werden kann.
45Vgl. BVerwG, Beschluss vom 02.02.2000 – 4 C3. 104/99 –, juris Rn. 2, und Urteil vom 19.04.1985 – 4 C 25.84 –, BauR 1985, 544.
46Ob die Belange des Landschaftsschutzes sich gegenüber dem entgegenstehenden Interessen des Bauherrn an der Realisierung eines privilegierten Vorhabens i.S.d. § 35 Abs. 1 BauGB durchsetzen, ist im Rahmen der nachvollziehenden Abwägung nach der konkreten Schutzwürdigkeit der Landschaft am vorgesehenen Standort zu beurteilen. Diese hängt insbesondere von den verfolgten Schutzzielen und dem Grad der Beeinträchtigung des Landschaftsbildes durch die streitige WEA ab, wobei auch etwaige Vorbelastungen zu berücksichtigen sind.
47vgl. OVG NRW, Urteil vom 05.09.2006 – 8 A 1971/04 –; VGH BW, Urteil vom 13.10.2005 – 3 S 2521/04 –, juris Rn 46; Gatz, a.a.O., Rn. 300 ff.; Scheidler, Errichtung von Windkraftanlagen in naturschutzrechtlich festgesetzten Schutzgebieten, NuR 2011, 848 ff.
48Ausgehend von diesen Maßstäben ist das Vorhaben des Klägers mit den Belangen des Landschaftsschutzes vereinbar.
49Der streitige Standort liegt im räumlichen Geltungsbereich des im Jahre 1996 durch den Landschaftsplan I1. /I2. förmlich festgesetzten Landschaftsschutzgebietes (LSG) „S. I3. “. In förmlich festgesetzten Landschaftsschutzgebieten sind alle Handlungen, die zu einer Zerstörung, Beschädigung oder Veränderung des geschützten Landschaftsbestandteils führen können, nach Maßgabe näherer Bestimmungen verboten (§ 26 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG). Von den Geboten und Verboten dieses Gesetzes, einer Rechtsverordnung auf Grund des § 57 sowie nach dem Naturschutzrecht der Länder kann nach § 67 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG auf Antrag Befreiung gewährt werden, wenn 1. dies aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer und wirtschaftlicher Art, notwendig ist oder 2. die Durchführung der Vorschriften im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen würde und die Abweichung mit den Belangen von Naturschutz und Landschaftspflege vereinbar ist.
50Nach Nr. 3.2.3.1 Satz 1 der textlichen Festsetzungen des Landschaftsplanes sind in den festgesetzten Landschaftsschutzgebieten Nr. 3.2.1.1 – 3.2.1.3.65 – zu denen das LSG „S. I3. “ zählt – nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen alle Handlungen verboten, die den Charakter des Gebietes verändern können oder dem Schutzzweck zu widerlaufen. Hierzu gehört insbesondere nach Satz 2 lit. a der Vorschrift das Errichten baulicher Anlagen. Ausnahmen von diesem Bauverbot sieht der Landschaftsplan in Nr. 3.2.3.2 lit b. für Vorhaben i.S.d. § 35 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BauGB (a.F.) und § 35 Abs. 4 Nr. 5 BauGB (a.F.) vor. Die Errichtung einer WEA wird hiervon nicht erfasst, weil im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Landschaftsplanes im Jahre 1995 WEA nicht zu den nach § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB privilegierten Anlagen zählten. Den Status eines baurechtlich-privilegierten Vorhabens erhielten diese Anlagen erst durch die Änderung des BauGB mit Gesetz vom 30.07.1996 (BGBl. I S. 1189),
51vgl. zur Änderung des BauGB: Gatz, a.a.O., Rn. 29 ff.,
52sodass eine Ausnahme vom Bauverbot nach dem Landschaftsplan nicht in Betracht kommt.
53Dem Kläger ist jedoch eine Befreiung vom Bauverbot im Landschaftsschutzgebiet nach § 67 BNatSchG zu erteilen. Aufgrund des am 1. März 2010 in Kraft getretenen (neuen) Bundesnaturschutzgesetzes ist diese Vorschrift an Stelle des weitgehend inhaltsgleichen § 69 LG NRW getreten. Von der nach Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG bestehenden Möglichkeit, durch ein nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes erlassenen Landesgesetz hiervon abzuweichen, hat der Landesgesetzgeber keinen Gebrauch gemacht. Die Regelung in § 69 Abs. 1 Satz 1 LG NRW ist unverändert geblieben und damit nicht mehr anwendbar.
54Vgl. OVG NRW, Urteil vom 16.01.2013 – 8 A 2252/11 –, juris Rn. 65; offengelassen noch im Urteil vom 11.09.2012 – 8 A 104/10 –, juris Rn. 27, und im Beschluss vom 21.02. 2011 – 8 A 1837/09 – juris Rn.14.
55aaa)
56Der Kläger hat allerdings keinen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung von dem Bauverbot der Landschaftsschutzverordnung nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG wegen einer „unzumutbaren Belastung“.
57Der Begriff der unzumutbaren Belastung in § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG knüpft nicht an die Intention des Normgebers – so noch § 69 LG NRW –, sondern an die Rechtsfolgen an. Hiermit wollte der Gesetzgeber den sich aus Art. 14 GG ergebenden verfassungsrechtlichen Grenzen Rechnung tragen. Ein die Inhaltsbestimmung des Eigentums überschreitendes, unzumutbares Sonderopfer liegt z.C3. . dann vor, wenn durch das Bauverbot die Privatnützigkeit des Eigentums nahezu vollständig beseitigt wird, sodass aus dem Recht eine Last wird, die der Eigentümer im öffentlichen Interesse zu tragen hat, ohne dafür die Vorteile einer privaten Nutzung genießen zu können.
58Vgl. Lau in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG Kommentar, 1. Auflage 2011, § 67 Rn. 4 unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 02.03.1999 – 1 BvL 7/91 – juris; Sauthoff in: Schlacke, BNatSchG Kommentar, 1. Auflage 2012, § 67 Rn. 20.
59Vor dem Hintergrund, dass es sich bei den naturschutzrechtlichen Ge- und Verboten um Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums i.S.d. Art 14 Abs. 1 Satz 2 GG handelt, muss sich die Unzumutbarkeit gerade aus grundstückbezogenen Besonderheiten, dagegen nicht aus personenbezogenen Umständen, wie persönlichen, finanziellen oder familiären Bedingungen ergeben.
60Vgl. Konrad in: Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-Walter/Stöckel, Naturschutzrecht, 3. Auflage 2013 § 67 BNatSchG Rn. 11; Sauthoff, a.a.O., § 67 Rn. 22; Lau, a.a.O., § 67 Rn. 4.
61Von einer unzumutbaren Härte i.S.d. § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG kann deshalb nicht ausgegangen werden. Der Kläger ist zwar Eigentümer des Grundstückes, auf dem die Anlage errichtet werden soll, sodass die Versagung des Vorbescheides ihn in den eigentumsrechtlich geschützten Nutzungsmöglichkeiten beschränkt. Es ist aber weder vorgetragen worden noch ersichtlich, dass die bisher ausgeübte landwirtschaftliche Nutzung des Grundstückes nicht (mehr) möglich ist und die Versagung des Vorbescheides ihn deshalb schwer und unerträglich beeinträchtigt. Ein Anspruch auf eine möglichst lukrative Nutzung des Grundstücks vermittelt das Eigentumsrecht nicht.
62bbb)
63Eine Befreiung von dem Bauverbot der Landschaftsschutzverordnung hat der Beklagte jedoch unter dem Blickwinkel des § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG zu Unrecht abgelehnt.
64Der Begriff des „überwiegenden öffentlichen Interesses“ i.S.d. § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG setzt eine atypische Sondersituation voraus, die der Verordnungsgeber beim Erlass der Verordnung nicht in den Blick genommen hat. Erst wenn diese Voraussetzung vorliegt, bedarf es einer Abwägungsentscheidung.
65Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.03.1998 – 4 A 7.97 –, und Beschluss vom 20.02.2002 – 4 C3. 12. –, juris Rn. 3; VGH BW, Urteil vom 13.10.2005 – 3 S 2521/04 –, juris Rn. 46; Lau, a.a.O., § 67 Rn. 3; Sauthoff, a.a.O., § 67 Rn. 13.
66Von einer derartigen atypischen Sondersituation ist hier auszugehen. WEA gehörten zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Landschaftsplanes im Januar 1996 nicht zu den nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegierten Anlagen, für die – wie oben bereits ausgeführt – der Verordnungsgeber weitgehende Ausnahmetatbestände vom Bauverbot vorsah. Durch die mit der Änderung des BauGB im Jahre 1997 erfolgte baurechtliche Privilegierung von WEA, die verfassungsrechtlich und einfachgesetzlich hervorgehobene Bedeutung erneuerbarer Energien für den Klimaschutz und die Erhaltung natürlicher Lebensgrundlagen (Art. 20a GG, Art. 29a LV NRW, § 1 Abs. 3 Nr. 4 BNatSchG) und die staatliche Subventionierung derartiger Energieträger durch das EEG hat der Gesetzgeber ein öffentliches Interesse am Ausbau regenerativer Energien und damit auch an der Errichtung von WEA zum Ausdruck gebracht, das zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Landschaftsplanes so noch nicht bestand und sich daher nach heutiger Rechtslage im Einzelfall im Rahmen einer Abwägung gegenüber den Bauverboten einer Landschaftsschutzverordnung durchsetzen kann.
67In dem nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG für die Befreiung erforderlichen „Überwiegen" des öffentlichen Interesses kommt ein Bilanzierungsgedanke zum Ausdruck. Dies bedeutet, dass die Gründe des öffentlichen Interesses im Einzelfall so gewichtig sein müssen, dass sie sich gegenüber den mit der Verordnung verfolgten Belangen durchsetzen. Ob dies der Fall ist, ist aufgrund einer Abwägung zu ermitteln, in deren Rahmen eine bilanzierende Gegenüberstellung der jeweils zu erwartenden Eingriffe und Folgen vorzunehmen ist.
68Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.02.2002 – 4 C3. 12.02 –, juris Rn. 4; Sauthoff, a.a.O., Rn. 18; Gatz, a.a.O., Rn. 286.
69Dabei entspricht nicht jedes beliebige, sondern nur ein qualifiziertes öffentliches Interesse den mit diesem Befreiungsgrund verfolgten Gemeinwohlbelangen. Bei der Abwägung ist in Rechnung zu stellen, dass eine Befreiung allenfalls in Betracht kommt, wenn Gründe des öffentlichen Interesses von besonderem Gewicht dies rechtfertigen.
70Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.02.2002 – 4 C3. 12.02 –, juris Rn. 5 ; Sauthoff, a.a.O., Rn. 17.
71Ein derartiges besonderes öffentliches Interesse ist hier gegeben.
72Das mit § 1 Abs. 2 EEG verfolgte Ziel, den Anteil des aus erneuerbaren Energien erzeugten Stroms am Bruttostromverbrauch stetig und kosteneffizient auf mindestens 40 bis 45 % bis zum Jahr 2025 und auf 55 bis 60 % bis zum Jahre 2035 zu erhöhen, kann letztlich nur erreicht werden, wenn die Errichtung von WEA auch in Landschaftsschutzgebieten nicht grundsätzlich ausgeschlossen und die Erteilung von Befreiungen und Ausnahmen hierfür in Betracht gezogen wird. Nach dem Willen der nordrhein-westfälischen Landesregierung soll der Anteil der Windenergie an der Stromerzeugung von derzeit (2011) 3 % bis auf mindestens 15 % im Jahre 2020 ausgebaut werden, was die Überprüfung bestehender und die Planung neuer Konzentrationszonen erforderlich macht.
73Vgl. hierzu Nr. 1.1 des WEA-Erlasses 2011.
74Die Ausweisung von Flächen für die Windenergienutzung oder die Errichtung von Einzelanlagen in Landschaftsschutzgebieten kommt deshalb insbesondere in Teilbereichen großräumiger Landschaftsschutzgebiete mit einer im Einzelfall weniger hochwertigen Funktion für den Naturschutz und die Landschaftspflege sowie die landschaftsorientierte Erholung in Betracht, soweit die Vereinbarkeit mit der Schutzfunktion des Landschaftsschutzgebietes insgesamt gegeben ist.
75Vgl. Nr. 8.2.1.5 des WEA-Erlasses 2011.
76Dementsprechend ist auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass im Rahmen der Flächennutzungsplanung Landschaftschutzgebiete nicht als „harte“ Tabuzonen zu betrachten sind, weil Ausnahmen oder Befreiungen vom Bauverbot grundsätzlich möglich, die Errichtung von WEA damit nicht schlechthin tatsächlich oder rechtlich unmöglich ist. Sie können allenfalls auf der zweiten Ebene als „weiche“ Tabuzonen – sofern nach dem planerischen Willen der Gemeinde die Errichtung von WEA dort von vornherein aus städtebaulichen Gründen ausgeschlossen werden soll – oder als Potenzialflächen auf der dritten Ebene im Rahmen der Abwägung mit den entgegenstehenden öffentlichen Interessen des Landschaftsschutzes als Eignungsgebiete ausgeschlossen werden.
77Vgl. zum Abwägungsvorgang: BVerwG, Urteile vom 13.12.2012 – 4 CN 1.11 –, juris Rn. 10, und vom 20.05.2010 – 4 C 7.09 –, juris Rn. 25, sowie Beschluss vom 15.09.2009 – 4 BN 25.09 –, juris Rn. 8; ebenso OVG NRW, Urteil vom 01.07.2013 – 2 D 46/12.NE –, juris Rn. 34 ff. und 52 ff..
78Das Abwägungsergebnis muss dabei dem mit § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB verfolgten Ziel gerecht werden, der Windenergie substanziellen Raum zu verschaffen. Erkennt die Gemeinde, dass dies nicht der Fall ist, muss sie ihr Auswahlkonzept noch einmal überprüfen und gegebenenfalls ändern.
79Vgl. BVerwG, Urteile vom 17.12.2002 – 4 C 15.01 –, juris
80Rn. 36, und vom 24.01.2008 – 4 CN 2.07 –, juris Rn. 15.
81Dies verdeutlicht, dass im Rahmen der Regional- und Flächennutzungsplanung den Belangen des Landschaftsschutzes kein grundsätzlicher Vorrang vor den öffentlichen Interessen an dem Ausbau und der Nutzung der Windenergie einzuräumen ist.
82Steht der Errichtung und dem Betrieb einer WEA – wie hier (s.o.) – nicht die wirksame Ausweisung einer Konzentrationszone an anderer Stelle des Gemeindegebietes entgegen, so scheidet in einem Genehmigungsverfahren die Erteilung einer Befreiung nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG deshalb nur dann aus, wenn die konkrete Anlage auch unter Berücksichtigung der Zwecke, die die Verordnung selbst im Auge hat, aus Gründen des Gemeinwohls nicht gerechtfertigt ist. Hierbei kommt es auf die Schutzwürdigkeit der Landschaft am konkreten Standort an.
83Vgl. Gatz, a.a.O. Rn. 304
84Maßgebend ist deshalb, ob die Errichtung und der Betrieb der WEA am vorgesehenen Standort den Charakter des Gebietes verändert oder dem besonderen Schutzzweck zuwiderläuft (§ 26 Abs. 2 BNatSchG).
85Auf der Grundlage der mit der Unterschutzstellung des Landschaftsschutzgebiets „S. I3. “ verfolgten Zwecken, nach Nr. 3.2.2.1 des Landschaftsplanes also
86- der Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes in landwirtschaftlich geprägten sowie durch Siedlungen, Verkehr, Gewerbe und Erholung stark beanspruchten Landschaftsräumen (lit a),
87- der Erhaltung der Nutzungsfähigkeit der Naturgüter (lit b),
88- der Erhaltung des für das S. I3. und I7. C4. typischen, vielfältig strukturierten Landschaftsbildes (lit c) und
89- der Erhaltung der Erholungseignung der Landschaft, der Ruhe der Natur und des Naturgenusses in einem dicht besiedelten Raum (lit d),
90kann hiervon nicht ausgegangen werden. Der Beklagte hat sich im angefochtenen Bescheid (Seite 6) im Wesentlichen darauf berufen, dass die Ablehnung der Befreiung zur Erhaltung des Landschaftsbildes (Nr. 3.2.2.1 lit c des Landschaftsplanes) und zur Erhaltung der Erholungseigenschaft der Landschaft, der Ruhe der Natur und des Naturgenusses (lit d) erforderlich sei. Seine diesbezüglichen Ausführungen zu § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG rechnet die Kammer – auch – dem Befreiungstatbestand des § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG zu.
91Diese Bewertung kann das Gericht nach Auswertung der örtlichen Gegebenheiten auf Grund der vorliegenden Lichtbildaufnahmen nicht nachvollziehen.
92Es ist schon nicht ersichtlich, dass die Ablehnung der Befreiung zur Erhaltung der Erholungseigenschaft der Landschaft erforderlich ist. Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang auf die geringe Ausstattung des Kreises I1. mit unbelasteten oder gering belasteten Landschaftsräumen verweist (Seite 6 des Bescheides), ist die Begründung schon deshalb unzureichend, weil sie nicht auf die konkrete Schutzwürdigkeit der Landschaft am Vorhabenstandort Bezug nimmt. Eine derartige standortbezogene Prüfung ist aber insbesondere dann erforderlich, wenn – wie hier – fast der gesamte Außenbereich einer Gemeinde oder Stadt unter Landschaftsschutz gestellt ist und die Errichtung von WEA grundsätzlich am Landschaftsschutz scheitern würde.
93Auch der standortbezogenen Begründung des Bescheides vom 06.06.2013 (Seite 3) vermag die Kammer nicht zu folgen. Es lässt sich nicht erkennen, dass hier durch die Errichtung der geplanten WEA die Erhaltung der Erholungseigenschaft der Landschaft beeinträchtigt werden könnte.
94Wie der Beklagte selber einräumt, kann zunächst auf Grund der Vorbelastungen nicht von einem im Wesentlichen unberührten Landschaftsraum gesprochen werden.
95Der streitige Vorhabenstandort liegt am äußersten Rand des Landschaftsschutzgebietes. Er wird eingerahmt durch die ca. 700 m nördlich liegende Siedlung J1. .-- und die in Ost-West-Richtung verlaufende M1. 472 (F.---- ), durch die in Nord-Süd-Richtung verlaufende C3. /C3. im Osten und durch die südlich des Vorhabengrundstücks verlaufende M1. 543 (E3. ). In nordöstlicher Richtung – ca. 800 m vom Standort entfernt – befindet sich derzeit ein einzelner Gewerbebetrieb. Der Rat der Beigeladenen hat in der Sitzung vom 28.09.2012 die Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 8.74 „T1.-----“ beschlossen, der die Ausweisung eines Gewerbegebietes östlich des T2.----- in einer Größe von ca. 11,2 ha vorsieht. Die Bekanntmachung des Bebauungsplanes erfolgte am 17.09.2014. Westlich vom Vorhabenstandort befindet sich ein Tonabgrabungsgelände und ca. 700 m in südwestlicher Richtung eine 110 kV-Leitung.
96Schon dies zeigt, dass die nähere Umgebung des Vorhabenstandortes durch verschiedene landschaftsfremde Nutzungen vorbelastet ist und der Erholungswert der Landschaft sowie das Landschaftsbild bereits erheblich beeinträchtigt ist.
97Innerhalb des Gebietes befinden sich auch keine Rad- und Fußwege, die vorrangig durch die erholungssuchende Bevölkerung genutzt werden. Der östlich des streitigen Standortes verlaufende T1.-----weg verbindet die F.----straße und die E3. Straße und wird hauptsächlich als Zuwegung zu den landwirtschaftlich genutzten Flächen, dem Gewerbebetrieb und der dort vorhandenen Wohnbebauung genutzt. Die E3. Straße verfügt über keine Fuß- oder Radwegspuren, ebenso wenig ist ersichtlich, dass sich in der näheren Umgebung Wege befinden, die in ein örtliches oder überörtliches Radwegenetz eingebunden sind. Eine besondere Bedeutung des Landschaftsraumes für die erholungssuchende Bevölkerung hat der Beklagte nur mit Blick auf das südlich der E3. Straße gelegenen Tal der L1. dargelegt. Die entlang der L1. verlaufenden Wirtschaftswege befinden sich aber ca. 550 m südlich des Vorhabenstandortes und werden von diesem durch landwirtschaftliche Nutzflächen und durch die E3. Straße getrennt. Das Gelände fällt von der E3. Straße außerdem steil zum Tal der L1. ab. Die L1. ist in diesem Bereich von bachbegleitenden Gehölzen umgeben. Für die dort erholungssuchende Bevölkerung ist der Bereich nördlich der E3. Straße daher nur in Teilbereichen einsehbar, eine WEA am Anlagestandort deshalb nur eingeschränkt wahrnehmbar. Insoweit ist nicht ersichtlich, dass die Erholungseigenschaft der Landschaft durch die Errrichtung der WEA am vorgesehenen Standort beeinträchtigt werden könnte.
98Die Versagung der Befreiung war auch nicht zur Erhaltung des Landschaftsbildes erforderlich. Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang (Seite 6 des Bescheides) auf das für das S. I3. typische vielfältige Landschaftsbild– den Wechsel zwischen großflächigen ackerbaulichen Nutzungen, einzelnen Gehölzreihen, kleinflächigem Grünland und Sonderkulturen mit teilweise heckenartigen Einfassungen – verweist, greift dies nicht durch. Die Ortsbesichtigung hat vielmehr ergeben, dass die Umgebung um den hier streitigen Standort eben nicht die an anderen Stellen des S. I6. typische vielfältige Landschaftsstruktur aufweist. Die Flächen in der Nähe des Anlagenstandortes werden weitgehend flächig landwirtschaftlich genutzt und weder durch einzelne Gehölzstreifen noch durch Bäche oder Sieke unterbrochen. Erst die südlich der E3. Straße gelegene Landschaft weist die für das S. I3. typische vielfältige Landschaftstruktur auf. Sie wird wesentlich von der L1. geprägt, die beidseitig von dichten Gehölzbeständen umgeben ist und sich nach Süden leicht ansteigend in das Sieksytem des I4. - N1. fortsetzt.
99Es kann entgegen der Auffassung des Beklagten (Seite 2) nicht davon ausgegangen werden, dass die Landschaft am Vorhabenstandort wesentlich durch die Landschaftsstruktur südlich der E3. Straße mitgeprägt wird und die Errichtung einer WEA auch dort das Landschaftsbild in einer Weise beeinträchtigt, die die Erteilung einer Befreiung ausschließt. Wie der Beklagte selber einräumt (Seite 3 des Bescheides) befindet sich der Standort im Übergangsbereich zwischen dem nach Norden eher flachen und durch Siedlungen begrenzten Landschaftsraum und dem sich nach Süden öffnenden Landschaftsraum mit dem Tal der C3. . und dem I4. -N2. . Die E3. Straße schneidet diesen Landschaftsraum nicht nur, sondern stellt hier den Übergang in eine wesentlich anders strukturierte Landschaftsform dar. Wie oben bereits dargelegt, fällt das Gelände zur L1. hin steil ab. Durch den beidseitig des Baches vorhandenen Gehölzbewuchs wird der Blick auf den Bereich nördlich der E3. Straße verstellt. Eine dort geplante WEA würde deshalb das das L2. prägende Landschaftsbild nicht beeinträchtigen.
100Im Ergebnis ist der Beklagte deshalb zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Erteilung einer Befreiung Versagungsgründe i.S.d. § 67 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG entgegenstehen. Liegen keine Versagungsgründe i.S.d. § 67 BNatSchG vor, so ist das Ermessen der genehmigenden Behörde regelmäßig dahingehend reduziert, dass die Befreiung zu erteilen ist.
101Vgl. VG Aachen, Urteil vom 07.05.2012 – 6 K 1140/10 –, juris Rn. 119 unter Bezugnahme auf Gatz, a.a.O. Rn. 294.
102cc)
103Dem Vorhaben stehen auch keine von vornherein unüberwindlichen Hindernisse entgegen, deren Prüfung nicht Gegenstand des Vorbescheidsantrages ist. Bei Vorhaben, für die eine allgemeine oder standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalles nach § 3c Sätze 1 oder 2 UVPG erforderlich ist, muss sich die vorläufige Gesamtbeurteilung auch auf die Frage erstrecken, ob für das Vorhaben die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich ist.
104Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20.11.2012 – 8 A 252/10 –, juris Rn. 116.
105Für den Betrieb und die Errichtung (nur) einer WEA – wie hier – bedarf es aber keiner Vorprüfung nach § 3c UVPG, da das Vorhaben nicht UVP-pflichtig ist (vgl. Nr. 1.6 der Anlage 1 zum UVPG).
1062.
107Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf Erteilung eines Vorbescheides, weil ungeachtet dessen, dass die Ablehnung des beantragten Vorbescheides aus den im Bescheid genannten Gründen rechtswidrig war, die Sache nicht spruchreif ist und das Gericht die Spruchreife auch nicht herstellen kann (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
108Lehnt die Genehmigungsbehörde die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ab, liegt der Fall eines „stecken gebliebenen" Genehmigungsverfahrens vor, in dem die Verpflichtung des Gerichts zur Herbeiführung der Spruchreife entfällt, wenn ansonsten im Verwaltungsverfahren noch nicht behandelte komplexe Fragen erstmals im gerichtlichen Verfahren geprüft werden müssten.
109Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 14.04.1989 – 4 C 52/87 –, NVwZ 1990, 257; OVG NRW, Urteile vom 19.06 2007 – 8 A 2677/06 –, NWVBl. 2008, 26, und vom 30.07.2009 – 8 A 2357/08 –, juris.
110Die Grundsätze des „stecken gebliebenen“ Genehmigungsverfahrens gelten auch für immissionsschutzrechtliche Vorbescheide nach § 9 BImSchG.
111Vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 21.04.2010 – 12 LC 9/07 –, juris.
112Das Gericht war im vorliegenden Fall nicht verpflichtet, die Spruchreife der Sache herbeizuführen, weil der Beklagte nicht geprüft hat, ob der Erteilung des Vorbescheides weitere bauplanungsrechtliche Hindernisse entgegenstehen. Es lässt sich insbesondere für das Gericht nicht ohne weitere aufwendige Ermittlungen feststellen, ob bei der Verwirklichung des Vorhabens mit schädlichen Umwelteinwirkungen i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB zu rechnen ist
113Eine Schallimmissions- und Schattenwurfprognose war dem Vorbescheidsantrag nicht beigefügt. Obwohl der Kläger im Rahmen einer Besprechung am 24.02.2012 (BA I Bl. 73) selbst erklärt hatte, dass die Verschiebung des Standortes und die Wahl einer anderen Anlage (E-53 statt E-82) erfolge, da der bisherige Standort wegen der durch die Anlage entstehenden Geräuschimmissionen nicht aufrecht erhalten bleiben könne, legte er in Ergänzung des Antrages betreffend die Errichtung einer E-53 nur einen landschaftspflegerischen Begleitplan von L4. und C5. Landschaftsarchitekten GmbH vom 10.01.2012 vor. Erst in der mündlichen Verhandlung wurde eine Schallimmissions- und Schattenwurfprognose der F1. GmbH vom 05.04.2012 bzw. 12.04.2012 eingereicht.
114Die Prüfung der Schallimmissions- und Schattenwurfprognose obliegt in erster Linie der genehmigenden Behörde. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, die erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen auf ihre fachliche Richtigkeit zu überprüfen. Ungeachtet dessen ist fraglich, ob die Einhaltung der nach der TA Lärm maßgeblichen Immissionsrichtwerte nach der nunmehr vorgelegten Prognose sichergestellt ist. Denn danach (Seite 26) wird zumindest am Wohnhaus des Klägers– dem Immissionsort G – mit 48 dB(A) der nach Nr. 6.1. Buchstabe c TA Lärm maßgebliche Immissionsrecht von 45 dB(A) deutlich überschritten. Ob bei einer Eigenbeschallung ein (erhöhter) Immissionsrichtwert von 48 dB(A) zugrunde gelegt werden kann, ist umstritten und bedarf eingehender Prüfung.
115Vgl. (bejahend) das in der Prognose zitierte Windenergie Handbuch, Seite 28 Fn. 7; a.A.: VG Oldenburg, Urteil vom 26.02.2009 – 5 A 4836/06 –, juris Rn. 27.
116Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Es entspricht billigem Ermessen, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nicht für erstattungsfähig zu erklären, weil sie keinen eigenen Sachantrag gestellt und sich damit nicht am Prozesskostenrisiko beteiligt hat (vgl. §§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO).
117Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO i.V.m. 709 ZPO.
(1) Natur und Landschaft sind auf Grund ihres eigenen Wertes und als Grundlage für Leben und Gesundheit des Menschen auch in Verantwortung für die künftigen Generationen im besiedelten und unbesiedelten Bereich nach Maßgabe der nachfolgenden Absätze so zu schützen, dass
- 1.
die biologische Vielfalt, - 2.
die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts einschließlich der Regenerationsfähigkeit und nachhaltigen Nutzungsfähigkeit der Naturgüter sowie - 3.
die Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie der Erholungswert von Natur und Landschaft
(2) Zur dauerhaften Sicherung der biologischen Vielfalt sind entsprechend dem jeweiligen Gefährdungsgrad insbesondere
- 1.
lebensfähige Populationen wild lebender Tiere und Pflanzen einschließlich ihrer Lebensstätten zu erhalten und der Austausch zwischen den Populationen sowie Wanderungen und Wiederbesiedelungen zu ermöglichen, - 2.
Gefährdungen von natürlich vorkommenden Ökosystemen, Biotopen und Arten entgegenzuwirken, - 3.
Lebensgemeinschaften und Biotope mit ihren strukturellen und geografischen Eigenheiten in einer repräsentativen Verteilung zu erhalten; bestimmte Landschaftsteile sollen der natürlichen Dynamik überlassen bleiben.
(3) Zur dauerhaften Sicherung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts sind insbesondere
- 1.
die räumlich abgrenzbaren Teile seines Wirkungsgefüges im Hinblick auf die prägenden biologischen Funktionen, Stoff- und Energieflüsse sowie landschaftlichen Strukturen zu schützen; Naturgüter, die sich nicht erneuern, sind sparsam und schonend zu nutzen; sich erneuernde Naturgüter dürfen nur so genutzt werden, dass sie auf Dauer zur Verfügung stehen, - 2.
Böden so zu erhalten, dass sie ihre Funktion im Naturhaushalt erfüllen können; nicht mehr genutzte versiegelte Flächen sind zu renaturieren, oder, soweit eine Entsiegelung nicht möglich oder nicht zumutbar ist, der natürlichen Entwicklung zu überlassen, - 3.
Meeres- und Binnengewässer vor Beeinträchtigungen zu bewahren und ihre natürliche Selbstreinigungsfähigkeit und Dynamik zu erhalten; dies gilt insbesondere für natürliche und naturnahe Gewässer einschließlich ihrer Ufer, Auen und sonstigen Rückhalteflächen; Hochwasserschutz hat auch durch natürliche oder naturnahe Maßnahmen zu erfolgen; für den vorsorgenden Grundwasserschutz sowie für einen ausgeglichenen Niederschlags-Abflusshaushalt ist auch durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege Sorge zu tragen, - 4.
Luft und Klima auch durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu schützen; dies gilt insbesondere für Flächen mit günstiger lufthygienischer oder klimatischer Wirkung wie Frisch- und Kaltluftentstehungsgebiete, Luftaustauschbahnen oder Freiräume im besiedelten Bereich; dem Aufbau einer nachhaltigen Energieversorgung insbesondere durch zunehmende Nutzung erneuerbarer Energien kommt eine besondere Bedeutung zu, - 5.
wild lebende Tiere und Pflanzen, ihre Lebensgemeinschaften sowie ihre Biotope und Lebensstätten auch im Hinblick auf ihre jeweiligen Funktionen im Naturhaushalt, einschließlich ihrer Stoffumwandlungs- und Bestäubungsleistungen, zu erhalten, - 6.
der Entwicklung sich selbst regulierender Ökosysteme auf hierfür geeigneten Flächen Raum und Zeit zu geben.
(4) Zur dauerhaften Sicherung der Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie des Erholungswertes von Natur und Landschaft sind insbesondere
- 1.
Naturlandschaften und historisch gewachsene Kulturlandschaften, auch mit ihren Kultur-, Bau- und Bodendenkmälern, vor Verunstaltung, Zersiedelung und sonstigen Beeinträchtigungen zu bewahren, - 2.
Vorkommen von Tieren und Pflanzen sowie Ausprägungen von Biotopen und Gewässern auch im Hinblick auf ihre Bedeutung für das Natur- und Landschaftserlebnis zu bewahren und zu entwickeln, - 3.
zum Zweck der Erholung in der freien Landschaft nach ihrer Beschaffenheit und Lage geeignete Flächen vor allem im besiedelten und siedlungsnahen Bereich sowie großflächige Erholungsräume zu schützen und zugänglich zu machen.
(5) Großflächige, weitgehend unzerschnittene Landschaftsräume sind vor weiterer Zerschneidung zu bewahren. Die erneute Inanspruchnahme bereits bebauter Flächen sowie die Bebauung unbebauter Flächen im beplanten und unbeplanten Innenbereich, soweit sie nicht als Grünfläche oder als anderer Freiraum für die Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege vorgesehen oder erforderlich sind, hat Vorrang vor der Inanspruchnahme von Freiflächen im Außenbereich. Verkehrswege, Energieleitungen und ähnliche Vorhaben sollen landschaftsgerecht geführt, gestaltet und so gebündelt werden, dass die Zerschneidung und die Inanspruchnahme der Landschaft sowie Beeinträchtigungen des Naturhaushalts vermieden oder so gering wie möglich gehalten werden. Beim Aufsuchen und bei der Gewinnung von Bodenschätzen, bei Abgrabungen und Aufschüttungen sind dauernde Schäden des Naturhaushalts und Zerstörungen wertvoller Landschaftsteile zu vermeiden; unvermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft sind insbesondere durch Förderung natürlicher Sukzession, Renaturierung, naturnahe Gestaltung, Wiedernutzbarmachung oder Rekultivierung auszugleichen oder zu mindern.
(6) Freiräume im besiedelten und siedlungsnahen Bereich einschließlich ihrer Bestandteile, wie Grünzüge, Parkanlagen, Kleingartenanlagen und sonstige Grünflächen, Wälder, Waldränder und andere Gehölzstrukturen einschließlich Einzelbäume, Fluss- und Bachläufe mit ihren Uferzonen und Auenbereichen, stehende Gewässer und ihre Uferzonen, gartenbau- und landwirtschaftlich genutzte Flächen, Flächen für natürliche Entwicklungsprozesse, Naturerfahrungsräume sowie naturnahe Bereiche im Umfeld von Verkehrsflächen und anderen Nutzungen einschließlich wegebegleitender Säume, sind zu erhalten und dort, wo sie nicht in ausreichendem Maße und hinreichender Qualität vorhanden sind, neu zu schaffen oder zu entwickeln.
(7) Den Zielen des Naturschutzes und der Landschaftspflege können auch Maßnahmen dienen, die den Zustand von Biotopen und Arten durch Nutzung, Pflege oder das Ermöglichen ungelenkter Sukzession auf einer Fläche nur für einen begrenzten Zeitraum verbessern.
Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 06.06.2013 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Erteilung eines immissionsschutzrechtlichen Vorbescheides zur Errichtung einer Windenergieanlage auf dem Grundstück Gemarkung E1. , Flur 5, Flurstück 6, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger und der Beklagte je zur Hälfte. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar, jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten um die Erteilung eines Vorbescheides für die Errichtung und zum Betrieb einer Windenergieanlage (WEA) des Typs Enercon E-53 auf dem Grundstück Gemarkung E1. , Flur 5, Flurstück 6, in I1. . Der Vorhabenstandort liegt im bauplanungsrechtlichen Außenbereich und im räumlichen Geltungsbereich des Landschaftsplanes I1. /I2. und des in diesem Plan ausgewiesenen Landschaftsschutzgebietes „S. I3. “.
3Den zunächst unter dem 31.08.2011 gestellten Antrag auf Erteilung eines Vorbescheides hinsichtlich der planungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens und seiner Vereinbarkeit mit militärischen Belangen und Belangen des Luftverkehrs für eine Windenergieanlage des Typs Enercon E-82 E2 nahm der Kläger mit Schreiben vom 12.06.2013 zurück.
4Bereits mit Schreiben vom 06.03.2012 hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers dem Beklagten mitgeteilt, dass am vorgesehenen Standort nunmehr eine Windenergieanlage vom Typ Enercon E-53 errichtet und betrieben werden solle. Mit dieser unter 100 m hohen Windenergieanlage würden die relevanten Abstände zur vorhandenen Wohnbebauung sowohl in Bezug auf eine optisch bedrängende Wirkung als auch auf Geräuscheinwirkungen eingehalten und die nachbarlichen Interessen vollständig gewahrt. Mit Schreiben vom 16.04.2012 übersandten die Prozessbevoll-mächtigten des Klägers dem Beklagten einen Antrag auf Erteilung eines Vorbescheides für die Errichtung und den Betrieb einer Anlage vom Typ Enercon E-53 mit einer Nabenhöhe von 73,25 m, einem Rotorradius von 26,45 m, mithin einer Gesamthöhe von 99,70 m und einer Leistung von 800 kW. Zum Inhalt des Vorbescheidsantrages wurde erklärt, er solle die Erteilung einer landschaftsrechtlichen Befreiung umfassen, die artenschutzrechtliche Prüfung sollte dagegen Gegenstand des sich anschließenden Genehmigungsverfahrens sein.
5Im Rahmen der Beteiligung der Träger öffentlicher Belange zum Genehmigungsantrag teilte die Bezirksregierung E2. mit Schreiben vom 12.11.2012 mit, dass die beantragte Windenergieanlage in einem „Freiraumbereich für zweckgebundene Nutzungen, hier: zur „Sicherung und Abbau oberflächennaher Bodenschätze“ (BSAB = Abgrabungsbereiche) des gültigen Regionalplans „Gebietsentwicklungsplan für den Regierungsbezirk E2. , Teilabschnitt Oberbereich C1. “ liege. Für das vorliegende Verfahren, für das lediglich 0,4 ha von dem insgesamt 20 ha großen BSAB benötigt würden, könnten raumordnerische Bedenken zurückgestellt werden, wenn die geplante Windenergieanlage nach dem genehmigten Zeitraum, 15 bis 20 Jahre seien insoweit denkbar, vollständig zurückgebaut werde und einer Restflächennutzung dem BSAB nicht im Wege stünde.
6Die untere Landschaftsbehörde des Beklagten führte in ihrer Stellungnahme vom 14.05.2013 aus, dass eine Befreiung von den Verboten des Landschaftsplans I1. /I2. für die Errichtung der Anlage nicht in Aussicht gestellt werden könne und gebeten werde, das Vorhaben abzulehnen. Der Kläger beabsichtige, seine Anlage innerhalb eines Landschaftsschutzgebietes zu errichten. Der Landschaftsplan I1. /I2. enthalte für das ausgewiesene Landschaftsschutzgebiet ein generelles Bauverbot. Unberührtheitsklauseln oder Ausnahmevorschriften seien für die Errichtung von Windenergieanlagen nicht vorgesehen. Die geplante Windenergieanlage liege in einem Landschaftsraum, der durch das Tal der L1. geprägt sei. Der geplante Standort liege an der Grenze zwischen dem nach Norden und Osten eher flachen und durch den Siedlungsrand von I1. begrenzten Landschaftsraum und dem nach Süden und Südwesten sich öffnenden Landschaftsraum mit dem Tal der B. und des I4. -N. im weiteren Verlauf. Nach Westen und Nordwesten werde der Landschaftsraum durch den Wald und damit auch von der dahinter betriebenen Tonabgrabung sowie den sich anschließenden Siedlungsbereichen von V. begrenzt. Der Landschaftsraum könne durch die vereinzelte Streubebauung nicht als unberührter Landschaftsraum beschrieben werden. Dennoch werde diese Streubebauung überwiegend durch traditionelle Hofbäume und sonstige Gehölze gut in die Landschaftsstruktur eingebunden. Der Landschaftsraum entspreche in weiten Teilen dem traditionellen Bild der Landschaft im S. I3. mit seiner durch Bäume und Gehölze eingebundenen Streubebauung, den grünlandgenutzten Bachtälern mit begleitenden Gehölzbeständen und den auf den kuppigen Hochlagen ackerbaulich genutzten offenen Flächen.
7Die Festsetzung als Landschaftsschutzgebiet diene dem Schutz dieses Landschaftscharakters. Sie sei u.a. erfolgt zur Erhaltung des für das S. I6. typischen, vielfältig strukturierten Landschaftsbildes. Nach dem WEA-Erlass 2011 gelte das Bauverbot grundsätzlich auch in Landschaftsschutzgebieten, soweit nicht besondere Regelungen aufgenommen worden seien. Dem betroffenen Landschaftsraum komme eine hochwertige Funktion für den Naturschutz und die Landschaftspflege im Sinne des Schutzzwecks des Landschaftsplans zu. Die besondere Schutzwürdigkeit werde unterstrichen durch die Nähe des Landschaftsraums zum Naturschutzgebiet „B. -/L2. “. Dieses Naturschutzgebiet sei u.a. festgesetzt worden zur Erhaltung und Entwicklung eines hervorragend ausgeprägten Sieksystems des S. I6. aus landeskundlichen und erdgeschichtlichen Gründen und zur Erhaltung eines Landschaftsraums von hervorragender Schönheit. Diese Schutzzwecke könnten nicht aus dem Gesamtzusammenhang eines landschaftlichen Gefüges herausgelöst werden. Beeinträchtigungen des Umfeldes wirkten auch auf das Naturschutzgebiet ein. Das Landschaftsschutzgebiet könne zwar nicht für sich die Schutzwürdigkeit des Naturschutzgebietes sichern, sondern stehe in erster Linie nur für die eigene Schutzwürdigkeit, dennoch ergebe sich aus dem gesamträumlichen Zusammenhang eine besonders hochwertige Schutzfunktion.
8Eine Befreiung von dem Bauverbot nach § 67 BNatSchG komme nicht in Betracht. Ein überwiegendes öffentlichen Interesse i.S.d. § 67 Abs. 1 Ziffer 1 BNatSchG an der Erteilung einer Befreiung liege nicht vor, weil den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege im vorliegenden Fall ein höherer Wert beigemessen werde als dem öffentlichen und privaten Interesse an der Nutzung regenerativer Energiequellen.
9Die Beeinträchtigung des Landschaftsbildes aufgrund der ca. 100 m hohen Anlage sei nicht mit dem Schutzzweck des Landschaftsschutzgebietes vereinbar. Durch die Errichtung der Windkraftanlage werde der im Landschaftsplan „I1. /I2. “ für das Landschaftsschutzgebiet festgelegte Schutzzweck in erheblicher Weise beeinträchtigt. Das Landschaftsschutzgebiet sei u.a. zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes in landwirtschaftlich geprägten sowie durch Siedlungen, Verkehr, Gewerbe und Erholung stark beanspruchten Landschaftsräumen, zur Erhaltung der Nutzungsfähigkeit der Naturgüter, zur Erhaltung des für S. I3. und I7. C2. typischen, vielfältig strukturierten Landschaftsbildes und zur Erhaltung der Erholungseignung der Landschaft, der Ruhe, der Natur und des Naturgenusses in einem dicht besiedelten Raum festgesetzt worden. Der Kreis I1. sei durch eine hohe Bevölkerungsdichte gekennzeichnet. Die hohe Bevölkerungsdichte mit der typischen Streubebauung im S. M. führe dazu, dass es nur relativ wenige Landschaftsräume gebe, die frei von Siedlungsgebieten, Gewerbeflächen, Streubebauung oder Infrastruktureinheiten seien. Gerade die geringe Ausstattung mit unbelasteten oder gering belasteten Landschaftsräumen führe zu einer hohen Gewichtung dieser Bereiche bei der Abwägung gegenüber anderen Belangen.
10Eine Befreiung komme auch nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG nicht in Betracht, weil der Kläger durch die Ablehnung der Befreiung nicht unzumutbar belastet werde.
11Darüber hinaus liege die geplante Anlage in einem Gebiet, das ein traditionelles Rastgebiet des Kiebitzes im zeitigen Frühjahr sei. In der Brutzeit könnten pro Jahr etwa drei bis fünf Brutpaare im Gebiet südlich des beantragten Standortes angetroffen werden. Die Literatur führe mehrheitlich aus, dass der Kiebitz durch Windenergieanlagen zu Meidung von Flächen 100 bis 300 m um eine Windenergieanlage veranlasst werde. Die artenschutzrechtliche Prüfung komme aufgrund dieser Erkenntnisse zum Ergebnis, dass zur Vermeidung von artenschutzrechtlichen Konflikten vorgezogene Maßnahmen zur Optimierung von Kiebitzlebensräumen erforderlich seien. Art und Umfang solcher vorgezogener Maßnahmen seien dem Grunde nach mit der unteren Landschaftsbehörde bereits abgestimmt worden. Allerdings unterstreiche die Bedeutung des Landschaftsraums für den Kiebitz die bereits beschriebene Wertigkeit des Landschaftsraums im Besonderen, zumal es im Stadtgebiet I1. und auch im ganzen Kreisgebiet nur eine geringe Zahl solch traditioneller Rast- und Brutplätze des Kiebitzes gebe.
12Mit Bescheid vom 06.06.2013 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Erteilung eines Vorbescheides gemäß § 9 BImSchG für die Errichtung einer Windenergieanlage des Typs Enercon E-53 auf dem Grundstück Gemarkung E1. , Flur 5, Flurstück 6, ab. Das Bauvorhaben verstoße gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften und Belange. Der beantragte Vorbescheid für die Windenergieanlage könne am jetzigen Standort nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG i.V.m. § 20 Abs. 2 der 9. BImSchV nicht erteilt werden, da die geplante Anlage in einem Landschaftsschutzgebiet liege, das ein Bauverbot bestimme. Die Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 BNatSchG für die Erteilung einer Befreiung von diesem Bauverbot lägen nicht vor. Die weitere Begründung entspricht im Wesentlichen der Stellungnahme der unteren Landschaftsbehörde vom 14.05.2013.
13Der Kläger hat daraufhin am 12.06.2013 Klage erhoben und vorgetragen, der Ablehnungsbescheid vom 06.06.2013 enthalte keine ordnungsgemäße Ermessensausübung des Beklagten hinsichtlich der abgelehnten Befreiung von den Verboten des Landschaftsplanes. Die Begründung sei erkennbar konstruiert und lasse wesentliche Aspekte gänzlich unberücksichtigt. Der vorgesehene Standort befinde sich am äußersten Rand des (insgesamt 605 km² großen) Landschaftsschutzgebietes S. I3. . Er werde eingerahmt im Osten durch die dort in Nord-Süd-Richtung verlaufende, vierspurig ausgebaute Bundesstraße C3. 61 /C3. , die in der Nähe über eine autobahnähnliche Anschlussstelle verfüge, sowie das östlich davon gelegene Stadtgebiet von I1. , im Süden von der in West-Ost-Richtung verlaufenden M1., im Westen von einem kleinen Waldstück sowie im Norden von der Hofstelle des Klägers und weiteren Bauwerken. Der gesamte Bereich werde intensiv landwirtschaftlich genutzt. Darüber hinaus werde in der Umgebung eine größere Tonabgrabung betrieben. Auch der Standort der geplanten Windenergieanlage liege innerhalb eines Tonabgrabungsbereichs, der bislang allerdings nicht zum Tonabbau genutzt worden sei. Eine 110 kV-Freileitung sowie Streubebauung stellten weitere Vorbelastungen dar. Auch befinde sich in einer Entfernung von rund 800 m ein großes Fabrikgebäude am T1.----- . Diese zahlreichen, erheblichen und augenscheinlichen Vorbelastungen des Landschaftsraums räume der Beklagte im Ablehnungsbescheid sogar teilweise ein, berücksichtige diese im Endergebnis jedoch nicht gebührend. Das Naturschutzgebiet „C3. . /L2. “ liege in größerer Entfernung zur geplanten Anlage als die Entfernung des Standorts zur Grenze des Landschaftsschutzgebietes betrage. In Anbetracht dieser Belastungen des Landschaftsbildes, die zum größten Teil bereits vorhanden seien und ansonsten – wie weitere Tonabgrabungen und neues Gewerbegebiet „T1.----- – in absehbarer Zeit hinzuträten, sei die Bewertung des Beklagten nicht nachvollziehbar. Desweiteren habe der Beklagte die besondere Bedeutung der erneuerbaren Energien nicht in ausreichendem Maße gewürdigt.
14Ferner sei zu beachten, dass die Gesamthöhe der Anlage von weniger als 100 m verhältnismäßig gering und damit nicht als raumbedeutsam einzustufen sei. Aufgrund der geringen Gesamthöhe sei eine Kennzeichnung als Luftfahrthindernis nicht erforderlich. Insgesamt habe der Beklagte die Aspekte Landschaftsbild und Erholungswert deutlich überbewertet und die für die Nutzung der Windenergie am fraglichen Standort sprechenden Aspekte allenfalls in allgemeiner Form floskelhaft angedeutet, sich im übrigen aber mit den tatsächlichen Gegebenheiten nicht ansatzweise auseinandergesetzt. Der Beklagte gehe auch nicht darauf ein, dass mit Blick auf das laufende Bebauungsplanverfahren zur Erweiterung des Gewerbegebietes „T1.----- “ dieses anschließend bis auf eine Entfernung von rund 200 m an das Landschaftsschutzgebiet und rund 400 m an den Anlagenstandort heranrücken werde. Ebenso wenig werde gewürdigt, dass der vorgesehene Standort für die Windenergieanlage Teil einer Fläche sei, die im geltenden Gebietsentwicklungsplan als Abgrabungsfläche für Tonvorkommen vorgesehen sei. Dass dieses Ziel der Raumordnung der Errichtung einer Windenergieanlage nicht entgegenstehe, habe die Bezirksregierung ausdrücklich bestätigt. Inwieweit aber die danach ohne weiteres zulässige Abgrabung von Tonvorkommen einen weniger bedeutsamen Eingriff in die Funktion des Landschaftschutzgebietes bedeuten würde als die Errichtung der geplanten Windenergieanlage, die lediglich eine Fläche von insgesamt 2 % der ausgewiesenen Abgrabungsfläche einnähme, lege der Beklagte nicht dar. Schließlich dürfte zu berücksichtigen sein, dass er sein Vorhaben auf einem in seinem Eigentum stehenden Grundstück in der Nähe seiner Hofstelle realisiere wolle. Ihm stehe daher insgesamt ein Anspruch auf Befreiung von den Bauverboten des Landschaftsplanes und damit der beantragte Vorbescheid für die Errichtung der von ihm geplanten Windenergieanlage zu.
15Der Kläger beantragt,
16den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 06.06.2013 i.d.F. des Änderungsbescheides vom 01.07.2013 zu verpflichten, ihm einen immissionsschutzrechtlichen Vorbescheid für die Errichtung einer Windenergieanlage des Typs Enercon E-53 auf dem Grundstück Gemarkung E1. , Flur 5, Flurstück 6, zu erteilen.
17Der Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Er trägt ergänzend vor: Soweit der Kläger vortrage, der vorgesehene Standort für die Anlage befinde sich am äußersten Rand des insgesamt I. km² großen Landschaftsschutzgebietes S. I3. , sei dies falsch. Die Größe des gesamten Kreises I1. betrage lediglich S. km². Der Landschaftsplan I1. /I2. weise das S. I3. mit einer Größe von ca. O. km² und das I7. C4. ebenfalls mit einer Größe von O. km² als Landschaftsschutzgebiet aus. Die im Osten an den vorgesehenen Standort in Nord-Süd-Richtung verlaufende, vierspurig ausgebaute Bundesstraße C3. 61/C3. 239 sei als Vorbelastung nicht zu berücksichtigen, da diese in einem mehr als 4 m tiefen Einschnitt liege und daher kaum sichtbar sei. Soweit der Kläger auf größere Tonabgrabungen verweise, sei diese ebenfalls falsch, da erst in westlicher Richtung zum geplanten Standort in einem Abstand von ca. 700 m eine Abgrabung in einer Größe von ca. 12 ha betrieben werde. Weitere Tonabgrabungen oder andere Abgrabungen bestünden nicht, Planungen lägen ebenfalls nicht vor. Ehemalige Abgrabungsräume seien erfolgreich rekultiviert worden. Das Gewerbegebiet „T1.----- “ beginne erst in einem Abstand von ca. 600 bis 800 m von der geplanten Anlage entfernt. Der Standort der Windenergieanlage sei landschaftlich deutlich abgesetzt von der gewerblichen Bebauung. Allein schon aufgrund der Entfernung könnten die dortigen baulichen Anlagen nicht als Vorbelastung für die beantragte Windenergieanlage angesehen werden. Das Naturschutzgebiet „C3. . -/L2. “ befinde sich an der Stelle, die dem Anlagenstandort am nächsten sei, in einem Abstand von ca. 400 m. Der L3. befinde sich in einem Abstand von ca. 550 m zum Anlagenstandort. Ausschlaggebend für die hier angegriffene Entscheidung sei nicht lediglich die Stellungnahme der unteren Landschaftsbehörde als solche. Er habe im Verwaltungsverfahren durchaus eine differenzierte Analyse des Standortes durchgeführt. Diese habe ergeben, dass der Landschaftsraum ein sehr hohes landschaftliches Potential aufweise, gerade weil die vorhandenen Vorbelastungen nicht prägend seien. Selbst für den Fall, dass es neben den bundesrechtlich geregelten Befreiungstatbeständen des § 67 Abs. 1 S. 1 BNatSchG noch Raum für eine Fortgeltung des landesrechtlich in § 69 Abs. 1 S. 1 a LG NRW geregelten Befreiungsgrundes der unbeabsichtigten Härte gäbe, würde dieser nicht vorliegen. Bei einem Bauverbot als Folge einer naturschutz- bzw. landschaftsschutzrechtlichen Festsetzung liege in aller Regel keine unbeabsichtigte Härte vor. Denn die Untersagung der Errichtung baulicher Anlagen im Schutzgebiet sei vom Normgeber regelmäßig gerade gewollt. Auch eine Befreiung aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses komme nicht in Betracht. Ein allgemeiner Wille bzw. ein allgemeines Bedürfnis, zunehmend regenerative Energiequellen zu nutzen, reiche hierfür nicht aus. Denn dieses Bedürfnis betreffe gerade nicht den konkreten Standort. Soweit der Kläger eine „besondere Nähe zur Bürgerinitiative“ rüge, sei lediglich richtig, dass ihm entsprechendes Material vorliege, es sei jedoch lediglich zur Darstellung des Umfeldes der Anlage in diesem Klageverfahren herangezogen worden.
20Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt, mit Schriftsatz vom 07.07.2014 aber ausgeführt, sie habe ihr Einvernehmen zur Errichtung einer Windkraftanlage am vorgesehenen Standort erteilt. Ihrem Einleitungsbeschluss vom 22.11.2012 zur Änderung des Flächennutzungsplanes liege eine Potentialstudie „Masterplan erneuerbare Energie“ des Planungsbüros L4. und C5. von September 2012 zu Grunde; danach liege die vom Kläger geplante Anlage in einem Ausschlussbereich. Zwischen ihr und dem Beklagten herrsche Dissens bezüglich der Auswirkungen von Windenergieanlagen auf das Landschaftsbild. Da der Freiraum außerhalb des Stadtkerns zum großen Teil als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen sei, habe der Bauausschuss am 17.10.2013 beschlossen, die Ausweisung von Windenergieflächen nicht weiter voranzutreiben, sondern den Ausgang dieses Verfahrens abzuwarten.
21Mit Bescheid vom 01.07.2013 hat der Beklagte den angefochtenen Bescheid vom 06.06.2013 im Hinblick auf die darin (unter III.) erhobene Verwaltungsgebühr geändert.
22Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie die Unterlagen der Bürgerinitiative „Initiative J1. .--/E1. gegen Windrad“ Bezug genommen.
23E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
24Die Klage ist zulässig, jedoch nur teilweise begründet.
25Der Bescheid des Beklagten vom 06.06.2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, weil die Ablehnung des beantragten Vorbescheides aus den im Bescheid aufgeführten Gründen rechtswidrig ist (1.). Ob dem beantragten Vorhaben andere Versagungsgründe entgegenstehen, lässt sich für das Gericht nicht abschließend beurteilen. Mangels Spruchreife war der Beklagte deshalb zur Neubescheidung des Vorbescheidsantrages zu verpflichten (2.).
261.
27Nach § 9 Abs. 1 BImSchG soll auf Antrag durch Vorbescheid über einzelne Genehmigungsvoraussetzungen sowie über den Standort der Anlage entschieden werden, sofern die Auswirkungen der geplanten Anlage ausreichend beurteilt werden können und ein berechtigtes Interesse an der Erteilung eines Vorbescheides besteht.
28a)
29Ein Vorbescheid kann zu jeder für die Genehmigung relevanten Frage ergehen, die im Vorgriff auf sie rechtlich und tatsächlich auch geklärt werden kann. Dies schließt umgekehrt für den Antragsteller auch das Recht ein, einzelne für die Genehmigung relevante Fragen aus der Prüfung auszuklammern.
30Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20.11.2012 – 8 A 252/10 –, juris Rn. 37 unter Bezugnahme auf das Urteil vom 09.12.2009 – 8 D 12/08.AK –, DVBl. 2010, 719 = juris Rn. 146, und VGH BW, Urteil vom 15.02.1990 – 10 S 2893/88 –, juris Rn. 23.
31Der Kläger hat die Prüfung im Vorbescheidsverfahren zunächst mit seinem Antrag vom 22.08.2011 betreffend die Enercon E-82 (in BA VII enthalten) auf die (volle) „planungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens“ erstreckt, den Antrag auf Erteilung eines Vorbescheides für eine E-53 aber insoweit beschränkt, als die artenschutzrechtliche Prüfung dem Genehmigungsverfahren vorbehalten sein soll (vgl. Schriftsatz vom 16.04.2012, BA II Bl. 91). Damit ist die planungsrechtliche Prüfung nach § 35 BauGB auch für das Gericht eingeschränkt. Denn zu den planungsrechtlich relevanten Belangen des Naturschutzes i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Var. 1 BauGB gehören auch die naturschutzrechtlichen Vorschriften zum Gebiets- (§§ 31 ff. BNatSchG, §§ 48a ff. LG NRW) und Artenschutz (§§ 39 ff. BNatSchG, §§ 60 ff. LG NRW), zu Letzterem insbesondere die Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG.
32vgl. BVerwG, Urteil vom 27.06.2013 – 4 C 1.12 –, juris Rn. 6; OVG NRW, Urteile vom 30.07.2009 – 8 A 2357/08 –, juris Rn. 39, und vom 20.11.2012 – 8 A 252/10 –, juris Rn. 93.
33Die positive Bescheidung eines Vorbescheidsantrages setzt weiterhin voraus, dass nicht nur die zur Prüfung gestellten Belange dem Vorhaben nicht entgegenstehen, sondern auch die Auswirkungen der geplanten Anlage ausreichend beurteilt werden können. Aufgrund einer vorläufigen Prüfung anhand der vollständigen und insoweit endgültigen Pläne muss feststehen, dass die gesamte Anlage am vorgesehenen Standort genehmigungsfähig ist (sog. vorläufige positive Gesamtbeurteilung). Die in diesem Zusammenhang geläufige Formulierung, dass dem Gesamtvorhaben keine von vornherein unüberwindlichen Hindernisse entgegenstehen dürften (vgl. § 8 Satz 1 Nr. 3 BImSchG), darf allerdings nicht dahin missverstanden werden, dass das vorläufige positive Gesamturteil erst dann fehlt, wenn die Verwirklichung des Vorhabens bei kursorischer Prüfung mit Sicherheit ausgeschlossen ist. Eine positive Gesamtbeurteilung setzt vielmehr eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Genehmigungsfähigkeit der Gesamtanlage voraus.
34Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20.11.2012 – 8 A 252/10 –, juris Rn . 39 unter Bezugnahme auf das Urteil vom 12.06.2012 – 8 D 38/08.AK –, juris Rn. 109 ff., und Jarass, BImSchG, 10. Auflage 2013, § 8 Rn. 12 m.w.N.
35b)
36Gemessen an diesen Voraussetzungen tragen die im Bescheid des Beklagten vom 06.06.2013 aufgeführten Gründe die Versagung des beantragten Vorbescheides nicht. Der Errichtung und dem Betrieb der beantragten WEA stehen weder planungsrechtliche Festsetzungen i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB (aa) entgegen noch stehen dem Vorhaben Belange des Naturschutzes (unter Ausklammerung des Artenschutzes) und der Landschaftspflege mit Blick auf die Festsetzungen eines Landschaftsplanes bzw. die Ausweisung eines Landschaftsschutzgebietes entgegen (bb). Es fehlt auch nicht an einer vorläufigen positiven Gesamtbeurteilung (cc).
37aa)
38Darstellungen im Flächennutzungsplan i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB stehen dem Vorhaben nicht entgegen, weil es an einer Ausweisung von Konzentrationszonen für WEA an andere Stelle in einem (rechtsgültigen) Flächennutzungsplan der Beigeladenen fehlt. Wie die Beigeladene im Schriftsatz vom 07.07.2014 (Bl. 164 ff. GA) mitgeteilt hat, liegt bisher nur ein Aufstellungsbeschluss vom 22.12.2012 und eine Potentialstudie „Masterplan erneuerbare Energie“ vor. Das Verfahren zur Teiländerung des Flächennutzungsplanes ruht z.Zt. mit Blick auf den Ausgang des vorliegenden Rechtsstreites. Da aus Sicht der Beigeladenen dem Vorhaben auch keine landschaftsschutzrechtlichen Belange entgegenstehen, hat sie das Einvernehmen nach § 36 BauGB erteilt.
39Ebenso wenig kann dem Vorhaben entgegengehalten werden, dass als Ziel der Raumordnung i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB in überörtlichen Plänen eine Ausweisung von Konzentrationsflächen für WEA an anderer Stelle erfolgt ist. Der Gebietsentwicklungsplan für den Regierungsbezirk E2. – Teilabschnitt Windenergie – enthält derartige Festsetzungen nicht. Der Gebietsentwicklungsplan für den Regierungsbezirk E2. – Teilabschnitt Oberbereich C1. – weist den hier streitigen Standort als Bereich „zur Sicherung und Abbau oberflächennaher Bodenschätze“ (BSAB = Abgrabungsbereiche) aus. Die Ausweisung von BSAB in Regionalplänen hat zwar die Rechtswirkung von Vorranggebieten mit der Wirkung von Eignungsgebieten (§ 8 Abs. 7 ROG NRW), die grundsätzlich von konkurrierenden Nutzungen freizuhalten ist (Ziffer C3. .III Ziel 1). Mit Blick darauf, dass der ausgewiesene BSAB eine Größe von 20 ha hat, die WEA aber nur eine Fläche von 0,4 ha beansprucht und eine abschnittsweise Inanspruchnahme der (übrigen) Fläche zum Abbau möglich ist, hat die Regionalplanungsbehörde keine planungsrechtlichen Bedenken erhoben, wenn die Nutzung auf einen Zeitraum von 15 bis 20 Jahren befristet wird (BA II Bl. 197). Eine derartige Befristung in einem Genehmigungsbescheid ist auf Antrag nach § 12 Abs. 2 Satz 1 BImSchG möglich.
40bb)
41Belange des Natur- und Landschaftsschutzes i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Var. 1 BauGB stehen dem Vorhaben nicht entgegen.
42Ob einem durch § 35 Abs. 1 BauGB privilegierten Vorhaben öffentliche Belange i.S.v. § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB entgegenstehen, ist grundsätzlich im Wege einer sogenannten nachvollziehenden Abwägung zu ermitteln. Privilegierte Vorhaben sind nicht an jedem beliebigen Standort im Außenbereich zulässig. Auch für privilegierte Anlagen gilt das Gebot der größtmöglichen Schonung des Außenbereichs. Mit § 35 Abs. 1 BauGB hat der Gesetzgeber den Außenbereich insbesondere nicht generell als Baubereich für privilegierte Vorhaben freigegeben, sondern ihre Zulässigkeit vielmehr von der Einzelfallprüfung abhängig gemacht, ob ihnen an einem konkreten Standort öffentliche Belange entgegenstehen. Im Einzelnen bestimmt sich das Gewicht sowohl der Privilegierung als auch das der öffentlichen Belange anhand einer Bewertung des Einzelfalles.
43Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20.11.2012 – 8 A 252/10 –, juris Rn. 76 ff. m.w.N. auf die Rechtsprechung des BVerwG; Gatz, Windenergieanlagen in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis, 2. Auflage 2013, Rn. 198 ff. m.w.N.; Söfker in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg/Krautzberger, Kommentar zum BauGB, Loseblatt-Sammlung (Stand: Juli 2011), § 35 Rn. 60 ff.
44Belange des Landschaftsschutzes i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 Var. 1 BauGB stehen der Errichtung und dem Betrieb einer WEA u.a. dann entgegen, wenn der Standort im räumlichen Geltungsbereich einer Landschaftsschutzverordnung liegt, die Errichtung derartiger Anlagen im Geltungsbereich der Verordnung grundsätzlich verboten ist und von diesem Verbot durch Erteilung von Ausnahmen und Befreiungen nicht abgewichen werden kann.
45Vgl. BVerwG, Beschluss vom 02.02.2000 – 4 C3. 104/99 –, juris Rn. 2, und Urteil vom 19.04.1985 – 4 C 25.84 –, BauR 1985, 544.
46Ob die Belange des Landschaftsschutzes sich gegenüber dem entgegenstehenden Interessen des Bauherrn an der Realisierung eines privilegierten Vorhabens i.S.d. § 35 Abs. 1 BauGB durchsetzen, ist im Rahmen der nachvollziehenden Abwägung nach der konkreten Schutzwürdigkeit der Landschaft am vorgesehenen Standort zu beurteilen. Diese hängt insbesondere von den verfolgten Schutzzielen und dem Grad der Beeinträchtigung des Landschaftsbildes durch die streitige WEA ab, wobei auch etwaige Vorbelastungen zu berücksichtigen sind.
47vgl. OVG NRW, Urteil vom 05.09.2006 – 8 A 1971/04 –; VGH BW, Urteil vom 13.10.2005 – 3 S 2521/04 –, juris Rn 46; Gatz, a.a.O., Rn. 300 ff.; Scheidler, Errichtung von Windkraftanlagen in naturschutzrechtlich festgesetzten Schutzgebieten, NuR 2011, 848 ff.
48Ausgehend von diesen Maßstäben ist das Vorhaben des Klägers mit den Belangen des Landschaftsschutzes vereinbar.
49Der streitige Standort liegt im räumlichen Geltungsbereich des im Jahre 1996 durch den Landschaftsplan I1. /I2. förmlich festgesetzten Landschaftsschutzgebietes (LSG) „S. I3. “. In förmlich festgesetzten Landschaftsschutzgebieten sind alle Handlungen, die zu einer Zerstörung, Beschädigung oder Veränderung des geschützten Landschaftsbestandteils führen können, nach Maßgabe näherer Bestimmungen verboten (§ 26 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG). Von den Geboten und Verboten dieses Gesetzes, einer Rechtsverordnung auf Grund des § 57 sowie nach dem Naturschutzrecht der Länder kann nach § 67 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG auf Antrag Befreiung gewährt werden, wenn 1. dies aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer und wirtschaftlicher Art, notwendig ist oder 2. die Durchführung der Vorschriften im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen würde und die Abweichung mit den Belangen von Naturschutz und Landschaftspflege vereinbar ist.
50Nach Nr. 3.2.3.1 Satz 1 der textlichen Festsetzungen des Landschaftsplanes sind in den festgesetzten Landschaftsschutzgebieten Nr. 3.2.1.1 – 3.2.1.3.65 – zu denen das LSG „S. I3. “ zählt – nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen alle Handlungen verboten, die den Charakter des Gebietes verändern können oder dem Schutzzweck zu widerlaufen. Hierzu gehört insbesondere nach Satz 2 lit. a der Vorschrift das Errichten baulicher Anlagen. Ausnahmen von diesem Bauverbot sieht der Landschaftsplan in Nr. 3.2.3.2 lit b. für Vorhaben i.S.d. § 35 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BauGB (a.F.) und § 35 Abs. 4 Nr. 5 BauGB (a.F.) vor. Die Errichtung einer WEA wird hiervon nicht erfasst, weil im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Landschaftsplanes im Jahre 1995 WEA nicht zu den nach § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB privilegierten Anlagen zählten. Den Status eines baurechtlich-privilegierten Vorhabens erhielten diese Anlagen erst durch die Änderung des BauGB mit Gesetz vom 30.07.1996 (BGBl. I S. 1189),
51vgl. zur Änderung des BauGB: Gatz, a.a.O., Rn. 29 ff.,
52sodass eine Ausnahme vom Bauverbot nach dem Landschaftsplan nicht in Betracht kommt.
53Dem Kläger ist jedoch eine Befreiung vom Bauverbot im Landschaftsschutzgebiet nach § 67 BNatSchG zu erteilen. Aufgrund des am 1. März 2010 in Kraft getretenen (neuen) Bundesnaturschutzgesetzes ist diese Vorschrift an Stelle des weitgehend inhaltsgleichen § 69 LG NRW getreten. Von der nach Art. 72 Abs. 3 Satz 3 GG bestehenden Möglichkeit, durch ein nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes erlassenen Landesgesetz hiervon abzuweichen, hat der Landesgesetzgeber keinen Gebrauch gemacht. Die Regelung in § 69 Abs. 1 Satz 1 LG NRW ist unverändert geblieben und damit nicht mehr anwendbar.
54Vgl. OVG NRW, Urteil vom 16.01.2013 – 8 A 2252/11 –, juris Rn. 65; offengelassen noch im Urteil vom 11.09.2012 – 8 A 104/10 –, juris Rn. 27, und im Beschluss vom 21.02. 2011 – 8 A 1837/09 – juris Rn.14.
55aaa)
56Der Kläger hat allerdings keinen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung von dem Bauverbot der Landschaftsschutzverordnung nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG wegen einer „unzumutbaren Belastung“.
57Der Begriff der unzumutbaren Belastung in § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG knüpft nicht an die Intention des Normgebers – so noch § 69 LG NRW –, sondern an die Rechtsfolgen an. Hiermit wollte der Gesetzgeber den sich aus Art. 14 GG ergebenden verfassungsrechtlichen Grenzen Rechnung tragen. Ein die Inhaltsbestimmung des Eigentums überschreitendes, unzumutbares Sonderopfer liegt z.C3. . dann vor, wenn durch das Bauverbot die Privatnützigkeit des Eigentums nahezu vollständig beseitigt wird, sodass aus dem Recht eine Last wird, die der Eigentümer im öffentlichen Interesse zu tragen hat, ohne dafür die Vorteile einer privaten Nutzung genießen zu können.
58Vgl. Lau in: Frenz/Müggenborg, BNatSchG Kommentar, 1. Auflage 2011, § 67 Rn. 4 unter Bezugnahme auf BVerfG, Beschluss vom 02.03.1999 – 1 BvL 7/91 – juris; Sauthoff in: Schlacke, BNatSchG Kommentar, 1. Auflage 2012, § 67 Rn. 20.
59Vor dem Hintergrund, dass es sich bei den naturschutzrechtlichen Ge- und Verboten um Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums i.S.d. Art 14 Abs. 1 Satz 2 GG handelt, muss sich die Unzumutbarkeit gerade aus grundstückbezogenen Besonderheiten, dagegen nicht aus personenbezogenen Umständen, wie persönlichen, finanziellen oder familiären Bedingungen ergeben.
60Vgl. Konrad in: Lorz/Konrad/Mühlbauer/Müller-Walter/Stöckel, Naturschutzrecht, 3. Auflage 2013 § 67 BNatSchG Rn. 11; Sauthoff, a.a.O., § 67 Rn. 22; Lau, a.a.O., § 67 Rn. 4.
61Von einer unzumutbaren Härte i.S.d. § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG kann deshalb nicht ausgegangen werden. Der Kläger ist zwar Eigentümer des Grundstückes, auf dem die Anlage errichtet werden soll, sodass die Versagung des Vorbescheides ihn in den eigentumsrechtlich geschützten Nutzungsmöglichkeiten beschränkt. Es ist aber weder vorgetragen worden noch ersichtlich, dass die bisher ausgeübte landwirtschaftliche Nutzung des Grundstückes nicht (mehr) möglich ist und die Versagung des Vorbescheides ihn deshalb schwer und unerträglich beeinträchtigt. Ein Anspruch auf eine möglichst lukrative Nutzung des Grundstücks vermittelt das Eigentumsrecht nicht.
62bbb)
63Eine Befreiung von dem Bauverbot der Landschaftsschutzverordnung hat der Beklagte jedoch unter dem Blickwinkel des § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG zu Unrecht abgelehnt.
64Der Begriff des „überwiegenden öffentlichen Interesses“ i.S.d. § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG setzt eine atypische Sondersituation voraus, die der Verordnungsgeber beim Erlass der Verordnung nicht in den Blick genommen hat. Erst wenn diese Voraussetzung vorliegt, bedarf es einer Abwägungsentscheidung.
65Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.03.1998 – 4 A 7.97 –, und Beschluss vom 20.02.2002 – 4 C3. 12. –, juris Rn. 3; VGH BW, Urteil vom 13.10.2005 – 3 S 2521/04 –, juris Rn. 46; Lau, a.a.O., § 67 Rn. 3; Sauthoff, a.a.O., § 67 Rn. 13.
66Von einer derartigen atypischen Sondersituation ist hier auszugehen. WEA gehörten zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Landschaftsplanes im Januar 1996 nicht zu den nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegierten Anlagen, für die – wie oben bereits ausgeführt – der Verordnungsgeber weitgehende Ausnahmetatbestände vom Bauverbot vorsah. Durch die mit der Änderung des BauGB im Jahre 1997 erfolgte baurechtliche Privilegierung von WEA, die verfassungsrechtlich und einfachgesetzlich hervorgehobene Bedeutung erneuerbarer Energien für den Klimaschutz und die Erhaltung natürlicher Lebensgrundlagen (Art. 20a GG, Art. 29a LV NRW, § 1 Abs. 3 Nr. 4 BNatSchG) und die staatliche Subventionierung derartiger Energieträger durch das EEG hat der Gesetzgeber ein öffentliches Interesse am Ausbau regenerativer Energien und damit auch an der Errichtung von WEA zum Ausdruck gebracht, das zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Landschaftsplanes so noch nicht bestand und sich daher nach heutiger Rechtslage im Einzelfall im Rahmen einer Abwägung gegenüber den Bauverboten einer Landschaftsschutzverordnung durchsetzen kann.
67In dem nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG für die Befreiung erforderlichen „Überwiegen" des öffentlichen Interesses kommt ein Bilanzierungsgedanke zum Ausdruck. Dies bedeutet, dass die Gründe des öffentlichen Interesses im Einzelfall so gewichtig sein müssen, dass sie sich gegenüber den mit der Verordnung verfolgten Belangen durchsetzen. Ob dies der Fall ist, ist aufgrund einer Abwägung zu ermitteln, in deren Rahmen eine bilanzierende Gegenüberstellung der jeweils zu erwartenden Eingriffe und Folgen vorzunehmen ist.
68Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.02.2002 – 4 C3. 12.02 –, juris Rn. 4; Sauthoff, a.a.O., Rn. 18; Gatz, a.a.O., Rn. 286.
69Dabei entspricht nicht jedes beliebige, sondern nur ein qualifiziertes öffentliches Interesse den mit diesem Befreiungsgrund verfolgten Gemeinwohlbelangen. Bei der Abwägung ist in Rechnung zu stellen, dass eine Befreiung allenfalls in Betracht kommt, wenn Gründe des öffentlichen Interesses von besonderem Gewicht dies rechtfertigen.
70Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.02.2002 – 4 C3. 12.02 –, juris Rn. 5 ; Sauthoff, a.a.O., Rn. 17.
71Ein derartiges besonderes öffentliches Interesse ist hier gegeben.
72Das mit § 1 Abs. 2 EEG verfolgte Ziel, den Anteil des aus erneuerbaren Energien erzeugten Stroms am Bruttostromverbrauch stetig und kosteneffizient auf mindestens 40 bis 45 % bis zum Jahr 2025 und auf 55 bis 60 % bis zum Jahre 2035 zu erhöhen, kann letztlich nur erreicht werden, wenn die Errichtung von WEA auch in Landschaftsschutzgebieten nicht grundsätzlich ausgeschlossen und die Erteilung von Befreiungen und Ausnahmen hierfür in Betracht gezogen wird. Nach dem Willen der nordrhein-westfälischen Landesregierung soll der Anteil der Windenergie an der Stromerzeugung von derzeit (2011) 3 % bis auf mindestens 15 % im Jahre 2020 ausgebaut werden, was die Überprüfung bestehender und die Planung neuer Konzentrationszonen erforderlich macht.
73Vgl. hierzu Nr. 1.1 des WEA-Erlasses 2011.
74Die Ausweisung von Flächen für die Windenergienutzung oder die Errichtung von Einzelanlagen in Landschaftsschutzgebieten kommt deshalb insbesondere in Teilbereichen großräumiger Landschaftsschutzgebiete mit einer im Einzelfall weniger hochwertigen Funktion für den Naturschutz und die Landschaftspflege sowie die landschaftsorientierte Erholung in Betracht, soweit die Vereinbarkeit mit der Schutzfunktion des Landschaftsschutzgebietes insgesamt gegeben ist.
75Vgl. Nr. 8.2.1.5 des WEA-Erlasses 2011.
76Dementsprechend ist auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass im Rahmen der Flächennutzungsplanung Landschaftschutzgebiete nicht als „harte“ Tabuzonen zu betrachten sind, weil Ausnahmen oder Befreiungen vom Bauverbot grundsätzlich möglich, die Errichtung von WEA damit nicht schlechthin tatsächlich oder rechtlich unmöglich ist. Sie können allenfalls auf der zweiten Ebene als „weiche“ Tabuzonen – sofern nach dem planerischen Willen der Gemeinde die Errichtung von WEA dort von vornherein aus städtebaulichen Gründen ausgeschlossen werden soll – oder als Potenzialflächen auf der dritten Ebene im Rahmen der Abwägung mit den entgegenstehenden öffentlichen Interessen des Landschaftsschutzes als Eignungsgebiete ausgeschlossen werden.
77Vgl. zum Abwägungsvorgang: BVerwG, Urteile vom 13.12.2012 – 4 CN 1.11 –, juris Rn. 10, und vom 20.05.2010 – 4 C 7.09 –, juris Rn. 25, sowie Beschluss vom 15.09.2009 – 4 BN 25.09 –, juris Rn. 8; ebenso OVG NRW, Urteil vom 01.07.2013 – 2 D 46/12.NE –, juris Rn. 34 ff. und 52 ff..
78Das Abwägungsergebnis muss dabei dem mit § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB verfolgten Ziel gerecht werden, der Windenergie substanziellen Raum zu verschaffen. Erkennt die Gemeinde, dass dies nicht der Fall ist, muss sie ihr Auswahlkonzept noch einmal überprüfen und gegebenenfalls ändern.
79Vgl. BVerwG, Urteile vom 17.12.2002 – 4 C 15.01 –, juris
80Rn. 36, und vom 24.01.2008 – 4 CN 2.07 –, juris Rn. 15.
81Dies verdeutlicht, dass im Rahmen der Regional- und Flächennutzungsplanung den Belangen des Landschaftsschutzes kein grundsätzlicher Vorrang vor den öffentlichen Interessen an dem Ausbau und der Nutzung der Windenergie einzuräumen ist.
82Steht der Errichtung und dem Betrieb einer WEA – wie hier (s.o.) – nicht die wirksame Ausweisung einer Konzentrationszone an anderer Stelle des Gemeindegebietes entgegen, so scheidet in einem Genehmigungsverfahren die Erteilung einer Befreiung nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG deshalb nur dann aus, wenn die konkrete Anlage auch unter Berücksichtigung der Zwecke, die die Verordnung selbst im Auge hat, aus Gründen des Gemeinwohls nicht gerechtfertigt ist. Hierbei kommt es auf die Schutzwürdigkeit der Landschaft am konkreten Standort an.
83Vgl. Gatz, a.a.O. Rn. 304
84Maßgebend ist deshalb, ob die Errichtung und der Betrieb der WEA am vorgesehenen Standort den Charakter des Gebietes verändert oder dem besonderen Schutzzweck zuwiderläuft (§ 26 Abs. 2 BNatSchG).
85Auf der Grundlage der mit der Unterschutzstellung des Landschaftsschutzgebiets „S. I3. “ verfolgten Zwecken, nach Nr. 3.2.2.1 des Landschaftsplanes also
86- der Erhaltung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes in landwirtschaftlich geprägten sowie durch Siedlungen, Verkehr, Gewerbe und Erholung stark beanspruchten Landschaftsräumen (lit a),
87- der Erhaltung der Nutzungsfähigkeit der Naturgüter (lit b),
88- der Erhaltung des für das S. I3. und I7. C4. typischen, vielfältig strukturierten Landschaftsbildes (lit c) und
89- der Erhaltung der Erholungseignung der Landschaft, der Ruhe der Natur und des Naturgenusses in einem dicht besiedelten Raum (lit d),
90kann hiervon nicht ausgegangen werden. Der Beklagte hat sich im angefochtenen Bescheid (Seite 6) im Wesentlichen darauf berufen, dass die Ablehnung der Befreiung zur Erhaltung des Landschaftsbildes (Nr. 3.2.2.1 lit c des Landschaftsplanes) und zur Erhaltung der Erholungseigenschaft der Landschaft, der Ruhe der Natur und des Naturgenusses (lit d) erforderlich sei. Seine diesbezüglichen Ausführungen zu § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG rechnet die Kammer – auch – dem Befreiungstatbestand des § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG zu.
91Diese Bewertung kann das Gericht nach Auswertung der örtlichen Gegebenheiten auf Grund der vorliegenden Lichtbildaufnahmen nicht nachvollziehen.
92Es ist schon nicht ersichtlich, dass die Ablehnung der Befreiung zur Erhaltung der Erholungseigenschaft der Landschaft erforderlich ist. Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang auf die geringe Ausstattung des Kreises I1. mit unbelasteten oder gering belasteten Landschaftsräumen verweist (Seite 6 des Bescheides), ist die Begründung schon deshalb unzureichend, weil sie nicht auf die konkrete Schutzwürdigkeit der Landschaft am Vorhabenstandort Bezug nimmt. Eine derartige standortbezogene Prüfung ist aber insbesondere dann erforderlich, wenn – wie hier – fast der gesamte Außenbereich einer Gemeinde oder Stadt unter Landschaftsschutz gestellt ist und die Errichtung von WEA grundsätzlich am Landschaftsschutz scheitern würde.
93Auch der standortbezogenen Begründung des Bescheides vom 06.06.2013 (Seite 3) vermag die Kammer nicht zu folgen. Es lässt sich nicht erkennen, dass hier durch die Errichtung der geplanten WEA die Erhaltung der Erholungseigenschaft der Landschaft beeinträchtigt werden könnte.
94Wie der Beklagte selber einräumt, kann zunächst auf Grund der Vorbelastungen nicht von einem im Wesentlichen unberührten Landschaftsraum gesprochen werden.
95Der streitige Vorhabenstandort liegt am äußersten Rand des Landschaftsschutzgebietes. Er wird eingerahmt durch die ca. 700 m nördlich liegende Siedlung J1. .-- und die in Ost-West-Richtung verlaufende M1. 472 (F.---- ), durch die in Nord-Süd-Richtung verlaufende C3. /C3. im Osten und durch die südlich des Vorhabengrundstücks verlaufende M1. 543 (E3. ). In nordöstlicher Richtung – ca. 800 m vom Standort entfernt – befindet sich derzeit ein einzelner Gewerbebetrieb. Der Rat der Beigeladenen hat in der Sitzung vom 28.09.2012 die Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 8.74 „T1.-----“ beschlossen, der die Ausweisung eines Gewerbegebietes östlich des T2.----- in einer Größe von ca. 11,2 ha vorsieht. Die Bekanntmachung des Bebauungsplanes erfolgte am 17.09.2014. Westlich vom Vorhabenstandort befindet sich ein Tonabgrabungsgelände und ca. 700 m in südwestlicher Richtung eine 110 kV-Leitung.
96Schon dies zeigt, dass die nähere Umgebung des Vorhabenstandortes durch verschiedene landschaftsfremde Nutzungen vorbelastet ist und der Erholungswert der Landschaft sowie das Landschaftsbild bereits erheblich beeinträchtigt ist.
97Innerhalb des Gebietes befinden sich auch keine Rad- und Fußwege, die vorrangig durch die erholungssuchende Bevölkerung genutzt werden. Der östlich des streitigen Standortes verlaufende T1.-----weg verbindet die F.----straße und die E3. Straße und wird hauptsächlich als Zuwegung zu den landwirtschaftlich genutzten Flächen, dem Gewerbebetrieb und der dort vorhandenen Wohnbebauung genutzt. Die E3. Straße verfügt über keine Fuß- oder Radwegspuren, ebenso wenig ist ersichtlich, dass sich in der näheren Umgebung Wege befinden, die in ein örtliches oder überörtliches Radwegenetz eingebunden sind. Eine besondere Bedeutung des Landschaftsraumes für die erholungssuchende Bevölkerung hat der Beklagte nur mit Blick auf das südlich der E3. Straße gelegenen Tal der L1. dargelegt. Die entlang der L1. verlaufenden Wirtschaftswege befinden sich aber ca. 550 m südlich des Vorhabenstandortes und werden von diesem durch landwirtschaftliche Nutzflächen und durch die E3. Straße getrennt. Das Gelände fällt von der E3. Straße außerdem steil zum Tal der L1. ab. Die L1. ist in diesem Bereich von bachbegleitenden Gehölzen umgeben. Für die dort erholungssuchende Bevölkerung ist der Bereich nördlich der E3. Straße daher nur in Teilbereichen einsehbar, eine WEA am Anlagestandort deshalb nur eingeschränkt wahrnehmbar. Insoweit ist nicht ersichtlich, dass die Erholungseigenschaft der Landschaft durch die Errrichtung der WEA am vorgesehenen Standort beeinträchtigt werden könnte.
98Die Versagung der Befreiung war auch nicht zur Erhaltung des Landschaftsbildes erforderlich. Soweit der Beklagte in diesem Zusammenhang (Seite 6 des Bescheides) auf das für das S. I3. typische vielfältige Landschaftsbild– den Wechsel zwischen großflächigen ackerbaulichen Nutzungen, einzelnen Gehölzreihen, kleinflächigem Grünland und Sonderkulturen mit teilweise heckenartigen Einfassungen – verweist, greift dies nicht durch. Die Ortsbesichtigung hat vielmehr ergeben, dass die Umgebung um den hier streitigen Standort eben nicht die an anderen Stellen des S. I6. typische vielfältige Landschaftsstruktur aufweist. Die Flächen in der Nähe des Anlagenstandortes werden weitgehend flächig landwirtschaftlich genutzt und weder durch einzelne Gehölzstreifen noch durch Bäche oder Sieke unterbrochen. Erst die südlich der E3. Straße gelegene Landschaft weist die für das S. I3. typische vielfältige Landschaftstruktur auf. Sie wird wesentlich von der L1. geprägt, die beidseitig von dichten Gehölzbeständen umgeben ist und sich nach Süden leicht ansteigend in das Sieksytem des I4. - N1. fortsetzt.
99Es kann entgegen der Auffassung des Beklagten (Seite 2) nicht davon ausgegangen werden, dass die Landschaft am Vorhabenstandort wesentlich durch die Landschaftsstruktur südlich der E3. Straße mitgeprägt wird und die Errichtung einer WEA auch dort das Landschaftsbild in einer Weise beeinträchtigt, die die Erteilung einer Befreiung ausschließt. Wie der Beklagte selber einräumt (Seite 3 des Bescheides) befindet sich der Standort im Übergangsbereich zwischen dem nach Norden eher flachen und durch Siedlungen begrenzten Landschaftsraum und dem sich nach Süden öffnenden Landschaftsraum mit dem Tal der C3. . und dem I4. -N2. . Die E3. Straße schneidet diesen Landschaftsraum nicht nur, sondern stellt hier den Übergang in eine wesentlich anders strukturierte Landschaftsform dar. Wie oben bereits dargelegt, fällt das Gelände zur L1. hin steil ab. Durch den beidseitig des Baches vorhandenen Gehölzbewuchs wird der Blick auf den Bereich nördlich der E3. Straße verstellt. Eine dort geplante WEA würde deshalb das das L2. prägende Landschaftsbild nicht beeinträchtigen.
100Im Ergebnis ist der Beklagte deshalb zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Erteilung einer Befreiung Versagungsgründe i.S.d. § 67 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG entgegenstehen. Liegen keine Versagungsgründe i.S.d. § 67 BNatSchG vor, so ist das Ermessen der genehmigenden Behörde regelmäßig dahingehend reduziert, dass die Befreiung zu erteilen ist.
101Vgl. VG Aachen, Urteil vom 07.05.2012 – 6 K 1140/10 –, juris Rn. 119 unter Bezugnahme auf Gatz, a.a.O. Rn. 294.
102cc)
103Dem Vorhaben stehen auch keine von vornherein unüberwindlichen Hindernisse entgegen, deren Prüfung nicht Gegenstand des Vorbescheidsantrages ist. Bei Vorhaben, für die eine allgemeine oder standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalles nach § 3c Sätze 1 oder 2 UVPG erforderlich ist, muss sich die vorläufige Gesamtbeurteilung auch auf die Frage erstrecken, ob für das Vorhaben die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich ist.
104Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20.11.2012 – 8 A 252/10 –, juris Rn. 116.
105Für den Betrieb und die Errichtung (nur) einer WEA – wie hier – bedarf es aber keiner Vorprüfung nach § 3c UVPG, da das Vorhaben nicht UVP-pflichtig ist (vgl. Nr. 1.6 der Anlage 1 zum UVPG).
1062.
107Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf Erteilung eines Vorbescheides, weil ungeachtet dessen, dass die Ablehnung des beantragten Vorbescheides aus den im Bescheid genannten Gründen rechtswidrig war, die Sache nicht spruchreif ist und das Gericht die Spruchreife auch nicht herstellen kann (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
108Lehnt die Genehmigungsbehörde die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ab, liegt der Fall eines „stecken gebliebenen" Genehmigungsverfahrens vor, in dem die Verpflichtung des Gerichts zur Herbeiführung der Spruchreife entfällt, wenn ansonsten im Verwaltungsverfahren noch nicht behandelte komplexe Fragen erstmals im gerichtlichen Verfahren geprüft werden müssten.
109Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 14.04.1989 – 4 C 52/87 –, NVwZ 1990, 257; OVG NRW, Urteile vom 19.06 2007 – 8 A 2677/06 –, NWVBl. 2008, 26, und vom 30.07.2009 – 8 A 2357/08 –, juris.
110Die Grundsätze des „stecken gebliebenen“ Genehmigungsverfahrens gelten auch für immissionsschutzrechtliche Vorbescheide nach § 9 BImSchG.
111Vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 21.04.2010 – 12 LC 9/07 –, juris.
112Das Gericht war im vorliegenden Fall nicht verpflichtet, die Spruchreife der Sache herbeizuführen, weil der Beklagte nicht geprüft hat, ob der Erteilung des Vorbescheides weitere bauplanungsrechtliche Hindernisse entgegenstehen. Es lässt sich insbesondere für das Gericht nicht ohne weitere aufwendige Ermittlungen feststellen, ob bei der Verwirklichung des Vorhabens mit schädlichen Umwelteinwirkungen i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB zu rechnen ist
113Eine Schallimmissions- und Schattenwurfprognose war dem Vorbescheidsantrag nicht beigefügt. Obwohl der Kläger im Rahmen einer Besprechung am 24.02.2012 (BA I Bl. 73) selbst erklärt hatte, dass die Verschiebung des Standortes und die Wahl einer anderen Anlage (E-53 statt E-82) erfolge, da der bisherige Standort wegen der durch die Anlage entstehenden Geräuschimmissionen nicht aufrecht erhalten bleiben könne, legte er in Ergänzung des Antrages betreffend die Errichtung einer E-53 nur einen landschaftspflegerischen Begleitplan von L4. und C5. Landschaftsarchitekten GmbH vom 10.01.2012 vor. Erst in der mündlichen Verhandlung wurde eine Schallimmissions- und Schattenwurfprognose der F1. GmbH vom 05.04.2012 bzw. 12.04.2012 eingereicht.
114Die Prüfung der Schallimmissions- und Schattenwurfprognose obliegt in erster Linie der genehmigenden Behörde. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, die erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen auf ihre fachliche Richtigkeit zu überprüfen. Ungeachtet dessen ist fraglich, ob die Einhaltung der nach der TA Lärm maßgeblichen Immissionsrichtwerte nach der nunmehr vorgelegten Prognose sichergestellt ist. Denn danach (Seite 26) wird zumindest am Wohnhaus des Klägers– dem Immissionsort G – mit 48 dB(A) der nach Nr. 6.1. Buchstabe c TA Lärm maßgebliche Immissionsrecht von 45 dB(A) deutlich überschritten. Ob bei einer Eigenbeschallung ein (erhöhter) Immissionsrichtwert von 48 dB(A) zugrunde gelegt werden kann, ist umstritten und bedarf eingehender Prüfung.
115Vgl. (bejahend) das in der Prognose zitierte Windenergie Handbuch, Seite 28 Fn. 7; a.A.: VG Oldenburg, Urteil vom 26.02.2009 – 5 A 4836/06 –, juris Rn. 27.
116Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Es entspricht billigem Ermessen, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nicht für erstattungsfähig zu erklären, weil sie keinen eigenen Sachantrag gestellt und sich damit nicht am Prozesskostenrisiko beteiligt hat (vgl. §§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO).
117Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO i.V.m. 709 ZPO.
(1) Von den Geboten und Verboten dieses Gesetzes, in einer Rechtsverordnung auf Grund des § 57 sowie nach dem Naturschutzrecht der Länder kann auf Antrag Befreiung gewährt werden, wenn
- 1.
dies aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer und wirtschaftlicher Art, notwendig ist oder - 2.
die Durchführung der Vorschriften im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen würde und die Abweichung mit den Belangen von Naturschutz und Landschaftspflege vereinbar ist.
(2) Von den Verboten des § 33 Absatz 1 Satz 1 und des § 44 sowie von Geboten und Verboten im Sinne des § 32 Absatz 3 kann auf Antrag Befreiung gewährt werden, wenn die Durchführung der Vorschriften im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen würde. Im Fall des Verbringens von Tieren oder Pflanzen aus dem Ausland wird die Befreiung vom Bundesamt für Naturschutz gewährt.
(3) Die Befreiung kann mit Nebenbestimmungen versehen werden. § 15 Absatz 1 bis 4 und Absatz 6 sowie § 17 Absatz 5 und 7 finden auch dann Anwendung, wenn kein Eingriff in Natur und Landschaft im Sinne des § 14 vorliegt.
Tatbestand
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Gründe
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(1) Von den Geboten und Verboten dieses Gesetzes, in einer Rechtsverordnung auf Grund des § 57 sowie nach dem Naturschutzrecht der Länder kann auf Antrag Befreiung gewährt werden, wenn
- 1.
dies aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer und wirtschaftlicher Art, notwendig ist oder - 2.
die Durchführung der Vorschriften im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen würde und die Abweichung mit den Belangen von Naturschutz und Landschaftspflege vereinbar ist.
(2) Von den Verboten des § 33 Absatz 1 Satz 1 und des § 44 sowie von Geboten und Verboten im Sinne des § 32 Absatz 3 kann auf Antrag Befreiung gewährt werden, wenn die Durchführung der Vorschriften im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen würde. Im Fall des Verbringens von Tieren oder Pflanzen aus dem Ausland wird die Befreiung vom Bundesamt für Naturschutz gewährt.
(3) Die Befreiung kann mit Nebenbestimmungen versehen werden. § 15 Absatz 1 bis 4 und Absatz 6 sowie § 17 Absatz 5 und 7 finden auch dann Anwendung, wenn kein Eingriff in Natur und Landschaft im Sinne des § 14 vorliegt.
(1) Im Außenbereich ist ein Vorhaben nur zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen, die ausreichende Erschließung gesichert ist und wenn es
- 1.
einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dient und nur einen untergeordneten Teil der Betriebsfläche einnimmt, - 2.
einem Betrieb der gartenbaulichen Erzeugung dient, - 3.
der öffentlichen Versorgung mit Elektrizität, Gas, Telekommunikationsdienstleistungen, Wärme und Wasser, der Abwasserwirtschaft oder einem ortsgebundenen gewerblichen Betrieb dient, - 4.
wegen seiner besonderen Anforderungen an die Umgebung, wegen seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung oder wegen seiner besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden soll, es sei denn, es handelt sich um die Errichtung, Änderung oder Erweiterung einer baulichen Anlage zur Tierhaltung, die dem Anwendungsbereich der Nummer 1 nicht unterfällt und die einer Pflicht zur Durchführung einer standortbezogenen oder allgemeinen Vorprüfung oder einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt, wobei bei kumulierenden Vorhaben für die Annahme eines engen Zusammenhangs diejenigen Tierhaltungsanlagen zu berücksichtigen sind, die auf demselben Betriebs- oder Baugelände liegen und mit gemeinsamen betrieblichen oder baulichen Einrichtungen verbunden sind, - 5.
der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie nach Maßgabe des § 249 oder der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Wasserenergie dient, - 6.
der energetischen Nutzung von Biomasse im Rahmen eines Betriebs nach Nummer 1 oder 2 oder eines Betriebs nach Nummer 4, der Tierhaltung betreibt, sowie dem Anschluss solcher Anlagen an das öffentliche Versorgungsnetz dient, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben steht in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit dem Betrieb, - b)
die Biomasse stammt überwiegend aus dem Betrieb oder überwiegend aus diesem und aus nahe gelegenen Betrieben nach den Nummern 1, 2 oder 4, soweit letzterer Tierhaltung betreibt, - c)
es wird je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage betrieben und - d)
die Kapazität einer Anlage zur Erzeugung von Biogas überschreitet nicht 2,3 Millionen Normkubikmeter Biogas pro Jahr, die Feuerungswärmeleistung anderer Anlagen überschreitet nicht 2,0 Megawatt,
- 7.
der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken oder der Entsorgung radioaktiver Abfälle dient, mit Ausnahme der Neuerrichtung von Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität, - 8.
der Nutzung solarer Strahlungsenergie dient - a)
in, an und auf Dach- und Außenwandflächen von zulässigerweise genutzten Gebäuden, wenn die Anlage dem Gebäude baulich untergeordnet ist, oder - b)
auf einer Fläche längs von - aa)
Autobahnen oder - bb)
Schienenwegen des übergeordneten Netzes im Sinne des § 2b des Allgemeinen Eisenbahngesetzes mit mindestens zwei Hauptgleisen
- 9.
der Nutzung solarer Strahlungsenergie durch besondere Solaranlagen im Sinne des § 48 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 Buchstabe a, b oder c des Erneuerbare-Energien-Gesetzes dient, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben steht in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit einem Betrieb nach Nummer 1 oder 2, - b)
die Grundfläche der besonderen Solaranlage überschreitet nicht 25 000 Quadratmeter und - c)
es wird je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage betrieben.
(2) Sonstige Vorhaben können im Einzelfall zugelassen werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist.
(3) Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange liegt insbesondere vor, wenn das Vorhaben
- 1.
den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspricht, - 2.
den Darstellungen eines Landschaftsplans oder sonstigen Plans, insbesondere des Wasser-, Abfall- oder Immissionsschutzrechts, widerspricht, - 3.
schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann oder ihnen ausgesetzt wird, - 4.
unwirtschaftliche Aufwendungen für Straßen oder andere Verkehrseinrichtungen, für Anlagen der Versorgung oder Entsorgung, für die Sicherheit oder Gesundheit oder für sonstige Aufgaben erfordert, - 5.
Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege, des Bodenschutzes, des Denkmalschutzes oder die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert beeinträchtigt oder das Orts- und Landschaftsbild verunstaltet, - 6.
Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur beeinträchtigt, die Wasserwirtschaft oder den Hochwasserschutz gefährdet, - 7.
die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt oder - 8.
die Funktionsfähigkeit von Funkstellen und Radaranlagen stört.
(4) Den nachfolgend bezeichneten sonstigen Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 kann nicht entgegengehalten werden, dass sie Darstellungen des Flächennutzungsplans oder eines Landschaftsplans widersprechen, die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen oder die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lassen, soweit sie im Übrigen außenbereichsverträglich im Sinne des Absatzes 3 sind:
- 1.
die Änderung der bisherigen Nutzung eines Gebäudes, das unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nummer 1 errichtet wurde, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben dient einer zweckmäßigen Verwendung erhaltenswerter Bausubstanz, - b)
die äußere Gestalt des Gebäudes bleibt im Wesentlichen gewahrt, - c)
die Aufgabe der bisherigen Nutzung liegt nicht länger als sieben Jahre zurück, - d)
das Gebäude ist vor mehr als sieben Jahren zulässigerweise errichtet worden, - e)
das Gebäude steht im räumlich-funktionalen Zusammenhang mit der Hofstelle des land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs, - f)
im Falle der Änderung zu Wohnzwecken entstehen neben den bisher nach Absatz 1 Nummer 1 zulässigen Wohnungen höchstens fünf Wohnungen je Hofstelle und - g)
es wird eine Verpflichtung übernommen, keine Neubebauung als Ersatz für die aufgegebene Nutzung vorzunehmen, es sei denn, die Neubebauung wird im Interesse der Entwicklung des Betriebs im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 erforderlich,
- 2.
die Neuerrichtung eines gleichartigen Wohngebäudes an gleicher Stelle unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das vorhandene Gebäude ist zulässigerweise errichtet worden, - b)
das vorhandene Gebäude weist Missstände oder Mängel auf, - c)
das vorhandene Gebäude wurde oder wird seit längerer Zeit vom Eigentümer selbst genutzt und - d)
Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des bisherigen Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird; hat der Eigentümer das vorhandene Gebäude im Wege der Erbfolge von einem Voreigentümer erworben, der es seit längerer Zeit selbst genutzt hat, reicht es aus, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird,
- 3.
die alsbaldige Neuerrichtung eines zulässigerweise errichteten, durch Brand, Naturereignisse oder andere außergewöhnliche Ereignisse zerstörten, gleichartigen Gebäudes an gleicher Stelle, - 4.
die Änderung oder Nutzungsänderung von erhaltenswerten, das Bild der Kulturlandschaft prägenden Gebäuden, auch wenn sie aufgegeben sind, wenn das Vorhaben einer zweckmäßigen Verwendung der Gebäude und der Erhaltung des Gestaltwerts dient, - 5.
die Erweiterung eines Wohngebäudes auf bis zu höchstens zwei Wohnungen unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Gebäude ist zulässigerweise errichtet worden, - b)
die Erweiterung ist im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse angemessen und - c)
bei der Errichtung einer weiteren Wohnung rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass das Gebäude vom bisherigen Eigentümer oder seiner Familie selbst genutzt wird,
- 6.
die bauliche Erweiterung eines zulässigerweise errichteten gewerblichen Betriebs, wenn die Erweiterung im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und Betrieb angemessen ist.
(5) Die nach den Absätzen 1 bis 4 zulässigen Vorhaben sind in einer flächensparenden, die Bodenversiegelung auf das notwendige Maß begrenzenden und den Außenbereich schonenden Weise auszuführen. Für Vorhaben nach Absatz 1 Nummer 2 bis 6, 8 Buchstabe b und Nummer 9 ist als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung eine Verpflichtungserklärung abzugeben, das Vorhaben nach dauerhafter Aufgabe der zulässigen Nutzung zurückzubauen und Bodenversiegelungen zu beseitigen; bei einer nach Absatz 1 Nummer 2 bis 6 und 8 Buchstabe b zulässigen Nutzungsänderung ist die Rückbauverpflichtung zu übernehmen, bei einer nach Absatz 1 Nummer 1 oder Absatz 2 zulässigen Nutzungsänderung entfällt sie. Die Baugenehmigungsbehörde soll durch nach Landesrecht vorgesehene Baulast oder in anderer Weise die Einhaltung der Verpflichtung nach Satz 2 sowie nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe g sicherstellen. Im Übrigen soll sie in den Fällen des Absatzes 4 Satz 1 sicherstellen, dass die bauliche oder sonstige Anlage nach Durchführung des Vorhabens nur in der vorgesehenen Art genutzt wird.
(6) Die Gemeinde kann für bebaute Bereiche im Außenbereich, die nicht überwiegend landwirtschaftlich geprägt sind und in denen eine Wohnbebauung von einigem Gewicht vorhanden ist, durch Satzung bestimmen, dass Wohnzwecken dienenden Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 nicht entgegengehalten werden kann, dass sie einer Darstellung im Flächennutzungsplan über Flächen für die Landwirtschaft oder Wald widersprechen oder die Entstehung oder Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lassen. Die Satzung kann auch auf Vorhaben erstreckt werden, die kleineren Handwerks- und Gewerbebetrieben dienen. In der Satzung können nähere Bestimmungen über die Zulässigkeit getroffen werden. Voraussetzung für die Aufstellung der Satzung ist, dass
- 1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar ist, - 2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und - 3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
Gründe
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Aktenzeichen: 22 B 14.1263
Im Namen des Volkes
Urteil
vom 18. September 2015
(VG Regensburg, Entscheidung vom 17. Oktober 2013, Az.: RO 7 K 12.1702)
22. Senat
Sachgebietsschlüssel: 1021
Hauptpunkte:
Immissionsschutzrechtliche Genehmigung für eine Windkraftanlage;
Störung der Funktionsfähigkeit einer Wetterradaranlage;
Entgegenstehen eines öffentlichen Belangs gegen die Verwirklichung eines im Außenbereich privilegierten Vorhabens;
Wirkungsweise eines Wetterradars und deren mögliche Beeinträchtigungen durch Windkraftanlagen;
Beurteilungsspielraum des Deutschen Wetterdienstes (verneint);
Nebenbestimmungen zur immissionsschutzrechtlichen Genehmigung;
Gebot der Verhältnismäßigkeit;
fehlende Spruchreife bei „steckengebliebenem“ Verwaltungsverfahren
Rechtsquellen:
Leitsätze:
In der Verwaltungsstreitsache
...
gegen
... vertreten durch die Landesanwaltschaft ...
- Beklagter -
beigeladen:
1. ... vertreten durch den Verbandsvorsitzenden,
2. Stadt O., vertreten durch den ersten Bürgermeister,
bevollmächtigt: Rechtsanwälte ...
3. ..., endvertreten durch den Vorstand des Deutschen Wetterdienstes,
...
bevollmächtigt: Rechtsanwälte ...
wegen immissionsschutzrechtlicher Genehmigung;
hier: Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg
erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 22. Senat,
durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schenk, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Demling, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Ertl aufgrund mündlicher Verhandlung vom 16. September 2015 am 18. September 2015 folgendes Urteil:
I.
Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg
Im Übrigen werden die Klage und die Berufung zurückgewiesen.
II.
Von den Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen 1/4 die Klägerin, 1/2 der Beklagte und 1/4 die Beigeladene zu 2.
Ihre außergerichtlichen Kosten tragen alle Beigeladenen selbst.
III.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
unter Aufhebung des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg
die Berufung zurückzuweisen.
die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Ein als „Energiepaket“ („puls“ oder „Impuls“) ausgesandtes, auf ein Rotorblatt treffendes Radarsignal kann blockiert („Abschattung“) oder abgelenkt („Reflexion“) und zugleich in seiner Energie geschwächt werden. Handelt es sich um ein „von vorne“ (aus Richtung der Radarantenne) auf das Rotorblatt treffendes, von der Radarantenne ausgesandtes Signal, so ist dieses infolge der geschilderten Beeinflussung durch ein Rotorblatt nahezu verloren. Als Information praktisch wertlos ist auch ein von einem Wetterphänomen (z. B. einem Hagelkorn) reflektiertes und sodann von einem Rotorblatt „getroffenes“ Signal, da durch den Einfluss des Rotorblatts der vom Wetterphänomen vermittelte „Informationsgehalt“ des reflektierten Signals verlorengeht oder verfälscht wird; derart verfälschte Signale werden als „Fehlechos“ bezeichnet. Mit der Blockade oder Verfälschung ausgesandter oder „rückkehrender“ Signale ist zugleich auch eine nachteilige Beeinflussung des Wetterradars verbunden. Innerhalb des Bereichs, der vom Rotor der streitgegenständlichen WKA überstrichen wird, ist die Gewinnung von Informationen aus dem Reflexionsverhalten der ausgesandten Radarsignale, die auf dem empfangenen Radarbild als einzelne Bildpunkte („pixel“) erscheinen, beeinträchtigt. Beeinträchtigt sind hierbei nicht nur diejenigen Radarsignale, die tatsächlich - auf dem „Hin- oder Rückweg“ - auf ein Rotorblatt treffen. Vielmehr ist die Unterscheidung zwischen einerseits solchen Radarsignalen, die von einem „erwünschten Hindernis“ (d. h. einem zu detektierenden Wetterphänomen wie z. B. einem Regentropfen) reflektiert werden, und andererseits den von einem Rotorblatt verfälschten Radarsignalen schwierig. Hierzu trägt insbesondere die vielfache Veränderlichkeit des „Hindernisses Rotorblatt“ bei, dessen Reflexionswirkung nicht nur von Größe, Form und Oberflächenbeschaffenheit („Radarquerschnitt“) des Rotorblatts abhängt, sondern auch von den veränderlichen Parametern Drehgeschwindigkeit, Stellung der Achse (quer, schräg oder parallel zur Radarstrahlrichtung) und Position der in der Neigung verstellbaren Rotorblätter. Insofern ist die Wirkung des Windkraftanlagenrotors auf ein Radarsignal erheblich weniger berechenbar als beispielsweise die Wirkung eines sich nahezu gleichmäßig fortbewegenden festen Gegenstands (z. B. Flugzeug). Außerdem kann ein von einem Rotorblatt „verfälschtes“ Radarsignal einem solchen ähneln, das von einem „erwünschten Hindernis“ (z. B. Regentropfen) stammt. Wegen der geschilderten Wirkungen ist die radarmeteorologische Auswertung der ausgesandten und dann empfangenen Radarsignale zeitlich und räumlich so lange beeinträchtigt, so lange diesen Signalen auf ihrem „Weg von bzw. zu der Antenne“ der vom Rotor der WKA überstrichene Kreis „im Wege steht“; die Beeinträchtigung besteht - von geringen Unschärfebereichen abgesehen - nicht mehr, wenn die sich im Kreis drehende Radarantenne den „Störbereich“ des Rotors verlässt, bis sie nach einer Umdrehung wieder in diesen Bereich eintritt. Die nachteilige Beeinflussung kann zudem nicht ohne Weiteres beseitigt werden. Es gibt keine technische Möglichkeit, durch Abschattung „verloren gegangene“ Signale oder verfälschte Signale (Fehlechos) durch vollständig fehlerfreie Signale zu ersetzen; die innerhalb eines bekannten räumlichen Störbereichs liegenden, nicht verifizierten Signale können allenfalls als „potentiell verfälscht“ aus dem Radarbild entfernt werden. Denn es gibt keinen Algorithmus, der zuverlässig das Echo einer WKA als solches identifizieren kann, und auch kein Korrekturverfahren, mit dem aus der Summe von WKA- und Wetterecho das reine Wetterecho extrahiert werden könnte (so Dr. H. hinsichtlich der Wirkung von WKA auf Wetterradare unter Nr. 2.1 auf S. 10 sowie auf S. 13 des Gutachtens vom 26.10.2014 für das VG Trier). Die durch „verlorene“ oder „verfälschte“ Signale entstehenden Datenlücken können - allerdings mit technischem Aufwand und nur mit begrenzter Wirkung - aus verifizierten „korrekten“ Pixeln ermittelt werden, die dem Bereich der Datenlücke benachbart sind („Interpolation“). Wie Dr. H. in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof weiter erklärt hat, ist die Möglichkeit der Identifizierung von Störsignalen in der Software technisch noch nicht ausgereift; die Lösung, den von der Windkraftanlage gestörten Erfassungsbereich von vornherein aus der Datenerfassung herauszunehmen und die entstandene Lücke durch Interpolation zu schließen, kommt nach seiner Ansicht sinnvoll nur als systematische Lösung für alle Wetterradaranlagen des DWD in Betracht, wogegen eine solche Änderung nur bei einem einzelnen Wetterradar für eine einzelne Windkraftanlage wegen des damit verbundenen Aufwands unvernünftig sei. Der Verwaltungsgerichtshof erachtet deswegen im vorliegenden Fall auch die vom Verwaltungsgericht Trier im Urteil vom 23. März 2015 - 6 K 869/14.TR - (UA S. 24) für das dort beeinträchtigte Wetterradar für zumutbar erachtete Weiterentwicklung der Datenverarbeitung seitens des DWD nicht als gangbaren Weg zur Behebung der hier gegebenen - wenn auch geringfügigen - Störung der Funktionsfähigkeit des Wetterradars.
„Das Berufungsgericht … hat ferner im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausgeführt, dass der Bundeswehr bei der Entscheidung, was zur Erfüllung ihrer hoheitlichen Verteidigungsaufgaben zwingend notwendig ist, ein verteidigungspolitischer Beurteilungsspielraum zusteht und es den militärischen Überlegungen zu überlassen ist, wann und in welchem Umfang ein Tiefflugbetrieb im Einzelfall nach Maßgabe der konkreten Verhältnisse durchgeführt wird (vgl. hierzu Urteil vom 14. Dezember 1994 - BVerwG
„Tiefflüge dienen dem Verteidigungsauftrag der Bundeswehr und sind damit hoheitlicher Natur. Ob sie zwingend notwendig sind, ist verwaltungsgerichtlich nur begrenzt nachprüfbar. Mit Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG, wonach der Bund Streitkräfte zur Verteidigung aufstellt, hat der Verfassungsgeber nämlich zugleich eine Grundentscheidung für die militärische Landesverteidigung getroffen. Welche Maßnahmen zur Konkretisierung dieses Verfassungsauftrags erforderlich sind, haben nach der gewaltenteilenden Verfassungsordnung des Grundgesetzes der Gesetzgeber und die für das Verteidigungswesen zuständigen Organe des Bundes zu entscheiden. Dabei handeln sie weitgehend nach politischen Erwägungen und in eigener Verantwortung“.
Vorliegend befindet sich die Antenne der Wetterradaranlage auf dem „Eisberg“ auf einer Höhe von 799 m üNN. Die streitgegenständliche WKA hat ihre maximale (also bei senkrecht stehendem obersten Rotorblatt gemessene) absolute Höhe bei 827,9 m üNN. Die Wirkungsweise der Wetterradare im Radarverbund des DWD ist (nach einer inzwischen abgeschlossenen, in den Jahren 2014 und 2015 erfolgten Umrüstung und Modernisierung) folgendermaßen (vgl. z. B. Schriftsatz des DWD vom 27.8.2015):
Gemäß dem vom DWD bei seinen Radaranlagen angewandten Funktionsprinzip dreht sich die Radarantenne fortwährend im Kreis und sendet hierbei Radarsignale aus bzw. empfängt reflektierte Signale. Die Umdrehungen („scans“) erfolgen jeweils mit unterschiedlicher Neigung der Antenne in einem vorbestimmten, in Grad angegebenen vertikalen „Elevationswinkel“ gegenüber einer als Tangente zur Erdoberfläche gedachten waagrechten Linie, die mit dem vertikalen Winkelgrad 0° definiert ist. Der von der Antenne ausgesandte Radarstrahl weitet sich mit zunehmender Entfernung auf (prinzipiell wie der Lichtstrahl einer Taschenlampe, jedoch in weit geringerem Ausmaß, nämlich mit einem „Öffnungswinkel“ von je 0,5° beidseits der Strahlmitte). Die Mitte des auf der niedrigsten Umdrehung ausgesandten Radarstrahls hat während der gesamten Umdrehung der Antenne (um 360° horizontal) einen Elevationswinkel von 0,5°; bei diesem Winkel liegt infolge der Strahlaufweitung die „Unterkante“ des Strahls etwa in der Waagrechten. Weitere 9 scans auf jeweils gleichbleibender Höhe finden in größeren Elevationswinkeln bis zu 25° statt. Die genannten 10 scans bilden zusammen den sogenannten „Volumenscan“, der infolge der stufenweisen Abtastung des Luftraums in der Horizontalen, der Vertikalen und der Raumtiefe (Reichweite des Radarstrahls, je nach Art des scans bis zu 260 km) als Ergebnis dreidimensionale Bilder (daher der Begriff „Volumenscan“) liefert. Die einzelnen Volumenscans auf verschiedenen Elevationen erfolgen nicht alle fortlaufend (von „unten nach oben“ oder umgekehrt), sondern nach einem von der fortlaufenden Zählung abweichenden Schema, das sich alle 5 Minuten wiederholt. Unterbrochen wird das gesamte zehnstufige Volumenscanprogramm von einem gleichfalls alle 5 Minuten vorgenommenen zusätzlichen besonderen scan-Umlauf („precipscan“ oder „Niederschlagsscan“), bei dem sich die Radarantenne allerdings nicht auf gleichbleibender Höhe dreht, sondern dem Verlauf des Horizonts am Standort der jeweiligen Radaranlage folgt (also z. B. Bergen und Ebenen, wobei punktuelle Hindernisse wie einzelne Bauwerke allerdings außer Acht bleiben) und sich beim Wetterradar „Eisberg“ zwischen den Elevationswinkeln 0,8° und 1,2° bewegt. Je nach dem, mit der Wetterbeobachtung verfolgten Ziel, hat die Abtastung des Luftraums in geringerer oder in größerer Höhe Bedeutung; nach übereinstimmenden Angaben aller Beteiligten und der Sachverständigen sind indes der unterste Volumenscan (Elevationswinkel 0,5°) und der Niederschlagsscan (0,8° bis 1,2°) besonders wichtig für die Wetterbeobachtung und die „Warnprodukte“ des DWD. Der Bereich der bei einer Radarantenne in eine Richtung ausgesandten Maximalenergie elektromagnetischer Strahlung - bzw. beim Empfang reflektierter Signale der Bereich maximaler Empfindlichkeit - hat die Form einer lang gezogenen Keule („Hauptkeule“). Aufgrund der physikalischen Tatsache, dass eine Radarantenne einen Teil der Energie in alle Richtungen sendet bzw. aus diesen Richtungen empfängt, befinden sich kugelförmig um die Hauptkeule „Nebenkeulen“, deren Strahlungsenergie bzw. Empfindlichkeit allerdings wesentlich geringer ist als in der Hauptkeule, geringer ist daher auch ihre Wichtigkeit für das Wetterradar. Vorliegend befinden sich zwischen der Radarantenne auf dem „Eisberg“ und dem Rotor der geplanten WKA kein Berg und kein anderes Hindernis für einen ausgesandten Radarstrahl oder ein reflektiertes Radarsignal; ausgesandte Radarstrahlen treffen daher als „erstes Hindernis“ auf den Rotorbereich der streitgegenständlichen WKA. Bei Verwirklichung des strittigen Vorhabens würde ein senkrecht stehendes oberstes Rotorblatt der WKA auf einer Länge von etwa 19 m (nach unterschiedlichen Berechnungen der Beteiligten knapp 19 m oder fast 20 m) in die Hauptkeule des (am Standort der WKA aufgeweiteten) Radarstrahls des untersten Volumenscans (0,5°) hineinragen; dieser wäre nach übereinstimmendem Vortrag der Beteiligten von der „Hinderniswirkung“ des Rotors in seiner Hauptkeule und den Nebenkeulen betroffen, während der oberhalb des untersten Volumenscans durchgeführte Niederschlagsscan nur in der unteren Nebenkeule betroffen wäre (die Haupt- und die Nebenkeulen benachbarter - höher oder tiefer geführter - scans können sich überschneiden). Scans der Radarantenne mit höheren Elevationswinkeln als 1,2° würden dagegen durch die WKA nicht beeinträchtigt, da ihr Radarstrahl oberhalb des Rotorbereichs liegt. Radarsignalpulse, die den vom Rotor der geplanten WKA überstrichenen Bereich passieren oder in diesem räumlichen Bereich blockiert oder vom Rotor verfälscht würden, würden vorliegend somit zu Datenlücken im Radarbild führen.
Nach § 139 VwGO kann die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) eingelegt werden. Die Revision muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. Sie ist spätestens innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist beim Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig (Postfachanschrift: Postfach 10 08 54, 04008 Leipzig), einzureichen. Die Revisionsbegründung muss einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen angeben, die den Mangel ergeben.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.
Beschluss vom 22. Oktober 2015:
I.
Das Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 270.000 € festgesetzt.
II.
Unter Änderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg
Gründe:
Die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG, die Änderung des Streitwerts für das erstinstanzliche Verfahren auf § 52 Abs. 1, § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG. Der Verwaltungsgerichtshof orientiert sich in ständiger Rechtsprechung an der Empfehlung unter Nr. 19.1.2 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und hält bei einer Verpflichtungsklage auf Genehmigung von WKA in ständiger Rechtsprechung (vgl. BayVGH, B.v. 1.12.2014 - 22 C 14.1595 - juris) als Streitwert 10% der geschätzten Herstellungskosten für angemessen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs kann aus Vereinfachungsgründen grundsätzlich von den Angaben ausgegangen werden, die der Anlagenbetreiber in seinem Genehmigungsantrag zur Höhe der Herstellungskosten gemacht hat; die Mehrwertsteuer braucht nicht hinzugerechnet zu werden (BayVGH, B.v. 6.10.2015 - 22 C 15.1332 und -.1333 sowie B.v. 19.8.2014 - 22 CS 15.1585). Vorliegend hat die Klägerin in ihrer E-Mail vom 31. Juli 2012 (Bl. 791 der Behördenakte) die „Investitionskosten“ mit netto 2.713.500 € beziffert; der Sache nach handelt es sich bei den in der Berechnung aufgeführten Einzelpositionen allerdings nur um solche, die zu den Herstellungskosten gehören. Die Beteiligten, die in der mündlichen Verhandlung zur Streitwertfestsetzung befragt wurden, haben keine zusätzlichen Angaben gemacht. Deshalb erscheint es angemessen, von der genannten Summe auszugehen und hiervon - gerundet - 10% und somit 270.000 € als Streitwert festzusetzen.
(1) Im Außenbereich ist ein Vorhaben nur zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen, die ausreichende Erschließung gesichert ist und wenn es
- 1.
einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dient und nur einen untergeordneten Teil der Betriebsfläche einnimmt, - 2.
einem Betrieb der gartenbaulichen Erzeugung dient, - 3.
der öffentlichen Versorgung mit Elektrizität, Gas, Telekommunikationsdienstleistungen, Wärme und Wasser, der Abwasserwirtschaft oder einem ortsgebundenen gewerblichen Betrieb dient, - 4.
wegen seiner besonderen Anforderungen an die Umgebung, wegen seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung oder wegen seiner besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden soll, es sei denn, es handelt sich um die Errichtung, Änderung oder Erweiterung einer baulichen Anlage zur Tierhaltung, die dem Anwendungsbereich der Nummer 1 nicht unterfällt und die einer Pflicht zur Durchführung einer standortbezogenen oder allgemeinen Vorprüfung oder einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt, wobei bei kumulierenden Vorhaben für die Annahme eines engen Zusammenhangs diejenigen Tierhaltungsanlagen zu berücksichtigen sind, die auf demselben Betriebs- oder Baugelände liegen und mit gemeinsamen betrieblichen oder baulichen Einrichtungen verbunden sind, - 5.
der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie nach Maßgabe des § 249 oder der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Wasserenergie dient, - 6.
der energetischen Nutzung von Biomasse im Rahmen eines Betriebs nach Nummer 1 oder 2 oder eines Betriebs nach Nummer 4, der Tierhaltung betreibt, sowie dem Anschluss solcher Anlagen an das öffentliche Versorgungsnetz dient, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben steht in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit dem Betrieb, - b)
die Biomasse stammt überwiegend aus dem Betrieb oder überwiegend aus diesem und aus nahe gelegenen Betrieben nach den Nummern 1, 2 oder 4, soweit letzterer Tierhaltung betreibt, - c)
es wird je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage betrieben und - d)
die Kapazität einer Anlage zur Erzeugung von Biogas überschreitet nicht 2,3 Millionen Normkubikmeter Biogas pro Jahr, die Feuerungswärmeleistung anderer Anlagen überschreitet nicht 2,0 Megawatt,
- 7.
der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken oder der Entsorgung radioaktiver Abfälle dient, mit Ausnahme der Neuerrichtung von Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität, - 8.
der Nutzung solarer Strahlungsenergie dient - a)
in, an und auf Dach- und Außenwandflächen von zulässigerweise genutzten Gebäuden, wenn die Anlage dem Gebäude baulich untergeordnet ist, oder - b)
auf einer Fläche längs von - aa)
Autobahnen oder - bb)
Schienenwegen des übergeordneten Netzes im Sinne des § 2b des Allgemeinen Eisenbahngesetzes mit mindestens zwei Hauptgleisen
- 9.
der Nutzung solarer Strahlungsenergie durch besondere Solaranlagen im Sinne des § 48 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 Buchstabe a, b oder c des Erneuerbare-Energien-Gesetzes dient, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben steht in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit einem Betrieb nach Nummer 1 oder 2, - b)
die Grundfläche der besonderen Solaranlage überschreitet nicht 25 000 Quadratmeter und - c)
es wird je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage betrieben.
(2) Sonstige Vorhaben können im Einzelfall zugelassen werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist.
(3) Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange liegt insbesondere vor, wenn das Vorhaben
- 1.
den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspricht, - 2.
den Darstellungen eines Landschaftsplans oder sonstigen Plans, insbesondere des Wasser-, Abfall- oder Immissionsschutzrechts, widerspricht, - 3.
schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann oder ihnen ausgesetzt wird, - 4.
unwirtschaftliche Aufwendungen für Straßen oder andere Verkehrseinrichtungen, für Anlagen der Versorgung oder Entsorgung, für die Sicherheit oder Gesundheit oder für sonstige Aufgaben erfordert, - 5.
Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege, des Bodenschutzes, des Denkmalschutzes oder die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert beeinträchtigt oder das Orts- und Landschaftsbild verunstaltet, - 6.
Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur beeinträchtigt, die Wasserwirtschaft oder den Hochwasserschutz gefährdet, - 7.
die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt oder - 8.
die Funktionsfähigkeit von Funkstellen und Radaranlagen stört.
(4) Den nachfolgend bezeichneten sonstigen Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 kann nicht entgegengehalten werden, dass sie Darstellungen des Flächennutzungsplans oder eines Landschaftsplans widersprechen, die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen oder die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lassen, soweit sie im Übrigen außenbereichsverträglich im Sinne des Absatzes 3 sind:
- 1.
die Änderung der bisherigen Nutzung eines Gebäudes, das unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nummer 1 errichtet wurde, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben dient einer zweckmäßigen Verwendung erhaltenswerter Bausubstanz, - b)
die äußere Gestalt des Gebäudes bleibt im Wesentlichen gewahrt, - c)
die Aufgabe der bisherigen Nutzung liegt nicht länger als sieben Jahre zurück, - d)
das Gebäude ist vor mehr als sieben Jahren zulässigerweise errichtet worden, - e)
das Gebäude steht im räumlich-funktionalen Zusammenhang mit der Hofstelle des land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs, - f)
im Falle der Änderung zu Wohnzwecken entstehen neben den bisher nach Absatz 1 Nummer 1 zulässigen Wohnungen höchstens fünf Wohnungen je Hofstelle und - g)
es wird eine Verpflichtung übernommen, keine Neubebauung als Ersatz für die aufgegebene Nutzung vorzunehmen, es sei denn, die Neubebauung wird im Interesse der Entwicklung des Betriebs im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 erforderlich,
- 2.
die Neuerrichtung eines gleichartigen Wohngebäudes an gleicher Stelle unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das vorhandene Gebäude ist zulässigerweise errichtet worden, - b)
das vorhandene Gebäude weist Missstände oder Mängel auf, - c)
das vorhandene Gebäude wurde oder wird seit längerer Zeit vom Eigentümer selbst genutzt und - d)
Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des bisherigen Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird; hat der Eigentümer das vorhandene Gebäude im Wege der Erbfolge von einem Voreigentümer erworben, der es seit längerer Zeit selbst genutzt hat, reicht es aus, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird,
- 3.
die alsbaldige Neuerrichtung eines zulässigerweise errichteten, durch Brand, Naturereignisse oder andere außergewöhnliche Ereignisse zerstörten, gleichartigen Gebäudes an gleicher Stelle, - 4.
die Änderung oder Nutzungsänderung von erhaltenswerten, das Bild der Kulturlandschaft prägenden Gebäuden, auch wenn sie aufgegeben sind, wenn das Vorhaben einer zweckmäßigen Verwendung der Gebäude und der Erhaltung des Gestaltwerts dient, - 5.
die Erweiterung eines Wohngebäudes auf bis zu höchstens zwei Wohnungen unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Gebäude ist zulässigerweise errichtet worden, - b)
die Erweiterung ist im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse angemessen und - c)
bei der Errichtung einer weiteren Wohnung rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass das Gebäude vom bisherigen Eigentümer oder seiner Familie selbst genutzt wird,
- 6.
die bauliche Erweiterung eines zulässigerweise errichteten gewerblichen Betriebs, wenn die Erweiterung im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und Betrieb angemessen ist.
(5) Die nach den Absätzen 1 bis 4 zulässigen Vorhaben sind in einer flächensparenden, die Bodenversiegelung auf das notwendige Maß begrenzenden und den Außenbereich schonenden Weise auszuführen. Für Vorhaben nach Absatz 1 Nummer 2 bis 6, 8 Buchstabe b und Nummer 9 ist als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung eine Verpflichtungserklärung abzugeben, das Vorhaben nach dauerhafter Aufgabe der zulässigen Nutzung zurückzubauen und Bodenversiegelungen zu beseitigen; bei einer nach Absatz 1 Nummer 2 bis 6 und 8 Buchstabe b zulässigen Nutzungsänderung ist die Rückbauverpflichtung zu übernehmen, bei einer nach Absatz 1 Nummer 1 oder Absatz 2 zulässigen Nutzungsänderung entfällt sie. Die Baugenehmigungsbehörde soll durch nach Landesrecht vorgesehene Baulast oder in anderer Weise die Einhaltung der Verpflichtung nach Satz 2 sowie nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe g sicherstellen. Im Übrigen soll sie in den Fällen des Absatzes 4 Satz 1 sicherstellen, dass die bauliche oder sonstige Anlage nach Durchführung des Vorhabens nur in der vorgesehenen Art genutzt wird.
(6) Die Gemeinde kann für bebaute Bereiche im Außenbereich, die nicht überwiegend landwirtschaftlich geprägt sind und in denen eine Wohnbebauung von einigem Gewicht vorhanden ist, durch Satzung bestimmen, dass Wohnzwecken dienenden Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 nicht entgegengehalten werden kann, dass sie einer Darstellung im Flächennutzungsplan über Flächen für die Landwirtschaft oder Wald widersprechen oder die Entstehung oder Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lassen. Die Satzung kann auch auf Vorhaben erstreckt werden, die kleineren Handwerks- und Gewerbebetrieben dienen. In der Satzung können nähere Bestimmungen über die Zulässigkeit getroffen werden. Voraussetzung für die Aufstellung der Satzung ist, dass
- 1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar ist, - 2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und - 3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
(1) Im Sinne dieses Gesetzes sind
- 1.
Erfordernisse der Raumordnung: Ziele der Raumordnung, Grundsätze der Raumordnung und sonstige Erfordernisse der Raumordnung; - 2.
Ziele der Raumordnung: verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Raumordnung abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums; - 3.
Grundsätze der Raumordnung: Aussagen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums als Vorgaben für nachfolgende Abwägungs- oder Ermessensentscheidungen; Grundsätze der Raumordnung können durch Gesetz oder als Festlegungen in einem Raumordnungsplan aufgestellt werden; - 4.
sonstige Erfordernisse der Raumordnung: in Aufstellung befindliche Ziele der Raumordnung, Ergebnisse förmlicher landesplanerischer Verfahren wie des Raumordnungsverfahrens und landesplanerische Stellungnahmen; - 5.
öffentliche Stellen: Behörden des Bundes und der Länder, kommunale Gebietskörperschaften, bundesunmittelbare und die der Aufsicht eines Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts; - 6.
raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen: Planungen einschließlich der Raumordnungspläne, Vorhaben und sonstige Maßnahmen, durch die Raum in Anspruch genommen oder die räumliche Entwicklung oder Funktion eines Gebietes beeinflusst wird, einschließlich des Einsatzes der hierfür vorgesehenen öffentlichen Finanzmittel; - 7.
Raumordnungspläne: zusammenfassende, überörtliche und fachübergreifende Pläne nach den §§ 13 und 17.
(2) Werden die Begriffe nach Absatz 1 Nr. 1 bis 4 in anderen Bundesgesetzen verwandt, sind sie, soweit sich aus diesen Bundesgesetzen nicht etwas anderes ergibt, im Sinne von Absatz 1 auszulegen.
(1) Bei der Aufstellung von Raumordnungsplänen ist von der für den Raumordnungsplan zuständigen Stelle eine Umweltprüfung durchzuführen, in der die voraussichtlichen erheblichen Auswirkungen des Raumordnungsplans auf
- 1.
Menschen, einschließlich der menschlichen Gesundheit, Tiere, Pflanzen und die biologische Vielfalt, - 2.
Fläche, Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft, - 3.
Kulturgüter und sonstige Sachgüter sowie - 4.
die Wechselwirkung zwischen den vorgenannten Schutzgütern
(2) Bei geringfügigen Änderungen von Raumordnungsplänen kann von einer Umweltprüfung abgesehen werden, wenn durch eine überschlägige Prüfung unter Berücksichtigung der in Anlage 2 genannten Kriterien festgestellt wurde, dass sie voraussichtlich keine erheblichen Umweltauswirkungen haben werden. Diese Prüfung ist unter Beteiligung der öffentlichen Stellen, deren umwelt- und gesundheitsbezogener Aufgabenbereich von den Umweltauswirkungen des Raumordnungsplans berührt werden kann, durchzuführen. Sofern festgestellt wurde, dass keine erheblichen Umweltauswirkungen zu erwarten sind, sind die zu diesem Ergebnis führenden Erwägungen in die Begründung des Plans aufzunehmen.
(3) Die Umweltprüfung soll bei der Aufstellung eines Raumordnungsplans auf zusätzliche oder andere erhebliche Umweltauswirkungen beschränkt werden, wenn in anderen das Plangebiet ganz oder teilweise umfassenden Plänen oder Programmen bereits eine Umweltprüfung nach Absatz 1 durchgeführt wurde. Die Umweltprüfung kann mit anderen Prüfungen zur Ermittlung oder Bewertung von Umweltauswirkungen verbunden werden.
(4) Die erheblichen Auswirkungen der Durchführung der Raumordnungspläne auf die Umwelt sind auf Grundlage der in der zusammenfassenden Erklärung nach § 10 Abs. 3 genannten Überwachungsmaßnahmen von der in den Landesplanungsgesetzen genannten Stelle, oder, sofern Landesplanungsgesetze keine Regelung treffen, von der für den Raumordnungsplan zuständigen oder der im Raumordnungsplan bezeichneten öffentlichen Stelle zu überwachen, um insbesondere unvorhergesehene nachteilige Auswirkungen frühzeitig zu ermitteln und um in der Lage zu sein, geeignete Maßnahmen zur Abhilfe zu ergreifen. Die in ihren Belangen berührten öffentlichen Stellen unterrichten die öffentliche Stelle nach Satz 1, sofern nach den ihnen vorliegenden Erkenntnissen die Durchführung des Raumordnungsplans erhebliche, insbesondere unvorhergesehene nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt hat.
(5) Das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung Vorgaben zu erlassen zur Berücksichtigung von artenschutzrechtlichen Belangen im Rahmen der Umweltprüfung bei der Aufstellung von Raumordnungsplänen. Sofern dabei auch Fragen der Windenergie an Land berührt sind, sind die Vorgaben auch im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz zu erlassen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
G l i e d e r u n g
2T a t b e s t a n d…………………………………………………………….…………..7
3E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e…………………………………………………….49
4A. Zulässigkeit……………………………………………………….………………….49
5B. Begründetheit…………………………………………………….………………….51
6I. Vorbescheid………………………………………………………….…………….51
71. Rechtsgrundlagen…………………………………………………………...52
82. Immissionsschutzrecht……………………………………………………...55
9a) Rechtsgrundlagen………………………………………………………..55
10b) Plausibilität der Immissionsprognose………………………………….59
11aa) Volllastbetrieb als ungünstigster Betriebszustand……………….59
12bb) Diffuse Quellen………………………………………………………60
13cc) Emissionen…………………………………………………………...61
14(1) Transferfaktoren…………………………………………………61
15(2) Elementares und oxidiertes Quecksilber…………………..…61
16(3) Emissionswerte……………………………………………….…62
17(4) Emissionsmassenströme……………………………………… 63
18(5) Überwachung der festgelegten Emissionen………………….63
19(6) Hilfsdampferzeugungsanlage………………………………….63
20dd) Ausbreitungsrechnung……………………………………………...64
21(1) Durchmischung von Rauchgas und Kühlturmabluft………...64
22(2) Abgasvolumenstrom………………………….…………………65
23(3) Austrittstemperatur und -geschwindigkeit………………….…65
24(4) Abluftfahnenüberhöhung……………………………………….66
25(5) Depositionsgeschwindigkeit bei Quecksilber und Ammoniak 66
26(6) Nasse Deposition von Quecksilber……………………………67
27(7) Synthetische Windrosen………………………………………..67
28(8) Meteorologische Messdaten…………………………………...67
29(9) Niederschlagszeitreihe………………………………………….69
30(10) Gebäudeeinflüsse……………………………………………..70
31(11) Statistische Unsicherheit……………...……………………...70
32(12) Gefasste Kleinquellen…………………………………………71
33(13) Ableitung über Kühlturm ……………………………………..71
34c) Luftverunreinigungen…………………………………………………….72
35aa) Irrelevanzschwelle nach Nr. 4.2.2 TA Luft………………………..72
36bb) Irrelevanzschwelle nach Nr. 4.3.2 TA Luft………………………..76
37cc) Irrelevanzschwelle nach Nr. 4.4.3 TA Luft………………………..77
38dd) Irrelevanzschwelle nach Nr. 4.5.2 TA Luft………………………..77
39ee) Schadstoffe ohne Immissionswerte in der TA Luft………………78
40d) Freisetzung radioaktiver Stoffe…………………………………………82
41e) Anlagensicherheit (Störfallverordnung)………………………………..83
42aa) Erweiterte Betreiberpflichten ………………………………………84
43bb) Grundpflichten ………………………………………………………84
44(1) Ammoniaklager………………………………………………….86
45(2) Entladung der Bahnwaggons…………………………………..88
46(3) Gasleitung………………………………………………………..88
47(4) Brandgefahr……………………………………………………...88
48(5) Ungewöhnliche Naturereignisse……………………………….89
49(6) Gefahren durch Eingriffe Unbefugter………………………….89
50cc) Sonstige Anforderungen…………………………………………….90
513. (Bau-)Planungsrecht………………………………………………………..90
52a) Wirksamkeit des Bebauungsplans……………………………………..91
53aa) Anpassungsgebot des § 1 Abs. 4 BauGB………………………..91
54(1) Landesentwicklungsplan NRW………………………………..92
55(2) Regionalplan 2004……………………………………………...95
56(3) Gebietsentwicklungsplan 1984/88…………………………….96
57bb) Entwicklungsgebot des § 8 Abs. 2 BauGB……………………….96
58cc) Abwägungsgebot…………………………………………………….97
59(1) Keine Abwägungsmängel………………………………………97
60(2) Unbeachtlichkeit von Abwägungsmängeln………………….101
61dd) Funktionslosigkeit des Bebauungsplans………………………...101
62ee) Umweltprüfungen…………………………………………………..103
63(1) Keine Pflicht bei Planaufstellung……………………………..103
64(a) Strategische Umweltprüfung…………………………….103
65(b) Umweltverträglichkeitsprüfung…………………………..104
66(c) FFH-Verträglichkeitsprüfung……………………………..105
67(2) Keine nachträgliche Pflicht aus Unionsrecht………………..105
68ff) Kein weitergehendes Planungserfordernis……………………….108
69b) Vereinbarkeit des Vorhabens mit Bebauungsplan………………….111
70aa) Art der baulichen Nutzung………………………………………..110
71bb) Befreiungen nach § 31 Abs. 2 BauGB…………………………..112
72(1) Maß der baulichen Nutzung…………………………………..112
73(2) Baugrenzen………………………………….…………………113
744. Artenschutzrecht…………………………………………………………..114
755. Umweltverträglichkeitsprüfung……………………………………………114
766. FFH-Verträglichkeitsprüfung……………………………………………...117
77a) Prüfungsmaßstab……………………………………………………….117
78aa) Projektbegriff……………………………………………………….118
79bb) „Erhebliche Beeinträchtigungen“…………………………………119
80(1) Allgemeiner Maßstab………………………………………….120
81(2) Vorsorgeprinzip………………………………………………...121
82cc) Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten………..125
83(1) Grundsatz………………………………………………………125
84(2) Konkretisierung………………………………………………...126
85(a) Prioritätsprinzip…………………………………………....126
86(b) „Prüffähiger Antrag“ maßgebend………………………..128
87(c) Gesicherte Vorrangstellung………………………………130
88(d) Vorrangstellung bei Drittanfechtung…………………….131
89(e) Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt……………………131
90(f) Kompensationen…………………………………………..132
91dd) Erheblichkeitsschwelle…………………………………………….132
92ee) Konzept der Critical Loads………………………………………..135
93(1) UN-ECE-Luftreinhaltekonvention…………………………….135
94(2) Naturwissenschaftlich begründete Belastungsgrenzen……135
95(3) Ermittlungsarten………………………………………………..136
96(a) Dynamische Modelle (DECOMP)……………………….136
97(b) Steady-State-Ansatz (SMB)……………………………..136
98(c) BERN-Modell/Critical Limits……………………………...137
99(d) Sonderfallprüfung ……………………………………..….139
100(e) BASt-Bericht……………………………………………….140
101(f) Grundsätzliche Eignung der CL………………………….141
102ff) Bagatellschwelle…………………………………………………….144
103gg) Abschneidekriterium……………………………………………….147
104(1) BASt-Bericht……………………………………………………147
105(2) LANUV………………………………………………………….148
106(3) BVerwG…………………………………………………………149
107(4) Literatur…………………………………………………………150
108(5) Beteiligte………………………………………………………..151
109(6) Zulässigkeit und Rechtfertigung des Abschneidekriteriums 151
110(a) Abgrenzung des Untersuchungsraums…………………152
111(b) Rechtliche Zurechnung/Verhältnismäßigkeits-
112grundsatz…………………………………………………...152
113(7) Schutzgutbezogene Festlegung……………………………...152
114(8) Abschneidekriterium: 0,5 % des CL………………………….153
115(a) BASt-Wert zu hoch………………………………………..154
116(b) Kritik des LANUV…………………………………………..155
117(c) Anbindung an konkrete Lebensraumtypen……………..155
118(d) 0,05 kg N/(ha*a) als untere Grenze……………………..156
119(e) Ausnahmevorbehalt……………………………………….158
120(9) Praktikabilität……………………………………………………158
121(10) Abschneidekriterium bei versauernden Einträgen………..159
122hh) Abweichungsprüfung………………………………………………161
123b) Subsumtion……………………………………………………………...161
124aa) Erhaltungsziele der betroffenen Schutzgebiete…………………161
125(1) Wälder bei Cappenberg……………………………………….162
126(2) Lippeauen…………………………………………….…………163
127bb) Keine erheblichen Beeinträchtigungen…………………………..164
128(1) Größe des Rechengebiets…………………………………….165
129(2) Untersuchungsrahmen………………………………………..166
130(a) Abschneidewerte für eutrophierende und versauernde
131Einträge…………………………………………………….166
132(b) Abschneidewerte für Schwermetalldepositionen……...166
133(c) Abschneidewerte für Luftschadstoffe…………………..168
134(3) Auswahl der Beurteilungspunkte…………………………….170
135(4) CL für eutrophierende Stickstoffeinträge……………………171
136(5) CL für versauernde Stickstoff- und Schwefeleinträge……..172
137(a) Austrag basischer Kationen mit der Nutzung………….173
138(b) Stickstoff-Immobilisierungsrate u. a…………………….173
139(c) Niederschlagsmenge u. a………………………………..174
140(d) Indikatorgesellschaften…………………………………..175
141(e) Depositionen von basischen Kationen und Chlorid
142(Korrekturbedarf)………………………………………….176
143(f) Verwitterungsrate basischer Kationen (Korrekturbedarf)………………………………………….178
144(g) Keine irreversible Schädigung der Böden……………...179
145(h) Kein Einfluss durch Kalkung……………………………..182
146(i) CL des PINETI-Vorhabens………………………………..182
147(j) Korrigierte CL……………………………………………….183
148(6) Vorbelastung…………………………………………………...184
149(7) Summationsbetrachtung/Prioritätsprinzip………………...…185
150(a) Kraftwerk Datteln 4………………………………………..186
151(b) Tierhaltungsanlagen………………………………………187
152(c) Steag-Kraftwerk Herne Block 5………………………….188
153(d) B. AG Lünen……………………………….………………188
154(e) Biomassekraftwerk Lünen………………………………..189
155(f) Sonstige Projekte………………………………………….189
156(8) Teilweise Überschreitung der Bagatellschwellen…………..190
157(a) Ausbreitungsrechnungen………………………………...191
158(b) Datteln 1-3…………………………………………………193
159(c) Depositionsgeschwindigkeit für SO2…………………….193
160(d) Ausfälle der Rauchgasreinigungsanlage…………….….194 (e) Ammoniakemissionsfaktoren der Tierhaltungs-
161anlagen…..………………………………………………...195
162(f) Eutrophierende Stickstoffdepositionen (Ergebnis)……..195
163(g) Versauernde Stoffeinträge (Ergebnis)…………………..197
164(9) Sonderfallprüfung……………………………………………...200
165(a) Überwiegend günstiger Erhaltungszustand der
166Lebensraumtypen………………………………………...201
167(b) Besonderheiten des Standorts…………………………..202
168(aa) Hydroregime…………………………………………202
169(bb) Basenpumpe………………………………………...205
170(c) Keine Beeinträchtigung durch zusätzliche
171Säuredeposition…………………………………………...213
172(10) Aquatische Lebensraumtypen……………………………...214
173(11) Radioaktive Immissionen……………………………………216
1747. Wasserrecht………………………………………………………………..216
175a) Direkter Schadstoffeintrag in die Lippe über den Wasserpfad…….217
176b) Indirekter Schadstoffeintrag in die Lippe über den Luftpfad……….223
177c) Abwasserbehandlungsanlage…………………………………………225
1788. Berechtigtes Interesse an Vorbescheidserteilung……………………...226
179II. Erste und siebte Teilgenehmigung……………………………………………226
180S t r e i t w e r t b e s c h l u s s……………………………………………………..228
181T a t b e s t a n d :
182Der Kläger, ein seit 1981 anerkannter Naturschutzverein, begehrt die Aufhebung des Vorbescheids vom 20. November 2013, der 1. Teilgenehmigung vom 21. November 2013 und der 7. Teilgenehmigung vom 22. November 2013 für den Neubau eines Steinkohlekraftwerks in Lünen auf einer ehemaligen Industriebrache am Datteln-Hamm-Kanal. Das Kraftwerk wurde zwischenzeitlich errichtet und läuft seit dem 1. Januar 2014 im Regelbetrieb.
183Der Landesentwicklungsplan NRW 1995 enthält für den Vorhabenbereich keine planungsrechtlichen Aussagen. Im Gebietsentwicklungsplan für den Regierungsbezirk Arnsberg, Teilabschnitt Dortmund-Unna-Hamm aus dem Jahr 1984 ist ein den Vorhabenstandort einschließender, größerer Gewerbe- und Industrieansiedlungsbereich ausgewiesen, versehen mit dem Piktogramm „konventionelles Kraftwerk“ am Standort des Steag-Kraftwerks Lünen. In ähnlicher Weise ist im Regionalplan für den Regierungsbezirk Arnsberg, Teilabschnitt Oberbereich Dortmund, westlicher Teil (Dortmund/Kreis Hamm) aus dem Jahr 2004 der Bereich als Teil eines auch die Standorte der Fa. S. und des Steag-Kraftwerks Lünen umfassenden Gewerbe- und Industrieansiedlungsgebiets (GIB) mit der Zusatzsignatur "Kraftwerke und einschlägige Nebenbetriebe" ausgewiesen. Im Flächennutzungsplan der Stadt Lünen ist die Standortfläche als Industriegebiet (GI) dargestellt. Der Bebauungsplan Nr. 80 „Stummhafen“ ist in der Fassung der 1. Änderung vom 19. März 1983 in Kraft. Danach sind Anlagen ab Abstandsklasse III des Abstandserlasses 1974 zulässig.
184Das Kraftwerk soll auf der Basis von Steinkohle unterschiedlicher Qualität bei einer Feuerungswärmeleistung von bis zu 1.705 MW und einer elektrischen Leistung von 750 MWnetto im Wesentlichen - ganzjährig und im Dreischichtbetrieb - Strom erzeugen. Die erzeugte elektrische Energie wird in das Hochspannungs-Verbundnetz eingespeist. Ohne Berücksichtigung einer Fernwärmeauskopplung beträgt der elektrische Wirkungsgrad des Kraftwerks 45,6 %. Das Rauchgas soll nach Reinigung in einer mehrstufigen Rauchgasbehandlungsanlage auf ca. 51 m Höhe über ein Rohr zentrisch in den 160 m hohen Kühlturm eingeleitet und mit dem Kühlturmschwaden abgeleitet werden.
185Die beantragten Emissionsgrenzwerte entsprechen mindestens den Anforderungen der 13. BImSchV in der ab dem 2. Mai 2013 geltenden Fassung, die Jahresemissionsfrachten der Luftschadstoffe Stickstoffoxide und Schwefeloxide sollen auf 85 % der rechnerischen Jahresemissionsfrachten bei 8.760 Vollastbetriebsstunden pro Jahr abgesenkt werden.
186Die Abwässer aus der Kühlturmabflut und der Rauchgasentschwefelungsanlage (REA) - letztere nach Reinigung in einer Abwasserbehandlungsanlage - sollen ca. 1 km flussaufwärts über eine Abwasserleitung des Stadtbetriebs Abwasserbeseitigung Lünen AöR (SAL) im Bereich des FFH-Gebiets DE-4314-302 („Teilabschnitte Lippe - Unna, Soest, Warendorf“) in die Lippe eingeleitet werden.
187Die Kohleanlieferung soll durch die n. Kohlenstäube GmbH (im Folgenden: n.) erfolgen, die südlich des Kraftwerksgeländes als Rechtsnachfolgerin der Stadthafen Lünen GmbH den Stummhafen und eine Kohleaufbereitungsanlage betreibt. Die Kohle wird am Übergabepunkt des Kraftwerks über geschlossene Förderbandanlagen in eines von zwei geschlossenen Kohlesilos übergeben. Das Transportbandsystem innerhalb des Kraftwerks soll ebenfalls geschlossen ausgeführt werden. N. wurde zuletzt am 25. Mai 2011 eine immissionsschutzrechtliche Änderungsgenehmigung erteilt, die die Erweiterung des Umschlags von staubenden Gütern, die Erhöhung der Umschlagmasse auf 3 Mio. t/a sowie die Errichtung und den Betrieb einer Verladeanlage für Flugasche umfasst.
188Die 2. Teilgenehmigung vom 14. Oktober 2008 (Baustelleneinrichtung, Gründungsmaßnahmen einschließlich Erstellung der Fundamente und vorbereitende Maßnahmen), die 3. Teilgenehmigung vom 14. Januar 2009, die 4. Teilgenehmigung vom 11. November 2009 und die 5. Teilgenehmigung vom 4. Oktober 2010 (jeweils Durchführung von unterschiedlichen Hoch- und Tiefbaumaßnahmen) sind bestandskräftig. Der Antrag der Beigeladenen vom 8. Oktober 2010 auf Erteilung einer 6. Teilgenehmigung hat eine geänderte Betriebsweise (Absenken des Kühlturmschwadenvolumens und Erhöhung der Rauchgastemperatur) zum Inhalt.
189Auf Klage des Klägers hob der Senat mit rechtskräftigem Urteil vom 1. Dezember 2011 - 8 D 58/08.AK - den auf Antrag der Beigeladenen vom 9. März 2007 erteilten Vorbescheid der Bezirksregierung Arnsberg (Bezirksregierung) zur Feststellung der Genehmigungsfähigkeit des Steinkohlekraftwerks in emissions- und immissionsschutzrechtlicher Hinsicht, aus naturschutzrechtlicher Sicht und zum Standort der Anlage sowie die 1. Teilgenehmigung zur Baustellenfreimachung, Errichtung und Umzäunung des Kraftwerksgeländes jeweils vom 6. Mai 2008 auf. Zur Begründung führte der Senat unter anderem aus, die Verträglichkeit des geplanten Kohlekraftwerks mit den Schutzzwecken des im Einwirkungsbereich liegenden FFH-Schutzgebiets DE-4311-304 „Wälder bei Cappenberg“ könne nicht festgestellt werden. Zwar sei der Untersuchungsraum zutreffend abgegrenzt und die Auswahl der Beurteilungspunkte nicht zu beanstanden. Die zuletzt erfolgte Berechnung höherer lebensraumtypischer Belastungsgrenzen (Critical Loads) für versauernde Stoffeinträge sei jedoch fachlich nicht nachvollziehbar. Da die Vorbelastung die ursprünglich angesetzten Critical Loads an den meisten Beurteilungspunkten übersteige, seien lediglich irrelevante Zusatzbelastungen zulässig. Die eutrophierenden Stickstoffeinträge lägen ausweislich der nach Prioritätsgesichtspunkten durchzuführenden Summationsbetrachtung zwar unterhalb der insoweit maßgeblichen Bagatellgrenze von 3 % der Critical Loads. Die versauernden Einträge lägen jedoch an drei Beurteilungspunkten oberhalb der Bagatellschwelle. Die Einzelfallbetrachtung der Beigeladenen und ihrer Gutachter sei ‑ letztlich aus vergleichbaren Gründen wie die nachträgliche Anhebung der Critical Loads - fachlich nicht ausreichend.
190Am 25. Januar 2012 erklärte die Beigeladene gegenüber der Bezirksregierung, sie begehre weiter einen Vorbescheid und werde die entsprechenden Unterlagen neu vorlegen.
191Die Bezirksregierung und das LANUV verständigten sich bei Dienstbesprechungen am 1. und 6. Februar 2012 darauf, dass die Critical-Loads-Berechnung transparent sein müsse. Aufgrund der Unterschiede zwischen dem modellierten Wert und dem Wert der sog. Berner Liste für den Critical Load des Vegetationstyps Glatthaferwiesen sollten für die Stickstoffeinträge die empirischen Critical Loads des LANUV verwendet werden. Es sei zudem sinnvoll, das betroffene Gebiet zu untersuchen. Das LANUV werde insoweit Vorgaben an die Untersuchungsmethodik und die Kartierungen machen. Als vorhabenbezogene Abschneidekriterien schlage das LANUV für die Stickstoffdeposition einen Wert von 0,1 kg N/(ha*a) vor, für versauernde Einträge einen Wert von 30 eq (N+S)/(ha*a). Einträge in dieser Größenordnung seien empirisch nicht messbar. Die Abschneidekriterien für Schwermetalle würden analog anhand der jeweiligen Messunsicherheit bestimmt. Je nachdem sei - über Isolinien oder über Flächen ‑ nur ein Teil des FFH-Gebiets zu betrachten; Maßstab für die abschließende Beurteilung sei aber das gesamte FFH-Gebiet. Die konkrete Größe des Untersuchungsgebiets werde noch abgestimmt. Die trockene und nasse Stickstoffdeposition und die Säuredeposition sollten mit dem LASAT-Programm nach der TA Luft Anlage 3 und der VDI-Richtlinie 3783 Blatt 13 berechnet werden.
192Unter dem 8. Februar 2012, dem 18. April 2012 und dem 18. Juni 2012 präzisierte das LANUV die methodischen Anforderungen an die insbesondere im FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ erforderlichen Untersuchungen. Die Beurteilungspunkte seien auf der Grundlage eindeutiger und nachvollziehbarer Fachkriterien unter Berücksichtigung der höchsten Zusatzbelastungen auszuwählen. Die Kartierung der FFH-Lebensraumtypen im Erhebungsmaßstab 1:5.000 einschließlich einer Bewertung der Erhaltungszustände und lebensraumtypspezifischer Artenlisten müsse aktualisiert werden. Die Daten seien nach der FFH-Kartieranleitung (Natura 2000) zu erheben, und der Erhaltungszustand nach den Erläuterungen zur Bewertung von FFH- und § 62-Biotoptypen zu bewerten. Weiter müsse eine flächendeckende Bodenkartierung im Maßstab 1:500 nach der bodenkundlichen Kartieranleitung, verbunden mit einer lückenlosen Feldansprache des Carbonatgehalts, erstellt werden. Man benötige Bodenprofilaufnahmen der flächenmäßig repräsentativen Bodenformen einschließlich Bodenprobeentnahme und Laboranalyse. Es müssten mindestens zwei Wurzelprofile für die Buche, eine Vegetationsaufnahme nach der Arbeitsanleitung „Forstliche Standortaufnahme“ und DIN 19686:2012 erstellt und die Bestockungsverhältnisse an den Punkten der Bodenprofilaufnahme erfasst werden.
193Die Bodenproben seien aus den oberen Humusauflagen L und Ol als Mischprobe und aus der Humusschicht Oh sowie aus dem Mineralboden in den Tiefen 0 bis 5 cm, 5 bis 10 cm, 10 bis 30 cm und darunter jeweils als Horizontprobe zu entnehmen.
194Das Rechengebiet für die FFH-Verträglichkeitsprüfung müsse so dimensioniert sein, dass die Isolinien der Abschneidekriterien vollständig darin enthalten seien.
195Die Depositionsgeschwindigkeiten und die Auswaschraten für die nassen Depositionen seien nach der VDI-Richtlinie 3783 Blatt 5 zu bestimmen. Sofern die VDI-Richtlinie oder die TA Luft - wie bei Quecksilber - keine Auswaschraten vorsähen, seien die nassen Depositionen nicht zu berücksichtigen. Für die (trockene) Quecksilberdeposition gelte ein Abschneidekriterium von 10ng/(m2*d). Sie könne mit einem Ansatz von jeweils 50 % elementarem und oxidiertem Quecksilber berechnet werden. Die Abschneidekriterien für die übrigen Schwermetalle lägen bei den Stoffen, für die die TA Luft Grenzwerte vorsehe, sämtlich unterhalb der 5 %-Bagatellschwelle der TA Luft. Für Blei werde der Wert vor diesem Hintergrund von 6 µg/(m2*d) auf 5 µg/(m2*d) abgesenkt.
196Für die erforderliche Berücksichtigung der nassen eutrophierenden und versauernden Deposition müsse eine Niederschlagsreihe erstellt werden. Für die Schwefeldioxideinträge könne nach dem Urteil des OVG NRW abweichend von der VDI-Richtlinie über Wald eine Depositionsgeschwindigkeit von 1,25 cm angesetzt werden.
197Das LANUV nahm unter dem 18. Juli 2012 Stellung zu dem Entwurf einer Immissionsprognose für Luftschadstoffe vom 4. Juni 2012 der N. -BBM GmbH, Kerpen. Die Vorgehensweise, die zu erwartende Reingaskonzentration aus den gegenüber den Unterlagen zur 6. Teilgenehmigung abgesenkten maximalen Schwermetallgehalten in der verfeuerten Kohle (Kohleband) auf Basis der Transferfaktoren aus dem MUNLV-Leitfaden zu ermitteln, sei plausibel; die Werte seien rechnerisch geprüft worden und ebenfalls plausibel. Die Berücksichtigung der Emission von Quecksilber mit einer Aufteilung von je 50 % für elementares Quecksilber und oxidiertes Quecksilber sei unter Berücksichtigung von aktuellen Messergebnissen an vergleichbaren Anlagen plausibel.
198Die Anwendung des Ausbreitungsmodells AUSTAL2000 für die auf der Grundlage dieser Emissionsdaten durchgeführte Ausbreitungsrechnung sei mit der TA-Luft konform. Die Verwendung der meteorologischen Daten der Messstation Lünen-Niederaden aus dem Jahr 2009 sei plausibel. Der Immissionsprognose sei eine Übertragbarkeitsprüfung für diese Messstation beigefügt. Das Rechengebiet mit einer Ausdehnung von mindestens 20 km x 25 km zur Bestimmung der Immissionszusatzbelastung sei sachgerecht, die Wahl der Maschenweiten plausibel. Auch die Berücksichtigung der Abluftfahnenüberhöhung des Kühlturms gemäß Richtlinie VDI 3784 Blatt 2 sei sachgerecht und die Modellierung der Emissionsquelle als horizontale Flächenquelle plausibel. Die Qualitätsstufe von +3 sei sachgerecht. Die angegebenen Emissions- und Immissionswerte seien stichprobenartig mit der Modellrechnung verglichen worden. Es sei festzustellen, dass bei Quecksilber nicht mit dem Jahresmittelwert, sondern mit dem höheren Tagesmittelwert gerechnet worden sei. Die Erläuterungen des Gutachters zu den Schwierigkeiten der Berechnung von Staubniederschlag seien nachvollziehbar. Weitere Einzelheiten dazu seien auch in der Modellbeschreibung von AUSTAL2000 dokumentiert; vor diesem Hintergrund erschienen die Angaben des Gutachters zur Immissionsjahreszusatzbelastung des Staubniederschlags plausibel. Die Berechnung der Quecksilberdeposition sei nachvollziehbar. Gemäß Nr. 9 Abs. 2 des Anhangs 3 der TA Luft sei die statistische Unsicherheit auf den prognostizierten Immissionswert zu beaufschlagen, solange die betrachteten Beurteilungspunkte nicht im Emissionsmaximum lägen. Im Gutachten seien ausschließlich Emissionsmaxima diskutiert worden, die Darstellung ohne Berücksichtigung der statistischen Unsicherheit sei somit sachgerecht. Zusammenfassend sei aus Sicht des LANUV festzustellen, dass die Bestimmung der Immissionszusatzbelastung im Volllastfall nachvollziehbar und plausibel sei.
199Für die gefassten Kleinquellen gelte hinsichtlich der Wahl des Ausbreitungsmodells, der verwendeten meteorologischen Daten, der Wahl der Rauhigkeitslänge, der Festlegung der Anemometerhöhe, der Ausdehnung des Rechengebiets, der Wahl der Maschenweite und der Modellierung der Emissionsquellen sowie der Berücksichtigung der Gebäudeeinflüsse das bereits Gesagte. Aus der Sicht des LANUV sei feststellbar, dass die Bestimmung der Immissionszusatzbelastung für die gefassten Kleinquellen nachvollziehbar und plausibel sei.
200Zu der Berechnung der Stickstoff- und Säuredeposition sei festzuhalten: Das verwendete Ausbreitungsmodell LASAT beruhe wie AUSTAL2000 auf der VDI-Richtlinie 3945 Blatt 3. Der Verwendung von LASAT werde daher zugestimmt. Die Verwendung der meteorologischen Daten der Station Lünen-Niederaden als Ausbreitungsklassenzeitreihe für das Jahr 2009 sei plausibel. Da eine Bestimmung der nassen Deposition nach TA Luft nicht vorgesehen sei, existierten keine Regelungen zur Auswahl der dazu notwendigen Niederschlagsdaten. Das LANUV empfehle daher grundsätzlich, eine Niederschlagszeitreihe zu verwenden, die eine Jahresniederschlagssumme in Höhe des langjährigen Mittelwerts aufweise. Dieser Empfehlung sei der Gutachter gefolgt.
201Die Ausbreitungsrechnungen seien zunächst mit mesoskaligen Depositionsgeschwindigkeiten und Auswaschraten nach der VDI-Richtlinie 3782 Blatt 5 durchzuführen. Das Beurteilungsfeld sei auf diejenigen Flächen auszudehnen, die mit einer Stickstoffdeposition von 0,10 kg N/(ha*a) oder mehr bzw. mit einer Säuredeposition von 30 eq (N+S)/(ha*a) oder mehr beaufschlagt würden. In diesen Gebieten sei die vom Modell ausgewiesene trockene Deposition nachträglich anzupassen und zwar entsprechend den Depositionsgeschwindigkeiten für die jeweilige Landnutzung, insbesondere für Wald. Dazu seien grundsätzlich die Depositionsgeschwindigkeiten nach der VDI-Richtlinie 3782 Blatt 5 anzusetzen. Auch dieser Empfehlung sei der Gutachter gefolgt. Er habe nur für die Depositionsgeschwindigkeit von Schwefeldioxid über Wald eine abweichende Depositionsgeschwindigkeit von 1,25 cm/s angesetzt. Dieser Ansatz sei nach den eigenen Berechnungen mit ortsabhängigen Depositionsgeschwindigkeiten für Datteln für die hier vorliegende Konstellation plausibel und konservativ.
202Die weiteren Randbedingungen der Ausbreitungsrechnung zu Schwaden und Rauchgas entsprächen den maßgeblichen Vorgaben. Die Angaben im Gutachten seien stichprobenartig mit den nachgereichten LASAT-Defs verglichen worden. Zusammenfassend erweise sich die Bestimmung der nassen und trockenen Deposition als nachvollziehbar und plausibel.
203Die berechneten Zusatzbelastungen durch die Kraftwerke Datteln und Herne seien überschlägig geprüft worden. Es hätten sich keine Anhaltspunkte für Unstimmigkeiten ergeben.
204Aufgrund des weit unterhalb des Abschneidewerts liegenden Säureeintrags könne eine erhebliche Beeinträchtigung der für die Erhaltungsziele maßgeblicher Bestandteile des FFH-Gebietes „Wälder bei Cappenberg“ mit ausreichend hoher Sicherheit ausgeschlossen werden. Auf eine vergleichbare Abschätzung bei den weiteren FFH-Gebieten sei verzichtet worden. Auch bei einer temporären Inbetriebnahme mit Heizöl sei eine erhebliche Beeinträchtigung nicht zu erkennen.
205Zur FFH-Verträglichkeitsuntersuchung werde folgende vorläufige Einschätzung abgegeben: Die Aussage des TÜV Nord, dass erhebliche Beeinträchtigungen der Cappenberger Wälder durch die vorhabenbedingte Zusatzbelastung und bei kumulativer Betrachtung anderer Pläne und Projekte ausgeschlossen werden könnten, werde mitgetragen. Die Empfehlungen des LANUV seien aufgegriffen und umgesetzt worden. Der Beurteilungsraum der Cappenberger Wälder sei für die versauernd wirkenden Depositionen anhand des Abschneidewerts von 30 eq (N+S)/(ha*a) festgelegt worden, d. h. Werte < 30 eq lägen außerhalb, Werte ≥ 30 eq innerhalb des Beurteilungsgebiets. Auf diesen Ausschnitt entfielen die Lebensraumtypen 9110, 9130, 9160 und 91E0. Insgesamt seien hier 13 Beurteilungspunkte angelegt worden. Die Lage der Punkte sei so gewählt worden, dass sie die Bereiche der maximalen Zusatzbelastung versauernd wirkender Einträge berücksichtigten und die unterschiedliche Empfindlichkeit der Lebensraumtypen bzw. der Waldböden gegenüber der Säuredeposition repräsentierten. Die für das Beurteilungsgebiet berechneten Critical Loads passten gut in den Wertebereich der landesweiten Bodenzustandserhebung BZE I (1990). Danach lägen die Critical Loads für Säureeinträge im Durchschnitt der Waldböden Nordrhein-Westfalens bei 1563 eq/(ha*a). Reine Verwitterungsböden wiesen Werte von mehr als 4500 eq/(ha*a) auf. Für Waldböden, die sich aus Silikatverwitterungsmaterial über karbonathaltigem Grundgestein entwickelt hätten, seien Werte in der Größenordnung von 2000-3000 eq/(ha*a) charakteristisch. Die Vorbelastung überschreite an allen 13 Beurteilungspunkten den jeweiligen Critical Load für den Säureeintrag. Daraus folge, dass an allen Beurteilungspunkten der Abschneidewert und die jeweilige Bagatellschwelle zu prüfen seien. Der Abschneidewert werde an den Beurteilungspunkten TKL 27 und C7 durch die vorhabenbedingte Zusatzbelastung erreicht bzw. überschritten. Die 3 %-Bagatellschwelle werde dagegen bei kumulativer Betrachtung durch die Zusatzbelastung an allen Beurteilungspunkten eingehalten.
206Die bodenkundliche Aufnahme habe belegt, dass die Lebensraumtypen in den Wäldern bei Cappenberg mit ihren Wurzeln den Kalkmergel im Unterboden erreichten und die oberen Bodenschichten über die Pflanzenaufnahme und den Streufall mit zusätzlicher Basizität versorgt würden, die dort zur Pufferung weiterer Säureeinträge zur Verfügung stünden. Die Böden der Cappenberger Wälder seien danach ausreichend mit Pufferkapazität ausgestattet, um den maximalen Säureeintrag des Kraftwerks ökosystemverträglich zu binden, ohne dass hierdurch auf Dauer funktionale oder strukturelle Schäden an den geschützten Lebensraumtypen zu befürchten seien. Dies gelte auch für den temporären Betrieb mit Heizöl. Die vorhabenbedingte Säurebelastung liege in dieser Phase nur bei ca. 1 eq/(ha*a).
207Unter dem 3. Juli 2012 leitete die Beigeladene das Abweichungsverfahren ein.
208Die Beigeladene beantragte am 9. Juli 2012, ergänzt am 23. August 2012 und am 21. Juni 2013, die Erteilung eines Vorbescheides hinsichtlich der Feststellung der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens in immissionsschutzrechtlicher und naturschutzrechtlicher Hinsicht sowie zum Standort der Anlage.
209Am 15. Mai 2013 und 4. Juni 2013 beantragte sie die Erteilung der 1. Teilgenehmigung zur Freimachung der Baustelle, zur Einzäunung des Baustellengrundstücks und zur Durchführung verschiedener Testbohrungen und Testpfählungen. Den Antrag vom 14. März 2011 auf Erteilung der 7. Teilgenehmigung (Betrieb des Kohlekraftwerks für den Einsatz von Steinkohle unterschiedlicher Qualitäten mit einer Feuerungswärmeleistung von 1.705 MW, entsprechend einer elektrischen Nettoleistung von 750 MW, dessen Errichtung mit der 1. Teilgenehmigung bis 5. Teilgenehmigung genehmigt wurde) aktualisierte sie am 5. Juli 2013.
210Dem Antrag auf Erteilung des Vorbescheides beigefügt waren u. a. eine Immissionsprognose für Luftschadstoffe der N. -BBM GmbH vom 6. August 2012, ein Störfallkonzept der N. -BBM GmbH, eine Umweltverträglichkeitsuntersuchung der N. -BBM GmbH vom 6. August 2012, eine FFH-Verträglichkeitsuntersuchung des Kieler Instituts für Landschaftsökologie (KIfL)/TÜV Nord vom 6. August 2012 einschließlich einer Modellierung der Critical Loads für eutrophierende und versauernde Einträge von P. Strausberg vom 6. August 2012 sowie ein Abweichungsdokument vom 23. August 2012.
211Die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung hat die FFH-Gebiete DE-4209-302 „Lippeaue“, DE-4314-302 „Teilabschnitte Lippe-Unna, Hamm, Soest, Warendorf“, DE-4311-301 „In den Kaempen, Im Mersche und Langerner Hufeisen“ sowie DE- 4311-304 „Wälder bei Cappenberg“ einer Betrachtung unterzogen. Besondere Bedeutung komme den Stickstoff- und Schwefeldioxidemissionen sowie den Schwermetallemissionen zu, die über den Luftpfad oder den Wasserpfad in die Schutzgebiete gelangten. Im Rahmen der Einzeluntersuchungen sei jeweils stoffbezogen eine Darstellung der aus dem Vorhaben resultierenden Auswirkungen erfolgt. Der jeweilige Untersuchungsraum sei stoffspezifisch in Verbindung mit der Empfindlichkeit potentiell betroffener Gebiete festgelegt worden und ergebe sich aus den Ergebnissen der Immissionsprognose unter Berücksichtigung der Abschneidekriterien. Als Abschneidekriterien dienten wissenschaftlich begründete Wirkschwellen und die in den jeweiligen DIN-Normen beschriebenen Messunsicherheiten für Depositionen. Insgesamt seien entsprechend der Empfindlichkeit der Lebensraumtypen gegenüber den Wirkungen durch Luftschadstoffe 42 Beurteilungspunkte festgelegt worden. Die Lage der Beurteilungspunkte sei so gewählt worden, dass sie jeweils die Lebensraumtypen im Bereich der höchsten Zusatzbelastung repräsentierten.
212Die luftpfadbezogenen eutrophierenden Stickstoffeinträge des Vorhabens lägen in allen betrachteten FFH-Gebieten über dem Abschneidewert 0,1 kg N/(ha*a), der Abschneidewert für versauernde Stickstoff- und Schwefeleinträge von 30 eq (N+S)/(ha*a) werde dagegen nur im FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ überschritten. Die eutrophierenden und versauernden Einträge des Kraftwerks Herne Block 5 überschritten die Abschneidewerte nur im FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“; die entsprechenden Einträge des Kraftwerks Datteln 4 (abzüglich Datteln 1-3) lägen sämtlich unterhalb der Abschneidewerte. Keines der Vorhaben überschreite die Abschneidewerte für Schwermetalle.
213Die Kumulationsbetrachtung ergebe für die FFH-Gebiete „Teilabschnitte Lippe“, „In den Kaempen, Im Mersche und Langerner Hufeisen“ und „Wälder bei Cappenberg“ hinsichtlich der eutrophierenden Einträge jeweils Zusatzbelastungen unterhalb der Bagatellschwelle von 3 % der Critical Loads, dasselbe gelte im FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ für die kumulierenden versauernden Einträge. Die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung habe dabei hinsichtlich der Eutrophierung auf vom LANUV bereit gestellte, empirische Critical Loads abgestellt, hilfsweise auf die von P. modellierten Critical Loads. Insgesamt seien in keinem der FFH-Gebiete erhebliche Beeinträchtigungen zu erwarten.
214Nach öffentlicher Bekanntmachung des Antrags im Amtsblatt für den Regierungsbezirk Arnsberg Nr. 35 vom 1. September 2012, auf der Website der Bezirksregierung sowie in verschiedenen Tageszeitungen wurde der Antrag einschließlich der eingereichten Unterlagen in der Zeit vom 10. September 2012 bis einschließlich 9. Oktober 2012 bei der Bezirksregierung sowie in verschiedenen Gemeinden ausgelegt.
215Der Kläger hat mit am 23. Oktober 2012 bei der Bezirksregierung eingegangenem Schreiben unter Vorlage ergänzender, auch fachgutachterlicher Unterlagen Einwendungen gegen die Planung erhoben. Die Einwendungen aller Einwender wurden am 10., 11. und 12. Dezember 2012 erörtert. Das Ergebnis der Erörterungen ist in der Niederschrift vom 12. August 2013 dokumentiert.
216Das LANUV nahm unter dem 7. Dezember 2012 Stellung zur Plausibilität der Luftschadstoff- und Lärmimmissionsprognosen und der Umweltverträglichkeitsuntersuchung einschließlich der FFH-Verträglichkeitsprüfung vom 6. August 2012. Darin heißt es - über den Inhalt der Stellungnahme vom 18. Juli 2012 hinausgehend - unter anderem: Die vom Gutachter aufgeführten Bewertungsmaßstäbe zu den Stoffen mit Immissionswert in der TA Luft zum Schutz der menschlichen Gesundheit seien fachlich zutreffend. Dasselbe gelte für die Bewertungsmaßstäbe für die Stoffe ohne Immissionswert in der TA Luft. Aufgrund der Erlasslage bestünden keine Bedenken, für Stoffe ohne Immissionswert nach der TA Luft den LAI-Bericht und die darin enthaltenen Orientierungswerte als Erkenntnisquelle zu nutzen. Die Orientierungswerte zur Bewertung von Kohlenmonoxid betrügen 10 mg/m³ (8-Stunden-Mittelwert) und 30 mg/m³ (Halbstundenwert) für die kurzfristige inhalative Exposition. Die Zusatzbelastung übersteige bei keinem der Stoffe ohne Irrelevanzwert der TA Luft 1 % des jeweiligen Bewertungsmaßstabes. Für PCDD/F einschließlich dioxinähnlicher PCB (Deposition) unterschreite die Zusatzbelastung die Irrelevanzschwelle von 5 %.
217Für die Critical-Load-Berechnung seien für den Niederschlag und die Lufttemperatur in der Endfassung des P.-Gutachtens aktuelle Daten aus der Periode 1981-2010 verwendet worden. Die zur Berechnung benötigten Eingangsdaten seien genannt und inhaltlich konkret aufgezählt. Eine wesentliche Rolle spiele neben den Texturdaten und dem Basengehalt an den Referenzpunkten die reale Durchwurzelung der Bodenprofile. Einerseits seien diese Informationen von zentraler Bedeutung für die Einschätzung der so genannten Basenpumpe, andererseits sei die im internationalen Bereich übliche, pauschale Untergrenze des Bodens von 80 cm - veranlasst durch die festgestellte Durchwurzelungstiefe - an die lokalen Verhältnisse im Cappenberger Wald angepasst worden und weiter nach unten verschoben worden. Da der Kalkmergel im Unterboden von den Wurzeln mittelalter und alter Waldbäume erreicht werde, sei diese Anpassung folgerichtig. Insgesamt sei festzustellen, dass alle aktuellen Datenquellen für die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung vom 6. August 2012 genutzt worden seien. Die Empfehlungen des LANUV vom 18. Juli 2012 seien damit umgesetzt worden. Im Zuge der Verbesserung der Datengrundlagen hätten sich die ab August 2011 ermittelten Critical Loads schrittweise in Richtung einer feineren Standortdifferenzierung verändert. Dies sei als Beleg für die Sensitivität der verwendeten Critical-Load-Modellierung zu werten. Diese sei im Übrigen fachwissenschaftlich nicht weiter geprüft worden, weil das Verfahren als solches in der Rechtsprechung bereits anerkannt sei.
218Im Anschluss an den Erörterungstermin vom 10., 11. und 12 Dezember 2012 legte die Beigeladene ergänzende Unterlagen vor, unter anderem eine ergänzende Immissionsprognose von N. -BBM GmbH vom 25. Februar 2013 für den 60 %-Teillastbetrieb, zu den emissions- und immissionsseitigen Auswirkungen der Hilfsdampferzeugungsanlage (Betriebszeit <1.500 h/a) und der zukünftigen Fernwärmeauskopplung (45 MW), das Konzept zur Verhinderung von Störfällen von N. -BBM GmbH vom 12. April 2013, die Stellungnahme zu den Auswirkungen des Kraftwerks Lünen auf die Lippe durch das Einleiten von REA-Abwasser und Kühlturmabschlämmwasser von N. -BBM GmbH vom 27. Februar 2012, Ergänzungen der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung vom TÜV Nord vom 28. März 2013, Erläuterungen zum Gefährdungspotential für das Flussneunauge durch zusätzliche Quecksilbereinträge und zum Gefährdungspotential für den Eisvogel vom TÜV Nord jeweils vom 28. Februar 2013, eine Berechnung der Immissionszusatzbelastung an 2 Beurteilungspunkten im Nahbereich von N. -BBM GmbH vom 17. Mai 2013, eine „Ergänzung der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung: Kumulationswirkungen Lippe“ vom TÜV Nord vom 18. Juni 2013, eine ergänzende Stellungnahme zur Umweltverträglichkeitsuntersuchung von N. -BBM GmbH vom 19. Juni 2013, ein Störfallkonzept von N. -BBM GmbH vom 20. Juni 2013, das Abweichungsdokument Stand 20. Juni 2013, den Antrag vom 21. Juni 2013 (Beantragung der in der neuen 13. BImSchV festgelegten Emissionsgrenzwerte, soweit diese strengere Grenzwerte vorschreibt als bislang beantragt, ansonsten bleibe es bei den Grenzwerten im Antrag vom 9. Juli 2013) sowie eine Ergänzung von Dr. N1. (Stellungnahme zur Versauerung der Lebensraumtypen im FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ durch Kumulationswirkung) vom 17. Juli 2013, eine ergänzende Stellungnahme des TÜV Nord zur Vorbelastung durch Selen vom 18. Juli 2013, die Verpflichtung zur Durchführung von Kohärenzmaßnahmen vom 15. August 2013 und eine Stellungnahme von N. -BBM GmbH zum anlagenbezogenen Verkehr vom 5. November 2013. Ferner legte die Beigeladene in Reaktion auf die Einwendungen rechtliche Stellungnahmen zum Bauplanungsrecht, zur Qualifizierung von Abwasser in Tankwagen, zur Abgrenzung Naturschutz und Wasserrecht, zu den Bagatellschwellen, zu den Critical Loads für Schwermetalle, zum Prioritätsgrundsatz, zu wasserwirtschaftlichen Fragestellungen und zu den Geräuschimmissionen vor.
219Das LANUV nahm unter dem 13. August 2013 unter anderem wie folgt Stellung zu der ergänzenden Immissionsprognose vom 25. Februar 2013: Die Auswirkungen des Teillastbetriebes auf die Höhe der Einträge der Stickstoff- und Säuredeposition an bestimmten Beurteilungspunkten seien dargestellt. Die für die Immissionsprognose benötigten Daten für Austrittsgeschwindigkeit und -temperatur basierten auf Angaben des Kühlturmplaners; sie lägen im Bereich der Werte, die von Genehmigungsverfahren vergleichbarer Kraftwerke bekannt seien. Zur Bestimmung der Immissionszusatzbelastung für den Teillastbetrieb sei bei der Ausbreitungsrechnung analog zu den Bestimmungen der Immissionszusatzbelastung für den Volllastbetrieb vorgegangen worden. Damit würden die Anmerkungen aus der Stellungnahme vom 7. Dezember 2012 auch hier gelten. Dort sei festgestellt worden, dass die Bestimmung der Emissionszusatzbelastung nachvollziehbar und plausibel sei.
220Zur Bestimmung der Immissionszusatzbelastung durch den Hilfsdampferzeuger sei analog der Bestimmung der Immissionszusatzbelastung für den Volllastbetrieb des beantragten Kohlekessels vorgegangen worden. Auch hier gelte das unter dem 7. Dezember 2012 zur Nachvollziehbarkeit und Plausibilität Gesagte. Zusammenfassend sei festzustellen, dass die Vorgehensweise zur Bestimmung der Immissionszusatzbelastung und die Ausführungen dazu, dass die Fernwärmeauskopplung von 45 MW zu keiner signifikanten Änderung der Immissionssituation führe, plausibel seien.
221Eine vertiefende Prüfung der Ergänzungen der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung vom TÜV Nord vom 28. März 2013 sei nur für die Themenbereiche Versauerung, Eutrophierung und die Einschätzung zu den charakteristischen Arten durchgeführt worden. Die überarbeiteten Inhalte seien in der Gesamtbetrachtung plausibel.
222Eine ergänzende Stellungnahme zur möglichen Versauerung von Lebensraumtypen im FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ durch Kumulationswirkung vom 17. Juli 2013 sei nachgereicht worden. Der wesentliche Unterschied zur Ausarbeitung des KIfL vom 6. August 2012 bestehe darin, dass in der nachgereichten Stellungnahme die Gesamtbelastung geprüft werde. Die Einschätzung, dass auch bei Berücksichtigung der Kumulation erhebliche Beeinträchtigungen durch Säureeinträge sicher auszuschließen seien, ergebe sich aus dem Umstand, dass am Beurteilungspunkt TKL 27 (Lebensraumtyp 9110) mit der höchsten Säurebelastung die in der Humusauflage verfügbare Basenmenge (18,7 kmol/ha) ausreiche, um die Gesamtsäurebelastung kumulativ aus 50 Jahren Betriebszeit (3,75 kmol) vollständig und ohne nachhaltige Schädigung des Lebensraumtyps 9110 abzupuffern.
223Mit Bescheid vom 20. November 2013 erteilte die Bezirksregierung der Beigeladenen den Vorbescheid, mit Bescheid vom 21. November 2013 die 1. Teilgenehmigung und mit Bescheid vom 22. November 2013 die 7. Teilgenehmigung.
224Mit dem Vorbescheid stellte die Bezirksregierung das Vorliegen der Genehmigungsvoraussetzungen zum Standort der Anlage sowie der immissionsschutzrechtlichen und naturschutzrechtlichen Genehmigungsvoraussetzungen fest. Das Vorhaben umfasse die Errichtung und den Betrieb eines Steinkohlekraftwerks mit einer Feuerungswärmeleistung von maximal 1.705 MWth, entsprechend einer elektrischen Nettoleistung von ca. 750 MWel netto. Die abschließende verbindliche Feststellung beziehe sich nicht auf die Abwassereinleitung (Kühlturmabflut, REA-Abwasser) in die Lippe einschließlich der vorgeschalteten Abwasserbehandlungsanlage sowie auf den Schwermetalleintrag in die Lippe über den Luftpfad. Der Vorbescheid sei unter den Vorbehalt weiterer Neben- oder Inhaltsbestimmungen gestellt, die sich aus Erkenntnissen des laufenden wasserrechtlichen Erlaubnisverfahrens ergäben. Der Vorbescheid berechtige nicht zur Errichtung der Anlagen oder von Teilen der Anlage und ergehe unbeschadet der behördlichen Entscheidungen, die nicht von der Konzentrationswirkung des § 13 BImSchG erfasst werden. Insbesondere Entscheidungen im Hinblick auf § 7 WHG alter Fassung bzw. § 8 WHG neuer Fassung sowie § 58 WHG ergingen in entsprechenden wasserrechtlichen Verfahren. Der Abgaskanal sei vor Einleitung der Abgase in den Kühlturm mit Messeinrichtungen auszurüsten, die in der Lage sein, die Funktionsfähigkeit der Abgasreinigungseinrichtung, die Einhaltung der festgelegten Immissionsgrenzwerte der Massenkonzentration für Gesamtstaub, Quecksilber, Stickstoffoxide, Schwefeloxide und den Volumengehalt an Sauerstoff im Abgas sowie die zur Beurteilung des ordnungsgemäßen Betriebs erforderlichen Betriebsgrößen kontinuierlich zu messen und auszuwerten.
225Die 1. Teilgenehmigung umfasst die Freimachung der Baustelle einschließlich etwaiger Renovierungsarbeiten, die Einzäunung des Baustellengrundstücks und die Durchführung verschiedener Testbohrungen und Testempfehlungen. Die 7. Teilgenehmigung umfasst den Betrieb des Kohlekraftwerks für den Einsatz von Steinkohle unterschiedlicher Qualitäten mit einer Forderungswärmeleistung des Kohlekraftwerkblocks von 1.705 MW, entsprechend einer elektrischen Nettoleistung von 750 MW, dessen Errichtung mit der 1. bis 5. Teilgenehmigung genehmigt wurde.
226Der Vorbescheid, die 1. Teilgenehmigung und die 7. Teilgenehmigung betreffen nicht die Errichtung der Freileitung, die Benutzung des Datteln-Hamm-Kanals und der Lippe durch Entnahme und/oder Einleitung von Wasser und die Erweiterung der Gleisanlagen. Diese Teile des Vorhabens sind Gegenstand gesonderter Planfeststellungs-, Genehmigungs- bzw. Erlaubnisverfahren nach dem Energiewirtschaftsgesetz, Wasserhaushaltsgesetz und Allgemeinen Eisenbahngesetz. Die von diesen Vorhabenteilen ausgehenden Umwelteinwirkungen wurden zur Beurteilung des vorläufigen positiven Gesamturteils und im Rahmen der Bewertung der Umweltauswirkungen und der naturschutzrechtlichen Betrachtung berücksichtigt. Zusammenfassend wird festgestellt, dass weder durch die indirekte noch durch die direkte Einleitung von Abwasser in die Lippe noch durch Einträge von Schadstoffen über den Luft-, Boden- oder Wasserpfad erhebliche Auswirkungen auf die Lippe zu erwarten seien.
227Der Vorbescheid vom 20. November 2013 wurde öffentlich bekannt gemacht und außerdem dem Kläger am 2. Dezember 2013 zugestellt.
228Die Beklagte erteilte dem SAL mit Bescheid vom 22. November 2013 die wasserrechtliche Erlaubnis gemäß § 8 WHG zur Einleitung von Abwasser (Kühlturmabwasser, Rauchgasentschwefelungsanlagenwasser) in die Lippe für das Steinkohlekraftwerk der Beigeladenen. Der Kläger hat hiergegen am 27. Dezember 2013 Klage erhoben. Die Klage ist beim VG Gelsenkirchen anhängig.
229Der Kläger hat am 30. Dezember 2013 gegen den Vorbescheid sowie die 1. und 7. Teilgenehmigung Klage erhoben. Er macht zur Begründung seiner Klage im Wesentlichen geltend: Als anerkannter Umweltverband sei er umfassend rügeberechtigt. Der angefochtene Vorbescheid und die angefochtenen Teilgenehmigungen erwiesen sich jeweils aus denselben Gründen als rechtswidrig.
230Das Vorhaben der Beigeladenen sei bereits bauplanungsrechtlich unzulässig. Auch die Auswirkungen des vorhabenbedingten Schadstoffausstoßes könnten nicht zuverlässig abgeschätzt werden. Die vorgelegte Immissionsprognose sei nicht nachvollziehbar und fehlerhaft. Ferner sei das Vorhaben entgegen der Einschätzung der Bezirksregierung und der Beigeladenen nicht mit den Schutzzwecken der von den Auswirkungen betroffenen FFH-Gebiete zu vereinbaren, weil nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden könne, dass es zu erheblichen Beeinträchtigungen komme. Die Voraussetzungen für eine Ausnahme vom FFH-Schutzregime lägen nicht vor.
231Im Einzelnen trägt der Kläger vor:
232Der Bebauungsplan der Stadt Lünen Nr. 80 „Stummhafen“ enthalte keine positive planerische Aussage zur Zulässigkeit von Kraftwerken. Auch der Landesentwicklungsplan NRW 1995 enthalte ebenso wenig eine positive Aussage zur Zulässigkeit eines Großkraftwerks an diesem Standort wie der Flächennutzungsplan oder der Regionalplan. Der im Zeitpunkt der Beschlussfassung geltende Gebietsentwicklungsplan weise für die Stadt Lünen sogar einen anderen Standort aus. Der Bebauungsplan Nr. 80 sei zudem seit 30 Jahren nicht in Richtung eines Großkraftwerks vollzogen worden und deshalb funktionslos. Die tatsächlichen und rechtlichen Änderungen, etwa infolge des nachträglichen Erlasses der Luftreinhalterichtlinie, der Wasserrahmenrichtlinie und der FFH-Richtlinie, seien planerisch nicht bewältigt worden. Der Bebauungsplan trage auch dem Umstand nicht Rechnung, dass die Planung jetzt der UVP- und FFH-Pflicht unterliege. Vor diesem Hintergrund bestehe eine zwingende Planungspflicht.
233Der Störfallschutz sei nicht zureichend bewältigt worden.
234Die Immissionsprognose vom 6. August 2012 sei sowohl hinsichtlich der Ausbreitungsrechnung für das streitgegenständliche Vorhaben als auch hinsichtlich der Berechnung der kumulierenden Auswirkungen fehlerhaft. Die Prüfung der Ausbreitungsrechnung durch das LANUV sei defizitär.
235Die Angaben zu den Kühlturmparametern - insbesondere zu der Austrittstemperatur - seien widersprüchlich. Die Kühlturmparameter seien zudem nicht belegt worden. Es falle jedoch auf, dass sich die Austrittsgeschwindigkeit und die Temperatur des Mischschwadens im Verlauf des Verfahrens erheblich verändert hätten.
236Es sei nicht der ungünstigste Betriebszustand im Sinne von Nr. 4.6.1.1 Anhang 3 Nr. 2 TA Luft berücksichtigt worden. Weder die Ausbreitungsrechnung vom 25. Februar 2013 zum 60 %-Lastbetrieb noch die Ausbreitungsrechnung vom 15. April 2016 zum 80 %-Lastbetrieb reichten aus, eine solche Annahme zu rechtfertigen. Da zunächst Ammoniak nicht gesondert ausgewiesen worden sei, bestehe die Vermutung, dass gerade dieser Wert gestiegen sei.
237Der Ansatz der Schwadenüberhöhung sei fehlerhaft. Nach der Modellbeschreibung in Anhang A der VDI Richtlinie 3784 Blatt 2 seien Schwankungen bis zu einem Faktor 2 möglich. Es führe zu einer Unterschätzung der Immissionen, dass die Prognose von einer vollständigen Durchmischung des Abgases des Kühlturmschwadens im Kühlturm und danach ausgehe, obwohl eine solche tatsächlich nicht stattfinde. Es fehle auch an einer Untersuchung zur Vergleichbarkeit von Schornsteinen und Kühltürmen.
238Die systematischen Fehler und die statistische Unsicherheit der Ausbreitungsrechnung seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Auch die in § 17 der 13. BImSchV geregelten Ausfallzeiten der Rauchgasreinigungsanlage seien nicht einbezogen worden.
239Die Wahl des Anemometerstandorts Lünen-Niederaden sei nicht plausibel. Die Auswahl der Messstation Werl-Waltrop - wie beim Vorhaben Datteln 4 - habe näher gelegen. Dies ergäben auch die selbst durchgeführten Berechnungen mit diesen Wetterdaten. Die ausgewählte Messstation entspreche auch nicht den Vorgaben des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Dieser fordere einen zehnfachen Abstand von relevanten Störungshindernissen und eine maximale Höhe von 15 m. Diese Vorgaben würden nicht eingehalten. Der massive Rückgang der Zusatzbelastung durch Säureeinträge des Vorhabens der Beigeladenen in der Immissionsprognose vom 6. August 2012 gegenüber den im vorhergehenden Verfahren ermittelten Werten sei ohne die Änderungen in der Meteorologie unverständlich. Die manuelle Korrektur der Regenzeitdaten für die nasse Deposition der Stickstoff- und Schwefeleinträge sei dabei besonders problematisch. Die in der Immissionsprognose verwendeten Niederschlagsdaten aus dem Jahr 2009 seien entgegen der Angaben der Beigeladenen nicht auf den langjährigen Mittelwert der Jahre 2002 bis 2011 hochskaliert worden. Die angesetzte Niederschlagsmenge liege mit 764,3 l/(m²*a) deutlich unterhalb dieses Mittelwerts von 789 l/(m²*a). Dasselbe gelte für die in der Immissionsprognose für das Kraftwerksprojekt Datteln 4 verwendeten Niederschlagsdaten. Keiner dieser Werte stimme mit den in der Critical-Loads-Berechnung von P. -E. verwendeten Niederschlagsdaten überein.
240Die Emissionen und Immissionen der Schwermetalle - insbesondere von Quecksilber - seien nicht hinreichend berücksichtigt worden. Der Anteil an - im Vergleich zu elementarem Quecksilber aufgrund der höheren Depositionsgeschwindigkeit schneller sinkendem - oxidiertem Quecksilber sei mit 50 % zu klein. Bei einem konservativen Ansatz müsse von 100 % oxidiertem Quecksilber ausgegangen werden. Aufgrund der im Kühlturm zu erwartenden Oxidationsvorgänge liege nach kurzer Zeit das gesamte Quecksilber in oxidierter Form vor. Wie schnell die Reaktionen im Mischschwaden und bei höheren Schadstoffkonzentrationen abliefen, sei zwar weitgehend unerforscht. Die von der Beigeladenen erfolgte Heranziehung atmosphärischer Bedingungen sei jedoch nicht sachgerecht, weil im Mischschwaden keine homogenen Gasphasen bestünden. Wegen der erheblich höheren Schadstoffkonzentrationen sei auch von höheren Reaktionsgeschwindigkeiten auszugehen. Die Heranziehung der Depositionsgeschwindigkeiten für Quecksilber aus der TA Luft bzw. der VDI Richtlinie 3782 Blatt 5 entspreche nicht dem neuesten Kenntnisstand. Neuere, auf Messungen beruhende Erkenntnisse aus Japan und den USA sprächen je nach Landnutzung für höhere Depositionsgeschwindigkeiten. Erkenntnisse aus Japan zeigten auch, dass die ‑ hier nicht betrachtete - nasse Deposition gegenüber der trockenen dominiere.
241Auch für die LASAT-Berechnung fehle es an einer Begründung oder Ableitung der Zahlenwerte; die Berechnungsgrundlagen seien nicht vorgelegt worden. Die Depositionsgeschwindigkeit für die trockene Säuredeposition könne - anders als in dem vorangegangen Verfahren angenommen - zweidimensional in das Programm LASAT eingegeben werden. Für Schwefeldioxid habe daher über den Cappenberger Wäldern eine Depositionsgeschwindigkeit von 1,5 cm/s angesetzt werden müssen.
242In der Immissionsprognose für das Kraftwerkprojekt vom 15. Februar 2013 Datteln 4 sei - anders als beim streitgegenständlichen Vorhaben - der LASAT-Korrekturterm für die Abgasgeschwindigkeit nicht angepasst worden. Die Austrittsgeschwindigkeit für Datteln 4 sei für den Realzustand angesetzt worden, für das Vorhaben der Beigeladenen für den Normzustand. Für das Kraftwerk Datteln seien keine Kühlturmberechnungen vorgelegt worden. Der angesetzte Austrittsdurchmesser entspreche nicht der Anlagenbeschreibung (60,6 m/60 m), was nicht plausibel sei. Die der Immissionsprognose zu Grunde gelegten Kühlturmparameter für das Kraftwerk Datteln gälten im Übrigen nur für den Fall der idealen Durchmischung von Abluft und Kühlturmschwaden.
243Die Immissionsprognose für Datteln 4 sei auch sonst fehlerhaft und die entsprechende Zusatzbelastung nur unzureichend ermittelt worden. Die Emissionsmassenströme seien um 7 % zu niedrig, weil für 600 Stunden keine Emissionen eingestellt worden seien. Ob dieser Fehler in der neuen Immissionsprognose behoben worden sei, sei nicht klar. Daten lägen hierzu nicht vor. In der Immissionsprognose für Datteln 4 sei die statistische Unsicherheit mit kleiner als 3 % angegeben, es sei aber unklar, ob bei den einzelnen Beurteilungspunkten die statistische Unsicherheit mit eingerechnet worden sei. Dies gelte auch für spätere Immissionsprognosen und die Immissionsprognose für Herne.
244Die Unterscheidung zwischen Sommer- und Winterhalbjahr bei der Fernwärmeauskoppelung für Datteln 4 entspreche nicht den zukunftsbezogenen Prognosen. Insoweit bedürfe es eines Fachgutachtens und der Auseinandersetzung mit dem klägerischen Vorbringen. Dieser Fehler schlage auf die Immissionsprognose vom 6. August 2012 durch, weil nicht angegeben worden sei, von welcher Fernwärmeauskopplung für Datteln 4 ausgegangen worden sei. Außerdem könne nicht nachvollzogen werden, warum die Zusatzbelastung durch Datteln 4 in der Immissionsprognose vom 6. August 2012 niedriger sei als in der zur FFH-Verträglichkeitsuntersuchung zu Datteln 4 erstellten Immissionsprognose vom 12. April 2012, obwohl die Eingangsdaten identisch seien; auch bei Datteln 1-3 seien solche Unterschiede festzustellen.
245Der Abzug der Zusatzbelastung für das Kraftwerk Datteln 1-3 sei zu hoch. Der Ansatz des Durchschnittswerts der Emissionsmassenströme aus den Jahren 2003-2011 sei nicht sachgerecht. Analog der TA Luft hätten lediglich 5 Jahre betrachtet werden dürfen. Eine solche Betrachtung führe zu deutlich geringeren Emissionsmassenströmen und damit auch einem geringeren Abzug. Der Wert für Ammoniak sei mit 1 mg/m³ nicht nachvollziehbar, da im Jahr 2011 noch ein Wert von 2 mg/m³ angesetzt worden sei.
246Auch der Umstand, dass sich - trotz der ähnlichen Austrittsparameter des Kraftwerks der Beigeladenen und des Kraftwerks Herne Block 5 - die Ausdehnung der Abluftschwaden deutlich unterscheide, sei unverständlich.
247Dem Vorhaben stünden naturschutzrechtliche Bedenken entgegen. Die Annahme, es sei ausgeschlossen, dass das FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ durch den Eintrag von Säure, Stickstoff und Schwermetallen auf dem Luftpfad und dass die FFH-Gebiete „Lippeaue“ und „Teilabschnitte Lippe“ durch Einträge über den Luft- und Wasserpfad erheblich beeinträchtigt würden, sei nicht hinreichend belastbar. Die Critical Loads für Säureeinträge seien in allen Waldlebensräumen überschritten.
248Weder das Abschneiden von Einträgen zur Abgrenzung des Untersuchungsraums oder bei der Ermittlung der kumulierenden Wirkung anderer Quellen noch der Ansatz einer Bagatellschwelle sei sachgerecht oder fachwissenschaftlich gerechtfertigt.
249Die Berechnung der Critical Loads für versauernde Stoffeinträge durch P. -E. sei unzureichend und intransparent. Es sei unklar, wie das Ziel-Ökosystem für die Bewertung der zusätzlichen Stickstoffeinträge definiert werde. Referenzzustände aus weniger belasteten Gebieten oder geringer belasteten Epochen (etwa den 1920er Jahren) würden nicht benannt. Es bleibe an vielen Stellen offen, welche Paramater verwendet worden seien. Die Parameterauswahl sei auch nicht sachgerecht erfolgt. Sie weiche an mehreren Stellen von der gängigen Praxis des ICP Modelling & Mapping 2010 ab. Dies betreffe neben dem Term der seesalzkorrigierten Deposition basischer Kationen insbesondere die Annahme anderer Durchwurzelungstiefen und Verwitterungsraten im Unterboden, die Stickstoff-Immobilisierungsrate, die Denitrifikationsrate und die kritische Austragsrate der Säureneutralisierungskapazität. Die unzulässige Mittelwertbildung verschiedener Parameter - unter anderem des pH-Werts - über mehrere Bodenhorizonte hinweg führe zu einer Fehleinschätzung der realen Verhältnisse. Es bedürfe einer objektiven Betrachtung anhand der - den eigenen Berechnungen entsprechenden - Critical Loads des Umweltbundesamtes. Die dort ausgewiesenen Werte für die Cappenberger Wälder lägen um bis zu 43 % niedriger als die modellierten Critical Loads.
250Es seien nicht alle kumulierenden Vorhaben berücksichtigt worden. Es müssten sowohl die Vorhaben, die vor dem Kraftwerkprojekt der Beigeladenen beantragt worden seien als auch die Vorhaben, die später beantragt, aber zwischenzeitlich realisiert worden seien, einbezogen werden. Das Vorhaben der Beigeladenen habe seine Prioritätsstellung infolge der Aufhebung des Vorbescheids vom 6. Mai 2008 verloren. Der maßgebliche Stichtag sei damit der 23. August 2012. Dies gelte auch deshalb, weil der erste Antrag wegen Fehlern der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung unvollständig gewesen sei. Nach alledem habe die Zusatzbelastung durch die B. AG mit berücksichtigt werden müssen. Die Schadstoffemissionen des Kraftwerks Datteln 1-3 seien nicht abzuziehen, sondern der Vorbelastung zuzurechnen. Auch die in der Umgebung vorhandenen Tierhaltungsanlagen seien nicht zureichend berücksichtigt worden.
251Eigene Berechnungen hätten ergeben, dass bei einer Einbeziehung der Auswirkungen von Datteln 1-3 und der B. AG in die Summation die Critical Loads für versauernde Einträge um mehr als 3 % überschritten würden. Dasselbe gelte bei der - insbesondere, was den Ammoniak-Faktor angehe - zutreffenden Einbeziehung der Tierhaltungsanlagen.
252Die Beigeladene habe den Nachweis der Unbedenklichkeit der Einträge auch in der Einzelfalluntersuchung nicht erbringen können. Sie habe insbesondere das Bestehen einer Basenpumpe nicht belegt. Es sei ohnehin fraglich, ob die Basenpumpe als Schutzmechanismus in Betracht komme. Die Oberböden in den Wäldern bei Cappenberg seien trotz der hohen Basizität in den Unterböden stark versauert, die Säurebelastung trotz der rückläufigen Stoffeinträge so hoch, dass aus den Silikaten Aluminium freigesetzt werde. Die Eutrophierung sei an einigen Stellen irreversibel. Auch die Versauerung sei wegen der Tonzerstörung und des freigesetzten, aktuell an Austauscher gebundenen Aluminiums nicht reversibel. Die Behauptung, die Critical Limits würden in der krautdurchwurzelten Mineralbodenzone der Hauptwurzelzone nicht erreicht, sei falsch; für eine fehlerfreie Berechnung über mehrere Bodenhorizonte hätten die Feinbodenmengen bekannt sein müssen, erst dann hätten gewichtete Mittelwerte berechnet werden können.
253Die Vegetationsaufnahmen reichten nicht aus, um die aktuelle Waldvegetation pflanzensoziologisch einzuordnen. Die vegetationskundliche Methode sei nur dann geeignet, die Wirkungen zusätzlicher Stoffeinträge zu bewerten, wenn weitere Analysewerkzeuge (zeitliche, typologische und räumliche Vergleiche, Experimente, Zeigerwerte) hinzugenommen würden. Die Untersuchungen der Beigeladenen würden dem nicht gerecht. Um den aktuellen Zustand und die Schadenssymptome quantifizieren sowie den Zielzustand definieren zu können, sei eine größere Zahl an Vegetationsaufnahmen (einschließlich der besonders empfindlichen Moos- und Flechtenarten), deren Verortung und Informationen über andere Schadeinflüsse und forstliche Maßnahmen erforderlich. Der eigene Gutachter habe zuletzt festgestellt, dass stickstoffarme Verhältnisse bevorzugende Arten ab- und Nitratpflanzen zugenommen hätten. Starksäureanzeiger seien entgegen der Annahme der Beigeladenen nicht zu erwarten, sondern eher das Vorkommen säuretoleranter Nitratpflanzen, die die Cappenberger Wälder tatsächlich prägten. Auch der Degradationsgrad sei falsch eingeschätzt worden. Es sei zu vermuten, dass die Waldgesellschaften der Cappenberger Wälder floristisch bereits deutlich degradiert seien. Die untersuchten Flächen stellten die „günstigste“ Auswahl dar; schon in der Nachbarschaft dieser Flächen komme es zu Verschiebungen im Arteninventar, die umso deutlicher würden, je größer die Entfernung sei. Dort seien Stickstoffanzeiger zu verzeichnen, insbesondere die Brombeere habe stark zugenommen. Außerhalb der betrachteten Flächen würden auch Säureanzeiger auftreten.
254Wegen der Schwermetalleinträge werde ebenfalls auf die Erkenntnisse der eigenen Gutachter verwiesen. Es gebe fachlich anerkannte und ausreichend validierte Critical Loads für Schwermetalle für Europa, in Deutschland für Blei, Cadmium und Quecksilber. Für Blei und Cadmium existierten Critical Loads für landwirtschaftliche und naturnahe Ökosysteme (Trinkwasserschutz, Sickerwasser, Wirkungen auf die in den oberen Bodenschichten lebenden Organismen). Diese Critical Loads seien aber nicht genutzt worden. Sie seien jedenfalls für die kleinräumige Betrachtung heranzuziehen. Sie seien durch die Vorbelastung schon überschritten. Auch die vielfältigen Wirkungen erhöhter Ammoniakkonzentrationen seien nicht berücksichtigt worden. Seit 2009 existierten insoweit nach unten korrigierte Critical Level.
255Das Vorhaben sei auch nicht ausnahmsweise genehmigungsfähig. Die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 4 der FFH-Richtlinie lägen nicht vor. Die Unterstellung, es erfolge eine erhebliche Beeinträchtigung der „Wälder bei Cappenberg“ durch Stickstoff- und Säureeinträge und der FFH-Gebiete DE 4209-302 und 4313-302 durch Abwassereinleitung, bleibe im Ausmaß hinter den vom Kläger geltend gemachten Beeinträchtigungen zurück und sei nicht haltbar. Wenn das Ausmaß der Beeinträchtigung nicht ordnungsgemäß und sachgerecht festgestellt sei, sei auf keiner Stufe der Prüfung der richtige bezugspunktbildende Vergleich möglich. Die Prüfung gehe daher von vorneherein ins Leere. Es fehle auch an zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses. Weder die Alternativenprüfung noch der Kohärenzausgleich sei ausreichend.
256Die Umweltverträglichkeitsprüfung sei bezüglich der aquatischen Lebensraumtypen und der Arten Flussneunauge und Eisvogel unzureichend und teilweise unzutreffend. Auch die Belange des nationalen und des globalen Klimaschutzes seien nicht hinreichend berücksichtigt worden. Es sei zu Unrecht nur das Kleinklima betrachtet worden. Die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 2 UVPG verstoße gegen die UVP-Richtlinie, sofern dort die von dem Vorhaben ausgehenden Treibhausgasemissionen erfasst seien. Diese Frage sei dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen.
257Der Artenschutzbeitrag sei nur begrenzt aussagekräftig, denn er sei erst nach Errichtung der Bauwerke erstellt worden. Es bestehe der konkrete Verdacht, dass die Kreuzkröte sich im Baufeld aufgehalten habe. Daher wäre eine artenschutzrechtliche Ausnahme erforderlich gewesen. Dasselbe gelte für den Eisvogel, bei dem die Aufnahme von quecksilberbelasteten Tieren zu einer populationsrelevanten Verminderung der Vitalität führe.
258Die Freisetzung radioaktiver Strahlung bei der Kohleverbrennung führe zu einer Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung. Radioaktive Isotope blieben nicht vollständig in den Aschen bzw. Reststoffen zurück. Isotope von Radon, Blei und Polonium gingen beim Verbrennungsvorgang oder in den Trocknungsvorgängen in die Gasphase über und gelangten über die Atemluft oder die Nahrung in den menschlichen Körper. Es handele sich in erster Linie um Alphastrahler (Radionuklide in Kohle), die um den Faktor 20 biologisch wirksamer als die Beta- und Gammastrahlungen seien. Die Dosis der Strahlenbelastung sei bis zu dreimal höher als bei Atomkraftwerken im Normalbetrieb.
259Es fehle an dem vorläufigen positiven Gesamturteil. Die Stoffeinleitung und Stoffeinträge in die Gewässer seien nicht genehmigungsfähig. Der Kläger habe Klage gegen die der SAL erteilte wasserrechtliche Erlaubnis erhoben.
260Die Beigeladene könne schließlich auch kein berechtigtes Interesse an der Erteilung des Vorbescheides geltend machen. Es sei bereits eine Betriebsgenehmigung erteilt worden, so dass kein Raum mehr für eine verfahrensökonomische Abschichtung sei. Die Teilgenehmigungen, die auf dem ersten Vorbescheid beruhten, seien mit dem Wegfall des ursprünglichen Vorbescheides rechtswidrig geworden, weil über wesentliche Genehmigungsvoraussetzungen nicht entschieden worden sei. Erforderlich gewesen sei ein Antrag auf Vollgenehmigung. Die Aufteilung des Genehmigungsverfahrens führe zu einer Erschwerung der Beteiligung der Öffentlichkeit und der Rechtsschutzmöglichkeiten.
261Der Kläger beantragt,
262den Vorbescheid vom 20. November 2013, die 1. Teilgenehmigung vom 21. November 2013 und die 7. Teilgenehmigung vom 22. November 2013 der Bezirksregierung Arnsberg aufzuheben.
263Der Beklagte beantragt,
264die Klage abzuweisen.
265Der Beklagte trägt vor: Der Kläger sei mit den baurechtlichen Rügen weiterhin präkludiert; jedenfalls sei der Kläger insoweit nicht rügebefugt. Eine Anpassung des Bebauungsplans an höherrangiges Planungsrecht sei auch nicht erforderlich. Wegen des Landesentwicklungsplans werde auf die Stellungnahme des Regionalverbands Ruhr vom 15. Juli 2014 hingewiesen. Eignungsgebiete im Sinne des § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 ROG, die dem Kraftwerkstandort entgegenstehen könnten, seien landesplanerisch nicht festgelegt worden. Insbesondere für das Gebiet der Stadt Lünen gebe es keine (abweichende) Festlegung eines Kraftwerkstandortes. Im Regionalplan sei ein Bereich für gewerbliche und industrielle Nutzungen (GIB) ausgewiesen, in dem aufgrund des Piktogramms ohne Zackenlinie auch Kraftwerke zulässig seien. Im Flächennutzungsplan sei ein Industriegebiet dargestellt.
266Der Bebauungsplan sei auch nicht funktionslos geworden. Eine nachträgliche UVP- oder FFH-Verträglichkeitsuntersuchungs-Pflicht bestehe nicht, die entsprechenden Richtlinien seien erst später in Kraft getreten. Beide Prüfungen seien bei der Zulassungsentscheidung durchgeführt worden.
267Das Störfallkonzept sei vom LANUV geprüft und für plausibel erachtet worden. Hinsichtlich der Kritik an der Immissionsprognose und der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung jeweils vom 6. August 2012 sei es nicht Aufgabe des beklagten Landes, die wissenschaftlichen Daten, Modelle und Schlussfolgerungen zu hinterfragen. Deshalb werde im Wesentlichen auf die Stellungnahmen des LANUV vom 7. Dezember 2012, vom 13. August 2013, vom 21. August 2014 und vom 8. Juli 2015 hingewiesen. Die Begrenzung der Schwermetalle und deren Überwachung seien in der 7. Teilgenehmigung geregelt. Die diffusen Quellen hätten vernachlässigt werden können, weil die Bänder und Ecktürme eingehaust und verkapselt seien. Die Quecksilberdepositionen seien nicht unterschätzt worden. Weder die TA Luft noch die VDI-Richtlinie verlangten die Berücksichtigung der nassen Depositionen von Quecksilber. Die Aufteilung zwischen oxidiertem und elementarem Quecksilber sei zutreffend. Die Depositionsgeschwindigkeit für Schwefeldioxid entspreche den Vorgaben des OVG NRW, ansonsten entsprächen die Depositionsgeschwindigkeiten der VDI Richtlinie 3782 Blatt 5. Es sei auch der ungünstigste Betriebszustand betrachtet worden. Auf die Ausführungen des LANUV in dem Erörterungstermin zum Kraftwerkprojekt Datteln 4 und in der Stellungnahme vom 13. August 2013 werde Bezug genommen. Wegen der Kühlturmauslegung habe am 10. Juli 2015 ein Gespräch mit dem Kühlturmhersteller stattgefunden. Dabei seien Auslegungsgrundlagen des Kühlturms für den 100 %‑, den 80 %- und den 60 %-Betrieb zur Verfügung gestellt worden. Eine vollständige Vermischung der deutlich wärmeren, in einer Höhe von ca. 50 m eingeleiteten Feuerungsabgase mit dem Kühlturmschwaden finde zwar nicht statt. Ungeachtet dessen sei die abweichende Annahme in der Immissionsprognose konservativ, da das nach der TA Luft verwendete Modell für eine jeweils über die Kühlturmmündung gemittelte Temperatur und Austrittsgeschwindigkeit des Schwaden-Abgasgemischs parametrisiert worden sei. Die Ausbreitungsrechnungen für den 100 %- und für den 60 %-Lastfall seien weitgehend linear. Bei einer Reduzierung des Lastbetriebs nehme der Schwadenvolumenstrom geringer ab als der Volumenstrom der Feuerungsabgase, die Reduzierung der Emissionsmassenströme führe zu einer Verminderung der resultierenden Immissionsbelastung, weil das Schwaden-Abgasgemisch noch ausreichenden Auftrieb aufweise, d. h. die Reduzierung der Emissionen werde nicht durch einen verminderten Auftrieb überkompensiert. Die geringere Luftfeuchtigkeit von weniger als 80 % führe aufgrund des damit verbundenden größeren Kühlgrenzabstandes ebenfalls zu höheren Austrittsgeschwindigkeiten.
268Das Vorhaben verstoße auch nicht gegen Naturschutzrecht. Beeinträchtigungen der FFH-Gebiete seien nicht zu erwarten. Insoweit werde auf die Einschätzung des LANUV, des Landesbetriebes Wald und Holz NRW und des Geologischen Dienstes vom 8. August 2014 verwiesen. Das Critical-Loads-Konzept und die Abschneidekriterien stellten die besten wissenschaftlichen Erkenntnisse dar. Die Critical Loads für den Säureeintrag seien von P. -E. modelliert worden, die Critical Loads für Stickstoffeinträge stammten vom LANUV. Zur Plausibilisierung der Modellierung seien Vegetationsaufnahmen und bodenkundliche Kartierungen sowie Bodenanalysen erstellt worden. Zusätzlich sei vorsorglich eine Einzelfallbetrachtung vorgenommen worden. Bezüglich der Wirkungen sei die Methodik des LANUV angewandt worden, die auf den besten wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhe. Die Abschneidekriterien seien vom LANUV anhand der Grenze der Nachweisbarkeit projektbezogen entwickelt worden. Sie beträfen rechnerisch darstellbare, keiner Emissionsquelle zurechenbare Immissionen. Der Abschneidewert für Stickstoffeinträge sei äußerst konservativ, er sei kleiner als der in dem Vorhaben des Bundesamtes für Straßenwesen vorgeschlagene Wert. Die Summierung mit den anderen Projekten habe sich am Prioritätsprinzip ausgerichtet. Als maßgeblicher Stichtag sei auf dem 31. März 2007 abgestellt worden, maßgeblicher Zeitraum sei demnach der 7. Dezember 2004 bis zum 31. März 2007. Die Zusatzbelastung der B. AG sei daher ebenso wenig zu berücksichtigten wie das von der Beigeladenen in die Kumulationsrechnung vom 15. November 2015 eingestellte Biomassewerk Lünen, das schon vor Unterschutzstellung des FFH-Gebiets genehmigt worden sei.
269Der Erlass des MKULNV vom 30. September 2014 sei beachtet worden. Die Betrachtung der FFH-Gebiete sei schutzgebietsbezogen erfolgt. Es seien alle potenziellen Einwirkungen des Kraftwerks und alle Wirkungspfade in einem aufeinander aufbauenden System von Prüfschritten einbezogen worden.
270Die Unterschiede zu den früheren Immissionsprognosen beruhten auf den neuen Emissionsbegrenzungen und den daraus resultierenden Jahresfrachten bei 85 % der maximalen Betriebsstunden. Der Wert für Ammoniak sei nach den Ergebnissen von Einzelmessungen praxisnah.
271Da die Erstellung von dynamischen Stoffhaushaltsbilanzen in den Leitfäden nicht vorgesehen sei, werde von weiterem Vortrag zur Kritik des Klägers abgesehen. Die boden- und vegetationskundlichen Untersuchungen entsprächen den Anforderungen des Geologischen Dienstes und des LANUV, die Probeentnahmen seien an repräsentativen Stellen erfolgt. Die Kartierung der Lebensraumtypen im FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ sei vom LANUV abgenommen worden, und die Ergebnisse seien in die dortige Datenbank eingepflegt worden.
272Die Schwermetalleinträge in die Lippe seien anhand der Abschneidekriterien des LANUV bewertet worden. Die Ausnahmeprüfung sei nur äußerst vorsorglich erfolgt und weise keine Fehler auf.
273Der Artenschutzbeitrag sei ausreichend und beruhe auf fachlich korrekt durchgeführten Ermittlungen auch während der Bauvorbereitung und vor der Errichtung der Bauwerke. Ein Verstoß gegen Tötungs- und Verbotstatbestände liege nicht vor. Für die Kreuzkröte habe es nur einen Rufnachweis gegeben, nachdem das Gelände von der Vegetation geräumt worden sei. Eine Ortung sei nicht möglich gewesen. Beim Eisvogel lägen die Akkumulationswerte unter einer möglichen Effektschwelle, beim Flussneunauge sei eine Verschlechterung des Erhaltungszustands ausgeschlossen. Der Kläger sei mit dem Vortrag zur Radioaktivität weiter präkludiert. Der TÜV Nord gebe im Übrigen an, dass die Werte kleiner seien als die natürlichen Strahlungswerte. Die vom Kläger gewünschte Bewertung des Makroklimas sei nicht Gegenstand der Umweltverträglichkeitsprüfung. Die Beigeladene habe schließlich auch weiter ein berechtigtes Interesse an der Erteilung eines Vorbescheides, weil die Grundlage für die bereits erteilten Teilgenehmigungen wiederhergestellt werden müsse.
274Die Beigeladene beantragt,
275die Klage abzuweisen.
276Die Beigeladene weist darauf hin, dass das Vorhaben Kraftwerk Herne Block 5 endgültig weggefallen sei, nachdem der Vorbescheid vom 14. Dezember 2007 mit Ablauf des 12. Oktober 2014 unwirksam geworden sei. Für das Kraftwerkprojekt Datteln 4 sei ein Vollgenehmigungsverfahren geplant. Im Übrigen sei die Klage teilweise unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.
277Der Vortrag des Klägers sei in weiten Teilen schon deshalb nicht zu berücksichtigen, weil er zu pauschal und unsubstantiiert sowie anwaltlich nicht aufbereitet sei. Der Kläger könne auch nur Vorschriften mit Umweltbezug rügen. Verstöße gegen baurechtliche Vorschriften könne er daher nicht geltend machen, ein nur mittelbarer Zusammenhang mit Umweltvorschriften reiche für die Klagebefugnis nicht aus. Ungeachtet dessen entspreche das Vorhaben den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 80. Die Ausweisungen auf der Ebene der Landes- und Regionalplanung stünden der Errichtung und dem Betrieb eines Kraftwerks nicht entgegen. Der Bebauungsplan sei weder funktionslos geworden noch unterliege er einer nachträglichen UVP- oder FFH-Verträglichkeitsuntersuchungs-Pflicht. Es reiche aus, wenn die Zulassungsentscheidung - wie hier - einer Umwelt- und FFH-Verträglichkeitsprüfung unterzogen worden sei.
278Die vorgelegten Antragsunterlagen entsprächen vollumfänglich den störfallrechtlichen Anforderungen. Das Vorhaben der Beigeladenen sei auch immissionsschutzrechtlich genehmigungsfähig. Die Ausbreitungsrechnungen vom 6. August 2012, vom 25. Februar 2013 und vom 15. April 2016 seien vom LANUV geprüft und für plausibel befunden worden.
279Die Schwermetallemissionen und -immissionen, insbesondere von Quecksilber, seien zutreffend ermittelt worden. Aufgrund der Reinigungswirkung der DeNOx-Anlage sei oxidiertes Quecksilber mit einem Anteil von 50 % konservativ berücksichtigt worden. Das habe das LANUV auch für das Kraftwerk Datteln 4 bestätigt. Das oxidierte Quecksilber werde in der REA-Anlage zudem weitgehend aus dem Rauchgas entfernt. Der Tagesmittelwert für Quecksilber von 0,013 mg/m3 werde so eingehalten. Der Emissionswert für Ammoniak sei freiwillig beantragt worden; der Anlagenhersteller habe gewährleistet, dass der Ammoniakgehalt im Rauchgas nach dem Katalysator den Wert von 5 mg/m³ nicht überschreite. Aufgrund der Erhöhung des Rauchgasvolumenstroms auf 2,21 Mio m³/h sei der Wert von 5 mg/m³ auf 4,8 mg/m³ angepasst worden.
280Die Depositionsgeschwindigkeit für Quecksilber von 0,5 cm/s entspreche den Vorgaben der TA Luft und der VDI-Richtlinie 3783 Blatt 3 für gasförmiges Quecksilber. Die vom Kläger benannten Studien aus anderen Ländern seien wegen der unterschiedlichen meteorologischen, geologischen und biologischen Verhältnisse nicht übertragbar. Die nasse Deposition von Quecksilber sei nach der TA Luft zu Recht unberücksichtigt geblieben.
281Mit dem Volllastbetrieb sei der ungünstigste Zustand in den Blick genommen worden. Beim 60 %-Lastbetrieb seien die Emissionsmassenströme und der thermische und impulsbehaftete Auftrieb des Abgasschwadens bei gleichen Randbedingungen geringer, das schadstoffspezifische Immissionsmaximum liege näher an der Emissionsquelle. Er rufe geringere Emissionen hervor; dasselbe gelte für die Fernwärmeauskopplung. Dieses Ergebnis werde durch die Untersuchung des 80 %-Lastfalls mit Ausbreitungsrechnung vom 15. April 2016 und die isolierte Betrachtung von Ammoniak beim 60 %-Lastfall mit Ausbreitungsrechnung vom 13. April 2016 bestätigt. Einer weiteren Darstellung der Auswirkungen der Luftschadstoffe an den einzelnen Beurteilungspunkten der FFH-Gebiete bedürfe es daher nicht. Die Teillastrechnungen beruhten auf denselben Kühlturmparametern wie die Immissionsprognose vom 6. August 2012. Dies gelte insbesondere auch für die Austrittsgeschwindigkeit und -temperatur.
282Die Schwadenüberhöhung sei auf der Grundlage des in das Programm AUSTAL2000 implementierten Anhangs 3 Nr. 6 TA Luft/VDI 3784 Blatt 2 berechnet worden. Die Ausbreitungsrechnung sei vom LANUV unter dem 7. Dezember 2012 bestätigt worden. Auf den Grad der Durchmischung von Abgas und Kühlturmschwaden komme es nicht an. Auch die statistische Unsicherheit sei bei der Ausbreitungsrechnung angemessen berücksichtigt worden. Die statistische Unsicherheit werde von dem Ausbreitungsmodell neben der schadstoffspezifischen Immissionszusatzbelastung automatisch ausgewiesen. Ergebe die Ausbreitungsrechnung eine statistische Unsicherheit von mehr als 3 % des Jahres-Immissionswerts, müsse entsprechend Nr. 9 des Anhangs 3 der TA Luft eine erneute Ausbreitungsrechnung mit einer höheren Partikelzahl oder Qualitätsstufe durchgeführt werden. Die statistische Unsicherheit betrage beim Kraftwerk der Beigeladenen für Schwefel- und Stickstoffdioxid weniger als 0,03 % des Jahres-Immissionswerts.
283Die Wahl des Anemometerstandorts sei sachgerecht und plausibel, die Anforderungen an das DWD-Messnetz müssten nicht vorliegen. Der Standort Lünen-Niederaden sei nach dem Gutachten von ArguSoft vom 13. Februar 2012 geeignet. Er sei vom DWD auch im ersten Vorbescheidsverfahren empfohlen worden.
284Das Vorhaben entspreche den naturschutzrechtlichen Vorgaben. Es verursache weder erhebliche Beeinträchtigungen der FFH-Gebiete über den Luftpfad auf terrestrische Schutzgüter noch über den Luftpfad oder Wasserpfad auf aquatische Schutzgüter.
285Die Kritik des Klägers an den Abschneidekriterien sei unbegründet. Das LANUV habe die Abschneidekriterien empfohlen. Sie seien in der Fachwelt anerkannt und auch rechtlich geboten. Die Grenze des von § 34 BNatSchG verlangten Kausalzusammenhangs werde durch die Nachweisbarkeit markiert. Der Vorhabenträger müsse kein „Nullrisiko“ nachweisen.
286Die kumulierende Betrachtung sei entsprechend der Vorgaben des LANUV und des OVG NRW erfolgt. Das streitbefangene Vorhaben habe seine aufgrund des ersten Antrags auf Erteilung eines Vorbescheides erlangte Vorrangstellung nicht verloren. Daher seien nur die Projekte, die seit Unterschutzstellung des FFH-Gebiets am 7. Dezember 2004 bis zum 31. März 2007 einen prüffähigen Antrag gestellt hätten, in die Kumulation einzubeziehen, also aktuell die Vorhaben Datteln 4 und die Ortsumfahrung Datteln B 474n, nicht jedoch die Änderungen des Werks der B. AG. Der Wegfall der Emissionen von Datteln 1-3 sei als Schadensminderungsmaßnahme zu berücksichtigen; ein unmittelbarer und untrennbarer Zusammenhang bestehe, weil kein paralleler Betrieb möglich sei. Die früheren Einträge von Datteln 1-3 seien in der Vorbelastung abgebildet. Die Beigeladene habe ungeachtet dessen vorsorglich neue Kumulationsbetrachtungen auch bezüglich der Tierhaltungsanlagen vorgelegt.
287Die Ausbreitungsrechnung vom 6. August 2012 beruhe auf veränderten Eingangsdaten. Die Emissionsfrachten für Stickstoff- und Schwefeloxide seien im Jahresmittel reduziert worden. Die resultierenden Jahresfrachten seien bei Volllastbetrieb auf Antrag auf 85 % des Wertes begrenzt worden. Die meteorologischen Zeitreihen der Windrichtungs-, Windgeschwindigkeits- und Ausbreitungsklassenverteilung sowie die Niederschlagsreihen seien aktualisiert worden. Für das Kraftwerk Datteln 1-3 seien abweichend die Emissionsfrachten aus den Jahren 2003 bis 2011 eingestellt worden. Die Emissionsfrachten und -begrenzungen für Datteln 4 seien entsprechend der textlichen Festsetzungen im Vorhaben- und Erschließungsplan und im vorhabenbezogenen Bebauungsplan aktualisiert worden. Die Ableitbedingungen des Kühlturms Datteln 4 seien mit Blick auf die Fernwärmeauskopplung angepasst worden.
288Es sei nicht mit synthetischen Windrosen gearbeitet worden, die Prognose beruhe auf den meteorologischen Daten 2009 der Messstation Lünen-Niederaden. Dies sei vom LANUV als plausibel erachtet worden. Die Depositionsgeschwindigkeiten seien mit dem LANUV abgestimmt worden, für Schwefeldioxid seien 1,25 cm/s über Wald ausreichend konservativ. Die VDI-Richtlinie 3782 enthalte mit 1,5 cm/s nur einen Anhaltswert für Wald, der Anhang D differenziere nach der Art des Waldes. Es ergebe sich als Mittelwert eher ein Wert kleiner als 1 cm/s; Berechnungen von N. -BBM mit ortsabhängigen Depositionsgeschwindigkeiten unter Berücksichtigung der VDI-Richtlinie 3782 Blatt 5 und Untersuchungen des LANUV hätten ergeben, dass der gewählte Ansatz pessimal sei; Auswirkungen auf die Bagatellschwelle ergäben sich nicht.
289Die Zusatzbelastung für das Kraftwerk Datteln 1-3 sei korrekt ermittelt worden. Es bedürfe einer repräsentativen Emissionssituation. Der Zeitraum von 9 Jahren sei aussagekräftiger als ein Zeitraum von 5 Jahren. Ammoniak sei mit 1 mg/m³ angemessen berücksichtigt worden.
290Die Austrittgeschwindigkeit für das Kraftwerk Datteln 4 sei mit 4,5 bzw. 4,3 m/s zutreffend angesetzt worden, die Zahlen seien in der Immissionsprognose für Datteln 4 vom 20. September 2013 verifizierbar; im Anhang 8.8. seien die Auslegungsdaten des Kühlturmherstellers wiedergegeben. Nach der VDI-Richtlinie 3784 Blatt 2 sei eine Berechnung des Wärmestroms nicht erforderlich, maßgeblich seien die Austrittsgeschwindigkeit, die Temperatur, die relative Feuchtigkeit und der Flüssigwassergehalt. Dies sei vom LANUV bestätigt worden. Die Zusatzbelastung für das Kraftwerk Datteln 4 sei auch sonst zutreffend ermittelt worden. Die ursprünglich in den Zeitreihen fehlerhaft unbesetzt gebliebenen Emissionsstellen seien auf Empfehlung des LANUV manuell nachbesetzt worden. Nur bei der Ermittlung der maximalen Zusatzbelastung sei die statistische Unsicherheit nicht berücksichtigt worden.
291Die halbjahresweise Berücksichtigung der Fernwärmeauskoppelung beim Kraftwerk Datteln 4 beruhe auf Erkenntnissen aus dem Zeitraum von 1961 bis 2009. Dieser langjährige Zeitraum erlaube eine konservative Abschätzung auch für die Zukunft.
292Die Unterschiede zwischen der Immissionsprognose zur FFH-Verträglichkeitsprüfung zu Datteln 4 vom 12. April 2012 und der Immissionsprognose vom 6. August 2012 beruhten auf dem Umstand, dass die Lücken in den Emissionszeitreihen am 12. April 2012 noch nicht geschlossen gewesen seien, dies sei in Abstimmung mit dem LANUV erst nach dem 24. Juli 2012 erfolgt.
293Die Datengrundlagen der bodenkundlichen Erhebungen reichten für die Modellierung der Critical Loads aus. Es sei eine flächendeckende Bodenkartierung im Maßstab 1:5.000 nach Kartieranleitung, konkretisiert nach den Vorgaben des Geologischen Dienstes, erstellt worden. Das LANUV habe bestätigt, dass die Anforderungen erfüllt worden seien. Die Vegetationsaufnahmen von Bioplan 2012 seien mit dem LANUV abgestimmt und dort geprüft worden. Alle wichtigen Bodenparameter seien betrachtet worden.
294Die Beurteilungspunkte C 1 bis 11 seien repräsentativ anhand der aktualisierten Immissionsprognose ausgewählt worden. In dem so ermittelten Wirkraum sei jeweils mindestens ein repräsentativer Beurteilungspunkt für die unterschiedlich empfindlichen Kombinationen aus Boden- und Vegetationstypen gewählt worden, vorrangig an Stellen, die den höchsten Depositionswert der Säureeinträge aufweisen. Diese Vorgehensweise sei vom LANUV bestätigt worden und entspreche einer worst-case-Betrachtung. Die Beurteilungspunkte konzentrierten sich auf den westlichen und südwestlichen Teil des FFH-Gebiets, weil hier die höchsten Immissionen prognostiziert worden seien. Eine gezielte Auswahl von Flächen mit Eutrophierungsanzeigern habe es nicht gegeben. Die Vegetationsaufnahmen dienten nicht der flächendeckenden Erfassung jeglicher Ausprägung der Vegetationseinheit, sie seien repräsentativ für den „Kern“ der Pflanzengesellschaften. Im Nordwesten seien keine vorhabenbedingten Auswirkungen zu besorgen.
295Die Änderung der Höhe der Critical Loads im Vergleich zu den im vorhergehenden Verfahren ermittelten Critical Loads sei plausibel. Der Informationsstand habe sich durch die neuen Bodenuntersuchungen verändert, frühere Annahmen seien relativiert worden. Außerdem liege eine aktualisierte Immissionsprognose mit neuen Beurteilungspunkten mit der höchsten zu erwartenden Zusatzdeposition vor. Ferner seien aktualisierte Wetterdaten des DWD mit den Mittelwerten für die Periode 1981 bis 2010 vorgelegt worden.
296Im Ergebnis sei festzustellen, dass sämtliche Stickstoff- und Säureeinträge des Vorhabens in Summation mit den zu berücksichtigenden Projekten unterhalb der rezeptorspezifischen 3 %-Bagatellschwelle lägen. Ungeachtet dessen sei vorsorglich eine gebietsbezogene Einzelfallbetrachtung der Auswirkungen von Säureeinträgen in das FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ durchgeführt worden. Alle Gutachter gelangten zu der übereinstimmenden Einschätzung, dass für alle als Erhaltungsziel ausgewiesenen Lebensraumtypen ausgeschlossen sei, dass die prognostizierten Schadstoffimmissionen zu Bodenversauerungen führten, die eine erhebliche Beeinträchtigung auslösen könnten. Dieses Ergebnis sei vom LANUV für plausibel erachtet und mitgetragen worden.
297Die Einzeluntersuchungen belegten, dass der Baumbestand über eine funktionierende Basenpumpe verfüge, die zur Pufferung weiterer Säureeinträge zur Verfügung stehe. Auch diese Einschätzung werde vom LANUV mitgetragen. Ferner lägen hydrologische Verhältnisse mit ausgeprägtem Stauhorizont im Bereich basenreicher Bodenschichten sowie ein lateraler Wasserabfluss vor. Auch diese Umstände wirkten der Bodenversauerung entgegen. Die Kritik des Klägers an der Einzelfalluntersuchung sei unberechtigt und beziehe sich in weiten Teilen auf die Beurteilung eutrophierender Effekte, die gerade nicht Gegenstand der Einzelfallprüfung gewesen seien.
298Die vom Kläger in den Mittelpunkt seiner Argumentation gestellte starke Oberbodenversauerung impliziere nicht ohne weiteres eine erhebliche Beeinträchtigung der Schutzzwecke des FFH-Gebiets. Die Beigeladene bestreite nicht, dass die Oberböden versauert seien. Bei ohnehin rückläufiger Hintergrundbelastung liege jedoch keine irreversible Schädigung der Böden vor, und die prognostizierten kumulierenden Einträge führten nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung des FFH-Gebiets „Wälder bei Cappenberg“. Die aktuell bestehende Versauerung sei den deutlich stärkeren Säureeinträgen des letzten Jahrhunderts geschuldet. Bei einer flächendeckenden Begehung im Jahr 2014 sei keine Verdrängung säureintoleranter Arten festgestellt und es seien keine Starksäureanzeiger gefunden worden. Eine Verdrängung säureintoleranter Arten sei auch nicht zu erwarten, weil flächendeckend basenreicher Kalkmergel im durchwurzelten Unterboden vorhanden sei, aus dem sowohl durch die Basenpumpe als auch durch aufsteigendes Stauwasser eine Kationennachlieferung erfolge. Eine Beprobung der Podsole nordöstlich von Cappenberg sei nicht erforderlich gewesen. In diesem Bereich würden geringere Depositionen prognostiziert.
299Die vom Kläger kritisierte Critical-Load-Methodik entspreche den derzeit besten wissenschaftlichen Erkenntnissen aus dem Forschungsvorhaben des Bundesamtes für Straßenwesen (BASt), die auf andere Projekttypen übertragbar seien. Ihre Anwendung werde vom LANUV empfohlen.
300Für die eutrophierenden Stickstoffeinträge seien die empirischen Critical Loads des LANUV und nicht die Modellierung von P. -E. verwendet worden. Für die versauernden Einträge sei die Simple-Mass-Balance-Modellierung von P. -E. vom 6. August 2012 herangezogen worden. Die genutzten Datensammlungen stammten von vor 1960 und repräsentierten weitgehend ausbalancierte Verhältnisse der Artenzusammensetzung und des Stickstoff- und Basenhaushalts, jedenfalls aber keinen schlechteren Zustand als bei Inkrafttreten der FFH-Richtlinie. Die Modellierung der Critical Loads mit Hilfe des BERN-Modells stelle einen Schutz der Lebensraumtypen mit sehr gutem Erhaltungszustand sicher. Die Critical Loads seien ein anerkannter Beurteilungsmaßstab, der auch vom Bundesverwaltungsgericht akzeptiert werde. Sie seien als der aktuelle Stand der Wissenschaft und Forschung anzusehen und stellten einen konservativen worst-case-Ansatz dar.
301Auch die Anwendung der 3 %-Bagatellschwelle sei fachlich begründet. Sie finde ihren rechtlichen Ansatz im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Die Höhe der Bagatellschwelle beruhe ebenfalls auf einem fachwissenschaftlichen Konsens. Der Endbericht des BASt-Vorhabens sei auch insoweit das neueste Forschungsvorhaben und enthalte eine Auswertung der aktuellen Forschung und Literatur im In- und Ausland. Er sei als Fachkonvention vom Bundesverwaltungsgericht anerkannt und nicht politisch motiviert oder sonst interessengesteuert. Der Fachkonsens sei unabhängig von Vorhabenträgern hergestellt worden. Die Bagatellschwelle gelte auch für versauernde Einträge. Sie werde für alle Lebensraumtypen unterschritten.
302Die vom Kläger angeführten und eingeholten Gutachten stellten die Feststellung der FFH-Verträglichkeit nicht in Frage.
303Eine horizontweise Bewertung der pH-Werte und deren Zuordnung zu Pufferbereichen seien nicht zielführend. Die Pufferbereiche nach Ulrich 1987 bezögen sich auf die gesamte durchwurzelte Bodenschicht, da die Wurzeltracht über mehrere Horizonte verteilt sei und der Einfluss einzelner Horizonte sich nivelliere. Die Mittelwertbildung führe nicht zu Fehleinschätzungen. Der Kläger fordere zu Unrecht eine vergleichende Betrachtung, um die Entwicklung, Vorbelastung und Auswirkung von im Rahmen der Einzelfallbetrachtung nicht relevanten Stickstoff-Einträgen angeblich besser beurteilen zu können, worauf es für die Ermittlung der idealtypischen, auf einen günstigen Erhaltungszustand abstellenden Critical Loads aber nicht ankomme. Derartige Vergleiche seien auch nicht geeignet. Sie erforderten Erhebungen an derselben Stelle über einen langen Zeitraum. Dies könne nur in einem Forschungsprojekt geleistet werden. Solche Untersuchungen lieferten auch keine weitergehenden Erkenntnisse zu den versauernden Effekten. Auch eine Auswertung historischer Zeitreihen sei nicht erforderlich. Bei der Ermittlung der Critical Loads werde auf Referenzzustände von vor 1960 abgestellt, die Einzelfallbetrachtung beruhe auf der Auswertung aktueller Standortparameter. Die Verwendung von Stickstoff-Zeigerwerten führe ebenfalls nicht weiter. Diese seien monokausal auf die Indikation eines einzigen Nährstoffes ausgerichtet und könnten einen allgemeinen großräumigen Trend oder Extreme anzeigen, sie hätten aber kaum Aussagekraft für das verbreiterte Mittelfeld. Sie seien damit nicht geeignet für die vegetationskundliche Untersuchung von Standorten, auf denen der Critical Load eines Lebensraumtyps seit Jahrzehnten überschritten sei, weil die empfindlichsten Rezeptoren nicht mehr da seien. Der Critical Load sei deshalb auf den anzustrebenden günstigen Referenzzustand bezogen. Die Frage nach dem Entwicklungsstadium sei nicht zielführend, weil nicht der aktuelle, sondern der günstige Erhaltungszustand eines Lebensraumtyps Basis für die Critical-Loads-Berechnungen sei. Die hier getroffenen Annahmen des Klägers seien fachwissenschaftlich nicht haltbar.
304Als Fazit zu den “Wäldern bei Cappenberg“ sei festzustellen, dass die eutrophierend wirkenden Stickstoffeinträge das Abschneidekriterium von 0,1 kg N/(ha*a) geringfügig überschritten, nicht aber das Abschneidekriterium von 0,3 kg N/(ha*a). Das Abschneidekriterium für versauernde Einträge werde ebenfalls nur geringfügig überschritten. Die Vorbelastung überschreite die Critical Loads, die kumulierte Zusatzbelastung liege aber unterhalb der 3 %-Bagatellschwelle. Die nur vorsorglich durchgeführte Einzelfallprüfung für versauernde Einträge habe keine erhebliche Beeinträchtigung festgestellt. Dies gelte auch, wenn die 3 %-Bagatellschwelle für Säureeinträge aufgrund anderer Ausgangswerte oder aber der weiteren Berücksichtigung von Vorhaben Dritter überschritten würde.
305Die Schwermetalleinträge gingen ebenfalls seit 2008 zurück. Die Schwermetallbelastung in den Wäldern bei Cappenberg sei gering und rückläufig. Auch nach dem Waldzustandsbericht 2013 hätten die Konzentrationen in den oberen, neu gebildeten Humuslagen L und Oh abgenommen. Die vorhabenbedingten Schwermetalleinträge unterschritten die vom LANUV empfohlenen Abschneidekriterien. Eine nähere Betrachtung der Auswirkungen sei daher nicht erforderlich gewesen. Die natürlichen Pflanzengehalte würden allerdings auch über einen Zeitraum von 40 Jahren nicht relevant verändert, eine Gefährdung der Lebensraumtypen könne daher ausgeschlossen werden. Die Critical Loads für Schwermetalle des Umweltbundesamtes seien als Maßstab ungeeignet.
306Die Schwermetalleinträge in aquatische Schutzgüter über den Luftpfad seien geprüft worden. Die maximale Zusatzbelastung über den Luftweg unterschreite in allen untersuchten FFH-Gebieten mit aquatischen Lebensraumtypen und Arten die vom LANUV empfohlenen Abschneidekriterien für Quecksilber und staubgebundene Schwermetalle, eine nähere Betrachtung sei daher nicht erforderlich gewesen.
307Die indirekte Einleitung versauernder und eutrophierender Einträge sei irrelevant, weil diese im Bereich der terrestrischen Depositionsflächen weitestgehend durch Reaktionen zurückgehalten bzw. assimiliert würden. Die direkte Einleitung auf dem Luftpfad sei ebenfalls irrelevant, der pH-Wert der Lippe werde nur irrelevant beeinträchtigt. Die hypothetische Absenkung um 0,015 Einheiten sei durch Messungen nicht nachweisbar und ohne Einfluss auf die Gewässerqualität als Lebensraum für Tiere und Pflanzen.
308Die Deposition anorganischer Stickstoff-Verbindungen in die Gewässer von konservativ angenommenen 0,5 kg N/(Ha*a) führe zu einer hypothetisch kalkulierbaren Zusatzkonzentration von ≤ 0,0001 mg/l. Dies entspreche in Bezug auf die mittlere Hintergrundkonzentration 0,002 %, was analytisch nicht nachweisbar und in Bezug auf mögliche eutrophierende Wirkungen nicht relevant sei. Die mögliche erhöhte organische Produktion sei messtechnisch nicht erfassbar. Erhebliche Auswirkungen seien nicht zu erwarten.
309Artenschutzrechtliche Verbotstatbestände seien nicht erfüllt. Für die Kreuzkröte habe es nur einen Rufnachweis gegeben, die gezielte Suche habe keinen Nachweis ergeben. Eine Tötung des Eisvogels sei ausgeschlossen.
310Die Bedenken des Klägers hinsichtlich der Radioaktivität seien unbegründet. Der Kläger verwende falsche Einheiten und betrachte ausschließlich die Emissionen unabhängig von der Art der Strahlung. Eine vom Kläger angenommene Strahlenexposition von 0,4 µSv/a entspreche 1/1000 der natürlichen Strahlenbelastung.
311Es fehle auch hinsichtlich des Wasserrechts nicht an einem vorläufigen positiven Gesamturteil. Die wasserrechtliche Erlaubnis sei erteilt worden. Sie sei zwar angefochten worden, aber bislang nicht aufgehoben und weiterhin wirksam. Der Vorbescheid beschreibe und betrachte die wasserrechtlich bedeutsamen Auswirkungen und habe die Koordinierungspflicht erkannt. Die Schwermetalleinträge über den Luftpfad seien nicht von der Konzentrationswirkung des § 13 BImSchG ausgenommen, aber die Betrachtung der Summe von Luft- und Wasserpfad erfolge durch die Wasserbehörde. Die Schwermetalleinträge über den Luftpfad unterschritten das Abschneidekriterium. Der Beitrag sei im Verhältnis zur Wasservorbelastung vernachlässigbar gering und derzeit messtechnisch nicht nachweisbar. Trotzdem sei vorsorglich der Einfluss auf die Schwermetallkonzentration anhand der in der Immissionsprognose vom 6. August 1012 für Luftschadstoffe prognostizierten Schwermetalldepositionen berechnet worden. Es ergäben sich äußerst geringfügige rechnerische Veränderungen, ein Kausalzusammenhang sei nicht herstellbar. Dies zeige auch, dass die Abschneidekriterien eine geeignete Beurteilungsmethode seien.
312Der Klimaschutz sei nicht Bestandteil der Umweltverträglichkeitsprüfung. Die Prüfung sei durch den Auswirkungsbereich des Vorhabens begrenzt. Ein Zusammenhang mit dem globalem Klima oder dem Klimawandel könne nicht verlässlich hergestellt werden.
313Es fehle auch nicht an dem berechtigten Interesse an einem Vorbescheid. Erforderlich sei ein objektiver Vorteil, verfahrensökonomische, wirtschaftliche oder technische Gründe seien ausreichend. Hier lägen verfahrensökonomische und wirtschaftliche Gründe vor. Die durch den Wegfall des ursprünglichen Vorbescheids entstandene Regelungslücke werde geschlossen, was mehr Rechts- und Planungssicherheit als ein neues Vollgenehmigungsverfahren biete. Rechtsverlust oder Erschwernisse für den Kläger oder andere Betroffene seien nicht gegeben.
314Der Senat hat mit Beschlüssen vom 30. und 31. Mai 2016 zu der Frage Beweis erhoben, ob die Berechnung der standort- und lebensraumtypspezifischen Critical Loads für versauernde Stoffeinträge im Gutachten der Fa. P. -E. vom 6. August 2012 unter Berücksichtigung der klägerischen Einwände gegen verschiedene Parameter (z. B. Umgang mit den basischen Kationen, insbesondere Natrium, und den Chloridionen, N-Immobilisierungsrate, Denitrifikation und kritische Austragsrate der Säureneutralisierungskapazität) methodisch und fachwissenschaftlich vertretbar ist. Insoweit wird auf den Inhalt der gutachterlichen Stellungnahme des Herrn Dipl.-Biol. S. V. und des Herrn Dipl.-Forstwirt D. K. vom 15. Juni 2016 verwiesen.
315Hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung einschließlich der ergänzenden Befragung der Sachverständigen V. und K. sowie der von den Beteiligten und dem LANUV gestellten Gutachter wird auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 11. und 12. Mai 2016 sowie vom 16. Juni 2016 Bezug genommen.
316Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.
317E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
318Die Klage gegen den Vorbescheid vom 20. November 2013, die 1. Teilgenehmigung vom 21. November 2013 und die 7. Teilgenehmigung vom 22. November 2013 hat keinen Erfolg.
319A. Zulässigkeit
320Die Klage ist zulässig. Der Kläger ist nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG klagebefugt. Danach kann eine nach § 3 UmwRG anerkannte inländische oder ausländische Vereinigung, ohne eine Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichtsordnung gegen eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG oder deren Unterlassen einlegen, wenn sie geltend macht, dass eine Entscheidung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen und für die Entscheidung von Bedeutung sein können, widerspricht. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
321Der Kläger ist als im Jahr 1981 (vgl. MBl. NRW vom 28. Juli 1981, S. 1459) nach § 29 BNatSchG a. F. anerkannter Umwelt- und Naturschutzverein eine nach § 3 UmwRG anerkannte Vereinigung. Die Anerkennung gilt nach der Übergangsregelung des § 5 Abs. 2 UmwRG in der am 1. März 2010 in Kraft getretenen Fassung vom 29. Juli 2009 (BGBl. I, S. 2542) als Anerkennung im Sinne des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes fort.
322Die angefochtenen Bescheide betreffen Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a) UmwRG. Nach dieser Vorschrift findet das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz Anwendung auf Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen im Sinne von § 2 Abs. 3 UVPG über die Zulässigkeit von Vorhaben, für die nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen kann. Das trifft auf das streitbefangene Vorhaben zu. Nach § 3 Abs. 1 UVPG i. V. m. Nr. 1.1.1 der Anlage 1 zum UVPG sind die Errichtung und der Betrieb einer Anlage zur Erzeugung von Strom, Dampf, Warmwasser, Prozesswärme oder erhitztem Abgas durch den Einsatz von Brennstoffen in einer Verbrennungseinrichtung (wie Kraftwerk, Heizkraftwerk, Heizwerk, Gasturbine, Verbrennungsmotoranlage, sonstige Feuerungsanlage), einschließlich des jeweils zugehörigen Dampfkessels, mit einer Feuerungswärmeleistung von mehr als 200 MW - zwingend - UVP-pflichtig. Das streitbefangene Kohlekraftwerk hat eine Feuerungswärmeleistung von bis zu 1.705 MW.
323Der Kläger macht die Verletzung von Vorschriften geltend, die dem Umweltschutz dienen und die er damit als Umweltverband zu rügen berechtigt ist. Er kann sich insbesondere darauf berufen, dass die Voraussetzungen der §§ 9, 6 und 5 Abs. 1 BImSchG nicht vorliegen und dass das Kraftwerksvorhaben gegen die Anforderungen der FFH-Richtlinie,
324Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206, S. 7) in der Fassung der Richtlinie 2006/105/EG des Rates vom 20. November 2006 zur Anpassung der Richtlinien 73/239/EWG, 74/557 EWG und 2002/83/EG im Bereich Umwelt anlässlich des Beitritts Bulgariens und Rumäniens (ABl. L 363, S. 368) und der Richtlinie 2013/17/EU des Rates vom 13. Mai 2013 zur Anpassung bestimmter Richtlinien im Bereich Umwelt aufgrund des Beitritts der Republik Kroatien (ABL. L 158, S. 193) - FFH-RL -,
325verstößt. Der Kläger ist ferner berechtigt, Fehler der Umweltverträglichkeitsprüfung geltend zu machen und Verstöße gegen das Artenschutz- und Wasserrecht zu rügen. Inwieweit der Kläger die Verletzung bauordnungs- und bauplanungsrechtlicher Vorschriften rügen darf,
326siehe dazu etwa BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 2013 - 7 C 36.11 -, BVerwGE 148, 155 = juris Rn. 23 ff., 60; OVG NRW, Urteil vom 12. Juni 2012 ‑ 8 D 38/08.AK -, NuR 2012, 722 = juris Rn. 195 ff.; Seibert, NVwZ 2013, 1040, 1043 f., je m. w. N.,
327kann offen bleiben. Dem Vorhaben stehen baurechtliche Vorschriften nicht entgegen (vgl. unter I. 3).
328Der Kläger ist nicht präkludiert. Der Einwendungsausschluss des § 2 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 UmwRG ist unionsrechtswidrig und kann dem Kläger daher nicht entgegengehalten werden.
329Vgl. EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2015 ‑ C‑137/14 (Kommission/Bundesrepublik Deutschland) -, NJW 2015, 3495 = juris Rn. 75 ff.
330Auch die Frage einer Präklusion wegen missbräuchlichen Verhaltens stellt sich im vorliegenden Verfahren nicht. Weder hat der Gesetzgeber bislang eine entsprechende Vorschrift erlassen noch liegen Anhaltspunkte für ein missbräuchliches Verhalten vor.
331B. Begründetheit
332Die Klage ist jedoch unbegründet.
333Der Kläger kann nicht die Aufhebung der angefochtenen Bescheide beanspruchen (§ 2 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 UmwRG). Der immissionsschutzrechtliche Vorbescheid vom 20. November 2013, die 1. Teilgenehmigung vom 21. November 2013 und die 7. Teilgenehmigung vom 22. November 2013 sind rechtmäßig.
334I. Vorbescheid
335Der Vorbescheid (1) verstößt nicht gegen Vorschriften des materiellen Immissionsschutzrechts, namentlich des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der dazu ergangenen Verordnungen (2). Dem Vorhaben stehen auch weder baurechtliche (3) noch artenschutzrechtliche (4) Hindernisse entgegen. Die Umweltverträglichkeitsprüfung weist keine Fehler auf (5). Das Vorhaben ist naturschutzrechtlich mit der FFH-Richtlinie vereinbar (6). Der Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung stehen auch in wasserrechtlicher Hinsicht keine von vorneherein unüberwindlichen Hindernisse entgegen (7). Die Beigeladene hat ein berechtigtes Interesse an der Erteilung des Vorbescheides (8).
3361. Rechtsgrundlagen
337Der streitgegenständliche Vorbescheid beruht auf §§ 9 Abs. 1 und 3, 6 Abs. 1 BImSchG.
338Auf Antrag soll gemäß § 9 Abs. 1 BImSchG durch Vorbescheid über einzelne Genehmigungsvoraussetzungen sowie über den Standort der Anlage verbindlich entschieden werden, sofern die Auswirkungen der geplanten Anlage ausreichend beurteilt werden können und ein berechtigtes Interesse an der Erteilung eines Vorbescheides besteht. Die Vorschriften der §§ 6 und 21 BImSchG gelten sinngemäß (§ 9 Abs. 3 BImSchG). Die Genehmigung ist nach § 6 Abs. 1 BImSchG zu erteilen, wenn sichergestellt ist, dass die sich aus § 5 BImSchG und den aufgrund des § 7 BImSchG erlassenen Rechtsverordnungen ergebenden Pflichten erfüllt werden (Nr. 1), und andere öffentlich-rechtliche Vorschriften und Belange des Arbeitsschutzes der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegen stehen (Nr. 2).
339Soweit der Vorbescheid über das Vorliegen bestimmter Genehmigungsvoraussetzungen entscheidet, bindet er als Ausschnitt aus dem feststellenden Teil der Genehmigung die Genehmigungsbehörde für das weitere Genehmigungsverfahren und nimmt insoweit die Entscheidung vorweg. Die festgestellten Genehmigungsvoraussetzungen müssen schon bei der Bescheidung des Antrags auf Erteilung eines Vorbescheids abschließend geprüft werden. Erforderlichenfalls ist ‑ um keine rechtswidrige Genehmigung in Aussicht zu stellen - die Bindungswirkung des Vorbescheides durch Vorbehalte, insbesondere durch Angabe von Nebenbestimmungen zu der späteren Genehmigung einzuschränken.
340Ein Vorbescheid kann zu jeder für die Genehmigung relevanten Frage ergehen, die im Vorgriff auf sie rechtlich und tatsächlich auch geklärt werden kann. Dies schließt umgekehrt für den Antragsteller auch das Recht ein, einzelne für die Genehmigung relevante Fragen aus der Prüfung auszuklammern.
341Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. Dezember 2009 ‑ 8 D 12/08.AK -, DVBl. 2010, 719 = juris Rn. 146; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 15. Februar 1990 ‑ 10 S 2893/88 -, juris Rn. 23.
342Voraussetzung für die Erteilung des Vorbescheids ist weiter, dass die "Auswirkungen der geplanten Anlage ausreichend beurteilt werden können". Aufgrund einer vorläufigen Prüfung anhand der vollständigen und insoweit endgültigen Pläne muss feststehen, dass die gesamte Anlage am vorgesehenen Standort genehmigungsfähig ist (sog. vorläufige positive Gesamtbeurteilung). Die in diesem Zusammenhang geläufige Formulierung, dass dem Gesamtvorhaben "keine von vornherein unüberwindlichen Hindernisse" entgegenstehen dürfen (vgl. § 8 Satz 1 Nr. 3 BImSchG), darf allerdings nicht dahin missverstanden werden, dass das vorläufige positive Gesamturteil erst dann fehlt, wenn die Verwirklichung des Vorhabens bei kursorischer Prüfung mit Sicherheit ausgeschlossen ist. Eine positive Gesamtbeurteilung setzt vielmehr eine hinreichende Wahrscheinlichkeit der Genehmigungsfähigkeit der Gesamtanlage voraus.
343Vgl. Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 8 Rn. 12, m. w. N.
344Bei der abschließenden Genehmigung des Gesamtvorhabens dürfen sich nur noch solche Probleme stellen, die der Vorhabenträger durch Modifikationen des Vorhabens oder ggf. die Genehmigungsbehörde durch Beifügung von Nebenbestimmungen bewältigen kann und voraussichtlich bewältigen wird.
345Die an die vorläufige positive Gesamtbeurteilung anknüpfende Bindungswirkung steht unter zwei Einschränkungen, die sich aus der Vorläufigkeit der dem Urteil zugrundeliegenden Prüfung ergeben. Sie entfällt einmal, wenn die spätere Detailprüfung eines noch zu genehmigenden Anlageteils ergibt, dass dieser so, wie ursprünglich geplant, nicht ausgeführt werden kann. Sie entfällt weiter, wenn infolge einer Änderung der Sach- oder Rechtslage an die noch nicht genehmigten Anlagenteile neue Anforderungen gestellt werden müssen. Wegen dieser beiden Vorbehalte ist die Bindungswirkung des vorläufigen positiven Gesamturteils notwendigerweise eingeschränkter als die Bindungswirkung von Feststellungen des Vorbescheides, die die endgültige Prüfung von Genehmigungsvoraussetzungen betreffen.
346In der Rechtsprechung ist geklärt, dass das vorläufige positive Gesamturteil von einem klagebefugten Dritten insoweit angegriffen werden kann, als es die Einhaltung vorhabenbezogener Genehmigungsvoraussetzungen sicherstellen soll, die der Dritte geltend machen kann.
347Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Februar 1978 - I C 102.76 -, BVerwGE 55, 250 = juris Rn. 56; OVG NRW, Urteile vom 9. Dezember 2009 - 8 D 12/08.AK -, DVBl. 2010, 719 = juris Rn. 148 und vom 1. Dezember 2011 - 8 D 58/08.AK -, ZUR 2012, 372 = juris Rn. 132 ff. .
348Entsprechendes gilt für den Rechtsschutz eines - wie hier - klagebefugten Umweltverbandes. Er kann nicht nur die mit dem Vorbescheid festgestellten Genehmigungsvoraussetzungen, sondern auch die vorläufige positive Gesamtbeurteilung mit der Begründung angreifen, dass das Vorhaben wegen Verstoßes gegen rügefähige Umweltvorschriften - hier insbesondere des Wasser- und Naturschutzrechts - nicht genehmigungsfähig sei.
349Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Vorbescheids ist im Falle der Drittanfechtung grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids. Das schließt nicht aus, nachträgliche Änderungen zugunsten des Vorhabenträgers sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht zu berücksichtigen.
350Ständige Rspr. des BVerwG, vgl. nur Beschluss vom 11. Januar 1991 - 7 B 102.90 -, juris Rn. 3 m. w. N.; ferner zum Baurecht Beschluss vom 8. November 2010 - 4 B 43.10 -, BauR 2011, 499 = juris Rn. 9 m.w. N.
351Deshalb sind insbesondere auch während des gerichtlichen Verfahrens vorgelegte neue Immissionsprognosen und Gutachten zur FFH-Verträglichkeit einzubeziehen. Denn in materieller Hinsicht ist maßgeblich, ob das Vorhaben die Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt. Wenn die entsprechende Feststellung im Vorbescheid in der Sache zutreffend ist, besteht kein prozessualer Anspruch auf Aufhebung des Vorbescheids, weil die Genehmigungsbehörde verpflichtet wäre, sogleich einen neuen Vorbescheid zu erteilen.
3522. Immissionsschutzrecht
353Der Vorbescheid stellt zu Recht die Zulässigkeit des Vorhabens in Bezug auf die Emissionen und Immissionen fest.
354a) Rechtsgrundlagen
355Nach dem gemäß § 9 Abs. 3 und § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG auch im Verfahren auf Erteilung eines Vorbescheids beachtlichen § 5 Abs. 1 BImSchG sind genehmigungsbedürftige Anlagen unter anderem so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können (Nr. 1) und Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen getroffen wird, insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen (Nr. 2).
356Die immissionsschutzrechtliche Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG als Instrument der Gefahrenabwehr greift ein, wenn die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts besteht. Ob schädliche Umwelteinwirkungen durch Luftschadstoffe verursacht werden, ist nach den normkonkretisierenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften, insbesondere nach den die Anforderungen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisierenden Bestimmungen in Nummer 4 der TA Luft zu bestimmen. Sind für luftverunreinigende Stoffe Immissionswerte festgelegt, ist bei deren Einhaltung davon auszugehen, dass schädliche Umwelteinwirkungen nicht hervorgerufen werden.
357Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2003 ‑ 7 C 19.02 -, BVerwGE 119, 329 = juris Rn. 12 ff.; Hess. VGH, Urteile vom 24. September 2008 ‑ 6 C 1600/07.T -, DVBl. 2009, 186 = juris Rn. 73 f., und vom 7. Mai 2009 - 6 C 1142/07.T -, ZUR 2009, 504 = juris Rn. 102 f.; OVG NRW Urteil vom 1. Dezember 2011 - 8 D 58/08.AK -, ZUR 2012, 372 = juris Rn. 195 ff.
358Entsprechendes gilt für die Genehmigungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG, soweit die TA Luft für einzelne Stoffe Immissionswerte vorsieht, die die Vorsorge zum Schutz empfindlicher Ökosysteme konkretisieren.
359Soweit sich die Prüfung im Vorbescheidsverfahren auf das Vorliegen bestimmter Genehmigungsvoraussetzungen bezieht, ist gemäß Nr. 3.2 Abs. 1 TA Luft die Bestimmung der Nr. 3.1 TA Luft anzuwenden, nach deren Absatz 2 für die Prüfung der Genehmigungsvoraussetzungen Nr. 4 und Nr. 5 TA Luft gelten.
360Bei luftverunreinigenden Stoffen, für die in der TA Luft Immissionswerte (Nr. 2.3 TA Luft) als Jahres-, Tages- oder Stundenwerte für Stoffe in der Luft (Nr. 4.2 und Nr. 4.4 TA Luft), für Staubniederschlag (Nr. 4.3 TA Luft) und für Schadstoffdepositionen (Nr. 4.5 TA Luft) festgelegt sind, erfolgt die Prüfung, ob bezüglich des jeweiligen Schadstoffes der Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen sichergestellt ist, grundsätzlich durch einen Vergleich der tatsächlichen oder der zu erwartenden Immissionen mit den Immissionswerten. Die zum Vergleich mit den Immissionswerten heranzuziehenden Immissionen bestehen aus der Gesamtbelastung, die sich aus der Summe der Vorbelastung und der Zusatzbelastung durch die neu zu errichtende Anlage ergibt. Der für den jeweiligen Schadstoff angegebene Immissions-Jahreswert ist eingehalten, wenn die Summe aus Vorbelastung und Zusatzbelastung, d. h. die Gesamtbelastung, an den jeweiligen Beurteilungspunkten kleiner oder gleich dem Immissions-Jahreswert ist (Nr. 4.7 TA Luft).
361Bei Einhaltung der Immissionswerte ist davon auszugehen, dass schädliche Umwelteinwirkungen nicht hervorgerufen werden. Werden die Immissionswerte für Stoffe zum Schutz der menschlichen Gesundheit in Tabelle 1 zu Nr. 4.2.1 TA Luft jedoch überschritten, sind grundsätzlich schädliche Umwelteinwirkungen zu befürchten. Eine Genehmigung kann in diesem Fall nur unter den Voraussetzungen der Nr. 4.2.2 Abs. 1 Buchst. a) TA Luft erteilt werden, wenn von der zu beurteilenden Anlage kein relevanter Beitrag zu der schädlichen Immissionsbelastung geleistet wird. Bei einer Überschreitung der weiteren in den Tabellen 2, 3, 4 und 6 zu Nr. 4.3.1, 4.4.1, 4.4.2 und 4.5.1 TA Luft festgelegten Immissionswerte liegen dagegen lediglich Anhaltspunkte für schädliche Umwelteinwirkungen vor. Ob solche tatsächlich auftreten oder zu erwarten sind, ist gegebenenfalls in einer Sonderfallprüfung nach Nr. 4.8 TA Luft festzustellen (Nr. 4.3.2 Buchst. d), 4.4.3 Buchst. d), 4.5.2 Buchst. d) TA Luft).
362Vgl. OVG NRW, Urteile vom 9. Dezember 2009 ‑ 8 D 12/08.AK -, DVBl. 2010, 719 = juris Rn. 178, und vom 1. Dezember 2011 - 8 D 58/08.AK -, ZUR 2012, 372 = juris Rn. 195 ff.; Hess. VGH, Urteile vom 24. September 2008 ‑ 6 C 1600/07.T -, DVBl. 2009, 186 = juris Rn. 74, und vom 7. Mai 2009 ‑ 6 C 1142/07.T -, ZUR 2009, 504 = juris Rn. 103.
363Die Ermittlung der Vor-, Zusatz- und Gesamtbelastung für den jeweiligen luftverunreinigenden Stoff erfolgt auf der Grundlage entsprechender Immissionskenngrößen (Nr. 2.2 und Nr. 4.6 TA Luft). Die Kenngröße für die Vorbelastung kennzeichnet die vorhandene Belastung durch einen Schadstoff (Nr. 2.2 Abs. 1 Satz 2 TA Luft). Die Kenngröße für die Zusatzbelastung ist nach Nr. 2.2 Abs. 1 Satz 3 TA Luft der Immissionsbeitrag, der durch das beantragte Vorhaben voraussichtlich hervorgerufen wird. Sie ergibt sich aus einer Immissionsprognose, die nach dem im Anhang 3 angegebenen Berechnungsverfahren durchzuführen ist, auf der Basis einer mittleren jährlichen Häufigkeitsverteilung oder einer repräsentativen Jahreszeitreihe von Windrichtung, Windgeschwindigkeit und Ausbreitungsklasse (Nr. 4.6.4.1 TA Luft).
364Die Pflicht zur Ermittlung aller vorgenannten Kenngrößen besteht indes nicht in jedem Fall. So besteht nach Nr. 4.1 Abs. 4 Satz 1 a) TA Luft keine Verpflichtung zur Ermittlung von Immissionskenngrößen für die Vor-, Zusatz- und Gesamtbelastung und zum Vergleich der Gesamtbelastung mit den in Nr. 4.2 bis 4.5 TA Luft bestimmten Immissionswerten in den Fällen geringer Emissionsmassenströme (Nr. 4.6.1.1 TA Luft). Ergibt die Immissionsprognose bei einem Luftschadstoff für das gesamte Beurteilungsgebiet eine irrelevante Zusatzbelastung (Nr. 4.2.2 Abs. 1 Buchst. a), 4.3.2 Buchst. a), 4.4.1 Satz 3, 4.4.3 Buchst. a) und 4.5.2 Buchst. a) TA Luft), so entfällt für diesen Stoff im Regelfall die Verpflichtung zur Ermittlung der Kenngrößen für die Vor- und die Gesamtbelastung (Nr. 4.1 Abs. 4 Satz 1 Buchst. c) TA Luft).
365Bei Schadstoffen, für die die TA Luft keine Immissionswerte festlegt, sind weitere Ermittlungen nur bei hinreichenden Anhaltspunkten für schädliche Umwelteinwirkungen erforderlich (Nr. 4.1 Abs. 6 i. V. m. Nr. 4.8 TA Luft). Hieran fehlt es jedenfalls dann, wenn aufgrund anderweitiger sachverständiger Risikoabschätzung anzunehmen ist, dass das durch den emittierenden Betrieb verursachte Gesundheitsrisiko angesichts der bestehenden Vorbelastung irrelevant ist.
366In Anlehnung an den in Nr. 4.6.1.1 Abs. 1 TA Luft zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken, dass bei der Ermittlung der Immissionskenngrößen Massenströme unterhalb einer bestimmten Grenze ohne weitere Prüfung vernachlässigbar sind, sowie unter Berücksichtigung, dass die Zusatzbelastungen mit Schadstoffen, für die Immissionswerte in den Nrn. 4.2 bis 4.5 TA Luft bestimmt sind, als unbeachtlich angesehen werden, sofern sie bestimmte Irrelevanzgrenzen nicht überschreiten, ist es gerechtfertigt, auch im Rahmen der Sonderfallprüfung für Immissionsbeiträge von Schadstoffen, für die eine Irrelevanzschwelle in der TA Luft nicht bestimmt ist, eine Bagatellgrenze in Form eines bestimmten Anteils am Beurteilungsmaßstab anzuerkennen.
367Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2003 ‑ 7 C 19.02 -, BVerwGE 119, 329 = juris Rn. 14; Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band IV, Stand: 1. Februar 2016, Nr. 4.1 TA Luft Rn. 22.
368Die geplante Anlage genügt diesen Bestimmungen. Der Betrieb des streitbefangenen Kraftwerks ruft nach den Ergebnissen der Immissionsprognose vom 6. August 2012 lediglich irrelevante Zusatzbelastungen hervor.
369b) Plausibilität der Immissionsprognose
370Die Immissionsprognose vom 6. August 2012 ist plausibel. Auch an der Plausibilität der auf denselben Modellgrundlagen beruhenden Ausbreitungsrechnungen vom 25. Februar 2013 in der Fassung vom 13. April 2016 für den 60 %‑Lastbetrieb, die Hilfsdampferzeugeranlage und die Fernwärmeauskoppelung und vom 15. April 2016 für den 80 %-Lastbetrieb bestehen daher keine Zweifel.
371Das LANUV hat in den Stellungnahmen vom 18. Juli 2012 und vom 7. Dezember 2012 zusammenfassend festgestellt, dass die Ausbreitungsrechnung vom 6. August 2012 nachvollziehbar und plausibel ist. Dasselbe gilt nach der Stellungnahme vom 13. August 2013 für die Ausbreitungsrechnung vom 25. Februar 2013. Das LANUV bestätigt diese Feststellung in der Stellungnahme vom 27. April 2016, nachdem es die im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Eingangsdaten der Ausbreitungsrechnungen stichprobenweise überprüft hat. Die Eingabedateien für die Immissionsprognosen vom 6. August 2012 und vom 25. Februar 2013 einschließlich der meteorologischen Daten und der verwendeten Niederschlagsreihen seien vollständig vorgelegt worden. Sie stimmten mit den Angaben des Gutachters überein. Die Einwände des Klägers stellen diese fachliche Bewertung nicht in Frage.
372aa) Der in der Immissionsprognose vom 6. August 2012 betrachtete Volllastbetrieb ist der ungünstigste Betriebszustand im Sinne von Nr. 4.6.1.1 und Anhang 3 Nr. 2 TA Luft. Nach den Ergebnissen der von der Beigeladenen im Genehmigungsverfahren vorgelegten Ausbreitungsrechnungen vom 25. Februar 2013 bzw. 13. April 2016 und vom 15. April 2016 verursacht der Betrieb der streitbefangenen Anlage in den 60 %- und 80 %-Lastbetrieben keine höheren Immissionen der hier betrachteten Schadstoffe Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid, Ammoniak, Quecksilber und Schwebstaub als der Volllastbetrieb. Auch ein isolierter Anstieg des Säurebestandteils Ammoniak in den Teillastbetrieben ist nach den ergänzenden Berechnungen vom 13. April 2016 und vom 15. April 2016 nicht zu verzeichnen. Die maximalen Kenngrößen der Immissions-Jahreszusatzbelastung von Ammoniak in der Luft sind im 60 %-Lastfall mit einem Wert von 0,010 µg/m³ und im 80 %-Lastfall mit einem Wert von 0,009 µg/m³ mit der Zusatzbelastung im Volllastbetrieb von 0,010 µg/m³ letztlich identisch. Die maximale Kenngröße der Immissions-Jahreszusatzbelastung der Quecksilberdeposition beträgt in allen Lastfällen 0,005 µg/(m²*d). Die maximalen Jahres-Zusatzimmissionen der Luftschadstoffe Stickstoffdioxid und Schwefeldioxid liegen mit 0,206 µg/m³ und 0,088 µg/m³ bzw. 0,207 µg/m³ und 0,085 µg/m³ unter den Werten des Volllastbetriebs (0,218 µg/m³ bzw. 0,098 µg/m³). Das Ergebnis der ergänzenden Ausbreitungsrechnungen bestätigt damit tendenziell die Annahme des Kühlturmherstellers, dass der Kühlturmabluftvolumenstrom bei einer Reduzierung des Lastbetriebs in geringerem Umfang abnimmt als der Abgasvolumenstrom, die reduzierten Emissionsmassenströme also noch ausreichend Auftrieb haben.
373Bei dieser Sachlage bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Säurebelastung an den Beurteilungspunkten des FFH-Gebiets „Wälder bei Cappenberg“ im 80 %-Lastbetrieb höher sein könnte als im Volllastbetrieb. Der Gutachter der Beigeladenen, Herr Dr. T. , hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass die Immissionswerte für den 80 %-Lastbetrieb in den „Wäldern bei Cappenberg“ erwartungsgemäß zwischen den Werten des Volllastbetriebs und den Werten des 60 %-Lastbetriebs liegen. Die Tatsache, dass die Säurebelastung im 80 %-Lastfall höher ist als im 60 %-Lastfall, vermag für sich nicht die Befürchtung des Klägers zu stützen, dass der Volllastbetrieb nicht den „worst case“ abbilde.
374bb) Die diffusen Quellen „Transport der Kohle“, „Abwurf von Überkerngrößen“ und „Freilager“ durften außer Betracht bleiben. Das Transportbandsystem und die Ecktürme sind - wie auch die von der Bezirksregierung vorgelegten Lichtbilder belegen - vollständig eingehaust. Der Betrieb eines Kohlefreilagers ist nach den Antragsunterlagen nicht vorgesehen, die Kohle wird in Containern gelagert. Bei der Überkerngröße handelt es sich nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben der Beigeladenen um nicht staubendes Gut.
375cc) Die in die Ausbreitungsrechnung eingestellten Emissionen begegnen keinen Bedenken. Dass nicht alle Schadstoffe betrachtet worden seien, die bei Kraftwerken der in Rede stehenden Art emissionsrelevant sind, behauptet auch der Kläger nicht.
376(1) Die in der Immissionsprognose vom 6. August 2012 für den Kühlturm zu Grunde gelegten Emissionskonzentrationen sind auf der Basis der Transferfaktoren des MUNLV-Leitfadens unter Berücksichtigung der gegenüber dem früheren Verfahren abgesenkten maximalen Schwermetallgehalte in der verfeuerten Kohle („Kohleband“) ermittelt worden. Das LANUV hat diese - auch bei der Zusammensetzung der Flugasche erfolgte - Vorgehensweise zuletzt unter dem 8. Juli 2015 für sachgerecht erachtet; die Werte seien rechnerisch geprüft worden und plausibel. Der Kläger hat diese Einschätzung nicht substantiiert angegriffen.
377(2) Der Ansatz der Quecksilberdeposition begegnet keinen Bedenken. Das LANUV hält die der Berechnung zugrundeliegende Speziesverteilung von je 50 % elementarem und oxidiertem Quecksilber in seinen Stellungnahmen vom 18. Juli 2012 und vom 7. Dezember 2012 für sachgerecht. Messungen an bezogen auf die Feuerung und die Rauchgasreinigung vergleichbaren Kraftwerken hätten für elementares Quecksilber im Rauchgas Anteile zwischen 44 % und 77 % und für oxidiertes Quecksilber Anteile zwischen 23 % und 56 % ausgewiesen. Die für die Ausbreitungsrechnungen gewählte Verteilung sei darüber hinaus auch wegen der Wirkung der 3. Katalysatoranlage der DeNOx-Anlage des Vorhabens der Beigeladenen plausibel. Diese erreiche bei Quecksilber eine hohe Oxidationsrate. Das oxidierte Quecksilber werde danach in der Rauchgasentschwefelungsanlage (REA) mit einem ebenfalls hohen Wirkungsgrad abgeschieden, während elementares Quecksilber diese Anlage weitgehend passieren könne.
378Das Vorbringen des Klägers begründet keine durchgreifenden Zweifel an dieser Einschätzung. Der Kläger hat weder die Wirkungsweise noch den Wirkungsgrad der DeNOx-Anlage oder der REA in Frage gestellt. Die Effektivität dieser Anlagen wird durch die am 16. September 2014 im Kraftwerk der Beigeladenen durchgeführten Messungen auch bestätigt. An der hinter der REA und vor dem Kühlturm gelegenen Messstelle wurden dabei im Volllastbetrieb bei Einsatz der Kohlemischung Russland/60 %-USA/40 % im gereinigten Rauchgas Anteile zwischen 79,9 % und 91,7 % für elementares Quecksilber und Anteile zwischen 8,3 % und 20,4 % für oxidiertes Quecksilber festgestellt. Die Annahme des Klägers, (erst) nach Eintritt des Rauchgases in den Kühlturm erfolgten im Mischschwaden möglicherweise vielfältige chemische Reaktionen mit anderen Schadstoffen, so dass nach kurzer Zeit nur noch oxidiertes Quecksilber vorliege, bleibt hypothetisch. Der Kläger räumt zum einen selbst ein, dass die chemischen Reaktionen im Mischschwaden weitgehend unerforscht seien. Zum anderen erlauben - auch wenn eine undifferenzierte Übertragung der atmosphärischen Bedingungen auf chemische Abläufe im Kühlturm und im Mischschwaden nicht angezeigt sein dürfte - vorhandene Kenntnisse über chemische Reaktionen unter atmosphärischen Bedingungen zumindest Rückschlüsse auf entsprechende Vorgänge im Mischschwaden. So ist nicht zu erkennen, warum eine unter atmosphärischen Bedingungen ausgeschlossene Reaktion von Brom mit elementarem Quecksilber gerade im Mischschwaden ausnahmsweise stattfinden sollte. Der vom Kläger angeführte höhere Schadstoffgehalt im Mischschwaden belegt nicht, dass sich an dem beschriebenen chemischen Grundverhalten der beteiligten Stoffe etwas ändern würde. Dies gilt auch für die Reaktionszeit von elementarem Quecksilber mit Chlor, die unter atmosphärischen Bedingungen immerhin 4 Tage beträgt.
379(3) Soweit die 13. BImSchV in der Fassung vom 2. Mai 2013 Grenzwerte für den Einsatz von Kohle vorsieht - nämlich nach §§ 4 Abs. 1 Satz 2 und 11 der 13. BImSchV für Gesamtstaub, Quecksilber, Kohlenmonoxid, Stickstoffdioxid und Schwefeldioxid - sind diese der Ausbreitungsrechnung für den Kühlturm zugrunde gelegt worden und - wie im Änderungsantrag der Beigeladenen vom 21. Juni 2013 beantragt - Gegenstand des Vorbescheids geworden. Für Dioxine/Furane (PCDD/F), für die die 13. BImSchV - wie für Ammoniak - keinen Grenzwert bestimmt, wurde ein - vom Kläger nicht angegriffener - konservativer Erfahrungswert angenommen. Der für Ammoniak festgelegte Emissionswert begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Er beruht nach den nachvollziehbaren Angaben der Beigeladenen auf der Zusicherung des Anlagenherstellers, der Ammoniakgehalt im Rauchgas werde nach dem Durchlaufen des Katalysators einen Wert von 5 mg/m³ nicht überschreiten. Nach der Erhöhung des Rauchgasvolumenstroms von 2,12 auf 2,21 Mio m³/h sei der Wert im Antrag auf 4,8 mg/m³ angepasst worden, um die Immissionszusatzbelastung beizubehalten.
380(4) Die für die Befüllung des Flugaschesilos als größter Einzelquelle unter den sog. Kleinquellen angegebenen Emissionsmassenströme sind nach den Feststellungen des LANUV plausibel. Auch die Bestimmung der Immissionszusatzbelastung für die übrigen gefassten Kleinquellen ist nach Auffassung des LANUV nachvollziehbar. Dem ist der Kläger nicht entgegengetreten.
381(5) Die erforderliche Überwachung der Emissionen ist in der 7. Teilgenehmigung geregelt. Die 7. Teilgenehmigung enthält in Ziffer 2 Nebenstimmungen zum Emissions- und Immissionsschutz einschließlich der Überwachung der festgelegten Emissionen durch Einzelmessungen und kontinuierliche Messungen; die Nebenbestimmungen Ziffer 2.2.3 und 2.2.4 regeln die Modalitäten der Messungen der Emissionen der Quelle Q 1 (Kühlturm mit Rauchgasableitung).
382(6) Die zusätzlichen Emissionen durch die Hilfsdampferzeugungsanlage beim An- und Abfahrbetrieb sind in der Immissionsprognose vom 25. Februar 2013 betrachtet worden. Das LANUV hat die Berechnungen unter dem 13. August 2013 für plausibel befunden. Es hat die entsprechenden Eingangsparameter der Ausbreitungsrechnung geprüft und auch in der Stellungnahme vom 27. April 2016 nicht beanstandet.
383Nach alledem ist nicht anzunehmen, dass die im Vorbescheid festgesetzten Emissionsgrenzwerte nicht eingehalten werden können. Es obliegt dem Betreiber, die festgesetzten Grenzwerte, die auch der Immissionsprognose zugrunde liegen, zu beachten.
384dd) Auch die Ausbreitungsrechnung selbst ist - gemessen an den Anforderungen der TA Luft - nach fachkundiger Einschätzung des LANUV nicht zu beanstanden.
385(1) Die Ausbreitungsrechnung ist insbesondere nicht schon deshalb fehlerhaft, weil eine vollständige Durchmischung des Rauchgases und der Kühlturmabluft entgegen der Modellvorgabe des die Vorgaben der TA Luft umsetzenden Rechenprogramms AUSTAL2000 nicht stattfindet. Das LANUV hat in seinen Stellungnahmen vom 20. April 2016 und vom 4. Mai 2016 sowie ergänzend durch Herrn Dr. Straub in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Senats dargelegt, dass die dem Ausbreitungsmodell zugrundeliegende Annahme einer vollständigen Vermischung insbesondere auch hinsichtlich der eutrophierenden und versauernden Stickstoff- und Schwefeldepositionen zu konservativeren Ergebnissen führe als die Annahme einer nur teilweisen Durchmischung. Dies folge daraus, dass das oberhalb der Kühleinbauten und der Tropfenabscheider in den Kühlturm eingeleitete und in der Kühlturmmitte aus dem senkrecht nach oben abgewinkelten Glasfaserrohr in den Kühlluftstrom freigegebene Reingas eine höhere Geschwindigkeit habe und deutlich wärmer sei als der Kühlturmschwaden. Es sei aufgrund dieser Einleitbedingungen turbulent angeregt. Zwischen Schwaden und Reingas bilde sich im weiteren Verlauf bis zum Kühlturmaustritt eine Grenzschicht mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, Temperaturen, Dichten und Luftfeuchtigkeiten. Dadurch vermehre sich die Turbulenz, die insbesondere wegen der Unterschiede in der Geschwindigkeit der beiden Schwaden spürbar sein dürfte. Bis zur Kühlturmmündung erfolge allerdings keine vollständige Durchmischung der Schwaden. Da das Reingas in die Mitte des Kühlturmes eingeleitet werde, sei davon auszugehen, dass auch im langfristigen Mittel die Schadstoffkonzentration, die Temperatur und die Geschwindigkeit im Zentrum des Mischschwadens höher seien als in den Außenbereichen. Dies bestätigten auch die vom Kläger vorgelegten Wärmebildaufnahmen des Mischschwadens des streitbefangenen Vorhabens. Eine nur den Abgasvolumenstrom betreffende Ausbreitungsrechnung könnte daher eine höhere Austrittsgeschwindigkeit und ‑temperatur ansetzen. Damit steige nach den Gesetzmäßigkeiten der Abluftfahnenüberhöhung die Abluftfahne an, der Ausbreitungsweg bis zum Erreichen des Bodens werde länger und die Schadstoffkonzentrationen und ‑depositionen würden verdünnt. Dasselbe gelte bei der - hypothetischen - Annahme der geringstmöglichen Durchmischung des Mischschwadens (sog. Freistrahltheorie). Auch in diesem Fall seien die Immissionen flächendeckend kleiner als die Immissionen bei Annahme einer Volldurchmischung. In der Betrachtung der beiden extremen Szenarien der vollständigen und der geringstmöglichen Durchmischung seien gedanklich alle anderen Mischungsverhältnisse mit enthalten. Diese anhand von Untersuchungen für das Kraftwerkprojekt Datteln 4 erlangten Erkenntnisse ließen sich grundsätzlich auf alle Kühltürme vergleichbarer Bauart übertragen. Hinweise, dass der Kühlturm des streitbefangenen Vorhabens maßgeblich von dem des Kraftwerksvorhabens Datteln 4 abweichen würde, lägen nicht vor. Die vom Kläger vorgeschlagene Ausblendung eines Teils des Mischschwadens sei dagegen nicht plausibel. Diese Überlegungen stünden auch in Einklang mit der ausdrücklichen Aussage der für die Ableitung von Rauchgasen über Naturzugnasskühltürme maßgeblichen VDI-Richtlinie 3784 Blatt 2 in Kapitel 2 (S. 5), dass ihre Anwendbarkeit gerade nicht von der Einhaltung eines bestimmten Mischungsverhältnisses von Abluftschwaden und Rauchgas abhängig sei. Entsprechend sei auch aus den anderen Bundesländern eine von der VDI-Richtlinie abweichende Praxis nicht bekannt.
386(2) Der Abgasvolumenstrom ist in Höhe von 2.210.000 m³/h korrekt angesetzt worden. Nach Tabelle 1 der Immissionsprognose vom 6. August 2012 wurde der Abgasvolumenstrom im Normzustand (1013 kPa und 273,15 K) trocken, d. h. nach Abzug der Feuchtegehalts, ermittelt. Diese Vorgehensweise entspricht Nr. 2.4 TA Luft, wonach Angaben des Abgasvolumens und des Abgasvolumenstroms auf den Normzustand (273,15 K; 1013 kPa) nach Abzug des Feuchtegehalts im Wasserdampf bezogen sind, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes angegeben wird (vgl. auch die Definition für „Abgas“ in § 2 Abs. 1 der 13. BImSchV).
387(3) Die in den Ausbreitungsrechnungen angesetzten Austrittstemperaturen und ‑geschwindigkeiten entsprechen den Auslegungsdaten des Kühlturmherstellers. Die in dem Schriftsatz der Beigeladenen vom 18. September 2015 aufgeführten, im Vergleich zu den Ausbreitungsrechnungen niedrigeren Werte geben nicht die in den Immissionsprognosen betrachtete Austrittstemperatur und ‑geschwindigkeit des Mischschwadens (Rauchgas und Kühlturmabluft) wieder, sondern die Austrittstemperatur und -geschwindigkeit des Abluftschwadens.
388(4) Die Berücksichtigung der Abluftfahnenüberhöhung des Kühlturms entspricht nach den Feststellungen des LANUV den Vorgaben der VDI-Richtlinie 3784 Blatt 2 und wird für sachgerecht erachtet; die Modellierung als horizontale Flächenquelle sei plausibel. Herr Dr. T1. vom LANUV hat in der mündlichen Verhandlung betont, der Ansatz der Abluftfahnenüberhöhung nach der VDI-Richtlinie 3784 Blatt 2 sei auch hinreichend konservativ. Der vom Kläger geforderten Berücksichtigung einer Unsicherheit mit dem Faktor 2 bedürfe es nicht. Die mit der ‑ in der Meteorologie immer auftretenden und messbaren - Streuung verbundene Unsicherheit werde über längere Zeiträume ausgeglichen. Die VDI-Richtlinie 3784 Blatt 2 enthalte zudem an anderen Stellen weitere, diese Unsicherheit ausgleichende konservative Faktoren, wie etwa bei der Abschätzung der Stabilitätsklassen und dem Flüssigwassergehalt. Auch diese Ausführungen sind überzeugend.
389(5) Die bei Quecksilber zugrundegelegte Depositionsgeschwindigkeit entspricht der VDI-Richtlinie 3782 Blatt 5, die Depositionsgeschwindigkeit für Ammoniak entspricht Nr. 3 Tabelle 12 des Anhangs 3 der TA Luft. Das LANUV hat die Verwendung dieser Depositionsgeschwindigkeiten methodisch gefordert. Der Hinweis des Klägers auf abweichende Vorgaben der US-EPA (Environmental Protection Agency) stellt diese Forderung nicht in Frage. Das LANUV hat schon zu dem Vorbescheid vom 6. Mai 2008 nachvollziehbar dargelegt, dass diese Abweichungen nicht auf besseren fachwissenschaftlichen Erkenntnissen beruhten. Sie erklärten sich vielmehr dadurch, dass die Regelwerke im Zusammenhang mit unterschiedlichen Modellarten stünden. Während das Modell der US-EPA der Ermittlung des großräumigen Hintergrundniveaus diene, gehe es bei der Ausbreitungsrechnung nach der TA Luft um die Ermittlung der bodennahen Konzentration (Deposition).
390Vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2011 ‑ 8 D 58/08.AK -, ZUR 2012, 372 = juris Rn. 233.
391Etwas anderes folgt auch nicht aus den vom Kläger ferner angeführten, ebenfalls abweichenden Untersuchungsergebnissen aus Japan. Der Kläger hat nicht belegt, dass die meteorologischen Verhältnisse und die Vegetation in Japan und Mitteleuropa derart ähnlich wären, dass diese Ergebnisse auf das streitbefangene Vorhaben übertragen werden könnten.
392(6) Die nasse Deposition von Quecksilber ist weder nach der o.a. VDI-Richtlinie noch nach der TA Luft zu berücksichtigen und durfte daher auch nach den entsprechenden Vorgaben des LANUV außer Betracht bleiben. Dass bei den erwähnten Untersuchungen in Japan gerade die Relevanz der nassen Deposition von Quecksilber festgestellt worden sein soll, zwingt nicht zu einer anderen Vorgehensweise. Die Übertragbarkeit dieser Erkenntnisse auf mitteleuropäische Verhältnisse ist ebenfalls nicht ersichtlich. Die Bindungswirkung der TA Luft entfällt im Übrigen nur dann, wenn die in der TA Luft enthaltenen Aussagen durch ‑ hier nicht erkennbare ‑ gesicherte Erkenntnisfortschritte in Wissenschaft und Technik überholt sind und sie deshalb den gesetzlichen Anforderungen nicht mehr gerecht werden.
393Vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. März 1996 ‑ 7 B 164/95 -, UPR 1996, 306 = juris Rn. 19.
394(7) Die Ausbreitungsrechnung hat entgegen der Annahme des Klägers keine synthetischen Windrosen verarbeitet. Eine synthetische Windrose wurde als Modell für die am Kraftwerkstandort zu erwartende Windrichtungsverteilung ausschließlich in der Übertragbarkeitsprüfung der ArguSoft GmbH & Co. KG vom 13. Februar 2012 erstellt. Sie diente dort dem Vergleich mit den Windverhältnissen an den im Detail betrachteten Messstationen Lünen-Niederaden, Castrop-Rauxel, Werl-Waltrop und Unna.
395(8) Die Verwendung der meteorologischen Messdaten der Station Lünen-Niederaden aus dem Jahr 2009 entspricht dem Ergebnis der Übertragbarkeitsprüfung vom 13. Februar 2012. Das LANUV hält dieses Ergebnis für sachgerecht.
396Dass die Messstation Lünen-Niederaden nicht die Vorgaben an das DWD-Messnetz erfüllt, ist ohne Belang. Nach Nr. 8.1. Sätze 2 bis 4 des Anhangs 3 der TA Luft sollen die in der Ausbreitungsrechnung verwendeten meteorologischen Werte für den Standort der Anlage charakteristisch sein. Liegen keine Messungen am Standort der Anlage vor, sind Daten einer geeigneten Station des DWD oder einer anderen entsprechend ausgerüsteten Station zu verwenden. Die Übertragbarkeit dieser Daten auf den Standort der Anlage ist zu prüfen. Danach ist nicht gefordert, dass die Messstation die Anforderungen an das Messnetz des DWD erfüllt. Sie muss lediglich die Bestimmung der erforderlichen meteorologischen Daten - Windrichtung, Windgeschwindigkeit und atmosphärische Schichtung (vgl. Nr. 8.2 ff.) - ermöglichen. Der DWD hat dementsprechend im vorangegangen Verfahren - vom Senat unbeanstandet - in der „Qualifizierten Prüfung“ vom 11. August 2006 die Verwendung der Daten der Station Lünen-Niederaden für sachgerecht gehalten.
397Vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2011 ‑ 8 D 58/08.AK -, ZUR 2012, 372 = juris Rn. 234.
398Die vom DWD damals geäußerten Bedenken, ob der Jahresmittelwert der Windgeschwindigkeit der Messstation Lünen-Niederaden eine pessimale Betrachtung zulässt, betrafen die Wetterdaten aus dem Zeitraum Januar 1993 bis Dezember 2002. Die Übertragbarkeitsprüfung vom 13. Februar 2012 stellt dagegen auf die Wetterdaten aus dem Zeitraum 2002 bis 2011 ab.
399Die Wahl der Messstation Lünen-Niederaden ist auch nicht aus anderen Gründen fehlerhaft. Es ist insbesondere nicht zu erkennen, dass die beim Kraftwerkprojekt Datteln 4 verwendeten Daten der Messstation Werl-Waltrop oder die beim Kraftwerkprojekt Herne 5 verwendeten Daten der Messstation Castrop-Rauxel den Standortbedingungen in Lünen besser entsprechen würden. Die Entscheidung für die Station Lünen-Niederaden beruhte gemessen an den Vorgaben der Nr. 8.1 des Anhangs 3 der TA Luft auf sachlich nachvollziehbaren Erwägungen. Nach den Feststellungen der Übertragbarkeitsprüfung vom 13. Februar 2012 wiesen die Daten der Stationen Lünen-Niederaden (2002-2011) und Werl-Waltrop (2004-2010) die besten Übereinstimmungen mit den Sollwerten der synthetischen Windrose des Standorts auf. Der Station Lünen-Niederaden sei der Vorzug gegeben worden, weil die Daten dieser Station im Vergleich mit den Daten der Station Werl-Waltrop den synthetischen Daten des Standorts noch etwas besser entsprächen und weil sie darüber hinaus mit einer Entfernung von nur 7,5 km in größerer Nähe zum Vorhabenstandort innerhalb des Rechengebiets der Ausbreitungsrechnung liege. Dass gerade eine möglichst große Nähe zum Vorhabenstandort ein wichtiges Auswahlkriterium für die Übertragbarkeit meteorologischer Daten ist, räumt auch der Kläger ein. Die Behauptung, die Station Werl-Waltrop liege günstiger als die Station Lünen-Niederaden, ist bei einer Entfernung von 30 km zu dem Vorhaben nicht überzeugend.
400Die Entfernung und Lage der Messstation zu den von vorhabenbedingten Schadstoffimmissionen betroffenen FFH-Gebieten ist nach den Vorgaben der TA Luft ebenso wenig ein sachliches Kriterium für die Auswahl der meteorologischen Daten wie die Frage, welche meteorologischen Daten in der Ausbreitungsrechnung zu den höchsten oder geringsten Immissionen führen. Die vom Kläger vorgelegten Ausbreitungsrechnungen mit den - in der Übertragbarkeitsprüfung vom 13. Februar 2012 nicht betrachteten - Wetterdaten der Station Werl-Waltrop aus dem Jahr 1987 und der Station Castrop-Rauxel aus dem Jahr 2007 dienen dem Vergleich der unterschiedlichen immissionsseitigen Auswirkungen auf die FFH-Gebiete und gehen daher an der Sache vorbei.
401(9) Der Vermerk „korr.“ bei der AKT-Datei der Eingabedaten der Ausbreitungsrechnungen bezieht sich nach den Angaben der Beigeladenen auf die im Rahmen der Berechnung der nassen Säure- und Schwefeldeposition in Abstimmung mit dem LANUV erfolgte Bestimmung einer maßgeblichen Niederschlagszeitreihe. Dieser Korrektur bedurfte es, weil die Niederschlagsjahressumme des Referenzjahres 2009 mit 746 l/(m²*a) unter dem 10-jährigen Mittel der Jahre 2002 bis 2011 von 789 l/(m²*a) liegt. Die Niederschlagsjahressumme des Jahres 2009 wurde daher anhand des Faktors 789/746 auf das 10-jährige Mittel hochskaliert. Das LANUV hat in seiner Stellungnahme vom 27. April 2016 bestätigt, dass die Ausbreitungsrechnung insoweit den Vorgaben entspricht. Dass - wie der Kläger rügt - in der Ausbreitungsrechnung tatsächlich nicht mit dem Mittelwert von 789 l/(m²*a), sondern mit einer Niederschlagsjahressumme von nur 764,3 l/(m²*a) gerechnet wurde, beruht nach den überzeugenden Darlegungen der Beigeladenen auf der Rundung der jeweils mit dem o.a. Faktor hochskalierten Jahresstundenwerte.
402(10) Dass die Ausbreitungsrechnung fehlerhaft sei, weil Gebäudeeinflüsse nicht berücksichtigt worden seien, hat der Kläger nicht behauptet. Das LANUV hat in seiner Stellungnahme vom 7. Dezember 2012 festgestellt, dass in Anwendung von Nr. 10 des Anhangs 3 der TA Luft Gebäude im Umkreis von 960 m, die niedriger sind als 94 m, zu berücksichtigen gewesen seien, was nur auf das Kesselhaus und den Kühlturm zutreffe. Deren Einflüsse seien durch das diagnostische Windfeldmodell TALdia sachgerecht berücksichtigt worden. Es besteht kein Anlass, diese Ausführungen in Zweifel zu ziehen.
403(11) Die statistische Unsicherheit ist auch in der Ausbreitungsrechnung zutreffend berücksichtigt worden. Nach Anhang 3 Nr. 9 der TA Luft besitzen die berechneten Immissionskenngrößen auf Grund der statistischen Natur des in der VDI-Richtlinie 3945 Blatt 3 beschriebenen Verfahrens eine statistische Unsicherheit. Es ist darauf zu achten, dass die modellbedingte statistische Unsicherheit, berechnet als statistische Streuung des berechneten Werts, beim Jahres-Immissionskennwert 3 % des Jahres-Immissionswerts und beim Tages-Immissionskennwert 30 % des Tages-Immissionswerts nicht überschreitet. Die statistische Unsicherheit ist entsprechend durch Erhöhung der Partikelzahl zu reduzieren. Liegen die Beurteilungspunkte an den Orten der maximalen Zusatzbelastung, muss die statistische Unsicherheit nicht gesondert berücksichtigt werden.
404Die statistische Unsicherheit ist danach zu Recht (nur) bei den Beurteilungspunkten außerhalb der maximalen Zusatzbelastung berücksichtigt worden. Dies geschah auch zutreffend durch die Erhöhung der Partikelzahl. Nach der Modellbeschreibung des Programms AUSTAL2000 bestimmt der Parameter „qs“ die Qualitätsstufe der Freisetzungsrate von Partikeln. Dieser Parameter weist einen Standardwert von 0 auf, wobei eine Erhöhung des Werts um 1 jeweils eine Verdoppelung der Partikelzahl und eine Verringerung der statistischen Unsicherheit (Streuung) um den Faktor 1/(2**0,5) = 0,7071 bewirkt. Ausweislich der Ausgabedatei zu der Immissionsprognose vom 6. August 2012 ist die Partikelzahl bei den hohen Quellen von 0 auf 3, und bei den Kleinquellen von 0 auf 1 erhöht worden. Der Gutachter der Beigeladenen hat die in der Immissionsprognose vom 6. August 2012 in Abschnitt 4.1.6 getroffene Aussage, auf diese Weise sei sichergestellt worden, dass die statistische Unsicherheit beim Jahres-Immissionskennwert weniger als 3 % des Jahresimmissionswerts betrage, auch nachvollziehbar erläutert. Das Verfahren zur Berechnung der statistischen Unsicherheit als statistische Streuung des ermittelten Werts sei in das Ausbreitungsmodell AUSTAL2000 integriert. Die statistische Unsicherheit werde als relativer Fehler neben den schadstoffspezifischen Immissionszusatzbelastungen automatisch mit ausgegeben. Überschreite die ausgeworfene statistische Unsicherheit beim Jahres-Immissionskennwert 3 % des Jahres-Immissionswerts, müsse die statistische Unsicherheit durch eine (weitere) Erhöhung der Partikelzahl reduziert werden. Entsprechend sei hier verfahren worden.
405(12) Das LANUV hat die Ausbreitungsrechnung auch hinsichtlich der gefassten Kleinquellen geprüft und für plausibel erachtet. Die Depositions- und Sedimentationsgeschwindigkeiten für Stäube und Ammoniak entsprächen den Vorgaben der Nr. 4 bzw. Nr. 3 des Anhangs 3 der TA Luft. Der Kläger hat hiergegen keine Einwände vorgebracht.
406(13) Die Plausibilität der Immissionsprognose wird schließlich nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Ableitung über den Kühlturm statt über einen Schornstein erfolgt. Es besteht - wie schon im vorhergehenden Verfahren 8 D 58/08.AK - auch weiterhin kein Anhalt dafür, dass die Immissionsprognose durch die Höhe des Kühlturms verfälscht wird, so dass es einer Kontrollberechnung auf der Grundlage einer fiktiven Schornsteinhöhe nicht bedarf.
407c) Luftverunreinigungen
408Die beim Anlagenbetrieb zu erwartenden Luftverunreinigungen sind irrelevant und stehen deshalb der Genehmigung nicht entgegen.
409Gemäß Nr. 4.1 Abs. 4 Satz 1 Buchst. c) und Satz 2 TA Luft kann für die Schadstoffe, für die Immissionswerte in den Nrn. 4.2. bis 4.5 TA Luft festgelegt sind, unter anderem dann davon ausgegangen werden, dass schädliche Umwelteinwirkungen durch die Anlage nicht hervorgerufen werden können, wenn durch die Anlage lediglich eine irrelevante Zusatzbelastung hervorgerufen wird. Dem liegt die Erwägung zu Grunde, dass eine Anlage von atypischen Sonderfällen abgesehen bei Verursachung einer im Verhältnis zur bestehenden Vorbelastung geringfügigen Zusatzbelastung keinen im Sinne rechtlicher Zurechnung kausalen Beitrag zu den schädlichen Umwelteinwirkungen durch den betroffenen Stoff leistet.
410Vgl. näher hierzu: Hansmann, in: Landmann/ Rohmer, Umweltrecht, Band II, Stand: 1. Februar 2016, Nr. 4.2 TA Luft Rn. 19 ff.; zur Irrelevanzschwelle als Grenze der Schutzpflicht: BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2003 ‑ 7 C 19.02 -, BVerwGE 119, 329 = juris Rn. 14; OVG NRW, Urteil vom 10. Juni 2008 - 8 D 103/07.AK -, ZUR 2008, 1137 = juris Rn. 59, m. w. N.
411Unter welchen Voraussetzungen von einer irrelevanten Zusatzbelastung ausgegangen werden kann, ist für die in Nr. 4.2.1, 4.3.1, 4.4.1 und 4.5.1 TA Luft genannten Schadstoffe unterschiedlich geregelt. Im Einzelnen gilt Folgendes:
412aa) Hinsichtlich der unter Nr. 4.2.1 TA Luft genannten Schadstoffe liegt nach Nr. 4.2.2 Abs. 1 Buchst. a) TA Luft eine irrelevante Zusatzbelastung vor, wenn die Kenngröße für die Zusatzbelastung durch Emissionen der Anlage an dem Beurteilungspunkt 3,0 % des in Nr. 4.2.1 TA Luft zum Schutz der menschlichen Gesundheit bestimmten Immissions-Jahreswertes nicht überschreitet.
413Für Blei, Schwebstaub (PM10), Schwefeldioxid und Stickstoffoxid gelten die in Nr. 4.2.1 Abs. 1 TA Luft genannten Immissionswerte. Für Cadmium und anorganische Cadmiumverbindungen als Bestandteile des Schwebstaubes (PM10), angegeben als Cd, gilt gemäß Nr. 4.2.1 Abs. 2 Satz 2 TA Luft ein Immissionswert von 0,02 µg/m³ bei einem Mittelungszeitraum von einem Jahr. Ausgehend von diesen Vorgaben stellen sich die zu erwartenden Zusatzimmissionen von Blei, Schwebstaub (PM10), Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Cadmium als irrelevant dar.
414Das Maß der im Beurteilungsgebiet maximal auftretenden Immissionen ist der Ausbreitungsrechnung in der Fassung vom 6. August 2012 zu entnehmen.
415Die prognostizierten Zusatzbelastungen unterschreiten die in der TA Luft bestimmte Irrelevanzschwelle von 3,0 % des jeweiligen Immissionswertes:
416Immissionswert bei einem Mittelungszeitraum von einem Jahr |
Jahreszusatzimmissionen bei einem Mittelungszeitraum von einem Jahr |
Anteil der Jahreszusatzimmissionen am Immissionswert |
|
BleiPb |
0,5 µg/m³ |
0,000131 µg/m³ |
<0,1 % |
Schwebstaub(PM10) |
40 µg/m³ |
0,032 µg/m³ |
<0,1 % |
SchwefeldioxidSO2 |
50 µg/m³ |
0,218 µg/m³ |
0,4 % |
StickstoffdioxidNO2 |
40 µg/m³ |
0,098 µg/m³ |
0,2 % |
Cadmium Cd |
0,02 µg/m³ |
0,000015 µg/m³ |
<0,1 % |
In Bezug auf Cadmium wird auch die Grenze von 1 % des Zielwerts der Richtline 2004/107/EG von 0,005 µg/m³,
418vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 8 D 58/08.AK -, ZUR 2012, 372 = juris Rn. 248 ff.,
419nicht überschritten.
420Der Senat hat in seinem Urteil vom 9. Dezember 2009
421- 8 D 12/08.AK -, DVBl. 2010, 719 = juris Rn. 248 ff.,
422im Anschluss an die im Schrifttum geäußerte Kritik Bedenken geäußert, ob die Irrelevanzschwelle der Nr. 4.2.2 Abs. 1 Buchst. a) TA Luft 2002 von 3,0 % eine rechtmäßige Konkretisierung des Begriffs der schädlichen Umwelteinwirkungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG darstellt. Er hat diese Bedenken insbesondere vor dem Hintergrund gesehen, dass die in der TA Luft 1986 vorgesehene Irrelevanzschwelle von 1,0 % mit der Novelle der TA Luft im Jahr 2002 auf 3,0 % angehoben wurde, allerdings bei gleichzeitiger Absenkung des Immissionsrichtwerts und einer Änderung der Berechnungsmethode. Der Vorschriftengeber ging davon aus, dass die Irrelevanzschwellen von 1,0 % nach Nr. 2.2.1.1 Buchst. b) der TA Luft 1986 und 3,0 % nach Nr. 4.2.2 Abs. 1 Buchst. a) der TA Luft 2002 unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Berechnungsgrundlagen (flächen- bzw. punktbezogen) in der Sache vergleichbar seien.
423Vgl. BR-Drs. 1058/01, S. 240.
424Wie in dem genannten Urteil ausgeführt ist, sind Irrelevanzklauseln Ausdruck des allgemeinen Gedankens, dass geringfügige Zusatzbelastungen durch einen bestimmten Luftschadstoff einem bestimmten Anlagenbetreiber nicht im Sinne eines kausalen Beitrags zu schädlichen Umwelteinwirkungen zugerechnet werden können. Daher steht die prinzipielle Zulässigkeit von Irrelevanzklauseln im Immissionsschutzrecht auch unter Berücksichtigung der insoweit maßgeblichen Vorgaben des Unionsrechts letztlich nicht in Frage. Ob die Irrelevanzklausel von 3,0 % der Nr. 4.2.2 Abs. 1 Buchst. a) TA Luft eine rechtmäßige Konkretisierung des Begriffs der schädlichen Umwelteinwirkungen darstellt oder ob sie im Hinblick auf die Schutzpflicht nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG gesetzeskonform einzuschränken ist, kann im vorliegenden Zusammenhang offen bleiben.
425Vgl. zum Ganzen VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20. Juli 2011 - 10 S 2102/09 -, ZUR 2011, 600 = juris Rn. 196 ff.; nachgehend BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 2013 - 7 C 36.11 -, NVwZ 2014, 515 = juris Rn. 46 ff. (die rechtliche Zulässigkeit bejahend); ferner Hansmann, in: Landmann/ Rohmer, Umweltrecht, Band IV, Stand: 1. Februar 2016, Nr. 4.2 TA Luft Rn. 25 und 33 ff.; Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand: 1. Februar 2016, § 5 BImSchG, Rn. 58; Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 5 Rn. 17.
426Der Senat ist in dem o.a. Urteil vom 9. Dezember 2009 davon ausgegangen, dass jedenfalls eine Zusatzbelastung von weniger als 1,0 % des jeweiligen Immissionswertes nicht mehr als nennenswerter, kausaler Beitrag zur Immissionsbelastung angesehen werden kann.
427Vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20. Juli 2011 - 10 S 2102/09 -, ZUR 2011, 600 = juris Rn. 206; Hess. VGH, Urteil vom 24. September 2008 - 6 C 1600/07.T -, DVBl. 2009, 186 = juris Rn. 100.
428Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Auch die 1 %-Irrelevanzschwelle ist nicht überschritten. Bei dieser Sachlage besteht auch weiterhin kein Anlass, die Geeignetheit der in der TA Luft 2002 vorgesehenen Irrelevanzschwelle von 3,0 % für Luftschadstoffe sowie die Unionsrechtskonformität dieser Irrelevanzschwelle zu prüfen.
429Ob und inwieweit auch dann, wenn die in der TA Luft bestimmte Irrelevanzschwelle nicht überschritten wird, Raum für die Annahme bleibt, es könnten gleichwohl schädliche Umwelteinwirkungen bestehen, kann offen bleiben, weil es dafür hier an Anhaltspunkten fehlt.
430Anlass für eine solche Annahme könnte etwa bestehen, wenn der Betrieb der zu prüfenden Anlage kurzfristig zu hohen Emissionen führt. Denn dann ist die Vermutung nicht gerechtfertigt, dass eine Anlage mit über das Jahr gemittelten geringen Immissionsbeiträgen nicht zu einer relevanten Erhöhung der zugelassenen Überschreitungshäufigkeit bei den Tages- und Stundenmittelwerten beitragen wird.
431Vgl. Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band IV, Stand: 1. Februar 2016, Nr. 4.2 TA Luft Rn. 39.
432Dies ist hier nicht der Fall. Das Kraftwerk der Beigeladenen soll unter Einhaltung der im angefochtenen Vorbescheid festgelegten Emissionsgrenzwerte kontinuierlich betrieben werden. Auch beim An- und Abfahrbetrieb ist nach den Ergebnissen der Ausbreitungsrechnung vom 25. Februar 2013 nicht mit höheren Emissionen zu rechnen.
433Hinreichende Anhaltspunkte für das Bestehen schädlicher Umwelteinwirkungen können trotz Unterschreitung der Irrelevanzschwelle auch dann vorliegen, wenn die Zusatzbelastung durch Emissionen der zu prüfenden Anlage von in Nr. 4.2.1 TA Luft genannten Schadstoffen mehr als 1 % beträgt und vergleichbare Beiträge aus anderen Quellen bestehen oder zu erwarten sind, deren Höhe es als möglich erscheinen lässt, dass bei Hinzutreten der Zusatzbelastung der Immissionswert am Beurteilungspunkt mehr als nur geringfügig überschritten wird (relevante Vorbelastung).
434Vgl. Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band IV, Stand: 1. Februar 2016, Nr. 4.2 TA Luft Rn. 38, und in: NVwZ 2003, 266, 272 f.; eine Sonderfallprüfung bei Unterschreiten der Irrelevanzgrenze ohne Einschränkungen verneinend: Gerhold, UPR 2003, 44, 47.
435Diese Voraussetzungen sind hier ebenfalls nicht gegeben. Die unter Nr. 4.2.1 TA Luft genannten, hier relevanten Schadstoffe liegen - wie dargestellt - bereits unterhalb der äußersten, dem früheren Irrelevanzwert der TA Luft 1986 entsprechenden Irrelevanzschwelle von 1,0 % (Immissionsprognose vom 6. August 2012, Tabelle 11).
436bb) Die Zusatzbelastung durch den in Nr. 4.3.1 TA Luft genannten Staubniederschlag (Deposition) ist nach Nr. 4.3.2, Buchst. a) TA Luft irrelevant, weil die Kenngröße für die Zusatzbelastung nicht über einem Wert von 10,5 mg/(m²·d) ‑ gerechnet als Mittelwert für das Jahr - liegt.
437Nach dem Ergebnis der Ausbreitungsrechnung wird diese Irrelevanzgrenze deutlich unterschritten. Im Immissionsmaximum erreicht die Zusatzbelastung, bezogen auf den Mittelungszeitraum von einem Jahr, lediglich einen Wert von 0,033 mg/(m²·d) bzw. 0,009 % des Beurteilungswerts von 0,35 g/(m²·d). Es besteht danach auch kein Anlass für die Annahme, die Staubdeposition führe gleichwohl zu schädlichen Umwelteinwirkungen durch die Staubdeposition.
438cc) Die prognostizierten Immissionswerte für die Konzentration von Schwefeldioxid und Stickstoffoxide in der Luft zum Schutz von Ökosystemen und der Vegetation in Nr. 4.4.1 TA Luft als Vorsorgewerte weisen ebenfalls nur auf irrelevante Zusatzbelastungen.
439Nach Nr. 4.4.3 Buchst. a) TA Luft ist eine Zusatzbelastung hier irrelevant, wenn die Kenngröße für die Zusatzbelastung durch die Emissionen der Anlagen die in Tabelle 5 bezeichneten Werte - gerechnet als Mittelwert für das Jahr - nicht überschreitet. Danach sind Immissionen von Schwefeldioxiden in der Luft bei einer Zusatzbelastung von 2 µg/m³ und von Stickstoffoxid bei einer Zusatzbelastung von 3 µg/m³ irrelevant. Diese Werte werden mit jeweils 0,218 µg/m³ unterschritten (Immissionsprognose vom 6. August 2012, Tabelle 13).
440dd) Für die Deposition der unter Nr. 4.5.1 TA Luft genannten Schadstoffe Arsen, Blei, Cadmium, Nickel, Quecksilber und Thallium ist nach Nr. 4.5.2 Buchst. a) aa) TA Luft eine irrelevante Zusatzbelastung anzunehmen, wenn die Kenngröße 5 % der jeweils maßgeblichen Immissionswerte nicht überschreitet. Dies ist am Ort der jeweils maximalen Zusatzbelastung der Fall, wie sich aus der folgenden Tabelle ergibt:
441Immissionswert bei einem Mittelungszeitraum von einem Jahr |
Jahreszusatzimmissionen bei einem Mittelungszeitraum von einem Jahr |
Anteil der Jahreszusatzimmissionen am Immissionswert |
|
Arsen As Deposition |
4 µg/(m²·d) |
0,032 µg/(m²·d) |
0,8 % |
BleiPb Deposition |
100 µg/(m²·d) |
0,141 µg/(m²·d) |
0,1 % |
CadmiumCd Deposition |
2 µg/(m²·d) |
0,016 µg/(m²·d) |
0,8 % |
NickelNi Deposition |
15 µg/(m²·d) |
0,019 µg/(m²·d) |
0,1 % |
QuecksilberHg Deposition |
1 µg/(m²·d) |
0,005 µg/(m²·d) |
0,5 % |
ThalliumTl Deposition |
2 µg/(m²·d) |
0,005 µg/(m²·d) |
0,3 % |
Anhaltspunkte dafür, dass trotz erheblicher Unterschreitung der Irrelevanzschwelle schädliche Umwelteinwirkungen bestehen, sind - anknüpfend an die oben dargelegten Überlegungen - nicht gegeben.
443ee) Für die in der Luft enthaltenen Konzentrationen der Schadstoffe Ammoniak, Arsen, Benzo(a)pyren, Chrom, PCDD/F, Kohlenmonoxid, Quecksilber und Thallium, für die die TA Luft keine Immissionswerte bestimmt, fehlt es in Anlehnung an Nr. 4.8 TA Luft an hinreichenden Anhaltspunkten, dass schädliche Umwelteinwirkungen hervorgerufen werden können.
444In der Immissionsprognose wurden für die oben genannten Schadstoffe folgende Beurteilungsmaßstäbe zu Grunde gelegt:
445Mittelungszeitraum |
Beurteilungsmaßstab |
|
AmmoniakNH3 |
1 Jahr |
3 µg/m³ |
Arsen As |
1 Jahr |
6 ng/m³ |
Benzo(a)pyren (BaP)C20H12 |
1 Jahr |
1 ng/m³ |
Chrom Cr |
1 Jahr |
17 ng/m³ |
Dioxine/Furane (TE) PCDD/F |
1 Jahr |
150 fg/m³ |
KohlenmonoxidCO |
1 Jahr |
350 mg/m³ |
NickelNi |
1 Jahr |
20 ng/m³ |
QuecksilberHg (gasf.) |
1 Jahr |
50 ng/m³ |
ThalliumTl |
1 Jahr |
280 ng/m³ |
Diese Beurteilungsmaßstäbe hat das LANUV in der Stellungnahme vom 7. Dezember 2012 als fachlich zutreffend bewertet. Für Stoffe, für die keine Immissionswerte nach der TA Luft festgelegt sind, aber andere Bewertungsmaßstäbe (z. B. LAI-Orientierungswerte) angegeben werden könnten, fehle es an hinreichenden Anhaltspunkten für eine Sonderfallprüfung auch dann, wenn die Emissionen der Anlage für den jeweiligen Schadstoff keinen nennenswerten Beitrag zu der Immissionssituation lieferten. Hiervon sei bei einer Zusatzbelastung durch die gesamte Anlage von weniger als 1 % des zulässigen Immissionswertes oder Bewertungsmaßstabes auszugehen. Die Bewertungsmaßstäbe stimmen mit den vom LANUV bislang angewandten und vom Senat zugrunde gelegten,
447vgl. OVG NRW, Urteile vom 10. Juni 2008 - 8 D 103/07.AK -, ZUR 2008, 492, juris Rn. 105, und vom 9. Dezember 2009 - 8 D 12/08.AK -, DVBl. 2010, 719, juris Rn. 348,
448Beurteilungsmaßstäben weitgehend überein oder liegen ‑ wie bei Ammoniak ‑ darunter.
449Die von der Beigeladenen vorgenommene Bewertung von Kohlenmonoxid über einen Jahresmittelwert hält das LANUV allerdings nicht für zielführend. Für die Prüfung, ob die Durchführung einer Sonderfallprüfung erforderlich sei, sei auf den MUNLV-Erlass zur Sonderfallprüfung vom 7. Februar 2006 und den LAI-Bericht (2004) abzustellen. Danach sei eine Sonderfallprüfung nicht erforderlich, wenn die vorhandenen Erkenntnisse keine Anhaltspunkte für eine mögliche Überschreitung der LAI-Orientierungswerte (8-Stunden-Mittelwert und 30-Minuten-Mittelwert) böten.
450Dass die sachverständige Einschätzung des LANUV unzutreffend ist, ist nicht ersichtlich. Sie entspricht der für die Betroffenen günstigen Irrelevanzbetrachtung bei der Sonderfallprüfung nach Nr. 4.8 TA Luft.
451Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10. Juni 2008 - 8 D 103/07.AK -, ZUR 2008, 492 = juris Rn. 111 ff.; Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band IV, Stand: 1. Februar 2016, Nr. 4.8 TA Luft Rn. 18.
452Gemessen hieran steht das Vorhaben der Beigeladenen in Bezug auf die in der Luft enthaltenen Konzentrationen der Schadstoffe Ammoniak, Arsen, Benzo(a)pyren, Chrom, PCDD/F, Kohlenmonoxid, Nickel, Quecksilber und Thallium mit der Schutzpflicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG in Einklang. Die Zusatzbelastungen betragen im Einzelnen:
453Mittelungszeitraum |
Beurteilungsmaßstab |
Jahreszusatzimmissionen bei einem Mittelungszeitraum von einem Jahr |
Anteil der Jahreszusatzimmissionen am Immissionswert |
|
AmmoniakNH3 |
1 Jahr |
10 µg/m³ |
0,010 µg/m³ |
0,1 % |
Arsen As |
1 Jahr |
6 ng/m³ |
0,031 ng/m³ |
0,5 % |
Benzo(a)pyrenC20H12 (BaP) |
1 Jahr |
1 ng/m³ |
0,006 ng/m³ |
0,6 % |
ChromCr |
1 Jahr |
17 ng/m³ |
0,018 ng/m³ |
0,1 % |
Dioxine/Furane (TE) PCDD/F |
1 Jahr |
150 fg/m³ |
0,158 fg/m³ |
0,1 % |
KohlenmonoxidCO |
1 Jahr |
350 µg/m³ |
0,492 µg/m³ |
0,1 % |
NickelNi |
1 Jahr |
20 ng/m³ |
0,018 ng/m³ |
<0,1 % |
QuecksilberHg |
1 Jahr |
50 ng/m³ |
0,026 ng/m³ |
<0,1 % |
ThalliumTl |
1 Jahr |
280 ng/m³ |
0,004 ng/m³ |
<0,1 % |
Die Zusatzbelastung überschreitet in keinem Fall den Wert von 1 % des Beurteilungswerts. Bei Kohlenmonoxid bestehen auch keine Anhaltspunkte, dass die gesundheitsbezogenen Orientierungswerte für die Sonderfallprüfung des LAI‑Berichts 2004 mit einem 8-Stunden-Mittelwert von 10 mg/m³ und einem 30‑Minuten-Mittelwert von 30 mg/m³ überschritten würden.
455Die prognostizierte Zusatzbelastung für PCDD/F im Staubniederschlag (Deposition) von 0,170 pg/(m²·d) entspricht 1,9 % des Beurteilungswerts in Höhe von 9 pg/(m²·d) im Jahresmittel. Die Zusatzbelastung liegt damit unter der entsprechend anwendbaren Irrelevanzschwelle von 5 % für Depositionen. Nach Auffassung des LANUV in seinen Stellungnahmen vom 7. Dezember 2012 und vom 20. April 2016 stellt ein Immissionswert von 9 pg/(m²·d) den Schutz der menschlichen Gesundheit hinreichend sicher.
456Vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2011 ‑ 8 D 58/08.AK -, ZUR 2012, 342 = juris Rn. 295 ff.
457Erst bei Überschreitung dieses LAI-Orientierungswerts könnten nachteilige gesundheitliche Effekte erwartet werden. Das LANUV hat in der Stellungnahme vom 20. April 2016 ergänzend erklärt, es halte - wie bei den anderen Depositionen - eine Irrelvanzschwelle von 5 % dieses Beurteilungswert für sachgerecht; erst bei Überschreiten dieser Irrelvanzschwelle durch die Zusatzbelastung liege ein Anhaltspunkt für eine Sonderfallprüfung vor.
458Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 1. Dezember 2011 ausgeführt hat, ist im vorliegenden Fall eine Sonderfallprüfung durchgeführt worden, die zu dem Ergebnis geführt hat, dass allein am damaligen Messpunkt 2 aufgrund einer hohen Vorbelastung die Gesamtbelastung für die Deposition den Beurteilungswert von 9 pg/(m²·d) überschritten hat. Die Einschätzung des LANUV, dass gleichwohl keine Gesundheitsgefahren für die Bevölkerung innerhalb des Beurteilungsgebiets zu erwarten sei, sieht der Senat weiterhin als plausibel an. Bei der hohen Vorbelastung am Messpunkt 2 handelt es sich nicht um ein repräsentatives, sondern um ein - von einem oder mehreren Emittenten hervorgerufenes - lokales Phänomen, das ohne Aussagekraft für die tatsächliche Gefährdungssituation im Umfeld der geplanten Anlage ist. Die an den übrigen Messpunkten für PCDD/F ermittelte Vorbelastung in der Deposition liegt wie die Gesamtbelastung unterhalb des vom LANUV vorgeschlagenen Beurteilungswerts und ist daher irrelevant.
459d) Freisetzung radioaktiver Stoffe
460Der Vorbescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil das Vorhaben aufgrund der mit der Kohleverbrennung verbundenen Freisetzung radioaktiver Stoffe schädliche Umwelteinwirkungen bzw. Gefahren oder erhebliche Nachteile für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG hervorruft. Der Kläger weist insoweit auf internationale Untersuchungen hin, wonach die zusätzliche Strahlenexposition (effektive Dosis) durch die Abgabe radioaktiver Stoffe aus einem Kohlekraftwerk in die Atmosphäre etwa 0,4 µSv betrage. Im Einzelfall könne die Bevölkerung auch effektiven Dosen von bis zu 100 µSv ausgesetzt werden.
461Eine zusätzliche Strahlenexposition in der Größenordnung von 0,4 µSv fällt im Vergleich zu der Hintergrundbelastung nicht ins Gewicht und kann daher vernachlässigt werden. Nach den Angaben des Bundesamtes für Strahlenschutz (www.bfs.de) beträgt die durchschnittliche jährliche effektive Dosis eines Mitglieds der Bevölkerung in Deutschland aktuell (umgerechnet) 2100 µSv. Die jährliche effektive Dosis schwanke je nach den örtlichen Verhältnissen zwischen 1000 und 10000 µSv. Eine Zusatzbelastung von 0,4 µSv entspricht damit einem Anteil von 0,02 % der durchschnittlichen Hintergrundstrahlenbelastung und einem Anteil von 0,04 % bis 0,004 % der örtlich variierenden Hintergrundstrahlenbelastung. Dass vorliegend ein außergewöhnlicher Einzelfall gegeben wäre, ist nicht ersichtlich und hat der Kläger auch nicht behauptet.
462e) Anlagensicherheit (Störfallverordnung)
463Auch unter dem Aspekt der Anlagensicherheit stehen dem Vorhaben keine rechtlichen Hindernisse entgegen. Der Vorbescheid trägt insbesondere den Anforderungen der Störfallverordnung (12. BImSchV) Rechnung.
464Die Störfallverordnung konkretisiert den Schutz der Nachbarschaft vor sonstigen schädlichen Einwirkungen im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 BImSchG. Derartige Einwirkungen sind sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen, die nicht durch Immissionen hervorgerufen werden und nicht im eigentlichen Sinne betriebsbedingt sind. Dazu zählen physische Einwirkungen wie Explosionen, Brandereignisse, Stoffeintrag in Boden oder Gewässer oder Überflutungen.
465Vgl. Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand: 1. Februar 2016 , § 5 BImSchG, Rn. 124 ff.; Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 5 Rn. 27.
466Die 12. BImSchV regelt die Sicherheit des Betriebs technischer Anlagen allerdings nicht umfassend. Ihr Ziel ist es vielmehr, die schwerwiegenden Gefahren abzuwehren, die von bestimmten gefährlichen Stoffen ausgehen können, wenn diese in Betriebsbereichen im Sinne des § 3 Abs. 5a BImSchG freigesetzt werden, entstehen, in Brand geraten oder explodieren.
467Vgl. Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band IV, Stand: 1. Februar 2016, Vorb. 12. BImSchV Rn. 7.
468Ob die 12. BImSchV auf einen Betriebsbereich anzuwenden ist und ob der Betreiber bejahendenfalls nur die Grundpflichten zu erfüllen hat oder ihn darüber hinaus die erweiterten Pflichten nach §§ 9 ff. der 12. BImSchV treffen, hängt nach § 1 Abs. 1 der 12. BImSchV i. V. m. Anhang I Spalten 4 und 5 von Art und Menge der jeweils vorhandenen gefährlichen Stoffe ab. Die erweiterten Pflichten nach §§ 9 ff. der 12. BImSchV gelten nach § 1 Abs. 1 Satz 2 der 12. BImSchV neben den Grundpflichten der §§ 3 ff. der 12. BImSchV nur für die Betriebsbereiche, in denen gefährliche Stoffe in Mengen vorhanden sind, die die in Anhang I Spalte 5 genannten Mengenschwellen erreichen oder überschreiten. Die Grundpflichten der §§ 3 ff. der 12. BImSchV gelten für die Betriebsbereiche, in denen gefährliche Stoffe in Mengen vorhanden sind, die die in Anhang I Spalte 4 genannten Mengenschwellen erreichen oder unterschreiten.
469aa) Das streitbefangene Vorhaben unterliegt nicht den erweiterten Betreiberpflichten der §§ 9 ff. der 12. BImSchV. Der Erstellung eines Sicherheitsberichts nach § 9 Abs. 1 und Abs. 2 der 12. BImSchV i. V. m. Anhang II bedurfte es nicht. Die in den Betriebsbereichen vorhandenen Stoffe erreichen oder überschreiten auch unter Berücksichtigung der sog. Quotientenregelung des Anhangs I Nr. 5 nicht die Mengenschwellen des Anhangs I Nr. 3, Tabelle Spalte 5. In dem Störfallkonzept vom 20. Juni 2013 sind die Stoffe Ammoniak, Ammoniaklösung 15 %, Natriumhypochlorid, Heizöl, Gasöle sowie Sauer- und Wasserstoff mit den jeweils zugehörigen Mengenangaben aufgeführt. Es ist nicht ersichtlich, dass diese Aufstellung unvollständig oder, was die Mengenangaben angeht, unzutreffend wäre. Die Mengenschwelle der Stoffkategorie 2 Spalte 4 der Tabelle des Anhangs I der 12. BImSchV („giftig“) in Höhe von 50.000 kg wird (nur) durch Ammoniak mit einer gelagerten Menge von 103.400 kg überschritten. Die Quotientenregelung kommt nicht zur Anwendung, weil keine weiteren Stoffe der Kategorien 1 und 2 vorhanden sind. Die Quotientensumme der Kategorien 3, 4, 5, 6, 7a und 7b („brandfördernd“, „explosionsgefährlich“, „entzündlich“, „leichtentzündlich“) ist mit einem Wert in Höhe von 0,003373 kleiner als 1. Die Quotientensumme der Kategorien 9a und b („umweltgefährlich“) ist mit einem Wert von 0,772 ebenfalls kleiner als 1. Der insoweit betroffene Anlagenbereich Brennstoffversorgung ist dennoch vorsorglich als sicherheitsrelevant eingestuft worden.
470bb) Ein Verstoß gegen die Grundpflichten der §§ 3 ff. der 12. BImSchV liegt nicht vor. Der Betreiber hat nach § 3 der 12. BImSchV die nach Art und Ausmaß der möglichen Gefahren erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um Störfälle zu verhindern. Bei der Erfüllung dieser Pflicht sind betriebliche Gefahrenquellen, umgebungsbedingte Gefahrenquellen, wie Erdbeben oder Hochwasser, und Eingriffe Unbefugter zu berücksichtigen, es sei denn, dass diese Gefahrenquellen oder Eingriffe als Störfallursachen vernünftigerweise ausgeschlossen werden können. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 der 12. BImSchV hat der Betreiber Maßnahmen zu treffen, damit Brände und Explosionen innerhalb des Betriebsbereichs vermieden werden, nicht in einer die Sicherheit beeinträchtigenden Weise von einer Anlage auf andere Anlagen des Betriebsbereichs einwirken können und nicht in einer die Sicherheit des Betriebsbereichs beeinträchtigenden Weise von außen auf ihn einwirken können.
471Das insoweit zuletzt vorgelegte Störfallkonzept vom 20. Juni 2013 trägt diesen Anforderungen Rechnung und weist auch nach der Einschätzung des LANUV in der Stellungnahme vom 25. Juli 2013 keine Mängel auf. Diese Einschätzung wird durch das Vorbringen des Klägers nicht in Frage gestellt.
472Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 der 12. BImSchV hat der Betreiber vor Inbetriebnahme ein schriftliches Konzept zur Verhinderung von Störfällen auszuarbeiten. Es soll den Gefahren von Störfällen im Betriebsbereich angemessen sein und muss den in Anhang III genannten Grundsätzen Rechnung tragen, vgl. § 8 Abs. 1 Satz 2 der 12. BImSchV. Die Beigeladene ist dieser Pflicht mit ihrem Konzept vom 20. Juni 2013 in ausreichender Weise nachgekommen.
473Ein Störfallkonzept ist angemessen, wenn es einerseits auf die besonderen Verhältnisse in dem konkret betroffenen Betriebsbereich abgestimmt ist und es andererseits keine übermäßigen Aufwendungen verlangt. Vor diesem Hintergrund müssen die Sicherheitsüberlegungen nicht jedem nur denkbaren Risiko nachgehen. Bestimmte Restrisiken sind nicht zu vermeiden. Risiken, die als Gefahren für Mensch oder Umwelt anzusehen wären, müssen jedoch stets berücksichtigt werden. Andere Risiken sollen in das Konzept einbezogen werden, soweit das mit verhältnismäßigem Aufwand möglich ist.
474Vgl. - auch zum Folgenden - Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band IV, Stand: 1. Februar 2016, § 8 der 12. BImSchV Rn. 9.
475Nach Nr. 1 des Anhangs III der 12. BImSchV soll das Konzept zur Verhinderung von Störfällen die Gesamtziele und die allgemeinen Grundsätze des Vorgehens des Betreibers zur Begrenzung der Gefahren von Störfällen umfassen. Eine Behandlung jedes der in Absatz II genannten Details ist nicht erforderlich. Die Nrn. 2 und 3 der Anlage III dürften unmittelbar nur das Sicherheitsmanagementsystem im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 1 der 12. BImSchV betreffen. Auch in dem Störfallkonzept sind die Gefahren durch konkrete Störfälle allerdings in Grundzügen zu ermitteln und zu bewerten. Dies ist hier geschehen.
476(1) Die von dem Ammoniaklager ausgehenden Gefahren wurden in räumlicher Hinsicht ausreichend ermittelt. Das Vorhaben genügt der unionsrechtlichen Verpflichtung des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG des Rates vom 9. Dezember 1996 zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen in der durch die Richtlinie 2003/105/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2003 geänderten Fassung, einen angemessenen Abstand zwischen einem Störfallbetrieb und Wohngebäuden zu wahren.
477Vgl. EuGH, Urteil vom 15. September 2011 ‑ C‑53/10 -, Slg. 2011, I-8311 = juris.
478Der Untersuchungsraum musste nicht in Anlehnung an den Leitfaden der Kommission für Anlagensicherheit „Empfehlungen für Abstände zwischen Betriebsbereichen nach der Störfall-Verordnung und schutzbedürftigen Gebieten im Rahmen der Bauleitplanung - Umsetzung § 50 BImSchG“ von November 2010 (KAS 18) ausgedehnt werden. Die vom Kläger geforderte Erweiterung des Untersuchungsradius auf 580 m mit einer Einbeziehung u. a. der Bahnlinie Datteln-Lünen, der Kreisstraße 1 und weiterer Gewerbebetriebe oder auf 850 m unter Einbeziehung der Lippeauen ist auch nach den Abstandsempfehlungen des Leitfadens KAS 18 nicht geboten. Der Leitfaden KAS 18 findet bei Genehmigungen von Einzelvorhaben keine unmittelbare Anwendung (Leitfaden, S. 7). Seine Abstandsempfehlungen sind Richtwerte für die Bauleitplanung und ihrer Zweckbestimmung nach von typisierender Art (Leitfaden, S. 21); sie stehen daher einzelfallbezogenen Konkretisierungen von Sicherheitsabständen nicht entgegen. Ammoniak ist in dem Leitfaden KAS 18 der Abstandsklasse II (bis 500 m) zugeordnet. Für Planungen in ebenem Gelände und bei mittleren Ausbreitungsbedingungen wird ein Sicherheitsabstand von 398 m empfohlen; je nach den örtlichen Verhältnissen können sich Abweichungen ergeben. Die Annahme des Störfallkonzepts, nach den örtlichen Verhältnissen sei danach ein Abstand von 400 m zu Wohngebäuden, öffentlich genutzten Gebäuden und Gebieten sowie Freizeit- und Naturschutzgebieten ausreichend, erscheint plausibel. Besondere örtliche Bedingungen, die einen größeren Abstand erfordern würden, hat der Kläger nicht dargelegt und sind auch sonst nicht ersichtlich.
479Der Abstand von 400 m wird bis auf drei Ausnahmen eingehalten. Die ausnahmsweise Unterschreitung des Sicherheitsabstandes ist jedoch gerechtfertigt. Das Gefährdungspotential des Betriebsbereichs Ammoniaklager beruht ausweislich des Störfallkonzepts im Wesentlichen auf der Giftigkeit von Ammoniak bei seiner Freisetzung. Eine Freisetzung von Ammoniak werde hier vorrangig dadurch vermieden, dass es in einem geschlossenen System gehandhabt werde. Es sei dennoch eine worst-case-Einzelfallbetrachtung durchgeführt worden, indem man ein Leck in einer flüssigphaseführenden Rohrleitung im Bereich der Entladestation unterstellt habe. Im Sinne einer konservativen Betrachtungsweise sei man trotz des Umstands, dass die Wahrscheinlichkeit einer relevanten Freisetzung außerhalb der Entladestation vernünftigerweise ausgeschlossen werden könne, davon ausgegangen, dass 30 % des Ammoniaks an den Öffnungen des Gebäudes freigesetzt werden. Unter diesen Voraussetzungen werde der PAC2-Toxizitätswert (Protectice Action Criteria) bei mittleren Ausbreitungsbedingungen nur bis zu einer Entfernung von 20 m überschritten, das Immissionsmaximum liege in einem Abstand von 10 m zur Entladestation. Ab einem Abstand von 30 m werde der Wert deutlich unterschritten. Diese Bewertung ist nachvollziehbar. Die lückenlose Einhaltung eines Sicherheitsabstands von 400 m war daher nicht erforderlich.
480(2) Die mit der Entladung der Bahnwaggons mit einer Freisetzung von Ammoniak verbundenen Gefahren wurden ebenfalls umfassend betrachtet und bewertet. Die vorgesehenen Schutzvorkehrungen und -mechanismen sind in dem Störfallkonzept im Detail beschrieben. Es ist nicht ersichtlich, dass diese Maßnahmen unzureichend wären.
481(3) Mögliche Gefahren aufgrund der in unmittelbarer Nähe des Ammoniaklagers verlaufenden Gasleitung sind zu Recht nicht berücksichtigt worden. Nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben der Beigeladenen ist die Gasleitung nicht mehr in Betrieb.
482(4) Das Störfallkonzept hat die von den benachbarten Kohlesilos ausgehenden Brandgefahren unter Hinweis auf die im Brandschutzkonzept vom 23. März 2012 vorgesehenen Maßnahmen zur Verhinderung einer Selbstentzündung der Kohle und zur Branderkennung sowie zur Brandbekämpfung - Überwachung der Temperatur der angelieferten Kohle, hoher Durchsatz der Kohle, Einsatz von Detektoren für Kohlenmonoxid, Methan und Sauerstoffe, Flutung des betroffenen Silos mit Stickstoff im Brandfall - und mit Blick darauf, dass die Ammoniakbehälter erdgedeckt sind und die Entladestation eingehaust ist, zutreffend ausgeschlossen. Es ist nicht ersichtlich, dass es über die Brandschutzmaßnahmen hinaus vernünftigerweise noch genauerer Brandmelder zur Lokalisierung von Brandherden bedürfte. Für die Brandfrüherkennung im Bereich der Kohlesilos kommen bereits Sonderbrandmelder zum Einsatz, die als Gasmelder in der Lage sein sollen, einen Schwelbrand der Kohle bereits in der Entstehungsphase zu detektieren. Auch ein - selbst mit Gefahren verbundenes - Vorhalten von Stickstoff auf dem Betriebsgelände ist entbehrlich. Die kurzfristige Anlieferung des für die Flutung der Kohlesilos im Brandfall erforderlichen Stickstoffes mit Tanklastwagen ist nach den Angaben der Beigeladenen rund um die Uhr gewährleistet. Neben den Siloanlagen befinden sich zudem ausreichend dimensionierte Aufstellflächen für die Tanklastwagen. Im Bereich der Aufstellflächen ist die erforderliche Stromversorgung sichergestellt.
483(5) Die vom Kläger aufgrund des Klimawandels prognostizierten Naturereignisse - heftige Stürme und Hagel - konnten ebenfalls vernünftigerweise außer Betracht bleiben. Das Ammoniaklager ist unterirdisch ausgeführt und daher auch gegenüber ungewöhnlichen meteorologischen Ereignissen unempfindlich. Es ist nicht zu erkennen, dass die Annahme der Beigeladenen, aufgrund der baulichen Ausführung gelte dasselbe auch für das Heizöllager, unzutreffend wäre.
484(6) Auch die Gefahren durch Eingriffe Unbefugter sind in dem Störfallkonzept angemessen beschrieben und bewertet worden. Zwar kann sich aufgrund des Anlagentyps durch den Betrieb einer Anlage ein erhöhtes Risiko von Anschlägen oder Sabotageakten ergeben. Da es sich bei der Terrorbekämpfung jedoch typischerweise um eine Aufgabe der Polizei und nicht um eine private Angelegenheit des Betreibers handelt, steht die Pflicht zur präventiven Vermeidung von Gefahren, die sich aus eigenverantwortlichen rechtswidrigen Handlungen Dritter ergeben, ebenfalls jedenfalls unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit.
485Vgl. Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand: 1. Februar 2016, § 5 BImSchG, Rn. 98.
486Das Störfallkonzept beschreibt solche verhältnismäßigen Maßnahmen des Objektschutzes zur Abwehr politisch motivierter Übergriffe. Als mögliche Ursachen solcher Gefahren werden eine unzulängliche Einfriedung des Betriebsgeländes, eine unzureichende Be- und Überwachung der Anlage und eine unzureichende Einweisung von Betriebsfremden benannt. Dem soll dadurch entgegengewirkt werden, dass der gesamte Betriebsbereich mit einem 2 m hohen Sicherheitszaun umfriedet ist, der nachts beleuchtet wird. Während der Betriebszeiten sei qualifiziertes und ausgebildetes Sicherheitspersonal in ausreichender Zahl vor Ort. Der Zugang zu dem Gelände sei durch eine Eingangskontrolle gesichert. Ferner sollen die hierarchisch geregelten Zugangsberechtigungen insbesondere zu den sicherheitsrelevanten Bereichen sowie eine Sensibilisierung des Personals Gefahren durch Eingriffe von Innentätern vermindern.
487cc) Nach alledem bestehen keine Bedenken, dass die von der Beigeladenen vorgelegten Antragsunterlagen nicht den Anforderungen des § 4 a Abs. 1 Nr. 5 oder des § 4 b Abs. 1 Nr. 2 a und b der 9. BImSchV entsprechen. Nach § 4 a Abs. 1 Nr. 5 der 9. BImschV müssen die Unterlagen Angaben über die mögliche Freisetzung oder Reaktionen von Stoffen bei Störungen im Verfahrensablauf enthalten. Ferner müssen die Unterlagen Angaben enthalten über die vorgesehenen Maßnahmen zum Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vor sonstigen Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen, wie Angaben über die vorgesehenen technischen und organisatorischen Vorkehrungen zur Verhinderung von Störungen des bestimmungsgemäßen Betriebes und zur Begrenzung der Auswirkungen, die sich aus Störungen des bestimmungsgemäßen Betriebes ergeben können, vgl. § 4 b Abs. 1 Nr. 2 a und b der 9. BImSchV. Die Beigeladene hat neben dem Konzept für die Verhinderung von Störfällen auch ein Brandschutzkonzept und ein Explosionsgutachten vorgelegt. Anhaltspunkte für eine Unvollständigkeit dieser Unterlagen bestehen nicht.
4883. (Bau-)Planungsrecht
489Die Einwendungen gegen die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens greifen nicht durch. Gemäß § 30 Abs. 1 BauGB ist ein Vorhaben im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der allein oder gemeinsam mit sonstigen baurechtlichen Vorschriften mindestens Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen enthält (sog. qualifizierter Bebauungsplan), zulässig, wenn es diesen Festsetzungen nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Das Vorhaben liegt im Geltungsbereich eines wirksamen Bebauungsplans im Sinne des § 30 Abs. 1 BauGB (unten a). Es entspricht hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung auch dessen Festsetzungen (unten b) aa)). Die auf § 31 Abs. 2 BauGB beruhenden Befreiungen von den festgesetzten Baugrenzen und der höchstzulässigen Baumassenzahl sind rechtlich nicht zu beanstanden (unten b) bb).
490a) Wirksamkeit des Bebauungsplans
491Das Kohlekraftwerk liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 80 „Stummhafen“ 1. Änderung, bekannt gemacht am 19. März 1983, der alle für einen qualifizierten Bebauungsplan im Sinne des § 30 Abs. 1 BauGB notwendigen Festsetzungen enthält. Er setzt für das gesamte Plangebiet ein Industriegebiet (GI) fest. Gründe für eine Unwirksamkeit dieses Bebauungsplans sind nicht zu erkennen.
492Der Bebauungsplan ist gemäß § 1 Abs. 4 BauGB den Zielen der Raumordnung angepasst (dazu aa). Er ist auch - wie von § 8 Abs. 2 BauGB verlangt - aus dem Flächennutzungsplan entwickelt (dazu bb). Abwägungsmängel, die zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans führen würden, sind nicht erkennbar (dazu cc). Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Bebauungsplan nicht wegen Funktionslosigkeit außer Kraft getreten (dazu dd). Der Bebauungsplan unterlag nicht der Verpflichtung zur Durchführung einer Umweltprüfung, Umweltverträglichkeitsprüfung oder FFH-Verträglichkeitsuntersuchung. Es besteht auch keine Notwendigkeit, derartige Prüfungen nachträglich durchzuführen (dazu ee). Ebenso wenig besteht eine weitergehende Planungspflicht (dazu ff).
493aa) Der Bebauungsplan verstößt nicht gegen das Anpassungsgebot des § 1 Abs. 4 BauGB. Nach dieser Vorschrift sind die Bauleitpläne den Zielen der Raumordnung anzupassen. Darin kommt ein umfassendes Gebot zu dauerhafter materieller Übereinstimmung der kommunalen Bauleitplanung mit den Rahmenvorgaben der Raumordnungsplanung zum Ausdruck.
494Vgl. Runkel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/ Krautzberger, BauGB, Bd. I, § 1 Rn. 67; BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 2007 - 4 BN 17.07 - BRS 71 Nr. 45 = juris Rn. 9.
495An dieser Übereinstimmung bestehen hier keine Zweifel.
496(1) Der Bebauungsplan steht nicht in Widerspruch zu Zielen der Raumordnung, die sich aus dem Landesentwicklungsplan NRW vom 11. Mai 1995 (GV. NRW. S. 532, im Folgenden: LEP NRW) ergeben. Den in diesem Plan andernorts zeichnerisch festgelegten Standorten für Kraftwerke kommt nicht die Wirkung zu, dass nachgeordnete Planungsträger gehindert wären, auf dem Gebiet der Stadt Lünen ein Kraftwerk auszuweisen.
497Ziele der Raumordnung sind gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Raumordnung abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raumes. Hierzu dürften auch die zeichnerischen Festlegungen von Standorten für die Energieerzeugung im LEP NRW, Teil B, zählen.
498Vgl. OVG NRW, Urteil vom 3. September 2009 ‑ 10 D 121/07.NE -, DVBl. 2009, 1385 = juris Rn. 67.
499Sie enthalten zulässige, gebietsscharfe Zielfestlegungen, die dem überörtlichen Interesse an einer Sicherstellung der Energieversorgung dienen und zu diesem Zweck eine Standortvorsorge treffen. Für das Gebiet der Stadt Lünen sind derartige Standorte im LEP NRW nicht festgelegt. Ausgehend davon besteht auf den nachgeordneten Planungsebenen kein Verbot, auf dem Gebiet der Stadt Lünen einen Kraftwerksstandort vorzusehen bzw. planerisch zu ermöglichen.
500Es spricht viel dafür, dass die landesplanerisch festgelegten Standorte für die Energieversorgung allenfalls als Vorranggebiete im Sinne der aktuellen Regelung des § 8 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 ROG zu verstehen sind, ohne dass ihnen darüber hinaus auch die Wirkung eines Ausschlusses der vorgesehenen Maßnahmen bzw. Nutzungen außerhalb der vorgesehenen Standorte zukommt (sog. Eignungsgebiet, vgl. § 8 Abs. 7 Satz 2, Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 ROG). Mit einer Vorrangplanung werden die festgelegten Bereiche für die vorgesehene Nutzung als Kraftwerksstandorte gegen etwaige entgegenstehende Planungen nachgeordneter Planungsträger an gleicher Stelle gesichert. Eine Ausschlusswirkung für alle anderen Bereiche ist mit derartigen Festlegungen in Raumordnungsplänen nach den genannten Regelungen des Raumordnungsgesetzes nur verbunden, wenn sich dies aus dem Raumordnungsplan unmissverständlich ergibt. Auch der Gesetzgeber des ROG geht von einer rein innergebietlichen Wirkung von Vorranggebieten aus (vgl. § 8 Abs. 7 ROG, ebenso bereits § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 ROG i. d. F. vom 18. August 1997),
501vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. März 2011 ‑ 4 BN 18.10 -, juris Rn. 10, - 4 BN 19.19 -, juris Rn. 13 ff.
502Die landesplanerische Reservierung bestimmter als geeignet angesehener Kraftwerkstandorte und deren Sicherung gegen abweichende Nutzungen setzt nicht zwingend die umfassende Untersuchung des Landesgebiets auf potentiell geeignete Standorte voraus. Eine angemessene und abschließende Abwägungsentscheidung muss sich in diesem Fall vielmehr nur auf den - begrenzten - Inhalt einer Vorrangplanung beziehen. Maßgeblich ist dafür, ob sich die in Aussicht genommenen Bereiche als Kraftwerkstandorte eignen und dort gegenüber anderweitigen Vorhaben durchsetzen sollen.
503Vorliegend waren dem Plangeber des LEP NRW die Raumgebietskategorien „Vorranggebiet“ bzw. „Eignungsgebiet“ zwar in der Terminologie noch unbekannt, weil sie erst mit Wirkung vom 1. Januar 1998 gesetzlich geregelt worden sind. Dem LEP NRW ist aber auch der Sache nach nicht zu entnehmen, dass der Plangeber mit der Festlegung bestimmter Standorte für die Energieerzeugung und flächenintensive Großvorhaben die Planung von Kraftwerken im übrigen Landesgebiet hätte ausschließen wollen. Nach den Erläuterungen des LEP NRW zum Punkt „Energieversorgung“ (D. II. 3 am Ende) sind die dargestellten Kraftwerkstandorte ausdrücklich als „Angebotsplanung“ zu verstehen. Sie sind aus dem ehemaligen Landesentwicklungsplan LEP VI übernommen worden (vgl. D. II. 1. LEP NRW). Der LEP VI vom 8. November 1978 (MBl. NRW 1978 S. 1878) hatte neben 14 Standorten für die industrielle Nutzung vorsorglich 27 Standorte für Energieprojekte landesplanerisch festgelegt. Nach Nr. 5.3 Abs. 1 sowie Nr. 4.3 Abs. 2 LEP VI sollte für Kraftwerksstandorte kein „Darstellungsprivileg“ bestehen. Dieses ehemalige landesplanerische Instrument hatte - ähnlich wie das heutige „Eignungsgebiet“ - die Funktion zu verhindern, dass bestimmte Vorhaben oder Anlagen auf anderen als den tatsächlich ausgewiesenen Flächen verwirklicht werden. Den Festlegungen für Kraftwerke kam demnach eine Konzentrationswirkung, d. h. ein Ausschluss der Nutzung außerhalb der festgelegten Standorte, nicht zu.
504Vgl. Franßen/Grunow, NWVBl. 2016, 11, 14 f., die auch darauf hinweisen, dass der Landesplangeber bei der Übernahme der Standorte in den LEP NRW eine flächendeckende Standortalternativenprüfung nicht durchgeführt habe; so auch Regionalverband Ruhr (RVR), Stellungnahme vom 15. Juli 2014.
505Ungeachtet dessen steht die planerische Ermöglichung eines Kraftwerks am Standort Lünen/Stummhafen auch dann nicht im Widerspruch zum LEP NRW, wenn mit dem 10. Senat des OVG NRW von einer begrenzten „äußeren Verbindlichkeit“ der zeichnerischen Festlegungen von Standorten für die Energieerzeugung ausgegangen wird. Auch nach dieser Auffassung bedeutet die Standortfestlegung im LEP NRW für die nachgeordnete Planung nicht, dass eine Planung an anderer Stelle von vornherein ausgeschlossen wäre. Eine Gemeinde soll danach allerdings im Regelfall an einer Planung an anderer Stelle gehindert sein, wenn der Landesentwicklungsplan im Gemeindegebiet selbst eine Fläche als Kraftwerkstandort in Kenntnis der regionalen Besonderheiten ausgewiesen hat und die Verwirklichung der Planziele an dieser Stelle planerisch nicht ausgeschlossen ist. Insbesondere darf eine Planung in der Umgebung die Realisierung der landesplanerisch gewünschten Flächennutzung nicht beeinträchtigen.
506Vgl. OVG NRW, Urteil vom 3. September 2009 - 10 D 121/07.NE -, DVBl. 2009, 1385 = juris Rn. 82; Franßen/Grunow, NWVBl. 2016, 11, 15.
507Dies ist vorliegend nicht der Fall, da der LEP NRW für das Gebiet der Stadt Lünen keinen Standort für die Energieerzeugung vorgesehen hat. Derartige Standorte werden durch den LEP NRW in der Umgebung etwa für das Gebiet Datteln-Waltrop in westlicher und für das Gebiet Bergkamen in östlicher Richtung festgelegt. Die Stadt Lünen ist demgegenüber mangels einschlägiger Vorgaben in ihrer Planung nicht gebunden.
508(2) Ein dem Bebauungsplan entgegenstehendes Ziel der Raumordnung ergibt sich nicht aus dem am 9. August 2004 bekannt gemachten (GV. NRW. S. 440) Regionalplan für den Regierungsbezirk Arnsberg, Teilabschnitt Oberbereich Dortmund - westlicher Bereich (Dortmund/Kreis Unna/Hamm), im Folgenden: Regionalplan 2004. Das Gelände des Stummhafens ist im Regionalplan 2004 Teil eines großen Bereichs für die gewerbliche und industrielle Nutzung (GIB). GIB-Bereiche dienen der Entwicklung und Sicherung von gewerblich-industriellen Bauflächen, insbesondere für die Unterbringung von emittierenden Industrie-, Gewerbe- und öffentlichen Betrieben sowie diesen zuzuordnenden Einrichtungen und Anlagen (Regionalplan 2004, S. 32). Der fragliche GIB-Bereich umfasst vorliegend auch die Standorte der Unternehmen S. und Inovatherm sowie das STEAG-Kraftwerk. Der Bereich des STEAG-Kraftwerks ist mit dem Piktogramm für „Kraftwerke und einschlägige Nebenbetriebe“ versehen. Hierbei handelt es sich nicht um eine gebietsscharfe Ausweisung einer Fläche für ein bestimmtes Kraftwerk. Vielmehr bietet der Plangeber mit der Anbringung der Zusatzsignatur für Kraftwerke der nachgeordneten Bauleitplanung die gesamte ungeteilte GIB-Fläche (auch) als potentiellen Standort für ein oder mehrere Kraftwerke an (vgl. auch die der zeichnerischen Darstellung beigefügte Legende).
509Diese Art der Darstellung entsprach der Anlage 1 (Planzeichenverzeichnis) der seinerzeit geltenden Verordnung über Gegenstand, Form und Merkmale des Planungsinhalts der Landesentwicklungspläne, Gebietsentwicklungspläne und Braunkohlenpläne (3. DVO zum Landesplanungsgesetz) vom 17. Januar 1995, GV. NRW. S. 144, auf die der Regionalplan (S. 32) Bezug nimmt. Darin waren „Kraftwerke und einschlägige Nebenbetriebe“ - anders als nach der aktuell geltenden Anlage 3 zur Verordnung zur Durchführung des Landesplanungsgesetzes (LPlG DVO) vom 8. Juni 2010, nach der sie unter „GIB für zweckgebundene Nutzungen“ fallen - noch ausdrücklich den allgemeinen Bereichen für gewerbliche und industrielle Nutzungen (GIB) zugeordnet.
510(3) Der Bebauungsplan ist auch nicht bereits wegen fehlender Anpassung an Ziele der Raumordnung in dem vorher geltenden Gebietsentwicklungsplan für den Regierungsbezirk Arnsberg, Teilabschnitt Dortmund-Unna-Hamm (genehmigt am 14. Februar 1984 bzw. 29. Oktober 1984, 4. und letzte Änderung genehmigt mit Erlass vom 26. Oktober 1988) unwirksam geworden. Für diesen Gebietsentwicklungsplan gilt im Ergebnis dasselbe wie unter (2) ausgeführt; insbesondere enthält er für das Gebiet der Stadt Lünen ebenfalls keine gebietsscharfe Darstellung eines Bereichs für ein Kraftwerk. Wie in dem späteren Regionalplan ist auch hier auf dem Gebiet der Stadt Lünen ein den Vorhabenstandort einschließender, größerer Gewerbe- und Industrieansiedlungsbereich ausgewiesen, der am Standort eines bestehenden Kraftwerks zusätzlich über das Piktogramm „konventionelles Kraftwerk“ verfügt. Dies schließt die Planung bzw. Genehmigung weiterer Kraftwerke in dem - lediglich der allgemeinen Größenordnung und annähernden räumlichen Lage nach dargestellten - Gewerbe- und Industrieansiedlungsbereich nicht aus.
511bb) Der Bebauungsplan genügt dem Entwicklungsgebot des § 8 Abs. 2 BauGB. Nach dieser Vorschrift sind Bebauungspläne aus dem Flächennutzungsplan zu entwickeln. Dabei ist auf den zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bebauungsplans geltenden Flächennutzungsplan abzustellen.
512Vgl. Runkel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautz-berger, BauGB, Stand: November 2015, § 8 Rn. 19, 35.
513Es kann dahinstehen, ob es danach maßgeblich auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bebauungsplans Nr. 80 in seiner ursprünglichen Fassung (3. Januar 1980) oder in der Fassung der 1. Änderung (19. März 1983) ankommt. Zu beiden Zeitpunkten war der Flächennutzungsplan der Stadt Lünen vom 27. April 1979 in Kraft, welcher nach Auskunft der Stadt Lünen vom 28. April 2016 für den Bereich des Stummhafens ein GI-Gebiet darstellt. Der Bebauungsplan Nr. 80 „Stummhafen“ stellt sich damit ohne Zweifel als aus diesem Flächennutzungsplan entwickelt dar, da er für diese Fläche ebenfalls ein Industriegebiet (GI) festsetzt.
514Ob der Bebauungsplan mit dem Flächennutzungsplan der Stadt Lünen vom 3. Februar 2006 in der zum Zeitpunkt des Vorbescheids geltenden Fassung vom 12. Februar 2010 (4. Änderung, vgl. Vorbescheid S. 269) in Einklang steht, ist demgegenüber rechtlich unerheblich. Eine fortlaufende Anpassungspflicht rechtswirksam in Kraft getretener Bebauungspläne an spätere Änderungen des Flächennutzungsplans - wie sie § 1 Abs. 4 hinsichtlich der Ziele der Raumordnung begründet - ist gesetzlich nicht vorgesehen. Ungeachtet dessen ist ein Widerspruch auch nicht gegeben, weil die Standortfläche in diesem Flächennutzungsplan gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 9 BauNVO weiterhin als Industriegebiet (GI) dargestellt ist.
515Die Rüge, der Flächennutzungsplan enthalte keine ausdrückliche Aussage zur Zulässigkeit von Großkraftwerken, greift auch unabhängig davon nicht durch. In Industriegebieten gehören generell auch Kraftwerke zu den zulässigen Betrieben (vgl. § 9 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO 1977, sowie unten unter b). Für den Plangeber des - noch grobmaschigen - Flächennutzungsplans besteht kein Zwang, stattdessen die nach § 1 Abs. 2 Nr. 10 BauNVO ggf. auch mögliche Darstellung eines - zweckgebundenen - Sondergebiets für ein Kraftwerk zu wählen. Dies gilt umso mehr, als hier auch der Bebauungsplan nicht von vornherein auf ein Kraftwerk zugeschnitten ist, sondern mit der Festsetzung eines Industriegebiets eine Angebotsplanung für alle danach konkret zulässigen Betriebe darstellt.
516cc) Abwägungsfehler, die zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans führen würden, sind nicht erkennbar.
517(1) Nach § 1 Abs. 7 BauGB sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Das in dieser Vorschrift normierte Abwägungsgebot ist verletzt, wenn eine sachgerechte Abwägung überhaupt nicht stattfindet, wenn in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, wenn die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens ist dem Abwägungserfordernis jedoch genügt, wenn sich die zur Planung berufene Gemeinde im Widerstreit verschiedener Belange für die Bevorzugung des einen und damit notwendigerweise für die Zurückstellung des anderen Belanges entscheidet.
518Vgl. OVG NRW, Urteil vom 3. September 2009 ‑ 10 D 121/07.NE -, DVBl. 2009, 1385 = juris Rn. 120, 121 m. w. N.; BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1974 - 4 C 50.72 -, BVerwGE 45, 309 = juris Rn. 45.
519Gemessen daran zeigt das Klagevorbringen keinen Abwägungsfehler auf. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen das aus dem Abwägungsgebot abgeleitete Gebot der planerischen Konfliktbewältigung vor. Ein Bebauungsplan hat grundsätzlich die von ihm geschaffenen oder ihm zurechenbaren Konflikte zu lösen. Handelt es sich - wie hier - um eine Angebotsplanung, muss die Gemeinde ihrer Prognose diejenigen baulichen Nutzungen zugrunde legen, die bei einer vollständigen Ausnutzung der planerischen Festsetzungen möglich sind. Eine Verlagerung von Problemlösungen aus dem Bauleitverfahren auf nachfolgendes Verwaltungshandeln ist dabei nicht ausgeschlossen. Von einer abschließenden Konfliktbewältigung im Bebauungsplan darf die Gemeinde Abstand nehmen, wenn bei vorausschauender Betrachtung die Durchführung der als notwendig erkannten Konfliktlösungsmaßnahmen außerhalb des Planungsverfahrens auf der Stufe der Verwirklichung der Planung sichergestellt ist. Die Planung darf jedoch nicht dazu führen, dass Konflikte, die durch sie hervorgerufen werden, zu Lasten Betroffener auf der Ebene der Vorhabenzulassung letztlich ungelöst bleiben.
520Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. November 2006 - 4 BN 32.06 -, juris Rn. 10; OVG NRW, Urteil vom 3. September 2009 - 10 D 121/07.NE -, DVBl. 2009, 1385 = juris Rn. 202 ff.
521Nach diesen Maßstäben lässt der Bebauungsplan Nr. 80 der Stadt Lünen in der Fassung der 1. Änderung vom 19. März 1983 keine unzureichende Konfliktbewältigung erkennen. Er setzt für das gesamte, den Vorhabenstandort umfassende Plangebiet ein Industriegebiet (GI) fest. In den textlichen Festsetzungen wird auf den Abstandserlass und die Abstandsliste vom 25. Juli 1974 (MBl. NW. S. 992/SMBl. NW. 280) Bezug genommen und für das Plangebiet festgelegt, dass Anlagen der Abstandsklassen I und II der Abstandsliste ausgeschlossen sind. Der Abwägung hat damit bereits der Abstandserlass in der bei Beschlussfassung über den Bebauungsplan gültigen Fassung der Änderung vom 2. November 1977 (MBl. NW. S. 1688) zugrunde gelegen, welcher in der Abstandsliste die Abstandsklassen eingeführt hat.
522Diese durch § 1 Abs. 5 BauNVO 1977 eröffnete Möglichkeit ermöglicht ähnlich wie die Gliederung von Baugebieten nach § 1 Abs. 4 BauNVO eine planerische Feinsteuerung, die in besonderem Maße dem Umwelt- und Immissionsschutz dient. Zulässig ist danach auch ein Ausschluss bestimmter Betriebe und Anlagen nach Störgraden bzw. Emissionsverhalten und nach den insofern notwendigen Schutzabständen zu Wohnnutzungen, soweit die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt bleibt. Hierbei kann ein Bebauungsplan auf den sog. Abstandserlass und die diesem beigefügte Abstandsliste Bezug nehmen.
523Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. Mai 2014 - 8 A 3002/11 -, juris Rn. 71 ff. m. w. N.; Beschluss vom 27. November 2009 - 8 B 1549/09.AK -, DVBl. 2010, 444 = juris Rn. 100, 101 m. w. N.
524Der Abstandserlass dient dazu, die durch das Aufeinandertreffen von Wohnbebauung und Industrie- bzw. Gewerbebauung entstehenden Nutzungskonflikte durch Festlegung bestimmter Mindestabstände zu lösen. Damit wird dem Trennungsgebot des § 50 BImSchG Rechnung getragen. Die zu erwartenden Konflikte können - wie hier - auch durch negative Festsetzungen bewältigt werden, um so die Störungen und Emissionen der ausgeschlossenen Anlagen - hier der Abstandsklasse I und II nach dem Abstandserlass von 1974 i. d. F. der Änderung von 1977 - zu verhindern. Die Stadt Lünen war dabei nicht verpflichtet, stattdessen - dynamisch - auf den Abstandserlass in seiner jeweils geltenden Fassung zu verweisen. Nach § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB ist für die Abwägung die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Bebauungsplan maßgeblich. Die Vorschrift soll verhindern, dass nachträgliche Änderungen der tatsächlichen Umstände bzw. der zugrunde gelegten Vorschriften die Planung der Gemeinde im Nachhinein in Frage stellen. Mit der Beschlussfassung endet die Pflicht der Gemeinde, ihr Abwägungsprogramm an dem jeweils aktuellen Stand der Entwicklung auszurichten.
525Vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Februar 1997 ‑ 4 NB 40.96 -, BauR 1997, 590 = juris Rn. 14; Battis, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 214 Rn. 19 m. w. N.
526Der Kläger macht nicht geltend, dass die Abstände zu Wohngebieten, die der der Abwägung zugrunde gelegte Abstandserlass vorsieht, vorliegend nicht eingehalten wären. Sein Vorbringen lässt auch nicht hervortreten, dass der Bebauungsplan unter Berücksichtigung seines vorstehend dargestellten Inhalts und der tatsächlich vorhandenen Abstände zur nächstgelegenen Wohnbebauung Konflikte verursachte, die im Rahmen nachfolgender immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren nicht zu lösen wären. Er rügt zwar, dass für den Bebauungsplan - anders als nach heutigem Recht erforderlich - keine Umweltverträglichkeits- bzw. Umweltprüfung und keine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchgeführt worden seien (dazu näher unter ee)). Das Unterbleiben derartiger, seinerzeit noch unbekannter Prüfungsschritte indiziert aber für sich genommen nicht, dass die in § 1 Abs. 6 BBauGB besonders erwähnten abwägungserheblichen Gesichtspunkte, zu denen auch der Umweltschutz sowie die Erhaltung und Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen (Boden, Wasser, Klima, Luft etc.) bereits gehörten, nicht mit dem ihnen zukommenden Gewicht in der Abwägung berücksichtigt worden wären. Dass der Bebauungsplan ungelöste Konflikte verursacht, ist auch mit den umfangreich begründeten Zweifeln des Klägers an der Einhaltung der immissionsschutz-, naturschutz- und sonstigen umweltrechtlichen Anforderungen durch das genehmigte Steinkohlekraftwerk nicht zu belegen. Denn diese greifen, wie sich aus den vorangegangenen und nachfolgenden Ausführungen ergibt, sämtlich nicht durch.
527(2) Selbst wenn die Festsetzung eines Industriegebiets in Verbindung mit dem Ausschluss von Anlagen der Abstandsklassen I und II der Abstandsliste an einem erheblichen Abwägungsmangel im Sinne von § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB leiden würde, führte dies nicht zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans. Nach Maßgabe des § 233 Abs. 2 Satz 3 BauGB sind für vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung in Kraft getretene Bebauungspläne zwar die vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung geltenden Vorschriften über die Geltendmachung u. a. von Mängeln der Abwägung einschließlich ihrer Fristen weiterhin anzuwenden. Für den im Jahre 1980 bzw. 1983 bekannt gemachten Bebauungsplan kommt daher die Überleitungsvorschrift des § 244 Abs. 2 BauGB (i. d. F. vom 8. Dezember 1986) zur Anwendung. Nach dieser Vorschrift sind Mängel der Abwägung von Bebauungsplänen, die vor dem 1. Juli 1987 bekannt gemacht worden sind, aber unbeachtlich, wenn sie nicht innerhalb von sieben Jahren nach dem 1. Juli 1987 schriftlich gegenüber der Gemeinde geltend gemacht worden sind. Die Unbeachtlichkeit von Abwägungsmängeln tritt dabei unabhängig davon ein, ob in der Gemeinde ein Hinweis auf diese Änderung der Rechtslage erfolgt ist.
528Vgl. OVG NRW, Urteile vom 17. Dezember 2008 - 10 A 3000/07 -, juris Rn. 44 f., und vom 4. September 2008 - 7 A 2358/07 -, juris Rn. 91.
529dd) Der Bebauungsplan ist nicht funktionslos geworden.
530Festsetzungen in einem Bebauungsplan treten im Einzelfall wegen Funktionslosigkeit außer Kraft, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sie sich beziehen, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf absehbare Zeit ausschließt. Insoweit bedarf es nachträglicher rechtlicher oder tatsächlicher Veränderungen, die der Planverwirklichung objektiv entgegenstehen. In diesem Zusammenhang ist nicht nur bezogen auf einzelne Grundstücke im Geltungsbereich zu fragen, ob die betroffene Festsetzung dort noch einen Sinn ergibt. Entscheidend ist vielmehr, ob die jeweilige Festsetzung geeignet ist, zur städtebaulichen Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB im Geltungsbereich des Bebauungsplans einen wirksamen Beitrag zu leisten und die städtebauliche Entwicklung noch in eine bestimmte Richtung zu steuern. Hinzutreten muss weiter ein Maß an Offenkundigkeit des Mangels, das einen Grad erreicht haben muss, der einem etwa dennoch in die Fortgeltung der Festsetzung gesetzten Vertrauen die Schutzwürdigkeit nimmt.
531Den inzwischen eingetretenen Verhältnissen muss es - in Anlehnung an die zu § 44 VwVfG ergangene Rechtsprechung - gleichsam auf die Stirn geschrieben sein, dass eine Verwirklichung der Planung nicht nur bisher und jetzt, sondern auch für die Zukunft auf Dauer ausgeschlossen ist. Allein diese Offensichtlichkeit rechtfertigt es, auf die Durchführung eines förmlichen Aufhebungsverfahrens zu verzichten. Wann von einem solchen Grad der Erkennbarkeit die Rede sein kann, lässt sich nicht abstrakt bestimmen, sondern bedarf einer wertenden Entscheidung unter Berücksichtigung u. a. der Art der Festsetzung, des Maßes der Abweichung und der Irreversibilität der entstandenen tatsächlichen Verhältnisse. Grundsätzlich ist erforderlich, dass sich die bauliche Entwicklung abweichend von dem städtebaulichen Ziel des Bebauungsplans vollzieht. Ein Verlust der städtebaulichen Steuerungsmöglichkeit durch die Festsetzungen eines Bebauungsplans kann daher in aller Regel erst offensichtlich sein, wenn diese einen objektiv erkennbaren Niederschlag - sei es in den Bauten selbst oder in ihrer Nutzung - gefunden hat.
532Vgl. BVerwG, Urteile vom 29. April 1977 - IV C 39.75 -, BVerwGE 54, 5 = juris Rn. 35, und vom 17. Juni 1993 - 4 C 7.91 -, NVwZ 1994, 281 = juris Rn. 19, sowie Beschlüsse vom 17. Februar 1997 - 4 B 16.97 -, BRS 59 Nr. 55 = juris Rn. 4, vom 23. Januar 2003 - 4 B 79.02 -, BRS 66 Nr. 2 = juris Rn. 4, und vom 9. Oktober 2003 - 4 B 85.03 -, BRS 66 Nr. 52 = juris Rn. 9; OVG NRW, Urteile vom 20. Februar 2004 - 10 A 4840/01 -, BRS 67 Nr. 84 = juris Rn. 42 ff., vom 18. Februar 2010 - 10 A 2472/08 -, BRS 76 Nr. 140 = juris Rn. 37, und vom 22. März 2011 - 2 A 371/09 -, juris Rn. 94.
533Für das Vorliegen dieser Voraussetzungen bestehen hier keinerlei Anhaltspunkte. Das geplante Industriegebiet ist am Stummhafen entstanden; namentlich das streitgegenständliche Kraftwerk ist errichtet und in Betrieb. Dass es erst rund 30 Jahre nach Beschlussfassung über den Bebauungsplan realisiert worden ist, führt zu keinem anderen Ergebnis. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass im Plangebiet realisierte konfligierende Nutzungen - etwa eine Wohnbebauung - den Betrieb eines Kohlekraftwerks ausschlössen. Weder die Nutzung durch das Kohlekraftwerk und weitere Gewerbebetriebe (vgl. etwa den kohleverarbeitenden Betrieb der n. Kohlenstäube GmbH), noch die vorherige Nutzung im Gebiet des alten Kohlehafens durch eine Bodenaufbereitungs- und Kohleaufbereitungsanlage stellen die planerische Intention in irgendeiner Weise in Frage.
534ee) Der Wirksamkeit des Bebauungsplans steht nicht entgegen, dass vor der Beschlussfassung keine Umweltprüfung oder FFH-Verträglichkeitsprüfung durchgeführt wurde [(1)]. Es besteht auch keine Notwendigkeit, derartige Prüfungen nachzuholen [(2)].
535(1) Für den Bebauungsplan war keine Umweltprüfung, Umweltverträglichkeitsprüfung oder FFH-Verträglichkeitsprüfung durchzuführen.
536(a) § 14b Abs. 1 Nr. 1 UVPG in Verbindung mit der Anlage 3 Nr. 1.8 zum UVPG begründet heute auch für Angebotsbebauungspläne die Pflicht zur Durchführung einer Strategischen Umweltprüfung (SUP). Hierfür wird gemäß § 17 Abs. 2 UVPG eine Umweltprüfung einschließlich der Überwachung nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs durchgeführt (§ 2 Abs. 4 BauGB i. d. F. der Bekanntmachung vom 23. September 2004, BGBl. I S. 2414). Diese Verpflichtung, die der Umsetzung der Richtlinie 2001/42/EG vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (ABl. L 197, S. 30, Plan-UP-Richtlinie) dient, fand jedoch auf den Bebauungsplan Nr. 80 noch keine Anwendung. Nach den Übergangsvorschriften in § 25 Abs. 8 und 9 UVPG unterliegen Pläne und Programme, deren erster förmlicher Vorbereitungsakt vor dem 21. Juli 2004 erfolgt ist, nur dann den Vorschriften des Teils 3 über die Strategische Umweltprüfung, wenn sie später als am 20. Juli 2006 angenommen oder in ein Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden. Der Bebauungsplan Nr. 80 ist jedoch bereits im Jahr 1980, seine 1. Änderung am 19. März 1983 in Kraft getreten. Eine Erstreckung der während der Ausarbeitung und vor der Annahme eines Plans bestehenden Pflicht zur Umweltprüfung nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie auf diesen Bebauungsplan ist auch unionsrechtlich nicht gefordert. Die Umsetzung in § 25 Abs. 8 und 9 UVPG entspricht im Wesentlichen der in Art. 13 Abs. 3 Plan-UP-Richtlinie getroffenen Regelung über den zeitlichen Anwendungsbereich dieser Verpflichtung. Diese Regelung verlangt in zeitlicher Hinsicht keine weitergehende Anwendung als vom deutschen Gesetzgeber in § 25 Abs. 8 und 9 UVPG geregelt.
537Gemäß Art. 4 Abs. 1 der Plan-UP-Richtlinie muss die Umweltprüfung nach Art. 3 Plan-UP-Richtlinie während der Ausarbeitung und vor der Annahme eines Plans oder Programms oder dessen Einbringung in das Gesetzgebungsverfahren durchgeführt werden. Diese Verpflichtung greift gemäß Art. 13 Abs. 1 und 3 der Richtlinie ausschließlich für die Pläne und Programme, deren erster förmlicher Vorbereitungsakt nach dem 21. Juli 2004 erstellt wurde.
538(b) Aus vergleichbaren Gründen kommt auch von vornherein nicht in Betracht, dass der Bebauungsplan Nr. 80 einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen war. § 17 Abs. 1 UVPG sieht vor, die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) als Umweltprüfung (UP) nach dem BauGB durchzuführen. Das Verhältnis der UP-Pflicht zur UVP-Pflicht kann hier jedoch ebenso dahinstehen wie die Frage, ob der vorliegende Angebotsbebauungsplan überhaupt ein UVP-pflichtiges Projekt ist (§§ 17 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. 2 Abs. 3 Nr. 3 UVPG). Denn jedenfalls ist der zeitliche Anwendungsbereich der UVP-Richtlinie und der diese umsetzenden nationalen Vorschriften nicht eröffnet. Die erste Richtlinie zur UVP (Richtlinie 85/337/EWG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten) datiert vom 27. Juni 1985 und sah in Art. 12 Abs. 1 eine Umsetzung binnen drei Jahren vor. Sie ist damit ebenfalls deutlich nach Inkrafttreten der letzten Änderung der Bebauungsplans Nr. 80 der Stadt Lünen in Kraft getreten bzw. verbindlich geworden. § 25 Abs. 4 UVPG i. V. m. § 244 Abs. 2 BauGB enthält lediglich eine Überleitungsregelung für Bebauungsplanverfahren, die ab dem 14. März 1999 förmlich eingeleitet wurde. Ansonsten gelten die allgemeinen Regeln des § 233 Abs. 1, 3 BauGB.
539(c) Auch die nunmehr in § 1a Abs. 4 BauGB (seit der Fassung der Bekanntmachung vom 23. September 2004, BGBl. I, S. 2414) i. V. m. § 34 BNatSchG vorgesehene FFH-Verträglichkeitsprüfung für Bebauungspläne, die ein Natura 2000-Gebiet im Sinne des BNatSchG in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen erheblich beeinträchtigen können, war für den Anfang der 80er Jahre beschlossenen und geänderten Bebauungsplan Nr. 80 noch nicht durchzuführen. Diese Regelungen dienen der Umsetzung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (Richtlinie 92/43/EWG vom 21. Mai 1992, ABl. L 206, S. 7 - FFH-Richtlinie, zuletzt angepasst durch die Richtlinie 2013/17/EU vom 13. Mai 2013, ABl. L 158, S. 193). Für die Umsetzung der ursprünglichen FFH-Richtlinie wurde den Mitgliedstaaten in Artikel 23 eine Frist von zwei Jahren nach Bekanntgabe der Richtlinie gesetzt. Die in Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie geregelte Pflicht zur Durchführung einer FFH-Verträglichkeitsprüfung konnte daher auf den vorliegenden Bebauungsplan, der bereits Jahre vor Bekanntgabe der Richtlinie beschlossen wurde, noch keine Anwendung finden.
540(2) Es besteht auch unter Berücksichtigung des Unionsrechts keine Verpflichtung, den Bebauungsplan Nr. 80, bei dessen Aufstellung die Pflicht zur Durchführung einer Umwelt- bzw. Umweltverträglichkeitsprüfung und einer FFH-Verträglichkeitsprüfung noch nicht galt, vor der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung eines Kraftwerks nachträglich derartigen Prüfungen zu unterziehen bzw. den Bebauungsplan unter Beachtung der aktuell geltenden Vorschriften insgesamt neu aufzustellen.
541Das Urteil des EuGH vom 3. März 2011 - C-50/09 -, Kommission/Irland, gibt die vom Kläger gezogenen Schlüsse nicht her. Darin wurde das irische Planungsrecht für unionsrechtswidrig befunden, weil es keine klaren Bestimmungen darüber traf, wie sich die im Zuge einer Umweltverträglichkeitsprüfung gewonnenen Erkenntnisse in der Genehmigungsentscheidung niederschlagen. In der Urteilsbegründung (vgl. insbesondere Rn. 40) mag der Kläger zu Recht die Klarstellung sehen, dass die Bewertung als letzter Schritt der Umweltverträglichkeitsprüfung materielle und nicht nur prozedurale Bedeutung hat. Hieraus folgt aber nicht, dass die Umwelt(verträglichkeits)prüfung bei der - ihrerseits UVP-pflichtigen - Genehmigung eines Großkraftwerks gerade in einem Verfahren mit planerischem Gestaltungsspielraum - also zusätzlich auch in einem Bebauungsplanverfahren - durchgeführt werden müsste.
542Vgl. auch BVerwG, Urteil vom 24. Oktober 2013 ‑ 7 C 36.11 -, BVerwGE 148, 15 = juris Rn. 57.
543Auch die Ausführungen im Urteil vom 24. November 2011 in der Rechtssache Kommission/Spanien zur Umweltverträglichkeitsprüfung sind nicht einschlägig. Darin hat der EuGH u. a. entschieden, dass bei der für ein Projekt durchzuführenden Umweltverträglichkeitsprüfung die kumulativen Auswirkungen anderer, bestehender Projekte auf die Umwelt mit zu berücksichtigen sind.
544Vgl. EuGH, Urteil vom 24. November 2011 ‑ C‑404/09 - (Kommission/Spanien), ZUR 2012, 163 = juris Rn. 76 ff., 80; in Deutschland umgesetzt etwa durch § 3c Satz 1 UVPG i. V. m. Anlage 2 Nr. 2 zum UVG, vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 16. März 2016 - 8 A 1577/15 -.
545Aus dieser Rechtsprechung ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht zu schließen, dass Projekte bzw. Pläne, die vor Umsetzung der UVP-Richtlinie bzw. Ablauf der Umsetzungsfrist bestandskräftig genehmigt bzw. rechtswirksam geworden sind, nachträglich selbstständig - d. h. mit potentiellen Auswirkungen auf die bestandskräftige Genehmigung/den rechtsgültigen Plan - einer Umwelt(verträglichkeits)prüfung zu unterziehen sind.
546Eine Verpflichtung zur Durchführung einer nachträglichen FFH-Verträglichkeitsprüfung für den Bebauungsplan besteht im konkreten Fall ebenfalls nicht. Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie ist auf den Bebauungsplan Nr. 80 „Stummhafen“ auch nicht mit Blick auf zukünftige Auswirkungen des Plans anwendbar. Ohne Erfolg beruft sich der Kläger insoweit auf die Aussage des EuGH in der Rechtssache Papenburg, wonach das Ausbaggern einer Fahrrinne der Ems unter den Projektbegriff des Art. 6 Abs. 3 FFH-Richtlinie falle und der Umstand, dass die in Rede stehende Tätigkeit vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie nach nationalem Recht endgültig genehmigt wurde, als solcher nicht daran hindert, diese Tätigkeit bei jedem Eingriff in die Fahrrinne als gesondertes Projekt im Sinne der Habitatrichtlinie anzusehen.
547Vgl. EuGH, Urteil vom 14. April 2010 - C-226/08 - (Papenburg), EuZW 2010, 222 = juris Rn. 41.
548Dies lässt sich auf Pläne schon nicht übertragen; denn weitere, sukzessive Ausführungen eines Bebauungsplans sind nicht ihrerseits ein „Plan“, sie dürften vielmehr ein „Projekt“ darstellen.
549Einschlägig bleibt aber das Störungs- und Verschlechterungsverbot gemäß Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie. Nach der Rechtsprechung des EuGH fällt die Ausführung eines Projekts, das genehmigt wurde, bevor die Schutzregelung der Habitatrichtlinie aufgrund seiner Ausweisung als Natura 2000-Gebiet für das fragliche Gebiet anwendbar wurde, und daher nicht den Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie über eine Ex-ante-Prüfung unterliegt, gleichwohl unter Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie. Dies gilt gleichermaßen für Pläne, wie der EuGH in seinem jüngsten Urteil zur Dresdner Waldschlösschenbrücke ausdrücklich bestätigt hat.
550Vgl. EuGH, Urteile vom 14. Januar 2016 ‑ C‑399/14 - (Grüne Liga Sachsen u. a.), NVwZ 2016, 515 = juris Rn. 33; vom 14. April 2010 - C-226/08 -, EuZW 2010, 222 = juris Rn. 48 f. und vom 24. November 2011 - C-404/09 -, ZUR 2012, 163 = juris Rn. 124 f.
551Daraus kann sich unter Umständen - nicht automatisch - eine Verpflichtung ergeben, bestehende Pläne oder Projekte nachträglich auf Verträglichkeit mit dem betreffenden Gebiet zu prüfen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Tätigkeit nur dann im Einklang mit Art. 6 Abs. 2 der FFH-Richtlinie steht, wenn gewährleistet ist, dass sie keine Störung verursacht, die die Erhaltungsziele der Richtlinie erheblich beeinträchtigen kann. Im Einzelfall ist daher zu überprüfen, ob eine neue Prüfung eines Plans, der ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung beeinträchtigen könnte, oder eines solchen Projekts die einzige geeignete Maßnahme im Sinne von Art. 6 Abs. 2 der FFH-Richtlinie darstellt, um die Wahrscheinlichkeit oder Gefahr einer Verschlechterung der Lebensräume oder von Störungen von Arten, die sich im Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten, auszuräumen.
552Vgl. EuGH, Urteil vom 14. Januar 2016 ‑ C‑399/14 - (Grüne Liga Sachsen u. a.), NVwZ 2016, 595 = juris Rn. 33 ff., 45.
553Gemessen daran bedarf es hier nicht der Nachholung einer FFH-Verträglichkeitsprüfung für den Bebauungsplan. Eine derartige Verträglichkeitsprüfung stellt vorliegend nicht die einzige geeignete Maßnahme dar, um die Beachtung des Störungs- und Verschlechterungsverbots des Art. 6 Abs. 2 FFH-Richtlinie zu gewährleisten. Vielmehr ist diesem Ziel bereits dadurch genügt, dass im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren für das streitgegenständliche Kohlekraftwerk eine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchgeführt worden ist. In diesem ‑ ebenso wie in etwaigen weiteren Genehmigungsverfahren für UVP-pflichtige Vorhaben im Geltungsbereich des Bebauungsplans - ist auch zu prüfen, ob das jeweilige Projekt das geschützte Gebiet in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen kann (vgl. Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie). Vor diesem Hintergrund ist eine zusätzliche FFH-Verträglichkeitsprüfung für den ein Industriegebiet festsetzenden Bebauungsplan nicht zwingend notwendig, um das Ziel des Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie zu erreichen.
554Siehe auch Stüer, DVBl. 2010, 245, 246; Krautzberger/Wagner, in: Ernst/Zinkahn/Bielen-berg/Krautzberger, BauGB, § 1a Rn. 259.
555ff) Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen ist - anders als der Kläger meint - auch nicht von einer (weitergehenden) Planungspflicht der Stadt Lünen auszugehen. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. September 2003, auf das der Kläger sich beruft, bezieht sich auf eine gemeindliche Erstplanungspflicht im unbeplanten Innenbereich, die aus § 1 Abs. 3 oder § 1 Abs. 4 BauGB folgen kann. Eine ähnliche Fallgestaltung - Zulassung eines komplexen Vorhabens ohne eine verbindliche Bauleitplanung im Außenbereich - lag dem Urteil des Senats zum Kohlekraftwerk Datteln 4 zugrunde.
556Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. September 2003 ‑ 4 C 14.01 -, BVerwGE 119, 25 = juris Rn. 16 ff., 30 ff.; OVG NRW, Urteil vom 12. Juni 2012 - 8 D 38/08.AK, NuR 2012, 722 = juris Rn. 148 ff.
557Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in der vorgenannten Entscheidung seine grundsätzlichen Aussagen zu einer Planungspflicht auch auf den Fall einer Planänderung bezogen (Rn. 10). Eine strikte Planungspflicht besteht insoweit aber nur, wenn dies aus städtebaulichen Gründen zwingend erforderlich ist.
558Die in den vorgenannten Entscheidungen jeweils angestellten Erwägungen sind im Ergebnis nicht übertragbar auf den Streitfall, in dem dem Vorhaben ein wirksamer und städtebaulich hinreichender Bebauungsplan zugrunde liegt. Weder liegt eine „planlose“ städtebauliche Entwicklung vor, noch sind qualifizierte städtebauliche Gründe von besonderem Gewicht vorgetragen oder erkennbar, die im vorliegenden Fall eine Verdichtung des Planungsermessens der Gemeinde zur strikten Planungspflicht bewirken würden. Der Beklagte weist vielmehr zu Recht darauf hin, dass sich die Realisierung eines Kraftwerks gerade im Rahmen der durch den Bebauungsplan vorgezeichneten Bebauung bewegt. Eine Verpflichtung, Bebauungspläne mit Angebotscharakter bei der Realisierung industrieller Großprojekte durch vorhabenbezogene Pläne zu ersetzen, gibt es nicht. Der Kläger behauptet im Übrigen lediglich pauschal, dass das Vorhaben bodenrechtliche Spannungen verursache, die auf der Grundlage des bestehenden Bebauungsplans im Rahmen des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens nicht bewältigt werden könnten, ohne diesen Vortrag substantiiert zu untermauern. Dass die Rechtsänderungen infolge der Einführung von Umwelt- und FFH-Verträglichkeitsprüfungen nicht zu einer Planänderungspflicht führen, wurde oben bereits dargelegt.
559Ein (weitergehendes) Planungserfordernis besteht auch nicht deshalb, weil den in Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG des Rates vom 9. Dezember 1996 zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen (i. d. F. der Änderungsrichtlinie 2003/105/EG vom 16. Dezember 2003 - Seveso-II-Richtlinie) gestellten Anforderungen auf der Grundlage des bestehenden Bebauungsplans nicht ausreichend Rechnung getragen wäre. Zwar hat der EuGH Art. 12 Abs. 1 Seveso-II-Richtlinie dahin ausgelegt, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, langfristig dem Erfordernis der Wahrung angemessener Abstände zwischen einem Störfallbetrieb und öffentlich genutzten Gebäuden Rechnung zu tragen, auch von Genehmigungsbehörden bei gebundenen Entscheidungen über die Zulassung von Vorhaben zu beachten ist.
560Vgl. EuGH, Urteil vom 15. September 2011 ‑ C‑53/10 -, Slg. 2011, I-8311 = juris.
561Hinsichtlich der Abstände zwischen einem Störfallbetrieb und Wohngebieten, auf die sich Art. 12 Abs. 1 Seveso-II-Richtlinie ebenfalls bezieht, kann nichts anderes gelten. Dies kann einen Koordinierungsbedarf auslösen, dem nicht allein durch eine gebundene Vorhabenszulassung, sondern nur durch eine förmliche Planung entsprochen werden kann.
562Vgl. BVerwG, Urteile vom 24. Oktober 2013 - 7 C 36.11 -, BVerwGE 148, 155 = juris Rn. 58, und vom 20. Dezember 2012 - 4 C 11.11 -, BVerwGE 145, 290 = juris Rn. 35.
563Inwieweit diese zum unbeplanten Innenbereich ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf den Streitfall übertragbar ist, kann dahinstehen. Vorliegend besteht jedenfalls kein planerisch nicht hinreichend bewältigter Koordinierungsbedarf. Es ist nicht ersichtlich, dass die Zulassung des Vorhabens der Beigeladenen auf der Grundlage des bestehenden Bebauungsplans gegen die ‑ wenig konkreten - Abstandsanforderungen von Art. 12 Abs. 1 Satz 2 Seveso-II-Richtlinie, umgesetzt durch § 50 BImSchG, verstößt. Hinsichtlich der vereinzelten Unterschreitungen der Abstandsvorgaben im - normativ nicht verbindlichen - Leitfaden 18 der Kommission für Anlagensicherheit (KAS) kann auf die Ausführungen unter 2. e) bb) (1) Bezug genommen werden.
564b) Vereinbarkeit des Vorhabens mit Bebauungsplan
565Das mithin im Geltungsbereich eines wirksamen Bebauungsplans liegende Vorhaben ist nach §§ 30 Abs. 1, 31 Abs. 2 BauGB zulässig.
566aa) Es widerspricht den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 80 der Stadt Lünen nicht (vgl. § 30 Abs. 1 BauGB), soweit diese die Art der baulichen Nutzung betreffen.
567Der Bebauungsplan setzt für das gesamte Plangebiet ein Industriegebiet (GI) fest. Welche Nutzungen auf der Grundlage dieser Festsetzung im Einzelnen zulässig sind, richtet sich nach der Baunutzungsverordnung (§ 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO). Deren Vorschriften zur Art der baulichen Nutzung werden mit der Festsetzung von Baugebieten Bestandteil des Bebauungsplans. Für den Bebauungsplan Nr. 80 „Stummhafen“ 1. Änderung der Stadt Lünen, der 1982 als Satzung beschlossen worden ist, ist dabei die Baunutzungsverordnung in der Fassung von 1977 maßgeblich.
568Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. Dezember 2008 ‑ 10 A 3000/07 -, juris Rn. 46 f. m. w. N.
569Dahinstehen kann, ob ein der Stromversorgung dienendes Kraftwerk in einem derartigen Baugebiet bereits als öffentlicher Betrieb im Sinne von § 9 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO 1977 zulässig ist. Trägerschaft und Rechtsform dürften hierbei nicht entscheidend sein; maßgeblich ist vielmehr, dass eine öffentliche Aufgabe der Daseinsvorsorge wahrgenommen wird.
570Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Oktober 2007 - 8 B 1340/07 -, ZUR 2008, 97 = juris Rn. 31;Fickert/Fieseler, BauNVO, 12. Aufl. 2014, § 8 Rn. 10.
571Soweit dieser Einordnung bei von Privaten, mit Gewinnerzielungsabsicht betriebenen Anlagen wie dem streitgegenständlichen Kohlekraftwerk nicht zu folgen sein sollte, handelte es sich jedenfalls um einen - erheblich belästigenden - Gewerbebetrieb i. S. v. § 9 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Nr. 1 BauNVO 1977.
572Das Kraftwerksvorhaben entspricht auch der weitergehenden Eingrenzung der zulässigen Betriebsarten durch die textliche Festsetzung unter Nr. 5 des Bebauungsplans Nr. 80 (dazu siehe oben unter a) cc) (1)), da es der Abstandsklasse III zum Abstandserlass 1974/1977 unterfällt. Diese erfasst unter lfd. Nr. 13 der Abstandsliste auch Kraftwerke (Kohle, Öl, Gas) ab 500 Gcal/h (ca. 220 MW).
573bb) Soweit das Vorhaben die im Bebauungsplan getroffenen Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung und den überbaubaren Grundstücksflächen nicht einhält, ist hiervon gemäß § 31 Abs. 2 BauGB in rechtlich nicht zu beanstandender Weise befreit worden; das nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB erforderliche Einvernehmen der Stadt Lünen wurde erteilt.
574(1) Der Bebauungsplan Nr. 80 bestimmt das Maß der baulichen Nutzung u. a. durch Festsetzung der maximalen Baumassenzahl (vgl. §§ 16 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 21 Abs. 1 BauNVO 1977) auf 9,0. Mit einer Baumassenzahl von 11,68 überschreitet das Kraftwerk diese Obergrenze. Gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB kann von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden, die Abweichung städtebaulich vertretbar und auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Diese Voraussetzungen liegen - ungeachtet der Frage, ob der Kläger einen Verstoß überhaupt rügen könnte - jedenfalls vor.
575Die Grundzüge der Planung werden nicht berührt. Durch die unter Mitwirkung der n. Kohlenstäube GmbH eingetragene Vereinigungsbaulast gemäß § 83 BauO NRW wird sichergestellt, dass auf den von ihr erfassten Grundstücken der Beigeladenen und der n. die festgesetzte Baumassenzahl von 9,0 zusammen mit 8,69 unterschritten wird. Die maximal zulässige Baumassenzahl wird damit bezogen auf den gesamten Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 80 eingehalten.
576Die Befreiung ist städtebaulich vertretbar. Dies setzt voraus, dass die Abweichung von der Festsetzung des Bebauungsplans im Rahmen der Aufstellung bzw. Änderung eines Bebauungsplans abwägungsfehlerfrei planbar wäre.
577Vgl. Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 31 Rn. 38.
578Dagegen spricht hier nichts. Öffentliche oder private Belange, die gerade durch die punktuelle Überschreitung der festgesetzten Baumassenzahl beeinträchtigt werden könnten, sind nicht ersichtlich. Der Verweis des Klägers auf die von ihm beanstandeten Umweltauswirkungen des Vorhabens führt zu keinem anderen Ergebnis. Es schon nicht erkennbar, in welchem Zusammenhang diese gerade mit der Überschreitung der Baumassenzahl stehen sollen. Jedenfalls erweisen sich die Umweltauswirkungen des streitgegenständlichen Kohlekraftwerks - wie die vorstehenden und nachfolgenden Ausführungen zeigen - als zulässig. Aus den genannten Gründen ist die Abweichung schließlich auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
579(2) Die Befreiung von den festgesetzten Baugrenzen ist offensichtlich rechtmäßig. Der Beklagte hat im Vorbescheid (S. 209 f., 269) dargelegt, dass die Baugrenzen, von denen befreit wurde, seinerzeit dazu dienten, eine Überbauung des unterirdisch verlaufenden, verrohrten Stellenbachs zu vermeiden; weitergehende städtebauliche Gründe für die Baugrenzen gebe es nicht. Mit der Verlegung des Stellenbachs im Jahre 2006 sei die Festsetzung dieser Baugrenzen, die das Baufeld trennten, obsolet geworden. Es kann dahinstehen, ob die an dieser Stelle festgesetzten Baugrenzen bereits wegen Funktionslosigkeit unwirksam geworden sind und es demnach einer Befreiung nicht einmal bedurfte. Jedenfalls bestehen gegen die gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB erteilte Befreiung keine rechtlichen Bedenken; der Kläger macht dies im Übrigen auch nicht geltend.
5804. Artenschutzrecht
581Dem Vorhaben stehen keine artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 BNatSchG entgegen. Es fehlt insbesondere an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass die Errichtung oder der Betrieb des streitbefangenen Vorhabens zur Tötung oder Verletzung eines oder mehrerer Exemplare der besonders geschützten Art Kreuzkröte führen würde, vgl. § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG. Ein Vorkommen der Kreuzkröte auf der Baustelle ist nicht konkret nachgewiesen worden. Der artenschutzrechtliche Fachbeitrag vom 6. August 2012 behandelt die Kreuzkröte (Bufo calamita) unter Ziff. 6.3.3 (Amphibien) und führt aus, dass während der Baufeldvorbereitung im Rahmen der faunistischen Kartierung 2008 ein einzelner Rufnachweis einer Kreuzkröte erfasst und im westlichen Bereich des Kraftwerksstandorts verortet worden sei. Da der Ruf der Kreuzkröte jedoch bis zu einer Entfernung von 2 km hörbar sei, habe der genaue Standort auf dem Gelände nicht bestimmt werden können. Laichvorkommen der Kreuzkröte seien nicht aufgefunden worden. Auch bei der während der Baumaßnahmen durchgeführten ökologischen Baubegleitung, bei der möglicherweise vorkommende Kreuzkröten und Laich sowie Eidechsen erfasst und umgesetzt werden sollten, seien keine Amphibien festgestellt worden.
582Die artenschutzrechtliche Untersuchung der Arten Flussneunauge und Eisvogel ist dem wasserrechtlichen Erlaubnisverfahren vorbehalten, vgl. unten I. 7.
5835. Umweltverträglichkeitsprüfung
584Der Vorbescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die durchgeführte Umweltverträglichkeitsprüfung unvollständig wäre. Die Belange des nationalen und des globalen Klimaschutzes mussten nicht in die Umweltverträglichkeitsprüfung einbezogen werden.
585Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 4 UVPG umfasst die Umweltverträglichkeitsprüfung die Ermittlung, Beschreibung und Bewertung der unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen eines Vorhabens auf Menschen, einschließlich der menschlichen Gesundheit, Tiere, Pflanzen und die biologische Vielfalt (Nr. 1), auf Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft (Nr. 2), auf Kulturgüter und sonstige Sachgüter (Nr. 3) sowie die Wechselwirkung zwischen den vorgenannten Schutzgütern (Nr. 4). Das weite Verständnis des Begriffs Umweltauswirkungen einschließlich der Wechselwirkungen gebietet eine umfassende und medienübergreifende Untersuchung der von einem Vorhaben ausgehenden Aus- und Einwirkungen. Die Umwelt wird in diesem Zusammenhang als komplexes Wirkungsgefüge aller naturwissenschaftlichen Phänomene begriffen, in das das Vorhaben nicht nur monokausal und in der unmittelbaren Umgebung, sondern regelmäßig multikausal eingreift. Die Umweltverträglichkeitsprüfung muss allerdings auch insoweit (nur) auf den jeweils aktuellen Stand der Wissenschaft und damit auf die bekannten und erforschten Wirkungszusammenhänge abstellen. Werden Erkenntnisgrenzen erreicht, ist die Forderung nach der Ermittlung der Umweltauswirkungen eines Vorhabens - oder nach ihrer Beschreibung und Bewertung - schlechterdings nicht erfüllbar.
586Vgl. - auch zum Folgenden - Kment und Appold, in: Hoppe/Beckmann, UVPG, 4. Aufl. 2012, Einleitung Rn. 15 und § 2 Rn. 20, 35 und 60.
587Vor diesem Hintergrund umfasst der nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UVPG in die Umweltverträglichkeitsprüfung einzubeziehende Umweltfaktor „KIima“ - jedenfalls unter den derzeitigen Erkenntnismöglichkeiten - nicht das globale oder nationale, sondern nur das lokale und regionale Klima.
588Der Begriff Klima bezeichnet allgemein den für ein Gebiet typischen Ablauf der Witterung über einen bestimmten Zeitraum, d. h. den mittleren Zustand der Witterungserscheinungen in einem konkreten geographischen Raum und für eine gewisse Zeitspanne. In räumlicher Hinsicht wird zwischen lokalem, regionalem und globalem Klima bzw. zwischen Mikro-, Meso- und Makroklima unterschieden. Das Makroklima umfasst großskalige Effekte in Bereichen mit einer Ausdehnung von mehr als 500 Kilometern und beschreibt daher auch kontinentale oder globale Zusammenhänge. Das Mesoklima umfasst dagegen Effekte auf Landschaften bis zu einigen hundert Kilometern Ausdehnung, während das Mikroklima sich auf wenige Meter (Zimmer, Gebäude, Wiese) bis auf einige Kilometer (Straßenzug) beschränkt.
589Im Unterschied zu den kleinräumigen Auswirkungen auf das Mikro- und Mesoklima kann die nachteilige Veränderung des nationalen, kontinentalen oder globalen (Makro)Klimas derzeit mangels hinreichender technischer und wissenschaftlicher Erkenntnisse über die Wirkungszusammenhänge dem Immissionsbeitrag einer einzelnen Anlage nicht zugerechnet werden. Die Auswirkungen eines einzelnen Vorhabens auf dieser räumlichen Ebene sind quantitativ kaum abschätzbar und darstellbar.
590Vgl. auch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20. Juli 2011 ‑ 10 S 2102/09 -, ZUR 2011, 600 = juris Rn. 57 m.w.N; Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand: 1. Februar 2016, § 5 BImSchG Rn. 82 und in Band IV, Stand: 1. Februar 2016, § 1 a der 9. BImSchV Rn. 6; a. A. unter Hinweis u. a. auf den Verweis des § 5 Abs. 2 BImSchG auf das TEHG: Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 1 Rn. 6c.
591Sie können daher im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsprüfung weder einzelfallbezogen ermittelt noch beschrieben oder bewertet werden. Vor diesem Hintergrund bestehen auch keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Unionsrecht. Der in Art. 3 Abs. 1 Buchstabe d) der Richtlinie 2011/92/EU vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (UVP-Richtlinie) genannte Umweltfaktor „Klima“ weist denselben Projektbezug auf. Auch Art. 3 Abs. 1 der UVP-Richtlinie bestimmt, dass die Umweltverträglichkeitsprüfung die unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen eines Projekts auf die aufgeführten Faktoren in geeigneter Weise nach Maßgabe des Einzelfalls identifizieren, beschreiben und bewerten soll. Wirkungen, die einer einzelfallbezogenen Beschreibung nicht zugänglich sind, fallen nicht hierunter.
592Diese Auslegung führt nicht zu einem Ausfall des globalen Klimaschutzes auf der Ebene der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten. Die Verringerung der insoweit in erster Linie relevanten Treibhausemissionen soll durch die in der Richtlinie 2003/87/EG vom 13. Oktober 2003 über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Gemeinschaft geregelten Maßnahmen erreicht werden. Danach bedürfen Tätigkeiten, durch die in besonderem Maße Treibhausgase emittiert werden, einer gesonderten Emissionsgenehmigung; die Betreiber solcher Anlagen unterliegen besonderen Berichts- und Überwachungspflichten in Bezug auf diese Emissionen und sie müssen regelmäßig eine der Höhe ihrer Emissionen entsprechende Anzahl von Berechtigungen (Zertifikaten) vorweisen.
593Siehe dazu auch OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2011 – 8 D 58/08.AK -, ZUR 2012, 372 = juris Rn. 376 ff.
594Es bedarf daher auch nicht der Vorlage der vom Kläger aufgeworfenen Frage an den Europäischen Gerichtshof, ob § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 UVPG gegen die UVP-Richtlinie verstößt, wenn die Auswirkungen der von dem Vorhaben ausgehenden Treibhausgasemissionen auf das nationale und globale Klima nicht geprüft werden.
5956. FFH-Verträglichkeitsprüfung
596Der Vorbescheid hat auch zu Recht die Feststellung getroffen, dass das Vorhaben mit den Vorschriften über den Schutz von Flora-Fauna-Habitat-Gebieten vereinbar ist, soweit er nicht unter dem Vorbehalt einer abschließenden verbindlichen Prüfung steht.
597a) Prüfungsmaßstab
598Prüfungsmaßstab ist § 48d LG NRW i. d. F. der Bekanntmachung vom 21. Juli 2000 (GV. NRW S. 568) bzw. - inhaltsgleich - § 34 BNatSchG i. d. F. des Gesetzes vom 29. Juli 2009 (BGBl. I, S. 2542) i. V. m. § 48d LG NRW i. d. F. des Gesetzes vom 16. März 2010 (GV. NRW S. 185).
599Danach sind Projekte, die einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung (Natura 2000-Gebiet) erheblich beeinträchtigen könnten, vor ihrer Zulassung oder Durchführung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen dieses Gebiets zu überprüfen (§ 48d Abs. 2 bis 4 LG NRW bzw. § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG). Zuständig für die Prüfung ist die Behörde, die nach anderen Rechtsvorschriften für die behördliche Gestattung oder Entgegennahme einer Anzeige zuständig ist (§ 48d Abs. 2 LG NRW). Die zur Prüfung der Verträglichkeit erforderlichen Unterlagen hat der Projektträger vorzulegen (§ 48d Abs. 3 LG NRW bzw. § 34 Abs. 1 Satz 3 BNatSchG). Ergibt die Prüfung, dass das Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann, ist es - vorbehaltlich einer nach § 48d Abs. 5 und 6 LG NRW bzw. § 34 Abs. 3 und 4 BNatSchG ausnahmsweise zulässigen Abweichung - unzulässig (§ 48d Abs. 4 LG NRW bzw. § 34 Abs. 2 BNatSchG).
600§ 48d LG NRW und § 34 BNatSchG dienen der Umsetzung des in Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL zugunsten von FFH-Gebieten angeordneten Gebietsschutzes. Die FFH-Gebiete bilden zusammen mit den Europäischen Vogelschutzgebieten gemäß Art. 3 Abs. 1 FFH-RL das Netz "Natura 2000" (vgl. auch § 7 Abs. 1 Nr. 8 BNatSchG).
601Bei der Auslegung und Anwendung dieser nationalen Vorschriften zur Umsetzung des Art. 6 FFH-RL geht der Senat
602- vgl. OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2011 ‑ 8 D 58/08.AK - ZUR 2012, 372 = juris Rn. 558 ff., m. w. N. -
603von folgenden Grundsätzen aus:
604aa) Der Begriff des "Projekts" wird weder im Landschaftsgesetz NRW noch im Bundesnaturschutzgesetz noch in der FFH-Richtlinie definiert. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist von dem Projektbegriff der UVP-Richtlinie auszugehen. Danach sind die Errichtung von baulichen oder sonstigen Anlagen sowie sonstige Eingriffe in Natur und Landschaft einschließlich derjenigen zum Abbau von Bodenschätzen als Projekte im Sinne des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL und damit im Wege unionsrechtskonformer Auslegung auch im Sinne des § 48d LG NRW und des § 34 BNatSchG anzusehen.
605Vgl. EuGH, Urteile vom 14. Januar 2010 ‑ C‑226/08 - (Stadt Papenburg), Rn. 38, und vom 7. September 2004 - C-127/02 - (Waddenzee/ Herzmuschelfischerei), Rn. 23 ff.; vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 21. Februar 2011 - 8 A 1837/09 -, NWVBl. 2011, 322 = juris Rn. 25 ff.; zur landwirtschaftlichen Bodennutzung BVerwGE, Urteil vom 6. November 2012 - 9 A 17.11 -, BVerwGE 145, 40 = juris Leitsatz 5 und Rn. 89.
606Auch Projekte, die außerhalb eines Natura 2000-Gebiets realisiert werden sollen, können nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung Anlass für eine Verträglichkeitsprüfung geben. Sie sind gleichfalls auf ihre Vereinbarkeit mit den gebietsbezogenen Erhaltungszielen und Schutzzwecken zu überprüfen, soweit sie geeignet sind, ein Natura 2000-Gebiet ‑ etwa durch Immissionen - erheblich zu beeinträchtigen, also auf den geschützten Raum selbst einwirken und Auswirkungen auf den Lebensraum in den Schutzgebieten - das "Gebiet als solches" - haben.
607Vgl. BVerwG, Urteile vom 19. Mai 1998 - 4 A 9.97 -, BVerwGE 107, 1 = juris Rn. 66, und vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 36; OVG NRW, Urteile vom 3. August 2010 ‑ 8 A 4062/04 -, UPR 2011, 157= juris Rn. 117, vom 30. Juli 2009 - 8 A 2357/08 -, juris Rn. 118, und vom 13. Dezember 2007 - 8 A 2810/04 -, NWVBl. 2008, 271 = juris Rn. 74 (zur Berücksichtigung der FFH-Verträglichkeit im Rahmen der Bauleitplanung).
608bb) Mit dem zentralen Tatbestandsmerkmal der "erheblichen Beeinträchtigungen" knüpfen § 48d Abs. 4 LG NRW und § 34 Abs. 2 BNatSchG an den Wortlaut von Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL an. Pläne oder Projekte können im Sinne dieser unionsrechtlichen Norm das Gebiet erheblich beeinträchtigen, "wenn sie drohen, die für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungsziele zu gefährden".
609Vgl. EuGH, Urteil vom 7. September 2004 - C-127/02 - (Waddenzee/Herzmuschelfischerei), Rn. 49.
610(1) Ob ein Vorhaben zu "erheblichen Beeinträchtigungen" führen kann, ist vorrangig eine naturschutzfachliche Fragestellung, die anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalls beantwortet werden muss.
611Die Bewertung der Ergebnisse der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung durch die Genehmigungsbehörde unterliegt, soweit es um die Beurteilung geht, ob das in Rede stehende Projekt zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann, der vollen gerichtlichen Nachprüfung.
612Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 38; OVG NRW, Urteile vom 13. Dezember 2007 - 8 A 2810/04 -, NWVBl. 2008, 271 = juris Rn. 104 f., und vom 11. September 2007 - 8 A 2696/06 -, ZUR 2008, 99 = juris Rn. 52 f., jeweils m. w. N.
613Nach dem Wortlaut des § 48d Abs. 4 LG NRW bzw. des § 34 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 BNatSchG ist eine Verträglichkeit bereits dann nicht gegeben, wenn das Projekt einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen "kann". Dies entspricht der Sache nach dem von Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL vorgegebenen Maßstab. Nach Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL dürfen Projekte nur zugelassen werden, wenn die zuständigen Behörden festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, d. h. wenn sie Gewissheit darüber erlangt haben, dass die Pläne oder Projekte sich nicht nachteilig auf das geschützte Gebiet als solches auswirken. Dies ist dann der Fall, wenn aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass es keine solchen Auswirkungen gibt.
614Vgl. EuGH, Urteil vom 7. September 2004 ‑ C‑127/02 - (Wadenzee/Herzmuschelfischerei), Rn. 61.
615Ein Projekt ist also nicht erst dann unzulässig, wenn die Gewissheit besteht, dass es das betreffende Gebiet erheblich beeinträchtigt. Vielmehr reicht schon die Wahrscheinlichkeit bzw. die Gefahr aus, dass das Gebiet aufgrund des Projekts erheblich beeinträchtigt wird. Unter Berücksichtigung insbesondere des Vorsorgeprinzips liegt eine solche Gefahr dann vor, wenn anhand objektiver Umstände nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Projekt das fragliche Gebiet erheblich beeinträchtigt.
616Vgl. EuGH, Urteile vom 26. Mai 2011 ‑ C‑538/09 ‑ (Kommission ./. Belgien), Rn. 39 m. w. N., und vom 7. September 2004 - C-127/02 - (Waddenzee/Herzmuschelfischerei), Rn. 41 und 44; BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 58.
617Die Vorschrift des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL konkretisiert zusammen mit ihrem Abs. 2 das Vorsorgeprinzip des Art. 191 Abs. 2 Satz 2 AEUV (zuvor: Art. 174 Abs. 2 Satz 2 EGV) für den Gebietsschutz im Rahmen von "Natura 2000".
618Vgl. EuGH, Urteil vom 7. September 2004 ‑ C‑127/02 - (Waddenzee/Herzmuschelfischerei), Rn. 58 und 44; BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 ‑ 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 58; OVG NRW, Urteil vom 13. Dezember 2007 ‑ 8 A 2810/04 -, NWVBl. 2008, 271 = juris Rn. 123.
619Nach Art. 191 Abs. 2 AEUV zielt die Umweltpolitik der Union auf ein hohes Schutzniveau ab und beruht auf den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung, auf dem Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen, sowie auf dem Verursacherprinzip.
620(2) Das unionsrechtliche Vorsorgeprinzip verlangt nicht, die FFH-Verträglichkeitsprüfung auf ein "Nullrisiko" auszurichten. Das wäre schon deswegen unzulässig, weil dafür ein wissenschaftlicher Nachweis nie geführt werden könnte. Verbleibt nach Abschluss einer FFH-Verträglichkeitsprüfung kein vernünftiger Zweifel, dass nachteilige Auswirkungen auf das Schutzgebiet vermieden werden, ist das Vorhaben zulässig. Rein theoretische Besorgnisse begründen von vornherein keine Prüfungspflicht und scheiden ebenso als Grundlage für die Annahme erheblicher Beeinträchtigungen aus, die dem Vorhaben entgegengehalten werden können.
621Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 60.
622Aus dem unionsrechtlichen Vorsorgegrundsatz ergibt sich, dass bestehende wissenschaftliche Unsicherheiten nach Möglichkeit auf ein Minimum reduziert werden müssen. Dies macht die Ausschöpfung aller wissenschaftlichen Mittel und Quellen erforderlich, bedeutet aber nicht, dass im Rahmen einer FFH-Verträglichkeitsprüfung Forschungsaufträge zu vergeben sind, um Erkenntnislücken und methodische Unsicherheiten der Wissenschaft zu beheben. Art. 6 Abs. 3 FFH-RL gebietet vielmehr nur den Einsatz der besten verfügbaren wissenschaftlichen Mittel. Zur anerkannten wissenschaftlichen Methodik gehört es in diesem Fall, die nicht innerhalb angemessener Zeit zu schließenden Wissenslücken aufzuzeigen und ihre Relevanz für die Befunde einzuschätzen.
623Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 66, unter Hinweis auf die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott zur Rechtssache C-127/02 vom 29. Januar 2004, Rn. 100 ff.
624Daraus folgt ferner, dass für den Gang und das Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung der Sache nach eine Beweisregel des Inhalts gilt, dass die Behörde ein Vorhaben ohne Rückgriff auf Art. 6 Abs. 4 FFH-RL nur dann zulassen darf, wenn sie zuvor Gewissheit darüber erlangt hat, dass dieses sich nicht nachteilig auf das Gebiet als solches auswirkt.
625Wenn bei einem Vorhaben im Rahmen der Vorprüfung (sog. Screening) nach Lage der Dinge ernsthaft die Besorgnis entstanden ist, dass die Wirkfaktoren des Vorhabens aus sich heraus oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen oder Projekten nachteilige Auswirkungen auf das Schutzgebiet haben können, kann dieser Verdacht im Rahmen der eigentlichen Verträglichkeitsprüfung nach alledem nur durch eine schlüssige naturschutzfachliche Argumentation ausgeräumt werden, mit der ein Gegenbeweis geführt wird.
626Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. September 2011 ‑ 7 C 21.09 -, NVwZ 2012, 176 = juris Rn. 40; zur Vorprüfung Gellermann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band II, Stand: 15. Dezember 2015, § 34 BNatSchG Rn. 9 ff. m. w. N.,
627Verzichtbar ist eine Verträglichkeitsprüfung daher nur, wenn eine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele bzw. Schutzzwecke offensichtlich ausgeschlossen ist oder aus wissenschaftlicher Sicht keine ernst zu nehmenden Anhaltspunkte in diese Richtung weisen.
628Der Gegenbeweis misslingt zum einen, wenn die Risikoanalyse, -prognose und ‑bewertung nicht den besten Stand der Wissenschaft berücksichtigt, zum anderen aber auch dann, wenn die einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse derzeit objektiv nicht ausreichen, jeden vernünftigen Zweifel auszuschließen, dass erhebliche Beeinträchtigungen vermieden werden. Außerdem ist es zulässig, mit Prognosewahrscheinlichkeiten und Schätzungen zu arbeiten; diese müssen kenntlich gemacht und begründet werden. Ein Beispiel für eine gängige Methode dieser Art ist auch der Analogieschluss, bei dem bei Einhaltung eines wissenschaftlichen Standards bestehende Wissenslücken überbrückt werden. Zur Abschätzung der Auswirkungen des Vorhabens auf die Erhaltungsziele des Gebiets können häufig sogenannte Schlüsselindikatoren verwendet werden. Als Form der wissenschaftlichen Schätzung ist ebenso eine Worst-case-Betrachtung zulässig, die im Zweifelsfall verbleibende negative Auswirkungen des Vorhabens unterstellt; denn diese ist nichts anderes als eine in der Wissenschaft anerkannte konservative Risikoabschätzung. Allerdings muss dadurch ein Ergebnis erzielt werden, das hinsichtlich der untersuchten Fragestellung "auf der sicheren Seite" liegt.
629Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 64 unter teilweiser Bezugnahme auf die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott zur Rechtssache C‑127/02 vom 29. Januar 2004, Rn. 97.
630Derzeit nicht ausräumbare wissenschaftliche Unsicherheiten über Wirkungszusammenhänge sind dann kein unüberwindbares Zulassungshindernis, wenn ein vom Vorhabenträger geplantes oder behördlich angeordnetes Schutzkonzept ein wirksames Risikomanagement entwickelt hat. Wenn durch Schutz- und/oder Kompensationsmaßnahmen gewährleistet ist, dass ein günstiger Erhaltungszustand der geschützten Lebensraumtypen und Arten stabil bleibt, bewegen sich die nachteiligen Wirkungen des Vorhabens unterhalb der Erheblichkeitsschwelle (vgl. auch § 48d Abs. 1 LG NRW). Es macht aus der Sicht des Habitatschutzes keinen Unterschied, ob durch ein Vorhaben verursachte Beeinträchtigungen von vornherein als unerheblich einzustufen sind oder ob sie diese Eigenschaft erst dadurch erlangen, dass Schutzvorkehrungen angeordnet und getroffen werden.
631Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 53 ("Schutz- und Kompensationsmaßnahmen"), und vom 9. Juli 2009 - 4 C 12.07 -, BVerwGE 134, 166 = juris Rn. 27 unter Hinweis auf die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott zur Rechtssache C-239/04 vom 22. April 2006, Rn. 35, sowie Urteil vom 14. April 2010 ‑ 9 A 5.08 -, BVerwGE 136, 291= juris Rn. 57.
632Als wirksam können solche Maßnahmen indessen nur angesehen werden, wenn sie erhebliche Beeinträchtigungen des geschützten Gebiets nachweislich verhindern. Diesen Nachweis zu erbringen ist - entsprechend der vorstehend dargelegten Beweisregel - Sache des Vorhabenträgers. Sämtliche Risiken, die aus Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Maßnahmen oder der Beurteilung ihrer langfristigen Wirksamkeit resultieren, gehen zu Lasten des Vorhabenträgers.
633Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 54; OVG NRW, Beschluss vom 21. Februar 2011 - 8 A 1837/09 -, NWVBl. 2011, 322 = juris Leitsatz 2 und Rn. 57.
634cc) Die Verträglichkeitsprüfung darf sich nicht auf die Prüfung beschränken, ob das Projekt für sich genommen erhebliche Beeinträchtigungen verursachen kann. Nach § 48d Abs. 4 LG NRW, § 34 Abs. 1 BNatSchG und Art. 6 Abs. 3 FFH-RL ist vielmehr auch zu prüfen, ob derartige Wirkungen "in Zusammenwirkung mit anderen Plänen oder Projekten" verursacht werden können.
635Unter welchen Voraussetzungen andere Projekte in eine solche Summationsbetrachtung einzubeziehen sind, ist noch nicht in jeder Hinsicht geklärt.
636(1) Art. 6 Abs. 3 FFH-RL sieht vor, dass Pläne oder Projekte, die ein besonderes Schutzgebiet "einzeln oder in Zusammenwirkung mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten", eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen erfordern. Die Europäische Kommission hat hierzu in ihrem Leitfaden "Natura 2000 - Gebietsmanagement - Die Vorgaben des Artikels 6 der Habitat-Richtlinie 92/43/EWG" unter Nr. 4.4.3 ausgeführt: Aus mehreren, für sich allein genommen geringen Auswirkungen könne durch Zusammenwirkung eine erhebliche Auswirkung erwachsen. Sinn dieser Bestimmung sei, kumulative Auswirkungen zu berücksichtigen, die sich allerdings oft erst im Laufe der Zeit herausstellten. In diesem Zusammenhang könne man "bis zu einem gewissen Grade" Pläne und Projekte in die Verträglichkeitsprüfung einbeziehen, wenn diese das Gebiet dauerhaft beeinflussten und Anzeichen für eine fortschreitende Beeinträchtigung des Gebiets bestünden. Darüber hinaus sollten bereits genehmigte Pläne und Projekte berücksichtigt werden, die noch nicht durchgeführt oder abgeschlossen wurden, sowie "tatsächlich vorgeschlagene" Pläne und Projekte.
637Erkennbarer Sinn und Zweck der von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL geforderten Summationsbetrachtung ist, auch eine schleichende Beeinträchtigung durch nacheinander genehmigte, für sich genommen das Gebiet nicht erheblich beeinträchtigende Vorhaben zu verhindern. Mit dieser Zielsetzung wäre es nicht vereinbar, sämtliche bereits genehmigten Vorhaben bei der Summationsbetrachtung außer Betracht zu lassen und nur noch das beantragte sowie - etwa durch Erlass eines Vorbescheids - "planerisch verfestigte" Vorhaben in die Ermittlung der Zusatzbelastung einzubeziehen.
638Erst recht unvereinbar mit dem beschriebenen Schutzziel ist die Auffassung, dass ausschließlich das zur Genehmigung gestellte Vorhaben zu betrachten und bei Unterschreiten von 3 % - Bagatellschwellen zulässig sei, eine Summationsbetrachtung also zu unterbleiben habe. Ein solche Sichtweise würde bei - wie hier - in kurzen zeitlichen Abständen nacheinander genehmigten Vorhaben, die jeweils nur eine relativ geringe Zusatzbelastung verursachen, einer "Salamitaktik" den Weg bereiten, die dem Sinn der FFH-Richtlinie, die Erhaltung und Entwicklung der besonderen Schutzgebiete des Europäischen Natura 2000-Netzes auf Dauer zu gewährleisten, zuwiderliefe.
639Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. März 2013 - 9 A 22.11 -, BVerwGE 146, 145 = juris Rn. 68 und Beschluss vom 5. September 2012 - 7 B 24.12 -, NuR 2012, 784 = juris Rn. 12 zu OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 8 D 58/08.AK -.
640Dies gilt umso mehr bei der zusätzlichen Anwendung eines vorhabenbezogenen Abschneidekriteriums (hierzu im Einzelnen unten unter gg)
641(2) Unter welchen Voraussetzungen und in welcher Reihenfolge "tatsächlich vorgeschlagene" oder "planerisch verfestigte" Projekte in die Summationsbetrachtung einzubeziehen sind, bedarf der Konkretisierung. Der Senat geht insoweit von dem „Prioritätsprinzip“ aus und stellt für die zeitliche Reihenfolge auf den Zeitpunkt der Einreichung eines prüffähigen Genehmigungsantrages ab. Dem liegen folgende Überlegungen zu Grunde:
642(a) Problematisch sind insbesondere solche Fälle, in denen die Belastungsgrenze weitgehend ausgeschöpft ist, aber nach der Unterschutzstellung als FFH-Gebiet mehrere neue Projekte hinzutreten, die auf das FFH-Gebiet einwirken und alle zusammen nicht FFH-verträglich sind, sie es aber je einzeln oder in einzelnen Kombinationen wären. In einer solchen Konstellation würde den Vorgaben der Richtlinie jedenfalls entsprochen, wenn keines der Projekte zugelassen würde. Richtlinienkonform ist aber auch eine Vorgehensweise, bei der nur so viele der anstehenden Projekte zugelassen werden, dass eine wesentliche Beeinträchtigung ausscheidet. Im letzteren Fall ist es notwendig, anhand eines bestimmten, hinreichend klaren Kriteriums festzulegen, welche der Vorhaben genehmigungsfähig sind.
643In derartigen Konkurrenzfällen entspricht es, wenn und solange der Gesetzgeber nichts anderes geregelt hat,
644vgl. etwa zum Telekommunikationsrecht: BVerwG, Urteil vom 15. April 1988 - 7 C 48.87 -, BVerwGE 79, 218 = juris Rn. 12; Hess.VGH, Beschluss vom 18. Oktober 2011 - 7 A 438/10.Z -, juris Rn.11; vorrangige Spezialregelungen finden sich etwa auch in §§ 28 LWG NRW, 18 Abs. 1 WG BW, 4 Nds. WG, 122 LWG SH,
645anerkannter Auffassung, dass regelmäßig eine Entscheidung nach Maßgabe des sog. "Prioritätsprinzips" sachgerecht ist. Danach ist - ggf. vorbehaltlich besonderer Einzelfallumstände - die zeitliche Reihenfolge maßgebend, wenn ein geplantes Projekt auf bereits vorhandene Projekte trifft.
646Dieser Grundsatz gilt insbesondere im Immissionsschutz- und Baurecht.
647Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1989 - 7 C 77.87 -, BVerwGE 81, 197 = juris Leitsatz 4 und Rn. 29; zum Prioritätsprinzip vgl. auch OVG M.‑V., Beschluss vom 28. März 2008 - 3 M 188/07 -, BauR 2008, 1562 = juris Rn. 32; Rolshoven, NVwZ 2006, 516, 521 ff.
648Im Planungs- und Planfeststellungsrecht ist das Prioritätsprinzip ebenfalls anerkannt. Danach hat diejenige Planung Rücksicht auf eine hinreichend verfestigte andere Planung zu nehmen, die den zeitlichen „Vorsprung“ hat.
649Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 5. November 2002 - 9 VR 14.02 -, NVwZ 2003, 207 = juris Rn. 9 m. w. N., und vom 14. Mai 2004 - 4 BN 13.04 -, juris Rn. 5; Bay.VGH, Urteil vom 30. November 2006 - 1 N 05.1665 -, juris Rn. 37.
650In gleicher Weise können die Grundsätze des Prioritätsprinzips bei der Summationsbetrachtung im Rahmen einer FFH-Verträglichkeitsprüfung Geltung beanspruchen, wenn in einer gewissen zeitlichen Nähe für mehrere beabsichtigte Projekte Genehmigungsanträge gestellt werden.
651So auch Schütte, NuR 2008, 142, 145 f.; Riese/ Dieckmann, UPR 2009, 371, 375 f.; a. A. (Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme) Reidt, DVBl. 2009, 274, 281.
652(b) In diesen Fällen ist nach Auffassung des Senats der Zeitpunkt maßgebend, in dem der Genehmigungsbehörde ein prüffähiger Antrag vorliegt.
653Für die Einbeziehung anderer Pläne und Projekte in die Summationsbetrachtung kommt es darauf an, dass deren Auswirkungen und damit das Ausmaß der Summationswirkung "verlässlich absehbar" sind. Das soll bei einem Vorhaben wie der Errichtung und dem Betrieb einer Windkraftanlage grundsätzlich erst dann der Fall sein, wenn die hierfür erforderliche Genehmigung erteilt ist.
654Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Mai 2008 - 9 A 68.07 -, Buchholz 406.400 § 34 BNatSchG 2002 Nr. 1 = juris Rn. 21, unter Hinweis auf den Leitfaden des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zur FFH-Verträglichkeitsprüfung im Bundesfernstraßenbau, Ausgabe 2004, S. 49, der allerdings von einer ausreichenden planerischen Verfestigung eines Projekts bereits dann ausgeht, wenn ein Anhörungsverfahren nach § 17 FStrG, § 73 VwVfG oder nach der 9. BImSchV eingeleitet ist; auch Urteile vom 24. November 2011 - 9 A 23.10 -, BVerwGE 141, 171 = juris Rn. 40 (Planfeststellungsverfahren noch nicht eingeleitet), und vom 28. November 2013 - 9 B 14.13 -, DVBl 2014, 237 = juris Rn. 11 (Planfeststellungsantrag noch nicht gestellt).
655Ob sich die gebotene Gewissheit von Summationswirkungen schon zu einem früheren Zeitpunkt ergeben kann, hat das BVerwG in dem Beschluss vom 21. Mai 2008 (a. a. O.) allerdings ausdrücklich offen gelassen.
656Ebenso BVerwG, Urteil vom 14. Juli 2011 ‑ 9 A 12.10 -, NuR 2011, 866 = juris Rn. 81.
657Nach Auffassung des Senats sind die Auswirkungen eines Vorhabens in der Regel schon mit Einreichung eines prüffähigen Antrags hinreichend konkret vorhersehbar. Findet eine Öffentlichkeitsbeteiligung statt, kann spätestens mit Auslegung der Unterlagen davon ausgegangen werden, dass der Antrag prüffähig ist (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 1 der 9. BImSchV).
658Zum Beginn des Anhörungsverfahrens als maßgebliche Zäsur: Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht, 2010, Rn. 490, sowie Lütkes/Ewer, BNatSchG, 2011, § 34 Rn. 10.
659Ob die Antragsunterlagen inhaltlich überzeugend sind, ist für dieses formale Kriterium unerheblich. Der "prüffähige Antrag" wird auch ansonsten in der Verwaltungspraxis als hinreichend klare zeitliche Zäsur verwendet, etwa um Prioritäten im Zusammenhang mit Lärm- und Luftbeurteilungen festzulegen.
660Vgl. Buckel, "Priorität" und "Vorbelastung" im öffentlichen und zivilen Immissionsschutzrecht, 2009, S. 68 ff. und 79 ff.
661Das Kriterium des prüffähigen Antrags gewährleistet im Übrigen, dass eine Vorrangposition nicht missbräuchlich durch vorschnelles Einreichen unvollständiger Genehmigungsanträge "gesichert" werden kann.
662Wäre demgegenüber der Zeitpunkt der Genehmigungserteilung maßgebend, hinge die Reihenfolge von der - vom Projektträger weitgehend nicht steuerbaren ‑ Dauer des jeweiligen Verwaltungsverfahrens ab. Dies würde zu Zufälligkeiten führen, die weder vom Vorhabenträger noch von der Genehmigungsbehörde hinreichend zu überblicken sind. So sind dem Senat aus seiner Praxis Konstellationen bekannt, in denen ein deutlich später beantragtes „konkurrierendes“ Vorhaben einen Tag vor dem angegriffenen Vorhaben genehmigt wurde, mit der Folge, dass die der (späteren) Genehmigung zu Grunde liegende Summationsbetrachtung obsolet geworden wäre und die Genehmigung bereits bei ihrem Erlass ‑ praktisch nicht erkennbar - rechtswidrig gewesen wäre, würde man auf den Zeitpunkt der Genehmigungserteilung abstellen. Das Kriterium des prüffähigen Antrags vermittelt hingegen unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes die größere Planungssicherheit. Sowohl für Anlagenbetreiber als auch Behörden ist bereits zu Beginn – und nicht erst am Ende – des Verwaltungsverfahrens erkennbar, welche konkreten Projekte zu berücksichtigen und in die gutachterliche Prüfung einzubeziehen sind. Zudem wird verhindert, dass größere Projekte, deren Genehmigungsverfahren erfahrungsgemäß einen längeren Zeitraum beanspruchen, durch andere („kleinere“) emissionsintensive Projekte im Laufe eines aufwändigen Genehmigungsverfahrens faktisch „ausgebremst“ werden.
663Stellt man auf den Zeitpunkt des prüffähigen Antrags ab, führt dies im Übrigen keineswegs zwangsläufig dazu, dass stets mehr konkurrierende Projekte zu berücksichtigen sind, wie die Formulierung des Bundesverwaltungsgerichts, ein Projekt sei „erst“ nach der Zulassungsentscheidung zu berücksichtigen, nahelegen könnte. Vielmehr bleiben nach dem Ansatz des Senats bei der Summationsbetrachtung diejenigen Projekte unberücksichtigt, die zwar inzwischen genehmigt, aber später beantragt worden sind.
664(c) Die mit Einreichung der prüffähigen Unterlagen erreichte Vorrangstellung kann einem Antragsteller durch ein zeitlich nachfolgendes Projekt nicht wieder entzogen werden. Dasjenige Projekt, das als später hinzukommendes bewirken würde, dass die Schwelle zur FFH-Unverträglichkeit überschritten würde, kann nicht genehmigt werden. Das Prioritätsprinzip bewirkt also, dass (erst) das nachfolgende Projekt, das im Zusammenwirken mit den anderen Projekten zu erheblichen Beeinträchtigungen führen würde, nicht genehmigungsfähig ist. Auf diese Weise ist auch gewährleistet, dass ein Vorhabenträger nicht durch außerhalb seiner Sphäre liegende Umstände gezwungen wird, seinen ursprünglich vollständigen Antrag nachträglich zeitaufwändig durch eine neue FFH-Verträglichkeitsstudie zu vervollständigen.
665Diese zeitliche Reihenfolge entspricht den Zielen der FFH-Richtlinie, dass nur solche Projekte zugelassen werden können, die - auch im Zusammenwirken - die FFH-Gebiete nicht erheblich beeinträchtigen.
666(d) Die von einem früheren Projekt einmal erlangte Vorrangstellung wird diesem nicht dadurch genommen, dass die Genehmigung für dieses Projekt von einem Dritten angefochten wird, die Genehmigungen für die zeitlich nachfolgenden (konkurrierenden) Projekte jedoch nicht. Das gilt auch dann, wenn der Vorbescheid oder eine Genehmigung für das vorrangige Projekt auf die Klage eines Dritten oder eines Umweltverbands aufgehoben wird, es sei denn, aus dem Urteil ergibt sich, dass das Vorhaben an dem geplanten Standort endgültig nicht realisiert werden kann. Voraussetzung ist, dass der Vorhabenträger erkennbar an seinem Projekt festhält. Davon ist insbesondere auszugehen, wenn in einem Teilgenehmigungsverfahren nur einzelne Teilgenehmigungen oder der Vorbescheid aufgehoben wurden, andere Teilgenehmigungen hingegen unanfechtbar geworden sind.
667Vgl. bereits OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 8 D 58/08.AK -, ZUR 2012, 372 = juris Rn. 645.
668(e) Der Prioritätsgrundsatz gilt allerdings nur für die Reihenfolge der Projekte als solche. Im Übrigen ist - entsprechend den allgemeinen Grundsätzen - für die Beurteilung der FFH-Verträglichkeit die im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung vorliegende Sach- und Rechtslage maßgeblich. Deshalb müssen im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung nach Einreichen des prüffähigen Antrags ggf. erfolgte Konkretisierungen oder Änderungen bei den zu prüfenden Projekten berücksichtigt werden. In tatsächlicher Hinsicht muss die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung grundsätzlich den aktuellen Zustand, also die bei abschließender behördlicher Beurteilung aktuellen Verhältnisse zugrunde legen. Maßgeblich sind der zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung feststellbare Zustand der Gebiete sowie der bis zu diesem Zeitpunkt konkretisierte Stand der Projekte.
669Das bedeutet, dass von den aktuellen Daten hinsichtlich der Beschaffenheit und Entwicklung der FFH-Gebiete auszugehen ist. Ebenso müssen die in Rede stehenden Critical Loads und - erst recht - naturschutzfachliche Begründungen etwaiger Bagatellschwellen auf den bei der Behördenentscheidung aktuellen Erkenntnisstand bezogen sein.
670Änderungen der Emissions- oder Immissionsprognose aufgrund von Anlagenmodifikationen, Nebenbestimmungen oder Teilverzichtserklärungen sind für die Verträglichkeitsprüfung ebenfalls relevant. Dabei obliegt es zwar grundsätzlich nicht dem jeweiligen Vorhabenträger, Daten in Bezug auf ein anderes Vorhaben zu erheben oder sogar diesbezügliche Gutachten erstellen zu lassen.
671Vgl. Leitfaden des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen zur FFH-Verträglichkeitsprüfung im Bundesfernstraßenbau, Ausgabe 2004, S. 50.
672Bei Unklarheiten bezüglich der Auswirkungen eines zeitlich vorrangigen Vorhabens bedarf es aber - in Anlehnung an allgemeine Prognose-Grundsätze - einer Worst-case-Betrachtung, weshalb es durchaus im Interesse des Vorhabenträgers liegen kann, möglichst konkrete Erkenntnisse über die Auswirkungen des vorrangigen Vorhabens zu erlangen.
673(f) Kompensationen, die im unmittelbaren und untrennbaren Zusammenhang mit einem Projekt stehen, sind ebenfalls zu berücksichtigen. Sie sind zwangsläufige Folge und Konsequenz des neuen Projekts und mindern von vornherein die von diesem verursachten Belastungsbeiträge. Dies gilt insbesondere, wenn ein Vorbescheid oder eine (Teil-)Genehmigung solche Maßnahmen ausdrücklich vorsehen und verbindlich absichern.
674dd) Grundsätzlich ist nach alldem jede Beeinträchtigung von Erhaltungszielen (oder Schutzzwecken) erheblich und muss als Beeinträchtigung des Gebiets gewertet werden. Unerheblich sind im Rahmen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL nur Beeinträchtigungen, die kein Erhaltungsziel bzw. keinen Schutzzweck nachteilig berühren. Der abweichende Vorschlag der EU-Kommission, die Erheblichkeitsschwelle erst bei der "Vereitelung von Erhaltungszielen" oder der "Zerstörung essenzieller Gebietsbestandteile" anzusiedeln, hat in der Rechtsprechung des EuGH keine Resonanz gefunden.
675Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 ‑ 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1= juris Rn. 41, unter Bezugnahme auf die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache C-127/02 vom 29. Januar 2004, Rn. 82 ff.
676Prüfungsmaßstab sind dabei allein die Auswirkungen auf die für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Gebietsbestandteile. Mit diesen Tatbestandsmerkmalen wird - im Einklang mit den Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL - die Verknüpfung zu dem konkreten Schutzgebiet und seiner spezifischen Funktion im Rahmen des Netzes "Natura 2000" hergestellt.
677Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 73; vgl. auch EuGH, Urteil vom 26. Mai 2011 - C-538/09 - (Kommission ./. Belgien), Rn. 40.
678Als Erhaltungsziele gelten diejenigen Ziele, die im Hinblick auf die Erhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands eines in Anhang I der FFH-Richtlinie aufgeführten natürlichen Lebensraumtyps oder einer in Anhang II der FFH-Richtlinie aufgeführten Art für ein Natura 2000-Gebiet festgelegt sind. Ein günstiger Erhaltungszustand muss trotz Durchführung des Vorhabens stabil bleiben.
679Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 43, und vom 12. März 2008 - 9 A 3.06 -, BVerwGE 130, 299 = juris Rn. 94.
680Bei einem ungünstigen Erhaltungszustand reicht es nicht aus, diesen zu erhalten; es muss vielmehr sichergestellt sein, dass ein günstiger Erhaltungszustand erreichbar bleibt.
681Der Schutzzweck eines Natura 2000-Gebiets wird gemäß § 48c Abs. 2 LG NRW durch die Schutzausweisung entsprechend den jeweiligen Erhaltungszielen bestimmt. Fehlt es an einem festgelegten Schutzzweck, sind die Erhaltungsziele bis auf weiteres der Gebietsmeldung zu entnehmen; insoweit sind die sog. Standard-Datenbögen auszuwerten.
682BVerwG, Urteile vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 75, und vom 14. April 2010 ‑ 9 A 5.08 -, BVerwGE 136, 291= juris Rn. 30.
683Der Begriff des günstigen Erhaltungszustandes eines Lebensraumtyps bzw. einer Art wird weder im Landschaftsgesetz NRW noch im Bundesnaturschutzgesetz definiert. Insoweit ist auf die Begriffsbestimmungen in Art. 1 Buchst. e) und i) FFH-RL zurückzugreifen.
684BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1= juris Rn. 43.
685Der Erhaltungszustand eines in einem FFH-Gebiet geschützten Lebensraumtyps im Sinne des Anhangs I der FFH-RL wird gemäß Art. 1 Buchst. e) Abs. 2 1. Anstrich FFH-RL als günstig erachtet, wenn "sein natürliches Verbreitungsgebiet sowie die Flächen, die er in diesem Gebiet einnimmt, beständig sind oder sich ausdehnen".
686Davon ausgehend sind Vorhaben, die einen direkten Flächenverlust für einen in den Schutzzweck der Gebietsausweisung einbezogenen Lebensraumtyp bewirken, in besonderer Weise geeignet, das Erhaltungsziel des Gebiets zu gefährden.
687BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1= juris Rn. 50; Halama, NVwZ 2001, 506, 510; Gellermann, NVwZ 2001, 500, 504; zu Bagatellschwellen in Fällen eines direkten Flächenverlusts vgl. auch OVG NRW, Urteil vom 3. August 2010 - 8 A 4062/04 -, UPR 2011, 157 = juris Rn. 104.
688ee) Das - hier zugrunde gelegte - Konzept der Critical Loads ist als Beurteilungsmaßstab für die FFH-Verträglichkeitsprüfung rechtlich nicht zu beanstanden.
689(1) Das Konzept der Critical Loads ist im Rahmen der UN-ECE-Luftreinhaltekonvention entwickelt worden und wird in Deutschland unter anderem durch die ‑ auch im vorliegenden Verfahren für die Beigeladene tätige - P. -E. GmbH vertreten. Auch das Forschungs- und Entwicklungsvorhaben FE 84.0102/2009 des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung
690- vgl. Balla u. a., Untersuchung und Bewertung von straßenverkehrsbedingten Nährstoffeinträgen in empfindliche Biotope. Bericht zum FE-Vorhaben 84.0102/2009 der Bundesanstalt für Straßenwesen, in: Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, 2013, Heft 1099 (BASt-Bericht) sowie Kurzbericht zu FE 84.0102/2009/Straßenverkehrsbedingte Nährstoffeinträge in empfindliche Biotope -
691hat diesen Ansatz als geeigneten Beurteilungsmaßstab für die FFH-Verträglichkeitsprüfung übernommen.
692Vgl. BASt-Bericht, S. 187 ff.
693(2) Critical Loads bestimmen naturwissenschaftlich begründete Belastungsgrenzen für Vegetationstypen oder andere Schutzgüter, bei deren Einhaltung eine Luftschadstoffdeposition nach derzeitigem Erkenntnisstand auch langfristig keine signifikant schädlichen Effekte erwarten lässt („no-effect“-Werte). Critical Loads für eutrophierende Stickstoffeinträge und für versauernde Stickstoff- und Schwefeleinträge werden üblicherweise in Kilogramm pro Hektar und Jahr (kg N/[ha*a]) bzw. als Stoffmengen-Äquivalente pro Hektar und Jahr (eq [N+S]/[ha*a]) angegeben.
694Vgl. hierzu und zum Folgenden: BASt-Bericht, S. 114 ff.
695(3) Critical Loads werden empirisch ermittelt oder in Berechnungen modelliert.
696Empirische Critical Loads sind in erster Linie die im sogenannten Manual des ICP Modelling & Mapping veröffentlichten Ergebnisse der Arbeitsgruppe Bobbink ‑ auch „Berner Liste“ -, die auf Erfahrungen und Felduntersuchungen beruhen und für repräsentative europäische Vegetationstypen Spannbreiten der Critical Loads für eutrophierende Stickstoffeinträge benennen. Das LANUV hat im Jahre 2012 hierauf aufbauend eine an die lokalen Bedingungen in Nordrhein-Westfalen angepasste Liste mit empirischen Critical Loads für eutrophierende Stickstoffeinträge erstellt. Entsprechende Listen mit empirischen Critical Loads für versauernde Stoffeinträge existieren nicht.
697Bei der Modellierung von Critical Loads für eutrophierende und versauernde Einträge unterscheidet man zwischen dynamischen Modellen und dem sog. Steady-State-Modell.
698(a) Dynamische Modelle - wie das sog. DECOMP-Modell - simulieren zeitliche Abfolgen der wichtigsten Prozesse im Ökosystem in Reaktion auf eine retrospektive oder/und prognostizierte Zeitreihe von Stoffeintragsraten oder anderer Umweltfaktoren. Ein Vorteil dieser Modelle ist, dass Veränderungen des ökosystemimmanenten Stoffkreislaufes durch Stoffeinträge in der Vergangenheit berücksichtigt werden können. Allerdings sind sie aufgrund der hohen Anzahl der einzustellenden Parameter sehr aufwändig.
699(b) Der Steady-State-Ansatz zielt auf die langfristige Erhaltung eines bestehenden natürlichen (Fließ-)Gleichgewichts im Zusammenwirken mit einem ungestörten Wasser- und Energiehaushalt. Die Critical Loads sollen nachhaltig stabile Standortbedingungen für die Existenz einer naturnahen oder halbnatürlichen Pflanzengesellschaft sichern. Die auch im Manual des ICP Modelling & Mapping empfohlene Einfache-Massenbilanz-Methode („Simple-Mass-Balance“, SMB) geht davon aus, dass langfristige Stoffeinträge in ein Ökosystem (nur) in der Höhe erfolgen dürfen, in der sie durch gegenläufige ökosysteminterne Prozesse gepuffert, gespeichert oder aufgenommen bzw. in unbedenklicher Größe aus dem System heraustragen werden. In Eintrags-Austrags-Rechnungen werden den eutrophierenden Stickstoffdepositionen die stickstoffspeichernden, ‑verbrauchenden und -austragenden Prozesse im Ökosystem und den versauernd wirkenden Stoffeinträgen die gesamte Säureneutralisierungskapazität gegenübergestellt. Sowohl die vom Umweltbundesamt veröffentlichten als auch die im o. a. Forschungs- und Entwicklungsvorgaben im Anhang I für eine große Anzahl von Vegetationsgesellschaften dargestellten Critical Loads für versauernde Stoffeinträge wurden mit Hilfe des SMB-Modells modelliert. Im Rahmen des BASt-Forschungsvorhabens habe man sich auf der Grundlage der durchgeführten fachlichen Diskussion für die Verwendung dieses Modells entschieden. Dem Nachteil, dass dynamische Ökosystementwicklungen nicht betrachtet werden, stünden die im Vergleich zu dem DECOMP-Modell einfachere rechnerische Nachvollziehbarkeit und breitere Akzeptanz in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit als Vorteile gegenüber.
700Vgl. BASt-Bericht, S. 128 ff., und 130 ff.
701Nach der Einschätzung des BASt-Berichts bieten die mit dem SMB-Modell berechneten Critical Loads genaue standortspezifische Erkenntnisse zur Belastung geschützter Lebensraumtypen. Erfolge im Einzelfall allerdings keine Modellierung oder werde nicht auf die im Rahmen des Forschungs- und Entwicklungsvorhaben modellierten Critical Loads für eutrophierende Stickstoffeinträge zurückgegriffen, komme weiter die Verwendung der empirischen Critical Loads in Betracht.
702Vgl. BASt-Bericht, S. 126 ff., 204.
703(c) Das SMB-Modell greift bei der Ermittlung der standort- und vegetationstypischen Critical Loads - wie das DECOMP-Modell - auf das sog. BERN-Modell zu. Das BERN-Modell (BERN = Bioindication for Ecosystem Regeneration towards Natural conditions) ist eine Datenbank mitteleuropäischer Arten und Pflanzengesellschaften, die die jeweilige ökologische Nische abiotischen Standortparametern zuordnet. Es basiert auf Erkenntnissen, wonach sich die biologischen Ökosystem-Komponenten an ein standorttypisches harmonisches Nährstoffverhältnis (Stickstoff, Phosphor, Kohlenstoff, basische Kationen wie Kalzium, Kalium und Magnesium) über Jahrtausende evolutionär angepasst haben. In der Datenbank sind bezogen auf Arten und Pflanzengesellschaften jeweils Daten über Basensättigung, Kohlenstoff/Stickstoff(C/N)-Verhältnis im Oberboden, Bodenfeuchte, Vegetationszeitlänge und Kontinentalitätsindex anhand von Erhebungen zu Vegetationsaufnahmen zu langfristig stabilen Standorttypen und Pflanzengesellschaften ausgewertet. Die BERN-Datenbank wird fortlaufend ergänzt. Mit Hilfe des BERN-Modells kann die Empfindlichkeit der maßgeblichen Bestandteile von FFH-Lebensraumtypen gegenüber Veränderungen verschiedener abiotischer Standorteigenschaften quantifiziert bewertet werden. Für die Critical-Load-Berechnung werden zunächst die charakteristischen Pflanzengesellschaften der FFH-Lebensraumtypen ihren Referenz-Standorten und dann die Referenz-Standortparameter bestimmten Standorttypen zugeordnet, die einen günstigen Erhaltungszustand, d. h. optimale Existenzbedingungen für die charakteristische Pflanzengesellschaft ermöglichen. Aus diesen Standorttypen werden die bodenchemischen und pflanzenphysiologischen Schwellenwerte (Critical Limits) für eutrophierende und versauernde Effekte abgeleitet, die wiederum wesentliche Parameter der Eingangsdaten (z. B. Immobilisierungsrate, Denitrifikationsrate, tolerierbare Stickstoff-Auswaschrate mit dem Sickerwasser, Depositionsrate basischer Kationen, Freisetzungsrate basischer Kationen durch Verwitterung des Ausgangsubstrats, Aufnahmerate von basischen Kationen und Stickstoff in die Vegetation) der Berechnung der Belastbarkeitsgrenzen (Critical Loads) sind. Der Referenzzustand der Modellierung entspricht einem idealtypischen Zustand des Stickstoffhaushalts, der aus Vorsorgegründen die Kriterien des günstigen Erhaltungszustands übererfüllt.
704Vgl. BASt-Bericht, S. 135, 157 ff.
705Für die Einzelfallermittlung von Critical Loads ist nach alledem die möglichst sichere Bestimmung der Critical Limits und der sonstigen, nicht-kritischen Parameter erforderlich. Die Eingangsdaten des Modells haben unterschiedlich starken Einfluss auf die Höhe des Critical Loads. Die kritischen Schwellenwerte - die Critical Limits – werden modellbedingt an der Grenze des Optimumplateaus der ökologischen Nische der Pflanzengesellschaft bzw. an der Grenze der bodentypischen (geo)chemischen Pufferbereiche angesetzt. Sie charakterisieren das Ökosystem bei 100 % Regenerierungspotenzial an der Schwelle einer möglichen Abnahme der optimalen Existenzmöglichkeit einzelner charakteristischer Arten und sind daher kaum variabel. Demgegenüber sind die nicht kritischen Parameter in der Regel Mittelwerte der jeweiligen Spannen der einem Standort- und Vegetationstyp zugeordneten Werte. Wesentliche Eingangsgrößen, die diese Parameter bestimmen, sind die Niederschlagssumme im Jahr, die Jahresmitteltemperatur und der Biomasseentzug. Die entsprechenden Werte können standortbedingt deutlich variieren und haben signifikanten Einfluss auf den Critical Load.
706Vgl. BASt-Bericht, S. 196.
707Die Eingabeparameter des Modells sind zwar als Bestandteile der anerkannten wissenschaftlichen Methode als solche nicht selbständig angreifbar.
708Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. April 2014 ‑ 9 A 25.12 -, BVerwGE 149, 289 = juris Rn. 44.
709Sie müssen jedoch zutreffend ermittelt und verwendet worden sein.
710(d) Spiegeln die in der Modellierung der Critical Loads verwendeten Parameterwerte ausnahmsweise nicht die realen Bedingungen des konkreten Standorts wider, kommt dem Critical Load eine allenfalls eingeschränkte Aussagekraft bezüglich der Beeinträchtigung der Lebensraumtypen zu. Ob die zusätzlichen eutrophierenden oder versauernden Stoffeinträge zu einer Beeinträchtigung der Lebensraumtypen führen, ist dann im Rahmen einer Sonderfallprüfung zu ermitteln.
711Vgl. BASt-Bericht, S. 200 und 205 ff.
712Ein solcher Ausnahmefall liegt bei irreversibel geschädigten Böden vor. Das SMB-Modell führt hier mit dem Maßstab eines sehr guten Erhaltungszustands nicht mehr zu angemessenen Ergebnissen und das weitere Vorgehen muss mit der zuständigen Naturschutzbehörde abgestimmt werden. Eine solche Situation liegt bei stark gestörten Pflanzengesellschaften mit deutlich unvollständigem Arteninventar vor. Ein erster Anhaltspunkt hierfür ist eine Artenausstattung im Erhaltungszustand C. Eine nachhaltig gestörte Situation kann auch bei irreversibel endversauerten Standortverhältnissen, d.h. bei pH(H2O)-Werten von kleiner als 3,2, vorliegen.
713Die Anwendung eines höheren als des berechneten Critical Loads kommt dagegen in Betracht, wenn sich ein Lebensraumtyp mit einem guten Erhaltungszustand auf einem bereits degradierten Standort befindet, d.h. wenn der idealtypische Pufferbereich verbraucht und der nächstfolgende Pufferbereich erreicht ist mit der Folge, dass sich ein neuer Gleichgewichtszustand von Freisetzungsrate der basischen Kationen aus der Verwitterung des Ausgangssubstrats zu Aufnahme- und Auswaschungsrate eingestellt hat - und der aktuelle Zustand des Bodens und der Vegetation als ausreichend günstig erachtet wird.
714Die Durchführung einer Sonderfallprüfung ist ferner zum einen für Standorte geboten, die bereits stickstoffgesättigt sind, deren Lebensraumtypen jedoch in einem guten Erhaltungszustand sind. Zum anderen bedarf es einer Sonderfallprüfung an Standorten mit einer außerordentlichen, nicht in der Modellierung der Critical Loads berücksichtigten Stickstoffdynamik. Diese kann etwa auf dem bodenspezifischen Wasserhaushalt oder dem natürlichen Stickstoffreichtum des Standorts beruhen, und dazu führen, dass zusätzliche eutrophierende Stickstoffeinträge entweder ausnahmsweise nur unmaßgeblich Einfluss auf den Erhaltungszustand der Lebensraumtypen haben oder - bei einer Störung dieser Dynamik - ausnahmsweise beeinträchtigend wirken. Dasselbe gilt, wenn der konkrete Standort eine außergewöhnliche bodenspezifische Dynamik gegenüber versauernden Stoffeinträgen aufweist.
715(e) Der Senat geht mit dem Bundesverwaltungsgericht,
716vgl. Urteil vom 23. April 2014 - 9 A 25.12 -, BVerwGE 149, 289 = juris Rn. 37; S. auch: OVG Nds., Urteil vom 22. April 2016 - 7 KS 27/15 -,juris Rn. 138 ff. sowie Hess. VGH, Urteil vom 25. Februar 2016 - 9 A 245/14 - , Rn. 95 und 106,
717davon aus, dass der BASt-Bericht im Grundsatz aktuell die besten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu dem Konzept der Critical Loads und zu der Ermittlung der Belastungsgrenzen für geschützte Lebensraumtypen enthält. Das Forschungs- und Entwicklungsvorhaben diente der Entwicklung einer Methode zur Erfassung und Bewertung von Stickstoffeinträgen im Rahmen von FFH-Verträglichkeitsprüfungen für den Neu- oder Ausbau von Straßen. Es gibt einen aktuellen Überblick zum Wissensstand zu den Critical Loads und leitet daraus ‑ auch für die versauernden Stoffeinträge - methodische Empfehlungen ab. An dem Vorhaben haben ausgewiesene Fachleute mitgearbeitet. Zur Konventionsbildung wurden zudem weitere Expertengespräche durchgeführt. Neben regelmäßigen Treffen des Fachbetreuerkreises fanden zwei Sitzungen eines projektbegleitenden Arbeitskreises und ein zweitägiges Expertengespräch mit ausgewählten externen Wissenschaftlern und Fachleuten aus der Genehmigungspraxis statt. Die Fachleute gehen übereinstimmend davon aus, dass die vorgeschlagenen Konventionen auch für andere Projekttypen gelten sollen.
718Vgl. Balla u. a., Kurzbericht zu FE 84.0102/ 2009/Straßenverkehrsbedingte Nährstoffeinträge in empfindliche Biotope, BASt-Bericht, S. 356.
719(f) Das Vorbringen des Klägers stellt die grundsätzliche Eignung der Critical Loads und im Wesentlichen auch die methodischen Empfehlungen des BASt-Berichts nicht in Frage. Die im Rahmen des Forschungsvorhabens gewonnenen Erkenntnisse bestätigen vielmehr, dass die lebensraumtypspezifischen Auswirkungen von Stoffeinträgen mit Hilfe von Critical Loads sachgerecht bewertet werden können und es nicht zwingend umfassender vegetationskundlicher Untersuchungen sowie Stoffhaushaltsuntersuchungen bedarf, um die Belastungsgrenze eines Lebensraumtyps valide einzuschätzen. Keiner der Teilnehmer des Fachgesprächs hat dem Critical-Loads-Ansatz widersprochen; es wurde im Gegenteil ganz überwiegend von dessen grundsätzlicher Eignung auch für FFH-Verträglichkeitsuntersuchungen ausgegangen. Auch wenn dieser Ansatz selbstverständlich der ständigen fachwissenschaftlichen Überprüfung unterliege, basiere er auf dem aktuellen Stand des Wissens und sei derzeit als der beste Lösungsansatz anzusehen.
720Vgl. BASt-Bericht, S. 344 f.
721Auch die vom Kläger gegen das in das SMB-Modell implementierte sog. BERN-Modell gerichteten Bedenken greifen nicht durch. Der Kläger hat insoweit insbesondere bemängelt, dass die Referenzstandorte sich nicht mehr in einem naturnahen Zustand befänden und die den Standortfaktoren zugeordneten Wertespannen nicht den neuesten Erkenntnissen entsprächen. Diese Bedenken werden von den Fachleuten des BASt-Vorhabens offenkundig nicht geteilt. Die Entscheidung des BASt-Vorhabens für die Verwendung des BERN-Modells beruht im Gegenteil gerade auf der großen Anzahl und Bandbreite der dort verarbeiteten (Feld-)Untersuchungen, die aus den 1960er Jahren stammten oder sogar noch älter seien. Das BERN-Modell ist im Übrigen integraler Bestandteil der SMB-Methode und teilt deren fachliche Anerkennung. Vor diesem Hintergrund dringt der Kläger auch mit seiner Kritik an der Verwendung anderer Quellen aus der Fachliteratur für die Bestimmung der nicht kritischen Parameter nicht durch.
722Eine Validierung der modellierten Critical Loads durch Vor-Ort-Untersuchungen der betroffenen Lebensraumtypen und FFH-Gebiete oder durch Vergleiche mit den Ergebnissen anderer Untersuchungen bzw. Messungen an vergleichbaren Standorten ist im SMB-Modell nicht vorgesehen. Im BASt-Bericht wird zwar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Modellierung der Critical Loads auf Eingangsdaten basiere, die auf Messungen an nur annähernd vergleichbaren Standorten und auf Expertenschätzungen sowie historischen Daten beruhten, die mit heute nicht mehr üblichen Messmethoden gewonnen worden seien. Aus diesem Grund und aufgrund der notwendigen Vereinfachungen der realen bodenchemischen Wirkprozesse bei der Anwendung der Modell-Algorithmen und bei der Klassifizierung der Lebensraum-Standorttypen seien die Eingangsdaten mit einer modellbedingten Ungenauigkeit behaftet, die sich nicht exakt quantifizieren lasse. Der Grad der Ungenauigkeit werde allerdings durch die Verwendung der BERN-Datenbank, die für das Ziel eines langfristig guten Erhaltungszustands eine repräsentative Datenbasis biete, auf ein Minimum reduziert. Aktuelle Messungen vor Ort könnten die Ungenauigkeit dagegen nur bedingt reduzieren. Die Critical Limits einer bestimmten Pflanzengesellschaft ließen sich nicht ohne weiteres für einen langen Zeitraum aus einzelnen Messungen ableiten.
723Vgl. BASt-Bericht, S. 190.
724Die modellierten Critical Loads für eutrophierende Stickstoffeinträge würden darüber hinaus durch den Vergleich mit den empirischen Critical Loads validiert. Dieser Vergleich ergebe, dass die Modellierung nach der SMB-Methode ganz überwiegend zu vergleichbaren oder tendenziell eher niedrigeren Critical-Load-Werten führe.
725Vgl. BASt-Bericht, S. 195.
726Es reicht nach alledem für die Modellierung der Critical Loads aus, wenn durch Vor-Ort-Untersuchungen abgeklärt wird, ob der konkrete Standort irreversibel geschädigt ist und das SMB-Modell nicht mehr zu validen Ergebnissen führt.
727Mit der Entscheidung für den Steady-State-Ansatz des SMB-Modells ist notwendig die Entscheidung gegen einen dynamischen Ansatz verbunden. Eine Rekonstruktion der Depositionsgeschichte findet entgegen der Annahme des Klägers im SMB-Modell gerade nicht statt. Der Wahl des Steady-State-Ansatzes ist daher auch immanent, dass kumulative Effekte oder die räumliche/zeitliche Variabilität destabilisierender Prozesse nicht berücksichtigt werden und ein zeitlicher Kontext fehlt. Auch für die vom Kläger noch geforderte Einbeziehung dynamischer Input-Output-Bilanzen ist ebenso wenig Raum wie für eine historische Beurteilung der Eutrophierung und Versauerung, die retrospektive Auswertung historischer Zeitreihen oder einen Vergleich zwischen den historischen und den aktuellen C/N-Werten.
728Die Critical Loads sollen die auf die Erhaltung der Biodiversität ausgerichteten Schutzziele der FFH-Richtlinie sicherstellen und beziehen sich in erster Linie auf die betroffenen FFH-Lebensraumtypen oder die Anhang-II-Pflanzenarten. Die besondere Stickstoffempfindlichkeit der epiphytischen Flechten und Moose ist daher nur dann gesondert zu berücksichtigen, wenn die betroffenen Lebensraumtypen - anders als im vorliegenden Fall - durch das Vorkommen dieser Pflanzenarten charakterisiert werden. Auch der BASt-Bericht stellt als Fazit des Fachgesprächs zu der Frage, ob es gerechtfertigt sei, Flechten und Moose in die Critical-Load-Berechnung einzubeziehen, fest, dass dies (nur) für diejenigen Lebensraumtypen sinnvoll und notwendig sei, die durch das Vorkommen von Flechten und Moosen charakterisiert seien.
729Vgl. BASt-Bericht, S. 354.
730ff) Die Überschreitung eines Critical Loads steht allerdings unter einem Bagatellvorbehalt. Nach der Rechtsprechung ist eine Irrelevanzschwelle von 3 % des jeweiligen Critical Load-Wertes sowohl für eutrophierende als auch versauernde Stoffeinträge anzuerkennen.
731Schöpft bereits die Vorbelastung die durch den Critical Load bestimmte Belastungsgrenze aus oder überschreitet sie diese sogar, so folgt daraus zwar, dass prinzipiell jede Zusatzbelastung dem Erhaltungsziel zuwiderläuft und deshalb erheblich ist, weil entweder Schadeffekte nicht mehr sicher ausgeschlossen werden können oder schon mit der Vorbelastung verbundene Schadeffekte verstärkt werden. Zusatzbelastungen, die eine den maßgeblichen Critical Load ausschöpfende oder überschreitende Vorbelastung nur geringfügig anheben, können allerdings noch als Bagatelle zu werten sein, wenn eine Schädigung nach naturschutzfachlicher Einschätzung ausgeschlossen ist.
732Unter Bezugnahme auf die naturschutzfachliche Beurteilung des Kieler Instituts für Landschaftsökologie (KIfL), wonach eine Zunahme der Stickstoffbelastung um nicht mehr als 3 % der Critical Loads als nicht signifikant verändernd einzustufen sei, hat das Bundesverwaltungsgericht für Fallgestaltungen, in denen die Vorbelastung den maßgeblichen Critical-Load-Wert für eutrophierende Stoffeinträge übersteigt, eine Irrelevanzschwelle von 3 % dieses Wertes anerkannt. Dies gilt unabhängig von der Höhe der Überschreitung.
733Vgl. BVerwG, Urteile vom 14. April 2010 - 9 A 5.08 -, BVerwGE 136, 291 = juris Leitsatz 2 und Rn. 94, vom 29. September 2011 - 7 C 21.09 , NVwZ 2012, 176 = juris Rn. 42, vom 28. März 2013 - 9 A 22.11 -, BVerwGE 146, 145 = juris Rn. 65 f. und vom 23. April 2014 - 9 A 25.12 -, BVerwGE 149, 289 = juris Rn. 45 ff.
734Auch der Senat hält weiter an der Anwendung einer solchen Bagatellschwelle fest. Die Annahme des Klägers, es fehle an einem entsprechenden fachwissenschaftlichen Konsens, trifft nicht zu. Der fachwissenschaftliche Konsens wird auf nationaler Ebene durch das o.a. Forschungs- und Entwicklungsvorhaben des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung belegt. Dieser Konsens ist nicht auf die direkten Teilnehmer des Vorhabens beschränkt. Zweifel an der fachlichen und politischen Neutralität sowie der wirtschaftlichen Unabhängigkeit der internen und externen Fachleute bestehen nicht.
735Das Forschungsvorhaben befürwortet ausdrücklich eine von dem Grad der Überschreitung des Critical Loads durch die Gesamtbelastung unabhängige Bagatellschwelle in Höhe von 3 % des Critical Loads. Auch die Unterscheidung, ob sich einzelne Lebensraumtypen in einem günstigen oder ungünstigen Erhaltungszustand befinden und dieser Erhaltungszustand durch Stickstoffeinträge verursacht worden sei, sei verzichtbar. Die Critical Loads setzten eine entsprechende Empfindlichkeit der Lebensraumtypen bereits voraus.
736Vgl. BASt-Bericht, S. 216 ff.
737Es bestehen auch weiterhin keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass Zusatzbelastungen unterhalb einer Schwelle von 3 % des Critical Loads geeignet wären, erhebliche Beeinträchtigungen der Lebensraumtypen oder des Schutzgebiets zu verursachen. Der Auffassung des Klägers, bei einer Überschreitung der Critical Loads sei definitionsgemäß nur noch eine „Nulldeposition“ zulässig, kann ebenso wenig gefolgt werden wie der weiteren Behauptung, die Höhe der Bagatellschwelle sei willkürlich bestimmt und entbehre jeder wissenschaftlichen Grundlage.
738Critical Loads dienen ihrer Definition nach dazu, langfristig schädliche Einträge auszuschließen. Sie treffen jedoch keine Aussage dazu, ab welcher Überschreitungshöhe und -dauer Schäden eintreten, welches Ausmaß mögliche Schäden im Einzelnen annehmen und wie das Maß ihrer Überschreitung die Eintrittswahrscheinlichkeit und die Schwere der Wirkungen beeinflusst. Nach dem BASt-Bericht sprechen, auch wenn bisher ausreichend quantifizierte Dosis-Wirkungs-Beziehungen nicht zur Verfügung stehen, die verfügbaren Untersuchungen im Ergebnis dafür, bei kleineren Beiträgen auch von kleineren Wirkungen auszugehen.
739Vgl. BASt-Bericht, S. 221.
740Die Reichweite von im Rahmen empirischer Studien beobachteter Wirkungen entlang von Straßen sei mit dem 3 %-Kriterium gut abgedeckt. Bei stickstoffhaltigen Einträgen unterhalb dieser Schwelle seien keine signifikant schädlichen Effekte festgestellt worden. Dasselbe Ergebnis hätten empirische Studien erbracht, die außerhalb des Umfeldes von Straßen die Wirkung von Stickstoffeinträgen auf die Vegetation untersucht hätten. Die meisten experimentellen wissenschaftlichen Studien zu den Einflüssen zusätzlicher Stickstoffeinträge auf die Vegetation arbeiteten dementsprechend mit Stickstoffabgaben bzw. Stufen der Stickstoffabgaben in einer Größenordnung von mindestens 5-10 kg N/(ha*a). Der 3 %-Schwellenwert entspreche bei Critical Loads von 10-20 kg N/(ha* a) demgegenüber absoluten Werten von 0,3 bis 0,6 kg N/(ha*a). Er liege zudem zum einen innerhalb der Unsicherheitsspanne, die sich aus den Wertespannen der Bewertungsmaßstäbe ergäben, und zum anderen im BERN-Modell innerhalb des Unschärfebereiches zwischen 50 % und 100 % Existenzmöglichkeit einer Pflanzengesellschaft. Stickstoffbelastungen in dieser Größenordnung lägen schließlich deutlich unterhalb der natürlichen räumlichen Variabilität von Stickstoffeinträgen (Hintergrundbelastung) in Vegetationsbestände und lägen damit bereits unterhalb des Bereiches der empirisch nachweisbaren Wirkungsschwellen.
741Vgl. BASt-Bericht, S. 217 ff., 221 und 356.
742gg) Der Senat hält darüber hinaus die Anwendung eines vorhabenbezogenen Abschneidekriteriums für fachlich und rechtlich gerechtfertigt. Das Abschneidekriterium dient der Bestimmung des Einwirkungsbereichs der geplanten Anlage und damit des Untersuchungsraums bzw. -umfangs der FFH-Verträglichkeitsprüfung. Zugleich wird mit ihm festgelegt, welche Vorhaben in die Kumulationsprüfung einzubeziehen sind; Vorhaben, deren Immissionsbeiträge unter dem Abschneidekriterium liegen, bleiben bei der Kumulationsrechnung unberücksichtigt. Im Regelfall ist für eutrophierende Stickstoffeinträge ein Abschneidekriterium in Höhe von nicht mehr als 0,5 % des Critical Loads des jeweils in Betracht kommenden Lebensraumtyps zugrundezulegen. Dies entspricht 1/6 der 3 %-Bagatellschwelle. Der Abschneidewert sollte jedoch nicht weniger als 0,05 kg N/(ha*a) betragen.
743Während über die Notwendigkeit eines Abschneidekriteriums - soweit ersichtlich - weitgehend Einigkeit herrscht, bestehen in der Fachwissenschaft und der juristischen Literatur unterschiedliche Auffassungen über dessen Ableitung und Höhe.
744(1) Der BASt-Bericht schlägt einen vorhabenbezogenen Abschneidewert für Stickstoffeinträge in Höhe von 0,3 kg N/(ha* a) vor. Er kennzeichne die maximale Höhe der Stickstoffdeposition, die unter konservativen Annahmen nach dem Stand der Wissenschaft einer bestimmten Quelle valide zugeordnet werden könne. Erhebliche Beeinträchtigungen durch Stickstoffeinträge könnten erst bei Überschreitung dieses Schwellenwertes auftreten. Bei Depositionsraten kleiner oder gleich 0,3 kg N/(ha*a) ließen sich keine kausalen Zusammenhänge zwischen Emission und Deposition nachweisen; ein derart niedriger Stickstoffeintrag liege deutlich unterhalb nachweisbarer Wirkungen auf die Schutzgüter der FFH-Richtlinie und werde daher als Konvention „wie Null“ behandelt. Die zusätzliche Menge an vorhabenbedingten Stickstoffeinträgen sei bis zu dieser Schwelle weder durch Messungen empirisch nachweisbar noch wirkungsseitig relevant und damit auch nach den Maßstäben der praktischen Vernunft und der Verhältnismäßigkeit irrelevant.
745Als Kriterium für die Bestimmung der Höhe des Abschneidewerts wählt der BASt-Bericht die messtechnische Nachweis- bzw. Bestimmungsgrenze der Einträge. Der Vergleich von modellierten und gemessenen Werten biete neben theoretischen Überlegungen einen verlässlichen Hinweis, ob die modellierten Werte richtig seien. Seien die in der Immissionsprognose modellierten Werte nicht mehr mit Messungen belegbar, so könne nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Immissionsmodellierung die Zulassungsentscheidung noch valide trage. Lege man die niedrigste Nachweisgrenze zugrunde, ergebe sich - umgerechnet - für die Summe aus den Depositionen der Stickstoffoxide und Ammoniak eine Größenordnung von 0,5 kg N/(ha*a). Daraus lasse sich, um auf der sicheren Seite zu bleiben, ein Abschneidewert in der Größenordnung der halben Nachweisgrenze, d. h. ein Wert von (gerundet) 0,3 kg N/(ha*a) ableiten.
746Liege der absolute Abschneidewert bei sehr niedrigen Critical Loads oberhalb der 3 %-Bagatellschwelle, sei dem Abschneidewert der Vorrang einzuräumen. Dies sei fachlich vertretbar, weil Zusatzbelastungen unter einer Nachweisgrenze lediglich theoretischer Natur seien.
747Vgl. BASt-Bericht, insbesondere S. 93 f. und 213 ff.
748(2) Das LANUV befürwortet ebenfalls die Anwendung eines vorhabenbezogenen Abschneidewerts, allerdings - in ausdrücklicher Abgrenzung zum BASt-Bericht - lediglich in Höhe von 0,1 kg N/(ha*a) für Stickstoffdepositionen. Es leitet den Abschneidewert in einem ersten Schritt ebenfalls aus der Messunsicherheit für den Nachweis von Stickstoffdepositionen ab; bei einer konservativen Herangehensweise liege diese - wie vom BASt-Bericht vorgeschlagen - bei 0,3 kg N/(ha*a). In einem zweiten Schritt wird dieser Wert aus naturschutzfachlicher Sicht auf 0,1 kg N/(ha*a) gesenkt. Damit soll verhindert werden, dass Zusatzbelastungen, die die Bagatellschwelle hochempfindlicher Lebensraumtypen überschreiten, im Prüfverfahren keine Berücksichtigung finden; durch das Zusammenwirken von mehreren Projekten, deren Zusatzbelastung jeweils unter der 3 %-Bagatellschwelle des Critical Loads liege, könne die summierte Zusatzbelastung die Bagatellschwelle überschreiten. Darüber hinaus sei für bestimmte Fallkonstellationen eine Einzelfallprüfung vorzunehmen.
749Vgl. Vermerk des LANUV vom 18. Juni 2012; ferner Entwurf des Leitfadens zur Prüfung der FFH-Verträglichkeit von Stickstoff-Depositionen in empfindlichen Lebensräumen in FFH-Gebieten vom 18. September 2015, S. 13.
750(3) Das Bundesverwaltungsgericht geht in seiner neueren Rechtsprechung davon aus, dass Zusatzbelastungen durch Stickstoffeinträge unterhalb eines absoluten Werts von 0,3 kg N/(ha* a) bzw. von 3 % eines Critical Loads irrelevant seien. Es sei bereits in der bisherigen Rechtsprechung anerkannt, dass es nach wissenschaftlichem Erkenntnisstand eine Irrelevanzschwelle gebe; erst oberhalb dieser Schwelle sei die Zunahme der Stickstoffbelastung, zumal gegenüber einer ohnehin schon hohen Vorbelastung, als signifikant verändernd einzustufen. Diese Auffassung werde von dem BASt-Bericht wissenschaftlich unterlegt. Unterhalb der genannten Schwellen sei die zusätzlich von einem Vorhaben ausgehende Belastung nicht mehr mit vertretbarer Genauigkeit bestimmbar bzw. nicht mehr eindeutig von der vorhandenen Hintergrundbelastung abgrenzbar. Bei Stickstoffeinträgen von 0,3 kg N/(ha*a) oder weniger ließen sich keine kausalen Zusammenhänge zwischen Emission und Deposition nachweisen.
751Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. April 2014 ‑ 9 A 25.12 -, BVerwGE 149, 289 = juris Rn. 45; auch: OVG Nds., Urteil vom 22. April 2016 - 7 KS 27/15 -, juris Rn. 138 sowie Hess. VGH, Urteil vom 25. Februar 2016 ‑ 9 A 245/14 - , juris Rn. 95 und 106.
752Der dieser Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt betraf allerdings lediglich ein einzelnes Vorhaben, bei dem eine Summationsbetrachtung nicht erforderlich war. Das Bundesverwaltungsgericht hatte daher keinen Anlass, zwischen der Bagatellschwelle und dem Abschneidewert zu differenzieren, und konnte beide Werte einheitlich als Irrelevanzschwellen zugrundelegen. Es wurden auch nur Stickstoffeinträge betrachtet, für die die niedrigste Nachweisgrenze für die Messung (von Stickoxiden und Ammoniak) mit 0,3 kg N/(ha*a) - letztlich zufällig - der 3 %-Schwelle der stickstoffempfindlichsten Pflanzengesellschaften mit einem Critical Load von 10 kg N/(ha*a) entspricht. Auch bei Zugrundelegung des absoluten Wertes von 0,3 kg N/(ha*a) konnten daher nachteilige Wirkungen auf das FFH-Gebiet sicher ausgeschlossen werden.
753(4) Auch in der Literatur wird - in Anlehnung an die Ausführungen in dem BASt-Bericht - das Bedürfnis nach einem vorhabenbezogenen unteren Abschneidewert anerkannt. Dessen Höhe wird indes unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird als Abschneidewert für den Stickstoffeintrag der Vorschlag des BASt-Vorhabens befürwortet,
754so Füßer/Lau, UPR 2014, 121, 124 f.; Kohls/N1. /Zirwick, ZUR 2014, 150, 155; Fellenberg, Gutachten im Auftrag des BDI, 2014, S. 3 ff.,
755teilweise der Vorschlag des LANUV unterstützt,
756Schulte/Kloos, Rechtsgutachten zur FFH-Verträglichkeitsprüfung/Stoffeinträgen im Auftrag des LANUV, 2012, S. 14,
757teilweise 1/10 der Bagatellschwelle des empfindlichsten Lebensraumtyps (0,009 kg N/(ha*a)) als Abschneidekriterium vorgeschlagen,
758Gellermann, NuR 2016, 225, 228,
759und teilweise allgemein empfohlen, dass der Abschneidewert einen ausreichenden Abstand zur Bagatellschwelle mit kumulativer Betrachtung halten müsse,
760Friedrich/Heesen, UPR 2013, 415, 417 f.
761(5) Der Kläger geht davon aus, dass das Abschneidekriterium und die 3 % - Bagatellschwelle allenfalls übergangsweise tolerierbare Hilfskonstruktionen seien. Für beide Irrelevanzschwellen fehle es an einer fundierten wissenschaftlichen Basis und dem erforderlichen breiten fachwissenschaftlichen Konsens. Zwar sei es auch aus seiner Sicht im Grundsatz sinnvoll, den Einwirkungsbereich einer Anlage möglichst konkret zu bestimmen. Mit Blick auf die kumulierenden Effekte anderer Projekte sei jedoch beim Abschneidekriterium die Einhaltung eines „Sicherheitsabstands“ zu der Bagatellschwelle erforderlich. Um insoweit auch mit Blick auf die regelmäßig große Anzahl weiterer zu berücksichtigender Projekte auf der sicheren Seite zu liegen, dürfe das Abschneidekriterium nur 0,1 %, höchstens jedoch 0,3 % des niedrigsten Critical Loads der Berner Liste betragen. Der daraus folgende Einwirkungsbereich sei auch nicht unübersehbar groß. Bei dem dann maßgeblichen Critical Load in Höhe von 3 kg N/(ha*a) belaufe sich der Abschneidewert auf 0,003 (bzw. 0,009) kg N/(ha*a). Für eine typische Stallanlage ergebe sich damit ein Einwirkungsbereich von 24 km. Ein höherer Abschneidewert berge das Risiko, dass viele für sich betrachtet niedrige, aber in der Summe beachtliche Einträge unberücksichtigt blieben.
762Die Beigeladene verweist darauf, dass die Fachkonventionen des BASt-Vorhabens und des LANUV den aktuellen Stand der Wissenschaft wiedergäben. Würden diese Fachkonventionen eingehalten, seien erhebliche Beeinträchtigungen von FFH-Schutzgütern ausgeschlossen.
763(6) Nach Auffassung des Senats ist es zulässig, im vorliegenden Zusammenhang ein vorhabenbezogenes Abschneidekriterium anzuwenden. Es hat Bedeutung für die Frage, ob und in welchem Umfang eine FFH-Verträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, und begrenzt darüber hinaus die in eine Kumulationsbetrachtung ggf. einzubeziehenden weiteren Projekte. Seine fachliche und rechtliche Rechtfertigung beruht maßgeblich auf zwei Gründen.
764(a) Zum einen bedarf es der Bestimmung des Einwirkungsbereichs einer Anlage und damit der Festlegung des Untersuchungsraums. Weder unter dem Gesichtspunkt der Wirkungsbezogenheit noch dem der Verhältnismäßigkeit kann der Untersuchungsraum räumlich unbegrenzt sein. Zwar können rechnerisch nahezu unbegrenzt auch kleinste zusätzliche Stoffeinträge in großer Entfernung von dem emittierenden Vorhaben ermittelt werden. Aber schon aus praktischen Gründen bedarf es einer Abgrenzung des Untersuchungsraums durch eine untere Grenze der relevanten Zusatzbelastung; denn die Größe des Betrachtungsraums wächst im Quadrat mit der Entfernung vom Vorhaben. Mit der Größe des Betrachtungsraums steigt auch die Zahl der Variablen und sinkt die statistische Genauigkeit der Ausbreitungsrechnung. Es ist daher notwendig und legitim, Kleinstbeiträge ohne relevante Bedeutung für das Schutzgut nicht in die Berechnung einer Immissionsprognose mit einzubeziehen und den Untersuchungsraum entsprechend zu begrenzen.
765(b) Zum anderen sind bestimmte minimale Immissionsbeiträge dem Verursacher rechtlich nicht mehr zuzurechnen. Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit kann nicht jeder naturwissenschaftlich kausale Immissionsbeitrag als gleichwertig angesehen werden. Es wäre unangemessen, konkrete Vorhaben nicht zuzulassen, wenn deren Immissionsbeitrag derart geringfügig ist, dass er aus Sicht des Gebietsschutzes keine Rolle spielen kann.
766Vgl. Gellermann, NuR 2016, 225, 227; Füßer/Lau, UPR 2014, 121, 125.
767Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt, dass der Verursachungsbeitrag des konkreten Projekts in Beziehung zu den Auswirkungen auf das Schutzgut gesetzt wird. Sehr kleine Beiträge, die im Verhältnis zur Gesamtbelastung nicht ins Gewicht fallen, können vernachlässigt werden. Bei kleinsten Beiträgen kann der „Verursacher“ nicht mehr „für das Ganze“ verantwortlich gemacht werden. Sein Beitrag ist von so untergeordneter Bedeutung, dass eine Berücksichtigung und Zurechnung ausscheidet. Vorhabenträger sind in einem solchen Fall auch nicht mit dem Prüfaufwand einer FFH-Verträglichkeitsprüfung zu belasten.
768Vgl. auch BASt-Bericht, S. 212.
769(7) Die danach im Rahmen der Vorprüfung erforderliche Festlegung des Untersuchungsraums und -umfangs der FFH-Verträglichkeitsprüfung anhand eines vorhabenbezogenen Abschneidekriteriums muss schutzgutbezogen erfolgen. Sie hängt deshalb maßgeblich von der Schutzbedürftigkeit des konkreten FFH-Gebiets bzw. des konkreten Lebensraumtyps ab. Es muss sichergestellt sein, dass nachteilige Auswirkungen durch Immissionen unterhalb des Abschneidewerts auch bei einem Zusammenwirken mit Immissionen anderer Pläne und Projekte nicht ernsthaft zu besorgen sind. Dies ist der Fall, wenn eine Beeinträchtigung der Erhaltungsziele und Schutzwecke bei Immissionen in dieser Höhe entweder offensichtlich ausgeschlossen ist oder aus wissenschaftlicher Sicht keine ernst zu nehmenden Anhaltspunkte dahin weisen, dass Immissionen in dieser Höhe nachteilige Auswirkungen haben können.
770Aus wissenschaftlicher Sicht bestehen dann keine ernst zu nehmenden Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung des FFH-Gebiets, wenn die Zusatzbelastung die 3 %-Bagatellschwelle nicht übersteigt. Die 3 %- Bagatellschwelle repräsentiert den derzeit besten Stand der Wissenschaft und ist über die oben beschriebene Anbindung an die Critical Loads schutzgut- und wirkungsbezogen. Sie markiert zugleich die Schwelle, unterhalb der signifikante, schädliche Effekte für die betroffenen FFH-Schutzgüter nicht festzustellen sind.
771Da das vorhabenbezogene Abschneidekriterium lediglich die Auswirkungen des konkreten Projekts in den Blick nimmt, nicht jedoch die bei der Bagatellschwelle zu berücksichtigenden Summationseffekte, muss es so weit unterhalb der Bagatellschwelle liegen, dass diese nicht durch das im Prüfungsaufbau vorangehende Abschneiden von Einträgen umgangen oder ausgehöhlt wird.
772(8) Hiervon ausgehend hält der Senat im Regelfall für die eutrophierenden Stickstoffeinträge ein Abschneidekriterium in Höhe von nicht mehr als 0,5 % des Critical Loads des jeweils konkret in Betracht kommenden Lebensraumtyps für zulässig; dies entspricht 1/6 der jeweiligen 3 %-Bagatellschwelle. Im Übrigen gelten für Lebensraumtypen mit einem Critical Load unter 10 kg N/(ha*a) besondere Regeln (siehe unten).
773Dazu im Einzelnen:
774(a) Der vom BASt-Bericht vorgeschlagene Abschneidewert für die vorhabenbedingte Zusatzbelastung an Stickstoff in Höhe von 0,3 kg N/(ha*a) ist nach Auffassung des Senats mit Blick auf die notwendige Summationsbetrachtung zu hoch. Er berücksichtigt die Konstellationen nicht hinreichend, in denen die Einträge mehrerer Vorhaben zusammen die Bagatellschwelle überschreiten.
775Zwar erscheint es grundsätzlich sachgerecht, in einem ersten Schritt die untere Grenze einer relevanten Zusatzbelastung an der Messunsicherheit zu orientieren. Unterhalb einer bestimmten Schwelle ist die zusätzliche von einem Vorhaben ausgehende Belastung nicht mehr mit vertretbarer Genauigkeit bestimmbar bzw. nicht mehr eindeutig von der vorhandenen Hintergrundbelastung abgrenzbar.
776Vgl. Balla/Müller-Pfannenstiehl/Lüttmann/ Uhl, NuR 2010, 616, 623; BVerwG, Urteil vom 23. April 2014 - 9 A 25.12 -, BVerwGE 149, 289 = juris Rn. 45 und vom 23. März 2013 - 9 A 22.11 -, BVerwGE 146, 145 = juris Rn. 66.
777Dieser Ansatz findet seine Rechtfertigung darin, dass es sich dabei um so geringe Größenordnungen handelt, dass konkrete Effekte in Vegetationsbeständen nicht beobachtet worden sind.
778Vgl, BASt-Bericht, S. 220; Balla/Müller-Pfannenstiehl/Lüttmann/Uhl, NuR 2010, 616, 623.
779Er erscheint plausibel, soweit sich die Überlegungen ausschließlich auf ein einzelnes Vorhaben beziehen. Steht indes eine Summationsbetrachtung von mehreren Projekten in Rede, bezieht sich die erforderliche Ermittlung und Verifizierung der Wirkungsschwelle auf die zusätzlichen Immissionen aller zu berücksichtigenden Vorhaben. Insoweit kommt es nicht auf die Messunsicherheit bei der Beurteilung der Wirkungen eines einzelnen Projekts, sondern auf die Messunsicherheit bei der Beurteilung der Wirkung aller kumulierten Projekte an. Insoweit soll der allgemeine empirische Nachweis erbracht werden, dass ein bestimmter minimaler Schadstoffeintrag (gebildet aus der Summe der relevanten Projekte) sich nicht auf das Schutzgut auswirken wird.
780Diesem Zusammenhang wird im BASt-Bericht nicht hinreichend Rechnung getragen. Zwar wird die 3 %-Bagatellschwelle vom BASt-Bericht ausdrücklich als Fachkonvention bestätigt und anerkannt; sie wird nach der Begriffsbestimmung,
781vgl. BASt-Bericht, S. 16,
782als die quantitative Größe bezeichnet, die auf der Basis des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Grenze zwischen (potenziell) erheblichen und lediglich bagatellhaften Beeinträchtigungen definiert. Faktisch wird sie jedoch bei Kumulationsbetrachtungen durch den Abschneidewert unterlaufen. So entspricht der Abschneidewert des BASt-Vorhabens bei einem Lebensraumtyp mit einem Critical Load von 10 kg N/(ha*a) der 3 %-Bagatellschwelle. Dies führt dazu, dass z. B. die Immissionsbeiträge von zwei Projekten in Höhe von jeweils knapp unterhalb 0,3 kg N/(ha*a) aufgrund des Abschneidens von vornherein keiner FFH-Verträglichkeitsprüfung unterliegen, zusammen aber fast 6 % des Critical Loads ausmachen und damit fast das Doppelte der Bagatellschwelle. Erst recht begegnet die weitere Aussage des BASt-Berichts Bedenken, der Abschneidewert habe Vorrang vor der Bagatellschwelle, wenn er höher als der Bagatellschwellenwert sei.
783(b) Auch das LANUV sieht den Abschneidewert des BASt-Berichts kritisch; es hat im Hinblick auf mögliche Summationseffekte eine wirkungsbezogene Korrektur unter Berücksichtigung der Critical Loads vorgenommen und den Wert von 0,3 kg N/(ha*a) auf 0,1 kg N/(ha*a) gesenkt. Der auf der Grundlage des aktuellen Stands der Wissenschaft und unter Verwendung mehrerer worst-case-Ansätze in der Ausbreitungsrechnung entwickelte Abschneidewert von 0,1 kg N/(ha*a) sei auch unter Summationsaspekten naturschutzfachlich belastbar und sachgerecht.
784(c) Der Senat folgt der Kritik des LANUV im Grundsatz. Allerdings wahrt der vom LANUV vorgeschlagene Abschneidewert bei Lebensraumtypen mit Critical Loads unter 20 kg N/(ha*a) den hinreichenden Abstand zur Bagatellschwelle ebenfalls nur bedingt. Um hier auf der sicheren Seite zu liegen, ist das Abschneidekriterium im Regelfall auf 0,5 % des Critical Loads des jeweils in Betracht kommenden empfindlichsten Lebensraumtyps bzw. 1/6 der entsprechenden 3 %-Bagatellschwelle festzusetzen. Nur so ist hinreichend gewährleistet, dass die Einwirkungen mehrerer Anlagen angemessen erfasst werden.
785Eine generelle Anbindung an den Critical Load des im Bundesgebiet vorkommenden stickstoffempfindlichsten Lebensraumtyps von 3 kg N/(ha*a) ist hingegen nicht sachdienlich. Eine Absenkung auf einen derart niedrigen Abschneidewert würde nach der überzeugenden Auffassung des LANUV - auch in Ansehung der Unsicherheiten der Ausbreitungsrechnung - zu einer sachlich nicht mehr gerechtfertigten Überschätzung der Zusatzbelastung führen.
786Die dargelegte konservative Bemessung des Abschneidekriteriums durch den Senat gewährleistet grundsätzlich, dass mögliche Überschreitungen der Bagatellschwelle nicht über einen wirkungsseitig vernachlässigbaren Bereich hinausgehen. Der Senat verkennt nicht, dass es im Einzelfall auch dann zu Überschreitungen der 3 %-Bagatellschwelle kommen kann, wenn das betroffene Vorhaben selbst das Abschneidekriterium von 0,5 % des Critical Loads einhält. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn die Bagatellschwelle bereits durch ein oder mehrere in die Summationsbetrachtung einzubeziehende Projekte ausgeschöpft ist. Insoweit greift aber der oben dargelegte, aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abgeleitete Gedanke, dass der Verursacher von im Verhältnis zur Gesamtbelastung nicht ins Gewicht fallenden Kleinstbeiträgen für die in der Summation eintretenden Folgen nicht mehr verantwortlich gemacht werden kann. Hiervon unberührt bleiben jedoch Anforderungen an die Emissionen im Rahmen der Vorsorge, die dem Ziel dienen, die Gesamtbelastung durch Stickstoffeinträge zu senken bzw. niedrig zu halten.
787(d) Die Anwendung von absoluten Abschneidewerten unter 0,05 kg N/(ha*a) dürfte allerdings auch für - hier nicht entscheidungsrelevante - sehr stickstoffempfindliche Lebensraumtypen mit Critical Loads unter 10 kg N/(ha*a) nicht in Betracht kommen. Dieser Wert entspricht 0,5 % des Critical Loads von 10 kg N/(ha*a).
788Bei Abschneidewerten unterhalb von 0,05 kg N/(ha*a) würde der Rechenraum bzw. zu betrachtende Untersuchungsraum nach Auffassung der im gerichtlichen Verfahren befragten Fachwissenschaftler zu groß werden, mit der Folge, dass in der Praxis ein völlig unverhältnismäßiger Aufwand verursacht würde. Ein Abschneidewert von 0,05 kg N/(ha*a) führe bei Vorhaben wie dem streitbefangenen Vorhaben zu einem Untersuchungsgebiet von etwa 230 km² und ein Abschneidewert von 0,025 kg N/(ha*a) zu einem Untersuchungsgebiet von etwa 1.500 km². Insoweit könnte es sich vielmehr nach Auffassung der Fachwissenschaftler anbieten, den (engeren) Betrachtungsraum, der durch die ISO-Linie mit einem Abschneidewert von 0,05 kg N/(ha*a) gebildet wird, um einen (zusätzlichen) Kontrollraum in einem Abstand von etwa 4 km zur ISO-Linie zu erweitern. Dieser Kontrollraum ist im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung auf mögliche besonders empfindliche Lebensraumtypen zu untersuchen. Mittels eines Screenings kann geprüft werden, ob in ausgewiesenen FFH-Gebieten Lebensraumtypen mit niedrigeren Critical Loads (‹10 kg N/(ha*a)) existieren. Denkbar ist nach Auffassung der Fachwissenschaftler auch, bei Bedarf die Abgrenzung des (zusätzlichen) Kontrollraums durch Multiplikation des im (engeren) Betrachtungsraum niedrigsten CL-Werts mit 0,75 % zu ermitteln. Auf diese Weise könne Kumulationseffekten auch bei den besonders empfindlichen Lebensraumtypen Rechnung getragen werden.
789Der Senat sieht derzeit keine durchgreifenden Bedenken gegen eine solche Vorgehensweise. Bei einem projektbezogenen Abschneidekriterium von 0,05 kg N/(ha*a) drohen nach Ansicht der Fachwissenschaftler auch für die empfindlichsten Lebensraumtypen in der Regel keine erheblichen Beeinträchtigungen; dies gelte jedenfalls dann, wenn man die beschriebene Einzelfallbetrachtung vornehme. Hierfür spricht, dass die Hintergrundbelastung nahezu flächendeckend die Critical Loads für die empfindlichsten Lebensraumtypen überschreitet, zum Teil sogar erheblich. Gleichwohl werden auch empfindlichste Lebensraumtypen mit einem Erhaltungszustand A angetroffen. Dies beruht insbesondere darauf, dass der Stickstoffeintrag nicht allein für den Erhaltungszustand von Bedeutung ist. Bei minimalen Einträgen von Stickstoff unter 0,05 kg N/(ha*a) kann daher nach Ansicht der befragten Fachwissenschaftler eine wirkungsseitige Relevanz in der Regel ausgeschlossen werden. Hinzu kommt nach Ansicht des LANUV und anderer Fachwissenschaftler, dass bei der Berechnung der Kumulation von mehreren Anlagen (insbesondere mit niedrigen Quellen) sich die grundsätzlich konservative Betrachtung in Bezug auf die einzelne Anlage summiert und gerade bei besonders empfindlichen Lebensraumtypen (mit einem niedrigen Critical Load) zu Überschätzungen führt. Die Überschätzungen der prognostizierten Einträge nehmen mit weiterer Entfernung von der Quelle zu.
790(e) Darüber hinaus kann in besonderen Ausnahmefällen eine Einzelfallprüfung in Betracht kommen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die beschriebenen Prüfungsschritte dem Schutzgut ersichtlich nicht hinreichend gerecht werden.
791(9) Die sich danach ergebende Vorgehensweise bei der Vorprüfung und der FFH-Verträglichkeitsprüfung erscheint auch praktikabel.
792Zwar liegt ihr kein pauschaler, für alle Vorhaben anwendbarer Abschneidewert zugrunde. Vielmehr ist ausgehend von der Schutzgutbezogenheit der Abschneidewert je unterschiedlich in Abhängigkeit von dem jeweils in Rede stehenden Lebensraumtyp. Für denselben Lebensraumtyp ist mithin jeweils derselbe Abschneidewert maßgeblich, unabhängig davon, ob sich in dem Untersuchungsraum noch empfindlichere Lebensraumtypen befinden. Auch wenn sich also der Untersuchungsraum (zunächst) an dem empfindlichsten Lebensraumtyp zu orientieren hat, ist für die Kumulationsbetrachtung jeweils der Abschneidewert des konkreten Lebensraumtyps maßgeblich. Der Abschneidewert für einen bestimmten Lebensraumtyp verändert sich nicht dadurch, dass in der Nähe ein empfindlicherer Lebensraumtyp mit niedrigerem Abschneidewert liegt. Vielmehr hängt bei der Kumulationsbetrachtung der Abschneidewert wie die Bagatellschwelle von dem jeweiligen Critical Load ab. Er beträgt folglich in jedem Fall 0,5 % des konkreten Critical Loads.
793Das schutzgutbezogene Abschneidekriterium von 0,5 % des Critical Loads des jeweiligen (konkret) in Betracht kommenden Lebensraumtyps dürfte sich aber regelmäßig ohne größere Probleme in der Praxis anwenden lassen. Die Prüfung beginnt mit der Ermittlung der in dem anhand des niedrigsten Abschneidewerts von 0,05 kg N/(ha*a) abgegrenzten FFH-Gebiet vorhandenen Lebensraumtypen. Je nach dem Ergebnis dieser Ermittlungen wird dann entweder der Abschneidewert an den - oberhalb von 10 kg N/(ha*a) liegenden - Critical Load der jeweiligen in diesem Raum vorgefundenen Lebensraumtypen angepasst und der - engere - Untersuchungsraum bestimmt oder es wird die oben beschriebene Einzelfallprüfung durchgeführt. Diese Herangehensweise nach dem „Zwiebelprinzip“ dürfte in der Regel keinen übermäßigen Arbeitsaufwand verursachen.
794(10) Auch für die versauernden Stickstoff- und Schwefeleinträge ist bis auf weiteres ein lebensraumtypspezifisch zu bestimmendes vorhabenbezogenes Abschneidekriterium von 0,5 % des jeweiligen Critical Loads zugrunde zu legen. Damit orientiert sich der Senat an der Vorgehensweise des BASt-Vorhabens in Verbindung mit den oben dargestellten Überlegungen zu einer schutzgutbezogenen Ausrichtung an den Bagatellschwellen, solange eine hinreichend schutzgutbezogene Fachkonvention für den Abschneidewert bei versauernden Einträgen fehlt.
795Der vom LANUV festgelegte Abschneidewert von 30 eq (N+S)/(ha*a) ist gemessen an den beschriebenen Anforderungen zu hoch. Er entspricht bereits der 3 %-Bagatellschwelle eines Critical Loads von 1000 eq. Der vorliegende Fall belegt beispielhaft die Problematik eines derart hohen Abschneidewerts. So liegen die vom Kraftwerk der Beigeladenen und zwei weiteren Projekten verursachten Immissionen am Beurteilungspunkt 30 jeweils unter dem genannten Abschneidewert, in der Summation jedoch bei 3,7 bzw. 3,9 % des Critical Loads.
796Der nach dem Ansatz des Senats für die Kumulationsbetrachtung letztlich maßgebliche Abschneidewert von 0,5 % des jeweiligen Critical Loads kann bei versauernden Einträgen allerdings endgültig erst bestimmt werden, nachdem die Critical Loads zuvor bezogen auf die im jeweiligen Einzelfall betroffenen Lebensraumtypen konkret modelliert worden sind. Für die vorrangig erforderliche Bestimmung des Untersuchungsraums hilft dies nicht weiter. Im Unterschied zu den eutrophierenden Stickstoffeinträgen fehlt es bei den versauernden Einträgen bislang noch an hinreichend konkreten, lebensraumtypspezifischen Listen mit empirischen oder modellierten Critical Loads, anhand derer der Untersuchungsraum sachgerecht abgegrenzt werden kann. Der Untersuchungsraum für die versauernden Stoffeinträge kann aber gleichwohl ausreichend konservativ bestimmt werden, wenn dabei ein an den maßgeblichen Critical Load für eutrophierende Stickstoffeinträge angebundener (vorläufiger) Abschneidewert zugrunde gelegt wird, der auch die entsprechenden versauernden Effekte abbildet. Hiervon geht auch das BASt-Vorhaben aus, wenn es für versauernde Stoffeinträge einen Abschneidewert von 24 eq vorschlägt. Dieser Wert liegt über dem bei einer Umrechnung des Abschneidewerts von 0,3 kg N/(ha*a) aus der Massenzahl für Stickstoff folgenden Wert von 21 eq und berücksichtigt damit auch einen Anteil an versauernden Schwefeleinträgen. Das BASt-Vorhaben rechnet mithin den Stickstoffwert (bestimmt als kg N/(ha*a)) mit dem Faktor 80 (8/0,1) in Säureäquivalente (eq) um.
797Ausgehend von den oben dargestellten Maßstäben sind deshalb die jeweiligen lebensraumtypspezifischen Abschneidewerte für eutrophierende Stickstoffeinträge mit dem Faktor 80 in Säureäquivalente umzurechnen. Dies bedeutet, dass sich bei Lebensraumtypen mit einem Critical Load von 10 kg N/(ha*a) und einem (niedrigsten) Abschneidewert von 0,05 kg N/(ha*a) für Stickstoffeinträge ein (niedrigster) Abschneidewert für versauernde Stoffeinträge von umgerechnet 4 eq (0,05 × 80) ergibt.
798Die Prüfung beginnt demnach – entsprechend dem oben skizzierten Vorgehen bei eutrophierenden Stickstoffeinträgen – mit der Ermittlung der in dem anhand des niedrigsten Abschneidewerts von 4 eq abgegrenzten FFH-Gebiet vorhandenen Lebensraumtypen. Fällt danach kein derart empfindlicher Lebensraumtyp in den so bestimmten Untersuchungsraum, kann ein engerer Untersuchungsraum anhand des niedrigsten Abschneidewerts der vorgefundenen Lebensraumtypen gezogen werden. Für diesen werden sodann die Critical Loads modelliert, so dass für die Kumulationsbetrachtung die letztlich maßgeblichen Abschneidewerte an den einzelnen Beurteilungspunkten konkret ermittelt werden können.
799hh) Auch ein Projekt, das zu erheblichen Beeinträchtigungen führen kann, ist nicht in jedem Fall unzulässig.
800Art. 6 Abs. 4 Unterabsatz 1 FFH-RL, der eine Ausprägung des unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darstellt,
801vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 - 9 A 20.05 -, BVerwGE 128, 1 = juris Rn. 129,
802ermöglicht eine einzelfallbezogene Abweichungsprüfung. Ist trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art ein Plan oder Projekt durchzuführen und ist eine Alternativlösung nicht vorhanden, so hat der Mitgliedstaat nach dieser Regelung alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura 2000 geschützt ist (vgl. § 48d Abs. 5 bis 7 LG NRW, § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG).
803b) Subsumtion
804Ausgehend von diesen Maßstäben ist das von der Beigeladenen geplante Kohlekraftwerk mit den Schutzzwecken der im Einwirkungsbereich betroffenen Natura-2000-Gebiete vereinbar.
805Die von der Beigeladenen vorgelegte FFH-Verträglichkeitsuntersuchung belegt, dass die von dem Vorhaben ausgehenden Luftschadstoffeinträge weder eine erhebliche Beeinträchtigung der terrestrischen Lebensräume der Lippeauen noch der "Wälder bei Cappenberg" bewirken.
806Das ergibt sich im Einzelnen aus Folgendem:
807aa) Die im Dezember 2004 erfolgte Unterschutzstellung der im Umfeld des Vorhabenstandorts gelegenen hier relevanten vier Schutzgebiete dient nach den Angaben im Standarddatenbogen und den jeweils maßgeblichen Schutzgebietsausweisungen nachfolgenden Schutzzwecken:
808(1) Das Schutzgebiet DE-4311-304 "Wälder bei Cappenberg" ist ein 673 ha großes Waldgebiet mit hohem Anteil an naturnahen Beständen der Eichen-Hainbuchenwälder sowie der Hainsimsen- und Waldmeister-Buchenwälder mit z.T. hohem Starkholzanteil von bis ca. 250 Jahren Alter. Das Gebiet wird von mehreren naturnahen Bachläufen durchzogen. Es umfasst die Lebensraumtypen (LRT) 9130 (Waldmeister-Buchenwald), 9160 (Stieleichen-Hainbuchenwald), 9110 (Hainsimsen-Buchenwald) und 91E0* (prioritärer LRT Erlen-Eschen- und Weichholz-Auenwälder). Schutzziele sind laut Standarddatenbogen die Erhaltung und Entwicklung naturnaher Sternmieren-Eichen-Hainbuchenwälder (9160) sowie der Erlen-Eschen-Wälder insbesondere durch Schaffung ausreichend großer Pufferzonen zur Vermeidung bzw. Minimierung von Nährstoffeinträgen (91E0*). Der Erhaltungszustand der Lebensraumtypen wird in der Gesamtbeurteilung mit B (gut) beschrieben. Der flächenmäßig größte Teil des Schutzgebiets liegt im Geltungsbereich des Landschaftsplans Nr. 2 des Kreises Unna (Raum Werne-Bergkamen). Nach dessen textlichen Festsetzungen zur Bestimmung des Schutzzwecks (C. 1.1.2., S. 83) erfolgt die Festsetzung als Naturschutzgebiet gemäß § 20 LG NRW zur Erhaltung, Herstellung und Entwicklung überregional bedeutsamer Biotope seltener und gefährdeter sowie landschaftsraumtypischer Tier- und Pflanzenarten innerhalb eines großflächigen Waldkomplexes mit Buchen- und Eichen-Hainbuchenwäldern unter weitest möglicher Schonung bzw. Förderung der entsprechenden Krautschicht sowie im Zusammenhang mit dem Wald stehender schutzwürdiger Bachläufe und Quellbereiche. In ihrer natürlichen Vergesellschaftung sind insbesondere zu schützen: Stieleichen-Hainbuchenwälder, Buchenwälder in ihren standörtlichen verschiedenen Ausprägungen (Hainsimsen- und Waldmeister-Buchenwälder), Erlen-Eschen-Auwälder, Bachläufe und Bacheinschnitte sowie Quellbereiche. Eine gleichlautende Schutzzweckbestimmung findet sich im Landschaftsplan Nr. 3 des Kreises Unna (Raum Selm) unter C. 1.1.1 (S. 103), dessen räumlicher Geltungsbereich die westlich gelegenen Teilflächen der Wälder bei Cappenberg erfasst.
809(2) Die drei weiteren FFH-Gebiete dienen dem Schutz der Lippeauen.
810Das 2417 ha große Schutzgebiet DE-4209-302 "Lippeaue" umfasst die Lippeaue zwischen Unna und Dorsten. Dabei ist der Lauf der Lippe die zentrale Achse dieses großen, abwechslungsreichen und vielfältig gegliederten Gebietes, das trotz überwiegend intensiver Landwirtschaft und Gewässerregulierung noch zahlreiche Elemente der früheren Auenlandschaft aufweist. Mehrfach sind noch Reste von Bruch-, Weichholz- und Hartholz-Auenwäldern vorhanden. Das Schutzgebiet umfasst u. a. die LRT 3270 (Flüsse mit Schlammbänken und einjähriger Vegetation), 6510 (Glatthafer- und Wiesenknopf-Silgenwiese), 9190 (Alte bodensaure Eichenwälder auf Sandebenen), 6430 (Feuchte Hochstaudenfluren), 91F0 (Hartholz-Auenwälder) und den prioritären LRT 91E0* (Erlen-Eschen- und Weichholz-Auenwälder) sowie u. a. die Arten Flussneunauge (Anhang-II-Art) und Helm-Azurjungfer. Schutzziele sind laut Standarddatenbogen insbesondere Erhaltung und Entwicklung der naturnahen Strukturen der schlammigen Flussufer durch möglichst weitgehende Reduzierung der die Wasserqualität beeinträchtigenden direkten und diffusen Einleitungen insbesondere von Schadstoffen (3270), Erhaltung und Entwicklung der feuchten Hochstauden- und Waldsäume durch Schutz vor Eutrophierung (6430), Erhaltung und Entwicklung der artenreichen Flachlandmähwiesen durch zweischürige Mahd bei geringer Düngung, Förderung und Vermehrung der mageren Flachlandwiesen sowie Vermeidung von Eutrophierung (6510), Erhaltung und Entwicklung der Weichholzauenwälder mit ihrer typischen Fauna und Flora, insbesondere durch Schaffung ausreichend großer Pufferzonen zur Vermeidung bzw. Minimierung von Nährstoffeinträgen (91E0*), Erhaltung und Entwicklung der Eichen-Ulmen-Eschen-Auenwälder insbesondere durch Schutz vor Eutrophierung und Verbesserung der Wasserqualität (91F0), Erhaltung und Entwicklung der naturnahen eutrophen Stillgewässer durch Schaffung ausreichend großer Pufferzonen zur Vermeidung bzw. Minimierung von Nährstoffeinträgen (3150). Der Erhaltungszustand wird in Bezug auf einen Lebensraum (91F0) mit A (hervorragend) und im Übrigen teils mit B (gut) und teils mit C (mittel bis schlecht) beschrieben. Letzteres gilt u. a. für den prioritären LRT 91E0*.
811Die Schutzgebiete DE-4314-302 ("Teilabschnitte Lippe - Unna, Hamm, Soest und Warendorf") und DE-4311-301 ("In den Kämpen, Im Mersche und Langerner Hufeisen") umfassen weitere Abschnitte der Lippe (1123 ha bzw. 127 ha); dazu gehören jeweils wiederum u. a. Bereiche des prioritären LRT 91E0*. Der Erhaltungszustand im Gebiet DE-4314-302 wird mit C, der Erhaltungszustand im Gebiet DE-4311-301 mit B beschrieben.
812Die Lippeauen sind - soweit es sich um im Kreis Unna gelegene Teilabschnitte handelt - durch Landschaftspläne als Naturschutzgebiete geschützt (vgl. die textlichen Festsetzungen in den Landschaftsplänen Nr. 1 - Raum Lünen, Nr. 2 - Raum Werne-Bergkamen und Nr. 3 - Raum Selm). Die Unterschutzstellung dient der Erhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Zustandes bezogen auf das Vorkommen natürlicher Lebensräume und wildlebender Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse. Soweit die hier zu untersuchenden Lippeauen-Abschnitte im Kreis Recklinghausen gelegen sind, gilt die "Ordnungsbehördliche Verordnung zur Ausweisung der 'Lippeaue‘, Kreis Recklinghausen, als Naturschutzgebiet“ vom 7. Dezember 1994, mit nachfolgenden Änderungen. Durch die Zweite Verordnung zur Änderung dieser Ordnungsbehördlichen Verordnung vom 26. Juni 2002 ist der Schutzzweck dahin konkretisiert, dass die Ausweisung als Naturschutzgebiet zur Bewahrung und Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der natürlichen Lebensräume und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse dient. Namentlich sind aufgeführt: Erlen-, Eschen- und Weichholz-Auenwälder (91E0, prioritärer Lebensraum), natürliche eutrophe Seen und Altarme (3150), Fließgewässer mit Unterwasservegetation (3260), Flüsse mit Schlammbänken und einjähriger Vegetation (3270), feuchte Hochstaudenfluren (6430), Glatthafer- und Wiesenknopf-Silgenwiesen (6510), alte bodensaure Eichenwälder auf Sandebenen (9190) und Hartholz-Auenwälder (91F0). Unter den zahlreichen im Einzelnen aufgeführten Arten von gemeinschaftlichem Interesse finden sich u. a. das Flussneunauge und der Eisvogel.
813bb) Es steht aufgrund der vorgelegten FFH-Verträglichkeitsuntersuchung des TÜV Nord vom 6. August 2012 einschließlich der im Genehmigungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren erfolgten ergänzenden Stellungnahmen und Berechnungen mit der erforderlichen Sicherheit fest, dass der Betrieb des geplanten Kraftwerks nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen dieser besonderen Schutzgebiete führt.
814Die Größe des Rechengebiets der Ausbreitungsrechnungen ist nicht zu beanstanden (1). Die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung hat alle maßgeblichen Aus- und Einwirkungen des Vorhabens betrachtet (2). Die Auswahl der Beurteilungspunkte für die Bewertung der Stickstoff- und Säureeinträge ist nach zutreffenden sachlichen Kriterien erfolgt (3). Die Heranziehung der empirischen Critical Loads des LANUV für eutrophierende Stickstoffeinträge begegnet keinen Bedenken (4). Die in dem P. -E. -Teilgutachten vom 6. August 2012 nach dem SMB-Modell berechneten Critical Loads für versauernde Stoffeinträge bedürfen dagegen der Korrektur nach unten (5). Die Vorbelastung übersteigt die Critical Loads an den meisten der hier zu untersuchenden Beurteilungspunkte, so dass im Regelfall nur bagatellhafte Zusatzbelastungen zugelassen werden dürfen (6). Die Summationsbetrachtung (7) ergibt, dass die eutrophierenden Stickstoffeinträge die Bagatellschwelle von 3 % des Critical Loads an keinem Beurteilungspunkt überschreiten. Die versauernden Stickstoff- und Schwefeleinträge liegen dagegen in dem FFH-Gebiet “Wälder bei Cappenberg“ teilweise über dieser Bagatellschwelle (8). Die Sonderfalluntersuchung der Beigeladenen hat jedoch ergeben, dass die versauernden Stoffeinträge trotz ihrer teilweise nicht mehr bagatellhaften Höhe aufgrund der morphologischen und hydrologischen Besonderheiten der Böden des FFH-Gebiets „Wälder bei Cappenberg“ nicht zu einer Beeinträchtigung der unter Schutz gestellten Lebensraumtypen führen (9). Eine nachteilige Beeinträchtigung der aquatischen Lebensraumtypen der FFH-Gebiete „Teilabschnitte Lippe - Unna, Hamm, Soest, Warendorf“, „Lippeaue“ und „In den Kämpen, Im Mersche und Langener Hufeisen“ durch eutrophierende und versauernde Stickstoff- und Schwefelverbindungen liegt nicht vor (10). Radioaktive Immissionen haben für die betrachteten FFH-Gebiete keine Relevanz (11).
815(1) Das in den Ausbreitungsrechnungen vom 6. August 2012, vom 13. November 2015 und vom 31. Mai 2016/7. Juni 2016 betrachtete Rechengebiet von 25,6 km x 20,5 km ist ausreichend groß. Die in der Umgebung des streitbefangenen Kraftwerkprojekts befindlichen o.a. FFH-Gebiete liegen vollständig innerhalb des Rechengebiets.
816(2) Die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung hat alle von dem Vorhaben ausgehenden Aus- und Einwirkungen in dem erforderlichen Umfang untersucht. Dies gilt insbesondere für die Einwirkungen der eutrophierenden und versauernden Stoffeinträge, der Schwermetalldepositionen und der Luftschadstoffe Stickstoffdioxid, Schwefeldioxid und Ammoniak auf die terrestrischen Lebensraumtypen.
817(a) Die in der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung vom 6. August 2012 zu Grunde gelegten Abschneidewerte von 0,1 kg N/(ha*a) für eutrophierende Stickstoffeinträge und von 30 eq (N+S)/(ha*a) für versauernde Stickstoff- und Schwefeleinträge sind - wie oben ausgeführt - zu hoch. Das vom Senat für sachgerecht erachtete Abschneidekriterium von 0,5 % des Critical Loads der im vorliegenden Fall stickstoffempfindlichsten Lebensraumtypen 9110 und 9190 von jeweils 13 kg N/(ha*a) ergibt für die eutrophierenden Stickstoffeinträge einen (ersten) Abschneidewert von 0,065 kg N/(ha*a) und für die versauernden Stickstoff- und Schwefeleinträge einen (ersten) Abschneidewert von 5 eq (N+S)/(ha*a). Diese Abschneidewerte sind in einem ersten Prüfungsschritt der zuletzt vorgelegten, ergänzenden Kumulationsbetrachtung des TÜV Nord vom 31. Mai 2016 bei der Festlegung des Untersuchungsraums beachtet worden.
818(b) Auch der Untersuchungsrahmen bei den Schwermetalldepositionen begegnet im Ergebnis keinen Bedenken. Wie oben ausgeführt, ist es grundsätzlich gerechtfertigt, im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung ein Abschneidekriterium anzuwenden. Zum einen bedarf es - auch bei Schwermetalldepositionen - der Bestimmung des Einwirkungsbereichs einer Anlage und damit der schutzgutbezogenen Festlegung des Untersuchungsraums. Zum andern sind bestimmte minimale Immissionsbeiträge dem Verursacher unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit rechtlich nicht mehr zuzurechnen.
819Ob die Höhe der vom LANUV vorgeschlagenen und der Untersuchung der Schwermetalldepositionen zu Grunde gelegten Abschneidekriterien in jeder Hinsicht überzeugend ist, bedarf im vorliegenden Zusammenhang keiner abschließenden Entscheidung. Jedenfalls ist die prognostizierte maximale Zusatzbelastung an Schwermetallen, die in dem FFH-Gebiet „Teilabschnitte Lippe - Unna, Hamm, Soest, Warendorf“ zu erwarten ist, so gering und damit nicht erheblich, dass eine nähere Untersuchung nicht erforderlich war.
820Diese Beurteilung folgt aus einer anhaltsweisen Gegenüberstellung der Zusatzbelastung mit den in Nr. 4.5.1 der TA Luft zum Schutz vor Umwelteinwirkungen, einschließlich schädlicher Bodenveränderungen, vorgesehenen Beurteilungswerten und Irrelevanzschwellen. Die maximale Zusatzbelastung liegt mit Anteilen von weniger als 1 % dieser Beurteilungswerte so deutlich unterhalb der in der TA Luft bestimmten 5 %-Irrelevanzschwelle, dass nachteilige Beeinträchtigungen auch unter Berücksichtigung möglicher Summationen selbst bei sehr empfindlichen Lebensraumtypen ausgeschlossen erscheinen. Die höchste Zusatzbelastung für Thallium und Quecksilber entspricht mit jeweils 0,005 µg/(m2*d) einem Anteil von 0,25 % bzw. 0,5 % des jeweiligen Immissionswerts. Die Zusatzbelastung für Blei entspricht mit einem Wert von 0,14 µg/(m2*d) 0,14 % des Immissionswerts der TA Luft, für Cadmium mit einem Wert von 0,016 µg/(m2*d) 0,8 % des Immissionswerts der TA Luft und für Nickel mit einem Wert von 0,019 µg/(m2*d) 0,13 % des Immissionswerts der TA Luft. Es bestehen auch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass durch die höchsten prognostizierten Einträge der Schwermetalle Kupfer und Kobalt, für die die TA Luft keine Immissionswerte enthält, in Höhe von 0,014 µg/(m2*d) und 0,009 µg/(m2*d) nachteilige Wirkungen für die in den FFH-Gebieten betroffenen Lebensraumtypen hervorgerufen werden könnten.
821Gegen eine solche Annahme spricht die in der Ergänzung der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung des TÜV Nord vom 28. März 2013 (S. 28 ff., 32) vorgenommene Betrachtung zu Wachstumsbeeinträchtigungen bei Pflanzen und Bodenbeeinträchtigungen durch die (maximalen) Schwermetalleinträge von Blei, Cadmium, Kupfer, Nickel, Quecksilber und Thallium in das FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“. Die mögliche Anreicherung in den Pflanzen über einen Zeitraum von 40 Jahren liegt danach unter Berücksichtigung des maximalen Transferkoeffizienten erheblich unterhalb des in Pflanzen niedrigsten normalen Schwermetallgehalts. Bei Blei beträgt der Anteil 0,2 %, bei Cadmium 5 %, bei Kupfer 0,03 %, bei Nickel 1 %, bei Quecksilber 0,01 % und bei Thallium 0,18 %.
822Die über einen Zeitraum von 40 Jahren zu erwartende Anreicherung an Schwermetallen im Boden ist auch bei einem (anhaltsweisen) Vergleich mit den niedrigsten Vorsorgewerten in Anhang 2 Nr. 4 (Bodenart Sand) der BBodSchV als allenfalls geringfügig zu bezeichnen. Die Anreicherung an Blei erreicht mit 0,0041 mg/kg einen Anteil von 0,01 % (40 mg/kg), bei Cadmium mit 0,0005 mg/kg von 0,14 % (0.4 mg/kg), bei Kupfer mit 0,0005 mg/kg von 0,0025 % (20 mg/kg), bei Nickel mit 0,0006 mg/kg von 0,004 % (15 mg/kg) und bei Quecksilber mit 0,0002 mg/kg von 0,2 % (0,2 mg/kg).
823Dass die aufgrund der Messungen von April 2012 bis April 2013 ermittelte Vorbelastung an Quecksilber den vom Umweltbundesamt bestimmten Critical Load übersteigt und die prognostizierte Zusatzbelastung über einer darauf bezogenen 3 %-Bagatellschwelle liegt, rechtfertigt entgegen der Annahme des Klägers keine andere Beurteilung. Die Critical Loads des Umweltbundesamtes für Schwermetalle sind - nach ausdrücklicher Aussage des Umweltbundesamtes - auf Genehmigungsverfahren nicht anwendbar.
824(c) Für die Konzentration der Luftschadstoffe Stickstoffdioxid (NO2), Schwefeldioxid (SO2) und Ammoniak (NH3) in der Luft sind wirkungsbezogene Abschneidewerte in Höhe von 0,2 µg/m³, 0,3 µg/m³ und 0,08 µg/m³ festgesetzt worden. Diese Werte orientieren sich an den für die Beurteilung der Auswirkungen maßgeblichen Bewertungsmaßstäben der Critical Levels nach UNECE 2004 und WHO 2000. Diese Critical Levels bestimmen die Konzentration für die kumulative Belastung oder den kumulativen Spaltöffnungsdurchfluss von Schadstoffen in der Atmosphäre, oberhalb derer direkte Schadeffekte an sensitiver Vegetation nach derzeitigem Wissen auftreten können.
825Vgl. BASt-Bericht, S. 17 und 208 ff., unter Hinweis auf das ICP Modelling & Mapping Manual 2004, www.icpmapping.org.
826Dieser Ansatz der FFH-Verträglichkeitsprüfung begegnet keinen Bedenken. Die Abschneidewerte entsprechen jeweils einem Anteil von 1 % der Critical Levels. Eines strengeren Abschneidekriteriums bedarf es bei der Bewertung der Konzentration versauernder und eutrophierender Schadstoffe in der Luft in der Regel nicht. Für die Beurteilung der schädigenden Wirkung dieser Schadstoffe auf die ‑ hier allein betroffenen - höheren Pflanzen sichern die Critical Loads einen angemessen strengen Maßstab, der regelmäßig unterhalb der mit den Critical Levels definierten Wirkungsschwelle liegt. Die meisten höheren Pflanzen nehmen ‑ anders als die empfindlicheren Moose und Flechten - z. B. Stickstoff überwiegend aus dem Boden über die Wurzeln und nur in geringem Umfang aus der Luft über die Blätter auf.
827Vgl. - auch zum Folgenden -: BASt-Bericht, S. 50 f. und 210 f.
828Die Critical Levels spielen zudem für die höheren Pflanzen auch deshalb eine nur untergeordnete Rolle, weil sie mangels aussagekräftiger Untersuchungen insbesondere zu den hier besonders bedeutsamen chronischen Langzeiteffekten - anders als die Critical Loads - nicht zwischen den konkreten Vegetationstypen differenzieren.
829Die vorhabenbedingten Emissionen unterschreiten die Abschneidewerte in allen FFH-Gebieten. Dies gilt auch bei Anwendung des für die Konzentration von Ammoniak in der Luft im ICP Modelling & Mapping Manual seit Juli 2011 vorgeschlagenen niedrigeren Critical Levels von 3 µg/m³.
830Vgl. BASt-Bericht, S. 209 Tabelle 52; ICP Modelling & Mapping Manual, Update Juni 2015 Kapitel 3, S. 8 und 9.
831In diesem Fall ergibt sich ein Abschneidewert von 0,03 µg/m³. Die bezogen auf alle FFH-Gebiete höchste maximale Zusatzbelastung von 0,009 µg/m³ liegt deutlich unterhalb dieses Werts. Das Critical Level für Flechten und Moose in Höhe von 1 µg/m³ ist nicht anwendbar, weil diese Pflanzen nicht charakteristisch für die hier betroffenen Lebensraumtypen sind.
832Vgl. BASt-Bericht, S. 210.
833(3) Die insgesamt 35 Beurteilungspunkte für die eutrophierenden und versauernden Stoffeinträge wurden so gewählt, dass für jeden prüfungsrelevanten Lebensraumtyp zumindest ein Beurteilungspunkt vorliegt. Es wurden die Punkte ausgewählt, an denen die höchste projektbedingte Zusatzbelastung eingetragen wird. Diese Auswahl entspricht den vom Senat im vorangegangenen gerichtlichen Verfahren gebilligten Kriterien und den fachlichen Vorgaben des LANUV. Das LANUV hat unter dem 18. Juli 2012 bestätigt, dass seine Empfehlungen auch insoweit aufgegriffen und umgesetzt worden seien. Der Einwand des Klägers, dass es sich um nicht repräsentative und vergleichsweise gut erhaltene Flächen handele, in deren näherem Umfeld bereits erhebliche Vegetationsschäden wie das Vorkommen von Eutrophierungszeigern zu verzeichnen seien, stellt die Auswahl der Beurteilungspunkte nicht durchgreifend in Frage. Die Orientierung an der höchsten Zusatzbelastung ist insbesondere dann sachgerecht, wenn - wie hier - zunächst auf Bagatellschwellen abgestellt wird. Auf den konkreten Pflanzenbestand an den jeweiligen Beurteilungspunkten kommt es, soweit die reale Vegetation in die Ermittlung der Belastungsgrenze oder ggf. eine Einzelfallbetrachtung einzubeziehen ist, nicht entscheidend an, weil jeweils von der Vegetationserhebung in der - einem bestimmten Lebensraumtyp zuzuordnenden - Gesamtfläche auszugehen ist. Vor diesem Hintergrund bedurfte es auch keiner Ausweisung von weiteren Beurteilungspunkten in dem in einem geringeren Ausmaß von Luftschadstoffen betroffenen nordöstlichen Teil des FFH-Gebiets „Wälder bei Cappenberg“. Es bestehen im Übrigen auch keine Anhaltspunkte, dass die in der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung einer eingehenden Untersuchung unterzogenen Beurteilungspunkte C1 bis C11 den Zustand der Böden nicht repräsentativ widerspiegeln würden. Gegen eine solche Annahme spricht, dass die Ergebnisse der von dem Gutachter des Klägers, Dr.-Ing. H. , im Jahr 2012 im nordöstlichen Teil des FFH-Gebiets „Wälder bei Cappenberg“ erhobenen Bodenproben an neun Bodenprofilen jedenfalls nicht in signifikanter Weise von den Untersuchungsergebnissen an diesen Beurteilungspunkten abweichen.
834(4) Die Verwendung der empirischen Critical Loads des LANUV für eutrophierende Stickstoffeinträge wird vom Kläger nicht angegriffen und ist auch sonst nicht zu beanstanden. Der BASt-Bericht hält die Heranziehung empirischer Critical Loads weiterhin für sachgerecht, wenn ein Rückgriff auf modellierte Critical Loads nicht möglich oder - wie hier - nicht gewollt ist. Das LANUV hatte unter Hinweis auf den Unterschied zwischen dem modellierten Critical Load und dem Critical Load der sog. Berner Liste für den Vegetationstyp „Glatthaferwiesen“ die Verwendung seiner eigenen empirischen Critical Loads ausdrücklich gefordert. Dieser Forderung ist die Beigeladene nachgekommen. Die Critical Loads des LANUV für eutrophierende Stoffeinträge stellen sich für die Beurteilungspunkte, die oberhalb des Abschneidekriteriums beaufschlagt werden, wie folgt dar (alle Werte sind in kg N (ha*a) angegeben):
835BP |
LRT |
CL |
3 %-Bagatell-schwelle |
1 |
9190 |
(**) |
|
2 |
91F0 |
(**) |
|
3 |
91E0 |
(**) |
|
4 |
91F0 |
(**) |
|
6 |
91E0 |
(**) |
|
7 |
9190 |
(**) |
|
7b |
9110 |
(**) |
|
9 |
6510 |
(**) |
|
11 |
9160 |
(**) |
|
12 |
91F0 |
(**) |
|
13 |
6430 |
n.e |
|
14 |
6430 |
n.e |
|
18 |
91E0 |
23-25 |
0,69 - 0,75 |
18b |
91E0 |
23-25 |
0,69 - 0,75 |
18c |
91E0 |
23-25 |
0,69 - 0,75 |
19 |
91E0 |
23-25 |
0,69 - 0,75 |
20 |
6430 |
n.e. |
|
22 |
3150 |
n.e. |
|
23 |
6510 |
24-30 |
0,72 - 0,9 |
24 |
91F0 |
20-22 |
0,6 - 0,66 |
26 |
9110 |
13-16 |
0,39 - 0,48 |
27 |
9110 |
13-16 |
0,39 - 0,48 |
28 |
9110 |
13-16 |
0,39 - 0,48 |
29 |
91E0 |
23-25 |
0,69 - 0,75 |
30 |
9110 |
(**) |
|
31 |
9160 |
15 - 20 |
0,45 - 0,6 |
C1 |
9160 |
15 - 20 |
0,45 - 0,6 |
C2 |
9130 |
15 - 20 |
0,45 - 0,6 |
C3 |
9130 |
15 - 20 |
0,45 - 0,6 |
C4 |
9130 |
15 - 20 |
0,45 - 0,6 |
C5 |
9110 |
13 - 16 |
0,39 - 0,48 |
C6 |
9110 |
13 - 16 |
0,39 - 0,48 |
C7 |
9110 |
13 - 16 |
0,39 - 0,48 |
C8 |
91E0 |
23 - 25 |
0,69 - 0,75 |
C9 |
9160 |
15 - 20 |
0,45 - 0,6 |
C10 |
9160 |
(**) |
|
C11 |
9110 |
(**) |
(**) Die eutrophierenden Einträge des Kraftwerks Lünen liegen unterhalb des hier niedrigsten Abschneidewerts von 0,065 kg N(ha*a); n.e. bedeutet: nicht empfindlich
837(5) Die Modellierung der Critical Loads für versauernde Stickstoff- und Schwefeleinträge nach dem SMB-Modell in dem Teilgutachten von P. -E. vom 6. August 2012 weist dagegen Fehler bei der Ermittlung und Verwendung der Eingabeparameter auf. Die Critical Loads sind daher nur in korrigierter Form verwertbar.
838Die vom Senat bestellten Sachverständigen V. - der wie die Gutachterin Dr. T2. von P. -E. Mitautor des BASt-Berichts ist - und K. bestätigen in ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 15. Juni 2016, dass die Modellierung der Critical Loads mit dem SMB-Modell grundsätzlich dem besten derzeit verfügbaren wissenschaftlichen Standard entspricht. Dies gelte sowohl bezogen auf den Zeitpunkt der Erstellung des Teilgutachtens als auch bezogen auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung. Das Teilgutachten habe die für die Berechnung erforderlichen Parameter - nämlich die vegetationsspezifischen Eingangswerte „Basensättigung“ und „C/N-Verhältnis“ - wie von der Modellvorgabe gefordert und beanstandungsfrei nach dem BERN-Modell ermittelt. Die weiteren Parameter „kritischer pH-Wert zur Erhaltung der Bodenfunktion“, „kritisches Verhältnis von basischen Kationen zu Aluminium-Ionen“ (Bc/AL-Verhältnis), „Stickstoff-Immobilisierungsrate“ (Niacc), „Stickstoff-Denitrifikationsrate“ (Nde), „Austrag basischer Kationen mit der Nutzung“ (Bcupt), „Verwitterungsrate basischer Kationen“ (BCw, Bcw), „kritische Austragsrate der Säureneutralisierungskapazität“ (ANCle(crit)) und „Deposition basischer Kationen“ (BCdep = Ca + Mg + K + Na) und „Deposition von Chlorid“ (Cldep) - seien sämtlich berücksichtigt worden. Die Modellierung habe nach Vorlage ergänzender Berechnungsunterlagen durch die Gutachterin Dr. T2. auch auf ihre Plausibilität hin untersucht werden können.
839(a) Die bei dem Term „Austrag basischer Kationen mit der Nutzung“ eingestellten Werte hätten zwar nur im Ansatz nachvollzogen werden können, sie seien aber mit Blick auf die Konvention des BASt-Vorhabens, eine biotopverträgliche Mindestnutzung anzusetzen, sehr konservativ und deshalb aus fachlicher Sicht nicht zu beanstanden.
840Die Annahme der Gutachterin Dr. T2. in dem Teilgutachten vom 6. August 2012, dass in den Wald-Lebensraumtypen nur eine schwache Durchforstung im Rahmen einer extensiven Bestandspflege durchgeführt werde, entspricht im Übrigen auch den Feststellungen von c. vom 29. Juni 2012. Das Gebiet wird danach forstwirtschaftlich nur in geringem Maße genutzt. Der Vorwurf des Klägers, es sei nicht klar, welcher „status quo“ der Waldbewirtschaftung in die Modellierung eingegangen sei, trifft daher nicht zu.
841(b) Die Sachverständigen V. und K. sind in ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 15. Juni 2016 ferner zu der Einschätzung gelangt, dass die abweichend von der SMB-Modellvorgabe nach dem DECOMP-Modell bestimmten Werte der Stickstoff-Immobilisierungsrate mit einer Spanne von 1,66 bis 4,17 kg N/(ha*a) unterhalb der Werte lägen, die sich bei einer Berechnung nach der SMB-Methode ergeben hätten. Sie seien daher trotz der methodischen Abweichung ebenso plausibel wie die zutreffend mit dem BERN-Modell ermitteltenCritical Limits des C/N-Verhältnisses mit Werten von 18 bis 22. Die Werte des Terms „kritische Austragsrate der Säureneutralisierungskapazität“ seien nach der im BASt-Vorhaben empfohlenen Vorgehensweise ermittelt worden und hätten mit den ergänzend von der Gutachterin Dr. T2. zur Verfügung gestellten Unterlagen auch validiert werden können. Die - ebenfalls abweichend nach dem DECOMP-Modell ermittelten - Stickstoff-Denitrifikationsfaktoren von etwa 0,5 bis 0,65 seien insbesondere für die Bestände der „Wälder bei Cappenberg“ der Höhe nach völlig plausibel. Dasselbe gelte für die hohe Denitrifikationsrate der Auwald-Lebensraumtypen.
842(c) Die Vorgehensweise der Gutachterin Dr. T2. sei auch in Bezug auf die besonders sensiblen abiotischen Standortfaktoren Niederschlagsmenge im Jahr und Jahresmitteltemperatur plausibel. Ein Korrekturbedarf sei hier nicht gegeben. Die Jahressumme der Niederschläge und die Jahresdurchschnittstemperatur seien, wie in dem BASt-Vorhaben gefordert, den 1 km x 1 km Rasterdatensätzen der Klimadatenreihe des Deutschen Wetterdienstes für die Periode 1981 bis 2010 entnommen worden. Die Gutachterin habe in ihrer Stellungnahme vom 24. Mai 2016 klargestellt, dass sie nicht - wie in dem Teilgutachten vom 6. August 2012 angegeben - mit einer zu niedrigen Jahresniederschlagssumme von 700 mm/a, sondern mit 820 mm/a gerechnet habe. Dieser Wert weiche nicht wesentlich von den Werten des Deutschen Wetterdienstes an den Beurteilungspunkten mit Spannen von 823 bis 895 mm ab. Dies gelte auch für die gegenüber den Werten des Deutschen Wetterdienstes (10,0°C - 10,5°C) etwas zu niedrig angesetzte Jahresdurchschnittstemperatur zwischen 9,5°C und 10°C.
843Die weiteren Faktoren Bodentyp, Substratschichtung, Muttergestein und Hydromorphietyp stammen aus den im Genehmigungsverfahren von der Beigeladenen in Auftrag gegebenen und angefertigten Bodenkarten im Maßstab 1:50.000 (Bk 50) und 1:5.000 (Bk 5) sowie der bodenkundlichen Aufnahme des FFH-Gebiets „Wälder bei Cappenberg“ von Erlach/Schwender vom 29. Juni 2012. Die Sachverständigen haben die Heranziehung dieser Unterlagen nicht beanstandet. Soweit die Sachverständigen dagegen bemängeln, dass die Angaben in Tabelle 29 des Teilgutachtens zum aktuellen bodenchemischen Zustand der Böden an den Beurteilungspunkten C1 bis C 11 nicht mit den entsprechenden Analysewerten der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt in Einklang stünden, wirkt sich dieser Fehler nicht auf die Modellierung der Critical Loads aus, sondern wird erst bei einem Abgleich der modellierten Critical Loads mit den Critical Loads aus Anhang I des BASt-Berichts relevant. Die Oberböden seien bei Zugrundelegung der bodenchemischen Analysewerte der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt mit Ausnahme der basenreichen Standorte C 1 und C 8 jeweils abweichend von der in Tabelle 21 des Teilgutachtens vom 6. August 2012 vorgenommenen Einstufung als „basenarm“ einzustufen. Die Liste des Anhangs I des BASt-Berichts biete für solche basenarme Ausprägungen der betroffenen Lebensraumtypen 9110, 9130 und 9160 keine einem Vergleich zugänglichen Referenz-Ausprägungen an.
844(d) Die auf der Grundlage der abiotischen Standortfaktoren erfolgte Zuordnung der an den Beurteilungspunkten aufgefundenen Lebensraumtypen zu den Indikatorgesellschaften mit einem günstigen Referenz-Zielerhaltungszustand wird von den Sachverständigen ebenfalls nicht bemängelt. Die dem BERN-Modell entnommenen Quellen für die Indikatorgesellschaften sind in Tabelle 26 des Teilgutachtens aufgelistet. Das angeführte Datenmaterial stammt aus den Jahren 1916 bis 1972, die Indikatorgesellschaften für die in dem FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ gelegenen Beurteilungspunkte TKL 26 bis TKL 31 sowie C1 bis C11 entstammen Untersuchungen aus den Jahren 1936 (2 Beurteilungspunkte), 1942 (1 Beurteilungspunkt), 1957 (4 Beurteilungspunkte), 1959 (2 Beurteilungspunkte) und 1960 (8 Beurteilungspunkte). Die ursprüngliche Forderung des Klägers nach Referenzuntersuchungen von vor den 1970er Jahren ist damit erfüllt. Die zuletzt erhobene Forderung des Klägers nach Referenzuntersuchungen von vor den 1920er Jahren ist zu weitgehend. Untersuchungsergebnissen kommt aufgrund der Unterschiede in der Erhebungsmethodik eine umso geringere Aussagekraft zu, je älter sie sind.
845Die mit dem SMB-Modell ermittelten Belastbarkeitsschwellen sichern entgegen der Annahme des Klägers nicht nur die bloße Möglichkeit der Existenz der jeweiligen Pflanzengesellschaft. Sie sichern modellbedingt die 100 %-Existenzmöglichkeit der Indikatorpflanzengesellschaft und damit die uneingeschränkte Möglichkeit ihrer Existenz, d. h. einen Zustand der maximal möglichen vollen Funktionstüchtigkeit und Selbstregenerationskraft.
846(e) Korrekturbedarf besteht allerdings bei dem Ansatz der - der Versauerung grundsätzlich entgegenwirkenden und die Critical Loads erhöhenden - Deposition basischer Kationen und der - als basenneutralisierend hiervon abzuziehenden, die Critical Loads senkenden - Deposition von Chlorid. Die Sachverständigen V. und K. haben aufgezeigt, dass die (nur) beim Abzug von Chlorid erfolgte Seesalzkorrektur der Konvention des BASt-Vorhabens widerspreche. Dieses habe für die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung den im Vergleich zu den anthropogen verursachten Anteilen überwiegenden Seesalzanteil der basischen Kationen und von Chlorid als natürliche Komponenten in den Vordergrund stellen wollen. Deshalb sollten die basischen Kationen und Chlorid abweichend von der Konvention der Luftreinhalteplanung -
847ICP Modelling & Mapping Manual, Kapitel V, S. 16 und Kapitel II, S. 10 f., www.icpmapping.org -
848ohne Seesalzkorrektur in die Berechnung eingestellt werden. Im Zusammenhang mit der vorliegenden Überprüfung des Teilgutachtens von P. -E. nach entsprechenden Hinweisen des Klägers habe sich jedoch herausgestellt, dass dieser Ansatz des BASt-Vorhabens in der Praxis nicht ohne Weiteres umgesetzt werden könne. Die Hintergrundbelastung der basischen Kationen und von Chlorid lasse sich den vom Umweltbundesamt erhobenen und veröffentlichten Daten (hier Stand 2012, Bezugsjahr 2007) entnehmen. Die Datensätze des Umweltbundesamtes enthielten nicht die für den BASt-Ansatz erforderlichen Werte der ‑ tendenziell die Werte der Trockendeposition von Natrium übersteigenden - Trockendeposition von Chlorid. Deren Kenntnis sei im Rahmen des auch vom Umweltbundesamt vertretenen Ansatzes der Luftreinhalteplanung nicht erforderlich, weil dort seesalzkorrigierte Werte verwendet würden und die Trockendeposition von Chlorid im Wesentlichen meeresbürtig sei. Dass diese Information in den Datensätzen fehle, sei den Teilnehmern des BASt-Vorhabens nicht bewusst gewesen. Bei dieser Sachlage hielten sie es - wie der Kläger - für angezeigt, von der Konvention des BASt-Vorhabens abzuweichen und in der Berechnung der Critical Loads für die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung ausschließlich seesalzkorrigierte Werte zu verwenden; dies sei zweckmäßiger, als die Trockendeposition von Chlorid anhand des Umrechnungsfaktors 1,166 -
849ICP Modelling & Mapping Manual, Kapitel II, S. 11 Table 2.1, www.icpmapping.org -
850aus dem entsprechenden Natriumwert abzuleiten. Stelle man nach alledem sowohl die basischen Kationen als auch Chlorid seesalzkorrigiert in die Berechnung der Critical Loads ein, ergäben sich bei gleichzeitiger Außerachtlassung der Natriumdeposition an den in der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung betrachteten Beurteilungspunkten Abzüge in einer Größenordnung zwischen 400 und 1115 eq.
851Die Gutachterin Dr. T2. hat nicht in Zweifel gezogen, dass der Ansatz des BASt-Vorhabens, auf eine Seesalzkorrektur zu verzichten, aufgrund der unzureichenden Datenbasis nicht realisierbar ist. Die von der Gutachterin Dr. T2. in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 dagegen geäußerten Zweifel an der alternativen Vorgehensweise der Sachverständigen dringen nicht durch. Dies gilt insbesondere, soweit sie in Frage gestellt hat, ob die Natriumdeposition in der Berechnung vollständig außer Acht gelassen werde durfte. Ihre Annahme, der aus der Sahara, dem Tagebau oder anderen anthropogenen Quellen stammende Natriumanteil sei in einer Höhe von bis zu 500 eq zu berücksichtigten, ist nicht überzeugend. Der Sachverständige V. hat für den Senat nachvollziehbar in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 erklärt, dass der Meereinfluss bei der Natriumdeposition nach dem ihm bekannten Kartenmaterial des Umweltbundesamts überwiegt und nicht in nennenswertem Umfang von solchen anthropogenen oder anderen Einträgen überlagert wird. Dies belegten insbesondere die Werte im Ruhrgebiet, das eine Vielzahl anthropogener Quellen aufweise. Auch dort gingen die Werte der Nass- und der Trockendeposition mit der Entfernung vom Meer nach unten. Andere Erkenntnisse seien ihm nicht bekannt. Auch die Fachliteratur gehe davon aus, dass die anthropogenen Einträge von Natrium wegen ihrer Geringfügigkeit vernachlässigt werden könnten. Der Kläger weist insoweit zu Recht ergänzend darauf hin, dass das ICP Modelling & Mapping Manual 2004/2015 ebenfalls davon ausgehe, dass die Natriumdeposition im westlichen und nördlichen Europa regelmäßig ausschließlich aus dem Meer stamme und es diese daher als sog. „tracer“ in der Critical Load-Berechnung auf „Null“ setze.
852Vgl. ICP Modelling & Mapping Manual, Kapitel V, S. 11, www.icpmapping.org.
853Auch der BASt-Bericht geht - mit der Gutachterin Dr. T2. als Mitautorin - davon aus, dass in Deutschland Einträge aus Sahara-Sandstäuben keine Rolle spielen. Hier seien es die Einträge aus Seesalz-Spray, insbesondere aus der Nordsee, die als natürliche Quellen signifikante Auswirkungen auf den Säure-Basen-Status der Ökosysteme hätten. Der Seesalzeintrag korreliere eng mit der Entfernung zur Nordsee.
854Mit diesen Erkenntnissen lässt sich die - bei einer Gesamthintergrunddeposition im Jahr 2007 von Natrium in Höhe von 428 eq am Beurteilungspunkt 9 und bis zu 864 eq an den Beurteilungspunkten C1 bis C 4 implizite - Annahme der Gutachterin nicht in Einklang bringen, gerade in den betroffenen FFH-Gebieten überwiege dagegen ganz deutlich der anthropogen verursachte Natriumanteil.
855(f) Weiterer Korrekturbedarf besteht nach Ansicht der Sachverständigen V. und K. beim Eingangsparameter „Verwitterungsrate basischer Kationen“. Die Verwitterungsrate werde tiefenstufengewichtet anhand der jeweiligen Muttergesteins- und Texturklasse berechnet. Die Oh-Auflage (organische Humusauflage), die in dem Teilgutachten insoweit mit jeweils 50 eq berücksichtigt worden sei, sei einer solchen Klassifizierung nicht zugänglich. Nach gängiger Lehrmeinung finde in der Oh-Auflage zwar eine biologische Immobilisierung von basisch wirkenden Kationen und von Stickstoffverbindungen statt, die bei der Freisetzung als Säure wirkten; soweit die dort gebildeten Stoffe wieder in den Stoffkreislauf zurückkehrten, fänden Mineralisierungsvorgänge statt, die jedoch nicht - wie geschehen - bei der Basenverwitterung, sondern bei der Nettoimmobilisierung zu berücksichtigen seien. Die Ausführungen der Sachverständigen sind nachvollziehbar. Sie stehen insbesondere auch in Einklang mit den Vorgaben des BASt-Vorhabens. Danach sind organische Ausgangssubstrate der Substratklasse 0 und als solche ungeachtet ihrer Texturklasse der Verwitterungsklasse 0 zugeordnet. Der Verwitterungsklasse 0 entspricht eine Verwitterungsrate von 0 eq (ha*a).
856Vgl. BASt-Bericht, S. 172 ff., Tabellen 32, 34 und 35.
857Dem entsprechen die Ausführungen der Gutachterin Dr. T2. auf den Seiten 45 ff. (3.5.3.5) und Tabellen 16, 18 und 19 des Teilgutachtens vom 6. August 2012, wo sie ihre Vorgehensweise bei der Ermittlung der Verwitterungsrate beschreibt. Ihr Hinweis in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016, das ICP Modelling & Mapping Manual sehe für die Humusauflage eine Verwitterungsklasse vor, stellt dies nicht in Frage.
858Die Sachverständigen haben zwar sowohl in ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 15. Juni 2016 als auch in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 betont, dass die Vorgehensweise der Gutachterin Dr. T2. bei der Ermittlung dieses Parameters ansonsten an etlichen Stellen - etwa bei den vertretbar zugrundegelegten Boden- und Durchwurzelungstiefen - konservativ gewesen sei. Auch die Abweichungen, die sich bei der Zuordnung der einzelnen Bodenhorizonte bzw. -schichten zu der Texturklasse aufgrund der im Gutachten durchgeführten Fuzzyfizierung ergäben, erforderten keine weitere Korrektur. An dem Abzug der Verwitterungsrate für die Oh-Auflage in Höhe von 50 eq werde aber auch deshalb festgehalten, weil die eigenen Nachberechnungen die Behauptung der Gutachterin nicht bestätigt hätten, sie habe auch deshalb konservativ gerechnet, weil sie Korrekturfaktoren berücksichtigt habe, um die Ergebnisse nach dem Modell PROFILE zu erreichen.
859(g) Es bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass das SMB-Modell deshalb nicht zu angemessenen Ergebnissen führt, weil insbesondere die Böden in dem FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ bereits irreversibel geschädigt wären. Davon gehen auch die Sachverständigen V. und K. nicht aus. Der BASt-Bericht geht von einer irreversiblen Schädigung dann aus, wenn stark gestörte Pflanzengesellschaften mit deutlich unvollständigem Arteninventar vorliegen, wobei eine Artenausstattung in dem Erhaltungszustand C (mittel bis schlecht) einen Anhaltspunkt für eine solche Sachlage liefern kann. Eine irreversible Schädigung ist ferner bei endversauerten Standortverhältnissen gegeben, d. h. bei pH(H2O)-Werten kleiner als 3,2. Dieser pH(H2O)-Wert markiert den niedrigsten akzeptablen pH(H2O)-Wert des Aluminium-Eisen-Puffers,
860vgl. BASt-Bericht, S. 162, Tabelle 26 (Pufferbereiche nach Ulrich, Stabilität, Elastizität und Resilienz von Waldökosystemen unter dem Einfluss saurer Deposition, Forstarchiv 58 (1987), 232),
861vor dem Übergang in den Eisen-Puffer, der durch einen extremen Nährstoffmangel sowie eine Eisen-und Aluminiumtoxizität geprägt ist.
862Vorliegend fehlt es an solchen Anhaltspunkten für eine irreversible Schädigung der Böden in den „Wäldern bei Cappenberg“. Die Lebensraumtypen befinden sich nach der Bewertung durch c. im Jahr 2012 überwiegend in einem guten Erhaltungszustand (B).
863Der Vegetationszustand der Lebensraumtypen wurde dem Biotopkataster des Landes Nordrhein-Westfalen, der Neukartierung von weluga aus dem Jahr 2010 und den von c. in den „Wäldern bei Cappenberg“ erhobenen Vegetationsaufnahmen entnommen. Die Kritik des Klägers an dem Kartenmaterial und den vegetationskundlichen Erhebungen greift nicht durch. Das LANUV und der Geologische Dienst haben unter dem 8. Februar 2012 detaillierte Vorgaben zu Umfang und Methodik der Vor-Ort-Datenerhebungen gemacht. Das LANUV hat nach Prüfung der vorgelegten Unterlagen unter dem 7. Dezember 2012 bestätigt, dass die einzelnen Untersuchungen diesen Vorgaben entsprechen. Die Forderung des Klägers nach weiteren umfangreichen Vegetationsaufnahmen und Bodenuntersuchungen oder -analysen ist vor diesem Hintergrund unbegründet. Seine Kritik an den Vegetationsaufnahmen von c. stellt deren Aussagekraft nicht in Frage. Nach den textlichen Ausführungen der Aktualisierung der LRT-Kartierung im FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ von c. vom 29. Juni 2012 ist die Erfassung und Bewertung der FFH-Lebensraumtypen in enger Abstimmung mit dem LANUV erfolgt. Es hätten verschiedene gemeinsame Exkursionen stattgefunden, auf denen die Bewertung und Einstufung der verschiedenen Lebensraumtypen im Gelände diskutiert und abgestimmt worden seien. Vor diesem Hintergrund spricht nichts für die Annahme, dass die ausgewählten Flächen nur einen „geschönten“ Teil der Situation repräsentieren und die Standards für Vegetationserhebungen nicht eingehalten worden wären. Auch die Bewertung der Lebensraumtypen überwiegend mit einem Erhaltungszustand B (gut) ist nachvollziehbar. Dies gilt trotz des von c. festgestellten stellenweise starken Auftretens von Eutrophierungszeigern. Die Bewertung der einzelnen LRT-Flächen erfolgte nach den Bewertungsbögen der Kartieranleitung der ehemaligen Landesanstalt für Ökologie, Bodenordnung und Forsten NRW (LÖBF (2004). Insgesamt wurden 101 Flächen einer Betrachtung und Bewertung unterzogen. In die zusammenfassende Gesamtbewertung der einzelnen Flächen sind die Einzelbewertungen zu unterschiedlichen Kriterien eingeflossen. Die Beeinträchtigung des jeweiligen Lebensraumtyps durch Eutrophierungs- und sonstige Störzeiger, durch Befahrung und durch das Wasserregime ist nur eines dieser Kriterien. Daneben wurden die im Einzelnen aufgeführten lebensraumtypischen Gehölze auf ihre Wuchsklassenverteilung, auf den Anteil der Altbäume und das Vorkommen von Totholz hin betrachtet und entsprechend der Ausprägung klassifiziert. Die Flächen wurden weiter auf das anteilmäßige Vorhandensein der lebensraumtypischen Arten in der Hauptschicht und weiteren Schichten hin untersucht und ebenfalls entsprechend klassifiziert. Einer Bewertung der für die betroffenen Lebensraumtypen nicht charakteristischen Moos- und Flechtenarten bedurfte es nicht.
864Für die Frage, ob die Böden in den „Wäldern bei Cappenberg“ im Zustand der Endversauerung sind, ist nach den Vorgaben des BASt-Berichts in erster Linie auf den pH-Wert der Böden abzustellen. Um den notwendigen Vergleich zwischen den gemessenen pH-Werten und den kritischen Spannengrenzen für die Pufferbereiche der Böden nach Ulrich 1987,
865vgl. BASt-Bericht, S. 162 Tabelle 26 (Pufferbereiche nach Ulrich, Stabilität, Elastizität und Resilienz von Waldökosystemen unter dem Einfluss saurer Deposition, Forstarchiv 58 (1987), 232),
866- dem sogenannten pHcrit - zu ermöglichen, bietet es sich an, insoweit auf den hier verwendeten pH(H2O)crit-Wert abzustellen. Eine irreversible Endversauerung ist danach nicht zu erkennen. Insoweit kann dahinstehen, ob die von dem Kläger geforderte horizontweise Betrachtung der pH-Werte zielführend ist, obwohl der pH(H2O)crit-Wert nach Ulrich ein über den gesamten Wurzelbereich tiefenstufengewichteter Mittelwert ist, und ob dieser Mittelwert in dem Teilgutachten von P. -E. zutreffend gebildet wurde. Die Aussage, dass die pH(H2O)-Mittelwerte die untere Grenze des Aluminium-Eisen-Pufferbereichs nicht unterschreiten, d. h. nicht unterhalb des Werts 3,2 liegen, trifft auch bei der vom Kläger geforderten horizontweisen Betrachtung der für die Beurteilungspunkte C 1 bis C 11 erhobenen pH-Werte zu. Etwas anderes gilt auch nicht für die Profilpunkte, die von dem Gutachter des Klägers, Dr.-Ing. H. , untersucht wurden. Auch hier liegt kein pH(H2O)-Wert unterhalb des niedrigsten akzeptablen Werts des Austauscherbereichs Mangan-Oxide. Selbst die tendenziell niedrigeren pH(KCl)-Werte und pH(CACl2)-Werte liegen - mit Ausnahme des pH(KCl)-Werts der obersten Mineralbodenschicht am Profilpunkt 6 mit einem pH-Wert von 3,14 - oberhalb des Werts 3,2 und damit jedenfalls innerhalb des Aluminiumpuffers.
867(h) Die Annahme des Teilgutachtens von P. -E. , dass die in den „Wäldern bei Cappenberg“ durchgeführten Kalkungen diese Werte nicht mehr beeinflussen, erscheint auch den Sachverständigen V. und K. wegen des Zeitablaufs seit der letzten Kalkung im Jahr 1993 plausibel. Dass die Böden der „Wälder bei Cappenberg“ insgesamt schon irreversibel geschädigt wären, behauptet schließlich auch der Kläger nicht. Er geht im Ergebnis davon aus, dass die Böden sich im Zustand einer laufenden Degradation befinden.
868(i) Dem von dem Kläger geforderten Vergleich mit den im Rahmen des sog. PINETI-Vorhabens des Umweltbundesamtes berechneten Critical Loads für versauernde Einträge kommt keine Aussagekraft zu. Das Umweltbundeamt rät in den Erläuterungen zu den Hintergrundbelastungsdaten - Ergebnisse und Daten des PINETI-Projekts -, Stand 3. November 2015, davon ab, die Critical Loads aus dem PINETI-Projekt bei lokalen Bewertungen auf der Ebene der Bundesländer anzuwenden. Der für die Critical-Loads-Berechnung erhobene Datensatz sei aufgrund der geringen räumlichen Auflösung hierfür nicht geeignet. Für die nationale Karte seien die Eingangsdaten aus nationalen Kartenwerken (für den für die Berechnung maßgeblichen Bodentyp etwa aus der Bodenübersichtskarte mit einem Maßstab 1:1.000.000) abgeleitet worden.
869(j) Nach alledem ergeben sich an den Beurteilungspunkten folgende korrigierte Critical Loads (alle Werte sind in eq (N+S)/ha*a) angegeben):
870BP |
LRT |
∑BCdep |
Bc (seesalzkorr.) |
Cldep(nass) |
Abzug vom CL (P. -E. ) |
CL (P. -E. ) |
neuer CL bei zusätzlichem Abzug von 50 eq |
1 |
9190 |
1.312 |
350 |
65 |
1.027 |
(**) |
|
2 |
91F0 |
1.299 |
350 |
65 |
1.014 |
(**) |
|
3 |
91E0 |
1.272 |
343 |
64 |
993 |
(**) |
|
4 |
91F0 |
1.276 |
349 |
65 |
992 |
(**) |
|
6 |
91E0 |
1.295 |
360 |
62 |
997 |
2.112 |
1.065 |
7 |
9190 |
1.295 |
360 |
62 |
997 |
1.971 |
924 |
7b |
9110 |
1.295 |
360 |
62 |
997 |
1.863 |
816 |
9 |
6510 |
730 |
384 |
61 |
407 |
(**) |
|
11 |
9160 |
1.368 |
386 |
60 |
1.042 |
(**) |
|
12 |
91F0 |
1.368 |
386 |
60 |
1.042 |
2466 |
1.374(*) |
13 |
6430 |
838 |
401 |
61 |
498 |
4162 |
3.614 |
14 |
6430 |
849 |
406 |
59 |
502 |
4199 |
3.647 |
18 |
91E0 |
1.429 |
407 |
61 |
1.083 |
3605 |
2.472 |
18b |
91E0 |
1.420 |
406 |
61 |
1.075 |
4176 |
3.051 |
18c |
91E0 |
1.420 |
406 |
61 |
1.075 |
4176 |
3.051 |
19 |
91E0 |
1.447 |
418 |
63 |
1.092 |
3617 |
2.475 |
20 |
6430 |
836 |
382 |
61 |
515 |
4298 |
3.733 |
22 |
3150 |
836 |
382 |
61 |
515 |
4123 |
3.558 |
23 |
6510 |
730 |
385 |
61 |
406 |
2825 |
2.369 |
24 |
91F0 |
1.349 |
380 |
61 |
1.030 |
3648 |
2.568 |
26 |
9110 |
1.372 |
386 |
66 |
1.052 |
2850 |
1.748 |
27 |
9110 |
1.372 |
386 |
66 |
1.052 |
2848 |
1.746 |
28 |
9110 |
1.364 |
383 |
63 |
1.044 |
2841 |
1.747 |
29 |
91E0 |
1.345 |
383 |
64 |
1.026 |
3216 |
2.140 |
30 |
9110 |
1.351 |
372 |
67 |
1.046 |
2781 |
1.685 |
31 |
9160 |
1.323 |
366 |
68 |
1.025 |
2536 |
1.461 |
C1 |
9160 |
1.460 |
413 |
68 |
1.115 |
2635 |
1.470 |
C2 |
9130 |
1.460 |
413 |
68 |
1.115 |
2623 |
1.458 |
C3 |
9130 |
1.460 |
413 |
68 |
1.115 |
2754 |
1.589 |
C4 |
9130 |
1.460 |
413 |
68 |
1.115 |
3016 |
1.851 |
C5 |
9110 |
1.372 |
386 |
66 |
1.052 |
2850 |
1.748 |
C6 |
9110 |
1.365 |
382 |
64 |
1.047 |
2422 |
1.325 |
C7 |
9110 |
1.364 |
382 |
64 |
1.046 |
2841 |
1.745 |
C8 |
91E0 |
1.345 |
372 |
64 |
1.037 |
3216 |
2.129 |
C9 |
9160 |
1.323 |
366 |
69 |
1.026 |
2536 |
1.460 |
C10 |
9160 |
1.323 |
366 |
69 |
1.026 |
2751 |
1.675 |
C11 |
9110 |
1.323 |
366 |
69 |
1.026 |
2800 |
1.724 |
(*) Die versauernden Einträge des Kraftwerks Lünen in Höhe von 5,5 eq (N+S)/(ha*a) sind nach dem lebensraumspezifischen Abschneidewert (0,5 % des neuen Critical Loads = 6,9 eq) abgeschnitten, s.u.
872(**) Die versauernden Einträge des Kraftwerks Lünen liegen bereits unterhalb des Abschneidewerts von 5 eq.
873(6) Unter Zugrundelegung der dargelegten Critical Loads übersteigt an den meisten der in der FFH-Verträglichkeitsprüfung untersuchten Beurteilungspunkte die vom Umweltbundesamt für das Bezugsjahr 2007 veröffentlichte und in dem P. -E. -Teilgutachten vom 6. August 2012 zutreffend zugrunde gelegte Vorbelastung die ökologischen Belastungsgrenzen sowohl für Eutrophierung als auch für Versauerung mit der Folge, dass eine erhebliche Beeinträchtigung der von den Kraftwerksimmissionen betroffenen terrestrischen Lebensräume nicht ohne weiteres auszuschließen ist.
874Bereits die hohen Vorbelastungswerte, die die Belastungsgrenze in den Wäldern bei Cappenberg flächendeckend überschreiten, deuten darauf hin, dass eine zusätzliche Belastung durch eutrophierend und versauernd wirkende Luftschadstoffe eine erhebliche Beeinträchtigung verursachen kann. Wie oben ausgeführt, ist grundsätzlich jede Zusatzbelastung erheblich, wenn die Vorbelastung die für das Erhaltungsziel naturschutzfachlich unbedenkliche Belastungsgrenze ausschöpft oder sogar überschreitet. Jede weitere Belastung läuft prinzipiell der Bewahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands zuwider, es sei denn die Zusatzbelastung übersteigt nicht die oben dargelegte Bagatellschwelle von je 3 % des Critical Loads für eutrophierende und versauernde Einträge. Derart geringe Zusatzbelastungen liegen unter der naturschutzfachlich bestimmten Wirkungsschwelle und sind - wie oben dargestellt - deshalb nicht geeignet, eine erhebliche Beeinträchtigung des Schutzgebiets zu verursachen.
875(7) Um das Maß der Beeinträchtigung ausreichend beurteilen zu können, müssen die bei Realisierung des Projekts im Zusammenwirken mit anderen Plänen und Projekten zu erwartenden Auswirkungen ermittelt und bewertet werden.
876Nach dem oben näher dargestellten Prioritätsprinzip waren im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung als weitere Zusatzbelastung diejenigen Vorhaben zu berücksichtigen, für die nach Unterschutzstellung der Gebiete (7. Dezember 2004) und vor der erstmaligen Einreichung der vollständigen prüffähigen Antragsunterlagen durch die Beigeladene am 31. März 2007 ebenfalls vollständige, prüffähige Unterlagen eingereicht worden waren, so dass deren Auswirkungen zumindest hinreichend konkret absehbar waren.
877Die Beigeladene hat ihre prioritäre Stellung nicht dadurch verloren, dass der zunächst erteilte Vorbescheid vom 6. Mai 2008 mit rechtskräftigem Urteil vom 1. Dezember 2011 aufgehoben wurde. Die Realisierung des Kraftwerksprojekts der Beigeladenen, für das schon bestandskräftige Teilgenehmigungen vorlagen, war trotz der Aufhebung des ersten Vorbescheides nicht erkennbar ausgeschlossen. Entsprechend hat die Beigeladene das Vorbescheidsverfahren schon vor Eintritt der Rechtskraft des Urteils weiter betrieben; der Vorbescheid sollte die Grundlage für die bereits erteilten Teilgenehmigungen wiederherstellen (s. a. unten unter I. 8.).
878Hinsichtlich der konkreten Auswirkungen der nach dem Prioritätsprinzip zu berücksichtigenden Projekte ist dabei der jeweilige Genehmigungsstand einschließlich etwaiger Reduzierungen der Emissionen zugrundezulegen. Altvorhaben ‑ also insbesondere Vorhaben, die vor der Aufnahme eines Gebiets in die Liste der europäischen Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung genehmigt wurden - werden dagegen nicht in der Zusatzbelastung, sondern als Vorbelastung berücksichtigt. Sie gehen als Bestandteil der im Datensatz des Umweltbundesamtes abgebildeten Hintergrundbelastung in die Gesamtbelastung ein. Vorhaben, für die ein prüffähiger Antrag erst nach dem Zeitpunkt der Antragstellung der Beigeladenen gestellt wurde, sind mit Blick auf das Prioritätsprinzip bei der Zusatzbelastung auch dann nicht zu berücksichtigen, wenn sie bereits in Betrieb sind.
879Nach alledem sind neben dem Kraftwerksvorhaben Datteln 4 (Uniper, früher E.O.N.) auch die Tierhaltungsanlagen H1. (Hof Nr. 1), T3. (Hof Nr. 3), T4. -H2. (Hof Nr. 22) und T5. U. (Hof Nr. 24) in die Zusatzbelastung mit einzubeziehen. Der geänderte Kupferwerkrecyclingbetrieb der B. AG ist dagegen ebenso wenig zu berücksichtigen wie das Biomassekraftwerk Lünen.
880Im Einzelnen gilt Folgendes:
881(a) Das Kraftwerk Datteln 4 (Uniper, früher E.O.N.) ist ungeachtet der Frage, von welchem Zeitpunkt an die Auswirkungen eines parallelen Projekts hinreichend konkret absehbar sind, zeitlich vorrangig, weil bereits der erste Vorbescheid vom 31. Januar 2007 und auch die 1. Teilgenehmigung vom 7. Februar 2007 für dieses Kraftwerk vor Einreichung des ersten Genehmigungsantrags für das streitbefangene Kohlekraftwerk am 9. März 2007 ergangen sind. Weder die rechtskräftige Aufhebung des dem Vorhaben Datteln 4 zugrunde liegenden Bebauungsplans,
882OVG NRW, Urteil vom 3. September 2009 ‑ 10 D 121/07.NE -, DVBl. 2009, 1385, nachgehend: BVerwG, Beschluss vom 16. März 2010 - 4 BN 66.09 -, NVwZ 2010, 1246,
883noch die rechtskräftige Aufhebung des Vorbescheids für das Kraftwerk Datteln 4 durch den Senat mit Urteil vom 12. Juni 2012 in der Sache 8 D 38/08.AK und die damit verbundene Unsicherheit, ob, wann und in welcher Form das Kraftwerk Datteln 4 realisiert wird, hat zur Folge, dass das Vorhaben bei der Summationsbetrachtung außer Betracht zu bleiben hätte. Eine Realisierung dieses - zwischenzeitlich in weiten Teilen fast fertig gestellten - Kraftwerks ist ungeachtet dessen gegenwärtig ebenfalls nicht erkennbar ausgeschlossen, zumal auch insoweit einzelne Teilgenehmigungen bestandskräftig geworden und ein neuer Bebauungsplan erlassen worden ist. Das Vorsorgeprinzip gebietet die Berücksichtigung des Kraftwerksvorhabens Datteln 4 im Rahmen der Summationsbetrachtung, weil die Betriebsgenehmigung für das Vorhaben Datteln 4 nach den Grundsätzen des Prioritätsprinzips nicht wegen nachträglich genehmigter Zusatzbelastungen durch das zeitlich nachrangige Vorhaben der Beigeladenen verweigert werden könnte.
884Die Stilllegung der alten Kraftwerksblöcke Datteln 1-3 ist im Rahmen der Summationsbetrachtung als Schadensminderungsmaßnahme ebenfalls zu berücksichtigen. Das Kraftwerksvorhaben Datteln 4 war von Anfang an so geplant, dass nach seiner Inbetriebnahme die alten Kraftwerksblöcke Datteln 1-3 verbindlich stillzulegen sind. Dementsprechend enthielt der aufgehobene Vorbescheid für das Kraftwerk Datteln 4 noch eine entsprechende Regelung, die die Stilllegung der alten Kraftwerksblöcke sicherstellte. Einer solchen Regelung bedarf es in einer neu zu erteilenden Genehmigung jedoch nicht mehr, weil die Beigeladene nunmehr bereits vor Inbetriebnahme des neuen Kraftwerks Datteln 4 auf den weiteren Betrieb der alten Kraftwerksblöcke Datteln 1-3 verbindlich verzichtet und sie stillgelegt hat. Mit der endgültigen Stilllegung ist sichergestellt, dass mit der Realisierung des Kraftwerks Datteln 4 keine höheren als die sich aus der Differenz beider Vorhaben ergebenden Zusatzbelastungen verbunden sein werden. Diese Zusatzbelastung errechnet sich bei der auch insoweit gebotenen konservativen Vorgehensweise aus der Differenz zwischen den Immissionsbeiträgen des neuen Kraftwerks bei einer Worst-case-Betrachtung, also insbesondere unter der Prämisse, dass der Genehmigungsumfang in zeitlicher und kapazitativer Hinsicht vollständig ausgenutzt wird, und den tatsächlichen bisherigen Immissionsbeiträgen des Altkraftwerks Datteln 1-3.
885(b) Die Bezirksregierung hat im gerichtlichen Verfahren unter anderem eine Aufstellung der im Zeitraum vom 7. Dezember 2004 bis zum 31. März 2007 (vollständig) beantragten Tierhaltungsanlagen vorgelegt. Nach den Vorgaben des Senats zum Abschneidekriterium (s.o.) waren nur solche Anlagen zu berücksichtigen, die bei einem anhand des Depositions-/Abschneidewerts 0,065 kg N/(ha*a) berechneten Mindestabstand auf eines der betroffenen FFH-Gebiete einwirken.
886Vgl. zu der Abstandsformel des Einwirkungsbereichs von Tierhaltungsanlagen: LANUV, Entwurf des Leitfadens zur Prüfung der FFH-Verträglichkeit von Stickstoff-Depositionen in empfindliche Lebensräume in FFH-Gebieten vom 18. September 2015, S.16.
887Diese Vorgabe erfüllen die Tierhaltungsanlagen der Landwirte L. I. H1. (Hof Nr. 1/Bullenstall und Kälbermast), Theo T3. (Hof Nr. 3/Mastschweine- und Ferkelplätze), X. T4. -H2. (Hof. Nr. 22/Mastschweine) und N2. T5. U. (Hof Nr. 24/Mastschweine). Die Genehmigungsanträge wurden für den Hof Nr. A am 8. Dezember 2004, für Hof Nr. B am 1. Dezember 2006, für Hof Nr. C am 20. Juni 2006 und für Hof Nr. 24 am 28. Januar 2007 gestellt. Die Genehmigungsanträge der in den Ausbreitungsrechnungen von N. -C. vom 31. Mai 2016/7. Juni 2016 und vom 13. Juni 2016 noch mit einbezogenen Tierhaltungsanlagen des Landwirts I1. (Hof Nr. 15) und der E1. & I2. Schweinemast GbR (Hof Nr. 19) sind nach dem 31. März 2007 eingereicht worden und daher als nachrangig nicht kumulierend zu berücksichtigen.
888(c) Block 5 des Steag-Kraftwerks Herne ist nicht zu berücksichtigen, weil dieses Projekt endgültig nicht verwirklicht wird.
889(d) Die Erweiterung des Kupferrecyclingbetriebs der B. AG ist bei der Summationsbetrachtung nach den Grundsätzen des Prioritätsprinzips ebenfalls nicht zu berücksichtigen. Sie ist zeitlich nachrangig, weil der Antrag auf Erteilung des (Änderungs-) Genehmigungsbescheids vom 4. April 2011 erst am 20. Oktober 2009 gestellt und am 26. Juni 2010 bekannt gemacht wurde. Beide Zeitpunkte liegen nicht nur deutlich nach der Bekanntmachung des ersten Vorbescheidantrags der Beigeladenen am 31. März 2007, sondern sogar deutlich nach der Erteilung des ersten Vorbescheids vom 6. Mai 2008. Bereits im vorangegangenen Verfahren wurde festgestellt, dass die früher beantragten Änderungsgenehmigungen keine Betriebserweiterungen, sondern ausschließlich Maßnahmen zur Emissionsminderung zum Gegenstand hatten. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht, wenn statt auf den Zeitpunkt der Bekanntmachung des ersten Vorbescheidantrags der Beigeladenen am 31. März 2007 auf den Zeitpunkt des Antrags der Beigeladenen für die - mittlerweile unanfechtbare - 2. Teilgenehmigung vom 14. Oktober 2008 am 29. April 2008 abgestellt würde. Der Antrag auf Änderungsgenehmigung für die Erweiterung des Kupferrecyclingbetriebs wurde am 26. Juni 2010 bekannt gemacht. Dieser Zeitpunkt liegt nach der Antragstellung und der Erteilung der 2. Teilgenehmigung vom 14. Oktober 2008. Er liegt sogar nach dem Zeitpunkt der Erteilung der ebenfalls unanfechtbaren 3. Teilgenehmigung vom 14. Januar 2009 für das streitbefangene Kohlekraftwerk.
890(e) Die Einwirkungen des Biomassekraftwerks Lünen unterfallen nicht der kumulierenden Betrachtung. Es wurde bereits vor der Unterschutzstellung der FFH-Gebiete mit Genehmigungsbescheiden vom 12. März 2004 und 17. Juni 2004 genehmigt.
891(f) Andere neue Projekte haben sich bislang nicht derart konkretisiert, dass für sie ein Antrag auf Genehmigung oder Planfeststellung gestellt worden wäre. Sie sind deshalb nicht zu berücksichtigen.
892Auf die Auswirkungen der geplanten B 474n kommt es im Rahmen der Summationsbetrachtung ebenfalls nicht an. Hinsichtlich des Teilabschnitts zwischen der A 45 und Datteln fehlt es an einer den oben dargestellten Anforderungen entsprechenden, hinreichend konkretisierten Planung. Der am 31. März 2009 vom Ministerium für Bauen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen planfestgestellte Teilabschnitt - Ortsumgehung Datteln - ist zwar zeitlich vorrangig; die Unterlagen wurden nämlich schon im Jahr 2005 ausgelegt. Der Senat geht aber mit der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung des TÜV Nord vom 6. August 2012 davon aus, dass sich die aufgrund des Verkehrs zu erwartenden zusätzlichen Luftschadstoffemissionen, da sie von bodennahen Quellen ausgehen und deshalb nur im näheren Umfeld zu erhöhten Schadstoffeinträgen führen, voraussichtlich nicht in den hier zu betrachtenden Schutzgebieten, jedenfalls nicht im hier letztlich maßgeblichen Schutzgebiet „Wälder bei Cappenberg“ auswirken werden. Ausweislich der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung geht das aktuelle Gutachten von Straßen NRW davon aus, dass schon relevante, auch mittelbare Einwirkungen auf das nächstgelegene FFH-Gebiet „Lippeaue“ ausgeschlossen werden können. Unmittelbare bau- und anlagebedingte Auswirkungen seien ausgeschlossen, weil die B 474n ca. 300 m vor der FFH-Gebietsgrenze auf die vorhandene B 235 einschleife und dann die vorhandene Brücke zur Querung des FFH-Gebiets nutze. Der geringste Abstand zwischen Bauende und der Gebietsgrenze betrage 100 m. Die Straßenquerung im Bereich der Lippeaue erhalte keine verkehrsmäßige Aufwertung, da die Verkehrszahlen durch die Ortsumgehung nicht erhöht würden, sondern in der Tendenz leicht zurückgingen. Der Kläger hat die Einschätzung der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung, eine weitere Betrachtung im Zusammenhang mit möglichen Kumulationen sei damit nicht erforderlich, nicht angegriffen. Sie ist auch sonst nicht zu beanstanden.
893(8) Ausgehend von den vorstehenden Prämissen führt das Vorhaben der Beigeladenen weder für sich genommen noch im Zusammenwirken mit den hier zu berücksichtigenden weiteren Projekten zu einer Überschreitung der Bagatellschwelle für eutrophierende Stickstoffeinträge. Die Zusatzbelastung der versauernden Stickstoff- und Schwefeleinträge liegt dagegen in Summation mit den Einwirkungen der weiteren Vorhaben in dem FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ teilweise oberhalb dieser Bagatellschwelle.
894Die Rügen des Klägers gegen die in den letztlich maßgeblichen Immissionsprognosen vom 6. August 2012 sowie vom 31. Mai 2016/7. Juni 2016 erfolgten Ausbreitungsrechnungen der von dem Vorhaben der Beigeladenen und dem Kraftwerkprojekt Datteln 4 ausgehenden Schwefel- und Stickstoffdepositionen dringen ebenso wenig durch wie die Rügen gegen die bei den Tierhaltungsanlagen angesetzten Ammoniakfaktoren oder den Abzug der Immissionen des Altkraftwerks Datteln 1-3.
895Die vom Kläger geforderte umfassende Überprüfung der Immissionsprognose für das Kraftwerkprojekt Datteln 4, die dem Senat in der Fassung vom 15. Februar 2013 vorliegt, oder der Immissions- bzw. Ammoniakprognosen der oben genannten Tierhaltungsanlagen kommt nicht in Betracht. Gegenstand der gerichtlichen Prüfung sind allein die für das streitbefangene Vorhaben vorgelegten Ausbreitungsrechnungen. Hinsichtlich der kumulierend mit einzubeziehenden Vorhaben sind diese lediglich darauf zu prüfen, ob sie methodisch nachvollziehbar sind und ob die für die kumulierenden Vorhaben eingestellten Parameter wie Ableitbedingungen und Emissionswerte mit den vorhandenen Informationen zu dem kumulierenden Vorhaben - etwa aus einer Immissionsprognose - übereinstimmen. Ist die Immissionsprognose des kumulierenden Vorhabens durch Bezugnahme auf die Antragsunterlagen verbindlicher Bestandteil einer bestandskräftigen (immissionsschutzrechtlichen) Genehmigung geworden, bedarf sie nicht mehr einer behördlichen oder gerichtlichen Überprüfung auf ihre Richtigkeit. Der Inhalt der Immissionsprognose kann ohne weitere Prüfung übernommen worden. Dies entspricht auch der vom LANUV in der Stellungnahme vom 8. Juni 2016 beschriebenen Vorgehensweise. Auch sonst scheidet eine Übernahme der Daten und Parameter aus Immissionsprognosen für kumulierende Vorhaben nur bei evidenten Fehlern aus.
896(a) Gemessen hieran sind die letztlich maßgeblichen Ausbreitungsrechnungen vom 6. August 2012 und vom 31. Mai 2016/7.Juni 2016 hinsichtlich der eutrophierenden und versauernden Stoffeinträge des Kraftwerks Datteln 4 nicht zu beanstanden. Das LANUV hat unter dem 7. Dezember 2012 festgestellt, dass sich aus den Unterlagen keine Anhaltspunkte für Unstimmigkeiten oder Unregelmäßigkeiten ergäben. Der Verwendung des Programms LASAT werde zugestimmt. Die Ableitbedingungen sowie die Emissionswerte für Schwefeldioxid, Stickstoffoxide und Ammoniak für das Kraftwerk Datteln 4 stimmten mit den entsprechenden Werten der damals aktuellen Immissionsprognose vom 10. Juni 2011 überein. Dies gilt bezogen auf die unveränderten Ableitbedingungen des Kühlturms und die Emissionswerte auch für die vorliegende Immissionsprognose zu Datteln 4 vom 15. Februar 2013. Beim LANUV zunächst bestehende Bedenken zu der erfolgten Verwendung von Zeitreihen seien in einem Telefonat mit dem Gutachter vom 15. November 2012 ausgeräumt worden. Diese Bedenken hätten darauf beruht, dass es in der Vergangenheit gewisse Unsicherheiten beim Umgang mit Datenlücken in der meteorologischen Zeitreihe gegeben habe. Das LANUV habe die Firma ArgoSoft auf das Problem aufmerksam gemacht, das mittlerweile behoben worden sei. Bis dahin habe das LANUV zwei Vorgehensweisen beim Umgang mit Datenlücken vorgeschlagen, und zwar entweder, die Datenlücken sachgerecht aufzufüllen oder die Stunden mit Datenlücken vollständig zu löschen. Der Gutachter habe in dem Telefonat vom 15. November 2012 bestätigt, dass er die Vorschläge des LANUV umgesetzt habe und der Unterschied zwischen den Ausbreitungsrechnungen vor und nach Korrektur sehr gering ausgefallen sei. Die überarbeiteten Zeitreihen lägen dem LANUV vor.
897Anhaltspunkte dafür, dass der Berechnung nicht - wie ausdrücklich angegeben - der Abgasvolumenstrom im Normzustand (1.103 hPa und 273,15 K) nach Abzug des Feuchtegehalts im Abgas zugrundegelegt worden wäre, liegen nicht vor. Die Berücksichtigung der Fernwärmeauskopplung erfolgte im Rahmen der Ableitbedingungen durch die Berücksichtigung unterschiedlicher maximaler Lastfälle für das Sommer- und das Winterhalbjahr. Für das Winterhalbjahr wurde eine Fernwärmeauskopplung im Umfang von 380 MW und für das Sommerhalbjahr von 200 MW zugrundegelegt. Diesen Lastfällen sind die von der Auslastung abhängigen Werte für den Abluftvolumenstrom, die Austrittsgeschwindigkeit und die Austrittstemperatur angepasst worden. Der Ansatz unterschiedlicher Höhen der Fernwärmeauskoppelung für das Sommer- und das Winterhalbjahr beruht nach den Angaben der Beigeladenen auf Erfahrungswerten aus dem Zeitraum 1961 bis 2009. Die Heranziehung langjähriger Erfahrungswerte erscheint sachgerecht und ist zumindest nicht offensichtlich fehlerhaft; der vom Kläger gewünschten Einholung eines Fachgutachtens zur Frage der zukünftigen Entwicklung der Fernwärmeauskoppelung bedurfte es daher im vorliegenden Verfahren nicht. Im Übrigen erfolgte die Berechnung der Immissionen für das Kraftwerkprojekt Datteln 4 analog zu der in Kapitel 4.1 beschriebenen Vorgehensweise des Gutachters. Diese Vorgehensweise ist - wie oben ausgeführt - nicht zu beanstanden. Sie ist vom LANUV in seiner Stellungnahme vom 7. Dezember 2012 bestätigt worden. Vor diesem Hintergrund bestehen keine Bedenken hinsichtlich der Berücksichtigung der statistischen Unsicherheit. Der Hinweis des Klägers, bei Stickstoffdioxid, Schwefeldioxid und Ammoniak seien - (wohl) in der AUSTAL-Ausgabedatei - deutlich höhere statistische Unsicherheiten ausgewiesen, geht schon deshalb fehl, weil hier Maximalwerte betroffen sind, bei denen die statistische Unsicherheit nach den Regelungen der TA Luft nicht gesondert zu berücksichtigen ist. Soweit der Kläger geltend macht, auch beim Kraftwerkprojekt Datteln 4 finde die von dem Ausbreitungsmodell AUSTAL 2000 angenommene vollständige Durchmischung des Rauchgas- und des Kühlturmschwadens nicht statt, kann auf die oben gemachten Ausführungen verwiesen werden.
898(b) Der Ansatz der – abzuziehenden – Stickstoff- und Säuredeposition des Altkraftwerks Datteln 1-3 begegnet gleichfalls keinen Bedenken. Das vom Kläger kritisierte Abstellen auf die durchschnittlichen jährlichen Emissionsfrachten aus den Jahren 2003 bis 2011 ist auch unter Berücksichtigung des klägerischen Vortrags, eine Berücksichtigung des Zeitraums 2007 bis 2011 hätte voraussichtlich niedrigere Werte ergeben, jedenfalls nicht evident sachwidrig oder fehlerhaft. Die vom Kläger bemängelte Herabsetzung des Emissionswerts für Ammoniak von 2 µg/m³ im Jahr 2011 auf 1 µg/m³ führt - worauf die Beigeladene zutreffend hinweist - nicht zu einem höheren, sondern zu einem geringeren Abzug. Der Vortrag des Klägers, die Ammoniakemission müsse auf „Null“ gesetzt werden, geht daher für die Behauptung, die Depositionen würden überschätzt, erkennbar ins Leere.
899(c) Es kann im Ergebnis offen bleiben, ob die Säuredepositionen des streitbefangenen Vorhabens und der Vorhaben Datteln 4 sowie Datteln 1-3 mit einer Depositionsgeschwindigkeit für SO2 über Wald von 1,25 cm/s oder von 1,5 cm/s berechnet werden muss. Der in der Immissionsprognose vom 6. August 2012 zunächst gewählte Ansatz von 1,25 cm/s beruhte auf der Empfehlung des LANUV, die Ausbreitungsrechnung in einem ersten Schritt mit mesoskaligen Depositionsgeschwindigkeiten und den Auswaschraten nach der VDI-Richtlinie durchzuführen und dann die vom Modell ausgewiesene trockene Deposition nachträglich entsprechend den Depositionsgeschwindigkeiten für die jeweilige Landnutzung, insbesondere für Wald, anzupassen. Es spricht zwar viel für die Annahme, dass dieser Ansatz sachgerecht ist. Das LANUV hat unter dem 7. Dezember 2012 erklärt, soweit der Gutachter unter Hinweis auf das Urteil des Senats vom 1. Dezember 2011 für SO2 über Wald abweichend von dem Wert der VDI-Richtlinie 3872 Blatt 5 von 1,5 cm/s einen Wert von 1,25 cm/s angesetzt habe, sei dieser Ansatz unter Berücksichtigung eigener Nachberechnungen mit ortsabhängigen Depositionsgeschwindigkeiten für das Altkraftwerk Datteln 1-3 für die vorliegende Konstellation plausibel und konservativ. An dieser Einschätzung hat das LANUV in seiner Stellungnahme vom 27. April 2016 und auf entsprechende Nachfragen des Senats in der mündlichen Verhandlung festgehalten. Aus den veröffentlichten Untersuchungen des LANUV gehe hervor, dass eine Depositionsgeschwindigkeit von 1,5 cm/s für SO2 über Wald mit modellseitiger Berücksichtigung des Konzentrationsabfalls (korrekte Massenbilanz) vergleichbar sei mit einer Depositionsgeschwindigkeit von 1,3 cm/s ohne modellseitige Berücksichtigung des Konzentrationsabfalls. Der Unterschied in den Depositionsgeschwindigkeiten gleiche hier also gerade den Massenbilanzfehler bei einer Rechnung ohne modellseitige Berücksichtigung aus und könne nach Auffassung des LANUV daher in der Immissionsprognose verwendet werden. Der den Umgang mit dieser Fragestellung betreffende Sachstandsbericht des VDI von Januar 2014 habe im Zeitpunkt der Stellungnahme von Dezember 2012 noch nicht vorgelegen. Auch bei dem Ansatz von 1,25 cm/s ergibt sich - wie den folgenden Tabellen zu entnehmen ist - an dem Beurteilungspunkt 30 eine Überschreitung der 3 %-Bagatellschwelle.
900(d) Anders als der Kläger meint, bedarf es auch nicht einer Einbeziehung von Ausfällen der Rauchgasreinigungsanlage im Sinne des § 17 Abs. 3 der 13. BImSchV. Ausfälle dieser Art sind in der Ausbreitungsrechnung nach der TA Luft nicht zu betrachten. Da im Genehmigungsverfahren Betriebsstörungen und Störfälle mit unvorhersehbaren Emissionen nicht unterstellt werden können, ist nach Nr. 4.6.1.1 der TA Luft bei der Berechnung nur auf die beim bestimmungsgemäßen Betrieb ungünstigsten Betriebsbedingungen abzustellen. Dem bestimmungsgemäßen Betrieb nicht mehr zuzurechnen ist der Ausfall von Abgasreinigungen, und zwar auch, soweit dem Anlagenbetreiber ein befristeter Weiterbetrieb gestattet ist. Fallen Emissionsminderungseinrichtungen ganz oder teilweise aus, sind die Emissionen auf andere Weise so weit wie möglich zu mindern. Dafür müssen schon vorsorglich Maßnahmen vorgesehen und ggf. im Genehmigungsbescheid gefordert werden.
901Vgl. Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band IV, Stand: 1. Februar 2016 TA Luft Nr. 4.6.1.1 Rn. 9.
902Nichts anderes gilt für die FFH-Verträglichkeitsprüfung, insbesondere auch in Bezug auf die Schwefeldepositionen. Da schon die Höhe der von aufgrund unvorhergesehener Störungen der Rauschgasentschwefelungsanlage entstehenden zusätzlichen Schwefeldepositionen einer Prognose nicht zugänglich ist, scheidet auch eine Bewertung der Auswirkungen auf das betroffene FFH-Gebiet aus. Der Umstand, dass § 17 Abs. 3 Satz 2 der 13. BImSchV ausdrücklich bestimmt, dass die Anlage bei Ausfall einer Abgasreinigungsanlage während eines Zeitraums von zwölf aufeinanderfolgenden Monaten höchstens 120 Stunden ohne diese Abgasreinigungsanlage betrieben werden darf, ändert nichts daran, dass der Ausfall als solcher grundsätzlich unvorhersehbar ist.
903(e) Die in die Ausbreitungsrechnung vom 31. Mai 2016/7. Juni 2016 eingestellten, aus Tabelle 1 ersichtlichen Ammoniakemissionsfaktoren für die Tierhaltungsanlagen entsprechen den Vorgaben der VDI Richtlinie 3894 Blatt 1 und den in den Immissions- bzw. Ammoniakprognosen vorausgesetzten tatsächlichen Bedingungen. Die Immissions- bzw. Ammoniakprognosen sind jeweils verbindlicher Bestandteil der bestandskräftigen Genehmigungsbescheide des Kreises Recklinghausen vom 12. November 2010 (Hof Nr. 1), der Bezirksregierung Arnsberg vom 13. August 2007 (Hof Nr. 3) und vom 19. Dezember 2006 (Hof Nr. 22) sowie der Bezirksregierung Münster vom 29. Juni 2007 (Hof Nr. 24) geworden.
904(f) An den Beurteilungspunkten ergeben sich für die eutrophierenden Stickstoffdepositionen in der Summationsbetrachtung - jeweils unter Berücksichtigung des empirischen lebensraumtypspezifischen Abschneidewerts auch bei den kumulierenden Projekten - die in der folgenden Tabelle aufgeführten Zusatzbelastungen. An den Beurteilungspunkten 1 bis 12 sowie 30, C 10 und C 11 liegen die eutrophierenden Stoffeinträge des streitbefangenen Vorhabens unterhalb des hier untersten Abschneidewerts von 0,065 kg N (ha*a). Soweit die Einträge den jeweils konkret einschlägigen Abschneidewert von 0,5 % des empirischen lebensraumtypspezifischen Critical Loads unterschreiten, ist dies kursiv vermerkt. Das LANUV hat für Lebensraumtypen mit dem Vermerk n.e. (= nicht empfindlich) keine Critical Loads bestimmt. An den Beurteilungspunkten ergeben sich für die eutrophierenden Stickstoffdepositionen in der Summationsbetrachtung - jeweils unter Berücksichtigung des konkreten lebensraumtypspezifischen Abschneidewerts auch bei den kumulierenden Projekten - folgende Zusatzbelastungen:
905BP |
LRT |
CL LANUV |
Abschneidewert 0,5 % des CL |
Zusatzbelastung (vgl. Berechnung N. -C. vom 7. Juni 2016) |
Anteil am CL (gerundet, %) |
BP 13 |
6430 |
n.e |
0,098 |
||
BP 14 |
6430 |
n.e |
0,108 |
||
BP 18 |
91E0 |
23-25 |
0,115 |
TKL 0,100 |
|
BP 18b |
91E0 |
23-25 |
0,115 |
0,362 |
1,6 |
BP 18c |
91E0 |
23-25 |
0,115 |
0,390 |
1,7 |
BP 19 |
91E0 |
23-25 |
0,115 |
0,119 |
0,5 |
BP 20 |
6430 |
n.e |
0,139 |
||
BP 22 |
3150 WasserLRT |
n.e. |
0,095 |
||
BP 23 |
6510 |
24-30 |
0,12 |
TKL 0,099 |
|
BP 24 |
91F0 |
20-22 |
0,10 |
0,099 |
0,5 |
BP 26 |
9110 |
13-16 |
0,065 |
0,100 |
0,8 |
BP 27 |
9110 |
13-16 |
0,065 |
0,108 |
0,8 |
BP 28 |
9110 |
13-16 |
0,065 |
0,094 |
0,7 |
BP 29 |
91E0 |
23-25 |
0,115 |
TKL 0,091 |
0,4 |
BP 30 |
9110 |
13-16 |
0,065 |
TKL 0,063 |
|
BP 31 |
9160 |
15-20 |
0,075 |
TKL 0,066 |
|
BP C1 |
9160 |
15-20 |
0,075 |
0,107 |
0,7 |
BP C2 |
9130 |
15-20 |
0,075 |
0,095 |
0,6 |
BP C3 |
9130 |
15-20 |
0,075 |
0,095 |
0,6 |
BP C4 |
9130 |
15-20 |
0,075 |
0,106 |
0,7 |
BP C5 |
9110 |
13-16 |
0,065 |
0,100 |
0,8 |
BP C6 |
9110 |
13-16 |
0,065 |
0,091 |
0,7 |
BP C7 |
9110 |
13-16 |
0,065 |
0,101 |
0,8 |
BP C8 |
91E0 |
23-25 |
0,115 |
TKL 0,091 |
|
BP C9 |
9160 |
15-20 |
0,075 |
TKL 0,066 |
|
BP C10 |
9160 |
15-20 |
0,075 |
TKL 0,064 |
|
BP C11 |
9110 |
13-16 |
0,065 |
TKL 0,064 |
Die kumulierende Zusatzbelastung der eutrophierenden Stickstoffeinträge liegt danach an allen Beurteilungspunkten unter der anhand des unteren Werts der empirischen Critical Loads des LANUV bestimmten 3 %-Bagatellschwelle.
907(g) Das Vorhaben der Beigeladenen verursacht an den Beurteilungspunkten 1 bis 4 sowie 9 und 11 versauernde Stoffeinträge unterhalb des (ersten) Abschneidewerts von 5 eq (N+S)/(ha*a), an dem Beurteilungspunkt 12 liegen die vorhabenbedingten Stoffeinträge unterhalb des anhand des modellierten lebensraumtypspezifischen Criticals Loads sich ergebenden Abschneidewerts von 6,8 eq. An den übrigen Beurteilungspunkten ergeben sich für die versauernden Stickstoff- und Schwefeldepositionen in der Summationsbetrachtung - jeweils unter Berücksichtigung des lebensraumtypspezifischen Abschneidewerts in Höhe von 0,5 % der modellierten Critical Loads bei den kumulierenden Projekten - folgende Zusatzbelastungen:
908BP |
LRT |
neuer CL |
Abschneidewert 0,5 % des CL |
Zusatzbelastung (gerundet) |
Anteil am CL (gerundet %) |
BP 6 |
91E0 |
1065 |
5,3 |
16 |
1,5 |
BP 7 |
9190 |
924 |
4,6 |
22 |
2,4 |
BP 7b |
9110 |
816 |
(4,1) |
23 |
2,8 |
BP 13 |
6430 |
3614 |
18,1 |
27 |
0,7 |
BP 14 |
6430 |
3647 |
18,2 |
20 |
0,5 |
BP 18 |
91E0 |
2472 |
12,4 |
37 |
1,5 |
BP 18b |
91E0 |
3051 |
15,3 |
93 |
3,0 |
BP 18c |
91E0 |
3051 |
15,3 |
88 |
2,9 |
BP 19 |
91E0 |
2475 |
12,4 |
28 |
1,1 |
BP 20 |
6430 |
3733 |
18,7 |
23 |
0,6 |
BP 22 |
3150 |
3558 |
17,8 |
23 |
0,6 |
BP 23 |
6510 |
2369 |
11,8 |
40 |
1,7 |
BP 24 |
91F0 |
2568 |
12,8 |
43 |
1,7 |
vdep SO2 1,25 cm/s 1,5 cm/s |
vdep SO2 1,25 cm/s 1,5cm/s |
||||
BP 26 |
9110 |
1748 |
8,7 |
46 50 |
2,6 2,9 |
BP 27 |
9110 |
1746 |
8,7 |
47 52 |
2,7 3,0 |
BP 28 |
9110 |
1747 |
8,7 |
42 47 |
2,4 2,7 |
BP 29 |
91E0 |
2140 |
10,7 |
40 44 |
1,9 2,1 |
BP 30 |
9110 |
1685 |
8,4 |
63 66 |
3,7 3,9 |
BP 31 |
9160 |
1461 |
7,3 |
43 48 |
2,9 3,3 |
BP C1 |
9160 |
1470 |
7,3 |
43 46 |
2,9 3,1 |
BP C2 |
9130 |
1458 |
7,3 |
40 44 |
2,7 3,0 |
BP C3 |
9130 |
1589 |
7,9 |
41 44 |
2,6 2,8 |
BP C4 |
9130 |
1851 |
9,3 |
41 44 |
2,2 2,4 |
BP C5 |
9110 |
1748 |
8,7 |
46 50 |
2,6 2,9 |
BP C6 |
9110 |
1325 |
6,6 |
40 44 |
3,0 3,3 |
BP C7 |
9110 |
1745 |
8,7 |
44 49 |
2,5 2,8 |
BP C8 |
91E0 |
2129 |
10,6 |
42 46 |
2,0 2,2 |
BP C9 |
9160 |
1460 |
7,3 |
43 46 |
2,9 3,2 |
BP C10 |
9160 |
1675 |
8,4 |
48 51 |
2,9 3,0 |
BP C11 |
9110 |
1724 |
8,6 |
49 52 |
2,8 3,0 |
Danach überschreitet die Zusatzbelastung der versauernden Stoffeinträge die 3 %-Bagatellschwelle bei einer Depositionsgeschwindigkeit von Schwefeldioxid von 1,25 cm/s an dem Beurteilungspunkt 30, bei einer Depositionsgeschwindigkeit von 1,5 cm/s an den Beurteilungspunkten 30, 31, C1, C6 und C9. Insoweit kann offen bleiben, ob sich schon eine Konvention herausgebildet hat, bereits die erste Nachkommastelle bei der 3 %-Bagatellschwelle durch Rundung wegfallen zu lassen; denn auch unter dieser Voraussetzung liegen die versauernden Stoffeinträge nicht an allen Beurteilungspunkten unter 3,5 %.
910(9) Die prognostizierte Zusatzbelastung an versauernden Stickstoff- und Schwefeleinträgen führt trotz vereinzelter Überschreitungen der 3 %-Bagatellschwelle vorliegend nicht zu einer Beeinträchtigung der in dem FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ unter Schutz gestellten Lebensraumtypen 9110 (Hainsimsen-Buchen-wald), 9130 (Waldmeister-Buchenwald), 9160 (Sternmieren-Eichen-Hainbuchenwald) und 91E0 (Erlen- und Eschenwälder und Weichholzauenwälder an Fließgewässern). Dies hat die im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens ergänzte Sonderfallprüfung belegt, wie sich insbesondere aus den „Bodenökologischen Risikobetrachtungen“ des Prof. Dr. C1. von August 2012 und Januar 2015, den Stellungnahmen des Dr. N1. (Kieler Institut für Landschaftsökologie) vom 6. August 2012, vom 17. Juli 2013 und von Dezember 2014 sowie den Stellungnahmen von Dr. B. (Landesbetrieb Wald und Holz NRW) vom 24. Juli 2014 und vom 6. Juli 2015 ergibt. Die von den Gutachtern des Klägers Dr. I2. . , Dr. C2. , Prof. Dr. S1. und Dr. M. insbesondere in den Gutachten und Stellungnahmen vom 26. Mai 2013, vom 21. Mai 2014 und aus Mai 2015 sowie in der mündlichen Verhandlung hiergegen vorgebrachten Einwände greifen nicht durch.
911Die in dem FFH-Gebiet unter Schutz gestellten Lebensraumtypen verkraften die zum Teil nicht mehr bagatellhafte Zusatzbelastung, ohne dass sich ihr derzeitiger Erhaltungszustand verschlechtert. Die Lebensraumtypen 9110, 9130 und 9160 sind aktuell überwiegend in einem günstigen Erhaltungszustand. Der ungünstige Erhaltungszustand des Lebensraumtyps 91E0 besteht unabhängig von der Säurebelastung (a). Die Pflanzengesellschaften können ihren aktuellen Erhaltungszustand aufrecht erhalten, obwohl die Hintergrundbelastung an versauernden Stickstoff- und Schwefeleinträgen die Critical Loads deutlich übersteigt und die mineralischen Oberböden stark versauert sind. Dies ist möglich, weil sie aufgrund der besonderen morphologischen Bedingungen in dem FFH-Gebiet ausreichenden Zugriff auf die in den Unterböden akkumulierten Basen und Nährstoffe haben. Diese Umstände sind bei der Modellierung der Critical Loads unberücksichtigt geblieben (b). Die im Boden ablaufenden physikalischen und chemischen Schutzmechanismen wirken auch den zusätzlichen versauernden Stoffeinträgen entgegen (c).
912(a) Die Lebensraumtypen 9110, 9130 und 9160 sind überwiegend in einem günstigen Erhaltungszustand (B). Der Lebensraumtyp 91E0 ist aus Gründen, die unabhängig von der Versauerung bestehen, teilweise in einem mittleren oder schlechten Erhaltungszustand.
913Dies ergibt sich zum einen aus der Bewertung der Vegetationsaufnahmen anlässlich der Neukartierung der Lebensraumtypen in dem FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ durch c. vom 29. Juni 2012. Die Lebensraumtypen 9110, 9130 und 9160 sind hier - mit Ausnahme der Flächen Nr. 18 und Nr. 69, die in einem mittleren bis schlechten Erhaltungszustand (C) sind - einem guten (B) oder sogar hervorragenden (A) Erhaltungszustand zugeordnet. Die Zuordnung des Lebensraumtyps 91E0 zu dem Erhaltungszustand (C) beruht auf der schlechten Ausprägung der lebensraumtypischen Strukturen und dem teilweisen Fehlen lebensraumtypischer Gehölzarten an mehreren Beurteilungsflächen. Die gegen diese Bewertung vom Kläger erhobenen Einwendungen stellen - wie oben unter I. 6. b) bb) (5) (g) ausgeführt - deren Richtigkeit nicht in Frage. Die Erfassung und Bewertung der Lebensraumtypen erfolgte entsprechend den methodischen Vorgaben des LANUV. Das LANUV hat die Vegetationserhebungen durch c. vor Ort eng begleitet und die Kartierungen in die eigenen Datenbanken übernommen. Die Bewertung von c. wird von dem Gutachter der Beigeladenen Dr. N1. im Ergebnis geteilt. Er hat Ende Juli 2014 im Rahmen einer flächendeckenden Begehung des FFH-Gebiets alle zuvor beurteilten Flächen ‑ einschließlich der von dem Gutachter des Klägers Dr. I2. . im Jahr 2012 untersuchten Bodenprofilpunkte - nochmals untersucht und kommt in dem Bewertungsbericht von Dezember 2014 zu der Einschätzung, dass die Lebensraumtypen 9110, 9130 und 9160 bezogen auf das gesamte Schutzgebiet in einem günstigen Erhaltungszustand sind. Den Erhaltungszustand des Lebensraumtyps 91E0 bewertet er dagegen - mit den Feststellungen von c. übereinstimmend - wegen der oft fragmentarischen und schmalen Ausbildung dieses Lebensraumtyps entlang der Bachtäler insgesamt als ungünstig.
914Zum anderem kommt auch der Gutachter des Klägers Dr. I2. . in seinem Gutachten vom 26. Mai 2013 - ungeachtet seiner methodischen Bedenken gegenüber der Vorgehensweise von c. und den Beobachtungen von Dr. N1. sowie ungeachtet der abweichenden Gefährdungsprognose hinsichtlich der zusätzlichen Stoffeinträge - auf der Grundlage seiner eigenen Untersuchungen im Jahr 2012 zu der Einschätzung, dass die in dem FFH-Gebiet „Wälder bei Cappenberg“ geschützten Lebensraumtypen überwiegend einen günstigen Erhaltungszustand aufweisen.
915(b) Das Phänomen, dass die Lebensraumtypen 9110, 9130 und 9160 trotz der starken Versauerung des Oberbodens und der auch darauf zurückzuführenden Unterschreitung der Critical Limits in einzelnen Bodenhorizonten einen günstigen Erhaltungszustand aufweisen, ist nur mit den Besonderheiten des Standorts zu erklären. Nach dem Ergebnis der Einzelfalluntersuchung ist der günstige Erhaltungszustand im Wesentlichen auf das bodenspezifische Hydroregime (aa) und auf systeminterne Stoffumsetzungen - insbesondere die sog. „Basenpumpe“ - zurückzuführen (bb). Diese physikalischen und chemischen Abläufe in den Böden der „Wälder bei Cappenberg“ ermöglichen auch den säureempfindlichen und auf eine gute Nährstoffversorgung angewiesenen Pflanzengesellschaften wie den Lebensraumtypen 9130 und 9160 den Zugriff auf das in den tonhaltigen Unterböden vorhandene Puffer- und Nährstoffpotential und sichern damit deren Versorgung mit ausreichend Basizität und Nährstoffen.
916(aa) Bei den Böden der „Wälder bei Cappenberg“ handelt es sich ganz überwiegend um Pseudogleye, Braunerde-Pseudogleye und Pseudogley-Braunerde mit stellenweisen Podsolierungsmerkmalen. Die Wasserdynamik in diesen Böden ‑ insbesondere den Pseudogleyen - ist dadurch geprägt, dass das von oben in den Boden eindringende Niederschlagswasser einschließlich darin aufgelöster Säure aus dem Oberboden auf der weitgehend wasserundurchlässigen Stausohle des Sd-Horizonts im kalkreichen Unterboden gestaut wird. Die Unterböden in den „Wäldern bei Cappenberg“ weisen kalk- und basenreiche Tongehalte von bis zu 30 % auf. Dies gilt vor allem für den Sd-Horizont, in geringerem Umfang auch für den Sw-Horizont. Im Unterboden wird das Niederschlagswasser mit basischen Kationen angereichert und die vom Oberboden nach unten transportierten Säuren werden gepuffert. Mit der Anreicherung mit basischen Kalzium-, Magnesium- und Kaliumkationen ist die für die Versorgung der Pflanzen notwendige Anreicherung von Nährstoffen verbunden. Bei hoher Wassersättigung der Böden - also insbesondere in den niederschlagsreichen Zeiten von November bis April - steigt dieses basen- und nährstoffreiche Stauwasser bis in den versauerten Wurzelraum der Pflanzen. Bei diesen reduzierenden Bedingungen kann bei Temperaturen ab etwa 12°C das in Folge der Mineralisierung des organisch gebundenen Stickstoffs entstandene Nitrat denitrifiziert werden. Bei der Denitrifikation wird das Nitrat in für Pflanzen nicht verfügbare Stickstoffkomponenten, insbesondere in gasförmigen Stickstoff (N2) oder Lachgas (N2O), umgewandelt. Das wieder mit Säure und Nitrat aus dem Oberboden angereicherte Bodenwasser sinkt danach nicht (wieder) in den Unterboden ab, sondern wird auf der Höhe des Sw-Horizonts lateral in Entwässerungsgräben und den Bach „Funne“ ausgetragen. Die Vorräte an basisch wirkenden (Mb-)Kationen in den Unterböden werden daher weniger durch Säure in Anspruch genommen. Zudem werden die Nährstoffe nicht direkt ausgewaschen, sondern verbleiben während des lateralen Abflusses zumindest zeitweise im Wurzelbereich der Bäume und können aufgenommen werden. Das gleiche gilt für Kationenreserven aus dem Unterboden, die eine Zeitlang im durchwurzelten Horizont verbleiben und von den Pflanzen aufgenommen und in die Biomasse eingelagert werden können.
917Vgl. insbesondere - auch zum Folgenden - Beese, Bodenökologische Risikobetrachtungen, August 2012; Mierwald, Begehungsbericht zur Überprüfung des Erhaltungszustands der Lebensraumtypen, Dezember 2014.
918Ab Mai sinkt der Wasserspiegel in der Regel sehr schnell. Mit dem Wegfall der Wassersättigung und damit der reduzierenden Bedingung bleiben die geschilderten Effekte einschließlich der lateralen Wasserabfuhr - wie bei anderen terrestrischen Böden - aus. Eine Denitrifikation findet dann kaum noch statt und der pH-Wert insbesondere der Deckschicht sinkt. Bei starken Niederschlägen wird der Boden allerdings auch im Sommer vom Unterboden her aufgefüllt, so dass - kurzfristig - im Oberboden deponierte Säure in Bereiche mit großer Pufferkapazität verlagert wird und basenreiches Stauwasser bis zur Oberfläche gelangt. Der Gutachter Dr. N1. hat ausweislich des Begehungsberichts von Dezember 2014 anlässlich der Begehung des FFH-Gebiets im Juli 2014 schon nach einzelnen Starkregenereignissen größere Wasserflächen auf der Bodenoberfläche vorgefunden. Vor diesem Hintergrund greift der Hinweis des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016, in den Trockenphasen sei der kapillare Aufstieg der einzige Mechanismus, der der Fließrichtung in Pseudogleyen - nämlich von oben nach unten und lateral - entgegenwirken könne, zu kurz. Der bei geringer Wassersättigung im Sommer wie in anderen terrestrischen Böden grundsätzlich mögliche Transport von Alkalinität mit dem kapillaren Wasseranstieg ist nach den in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 gewonnenen Erkenntnissen aufgrund des hohen Sandanteils in den Böden allerdings von eher untergeordneter Bedeutung. Dass diese von den Gutachtern der Beigeladenen im Einzelnen beschriebenen wasserdynamischen Effekte im Grundsatz - abhängig von Temperatur und Niederschlagsmenge - eintreten, hat der Kläger nicht in Frage gestellt. Sie werden u. a. gestützt durch die von Prof. Dr. C1. in seinem Gutachten von August 2012 zitierten Tensiometermessungen von Lenz (1990) sowie die hydrologischen Untersuchungen von Mull (1987) in den Cappenberger Wäldern.
919Die Gutachter der Beigeladenen räumen ein, dass der Umfang des durch die Wasserdynamik bereitgestellten Puffervermögens nur schwer quantifizierbar ist. Ungeachtet dessen hat Prof. Dr. C1. in den „Bodenökologischen Risikobetrachtungen“ von August 2012 und Januar 2015 überzeugend dargelegt, dass die wasserdynamischen Effekte - Pufferung der im Oberboden deponierten Säuren in den besser mit Alkalinität ausgestatteten, tieferen Bodenbereichen sowie Versorgung der Pflanzen mit Basizität und Nährstoffen durch das aufsteigende Bodenwasser - jedenfalls so groß sind, dass den Wirkungen der Versauerung auf die Pflanzengesellschaften nachhaltig entgegengewirkt wird.
920Diese Annahme wird zum einen durch die von Dr. B. in der Stellungnahme des Landesbetriebs Wald und Holz NRW vom 24. Juli 2014 zitierten Untersuchungen von Ellenberg (1996; Vegetation Mitteleuropas mit den Alpen) gestützt. Danach versauern Standorte, die durch Grundwasser oder Staunässe geprägt sind, bei einem Ausfall der mit der Wasserdynamik verbundenen Effekte innerhalb weniger Jahre. Eine solche schnelle Versauerung ist in den „Wäldern bei Cappenberg“ auch nach Ansicht der Gutachter des Klägers nicht zu verzeichnen.
921Zum anderen belegt die in den Bodenanalysen der Nordwestdeutschen Forstlichen Versuchsanstalt an den Beurteilungspunkten C1 bis C11 vom 16. Juli 2012 und an den von Dr. I2. . betrachteten Bodenprofilpunkten Ca-1 bis Ca-9 vom 9. Januar 2013 ermittelte Basensättigung, dass Basizität in den Wurzelraum der Pflanzen gelangt. Der Grad der Basensättigung gibt den Anteil der basisch wirkenden Kationen an der effektiven Austauschkapazität an. Zwar liegt die Basensättigung in den mineralischen Oberböden von 0 bis 10 cm Tiefe nach den Feststellungen der Gutachter des Klägers sowie der gerichtlich bestellten Gutachter V. und K. in ihrer Stellungnahme vom 15. Juni 2016 und in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 teilweise (deutlich) unter 15 %. Diese Werte spiegeln die auch von den Gutachtern der Beigeladenen nicht bestrittene starke Versauerung der Oberböden wider. In Bodentiefen ab 10 cm liegt die Basensättigung jedoch überwiegend schon bei über 15 %. In den noch mit dem Grad W2 durchwurzelten tieferen Bodenschichten bis zum Sw-Horizont beträgt die Basensättigung - mit Ausnahme des Beurteilungspunkts C 11 - zwischen 19 % und 99 %, an der überwiegenden Zahl der Beurteilungspunkte liegt sie (deutlich) über 50 %. Die Ergebnisse der Bodenuntersuchungen bestätigen damit tendenziell die von Prof. Dr. C1. für den Hauptwurzelbereich (von ihm in den „bodenökologischen Risikobetrachtungen“ aus Januar 2015 definiert als die oberen 15 bis 20 cm des Mineralbodens) berechneten Werte.
922(bb) Im Zusammenwirken mit den Effekten der Wasserdynamik finden ferner (wiederkehrende) Stoffumsetzungen statt, die einer Versauerung der Humusschicht entgegenwirken und dort für die den günstigen Erhaltungszustand der Lebensraumtypen letztlich sichernde Ausstattung mit Basizität und Nährstoffen sorgen. Insoweit ist insbesondere die Wirkung der sog. „Basenpumpe“ von Bedeutung.
923Die „Basenpumpe“ umfasst folgende chemischen und biologischen Vorgänge: die Aufnahme von basisch reagierenden Kationen und Nährstoffen über die Wurzel, deren Transport über die Leitgewebe der Pflanze bis in die Blattorgane, den Abwurf der Kationen und Nährstoffe auf die Humusauflage mit dem Blattfall und die anschließende - langsame - Mineralisierung oder Auswaschung aus den Blattoberflächen. Mit der Aufnahme der basischen Kationen wird Alkalinität in der Biomasse und den Pflanzenorganen akkumuliert und mit der Blattstreu und anderem Bestandsabfall auf der Bodenoberfläche deponiert. Gleichzeitig läuft ein bodeninterner Nährstoffkreislauf an, der von der mineralischen Bodensubstanz abgekoppelt ist und der ebenfalls immer wieder durch die Streu aufgefüllt wird.
924Vgl. Beese, Bodenökologische Risikobetrachtungen, August 2012, S. 48 ff.; Mierwald, Stellungnahme vom 6. August 2012, S. 2 f.; Asche, Stellungnahme vom 24. Juli 2014, S. 4; Godt, Brumme, Rosenthal, Gutachten vom 21. Mai 2014, S. 14.
925Stoffumsetzungen dieser Art können zwar auch kleinräumig stattfinden, etwa, wenn die basischen Kationen nicht im Unterboden, sondern in einer Bodenschicht. des Oberbodens aufgenommen werden. Anders als der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 meint, legt der Gutachter Prof. Dr. C1. den Schwerpunkt seiner Argumentation jedoch auf den ständigen Zufluss von Basen aus dem Unterboden und nicht auf eine bloß oberbodeninterne Umverteilung von Basen.
926Der Gutachter Prof. Dr. C1. im August 2012 und Januar 2015 sowie die Gutachter Dr. I2. . , Dr. C2. und Prof. Dr. S1. in ihren Stellungnahmen vom 21. Mai 2014 und Mai 2015 weisen übereinstimmend darauf hin, dass die Frage, ob die Blattstreu und sonstiger Bestandsabfall auf der Laubschicht versauernde oder entsauernde Wirkung entfalten, maßgeblich davon abhängt, ob der Überschuss von Kationen gegenüber Anionen im Verhältnis zum Stickstoff ausreicht. Von Bedeutung ist daher, in welchem Umfang das aufgrund der Mineralisierung entstandene Nitrat denitrifiziert und gasförmig ausgetragen wird. Verbleibt Nitrat im Boden, wird die Alkalinität reduziert und im Ergebnis tritt eine versauernde Wirkung ein. Hat die „Basenpumpe“ hingegen alkalinisierende Wirkung, werden für die Versorgung der Pflanzen notwendige Kationen und Nährstoffe aus der sich zersetzenden Laubauflage ständig nachgeliefert, und auch Pflanzen mit hohen Nährstoffansprüchen können auf Standorten mit stark versauerten Oberböden gedeihen. So liegt der Fall hier.
927Der günstige Erhaltungszustand der Lebensraumtypen in den „Wäldern bei Cappenberg“ beruht jedenfalls auch auf den Wirkungen der „Basenpumpe“. Diese ist zwar nicht in der Lage, die vorhandende Versauerung der Böden zu kompensieren, sie wirkt jedoch einer Verschlechterung des Erhaltungszustandes der Pflanzen über die Zufuhr und Bereitstellung von Nährstoffen und Basizität aus den Unterböden in der Humusschicht entgegen. Die Gutachter der Beigeladenen Prof. Dr. C1. und Dr. N1. messen der „Basenpumpe“ nicht die weitergehende Bedeutung einer Anreicherung der oberen Mineralbodenschichten mit nicht von den Pflanzen aufgenommenen Basen und Nährstoffen zu. Dem entspricht die Einschätzung der Gutachter V. und K. in dem Exkurs „Basenpumpe“ in der gutachterlichen Stellungnahme vom 15. Juni 2016, die - als solche nicht bestrittene - „Basenpumpe“ erreiche nicht das Ausmaß, dass sie die Basenverarmung des mineralischen Oberbodens allmählich beheben könne; sie habe insoweit keine über die Laubauflage hinausgehende tiefergreifende, die Böden entsauernde Wirkung. Ist die Wirkung der „Basenpumpe“ jedoch in dieser Weise beschränkt, erklärt sich ohne Weiteres, dass sie sich - wie die Gutachter des Klägers u. a. in dem Gutachten vom 21. Mai 2014 feststellen - nicht maßgeblich in der Oberbodenversauerung widerspiegelt und die Critical Limits horizontweise unterschritten werden.
928Mit der Blattstreu gelangen ausreichend Alkalinität und Nährstoffe auf die Humusauflage. Auch die Gutachter des Klägers Dr. I2. . , Dr. C2. und Prof. Dr. S1. bezweifeln nicht, dass die Wurzeln basische Kationen in die Blätter und über die Streubildung auf die Humusauflage transportieren. In ihrem Gutachten vom 21. Mai 2014 haben sie - insoweit in Einklang mit Prof. Dr. C1. in der Stellungnahme aus August 2012 - allerdings auf S. 18 unten ausdrücklich darauf hingewiesen, dass (nur) eine Blattstreuanalyse belegen könne, ob die Wurzeln in ausreichender Menge Basizität aufnehmen. Eine derartige Blattstreuanalyse hat Prof. Dr. C1. daraufhin im Januar 2015 durchgeführt. Dabei wurde an den von Dr. I2. . untersuchten Bodenprofilpunkten Ca-1 bis Ca-9 Alkalinität in Höhen von 2,344 bis 4,115 kmolc/(ha*a) und in den jungen Pflanzenbeständen an den Standorten Ca-10 und Ca-11 in Höhen von 1,078 und 1,847 kmolc/(ha*a) festgestellt. Diese - von dem Kläger als solche nicht angegriffenen - Werte für die Altbestände nähern sich den von Prof. Dr. C1. angeführten Werten anderer Standorte mit Kalkunterböden an und sind deutlich höher als die Werte auf versauerten Böden ohne Kalkunterböden. Dass die Vergleichswerte für Standorte mit Kalkunterböden nicht an allen Beurteilungspunkten erreicht werden, steht der Beurteilung von Prof. Dr. C1. nicht entgegen, dass trotz der Versauerung des Oberbodens noch ausreichend basische Kationen zur Verfügung stehen. Er hat in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 - unwidersprochen - erklärt, dass der Grad der Alkalinität der Blattstreu nicht nur vom Kalkgehalt des Unterbodens, sondern auch von der jeweiligen Baumart abhänge.
929Die von dem Gutachter des Klägers Dr. C2. in der Stellungnahme vom 27. April 2016 geäußerte Vermutung, „es wäre nicht verwunderlich, wenn die basischen Kationen in den Cappenberger Wäldern größtenteils atmosphärischen Ursprungs (wären)“, stellt die Ausführungen von Prof. Dr. C1. nicht in Frage. Der Gutachter Dr. C2. hat weder diese Hypothese, noch die Vermutung hinreichend belegt, auch die hohe Basensättigung der Laubschicht könne allein oder größtenteils mit der atmosphärischen Deposition basischer Kationen erklärt werden. Er hat etwa die in der Blattstreu aufgefundene Alkalinität nicht zu der - aus den Datensätzen des Umweltbundesamtes für das Jahr 2007 weitgehend bekannten und nach den Angaben in dem Gutachten vom 21. Mai 2014 stark rückläufigen - Hintergrunddeposition basischer Kationen ins Verhältnis gesetzt. Eines solchen Vergleichs bedurfte es jedoch schon mit Blick auf den Hinweis von Prof. Dr. C1. in den „Bodenökologischen Risikobetrachtungen“ von Januar 2015, der Umstand, dass nach 16 Jahren eine langsame Erholung der Puffersystem in den oberen Bodenpartien eingesetzt habe, lasse sich angesichts der rückläufigen Staubeinträge wie alkalischer Flugstäube -
930s. dazu auch Godt, Brumme, Rosenthal, Gutachten vom 21. Mai 2014, S. 16: Vor Einführung von Elektrofiltern seien basisch reagierende Grobstäube aufgrund der schnell wirksamen Sedimentation vor allem in der Umgebung der Emittenten eingetragen worden und hätten dort zur Pufferung der Säureeinträge beigetragen. Die Verringerung der Grobstaubeinträge habe zu einem kontinuierlichen Anstieg der Säurebelastung geführt. -
931nur durch die Wirkung der „Basenpumpe“ erklären. Auch der Hinweis auf die Ergebnisse von Blattstreuuntersuchungen in Österreich (Berger et al., 2006, The role of calcium uptake from deep soils for spruce and beech) führt nicht entscheidend weiter. In der Waldbodenkunde wird in vielen Studien die Wirkung der „Basenpumpe“ beschrieben und anerkannt.
932So auch Brumme, Stellungnahme vom 27. April 2016, S. 1.
933Vor dem Hintergrund dieses Wissensstandes sprechen die von Dr. C2. zitierten Untersuchungen aus Österreich allenfalls für einen weiteren Forschungsbedarf. Eine solche Grundlagenforschung ist jedoch nicht Aufgabe oder Gegenstand der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung. Ergänzend ist anzumerken, dass die Hypothese des Gutachters Dr. C2. schwer vereinbaren lässt mit dem ausdrücklichen Hinweis in dem von ihm mit verfassten Gutachten vom 21. Mai 2014, eine Blattstreuanalyse könne belegen, dass die Wurzeln im Unterboden hinreichend Basizität aufnehmen können.
934Der klägerische Vortrag stellt auch die von Prof. Dr. C1. in seinem Gutachten von Januar 2015 gezogene Schlussfolgerung nicht in Frage, diese Werte stellten ein deutliches Indiz dar, dass die Wurzeln in den kalkreichen Unterboden gelangten. Diese Schlussfolgerung ist schon deshalb plausibel, weil auch angesichts der starken Versauerung des Oberbodens nicht erkennbar ist, dass die in der Blattstreu gemessene Alkalinität aus dem Oberboden stammen könnte. Ungeachtet dessen belegen die Ergebnisse der Aufgrabungen und Wurzeluntersuchungen von F. & T6. im Frühjahr 2012 an den Beurteilungspunkten C1 bis C11 und von Dr. I2. . im Jahr 2012 an den Bodenprofilen Ca-1 bis Ca-9, dass die Wurzeln der untersuchten Lebensraumtypen jedenfalls mit einem Durchwurzelungsgrad W2 bis in Bereiche des Unterbodens mit höherer und hoher Basensättigung absenken. Dass es darauf ankommen könnte, aus welcher Bodenschicht des Unterbodens die Basen kommen, ist auch vor dem Hintergrund der oben geschilderten Wasserdynamik nicht zu erkennen.
935Die Blattstreu hat auch eine im Ergebnis der Versauerung der Humusauflage entgegenwirkende alkalinisierende Wirkung, wie Prof. Dr. C1. in den „Bodenökologischen Risikobetrachtungen“ von Januar 2015 überzeugend dargelegt hat. Es ist mit anderen Worten davon auszugehen, dass der Kationenüberschuss im Verhältnis zum Stickstoff ausreichend ist. Für eine entsauernde Wirkung der Blattstreu streitet die hohe Basensättigung der Humusauflage und hier insbesondere der Laubschicht und des Of-Horizonts. An den Beurteilungspunkten C1 bis C 11 liegt die Basensättigung der L- und Of-Horizonte auch nach den Erkenntnissen des Gutachters Dr. I2. . in dem Gutachten vom 26. Mai 2013 zwischen 82 % und 96 %, im Oh-Horizont dagegen nur noch zwischen 17 % bis 71 %. Die Werte der Laubauflage liegen damit zum Teil deutlich über einer - von dem Gutachter K. als „normal“ bezeichneten - Basensättigung von 80 %. Die von Dr. I2. . betrachteten Bodenprofilpunkte Ca-1 bis Ca-9 bestätigen diesen Befund in der Tendenz. Ein direkter Vergleich der Basensättigung der L- und Of-Horizonte scheidet zwar aus, weil die Basensättigungswerte in dem Gutachten von Dr. I2. . vom 26. Mai 2013 für die gesamte Humusschicht (L-, Of- und Oh-Auflage) nur als Mittelwert angegeben werden. Die aufgrund dieser Mittelung niedrigeren Werte liegen zwischen 35 % bis 98 %, die Basensättigung der obersten Mineralbodenschicht beträgt ca. 5 % bis 69 %. Die Basizität in den oberen Humusschichten kommt den säureempfindlichen Pflanzen auch zugute. Der Kläger weist zwar zu Recht darauf hin, dass der L-Horizont nicht durchwurzelt ist. Der Of- und der Oh-Horizont weisen jedoch fast durchweg hohe Durchwurzelungsgrade (W3, W4 und vereinzelt W5) auf.
936Die - aufgrund der oben beschriebenen Wasserdynamik allerdings jahreszeitlich starken Schwankungen unterliegenden - pH(H2O)-Werte und - auf noch niedrigerem Niveau - die pH(KCl)-Werte korrelieren mit den Werten der Basensättigung. Die pH-Werte sind an den Standorten C1 bis C11 (mit Ausnahme des Standorts C 8, an dem auch der Oberboden kalkhaltig ist) in der Laubschicht zwar niedrig, aber dennoch signifikant höher als in der Oh-Auflage.
937Vgl. Mierwald, Stellungnahme vom 6. August 2012, S. 4 ff.
938Dasselbe gilt an den Standorten Ca-1 bis Ca-9 für die - ebenfalls gemittelten - pH-Werte der gesamten Humusschicht im Vergleich zu den pH-Werten der oberen Mineralbodenschicht.
939Dass die hohe Basensättigung der Laubschicht (auch) auf die „Basenpumpe“ zurückzuführen ist, wird schließlich durch die nachgewiesenen Reduktionsvorgänge in den stauwasserbeeinflussten Böden der „Wälder bei Cappenberg“ gestützt. Die auch von dem Gutachter des Klägers Dr. I2. . im Jahr 2012 festgestellte Bleichung der Sw-Horizonte und Marmorierung der Sd-Horizonte indizieren, dass in diesen Horizonten zeitweise - nämlich insbesondere bei Wassersättigung der Böden - eine nahezu vollständige Reduktion von Nitrat zu gasförmigen Stickstoff (N2) oder zu Lachgas (N2O) erfolgt, die mit entsauernder Wirkung entweder gasförmig entweichen oder in gelöster Form aus dem Boden ausgewaschen werden. Die durch die Reduktion von Eisen und Mangan verursachte Färbung der Bodenhorizonte tritt erst ein, nachdem zuvor das vorhandene Nitrat reduziert wurde, wie Prof. Dr. C1. erläutert hat.
940Vgl. Beese, Bodenökologische Risikobetrachtungen, August 2012, S. 12.
941Die Marmorierung des Sd-Horizonts widerlegt die Behauptung des Gutachters Dr. I2. . in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016, der Stauwassereinfluss sei nur in der Sw-Schicht relevant.
942Die klägerischen Gutachter tragen zutreffend vor, dass gerade die Größenordnung des - zudem zeitlich begrenzten - Austrags von gasförmigem Stickstoff (N2) aufgrund analytischer Schwierigkeiten kaum konkret bestimmt werden kann, und dass aufgrund der Wasserdynamik in den Böden auch nicht von einer 100 %-igen Denitrifikationsrate ausgegangen werden könne. Die Annahme der Gutachter Dr. I2. . , Dr. C2. und Prof. Dr. S1. in ihrer Stellungnahme von Mai 2015, Prof. Dr. C1. habe behauptet, das in den Bodenhorizonten insgesamt vorhandene Nitrat werde zu 100 % reduziert bzw. denitrifiziert, trifft nicht zu. Dies hat Prof. Dr. C1. in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 nochmals ausdrücklich bestätigt. Die Gutachter der Beigeladenen bestreiten ferner nicht, dass sich in den Böden Stickstoff angereichert hat. Prof. Dr. C1. hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, er gehe von einem Vorrat in den Böden in Höhe von 3 bis 6 Tonnen aus. Die Stickstoffbelastung der Böden schlägt sich auch erkennbar in den - im Vergleich zu älteren Werten verengten - Kohlenstoff/Stickstoff(C/N))-Verhältnissen nieder, auf die die Gutachter der Klägers hinweisen. Vor dem Hintergrund, dass bei reduzierenden Bedingungen jedoch eine nahezu vollständige Denitrifikation stattfindet, ist die Annahme einer Denitrifikationsrate von 80 % nachvollziehbar und plausibel. Dies gilt ungeachtet dessen, dass im Sommer bei Trockenheit der Böden keine reduzierenden, sondern oxidierende Bedingungen vorliegen und eine Denitrifikation selbst bei reduzierenden Bedingungen erst ab einer Temperatur von etwa 12°C erfolgen kann. Reduzierende Bedingungen treten in der Zeit von November bis April, bei Starkregenereignissen auch im Sommer auf. Im Sommer besteht in der Regel kein Temperaturproblem. Die Gutachter der Beigeladenen haben zutreffend darauf hingewiesen, dass auch im Herbst und Frühjahr durchaus Temperaturen von 12°C oder mehr auftreten.
943Diese hohe Denitrifikationsrate ist nicht in die Modellierung der Critical Loads eingestellt worden. Die Gutachterin Dr. T2. hat in der mündlichen Verhandlung vom 16. Juni 2016 dargelegt, sie habe derart hohe Denitrifikationsraten nur bei den (wenigen) Beurteilungspunkten angesetzt, an denen das Wasser ‑ anders als auf den Pseudogleyen - ständig hoch anstehe. Dazu gehöre unter anderem der von dem Kläger angeführte Beurteilungspunkt BP 26.
944Die „Basenpumpe“ ist entgegen der Annahme des Klägers auch nicht bei der Basenverwitterungsrate der unteren Bodenschichten in die Modellierung der Critical Loads eingeflossen. Die Gutachterin Dr. T2. hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, sie habe - wie auch der Gutachter V. festgestellt habe - die Wurzeltiefen konservativ in die Berechnung eingestellt und daher eine Verwitterungsrate in den unteren Schichten im Wesentlichen nicht angesetzt. Auch die Gutachter V. und K. gehen in ihrer gutachterlichen Stellungnahme vom 15. Juni 2016, davon aus, dass die quantitative Wirkung der „Basenpumpe“ nicht bei dem Parameter „Basenverwitterung“ berücksichtigt wurde.
945(c) Die im Boden ablaufenden standortspezifischen und von den Critical Loads nicht erfassten physikalischen und chemischen Schutzmechanismen sind nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. C1. in der Lage, auch den zusätzlichen versauernden Stoffeinträgen entgegenzuwirken.
946Dass die die Versorgung der Pflanzen mit Nährstoffen und Basen fördernden Effekte der Wasserdynamik bei den zusätzlichen versauernden Stoffeinträgen wegfallen würden, hat der Kläger nicht behauptet. Für eine solche Annahme bestehen im Übrigen auch keine Anhaltspunkte.
947Es ist ferner nicht zu erkennen, dass die hier betroffenen, beschränkten Wirkungen der „Basenpumpe“ aufgrund der zusätzlichen (kumulierten) Säuredeposition entfallen. Die zusätzliche Säuredeposition verursacht keinen erheblichen Versauerungsschub, der die bislang ausreichende Zufuhr von Basizität aus dem Untergrund gefährden könnte. Wie Prof. Dr. C1. in seinen „Bodenökologischen Risikobetrachtungen“ von Januar 2015 im Einzelnen dargelegt hat, ist die zusätzliche (kumulierte) Säuredeposition auch unter Berücksichtigung des Stickstoffumsatzes nicht nur im Verhältnis zur jährlich deponierten Alkalinität sehr gering. Auch die in einem Zeitraum von 50 Jahren zu erwartende Zusatzbelastung ist gegenüber den an den Beurteilungspunkten vorgefundenen Vorräten an austauschbaren basischen Kationen im Bereich von 30 cm bis 100 cm Tiefe in Höhe von 695,5 bis 2.564,5 kmolc/ha zu vernachlässigen. Dasselbe gilt für die minimale Erhöhung der in den Böden bereits vorhandenen Basenneutralisierungskapazität. Dieser Wertung ist auch deshalb zu folgen, weil davon auszugehen ist, dass über die in diese Betrachtung nur einbezogene Alkalinität der Blattstreu noch weitere ‑ ebenfalls nur schwer quantifizierbare - Basizität auf die Humusauflage gelangt. Der Gutachter Prof. Dr. C1. hat im Januar 2015 und in der mündlichen Verhandlung insbesondere auf die mit dem sonstigen Bestandsabfall (Äste, Früchte) eingetragene Basizität verwiesen. Der sonstige Bestandsabfall macht nach seinen - unwidersprochenen - Angaben ein Drittel der Gesamtstreu aus.
948Vgl. C1. , Bodenökologische Risikobetrachtungen, August 2012, S. 5
949Ferner ist in diesem Zusammenhang auf die oben beschriebenen Effekte der Wasserdynamik und auf den Säure- und Nitrataustrag mit dem lateralen Wasserabfluss hinzuweisen. Der von den Gutachtern des Klägers insbesondere in der Stellungnahme aus Mai 2015 geforderte Vergleich mit der Hintergrundbelastung der versauernden Deposition ist an dieser Stelle nicht zielführend. Es mag zwar sein, dass die Vorbelastung das bereitstehende Puffervermögen an einigen Beurteilungspunkten überschreitet. Diese Sachlage lag jedoch schon in der Vergangenheit vor und ist von den Lebensraumtypen erkennbar unter Aufrechterhaltung ihres günstigen Erhaltungszustands verkraftet worden. Im Übrigen ist die Hintergrundbelastung der versauernden Deposition derzeit rückläufig.
950(10) Die in der FFH-Verträglichkeitsuntersuchung getroffene Einschätzung, auch eine nachteilige Beeinträchtigung der aquatischen Lebensraumtypen der FFH-Gebiete „Teilabschnitte Lippe - Unna, Hamm, Soest, Warendorf“ „Lippeaue“ und „In den Kämpen, Im Mersche und Langener Hufeisen“ - hier insbesondere auch des Lebensraumtyps 3260 Fließgewässer mit Unterwasservegetation - durch die direkt oder die indirekt über den Transferpfad Luft-Boden-Gewässer eingetragene Deposition eutrophierend wirkender anorganischer Stickstoffverbindungen sowie versauernd wirkender Stickstoff- und Schwefelverbindungen sei auszuschließen, ist nicht zu beanstanden.
951Die Untersuchung ist davon ausgegangen, dass ein indirekter Eintrag eutrophierender und versauernder Stoffe deshalb irrelevant ist, weil diese Schadstoffe schon durch Reaktionen im Bereich der Depositionsflächen auf dem Boden weitestgehend durch Neutralisation oder Aufnahme durch Pflanzen zurückgehalten oder assimiliert werden. Diese Annahme ist plausibel und wird vom Kläger auch nicht substantiiert angegriffen.
952Eine beeinträchtigende Wirkung der sauren Depositionen auf der Oberfläche der Lippe wurde mit der Begründung ausgeschlossen, dass sich bei einer worst-case-Rechnung anhand der von der Immissionsprognose gelieferten Daten zu den versauernden Stickstoff- und Schwefelverbindungen eine hypothetische Absenkung des ph-Werts der Lippe um etwa 0,0015 Einheiten ergebe. Diese Veränderung sei durch Messungen in einem natürlichen Gewässer, das infolge der Phytoplanktonproduktion deutlich stärkeren täglichen und saisonalen pH-Wert-Änderungen unterliege, nicht nachweisbar. Sie sei auch ohne Einfluss auf die Gewässerqualität. Selbst eine solche theoretische Absenkung sei jedoch auszuschließen, wenn das aufgrund der Prägung des Oberlaufs der Lippe durch Kalk- bzw. Kreideböden hohe Säureneutralisierungsvermögen des Flusswassers – anders als bei der worst-Case-Betrachtung - mit berücksichtigt werde. Natürlich eutrophe Seen (z. B. LRT 3150), Teiche und Altwässer ohne Anbindung an die Lippe seien aufgrund ihres besonderen Gewässermechanismus gegenüber geringen sauren Zusatzdepositionen unempfindlich. Die Deposition anorganischer Stickstoffverbindungen führe in den FFH-Gebieten „Teilabschnitte Lippe - Unna, Hamm, Soest, Warendorf“, „Lippeaue“ und „In den Kämpen, Im Mersche und Langener Hufeisen“ zu einer maximalen Zusatzkonzentration von 0,0001 mg/l, was etwa 0,002 % der mittleren Hintergrundbelastung entspreche. Die Lebensraumtypen 3150 und 3260 wiesen zudem gegenüber den eutrophierenden Einträgen keine besondere Empfindlichkeit auf. Der Lebensraumtyp 3260 weise in karbonatisch oder basenreich-organisch geprägten Fließgewässern auch keine besondere Empfindlichkeit gegenüber versauernden Einträgen auf. Diese Einschätzung ist vom LANUV nicht in Frage gestellt worden und wird vom Kläger nicht substantiiert angegriffen. Auf die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob der Lebensraumtyp 3260 an allen Stellen zutreffend erfasst worden sei, kommt es angesichts der in jedem Fall irrelevanten Zusatzdepositionen nicht an.
953(11) Hinsichtlich der radioaktiven Immissionen kommt die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung zu der Einschätzung, dass diese keine Relevanz für die betrachteten FFH-Gebiete hätten. Dies begegnet keinen Bedenken. Die FFH-Verträglichkeitsuntersuchung verweist zur Begründung auf eine im Jahr 2008 durchgeführte Untersuchung des TÜV Nord EnSys Hannover GmbH &Co KG zum Kraftwerk Staudinger in Großkrotzenburg. Die damals mit sehr konservativen Annahmen berechneten Werte für die effektive Jahresdosis durch die in Kohlenstaub und Flugasche enthaltenen natürlichen radioaktiven Stoffe hätten weit ‑ und zwar mehr als drei Größenordnungen - unter den Werten für die jährliche mittlere effektive Dosis der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland durch natürliche Strahlenquellen gelegen (siehe dazu auch oben unter I. 2. d). Die Plausibilität dieser Annahmen hat der Kläger nicht in Frage gestellt.
9547. Wasserrecht
955Dem Vorhaben stehen im Rahmen der vorläufigen positiven Gesamtbeurteilung keine unüberwindlichen genehmigungsrechtlichen Hindernisse entgegen, soweit der Vorbescheid keine abschließende verbindliche Feststellung über die Vereinbarkeit der Einleitung der Abwässer des Kühlturms und der Rauchgasentschwefelungsanlage in die Lippe einschließlich der vorgeschalteten Abwasserbehandlungsanlage sowie des Schwermetalleintrags in die Lippe über den Luftpfad mit immissionsschutzrechtlichen und naturschutzrechtlichen Vorschriften trifft.
956Inwieweit die Immissionsschutzbehörde über wasserrechtliche Bestimmungen zu entscheiden hat, hängt ‑ ausgehend vom Umfang der immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürften Anlage -,
957vgl. Seibert, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand: 1. Februar 2016, § 13 BImSchG, Rn. 70 f., ders., Zeitschrift für Deutsches und Europäisches Wasser-, Abwasser- und Bodenschutzrecht (W + B) 2015, 95 ff.,
958von der Reichweite der Konzentrationswirkung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ab. Nach § 13 BImSchG schließt die Genehmigung andere die Anlage betreffende behördliche Entscheidungen "mit Ausnahme von (...) wasserrechtlichen Erlaubnissen und Bewilligungen nach § 8 in Verbindung mit § 10 des Wasserhaushaltsgesetzes" ein. Damit sind alle sonstigen wasserrechtlichen Genehmigungen, etwa die Zulassung einer Abwasserbehandlungsanlage, wie sie hier im Anschluss an die Rauchgasentschwefelung vorgesehen ist, von der Konzentrationswirkung erfasst.
959Vgl. Seibert, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand: 1. Februar 2016, § 13 BImSchG, Rn. 86 f.
960Der Erstreckung der Konzentrationswirkung auf (sonstige) wasserrechtliche Entscheidungen steht nicht etwa § 2 Abs. 2 Satz 2 BImSchG entgegen, wonach die Vorschriften des Bundes-Immissionsschutzgesetzes nicht gelten, soweit sich aus wasserrechtlichen Vorschriften zum Schutz der Gewässer etwas anderes ergibt. § 2 Abs. 2 Satz 2 BImSchG normiert allein den Vorrang materiell-rechtlicher Vorschriften des Wasserrechts.
961Seibert, a. a. O., Rn. 83.
962Hinsichtlich der Prüfungsanforderungen im Einzelnen ist zwischen der Abwassereinleitung in die Lippe, also dem direkten Schadstoffeintrag über den Wasserpfad (dazu a), dem indirekten Eintrag von Schadstoffen in die Lippe über den Luftpfad (dazu b) und der Abwasserbehandlungsanlage (dazu c) zu unterscheiden.
963a) Direkter Schadstoffeintrag in die Lippe über den Wasserpfad
964Die beabsichtigte Einleitung von warmem, salz- und schwermetallbelastetem Abwasser aus der Kühlturmabflut und der REA in die Lippe ist ein Benutzungstatbestand nach § 9 WHG, der einer wasserrechtlichen Erlaubnis nach § 8 WHG bedarf. § 13 BImSchG klammert die wasserrechtliche Erlaubnis ausdrücklich aus dem Regelungsgehalt der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung aus. Diese vom Gesetz vorgesehene Trennung zwischen dem Regelungsgehalt einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung (bzw. einem Vorbescheid als einem Ausschnitt aus dem feststellenden Teil der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung) und dem Regelungsgehalt einer wasserrechtlichen Gestattung entspricht dem erklärten Willen des Gesetzgebers: Die im wasserrechtlichen Erlaubnis- und Bewilligungsverfahren zu treffenden Entscheidungen beträfen regelmäßig nur einen geringen Teilaspekt des der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung unterliegenden Gesamtvorhabens (z. B. eines Kohlekraftwerks) und erforderten spezielle Prüfungen, für die den immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbehörden der notwendige Sachverstand fehle.
965BT-Drs. 10/4999.
966Die Immissionsschutzbehörde hat die Übereinstimmung des Vorhabens allerdings nicht nur mit immissionsschutzrechtlichen Vorschriften (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG), sondern nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG grundsätzlich mit allen öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu prüfen. Andererseits ist für die Erteilung der wasserrechtlichen Erlaubnis nach §§ 8, 12 Abs. 1 Nr. 2 WHG ebenfalls Voraussetzung, dass andere Anforderungen nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften erfüllt werden. Die insoweit miteinander konkurrierenden bzw. sich überschneidenden umfassenden Prüfungsmaßstäbe sind entsprechend der Sachentscheidungskompetenz der jeweiligen Behörden grundsätzlich auf die konkurrierenden Genehmigungsverfahren aufzuteilen, um umfassende Doppelprüfungen zu vermeiden; maßgebend für die Abgrenzung ist, welches Schutzziel das jeweilige (Fach-)Gesetz mit einem bestimmten Genehmigungsvorbehalt verfolgt.
967Vgl. Gaentzsch, NJW 1986, 2787, 2794; Jarass, Konkurrenz, Konzentration und Bindungswirkung von Genehmigungen, 1984, S. 81 ff.; Seibert, Die Bindungswirkung von Verwaltungsakten, 1989, S. 369 f.
968Hiervon ausgehend ist das Verhältnis von immissionsschutzrechtlicher Genehmigung zu wasserrechtlicher Gestattung wie folgt zu bestimmen: Zu den öffentlichen Belangen, die dem besonderen Schutzzweck der wasserrechtlichen Erlaubnis oder Bewilligung zugewiesen sind, gehört nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 WHG, dass schädliche, auch durch Nebenbestimmungen nicht vermeidbare oder nicht ausgleichbare Gewässerveränderungen nicht zu erwarten sind; das setzt voraus, dass von der beabsichtigten Benutzung eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit nicht zu erwarten ist (§ 3 Nr. 10 WHG). Mit dem Begriff "Wohl der Allgemeinheit" wird der Wasserbehörde ein weitreichender Schutz öffentlicher Belange übertragen. Er umfasst alle wasserwirtschaftlich relevanten Gesichtspunkte, die von einer Benutzung berührt werden können. Diese öffentlichen Belange fallen in die originäre Fachkompetenz der Wasserbehörde.
969Darüber hinaus verfügt die Wasserbehörde anders als die Immissionsschutzbehörde bei der Bewirtschaftung der Gewässer über einen planerischen Gestaltungsfreiraum. Sie hat u. a. den Auftrag, durch eine nachhaltige Gewässerbewirtschaftung die Gewässer als Bestandteil des Naturhaushalts, als Lebensgrundlage des Menschen, als Lebensraum für Tiere und Pflanzen sowie als nutzbares Gut zu erhalten und zu verbessern, insbesondere durch Schutz vor nachteiligen Veränderungen von Gewässereigenschaften (§ 1 und § 6 Abs. 1 Nr. 1 WHG), die Gewässer zum Wohl der Allgemeinheit zu nutzen (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 WHG), bestehende oder künftige Nutzungsmöglichkeiten, insbesondere für die öffentliche Wasserversorgung, zu erhalten oder zu schaffen (§ 6 Abs. 1 Nr. 4 WHG) und alle Gewässer nach den durch die Wasserrahmenrichtlinie näher vorgegebenen Bewirtschaftungszielen unter Beachtung des Verschlechterungsverbots zu bewirtschaften. Oberirdische Gewässer sind so zu bewirtschaften, dass eine Verschlechterung ihres ökologischen und ihres chemischen Zustands vermieden wird und ein guter ökologischer und ein guter chemischer Zustand erhalten oder erreicht werden (§ 27 Abs. 1 WHG). Dazu gehört insbesondere auch eine ggf. erforderliche FFH-Verträglichkeitsprüfung, soweit sie sich direkt oder indirekt ‑ etwa bezogen auf von der Gewässerqualität abhängige geschützte Lebensraumtypen oder Arten - auf das Schutzgut Wasser bezieht. Nichts anderes gilt für die entsprechende artenschutzrechtliche Prüfung.
970Der Wasserbehörde stehen im Rahmen dieses Bewirtschaftungsermessens (siehe §§ 27 WHG für oberirdische Gewässer) verschiedene, in den §§ 82 ff. WHG geregelte Planungsakte, insbesondere ein Maßnahmenprogramm zur Verfügung. Ein solches planerisches Bewirtschaftungsermessen kann die Immissionsschutzbehörde nicht ausüben. Sie ist nicht dazu berufen und im Allgemeinen auch nicht in der Lage, die dazu gehörenden Dispositionen und Maßnahmen zu treffen.
971Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. September 1987 ‑ 4 C 36.84 -, DVBl. 1988, 489, juris Rn. 12, und Beschluss vom 23. Juni 1989 - 7 B 87.89 -, DVBl. 1990, 57, juris Rn. 4.
972Sie ist insbesondere nicht befugt, Maßnahmen zur Reduzierung der Schadstoffbelastung der Lippe vorzusehen, wie sie im vorliegenden Fall in Betracht zu ziehen sind, um eine rechtmäßige Einleitung zu gewährleisten.
973Entsprechend diesen Grundsätzen hat der Beklagte zu Recht keine abschließende verbindliche Feststellung der naturschutzrechtlichen Unbedenklichkeit der im wasserrechtlichen Erlaubnisverfahren zu prüfenden Abwassereinleitung in die Lippe getroffen.
974Allerdings hat der Beklagte als Immissionsschutzbehörde zu prüfen, ob der Erteilung der wasserrechtlichen Erlaubnis erkennbare rechtliche Hindernisse entgegenstehen. Auch wenn die Entscheidungs- und Prüfungsbefugnisse beider Behörden gegeneinander abzugrenzen sind, müssen die Genehmigungsverfahren sowie die Inhalts- und Nebenbestimmungen vollständig koordiniert werden (§ 10 Abs. 5 Satz 2 BImSchG; § 11 der 9. BImSchV; vgl. auch Art. 7 der Richtlinie 96/61/EG - IVU-RL -, später neugefasst durch die RL 2008/1/EG, nunmehr ersetzt durch die Industrieemissionsrichtlinie, RL 2010/75/EU). Die Koordinierungspflicht betrifft sowohl die Fälle einer Beteiligung mehrerer Behörden als auch den hier vorliegenden Fall, dass die gleiche Behörde die parallelen Zulassungsverfahren durchzuführen hat.
975Vgl. Jarass, NVwZ 2009, 65, 66.
976Die notwendige Koordination paralleler Genehmigungsverfahren setzt einer strikten Separation der Prüfungsmaßstäbe Grenzen und verpflichtet die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbehörde zumindest zur Prüfung, ob der wasserrechtlichen Erlaubnis keine unüberwindlichen Hindernisse entgegenstehen. Allein diese (beschränkte) Doppelprüfung genügt der Koordinationspflicht.
977Vgl. auch zum Folgenden: Seibert, W + B 2015, 95, 99 ff.; im Ergebnis ebenso: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 20. Juli 2011 - 10 S 2102/09 -, ZUR 2011, 600 = juris Rn. 375; Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand: 1. Februar 2016, § 6 BImSchG Rn. 24, m. w. N.; Scheidler, in: Feldhaus, BImSchR, § 6 BImSchG Rn. 37; Seibert, Die Bindungswirkung von Verwaltungsakten, S. 375 f. und 399 f.; ferner BVerwG, Beschluss vom 23. Juni 1989 - 7 B 87.89 -, DVBl. 1990, 57 = juris Rn. 4.
978Die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbehörde kann ihrer Koordinationspflicht im Einzelfall dadurch genügen, dass sie die Genehmigung unter den Vorbehalt nachträglicher (sich aus dem parallelen wasserrechtlichen Verfahren ergebender) Anforderungen stellt.
979Jarass, NVwZ 2009, 65, 68.
980Dies ist hier geschehen. Der Vorscheid steht ausdrücklich unter dem Vorbehalt weiterer Neben- oder Inhaltsbestimmungen, die sich aus den Erkenntnissen des laufenden wasserrechtlichen Erlaubnisverfahrens ergeben.
981Besonders intensiv ist die erforderliche behördliche Zusammenarbeit bei - wie hier - UVP-pflichtigen Vorhaben. Die Umweltverträglichkeitsprüfung ist grundsätzlich von der für das Immissionsschutzrecht zuständigen Genehmigungsbehörde gemeinsam mit den anderen Behörden durchzuführen, die für die Anlage eine Genehmigung o.ä. zu erteilen haben.
982Vgl. Jarass, BImSchG, 11. Aufl. 2015, § 10 Rn. 52.
983Entsprechend muss die Umweltverträglichkeitsprüfung in parallelen Genehmigungsverfahren einer Gesamtbewertung der Umweltauswirkungen zugeführt werden; die federführende Behörde - hier die Bezirksregierung (vgl. § 14 Abs. 1 Sätze 1 und 3 UVPG, § 3 UVPG NRW) - hat das Zusammenwirken der Zulassungsbehörden und das Zusammenführen von Teilprüfungen einer einheitlichen Umweltverträglichkeitsprüfung sicherzustellen (vgl. Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung ‑ UVPVwV - vom 18. September 1995, GMBl. 1995, 671, Ziffern 0.2 und 0.6.2.3). Der Beklagte hat diesen Anforderungen Rechnung getragen.
984Diese Maßstäbe zugrunde gelegt bestehen im vorliegenden Fall keine Bedenken im Hinblick auf die Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis nach § 8 WHG für das Einleiten des Abwassers in die Lippe. Die wasserrechtliche Erlaubnis ist mit Bescheid der Bezirksregierung Arnsberg vom 22. November 2013, also zwei Tage nach Erteilung des angefochtenen Vorbescheids, erteilt worden. Diese Entscheidung entfaltet für das vorliegende gerichtliche Verfahren Bindungswirkung. Zwar ist grundsätzlich bei Drittanfechtungsklagen die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Erlasses des Vorbescheids maßgeblich; nachträgliche Änderungen zugunsten des Vorhabenträgers sind jedoch sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht zu berücksichtigen.
985An der Bindungswirkung fehlt es nicht etwa deshalb, weil der Kläger gegen die wasserrechtliche Erlaubnis Klage erhoben hat, die beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen noch anhängig ist. Die Klage entfaltet wegen der Anordnung der sofortigen Vollziehung keine aufschiebende Wirkung und hindert daher nicht die Wirksamkeit des Bescheides. Die abschließende Prüfung der wasserrechtlichen Erlaubnisfähigkeit der Abwassereinleitung in Bezug auf die physikalischen (Temperatur) und chemischen (u. a. durch Chlorid-, Sulfat- und Schwermetalleinträge) Auswirkungen auf die Wasserqualität der Lippe über den Wasserpfad sowie die damit zusammenhängenden natur- und artenschutzrechtlichen Fragen insbesondere zur Betroffenheit des Flussneunauges und des Eisvogels durch die Zusatzbelastung an Quecksilber des Lippewassers oder des aquatischen Lebensraumtyps 3260 durch zusätzliche Schwermetalleinträge obliegt dem wasserrechtlichen Verfahren.
986b) Indirekter Schadstoffeintrag in die Lippe über den Luftpfad
987Soweit es um den (indirekten) Eintrag von Schadstoffen in Gewässer über den Luftpfad geht, hat grundsätzlich die für die Anlagengenehmigung zuständige Immissionsschutzbehörde die Einwirkungen der Anlage auf das Wasser durch Luftschadstoffe zu prüfen und darüber zu entscheiden. Der indirekte Schadstoffeintrag in Gewässer über den Luftpfad ist kein Benutzungstatbestand im Sinne von § 3 WHG a. F., § 9 WHG n. F.
988Vgl. im Einzelnen Ohms, NVwZ 2010, 926, 928 f. m. w. N.; Schmid, in: Berendes u. a., WHG, 2011, § 9 WHG Rn. 18 ff.; a. A. Kremer, ZUR 2009, 421, 422 ff.
989Die Wasserqualitätsvorgaben sind allerdings auch für das Immissionsschutzrecht beachtlich. Die Wasserrahmenrichtlinie und ihre Tochterrichtlinien regeln grundsätzlich auch den Schadstoffeintrag in Gewässer über den Luftpfad. Insbesondere erfasst die Phasing-out-Verpflichtung nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a) Ziffer iv WRRL auch Einträge von Quecksilber über den Luftpfad in Gewässer.
990Vgl. ausführlich OVG NRW, Urteil vom 1. Dezember 2011 - 8 E1. 58/08. AK -, ZUR 2012, 372 = juris Rn. 461 ff. m. w. N.
991Nach dieser Vorschrift sind "Einleitungen, Emissionen und Verluste" prioritärer gefährlicher Stoffe zu beenden oder schrittweise einzustellen. Unter Emissionen sind ungewollte, aber kontrollierbare Einträge zu verstehen.
992Ginzky, ZUR 2009, 242, 246.
993Sie beinhalten auch luftgetragene Stoffe aus der Energieerzeugung. Die gegenteilige Auffassung, die über die Luft vermittelten Wasserbelastungen seien von der Wasserrahmenrichtlinie grundsätzlich nicht erfasst,
994so Ohms, NVwZ 2010, 675, 677; Reidt/Schiller, NuR 2011, 624, 630 f.,
995berücksichtigt nicht hinreichend, dass das Richtlinienziel der schrittweisen Einstellung oder Beendigung des Gewässereintrags prioritärer gefährlicher Stoffe ohne Einbeziehung des Luftpfads nicht erreicht werden könnte.
996Zutreffend Riese/Dieckmann, UPR 2011, 212, 214.
997Wie oben bereits ausgeführt, besteht in Bezug auf den Schwermetalleintrag die Besonderheit, dass sowohl der Wasserpfad als auch der Luftpfad zu berücksichtigen sind. Die Immissionsschutzbehörde kann deshalb die Frage einer wasser- und naturschutzrechtlichen Vereinbarkeit insbesondere des Quecksilbereintrags nicht isoliert bezogen auf den Quecksilberanteil über den Luftpfad abschließend beurteilen. Andererseits kann sie den Gesamteintrag von Quecksilber ‑ wie oben dargestellt ‑ nicht ohne die Bewirtschaftungsmaßnahmen der Wasserbehörde abschließend beurteilen. In dieser Lage ist es auf Grund der originären Fachkompetenz der Wasserbehörde angezeigt, dass die Summe beider Einträge und damit auch der (gegenüber dem Wasserpfad deutlich geringere) Quecksilbereintrag über den Luftpfad im wasserrechtlichen Erlaubnisverfahren berücksichtigt wird, um zu einer sachgerechten Beurteilung kommen zu können. Die Wasserbehörde hat ihrem Bewirtschaftungsermessen und ihren Bewirtschaftungsmaßnahmen die Summe beider Einträge zugrunde zu legen. Für die Immissionsschutzbehörde ergibt sich daraus die Aufgabe, im Rahmen der notwendigen Koordination der sich überschneidenden Zuständigkeiten die Erkenntnisse und Maßnahmen der Wasserbehörde nachträglich einzubeziehen. So können im Hinblick auf Bedenken der Wasserbehörde zusätzliche Anforderungen an die Anlage zu stellen sein. Die Immissionsschutzbehörde ist dieser Aufgabe dadurch gerecht geworden, dass sie ihre Feststellung unter den Vorbehalt nachträglicher Neben- oder Inhaltsbestimmungen gestellt hat, die sich aus Erkenntnissen des wasserrechtlichen Erlaubnisverfahrens ergeben können.
998Zu dieser Vorgehensweise siehe BT-Drs. 12/3944, S. 54 f.; Jarass, NVwZ 2009, 65, 68; ferner Seibert, Die Bindungswirkung von Verwaltungsakten, S. 401 und 569 ff.
999Angesichts der im Verhältnis zum Quecksilber- und sonstigen Schwermetalleintrag über den Wasserpfad relativ geringen direkten und indirekten Zusatzbeiträge über den Luftpfad bestehen - unter Berücksichtigung des Vorbehalts nachträglicher Anordnungen - keine genehmigungsrechtlichen Hindernisse.
1000c) Abwasserbehandlungsanlage
1001Der Beklagte hat auch hinsichtlich der Genehmigungsfähigkeit der Abwasserbehandlungsanlage keine abschließend verbindliche Feststellung über die emissions- und immissionsschutzrechtliche sowie die naturschutzrechtliche Unbedenklichkeit getroffen. Einer vorläufigen positiven Gesamtbeurteilung im Vorbescheidverfahren stehen insoweit keine wasserrechtlichen Bedenken entgegen. Die wasserrechtliche Erlaubnis für die Abwasserbehandlungsanlage ist mit Bescheid der Bezirksregierung Arnsberg vom 22. November 2013, also zwei Tage nach Erteilung des angefochtenen Vorbescheids, erteilt worden. Diese Entscheidung entfaltet für das vorliegende gerichtliche Verfahren ebenfalls Bindungswirkung (vgl. oben unter I.7.a).
1002Der Beklagte hat den Vorbescheid ferner unter den Vorbehalt weiterer Neben- oder Inhaltsbestimmungen gestellt, die sich aus Erkenntnissen des wasserrechtlichen Erlaubnisverfahrens (Einleitung der Abwässer) ergeben. Er hat damit dem Umstand Rechnung getragen, dass bei einer Abwasserbehandlungsanlage die immissionsschutzrechtlich und die wasserrechtlich zu prüfenden Aspekte aufeinander abgestimmt werden müssen. Wasserrechtliche Anforderungen zur Minimierung der Schadstofffracht des Abwassers können sich unmittelbar auf die technische Gestaltung der immissionsschutzrechtlich zu beurteilenden Anlage auswirken.
1003Vgl. BT-Drs. 12/3944, S. 54 f.
10048. Berechtigtes Interesse an Vorbescheidserteilung
1005Ungeachtet der Frage, ob dem Kläger insoweit ein Rügerecht zusteht, fehlt es auch nicht an dem nach § 9 Abs. 1 BImSchG erforderlichen berechtigten Interesse der Beigeladenen an der Erteilung des Vorbescheides. Ein berechtigtes Interesse ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn ein Antrag auf Erteilung einer (Teil-)Genehmigung beabsichtigt ist, die Vorabklärung ohne die Vorlage der vollständigen Antragsunterlagen möglich erscheint und verfahrensökonomische, wirtschaftliche oder technische Gründe dafür bestehen, das Genehmigungsverfahren gestuft vorzunehmen, wenn also etwa die Bindungswirkung des Vorbescheides das Investitionsrisiko des Vorhabenträgers verringern kann oder durch die Erteilung des Vorbescheides eine Beschleunigung des Genehmigungsverfahren zu erwarten ist.
1006Vgl. Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band III, Stand: 1. Februar 2016, § 9 BImSchG Rn. 49.
1007Gemessen hieran liegen vernünftige Gründe für ein gestuftes Vorgehen vor. Die Beigeladene weist zu Recht auf ein fortbestehendes verfahrensökonomisches und wirtschaftliches Interesse an der Erteilung des Vorbescheides hin. Der Vorbescheid schließt die aufgrund des Wegfalls des ersten Vorbescheides entstandene Regelungslücke und schafft wieder eine Grundlage für die bereits erteilten und die noch ausstehenden Teilgenehmigungen.
1008II. Erste und siebte Teilgenehmigung
1009Aus den vorstehenden Gründen folgt, dass auch die 1. und die 7. Teilgenehmigung rechtmäßig sind.
1010Gemäß § 8 Satz 1 Nr. 3 BImSchG setzt die Erteilung einer Teilgenehmigung u. a. voraus, dass der Errichtung und dem Betrieb der gesamten Anlage keine von vornherein unüberwindlichen Genehmigungshindernisse entgegenstehen. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
1011Der Kläger hat keine darüber hinaus gehenden Bedenken gegen die beiden Teilgenehmigungen geltend gemacht; solche sind auch nicht ersichtlich.
1012Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1 und 3 und 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig, weil sie einen eigenen Antrag gestellt und sich damit gemäß § 154 Abs. 3 VwGO einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat.
1013Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO und den §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.
1014Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.
Tenor
Der sachliche Teilflächennutzungsplan der Stadt I. zur Ausweisung von Konzentrationszonen für Windkraftanlagen vom 12. März 2015 ist unwirksam.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Antragsgegnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 von Hundert des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Antragsteller vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 von Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Antragsteller planen die Errichtung und den Betrieb von Windenergieanlagen außerhalb solcher Bereiche, die als Konzentrationszonen für die Windenergienutzung im angefochtenen sachlichen Teilflächennutzungsplan der Stadt I. zur Ausweisung von Konzentrationszonen für Windkraftanlagen auf I1. Stadtgebiet (im Folgenden: Teilflächennutzungsplan) dargestellt sind. Sie sind Eigentümer beziehungsweise Nutzungsberechtigte der Vorhabengrundstücke und haben nach Ablehnung ihrer Anträge auf Erteilung immissionsschutzrechtlicher Vorbescheide für jeweils eine Windenergieanlage entsprechende Klagen beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen erhoben.
3Der Teilflächennutzungsplan sieht drei Konzentrationszonen mit einer Gesamtfläche von 88,5 ha vor: „M.“ (21,5 ha), „M1.“ mit den Teilbereichen A (21,9 ha) und B (4,4 ha) sowie „T.“ mit den Teilbereichen A (29,3 ha) und B (11,4 ha).
4Nach der Planbegründung, die in einem während des Normenkontrollverfahrens durchgeführten Heilungsverfahren überarbeitet worden ist, soll der Teilflächennutzungsplan der Konzentration und räumlichen Steuerung von Windenergieanlagen im Stadtgebiet dienen. Die festgelegten Konzentrationszonen ergäben sich aus einer methodischen Betrachtung des gesamten Stadtgebietes. Das Ergebnis seien die Standorte, die unter planungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht auszuschließen, geeignet oder vorrangig seien.
5In der Konzentrationszone „M.“ gebe es bereits eine Windenergieanlage. Die westlich der Konzentrationszone „M1.“ errichtete Windenergieanlage solle „gegebenenfalls“ zurückgebaut werden, um die Windenergienutzung innerhalb der Konzentrationszone zu optimieren. Eine dritte Windenergieanlage sei im Teilbereich B der Konzentrationszone „T.“ vorhanden. Insgesamt sei von vierzehn im Stadtgebiet möglichen Windenergieanlagen auszugehen. Eine Fortschreibung der Planbegründung sei im Hinblick auf die von der Rechtsprechung gestellten Anforderungen an die Planung von Konzentrationszonen für die Windenergienutzung erforderlich geworden. Bei der ursprünglichen Planung sei bei der Abgrenzung der grundsätzlich geeigneten und ungeeigneten Flächen überwiegend mit sogenannten weichen Kriterien gearbeitet worden. Die für derartige Planungen anerkannten Abgrenzungskriterien seien nun der höchstrichterlichen Rechtsprechung entsprechend nach harten und weichen Kriterien aufgeschlüsselt worden. Die Fortschreibung der Planbegründung und die Überprüfung der Kartierung hätten im Ergebnis keine Notwendigkeit ergeben, von den bisherigen Gebietsabgrenzungen abzuweichen. Die für die Darstellung von Konzentrationszonen für die Windenergienutzung in Betracht kommenden Freiräume in einer Größe von rund 5.000 ha, circa 30 % des Stadtgebietes, seien vertieft betrachtet worden. Nach Abzug der Flächen, die mit harten Abgrenzungskriterien belegt seien, seien rund 2.600 ha (circa 16,5 % des Stadtgebietes) für eine nähere Betrachtung verblieben.
6Zum Thema Wald heißt es: Um die Planung an die Ziele der Raumordnung anzupassen, hätten Teilflächen der ins Auge gefassten Konzentrationszonen aus den regionalplanerisch festgelegten Waldbereichen zurückgenommen werden müssen. Die Untere Landschaftsbehörde teile die Auffassung des Rates, dass eine Darstellung von Konzentrationszonen im Wald nicht in Betracht komme, weil I. zwar einen Waldanteil von über 40 % aufweise, jedoch eine Insellage in einer im Übrigen waldarmen Region einnehme, große Waldflächen bereits im Regionalplan von der Planung von Konzentrationszonen für die Windenergienutzung ausgeschlossen und/oder mit Schutzfunktionen belegt seien sowie außerhalb des Waldes ausreichend große und geeignete Flächen zur Verfügung stünden, um der Nutzung der Windenergie in substanzieller Weise Raum zu schaffen. Das grundsätzliche Verbot, auf bewaldeten Flächen Windenergieanlagen zu errichten, sei zwar bereits mit dem Windenergieerlass 2011 aufgehoben worden, doch dürfe nach dem geltenden Landesentwicklungsplan (LEP NRW) Wald nur in Anspruch genommen werden, wenn eine Vorhabenrealisierung außerhalb des Waldes nicht möglich sei. Der Landesbetrieb Wald und Holz NRW habe ebenfalls darauf hingewiesen, dass auf Waldflächen keine Konzentrationszonen für die Windenergienutzung ausgewiesen werden sollten und diese einen Abstand von 35 m zum Wald einhalten müssten.
7Das Aufstellungsverfahren nahm im Wesentlichen folgenden Verlauf: Der Rat beschloss im Jahre 2008 die Aufstellung des Teilflächennutzungsplans. Im Rahmen der öffentlichen Auslegung des Planentwurfs im Jahre 2011 hatten die Antragsteller Bedenken gegen die Planung geltend gemacht. Nach einer erneuten öffentlichen Auslegung des Planentwurfs im Jahre 2012 beschloss der Rat im August 2012 den Teilflächennutzungsplan. Die Genehmigung des Teilflächennutzungsplans durch die Bezirksregierung N. wurde am 28. September 2012 öffentlich bekannt gemacht. Während des bereits anhängigen Normenkontrollverfahrens beschloss der Rat die Durchführung eines Heilungsverfahrens. Der Planentwurf wurde in der Zeit vom 20. Oktober 2014 bis 21. November 2014 erneut öffentlich ausgelegt. Die Antragsteller erhoben mit Schriftsatz vom 21. November 2014 Einwendungen und machten geltend: Der Teilflächennutzungsplan genüge immer noch nicht den Anforderungen an die vorzunehmende Unterscheidung zwischen harten und weichen Abgrenzungskriterien. Die Planbegründung enthalte nach wie vor missverständliche Begriffe wie Ausschluss-, Eignungs- und Vorrangplanung. Zu Unrecht habe der Rat einige Flächen als harte Tabuzonen angesehen. Dies gelte für die Naturschutzgebiete, für geschützte Biotope, FFH-Gebiete und für den Wald. Darüber hinaus seien der Sache nach Flächen mit einer Größe von unter 15 ha als harte Tabuzonen behandelt worden. Das stehe mit der tatsächlichen Festlegung der Konzentrationszonen offenkundig in Widerspruch, weil Teilflächen der Konzentrationszonen deutlich kleiner als 15 ha seien. Der Windenergienutzung werde im Stadtgebiet mit einer Fläche von nur 88,5 ha kein substanzieller Raum gegeben. Es handele sich dabei nicht, wie der Rat ausgeführt habe, um rund 34 % der für die Windenergienutzung geeigneten Flächen im Stadtgebiet. Diese seien deutlich größer. Ferner sei nicht sichergestellt, dass sich die Windenergienutzung innerhalb der dargestellten Konzentrationszonen gegenüber sonstigen öffentlichen Belangen durchzusetzen vermöge. Dem Rat sei aus diversen Stellungnahmen im Aufstellungsverfahren positiv bekannt, dass etwa der Uhu im Raum M1. und T. nachgewiesen worden sei, sodass in diesen Bereichen die Windenergienutzung an artenschutzrechtlichen Verbotstatbeständen scheitern könne. Darüber hinaus sei im Hinblick auf die der Planung zugrunde gelegten Anlagentypen mit geringer Höhe ein falscher Ansatz gewählt worden, der mit der Realität nichts zu tun habe. Realistisch seien Anlagentypen mit Gesamthöhen von bis zu 200 m. Der vollständige Verzicht auf die ursprünglich vorgesehene Konzentrationszone V „H.“ sei rechtlich nicht haltbar.
8Der Rat beschloss den Teilflächennutzungsplan am 12. März 2015 neu. Der Teilflächennutzungsplan wurde nach Genehmigung durch die Bezirksregierung N. rückwirkend zum 29. September 2012 in Kraft gesetzt.
9Die Antragsteller haben am 30. September 2013 den Normenkontrollantrag gestellt und zugleich gegenüber der Antragsgegnerin die Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften sowie Mängel des Abwägungsvorgangs gerügt. Nach Durchführung des Heilungsverfahrens haben die Antragsteller vorgetragen: Der Teilflächennutzungsplan leide weiterhin an zahlreichen Abwägungsmängeln. Er genüge noch immer nicht den Anforderungen der Rechtsprechung an die Unterscheidung zwischen harten und weichen Tabuzonen. Die Erhaltungsziele und die Schutzzwecke der betroffenen FFH-Gebiete würden jedenfalls durch die Windenergienutzung nicht erheblich beeinträchtigt im Sinne des § 34 Abs. 1 BNatSchG. Eine vertiefte Prüfung der Verträglichkeit der Windenergienutzung mit den Schutzzwecken eines FFH-Gebietes sei auch allein im Hinblick auf das FFH-Gebiet „M2.“ erfolgt, allerdings mit dem Ergebnis, dass sich insoweit eine erhebliche Beeinträchtigung offensichtlich ausschließen lasse. Es sei auch nicht ausreichend geprüft worden, inwieweit die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahme von möglichen Bau- und/oder Nutzungsverboten in den betroffenen FFH-Gebieten gegeben seien. Gleiches gelte für die geschützten Biotope, bei denen schon von Gesetzes wegen nach § 30 Abs. 3 BNatSchG die Erteilung einer entsprechenden Ausnahme im Einzelfall vorgesehen sei, sowie für die Naturschutzgebiete, da die dort geltenden Verbote durch die Erteilung einer Befreiung nach § 67 BNatSchG überwunden werden könnten. Auch die Behandlung der Waldbereiche als harte Tabuzonen stelle sich nach wie vor als abwägungsfehlerhaft dar. Das im Wald grundsätzlich bestehende Bauverbot könne im Einzelfall durch die Erteilung einer Waldumwandlungsgenehmigung beseitigt werden, sodass die Gemeinden auch Waldflächen in ihre das gesamte Gemeindegebiet umfassende Untersuchung auf Eignung für die Windenergienutzung einbeziehen und als Konzentrationszonen oder Teile davon darstellen könnten. Das sehe auch der einschlägige Leitfaden des Umweltministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen aus dem Jahre 2012 vor.
10Die Antragsgegnerin könne auch nicht auf die Ziele 31.3 und 31.4 des Gebietsentwicklungsplans F. (GEP) verweisen, weil der GEP insoweit unwirksam sei. Diese Ziele legten allein Ausschlussgebiete für die Windenergienutzung fest, was als reine Negativplanung unzulässig sei. Der Regionalplanung sei es nicht gestattet, die bundesrechtliche Privilegierung von Windenergieanlagen durch das schlichte Definieren von Ausschlussgebieten und besonders schützenswerten Landschaftsteilen wegzuwägen. Zudem sei das Plankonzept in sich widersprüchlich, weil die Konzentrationszone KW III teilweise in einem Waldbereich dargestellt sei.
11Ein beachtlicher Fehler im Abwägungsvorgang resultiere ferner daraus, dass Gebiete bestimmter Kategorien als Tabuzonen eingestuft seien mit der Anmerkung, dass in nachgeordneten Plänen von dieser Einstufung abgewichen werden könne. Abwägungsfehlerhaft sei auch der für Hochspannungsfreileitungen angenommene Schutzbereich von 60 m. Der Schutzabstand könne nach dem Windenergieerlass unterschritten werden. Gleiches gelte für die Bauverbotszonen am Rande von „Überschwemmungsgebieten“ sowie gegenüber „Gewässern 1. Ordnung“ mit einer Ausdehnung von beidseitig 50 m. Naturschutzgebiete, Naturdenkmäler sowie geschützte Landschaftsbestandteile würden nach dem Plankonzept fälschlich sowohl den harten wie auch den weichen Tabuzonen zugeordnet.
12Verschiedene Formulierungen in der Planbegründung zeigten, dass sich der Rat die Anforderungen der Rechtsprechung an eine ordnungsgemäße Abwägung nicht bewusst gemacht habe. Fehlerhaft sei schließlich das Ausschlusskriterium der unzureichenden Größe der zusammenhängenden Freiräume, das bei Flächen von weniger als 15 ha angenommen worden sei. Dieses Ausschlusskriterium stehe im Widerspruch zu der späteren tatsächlichen Darstellung der Konzentrationszonen.
13Der Windenergienutzung werde mit dem Teilflächennutzungsplan entgegen den Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts kein substanzieller Raum gegeben. Die zugrunde gelegte Gesamtpotenzialfläche sei deutlich zu klein angesetzt worden. Die ursprünglich in den Blick genommene Konzentrationszone V sei fehlerhaft gestrichen und die Durchsetzung der Windenergienutzung gegenüber anderen öffentlichen Belangen nicht sichergestellt worden.
14Die Antragsteller beantragen,
15den sachlichen Teilflächennutzungsplan der Stadt I. zur Ausweisung von Konzentrationszonen für Windkraftanlagen vom 12. März 2015, mit Rückwirkung zum 29. September 2012 im Amtsblatt der Stadt I. vom 13. Juli 2015 bekannt gemacht, für unwirksam zu erklären.
16Die Antragsgegnerin beantragt,
17den Antrag abzulehnen.
18Zur Begründung trägt sie vor: Sie habe bei der Planaufstellung zutreffend zwischen harten und weichen Tabuzonen unterschieden und diese auch dokumentiert. Waldflächen, Naturschutzgebiete, Biotope und FFH-Gebiete seien zu Recht als harte Tabuzonen behandelt worden. Da keine der zuständigen Fachbehörden in den Beteiligungsschriften die Bewilligung von Ausnahmen oder Befreiungen konkret in Aussicht gestellt habe, habe sie bei der Planung eine Befreiungslage mit einer realistischen Verwirklichungsperspektive nicht unterstellen können. Jedenfalls folge die Einordnung der Waldflächen als harte Tabuzonen aus dem Ziel 31.3 des GEP. Es handele sich dabei um ein wirksames Ziel der Raumordnung. Von einer unzulässigen Verhinderungsplanung könne nicht die Rede sein. Die Grundsätze, die die Rechtsprechung insoweit für eine abwägungsgerechte Planung von Konzentrationszonen für die Windenergienutzung aufgestellt habe, seien hier nicht anwendbar. Die Einzelregelungen des Zieles 31 dienten nicht bereits selbst der Steuerung von Windenergieanlagen im Plangebiet. Die räumliche Steuerung werde vielmehr auf die Ebene der kommunalen Bauleitplanung verlagert. Das Ziel 31 sei daher nur nach den allgemeinen Anforderungen des Gebotes gerechter Abwägung zu beurteilen. Ein Abwägungsmangel sei insoweit nicht ersichtlich. Waldflächen seien nur hinsichtlich der tatsächlich bestockten Flächen und im Übrigen nur hinsichtlich solcher Flächen als Ausschlussbereiche angesehen worden, die sich im Zentrum eines Waldgebietes befänden und daher eine Vernetzungsfunktion aufwiesen beziehungsweise Tieren als Rückzugsraum dienten. Ein Abwägungsfehler resultiere auch nicht aus der Behandlung der „Allgemeinen Siedlungsbereiche (ASB)“, der „Gebiete für den Schutz der Natur (GSN)“ sowie der „Bereiche für den Schutz der Natur (BSN)“. Diese Gebiete seien, soweit die Zielbindungswirkung der raumordnerischen Aussage reiche, ausnahmslos als harte Tabuzonen behandelt worden. Auch sei es nicht zu beanstanden, Sicherheitszonen von beidseitig 60 m entlang von Hochspannungsfreileitungen als harte Tabuzonen anzusetzen. Die Bestimmungen des Windenergieerlasses, die insoweit Ausnahmen zuließen, seien nicht verbindlich. Das Erfordernis eines Sicherheitsabstandes zwischen Windenergieanlagen und Hochspannungsfreileitungen ergebe sich vielmehr aus fachlich-technischer Sicht. Ein aus einer gleichwohl fehlerhaften Einschätzung resultierender etwaiger Abwägungsmangel wäre im Übrigen nicht erheblich. Ähnliches gelte für die angenommenen Sicherheitsabstände gegenüber Überschwemmungsgebieten. Die „Naturschutzgebiete“ sowie „geschützten Landschaftsbestandteile“ seien nicht etwa ‑ wie die Antragsteller meinten ‑ sowohl als harte als auch als weiche Tabuzonen eingestuft worden. Der Rat habe vielmehr bewusst zwischen dem Bestand, wie er sich aus der derzeit noch geltenden Landschaftsschutzverordnung ergebe, und den künftigen Gebietsabgrenzungen entsprechend dem derzeit nur als Entwurf vorliegenden Landschaftsplan differenziert.
19Im Ergebnis gebe der Teilflächennutzungsplan der Windenergienutzung substanziell Raum. Die hierzu erforderliche planerische Entscheidung richte sich nach den Umständen des Einzelfalles und nach den örtlichen Gegebenheiten. Für die Bewertung des Ergebnisses kämen verschiedene Kriterien in Betracht, wie zum Beispiel die Anzahl und die Größe der für die Windenergienutzung zur Verfügung gestellten Flächen sowie die Anzahl und die Gesamtleistung der ermöglichten Windenergieanlagen. Die ermöglichten vierzehn Windenergieanlagen mit einer maximal zulässigen Leistung von rund 35 MW könnten etwa 56 Millionen kWh pro Jahr produzieren, was rechnerisch dem Stromverbrauch von rund 16.000 Durchschnittshaushalten entspreche. Dies sei etwa die Zahl der Privathaushalte in I. Reinen Flächenbetrachtungen komme demgegenüber nur eine beschränkte Aussagekraft zu. Ein Großteil, nämlich 44 % des I1. Stadtgebietes, bestehe aus Wald. Weitere 17 % machten die Siedlungsflächen und die ihnen zugehörigen Verkehrsflächen aus. Die Wasserflächen nähmen 6 % in Anspruch. Angesichts dieser örtlichen Umstände könne nicht zweifelhaft sein, dass die dargestellten Konzentrationszonen mit einer Gesamtfläche von 88,5 ha der Windenergienutzung im Ergebnis substanziell Raum verschaffe. Daher habe der Rat auch auf die Darstellung der Konzentrationszone V verzichten dürfen. In den dargestellten Konzentrationszonen könne sich die Windenergienutzung hinreichend gegenüber anderen öffentlichen Belangen durchsetzen. Schließlich habe sich der Rat kein falsches Bild von den seiner Planung zu Grunde liegenden Anlagentypen gemacht.
20Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge (Beiakten Hefte 1 bis 24) ergänzend Bezug genommen.
21Entscheidungsgründe:
22Der Normenkontrollantrag hat Erfolg.
23Er ist statthaft. Der Teilflächennutzungsplan kann in analoger Anwendung von § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO Gegenstand der Normenkontrolle sein, weil seine Darstellungen unmittelbar die Zulässigkeit der nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB privilegierten Windenergievorhaben steuern. Einem Vorhaben nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 bis 6 BauGB stehen gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB öffentliche Belange in der Regel entgegen, soweit hierfür durch Darstellungen im Flächennutzungsplan eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist. Die Darstellung von Sonderbauflächen zur Windenergienutzung im Sinne von § 5 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 Buchstabe b BauGB, § 1 Abs. 1 Nr. 4 BauNVO im Außenbereich erfüllt daher eine dem Bebauungsplan vergleichbare Funktion, sodass es geboten ist, die in § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO insoweit bestehende Regelungslücke im Wege der Analogie zu schließen.
24Vgl. BVerwG, Urteile vom 26. April 2007 – 4 CN 3.06 –, juris, Rn. 11 ff., und vom 31. Januar 2013 ‑ 4 CN 1.12 ‑, juris, Rn. 14 f.; Beschluss vom 23. Oktober 2008 – 4 BN 16.08 –, juris, Rn 4.
25Die Antragsteller sind auch antragsbefugt im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Nach dieser Vorschrift kann den Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend machen kann, durch die Rechtsvorschrift oder ihre Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein. Antragsbefugt im Sinne dieser Vorschrift ist, wer die Möglichkeit einer Verletzung von Vorschriften dartun kann, die in der jeweiligen rechtlichen Situation zumindest auch dem Schutz der eigenen Interessen dienen. Das ist hier der Fall.
26Die Darstellungendes Teilflächennutzungsplans haben rechtliche Wirkungen gegenüber den Antragstellern. Diese beabsichtigen als Bauherrn und Vorhabenträger die Errichtung und den Betrieb von Windenergieanlagen auf im Stadtgebiet der Antragsgegnerin außerhalb der dargestellten Konzentrationszonen gelegenen Grundstücken, an denen ihnen ein Nutzungsrecht zusteht.
27Der Normenkontrollantrag ist begründet.
28Ohne Rüge beachtliche formelle Mängel beim Zustandekommendes Teilflächennutzungsplans sind allerdings nicht ersichtlich. Rügepflichtige formelle Mängel werden von den Antragstellern nach Durchführung des Heilungsverfahrens nicht geltend gemacht.
29Der Teilflächennutzungsplan weist jedoch Abwägungsmängel auf, die gemäß § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder Abs. 3 Satz 2 BauGB beachtlich sind.
30Die verfahrensrechtlichen Anforderungen an den Abwägungsvorgang ergeben sich aus den Vorgaben des § 2 Abs. 3 BauGB, wonach bei der Aufstellung der Bauleitpläne die Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind (Abwägungsmaterial), ermittelt und bewertet werden müssen. Sie decken sich mit denen, die die Rechtsprechung bezogen auf die Zusammenstellung des Abwägungsmaterials aus dem Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB entwickelt hat.
31Vgl. BVerwG, Urteil vom 9. April 2008 – 4 CN 1.07 –, BRS 73 Nr. 31.
32Das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB, nach dem bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen sind, stellt inhaltliche Anforderungen an den Abwägungsvorgang und an das Abwägungsergebnis. Das Abwägungsgebot ist danach verletzt, wenn eine sachgerechte Abwägung überhaupt nicht stattfindet, wenn in die Abwägung Belange nicht eingestellt werden, die nach Lage der Dinge hätten eingestellt werden müssen, wenn die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens ist dem Abwägungserfordernis genügt, wenn sich die zur Planung berufene Gemeinde im Widerstreit verschiedener Belange für die Bevorzugung des einen und damit notwendigerweise für die Zurückstellung des anderen Belangs entscheidet.
33Diesen Anforderungen genügt die dem Teilflächennutzungsplan zugrunde liegende Abwägung des Rates nicht.
34Bei der Planung von Konzentrationszonen für die Windenergienutzung verlangt das Abwägungsgebot nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Entwicklung eines schlüssigen Gesamtkonzepts, das sich auf den gesamten Außenbereich des Gemeindegebietes erstreckt. Die planerische Entscheidung muss nicht nur Auskunft darüber geben, von welchen Erwägungen die positive Standortzuweisung getragen wird, sondern auch deutlich machen, welche Gründe es rechtfertigen, den übrigen Planungsraum von Windenergieanlagen freizuhalten.
35Vgl. BVerwG, Urteile vom 13. Dezember 2012 – 4 CN 1.11 –, juris, Rn. 9.
36Die Ausarbeitung eines Planungskonzepts ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf der Ebene des Abwägungsvorgangs angesiedelt. Sie vollzieht sich abschnittsweise. Im ersten Abschnitt sind diejenigen Bereiche als Tabuzonen zu ermitteln, die sich für die Nutzung der Windenergie nicht eignen. Die Tabuzonen lassen sich in zwei Kategorien einteilen, nämlich in Zonen, in denen die Errichtung und der Betrieb von Windenergieanlagen aus tatsächlichen und/oder rechtlichen Gründen schlechthin ausgeschlossen sind (harte Tabuzonen), und in Zonen, in denen die Errichtung und der Betrieb von Windenergieanlagen zwar tatsächlich und rechtlich möglich sind, in denen nach den städtebaulichen Vorstellungen, die die Gemeinde anhand eigener Kriterien entwickeln darf, aber keine Windenergieanlagen aufgestellt werden sollen (weiche Tabuzonen).
37Bei den harten Tabuzonen handelt es sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts um Flächen, deren Bereitstellung für die Windenergienutzung an § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB scheitern würde. Danach haben die Gemeinden die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Nicht erforderlich ist ein Bauleitplan, wenn seiner Verwirklichung auf unabsehbare Zeit rechtliche oder tatsächliche Hindernisse im Wege stehen. Harte Tabuzonen scheiden kraft Gesetzes als Konzentrationszonen für die Windenergienutzung aus und sind so einer Abwägung zwischen den Belangen der Windenergienutzung und widerstreitenden Belangen (§ 1 Abs. 7 BauGB) entzogen. Demgegenüber sind weiche Tabuzonen zu den Flächen zu rechnen, die einer Berücksichtigung im Rahmen der Abwägung zugänglich sind. Zwar dürfen sie anhand einheitlicher Kriterien ermittelt und vorab ausgeschieden werden, bevor diejenigen Belange abgewogen werden, die im Einzelfall für und gegen die Nutzung einer Fläche für die Windenergie sprechen. Ihre Ermittlung und ihre Bewertung sind aber gleichwohl der Ebene der Abwägung zuzuordnen. Der Rat muss die Entscheidung, eine Fläche als weiche Tabuzone zu bewerten, rechtfertigen. Weiche Tabuzonen sind disponibel. Die für ihre Charakterisierung ausschlaggebenden städtebaulichen Gesichtspunkte sind nicht von vornherein gegenüber der Windenergienutzung vorrangig und der Plangeber muss die weichen Tabuzonen einer erneuten Betrachtung und Bewertung unterziehen, wenn er als Ergebnis seiner Untersuchung erkennt, dass er mit seiner Planung für die Windenergienutzung nicht substanziell Raum schafft.
38Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2012 – 4 CN 1.11 –, a.a.O., Rn. 12.
39Nach Abzug der harten und der weichen Tabuzonen bleiben nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts so genannte Potenzialflächen übrig, die für die Darstellung von Konzentrationszonen im Flächennutzungsplan in Betracht kommen. Sie sind in einem weiteren Arbeitsschritt zu konkurrierenden Nutzungen in Beziehung zu setzen, das heißt, die öffentlichen Belange, die gegen die Darstellung eines Landschaftsraums als Konzentrationszone für die Windenergienutzung sprechen, sind mit dem Anliegen abzuwägen, der Windenergienutzung an geeigneten Standorten eine Chance zu geben, die ihrer Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB gerecht wird.
40Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2012 – 4 CN 1.11 –, a.a.O., Rn. 10; Beschluss vom 15. September 2009 – 4 BN 25.09 –, juris, Rn. 8.
41Der Rat muss aufzeigen, wie er die eigenen Ausschlussgründe bewertet, das heißt er muss kenntlich machen, dass er – anders als bei harten Tabuzonen – einen Bewertungsspielraum hat, und er muss die Gründe für seine wertende Entscheidung offenlegen. Andernfalls scheitert seine Planung unabhängig davon, welche Maßstäbe an die Kontrolle des Abwägungsergebnisses anzulegen sind, schon an dem fehlenden Nachweis, dass er die weichen Tabuzonen auf der Stufe der Abwägung in die Planung eingestellt hat.
42Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2012 – 4 CN 1.11 –, a.a.O., Rn. 14.
43Das Abwägungsergebnis ist darauf zu prüfen, ob mit der Planung der Windenergienutzung substanziell Raum gegeben wird. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Entscheidung, anhand welcher Kriterien sich diese Frage beantworten lässt, den Tatsachengerichten vorbehalten und verschiedene Modelle gebilligt.
44Vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. April 2010 – 4 B 68.09 –, juris, Rn. 6 f. und Urteile vom 20. Mai 2010 – 4 C 7.09 –, NVwZ 2010, 1561, und vom 13. Dezember 2012 – 4 CN 1.11 –, a.a.O., Rn. 18.
45Der Senat übernimmt aus Gründen der Rechtseinheitlichkeit diese vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Anforderungen an die Planung von Konzentrationszonen für die Windenergienutzung, auch wenn an deren Tauglichkeit und praktischer Umsetzbarkeit gezweifelt werden kann.
46Vgl. zum Ganzen: Tyczewski, Konzentrationszonen für Windenergieanlagen rechtssicher planen – Illusion oder Wirklichkeit?, BauR 2014, 934.
47Für die Rechtmäßigkeit der Flächenauswahl unter Abwägungsgesichtspunkten sind die Erwägungen maßgeblich, die tatsächlich Grundlage der Abwägungsentscheidung des Plangebers waren. Entscheidend für die gerichtliche Überprüfung der Abwägungsentscheidung sind damit in erster Linie die Verlautbarungen in der Begründung, die dem (Teil-)Flächennutzungsplan nach § 5 Abs. 5 BauGB beizufügen ist, sowie die Erwägungen, denen der Plangeber bei seiner abschließenden Beschlussfassung gefolgt ist.
48Vgl. OVG NRW, Urteile vom 19. Mai 2004 – 7 A 3368/02 –, NuR 2004, 690 und vom 20. November 2012 – 8 A 252/10 –, juris, Rn. 56.
49Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Teilflächennutzungsplan wegen Abwägungsmängeln unwirksam. Ihm liegt kein schlüssiges, auf die Nutzung der Windenergie bezogenes gesamträumliches Planungskonzept zugrunde.
50Dies folgt bereits daraus, dass der Rat die Waldflächen im Stadtgebiet nach der Planbegründung als harte Tabuzonen angesehen hat.
51Soweit das Bundesverwaltungsgericht in der Vergangenheit die Auffassung vertreten hat, zusammenhängende Waldflächen kämen für eine Windenergienutzung nicht in Betracht,
52vgl. Urteil vom 17. Dezember 2002 – 4 C 15.01 –, BVerwGE 117, 287,
53lässt sich seinen Ausführungen mangels näherer Begründung schon nicht entnehmen, welche Erwägungen diese Auffassung tragen und welche Bedeutung diese Aussage heute für die Einordnung einer Waldfläche als harte oder weiche Tabuzone haben könnte.
54Vgl. Thüringer Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 8. April 2014 – 1 N 676/12 –, juris, Rn. 93.
55Die technische Entwicklung hat inzwischen die Errichtung und den Betrieb von Windenergieanlagen in Wäldern grundsätzlich möglich gemacht. Der Senat schließt sich der von verschiedenen Obergerichten und in der Literatur vertretenen Auffassung an, wonach Waldflächen grundsätzlich keine harten Tabuzonen (mehr) sind.
56Vgl. Thüringer Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 8. April 2014 – 1 N 676/12 –, a.a.O., Rn. 93; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. Februar 2011 – 2 A 2.09 –, juris, Rn. 69 und OVG Niedersachsen, Urteil vom 23. Januar 2014 – 12 KN 285/12 –, juris, Rn. 19; Gatz, Windenergieanlagen in der Verwaltungs- und Gerichtspraxis, 2. Aufl. 2013, Rn. 76; a.A. Hess. VGH, Urteil vom 17. März 2011 – 4 C 883/10.N –, juris, Rn. 41 m.w.N.
57Auch die Vorgaben des § 1 Abs. 4 BauGB, wonach die Bauleitpläne an die Ziele der Raumordnung anzupassen sind, führen hier zu keinem anderen Ergebnis.
58Der LEP NRW enthält zu der Inanspruchnahme von Waldflächen für Windenergieanlagen kein Ziel der Raumordnung, das die Einordnung der Waldflächen durch den Plangeber als harte Tabuzonen gebietet, rechtfertigen könnte.
59Der LEP NRW 1995, B III 3.21, formuliert als „Ziel“, dass Waldgebiete für andere Nutzungen nur in Anspruch genommen werden dürfen, wenn die angestrebten Nutzungen nicht außerhalb des Waldes realisiert werden können und der Eingriff auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt bleibt. Diese Vorgabe des LEP NRW stellt kein Ziel der Raumordnung dar.
60Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG sind Ziele der Raumordnung verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Landes- oder Regionalplanung abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raums. Einer weiteren Abwägung auf einer nachgeordneten Planungsstufe sind Ziele der Raumordnung nicht zugänglich. Dem für die Festlegung eines Ziels charakteristischen Erfordernis einer abschließenden Abwägung ist genügt, wenn die auf der landesplanerischen Ebene getroffene Planaussage keiner Ergänzung mehr bedarf.
61Demgegenüber lässt das so bezeichnete Ziel des LEP NRW im Einzelfall eine Inanspruchnahme des Waldes ausdrücklich zu, sodass von einer abschließenden Abwägung durch den Plangeber in dem dargelegten Sinne nicht die Rede sein kann.
62Der Senat geht in Übereinstimmung mit Teilen der einschlägigen Fachliteratur davon aus, dass dies für die Planung von Konzentrationszonen für die Windenergienutzung nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB bedeutet, dass Wald dann in Anspruch genommen werden darf, wenn sonst der Windenergienutzung nicht substanziell Raum gegeben werden kann.
63Vgl. Tyczewski, a.a.O., S. 944.
64Hiervon ausgehend hätte der Rat – wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt – als Ergebnis seines Abwägungsvorgangs feststellen müssen, dass der Teilflächennutzungsplan der Windenergienutzung nicht substanziell Raum gibt. Der Rat hätte dann auch unter Berücksichtigung der dargestellten Vorgaben des LEP NRW die Inanspruchnahme von Waldflächen für mögliche Konzentrationszonen in Erwägung ziehen dürfen beziehungsweise müssen.
65Die Ziele 31.3 des Gebietsentwicklungsplans Regierungsbezirk N. – „Teilabschnitt F.“ (GEP), wonach die Darstellung von Konzentrationszonen für die Nutzung der Windenergie unter anderem in Waldbereichen grundsätzlich ausgeschlossen ist, und das Ziel 31.4 GEP, das die Darstellung von zusätzlichen Konzentrationszonen für die Nutzung der Windenergie in den Flächennutzungsplänen und die Errichtung von einzelnen raumbedeutsamen Windenergieanlagen in (weiten) Teilen der Stadt I. für unzulässig erklärt, sind unwirksam. Sie sind mit dem Regelungszweck des § 35 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 Satz 3 BauGB nicht vereinbar.
66Der Gesetzgeber hat mit dieser Spezialregelung zur Gebiets- und Standortkonzentration bestimmter privilegierter Außenbereichsvorhaben beabsichtigt, Windenergieanlagen generell zu privilegieren, verbunden mit einer „kompensatorischen Negativplanung“. Nach den Gesetzesmaterialien hat die Standortsteuerung der besagten privilegierten Außenbereichsvorhaben nicht isoliert durch negative Inhalte von Flächennutzungsplänen oder Raumordnungsplänen zu erfolgen, sondern muss der jeweilige Ausschluss dieser Außenbereichsvorhaben in bestimmten Bereichen stets mit einer entsprechenden positiven Standortzuweisung in einem hierfür im Rahmen der Bauleitplanung oder der Raumplanung bestimmten Planungsraum verbunden sein.
67Vgl. OVG Schleswig, Urteil vom 20. Januar 2015 ‑ 1 KN 6.13 ‑, juris Rn. 63; Gatz, a.a.O., Rn. 161.
68Dieser an Sinn und Zweck des § 35 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 Satz 3 BauGB orientierten Normauslegung steht deren Wortlaut nicht entgegen.
69Nach diesen Grundsätzen handelt es sich bei den Zielen 31.3 und 31.4 GEP um eine unzulässige reine Negativplanung. Die Auffassung der Antragsgegnerin, die oben dargestellten Anforderungen an eine rechtmäßige Standortsteuerung der in § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB unter anderem angesprochenen Vorhaben zur Windenergienutzung würden nur für eine Planung von Konzentrationszonen gelten, ist – wie sich aus den vorstehenden Erwägungen ergibt – unzutreffend. Ihr Vortrag, die Standortsteuerung selbst sei durch den GEP nach dem Willen des Plangebers auf die Ebene der kommunalen Bauleitplanung verlagert, die über textliche Grundsätze und Ziele lediglich angeleitet werden solle, lässt unberücksichtigt, dass, wollte man die Raumplanung von der durch den Regelungszweck des § 35 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 3 Satz 3 BauGB vorgegebenen Bindung freizeichnen, große Teile der Gemeindegebiete der bundesrechtlich privilegierten Windenergienutzung entzogen werden könnten. Die von der Antragsgegnerin zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verhält sich zu der Wahlmöglichkeit der Gemeinden, entweder mit einer positiven Standortzuweisung („Positivfläche“) lediglich die dargestellten Flächen für die Windenergienutzung vorzuhalten und gegen konkurrierende Nutzungen zu sichern oder eine verbindliche Konzentrationsflächenplanung mit den (negativen) Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB für den übrigen Planungsraum zu betreiben. Nur wenn sich eine Gemeinde für eine verbindliche Standortplanung entscheide, müsse sie ein schlüssiges gesamträumliches Planungskonzept vorlegen und auch die sonstigen Anforderungen erfüllen, die an eine Konzentrationsflächenplanung mit der Ausschlusswirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB zu stellen seien. Nur dann komme dem Flächennutzungsplan eine den Festsetzungen des Bebauungsplans vergleichbare Funktion zu. Entscheide sich eine Gemeinde für die Planung einer bloßen „Positivfläche“, entfielen die spezifischen Rechtfertigungsanforderungen und die Rechtswirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB.
70Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 ‑ 4 CN 1.12 ‑ juris, Rn. 16.
71Voraussetzung der in § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB geregelten Ausschlusswirkung ist, dass eine „Ausweisung an anderer Stelle“ erfolgt ist. Konzentrations- und Ausschlussflächen stehen damit in einem komplementären Verhältnis zueinander. Der Geltungsbereich der Ausschlusswirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB ist negativ über die Konzentrationsflächen definiert. Positiv- und Negativflächen sind überdies dadurch miteinander verzahnt, dass das Abwägungsgebot die Entwicklung eines schlüssigen gesamträumlichen Plankonzepts verlangt und der Windenergienutzung mit den Konzentrationsflächen im Gemeindegebiet substantiell Raum verschafft werden muss. Insoweit ist eine (wirksame) Konzentrationsflächenplanung in mehrfacher Hinsicht tatbestandliche Voraussetzung der in § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB geregelten Ausschlusswirkung.
72Vgl. BVerwG, Urteile vom 13. März 2003 – 4 C 4.02 –, juris, Rn. 15, 22 und 43, vom 31. Januar 2013 – 4 CN 1.12 –, a.a.O., Rn. 22, und vom 11. April 2013 – 4 CN 2.12 –, juris, Rn. 5.
73Unabhängig davon hätte der Rat nach den oben dargelegten Grundsätzen sein Abwägungsergebnis einer erneuten Betrachtung und Bewertung unterziehen müssen, weil er erkennbar mit seiner Planung der Windenergienutzung nicht substanziell Raum geschaffen hat. Dabei ist er bereits von einem unzutreffenden Maßstab für die Annahme des substanziellen Raumgebens ausgegangen.
74Das Bundesverwaltungsgericht hat trotz der Kritik an der hohen Abstraktionsebene seiner Rechtsprechung,
75vgl. Gatz, a.a.O., Rn. 90,
76von der Erläuterung der eigenen Vorgabe, wonach der Windenergienutzung substanziell Raum zu geben sei, abgesehen und diese Aufgabe den Tatsachengerichten zugewiesen.
77Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2012 – 4 CN 1.11 –, a.a.O., Rn. 18; Tyczewski, a.a.O., S. 946.
78Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lässt sich die Frage nach dem Maßstab für das substanzielle Raumgeben nicht ausschließlich nach dem Verhältnis zwischen der Größe der im Flächennutzungsplan dargestellten Konzentrationsflächen und der Größe der Potenzialflächen beantworten. Nicht zulässig ist die Festlegung eines bestimmten prozentualen Anteils, den die Konzentrationsflächen im Vergleich zu den Potenzialflächen erreichen müssen, damit die Rechtsfolge des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB eintritt. Allerdings darf dem Verhältnis dieser Flächen zueinander Indizwirkung beigemessen werden und es ist nichts gegen einen Rechtssatz des Inhalts zu erinnern, dass, je geringer der Anteil der dargestellten Konzentrationsflächen ist, desto gewichtiger die gegen die Darstellung weiterer Konzentrationsflächen sprechenden Gesichtspunkte sein müssen, damit es sich nicht um eine unzulässige „Feigenblattplanung“ handelt.
79Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2012 – 4 CN 1.11 –, a.a.O., Rn. 19.
80Die Einschätzung, ob die Gemeinde mit ihrer Planung der Windenergienutzung substanziell Raum verschafft hat, ist das Ergebnis einer wertenden Betrachtung, die maßgebend auf der Würdigung der örtlichen Gegebenheiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht.
81Der Senat neigt insoweit der Auffassung zu, dass für die Bewertung, ob der Windenergienutzung substanziell Raum gegeben wurde, im Ausgangspunkt von den Flächen auszugehen ist, die der Gemeinde insoweit planerisch zur Verfügung stehen. Auf diesen kann sie im Rahmen ihres planerischen Gestaltungsfreiraums der Windenergienutzung substanziell Raum geben. Von den Außenbereichsflächen sind deshalb (nur) die harten Tabuzonen abzuziehen, auf die die Gemeinde praktisch keinen planerischen Einfluss hat. Ins Verhältnis zu setzen sind daher insbesondere die der Abwägung zugänglichen Flächen mit den für die Konzentrationszonen festgelegten Flächen.
82Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. Februar 2011 – 2 A 2.09 –, a.a.O., Rn. 60.; VG Hannover, Urteil vom 24. November 2011 – 4 A 4927/09 –; Tyczewski, a.a.O, S. 946 f.; Gatz, a.a.O., Rn. 100 ff.
83Erst bei einer zumindest groben Kenntnis dieser Relation wird der Plangeber willkürfrei und – auch für die gerichtliche Prüfung – nachvollziehbar entscheiden können, ob der Windenergienutzung substanziell Raum geschaffen wird; denn nur insoweit handelt es sich um eine Bezugsgröße, die er aufgrund seines planerischen Gestaltungsspielraums durch die Festlegung von Ausschlussbereichen („weichen Tabuzonen“) nach selbst gewählten Kriterien beeinflussen, also gegebenenfalls verringern, kann. Dass im Hinblick auf die planerische Gestaltungsfreiheit der Gemeinden eine zu erreichende Quote nicht abstrakt bestimmt werden kann, stellt nicht die auf dem Abwägungsgebot (§ 1 Abs. 7 BauGB) beruhende Verpflichtung des Plangebers in Frage, die maßgebliche Bezugsgröße bei der Zusammenstellung des Abwägungsmaterials zu ermitteln, unter Berücksichtigung der gesetzlichen Privilegierungsentscheidung für die Windenergienutzung und des Eigentumsrechts in Verbindung mit dem Gleichbehandlungsgebot vertretbar zu gewichten und in die Abwägung einzustellen.
84Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. Februar 2011 – 2 A 2.09 –, a.a.O., Rn. 60.
85Das Bundesverwaltungsgericht hat in dem zu diesem Urteil ergangenen Revisionsurteil keinen Anlass gesehen, diesen von dem Obergericht gewählten Ansatz zu beanstanden.
86Die Abwägung des Rates genügt diesen Anforderungen nicht. In der Planbegründung heißt es unter 4.4 „Prüfung substanzieller Raum“, Freiräume in einer Gesamtgröße von rund 5.000 ha, circa 30 % des Stadtgebietes, seien einer näheren Betrachtung unterzogen worden. Nach Abzug der Flächen, die als harte Tabuzonen bewertet worden seien, seien rund 2.600 ha (circa 16,5 % des Stadtgebietes) verblieben. Davon sei nach Aussonderung der weichen Tabuzonen in vier Suchräumen eine Gesamtpotenzialfläche von 260 ha verblieben, die die Gesamtpotenzialfläche von rund 190 ha der Potenzialstudie Erneuerbare Energien NRW um rund 70 ha überschreite. Die als Entwurf dargestellten fünf Konzentrationszonen hätten eine Gesamtfläche von rund 300 ha umfasst. Nach dem Beteiligungsverfahren hätten zwei Konzentrationszonen zurückgenommen und die übrigen reduziert werden müssen, da andere Belange Vorrang gehabt hätten beziehungsweise diesen Vorrang gegeben werden sollte. Insgesamt werde der Nutzung der Windenergienutzung im Plangebiet auf einer Fläche von 88,5 ha in substanzieller Weise Raum geschaffen. Dies seien 34 % der Gesamtpotenzialfläche, voraussichtlich könnten vierzehn Windenenergieanlagen errichtet werden.
87Nicht hinreichend berücksichtigt hat der Rat hierbei, dass die im Teilflächennutzungsplan dargestellten Konzentrationszonen mit einer Fläche von 88,5 ha lediglich 3,4 % (88,5/2600*100) der nach Abzug der im Aufstellungsverfahren angenommenen harten Tabuzonen übrig gebliebenen Flächen des Stadtgebietes ausmachen. Auf dieses Verhältnis hat der Rat lediglich am Ende der Begründung ergänzend hingewiesen, ohne dass es zu einer Überprüfung oder Änderung der Abwägungsentscheidung geführt hätte. Dieser Prozentsatz ist sehr niedrig und erreicht nicht ansatzweise den beispielsweise in dem bereits zitierten Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover genannten Anhaltswert von 10 %. Hätte der Rat mangels diesbezüglicher Bindung an den GEP die Waldflächen nicht (gänzlich) als harte Tabuzonen bewertet, ergäbe sich ein noch deutlicher geringerer Prozentsatz. Das von der Antragsgegnerin zur Begründung der Abwägungsentscheidung hervorgehobene Verhältnis von der durch die Darstellungen im Teilflächennutzungsplan ermöglichten Stromerzeugung durch Windenergie zu dem Stromverbrauch durch die Privathaushalte in der Gemeinde ist demgegenüber als Maßstab, ob der Windenergienutzung substantiell Raum gegeben wird, ungeeignet. Die Möglichkeiten für die Errichtung und den Betrieb von Windenergieanlagen werden insbesondere durch Siedlungsgebiete eingeschränkt. Je besiedelter ein Gemeindegebiet ist, desto geringere Möglichkeiten ergeben sich dort für die Windenergienutzung und umso höher fällt der (private) Stromverbrauch aus. Umgekehrt ist es in dünn besiedelten Gebieten vergleichsweise einfach, den (privaten) Stromverbrauch durch Windenergieanlage zu decken.
88Vgl. VG Hannover, Urteil vom 24. November 2011 ‑ 4 A 4927/09 ‑, a.a.O., Rn. 73.
89Soweit in der Planbegründung ausgeführt wird, dass im Entwurf dargestellte Konzentrationszonen vollständig zurückgenommen werden mussten, weil andere Belange Vorrang gehabt hätten beziehungsweise diesen Vorrang gewährt werden sollte, lassen insbesondere die Erwägungen zum Absehen von der Konzentrationsfläche V „H.“ erkennen, dass bei einer Abwägung mit den angeführten Überlegungen zum Freizeitkonzept der Antragsgegnerin beziehungsweise der Projektstudie „2Stromland“ dem gesetzlichen Anliegen, der Windenergienutzung an geeigneten Standorten eine Chance zu geben, die ihrer Privilegierung nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB gerecht wird, hätte entsprochen werden können. Die in diesem Zusammenhang angesprochene Empfehlung des Landschaftsbeirates, die Darstellung von Konzentrationszonen in den Bereichen zu konzentrieren, in denen sich bereits Windenergieanlagen befinden, mag verständlich sein, kann aber für sich genommen im Ergebnis nicht zu einem Absehen von der Darstellung der für ein substantielles Raumgeben erforderlichen Konzentrationszonen führen.
90Im Übrigen sei im Hinblick auf den Vortrag der Beteiligten lediglich angemerkt, dass der Senat keine Veranlassung gesehen hat, den weiteren Einwänden der Antragsteller bezüglich verschiedener Kriterien für die Bewertung von Tabuzonen weiter nachzugehen. Dies insbesondere deshalb, weil es nach den vorstehenden Erwägungen mit einer punktuellen Nachbesserung nicht getan sein wird und die Planung insgesamt unter dem Gesichtspunkt zu überprüfen sein wird, ob Waldflächen für die Windenergie grundsätzlich zur Verfügung stehen. Hingewiesen sei darauf, dass nach der Rechtsprechung des Senats artenschutzrechtliche Verbotstatbestände allein auf die Verwirklichungshandlung bezogen sind und daher für die Bauleitplanung nur mittelbare Bedeutung haben. Es bedarf im Aufstellungsverfahren lediglich einer Abschätzung durch den Plangeber, ob der Verwirklichung der Planung artenschutzrechtliche Verbotstatbestände als unüberwindliche Vollzugshindernisse entgegenstehen werden.
91Vgl. Urteil vom 21. April 2015 – 10 D 21/12.NE –, juris, Rn. 167.
92Dies bedeutet allerdings für den Rat, dass eine Begrenzung der Konzentrationszonen auf sogenannte „substantielle Potenzialflächen“ möglicherweise Gefahr laufen kann, der Windenergienutzung nicht substanziell Raum zu geben, wenn die verbleibenden Flächen mit dem Risiko der Realisierung artenschutzrechtlicher Verbotstatbestände behaftet sind.
93Dass die aus den vorstehenden Erwägungen gebotene Berücksichtigung von Waldflächen bei den der Abwägung zugänglichen Flächen das Verhältnis zu den für die Konzentrationszonen in Anspruch genommenen Flächen noch deutlich verschlechtern würde, bedarf keiner Vertiefung. Hingewiesen sei insoweit als Anhaltspunkt auf die bereits in der Planbegründung erwähnte Potenzialstudie Erneuerbare Energien NRW, Teil 1 – Windenergie, Anhang 3, die je nach Szenario von Potenzialflächen für die Windenergie von 191 ha ohne Inanspruchnahme von Waldflächen, 741 ha unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen des Windenergieerlasses vom 11. Juli 2011 oder 1.046 ha bei einer Betrachtung auch von Laub- und Mischwaldflächen im Stadtgebiet von I. ausgeht
94Der Fehler im Abwägungsvorgang ist gemäß § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB beachtlich.
95Gemäß § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB ist eine Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften des Baugesetzbuchs für die Rechtswirksamkeit eines Bebauungsplans nur beachtlich, wenn entgegen § 2 Abs. 3 BauGB die von der Planung berührten Belange, die der Gemeinde bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, in wesentlichen Punkten nicht zutreffend ermittelt oder bewertet worden sind und wenn der Mangel offensichtlich und auf das Ergebnis des Verfahrens von Einfluss gewesen ist. § 214 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 BauGB sieht vor, dass Fehler im Abwägungsvorgang nur erheblich sind, wenn sie offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind.
96Ein Fehler im Abwägungsvorgang ist offensichtlich, wenn er auf objektiv feststellbaren Umständen beruht und ohne Ausforschung der Mitglieder des Rats über deren Planungsvorstellungen für den Rechtsanwender erkennbar ist. Er ist auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen, wenn nach den Umständen des jeweiligen Falls die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne den Mangel die Planung anders ausgefallen wäre.
97Beides ist hier der Fall. Es ist objektiv feststellbar, dass die vom Rat zugrunde gelegte Annahmen, dass die Waldflächen harte Tabuzonen seien und der Windenergienutzung mit der Darstellung der Konzentrationszonen für die Windenergienutzung substanziell Raum gegeben worden sei, unzutreffend sind. Diese Fehler sind auf das Abwägungsergebnis offensichtlich von Einfluss gewesen, weil die konkrete Möglichkeit besteht, dass die Antragsgegnerin mehr oder größere Konzentrationszonen für die Windenergienutzung dargestellt hätte, damit die Forderung, der Windenergienutzung substantiellen Raum zu verschaffen, erfüllt wird.
98Die Antragsteller haben die Fehler im Abwägungsvorgang innerhalb der Jahresfrist des § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB jedenfalls mit den Schriftsätzen im vorliegenden Verfahren hinreichend substantiiert gegenüber der Antragsgegnerin geltend gemacht.
99Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
100Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
101Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
(1) Im Außenbereich ist ein Vorhaben nur zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen, die ausreichende Erschließung gesichert ist und wenn es
- 1.
einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dient und nur einen untergeordneten Teil der Betriebsfläche einnimmt, - 2.
einem Betrieb der gartenbaulichen Erzeugung dient, - 3.
der öffentlichen Versorgung mit Elektrizität, Gas, Telekommunikationsdienstleistungen, Wärme und Wasser, der Abwasserwirtschaft oder einem ortsgebundenen gewerblichen Betrieb dient, - 4.
wegen seiner besonderen Anforderungen an die Umgebung, wegen seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung oder wegen seiner besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden soll, es sei denn, es handelt sich um die Errichtung, Änderung oder Erweiterung einer baulichen Anlage zur Tierhaltung, die dem Anwendungsbereich der Nummer 1 nicht unterfällt und die einer Pflicht zur Durchführung einer standortbezogenen oder allgemeinen Vorprüfung oder einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt, wobei bei kumulierenden Vorhaben für die Annahme eines engen Zusammenhangs diejenigen Tierhaltungsanlagen zu berücksichtigen sind, die auf demselben Betriebs- oder Baugelände liegen und mit gemeinsamen betrieblichen oder baulichen Einrichtungen verbunden sind, - 5.
der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie nach Maßgabe des § 249 oder der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Wasserenergie dient, - 6.
der energetischen Nutzung von Biomasse im Rahmen eines Betriebs nach Nummer 1 oder 2 oder eines Betriebs nach Nummer 4, der Tierhaltung betreibt, sowie dem Anschluss solcher Anlagen an das öffentliche Versorgungsnetz dient, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben steht in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit dem Betrieb, - b)
die Biomasse stammt überwiegend aus dem Betrieb oder überwiegend aus diesem und aus nahe gelegenen Betrieben nach den Nummern 1, 2 oder 4, soweit letzterer Tierhaltung betreibt, - c)
es wird je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage betrieben und - d)
die Kapazität einer Anlage zur Erzeugung von Biogas überschreitet nicht 2,3 Millionen Normkubikmeter Biogas pro Jahr, die Feuerungswärmeleistung anderer Anlagen überschreitet nicht 2,0 Megawatt,
- 7.
der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken oder der Entsorgung radioaktiver Abfälle dient, mit Ausnahme der Neuerrichtung von Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität, - 8.
der Nutzung solarer Strahlungsenergie dient - a)
in, an und auf Dach- und Außenwandflächen von zulässigerweise genutzten Gebäuden, wenn die Anlage dem Gebäude baulich untergeordnet ist, oder - b)
auf einer Fläche längs von - aa)
Autobahnen oder - bb)
Schienenwegen des übergeordneten Netzes im Sinne des § 2b des Allgemeinen Eisenbahngesetzes mit mindestens zwei Hauptgleisen
- 9.
der Nutzung solarer Strahlungsenergie durch besondere Solaranlagen im Sinne des § 48 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 Buchstabe a, b oder c des Erneuerbare-Energien-Gesetzes dient, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben steht in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit einem Betrieb nach Nummer 1 oder 2, - b)
die Grundfläche der besonderen Solaranlage überschreitet nicht 25 000 Quadratmeter und - c)
es wird je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage betrieben.
(2) Sonstige Vorhaben können im Einzelfall zugelassen werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist.
(3) Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange liegt insbesondere vor, wenn das Vorhaben
- 1.
den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspricht, - 2.
den Darstellungen eines Landschaftsplans oder sonstigen Plans, insbesondere des Wasser-, Abfall- oder Immissionsschutzrechts, widerspricht, - 3.
schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann oder ihnen ausgesetzt wird, - 4.
unwirtschaftliche Aufwendungen für Straßen oder andere Verkehrseinrichtungen, für Anlagen der Versorgung oder Entsorgung, für die Sicherheit oder Gesundheit oder für sonstige Aufgaben erfordert, - 5.
Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege, des Bodenschutzes, des Denkmalschutzes oder die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert beeinträchtigt oder das Orts- und Landschaftsbild verunstaltet, - 6.
Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur beeinträchtigt, die Wasserwirtschaft oder den Hochwasserschutz gefährdet, - 7.
die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt oder - 8.
die Funktionsfähigkeit von Funkstellen und Radaranlagen stört.
(4) Den nachfolgend bezeichneten sonstigen Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 kann nicht entgegengehalten werden, dass sie Darstellungen des Flächennutzungsplans oder eines Landschaftsplans widersprechen, die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen oder die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lassen, soweit sie im Übrigen außenbereichsverträglich im Sinne des Absatzes 3 sind:
- 1.
die Änderung der bisherigen Nutzung eines Gebäudes, das unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nummer 1 errichtet wurde, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben dient einer zweckmäßigen Verwendung erhaltenswerter Bausubstanz, - b)
die äußere Gestalt des Gebäudes bleibt im Wesentlichen gewahrt, - c)
die Aufgabe der bisherigen Nutzung liegt nicht länger als sieben Jahre zurück, - d)
das Gebäude ist vor mehr als sieben Jahren zulässigerweise errichtet worden, - e)
das Gebäude steht im räumlich-funktionalen Zusammenhang mit der Hofstelle des land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs, - f)
im Falle der Änderung zu Wohnzwecken entstehen neben den bisher nach Absatz 1 Nummer 1 zulässigen Wohnungen höchstens fünf Wohnungen je Hofstelle und - g)
es wird eine Verpflichtung übernommen, keine Neubebauung als Ersatz für die aufgegebene Nutzung vorzunehmen, es sei denn, die Neubebauung wird im Interesse der Entwicklung des Betriebs im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 erforderlich,
- 2.
die Neuerrichtung eines gleichartigen Wohngebäudes an gleicher Stelle unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das vorhandene Gebäude ist zulässigerweise errichtet worden, - b)
das vorhandene Gebäude weist Missstände oder Mängel auf, - c)
das vorhandene Gebäude wurde oder wird seit längerer Zeit vom Eigentümer selbst genutzt und - d)
Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des bisherigen Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird; hat der Eigentümer das vorhandene Gebäude im Wege der Erbfolge von einem Voreigentümer erworben, der es seit längerer Zeit selbst genutzt hat, reicht es aus, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird,
- 3.
die alsbaldige Neuerrichtung eines zulässigerweise errichteten, durch Brand, Naturereignisse oder andere außergewöhnliche Ereignisse zerstörten, gleichartigen Gebäudes an gleicher Stelle, - 4.
die Änderung oder Nutzungsänderung von erhaltenswerten, das Bild der Kulturlandschaft prägenden Gebäuden, auch wenn sie aufgegeben sind, wenn das Vorhaben einer zweckmäßigen Verwendung der Gebäude und der Erhaltung des Gestaltwerts dient, - 5.
die Erweiterung eines Wohngebäudes auf bis zu höchstens zwei Wohnungen unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Gebäude ist zulässigerweise errichtet worden, - b)
die Erweiterung ist im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse angemessen und - c)
bei der Errichtung einer weiteren Wohnung rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass das Gebäude vom bisherigen Eigentümer oder seiner Familie selbst genutzt wird,
- 6.
die bauliche Erweiterung eines zulässigerweise errichteten gewerblichen Betriebs, wenn die Erweiterung im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und Betrieb angemessen ist.
(5) Die nach den Absätzen 1 bis 4 zulässigen Vorhaben sind in einer flächensparenden, die Bodenversiegelung auf das notwendige Maß begrenzenden und den Außenbereich schonenden Weise auszuführen. Für Vorhaben nach Absatz 1 Nummer 2 bis 6, 8 Buchstabe b und Nummer 9 ist als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung eine Verpflichtungserklärung abzugeben, das Vorhaben nach dauerhafter Aufgabe der zulässigen Nutzung zurückzubauen und Bodenversiegelungen zu beseitigen; bei einer nach Absatz 1 Nummer 2 bis 6 und 8 Buchstabe b zulässigen Nutzungsänderung ist die Rückbauverpflichtung zu übernehmen, bei einer nach Absatz 1 Nummer 1 oder Absatz 2 zulässigen Nutzungsänderung entfällt sie. Die Baugenehmigungsbehörde soll durch nach Landesrecht vorgesehene Baulast oder in anderer Weise die Einhaltung der Verpflichtung nach Satz 2 sowie nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe g sicherstellen. Im Übrigen soll sie in den Fällen des Absatzes 4 Satz 1 sicherstellen, dass die bauliche oder sonstige Anlage nach Durchführung des Vorhabens nur in der vorgesehenen Art genutzt wird.
(6) Die Gemeinde kann für bebaute Bereiche im Außenbereich, die nicht überwiegend landwirtschaftlich geprägt sind und in denen eine Wohnbebauung von einigem Gewicht vorhanden ist, durch Satzung bestimmen, dass Wohnzwecken dienenden Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 nicht entgegengehalten werden kann, dass sie einer Darstellung im Flächennutzungsplan über Flächen für die Landwirtschaft oder Wald widersprechen oder die Entstehung oder Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lassen. Die Satzung kann auch auf Vorhaben erstreckt werden, die kleineren Handwerks- und Gewerbebetrieben dienen. In der Satzung können nähere Bestimmungen über die Zulässigkeit getroffen werden. Voraussetzung für die Aufstellung der Satzung ist, dass
- 1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar ist, - 2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und - 3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
(1) Der Verursacher eines Eingriffs ist verpflichtet, vermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu unterlassen. Beeinträchtigungen sind vermeidbar, wenn zumutbare Alternativen, den mit dem Eingriff verfolgten Zweck am gleichen Ort ohne oder mit geringeren Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu erreichen, gegeben sind. Soweit Beeinträchtigungen nicht vermieden werden können, ist dies zu begründen.
(2) Der Verursacher ist verpflichtet, unvermeidbare Beeinträchtigungen durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege auszugleichen (Ausgleichsmaßnahmen) oder zu ersetzen (Ersatzmaßnahmen). Ausgeglichen ist eine Beeinträchtigung, wenn und sobald die beeinträchtigten Funktionen des Naturhaushalts in gleichartiger Weise wiederhergestellt sind und das Landschaftsbild landschaftsgerecht wiederhergestellt oder neu gestaltet ist. Ersetzt ist eine Beeinträchtigung, wenn und sobald die beeinträchtigten Funktionen des Naturhaushalts in dem betroffenen Naturraum in gleichwertiger Weise hergestellt sind und das Landschaftsbild landschaftsgerecht neu gestaltet ist. Festlegungen von Entwicklungs- und Wiederherstellungsmaßnahmen für Gebiete im Sinne des § 20 Absatz 2 Nummer 1 bis 4 und in Bewirtschaftungsplänen nach § 32 Absatz 5, von Maßnahmen nach § 34 Absatz 5 und § 44 Absatz 5 Satz 3 dieses Gesetzes sowie von Maßnahmen in Maßnahmenprogrammen im Sinne des § 82 des Wasserhaushaltsgesetzes stehen der Anerkennung solcher Maßnahmen als Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen nicht entgegen. Bei der Festsetzung von Art und Umfang der Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sind die Programme und Pläne nach den §§ 10 und 11 zu berücksichtigen.
(3) Bei der Inanspruchnahme von land- oder forstwirtschaftlich genutzten Flächen für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen ist auf agrarstrukturelle Belange Rücksicht zu nehmen, insbesondere sind für die landwirtschaftliche Nutzung besonders geeignete Böden nur im notwendigen Umfang in Anspruch zu nehmen. Es ist vorrangig zu prüfen, ob der Ausgleich oder Ersatz auch durch Maßnahmen zur Entsiegelung, durch Maßnahmen zur Wiedervernetzung von Lebensräumen oder durch Bewirtschaftungs- oder Pflegemaßnahmen, die der dauerhaften Aufwertung des Naturhaushalts oder des Landschaftsbildes dienen, erbracht werden kann, um möglichst zu vermeiden, dass Flächen aus der Nutzung genommen werden.
(4) Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sind in dem jeweils erforderlichen Zeitraum zu unterhalten und rechtlich zu sichern. Der Unterhaltungszeitraum ist durch die zuständige Behörde im Zulassungsbescheid festzusetzen. Verantwortlich für Ausführung, Unterhaltung und Sicherung der Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen ist der Verursacher oder dessen Rechtsnachfolger.
(5) Ein Eingriff darf nicht zugelassen oder durchgeführt werden, wenn die Beeinträchtigungen nicht zu vermeiden oder nicht in angemessener Frist auszugleichen oder zu ersetzen sind und die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege bei der Abwägung aller Anforderungen an Natur und Landschaft anderen Belangen im Range vorgehen.
(6) Wird ein Eingriff nach Absatz 5 zugelassen oder durchgeführt, obwohl die Beeinträchtigungen nicht zu vermeiden oder nicht in angemessener Frist auszugleichen oder zu ersetzen sind, hat der Verursacher Ersatz in Geld zu leisten. Die Ersatzzahlung bemisst sich nach den durchschnittlichen Kosten der nicht durchführbaren Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen einschließlich der erforderlichen durchschnittlichen Kosten für deren Planung und Unterhaltung sowie die Flächenbereitstellung unter Einbeziehung der Personal- und sonstigen Verwaltungskosten. Sind diese nicht feststellbar, bemisst sich die Ersatzzahlung nach Dauer und Schwere des Eingriffs unter Berücksichtigung der dem Verursacher daraus erwachsenden Vorteile. Die Ersatzzahlung ist von der zuständigen Behörde im Zulassungsbescheid oder, wenn der Eingriff von einer Behörde durchgeführt wird, vor der Durchführung des Eingriffs festzusetzen. Die Zahlung ist vor der Durchführung des Eingriffs zu leisten. Es kann ein anderer Zeitpunkt für die Zahlung festgelegt werden; in diesem Fall soll eine Sicherheitsleistung verlangt werden. Die Ersatzzahlung ist zweckgebunden für Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege möglichst in dem betroffenen Naturraum zu verwenden, für die nicht bereits nach anderen Vorschriften eine rechtliche Verpflichtung besteht.
(7) Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere zur Kompensation von Eingriffen zu regeln, insbesondere
- 1.
zu Inhalt, Art und Umfang von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen einschließlich Maßnahmen zur Entsiegelung, zur Wiedervernetzung von Lebensräumen und zur Bewirtschaftung und Pflege sowie zur Festlegung diesbezüglicher Standards, insbesondere für vergleichbare Eingriffsarten, - 2.
die Höhe der Ersatzzahlung und das Verfahren zu ihrer Erhebung.
(8) Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates das Nähere zur Vermeidung von Beeinträchtigungen im Sinne von Absatz 1 Satz 1 sowie zur Kompensation von Eingriffen im Sinne von Absatz 7 Satz 1 zu regeln, soweit die Verordnung und Vorschriften dieses Kapitels ausschließlich durch die Bundesverwaltung, insbesondere bundeseigene Verwaltung oder bundesunmittelbare Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts, ausgeführt werden. Die Rechtsverordnung ist bis zum 1. März 2020 dem Bundestag zuzuleiten. Sie kann durch Beschluss des Bundestages geändert oder abgelehnt werden. Der Beschluss des Bundestages wird dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit zugeleitet. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit ist bei der Verkündung der Rechtsverordnung an den Beschluss gebunden. Hat sich der Bundestag nach Ablauf von drei Sitzungswochen seit Eingang einer Rechtsverordnung nicht mit ihr befasst, so wird die unveränderte Rechtsverordnung dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit zur Verkündung zugeleitet. Absatz 7 Satz 2 ist entsprechend anzuwenden.
(1) Eingriffe in Natur und Landschaft im Sinne dieses Gesetzes sind Veränderungen der Gestalt oder Nutzung von Grundflächen oder Veränderungen des mit der belebten Bodenschicht in Verbindung stehenden Grundwasserspiegels, die die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts oder das Landschaftsbild erheblich beeinträchtigen können.
(2) Die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung ist nicht als Eingriff anzusehen, soweit dabei die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege berücksichtigt werden. Entspricht die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung den in § 5 Absatz 2 bis 4 dieses Gesetzes genannten Anforderungen sowie den sich aus § 17 Absatz 2 des Bundes-Bodenschutzgesetzes und dem Recht der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft ergebenden Anforderungen an die gute fachliche Praxis, widerspricht sie in der Regel nicht den Zielen des Naturschutzes und der Landschaftspflege.
(3) Nicht als Eingriff gilt die Wiederaufnahme einer land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Bodennutzung, wenn sie zeitweise eingeschränkt oder unterbrochen war
- 1.
auf Grund vertraglicher Vereinbarungen oder auf Grund der Teilnahme an öffentlichen Programmen zur Bewirtschaftungsbeschränkung und wenn die Wiederaufnahme innerhalb von zehn Jahren nach Auslaufen der Einschränkung oder Unterbrechung erfolgt, - 2.
auf Grund der Durchführung von vorgezogenen Kompensationsmaßnahmen, die vorgezogene Maßnahme aber nicht für eine Kompensation in Anspruch genommen wird.
(1) Der Verursacher eines Eingriffs ist verpflichtet, vermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu unterlassen. Beeinträchtigungen sind vermeidbar, wenn zumutbare Alternativen, den mit dem Eingriff verfolgten Zweck am gleichen Ort ohne oder mit geringeren Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu erreichen, gegeben sind. Soweit Beeinträchtigungen nicht vermieden werden können, ist dies zu begründen.
(2) Der Verursacher ist verpflichtet, unvermeidbare Beeinträchtigungen durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege auszugleichen (Ausgleichsmaßnahmen) oder zu ersetzen (Ersatzmaßnahmen). Ausgeglichen ist eine Beeinträchtigung, wenn und sobald die beeinträchtigten Funktionen des Naturhaushalts in gleichartiger Weise wiederhergestellt sind und das Landschaftsbild landschaftsgerecht wiederhergestellt oder neu gestaltet ist. Ersetzt ist eine Beeinträchtigung, wenn und sobald die beeinträchtigten Funktionen des Naturhaushalts in dem betroffenen Naturraum in gleichwertiger Weise hergestellt sind und das Landschaftsbild landschaftsgerecht neu gestaltet ist. Festlegungen von Entwicklungs- und Wiederherstellungsmaßnahmen für Gebiete im Sinne des § 20 Absatz 2 Nummer 1 bis 4 und in Bewirtschaftungsplänen nach § 32 Absatz 5, von Maßnahmen nach § 34 Absatz 5 und § 44 Absatz 5 Satz 3 dieses Gesetzes sowie von Maßnahmen in Maßnahmenprogrammen im Sinne des § 82 des Wasserhaushaltsgesetzes stehen der Anerkennung solcher Maßnahmen als Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen nicht entgegen. Bei der Festsetzung von Art und Umfang der Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sind die Programme und Pläne nach den §§ 10 und 11 zu berücksichtigen.
(3) Bei der Inanspruchnahme von land- oder forstwirtschaftlich genutzten Flächen für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen ist auf agrarstrukturelle Belange Rücksicht zu nehmen, insbesondere sind für die landwirtschaftliche Nutzung besonders geeignete Böden nur im notwendigen Umfang in Anspruch zu nehmen. Es ist vorrangig zu prüfen, ob der Ausgleich oder Ersatz auch durch Maßnahmen zur Entsiegelung, durch Maßnahmen zur Wiedervernetzung von Lebensräumen oder durch Bewirtschaftungs- oder Pflegemaßnahmen, die der dauerhaften Aufwertung des Naturhaushalts oder des Landschaftsbildes dienen, erbracht werden kann, um möglichst zu vermeiden, dass Flächen aus der Nutzung genommen werden.
(4) Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sind in dem jeweils erforderlichen Zeitraum zu unterhalten und rechtlich zu sichern. Der Unterhaltungszeitraum ist durch die zuständige Behörde im Zulassungsbescheid festzusetzen. Verantwortlich für Ausführung, Unterhaltung und Sicherung der Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen ist der Verursacher oder dessen Rechtsnachfolger.
(5) Ein Eingriff darf nicht zugelassen oder durchgeführt werden, wenn die Beeinträchtigungen nicht zu vermeiden oder nicht in angemessener Frist auszugleichen oder zu ersetzen sind und die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege bei der Abwägung aller Anforderungen an Natur und Landschaft anderen Belangen im Range vorgehen.
(6) Wird ein Eingriff nach Absatz 5 zugelassen oder durchgeführt, obwohl die Beeinträchtigungen nicht zu vermeiden oder nicht in angemessener Frist auszugleichen oder zu ersetzen sind, hat der Verursacher Ersatz in Geld zu leisten. Die Ersatzzahlung bemisst sich nach den durchschnittlichen Kosten der nicht durchführbaren Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen einschließlich der erforderlichen durchschnittlichen Kosten für deren Planung und Unterhaltung sowie die Flächenbereitstellung unter Einbeziehung der Personal- und sonstigen Verwaltungskosten. Sind diese nicht feststellbar, bemisst sich die Ersatzzahlung nach Dauer und Schwere des Eingriffs unter Berücksichtigung der dem Verursacher daraus erwachsenden Vorteile. Die Ersatzzahlung ist von der zuständigen Behörde im Zulassungsbescheid oder, wenn der Eingriff von einer Behörde durchgeführt wird, vor der Durchführung des Eingriffs festzusetzen. Die Zahlung ist vor der Durchführung des Eingriffs zu leisten. Es kann ein anderer Zeitpunkt für die Zahlung festgelegt werden; in diesem Fall soll eine Sicherheitsleistung verlangt werden. Die Ersatzzahlung ist zweckgebunden für Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege möglichst in dem betroffenen Naturraum zu verwenden, für die nicht bereits nach anderen Vorschriften eine rechtliche Verpflichtung besteht.
(7) Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere zur Kompensation von Eingriffen zu regeln, insbesondere
- 1.
zu Inhalt, Art und Umfang von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen einschließlich Maßnahmen zur Entsiegelung, zur Wiedervernetzung von Lebensräumen und zur Bewirtschaftung und Pflege sowie zur Festlegung diesbezüglicher Standards, insbesondere für vergleichbare Eingriffsarten, - 2.
die Höhe der Ersatzzahlung und das Verfahren zu ihrer Erhebung.
(8) Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates das Nähere zur Vermeidung von Beeinträchtigungen im Sinne von Absatz 1 Satz 1 sowie zur Kompensation von Eingriffen im Sinne von Absatz 7 Satz 1 zu regeln, soweit die Verordnung und Vorschriften dieses Kapitels ausschließlich durch die Bundesverwaltung, insbesondere bundeseigene Verwaltung oder bundesunmittelbare Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts, ausgeführt werden. Die Rechtsverordnung ist bis zum 1. März 2020 dem Bundestag zuzuleiten. Sie kann durch Beschluss des Bundestages geändert oder abgelehnt werden. Der Beschluss des Bundestages wird dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit zugeleitet. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit ist bei der Verkündung der Rechtsverordnung an den Beschluss gebunden. Hat sich der Bundestag nach Ablauf von drei Sitzungswochen seit Eingang einer Rechtsverordnung nicht mit ihr befasst, so wird die unveränderte Rechtsverordnung dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit zur Verkündung zugeleitet. Absatz 7 Satz 2 ist entsprechend anzuwenden.
(1) Ist ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst, kann die Gemeinde zur Sicherung der Planung für den künftigen Planbereich eine Veränderungssperre mit dem Inhalt beschließen, dass
- 1.
Vorhaben im Sinne des § 29 nicht durchgeführt oder bauliche Anlagen nicht beseitigt werden dürfen; - 2.
erhebliche oder wesentlich wertsteigernde Veränderungen von Grundstücken und baulichen Anlagen, deren Veränderungen nicht genehmigungs-, zustimmungs- oder anzeigepflichtig sind, nicht vorgenommen werden dürfen.
(2) Wenn überwiegende öffentliche Belange nicht entgegenstehen, kann von der Veränderungssperre eine Ausnahme zugelassen werden. Die Entscheidung über Ausnahmen trifft die Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde.
(3) Vorhaben, die vor dem Inkrafttreten der Veränderungssperre baurechtlich genehmigt worden sind, Vorhaben, von denen die Gemeinde nach Maßgabe des Bauordnungsrechts Kenntnis erlangt hat und mit deren Ausführung vor dem Inkrafttreten der Veränderungssperre hätte begonnen werden dürfen, sowie Unterhaltungsarbeiten und die Fortführung einer bisher ausgeübten Nutzung werden von der Veränderungssperre nicht berührt.
(4) Soweit für Vorhaben im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet oder im städtebaulichen Entwicklungsbereich eine Genehmigungspflicht nach § 144 Absatz 1 besteht, sind die Vorschriften über die Veränderungssperre nicht anzuwenden.
(1) Der Verursacher eines Eingriffs ist verpflichtet, vermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu unterlassen. Beeinträchtigungen sind vermeidbar, wenn zumutbare Alternativen, den mit dem Eingriff verfolgten Zweck am gleichen Ort ohne oder mit geringeren Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu erreichen, gegeben sind. Soweit Beeinträchtigungen nicht vermieden werden können, ist dies zu begründen.
(2) Der Verursacher ist verpflichtet, unvermeidbare Beeinträchtigungen durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege auszugleichen (Ausgleichsmaßnahmen) oder zu ersetzen (Ersatzmaßnahmen). Ausgeglichen ist eine Beeinträchtigung, wenn und sobald die beeinträchtigten Funktionen des Naturhaushalts in gleichartiger Weise wiederhergestellt sind und das Landschaftsbild landschaftsgerecht wiederhergestellt oder neu gestaltet ist. Ersetzt ist eine Beeinträchtigung, wenn und sobald die beeinträchtigten Funktionen des Naturhaushalts in dem betroffenen Naturraum in gleichwertiger Weise hergestellt sind und das Landschaftsbild landschaftsgerecht neu gestaltet ist. Festlegungen von Entwicklungs- und Wiederherstellungsmaßnahmen für Gebiete im Sinne des § 20 Absatz 2 Nummer 1 bis 4 und in Bewirtschaftungsplänen nach § 32 Absatz 5, von Maßnahmen nach § 34 Absatz 5 und § 44 Absatz 5 Satz 3 dieses Gesetzes sowie von Maßnahmen in Maßnahmenprogrammen im Sinne des § 82 des Wasserhaushaltsgesetzes stehen der Anerkennung solcher Maßnahmen als Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen nicht entgegen. Bei der Festsetzung von Art und Umfang der Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sind die Programme und Pläne nach den §§ 10 und 11 zu berücksichtigen.
(3) Bei der Inanspruchnahme von land- oder forstwirtschaftlich genutzten Flächen für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen ist auf agrarstrukturelle Belange Rücksicht zu nehmen, insbesondere sind für die landwirtschaftliche Nutzung besonders geeignete Böden nur im notwendigen Umfang in Anspruch zu nehmen. Es ist vorrangig zu prüfen, ob der Ausgleich oder Ersatz auch durch Maßnahmen zur Entsiegelung, durch Maßnahmen zur Wiedervernetzung von Lebensräumen oder durch Bewirtschaftungs- oder Pflegemaßnahmen, die der dauerhaften Aufwertung des Naturhaushalts oder des Landschaftsbildes dienen, erbracht werden kann, um möglichst zu vermeiden, dass Flächen aus der Nutzung genommen werden.
(4) Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sind in dem jeweils erforderlichen Zeitraum zu unterhalten und rechtlich zu sichern. Der Unterhaltungszeitraum ist durch die zuständige Behörde im Zulassungsbescheid festzusetzen. Verantwortlich für Ausführung, Unterhaltung und Sicherung der Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen ist der Verursacher oder dessen Rechtsnachfolger.
(5) Ein Eingriff darf nicht zugelassen oder durchgeführt werden, wenn die Beeinträchtigungen nicht zu vermeiden oder nicht in angemessener Frist auszugleichen oder zu ersetzen sind und die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege bei der Abwägung aller Anforderungen an Natur und Landschaft anderen Belangen im Range vorgehen.
(6) Wird ein Eingriff nach Absatz 5 zugelassen oder durchgeführt, obwohl die Beeinträchtigungen nicht zu vermeiden oder nicht in angemessener Frist auszugleichen oder zu ersetzen sind, hat der Verursacher Ersatz in Geld zu leisten. Die Ersatzzahlung bemisst sich nach den durchschnittlichen Kosten der nicht durchführbaren Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen einschließlich der erforderlichen durchschnittlichen Kosten für deren Planung und Unterhaltung sowie die Flächenbereitstellung unter Einbeziehung der Personal- und sonstigen Verwaltungskosten. Sind diese nicht feststellbar, bemisst sich die Ersatzzahlung nach Dauer und Schwere des Eingriffs unter Berücksichtigung der dem Verursacher daraus erwachsenden Vorteile. Die Ersatzzahlung ist von der zuständigen Behörde im Zulassungsbescheid oder, wenn der Eingriff von einer Behörde durchgeführt wird, vor der Durchführung des Eingriffs festzusetzen. Die Zahlung ist vor der Durchführung des Eingriffs zu leisten. Es kann ein anderer Zeitpunkt für die Zahlung festgelegt werden; in diesem Fall soll eine Sicherheitsleistung verlangt werden. Die Ersatzzahlung ist zweckgebunden für Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege möglichst in dem betroffenen Naturraum zu verwenden, für die nicht bereits nach anderen Vorschriften eine rechtliche Verpflichtung besteht.
(7) Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere zur Kompensation von Eingriffen zu regeln, insbesondere
- 1.
zu Inhalt, Art und Umfang von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen einschließlich Maßnahmen zur Entsiegelung, zur Wiedervernetzung von Lebensräumen und zur Bewirtschaftung und Pflege sowie zur Festlegung diesbezüglicher Standards, insbesondere für vergleichbare Eingriffsarten, - 2.
die Höhe der Ersatzzahlung und das Verfahren zu ihrer Erhebung.
(8) Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates das Nähere zur Vermeidung von Beeinträchtigungen im Sinne von Absatz 1 Satz 1 sowie zur Kompensation von Eingriffen im Sinne von Absatz 7 Satz 1 zu regeln, soweit die Verordnung und Vorschriften dieses Kapitels ausschließlich durch die Bundesverwaltung, insbesondere bundeseigene Verwaltung oder bundesunmittelbare Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts, ausgeführt werden. Die Rechtsverordnung ist bis zum 1. März 2020 dem Bundestag zuzuleiten. Sie kann durch Beschluss des Bundestages geändert oder abgelehnt werden. Der Beschluss des Bundestages wird dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit zugeleitet. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit ist bei der Verkündung der Rechtsverordnung an den Beschluss gebunden. Hat sich der Bundestag nach Ablauf von drei Sitzungswochen seit Eingang einer Rechtsverordnung nicht mit ihr befasst, so wird die unveränderte Rechtsverordnung dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit zur Verkündung zugeleitet. Absatz 7 Satz 2 ist entsprechend anzuwenden.
(1) Im Außenbereich ist ein Vorhaben nur zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen, die ausreichende Erschließung gesichert ist und wenn es
- 1.
einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dient und nur einen untergeordneten Teil der Betriebsfläche einnimmt, - 2.
einem Betrieb der gartenbaulichen Erzeugung dient, - 3.
der öffentlichen Versorgung mit Elektrizität, Gas, Telekommunikationsdienstleistungen, Wärme und Wasser, der Abwasserwirtschaft oder einem ortsgebundenen gewerblichen Betrieb dient, - 4.
wegen seiner besonderen Anforderungen an die Umgebung, wegen seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung oder wegen seiner besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden soll, es sei denn, es handelt sich um die Errichtung, Änderung oder Erweiterung einer baulichen Anlage zur Tierhaltung, die dem Anwendungsbereich der Nummer 1 nicht unterfällt und die einer Pflicht zur Durchführung einer standortbezogenen oder allgemeinen Vorprüfung oder einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt, wobei bei kumulierenden Vorhaben für die Annahme eines engen Zusammenhangs diejenigen Tierhaltungsanlagen zu berücksichtigen sind, die auf demselben Betriebs- oder Baugelände liegen und mit gemeinsamen betrieblichen oder baulichen Einrichtungen verbunden sind, - 5.
der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie nach Maßgabe des § 249 oder der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Wasserenergie dient, - 6.
der energetischen Nutzung von Biomasse im Rahmen eines Betriebs nach Nummer 1 oder 2 oder eines Betriebs nach Nummer 4, der Tierhaltung betreibt, sowie dem Anschluss solcher Anlagen an das öffentliche Versorgungsnetz dient, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben steht in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit dem Betrieb, - b)
die Biomasse stammt überwiegend aus dem Betrieb oder überwiegend aus diesem und aus nahe gelegenen Betrieben nach den Nummern 1, 2 oder 4, soweit letzterer Tierhaltung betreibt, - c)
es wird je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage betrieben und - d)
die Kapazität einer Anlage zur Erzeugung von Biogas überschreitet nicht 2,3 Millionen Normkubikmeter Biogas pro Jahr, die Feuerungswärmeleistung anderer Anlagen überschreitet nicht 2,0 Megawatt,
- 7.
der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken oder der Entsorgung radioaktiver Abfälle dient, mit Ausnahme der Neuerrichtung von Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität, - 8.
der Nutzung solarer Strahlungsenergie dient - a)
in, an und auf Dach- und Außenwandflächen von zulässigerweise genutzten Gebäuden, wenn die Anlage dem Gebäude baulich untergeordnet ist, oder - b)
auf einer Fläche längs von - aa)
Autobahnen oder - bb)
Schienenwegen des übergeordneten Netzes im Sinne des § 2b des Allgemeinen Eisenbahngesetzes mit mindestens zwei Hauptgleisen
- 9.
der Nutzung solarer Strahlungsenergie durch besondere Solaranlagen im Sinne des § 48 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 Buchstabe a, b oder c des Erneuerbare-Energien-Gesetzes dient, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben steht in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit einem Betrieb nach Nummer 1 oder 2, - b)
die Grundfläche der besonderen Solaranlage überschreitet nicht 25 000 Quadratmeter und - c)
es wird je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage betrieben.
(2) Sonstige Vorhaben können im Einzelfall zugelassen werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist.
(3) Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange liegt insbesondere vor, wenn das Vorhaben
- 1.
den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspricht, - 2.
den Darstellungen eines Landschaftsplans oder sonstigen Plans, insbesondere des Wasser-, Abfall- oder Immissionsschutzrechts, widerspricht, - 3.
schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann oder ihnen ausgesetzt wird, - 4.
unwirtschaftliche Aufwendungen für Straßen oder andere Verkehrseinrichtungen, für Anlagen der Versorgung oder Entsorgung, für die Sicherheit oder Gesundheit oder für sonstige Aufgaben erfordert, - 5.
Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege, des Bodenschutzes, des Denkmalschutzes oder die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert beeinträchtigt oder das Orts- und Landschaftsbild verunstaltet, - 6.
Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur beeinträchtigt, die Wasserwirtschaft oder den Hochwasserschutz gefährdet, - 7.
die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt oder - 8.
die Funktionsfähigkeit von Funkstellen und Radaranlagen stört.
(4) Den nachfolgend bezeichneten sonstigen Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 kann nicht entgegengehalten werden, dass sie Darstellungen des Flächennutzungsplans oder eines Landschaftsplans widersprechen, die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen oder die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lassen, soweit sie im Übrigen außenbereichsverträglich im Sinne des Absatzes 3 sind:
- 1.
die Änderung der bisherigen Nutzung eines Gebäudes, das unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nummer 1 errichtet wurde, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben dient einer zweckmäßigen Verwendung erhaltenswerter Bausubstanz, - b)
die äußere Gestalt des Gebäudes bleibt im Wesentlichen gewahrt, - c)
die Aufgabe der bisherigen Nutzung liegt nicht länger als sieben Jahre zurück, - d)
das Gebäude ist vor mehr als sieben Jahren zulässigerweise errichtet worden, - e)
das Gebäude steht im räumlich-funktionalen Zusammenhang mit der Hofstelle des land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs, - f)
im Falle der Änderung zu Wohnzwecken entstehen neben den bisher nach Absatz 1 Nummer 1 zulässigen Wohnungen höchstens fünf Wohnungen je Hofstelle und - g)
es wird eine Verpflichtung übernommen, keine Neubebauung als Ersatz für die aufgegebene Nutzung vorzunehmen, es sei denn, die Neubebauung wird im Interesse der Entwicklung des Betriebs im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 erforderlich,
- 2.
die Neuerrichtung eines gleichartigen Wohngebäudes an gleicher Stelle unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das vorhandene Gebäude ist zulässigerweise errichtet worden, - b)
das vorhandene Gebäude weist Missstände oder Mängel auf, - c)
das vorhandene Gebäude wurde oder wird seit längerer Zeit vom Eigentümer selbst genutzt und - d)
Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des bisherigen Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird; hat der Eigentümer das vorhandene Gebäude im Wege der Erbfolge von einem Voreigentümer erworben, der es seit längerer Zeit selbst genutzt hat, reicht es aus, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird,
- 3.
die alsbaldige Neuerrichtung eines zulässigerweise errichteten, durch Brand, Naturereignisse oder andere außergewöhnliche Ereignisse zerstörten, gleichartigen Gebäudes an gleicher Stelle, - 4.
die Änderung oder Nutzungsänderung von erhaltenswerten, das Bild der Kulturlandschaft prägenden Gebäuden, auch wenn sie aufgegeben sind, wenn das Vorhaben einer zweckmäßigen Verwendung der Gebäude und der Erhaltung des Gestaltwerts dient, - 5.
die Erweiterung eines Wohngebäudes auf bis zu höchstens zwei Wohnungen unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Gebäude ist zulässigerweise errichtet worden, - b)
die Erweiterung ist im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse angemessen und - c)
bei der Errichtung einer weiteren Wohnung rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass das Gebäude vom bisherigen Eigentümer oder seiner Familie selbst genutzt wird,
- 6.
die bauliche Erweiterung eines zulässigerweise errichteten gewerblichen Betriebs, wenn die Erweiterung im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und Betrieb angemessen ist.
(5) Die nach den Absätzen 1 bis 4 zulässigen Vorhaben sind in einer flächensparenden, die Bodenversiegelung auf das notwendige Maß begrenzenden und den Außenbereich schonenden Weise auszuführen. Für Vorhaben nach Absatz 1 Nummer 2 bis 6, 8 Buchstabe b und Nummer 9 ist als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung eine Verpflichtungserklärung abzugeben, das Vorhaben nach dauerhafter Aufgabe der zulässigen Nutzung zurückzubauen und Bodenversiegelungen zu beseitigen; bei einer nach Absatz 1 Nummer 2 bis 6 und 8 Buchstabe b zulässigen Nutzungsänderung ist die Rückbauverpflichtung zu übernehmen, bei einer nach Absatz 1 Nummer 1 oder Absatz 2 zulässigen Nutzungsänderung entfällt sie. Die Baugenehmigungsbehörde soll durch nach Landesrecht vorgesehene Baulast oder in anderer Weise die Einhaltung der Verpflichtung nach Satz 2 sowie nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe g sicherstellen. Im Übrigen soll sie in den Fällen des Absatzes 4 Satz 1 sicherstellen, dass die bauliche oder sonstige Anlage nach Durchführung des Vorhabens nur in der vorgesehenen Art genutzt wird.
(6) Die Gemeinde kann für bebaute Bereiche im Außenbereich, die nicht überwiegend landwirtschaftlich geprägt sind und in denen eine Wohnbebauung von einigem Gewicht vorhanden ist, durch Satzung bestimmen, dass Wohnzwecken dienenden Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 nicht entgegengehalten werden kann, dass sie einer Darstellung im Flächennutzungsplan über Flächen für die Landwirtschaft oder Wald widersprechen oder die Entstehung oder Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lassen. Die Satzung kann auch auf Vorhaben erstreckt werden, die kleineren Handwerks- und Gewerbebetrieben dienen. In der Satzung können nähere Bestimmungen über die Zulässigkeit getroffen werden. Voraussetzung für die Aufstellung der Satzung ist, dass
- 1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar ist, - 2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und - 3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
(1) Der Verursacher eines Eingriffs ist verpflichtet, vermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu unterlassen. Beeinträchtigungen sind vermeidbar, wenn zumutbare Alternativen, den mit dem Eingriff verfolgten Zweck am gleichen Ort ohne oder mit geringeren Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu erreichen, gegeben sind. Soweit Beeinträchtigungen nicht vermieden werden können, ist dies zu begründen.
(2) Der Verursacher ist verpflichtet, unvermeidbare Beeinträchtigungen durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege auszugleichen (Ausgleichsmaßnahmen) oder zu ersetzen (Ersatzmaßnahmen). Ausgeglichen ist eine Beeinträchtigung, wenn und sobald die beeinträchtigten Funktionen des Naturhaushalts in gleichartiger Weise wiederhergestellt sind und das Landschaftsbild landschaftsgerecht wiederhergestellt oder neu gestaltet ist. Ersetzt ist eine Beeinträchtigung, wenn und sobald die beeinträchtigten Funktionen des Naturhaushalts in dem betroffenen Naturraum in gleichwertiger Weise hergestellt sind und das Landschaftsbild landschaftsgerecht neu gestaltet ist. Festlegungen von Entwicklungs- und Wiederherstellungsmaßnahmen für Gebiete im Sinne des § 20 Absatz 2 Nummer 1 bis 4 und in Bewirtschaftungsplänen nach § 32 Absatz 5, von Maßnahmen nach § 34 Absatz 5 und § 44 Absatz 5 Satz 3 dieses Gesetzes sowie von Maßnahmen in Maßnahmenprogrammen im Sinne des § 82 des Wasserhaushaltsgesetzes stehen der Anerkennung solcher Maßnahmen als Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen nicht entgegen. Bei der Festsetzung von Art und Umfang der Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sind die Programme und Pläne nach den §§ 10 und 11 zu berücksichtigen.
(3) Bei der Inanspruchnahme von land- oder forstwirtschaftlich genutzten Flächen für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen ist auf agrarstrukturelle Belange Rücksicht zu nehmen, insbesondere sind für die landwirtschaftliche Nutzung besonders geeignete Böden nur im notwendigen Umfang in Anspruch zu nehmen. Es ist vorrangig zu prüfen, ob der Ausgleich oder Ersatz auch durch Maßnahmen zur Entsiegelung, durch Maßnahmen zur Wiedervernetzung von Lebensräumen oder durch Bewirtschaftungs- oder Pflegemaßnahmen, die der dauerhaften Aufwertung des Naturhaushalts oder des Landschaftsbildes dienen, erbracht werden kann, um möglichst zu vermeiden, dass Flächen aus der Nutzung genommen werden.
(4) Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sind in dem jeweils erforderlichen Zeitraum zu unterhalten und rechtlich zu sichern. Der Unterhaltungszeitraum ist durch die zuständige Behörde im Zulassungsbescheid festzusetzen. Verantwortlich für Ausführung, Unterhaltung und Sicherung der Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen ist der Verursacher oder dessen Rechtsnachfolger.
(5) Ein Eingriff darf nicht zugelassen oder durchgeführt werden, wenn die Beeinträchtigungen nicht zu vermeiden oder nicht in angemessener Frist auszugleichen oder zu ersetzen sind und die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege bei der Abwägung aller Anforderungen an Natur und Landschaft anderen Belangen im Range vorgehen.
(6) Wird ein Eingriff nach Absatz 5 zugelassen oder durchgeführt, obwohl die Beeinträchtigungen nicht zu vermeiden oder nicht in angemessener Frist auszugleichen oder zu ersetzen sind, hat der Verursacher Ersatz in Geld zu leisten. Die Ersatzzahlung bemisst sich nach den durchschnittlichen Kosten der nicht durchführbaren Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen einschließlich der erforderlichen durchschnittlichen Kosten für deren Planung und Unterhaltung sowie die Flächenbereitstellung unter Einbeziehung der Personal- und sonstigen Verwaltungskosten. Sind diese nicht feststellbar, bemisst sich die Ersatzzahlung nach Dauer und Schwere des Eingriffs unter Berücksichtigung der dem Verursacher daraus erwachsenden Vorteile. Die Ersatzzahlung ist von der zuständigen Behörde im Zulassungsbescheid oder, wenn der Eingriff von einer Behörde durchgeführt wird, vor der Durchführung des Eingriffs festzusetzen. Die Zahlung ist vor der Durchführung des Eingriffs zu leisten. Es kann ein anderer Zeitpunkt für die Zahlung festgelegt werden; in diesem Fall soll eine Sicherheitsleistung verlangt werden. Die Ersatzzahlung ist zweckgebunden für Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege möglichst in dem betroffenen Naturraum zu verwenden, für die nicht bereits nach anderen Vorschriften eine rechtliche Verpflichtung besteht.
(7) Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere zur Kompensation von Eingriffen zu regeln, insbesondere
- 1.
zu Inhalt, Art und Umfang von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen einschließlich Maßnahmen zur Entsiegelung, zur Wiedervernetzung von Lebensräumen und zur Bewirtschaftung und Pflege sowie zur Festlegung diesbezüglicher Standards, insbesondere für vergleichbare Eingriffsarten, - 2.
die Höhe der Ersatzzahlung und das Verfahren zu ihrer Erhebung.
(8) Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates das Nähere zur Vermeidung von Beeinträchtigungen im Sinne von Absatz 1 Satz 1 sowie zur Kompensation von Eingriffen im Sinne von Absatz 7 Satz 1 zu regeln, soweit die Verordnung und Vorschriften dieses Kapitels ausschließlich durch die Bundesverwaltung, insbesondere bundeseigene Verwaltung oder bundesunmittelbare Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts, ausgeführt werden. Die Rechtsverordnung ist bis zum 1. März 2020 dem Bundestag zuzuleiten. Sie kann durch Beschluss des Bundestages geändert oder abgelehnt werden. Der Beschluss des Bundestages wird dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit zugeleitet. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit ist bei der Verkündung der Rechtsverordnung an den Beschluss gebunden. Hat sich der Bundestag nach Ablauf von drei Sitzungswochen seit Eingang einer Rechtsverordnung nicht mit ihr befasst, so wird die unveränderte Rechtsverordnung dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit zur Verkündung zugeleitet. Absatz 7 Satz 2 ist entsprechend anzuwenden.
(1) Im Außenbereich ist ein Vorhaben nur zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen, die ausreichende Erschließung gesichert ist und wenn es
- 1.
einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dient und nur einen untergeordneten Teil der Betriebsfläche einnimmt, - 2.
einem Betrieb der gartenbaulichen Erzeugung dient, - 3.
der öffentlichen Versorgung mit Elektrizität, Gas, Telekommunikationsdienstleistungen, Wärme und Wasser, der Abwasserwirtschaft oder einem ortsgebundenen gewerblichen Betrieb dient, - 4.
wegen seiner besonderen Anforderungen an die Umgebung, wegen seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung oder wegen seiner besonderen Zweckbestimmung nur im Außenbereich ausgeführt werden soll, es sei denn, es handelt sich um die Errichtung, Änderung oder Erweiterung einer baulichen Anlage zur Tierhaltung, die dem Anwendungsbereich der Nummer 1 nicht unterfällt und die einer Pflicht zur Durchführung einer standortbezogenen oder allgemeinen Vorprüfung oder einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegt, wobei bei kumulierenden Vorhaben für die Annahme eines engen Zusammenhangs diejenigen Tierhaltungsanlagen zu berücksichtigen sind, die auf demselben Betriebs- oder Baugelände liegen und mit gemeinsamen betrieblichen oder baulichen Einrichtungen verbunden sind, - 5.
der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie nach Maßgabe des § 249 oder der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Wasserenergie dient, - 6.
der energetischen Nutzung von Biomasse im Rahmen eines Betriebs nach Nummer 1 oder 2 oder eines Betriebs nach Nummer 4, der Tierhaltung betreibt, sowie dem Anschluss solcher Anlagen an das öffentliche Versorgungsnetz dient, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben steht in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit dem Betrieb, - b)
die Biomasse stammt überwiegend aus dem Betrieb oder überwiegend aus diesem und aus nahe gelegenen Betrieben nach den Nummern 1, 2 oder 4, soweit letzterer Tierhaltung betreibt, - c)
es wird je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage betrieben und - d)
die Kapazität einer Anlage zur Erzeugung von Biogas überschreitet nicht 2,3 Millionen Normkubikmeter Biogas pro Jahr, die Feuerungswärmeleistung anderer Anlagen überschreitet nicht 2,0 Megawatt,
- 7.
der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken oder der Entsorgung radioaktiver Abfälle dient, mit Ausnahme der Neuerrichtung von Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität, - 8.
der Nutzung solarer Strahlungsenergie dient - a)
in, an und auf Dach- und Außenwandflächen von zulässigerweise genutzten Gebäuden, wenn die Anlage dem Gebäude baulich untergeordnet ist, oder - b)
auf einer Fläche längs von - aa)
Autobahnen oder - bb)
Schienenwegen des übergeordneten Netzes im Sinne des § 2b des Allgemeinen Eisenbahngesetzes mit mindestens zwei Hauptgleisen
- 9.
der Nutzung solarer Strahlungsenergie durch besondere Solaranlagen im Sinne des § 48 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 Buchstabe a, b oder c des Erneuerbare-Energien-Gesetzes dient, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben steht in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit einem Betrieb nach Nummer 1 oder 2, - b)
die Grundfläche der besonderen Solaranlage überschreitet nicht 25 000 Quadratmeter und - c)
es wird je Hofstelle oder Betriebsstandort nur eine Anlage betrieben.
(2) Sonstige Vorhaben können im Einzelfall zugelassen werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist.
(3) Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange liegt insbesondere vor, wenn das Vorhaben
- 1.
den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspricht, - 2.
den Darstellungen eines Landschaftsplans oder sonstigen Plans, insbesondere des Wasser-, Abfall- oder Immissionsschutzrechts, widerspricht, - 3.
schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen kann oder ihnen ausgesetzt wird, - 4.
unwirtschaftliche Aufwendungen für Straßen oder andere Verkehrseinrichtungen, für Anlagen der Versorgung oder Entsorgung, für die Sicherheit oder Gesundheit oder für sonstige Aufgaben erfordert, - 5.
Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege, des Bodenschutzes, des Denkmalschutzes oder die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert beeinträchtigt oder das Orts- und Landschaftsbild verunstaltet, - 6.
Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur beeinträchtigt, die Wasserwirtschaft oder den Hochwasserschutz gefährdet, - 7.
die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lässt oder - 8.
die Funktionsfähigkeit von Funkstellen und Radaranlagen stört.
(4) Den nachfolgend bezeichneten sonstigen Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 kann nicht entgegengehalten werden, dass sie Darstellungen des Flächennutzungsplans oder eines Landschaftsplans widersprechen, die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen oder die Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung befürchten lassen, soweit sie im Übrigen außenbereichsverträglich im Sinne des Absatzes 3 sind:
- 1.
die Änderung der bisherigen Nutzung eines Gebäudes, das unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Nummer 1 errichtet wurde, unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Vorhaben dient einer zweckmäßigen Verwendung erhaltenswerter Bausubstanz, - b)
die äußere Gestalt des Gebäudes bleibt im Wesentlichen gewahrt, - c)
die Aufgabe der bisherigen Nutzung liegt nicht länger als sieben Jahre zurück, - d)
das Gebäude ist vor mehr als sieben Jahren zulässigerweise errichtet worden, - e)
das Gebäude steht im räumlich-funktionalen Zusammenhang mit der Hofstelle des land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs, - f)
im Falle der Änderung zu Wohnzwecken entstehen neben den bisher nach Absatz 1 Nummer 1 zulässigen Wohnungen höchstens fünf Wohnungen je Hofstelle und - g)
es wird eine Verpflichtung übernommen, keine Neubebauung als Ersatz für die aufgegebene Nutzung vorzunehmen, es sei denn, die Neubebauung wird im Interesse der Entwicklung des Betriebs im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 erforderlich,
- 2.
die Neuerrichtung eines gleichartigen Wohngebäudes an gleicher Stelle unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das vorhandene Gebäude ist zulässigerweise errichtet worden, - b)
das vorhandene Gebäude weist Missstände oder Mängel auf, - c)
das vorhandene Gebäude wurde oder wird seit längerer Zeit vom Eigentümer selbst genutzt und - d)
Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des bisherigen Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird; hat der Eigentümer das vorhandene Gebäude im Wege der Erbfolge von einem Voreigentümer erworben, der es seit längerer Zeit selbst genutzt hat, reicht es aus, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass das neu errichtete Gebäude für den Eigenbedarf des Eigentümers oder seiner Familie genutzt wird,
- 3.
die alsbaldige Neuerrichtung eines zulässigerweise errichteten, durch Brand, Naturereignisse oder andere außergewöhnliche Ereignisse zerstörten, gleichartigen Gebäudes an gleicher Stelle, - 4.
die Änderung oder Nutzungsänderung von erhaltenswerten, das Bild der Kulturlandschaft prägenden Gebäuden, auch wenn sie aufgegeben sind, wenn das Vorhaben einer zweckmäßigen Verwendung der Gebäude und der Erhaltung des Gestaltwerts dient, - 5.
die Erweiterung eines Wohngebäudes auf bis zu höchstens zwei Wohnungen unter folgenden Voraussetzungen: - a)
das Gebäude ist zulässigerweise errichtet worden, - b)
die Erweiterung ist im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und unter Berücksichtigung der Wohnbedürfnisse angemessen und - c)
bei der Errichtung einer weiteren Wohnung rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass das Gebäude vom bisherigen Eigentümer oder seiner Familie selbst genutzt wird,
- 6.
die bauliche Erweiterung eines zulässigerweise errichteten gewerblichen Betriebs, wenn die Erweiterung im Verhältnis zum vorhandenen Gebäude und Betrieb angemessen ist.
(5) Die nach den Absätzen 1 bis 4 zulässigen Vorhaben sind in einer flächensparenden, die Bodenversiegelung auf das notwendige Maß begrenzenden und den Außenbereich schonenden Weise auszuführen. Für Vorhaben nach Absatz 1 Nummer 2 bis 6, 8 Buchstabe b und Nummer 9 ist als weitere Zulässigkeitsvoraussetzung eine Verpflichtungserklärung abzugeben, das Vorhaben nach dauerhafter Aufgabe der zulässigen Nutzung zurückzubauen und Bodenversiegelungen zu beseitigen; bei einer nach Absatz 1 Nummer 2 bis 6 und 8 Buchstabe b zulässigen Nutzungsänderung ist die Rückbauverpflichtung zu übernehmen, bei einer nach Absatz 1 Nummer 1 oder Absatz 2 zulässigen Nutzungsänderung entfällt sie. Die Baugenehmigungsbehörde soll durch nach Landesrecht vorgesehene Baulast oder in anderer Weise die Einhaltung der Verpflichtung nach Satz 2 sowie nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe g sicherstellen. Im Übrigen soll sie in den Fällen des Absatzes 4 Satz 1 sicherstellen, dass die bauliche oder sonstige Anlage nach Durchführung des Vorhabens nur in der vorgesehenen Art genutzt wird.
(6) Die Gemeinde kann für bebaute Bereiche im Außenbereich, die nicht überwiegend landwirtschaftlich geprägt sind und in denen eine Wohnbebauung von einigem Gewicht vorhanden ist, durch Satzung bestimmen, dass Wohnzwecken dienenden Vorhaben im Sinne des Absatzes 2 nicht entgegengehalten werden kann, dass sie einer Darstellung im Flächennutzungsplan über Flächen für die Landwirtschaft oder Wald widersprechen oder die Entstehung oder Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lassen. Die Satzung kann auch auf Vorhaben erstreckt werden, die kleineren Handwerks- und Gewerbebetrieben dienen. In der Satzung können nähere Bestimmungen über die Zulässigkeit getroffen werden. Voraussetzung für die Aufstellung der Satzung ist, dass
- 1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar ist, - 2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und - 3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
(1) Der Verursacher eines Eingriffs ist verpflichtet, vermeidbare Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu unterlassen. Beeinträchtigungen sind vermeidbar, wenn zumutbare Alternativen, den mit dem Eingriff verfolgten Zweck am gleichen Ort ohne oder mit geringeren Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft zu erreichen, gegeben sind. Soweit Beeinträchtigungen nicht vermieden werden können, ist dies zu begründen.
(2) Der Verursacher ist verpflichtet, unvermeidbare Beeinträchtigungen durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege auszugleichen (Ausgleichsmaßnahmen) oder zu ersetzen (Ersatzmaßnahmen). Ausgeglichen ist eine Beeinträchtigung, wenn und sobald die beeinträchtigten Funktionen des Naturhaushalts in gleichartiger Weise wiederhergestellt sind und das Landschaftsbild landschaftsgerecht wiederhergestellt oder neu gestaltet ist. Ersetzt ist eine Beeinträchtigung, wenn und sobald die beeinträchtigten Funktionen des Naturhaushalts in dem betroffenen Naturraum in gleichwertiger Weise hergestellt sind und das Landschaftsbild landschaftsgerecht neu gestaltet ist. Festlegungen von Entwicklungs- und Wiederherstellungsmaßnahmen für Gebiete im Sinne des § 20 Absatz 2 Nummer 1 bis 4 und in Bewirtschaftungsplänen nach § 32 Absatz 5, von Maßnahmen nach § 34 Absatz 5 und § 44 Absatz 5 Satz 3 dieses Gesetzes sowie von Maßnahmen in Maßnahmenprogrammen im Sinne des § 82 des Wasserhaushaltsgesetzes stehen der Anerkennung solcher Maßnahmen als Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen nicht entgegen. Bei der Festsetzung von Art und Umfang der Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sind die Programme und Pläne nach den §§ 10 und 11 zu berücksichtigen.
(3) Bei der Inanspruchnahme von land- oder forstwirtschaftlich genutzten Flächen für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen ist auf agrarstrukturelle Belange Rücksicht zu nehmen, insbesondere sind für die landwirtschaftliche Nutzung besonders geeignete Böden nur im notwendigen Umfang in Anspruch zu nehmen. Es ist vorrangig zu prüfen, ob der Ausgleich oder Ersatz auch durch Maßnahmen zur Entsiegelung, durch Maßnahmen zur Wiedervernetzung von Lebensräumen oder durch Bewirtschaftungs- oder Pflegemaßnahmen, die der dauerhaften Aufwertung des Naturhaushalts oder des Landschaftsbildes dienen, erbracht werden kann, um möglichst zu vermeiden, dass Flächen aus der Nutzung genommen werden.
(4) Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sind in dem jeweils erforderlichen Zeitraum zu unterhalten und rechtlich zu sichern. Der Unterhaltungszeitraum ist durch die zuständige Behörde im Zulassungsbescheid festzusetzen. Verantwortlich für Ausführung, Unterhaltung und Sicherung der Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen ist der Verursacher oder dessen Rechtsnachfolger.
(5) Ein Eingriff darf nicht zugelassen oder durchgeführt werden, wenn die Beeinträchtigungen nicht zu vermeiden oder nicht in angemessener Frist auszugleichen oder zu ersetzen sind und die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege bei der Abwägung aller Anforderungen an Natur und Landschaft anderen Belangen im Range vorgehen.
(6) Wird ein Eingriff nach Absatz 5 zugelassen oder durchgeführt, obwohl die Beeinträchtigungen nicht zu vermeiden oder nicht in angemessener Frist auszugleichen oder zu ersetzen sind, hat der Verursacher Ersatz in Geld zu leisten. Die Ersatzzahlung bemisst sich nach den durchschnittlichen Kosten der nicht durchführbaren Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen einschließlich der erforderlichen durchschnittlichen Kosten für deren Planung und Unterhaltung sowie die Flächenbereitstellung unter Einbeziehung der Personal- und sonstigen Verwaltungskosten. Sind diese nicht feststellbar, bemisst sich die Ersatzzahlung nach Dauer und Schwere des Eingriffs unter Berücksichtigung der dem Verursacher daraus erwachsenden Vorteile. Die Ersatzzahlung ist von der zuständigen Behörde im Zulassungsbescheid oder, wenn der Eingriff von einer Behörde durchgeführt wird, vor der Durchführung des Eingriffs festzusetzen. Die Zahlung ist vor der Durchführung des Eingriffs zu leisten. Es kann ein anderer Zeitpunkt für die Zahlung festgelegt werden; in diesem Fall soll eine Sicherheitsleistung verlangt werden. Die Ersatzzahlung ist zweckgebunden für Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege möglichst in dem betroffenen Naturraum zu verwenden, für die nicht bereits nach anderen Vorschriften eine rechtliche Verpflichtung besteht.
(7) Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Nähere zur Kompensation von Eingriffen zu regeln, insbesondere
- 1.
zu Inhalt, Art und Umfang von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen einschließlich Maßnahmen zur Entsiegelung, zur Wiedervernetzung von Lebensräumen und zur Bewirtschaftung und Pflege sowie zur Festlegung diesbezüglicher Standards, insbesondere für vergleichbare Eingriffsarten, - 2.
die Höhe der Ersatzzahlung und das Verfahren zu ihrer Erhebung.
(8) Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates das Nähere zur Vermeidung von Beeinträchtigungen im Sinne von Absatz 1 Satz 1 sowie zur Kompensation von Eingriffen im Sinne von Absatz 7 Satz 1 zu regeln, soweit die Verordnung und Vorschriften dieses Kapitels ausschließlich durch die Bundesverwaltung, insbesondere bundeseigene Verwaltung oder bundesunmittelbare Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts, ausgeführt werden. Die Rechtsverordnung ist bis zum 1. März 2020 dem Bundestag zuzuleiten. Sie kann durch Beschluss des Bundestages geändert oder abgelehnt werden. Der Beschluss des Bundestages wird dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit zugeleitet. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit ist bei der Verkündung der Rechtsverordnung an den Beschluss gebunden. Hat sich der Bundestag nach Ablauf von drei Sitzungswochen seit Eingang einer Rechtsverordnung nicht mit ihr befasst, so wird die unveränderte Rechtsverordnung dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit zur Verkündung zugeleitet. Absatz 7 Satz 2 ist entsprechend anzuwenden.
Die Genehmigung schließt andere die Anlage betreffende behördliche Entscheidungen ein, insbesondere öffentlich-rechtliche Genehmigungen, Zulassungen, Verleihungen, Erlaubnisse und Bewilligungen mit Ausnahme von Planfeststellungen, Zulassungen bergrechtlicher Betriebspläne, behördlichen Entscheidungen auf Grund atomrechtlicher Vorschriften und wasserrechtlichen Erlaubnissen und Bewilligungen nach § 8 in Verbindung mit § 10 des Wasserhaushaltsgesetzes.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 5. März 2015 geändert.
Die aufschiebende Wirkung der bei dem Verwaltungsgericht Köln erhobenen Klage 13 K 4121/14 wird wiederhergestellt.
Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen tragen der Antragsgegner und die Beigeladene jeweils zur Hälfte mit der Maßgabe, dass zwischen ihnen ein Ausgleich ihrer außergerichtlichen Kosten nicht stattfindet.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 30.000,- Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Die Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg. Sie führt zur Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts.
3Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den der Beigeladenen erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheid vom 30. Juni 2014 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 1. Oktober 2014 zur Errichtung und zum Betrieb von vier Windkraftanlagen vom Typ Enercon E-48 auf den Grundstücken Gemeinde T. , Gemarkung P. , Flur , Flurstücke und wiederherzustellen, ist begründet.
4Nach § 4a Abs. 3 UmwRG ist § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO im Anwendungsbereich des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen oder wiederherstellen kann, wenn im Rahmen einer Gesamtabwägung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen.
5Der Vorschrift des § 4a Abs. 3 UmwRG ist nicht eindeutig zu entnehmen, welcher Wahrscheinlichkeitsgrad für das Vorliegen "ernstlicher Zweifel" als Prüfungsmaßstab konkret anzuwenden ist. § 4a Abs. 3 UmwRG macht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, ob die aufschiebende Wirkung angeordnet oder wiederhergestellt wird, von einer Gesamtabwägung abhängig; die erheblichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sind lediglich Bestandteil dieser notwendigen Gesamtabwägung. Dabei kommt es nicht auf einen bestimmten, für alle Fälle gleichen Wahrscheinlichkeitsgrad der rechtlichen Bedenken an. Vielmehr kann hier auch ein schwächerer Grad der rechtlichen Bedenken etwa ergänzt oder verstärkt werden durch den Umstand, dass besonders gravierende, möglicherweise nicht reversible Folgen drohen, wenn das Vorhaben vor Unanfechtbarkeit der Genehmigung verwirklicht wird. Insoweit gilt, dass der Sofortvollzug umso eher auszusetzen ist, je berechtigter und gewichtiger die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidung sind. Ist ein voraussichtlicher Erfolg in der Hauptsache offensichtlich, wird sich ein privates oder öffentliches Vollzugsinteresse nur ausnahmsweise durchsetzen können. Ausgehend von diesen Grundsätzen kommt eine Aussetzung des Sofortvollzuges nicht stets erst dann in Betracht, wenn das Verwaltungsgericht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgeht, dass die Klage in der Hauptsache begründet ist. Vielmehr können im Rahmen einer Gesamtabwägung begründete Zweifel ausreichen, die die Rechtmäßigkeit der behördlichen Entscheidung in Frage stellen. Insbesondere bei komplexen und komplizierten Verfahren können sich offene Erfolgsaussichten auch ohne detaillierte Prüfungen ergeben.
6Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 23. Juli 2014 - 8 B 356/14 -, DVBl. 2014, 1415 = juris Rn. 62 ff, und vom 24. Juni 2015 - 8 B 315/15 -, juris Rn. 14; vgl. weiterhin BVerwG, Beschlüsse vom 15. April 2013 ‑ 9 VR 1/13 -, juris Rn. 2, und vom 13. Juni 2013 ‑ 9 VR 3/13 -, NVwZ 2013, 101 = juris Rn. 4; Seibert, NVwZ 2013, 1040, 1046 ff.
7Auf dieser Grundlage fällt die Gesamtabwägung nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand zu Lasten des Antragsgegners aus. Bei summarischer Prüfung sind die Erfolgsaussichten der in der Hauptsache erhobenen Klage als offen zu bezeichnen (dazu I.). Bei einer über die Erfolgsaussichten der Hauptsache hinaus erfolgenden Abwägung der Interessen der Antragstellerin und der Beigeladenen haben letztere vorläufig zurückzustehen (dazu II.).
8I. Die Erfolgsaussichten der in der Hauptsache erhobenen Klage sind - jedenfalls hinsichtlich des auf Aufhebung der erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung zielenden Antrags - nach derzeitigem Sach- und Streitstand als offen zu bezeichnen. Ob die Antragstellerin und Klägerin gemäß § 42 Abs. 2 VwGO insoweit klagebefugt ist, kann derzeit nicht abschließend beurteilt werden.
9Vgl. zur mangelnden Voraussagbarkeit der Erfolgsaussichten der Hauptsache BVerwG, Beschluss vom 14. April 2005 - 4 VR 1005/04 -, BVerwGE 123, 241 = juris Rn. 10 f.
10Jedenfalls soweit sich die Antragstellerin darauf beruft, die durchgeführte standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit genüge nicht dem Maßstab des § 3a Satz 4 UVPG, weil sie nicht den Vorgaben von § 3c UVPG entsprochen habe und das Ergebnis nicht nachvollziehbar sei, bedarf es einer abschließenden Prüfung im Hauptsacheverfahren, ob ihr unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Senats ein subjektiv-öffentliches Recht zustehen kann.
11Ein solches Rügerecht ergibt sich dem Grunde nach aus § 4 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 und 2 UmwRG, der im Lichte des - individualschützende Verfahrensrechte verleihenden - Unionsrechts auszulegen ist. Der sachliche und zeitliche Anwendungsbereich des UmwRG ist eröffnet (dazu 1.). Im vorliegenden Fall besteht die konkrete Möglichkeit, dass die in § 4 Abs. 1 UmwRG genannten UVP-Verfahrenserfordernisse verletzt worden sind; dem steht die Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils vom 25. Oktober 2012 in dem Verfahren VG Köln 13 K 4740/09 nicht entgegen (dazu 2.). § 4 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 und 2 UmwRG räumt den Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit ein selbstständig durchsetzbares, absolutes Verfahrensrecht ein (dazu 3.). Unter welchen Voraussetzungen dies auch für Gemeinden als Teil der mittelbaren, zum Teil mit Selbstverwaltungsrechten ausgestatteten Staatsverwaltung gilt, muss im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes offen bleiben (dazu 4.).
121. Der Anwendungsbereich des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes ist eröffnet. In sachlicher Hinsicht kann infolge der von § 3c Satz 2 i.V. m. Anlage 1 Nr. 1.6.3 UVPG angeordneten standortbezogenen Vorprüfung des Einzelfalls für den angefochtenen immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheid eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a) UmwRG bestehen. Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz ist auch in zeitlicher Hinsicht anwendbar. Es gilt nach § 5 Abs. 1 Satz 1 UmwRG in der Fassung vom 20. November 2015 (BGBl. I, 2069) für Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 Satz 1, die nach dem 25. Juni 2005 ergangen sind oder hätten ergehen müssen. Nach § 5 Abs. 1 Satz 2 UmwRG ist davon abweichend § 4a UmwRG auf solche Rechtsbehelfe anzuwenden, die nach dem 28. Januar 2013 erhoben worden sind. Beides ist vorliegend angesichts des am 30. Juni 2014 erteilten Genehmigungsbescheids der Fall.
132. Im vorliegenden Fall besteht die hinreichend konkrete Möglichkeit, dass die in § 4 Abs. 1 UmwRG genannten UVP-Verfahrenserfordernisse verletzt sind (dazu II. 1.).
14Dem steht das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 25. Oktober 2012 in dem Verfahren 13 K 4740/09 nicht entgegen. Zwar hat das Verwaltungsgericht den Antragsgegner gemäß § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO verpflichtet, über den Antrag der Beigeladenen unter Beachtung der Rechtsauffassung neu zu bescheiden. Die Bindungswirkung eines Bescheidungsurteils reicht aber jedenfalls nicht über das Vorliegen solcher Anspruchsvoraussetzungen hinaus, deren Vorliegen das Gericht in seiner Entscheidung ausdrücklich bejaht hat.
15Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Juni 1968 - V C 085.67 ‑, DVBl. 1970, 281, und Beschluss vom 22. April 1987 - 7 B 76.87 -, Buchholz 310 § 121 Nr. 54 = juris Rn. 6; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 25. Oktober 2000 ‑ 11 S 43/00 -, juris Rn. 39; Clausing, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: 1. März 2015, § 121 Rn. 85; W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage 2015, § 113 Rn. 212.
16Ausführungen zur Frage der rechtmäßigen Durchführung der UVP-Vorprüfung enthält das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht.
173. Die Verfahrensvorschriften der UVP-Richtlinie 2011/92/EU sind bei unionsrechtskonformer Auslegung Schutznormen im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO. § 4 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 und 2 UmwRG räumt den Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit ein selbstständig durchsetzbares, absolutes Verfahrensrecht ein.
18Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. Februar 2015 ‑ 8 A 959/10 -, ZNER 2015, 177 = juris Rn. 51 ff. m. w. N., sowie Beschluss vom 24. Juni 2015 ‑ 8 B 315/15 -, juris Rn. 6; vgl. ebenfalls OVG NRW, Beschluss vom 23. Juli 2014 - 8 B 356/14 -, DVBl. 2014, 1415 = juris Rn. 17.
19Die UVP-Richtlinie und Art. 9 Abs. 2 der Aarhus-Konvention gebieten eine Auslegung des nationalen Rechts, die die durch die Richtlinie verliehenen Verfahrensrechte als individualschützend anerkennt und ihre prozessuale Durchsetzbarkeit gewährleistet. Im Lichte dieser Regelungen sind der betroffenen Öffentlichkeit nach § 2 Abs. 6 UVPG hinsichtlich der Verletzung von Verfahrenserfordernissen der Umweltverträglichkeitsprüfung einschließlich der in § 4 Abs. 1 UmwRG bezeichneten Verfahrensregelungen Rügerechte zuzuerkennen.
20Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. Februar 2015 ‑ 8 A 959/10 -, ZNER 2015, 177 = juris Rn. 55; zum unionsrechtlichen Umfang des Rügerechts vgl. EuGH, Urteil Altrip vom 7. November 2013 - C-72/12 -, NVwZ 2014, 49 = juris Rn. 36, 38 und 47.
21Gefordert ist dabei ein weiter und effektiver Zugang zu einer gerichtlichen Überprüfung von Zulassungsentscheidungen UVP-pflichtiger Vorhaben. Ein solcher Zugang zu den Gerichten setzt indes voraus, dass die Verfahrensfehler der Umweltverträglichkeitsprüfung auch selbstständig gerügt werden können. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs folgt aus der UVP-Richtline ein eigenständiges Recht "des betroffenen Einzelnen" auf Bewertung der Umweltauswirkungen des fraglichen Projekts durch die zuständigen Stellen und auf Anhörung dazu.
22Vgl. EuGH, Urteil Leth vom 14. März 2013 ‑ C‑420/11 -, NVwZ 2013, 565 = juris Rn. 32; ferner EuGH, Urteil Wells vom 7. Januar 2004 - C-201/02 -, NVwZ 2004, 593 = juris Rn. 56 ff.
23Da die Richtlinie u. a. zur Festlegung von Verfahrensgarantien dient, die insbesondere eine bessere Information und eine Beteiligung der Öffentlichkeit im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung öffentlicher und privater Projekte mit unter Umständen erheblichen Umweltauswirkungen ermöglichen sollen, kommt der Überprüfung der Einhaltung der Verfahrensregeln in diesem Bereich besondere Bedeutung zu. Die betroffene Öffentlichkeit i. S. d Art. 11 Abs. 1 UVP-Richtlinie bzw. § 2 Abs. 6 UVPG muss daher, im Einklang mit dem Ziel, ihr einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren, zur Stützung eines Rechtsbehelfs, mit dem die Rechtmäßigkeit von Entscheidungen im Sinne der Richtlinie angefochten wird, grundsätzlich jeden Verfahrensfehler geltend machen können.
24Vgl. EuGH, Urteil Altrip vom 7. November 2013 ‑ C‑72/12 -, NVwZ 2014, 49 = juris Rn. 48.
254. Unter welchen Voraussetzungen zur betroffenen Öffentlichkeit im vorgenannten Sinne auch die Gemeinden als Teil der mittelbaren, zum Teil mit Selbstverwaltungsrechten ausgestatteten Staatsverwaltung gehören, muss der abschließenden Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
26Zur Problematik vgl. Kment, in: Hoppe/Beckmann, UVPG, 4. Auflage 2012, § 4 UmwRG Rn. 22; Ogorek, NVwZ 2010, 401, 404; Fellenberg, NVwZ 2015, 1721, 1723; vgl. auch (zur „Öffentlichkeit“ im Rahmen der Umweltinformations-RL) BVerwG, Urteil vom 21. Februar 2008 - 4 C 13/07 -, BVerwGE 130, 223 = juris Rn. 23, 30f.; VG Freiburg, Urteil vom 31. Juli 2010 - 2 K 192/08 -, juris Rn. 264, offengelassen im Berufungsverfahren durch VGH Bad.-Württ., Urteil vom 23. September 2013 - 3 S 284/11 ‑, juris Rn. 52,
27Nach § 4 Abs. 3 UmwRG gelten dessen Absätze 1 und 2 auch für die Rechtsbehelfe von Beteiligten nach § 61 Nr. 1 und 2 VwGO. Die Antragstellerin ist als Gemeinde eine juristische Person des öffentlichen Rechts und als solche nach § 61 Nr. 1 VwGO beteiligtenfähig.
28Vgl. W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage 2015, § 61 Rn. 6; Czybulka, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 61 Rn. 22; Krausnik, in: Gärditz, VwGO, § 61 Rn. 13; Bier, in: Schoch/Schneider/ders., VwGO, Stand: 1. März 2015, § 61 Rn. 4.
29Die Bezugnahme auf § 61 Nr. 1 VwGO in § 4 Abs. 3 UmwRG eröffnet damit auch Gemeinden als Teil der betroffenen Öffentlichkeit grundsätzlich ein Rügerecht hinsichtlich UVP-bezogener Fehler.
30Vgl. insoweit nur: BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2013 - 4 A 1/13 -, BVerwGE 148, 353 = juris Rn. 41; OVG S.-A., Urteil vom 2. April 2012 - 2 L 193/09 -, juris Rn. 66; Nds. OVG, Urteil vom 8. Mai 2012 ‑ 12 KS 5/10 -, OVGE 55, 339 = NVwZ-RR 2012, 836 = juris Rn. 22; vgl. zu Gemeinden als Teil der betroffenen Öffentlichkeit auch die Schlussanträge des Generalanwalts Pedro Cruz Villalón im Verfahren Altrip ‑ C‑72/12 - vom 20. Juni 2013, juris Rn. 81; ferner Fellenberg, NVwZ 2015, 1721, 1723.
31Wie der Senat in seiner Rechtsprechung ausgeführt hat, können sich Kläger auf die fehlerhafte Durchführung der Vorprüfung unabhängig von der Verletzung in eigenen materiellen Rechten berufen. Dies dient der prozessualen Durchsetzung der durch die UVP-Richtlinie begründeten Verfahrensrechte und damit letztlich der Sicherung einer zutreffenden Entscheidung in der Sache. Eine Begrenzung des Rügerechts der Gemeinden auf Fälle einer materiell-rechtlichen Beeinträchtigung könnte daher den nach der UVP-Richtlinie und Art. 9 Abs. 2 der Aarhus-Konvention zu ermöglichenden weiten und effektiven Zugang zu den Gerichten insoweit beeinträchtigen. Darüber hinaus gilt es, ein Auseinanderfallen des Prüfungsumfangs in Zulässigkeit und Begründetheit zu vermeiden.
32Vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 25. Februar 2015 ‑ 8 A 959/10 -, ZNER 2015, 177 = juris Rn. 69.
33Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Gemeinden generell oder je nach dem Funktionskreis, in dem sie handeln, zur betroffenen Öffentlichkeit gehören. Ihnen dürfte nur insoweit ein Rügerecht zustehen, als sie in ihrem Selbstverwaltungskreis, in Sonderheit in ihren Planungsinteressen berührt werden, ohne dass jedoch eine Verletzung ihrer materiellen Selbstverwaltungsrechte Voraussetzung wäre. Dafür spricht, dass die Gemeinden Teil des Staatsaufbaus sind und nur im Umfang des ihnen gewährten Selbstverwaltungsrechts diesem gegenüber verselbstständigt sind. Insoweit erkennt Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV zwar die regionale und lokale Selbstverwaltung an; was hierunter zu verstehen ist und welche Rechte der lokalen Ebene zustehen, richtet sich aber nach den Verfassungsordnungen der Mitgliedsstaaten, hier also insbesondere nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG.
34Vgl. hierzu nur Puttler, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 4 EUV Rn. 19 f.
35Hiervon ausgehend dürfte die Antragstellerin in der vorliegenden Fallkonstellation zur betroffenen Öffentlichkeit gehören.
36II. Bei einer Abwägung der Interessen der Antragstellerin, der Beigeladenen und dem öffentlichen Vollzugsinteresse über die Erfolgsaussichten der Hauptsache hinaus hat das Vollzugsinteresse vorläufig zurückzustehen.
37Das private Vollzugsinteresse der Beigeladenen und das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung des angefochtenen Genehmigungsbescheides treten hinter das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin zurück. Eine gesetzliche Regelung vergleichbar § 212a BauGB, die bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen als gesetzgeberische Grundentscheidung zu berücksichtigen ist, besteht für die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nicht.
38Die Beigeladene hat ein nachvollziehbares wirtschaftliches Interesse an der möglichst sofortigen Ausnutzbarkeit der Genehmigung. Neben der Erwägung, dass Einnahmen - hier in Form der Einspeisevergütung bzw. Marktprämie nach den §§ 49, 34 EEG - nur im laufenden Betrieb zu erzielen sind, tritt hinsichtlich der finanziellen Förderung der Windenergie hinzu, dass diese (gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. b) EEG 2009 bzw. § 29 Abs. 2 EEG 2014) degressiv ausgestaltet ist und somit eine spätere Inbetriebnahme eine dauerhaft schlechtere Erlössituation herbeiführt. Ob darüber hinaus ein besonderes öffentliches Interesse an der Errichtung gerade dieser Windenergieanlagen zur Förderung des Ausbaus der erneuerbaren Energien nach § 1 Abs. 1, 2 Satz 2 EEG besteht,
39zweifelnd insoweit VG Koblenz, Beschluss vom 18. Oktober 2013 - 4 L 951/13.KO -, juris Rn. 21 f.,
40kann im vorliegenden Fall dahinstehen. Auch wenn man ein solches - trotz der erheblichen Überschreitung des Ausbaukorridors nach §§ 3 Nr. 1, 29 Abs. 3 Nr. 5 EEG 2014 für den Zeitraum November 2014 bis Oktober 2015 um mehr als 800 MW - annimmt,
41vgl. zum Netto-Zubau in dem angegebenen Zeitraum die Veröffentlichung der Bundesnetzagentur unter http://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Downloads/DE/Sachgebiete/Energie/Unternehmen_Institutionen/ErneuerbareEnergien/Anlagenregister/VOeFF _Anlagenregister/EE_Foerderung_Wind_Biomasse_04_2016.xls,
42sind öffentliches und privates Vollzugsinteresse im vorliegenden Einzelfall weniger gewichtig als das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin. Sie werden dadurch entwertet, dass die durchgeführte standortbezogene UVP-Vorprüfung bei summarischer Prüfung voraussichtlich nicht dem Maßstab des § 3a Satz 4 UVPG i. V. m. § 4a Abs. 2 UmwRG genügt (dazu 1.). Die Vorprüfung bzw. UVP haben vor Genehmigungserteilung zu erfolgen, um ihre Zielsetzung erreichen zu können. Zwar kann im Einzelfall eine Nachholung in Betracht kommen; vor erfolgter Nachholung darf das Vorhaben aber nicht durchgeführt werden (dazu 2.).
431. Die durchgeführte standortbezogene Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP- Pflichtigkeit des Vorhabens dürfte dem Maßstab des § 3a Satz 4 UVPG i.V.m. § 4a Abs. 2 UmwRG nicht entsprechen. Das Ergebnis der Vorprüfung, wie es sich aufgrund der vom Antragsgegner gegebenen, maßgeblichen Begründung des Prüfergebnisses darstellt,
44vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 2011 - 9 A 31.10 -, BVerwGE 141, 282 = juris Rn. 29; OVG NRW, Beschlüsse vom 23. Juli 2014 - 8 B 356/14 -, juris Rn. 68, und vom 24. Juni 2015 - 8 B 315/15 -, Rn. 40; Nds. OVG, Beschluss vom 29. August 2013 ‑ 4 ME 76/13 -, ZUR 2013, 683 = juris Rn. 31,
45ist nach dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht nachvollziehbar, weil der Sachverhalt nicht vollständig und zutreffend erfasst worden sein dürfte, vgl. § 4 a Abs. 2 Nr. 1 UmwRG. Die im Jahr 2005 durchgeführte Vorprüfung berücksichtigt das in dem Bereich vorhandene Schwerpunktvorkommen der Grauammer (dazu a) nicht. Der Mangel ist auch nicht durch eine spätere Vorprüfung beseitigt worden (dazu b).
46a) Ausweislich der (undatierten, wohl im November 2005 erstellten) Dokumentation der Vorprüfung ist der Antragsgegner zu dem Ergebnis gekommen, dass Vorsorge gegen das Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen getroffen worden sei und bei bestimmungsgemäßer Errichtung und bestimmungsgemäßem Betrieb der Anlagen sonstige Gefahren nicht hervorgerufen werden könnten; auf die Durchführung einer UVP könne daher verzichtet werden. Dabei hat der Antragsgegner hinsichtlich „Reichtum, Qualität und Regenerationsfähigkeit von Wasser, Boden, Natur und Landschaft des Gebietes (Qualitätskriterien)“ ausgeführt, hochwertige Biotope oder Artenvorkommen seien im Einwirkungsbereich nicht bekannt.
47Diese Vorprüfung hat den Sachverhalt in Bezug auf das UVP-Schutzgut „Tiere“ i. S. d. § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UVPG nicht vollständig und zutreffend erfasst. In der Zülpich-Jülicher Börde, in der sich auch der geplante Anlagenstandort befindet, liegt nach den Angaben des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV NRW) das derzeit letzte Schwerpunktvorkommen der Grauammer in Nordrhein-Westfalen. Der Erhaltungszustand der Grauammer in Nordrhein-Westfalen wird vom LANUV NRW als schlecht beschrieben; die Art gilt in NRW als vom Aussterben bedroht. Der Gesamtbestand wird landesweit auf unter 150 Brutpaare geschätzt.
48Vgl. hierzu die Fachinformation „Geschützte Arten in Nordrhein-Westfalen“: www.naturschutzinformationen-nrw.de/artenschutz/de/arten/gruppe/voegel/-kurzbeschreibung/102939.
49Diese Angabe des Vorkommens deckt sich mit den vor Ort durchgeführten gutachterlichen Erhebungen. Ausweislich des von der Antragstellerin eingeholten avifaunistischen Gutachtens des Büros für Ökologie und Landschaftsplanung I. G. wurde die Grauammer in der Zeit von März bis Juni 2009 an zehn Stellen im Untersuchungsgebiet singend beobachtet. Eine Erfassung der Grauammer durch die f. Umweltgutachten Dr. C. & G1. GbR im April und Mai 2013 ergab bis zu sieben Brutreviere, wobei zwei außerhalb des Untersuchungsraums von 500 m um die Anlagenstandorte lagen. Ein solcher Untersuchungsraum entspricht den Empfehlungen für den Untersuchungsraum im NRW-Leitfaden für die Umsetzung des Arten- und Habitatschutzes bei der WEA-Planung vom 12. November 2013. Der S. -T1. -Kreis hat dem Antragsgegner mit Schreiben vom 11. März 2014 mitgeteilt, dass in den Jahren 2009, 2010 und 2012 Brutvorkommen der Grauammer im Bereich der Abzweigung K 21/B 56 und damit nur 250 m nördlich der geplanten Anlagen nachgewiesen worden seien. Der Gutachter G. hat bei Begehungen zwischen Mai und Juli 2014 vier Brutreviere nördlich bzw. westlich der Anlagenstandorte kartiert, von denen jedenfalls eines im Abstand von weniger als 500 m zu den Anlagenstandorten liegt.
50Die Grauammer gilt als kollisionsgefährdete Vogelart, wobei Anflüge sowohl an den Mast wie auch an den Rotor erfolgen. Insoweit verweist das LANUV NRW in seiner Stellungnahme an den Antragsgegner vom 20. Oktober 2009 auf die im Verhältnis zur Populationsgröße und zu Fundzahlen bei anderen Singvögeln hohe Anzahl an Totfunden. Hinsichtlich der Lage sei davon auszugehen, dass sich die Brutreviere aufgrund von Änderungen in der Fruchtartenverteilung auf den landwirtschaftlich genutzten Flächen von Jahr zu Jahr verschieben. Eine Kartierung der Reviere, nach der ein ausreichender Abstand von mehr als 500 m zu den Windenergieanlagen in einem Jahr eingehalten wird, so das LANUV NRW in einer E-Mail vom 30. September 2013, lasse daher keinen zwingenden Schluss auf die Lage in späteren Jahren zu.
51Vor diesem Hintergrund hätte sich die Vorprüfung des Antragsgegners auch mit den Gefahren für das - 2005 der Behörde noch nicht bekannte - Grauammervorkommen erstrecken müssen. Insoweit liegt auch kein Fall des § 3c Satz 3 UVPG vor, in dem der Sachverhalt, wäre er zutreffend ermittelt worden, jedenfalls im Ergebnis offensichtlich nicht zu einer Rechtsgutbeeinträchtigung führen kann. Schon angesichts des nicht verbindlich festgelegten Inhalts des artenschutzrechtlichen Kompensationskonzepts (vgl. die Nebenbestimmung C8 des Genehmigungsbescheids vom 30. Juni 2014) kann dessen Wirksamkeit nicht abschließend beurteilt werden.
52b) Die fehlerhafte UVP-Vorprüfung ist durch den Antragsgegner auch nicht nachgeholt worden. Ausweislich der Ausführungen unter Ziffer 4.2.2 des Genehmigungsbescheids vom 30. Juni 2014 hat der Antragsgegner auf eine Wiederholung der Vorprüfung verzichtet. Anhaltspunkte für eine entscheidungserhebliche Änderung des zugrundeliegenden Sachverhalts lägen nicht vor. Selbst wenn man - entgegen den ausdrücklichen Ausführungen des Antragsgegners - davon ausginge, dass dieser der Sache nach unter Ziffer 4.2.4.5 des Genehmigungsbescheids unter der Überschrift „Artenschutz“ Ausführungen auch zur Vorprüfung hat machen wollen, hätte der Antragsgegner auch hierbei wohl einen unzutreffenden Sachverhalt zu Grunde gelegt. Er ist insoweit davon ausgegangen, dass die Grauammer-Reviere außerhalb eines 500 m-Radius um die Anlagenstandorte liegen. Dies ist angesichts der Kartierung aus dem Jahr 2014 offenbar nicht der Fall.
532. Die Vorprüfung und die UVP haben grundsätzlich vor der Genehmigungserteilung zu erfolgen, da nur so die mit ihnen verfolgte Zielsetzung vollumfänglich erreicht werden kann. Zwar besteht nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 und 3 UmwRG i. V. m. § 45 Abs. 2 VwVfG NRW,
54vgl. zur Anwendbarkeit der letztgenannten Vorschrift OVG NRW, Urteil vom 25. Februar 2015 - 8 A 959/10 -, ZNER 2015, 177 = juris Rn. 163,
55die Möglichkeit, die allgemeine Vorprüfung im Einzelfall noch bis zum Abschluss der ersten Instanz im Hauptsacheverfahren nachzuholen. Insoweit ist aber schon offen, ob eine erneute standortbezogene Vorprüfung zu dem Ergebnis kommt, es bedürfe keiner Umweltverträglichkeitsprüfung.
56Darüber hinaus sind die Vorgaben des Unionsrechts zu berücksichtigen. Zwar ist die Möglichkeit der Nachholung einer UVP-Vorprüfung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 3 UmwRG i. V. m. § 45 Abs. 2 VwVfG NRW mit Unionsrecht grundsätzlich vereinbar. Insbesondere liegt in der Nachholung keine Legalisierung von Projekten, die einer Umweltverträglichkeitsprüfung hätten unterzogen werden müssen. Das gilt jedenfalls, wenn die nachgeholte UVP-Vorprüfung zu dem Ergebnis kommt, dass es einer Umweltverträglichkeitsprüfung nicht bedurfte. Das Unionsrecht steht nationalen Rechtsvorschriften, die unter bestimmten Umständen die Legalisierung unionsrechtswidriger Vorgänge oder Handlungen zulassen, nicht grundsätzlich entgegen.
57Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. Februar 2015 - 8 A 959/10 -, ZNER 2015, 177 = juris Rn. 165, und Beschluss vom 24. Juni 2015 - 8 B 315/15 -, juris Rn. 65; vgl. weiterhin BVerwG, Urteil vom 20. August 2008 - 4 C 11.07 -, BVerwGE 131, 352 = juris Rn. 27 ff.; EuGH, Urteil vom 3. Juli 2008 - C-215/06 -, juris Rn. 57.
58Allerdings ist zu berücksichtigen, dass im Anwendungsbereich der Richtlinie ein Vorhaben ohne - ggf. nachgeholte - Durchführung einer UVP bzw. Vorprüfung nach Unionsrecht nicht durchgeführt werden darf. Der Gerichtshof hat insoweit entschieden, dass Art. 2 Abs. 1 der geänderten Richtlinie 85/337/EWG nur so verstanden werden könne, dass ein Antragsteller, für dessen Vorhaben die Umweltverträglichkeitsprüfung, sofern sie erforderlich ist, nicht zuvor durchgeführt worden ist, die Arbeiten an dem fraglichen Projekt nicht beginnen kann, ohne gegen die Anforderungen der Richtlinie zu verstoßen. Dies gelte auch für Projekte, die unter Anhang II dieser Richtlinie zu fassen und gemäß Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie nur dann einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen seien, wenn der von dem Mitgliedstaat festgelegte Schwellenwert überschritten und/oder aufgrund einer Einzelfalluntersuchung mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen sei.
59Vgl. EuGH, Urteil vom 3. Juli 2008 - C-215/06 -, juris Rn. 51 ff.
60Nichts anderes gilt für den nunmehr anwendbaren Art. 4 Abs. 2 i. V. m. Anlage II der Richtlinie 2011/92/EU.
61Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. Juni 2015 - 8 B 315/15 -, juris Rn. 69.
62Aufgrund des unionsrechtlichen Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit sind die Mitgliedsstaaten verpflichtet, die rechtswidrigen Folgen eines Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht zu beheben. Es ist daher Aufgabe der zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten alle erforderlichen allgemeinen oder besonderen Maßnahmen zu treffen, damit die Projekte im Hinblick darauf überprüft werden, ob bei ihnen erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt zu besorgen sind, und damit sie bejahendenfalls auf diese Auswirkungen hin untersucht werden. In diesem Zusammenhang ist es Sache der nationalen Gerichte festzustellen, ob nach nationalem Recht die Möglichkeit besteht, eine bereits erteilte Genehmigung zurückzunehmen oder jedenfalls auszusetzen, um dieses Projekt einer Prüfung gemäß den Anforderungen der UVP-Richtlinie zu unterziehen.
63Vgl. EuGH, Urteil vom 7. Januar 2004 - C-201/02 -, juris Rn. 65 ff.
64Ist wie im vorliegenden Fall die erforderliche Vorprüfung nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden und können somit die zu erwartenden Auswirkungen auf die Schutzgüter nicht hinreichend sicher beurteilt werden, hat das Gericht den Widerspruch dieses Zustands zum Unionsrecht zu berücksichtigen.
65Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. Juni 2015 - 8 B 315/15 -, juris Rn. 72; vgl. auch OVG S.-A., Beschluss vom 17. September 2008 - 2 M 146/08 -, NVwZ 2009, 340 = juris Rn. 16 f.
66Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Kostentragungspflicht der Beigeladenen, die in beiden Rechtszügen eigene Anträge gestellt hat, ergibt sich aus § 154 Abs. 3, 1. Halbsatz VwGO.
67Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Der Senat orientiert sich dabei an den Ziffern 19.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Der danach im Hauptsacheverfahren anzusetzende Streitwert von 60.000,- € ist im Hinblick auf die Vorläufigkeit der erstrebten Regelung in Anlehnung an Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs auf die Hälfte zu reduzieren.
68Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 und 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.
(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.
(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.
(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.
(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.
(4) In Verfahren
- 1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro, - 2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro, - 3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und - 4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.
(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert
- 1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist, - 2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.
(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.