Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 14. März 2017 - A 11 K 7407/16

bei uns veröffentlicht am14.03.2017

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Der nach eigenen Angaben am ...1982 geborene Kläger ist iranischer Staatsangehöriger. Er reiste eigenen Angaben zufolge am 14.08.2010 in das Bundesgebiet ein. Am 26.08.2010 beantragte er die Gewährung von Asyl.
Bei der Anhörung im Rahmen der Vorprüfung in Karlsruhe am 06.09.2010 trug der Kläger vor, sein Personalausweis und sein Reisepass befänden sich noch im Iran. Dort hielten sich gegenwärtig sein Vater, vier Schwestern und drei Brüder auf. Die wirtschaftliche Situation seiner Familie im Iran sei gut gewesen. Den Militärdienst habe er nicht geleistet, er sei befreit gewesen. Unweit seines Wohnortes habe sich der Parteistab von Herrn Mussawi befunden. Dort sei er aktiv gewesen. Im Iran habe er an allen Demonstrationen teilgenommen. Am 27.03.1388 seien neun Freunde von ihm festgenommen worden. Diese Personen seien später wieder freigekommen. Daraufhin seien Bassijis zu ihm gekommen und hätten ihn bedroht. Am 30.03.1388 (20.06.2009) sei er nach Teheran gefahren. Dort habe er auf dem Platz Azadi an einer Demonstration teilgenommen. Am 6./7.10.1388 (27./28.12.2009) habe seine ganze Familie an einer Demonstration teilgenommen. Seine Schwester sei dabei zusammengeschlagen und sein Cousin festgenommen worden. Bei dieser Demonstration habe er Autos angezündet und sich an körperlichen Auseinandersetzungen beteiligt. Bei einer weiteren Demonstration am 22.11.1388 (11.02.2010) habe er mit anderen zusammen einen Polizeikiosk, Autos und Motorräder angezündet. Sein Freund H sei festgenommen worden, er habe fliehen können. Bei seinem Freund M habe er übernachtet. Auch dieser Freund habe an den Demonstrationen teilgenommen. Am nächsten Tag habe er von seiner Schwester erfahren, dass Sicherheitskräfte ihn zu Hause gesucht hätten. Am 26.11.1388 (15.02.2010) sei sein Vater festgenommen und einen Tag lang festgehalten worden. Am 29./30.11.1388 (21./22.02.2010) hätten Sicherheitskräfte den PC seiner Schwester beschlagnahmt und seinen jüngeren Bruder festgenommen, diesen aber am selben Tag wieder freigelassen. Er selbst sei zu seinem Onkel in das Dorf Khalal gefahren und habe sich dort vier Monate aufgehalten. Sein Onkel habe sich dann um seine Ausreise gekümmert. Die Ausreise sei es von seinem Vater und seinem Onkel finanziert worden.
Mit Bescheid vom 23.02.2011 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG nicht vorliegen und drohte dem Kläger mit einer Ausreisefrist von einem Monat die Abschiebung in den Iran an.
Am 04.03.2011 hat der Kläger Klage erhoben und in der mündlichen Verhandlung vom 26.01.2012 vorgetragen, im Iran habe er im Geschäft seines Vaters mitgearbeitet. Sein Vater habe einen Hühner-Schlachthof besessen sowie eine eigene Verkaufsstelle. Er selbst habe in Karaj einen Saftladen eröffnet, der finanziell gut gelaufen sei. Nach den Protesten an den Universitäten im Jahr 1999 habe er angefangen, sich für Politik zu interessieren, aber noch keine Aktivitäten unternommen. Erst nach den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2009 sei er aktiv geworden. Die erste Demonstration, an der er teilgenommen habe, sei unmittelbar am Tag nach der Wahl gewesen. Von diesem Zeitpunkt an habe er an sehr vielen Demonstrationen teilgenommen. Die ganze Familie habe an den Demonstrationen mitgemacht. Ein Freund von ihm sei gleich zu Beginn der Demonstrationen festgenommen worden, in den Folgetagen seien auch andere Freunde verhaftet worden. Ein Cousin sei einen Monat oder 40 Tage inhaftiert gewesen.
Mit Urteil vom 26.01.2012 - A 11 K 751/11 wies das Verwaltungsgericht Stuttgart die Klage ab. Der hierauf eingelegte Antrag auf Zulassung der Berufung blieb ohne Erfolg (VGH Mannheim, Beschl. v. 27.02.2014 - A 3 S 654/12).
Mit Schriftsatz vom 11.07.2014 stellte der Kläger einen Asylfolgeantrag und brachte zur Begründung vor, Freunde hätten ihm positiv von der persischen christlichen Gemeinde in Stuttgart erzählt. Er sei dann schließlich in den Gottesdienst gegangen, der jeden Samstagabend zwischen 18:00 Uhr und 21:00 Uhr stattfinde. Beim Gottesdienst und in der Kirchengemeinde habe er sich sehr wohl gefühlt. Bei den Treffen werde gebetet und gesungen und es gebe eine Predigt des Pfarrers. Er habe eine Bibel in persischer Sprache erhalten und lese seitdem regelmäßig darin. Am 28.07.2012 sei er in der persischen Kirchengemeinde getauft worden. Vor der Taufe und zum Zeitpunkt der Taufe sei er zwar Mitglied in der Gemeinde, vom christlichen Glauben jedoch noch nicht absolut überzeugt gewesen. Nach der Taufe habe sich das Glaubensleben und die Glaubensüberzeugung intensiviert. Erst danach sei ihm so richtig klar geworden, was Jesus Christus und der christliche Glaube für ihn und sein Leben bedeuteten. Erst in den letzten Monaten habe er einige große Schritte im Glauben gemacht. In letzter Zeit seien auch einige neue Personen durch ihn zur christlichen persischen Gemeinde hinzugekommen. Seine Glaubensüberzeugung habe sich in den letzten Monaten stark intensiviert. Er lese in den letzten 2 Monaten viel mehr in der Bibel und habe auch in den letzten beiden Monaten noch mehr Kontakt zu den anderen Mitgliedern der Gemeinde. Der christliche Glaube sei der wichtigste Bestandteil seines Lebens. Er könne diesen Glauben nicht verleugnen. Aufgrund seines christlichen Glaubens habe er zu Personen im Iran keinen bzw. kaum noch Kontakt.
Pfarrer A H der persischen Gemeinde Ludwigsburg trug mit Schreiben vom 14.06.2014 vor, der Kläger sei Mitglied der persischen Gemeinde. Er besuche regelmäßig den Gottesdienst. Der Kläger sei ein entschiedener Christ und habe in den letzten Monaten einige große Schritte im Glauben gemacht. Er diene Gott so, wie er es könne. Durch ihn seien einige Leute zu der Gemeinde gekommen. Dies zeige, dass der Kläger mit Überzeugung glaube und diese Überzeugung auch Auswirkung auf andere Menschen habe.
Mit weiterem Schriftsatz vom 13.11.2014 trug der Kläger vor, er leide an einer chronischen posttraumatischen Belastungsstörung, an einer mittelschweren bis schweren Depression und an einem Alkoholabusus. Psychiatrisch müsse er mit Medikamenten sowie durch eine Gesprächstherapie behandelt werden. Sowohl die psychiatrische Therapie als auch die Alkoholentzugstherapie müssten stationär in einem Krankenhaus stattfinden.
In der vorgelegten ärztlichen Stellungnahme von Refugio Stuttgart vom 08.11.2014 führte Dr. F aus, der Kläger lebe in einer großen Asylunterkunft und leide unter dem Lärm, der Enge und den häufigen Polizeieinsätzen. Nach Unstimmigkeiten unter den Bewohnern, während derer er aggressiv gegen Landsleute geworden sei, habe er vielfach das Zimmer wechseln müssen. Eine gewisse Tagesstrukturierung bestehe nur, solange er an Sprachkursen teilnehme oder Sport im Fitness-Studio treibe. Um Schlafstörungen zu begegnen trinke er Wodka, gelegentlich auch im Exzess. Im Jahr 1993 sei die Mutter des Klägers nach einem Verkehrsunfall gestorben, als er 11 Jahre alt gewesen sei. Anschließend habe es langanhaltende, schwere Selbstanklagen gegeben. Während des gemeinsamen Militärdienstes seien zwei Freunde aus ungeklärten Umständen gestorben. Im Iran sei er zudem unfreiwillig Zeuge öffentlicher Hinrichtungen und Auspeitschungen geworden. Anlässlich der Teilnahme an Demonstrationen in den Jahren 2009 und 2010 habe er wiederholt Gewalt erlebt. Von Sicherheitskräften sei er geschlagen und Freunde seien festgenommen worden. Beim Kläger sei vom Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung mit mittelschwerer bis schwerer Depression auszugehen. Er sei latent suizidal gefährdet und unbedingt behandlungsbedürftig. Der plötzliche Tod seiner Mutter nach einem Verkehrsunfall habe bei dem damals 11-jährigen Kläger zu einem ersten schweren traumatischen Verlust mit Gefühlen von Verlassenheit, Angst und Ohnmacht geführt. Zudem habe er geglaubt, ihn selbst mit verschuldet zu haben. Der Tod von zwei nahestehenden Freunden während des Militärdienstes sei ein erneuter schwerer persönlicher Verlust gewesen. Die Ablehnung im Asylerstverfahren sei eine weitere traumatische Erfahrung gewesen. Beim Kläger bestehe ein massiver Stress und eine nicht mehr steuerbare innere Erregung. Diese ständige Übererregung finde Ausdruck in quälender Schlaflosigkeit, erhöhter Reizbarkeit und Schreckhaftigkeit und führe zu Beeinträchtigungen in den Bereichen Wahrnehmung, Konzentration und Gedächtnis.
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Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie A führte in ihrem fachärztlichen Attest vom 06.10.2015 aus, der Kläger befinde sich seit dem 04.08.2015 in ihrer ambulanten nervenärztlichen Behandlung. Bei ihm besteht eine mittelgradige Depression. Der Kläger werde medikamentös behandelt und habe psychotherapeutische Einzelgespräche bei Refugio in Stuttgart.
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Bei der Anhörung in Eningen am 20.10.2016 trug der Kläger vor, er habe psychische Beschwerden und sei auch in therapeutischer Behandlung. Sein Personalausweis und sein Reisepass befänden sich nach wie vor im Iran. Zwei Brüder, vier Schwestern, sein Vater und die übliche Großfamilie hielten sich noch im Iran auf. Im Jahr 2011 oder 2012 seien Personen in das Flüchtlingscamp gekommen und hätten mitgeteilt, dass es in Berlin eine Demonstration geben werde. Er habe sich dann entschlossen, dort teilzunehmen. Sie hätten vor dem iranischen Konsulat demonstriert. Das Konsulat habe Aufnahmen von der Demonstration angefertigt. Nach seiner Ankunft in Deutschland habe er eine iranische Kirche entdeckt. Aus Neugier habe er diese besucht. Dadurch sei sein Interesse geweckt worden und er habe sich mit dem Glauben auseinandergesetzt. In der iranischen Kirchengemeinde habe er an Unterrichtsstunden teilgenommen. Dies habe 2 Monate gedauert. Seit ca. einem Jahr besuche er die Citykirche in Stuttgart. Im Iran habe er kein Interesse am Islam gehabt. Die Bibel habe er mittlerweile komplett gelesen. Er gehe jede Woche zur Kirche. Die Dinge, die er in der Bibel gut gefunden habe, habe er weitererzählt. Hierdurch hätten sich drei andere Personen bei den Unterrichtsstunden angemeldet. Vor 2 Tagen sei eine dieser drei Personen getauft worden. Seine Familienangehörigen habe er von seiner Konversion erzählt. Sein Vater habe sich ein bisschen geärgert, der Rest der Familie habe dies akzeptiert. Bei einer Rückkehr in den Iran werde er Christ bleiben. Durch den Glaubenswechsel sei er ruhiger geworden. Aus ihm sei ein anderer Mensch geworden. Früher sei er ein schlechter Mensch gewesen. Er habe viele schlimme Dinge gemacht.
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Mit Schreiben vom 14.10.2016 teilte die Diakonin der Citykirche Stuttgart - Frau G - mit, der Kläger nehme regelmäßig am Wochenschlussgottesdienst in der Stiftskirche teil. Außerdem besuche der Kläger seit Mitte Juli 2016 den Taufunterricht. Fragen des christlichen Glaubens bewegten und beschäftigten den Kläger. Praktische Hilfe sei für ihn selbstverständlich und eine Freude.
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Mit Schreiben vom 30.07.2016 teilte Pfarrer V der Stiftskirche Stuttgart mit, mit großer Regelmäßigkeit nehme der Kläger an den Gottesdiensten teil. Seit einigen Wochen sei er auch beim Taufunterricht dabei, der im Anschluss an die Gottesdienste mit Menschen aus dem Iran und Afghanistan erfolge. Dort bringe er seine Erfahrungen für andere ein. Beim Gemeindefest habe der Kläger das ganze Wochenende mitgearbeitet.
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Mit Schreiben vom 09.08.2016 teilte die Sozialpädagogin S von Refugio Stuttgart mit, der Kläger mache einen stark hoffnungslosen und labilen Eindruck. Ohne eine therapeutische Begleitung, eine koordinierte psychiatrische Versorgung und ohne einen gesicherten Aufenthalt bestehe eine akute Suizidalität.
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Mit Bescheid vom 27.10.2016 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag als unzulässig ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen und drohte dem Kläger mit einer Ausreisefrist von einer Woche die Abschiebung in den Iran an. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG unzulässig. Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 AsylG seien nicht erfüllt. Der Kläger habe die Dreimonatsfrist des § 51 Abs. 3 VwVfG versäumt. Auch sei eine Änderung der Sachlage nicht gegeben.
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Am 08.11.2016 hat der Kläger Klage erhoben und zur Begründung vorgetragen, am 28.07.2012 sei er in der persisch-christlichen Kirchengemeinde getauft worden. In dieser Gemeinde habe er sich später nicht mehr wohl gefühlt. Ende des letzten Jahres habe er die Evangelische Stiftskirchengemeinde in Stuttgart kennengelernt. Im biblischen Unterricht für Täuflinge bringe er sich mit seinen Kenntnissen und Glaubenserfahrungen positiv ein. Gespräche mit Menschen, die Gott suchten und kennen lernen möchten, seien ihm wichtig. Seit Ende November letzten Jahres sei er offiziell Mitarbeiter in der Stiftskirchengemeinde. Er sei als Kirchenwächter tätig und sorge dafür, dass die Kirche täglich für Gäste geöffnet sei. Außerdem sorge er im Außenbereich der Kirche für Sauberkeit und helfe tatkräftig beim Auf- und Umbau in der Kirche. Täglich bete er zu Gott und zu Jesus. Er habe im Raum Stuttgart mehrere Personen hinsichtlich seines christlichen Glaubens angesprochen und diese zum christlichen Glauben gebracht. Bei ihm bestehe eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung, eine rezidivierende depressive Störung mit aktuell schwerer Episode als Traumafolgestörung und ein Alkoholabhängigkeitssyndrom. Wegen dieser Erkrankungen werde er medikamentös behandelt und erhalte eine Traumatherapie bei Refugio Stuttgart.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27.10.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen;
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hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, ihm subsidiären Schutz zuzuerkennen;
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höchst hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen;
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weiter hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf Null ab dem Tag der Abschiebung zu befristen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie verweist auf den Inhalt des angefochtenen Bescheids.
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Mit Schreiben vom 08.12.2016 teilten Pfarrer V und die Diakonin G der Evangelischen Stiftskirche Stuttgart mit, der Kläger sei in der Stiftskirchengemeinde aktiv und sehr engagiert. Im biblischen Unterricht für Täuflinge bringe er sich mit seinen Kenntnissen und Glaubenserfahrungen positiv ein. Das persönliche Bibelstudium sei für ihn eine Quelle, die seinem Leben Halt und Fundament gebe. Der Kläger habe erfahren, was Vergebung und die Chance eines Neuanfangs bedeuteten. Das Gebot der Nächstenliebe sei ihm zur Handlungsgrundlage geworden. Der Kläger sei inzwischen offiziell als Mitarbeiter innerhalb der Stiftskirche ehrenamtlich tätig. Als Kirchenwächter sorge er dafür, dass die Kirche täglich für Gäste geöffnet sein könne. Im Außenbereich der Kirche sorge der Kläger für Sauberkeit und unterstütze Auf- und Umbauarbeiten in der Kirche zuverlässig und tatkräftig.
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Mit Schreiben vom 08.12.2016 trug der Kläger weiter vor, den islamischen Glauben habe er im Iran nicht wirklich praktiziert. Nach einer Verhandlung bei einem Strafgericht in Deutschland habe er angefangen, intensiv die Bibel zu lesen. Nachdem er vom iranischen Pfarrer wegen seiner intensiven Fragen gerügt worden sei, habe er sich eine deutsche Gemeinde gesucht. Ihn habe beschäftigt, was es bedeute, Gott wirklich vertrauen zu können. In der Kirche finde er Ruhe und komme zur Ruhe. Er habe erkannt, dass Gott Interesse an ihm habe. Dies sei der Grund gewesen, sich taufen zu lassen. Im Iran werde er bekennen, dass er Christ geworden sei. In Deutschland sei ihm jegliche Erwerbstätigkeit untersagt. Dies sei für ihn sehr ernie-drigend. Seine Depressionen hingen hiermit zusammen.
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In der vorgelegten psychologischen Stellungnahme von Refugio Stuttgart vom 29.11.2016 führte die Psychologische Psychotherapeutin B aus, der Kläger werde seit Juli 2016 mit wöchentlichen Terminen psychologisch/psychotherapeutisch von Refugio begleitet. Als Jugendlicher und junger Mann sei er wiederholt auf der Straße festgehalten und geschlagen worden. Zweimal sei er in Haft gewesen. Die zweite Inhaftierung sei im Jahr 2007 gewesen. Drei Tage habe man ihn festgehalten. Während der Haft sei er mit einem Holzstück geschlagen worden. Er habe im Iran öfter an Demonstrationen teilgenommen und habe Demonstrationen selbst mit organisiert. In seinem Viertel sei bekannt gewesen, dass er Demonstrationen unterstütze. Als immer mehr Freunde und Verwandte festgenommen worden seien, sei er geflohen. In einem Lastwagen sei er von der Türkei bis nach Deutschland gebracht worden. Bei einer Abschiebung befürchte er erneute Inhaftierung, da er in den Jahren 2011/2012 in Berlin bei einer Demonstration mitgewirkt habe. In der Stiftskirche in Stuttgart arbeite er 2 bis 3 Stunden wöchentlich ehrenamtlich und nehme an einem Sprachkurs teil, der über die Kirche organisiert sei. Der Kläger sei seit früher Kindheit Opfer andauernder, sequenzieller Traumatisierungen geworden. Er erfülle die Kriterien der Diagnose einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung und einer depressiven Störung im Sinne einer Traumafolgestörung mit aktuell schwerer Ausprägung/Episode. Mit sechs Jahren sei er Zeuge von Ermordung von Bekannten geworden. Als junger Erwachsener sei er wiederholt Opfer von körperlicher Gewalt (Inhaftierung mit Schlägen, Verfolgung, Schusswechsel) und chronischen Bedrohungen sowie Anfeindungen geworden. Der Tod seiner Mutter habe zu einer schweren seelischen Erschütterung geführt und müsse als traumatisches Ereignis vermutet werden. Zudem sei er als Kind und Jugendlicher, aber auch als junger Erwachsener wiederholt schwer in seiner physischen Integrität verletzt worden. Die Gewalterlebnisse und die Verletzungs- und Bedrohungssituationen sowie der Todesfall der Mutter führten beim Kläger täglich tagsüber zu einem unkontrollierbaren Wiedererinnern. Zudem bestünden häufige Albträume. Der Kläger habe von emotionaler Taubheit und Depersonalisation, Rückzugsverhalten und Interessensverlust im Alltag berichtet. Die autonome Übererregung bestehe in massiver, chronischer Anspannung, innerer Alarmiertheit/Schreckhaftigkeit und massiven Einschlaf- und Durchschlafstörungen sowie Gedächtnisschwierigkeiten im Alltag. Seit Sommer 2016 nehme der Kläger das Antidepressivum Doxepin. Durch erneute Konfrontation mit einer subjektiv als äußerst gefährlich eingeschätzten Situation im Iran käme es zu einer Retraumatisierung, verbunden mit einer massiven und lebensgefährlichen Verschlechterung des Krankheitsbildes. Dies hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit eine irreparable und gravierende Schädigung der psychischen Restfunktionen zur Folge und führte zu einem Verlust der psychischen integrativen Fähigkeiten. Affektiv wäre mit weiteren Suizidversuchen, einer Verschlimmerung der Alkoholproblematik sowie mit einer weiter verminderten Selbstregulation/Kontrollverlust zu rechnen.
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In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger vorgetragen, die Schule im Iran habe er bis zur zehnten Klasse besucht. Er habe sechs Geschwister, vier Schwestern und zwei Brüder. Drei Schwestern seien als Hausfrau tätig, alle anderen seien sonst erwerbstätig. Deren wirtschaftliche Lage sei normal. Seit fast zwei Jahren gehe er jede Woche einmal zu Refugio Stuttgart. Dort mache er bei der Psychotherapeutin B (mit Hilfe eines Dolmetschers) eine Gesprächstherapie. Außerdem sei er seit über einem Jahr bei einer Psychiaterin in Behandlung. Mit ihr spreche er über seine Schwindelanfälle, Stress, Schmerzen im Arm und Taubheitsgefühle. Von ihr erhalte er auch zwei Medikamente, die er zu sich nehme, wenn er sich sehr gestresst fühle. Auf Frage des Gerichts nach Festnahmen im Iran gab der Kläger an, er könne sich an eine Festnahme anlässlich der Wintervertreibung erinnern, als er ca. 24 Jahre alt gewesen sei. Damals sei er drei Tage lang auf einer Polizeizelle festgehalten und geschlagen worden. Man habe ihm Beleidigung oberster Führer und das Trinken von Alkohol vorgeworfen. Da er eine Sicherheitsleistung erbracht habe, sei er freigekommen. Ca. einen Monat später sei er vom Gericht freigesprochen worden. Zur eigenen wirtschaftlichen Situation im Iran trug der Kläger vor, dort habe er zusammen mit einem Cousin einen Laden betrieben, in dem sie zunächst Hähnchen, Fische und Eier verkauft hätten; später hätten sie den Laden in einen Saftladen umgewandelt. In dem Laden habe er bis zu seiner Ausreise gearbeitet. Auf Frage nach politischen Aktivitäten im Iran machte der Kläger geltend, seit der grünen Revolution im Jahr 1388 habe er an fast allen Demonstrationen teilgenommen. Seine erste Demonstrationsteilnahme sei direkt nach den Wahlen gewesen. Seine zweitälteste Schwester sei noch aktiver als er gewesen. Diese sei einmal verhaftet worden. Auch ein Cousin sei festgenommen worden. Er habe auch andere Leute bewegt, an Demonstrationen teilzunehmen; deshalb bezeichne er sich als Mitorganisator der Demonstrationen. Ein Mitglied des Wahlkomitees von Mussawi sei er nicht gewesen. Er habe nur dessen Wahlflyer verteilt. Nachdem Freunde festgenommen worden seien, sei er geflüchtet. Ca. 5 bis 7 Monate vor der Ausreise seien Leute in zivil an der Haustür erschienen und hätten seinem Vater ausgerichtet, er (der Kläger) solle sich bei Gericht melden. Er habe sich dann 3 bis 4 Monate an einem anderen Ort aufgehalten, bevor er den Iran verlassen habe.
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Zur Konversion trug der Kläger vor, im Jahr 2011 sei er in Kontakt mit dem Christentum gelangt; am Marienplatz habe es eine iranische Kirchengemeinde gegeben. Im Jahr 2010 sei er an einer Auseinandersetzung mit Afghanen beteiligt gewesen. Bei der Gerichtsverhandlung sei er von der Richterin gefragt worden, ob er Christ sei. Dies habe er verneint. Die Richterin habe ihm gegenüber den Wunsch geäußert, er möge zur Ruhe kommen. Aufgrund dieses Vorfalls habe er sich für die Konversion entschieden. Die Taufe habe in einer iranischen Gemeinde im Jahr 2012 stattgefunden. Im Taufunterricht seien die Bibel sowie die Taten und Wunder von Jesus Gegenstand gewesen. Auch jetzt nehme er noch am Taufunterricht für Menschen teil, die sich taufen lassen wollen. Er habe sich taufen lassen, da Jesus auf die Erde geschickt worden sei, um die Menschen zu retten. In der Gemeinde habe er Liebe, Ruhe und Frieden gefunden. Seine Geschwister habe er von seiner Konversion informiert, sein Vater wisse nicht Bescheid. Seine Schwestern seien aufgrund der Nachricht traurig gewesen, nicht jedoch seine Brüder, da diese nicht religiös seien. Auf Frage zu Unterschieden zwischen den verschiedenen christlichen Konfessionen gab der Kläger an, in der katholischen Kirche dürften Pfarrer nicht heiraten und dort dürfe man Worte der Bibel nicht deuten. Die protestantische Kirche sei von Martin Luther geschaffen worden. Dort obliege die Auslegung der Worte in der Bibel jedem selbst. Der hierarchische Aufbau der Evangelischen Landeskirche sei ihm nicht bekannt. Es gebe ein Altes Testament mit 39 Büchern sowie ein Neues Testament mit 27 Büchern. Die vier Evangelien seien von Markus, Matthäus, Lukas und Johannes geschrieben worden. Die Evangelien von Markus, Matthäus und Lukas ähnelten sich, stärkere Unterschiede enthalte das Johannesevangelium. Im Lukasevangelium sei die Apostelgeschichte enthalten und im Johannesevangelium die Offenbarungsgeschichte. Auf Frage zur Bergpredigt trug der Kläger vor, Jesus habe vor 5000 Anhängern gepredigt. Sie hätten jedoch nicht genug Verpflegung für die Menschen gehabt. Jesus habe dann die wenigen Brote und Fische vermehrt, so dass am Schluss noch zwölf Körbe übrig geblieben seien. Das Abendmahl und die Taufe seien ein Sakrament. Beim Abendmahl werde das Brot gebrochen und Wein getrunken; Wein als Sinnbild für Blut, das Jesus vergossen habe. Die Taufe versinnbildliche die Auferstehung und die Vergebung der Sünden. Christliche Feiertage seien Weihnachten (Geburt Jesu), Ostern (Auferstehung) und Pfingsten (Auffahrt Jesu in den Himmel). Auf Frage zu Unterschieden zwischen den Glaubensinhalten des Islam und des Christentum gab der Kläger an, im Islam gebe es Blutvergießen und Rache, während im Christentum eine direkte Beziehung des Menschen zu seinem Gott bestehe. Durch den Glaubenswechsel habe er neue Freunde gewonnen. Sein Glaube sei auf der Basis der Liebe aufgebaut. Er leiste Dienst in der Stiftkirchengemeinde, lese viel in der Bibel, schaue sich christliche Filme an und spreche mit anderen Menschen über seinen Glauben. Bei einer Rückkehr in den Iran würde er zu Jesus Christus stehen und ihn nicht verleugnen. Dort würden Konvertiten verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Samstag abends gehe er in den Gottesdienst. Danach gebe es ein Treffen in Anwesenheit eines Dolmetschers, wo über Jesus, sein Leben, seine Wunder und die Bibel gesprochen werde. Zum Ablauf des Gottesdienstes in seiner Gemeinde befragt gab der Kläger an, der Pfarrer spreche und am Ende finde das Abendmahl statt. Auf einer Tafel seien die Gebete notiert, die gebetet würden.
30 
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die zur Sache gehörende Akte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
31 
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da sie ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
32 
Die auf Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes vom 27.10.2016 gerichtete Klage ist zulässig. Soweit der Kläger darüber hinaus begehrt, die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft und (hilfsweise) subsidiären Schutz zuzuerkennen, ist die Klage unzulässig. Denn statthafte Klageart gegen eine Feststellung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist nur die Anfechtungsklage (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 - 1 C 4/16 - juris -). Einer Verpflichtungsklage fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, weil das Bundesamt nach Aufhebung der Entscheidung über die Unzulässigkeit automatisch zur Durchführung eines Asylverfahrens verpflichtet ist.
33 
Soweit die Klage zulässig ist, ist diese nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Das Bundesamt hat den Asylfolgeantrag des Klägers zu Recht als unzulässig abgelehnt (1.). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten festzustellen, dass bei ihm ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegt (2.). Die dem Kläger angedrohte Abschiebung ist rechtlich nicht zu beanstanden (3.). Er hat auch keinen Anspruch auf Verkürzung der festgesetzten Frist im Hinblick auf das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot (4.).
34 
1. Die Beklagte hat den Asylfolgeantrag des Klägers zu Recht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abgelehnt, da ein weiteres Asylverfahren nach § 71 AsylG nicht durchzuführen ist.
35 
Nach § 71 Abs. 1 AsylG ist ein weiteres Asylverfahren nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des Wiederaufgreifens des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG gegeben sind. Der Folgeantragsteller muss die seiner Ansicht nach vorliegenden Voraussetzungen für einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens selbst und umfassend vortragen; d.h. das Gericht ist nicht befugt, bei der Prüfung des Folgeantrags andere als vom Antragsteller geltend gemachte Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zugrunde zu legen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.12.1989 - 9 B 320/89 - NVwZ 1990, 359). Die Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG müssen schon im Antrag selbst abschließend und substantiiert dargetan werden (§ 71 Abs. 3 AsylG). So ist substantiiert auszuführen, inwiefern der Folgeantragsteller ohne grobes Verschulden außer Stande war, den Grund für das Wiederaufgreifen schon im früheren Verfahren geltend zu machen und inwiefern er - es sei denn, dies wäre aktenkundig oder offensichtlich - die Drei-Monats-Frist (§ 51 Abs. 3 Satz 1 VwVfG) eingehalten hat (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 02.07.1998 - A 12 S 1006/97 - juris - und Urt. v. 23.03.2000 - A 12 S 423/00 - juris -). Einzelne neue Tatsachen, die zur Begründung nachgeschoben werden, brauchen jedoch - ausnahmsweise - nicht innerhalb der Ausschlussfrist des § 51 Abs. 3 Satz 1 VwVfG vorgetragen zu werden, wenn sie einen bereits rechtzeitig geltend gemachten Wiederaufgreifensgrund bestätigen, wiederholen, erläutern oder konkretisieren, also nicht qualitativ neu sind, d. h. nicht aus dem Rahmen der bisher für das Wiederaufgreifen angeführten Umstände fallen und damit keinen neuen Wiederaufgreifensgrund darstellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.02.1998 - 9 C 28/97 - BVerwGE 106, 171). Die Frist des § 51 Abs. 3 Satz 1 VwVfG beginnt mit dem Tag, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erlangt hat, zu laufen (§ 51 Abs. 3 Satz 2 VwVfG). Das Erfordernis, die Drei-Monats-Frist nach § 51 Abs. 3 Satz 1 VwVfG einzuhalten, gilt auch für sich prozesshaft entwickelnde Dauersachverhalte. Bei Dauersachverhalten ist die erstmalige Kenntnis von dem Dauersachverhalt maßgebend (vgl. OVG Weimar, Urt. v. 06.03.2002 - 3 KO 428/99 - NVwZ-Beilage I 2003, 19). Unbilligkeiten bei sich prozesshaft entwickelnden Dauersachverhalten werden dadurch vermieden, dass für die Gewährung von Abschiebungsschutz die Einhaltung der Drei-Monats-Frist unmaßgeblich ist. Hinreichende Darlegung im Sinne von § 71 Abs. 3 AsylG setzt zudem ein Mindestmaß an Klarheit, Überschaubarkeit und Verständlichkeit voraus, was ohne eine gewisse Strukturierung und inhaltliche Aufbereitung des Vorbringens nicht gelingen kann (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 15.06.1999 - A 6 S 2766/98 - juris -).
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Für die Bejahung der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Wiederaufgreifen des Asylverfahrens wegen nachträglicher Änderung der Sachlage nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG ist - neben dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG - notwendig, dass der Folgeantragsteller eine Änderung im Verhältnis zu der der früheren Asylentscheidung zugrunde gelegten Sachlage glaubhaft und substantiiert vorträgt; er muss substantiiert die Umstände darlegen, die sich nach Abschluss des früheren Verfahrens geändert haben sollen. Außerdem ist die Geeignetheit der neuen Tatsachen für eine dem Asylbewerber günstigere Entscheidung schlüssig darzutun. Es genügt nicht, dass lediglich pauschale Behauptungen aufgestellt werden (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 02.07.1998 - A 12 S 1006/97 - juris -; OVG Weimar, Urt. v. 06.03.2002 - 3 KO 428/99 - NVwZ-Beilage I 2003, 19). Die Darlegungen des Folgeantragstellers müssen eine ihm günstigere Entscheidung zumindest als möglich erscheinen lassen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2000 - 2 BvR 39/98 - NVwZ-Beilage I 2000, 78; BVerwG, Urt. v. 07.03.1989 - 9 C 59/88 - Buchholz 402.25 § 14 AsylVfG Nr. 9 und 10; OVG Weimar, Urt. v. 06.03.2002 - 3 KO 428/99 - a.a.O.; VGH Mannheim, Urt. v. 15.06.1999 - A 6 S 2766/98 - juris -). Für die Beurteilung der Frage, ob ein Wiederaufgreifensgrund nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG vorliegt, ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgebend (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 16.03.2000 - A 14 S 2443/98 - AuAS 2000, 152).
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Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe fehlt es im vorliegenden Fall an den Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens.
38 
Der Kläger hat in seinem Asylfolgeantrag vom 11.07.2014 bereits die Geeignetheit des neuen Vorbringens für eine günstigere Entscheidung nicht dargetan. Dies braucht jedoch nicht weiter vertieft zu werden. Denn er hat seinen Asylfolgeantrag auch nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von drei Monaten (§ 51 Abs. 3 Satz 1 VwVfG) gestellt. Bei einer Konversion handelt es sich im Regelfall um einen sich prozesshaft entwickelnden Sachverhalt. In diesem Fall ist maßgeblich auf die förmliche Aufnahme als der nach außen erkennbaren Manifestation der Konversion abzustellen. Die Taufe des Klägers erfolgte am 28.07.2012. Ab diesem Zeitpunkt hatte der Kläger im Sinne des § 51 Abs. 3 Satz 2 VwVfG Kenntnis von dem nunmehr in Anspruch genommenen Wiederaufgreifensgrund. Er hätte ihn demnach binnen drei Monaten geltend machen müssen. Tatsächlich ist der Asylfolgeantrag aber erst am 22.07.2014 gestellt worden. Zwar macht der Prozessbevollmächtigte des Klägers in seinem Schriftsatz vom 11.07.2014 geltend, der Kläger sei zum Zeitpunkt der Taufe vom christlichen Glauben noch nicht absolut überzeugt gewesen und erst in den letzten Monaten habe sich das Glaubensleben und die Glaubensüberzeugung intensiviert. Der Kläger habe in den letzten zwei Monaten mehr in der Bibel gelesen und noch mehr Kontakt zu den anderen Mitgliedern der Gemeinde gehabt. Dieses Vorbringen genügt jedoch nicht für die Annahme einer entscheidungserheblichen Veränderung des Dauersachverhalts im Sinne eines Qualitätsumschlags. Um feststellen zu können, ob eine entscheidungserhebliche Veränderung des Dauersachverhalts eingetreten ist, hätte es eines substantiierten Vortrags bedurft. Der Kläger hätte ausführlich darlegen müssen, warum er zum Zeitpunkt der Taufe vom christlichen Glauben noch nicht absolut überzeugt war. Weiter ist sein Vorbringen, erst in den letzten Monaten habe er einige große Schritte im Glauben gemacht, unkonkret. Es bleibt auch offen, welche (weiteren) Erkenntnisse das geltend gemachte verstärkte Bibellesen und die vermehrten Kontakte zu anderen Mitgliedern der Gemeinde in den letzten zwei Monaten erbracht haben. Im Übrigen ist auch nicht glaubhaft, dass die am 28.07.2012 erfolgte Taufe des Klägers lediglich der Beginn auf dem Weg zu einer christlichen Glaubensüberzeugung war und ein Qualitätsumschlag erst viele Monate später (zur Wahrung der Dreimonatsfrist) in Folge des (intensiveren) Lesens der Bibel und des Kontakts zu anderen Mitgliedern der Gemeinde eingetreten ist. Dass der Übertritt zum christlichen Glauben erst ca. zwei Jahre nach der erfolgten Taufe abgeschlossen war, machte der Kläger in der mündlichen Verhandlung auch nicht geltend.
39 
Das Vorbringen des Klägers bei der Anhörung in Eningen am 20.10.2016, er habe im Jahr 2011 oder 2012 in Berlin an einer Demonstration vor dem iranischen Konsulat teilgenommen, stellt keinen beachtlichen Wiederaufgreifensgrund dar. Insoweit wurde nicht dargelegt, dass der Kläger außer Stande war, diesen Wiederaufgreifensgrund schon im früheren Verfahren geltend zu machen. Soweit der Kläger im Klageverfahren vortrug, seit Ende November letzten Jahres sei er offiziell Mitarbeiter in der Stiftkirchengemeinde, er sei als Kirchenwächter tätig und sorge dafür, dass die Kirche täglich für Gäste geöffnet sei, außerdem sorge er im Außenbereich der Kirche für Sauberkeit und helfe tatkräftig beim Auf- und Umbau in der Kirche, ist schon fraglich, ob es sich insoweit um einen eigenständigen Wiederaufgreifensgrund handelt. Selbst wenn dies bejaht würde, fehlt jegliche Darlegung, dass dieser Wiederaufgreifensgrund für eine günstigere Entscheidung geeignet ist.
40 
2. Auch die in Ziffer 2 des Bescheids des Bundesamtes vom 27.10.2016 auf der Grundlage des § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG getroffene Feststellung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten festzustellen, dass ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt.
41 
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Ein Abschiebungsverbot besteht dann, wenn grundlegend anerkannte Menschenrechtsgarantien im Falle einer Abschiebung in ihrem Kern bedroht sind, ein äußerster menschenrechtlicher Mindeststandard muss unterschritten sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.05.2000 - 9 C 34/99 - BVerwGE 111, 223).
42 
Dazu gehört auch ein unveräußerlicher Kern der Religionsfreiheit, der für die personale Würde und Entfaltung eines religiösen Menschen unverzichtbar ist. Demgemäß schützt § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 9 EMRK lediglich das religiöse Existenzminimum (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.05.2000 - 9 C 34/99 - BVerwGE 111, 223; Urt. v. 20.01.2004 - 1 C 9/03 - BVerwGE 120, 16 und Urt. v. 07.12.2004 - 1 C 14/04 - BVerwGE 122, 271; OVG Münster, Urt. v. 09.06.2011 - 13 A 947/10.A - DVBl 2011, 1166).
43 
Das religiöse Existenzminimum umfasst den unverzichtbaren und unentziehbaren Kern der Privatsphäre des glaubenden Menschen und damit seine religiöse Überzeugung als solche und die Religionsausübung abseits der Öffentlichkeit und in persönlicher Gemeinschaft mit anderen Gläubigen dort, wo man sich nach Treu und Glauben unter sich wissen darf. Ein Eingriff in dieses religiöse Existenzminimum ist etwa dann gegeben, wenn den Angehörigen einer religiösen Gruppe unter Androhung von Strafen an Leib, Leben oder persönlicher Freiheit eine Verleugnung oder gar Preisgabe ihres Glaubens zugemutet wird oder sie daran gehindert werden, ihren eigenen Glauben, so wie sie ihn verstehen, im privaten Bereich und unter sich zu bekennen. Öffentlichkeitswirksame Betätigungen der Religionsausübung sind hingegen nicht geschützt, unabhängig davon, wie stark der Ausländer sich selbst hierzu innerlich verpflichtet fühlt (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.01.2004 - 1 C 9/03 - a.a.O.).
44 
Ob das religiöse Existenzminimum nach diesen Grundsätzen bei einer Rückkehr in den Iran gewährleistet ist (bejahend OVG Münster, Urt. v. 09.06.2011 - 13 A 947/10.A - DVBl 2011, 1166), kann dahingestellt bleiben. Denn das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass die Konversion des Klägers auf einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel beruht.
45 
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Antragstellers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.08.2015 - 1 B 40/15 - NVwZ 2015, 1678). Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Antragstellers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Beruft sich der Antragsteller auf eine Verfolgungsgefährdung mit der Begründung, er sei in Deutschland zu einer in seinem Herkunftsland bekämpften Religion übergetreten, muss er die inneren Beweggründe glaubhaft machen, die ihn zur Konversion veranlasst haben (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.08.2015 - 1 B 40/15 - a.a.O.). Es muss festgestellt werden können, dass die Hinwendung zu der angenommenen Religion auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen, und der Glaubenswechsel nunmehr die religiöse Identität des Antragstellers prägt. In diesem Zusammenhang kann von einem Erwachsenen im Regelfall erwartet werden, dass dieser schlüssige und nachvollziehbare Angaben zu den inneren Beweggründen für die Konversion machen kann und im Rahmen seiner Persönlichkeit und intellektuellen Disposition mit den Grundzügen seiner neuen Religion vertraut ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.08.2015 - 1 B 40/15 - NVwZ 2015, 1678). Der Ausländer muss zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen, dass er die religiöse Betätigung seines neuen Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren (vgl. BVerwG, Beschl. v. 09.12.2010 - 10 C 19/09 - BVerwGE 138, 270 und Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67).
46 
Nach diesen Grundsätzen führt der bloß formal vollzogene Übertritt vom islamischen zum christlichen Glauben nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Verfolgungsmaßnahmen im Falle einer Rückkehr in den Iran. Dies folgt schon daraus, dass ein Übertritt eines Iraners zum christlichen Glauben von iranischen Stellen als undenkbar angesehen und als im Zusammenhang mit der Aufenthaltsproblematik stehend beurteilt wird. Die Konversion eines Muslim zum Christentum stellt nach den Maßstäben der islamischen Religion einen absoluten Tabubruch dar, der jenseits des Vorstellbaren liegt. Es wird daher davon ausgegangen, dass der Konvertit es mit dem Übertritt nicht ernst gemeint habe und dieser allein der Förderung des Asylverfahrens dienen sollte (vgl. Deutsches Orient-Institut, Stellungnahmen vom 22.11.2004 an VGH München, vom 06.12.2004 an OVG Bautzen und vom 09.05.2001 an VG Regensburg; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 12.04.2007 an BAMF; OVG Münster, Beschl. v. 27.08.2012 - 13 A 1703/12.A - juris -; VGH München, Beschl. v. 16.11.2015 - 14 ZB 13.30207 - juris - und Beschl. v. 07.11.2016 - 14 ZB 16.30380 - juris -).
47 
Es bedarf deshalb vorliegend einer Überprüfung, ob die Konversion des Klägers aufgrund einer glaubhaften Zuwendung zum christlichen Glauben im Sinne eines ernst gemeinten religiösen Einstellungswandels mit einer identitätsprägenden festen Überzeugung und nicht lediglich auf bloßen Opportunitätsgründen beruht. Der formale, kirchenrechtlich wirksam vollzogene Übertritt zum Christentum in Gestalt der Taufe reicht für die Gewinnung der Überzeugung, dass der Betreffende die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, allein nicht aus (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.08.2015 - 1 B 40/15 - NVwZ 2015, 1678; OVG Lüneburg, Beschl. v. 16.09.2014 - 13 LA 93/14 - juris -; OVG Münster, Beschl. v. 27.04.2015 - 13 A 440/15.A - juris - und Beschl. v. 03.11.2014 - 13 A 1646/14.A - juris -; VGH München, Beschl. v. 16.11.2015 - 14 ZB 13.30207 - juris -; VGH Mannheim, Beschl. v. 23.04.2014 - A 3 S 269/14 - juris -).
48 
Nach diesen Grundsätzen ist das Gericht jedenfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) nicht von einer ernsthaften und die religiöse Identität des Klägers bindend prägenden Hinwendung zur christlichen Religion überzeugt (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
49 
Der im muslimischen Umfeld aufgewachsene Kläger konnte einen nachvollziehbaren inneren Prozess der Auseinandersetzung mit seinen Glaubensvorstellungen und der schlussendlichen Hinwendung zur christlichen Glaubenslehre nicht darlegen. Es war ihm nicht möglich, in substantieller Weise seine Beweggründe zum Religionswechsel aufzuzeigen. Danach gefragt antwortete der Kläger, im christlichen Glauben habe er Liebe, Ruhe und Frieden gefunden. Allein die Erkenntnis, dass der christlichen Religion Vergebung und Liebe innewohnt, reicht zum Beleg einer identitätsprägenden festen Überzeugung nicht aus. Auch soweit der Kläger auf die im Christentum gewonnene Ruhe abhebt, beschreibt dies keinen Grund, der die Wahl des Christentums als neue Religion rechtfertigt. Die vom Kläger benannten Motive ließen sich auch auf andere, friedlich orientierte Religionen übertragen. Eine intellektuelle oder auch nur spirituelle Auseinandersetzung, die für den Kläger ausschließlich zu dem Ergebnis führen konnte, den christlichen Glauben als seine neue Religion anzuerkennen, ist nicht erkennbar. Die Stellungnahmen von Pfarrer V vom 30.07.2016 und der Diakonin G vom 14.10.2016 sowie deren gemeinsame Stellungnahme vom 08.12.2016 zum regelmäßigen Gottesdienstbesuch des Klägers und zu seinem Engagement in der Gemeinde geben für die Aufklärung der inneren Beweggründe nichts her.
50 
Das Gericht übersieht nicht, dass der Kläger ein gewisses Grundwissen über die Bibel erworben hat. Er konnte die vier Evangelisten benennen und nannte von sich aus Unterschiede zwischen dem Lukasevangelium und dem Johannesevangelium. Weiter konnte er den Text des „Vater unser“ inhaltlich richtig wiedergeben und die Bedeutung der Taufe und des Abendmahls in Ansätzen erklären. Auch war ihm der Name Martin Luther ein Begriff. Allerdings zeigten sich auch deutliche Lücken bei den Kenntnissen über das Christentum. Mit dem Begriff „Bergpredigt“ konnte der Kläger nichts anfangen. Er kannte nicht den hierarchischen Aufbau der Evangelischen Landeskirche. Der katholischen Kirche unterstellt er zu Unrecht, dass dort die Worte der Bibel nicht gedeutet werden dürften. Mit Pfingsten verbindet der Kläger eine falsche Vorstellung (“Auffahrung von Jesu in den Himmel“). Zum Ablauf des evangelischen Gottesdienstes befragt wusste der Kläger nur wenige Einzelheiten zu benennen; die Verkündigung und das Bekenntnis (Lesung, Predigt, Glaubensbekenntnis, Vater unser, Friedensgruß und Segen) sind dem Kläger ersichtlich nicht geläufig. Diese aufgezeigten Defizite bei den Kenntnissen über das Christentum verwundern doch sehr angesichts des Vorbringens des Klägers, wonach er auch aktuell noch an einem Taufkurs teilnimmt, die Bibel studiert haben will und regelmäßig den Gottesdienst besucht. Schließlich fehlt bei der Darstellung der Glaubensgrundsätze des Islam durch den Kläger, wonach es in dieser Religion erlaubt sei, Blut zu vergießen und Rache zu nehmen, jegliche differenzierte Auseinandersetzung mit dieser Weltreligion. Auch wenn der Kläger einige christliche Glaubensinhalte richtig wiedergeben konnte, lässt sich daraus nicht der Schluss ziehen, der Kläger habe den christlichen Glauben für sein weiteres Leben identitätsprägend verinnerlicht. Denn das vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gezeigte abstrakte Wissen lässt sich auch ohne inneren Bezug zum Christentum erwerben. Sein Vorhandensein reicht allein nicht aus, um einen religiösen Einstellungswandel hinreichend zu belegen. Aufgrund der Mitteilung des Klägers in der mündlichen Verhandlung auf Frage nach den Auswirkungen des Glaubenswechsels auf sein alltägliches Leben, wonach er durch seinen Glauben Freunde gefunden habe, drängt sich dem Gericht der Eindruck auf, dass sich das Interesse des Klägers an der Teilnahme am Gemeindeleben auf allgemeine soziale Zwecke (Sich Aufgenommen-Fühlen in einer Gemeinschaft) beschränkt, was zwar gut nachvollziehbar, jedoch kein Ausweis der inneren Hinwendung zum Christentum ist. Nach allem ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass der Kläger sich dem Christentum wegen einer tiefen innerlichen Überzeugung angeschlossen hat.
51 
Diese Einschätzung wird auch durch die Angaben des Klägers zu einer Rückkehr in den Iran bestätigt. Das Gericht hat den Kläger danach befragt, wie er seinen neuen Glauben bei einer Rückkehr in den Iran leben werde. Auf diese Frage gab der Kläger an, er würde zu Jesus Christus stehen und ihn nicht verleugnen, Konvertiten würden verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Konkretere Angaben zur Ausübung des christlichen Glaubens im Iran vermochte der Kläger nicht zu machen. Eine überzeugende Auseinandersetzung mit einem Leben als Christ im Iran hat ersichtlich nicht stattgefunden.
52 
Im Ergebnis vermag das Gericht in dem vorgetragenen Glaubenswechsel keinen in letzter Konsequenz ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel zu erkennen, der nunmehr die religiöse Identität des Klägers prägt. Aufgrund des Vorbringens des Klägers zu seiner Konversion in der mündlichen Verhandlung und des Eindrucks, den er in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, konnte das Gericht nicht die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO notwendige Überzeugungsgewissheit gewinnen, dass er sich aufgrund einer inneren Glaubensüberzeugung dem Christentum zugewandt hat und dass er nach einer Rückkehr in den Iran eine innere Verpflichtung empfindet, den christlichen Glauben auch dort zu leben mit der Gefahr, einer menschenrechtswidrigen Verfolgung ausgesetzt zu sein.
53 
Auch im Hinblick auf Art. 3 EMRK liegt ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht vor.
54 
Allein die Tatsache, dass der Kläger in Deutschland Asyl beantragt hat, löst noch keine staatlichen Repressionen nach einer Rückkehr in den Iran aus (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 08.12.2016). Denn den iranischen Sicherheitsbehörden ist bekannt, dass Asylbewerber aus dem Iran überwiegend aus anderen als politischen Gründen versuchen, in Deutschland einen dauernden Aufenthalt zu erreichen (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 15.04.2015 - A 2 S 1923/14).
55 
Auch der mehrjährige Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland rechtfertigt nicht die Annahme, die iranischen Staatsbürger würden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran staatlichen Repressionen ausgesetzt sein. Zwar kann es bei einer Rückkehr in den Iran in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt kommen, insbesondere zu Kontakten während dieser Zeit. Die Befragung geht in Ausnahmefällen mit einer ein- bis zweitägigen Inhaftierung einher. Keiner westlichen Botschaft ist aber bislang ein Fall bekannt geworden, in dem Zurückgeführte darüber hinaus staatlichen Repressionen ausgesetzt waren oder psychisch oder physisch gefoltert wurden. Es gibt derzeit auch keine Hinweise auf eine Veränderung dieser Praxis (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 08.12.2016). Schließlich können Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, von der iranischen Vertretung ein Passersatzpapier erhalten und in den Iran zurückkehren. Mit dieser gesetzlichen Wiedereinreise wird die frühere illegale Ausreise legalisiert (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 08.12.2016).
56 
Der Kläger hat auch im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten festzustellen, dass in seiner Person ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt.
57 
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Bestimmung fragt nicht danach, von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird; die Regelung stellt vielmehr lediglich auf das Bestehen einer konkreten Gefahr ab ohne Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - 9 C 9/95 - BVerwGE 99, 324).
58 
Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Ob die Gefahr der Verschlechterung der Gesundheit durch die individuelle Konstitution des Ausländers bedingt oder mitbedingt ist, ist unerheblich (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.07.1999 - 9 C 2/99 - juris -). Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation im Zielstaat zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.10.2002 - 1 C 1/02 - DVBl 2003, 463 und Beschl. v. 29.04.2002 - 1 B 59/02 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 60; VGH Kassel, Urt. v. 24.06.2003 - 7 UE 3606/99.A - AuAS 2004, 20). Unerheblich ist indes, ob die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Die mögliche Unterstützung durch Angehörige im In- oder Ausland ist in die gerichtliche Prognose, ob bei Rückkehr eine Gefahr für Leib oder Leben besteht, mit einzubeziehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 01.10.2001 - 1 B 185/01 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 51). Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dient nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern; eine abschiebungsschutzrelevante Verschlechterung des Gesundheitszustandes liegt deshalb nicht vor, wenn lediglich eine Heilung eines Krankheitszustandes des Ausländers im Abschiebungsfall nicht zu erwarten ist (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 14.06.2005 - 11 A 4518/02.A - AuAS 2005, 189 und Beschl. v. 27.01.2015 - 13 A 1201/12.A - juris -).
59 
Die von Dr. F und der Psychotherapeutin B diagnostizierten mittelschwere bis schwere Depression, rezidivierende depressive Störung und schwere Episode begründen kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Denn diese Krankheiten können im Iran behandelt werden und eventuell erforderliche Medikamente sind im Iran erhältlich (vgl. Deutsche Botschaft, Auskunft vom 09.06.2001 an VG Leipzig, vom 13.02.2003 an BAMF, vom 19.08.2004 an VG Hannover und vom 24.05.2005 an VG Regensburg; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 31.03.2005 und vom 26.07.2005 an BAMF).
60 
Zwar dürfte der Kläger die erforderlichen Medikamente im Iran selbst bezahlen müssen (vgl. Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 22.12.2003 an VG Aachen), außerdem muss er voraussichtlich Vorauszahlungen leisten, damit eine Behandlung in Angriff genommen wird (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Auskunft vom 20.11.2008). Das Gericht geht jedoch davon aus, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr in den Iran mit einer verlässlichen finanziellen Unterstützung seiner im Iran lebenden sechs Geschwister rechnen kann. Nach Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung ist die wirtschaftliche Lage seiner Geschwister normal. Es gibt einen Erfahrungssatz dahingehend, dass Familienmitglieder im arabischen Raum sich bei finanzieller Not unterstützen. Deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger die erforderliche ärztliche und medikamentöse Behandlung im Iran nicht erhalten wird.
61 
Soweit Dr. F in ihrer ärztlichen Stellungnahme vom 08.11.2014 und die Psychologische Psychotherapeutin B in ihrer psychologischen Stellungnahme vom 29.11.2016 zudem eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) diagnostiziert haben, ist das Gericht nicht davon überzeugt (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), dass diese Erkrankung beim Kläger vorliegt.
62 
Fraglich ist bereits, ob die Psychologische Psychotherapeutin B befähigt ist, eine posttraumatische Belastungsstörung zu diagnostizieren. Denn für eine sichere Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung ist eine umfangreiche klinische Erfahrung einschließlich spezieller Kenntnisse in Psychotraumatologie erforderlich (vgl. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl. S. 748; Gierlichs, Deutsches Ärzteblatt 2002, 403). Zwar müssen Psychologische Psychotherapeuten auf der Grundlage eines abgeschlossenen Studiums der Psychologie, das das Fach Klinische Psychologie einschließt, die mindestens dreijährige Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten gemäß § 5 PsychThG abgeleistet und die entsprechende Approbation (§ 2 PsychThG) erhalten haben. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie hierdurch regelmäßig die erforderliche klinische Erfahrung vermittelt erhalten haben. Selbst wenn aber Psychologischen Psychotherapeuten zugestanden wird, eine posttraumatische Belastungsstörung zu diagnostizieren (so VGH München, Beschl. v. 28.07.2015 - 13a ZB 15.30073 - juris - und Beschl. v. 11.08.2016 - 20 ZB 16.30110 - NVwZ-RR 2017, 75; OVG Münster, Beschl. v. 19.12.2008 - 8 A 3053/08.A - InfAuslR 2009, 173; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 27.09.2016 - OVG 3 N 24.15 - juris -), so kann der psychologischen Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 29.11.2016 keine wesentliche Bedeutung zukommen, weil es sich um Äußerungen der Therapeutin des Klägers handelt. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung auf Frage des Gerichts vorgetragen, er sei seit über einem Jahr in einer Gesprächstherapie bei der Psychotherapeutin B (Refugio Stuttgart). Ein Therapeut muss aber grundsätzlich von dem vom Patienten geklagten Leiden nebst der Vorgeschichte als wahr ausgehen und will diesem auftragsgemäß helfen, möglichst ihn heilen. Demgemäß fehlt ihm die für eine Begutachtung notwendige Distanz zum Patienten; er tritt diesem nicht mit der erforderlichen notwendigen kritischen Betrachtung gegenüber (vgl. OVG Münster, Urt. v. 20.09.2006 - 13 A 1740/05.A - juris - und Beschl. v. 10.01.2007 - 13 A 1138/04.A - juris -). Im Übrigen muss die psychologische Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 29.11.2016 im Hinblick auf die diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung wegen schwerer Qualitätsmängel außer Betracht bleiben.
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Bei der PTBS handelt es sich um ein innerpsychisches Erlebnis, das sich einer Erhebung äußerlich objektiver Befundtatsachen weitgehend entzieht. Es kommt deshalb in besonderem Maße auf die Glaubhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit eines geschilderten inneren Erlebnisses und der zugrunde liegende faktischen äußeren Erlebnistatsachen an, was wiederum angesichts der Komplexität und Schwierigkeit des Krankheitsbildes eine eingehende Befassung des Arztes mit dem Patienten erfordert. Regelmäßig sind tragfähige Aussagen zur Traumatisierung erst nach mehreren Sitzungen über eine längere Zeit möglich. Auch bedarf es unter anderem einer gründlichen Anamnese, einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Betreffenden hinsichtlich des das Trauma auslösenden Ereignisses, einer alternativen Hypothesenbildung sowie einer schlüssigen und nachvollziehbaren Herleitung des im Übrigen genau zu definierenden Krankheitsbildes (vgl. Treiber, ZAR 2002, 282 ff; Loesel/Bender, Asylpraxis Band 7 S. 175 ff). Nach der von der Weltgesundheitsorganisation herausgegebenen „Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD 10)“ entsteht die posttraumatische Belastungsstörung (F 43.1) als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde (traumatisierendes Ereignis, sog. A-Kriterium). Somit ist für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung der Nachweis eines traumatischen Ereignisses Voraussetzung. Es gibt keine posttraumatische Belastungsstörung ohne Trauma und auch beim Vorliegen aller Symptome einer PTBS kann eine solche nur diagnostiziert werden, wenn auch ein entsprechendes Trauma vorhanden war. Aus den Symptomen kann nicht rückgeschlossen werden, dass ein Trauma stattgefunden hat (vgl. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl., S. 752; Steller in: Sonderheft für Gerhard Schäfer, NJW-Beilage 2002, S. 69, 71; Ebert/Kindt, VBlBW 2004, 41; OVG Magdeburg, Beschl. v. 01.12.2014 - 2 M 119/14 - juris -; VGH München, Beschl. v. 28.09.2006 - 19 CE 06.2690 - juris -; VG Stuttgart, Urt. v. 14.01.2008 - A 11 K 4941/07 - InfAuslR 2008, 323). Da die fachärztlichen Gutachten auf den Angaben des Betroffenen beruhen, bedarf es insoweit der Prüfung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Betroffenen (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 02.05.2000 - 11 S 1963/99 - InfAuslR 2000, 435; OVG Bautzen, Beschl. v. 21.01.2014 - 3 B 476/13 - juris -; OVG Magdeburg, Beschl. v. 01.12.2014 - 2 M 119/14 - juris -). Die Feststellung des behaupteten traumatisierenden Ereignisses ist Gegenstand der gerichtlichen Sachverhaltswürdigung und unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. VGH München, Beschl. v. 17.10.2012 - 9 ZB 10.30390 - AuAS 2013, 9 und Beschl. v. 04.11.2016 - 9 ZB 16.30468 - juris -; OVG Münster, Beschl. v. 27.07.2007 - 13 A 2745/04.A - Inf-AuslR 2007, 408).
64 
Das Gericht hat im Asylerstverfahren das vom Kläger geltend gemachte Vorfluchtgeschehen insgesamt als unglaubhaft eingestuft (Urteil vom 26.01.2012 - A 11 K 751/11). Unabhängig hiervon legen Dr. F in ihrer ärztlichen Stellungnahme vom 08.11.2014 und die Psychotherapeutin B in ihrer psychologischen Stellungnahme vom 29.11.2016 ihren Beurteilungen je einen Sachverhalt über angebliche Geschehnisse im Iran unter unkritischer Übernahme der Angaben des Klägers zu Grunde, der vom bisherigen Vorbringen des Klägers im Asylerstverfahren deutlich abweicht. Dr. F ging in ihrer ärztlichen Stellungnahme vom 08.11.2014 davon aus, dass der Kläger durch den Tod von zwei nahe stehenden Freunden während des gemeinsamen Militärdienstes traumatisiert sei. Dies steht im Widerspruch zu dem Vorbringen des Klägers im Asylerstverfahren, er habe keinen Wehrdienst geleistet, vielmehr sei er hiervon befreit gewesen. Weiter legte Dr. F ihrer Beurteilung zu Grunde, dass der Kläger im Iran wiederholt Gewalt erlebt und von Sicherheitskräften geschlagen worden sei, außerdem sei er unfreiwilliger Zeuge öffentlicher Hinrichtungen und Auspeitschungen geworden. Von all dem war im Asylerstverfahren jedoch mit keinem Wort die Rede. Die Psychotherapeutin B legte ihrer psychologischen Stellungnahme vom 29.11.2016 wiederum einen völlig andersgearteten Sachverhalt zu Grunde. Danach soll der Kläger zweimal in Haft gewesen sein, während der Haft sei er mit einem Holzstück geschlagen worden, als Jugendlicher und junger Mann sei er wiederholt auf der Straße festgehalten und geschlagen worden, mit sechs Jahren sei er Zeuge von der Ermordung von Bekannten und als junger Erwachsener sei er wiederholt Opfer von körperlicher Gewalt (Inhaftierung mit Schlägen, Verfolgung, Schusswechsel) und chronischen Bedrohungen sowie Anfeindungen geworden. Von diesem angeblichen Geschehen im Iran, von dem Frau B in ihrer psychologischen Stellungnahme vom 29.11.2016 berichtet, war im Asylerstverfahren gleichfalls mit keinem Wort die Rede.
65 
Sowohl die ärztliche Stellungnahme von Frau Dr. F vom 08.11.2014 als auch die psychologische Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 29.11.2016 entbehren einer Abklärung, ob die vom Kläger geschilderten Erlebnisse auf wirklich Erlebtem beruhen. Auch fehlt es an einer fundierten, ernsthaften und nachvollziehbaren Auseinandersetzung mit den Angaben des Klägers. Diese werden vielmehr von Frau Dr. F und Frau B als wahr unterstellt und zur Grundlage der Diagnose gemacht, ohne dass sich diese aus dem Vortrag des Klägers im Asylerstverfahren ergeben hätten. Frau Dr. F und die Psychotherapeutin B haben auch nicht dargelegt, warum die von ihnen berücksichtigten Ereignisse im Iran vom Kläger nicht schon während des Asylerstverfahrens vorgetragen wurden. Erstaunlich ist zudem, dass sich weder Frau Dr. F noch Frau B mit den Ausführungen im Urteil vom 26.01.2012 - A 11 K 751/11 auseinandersetzen, obwohl dieses Urteil ihnen vorgelegen hat. Soweit Frau Dr. F und Frau B in ihren Stellungnahmen den Tod der Mutter des Klägers bei einem Verkehrsunfall als (weiteres) traumatisches Erlebnis benennen, fehlen Ausführungen zu dem Umstand, dass der Kläger trotz dieses Todesfalles im Iran ein weitgehend normales Leben führte und einer selbständigen Tätigkeit bis zu seiner Ausreise nachging. Angesichts der vielfachen völlig konträren Schilderungen des Klägers zum Geschehen im Iran trifft die Aussage des Gerichts im Urteil vom 26.01.2012 - A 11 K 751/11, wonach der Kläger unglaubwürdig und sein Vorbringen zu dem Geschehen im Iran insgesamt unglaubhaft ist, nach wie vor zu. Sind aber die verschiedenen Schilderungen des Klägers zu den Ereignissen im Iran insgesamt als unglaubhaft anzusehen, so entfällt gleichzeitig die Grundlage für die attestierte posttraumatische Belastungsstörung (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 18.01.2013 - OVG 7 S 11.13 - juris -). Denn fehlt es am Nachweis eines traumatisierenden Ereignisses, ist das Symptomspektrum einer PTBS nicht ausgefüllt. Damit geht auch die Aussage der Psychotherapeutin B in ihrer psychologischen Stellungnahme vom 29.11.2016 ins Leere, wonach es bei einer Rückkehr des Klägers in den Iran zu einer Retraumatisierung kommen werde.
66 
Im Übrigen genügen weder die ärztliche Stellungnahme von Frau Dr. F vom 08.11.2014 noch die psychologische Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 29.11.2016 den Anforderungen, die an eine ärztliche oder psychotherapeutische Stellungnahme gestellt werden.
67 
Angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes der PTBS sowie seiner vielfältigen Symptome muss ein fachärztliches Attest gewissen Mindestanforderungen genügen. Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.09.2007 - 10 C 8/07 - BVerwGE 129, 251 und Beschl. v. 26.07.2012 - 10 B 21/12 - juris -). Genügen vorgelegte ärztliche oder psychologische Stellungnahmen den dargelegten Anforderungen nicht, sind sie nicht geeignet, eine gerichtliche Beweiserhebung zu veranlassen und erst recht nicht, das Bestehen der Erkrankung sowie daraus resultierende Folgen zu belegen (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 18.11.2014 - A 3 S 264/14, n.v.).
68 
Diesen Anforderungen werden die ärztliche Stellungnahme von Frau Dr. F vom 08.11.2014 und die psychologische Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 29.11.2016 nicht gerecht. Der Kläger hat erst drei Jahre nach seiner Einreise in das Bundesgebiet um psychologische Hilfe nachgesucht. Trotz dieser erheblichen Zeitspanne fehlen in der ärztlichen Stellungnahme von Frau Dr. F vom 08.11.2014 und in der psychologischen Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 29.11.2016 Angaben darüber, weshalb der Kläger die Symptome nicht schon früher vorgetragen hat. Hinzu kommt, dass die geltend gemachten Erlebnisse des Klägers im Iran bereits viele Jahre zurückliegen. Die Latenz von Symptomen einer PTBS zu dem traumaauslösenden Ereignis beträgt aber nach den Kriterien der ICD-10 F 43.1 grundsätzlich wenige Wochen bis 6 Monate. Für eine qualifizierte Bescheinigung wäre ein Eingehen auch auf diesen Gesichtspunkt erforderlich gewesen. Weiter wird in der ärztlichen und psychologischen Stellungnahme nicht erörtert, ob die vom Kläger geltend gemachten Symptome nicht auch andere Ursachen als eine posttraumatische Belastungsstörung haben können (alternative Hypothesenbildung, z.B. Anpassungsstörung) und ob sie Ausdruck von Aggravation und Simulation sind. Denn vieles spricht dafür, dass die vom Kläger beklagten Symptome ihre Ursache in der derzeit schwierigen und unklaren Lebenssituation des Klägers haben. Schließlich ordnen Frau Dr. F und Frau B auch nicht konkrete traumaauslösende Ereignisse den festgestellten Symptomen zu, sondern zählen eine Vielzahl von belastenden Ereignissen auf ohne Abgrenzung, ob es sich um lediglich dekompensierende oder bereits die Schwelle einer Traumatisierung überschreitende Ereignisse handelt.
69 
Im Übrigen ist bei den in der ärztlichen Stellungnahme von Frau Dr. F vom 08.11.2014 und in der psychologischen Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 29.11.2016 zu Grunde gelegten Symptomen - massiver Stress, innere Erregung, Anspannung, verminderter Antrieb, Ohnmachterleben, Hoffnungslosigkeit, Sinnverlust, Taubheitserleben, Schlaflosigkeit, Reizbarkeit, Schreckhaftigkeit, gedrückte Stimmung, beeinträchtigtes Erinnerungsvermögen - nicht zu erkennen, wie hierdurch auch bei fehlender Behandlungsmöglichkeit wesentliche oder lebensbedrohliche Gesundheitsbeeinträchtigungen hervorgerufen werden können. Auch bei Depressionen treten nicht zwangsläufig erhebliche Gefahren für Leib oder Leben ein, wenn die Behandlung nicht durchgeführt wird. Gleiches gilt für eine posttraumatische Belastungsstörung; auch diese stellt im Hinblick auf die Regelungen in § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4 AufenthG für sich gesehen keine lebensbedrohliche oder ähnlich schwerwiegende Erkrankung dar, die ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründet.
70 
Den hilfsweise gestellten Beweisanträgen war nicht zu entsprechen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat in der mündlichen Verhandlung hilfsweise beantragt, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis zu erheben über die Tatsache, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers bei einem Abbruch der medizinischen Behandlung in der Bundesrepublik Deutschland derart verschlimmern würde, so dass eine konkrete, erhebliche Gefahr für Leib und Leben bestehen würde, zum andern über die Tatsache, dass im Iran für seine Erkrankungen keine Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und auch tatsächlich nicht erreichbar sind sowie über die Tatsache, dass er bei einer Rückkehr in den Iran retraumatisiert wird und sog. Flashbacks erleiden würde.
71 
Die vorgelegte psychologische Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 29.11.2016 gibt in Bezug auf die Frage nach einer möglichen Retraumatisierung des Klägers nach Rückkehr in den Iran keine hinreichende Tatsachengrundlage für die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Eine posttraumatische Belastungsstörung ist nach den obigen Ausführungen nicht dargetan, so dass auch eine hiermit in Verbindung stehende Retraumatisierung ausscheidet. Der Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Tatsache, dass der Kläger bei einer Rückkehr in den Iran retraumatisiert wird und sog. Flashbacks erleiden würde, stellt sich demnach mangels entsprechender Anknüpfungstatsachen als unzulässiger Ausforschungsbeweisantrag dar (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 19.01.2005 - A 3 S 1243/04, n.v.).
72 
Mit dem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Tatsache, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers bei einem Abbruch der medizinischen Behandlung in der Bundesrepublik Deutschland derart verschlimmern würde, so dass eine konkrete, erhebliche Gefahr für Leib und Leben des Klägers bestehen würde, stellt der Kläger keine Tatsachen unter Beweis, sondern teils prognostische, teils auch rein rechtliche Schlussfolgerungen, die dem Beweis nicht zugänglich sind, sondern der genuin richterlichen Beurteilung unterliegen. Soweit als Tatsache die Verschlimmerung des Gesundheitszustandes behauptet wird, ist diese Behauptung so allgemein gehalten, dass ein konkretes Beweisthema nicht erkennbar wird. Auch dieser Antrag stellt sich demnach als Ausforschungsantrag dar (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 03.04.2001 - A 9 S 1897/00 - juris -).
73 
Im Hinblick auf den Antrag, ein Sachverständigengutachten über die Tatsache einzuholen, dass im Iran für die Erkrankungen des Klägers keine Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und auch tatsächlich nicht erreichbar sind, verfügt das Gericht über einschlägige Erkenntnismittel, um die Behandlungsmöglichkeiten und deren Erreichbarkeit im Iran aus eigener Sachkunde würdigen zu können, weshalb das Gericht in Ausübung seines diesbezüglichen Ermessens keine Veranlassung für eine weitere Beweiserhebung zu dieser Frage sieht. Die einschlägigen Erkenntnismittel wurden zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht und sind auch im Urteil zitiert. Anhaltspunkte dafür, dass die herangezogenen Erkenntnisquellen erkennbare Mängel aufweisen, in sich widersprüchlich sind oder von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgehen, sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich, so dass sich dem Gericht die Notwendigkeit einer weiteren Beweiserhebung nicht aufdrängt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 02.08.2000 - 9 B 210/00 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 61). Weiter gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass mittlerweile relevante Änderungen eingetreten sind, die Anlass geben, aktuellere Sachverhaltsfeststellungen zu treffen, so dass eine Neubewertung nicht notwendig war (vgl. BVerfG, Beschl. v. 05.02.1993 - 2 BvR 1294/92 - InfAuslR 1993, 196 und Beschl. v. 18.06.1993 - 2 BvR 231/93 - NVwZ 1994, 62 ).
74 
Auch dem hilfsweise gestellten Antrag, die behandelnde Psychiaterin des Klägers, Frau S A, als sachverständige Zeugin zum Gesundheitszustand des Klägers zu hören, war nicht zu entsprechen, da weder vorgetragen noch erkennbar ist, welche konkreten entscheidungserheblichen Tatsachen die benannte Zeugin bekunden soll. Ein Zeugenbeweis ist nur dann hinreichend substantiiert, wenn im Einzelnen angegeben wird, welche rechtlich erheblichen Bekundungen über konkrete Wahrnehmungen von diesem Zeugen zu erwarten gewesen wären (vgl. BVerwG, Beschl. v. 27.03.2000 - 9 B 518/99 - InfAuslR 2000, 412). Die Pflicht zur Substantiierung von Beweisanträgen bezieht sich zum einen auf das Beweisthema, also die Bestimmtheit der Beweistatsachen und deren Wahrheit, und zum anderen darauf, welche einzelnen Wahrnehmungen der angebotene Zeuge in Bezug auf das Beweisthema (also in Bezug auf die Beweistatsachen oder auf die zu deren Ermittlung dienenden Hilfstatsachen oder Indiztatsachen) selbst gemacht haben soll. Nur auf der Grundlage solcher Angaben kann das Gericht prüfen, ob die beantragte Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen zur Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts beitragen kann (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.06.2001 - 1 B 131/00 - InfAuslR 2001, 466). Nach diesen Grundsätzen ist der Beweisantrag zur Vernehmung von Frau A unsubstantiiert, da er bereits keine Angaben dazu enthält, welchen Inhalt die Aussagen der Zeugin voraussichtlich hätten.
75 
3. Die im angefochtenen Bescheid enthaltene Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung entspricht den gesetzlichen Vorgaben (§ 71 Abs. 4, § 36 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG).
76 
4. Auch die verfügte Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots ist rechtmäßig. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist von Amts wegen zu befristen (§ 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Die vom Bundesamt ausgesprochene Befristung des Verbots auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung hält sich innerhalb des von § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vorgegebenen Rahmens, wonach die Frist fünf Jahre nur überschreiten darf, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Anhaltspunkte dafür, dass die Frist ermessensfehlerhaft festgesetzt wurde, sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
77 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

Gründe

 
31 
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da sie ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
32 
Die auf Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes vom 27.10.2016 gerichtete Klage ist zulässig. Soweit der Kläger darüber hinaus begehrt, die Beklagte zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft und (hilfsweise) subsidiären Schutz zuzuerkennen, ist die Klage unzulässig. Denn statthafte Klageart gegen eine Feststellung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist nur die Anfechtungsklage (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.12.2016 - 1 C 4/16 - juris -). Einer Verpflichtungsklage fehlt das Rechtsschutzbedürfnis, weil das Bundesamt nach Aufhebung der Entscheidung über die Unzulässigkeit automatisch zur Durchführung eines Asylverfahrens verpflichtet ist.
33 
Soweit die Klage zulässig ist, ist diese nicht begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Das Bundesamt hat den Asylfolgeantrag des Klägers zu Recht als unzulässig abgelehnt (1.). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten festzustellen, dass bei ihm ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegt (2.). Die dem Kläger angedrohte Abschiebung ist rechtlich nicht zu beanstanden (3.). Er hat auch keinen Anspruch auf Verkürzung der festgesetzten Frist im Hinblick auf das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot (4.).
34 
1. Die Beklagte hat den Asylfolgeantrag des Klägers zu Recht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig abgelehnt, da ein weiteres Asylverfahren nach § 71 AsylG nicht durchzuführen ist.
35 
Nach § 71 Abs. 1 AsylG ist ein weiteres Asylverfahren nur dann durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des Wiederaufgreifens des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG gegeben sind. Der Folgeantragsteller muss die seiner Ansicht nach vorliegenden Voraussetzungen für einen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens selbst und umfassend vortragen; d.h. das Gericht ist nicht befugt, bei der Prüfung des Folgeantrags andere als vom Antragsteller geltend gemachte Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zugrunde zu legen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 11.12.1989 - 9 B 320/89 - NVwZ 1990, 359). Die Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG müssen schon im Antrag selbst abschließend und substantiiert dargetan werden (§ 71 Abs. 3 AsylG). So ist substantiiert auszuführen, inwiefern der Folgeantragsteller ohne grobes Verschulden außer Stande war, den Grund für das Wiederaufgreifen schon im früheren Verfahren geltend zu machen und inwiefern er - es sei denn, dies wäre aktenkundig oder offensichtlich - die Drei-Monats-Frist (§ 51 Abs. 3 Satz 1 VwVfG) eingehalten hat (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 02.07.1998 - A 12 S 1006/97 - juris - und Urt. v. 23.03.2000 - A 12 S 423/00 - juris -). Einzelne neue Tatsachen, die zur Begründung nachgeschoben werden, brauchen jedoch - ausnahmsweise - nicht innerhalb der Ausschlussfrist des § 51 Abs. 3 Satz 1 VwVfG vorgetragen zu werden, wenn sie einen bereits rechtzeitig geltend gemachten Wiederaufgreifensgrund bestätigen, wiederholen, erläutern oder konkretisieren, also nicht qualitativ neu sind, d. h. nicht aus dem Rahmen der bisher für das Wiederaufgreifen angeführten Umstände fallen und damit keinen neuen Wiederaufgreifensgrund darstellen (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.02.1998 - 9 C 28/97 - BVerwGE 106, 171). Die Frist des § 51 Abs. 3 Satz 1 VwVfG beginnt mit dem Tag, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erlangt hat, zu laufen (§ 51 Abs. 3 Satz 2 VwVfG). Das Erfordernis, die Drei-Monats-Frist nach § 51 Abs. 3 Satz 1 VwVfG einzuhalten, gilt auch für sich prozesshaft entwickelnde Dauersachverhalte. Bei Dauersachverhalten ist die erstmalige Kenntnis von dem Dauersachverhalt maßgebend (vgl. OVG Weimar, Urt. v. 06.03.2002 - 3 KO 428/99 - NVwZ-Beilage I 2003, 19). Unbilligkeiten bei sich prozesshaft entwickelnden Dauersachverhalten werden dadurch vermieden, dass für die Gewährung von Abschiebungsschutz die Einhaltung der Drei-Monats-Frist unmaßgeblich ist. Hinreichende Darlegung im Sinne von § 71 Abs. 3 AsylG setzt zudem ein Mindestmaß an Klarheit, Überschaubarkeit und Verständlichkeit voraus, was ohne eine gewisse Strukturierung und inhaltliche Aufbereitung des Vorbringens nicht gelingen kann (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 15.06.1999 - A 6 S 2766/98 - juris -).
36 
Für die Bejahung der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Wiederaufgreifen des Asylverfahrens wegen nachträglicher Änderung der Sachlage nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG ist - neben dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG - notwendig, dass der Folgeantragsteller eine Änderung im Verhältnis zu der der früheren Asylentscheidung zugrunde gelegten Sachlage glaubhaft und substantiiert vorträgt; er muss substantiiert die Umstände darlegen, die sich nach Abschluss des früheren Verfahrens geändert haben sollen. Außerdem ist die Geeignetheit der neuen Tatsachen für eine dem Asylbewerber günstigere Entscheidung schlüssig darzutun. Es genügt nicht, dass lediglich pauschale Behauptungen aufgestellt werden (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 02.07.1998 - A 12 S 1006/97 - juris -; OVG Weimar, Urt. v. 06.03.2002 - 3 KO 428/99 - NVwZ-Beilage I 2003, 19). Die Darlegungen des Folgeantragstellers müssen eine ihm günstigere Entscheidung zumindest als möglich erscheinen lassen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2000 - 2 BvR 39/98 - NVwZ-Beilage I 2000, 78; BVerwG, Urt. v. 07.03.1989 - 9 C 59/88 - Buchholz 402.25 § 14 AsylVfG Nr. 9 und 10; OVG Weimar, Urt. v. 06.03.2002 - 3 KO 428/99 - a.a.O.; VGH Mannheim, Urt. v. 15.06.1999 - A 6 S 2766/98 - juris -). Für die Beurteilung der Frage, ob ein Wiederaufgreifensgrund nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG vorliegt, ist der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgebend (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 16.03.2000 - A 14 S 2443/98 - AuAS 2000, 152).
37 
Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe fehlt es im vorliegenden Fall an den Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens.
38 
Der Kläger hat in seinem Asylfolgeantrag vom 11.07.2014 bereits die Geeignetheit des neuen Vorbringens für eine günstigere Entscheidung nicht dargetan. Dies braucht jedoch nicht weiter vertieft zu werden. Denn er hat seinen Asylfolgeantrag auch nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von drei Monaten (§ 51 Abs. 3 Satz 1 VwVfG) gestellt. Bei einer Konversion handelt es sich im Regelfall um einen sich prozesshaft entwickelnden Sachverhalt. In diesem Fall ist maßgeblich auf die förmliche Aufnahme als der nach außen erkennbaren Manifestation der Konversion abzustellen. Die Taufe des Klägers erfolgte am 28.07.2012. Ab diesem Zeitpunkt hatte der Kläger im Sinne des § 51 Abs. 3 Satz 2 VwVfG Kenntnis von dem nunmehr in Anspruch genommenen Wiederaufgreifensgrund. Er hätte ihn demnach binnen drei Monaten geltend machen müssen. Tatsächlich ist der Asylfolgeantrag aber erst am 22.07.2014 gestellt worden. Zwar macht der Prozessbevollmächtigte des Klägers in seinem Schriftsatz vom 11.07.2014 geltend, der Kläger sei zum Zeitpunkt der Taufe vom christlichen Glauben noch nicht absolut überzeugt gewesen und erst in den letzten Monaten habe sich das Glaubensleben und die Glaubensüberzeugung intensiviert. Der Kläger habe in den letzten zwei Monaten mehr in der Bibel gelesen und noch mehr Kontakt zu den anderen Mitgliedern der Gemeinde gehabt. Dieses Vorbringen genügt jedoch nicht für die Annahme einer entscheidungserheblichen Veränderung des Dauersachverhalts im Sinne eines Qualitätsumschlags. Um feststellen zu können, ob eine entscheidungserhebliche Veränderung des Dauersachverhalts eingetreten ist, hätte es eines substantiierten Vortrags bedurft. Der Kläger hätte ausführlich darlegen müssen, warum er zum Zeitpunkt der Taufe vom christlichen Glauben noch nicht absolut überzeugt war. Weiter ist sein Vorbringen, erst in den letzten Monaten habe er einige große Schritte im Glauben gemacht, unkonkret. Es bleibt auch offen, welche (weiteren) Erkenntnisse das geltend gemachte verstärkte Bibellesen und die vermehrten Kontakte zu anderen Mitgliedern der Gemeinde in den letzten zwei Monaten erbracht haben. Im Übrigen ist auch nicht glaubhaft, dass die am 28.07.2012 erfolgte Taufe des Klägers lediglich der Beginn auf dem Weg zu einer christlichen Glaubensüberzeugung war und ein Qualitätsumschlag erst viele Monate später (zur Wahrung der Dreimonatsfrist) in Folge des (intensiveren) Lesens der Bibel und des Kontakts zu anderen Mitgliedern der Gemeinde eingetreten ist. Dass der Übertritt zum christlichen Glauben erst ca. zwei Jahre nach der erfolgten Taufe abgeschlossen war, machte der Kläger in der mündlichen Verhandlung auch nicht geltend.
39 
Das Vorbringen des Klägers bei der Anhörung in Eningen am 20.10.2016, er habe im Jahr 2011 oder 2012 in Berlin an einer Demonstration vor dem iranischen Konsulat teilgenommen, stellt keinen beachtlichen Wiederaufgreifensgrund dar. Insoweit wurde nicht dargelegt, dass der Kläger außer Stande war, diesen Wiederaufgreifensgrund schon im früheren Verfahren geltend zu machen. Soweit der Kläger im Klageverfahren vortrug, seit Ende November letzten Jahres sei er offiziell Mitarbeiter in der Stiftkirchengemeinde, er sei als Kirchenwächter tätig und sorge dafür, dass die Kirche täglich für Gäste geöffnet sei, außerdem sorge er im Außenbereich der Kirche für Sauberkeit und helfe tatkräftig beim Auf- und Umbau in der Kirche, ist schon fraglich, ob es sich insoweit um einen eigenständigen Wiederaufgreifensgrund handelt. Selbst wenn dies bejaht würde, fehlt jegliche Darlegung, dass dieser Wiederaufgreifensgrund für eine günstigere Entscheidung geeignet ist.
40 
2. Auch die in Ziffer 2 des Bescheids des Bundesamtes vom 27.10.2016 auf der Grundlage des § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG getroffene Feststellung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten festzustellen, dass ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt.
41 
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Ein Abschiebungsverbot besteht dann, wenn grundlegend anerkannte Menschenrechtsgarantien im Falle einer Abschiebung in ihrem Kern bedroht sind, ein äußerster menschenrechtlicher Mindeststandard muss unterschritten sein (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.05.2000 - 9 C 34/99 - BVerwGE 111, 223).
42 
Dazu gehört auch ein unveräußerlicher Kern der Religionsfreiheit, der für die personale Würde und Entfaltung eines religiösen Menschen unverzichtbar ist. Demgemäß schützt § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 9 EMRK lediglich das religiöse Existenzminimum (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.05.2000 - 9 C 34/99 - BVerwGE 111, 223; Urt. v. 20.01.2004 - 1 C 9/03 - BVerwGE 120, 16 und Urt. v. 07.12.2004 - 1 C 14/04 - BVerwGE 122, 271; OVG Münster, Urt. v. 09.06.2011 - 13 A 947/10.A - DVBl 2011, 1166).
43 
Das religiöse Existenzminimum umfasst den unverzichtbaren und unentziehbaren Kern der Privatsphäre des glaubenden Menschen und damit seine religiöse Überzeugung als solche und die Religionsausübung abseits der Öffentlichkeit und in persönlicher Gemeinschaft mit anderen Gläubigen dort, wo man sich nach Treu und Glauben unter sich wissen darf. Ein Eingriff in dieses religiöse Existenzminimum ist etwa dann gegeben, wenn den Angehörigen einer religiösen Gruppe unter Androhung von Strafen an Leib, Leben oder persönlicher Freiheit eine Verleugnung oder gar Preisgabe ihres Glaubens zugemutet wird oder sie daran gehindert werden, ihren eigenen Glauben, so wie sie ihn verstehen, im privaten Bereich und unter sich zu bekennen. Öffentlichkeitswirksame Betätigungen der Religionsausübung sind hingegen nicht geschützt, unabhängig davon, wie stark der Ausländer sich selbst hierzu innerlich verpflichtet fühlt (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.01.2004 - 1 C 9/03 - a.a.O.).
44 
Ob das religiöse Existenzminimum nach diesen Grundsätzen bei einer Rückkehr in den Iran gewährleistet ist (bejahend OVG Münster, Urt. v. 09.06.2011 - 13 A 947/10.A - DVBl 2011, 1166), kann dahingestellt bleiben. Denn das Gericht ist nicht davon überzeugt, dass die Konversion des Klägers auf einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel beruht.
45 
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Antragstellers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.08.2015 - 1 B 40/15 - NVwZ 2015, 1678). Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Antragstellers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Beruft sich der Antragsteller auf eine Verfolgungsgefährdung mit der Begründung, er sei in Deutschland zu einer in seinem Herkunftsland bekämpften Religion übergetreten, muss er die inneren Beweggründe glaubhaft machen, die ihn zur Konversion veranlasst haben (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.08.2015 - 1 B 40/15 - a.a.O.). Es muss festgestellt werden können, dass die Hinwendung zu der angenommenen Religion auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen, und der Glaubenswechsel nunmehr die religiöse Identität des Antragstellers prägt. In diesem Zusammenhang kann von einem Erwachsenen im Regelfall erwartet werden, dass dieser schlüssige und nachvollziehbare Angaben zu den inneren Beweggründen für die Konversion machen kann und im Rahmen seiner Persönlichkeit und intellektuellen Disposition mit den Grundzügen seiner neuen Religion vertraut ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.08.2015 - 1 B 40/15 - NVwZ 2015, 1678). Der Ausländer muss zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen, dass er die religiöse Betätigung seines neuen Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren (vgl. BVerwG, Beschl. v. 09.12.2010 - 10 C 19/09 - BVerwGE 138, 270 und Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67).
46 
Nach diesen Grundsätzen führt der bloß formal vollzogene Übertritt vom islamischen zum christlichen Glauben nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Verfolgungsmaßnahmen im Falle einer Rückkehr in den Iran. Dies folgt schon daraus, dass ein Übertritt eines Iraners zum christlichen Glauben von iranischen Stellen als undenkbar angesehen und als im Zusammenhang mit der Aufenthaltsproblematik stehend beurteilt wird. Die Konversion eines Muslim zum Christentum stellt nach den Maßstäben der islamischen Religion einen absoluten Tabubruch dar, der jenseits des Vorstellbaren liegt. Es wird daher davon ausgegangen, dass der Konvertit es mit dem Übertritt nicht ernst gemeint habe und dieser allein der Förderung des Asylverfahrens dienen sollte (vgl. Deutsches Orient-Institut, Stellungnahmen vom 22.11.2004 an VGH München, vom 06.12.2004 an OVG Bautzen und vom 09.05.2001 an VG Regensburg; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 12.04.2007 an BAMF; OVG Münster, Beschl. v. 27.08.2012 - 13 A 1703/12.A - juris -; VGH München, Beschl. v. 16.11.2015 - 14 ZB 13.30207 - juris - und Beschl. v. 07.11.2016 - 14 ZB 16.30380 - juris -).
47 
Es bedarf deshalb vorliegend einer Überprüfung, ob die Konversion des Klägers aufgrund einer glaubhaften Zuwendung zum christlichen Glauben im Sinne eines ernst gemeinten religiösen Einstellungswandels mit einer identitätsprägenden festen Überzeugung und nicht lediglich auf bloßen Opportunitätsgründen beruht. Der formale, kirchenrechtlich wirksam vollzogene Übertritt zum Christentum in Gestalt der Taufe reicht für die Gewinnung der Überzeugung, dass der Betreffende die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, allein nicht aus (vgl. BVerwG, Beschl. v. 25.08.2015 - 1 B 40/15 - NVwZ 2015, 1678; OVG Lüneburg, Beschl. v. 16.09.2014 - 13 LA 93/14 - juris -; OVG Münster, Beschl. v. 27.04.2015 - 13 A 440/15.A - juris - und Beschl. v. 03.11.2014 - 13 A 1646/14.A - juris -; VGH München, Beschl. v. 16.11.2015 - 14 ZB 13.30207 - juris -; VGH Mannheim, Beschl. v. 23.04.2014 - A 3 S 269/14 - juris -).
48 
Nach diesen Grundsätzen ist das Gericht jedenfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) nicht von einer ernsthaften und die religiöse Identität des Klägers bindend prägenden Hinwendung zur christlichen Religion überzeugt (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
49 
Der im muslimischen Umfeld aufgewachsene Kläger konnte einen nachvollziehbaren inneren Prozess der Auseinandersetzung mit seinen Glaubensvorstellungen und der schlussendlichen Hinwendung zur christlichen Glaubenslehre nicht darlegen. Es war ihm nicht möglich, in substantieller Weise seine Beweggründe zum Religionswechsel aufzuzeigen. Danach gefragt antwortete der Kläger, im christlichen Glauben habe er Liebe, Ruhe und Frieden gefunden. Allein die Erkenntnis, dass der christlichen Religion Vergebung und Liebe innewohnt, reicht zum Beleg einer identitätsprägenden festen Überzeugung nicht aus. Auch soweit der Kläger auf die im Christentum gewonnene Ruhe abhebt, beschreibt dies keinen Grund, der die Wahl des Christentums als neue Religion rechtfertigt. Die vom Kläger benannten Motive ließen sich auch auf andere, friedlich orientierte Religionen übertragen. Eine intellektuelle oder auch nur spirituelle Auseinandersetzung, die für den Kläger ausschließlich zu dem Ergebnis führen konnte, den christlichen Glauben als seine neue Religion anzuerkennen, ist nicht erkennbar. Die Stellungnahmen von Pfarrer V vom 30.07.2016 und der Diakonin G vom 14.10.2016 sowie deren gemeinsame Stellungnahme vom 08.12.2016 zum regelmäßigen Gottesdienstbesuch des Klägers und zu seinem Engagement in der Gemeinde geben für die Aufklärung der inneren Beweggründe nichts her.
50 
Das Gericht übersieht nicht, dass der Kläger ein gewisses Grundwissen über die Bibel erworben hat. Er konnte die vier Evangelisten benennen und nannte von sich aus Unterschiede zwischen dem Lukasevangelium und dem Johannesevangelium. Weiter konnte er den Text des „Vater unser“ inhaltlich richtig wiedergeben und die Bedeutung der Taufe und des Abendmahls in Ansätzen erklären. Auch war ihm der Name Martin Luther ein Begriff. Allerdings zeigten sich auch deutliche Lücken bei den Kenntnissen über das Christentum. Mit dem Begriff „Bergpredigt“ konnte der Kläger nichts anfangen. Er kannte nicht den hierarchischen Aufbau der Evangelischen Landeskirche. Der katholischen Kirche unterstellt er zu Unrecht, dass dort die Worte der Bibel nicht gedeutet werden dürften. Mit Pfingsten verbindet der Kläger eine falsche Vorstellung (“Auffahrung von Jesu in den Himmel“). Zum Ablauf des evangelischen Gottesdienstes befragt wusste der Kläger nur wenige Einzelheiten zu benennen; die Verkündigung und das Bekenntnis (Lesung, Predigt, Glaubensbekenntnis, Vater unser, Friedensgruß und Segen) sind dem Kläger ersichtlich nicht geläufig. Diese aufgezeigten Defizite bei den Kenntnissen über das Christentum verwundern doch sehr angesichts des Vorbringens des Klägers, wonach er auch aktuell noch an einem Taufkurs teilnimmt, die Bibel studiert haben will und regelmäßig den Gottesdienst besucht. Schließlich fehlt bei der Darstellung der Glaubensgrundsätze des Islam durch den Kläger, wonach es in dieser Religion erlaubt sei, Blut zu vergießen und Rache zu nehmen, jegliche differenzierte Auseinandersetzung mit dieser Weltreligion. Auch wenn der Kläger einige christliche Glaubensinhalte richtig wiedergeben konnte, lässt sich daraus nicht der Schluss ziehen, der Kläger habe den christlichen Glauben für sein weiteres Leben identitätsprägend verinnerlicht. Denn das vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gezeigte abstrakte Wissen lässt sich auch ohne inneren Bezug zum Christentum erwerben. Sein Vorhandensein reicht allein nicht aus, um einen religiösen Einstellungswandel hinreichend zu belegen. Aufgrund der Mitteilung des Klägers in der mündlichen Verhandlung auf Frage nach den Auswirkungen des Glaubenswechsels auf sein alltägliches Leben, wonach er durch seinen Glauben Freunde gefunden habe, drängt sich dem Gericht der Eindruck auf, dass sich das Interesse des Klägers an der Teilnahme am Gemeindeleben auf allgemeine soziale Zwecke (Sich Aufgenommen-Fühlen in einer Gemeinschaft) beschränkt, was zwar gut nachvollziehbar, jedoch kein Ausweis der inneren Hinwendung zum Christentum ist. Nach allem ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass der Kläger sich dem Christentum wegen einer tiefen innerlichen Überzeugung angeschlossen hat.
51 
Diese Einschätzung wird auch durch die Angaben des Klägers zu einer Rückkehr in den Iran bestätigt. Das Gericht hat den Kläger danach befragt, wie er seinen neuen Glauben bei einer Rückkehr in den Iran leben werde. Auf diese Frage gab der Kläger an, er würde zu Jesus Christus stehen und ihn nicht verleugnen, Konvertiten würden verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Konkretere Angaben zur Ausübung des christlichen Glaubens im Iran vermochte der Kläger nicht zu machen. Eine überzeugende Auseinandersetzung mit einem Leben als Christ im Iran hat ersichtlich nicht stattgefunden.
52 
Im Ergebnis vermag das Gericht in dem vorgetragenen Glaubenswechsel keinen in letzter Konsequenz ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel zu erkennen, der nunmehr die religiöse Identität des Klägers prägt. Aufgrund des Vorbringens des Klägers zu seiner Konversion in der mündlichen Verhandlung und des Eindrucks, den er in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, konnte das Gericht nicht die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO notwendige Überzeugungsgewissheit gewinnen, dass er sich aufgrund einer inneren Glaubensüberzeugung dem Christentum zugewandt hat und dass er nach einer Rückkehr in den Iran eine innere Verpflichtung empfindet, den christlichen Glauben auch dort zu leben mit der Gefahr, einer menschenrechtswidrigen Verfolgung ausgesetzt zu sein.
53 
Auch im Hinblick auf Art. 3 EMRK liegt ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht vor.
54 
Allein die Tatsache, dass der Kläger in Deutschland Asyl beantragt hat, löst noch keine staatlichen Repressionen nach einer Rückkehr in den Iran aus (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 08.12.2016). Denn den iranischen Sicherheitsbehörden ist bekannt, dass Asylbewerber aus dem Iran überwiegend aus anderen als politischen Gründen versuchen, in Deutschland einen dauernden Aufenthalt zu erreichen (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 15.04.2015 - A 2 S 1923/14).
55 
Auch der mehrjährige Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland rechtfertigt nicht die Annahme, die iranischen Staatsbürger würden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran staatlichen Repressionen ausgesetzt sein. Zwar kann es bei einer Rückkehr in den Iran in Einzelfällen zu einer Befragung durch die Sicherheitsbehörden über den Auslandsaufenthalt kommen, insbesondere zu Kontakten während dieser Zeit. Die Befragung geht in Ausnahmefällen mit einer ein- bis zweitägigen Inhaftierung einher. Keiner westlichen Botschaft ist aber bislang ein Fall bekannt geworden, in dem Zurückgeführte darüber hinaus staatlichen Repressionen ausgesetzt waren oder psychisch oder physisch gefoltert wurden. Es gibt derzeit auch keine Hinweise auf eine Veränderung dieser Praxis (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 08.12.2016). Schließlich können Personen, die das Land illegal verlassen und sonst keine weiteren Straftaten begangen haben, von der iranischen Vertretung ein Passersatzpapier erhalten und in den Iran zurückkehren. Mit dieser gesetzlichen Wiedereinreise wird die frühere illegale Ausreise legalisiert (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Iran vom 08.12.2016).
56 
Der Kläger hat auch im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten festzustellen, dass in seiner Person ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt.
57 
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Bestimmung fragt nicht danach, von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird; die Regelung stellt vielmehr lediglich auf das Bestehen einer konkreten Gefahr ab ohne Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.10.1995 - 9 C 9/95 - BVerwGE 99, 324).
58 
Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Ob die Gefahr der Verschlechterung der Gesundheit durch die individuelle Konstitution des Ausländers bedingt oder mitbedingt ist, ist unerheblich (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.07.1999 - 9 C 2/99 - juris -). Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation im Zielstaat zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.10.2002 - 1 C 1/02 - DVBl 2003, 463 und Beschl. v. 29.04.2002 - 1 B 59/02 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 60; VGH Kassel, Urt. v. 24.06.2003 - 7 UE 3606/99.A - AuAS 2004, 20). Unerheblich ist indes, ob die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG). Die mögliche Unterstützung durch Angehörige im In- oder Ausland ist in die gerichtliche Prognose, ob bei Rückkehr eine Gefahr für Leib oder Leben besteht, mit einzubeziehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 01.10.2001 - 1 B 185/01 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 51). Die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG dient nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern; eine abschiebungsschutzrelevante Verschlechterung des Gesundheitszustandes liegt deshalb nicht vor, wenn lediglich eine Heilung eines Krankheitszustandes des Ausländers im Abschiebungsfall nicht zu erwarten ist (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 14.06.2005 - 11 A 4518/02.A - AuAS 2005, 189 und Beschl. v. 27.01.2015 - 13 A 1201/12.A - juris -).
59 
Die von Dr. F und der Psychotherapeutin B diagnostizierten mittelschwere bis schwere Depression, rezidivierende depressive Störung und schwere Episode begründen kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Denn diese Krankheiten können im Iran behandelt werden und eventuell erforderliche Medikamente sind im Iran erhältlich (vgl. Deutsche Botschaft, Auskunft vom 09.06.2001 an VG Leipzig, vom 13.02.2003 an BAMF, vom 19.08.2004 an VG Hannover und vom 24.05.2005 an VG Regensburg; Auswärtiges Amt, Auskunft vom 31.03.2005 und vom 26.07.2005 an BAMF).
60 
Zwar dürfte der Kläger die erforderlichen Medikamente im Iran selbst bezahlen müssen (vgl. Deutsches Orient-Institut, Gutachten vom 22.12.2003 an VG Aachen), außerdem muss er voraussichtlich Vorauszahlungen leisten, damit eine Behandlung in Angriff genommen wird (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Auskunft vom 20.11.2008). Das Gericht geht jedoch davon aus, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr in den Iran mit einer verlässlichen finanziellen Unterstützung seiner im Iran lebenden sechs Geschwister rechnen kann. Nach Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung ist die wirtschaftliche Lage seiner Geschwister normal. Es gibt einen Erfahrungssatz dahingehend, dass Familienmitglieder im arabischen Raum sich bei finanzieller Not unterstützen. Deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger die erforderliche ärztliche und medikamentöse Behandlung im Iran nicht erhalten wird.
61 
Soweit Dr. F in ihrer ärztlichen Stellungnahme vom 08.11.2014 und die Psychologische Psychotherapeutin B in ihrer psychologischen Stellungnahme vom 29.11.2016 zudem eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) diagnostiziert haben, ist das Gericht nicht davon überzeugt (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), dass diese Erkrankung beim Kläger vorliegt.
62 
Fraglich ist bereits, ob die Psychologische Psychotherapeutin B befähigt ist, eine posttraumatische Belastungsstörung zu diagnostizieren. Denn für eine sichere Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung ist eine umfangreiche klinische Erfahrung einschließlich spezieller Kenntnisse in Psychotraumatologie erforderlich (vgl. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl. S. 748; Gierlichs, Deutsches Ärzteblatt 2002, 403). Zwar müssen Psychologische Psychotherapeuten auf der Grundlage eines abgeschlossenen Studiums der Psychologie, das das Fach Klinische Psychologie einschließt, die mindestens dreijährige Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten gemäß § 5 PsychThG abgeleistet und die entsprechende Approbation (§ 2 PsychThG) erhalten haben. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie hierdurch regelmäßig die erforderliche klinische Erfahrung vermittelt erhalten haben. Selbst wenn aber Psychologischen Psychotherapeuten zugestanden wird, eine posttraumatische Belastungsstörung zu diagnostizieren (so VGH München, Beschl. v. 28.07.2015 - 13a ZB 15.30073 - juris - und Beschl. v. 11.08.2016 - 20 ZB 16.30110 - NVwZ-RR 2017, 75; OVG Münster, Beschl. v. 19.12.2008 - 8 A 3053/08.A - InfAuslR 2009, 173; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 27.09.2016 - OVG 3 N 24.15 - juris -), so kann der psychologischen Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 29.11.2016 keine wesentliche Bedeutung zukommen, weil es sich um Äußerungen der Therapeutin des Klägers handelt. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung auf Frage des Gerichts vorgetragen, er sei seit über einem Jahr in einer Gesprächstherapie bei der Psychotherapeutin B (Refugio Stuttgart). Ein Therapeut muss aber grundsätzlich von dem vom Patienten geklagten Leiden nebst der Vorgeschichte als wahr ausgehen und will diesem auftragsgemäß helfen, möglichst ihn heilen. Demgemäß fehlt ihm die für eine Begutachtung notwendige Distanz zum Patienten; er tritt diesem nicht mit der erforderlichen notwendigen kritischen Betrachtung gegenüber (vgl. OVG Münster, Urt. v. 20.09.2006 - 13 A 1740/05.A - juris - und Beschl. v. 10.01.2007 - 13 A 1138/04.A - juris -). Im Übrigen muss die psychologische Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 29.11.2016 im Hinblick auf die diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung wegen schwerer Qualitätsmängel außer Betracht bleiben.
63 
Bei der PTBS handelt es sich um ein innerpsychisches Erlebnis, das sich einer Erhebung äußerlich objektiver Befundtatsachen weitgehend entzieht. Es kommt deshalb in besonderem Maße auf die Glaubhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit eines geschilderten inneren Erlebnisses und der zugrunde liegende faktischen äußeren Erlebnistatsachen an, was wiederum angesichts der Komplexität und Schwierigkeit des Krankheitsbildes eine eingehende Befassung des Arztes mit dem Patienten erfordert. Regelmäßig sind tragfähige Aussagen zur Traumatisierung erst nach mehreren Sitzungen über eine längere Zeit möglich. Auch bedarf es unter anderem einer gründlichen Anamnese, einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Betreffenden hinsichtlich des das Trauma auslösenden Ereignisses, einer alternativen Hypothesenbildung sowie einer schlüssigen und nachvollziehbaren Herleitung des im Übrigen genau zu definierenden Krankheitsbildes (vgl. Treiber, ZAR 2002, 282 ff; Loesel/Bender, Asylpraxis Band 7 S. 175 ff). Nach der von der Weltgesundheitsorganisation herausgegebenen „Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD 10)“ entsteht die posttraumatische Belastungsstörung (F 43.1) als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde (traumatisierendes Ereignis, sog. A-Kriterium). Somit ist für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung der Nachweis eines traumatischen Ereignisses Voraussetzung. Es gibt keine posttraumatische Belastungsstörung ohne Trauma und auch beim Vorliegen aller Symptome einer PTBS kann eine solche nur diagnostiziert werden, wenn auch ein entsprechendes Trauma vorhanden war. Aus den Symptomen kann nicht rückgeschlossen werden, dass ein Trauma stattgefunden hat (vgl. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl., S. 752; Steller in: Sonderheft für Gerhard Schäfer, NJW-Beilage 2002, S. 69, 71; Ebert/Kindt, VBlBW 2004, 41; OVG Magdeburg, Beschl. v. 01.12.2014 - 2 M 119/14 - juris -; VGH München, Beschl. v. 28.09.2006 - 19 CE 06.2690 - juris -; VG Stuttgart, Urt. v. 14.01.2008 - A 11 K 4941/07 - InfAuslR 2008, 323). Da die fachärztlichen Gutachten auf den Angaben des Betroffenen beruhen, bedarf es insoweit der Prüfung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Betroffenen (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 02.05.2000 - 11 S 1963/99 - InfAuslR 2000, 435; OVG Bautzen, Beschl. v. 21.01.2014 - 3 B 476/13 - juris -; OVG Magdeburg, Beschl. v. 01.12.2014 - 2 M 119/14 - juris -). Die Feststellung des behaupteten traumatisierenden Ereignisses ist Gegenstand der gerichtlichen Sachverhaltswürdigung und unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (vgl. VGH München, Beschl. v. 17.10.2012 - 9 ZB 10.30390 - AuAS 2013, 9 und Beschl. v. 04.11.2016 - 9 ZB 16.30468 - juris -; OVG Münster, Beschl. v. 27.07.2007 - 13 A 2745/04.A - Inf-AuslR 2007, 408).
64 
Das Gericht hat im Asylerstverfahren das vom Kläger geltend gemachte Vorfluchtgeschehen insgesamt als unglaubhaft eingestuft (Urteil vom 26.01.2012 - A 11 K 751/11). Unabhängig hiervon legen Dr. F in ihrer ärztlichen Stellungnahme vom 08.11.2014 und die Psychotherapeutin B in ihrer psychologischen Stellungnahme vom 29.11.2016 ihren Beurteilungen je einen Sachverhalt über angebliche Geschehnisse im Iran unter unkritischer Übernahme der Angaben des Klägers zu Grunde, der vom bisherigen Vorbringen des Klägers im Asylerstverfahren deutlich abweicht. Dr. F ging in ihrer ärztlichen Stellungnahme vom 08.11.2014 davon aus, dass der Kläger durch den Tod von zwei nahe stehenden Freunden während des gemeinsamen Militärdienstes traumatisiert sei. Dies steht im Widerspruch zu dem Vorbringen des Klägers im Asylerstverfahren, er habe keinen Wehrdienst geleistet, vielmehr sei er hiervon befreit gewesen. Weiter legte Dr. F ihrer Beurteilung zu Grunde, dass der Kläger im Iran wiederholt Gewalt erlebt und von Sicherheitskräften geschlagen worden sei, außerdem sei er unfreiwilliger Zeuge öffentlicher Hinrichtungen und Auspeitschungen geworden. Von all dem war im Asylerstverfahren jedoch mit keinem Wort die Rede. Die Psychotherapeutin B legte ihrer psychologischen Stellungnahme vom 29.11.2016 wiederum einen völlig andersgearteten Sachverhalt zu Grunde. Danach soll der Kläger zweimal in Haft gewesen sein, während der Haft sei er mit einem Holzstück geschlagen worden, als Jugendlicher und junger Mann sei er wiederholt auf der Straße festgehalten und geschlagen worden, mit sechs Jahren sei er Zeuge von der Ermordung von Bekannten und als junger Erwachsener sei er wiederholt Opfer von körperlicher Gewalt (Inhaftierung mit Schlägen, Verfolgung, Schusswechsel) und chronischen Bedrohungen sowie Anfeindungen geworden. Von diesem angeblichen Geschehen im Iran, von dem Frau B in ihrer psychologischen Stellungnahme vom 29.11.2016 berichtet, war im Asylerstverfahren gleichfalls mit keinem Wort die Rede.
65 
Sowohl die ärztliche Stellungnahme von Frau Dr. F vom 08.11.2014 als auch die psychologische Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 29.11.2016 entbehren einer Abklärung, ob die vom Kläger geschilderten Erlebnisse auf wirklich Erlebtem beruhen. Auch fehlt es an einer fundierten, ernsthaften und nachvollziehbaren Auseinandersetzung mit den Angaben des Klägers. Diese werden vielmehr von Frau Dr. F und Frau B als wahr unterstellt und zur Grundlage der Diagnose gemacht, ohne dass sich diese aus dem Vortrag des Klägers im Asylerstverfahren ergeben hätten. Frau Dr. F und die Psychotherapeutin B haben auch nicht dargelegt, warum die von ihnen berücksichtigten Ereignisse im Iran vom Kläger nicht schon während des Asylerstverfahrens vorgetragen wurden. Erstaunlich ist zudem, dass sich weder Frau Dr. F noch Frau B mit den Ausführungen im Urteil vom 26.01.2012 - A 11 K 751/11 auseinandersetzen, obwohl dieses Urteil ihnen vorgelegen hat. Soweit Frau Dr. F und Frau B in ihren Stellungnahmen den Tod der Mutter des Klägers bei einem Verkehrsunfall als (weiteres) traumatisches Erlebnis benennen, fehlen Ausführungen zu dem Umstand, dass der Kläger trotz dieses Todesfalles im Iran ein weitgehend normales Leben führte und einer selbständigen Tätigkeit bis zu seiner Ausreise nachging. Angesichts der vielfachen völlig konträren Schilderungen des Klägers zum Geschehen im Iran trifft die Aussage des Gerichts im Urteil vom 26.01.2012 - A 11 K 751/11, wonach der Kläger unglaubwürdig und sein Vorbringen zu dem Geschehen im Iran insgesamt unglaubhaft ist, nach wie vor zu. Sind aber die verschiedenen Schilderungen des Klägers zu den Ereignissen im Iran insgesamt als unglaubhaft anzusehen, so entfällt gleichzeitig die Grundlage für die attestierte posttraumatische Belastungsstörung (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 18.01.2013 - OVG 7 S 11.13 - juris -). Denn fehlt es am Nachweis eines traumatisierenden Ereignisses, ist das Symptomspektrum einer PTBS nicht ausgefüllt. Damit geht auch die Aussage der Psychotherapeutin B in ihrer psychologischen Stellungnahme vom 29.11.2016 ins Leere, wonach es bei einer Rückkehr des Klägers in den Iran zu einer Retraumatisierung kommen werde.
66 
Im Übrigen genügen weder die ärztliche Stellungnahme von Frau Dr. F vom 08.11.2014 noch die psychologische Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 29.11.2016 den Anforderungen, die an eine ärztliche oder psychotherapeutische Stellungnahme gestellt werden.
67 
Angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes der PTBS sowie seiner vielfältigen Symptome muss ein fachärztliches Attest gewissen Mindestanforderungen genügen. Aus diesem muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 11.09.2007 - 10 C 8/07 - BVerwGE 129, 251 und Beschl. v. 26.07.2012 - 10 B 21/12 - juris -). Genügen vorgelegte ärztliche oder psychologische Stellungnahmen den dargelegten Anforderungen nicht, sind sie nicht geeignet, eine gerichtliche Beweiserhebung zu veranlassen und erst recht nicht, das Bestehen der Erkrankung sowie daraus resultierende Folgen zu belegen (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 18.11.2014 - A 3 S 264/14, n.v.).
68 
Diesen Anforderungen werden die ärztliche Stellungnahme von Frau Dr. F vom 08.11.2014 und die psychologische Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 29.11.2016 nicht gerecht. Der Kläger hat erst drei Jahre nach seiner Einreise in das Bundesgebiet um psychologische Hilfe nachgesucht. Trotz dieser erheblichen Zeitspanne fehlen in der ärztlichen Stellungnahme von Frau Dr. F vom 08.11.2014 und in der psychologischen Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 29.11.2016 Angaben darüber, weshalb der Kläger die Symptome nicht schon früher vorgetragen hat. Hinzu kommt, dass die geltend gemachten Erlebnisse des Klägers im Iran bereits viele Jahre zurückliegen. Die Latenz von Symptomen einer PTBS zu dem traumaauslösenden Ereignis beträgt aber nach den Kriterien der ICD-10 F 43.1 grundsätzlich wenige Wochen bis 6 Monate. Für eine qualifizierte Bescheinigung wäre ein Eingehen auch auf diesen Gesichtspunkt erforderlich gewesen. Weiter wird in der ärztlichen und psychologischen Stellungnahme nicht erörtert, ob die vom Kläger geltend gemachten Symptome nicht auch andere Ursachen als eine posttraumatische Belastungsstörung haben können (alternative Hypothesenbildung, z.B. Anpassungsstörung) und ob sie Ausdruck von Aggravation und Simulation sind. Denn vieles spricht dafür, dass die vom Kläger beklagten Symptome ihre Ursache in der derzeit schwierigen und unklaren Lebenssituation des Klägers haben. Schließlich ordnen Frau Dr. F und Frau B auch nicht konkrete traumaauslösende Ereignisse den festgestellten Symptomen zu, sondern zählen eine Vielzahl von belastenden Ereignissen auf ohne Abgrenzung, ob es sich um lediglich dekompensierende oder bereits die Schwelle einer Traumatisierung überschreitende Ereignisse handelt.
69 
Im Übrigen ist bei den in der ärztlichen Stellungnahme von Frau Dr. F vom 08.11.2014 und in der psychologischen Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 29.11.2016 zu Grunde gelegten Symptomen - massiver Stress, innere Erregung, Anspannung, verminderter Antrieb, Ohnmachterleben, Hoffnungslosigkeit, Sinnverlust, Taubheitserleben, Schlaflosigkeit, Reizbarkeit, Schreckhaftigkeit, gedrückte Stimmung, beeinträchtigtes Erinnerungsvermögen - nicht zu erkennen, wie hierdurch auch bei fehlender Behandlungsmöglichkeit wesentliche oder lebensbedrohliche Gesundheitsbeeinträchtigungen hervorgerufen werden können. Auch bei Depressionen treten nicht zwangsläufig erhebliche Gefahren für Leib oder Leben ein, wenn die Behandlung nicht durchgeführt wird. Gleiches gilt für eine posttraumatische Belastungsstörung; auch diese stellt im Hinblick auf die Regelungen in § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4 AufenthG für sich gesehen keine lebensbedrohliche oder ähnlich schwerwiegende Erkrankung dar, die ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG begründet.
70 
Den hilfsweise gestellten Beweisanträgen war nicht zu entsprechen. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat in der mündlichen Verhandlung hilfsweise beantragt, durch Einholung eines Sachverständigengutachtens Beweis zu erheben über die Tatsache, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers bei einem Abbruch der medizinischen Behandlung in der Bundesrepublik Deutschland derart verschlimmern würde, so dass eine konkrete, erhebliche Gefahr für Leib und Leben bestehen würde, zum andern über die Tatsache, dass im Iran für seine Erkrankungen keine Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und auch tatsächlich nicht erreichbar sind sowie über die Tatsache, dass er bei einer Rückkehr in den Iran retraumatisiert wird und sog. Flashbacks erleiden würde.
71 
Die vorgelegte psychologische Stellungnahme der Psychotherapeutin B vom 29.11.2016 gibt in Bezug auf die Frage nach einer möglichen Retraumatisierung des Klägers nach Rückkehr in den Iran keine hinreichende Tatsachengrundlage für die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Eine posttraumatische Belastungsstörung ist nach den obigen Ausführungen nicht dargetan, so dass auch eine hiermit in Verbindung stehende Retraumatisierung ausscheidet. Der Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Tatsache, dass der Kläger bei einer Rückkehr in den Iran retraumatisiert wird und sog. Flashbacks erleiden würde, stellt sich demnach mangels entsprechender Anknüpfungstatsachen als unzulässiger Ausforschungsbeweisantrag dar (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 19.01.2005 - A 3 S 1243/04, n.v.).
72 
Mit dem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Tatsache, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers bei einem Abbruch der medizinischen Behandlung in der Bundesrepublik Deutschland derart verschlimmern würde, so dass eine konkrete, erhebliche Gefahr für Leib und Leben des Klägers bestehen würde, stellt der Kläger keine Tatsachen unter Beweis, sondern teils prognostische, teils auch rein rechtliche Schlussfolgerungen, die dem Beweis nicht zugänglich sind, sondern der genuin richterlichen Beurteilung unterliegen. Soweit als Tatsache die Verschlimmerung des Gesundheitszustandes behauptet wird, ist diese Behauptung so allgemein gehalten, dass ein konkretes Beweisthema nicht erkennbar wird. Auch dieser Antrag stellt sich demnach als Ausforschungsantrag dar (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 03.04.2001 - A 9 S 1897/00 - juris -).
73 
Im Hinblick auf den Antrag, ein Sachverständigengutachten über die Tatsache einzuholen, dass im Iran für die Erkrankungen des Klägers keine Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und auch tatsächlich nicht erreichbar sind, verfügt das Gericht über einschlägige Erkenntnismittel, um die Behandlungsmöglichkeiten und deren Erreichbarkeit im Iran aus eigener Sachkunde würdigen zu können, weshalb das Gericht in Ausübung seines diesbezüglichen Ermessens keine Veranlassung für eine weitere Beweiserhebung zu dieser Frage sieht. Die einschlägigen Erkenntnismittel wurden zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht und sind auch im Urteil zitiert. Anhaltspunkte dafür, dass die herangezogenen Erkenntnisquellen erkennbare Mängel aufweisen, in sich widersprüchlich sind oder von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgehen, sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich, so dass sich dem Gericht die Notwendigkeit einer weiteren Beweiserhebung nicht aufdrängt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 02.08.2000 - 9 B 210/00 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 61). Weiter gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass mittlerweile relevante Änderungen eingetreten sind, die Anlass geben, aktuellere Sachverhaltsfeststellungen zu treffen, so dass eine Neubewertung nicht notwendig war (vgl. BVerfG, Beschl. v. 05.02.1993 - 2 BvR 1294/92 - InfAuslR 1993, 196 und Beschl. v. 18.06.1993 - 2 BvR 231/93 - NVwZ 1994, 62 ).
74 
Auch dem hilfsweise gestellten Antrag, die behandelnde Psychiaterin des Klägers, Frau S A, als sachverständige Zeugin zum Gesundheitszustand des Klägers zu hören, war nicht zu entsprechen, da weder vorgetragen noch erkennbar ist, welche konkreten entscheidungserheblichen Tatsachen die benannte Zeugin bekunden soll. Ein Zeugenbeweis ist nur dann hinreichend substantiiert, wenn im Einzelnen angegeben wird, welche rechtlich erheblichen Bekundungen über konkrete Wahrnehmungen von diesem Zeugen zu erwarten gewesen wären (vgl. BVerwG, Beschl. v. 27.03.2000 - 9 B 518/99 - InfAuslR 2000, 412). Die Pflicht zur Substantiierung von Beweisanträgen bezieht sich zum einen auf das Beweisthema, also die Bestimmtheit der Beweistatsachen und deren Wahrheit, und zum anderen darauf, welche einzelnen Wahrnehmungen der angebotene Zeuge in Bezug auf das Beweisthema (also in Bezug auf die Beweistatsachen oder auf die zu deren Ermittlung dienenden Hilfstatsachen oder Indiztatsachen) selbst gemacht haben soll. Nur auf der Grundlage solcher Angaben kann das Gericht prüfen, ob die beantragte Beweisaufnahme durch Vernehmung des Zeugen zur Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts beitragen kann (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.06.2001 - 1 B 131/00 - InfAuslR 2001, 466). Nach diesen Grundsätzen ist der Beweisantrag zur Vernehmung von Frau A unsubstantiiert, da er bereits keine Angaben dazu enthält, welchen Inhalt die Aussagen der Zeugin voraussichtlich hätten.
75 
3. Die im angefochtenen Bescheid enthaltene Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung entspricht den gesetzlichen Vorgaben (§ 71 Abs. 4, § 36 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG).
76 
4. Auch die verfügte Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots ist rechtmäßig. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist von Amts wegen zu befristen (§ 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Die vom Bundesamt ausgesprochene Befristung des Verbots auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung hält sich innerhalb des von § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vorgegebenen Rahmens, wonach die Frist fünf Jahre nur überschreiten darf, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Anhaltspunkte dafür, dass die Frist ermessensfehlerhaft festgesetzt wurde, sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
77 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 14. März 2017 - A 11 K 7407/16

Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 14. März 2017 - A 11 K 7407/16

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 11 Einreise- und Aufenthaltsverbot


(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen n
Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 14. März 2017 - A 11 K 7407/16 zitiert 18 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

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Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 11 Einreise- und Aufenthaltsverbot


(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen n

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 83b Gerichtskosten, Gegenstandswert


Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 77 Entscheidung des Gerichts


(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefä

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 108


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 59 Androhung der Abschiebung


(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfal

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 36 Verfahren bei Unzulässigkeit nach § 29 Absatz 1 Nummer 2 und 4 und bei offensichtlicher Unbegründetheit


(1) In den Fällen der Unzulässigkeit nach § 29 Absatz 1 Nummer 2 und 4 und der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrages beträgt die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist eine Woche. (2) Das Bundesamt übermittelt mit der Zustellung der Ent

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 102


(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende di

Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG | § 51 Wiederaufgreifen des Verfahrens


(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn 1. sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen g

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 29 Unzulässige Anträge


(1) Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn1.ein anderer Staata)nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 oderb)auf Grund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertragesfür die Durchführung des Asylverfahr

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 71 Folgeantrag


(1) Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltung

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 31 Entscheidung des Bundesamtes über Asylanträge


(1) Die Entscheidung des Bundesamtes ergeht schriftlich. Sie ist schriftlich zu begründen. Entscheidungen, die der Anfechtung unterliegen, sind den Beteiligten unverzüglich zuzustellen. Wurde kein Bevollmächtigter für das Verfahren bestellt, ist eine

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 98


Soweit dieses Gesetz nicht abweichende Vorschriften enthält, sind auf die Beweisaufnahme §§ 358 bis 444 und 450 bis 494 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.

Psychotherapeutengesetz - PsychThG 2020 | § 2 Erteilung der Approbation


(1) Die Approbation als Psychotherapeutin oder Psychotherapeut ist auf Antrag zu erteilen, wenn die antragstellende Person 1. das Studium, das Voraussetzung für die Erteilung einer Approbation als Psychotherapeutin oder Psychotherapeut ist, erfolgrei

Psychotherapeutengesetz - PsychThG 2020 | § 5 Rücknahme, Widerruf und Ruhen


(1) Die Approbation ist zurückzunehmen, wenn bei ihrer Erteilung die Voraussetzung des § 2 Absatz 1 Nummer 1 nicht vorgelegen hat. Die Approbation kann zurückgenommen werden, wenn bei ihrer Erteilung die Voraussetzung des § 2 Absatz 1 Nummer 2 oder N

Referenzen - Urteile

Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 14. März 2017 - A 11 K 7407/16 zitiert oder wird zitiert von 15 Urteil(en).

Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 14. März 2017 - A 11 K 7407/16 zitiert 13 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 04. Nov. 2016 - 9 ZB 16.30468

bei uns veröffentlicht am 04.11.2016

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe I. Der Kläger ist seinen A

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 16. Nov. 2015 - 14 ZB 13.30207

bei uns veröffentlicht am 16.11.2015

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gründe Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die ausdrü

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 11. Aug. 2016 - 20 ZB 16.30110

bei uns veröffentlicht am 11.08.2016

Tenor I. Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 8. April 2016 wird zugelassen, soweit damit die Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder 7 Aufent

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 28. Juli 2015 - 13a ZB 15.30073

bei uns veröffentlicht am 28.07.2015

Tenor I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung geg

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 14. Dez. 2016 - 1 C 4/16

bei uns veröffentlicht am 14.12.2016

Tatbestand 1 Die Kläger, nach eigenen Angaben afghanische Staatsangehörige, wenden sich gegen die Ablehnung der Durchführung weiterer Asylverfahren.

Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 25. Aug. 2015 - 1 B 40/15

bei uns veröffentlicht am 25.08.2015

Gründe I 1 Der Kläger, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte im März 2011 einen Asylantrag

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 27. Apr. 2015 - 13 A 440/15.A

bei uns veröffentlicht am 27.04.2015

Tenor Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 22. Januar 2015 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden. 1Der A

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil, 27. Jan. 2015 - 13 A 1201/12.A

bei uns veröffentlicht am 27.01.2015

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 21. März 2012 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 01. Dez. 2014 - 2 M 119/14

bei uns veröffentlicht am 01.12.2014

Gründe 1 I. Die gemäß § 146 Abs. 4 VwGO zulässige Beschwerde der Antragsteller hat Erfolg. 2 Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die Antragsteller hätten nicht glaubhaft gemacht, dass ihre Ausreise aufgrund inlandsbezogener Vollstreckungshind

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 03. Nov. 2014 - 13 A 1646/14.A

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Tenor Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 11. Juni 2014 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden. 1

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 23. Apr. 2014 - A 3 S 269/14

bei uns veröffentlicht am 23.04.2014

Tenor Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 20. Dezember 2013 - A 5 K 122/13 - zuzulassen, wird abgelehnt.Der Kläger trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Berufungszulassungsverfahrens. Gr

Bundesverwaltungsgericht EuGH-Vorlage, 09. Dez. 2010 - 10 C 19/09

bei uns veröffentlicht am 09.12.2010

Tenor Das Verfahren wird ausgesetzt. Es wird gemäß Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen U

Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 14. Jan. 2008 - A 11 K 4941/07

bei uns veröffentlicht am 14.01.2008

Tenor Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass bei der Klägerin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 07.09.2007 wird aufgehoben, soweit
2 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 14. März 2017 - A 11 K 7407/16.

Verwaltungsgericht München Beschluss, 09. Aug. 2017 - M 2 S 17.44568, M 2 K 17.40821

bei uns veröffentlicht am 09.08.2017

Tenor I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 18. Mai 2017, Az. M 2 K 17.40821, gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 3 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 8. Mai 2017, Az. …, wird abgelehnt.

Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 07. Juni 2017 - Au 8 K 16.31019

bei uns veröffentlicht am 07.06.2017

Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Tatbestand Der Kläger, nach eigenen Angaben am ... 1992 in ... (Afghanistan)

Referenzen

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn

1.
ein anderer Staat
a)
nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 oder
b)
auf Grund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages
für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist,
2.
ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 gewährt hat,
3.
ein Staat, der bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als für den Ausländer sicherer Drittstaat gemäß § 26a betrachtet wird,
4.
ein Staat, der kein Mitgliedstaat der Europäischen Union und bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als sonstiger Drittstaat gemäß § 27 betrachtet wird oder
5.
im Falle eines Folgeantrags nach § 71 oder eines Zweitantrags nach § 71a ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.

(2) Das Bundesamt hört den Ausländer zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe b bis Nummer 4 persönlich an, bevor es über die Zulässigkeit eines Asylantrags entscheidet. Zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 5 gibt es dem Ausländer Gelegenheit zur Stellungnahme nach § 71 Absatz 3.

(3) Erscheint der Ausländer nicht zur Anhörung über die Zulässigkeit, entscheidet das Bundesamt nach Aktenlage. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das in Satz 1 genannte Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte. Führt der Ausländer diesen Nachweis, ist das Verfahren fortzuführen.

(4) Die Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags kann gemäß § 24 Absatz 1a dafür geschulten Bediensteten anderer Behörden übertragen werden.

(1) Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt. Das Gleiche gilt für den Asylantrag eines Kindes, wenn der Vertreter nach § 14a Abs. 3 auf die Durchführung eines Asylverfahrens verzichtet hatte.

(2) Der Ausländer hat den Folgeantrag persönlich bei der Außenstelle des Bundesamtes zu stellen, die der Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist, in der er während des früheren Asylverfahrens zu wohnen verpflichtet war. Wenn der Ausländer das Bundesgebiet zwischenzeitlich verlassen hatte, gelten die §§ 47 bis 67 entsprechend. In den Fällen des § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder wenn der Ausländer nachweislich am persönlichen Erscheinen gehindert ist, ist der Folgeantrag schriftlich zu stellen. Der Folgeantrag ist schriftlich bei der Zentrale des Bundesamtes zu stellen, wenn

1.
die Außenstelle, die nach Satz 1 zuständig wäre, nicht mehr besteht,
2.
der Ausländer während des früheren Asylverfahrens nicht verpflichtet war, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen.
§ 19 Abs. 1 findet keine Anwendung.

(3) In dem Folgeantrag hat der Ausländer seine Anschrift sowie die Tatsachen und Beweismittel anzugeben, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes ergibt. Auf Verlangen hat der Ausländer diese Angaben schriftlich zu machen. Von einer Anhörung kann abgesehen werden. § 10 gilt entsprechend.

(4) Liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vor, sind die §§ 34, 35 und 36 entsprechend anzuwenden; im Falle der Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) ist § 34a entsprechend anzuwenden.

(5) Stellt der Ausländer, nachdem eine nach Stellung des früheren Asylantrags ergangene Abschiebungsandrohung oder -anordnung vollziehbar geworden ist, einen Folgeantrag, der nicht zur Durchführung eines weiteren Verfahrens führt, so bedarf es zum Vollzug der Abschiebung keiner erneuten Fristsetzung und Abschiebungsandrohung oder -anordnung. Die Abschiebung darf erst nach einer Mitteilung des Bundesamtes, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vorliegen, vollzogen werden, es sei denn, der Ausländer soll in den sicheren Drittstaat abgeschoben werden.

(6) Absatz 5 gilt auch, wenn der Ausländer zwischenzeitlich das Bundesgebiet verlassen hatte. Im Falle einer unerlaubten Einreise aus einem sicheren Drittstaat (§ 26a) kann der Ausländer nach § 57 Abs. 1 und 2 des Aufenthaltsgesetzes dorthin zurückgeschoben werden, ohne dass es der vorherigen Mitteilung des Bundesamtes bedarf.

(7) War der Aufenthalt des Ausländers während des früheren Asylverfahrens räumlich beschränkt, gilt die letzte räumliche Beschränkung fort, solange keine andere Entscheidung ergeht. Die §§ 59a und 59b gelten entsprechend. In den Fällen der Absätze 5 und 6 ist für ausländerrechtliche Maßnahmen auch die Ausländerbehörde zuständig, in deren Bezirk sich der Ausländer aufhält.

(8) Ein Folgeantrag steht der Anordnung von Abschiebungshaft nicht entgegen, es sei denn, es wird ein weiteres Asylverfahren durchgeführt.

(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn

1.
sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;
2.
neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden;
3.
Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind.

(2) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.

(3) Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.

(4) Über den Antrag entscheidet die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der Verwaltungsakt, dessen Aufhebung oder Änderung begehrt wird, von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(5) Die Vorschriften des § 48 Abs. 1 Satz 1 und des § 49 Abs. 1 bleiben unberührt.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn

1.
ein anderer Staat
a)
nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 oder
b)
auf Grund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages
für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist,
2.
ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 gewährt hat,
3.
ein Staat, der bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als für den Ausländer sicherer Drittstaat gemäß § 26a betrachtet wird,
4.
ein Staat, der kein Mitgliedstaat der Europäischen Union und bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als sonstiger Drittstaat gemäß § 27 betrachtet wird oder
5.
im Falle eines Folgeantrags nach § 71 oder eines Zweitantrags nach § 71a ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.

(2) Das Bundesamt hört den Ausländer zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe b bis Nummer 4 persönlich an, bevor es über die Zulässigkeit eines Asylantrags entscheidet. Zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 5 gibt es dem Ausländer Gelegenheit zur Stellungnahme nach § 71 Absatz 3.

(3) Erscheint der Ausländer nicht zur Anhörung über die Zulässigkeit, entscheidet das Bundesamt nach Aktenlage. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das in Satz 1 genannte Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte. Führt der Ausländer diesen Nachweis, ist das Verfahren fortzuführen.

(4) Die Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags kann gemäß § 24 Absatz 1a dafür geschulten Bediensteten anderer Behörden übertragen werden.

Tatbestand

1

Die Kläger, nach eigenen Angaben afghanische Staatsangehörige, wenden sich gegen die Ablehnung der Durchführung weiterer Asylverfahren.

2

Sie reisten im Juli 2012 in das Bundesgebiet ein und beantragten ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Aufgrund von Eurodac-Treffern stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) fest, dass die Kläger zuvor bereits in Ungarn Asyl beantragt hatten, und richtete ein Wiederaufnahmeersuchen an Ungarn. Mit Antwortschreiben vom 30. Juli 2012 bestätigten die ungarischen Behörden, dass der Kläger zu 1 zusammen mit seiner Familie im April 2012 dort Asyl beantragt habe. Wegen des Verschwindens der Familie sei das Asylverfahren beendet worden. Es werde zugestimmt, die Kläger wieder aufzunehmen, um über ihre Asylanträge zu entscheiden.

3

Nachdem eine Überstellung der Kläger nach Ungarn nicht erfolgt war, stellte das Bundesamt Ende Januar 2013 fest, dass wegen des Ablaufs der Überstellungsfrist im nationalen Verfahren zu entscheiden sei.

4

Mit Bescheiden vom 13. und 17. Juni 2014 lehnte das Bundesamt hinsichtlich aller Kläger die Durchführung von weiteren Asylverfahren ab (Nr. 1), stellte aber jeweils fest, dass das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt (Nr. 2). Zur Begründung führte es aus, es handele sich bei dem Asylantrag nach der erfolglosen Durchführung eines Asylverfahrens in Ungarn jeweils um einen Zweitantrag. Ein weiteres Asylverfahren sei nicht durchzuführen, da Wiederaufgreifensgründe im Sinne von § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorlägen. Die humanitären Bedingungen in Afghanistan führten jedoch zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG.

5

Mit ihrer zunächst erhobenen Verpflichtungsklage begehrten die Kläger die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutzes. Sie hätten glaubhaft geschildert, dass der Klägerin zu 3 in Afghanistan die Zwangsverheiratung drohe. Von einem Zweitantrag sei nicht auszugehen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nahmen die Kläger ihre Verpflichtungsanträge auf richterlichen Hinweis zurück und beantragten nur noch, jeweils die Nr. 1 der Bescheide vom 13. und 17. Juni 2014 aufzuheben.

6

Das Verwaltungsgericht gab dieser Klage statt. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Anfechtungsklage sei die statthafte Klageart, wenn - wie vorliegend - Streit darüber bestehe, ob ein Anwendungsfall des § 71a AsylG gegeben sei. Im Unterschied zum Folgeverfahren nach § 71 AsylG seien hier zwei Mitgliedstaaten beteiligt und müsse deshalb zunächst die Verfahrenssituation ermittelt, also festgestellt werden, ob überhaupt eine "Zweitantragssituation" vorliege. Insoweit sei den Klägern das Recht einzuräumen, zunächst isoliert die sie beschwerende Wertung als Zweitantrag zu beseitigen und damit den Weg freizumachen für ein vom Bundesamt durchzuführendes Asylverfahren.

7

Die Klage sei auch begründet. Die Ablehnung der Anträge auf Durchführung von weiteren Asylverfahren sei rechtswidrig und verletze die Kläger in ihren Rechten. Ein "erfolgloser Abschluss" (§ 71a AsylG) des in Ungarn eingeleiteten Asylverfahrens liege nicht vor, weil das Erstverfahren in Ungarn noch nicht endgültig beendet sei. Ungarn habe sich damit einverstanden erklärt, die Kläger wieder aufzunehmen, um über deren Asylbegehren zu entscheiden. Dies entspreche den Auskünften des Auswärtigen Amtes zum ungarischen Asylverfahrensrecht. Danach sei ein endgültiger Verfahrensabschluss mit der Folge, dass ein neuerliches Asylbegehren als Folgeantrag gewertet werde, nur anzunehmen, wenn ein vorheriges Asylverfahren in der Sache unanfechtbar negativ abgeschlossen oder das Asylverfahren nach ausdrücklicher schriftlicher Rücknahme des Asylbegehrens unanfechtbar eingestellt worden sei. Sei ein Asylverfahren hingegen ohne Entscheidung in der Sache eingestellt worden, könne der Antragsteller seine im Erstverfahren dargelegten Fluchtgründe erneut vorbringen. Ausgehend davon liege auch in Deutschland keine "Zweitantragssituation" vor, sondern müsse über das Asylbegehren erstmals entschieden werden. Denn die Dublin II-VO enthalte keine Regelung, nach der der Zuständigkeitsübergang auch zu einem formellen oder materiellen Rechtsverlust führen könnte.

8

Die Beklagte macht mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe den Anwendungsbereich von § 71a AsylG fehlerhaft zu eng bestimmt. Im Unterschied zu der das Folgeantragsverfahren betreffenden Regelung des § 71 AsylG beziehe sich § 71a AsylG nicht nur auf die in jener Vorschrift angeführten Konstellationen der Rücknahme oder unanfechtbaren Ablehnung eines früheren Asylantrags, sondern richte sich mit der Formulierung vom "erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens" auf einen potentiell weitergehenden Kreis von Fallgestaltungen. Ein erfolgloser Abschluss eines Asylverfahrens liege immer auch dann vor, wenn ein in dem Mitgliedstaat vorausgegangenes behördliches Asylverfahren ohne inhaltliche Prüfung einen formellen Abschluss gefunden habe. Dabei sei unerheblich, ob und unter welchen Voraussetzungen im sicheren Drittstaat die Möglichkeit einer Wiedereröffnung oder einer anderweitigen Fortführung bzw. Prüfung der bis zum Verfahrensabschluss bestehenden Schutzgründe bestehe. Nicht zuletzt die aktuelle Entscheidung des EuGH vom 17. März 2016 (Rs. C-695/15) belege, dass Unionsrecht gerade nicht fordere, auf die zur Wiederaufnahme bzw. Verfahrensfortführung im sicheren Drittstaat bestehende Rechtslage abzustellen. Die Asylverfahrensrichtlinie a.F. stelle es den Mitgliedstaaten frei, ob sie die Wiedereröffnung eines eingestellten Verfahrens ermöglichten. Dieser dem innerstaatlichen Normgeber unionsrechtlich eröffnete Gestaltungsspielraum würde erheblich beeinträchtigt, wenn dem Berufungsgericht zu folgen wäre. Sei die Prüfung des Asylantrags in Deutschland durchzuführen, müssten auch die hier geltenden Gesetze Anwendung finden.

9

Die Kläger verteidigen die angegriffene Entscheidung.

10

Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich am Verfahren nicht beteiligt.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das Urteil des Berufungsgerichts verletzt kein revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Das Berufungsgericht geht zu Recht davon aus, dass die Ablehnung der Durchführung weiterer Asylverfahren in Ziffer 1 der Bescheide des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 13. und 17. Juni 2014 rechtswidrig ist und die Kläger in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

12

Die von den Klägern erhobene Anfechtungsklage ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (1.). Sie ist auch begründet, denn die Voraussetzungen, unter denen die Durchführung eines Asylverfahrens gemäß § 71a Abs. 1 AsylG wegen vorheriger erfolgloser Durchführung eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat abgelehnt werden kann, liegen nicht vor (2.). Die Entscheidung kann nicht auf anderer Rechtsgrundlage aufrechterhalten bleiben (3.) und verletzt die Kläger in ihren Rechten (4.).

13

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens ist das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert mit Wirkung vom 10. November 2016 durch das Fünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung vom 4. November 2016 (BGBl. I S. 2460). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Revisionsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es seiner Entscheidung, wenn es jetzt entschiede, die während des Revisionsverfahrens in Kraft getretenen Änderungen des Asylgesetzes zugrunde legen, soweit nicht hiervon eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist.

14

1. Zu Recht haben die Vorinstanzen die nach Rücknahme der Verpflichtungsanträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nur noch anhängige Anfechtungsklage in der vorliegenden prozessualen Konstellation als statthaft angesehen.

15

Die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylG bzw. - hier - § 71a AsylG stellt sich nach Inkrafttreten des Integrationsgesetzes der Sache nach als Entscheidung über die Unzulässigkeit eines Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG dar. Mit dem Integrationsgesetz hat der Gesetzgeber zur besseren Übersichtlichkeit und Vereinfachung der Rechtsanwendung in § 29 Abs. 1 AsylG die möglichen Gründe für die Unzulässigkeit eines Asylantrags in einem Katalog zusammengefasst (BT-Drs. 18/8615 S. 51). Hierzu zählt gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG nunmehr auch der - materiellrechtlich unverändert geregelte - Fall, dass im Falle eines Folgeantrags nach § 71 AsylG oder eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.

16

Jedenfalls seit Inkrafttreten dieser Neuregelung ist die Entscheidung, kein weiteres Asylverfahren durchzuführen, mit der Anfechtungsklage anzugreifen. Eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG stellt, ebenso wie die hier noch ergangene - gleichbedeutende - Ablehnung der Durchführung eines weiteres Asylverfahrens, einen der Bestandskraft fähigen, anfechtbaren Verwaltungsakt dar (vgl. zur bisherigen Rechtslage Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, Stand Dezember 2016, § 71a Rn. 39). Sie verschlechtert die Rechtsstellung der Kläger, weil damit ohne inhaltliche Prüfung festgestellt wird, dass ihr Asylvorbringen nicht zur Schutzgewährung führt und darüber hinaus auch im Falle eines weiteren Asylantrags abgeschnitten wird, weil ein Folgeantrag, um den es sich gemäß § 71a Abs. 5 i.V.m. § 71 AsylG handeln würde, nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG zu einem weiteren Asylverfahren führen kann. Ferner erlischt mit der nach § 71a Abs. 4 i.V.m. §§ 34, 36 Abs. 1 und 3 AsylG regelmäßig zu erlassenden, sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung auch die Aufenthaltsgestattung (§ 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG). Der Asylsuchende muss die Aufhebung des Bescheids, mit dem die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens abgelehnt wird, erreichen, wenn er eine Entscheidung über seinen Asylantrag erhalten will (siehe auch BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 - 9 C 264.94 - Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12 = juris Rn. 12).

17

Die Anfechtungsklage ist nicht wegen des Vorrangs einer Verpflichtungsklage im Hinblick darauf unzulässig, dass für das von den Klägern endgültig verfolgte Ziel der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft die Verpflichtungsklage die richtige Klageart ist. Soweit in der bisherigen Rechtsprechung zum Folgeantrag eine Verpflichtung der Gerichte zum "Durchentscheiden" angenommen und dementsprechend die Verpflichtungsklage als allein zulässige Klageart betrachtet worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 - BVerwGE 106, 171 <172 ff.>), hält der Senat daran mit Blick auf die Weiterentwicklung des Asylverfahrensrechts nicht mehr fest.

18

Anknüpfend an die stärkere Betonung des behördlichen Asylverfahrens, der hierfür in der für die EU-Mitgliedstaaten verbindlichen Verfahrensrichtlinie enthaltenen, speziellen Verfahrensgarantien sowie der dort vorgesehenen eigenen Kategorie unzulässiger Asylanträge (vgl. Art. 25 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft - Asylverfahrensrichtlinie a.F. - bzw. Art. 33 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes - Asylverfahrensrichtlinie n.F. -) hat der Gesetzgeber mit der zusammenfassenden Regelung verschiedener Unzulässigkeitstatbestände in § 29 Abs. 1 AsylG das Verfahren strukturiert und dem Bundesamt nicht nur eine Entscheidungsform eröffnet, sondern eine mehrstufige Prüfung vorgegeben. Erweist sich ein Asylantrag schon als unzulässig, ist eine eigenständig geregelte Unzulässigkeitsentscheidung zu treffen. Zugleich hat das Bundesamt über das Bestehen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zu entscheiden (§ 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG). Diese Prüfungsstufe ist bei Anträgen, die das Bundesamt als Zweitantrag einstuft, auf die Fragen beschränkt, ob es sich tatsächlich um einen derartigen Antrag handelt und ob ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, also die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 AsylG vorliegen (§ 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a Abs. 1 AsylG). Die weitere in § 71a Abs. 1 AsylG genannte Voraussetzung, dass die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, muss an dieser Stelle bereits feststehen. Andernfalls wäre eine - vorrangige - Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG zu treffen. Denn die Dublin-Verordnungen regeln abschließend die Zuständigkeit zur Prüfung eines in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags. Erst wenn ein Mitgliedstaat danach zuständig ist, kann er einen Asylantrag - wie hier - aus den Gründen des § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig ablehnen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. November 2015 - 1 C 4.15 - BVerwGE 153, 234 Rn. 20).

19

Diese klare Gliederung der Prüfung von Anträgen, für die die Bundesrepublik Deutschland zuständig ist, in eine Entscheidung, ob ein Zweitantrag nach § 71a AsylG vorliegt und ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist (Zulässigkeitsprüfung) und die weitere Entscheidung, ob die materiellrechtlichen Anerkennungsvoraussetzungen gegeben sind (Sachprüfung), hat auch in eigenständigen Verfahrensvorgaben für die erste Prüfungsstufe Ausdruck gefunden. In § 71a Abs. 2 AsylG wird das "Verfahren zur Feststellung, ob ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist", besonders geregelt (vgl. zum Verfahren der Zulässigkeitsprüfung allgemein auch § 29 Abs. 2 bis 4 AsylG). Es liegt nahe, damit auch spezialgesetzliche, prozessuale Konsequenzen zu verbinden und den Streitgegenstand einer Klage nach einer derartigen Unzulässigkeitsentscheidung auf die vom Bundesamt bis dahin nur geprüfte Zulässigkeit des Asylantrags beschränkt zu sehen (siehe auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 13. März 1993 - 2 BvR 1988/92 - InfAuslR 1993, 229 = juris Rn. 23; BVerwG, Urteil vom 23. Juni 1987 - 9 C 251.86 - BVerwGE 77, 323 ff., jeweils zur partiell vergleichbaren Rechtslage nach dem AsylVfG 1982). Dafür spricht schließlich auch § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG, wonach das Bundesamt bei einer stattgebenden gerichtlichen Entscheidung das Asylverfahren fortzuführen hat. Diese Regelung gilt zwar unmittelbar nur für den Fall eines erfolgreichen Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen Unzulässigkeitsentscheidungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG, dessen in § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG geregelte, besondere Rechtsfolgen nicht verallgemeinerungsfähig sind. Letzteres gilt jedoch nicht für den in § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken. Dieser ist auf den Fall der Aufhebung einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG übertragbar und lässt darauf schließen, dass die verweigerte sachliche Prüfung vorrangig von der mit besonderem Sachverstand ausgestatteten Fachbehörde nachzuholen ist (ähnlich bereits BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 - 9 C 264.94 - Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12 = juris Rn. 13 und 17). Ausgehend davon kommt auch ein eingeschränkter, auf die Durchführung eines (gegebenenfalls weiteren) Asylverfahrens gerichteter Verpflichtungsantrag nicht in Betracht, weil das Bundesamt hierzu nach Aufhebung der Entscheidung über die Unzulässigkeit automatisch verpflichtet ist.

20

Die von der jüngeren Asylgesetzgebung verfolgten Beschleunigungsziele, auf die der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat, führen zu keiner abweichenden Beurteilung. Sie rechtfertigen es bei der derzeitigen Ausgestaltung des nationalen Asylverfahrensrechts und der unionsrechtlichen Vorgaben nicht, bei Folge- und (vermeintlichen) Zweitanträgen, welche entgegen der Einschätzung des Bundesamts zur Durchführung eines (weiteren) Asylverfahrens führen müssen, den nach dem Asylgesetz auf die Unzulässigkeitsentscheidung begrenzten Streitgegenstand auf die sachliche Verpflichtung zur Schutzgewähr zu erweitern und dann unter Rückgriff auf das allgemeine Verwaltungsprozessrecht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) die erstmalige Sachentscheidung in das verwaltungsgerichtliche Verfahren zu verlagern. Für bestimmte Fallgestaltungen stehen dem Bundesamt im Übrigen selbst Beschleunigungsmöglichkeiten zur Verfügung, die eine eventuelle Verlängerung der Gesamtverfahrensdauer bis zu einer abschließenden Entscheidung über die Berechtigung zu internationalem Schutz zumindest abmildern können. Hierzu zählt die Option, offensichtlich unbegründete Anträge nach § 30 AsylG abzulehnen und eine Abschiebungsandrohung mit verkürzter Ausreisefrist zu erlassen, sowie bei Folgeanträgen nunmehr auch die Möglichkeit, das Asylverfahren beschleunigt durchzuführen (§ 30a Abs. 1 Nr. 4 AsylG). Nicht zu entscheiden ist, ob und unter welchen Voraussetzungen das Bundesamt in Fällen des § 29 Abs. 1 AsylG neben einer Unzulässigkeitsentscheidung vorsorglich und in dem gehörigen Verfahren im Interesse einer Beschleunigung auch ausdrücklich (hilfsweise) eine Sachentscheidung treffen kann. Dass nach § 31 Abs. 3 AsylG in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge festzustellen ist, "ob die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen", und sich das Bundesamt zumindest insoweit sachlich mit einem Schutzbegehren zu befassen hat, ersetzt diese Prüfung nicht, weil sie nicht bezogen ist auf die - dem nationalen Abschiebungsschutz vorrangige Frage der - Anerkennung als Asylberechtigter bzw. Gewährung internationalen Schutzes (§ 1 Abs. 1 AsylG) und einen anderen Streitgegenstand betrifft. Dieser Streitgegenstand kann - in Fällen, in denen das Bundesamt die Unzulässigkeitsentscheidung mit der Feststellung verbunden hat, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht vorliegen - durch den Schutzsuchenden zusätzlich zu der gegen die Unzulässigkeitsentscheidung gerichteten Anfechtungsklage hilfsweise mit der Verpflichtungsklage zur verwaltungsgerichtlichen Prüfung gestellt werden.

21

Vor der Aufhebung einer rechtswidrigen Unzulässigkeitsentscheidung hat das Gericht zu prüfen, ob die Entscheidung auf der Grundlage eines anderen, auf gleicher Stufe stehenden Unzulässigkeitstatbestandes aufrechterhalten bleiben kann. Wird die Unzulässigkeitsentscheidung auf die Anfechtungsklage hin aufgehoben, ist auch eine gegebenenfalls ergangene Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen, nebst Abschiebungsandrohung aufzuheben. Denn beide Entscheidungen sind dann jedenfalls verfrüht ergangen (vgl. entsprechend BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 - 9 C 264.94 - Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12 = juris Rn. 19).

22

2. Das Berufungsgericht hat ohne Verletzung von Bundesrecht angenommen, dass die Voraussetzungen, unter denen die Durchführung eines Asylverfahrens gemäß § 71a Abs. 1 AsylG wegen vorheriger erfolgloser Durchführung eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat abgelehnt werden kann, nicht vorliegen.

23

Rechtsgrundlage für die angefochtene Entscheidung ist § 29 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 71a Abs. 1 AsylG. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist ein Asylantrag unter anderem dann unzulässig, wenn im Falle eines Zweitantrags nach § 71a ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.

24

Ein Zweitantrag liegt nach § 71a Abs. 1 AsylG vor, wenn der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag stellt. Er hat zur Folge, dass ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen ist, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt.

25

Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber die in § 71 AsylG vorgesehene besondere Behandlung von Folgeanträgen auf den Fall erstreckt, dass dem Asylantrag des Antragstellers ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in einem anderen EU-Mitgliedstaat oder Vertragsstaat vorausgegangen ist.

26

Der Senat kann offenlassen, ob gegen die mitgliedstaatsübergreifende Anwendung des unionsrechtlich ermöglichten Folgeantragskonzepts (vgl. Art. 32 bis 34 Asylverfahrensrichtlinie a.F. bzw. Art. 40 bis 42 Asylverfahrensrichtlinie n.F.) grundsätzliche unionsrechtliche Bedenken bestehen (vgl. Marx, AsylG, 9. Aufl. 2016, § 71a Rn. 3 ff.). Keiner Entscheidung bedarf auch die Frage, ob die Aufnahme der Folge- und Zweitanträge, bei denen keine Gründe für ein Wiederaufgreifen vorliegen, in den Katalog der Unzulässigkeitstatbestände des § 29 Abs. 1 AsylG bereits mit der Asylverfahrensrichtlinie a.F. - ihre Anwendbarkeit unterstellt - vereinbar war und ob und in welcher Weise Art. 25 Abs. 2 Buchst. f i.V.m. Art. 2 Buchst. d dieser Richtlinie die Auslegung der Tatbestandsvoraussetzung "nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens" zusätzlich begrenzt.

27

Die Voraussetzungen für die Nichtdurchführung eines (weiteren) Asylverfahrens nach § 71a Abs. 1 AsylG liegen hier schon deshalb nicht vor, weil die Asylanträge der Kläger keine Zweitanträge im Sinne dieser Vorschrift sind. Ihren Anträgen ist kein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) vorausgegangen.

28

Zwar ist Ungarn als Mitgliedstaat der Europäischen Union ein sicherer Drittstaat im Sinne von § 71a Abs. 1 AsylG, für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten: Im vorliegenden Fall richtet sich die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50 S. 1) - Dublin II-VO, weil Asylantrag und Wiederaufnahmegesuch vor dem maßgeblichen Stichtag (1. Januar 2014) gestellt worden sind (vgl. die Übergangsregelung in Art. 49 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags auf internationalen Schutz - Dublin III-VO).

29

Es fehlt indes an einem "erfolglosen Abschluss" der von den Klägern in Ungarn eingeleiteten Asylverfahren. Ein erfolgloser Abschluss des in einem anderen Mitgliedstaat betriebenen Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden ist. Eine Einstellung ist nicht in diesem Sinne endgültig, wenn das (Erst-)Verfahren noch wiedereröffnet werden kann (a). Ob eine solche Wiedereröffnung bzw. Wiederaufnahme möglich ist, ist nach der Rechtslage des Staates zu beurteilen, in dem das Asylverfahren durchgeführt worden ist (b). Nach diesen Maßstäben ist das von den Klägern in Ungarn betriebene und dort eingestellte Asylverfahren vorliegend nicht erfolglos abgeschlossen (c).

30

a) Dem Wortlaut nach umfasst die Tatbestandsvoraussetzung "nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens" jede Art des formellen Abschlusses eines Asylverfahrens ohne Zuerkennung eines Schutzstatus. Für die nähere Konkretisierung der möglichen Varianten und der Anforderungen an den Verfahrensabschluss kann auf die Parallelregelung zum Folgeantrag in § 71 Abs. 1 AsylG zurückgegriffen werden, wonach es sich um eine Rücknahme oder eine unanfechtbare Ablehnung des Antrags handeln kann. Entgegen der Auffassung der Beklagten spricht nichts dafür, dass der Gesetzgeber mit der abweichenden Formulierung in § 71a Abs. 1 AsylG inhaltlich weitere Tatbestände hätte erfassen wollen. Denn der Sinn und Zweck des § 71a AsylG ist darauf beschränkt, den Zweitantrag dem Folgeantrag und damit die asylrechtliche Entscheidung des Drittstaats einer asylrechtlichen Entscheidung der Bundesrepublik Deutschland gleichzustellen (BT-Drs. 12/4450 S. 27; siehe auch Hailbronner, in: Ausländerrecht, Ordner 4, Stand November 2016, § 71a AsylVfG Rn. 14 f.).

31

Der Begriff der Rücknahme in § 71 Abs. 1 AsylG erfasst nach der bis zum 16. März 2016 geltenden Rechtslage uneingeschränkt auch die Fälle, in denen der Asylantrag nach § 33 Abs. 1 AsylG wegen Nichtbetreibens des Verfahrens als zurückgenommen gilt. Dies macht nicht zuletzt § 32 Abs. 2 AsylG deutlich. Anders stellt sich dies nach der am 17. März 2016 in Kraft getretenen grundlegenden Neufassung des § 33 AsylG durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 390) dar: Nach § 33 Abs. 5 Satz 2 bis 6 AsylG kann nunmehr ein Ausländer, dessen Verfahren wegen Nichtbetreibens eingestellt worden ist, einmalig die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen. Ein neuer Asylantrag gilt als derartiger Wiederaufnahmeantrag und ist als Erstantrag zu behandeln, sofern seit der Einstellung des Asylverfahrens noch keine neun Monate vergangen sind und das Asylverfahren noch nicht nach dieser Vorschrift wieder aufgenommen worden war. Infolge dieser - erkennbar vorrangigen - Spezialregelung ist der Begriff der Rücknahme in § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG nunmehr bereits nach nationalem Recht dahin einschränkend auszulegen, dass er die Fälle der fiktiven Rücknahme nach § 33 Abs. 1 und 3 AsylG nur noch unter den Voraussetzungen des § 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG umfasst, wenn also die Einstellung des Asylverfahrens zum Zeitpunkt der Antragstellung mindestens neun Monate zurückliegt oder das Asylverfahren bereits einmal wieder aufgenommen worden war.

32

Steht die bestehende Wiederaufnahmemöglichkeit somit nach den eindeutigen gesetzlichen Vorgaben (Umkehrschluss aus § 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG) der Behandlung als Folgeantrag entgegen, muss dies - wegen der bezweckten Gleichstellung - auch für den Zweitantrag gelten. Hinzu kommt ein systematisches Argument innerhalb des § 71a AsylG: Liegt ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren im Sinne des § 71a AsylG im Falle der Antragsablehnung erst vor, wenn diese Ablehnung unanfechtbar ist (vgl. dazu OLG Köln, Beschluss vom 20. Juli 2007 - 16 Wx 150/07 - juris Rn. 7; Hailbronner, Ausländerrecht, Ordner 4, Stand November 2016, § 71a AsylVfG Rn. 15), ist ein erfolgloser Abschluss auch im Falle der Verfahrenseinstellung nach (ausdrücklicher oder stillschweigender/fingierter) Rücknahme nur anzunehmen, wenn das konkrete Asyl(erst)verfahren endgültig - d.h. ohne die Möglichkeit einer Wiederaufnahme auf Antrag des Asylbewerbers - beendet ist (zum unionsrechtlichen Begriff der "rechtskräftigen" bzw. "bestandskräftigen" Entscheidung s. Art. 2 Buchst. d Asylverfahrensrichtlinie a.F. bzw. Art. 2 Buchst. e Asylverfahrensrichtlinie n.F.). Denn es ist kein Grund ersichtlich, warum die beiden Varianten des erfolglosen Abschlusses eines Asylverfahrens, die jeweils dieselbe Rechtsfolge bewirken, insoweit unterschiedlichen Anforderungen unterliegen sollten.

33

b) Der Verwaltungsgerichtshof ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Frage, ob ein in einem anderen Mitgliedstaat zuvor betriebenes Asylverfahren dort durch bestandskräftige Ablehnung oder endgültige Einstellung beendet worden ist, insgesamt nach dem betreffenden ausländischen Asylverfahrensrecht richtet. § 71a Abs. 1 AsylG knüpft an einen abgeschlossenen, im Ausland geschehenen Vorgang an, der insgesamt dem ausländischen Recht unterfällt. Der enge Zusammenhang des Verwaltungsakts und seiner Bestandskraft gebietet, die Frage, ob eine ausländische Verwaltungsentscheidung noch anfechtbar bzw. revidierbar ist, nach ausländischem und nicht deutschem Recht zu beantworten. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten lässt zwar Raum dafür, die Rechts- und Bestandskraft einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung als Tatbestandsvoraussetzung für die innerstaatliche Rechtsanwendung heranzuziehen; sie erlaubt aber keine Erstreckung des nationalen Verfahrensrechts auf die Beurteilung dieser Vorfrage.

34

Die hier noch anwendbare Dublin II-VO beschränkt sich auf die Regelung der internationalen Zuständigkeit; ihr lässt sich indes keine Grundlage für eine Handhabung entnehmen, nach der der Zuständigkeitsübergang auf einen anderen Mitgliedstaat mit einer Verschlechterung der verfahrensrechtlichen Rechtsstellung verbunden wäre. Sie berechtigt insbesondere nicht dazu, an einen Zuständigkeitsübergang nach Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO einen Verlust des Rechts auf eine unbeschränkte, nicht nach Folgeantragsgrundsätzen erfolgende Antragsprüfung zu knüpfen, wenn dieses Recht im zuvor zuständigen Staat nach dem dort geltenden Asylverfahrensrecht noch bestand (vgl. auch VGH Mannheim, Urteil vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 - NVwZ 2015, 1155 = juris Rn. 36).

35

Dem steht der Hinweis der Beklagten, bei Zuständigkeit Deutschlands für die Prüfung eines Asylantrags müsse diese Prüfung auch nach deutschen Gesetzen erfolgen, nicht entgegen. Er trifft zwar insoweit zu, als nicht jede rechtliche Schlechterstellung durch einen Zuständigkeitsübergang ausgeschlossen ist. So darf ein durch Ablauf der Überstellungsfrist zuständig gewordener Staat einen Asylantrag nach Art. 3 Abs. 3 Dublin III-VO (vergleichbar: Art. 3 Abs. 3 Dublin II-VO) auch dann ablehnen, wenn der ursprünglich zuständige Staat vom Drittstaatskonzept keinen Gebrauch macht (vgl. EuGH, Urteil vom 17. März 2016 - C-695/15 [ECLI:EU:C:2016:188], PPU - NVwZ 2016, 753). Von dieser Fallkonstellation unterscheidet sich die hier relevante Regelung zum Zweitantrag aber dadurch, dass der deutsche Gesetzgeber darin den Prüfungsumfang vom Abschluss eines in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführten Verwaltungsverfahrens abhängig macht. Damit knüpft die gesetzliche Regelung selbst an einen nach der ausländischen Rechtsordnung zu beurteilenden Tatbestand an.

36

Zu keinem anderen Ergebnis führt die weitere Aussage des EuGH in der vorgenannten Entscheidung, Art. 18 Abs. 2 Dublin III-VO verpflichte die zuständigen Behörden des zuständigen Mitgliedstaats bei Wiederaufnahme eines Asylbewerbers nicht, das Verfahren zur Prüfung seines Antrags in dem Stadium wiederaufzunehmen, in dem es von diesen Behörden eingestellt worden war. In diesem Zusammenhang weist der EuGH auch auf Art. 28 Abs. 2 letzter Unterabsatz Asylverfahrensrichtlinie n.F. hin, wonach die Mitgliedstaaten der Asylbehörde die Wiederaufnahme der Prüfung in dem Verfahrensabschnitt, in dem sie eingestellt wurde, gestatten können, aber nicht müssen (vgl. EuGH, Urteil vom 17. März 2016 - C-695/12 - Rn. 67; ebenso Art. 20 Abs. 2 Unterabs. 4 Asylverfahrensrichtlinie a.F.). Daraus kann etwa folgen, dass eine bereits erfolgte Anhörung nicht zwingend wiederholt werden muss. Ungeachtet der unterschiedlichen Verfahrenskonstellation rechtfertigen diese Bemerkungen aber nicht den Schluss, dass ein Verlust des Rechts auf eine unbeschränkte Antragsprüfung durch bloßen Zuständigkeitsübergang mit dem Unionsrecht vereinbar wäre. Die Begriffe "Verfahrensabschnitt" bzw. "Stadium" beziehen sich nach dem Verständnis des EuGH zweifelsfrei nicht auf die Frage, ob es sich um ein Erst- oder ein Folgeverfahren handelt. Denn der EuGH betont ausdrücklich, dass die Prüfung des Antrags den für Erstanträge vorgesehenen Anforderungen entsprechen muss.

37

Nach den vorstehenden Ausführungen kann auch der Einwand der Beklagten nicht durchgreifen, bei Anwendung ungarischen Rechts werde der dem innerstaatlichen Normgeber zustehende Gestaltungsspielraum beeinträchtigt, den die Asylverfahrensrichtlinie a.F. den Mitgliedstaaten im vorliegenden Kontext einräume. Es trifft zwar zu, dass Art. 20 Abs. 2 Asylverfahrensrichtlinie a.F. - anders als Art. 28 Abs. 2 Asylverfahrensrichtlinie n.F. - den Mitgliedstaaten noch nicht bindend vorgibt, eine Wiedereröffnung von Asylverfahren vorzusehen, die wegen stillschweigender Antragsrücknahme oder Nichtbetreiben des Verfahrens eingestellt worden sind, sondern wahlweise auch die Behandlung eines hiernach gestellten Antrags als Folgeantrag akzeptiert. Dieses Wahlrecht steht allerdings bei der hier in Rede stehenden mitgliedstaatsübergreifenden Anwendung des Folgeantragskonzepts - deren Vereinbarkeit mit Unionsrecht unterstellt - dem Staat zu, in dem das Verfahren durchgeführt worden ist, hier mithin Ungarn. Aus der Verwendung des Plurals in Art. 20 Abs. 2 Asylverfahrensrichtlinie a.F. ("Die Mitgliedstaaten stellen sicher ...") kann nichts anderes geschlossen werden. Wenn in dieser Regelung von einem Asylbewerber die Rede ist, "der sich nach Einstellung der Antragsprüfung gemäß Absatz 1 des vorliegenden Artikels wieder bei der zuständigen Behörde meldet, so beschreibt dies einen Vorgang innerhalb ein und desselben Mitgliedstaates und keine länderübergreifende Situation.

38

c) Nach diesen Maßstäben ist die Entscheidung des Berufungsgerichts, das von den Klägern in Ungarn eingeleitete Asylverfahren als nicht erfolglos abgeschlossen im Sinne von § 71a AsylG anzusehen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die Kläger im Falle einer Rückkehr nach Ungarn das dort eingeleitete Asylverfahren ohne inhaltliche Beschränkung ihres Vortrags wie ein Erstverfahren weiterbetreiben können. Nach Auskünften des Auswärtigen Amtes vom 12. März 2015 (an das VG Freiburg) und vom 19. November 2014 (an das VG Düsseldorf) zur Ausgestaltung des ungarischen Asylverfahrens werde in Fällen, in denen ein vorheriges Asylverfahren ohne Entscheidung in der Sache eingestellt worden sei ("discontinuation"), ein erneutes Asylbegehren behandelt wie ein Erstverfahren, insbesondere könne der Antragsteller seine im Erstverfahren dargelegten Fluchtgründe erneut vorbringen. Dies werde bestätigt durch die Zustimmungserklärung der ungarischen Behörden, die sich damit einverstanden erklärt hätten, die Kläger wieder aufzunehmen und über das Asylbegehren zu entscheiden. Im Ergebnis würde somit das Verfahren fortgeführt bzw. wiederaufgenommen, wenn die Kläger nach Ungarn zurückkehren würden.

39

An diese nicht mit durchgreifenden Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts zum Inhalt des ungarischen Rechts ist der Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, weil sie nach § 173 VwGO i.V.m. § 293 ZPO zur Tatsachenfeststellung zählen (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 20. April 2004 - 1 C 13.03 - BVerwGE 120, 298 <302 f.>).

40

Keiner Entscheidung bedarf, auf welchen Zeitpunkt bei der Beurteilung der Frage abzustellen ist, ob ein in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführtes Asylverfahren im Sinne von § 71a Abs. 1 AsylG erfolglos abgeschlossen ist. Insoweit kommen in erster Linie der Zeitpunkt der Asylantragstellung in Deutschland oder der Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs in Betracht. Diese Frage kann hier dahinstehen, da die Kläger auch zu dem späteren Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs noch die Möglichkeit hatten, die Asylverfahren in Ungarn weiter zu betreiben. Denn aus den Feststellungen des Berufungsgerichts zum ungarischen Asylverfahrensrecht ergibt sich nicht, dass das Recht, ein wegen Fortzugs eingestelltes Asylverfahren wieder aufzunehmen, nur befristet bestanden hätte (zur Möglichkeit einer Befristung auf mindestens neun Monate vgl. nunmehr Art. 28 Abs. 2 Unterabs. 2 Asylverfahrensrichtlinie n.F.). Hierfür liegen bezogen auf den hier relevanten Zeitraum bis Ende Januar 2013 auch keine Anhaltspunkte vor.

41

3. Die Entscheidung kann nicht auf anderer Rechtsgrundlage aufrechterhalten bleiben. Der insoweit allein in Betracht kommende Unzulässigkeitstatbestand des § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG greift schon deshalb nicht ein, weil Deutschland für die Durchführung der hier in Rede stehenden Asylverfahren aufgrund des Ablaufs der Überstellungsfrist nach Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO zuständig ist. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein Staat, der bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als für den Ausländer sicherer Drittstaat gemäß § 26a AsylG betrachtet wird. Gemäß § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylG schließt die Einreise aus einem sicheren Drittstaat die Berufung auf Art. 16a Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes jedoch nicht aus, wenn die Bundesrepublik Deutschland - wie hier - aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dies gilt nicht nur bei einer originären Zuständigkeit Deutschlands, sondern auch bei einem nachträglichen Zuständigkeitswechsel.

42

Diese Regelung nimmt § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG mit in Bezug: Mit der Aufnahme des § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG in den Katalog der Unzulässigkeitsgründe sollte die zuvor bestehende Möglichkeit, einen Asylantrag nach § 26a AsylG abzulehnen, inhaltlich nicht verändert werden. In § 31 Abs. 4 AsylG ist weiterhin von einer Ablehnung "nach § 26a" - jetzt - als unzulässig die Rede. Im Gesetzgebungsverfahren hat die Bundesregierung zudem betont, durch den expliziten Verweis im künftigen § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG auf § 26a AsylG komme zum Ausdruck, dass die dort geregelten Anforderungen auch weiterhin - im Rahmen der Entscheidung über die Zulässigkeit des Asylantrags - zu beachten sind. Wie im geltenden Recht setze der künftige § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG daher voraus, dass der Drittstaat die - unverändert gebliebenen - Voraussetzungen des § 26a AsylG erfülle und durch Aufnahme in Anlage I des Asylgesetzes als sicherer Drittstaat eingestuft worden sei (BT-Drs. 18/8883 S. 10). Ob § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG mit Unionsrecht vereinbar ist, bedarf hier mithin keiner Entscheidung.

43

4. Die Ablehnung der Durchführung von (weiteren) Asylverfahren verletzt die Kläger auch in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Ihr aus dem Unionsrecht folgender Anspruch auf Prüfung ihres Schutzbegehrens durch einen Mitgliedstaat der EU ist verletzt, wenn das Bundesamt - wie hier - als auch nach eigener Auffassung international zuständige Behörde es rechtswidrig ablehnt, ein Asylverfahren durchzuführen.

44

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG sind nicht gegeben.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn

1.
ein anderer Staat
a)
nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 oder
b)
auf Grund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages
für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist,
2.
ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 gewährt hat,
3.
ein Staat, der bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als für den Ausländer sicherer Drittstaat gemäß § 26a betrachtet wird,
4.
ein Staat, der kein Mitgliedstaat der Europäischen Union und bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als sonstiger Drittstaat gemäß § 27 betrachtet wird oder
5.
im Falle eines Folgeantrags nach § 71 oder eines Zweitantrags nach § 71a ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.

(2) Das Bundesamt hört den Ausländer zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe b bis Nummer 4 persönlich an, bevor es über die Zulässigkeit eines Asylantrags entscheidet. Zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 5 gibt es dem Ausländer Gelegenheit zur Stellungnahme nach § 71 Absatz 3.

(3) Erscheint der Ausländer nicht zur Anhörung über die Zulässigkeit, entscheidet das Bundesamt nach Aktenlage. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das in Satz 1 genannte Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte. Führt der Ausländer diesen Nachweis, ist das Verfahren fortzuführen.

(4) Die Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags kann gemäß § 24 Absatz 1a dafür geschulten Bediensteten anderer Behörden übertragen werden.

(1) Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt. Das Gleiche gilt für den Asylantrag eines Kindes, wenn der Vertreter nach § 14a Abs. 3 auf die Durchführung eines Asylverfahrens verzichtet hatte.

(2) Der Ausländer hat den Folgeantrag persönlich bei der Außenstelle des Bundesamtes zu stellen, die der Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist, in der er während des früheren Asylverfahrens zu wohnen verpflichtet war. Wenn der Ausländer das Bundesgebiet zwischenzeitlich verlassen hatte, gelten die §§ 47 bis 67 entsprechend. In den Fällen des § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder wenn der Ausländer nachweislich am persönlichen Erscheinen gehindert ist, ist der Folgeantrag schriftlich zu stellen. Der Folgeantrag ist schriftlich bei der Zentrale des Bundesamtes zu stellen, wenn

1.
die Außenstelle, die nach Satz 1 zuständig wäre, nicht mehr besteht,
2.
der Ausländer während des früheren Asylverfahrens nicht verpflichtet war, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen.
§ 19 Abs. 1 findet keine Anwendung.

(3) In dem Folgeantrag hat der Ausländer seine Anschrift sowie die Tatsachen und Beweismittel anzugeben, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes ergibt. Auf Verlangen hat der Ausländer diese Angaben schriftlich zu machen. Von einer Anhörung kann abgesehen werden. § 10 gilt entsprechend.

(4) Liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vor, sind die §§ 34, 35 und 36 entsprechend anzuwenden; im Falle der Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) ist § 34a entsprechend anzuwenden.

(5) Stellt der Ausländer, nachdem eine nach Stellung des früheren Asylantrags ergangene Abschiebungsandrohung oder -anordnung vollziehbar geworden ist, einen Folgeantrag, der nicht zur Durchführung eines weiteren Verfahrens führt, so bedarf es zum Vollzug der Abschiebung keiner erneuten Fristsetzung und Abschiebungsandrohung oder -anordnung. Die Abschiebung darf erst nach einer Mitteilung des Bundesamtes, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vorliegen, vollzogen werden, es sei denn, der Ausländer soll in den sicheren Drittstaat abgeschoben werden.

(6) Absatz 5 gilt auch, wenn der Ausländer zwischenzeitlich das Bundesgebiet verlassen hatte. Im Falle einer unerlaubten Einreise aus einem sicheren Drittstaat (§ 26a) kann der Ausländer nach § 57 Abs. 1 und 2 des Aufenthaltsgesetzes dorthin zurückgeschoben werden, ohne dass es der vorherigen Mitteilung des Bundesamtes bedarf.

(7) War der Aufenthalt des Ausländers während des früheren Asylverfahrens räumlich beschränkt, gilt die letzte räumliche Beschränkung fort, solange keine andere Entscheidung ergeht. Die §§ 59a und 59b gelten entsprechend. In den Fällen der Absätze 5 und 6 ist für ausländerrechtliche Maßnahmen auch die Ausländerbehörde zuständig, in deren Bezirk sich der Ausländer aufhält.

(8) Ein Folgeantrag steht der Anordnung von Abschiebungshaft nicht entgegen, es sei denn, es wird ein weiteres Asylverfahren durchgeführt.

(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn

1.
sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;
2.
neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden;
3.
Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind.

(2) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.

(3) Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.

(4) Über den Antrag entscheidet die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der Verwaltungsakt, dessen Aufhebung oder Änderung begehrt wird, von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(5) Die Vorschriften des § 48 Abs. 1 Satz 1 und des § 49 Abs. 1 bleiben unberührt.

(1) Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt. Das Gleiche gilt für den Asylantrag eines Kindes, wenn der Vertreter nach § 14a Abs. 3 auf die Durchführung eines Asylverfahrens verzichtet hatte.

(2) Der Ausländer hat den Folgeantrag persönlich bei der Außenstelle des Bundesamtes zu stellen, die der Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist, in der er während des früheren Asylverfahrens zu wohnen verpflichtet war. Wenn der Ausländer das Bundesgebiet zwischenzeitlich verlassen hatte, gelten die §§ 47 bis 67 entsprechend. In den Fällen des § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder wenn der Ausländer nachweislich am persönlichen Erscheinen gehindert ist, ist der Folgeantrag schriftlich zu stellen. Der Folgeantrag ist schriftlich bei der Zentrale des Bundesamtes zu stellen, wenn

1.
die Außenstelle, die nach Satz 1 zuständig wäre, nicht mehr besteht,
2.
der Ausländer während des früheren Asylverfahrens nicht verpflichtet war, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen.
§ 19 Abs. 1 findet keine Anwendung.

(3) In dem Folgeantrag hat der Ausländer seine Anschrift sowie die Tatsachen und Beweismittel anzugeben, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes ergibt. Auf Verlangen hat der Ausländer diese Angaben schriftlich zu machen. Von einer Anhörung kann abgesehen werden. § 10 gilt entsprechend.

(4) Liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vor, sind die §§ 34, 35 und 36 entsprechend anzuwenden; im Falle der Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) ist § 34a entsprechend anzuwenden.

(5) Stellt der Ausländer, nachdem eine nach Stellung des früheren Asylantrags ergangene Abschiebungsandrohung oder -anordnung vollziehbar geworden ist, einen Folgeantrag, der nicht zur Durchführung eines weiteren Verfahrens führt, so bedarf es zum Vollzug der Abschiebung keiner erneuten Fristsetzung und Abschiebungsandrohung oder -anordnung. Die Abschiebung darf erst nach einer Mitteilung des Bundesamtes, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vorliegen, vollzogen werden, es sei denn, der Ausländer soll in den sicheren Drittstaat abgeschoben werden.

(6) Absatz 5 gilt auch, wenn der Ausländer zwischenzeitlich das Bundesgebiet verlassen hatte. Im Falle einer unerlaubten Einreise aus einem sicheren Drittstaat (§ 26a) kann der Ausländer nach § 57 Abs. 1 und 2 des Aufenthaltsgesetzes dorthin zurückgeschoben werden, ohne dass es der vorherigen Mitteilung des Bundesamtes bedarf.

(7) War der Aufenthalt des Ausländers während des früheren Asylverfahrens räumlich beschränkt, gilt die letzte räumliche Beschränkung fort, solange keine andere Entscheidung ergeht. Die §§ 59a und 59b gelten entsprechend. In den Fällen der Absätze 5 und 6 ist für ausländerrechtliche Maßnahmen auch die Ausländerbehörde zuständig, in deren Bezirk sich der Ausländer aufhält.

(8) Ein Folgeantrag steht der Anordnung von Abschiebungshaft nicht entgegen, es sei denn, es wird ein weiteres Asylverfahren durchgeführt.

(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn

1.
sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;
2.
neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden;
3.
Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind.

(2) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.

(3) Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.

(4) Über den Antrag entscheidet die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der Verwaltungsakt, dessen Aufhebung oder Änderung begehrt wird, von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(5) Die Vorschriften des § 48 Abs. 1 Satz 1 und des § 49 Abs. 1 bleiben unberührt.

(1) Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt. Das Gleiche gilt für den Asylantrag eines Kindes, wenn der Vertreter nach § 14a Abs. 3 auf die Durchführung eines Asylverfahrens verzichtet hatte.

(2) Der Ausländer hat den Folgeantrag persönlich bei der Außenstelle des Bundesamtes zu stellen, die der Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist, in der er während des früheren Asylverfahrens zu wohnen verpflichtet war. Wenn der Ausländer das Bundesgebiet zwischenzeitlich verlassen hatte, gelten die §§ 47 bis 67 entsprechend. In den Fällen des § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder wenn der Ausländer nachweislich am persönlichen Erscheinen gehindert ist, ist der Folgeantrag schriftlich zu stellen. Der Folgeantrag ist schriftlich bei der Zentrale des Bundesamtes zu stellen, wenn

1.
die Außenstelle, die nach Satz 1 zuständig wäre, nicht mehr besteht,
2.
der Ausländer während des früheren Asylverfahrens nicht verpflichtet war, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen.
§ 19 Abs. 1 findet keine Anwendung.

(3) In dem Folgeantrag hat der Ausländer seine Anschrift sowie die Tatsachen und Beweismittel anzugeben, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes ergibt. Auf Verlangen hat der Ausländer diese Angaben schriftlich zu machen. Von einer Anhörung kann abgesehen werden. § 10 gilt entsprechend.

(4) Liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vor, sind die §§ 34, 35 und 36 entsprechend anzuwenden; im Falle der Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) ist § 34a entsprechend anzuwenden.

(5) Stellt der Ausländer, nachdem eine nach Stellung des früheren Asylantrags ergangene Abschiebungsandrohung oder -anordnung vollziehbar geworden ist, einen Folgeantrag, der nicht zur Durchführung eines weiteren Verfahrens führt, so bedarf es zum Vollzug der Abschiebung keiner erneuten Fristsetzung und Abschiebungsandrohung oder -anordnung. Die Abschiebung darf erst nach einer Mitteilung des Bundesamtes, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vorliegen, vollzogen werden, es sei denn, der Ausländer soll in den sicheren Drittstaat abgeschoben werden.

(6) Absatz 5 gilt auch, wenn der Ausländer zwischenzeitlich das Bundesgebiet verlassen hatte. Im Falle einer unerlaubten Einreise aus einem sicheren Drittstaat (§ 26a) kann der Ausländer nach § 57 Abs. 1 und 2 des Aufenthaltsgesetzes dorthin zurückgeschoben werden, ohne dass es der vorherigen Mitteilung des Bundesamtes bedarf.

(7) War der Aufenthalt des Ausländers während des früheren Asylverfahrens räumlich beschränkt, gilt die letzte räumliche Beschränkung fort, solange keine andere Entscheidung ergeht. Die §§ 59a und 59b gelten entsprechend. In den Fällen der Absätze 5 und 6 ist für ausländerrechtliche Maßnahmen auch die Ausländerbehörde zuständig, in deren Bezirk sich der Ausländer aufhält.

(8) Ein Folgeantrag steht der Anordnung von Abschiebungshaft nicht entgegen, es sei denn, es wird ein weiteres Asylverfahren durchgeführt.

(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn

1.
sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;
2.
neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden;
3.
Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind.

(2) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.

(3) Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.

(4) Über den Antrag entscheidet die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der Verwaltungsakt, dessen Aufhebung oder Änderung begehrt wird, von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(5) Die Vorschriften des § 48 Abs. 1 Satz 1 und des § 49 Abs. 1 bleiben unberührt.

(1) Die Entscheidung des Bundesamtes ergeht schriftlich. Sie ist schriftlich zu begründen. Entscheidungen, die der Anfechtung unterliegen, sind den Beteiligten unverzüglich zuzustellen. Wurde kein Bevollmächtigter für das Verfahren bestellt, ist eine Übersetzung der Entscheidungsformel und der Rechtsbehelfsbelehrung in einer Sprache beizufügen, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann. Das Bundesamt informiert mit der Entscheidung über die Rechte und Pflichten, die sich aus ihr ergeben.

(2) In Entscheidungen über zulässige Asylanträge und nach § 30 Absatz 5 ist ausdrücklich festzustellen, ob dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz zuerkannt wird und ob er als Asylberechtigter anerkannt wird. In den Fällen des § 13 Absatz 2 Satz 2 ist nur über den beschränkten Antrag zu entscheiden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 und in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge ist festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen. Davon kann abgesehen werden, wenn der Ausländer als Asylberechtigter anerkannt wird oder ihm internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 zuerkannt wird. Von der Feststellung nach Satz 1 kann auch abgesehen werden, wenn das Bundesamt in einem früheren Verfahren über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes entschieden hat und die Voraussetzungen des § 51 Absatz 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vorliegen.

(4) Wird der Asylantrag nur nach § 26a als unzulässig abgelehnt, bleibt § 26 Absatz 5 in den Fällen des § 26 Absatz 1 bis 4 unberührt.

(5) Wird ein Ausländer nach § 26 Absatz 1 bis 3 als Asylberechtigter anerkannt oder wird ihm nach § 26 Absatz 5 internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 zuerkannt, soll von der Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen werden.

(6) Wird der Asylantrag nach § 29 Absatz 1 Nummer 1 als unzulässig abgelehnt, wird dem Ausländer in der Entscheidung mitgeteilt, welcher andere Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.

(7) In der Entscheidung des Bundesamtes ist die AZR-Nummer nach § 3 Absatz 1 Nummer 2 des Gesetzes über das Ausländerzentralregister zu nennen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Gründe

I

1

Der Kläger, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte im März 2011 einen Asylantrag wegen Wehrdienstentziehung. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 19. Dezember 2012 mangels Glaubwürdigkeit der Angaben zu seinem Vorfluchtschicksal ab. Während des Klageverfahrens ist der Kläger zum Christentum übergetreten und hat sich im Mai 2013 taufen lassen.

2

Das Verwaltungsgericht hat seiner auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichteten Klage stattgegeben. Den Entscheidungsgründen ist zu entnehmen, dass sich das Gericht zwar nicht von der Ernsthaftigkeit der Konversion habe überzeugen können. Dennoch sei der Kläger als Flüchtling anzuerkennen, denn die Taufe gehöre als Aufnahmeakt zum seelsorgerischen Kernbereich einer Religionsgemeinschaft. Deshalb sei das Gericht gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV an die Beurteilung der die Taufe vollziehenden Pfarrerin gebunden, der Glaubensübertritt sei vom Kläger ernsthaft gewollt.

3

Auf die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, ein flüchtlingsrechtlich relevanter, hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit des unverfolgt aus dem Iran ausgereisten Klägers setze u.a. voraus, dass für den Betroffenen die Befolgung bestimmter gefahrenträchtiger religiöser Praktiken in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig sei. Das Gericht habe jedoch auch in Ansehung der Taufe des Klägers nicht mit der notwendigen Überzeugungsgewissheit feststellen können, dass die von ihm geltend gemachte Hinwendung zur christlichen Religion auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel beruhe. Der christliche Glaube präge die religiöse Identität des Klägers nicht in einer Weise, dass dieser die christliche Betätigung für sich selbst als verpflichtend empfinde, um seine Identität zu wahren. Bei dieser Beurteilung binde der Umstand, dass der Betroffene durch den Amtsträger einer christlichen Kirche getauft worden sei, die staatlichen Stellen nicht. Es sei vielmehr die ureigene Aufgabe staatlicher Verwaltungsgerichte, zu einer eigenen Einschätzung hinsichtlich der Ernsthaftigkeit des Glaubensübertritts zu gelangen. Aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 und 3 WRV ergebe sich nichts anderes. Denn es bleibe der Kirchengemeinde unbenommen, den Kläger weiterhin als ihr Mitglied anzusehen. Die Beantwortung der davon zu unterscheidenden Frage, ob die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche eine religiöse Verfolgung nach sich ziehe und deshalb die Flüchtlingsanerkennung begründe, sei allein Aufgabe der staatlichen Gerichte.

4

Hiergegen wendet sich die Beschwerde des Klägers, mit der dieser die Zulassung der Revision erstrebt.

II

5

Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und eines Verfahrensmangels des Berufungsurteils (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

6

1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschluss vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110).

7

Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,

"ob das staatliche Gericht uneingeschränkt befugt ist, im Rahmen eines Asylverfahrens entgegen einer Taufe in den christlichen Glauben und entgegen einer pfarramtlichen Bescheinigung der Pfarrerin seiner Kirchengemeinde davon auszugehen, dass ein Asylbewerber keine religiöse Identität in dem Sinne habe, dass ihm der Verzicht auf eine öffentlich wahrnehmbare Betätigung seines christlichen Glaubens zumutbar ist."

8

Dazu führt sie im Kern aus, die Feststellung der Ernsthaftigkeit des Übertritts zum Christentum sowie der religiösen Identität eines Asylbewerbers sei eine innerkirchliche Angelegenheit, die gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV staatlicher Überprüfung entzogen sei. Die Taufe gehöre zum Kernbereich kirchlichen Handelns, den der Staat nicht infrage stellen dürfe. Auch der Kläger werde in seiner grundrechtlich geschützten Glaubensfreiheit verletzt, wenn der Staat sich die Entscheidungskompetenz darüber anmaße, ob er "wahrer" Christ sei oder nicht. Mit diesem und dem weiteren Vorbringen zeigt die Beschwerde keine klärungsbedürftigen Fragen des revisiblen Rechts auf, die die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 oder 3 VwGO rechtfertigen.

9

Es bedarf keiner Durchführung eines Revisionsverfahrens, um zu klären, dass staatliche Behörden und Verwaltungsgerichte bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 und 4 AsylVfG nicht an die Beurteilung des zuständigen Amtsträgers einer christlichen Kirche gebunden sind, der Taufe des betroffenen Asylbewerbers liege eine ernsthafte und nachhaltige Glaubensentscheidung zugrunde. Dies folgt insbesondere aus der dem Berufungsurteil vom Verwaltungsgerichtshof zugrunde gelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 im Anschluss an EuGH, Urteil vom 5. September 2012 - C-71/11 und C-99/11 [ECLI:EU:C:2012:518] - NVwZ 2012, 1612). Das Vorbringen der Beschwerde zeigt keinen neuerlichen oder weitergehenden Klärungsbedarf auf.

10

Art. 4 Abs. 1 und 2 GG als einheitliches Grundrecht sowie Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV garantieren den Religionsgesellschaften die Freiheit, ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes zu ordnen und zu verwalten (zum Verhältnis der Bestimmungen zueinander im Sinne einer Schrankenspezialität: BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 - EuGRZ 2014, 698 Rn. 82 ff.). Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht umfasst alle Maßnahmen, die der Sicherstellung der religiösen Dimension des Wirkens im Sinne kirchlichen Selbstverständnisses und der Wahrung der unmittelbaren Beziehung der Tätigkeit zum kirchlichen Grundauftrag dienen (BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 - EuGRZ 2014, 698 Rn. 95 m.w.N.). Zu den "eigenen Angelegenheiten" in diesem Sinne zählen insbesondere die Rechte und Pflichten der Mitglieder der jeweiligen Religionsgemeinschaft, insbesondere Bestimmungen, die den Ein- und Austritt, die mitgliedschaftliche Stellung sowie den Ausschluss von Glaubensangehörigen regeln (BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2014 - 2 BvR 278/11 - EuGRZ 2015, 250 Rn. 37 m.w.N.). Die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft beurteilt sich mit Wirkung für den weltlichen Bereich (etwa als Voraussetzung für die Kirchensteuerpflicht) grundsätzlich nach den Regeln der jeweiligen Religionsgemeinschaft (BVerfG, Beschluss vom 31. März 1971 - 1 BvR 744/67 - BVerfGE 30, 415 <422> - auch zu der Grenze des für alle geltenden Gesetzes). Demzufolge obliegen die Interpretation und die Beurteilung der kirchenrechtlichen Voraussetzungen für eine Taufe sowie deren Wirksamkeit mit der Folge, dass der Betroffene Mitglied in der Gemeinde einer Religionsgemeinschaft wie der evangelisch-lutherischen Landeskirche ist, den innerkirchlich zuständigen Amtsträgern (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. November 2013 - 6 C 21.12 - BVerwGE 148, 271 Rn. 46 ff. - auch zur Abgrenzung gegenüber staatlichen Gerichten verbleibenden Prüfungspunkten).

11

Es liegt auf der Hand, dass - von Missbrauchsfällen abgesehen - die von einer Religionsgemeinschaft bestätigte Mitgliedschaft als solche von den Verwaltungsgerichten bei der Untersuchung, ob dem Asylbewerber in seinem Heimatland eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit als flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht, nicht infrage gestellt werden darf. Die durch Taufe bewirkte Mitgliedschaft in einer christlichen Religionsgemeinschaft ist aber nur dann allein entscheidungserheblich, wenn eine Verfolgung in einem Land ausschließlich an der Kirchenzugehörigkeit anknüpft. Ist dies jedoch - wie nach der tatrichterlichen Würdigung der Verfolgungslage im Iran durch das Berufungsgericht - nicht der Fall, haben das Bundesamt bzw. die Verwaltungsgerichte auf der Rechtstatsache der Kirchenmitgliedschaft aufbauend bei der Beurteilung der Schwere einer drohenden Verletzung der Religionsfreiheit des Betroffenen zu prüfen, ob die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis für ihn zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Da bereits der unter dem Druck drohender Verfolgung erzwungene Verzicht auf eine Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG erreichen kann, ist für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund drohender religiöser Verfolgung in diesem Fall maßgeblich, wie der Einzelne seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis ein zentrales Element seiner religiösen Identität bildet und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 28 ff. im Anschluss an EuGH, Urteil vom 5. September 2012 - C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612). Dass diese Fragestellung in Teilbereichen zugleich auch als kirchenrechtliche Voraussetzung für die Taufe bedeutsam ist und von dem innerkirchlich zuständigen Amtsträger bejaht worden ist, macht sie - wie das Berufungsgericht zutreffend herausgestellt hat - mit Blick auf die hier zu prüfende, staatlichen Stellen obliegende Flüchtlingsanerkennung nicht zu einer "eigenen Angelegenheit" der Religionsgemeinschaft im Sinne des Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV i.V.m. Art. 140 GG. Diese Grundsätze gelten unabhängig davon, ob die jeweilige Religionsgemeinschaft als Körperschaft des Öffentlichen Rechts konstituiert ist oder nicht.

12

Es bedarf auch keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass staatliche Stellen mit der eigenständigen Würdigung im Rahmen der Prüfung des § 3 Abs. 1 AsylVfG, ob eine bestimmte Glaubenspraxis für den Antragsteller nach seinem Glaubensverständnis ein zentrales Element seiner religiösen Identität bildet und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist, nicht die sich aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sowie Art. 140 i.V.m. Art. 136 Abs. 1 und 4, Art. 137 Abs. 1 WRV ergebende Pflicht des Staates zur weltanschaulichen Neutralität verletzen. Denn eine verfassungsrechtlich unzulässige Bewertung des Glaubens oder der Lehre einer Kirche ist damit nicht verbunden. Bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung wegen geltend gemachter religiöser Verfolgung setzen sich staatliche Stellen weder mit Inhalten von Glaubenssätzen auseinander noch bewerten sie diese oder formulieren gar eigene Standpunkte in Glaubensdingen (zur Reichweite des Neutralitätsgebots: BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 - EuGRZ 2014, 698 Rn. 88 ff. m.w.N.; vgl. auch EGMR, Urteil vom 15. Januar 2013 - Nr. 48420/10 u.a. - NJW 2014, 1935 Rn. 81 und Urteil vom 8. April 2014 - Nr. 70945/11 u.a. - NVwZ 2015, 499 Rn. 76). Sie entscheiden auch nicht über die Legitimität religiöser Glaubensüberzeugungen, sondern gehen lediglich der Stellung des einzelnen Antragstellers zu seinem Glauben nach, nämlich der Intensität selbst empfundener Verbindlichkeit von Glaubensgeboten für die Identität der Person. Darin liegt keine Verletzung der Pflicht des Staates zu weltanschaulicher Neutralität.

13

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist auch geklärt, dass die Verwaltungsgerichte sich bei der Prüfung der inneren Tatsache, ob der Kläger die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung seiner religiösen Identität empfindet, nicht auf eine Plausibilitätsprüfung hinreichend substantiierter Darlegung beschränken dürfen, sondern insoweit das Regelbeweismaß der vollen Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) zugrunde zu legen haben (BVerwG, Urteil vom Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 30). Ein erneuter oder weitergehender Klärungsbedarf ergibt sich nicht daraus, dass die Anlegung des Regelbeweismaßes nach Auffassung der Beschwerde die Religionsfreiheit des Betroffenen und zugleich das kirchliche Selbstbestimmungsrecht verletzt. Denn eine Zurücknahme des tatrichterlichen Beweismaßes sowie der gerichtlichen Kontrolldichte ist nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung nur bei der Bestimmung der Reichweite des Schutzbereichs des Art. 4 GG angezeigt. Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als korporative oder individuelle Ausübung von Religion und Weltanschauung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG anzusehen ist, muss der zentralen Bedeutung des Begriffs der "Religionsausübung" durch eine extensive Auslegung Rechnung getragen werden; insoweit darf das Selbstverständnis der jeweils betroffenen Religionsgemeinschaften und des einzelnen Grundrechtsträgers nicht außer Betracht bleiben. Die Formulierung ihres Selbstverständnisses und Auftrags - des kirchlichen Proprium - obliegt allein den Kirchen und ist als elementarer Bestandteil der korporativen Religionsfreiheit durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verfassungsrechtlich geschützt (BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 - EuGRZ 2014, 698 Rn. 101, 114). Auch auf der individuellen Ebene dürfen staatliche Organe nur prüfen, ob hinreichend substantiiert dargelegt ist, dass sich ein von dem Betroffenen als religiös geboten reklamiertes Verhalten tatsächlich nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung in plausibler Weise dem Schutzbereich des Art. 4 GG zuordnen lässt, also tatsächlich eine als religiös anzusehende Motivation hat (BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2015 - 1 BvR 471/10 u.a. - EuGRZ 2015, 181 Rn. 86 m.w.N.). Die gebotene Berücksichtigung des kirchlichen und individuellen Selbstverständnisses des Grundrechtsträgers bei der Bestimmung, wie weit der Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG im konkreten Einzelfall reicht, ist jedoch nicht auf die der Schutzbereichsbestimmung vorgelagerte tatrichterliche Würdigung zu übertragen, ob und inwieweit eine Person eine bestimmte religiöse Betätigung ihres Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung ihrer religiösen Identität empfindet.

14

Der Senat hat auch klargestellt, dass die religiöse Identität als innere Tatsache sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen lässt (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 31). Entgegen der Auffassung der Beschwerde wird die Glaubensfreiheit eines Asylbewerbers, der sich auf eine ihm drohende Verfolgung wegen seiner Religion beruft, nicht dadurch verletzt, dass es ihm im Rahmen der asylverfahrensrechtlichen Mitwirkungspflichten (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG) und des prozessrechtlichen Untersuchungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) obliegt, staatlichen Stellen über sein religiöses Selbstverständnis Auskunft zu geben. Es unterliegt der freien Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO und ist insoweit keiner weiteren grundsätzlichen Klärung zugänglich, auf welche Weise der Tatrichter versucht, sich die erforderliche Überzeugungsgewissheit vom Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsache der Wahrung der religiösen Identität des Asylbewerbers zu verschaffen. Nicht weiter klärungsbedürftig ist in diesem Zusammenhang insbesondere, dass es - wovon das Berufungsgericht ausgegangen ist (UA S. 16) - die Glaubensfreiheit nicht verletzt und die Beweisanforderungen nicht überspannt, von einem Erwachsenen im Regelfall zu erwarten, dass dieser schlüssige und nachvollziehbare Angaben zu den inneren Beweggründen für die Konversion machen kann und im Rahmen seiner Persönlichkeit und intellektuellen Disposition mit den Grundzügen seiner neuen Religion vertraut ist.

15

2. Die Beschwerde rügt des Weiteren, dem Berufungsgericht fehle die notwendige Sachkunde zur Beurteilung der religiösen Identität des Klägers. Dem Verwaltungsgerichtshof hätte sich eine Begutachtung des Klägers in psychologischer und religiöser Hinsicht aufdrängen müssen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 86 Abs. 1 VwGO). Die Aufklärungs- und damit verbundene Gehörsrüge verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg.

16

Zum einen hat der Kläger ausweislich der Sitzungsniederschrift in der Berufungsverhandlung keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung gemäß § 86 Abs. 1 VwGO grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer sich nicht aufdrängenden Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter nicht ausdrücklich beantragt hat (BVerwG, Beschluss vom 2. November 1978 - 3 B 6.78 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 116). Aus welchen Gründen sich dem Verwaltungsgerichtshof eine weitere Aufklärung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen, legt die Beschwerde nicht dar. Zum anderen ist bei der Prüfung, ob dem Berufungsgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, von dessen materiellrechtlicher Rechtsauffassung auszugehen, auch wenn diese - wofür hier nichts ersichtlich ist - verfehlt sein sollte (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289 Rn. 17 m.w.N.; stRspr). Es ist weder von der Beschwerde dargelegt noch sonst ersichtlich, aus welchen Gründen das Berufungsgericht - nachdem nicht etwa Glaubensinhalte einer fremden Religion aufzuklären waren - nicht über die ausreichende Sachkunde zur Beurteilung der religiösen Überzeugung und Identität des Klägers verfügen sollte. Für die Ermittlung und Würdigung des (Nicht-)Vorliegens dieser inneren Tatsache bedarf es in aller Regel keines nur Experten vorbehaltenen Wissens. Letztlich wendet sich die Beschwerde im Wege der Aufklärungs- und Gehörsrüge gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts; damit vermag sie indessen nicht durchzudringen.

17

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

18

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

Tenor

Das Verfahren wird ausgesetzt.

Es wird gemäß Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu folgenden Fragen eingeholt:

1) Ist Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG dahin auszulegen, dass nicht jeder Eingriff in die Religionsfreiheit, der gegen Art. 9 EMRK verstößt, eine Verfolgungshandlung im Sinne der erstgenannten Vorschrift darstellt, sondern liegt eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit als grundlegendes Menschenrecht nur dann vor, wenn ihr Kernbereich betroffen ist?

2) Für den Fall, dass Frage 1 zu bejahen ist:

a) Ist der Kernbereich der Religionsfreiheit auf das Glaubensbekenntnis und auf Glaubensbetätigungen im häuslichen und nachbarschaftlichen Bereich beschränkt oder kann eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG auch darin liegen, dass im Herkunftsland die Glaubensausübung in der Öffentlichkeit zu einer Gefahr für Leib, Leben oder physische Freiheit führt und der Antragsteller deshalb auf sie verzichtet?

b) Falls der Kernbereich der Religionsfreiheit auch bestimmte Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit umfassen kann:

Genügt es in diesem Fall für eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit, dass der Antragsteller diese Betätigung seines Glaubens für sich selbst als unverzichtbar empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren,

oder ist außerdem erforderlich, dass die Religionsgemeinschaft, der der Antragsteller angehört, diese religiöse Betätigung als zentralen Bestandteil ihrer Glaubenslehre ansieht,

oder können sich aus sonstigen Umständen, etwa den allgemeinen Verhältnissen im Herkunftsland, weitere Einschränkungen ergeben?

3) Für den Fall, dass Frage 1 zu bejahen ist:

Liegt eine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG dann vor, wenn feststeht, dass der Antragsteller bestimmte - außerhalb des Kernbereichs liegende - religiöse Betätigungen nach Rückkehr in das Herkunftsland vornehmen wird, obwohl sie zu einer Gefahr für Leib, Leben oder physische Freiheit führen werden, oder ist es dem Antragsteller zuzumuten, auf solche künftigen Betätigungen zu verzichten?

Gründe

I.

1

Der Kläger, ein pakistanischer Staatsangehöriger, begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie hilfsweise die Feststellung eines Abschiebungsverbots in Bezug auf Pakistan.

2

Der 1977 in Pakistan geborene Kläger reiste im August 2003 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl. Zur Begründung gab er an, er habe Pakistan verlassen, weil er der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehöre und deshalb misshandelt und inhaftiert worden sei.

3

Mit Bescheid vom 8. Juli 2004 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - (Bundesamt) den Antrag auf Gewährung von Asyl nach Art. 16a des Grundgesetzes ab (Ziff. 1) und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (Flüchtlingsschutz) nicht vorliegen (Ziff. 2). Zugleich stellte es fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen (Ziff. 3), und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Pakistan an (Ziff. 4).

4

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 13. Juli 2007 die Klage als unbegründet abgewiesen. Der Kläger habe Pakistan nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung verlassen. Die Lage der Ahmadis in Pakistan rechtfertige noch nicht die Annahme einer Verfolgung aus religiösen Gründen.

5

Auf die hiergegen gerichtete Berufung hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 13. November 2008 das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Beklagte zu der Feststellung verpflichtet, dass in der Person des Klägers die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (Abschiebungsverbot als Flüchtling) in Bezug auf Pakistan vorliegen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe zwar nicht glaubhaft gemacht, dass er in Pakistan schon vor seiner Ausreise von individueller Verfolgung bedroht gewesen sei. Er sei jetzt aber jedenfalls als aktiver Ahmadi in Pakistan einer ihn kollektiv treffenden Verfolgungsgefahr im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt. Ihm sei nämlich eine Fortführung seiner öffentlichkeitswirksamen religiösen Betätigung bei einer Rückkehr nach Pakistan nicht ohne konkrete Gefahr für Leib und Leben möglich.

6

Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts wurde die Ahmadiyya- Gemeinschaft 1889 im heutigen indischen Bundesstaat Punjab gegründet. Sie verstehe sich als innerislamische Erneuerungsbewegung, während aus Sicht der orthodoxen Muslime die Ahmadis Apostaten seien, die ihr Leben verwirkt hätten. In Pakistan leben etwa ein bis zwei Millionen Ahmadis, davon allerdings allenfalls 500 000 bis 600 000 bekennende Mitglieder. Der ganz überwiegende Teil der pakistanischen Bevölkerung seien sunnitische und schiitische Moslems. Der Islam sei in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt worden. Die Ahmadis seien nach der Verfassung als Nicht-Muslime anzusehen und würden als religiöse Minderheit eingestuft. Nach dem pakistanischen Strafgesetzbuch würden Angehörige der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe betraft, wenn sie den Anspruch erheben würden, Muslime zu sein, ihren Glauben als Islam bezeichnen, ihn predigen oder propagieren oder andere auffordern würden, ihren Glauben anzunehmen (Sec. 298 C des Strafgesetzbuches). Nach Sec. 295 C des Strafgesetzbuches könne zudem mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft werden, wer den Namen des Propheten Mohammed verunglimpfe. Seit Einführung dieser spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung sollen etwa 2 000 Strafverfahren gegen Ahmadis eingeleitet worden sein. In den Pässen würden die Ahmadis - entgegen ihrem religiösen Selbstverständnis - als "non-muslim" geführt.

7

Den Ahmadis sei es untersagt, öffentliche Versammlungen sowie religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf denen öffentlich gebetet werde. Hingegen werde es ihnen nicht generell unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln. Allerdings werde die gemeinsame Ausübung des Glaubens immer wieder dadurch behindert, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen würden oder deren Errichtung verhindert werde und Gebetshäuser oder Versammlungsstätten von Extremisten überfallen würden. Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen sei den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel, andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und werde regelmäßig strafrechtlich verfolgt. Ahmadis seien seit Jahren in besonders auffälligem Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen würden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewährten.

8

Die so beschriebene Situation stellt nach der Würdigung des Oberverwaltungsgerichts für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen Ahmadi in Pakistan, zu dessen Überzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben, eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit dar. Angesichts der angedrohten erheblichen Strafen sowie der zahlreichen ungehinderten Übergriffe extremistischer Gruppen lege es für einen Ahmadi der gesunde Menschenverstand nahe, alle öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigungen zu unterlassen oder äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche Verbreiten des eigenen Glaubens. Aufgrund der informatorischen Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung und der von ihm eingereichten Unterlagen ist das Oberverwaltungsgericht davon überzeugt, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden sei und ihn in Pakistan aktiv in führender Position gelebt habe. Auch in Deutschland übe er seinen Glauben weiterhin aus.

9

Mit der vom Bundesverwaltungsgericht zugelassenen Revision rügen die Beklagte und der Bundesbeauftragte, dass das Oberverwaltungsgericht den Schutzbereich der Religionsfreiheit nach Art. 9 und Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG zu weit gezogen habe. Sie verweisen auf die in Deutschland vor Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG herrschende Rechtsprechung, wonach eine asylerhebliche Verfolgung nur bei Eingriffen in den Kernbereich der religiösen Überzeugung angenommen worden sei, nicht aber auch bei Beschränkungen der öffentlichen Ausübung des Glaubens. Die Beschränkungen für Ahmadis in Pakistan, die die Praktizierung ihres Glaubens in der Öffentlichkeit betreffen, stellten keinen Eingriff in den Kernbereich der Religionsfreiheit dar. Im Übrigen ergebe sich aus den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts zu der Frage, wie der Kläger seinen Glauben in Deutschland praktiziere, nichts dafür, dass für ihn Handlungsweisen unverzichtbar wären, die über den Kernbereich der religiösen Betätigung hinausgehen.

II.

10

Der Rechtsstreit ist auszusetzen. Es ist eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) zu den im Beschlusstenor formulierten Fragen einzuholen (Art. 267 AEUV). Die Fragen betreffen die Auslegung des Art. 2 Buchst. c und des Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; ber. ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24). Da es um die Auslegung von Unionsrecht geht, ist der Gerichtshof zuständig. Es wird darauf hingewiesen, dass die Fragen Gegenstand eines weiteren - gleichlautenden - Vorabentscheidungsersuchens sind (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 21.09).

11

1. Für die rechtliche Beurteilung des Verpflichtungsbegehrens auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht am 13. November 2008 abzustellen. Danach bilden folgende nationale Vorschriften, die - soweit hier einschlägig - auch derzeit noch unverändert gelten, den rechtlichen Rahmen dieses Rechtsstreits:

12

§ 3 Abs. 1 und Abs. 4 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) vom 27. Juli 1993 (BGBl I S. 1361) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798):

§ 3 Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes ausgesetzt ist.

(2) und (3) ...

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes.

13

§ 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162):

§ 60 Verbot der Abschiebung

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt wurden. Eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch dann vorliegen, wenn die Bedrohung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit oder der Freiheit allein an das Geschlecht anknüpft. Eine Verfolgung im Sinne des Satzes 1 kann ausgehen von

a)

dem Staat,

b)

Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder

c)

nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den Buchstaben a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht,

es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative. Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, sind Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 S. 12) ergänzend anzuwenden. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylverfahrensgesetzes angefochten werden.

14

2. Die Vorlagefragen sind entscheidungserheblich und bedürfen einer Klärung durch den Gerichtshof.

15

Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 und 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG. Danach ist einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, Bedrohungen seines Lebens und seiner Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG ergänzend anzuwenden. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Die Gewährung von Flüchtlingsschutz setzt daher eine Verfolgungshandlung voraus, die - anknüpfend an die in Art. 10 der Richtlinie genannten Verfolgungsgründe (Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie) - ein Menschenrecht in schwerwiegender Weise verletzt.

16

Da eine Vorverfolgung des Klägers im Sinne des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG nicht festgestellt worden ist, kommt es darauf an, ob ihm in seinem Herkunftsstaat künftig mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (real risk) Verfolgung droht. Dabei geht es um die Frage, unter welchen Voraussetzungen an den Verfolgungsgrund der Religion anknüpfende Handlungen als so schwerwiegend anzusehen sind, dass sie die Qualität einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG besitzen. Die Frage stellt sich entscheidungserheblich zum einen dann, wenn ein Ausländer unter dem Druck der ihm drohenden Gefahr für Leib, Leben oder physische Freiheit von einer religiösen Betätigung absieht (im Folgenden: Fragen 1 und 2). Sie stellt sich aber auch dann, wenn feststeht, dass ein Ausländer seine Religion im Heimatland trotz der ihm drohenden Sanktionen praktizieren wird und ihm dadurch Gefahr für Leib, Leben oder physische Freiheit droht (im Folgenden: Frage 3). Das Oberverwaltungsgericht geht davon aus, dass der Kläger sowohl im Fall des Verzichts wie im Fall der Ausübung der Religion von einer flüchtlingsrechtlich erheblichen Verfolgung betroffen ist, ohne sich festzulegen, wie der Kläger sich tatsächlich verhalten würde. Es kommt also entscheidungserheblich auf beide Handlungsalternativen an.

17

Im Einzelnen stellen sich in diesem Zusammenhang die folgenden Vorlagefragen 1 bis 3. Sie bedürfen einer Klärung durch den Gerichtshof der Europäischen Union, da er zur Entscheidung auslegungsbedürftiger Fragen betreffend die hier maßgebliche Richtlinie 2004/83/EG berufen ist.

18

1. Vorlagefrage:

19

Geht es im vorliegenden Fall um die Frage, welche konkreten Eingriffe in die Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 EMRK zu einer Anerkennung des Klägers als Flüchtling führen können, ist zunächst zu klären, ob jeder Eingriff in die Religionsfreiheit, der gegen Art. 9 EMRK verstößt, eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG darstellt oder ob es hierfür eines qualifizierten Eingriffs bedarf, durch den der Kernbereich der Religionsfreiheit verletzt wird.

20

Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass Eingriffe in die Religionsfreiheit eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG darstellen können. Zwar soll durch diese Vorschrift insbesondere die Verletzung solcher Menschenrechte erfasst werden, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist. Hierzu zählt die Religionsfreiheit nicht. Allerdings ist der Verweis in Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG auf die in Art. 15 Abs. 2 EMRK aufgeführten Rechte nicht abschließend, wie sich aus der Formulierung "insbesondere" ergibt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in seiner Rechtsprechung wiederholt die grundlegende Bedeutung der Religionsfreiheit für die demokratische Gesellschaft betont (vgl. etwa Urteil vom 5. April 2007 - Nr. 18147/02, Scientology/Russland - Rn. 71, NJW 2008, 495 f.). Dass der Religionsfreiheit eine zentrale Bedeutung bei den Menschenrechten zukommt, wird auch an dem vielfältigen Schutz dieses Rechts auf nationaler, unionsrechtlicher und internationaler Ebene deutlich. So garantieren nicht nur zahlreiche nationale Verfassungen die Religionsfreiheit als Menschenrecht (vgl. in Deutschland Art. 4 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes), sondern auch Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta), Art. 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 und Art. 18 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte von 1966. Das vorlegende Gericht ist deshalb schon vor Geltung der Richtlinie 2004/83/EG in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, dass Verletzungen der Religionsfreiheit - jedenfalls wenn sie einen für die religiöse Identität des Einzelnen wesentlichen Kernbereich betreffen - die Annahme einer asylerheblichen Verfolgung rechtfertigen (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 <24> m.w.N.). Es hat dies auch zu Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie so entschieden (Urteil vom 5. März 2009 - BVerwG 10 C 51.07 - BVerwGE 133, 221 Rn. 13 f.). Das vorlegende Gericht geht im Übrigen auch in seiner Rechtsprechung zum Abschiebungsschutz im Fall einer Verletzung der EMRK (jetzt: § 60 Abs. 5 AufenthG) davon aus, dass eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit ein Abschiebungsverbot nach Art. 9 EMRK begründen kann (vgl. Urteil vom 24. Mai 2000 - BVerwG 9 C 34.99 - BVerwGE 111, 223 <229 f.>).

21

Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG können nur solche Handlungen eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung begründen, die eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Das bedeutet, dass nicht jede Beschränkung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 EMRK ausreicht, sondern eine schwerwiegende Verletzung dieses Rechts erforderlich ist. Eine solche schwerwiegende Verletzung dürfte dann vorliegen, wenn die Religionsfreiheit in ihrem Kernbereich betroffen ist.

22

Zunächst scheiden solche Handlungen von vornherein aus, die zwar einen Eingriff in die Religionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 1 EMRK darstellen, aber keine Verletzung dieses Rechts, weil sie nach Art. 9 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt sind. So hat der EGMR im Verbot des Tragens eines Kopftuchs in der Universität zwar eine Einschränkung der Religionsfreiheit der betroffenen Studentin gesehen, eine Verletzung von Art. 9 EMRK aber verneint, weil der Eingriff zur Wahrung der religiösen Neutralität des Staates und des religiösen Friedens an der Universität gerechtfertigt war (Urteil vom 10. November 2005 - Große Kammer - Nr. 44774/98, Leyla Sahin/Türkei - Rn. 106 bis 116, NVwZ 2006, 1389). In der Bestrafung von Zeugen Jehovas wegen Missionierung hat der EGMR ebenfalls einen Eingriff in die Religionsfreiheit gesehen, diesen aber für gerechtfertigt erachtet, wenn er dem Schutz des Glaubens und der Würde anderer vor einer Beeinflussung mit verwerflichen Mitteln dient (Urteil vom 25. Mai 1993 - Nr. 14307/88, Kokkinakis/Griechenland - Rn. 48, Slg. 1996-IV S. 1364).

23

Keinen Eingriff in den Kernbereich der Religionsfreiheit stellen ferner Handlungen dar, die zwar gegen Art. 9 EMRK verstoßen, in ihrer Schwere aber nicht der Verletzung solcher Menschenrechte entsprechen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist. Der EGMR hat in einem Urteil vom 7. Dezember 2010 die Religionsfreiheit in einem Fall als verletzt angesehen, in dem einem Mahayana Buddhisten, der in Polen eine achtjährige Haftstrafe wegen Vergewaltigung verbüßt, die Verabreichung einer von seiner Glaubenslehre vorgeschriebenen fleischlosen Kost verweigert wurde (Nr. 18429/06, Jakobski/Polen - Rn. 54 f.). Eine Verletzung der Religionsfreiheit hat er auch darin gesehen, dass die Staatsangehörigen der Türkei in ihrem staatlichen Ausweis die Religionszugehörigkeit anzugeben hatten, weil das mit der Freiheit unvereinbar sei, seinen Glauben nicht preisgeben zu müssen, selbst wenn dem Ausweisinhaber die Möglichkeit eröffnet wird, von jeglicher Eintragung in die Rubrik "Religion" abzusehen (Urteil vom 2. Februar 2010 - Nr. 21924/05, Sinan Isik/Türkei). Im Übrigen wird die Große Kammer des EGMR demnächst zu entscheiden haben, ob eine Verletzung der staatlichen Neutralitätspflicht und des Rechts der Schulkinder, einen Glauben zu haben oder nicht zu haben, schon allein deshalb zu bejahen ist, weil Kinder in Italien in Klassenzimmern unterrichtet wurden, in denen ein Kreuz aufgehängt war (vgl. Urteil der Kammer vom 3. November 2009 - Nr. 30814/06, Lautsi/Italien). Die vorgenannten Verletzungshandlungen sind nach Auffassung des vorlegenden Gerichts nicht von einem solchen Gewicht, dass im Fall der Flucht der Betroffenen ins Ausland die Anerkennung als Flüchtling im Sinne der Richtlinie 2004/83/EG gerechtfertigt wäre. Sie stellen keinen Eingriff in den Kernbereich der Religionsfreiheit dar. Der EGMR hat in seiner bisherigen Rechtsprechung - soweit ersichtlich - noch in keinem Fall eine Verletzung der Religionsfreiheit als so schwerwiegend angesehen, dass er einem Ausländer allein deshalb Schutz vor Abschiebung gewährt hat. Er hat Ausländern Abschiebungsschutz vielmehr nur in Fällen einer im Heimatstaat drohenden Verletzung anderer Menschenrechte - insbesondere von Art. 3 EMRK - zugebilligt.

24

Etwas anderes kann auch nicht aus der weiten Definition der Religion als Verfolgungsgrund in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie hergeleitet werden. Diese bezieht sich auf den Verfolgungsgrund, an den eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie anknüpfen muss. Eine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie setzt aber nicht nur einen Eingriff in den weiten Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 EMRK voraus, sondern auch die fehlende Rechtfertigung des Eingriffs (vgl. Art. 9 Abs. 2 EMRK) sowie eine Verletzung, die schwerwiegend ist.

25

2. Vorlagefrage:

26

Für den Fall, dass Frage 1 zu bejahen ist, stellt sich die Frage nach der inhaltlichen Bestimmung des Kernbereichs der Religionsfreiheit, dessen Verletzung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG als Verfolgungshandlung zu qualifizieren ist.

27

Aus Art. 9 EMRK und aus der Rechtsprechung des EGMR lassen sich hierzu erste Anhaltspunkte entnehmen. Art. 9 Abs. 1 EMRK schützt zunächst die innere Religionsfreiheit (EGMR, Urteile vom 25. Mai 1993 - Nr. 14307/88, Kokkinakis/Griechenland - Rn. 31 und vom 10. November 2005 - Große Kammer - Nr. 44774/98, Leyla Sahin/Türkei - Rn. 105). Die innere Seite der Religionsfreiheit umfasst, einen Glauben zu haben und zu bilden, diesen auch neu zu wählen und zu wechseln. Geschützt ist auch, keinen Glauben zu haben. Der Schutz des Art. 9 Abs. 1 EMRK erstreckt sich aber auch auf die Freiheit, seine Religion einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich und im Kreis derer zu bekennen, die demselben Glauben anhängen (EGMR, Urteil vom 10. November 2005 a.a.O.). Die Freiheit zum Bekenntnis und zur Ausübung der Religion in der Öffentlichkeit unterliegt - anders als die innere Religionsfreiheit - den Einschränkungen nach Art. 9 Abs. 2 EMRK. Bereits hieraus ergibt sich, dass nicht jede Beschränkung der Ausübung der Religion in der Öffentlichkeit als schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit angesehen werden kann, wie dies Voraussetzung für die Annahme einer Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG ist. Die Vorlagefragen 2a und 2b zielen auf eine konkretere Bestimmung des geschützten Kernbereichs, wie er für den vorliegenden Fall entscheidungserheblich ist.

28

Vorlagefrage 2a:

29

a) Dem Kläger drohen nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts Beschränkungen bei der öffentlichen Praktizierung seiner Religion. Zwar wird es den Ahmadis danach nicht generell unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies durch die Öffentlichkeit wahrgenommen werden kann und wird. Allerdings wird die gemeinsame Ausübung des Glaubens immer wieder dadurch behindert, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden oder deren Errichtung verhindert wird. Dem Kläger war es allerdings möglich, seinen Glauben in seiner Heimatregion zu praktizieren, wiederholt am Tag in die Moschee zu gehen, zu beten und an religiösen Festen teilzunehmen. Das Oberverwaltungsgericht hat nicht festgestellt, dass durch die strafrechtlichen Sanktionen und die religiös motivierten Übergriffe auf Ahmadis durch Extremisten auch in deren Recht eingegriffen wird, sich zu dem eigenen Glauben zu bekennen und ihn für sich und in Gemeinschaft mit anderen abseits der Öffentlichkeit zu praktizieren. Ein Eingriff erfolgt nach den gerichtlichen Feststellungen aber im Bereich der öffentlichen Religionsausübung einschließlich der Missionierung Andersgläubiger. Der Kläger darf als Angehöriger der Ahmadis für seine Religion nicht öffentlich eintreten und andere auffordern, diesen Glauben anzunehmen. Handelt er dem zuwider, begeht er eine Straftat. Das Missionieren anderer wird regelmäßig strafrechtlich verfolgt. Den Ahmadis ist es untersagt, öffentliche Versammlungen abzuhalten, namentlich solche, auf denen gebetet wird. Das Oberverwaltungsgericht ist zu dem Ergebnis gekommen, dass dem Kläger eine Fortführung seiner öffentlichkeitswirksamen religiösen Betätigung bei einer Rückkehr nach Pakistan nicht ohne konkrete Gefahr für Leib und Leben möglich ist. Angesichts der angedrohten erheblichen Strafen sowie der zahlreichen ungehinderten Übergriffe extremistischer Gruppen legt es nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts der gesunde Menschenverstand für einen Ahmadi nahe, alle öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigungen zu unterlassen oder weitgehend zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens.

30

Der Eingriff in die Religionsfreiheit, der den Verzicht auf die Glaubensausübung in der Öffentlichkeit nahelegt, ist auch nicht nach Art. 9 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt. Vielmehr kommt das Oberverwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass die staatlichen Maßnahmen, die gegen Ahmadis ergriffen werden, nicht der Durchsetzung des öffentlichen Friedens dienen. Denn der pakistanische Staat verhält sich nicht neutral, sondern beeinträchtigt einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in ihrer religiösen Selbstbestimmung.

31

Es ist also entscheidungserheblich, ob die nicht nach Art. 9 Abs. 2 EMRK gerechtfertigte Beeinträchtigung des Rechts auf öffentliche Religionsausübung eine schwerwiegende Verletzungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG darstellen kann - und zwar auch dann, wenn der Gläubige unter dem Druck der ihm drohenden Gefahr für Leib, Leben und physische Freiheit auf die Glaubensausübung in der Öffentlichkeit verzichtet.

32

b) Das vorlegende Gericht ist in seiner Rechtsprechung vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG davon ausgegangen, dass eine asylrechtlich beachtliche Verfolgung nur von Handlungen ausgeht, die in das religiöse Existenzminimum eines Menschen eingreifen (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 <19 ff.>). Diese Rechtsprechung entspricht der des Bundesverfassungsgerichts zum verfassungsrechtlichen Asylanspruch (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 1. Juli 1987 - 2 BvR 478, 962/86 - BVerfGE 76, 143 <158 ff.>). Der auch als "forum internum" bezeichnete unverzichtbare und unentziehbare Kern der Privatsphäre des glaubenden Menschen umfasst nach dieser Rechtsprechung die religiöse Überzeugung als solche und die Religionsausübung abseits der Öffentlichkeit und in persönlicher Gemeinschaft mit anderen Gläubigen dort, wo man sich nach Treu und Glauben unter sich wissen darf. Eine asylrechtlich beachtliche Verfolgungshandlung durch Eingriffe in die Religionsfreiheit ist danach etwa dann gegeben, wenn den Angehörigen einer religiösen Gruppe unter Androhung von Strafen an Leib, Leben oder physischer Freiheit eine Verleugnung oder gar Preisgabe ihres Glaubens zugemutet wird oder sie daran gehindert werden, ihren eigenen Glauben, so wie sie ihn verstehen, im privaten Bereich und unter sich zu bekennen. Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit einschließlich der Missionierung ("forum externum") gehören nach dieser Auffassung nicht zum religiösen Existenzminimum. Allgemein wurde verlangt, dass die Eingriffe in die Religionsfreiheit den Gläubigen in ähnlich schwerer Weise treffen wie Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit oder physische Freiheit (Urteil vom 25. Oktober 1988 - BVerwG 9 C 37.88 - BVerwGE 80, 321 <324>).

33

Demgegenüber gehen das Oberverwaltungsgericht im vorliegenden Fall und weitere Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte in Deutschland seit Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG davon aus, dass über das nach der früheren Rechtsprechung geschützte "forum internum" hinaus auch Beeinträchtigungen des "forum externum" eine schwerwiegende Verletzungshandlung im Sinne von Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG darstellen können. Das wird unter anderem mit der weiten Definition der Religionsfreiheit in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie begründet, die auch die Praktizierung der Religion in der Öffentlichkeit umfasse (vgl. VGH Mannheim, Urteile vom 20. Mai 2008 - A 10 S 72/08 - AuAS 2008, 213 Rn. 121 und vom 27. September 2010 - A 10 S 689/08 - juris Rn. 33 ff.; VGH München, Urteil vom 23. Oktober 2007 - 14 B 06.30315 - InfAuslR 2008, 101 <102>). Unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG sei es einem Gläubigen nicht mehr zuzumuten, öffentlich praktizierten Riten seiner Glaubensgemeinschaft - etwa Gottesdiensten oder Prozessionen - fernzubleiben, um staatliche Sanktionen zu vermeiden. Der Glaubensangehörige sei nämlich auch verfolgt, wenn er zu unzumutbaren Ausweichhandlungen genötigt werde, um der staatlichen Repression zu entkommen (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 30. Juli 2009 - 5 A 982/07.A - juris Rn. 34; VGH Kassel, Urteil vom 12. Juli 2007 - 8 UE 3339/04.A - juris Rn. 83).

34

Die Rechtsprechung in Großbritannien beschränkt den Flüchtlingsschutz bei Eingriffen in die Religionsfreiheit ebenfalls nicht auf das "forum internum". Vielmehr wird geprüft, ob dem Asylbewerber bei Rückkehr in sein Heimatland Verfolgung auch für den Fall der öffentlichen Religionsbetätigung droht, etwa wenn ein Ahmadi entsprechend seiner Glaubenslehre missionieren würde (vgl. Court of Appeal for England and Wales, Urteil vom 5. November 1999 - Iftikhar Ahmed v. Secretary of State for the Home Department <1999> EWCA Civ 3003). Nach einem neueren Urteil des Supreme Court of the United Kingdom betreffend die Verfolgung wegen Homosexualität kann auch ein erzwungener Verzicht auf die öffentliche Praktizierung der Sexualität zur Flüchtlingsanerkennung führen (Urteil vom 7. Juli 2010, HJ (Iran) (FC) v. Secretary of State for the Home Department <2010> UKSC 31 Rn. 82). Komme ein Gericht zu dem Ergebnis, dass ein maßgeblicher Grund für das diskrete Leben des Asylbewerbers nach Rückkehr die Furcht vor Verfolgung ist, die sich aus einer offenen Praktizierung seiner Sexualität ergäbe, sei seine Furcht vor Verfolgung begründet. Überträgt man die vorgenannte Rechtsprechung auf Beschränkungen der öffentlichen Betätigung der Religionsfreiheit, könnten sie als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG zu werten sein, wenn es sich um schwerwiegende Eingriffe handelte und der Ausländer deshalb auf die Ausübung seines Glaubens in der Öffentlichkeit verzichten würde.

35

Demgegenüber ist die Rechtsprechung in Großbritannien bei der Gewährung von Abschiebungsschutz nach der EMRK restriktiver. Der Court of Appeal hat in seinem Urteil vom 16. Dezember 2002 in der Sache Ullah v. Secretary of State for the Home Department (<2002> EWCA Civ 1856 Rn. 64) die Auffassung vertreten, dass Abschiebungsschutz in Bezug auf ein Herkunftsland, in dem die Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 EMRK nicht respektiert wird, nur dann zu gewähren ist, wenn die Beschränkung der Religionsfreiheit einen Schweregrad aufweist, der zugleich eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellt. Im entschiedenen Fall - einen Ahmadi aus Pakistan betreffend - hat er die Klage auf Gewährung von Abschiebungsschutz abgewiesen. Das House of Lords hat diese Entscheidung im Urteil vom 16. Juni 2004 (<2004> UKHL 26) im Ergebnis bestätigt. Allerdings hat es einen hinreichend schweren Eingriff deshalb abgelehnt, weil das Recht aus Art. 9 EMRK nicht vollständig verweigert wurde, was eine mindestens gleich hohe Hürde darstellt ("only in such a case - where the right will be completely denied or nullified in the destination country" - Rn. 24 des Urteils vom 16. Juni 2004).

36

Ob der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie im Fall der Religionsfreiheit auf das Glaubensbekenntnis und auf Glaubensbetätigungen im häuslichen und nachbarschaftlichen Bereich beschränkt ist oder sich auch auf die Glaubensausübung in der Öffentlichkeit erstreckt, ist eine Zweifelsfrage, deren Beantwortung dem Gerichtshof der Europäischen Union obliegt.

37

Vorlagefrage 2b:

38

Falls der Kernbereich der Religionsfreiheit auch bestimmte Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit umfasst, ist weiter zu klären, unter welchen Voraussetzungen der erzwungene Verzicht darauf eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG darstellt. Dies kann dann der Fall sein, wenn der Antragsteller oder die Religionsgemeinschaft, der er angehört, die konkrete Betätigung des Glaubens, die dem Antragsteller verboten wird, als unverzichtbar empfindet.

39

a) Der Kläger hat nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts in Pakistan ein religiös geprägtes Leben als Angehöriger der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft geführt, in dem er wiederholt am Tag in die Moschee gegangen ist, gebetet und an religiösen Festen teilgenommen hat. Er hat sich zu seinem Glauben auch in der Öffentlichkeit bekannt und ihn in öffentlichen Auseinandersetzungen mit radikalen moslemischen Bewohnern seines Heimatdorfes aktiv als Wortführer vertreten. Das Oberverwaltungsgericht hat damit der Sache nach festgestellt, dass der Kläger die von ihm bisher praktizierte öffentliche Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren. Es hat aber nicht hinreichend nachvollziehbar festgestellt, dass eine solche aktive öffentliche Glaubensbetätigung auch von der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft als zentraler Bestandteil ihrer Glaubenslehre angesehen wird.

40

b) Die Frage, unter welchen Voraussetzungen der erzwungene Verzicht auf die Glaubensausübung in der Öffentlichkeit eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG darstellt, kann nach Auffassung des vorlegenden Gerichts danach bestimmt werden, welche Bedeutung die in Rede stehende Handlung einerseits für die Religionsgemeinschaft des Antragstellers und andererseits auch für diesen persönlich hat. Eine Mindestvoraussetzung dürfte sein, dass die in Rede stehende Glaubensbetätigung der Religion des Antragstellers entspricht und der Antragsteller diese auch ausüben will, weil er sie für sich selbst zur Wahrung seiner religiösen Identität als unverzichtbar empfindet. Wenn dies nicht feststeht, ist schon eine Verletzung von Art. 9 EMRK und damit auch eine Menschenrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG nicht gegeben.

41

Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) spricht sich in seinen Richtlinien zum Internationalen Schutz (betreffend Anträge auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung im Sinne des Artikels 1A(2) des Abkommens von 1951 und/oder des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, HCR/GIP/04/06, Kapitel 16 - Stand: 28. April 2004) dafür aus, bei der Schwere des Eingriffs in die Religionsfreiheit durch erzwungenen Verzicht auf eine bestimmte Glaubensbetätigung mit zu berücksichtigen, welche "Bedeutung oder zentrale Stellung" die unterdrückte Glaubensbetätigung für die Glaubensgemeinschaft und für den betroffenen Gläubigen hat. Soweit der eingeschränkte Brauch lediglich für die Religion, nicht jedoch für die betroffene Person von Bedeutung sei, sei die Annahme einer Verfolgung unwahrscheinlich, es sei denn, es träten zusätzliche Faktoren hinzu. Sei der eingeschränkte religiöse Brauch dagegen für die Glaubensgemeinschaft weniger bedeutend, jedoch für die betroffene Person von besonderer Bedeutung, so könne dies dennoch eine Verfolgung aus Glaubens- oder Gewissensgründen darstellen.

42

Der Court of Appeal stellt darauf ab, ob die Glaubenslehre eine bestimmte Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit gebietet und dies auch der einzelne Gläubige für sich selbst als verpflichtend ansieht (für das Missionieren durch Ahmadis in Pakistan vgl. Court of Appeal for England and Wales, Urteil vom 5. November 1999 - Iftikhar Ahmed v. Secretary of State for the Home Department <1999> EWCA Civ 3003).

43

Das Bundesverwaltungsgericht hat zur Rechtslage vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG die Auffassung vertreten, die unterdrückte Glaubensbetätigung müsse für die Religionsgemeinschaft nach deren Selbstverständnis wie für den einzelnen Glaubensangehörigen selbst unverzichtbar sein (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 a.a.O. <25>). Unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG neigt das vorlegende Gericht allerdings zu der Auffassung, dass es ausreichend sein dürfte, dass der Asylbewerber die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren. Dies müsste vom Antragsteller allerdings jeweils zur vollen Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden. Dabei dürfte dem Umstand, dass die Glaubensbetätigung nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, eine indizielle, aber keine zwingende Wirkung zukommen. Maßgeblich dürfte vielmehr sein, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und welche Glaubensbetätigungen für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar sind. Nicht ausreichend dürfte hingegen sein, dass zwar die Religionsgemeinschaft die konkrete Glaubensbetätigung als zentralen Bestandteil ihrer Glaubenslehre ansieht (z.B. Missionierung), der einzelne Asylbewerber aber keine innere Verpflichtung verspürt, diesen Teil seiner Glaubenslehre zu praktizieren, um seine Identität zu wahren.

44

Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts können sich aber aus sonstigen Umständen, etwa den allgemeinen Verhältnissen im Herkunftsland, weitere Einschränkungen ergeben. So kann es die Schwelle für eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit erhöhen, wenn die Bevölkerung im Herkunftsland allgemein bestimmte Einschränkungen der öffentlichen Religionsausübung mit Rücksicht auf eine in der Verfassung des Heimatstaates verankerte Staatsreligion oder religiös motivierte Spannungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen hinzunehmen hat.

45

Vorlagefrage 3:

46

Vorlagefrage 3 soll der Klärung dienen, ob die Verfolgungsfurcht des Antragstellers auch dann begründet ist, wenn feststeht, dass er bestimmte - außerhalb des Kernbereichs liegende - religiöse Betätigungen nach Rückkehr in das Herkunftsland vornehmen wird, obwohl sie zu einer Gefahr für Leib, Leben oder physische Freiheit führen werden oder ob in diesem Fall dem Antragsteller zuzumuten ist, auf solche künftigen Betätigungen zu verzichten.

47

a) Das Oberverwaltungsgericht hat nicht festgestellt, ob der Kläger im Fall der Rückkehr nach Pakistan auf bestimmte Formen der Religionsausübung in der Öffentlichkeit verzichten wird. Es hat lediglich allgemein bezogen auf Anhänger der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft festgestellt, dass es angesichts der drohenden Gefahren für Leib, Leben und Freiheit der gesunde Menschenverstand nahelege, alle öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigungen zu unterlassen oder äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Wenn es für die Anerkennung als Flüchtling darauf ankommt, ob der Kläger angesichts der ihm drohenden Gefahren auf die Glaubensbetätigung verzichtet oder bestimmte Glaubensbetätigungen trotzdem praktizieren würde, wird das Oberverwaltungsgericht diesen Umstand unter Berücksichtigung der Antworten des Gerichtshofs weiter aufzuklären haben.

48

b) Nach der deutschen Rechtsprechung ist die Furcht vor Verfolgung auch wegen einer über den Kernbereich hinausgehenden religiösen Betätigung begründet, wenn deshalb ein Eingriff in Leib, Leben oder physische Freiheit bereits unmittelbar droht.

49

Die Verfolgungshandlung (vgl. Art. 9 Richtlinie 2004/83/EG) greift hier nicht nur in die Religionsfreiheit ein, sondern auch und vor allem in Leib, Leben oder physische Freiheit des Antragstellers. Erreicht dieser Eingriff die erforderliche Schwere, kommt es nicht darauf an, ob die Religionsfreiheit in ihrem Kernbereich betroffen ist oder nur in Randbereichen. Das Bundesverwaltungsgericht hat eine asylerhebliche Verfolgung daher im Fall eines Ahmadis aus Pakistan bejaht, gegen den wegen Benutzung des moslemischen Gebetsrufs und Tragens der Kalima eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt worden war (Urteil vom 13. Mai 1993 - BVerwG 9 C 49.92 - BVerwGE 92, 278 <279 f.>).

50

Allerdings wird die öffentliche Ausübung der Religion über den Kernbereich der Religionsfreiheit hinaus nach der bisherigen deutschen Rechtsprechung nur dann geschützt, wenn die zur Gefährdung führende Glaubensbetätigung bereits erfolgt ist, der Ausländer also beispielsweise bereits missioniert hat. Beruft sich ein Asylbewerber dagegen allein darauf, dass zu erwartende zukünftige Betätigungen nach Rückkehr in das Heimatland zu einer Verfolgung führen, fehlt es an der erforderlichen Unmittelbarkeit der Gefährdung von Leib, Leben oder physischer Freiheit. Denn die Realisierung der Gefahr hängt noch von einer willensgesteuerten Handlung des Asylbewerbers ab, die sich nicht sicher prognostizieren lässt. Dem Ausländer wird danach zugemutet, die Gefahr zu vermeiden, soweit dadurch nicht der Kernbereich seiner Religionsfreiheit verletzt wird. Wird dieser Kernbereich dagegen verletzt, kommt es auf die ohnehin nur schwer zu treffende Prognose, wie sich der Betroffene nach Rückkehr in sein Heimatland verhalten würde, nicht mehr an.

51

Im vorliegenden Fall hat der Kläger nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts seinen Glauben bisher nur in einer Weise praktiziert, die keine individuelle Verfolgung nach sich zog. Das Gericht erwartet eine solche Verfolgung aber im Fall der Rückkehr des Klägers. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob ihm zugemutet werden kann, auf eine Ausübung seiner Religion außerhalb des Kernbereichs zu verzichten.

52

Die britische Rechtsprechung verfolgt ein anderes Konzept zur Erheblichkeit eines möglichen Vermeidungsverhaltens als die deutsche. Danach kommt es allein darauf an, wie der Antragsteller sich nach einer Rückkehr in das Herkunftsland tatsächlich verhalten würde. Ist die Prognose gerechtfertigt, dass er sich tatsächlich so verhalten wird, wie er behauptet, und würde das zu Verfolgungsmaßnahmen führen, ist er als Flüchtling anzuerkennen. Dem steht nicht entgegen, dass sein Verhalten unvernünftig erscheinen mag. Die Tatsache, dass er Verfolgung vermeiden könnte, indem er das Gefahr bringende Verhalten unterlässt, steht seinem Anspruch auf Flüchtlingsschutz nicht entgegen, sofern er dieses Verhalten - trotz der damit verbundenen Gefahren - tatsächlich ausführen würde. Das hat der Court of Appeal in seinem Urteil vom 5. November 1999 - Iftikhar Ahmed v. Secretary of State for the Home Department (<1999> EWCA Civ 3003) so entschieden, in dem es um das beabsichtigte Missionieren eines Ahmadi in Pakistan ging.

53

Die Unerheblichkeit eines möglichen Vermeidungsverhaltens ergibt sich für die britische Rechtsprechung auch aus dem Urteil des Supreme Court des United Kingdom vom 7. Juli 2010 (HJ (Iran) (FC) v. Secretary of State for the Home Department <2010> UKSC 31 Rn. 82), betreffend einen Fall von Homosexualität. Danach ist die Verfolgungsfurcht eines Asylbewerbers begründet, wenn er seine Homosexualität im Heimatstaat öffentlich leben würde und daher der Gefahr der Verfolgung ausgesetzt wäre, selbst wenn er die Gefahr durch diskrete Praktizierung seiner sexuellen Orientierung vermeiden könnte.

Gründe

I

1

Der Kläger, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte im März 2011 einen Asylantrag wegen Wehrdienstentziehung. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 19. Dezember 2012 mangels Glaubwürdigkeit der Angaben zu seinem Vorfluchtschicksal ab. Während des Klageverfahrens ist der Kläger zum Christentum übergetreten und hat sich im Mai 2013 taufen lassen.

2

Das Verwaltungsgericht hat seiner auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichteten Klage stattgegeben. Den Entscheidungsgründen ist zu entnehmen, dass sich das Gericht zwar nicht von der Ernsthaftigkeit der Konversion habe überzeugen können. Dennoch sei der Kläger als Flüchtling anzuerkennen, denn die Taufe gehöre als Aufnahmeakt zum seelsorgerischen Kernbereich einer Religionsgemeinschaft. Deshalb sei das Gericht gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV an die Beurteilung der die Taufe vollziehenden Pfarrerin gebunden, der Glaubensübertritt sei vom Kläger ernsthaft gewollt.

3

Auf die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, ein flüchtlingsrechtlich relevanter, hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit des unverfolgt aus dem Iran ausgereisten Klägers setze u.a. voraus, dass für den Betroffenen die Befolgung bestimmter gefahrenträchtiger religiöser Praktiken in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig sei. Das Gericht habe jedoch auch in Ansehung der Taufe des Klägers nicht mit der notwendigen Überzeugungsgewissheit feststellen können, dass die von ihm geltend gemachte Hinwendung zur christlichen Religion auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel beruhe. Der christliche Glaube präge die religiöse Identität des Klägers nicht in einer Weise, dass dieser die christliche Betätigung für sich selbst als verpflichtend empfinde, um seine Identität zu wahren. Bei dieser Beurteilung binde der Umstand, dass der Betroffene durch den Amtsträger einer christlichen Kirche getauft worden sei, die staatlichen Stellen nicht. Es sei vielmehr die ureigene Aufgabe staatlicher Verwaltungsgerichte, zu einer eigenen Einschätzung hinsichtlich der Ernsthaftigkeit des Glaubensübertritts zu gelangen. Aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 und 3 WRV ergebe sich nichts anderes. Denn es bleibe der Kirchengemeinde unbenommen, den Kläger weiterhin als ihr Mitglied anzusehen. Die Beantwortung der davon zu unterscheidenden Frage, ob die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche eine religiöse Verfolgung nach sich ziehe und deshalb die Flüchtlingsanerkennung begründe, sei allein Aufgabe der staatlichen Gerichte.

4

Hiergegen wendet sich die Beschwerde des Klägers, mit der dieser die Zulassung der Revision erstrebt.

II

5

Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und eines Verfahrensmangels des Berufungsurteils (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

6

1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschluss vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110).

7

Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,

"ob das staatliche Gericht uneingeschränkt befugt ist, im Rahmen eines Asylverfahrens entgegen einer Taufe in den christlichen Glauben und entgegen einer pfarramtlichen Bescheinigung der Pfarrerin seiner Kirchengemeinde davon auszugehen, dass ein Asylbewerber keine religiöse Identität in dem Sinne habe, dass ihm der Verzicht auf eine öffentlich wahrnehmbare Betätigung seines christlichen Glaubens zumutbar ist."

8

Dazu führt sie im Kern aus, die Feststellung der Ernsthaftigkeit des Übertritts zum Christentum sowie der religiösen Identität eines Asylbewerbers sei eine innerkirchliche Angelegenheit, die gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV staatlicher Überprüfung entzogen sei. Die Taufe gehöre zum Kernbereich kirchlichen Handelns, den der Staat nicht infrage stellen dürfe. Auch der Kläger werde in seiner grundrechtlich geschützten Glaubensfreiheit verletzt, wenn der Staat sich die Entscheidungskompetenz darüber anmaße, ob er "wahrer" Christ sei oder nicht. Mit diesem und dem weiteren Vorbringen zeigt die Beschwerde keine klärungsbedürftigen Fragen des revisiblen Rechts auf, die die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 oder 3 VwGO rechtfertigen.

9

Es bedarf keiner Durchführung eines Revisionsverfahrens, um zu klären, dass staatliche Behörden und Verwaltungsgerichte bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 und 4 AsylVfG nicht an die Beurteilung des zuständigen Amtsträgers einer christlichen Kirche gebunden sind, der Taufe des betroffenen Asylbewerbers liege eine ernsthafte und nachhaltige Glaubensentscheidung zugrunde. Dies folgt insbesondere aus der dem Berufungsurteil vom Verwaltungsgerichtshof zugrunde gelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 im Anschluss an EuGH, Urteil vom 5. September 2012 - C-71/11 und C-99/11 [ECLI:EU:C:2012:518] - NVwZ 2012, 1612). Das Vorbringen der Beschwerde zeigt keinen neuerlichen oder weitergehenden Klärungsbedarf auf.

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Art. 4 Abs. 1 und 2 GG als einheitliches Grundrecht sowie Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV garantieren den Religionsgesellschaften die Freiheit, ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes zu ordnen und zu verwalten (zum Verhältnis der Bestimmungen zueinander im Sinne einer Schrankenspezialität: BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 - EuGRZ 2014, 698 Rn. 82 ff.). Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht umfasst alle Maßnahmen, die der Sicherstellung der religiösen Dimension des Wirkens im Sinne kirchlichen Selbstverständnisses und der Wahrung der unmittelbaren Beziehung der Tätigkeit zum kirchlichen Grundauftrag dienen (BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 - EuGRZ 2014, 698 Rn. 95 m.w.N.). Zu den "eigenen Angelegenheiten" in diesem Sinne zählen insbesondere die Rechte und Pflichten der Mitglieder der jeweiligen Religionsgemeinschaft, insbesondere Bestimmungen, die den Ein- und Austritt, die mitgliedschaftliche Stellung sowie den Ausschluss von Glaubensangehörigen regeln (BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2014 - 2 BvR 278/11 - EuGRZ 2015, 250 Rn. 37 m.w.N.). Die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft beurteilt sich mit Wirkung für den weltlichen Bereich (etwa als Voraussetzung für die Kirchensteuerpflicht) grundsätzlich nach den Regeln der jeweiligen Religionsgemeinschaft (BVerfG, Beschluss vom 31. März 1971 - 1 BvR 744/67 - BVerfGE 30, 415 <422> - auch zu der Grenze des für alle geltenden Gesetzes). Demzufolge obliegen die Interpretation und die Beurteilung der kirchenrechtlichen Voraussetzungen für eine Taufe sowie deren Wirksamkeit mit der Folge, dass der Betroffene Mitglied in der Gemeinde einer Religionsgemeinschaft wie der evangelisch-lutherischen Landeskirche ist, den innerkirchlich zuständigen Amtsträgern (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. November 2013 - 6 C 21.12 - BVerwGE 148, 271 Rn. 46 ff. - auch zur Abgrenzung gegenüber staatlichen Gerichten verbleibenden Prüfungspunkten).

11

Es liegt auf der Hand, dass - von Missbrauchsfällen abgesehen - die von einer Religionsgemeinschaft bestätigte Mitgliedschaft als solche von den Verwaltungsgerichten bei der Untersuchung, ob dem Asylbewerber in seinem Heimatland eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit als flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht, nicht infrage gestellt werden darf. Die durch Taufe bewirkte Mitgliedschaft in einer christlichen Religionsgemeinschaft ist aber nur dann allein entscheidungserheblich, wenn eine Verfolgung in einem Land ausschließlich an der Kirchenzugehörigkeit anknüpft. Ist dies jedoch - wie nach der tatrichterlichen Würdigung der Verfolgungslage im Iran durch das Berufungsgericht - nicht der Fall, haben das Bundesamt bzw. die Verwaltungsgerichte auf der Rechtstatsache der Kirchenmitgliedschaft aufbauend bei der Beurteilung der Schwere einer drohenden Verletzung der Religionsfreiheit des Betroffenen zu prüfen, ob die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis für ihn zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Da bereits der unter dem Druck drohender Verfolgung erzwungene Verzicht auf eine Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG erreichen kann, ist für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund drohender religiöser Verfolgung in diesem Fall maßgeblich, wie der Einzelne seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis ein zentrales Element seiner religiösen Identität bildet und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 28 ff. im Anschluss an EuGH, Urteil vom 5. September 2012 - C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612). Dass diese Fragestellung in Teilbereichen zugleich auch als kirchenrechtliche Voraussetzung für die Taufe bedeutsam ist und von dem innerkirchlich zuständigen Amtsträger bejaht worden ist, macht sie - wie das Berufungsgericht zutreffend herausgestellt hat - mit Blick auf die hier zu prüfende, staatlichen Stellen obliegende Flüchtlingsanerkennung nicht zu einer "eigenen Angelegenheit" der Religionsgemeinschaft im Sinne des Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV i.V.m. Art. 140 GG. Diese Grundsätze gelten unabhängig davon, ob die jeweilige Religionsgemeinschaft als Körperschaft des Öffentlichen Rechts konstituiert ist oder nicht.

12

Es bedarf auch keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass staatliche Stellen mit der eigenständigen Würdigung im Rahmen der Prüfung des § 3 Abs. 1 AsylVfG, ob eine bestimmte Glaubenspraxis für den Antragsteller nach seinem Glaubensverständnis ein zentrales Element seiner religiösen Identität bildet und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist, nicht die sich aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sowie Art. 140 i.V.m. Art. 136 Abs. 1 und 4, Art. 137 Abs. 1 WRV ergebende Pflicht des Staates zur weltanschaulichen Neutralität verletzen. Denn eine verfassungsrechtlich unzulässige Bewertung des Glaubens oder der Lehre einer Kirche ist damit nicht verbunden. Bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung wegen geltend gemachter religiöser Verfolgung setzen sich staatliche Stellen weder mit Inhalten von Glaubenssätzen auseinander noch bewerten sie diese oder formulieren gar eigene Standpunkte in Glaubensdingen (zur Reichweite des Neutralitätsgebots: BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 - EuGRZ 2014, 698 Rn. 88 ff. m.w.N.; vgl. auch EGMR, Urteil vom 15. Januar 2013 - Nr. 48420/10 u.a. - NJW 2014, 1935 Rn. 81 und Urteil vom 8. April 2014 - Nr. 70945/11 u.a. - NVwZ 2015, 499 Rn. 76). Sie entscheiden auch nicht über die Legitimität religiöser Glaubensüberzeugungen, sondern gehen lediglich der Stellung des einzelnen Antragstellers zu seinem Glauben nach, nämlich der Intensität selbst empfundener Verbindlichkeit von Glaubensgeboten für die Identität der Person. Darin liegt keine Verletzung der Pflicht des Staates zu weltanschaulicher Neutralität.

13

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist auch geklärt, dass die Verwaltungsgerichte sich bei der Prüfung der inneren Tatsache, ob der Kläger die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung seiner religiösen Identität empfindet, nicht auf eine Plausibilitätsprüfung hinreichend substantiierter Darlegung beschränken dürfen, sondern insoweit das Regelbeweismaß der vollen Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) zugrunde zu legen haben (BVerwG, Urteil vom Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 30). Ein erneuter oder weitergehender Klärungsbedarf ergibt sich nicht daraus, dass die Anlegung des Regelbeweismaßes nach Auffassung der Beschwerde die Religionsfreiheit des Betroffenen und zugleich das kirchliche Selbstbestimmungsrecht verletzt. Denn eine Zurücknahme des tatrichterlichen Beweismaßes sowie der gerichtlichen Kontrolldichte ist nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung nur bei der Bestimmung der Reichweite des Schutzbereichs des Art. 4 GG angezeigt. Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als korporative oder individuelle Ausübung von Religion und Weltanschauung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG anzusehen ist, muss der zentralen Bedeutung des Begriffs der "Religionsausübung" durch eine extensive Auslegung Rechnung getragen werden; insoweit darf das Selbstverständnis der jeweils betroffenen Religionsgemeinschaften und des einzelnen Grundrechtsträgers nicht außer Betracht bleiben. Die Formulierung ihres Selbstverständnisses und Auftrags - des kirchlichen Proprium - obliegt allein den Kirchen und ist als elementarer Bestandteil der korporativen Religionsfreiheit durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verfassungsrechtlich geschützt (BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 - EuGRZ 2014, 698 Rn. 101, 114). Auch auf der individuellen Ebene dürfen staatliche Organe nur prüfen, ob hinreichend substantiiert dargelegt ist, dass sich ein von dem Betroffenen als religiös geboten reklamiertes Verhalten tatsächlich nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung in plausibler Weise dem Schutzbereich des Art. 4 GG zuordnen lässt, also tatsächlich eine als religiös anzusehende Motivation hat (BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2015 - 1 BvR 471/10 u.a. - EuGRZ 2015, 181 Rn. 86 m.w.N.). Die gebotene Berücksichtigung des kirchlichen und individuellen Selbstverständnisses des Grundrechtsträgers bei der Bestimmung, wie weit der Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG im konkreten Einzelfall reicht, ist jedoch nicht auf die der Schutzbereichsbestimmung vorgelagerte tatrichterliche Würdigung zu übertragen, ob und inwieweit eine Person eine bestimmte religiöse Betätigung ihres Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung ihrer religiösen Identität empfindet.

14

Der Senat hat auch klargestellt, dass die religiöse Identität als innere Tatsache sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen lässt (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 31). Entgegen der Auffassung der Beschwerde wird die Glaubensfreiheit eines Asylbewerbers, der sich auf eine ihm drohende Verfolgung wegen seiner Religion beruft, nicht dadurch verletzt, dass es ihm im Rahmen der asylverfahrensrechtlichen Mitwirkungspflichten (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG) und des prozessrechtlichen Untersuchungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) obliegt, staatlichen Stellen über sein religiöses Selbstverständnis Auskunft zu geben. Es unterliegt der freien Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO und ist insoweit keiner weiteren grundsätzlichen Klärung zugänglich, auf welche Weise der Tatrichter versucht, sich die erforderliche Überzeugungsgewissheit vom Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsache der Wahrung der religiösen Identität des Asylbewerbers zu verschaffen. Nicht weiter klärungsbedürftig ist in diesem Zusammenhang insbesondere, dass es - wovon das Berufungsgericht ausgegangen ist (UA S. 16) - die Glaubensfreiheit nicht verletzt und die Beweisanforderungen nicht überspannt, von einem Erwachsenen im Regelfall zu erwarten, dass dieser schlüssige und nachvollziehbare Angaben zu den inneren Beweggründen für die Konversion machen kann und im Rahmen seiner Persönlichkeit und intellektuellen Disposition mit den Grundzügen seiner neuen Religion vertraut ist.

15

2. Die Beschwerde rügt des Weiteren, dem Berufungsgericht fehle die notwendige Sachkunde zur Beurteilung der religiösen Identität des Klägers. Dem Verwaltungsgerichtshof hätte sich eine Begutachtung des Klägers in psychologischer und religiöser Hinsicht aufdrängen müssen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 86 Abs. 1 VwGO). Die Aufklärungs- und damit verbundene Gehörsrüge verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg.

16

Zum einen hat der Kläger ausweislich der Sitzungsniederschrift in der Berufungsverhandlung keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung gemäß § 86 Abs. 1 VwGO grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer sich nicht aufdrängenden Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter nicht ausdrücklich beantragt hat (BVerwG, Beschluss vom 2. November 1978 - 3 B 6.78 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 116). Aus welchen Gründen sich dem Verwaltungsgerichtshof eine weitere Aufklärung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen, legt die Beschwerde nicht dar. Zum anderen ist bei der Prüfung, ob dem Berufungsgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, von dessen materiellrechtlicher Rechtsauffassung auszugehen, auch wenn diese - wofür hier nichts ersichtlich ist - verfehlt sein sollte (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289 Rn. 17 m.w.N.; stRspr). Es ist weder von der Beschwerde dargelegt noch sonst ersichtlich, aus welchen Gründen das Berufungsgericht - nachdem nicht etwa Glaubensinhalte einer fremden Religion aufzuklären waren - nicht über die ausreichende Sachkunde zur Beurteilung der religiösen Überzeugung und Identität des Klägers verfügen sollte. Für die Ermittlung und Würdigung des (Nicht-)Vorliegens dieser inneren Tatsache bedarf es in aller Regel keines nur Experten vorbehaltenen Wissens. Letztlich wendet sich die Beschwerde im Wege der Aufklärungs- und Gehörsrüge gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts; damit vermag sie indessen nicht durchzudringen.

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3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 22. Januar 2015 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 11. Juni 2014 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die ausdrücklich bzw. sinngemäß geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) und der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) sind nicht in der gebotenen Weise (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) dargelegt bzw. liegen nicht vor.

I. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, bisher höchstrichterlich oder - bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen - durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt, aber klärungsbedürftig und über den zu entscheidenden Fall hinaus bedeutsam ist (st. Rspr., z. B. BayVGH, B. v. 25.2.2013 - 14 ZB 13.30023 - juris Rn. 2 m. w. N.; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36 ff. m. w. N.). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

1. Die vom Kläger gestellte (Tatsachen)Frage,

„ob ein iranischer Staatsangehöriger, der in Deutschland um Asyl ersucht hat und gegen seinen Willen in den Iran zurückgeführt wird, bei Bekanntwerden des Glaubensübertritts während seines Aufenthalts in Deutschland im Iran keinerlei relevanten Verfolgungsmaßnahmen unterliegt“,

hat keine grundsätzliche Bedeutung. Der Kläger hat bereits nicht dargelegt, dass es eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür gibt, dass sein formaler Glaubenswechsel durch seine in Deutschland lebenden Verwandten im Iran bekannt werden könnte. Zudem fehlt es dieser Frage an der erforderlichen Entscheidungserheblichkeit. Das Verwaltungsgericht hat darauf abgestellt, dass das Bekenntnis des Klägers zum Christentum nicht auf einer inneren Glaubensüberzeugung beruhe; es sei der Eindruck entstanden, der Kläger sei nur formal und aus asyltaktischen Gründen zum christlichen Glauben übergetreten. Die aufgeworfene Frage könnte in einem Berufungsverfahren daher nur dann entscheidungserheblich sein, wenn allein der formale Akt des Übertritts zum christlichen Glauben - vorliegend also die durch die Taufe des Klägers bewirkte Mitgliedschaft in der evangelischen Landeskirche Bayern - zu Repressionen seitens des iranischen Staates führen könnte, ohne dass der christliche Glaube nach einer Rückkehr in den Iran gelebt würde. Der Kläger nennt zwar mögliche Lebensbereiche, in denen es nach seiner Ansicht für ihn zu Repressionen kommen könnte, die - aufgrund der Kumulation - als Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b RL 2011/95/EU - Qualifikationsrichtlinie - anzusehen seien. Nachvollziehbare Belege, die die Möglichkeit derartiger Repressionen bestätigen, benennt er jedoch nicht.

Es gibt auch keine entsprechenden Erkenntnisse, dass dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran allein wegen des formalen Glaubenswechsels oder wegen seiner bisherigen religiösen Betätigung in Deutschland eine asylrechtlich relevante und/oder abschiebungsrelevante Verfolgung drohen könnte. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat unter Auswertung zahlreicher Erkenntnisquellen zur Frage einer Verfolgungsgefahr wegen Apostasie in seinem Urteil vom 7. November 2012 - 13 A 1999/07.A - (juris Rn. 49 ff.) festgestellt, dass der Abfall vom Islam im Iran nach wie vor nach weltlichem Recht nicht mit Strafe bedroht ist und dass trotz des im September 2008 in erster Lesung beschlossenen Apostasiestrafgesetzes jedenfalls bei Apostaten, die nicht exponiert tätig sind, Verurteilungen zu Todesstrafen nicht erfolgen. Andere staatliche oder nichtstaatliche Repressionen sind demnach auch nur für solche konvertierten Christen festzustellen, die in Ausübung ihres Glaubens an öffentlichen Riten wie etwa Gottesdiensten teilnehmen, oder zumindest ihren neu angenommenen Glauben - und die damit verbundene Abkehr vom Islam - nach außen zeigen wollen. Diese Situation wird durch den aktuellen Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrechtliche Lage in der Islamischen Republik Iran vom 24. Februar 2015 bestätigt (vgl. S. 16 ff.). Erkennbar beziehen sich die dortigen Aussagen auf solche Konvertiten, die die neue Religion aktiv im Iran ausüben (so im Ergebnis auch: BayVGH, B. v. 9.4.2015 - 14 ZB 13.30120 - juris Rn. 6; VGH BW, B. v. 19.2.2014 - A 3 S 2023/12 - juris Rn. 14; U. v. 15.4.2015 - A 3 S 1923/14 - n. v. UA S. 21; OVG NW, B. v. 27.8.2012 - 13 A 1703/12.A - juris Rn. 8; B. v. 27.4.2015 - 13 A 440/15.A - juris Rn. 10 f.).

2. Aus den gleichen Gründen sind auch die zweite (Tatsachen)Frage,

„ob ein zum Christentum konvertierter iranischer Staatsangehöriger, der im Falle einer Rückkehr sich weigert, den (nicht gelebten) christlichen Glauben formal abzulegen und sich wieder zum Islam zu bekennen, verfolgungsrelevante Maßnahmen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie zu befürchten hat, wenn der Glaubensübertritt bekannt wird“,

sowie die vierte (Tatsachen)Frage,

‚ob ein „Taufscheinchrist“, wie vorher beschrieben, der also keine innere tiefe Glaubensüberzeugung besitzt, gleichwohl aber Mitglied der Glaubensgemeinschaft sein will und im Falle der Rückkehr auch sein wird, bei einem Bekenntnis zu dieser Art von Mitgliedschaft im Iran eine Verfolgung zu befürchten hat, wenn er sich weigert, wieder Moslem zu werden‘,

nicht klärungsbedürftig.

Bei einem, ohne innere Glaubensüberzeugung lediglich formal konvertierten Christen, steht weder im Raum, dass er seine religiöse Identität nach Rückkehr in sein Heimatland unterdrücken müsste, noch dass er sich im Heimatland religiös betätigen wird. Wie zuvor ausgeführt, stellt sich somit die Frage asylrelevanter Verfolgung des lediglich formal Getauften nicht. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob es einem, ohne innere Glaubensüberzeugung lediglich formal konvertierten Christen zumutbar ist, seine (formale) Mitgliedschaft in einer christlichen Religionsgemeinschaft aufzugeben, ohne in sein durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantiertes Recht auf Religionsfreiheit einzugreifen. Ungeachtet dessen ist zweifelhaft, warum sich der Kläger als lediglich formaler Christ weigern könnte, dem Christentum abzuschwören bzw. wieder Moslem zu werden, zumal er nur vorträgt, nach „seiner inneren Überzeugung (wie sei das Gericht versteht)“ lediglich „möglicherweise“ Atheist zu sein.

3. Auch die vom Kläger gestellte Rechtsfrage,

„ob die ‚innere identitätsprägende Überzeugung‘ eines Glaubens, wie vom VG verlangt, ein ‚Verständnis der Glaubensinhalte‘ erfordert oder ob die identitätsprägende Überzeugung allein in dem Willen der Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft, getragen von sonstigen Motiven z. B. einer Emotionalität, dem Wunsch der kulturellen Zugehörigkeit ect. bestehen kann“

bedarf keiner grundsätzlichen Klärung. Zum einen ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (vgl. BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 30 im Anschluss an EuGH, U. v. 5.9.2012 - C-71/11 u. C-99/11 - NVwZ 2012, 1612; U. v. 9.12.2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289 Rn. 19), dass der Schutzsuchende, der nicht bereits wegen seiner Religion verfolgt oder unmittelbar mit Verfolgung bedroht war und bei dem nicht bereits die Taufe als solche zu einer Verfolgung führt, die inneren Beweggründe, die ihn zur Konversion veranlasst haben, glaubhaft machen muss, wenn er sich auf eine Verfolgungsgefährdung mit der Begründung beruft, er sei in Deutschland zu einer in seinem Herkunftsland bekämpften Religion übergetreten. Es muss festgestellt werden können, dass die Hinwendung zu der angenommenen Religion auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel und nicht auf Opportunitätserwägungen beruht, und der Glaubenswechsel nunmehr die religiöse Identität des Schutzsuchenden prägt. Zum anderen kommt der Frage regelmäßig keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Die Prüfung, ob ein (identitätsprägender) Glaubenswechsel vorliegt, kann jeweils nur anhand der individuellen Gegebenheiten des jeweiligen Sachverhalts erfolgen (BVerwG, B. v. 25.8.2015 - 1 B 40.15 - Asylmagazin 2015, 345 Rn. 11; BayVGH, B. v. 9.4.2015 - 14 ZB 13.30444 - juris Rn. 5 m. w. N.). Wann eine solche Prägung anzuerkennen ist und welche Anforderungen im Einzelnen zu stellen sind, lässt sich nicht allgemein beschreiben, sondern richtet sich vorwiegend nach der Persönlichkeit des Schutzsuchenden und seiner intellektuellen Disposition (OVG NW, U. v. 7.11.2012 - 13 A 1999/07.A - juris Rn. 39). Es ist ureigene Sache des Gerichts, im Rahmen der Beweiswürdigung anhand der individuellen Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls zu klären, ob ein Glaubenswechsel vorliegt.

II. Soweit der Kläger den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) geltend machen wollte mit seinem Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe gegen die vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Grundsätze verstoßen, wonach es im Hinblick auf die Gefahrenprognose auf das persönliche Glaubensverständnis des Individuums und das Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft ankomme, ist er bereits seinen diesbezüglichen Darlegungspflichten (vgl. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) nicht nachgekommen. Mit seinem Einwand, das Verwaltungsgericht habe entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in seiner Entscheidung vom 20. März 2013 - 10 C 23.12 - auf das „Verständnis der Glaubensinhalte“ und auf die „innere identitätsprägende Überzeugung“ abgestellt, hat er keinen abstrakten Rechtssatz dargelegt, sondern lediglich eine - seiner Ansicht nach fehlerhafte - gerichtliche Bewertung des Einzelfalls aufgezeigt. Den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sieht § 78 Abs. 3 AsylG nicht vor.

III. Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 9. November 2015 vorgetragen hat, dass er seine am 6. März 2015 geborene Tochter entsprechend seiner Glaubensüberzeugung am 25. Oktober 2015 hat taufen lassen, kann dies im Zulassungsverfahren gemäß § 78 Abs. 4 Satz 1 und 4 AsylG nicht mehr berücksichtigt werden.

Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO.

Tenor

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 20. Dezember 2013 - A 5 K 122/13 - zuzulassen, wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Berufungszulassungsverfahrens.

Gründe

Der auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das bezeichnete Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg hat keinen Erfolg.
Die aufgeworfene Frage,
ob eine Grundsatzentscheidung des zuständigen kirchlichen Würdenträgers, des Pfarrers, der einen ernsthaften Glaubensübertritt (eines Asylbewerbers) bejaht hat, das staatliche Gericht staatskirchenrechtlich bindet,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache. Die Frage ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67; Beschl. v. 9.12.2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289) bereits ausreichend geklärt.
Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Die Beurteilung, ob eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne der genannten Vorschrift zu erfüllen, hängt aber außer von objektiven auch von subjektiven Gesichtspunkten ab. Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit ist der Umstand anzusehen, ob für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Es reicht dafür nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten.
Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, a.a.O., Rn. 30; Beschl. v. 9.12.2010, a.a.O.). Der formale, kirchenrechtlich wirksam vollzogene Übertritt zum Christentum in Gestalt der Taufe reicht für die Gewinnung dieser Überzeugung jedenfalls im Regelfall nicht aus (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.2.2014 - A 3 S 2023/12 -; Beschl. v. 9.1.2014 - A 2 S 1812/13 -; OVG Niedersachsen, 7.3.2014 - 13 LA 118/13 - juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 24.5.2013 - 5 A 1062/12.A - juris; BayVGH, Beschl. v. 12.1.2012 - 14 ZB 11.30346 - juris). Ob ein von diesem Regelfall abweichender Sonderfall vorliegt, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und ist deshalb einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylVfG.
Der Beschluss ist unanfechtbar.

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 21. März 2012 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

(1) Die Approbation ist zurückzunehmen, wenn bei ihrer Erteilung die Voraussetzung des § 2 Absatz 1 Nummer 1 nicht vorgelegen hat. Die Approbation kann zurückgenommen werden, wenn bei ihrer Erteilung die Voraussetzung des § 2 Absatz 1 Nummer 2 oder Nummer 3 nicht vorgelegen hat. Im Übrigen bleiben die dem § 48 des Verwaltungsverfahrensgesetzes entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften unberührt.

(2) Die Approbation ist zu widerrufen, wenn nachträglich

1.
die Voraussetzung nach § 2 Absatz 1 Nummer 2 wegfällt oder
2.
dauerhaft die Voraussetzung nach § 2 Absatz 1 Nummer 3 wegfällt.
Im Übrigen bleiben die dem § 49 des Verwaltungsverfahrensgesetzes entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften unberührt.

(3) Das Ruhen der Approbation kann angeordnet werden, wenn

1.
gegen die betreffende Person wegen des Verdachts einer Straftat, aus der sich die Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs ergeben würde, ein Strafverfahren eingeleitet worden ist,
2.
die gesundheitliche Eignung zur Ausübung des Berufs voraussichtlich nur vorübergehend wegfällt,
3.
Zweifel an der gesundheitlichen Eignung der betreffenden Person bestehen, die Person sich aber weigert, sich einer von der zuständigen Behörde angeordneten amts- oder fachärztlichen Untersuchung zu unterziehen,
4.
sich erweist, dass die betreffende Person nicht über die für die Ausübung des Berufs erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt oder
5.
sich ergibt, dass die betreffende Person nicht ausreichend gegen die sich aus ihrer Berufsausübung ergebenden Haftpflichtgefahren versichert ist, sofern kraft Landesrechts oder kraft Standesrechts eine Pflicht zur Versicherung besteht.
Die Anordnung des Ruhens der Erlaubnis ist aufzuheben, sobald die Voraussetzung für die Anordnung nicht mehr vorliegt.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten entsprechend für Personen mit einer Erlaubnis zur vorübergehenden Berufsausübung oder einer Erlaubnis zur partiellen Berufsausübung.

(1) Die Approbation als Psychotherapeutin oder Psychotherapeut ist auf Antrag zu erteilen, wenn die antragstellende Person

1.
das Studium, das Voraussetzung für die Erteilung einer Approbation als Psychotherapeutin oder Psychotherapeut ist, erfolgreich absolviert hat und die psychotherapeutische Prüfung nach § 10 bestanden hat,
2.
sich nicht eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich die Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs ergibt,
3.
nicht in gesundheitlicher Hinsicht zur Ausübung des Berufs ungeeignet ist und
4.
über die für die Ausübung des Berufs erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt.

(2) Soll die Erteilung der Approbation abgelehnt werden, weil mindestens eine der in Absatz 1 Nummer 2 oder Nummer 3 genannten Voraussetzungen nicht vorliegt, so ist die antragstellende Person oder ihre gesetzliche Vertreterin oder ihr gesetzlicher Vertreter vor der Entscheidung zu hören.

(3) Ist gegen die antragstellende Person wegen des Verdachts einer Straftat, aus der sich die Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs ergeben kann, ein Strafverfahren eingeleitet, so kann die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung der Approbation ausgesetzt werden, bis das Strafverfahren beendet ist.

Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 10. Dezember 2014 ist unbegründet.

Das Urteil weicht nicht von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ab. Eine Divergenz im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem sein Urteil tragenden Obersatz von einem Obersatz des höheren Gerichts abgewichen ist (BVerwG, B.v. 19.8.1997 - 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328).

Der Kläger rügt, die Ansicht des Verwaltungsgerichts, die Anforderungen an das substantiierte Vorbringen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) seien auch auf die Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode zu übertragen, stehe im Widerspruch zum Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 21. März 2014 (13a ZB 13.30292). Dort sei ausgeführt, dass das Substantiierungserfordernis überspannt sei, wenn die hohen Anforderungen an die Diagnose bei PTBS auf diejenigen der Depression übertragen würden.

Vorliegend ist das Verwaltungsgericht zum Ergebnis gelangt, dass die vom Kläger vorgelegte psychologische Stellungnahme eines Diplom-Psychologen den im Einzelnen genannten Anforderungen an die Substantiierung seines Vorbringens nicht genüge. In erster Linie stützt sich das Verwaltungsgericht dabei darauf, dass die Stellungnahme von einem Diplom-Psychologen ausgestellt sei und nicht von einem Facharzt für psychische Erkrankungen (UA S. 9 f.). Aufgrund der Eigenart des geltend gemachten Krankheitsbildes bestünden entsprechende Anforderungen an ärztliches Vorgehen und Diagnostik, die nur von Fachärzten für Psychiatrie oder für Psychotherapeutische Medizin erfüllt werden könnten. „Diplom-Psychologe“ dürfe sich nennen, wer ein Psychologiestudium an einer Universität absolviert habe. Der Beruf des Psychologen sei kein Heilberuf; mangels Approbation dürfe der Psychologe nicht eigenverantwortlich heilberuflich am Menschen tätig werden. Der Diplom-Psychologe sei nicht als Facharzt approbiert, daher fehle ihm die fachliche ärztliche Kompetenz, so komplizierte Diagnosen psychischer Erkrankungen zu stellen.

Mit diesen Ausführungen wird kein Obersatz aufgestellt, welcher der vom Kläger zitierten Rechtsprechung des Senats widersprechen würde. Dort war die Erkrankung von einer Fachärztin für Neurologie und Nervenheilkunde diagnostiziert worden, die eine PTBS und eine „depressive Störung mittelgradiger Ausprägung“ bescheinigt hatte. Dementsprechend war auch der Beweisantrag auf das Vorliegen einer Depression und einer PTBS gerichtet. Bei der Ablehnung des Beweisantrags hat sich das Verwaltungsgericht im dortigen Fall allein auf die PTBS gestützt und ihn nach den Anforderungen an einen substantiierten Vortrag für dieses Krankheitsbild gewürdigt. Mit der Depression hat es sich überhaupt nicht befasst. Vorliegend hingegen hat das Verwaltungsgericht im Einklang mit dem Beweisantrag die attestierte depressive Episode zugrunde gelegt und insbesondere darauf hingewiesen, dass die Stellungnahme im Gegensatz zur vorgelegten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs nicht von einem diagnoseberechtigten (Fach-)Arzt, sondern von einem Diplom-Psychologen ausgestellt sei. Damit weicht das Verwaltungsgericht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab, weil die Ausgangslage eine andere ist.

Aus den gleichen Gründen scheidet auch der vom Kläger weiter geltend gemachte Verfahrensmangel der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO).

Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B.v. 30.4.2003 - 1 PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395/409 = NJW 2003, 1924). Der Kläger muss die Möglichkeit haben, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (BVerfG, B.v. 21.4.1982 - 2 BvR 810/81 - BVerfGE 60, 305/310). Der Anspruch der Prozessbeteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch in Erwägung zu ziehen (BVerfG, B.v. 19.5.1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133/146 = DVBl 1992, 1215; BayVerfGH, E.v. 13.3.1981 - Vf. 93-VI-78 - BayVBl 1981, 529). Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvorbringens eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfG, B.v. 19.5.1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133/146; B.v. 23.7.2003 - 2 BvR 624/01 - NVwZ-RR 2004, 3). Für den substantiierten Tatsachenvortrag und die schlüssige Darlegung seines Schicksals ist der Kläger selbst verantwortlich (BVerwG, B.v. 28.12.1999 - 9 B 467.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 51).

Der Kläger rügt, die Ablehnung des Beweisantrags sei rechtswidrig, weil die Gleichsetzung des Krankheitsbilds einer posttraumatischen Belastungsstörung mit dem einer mittelgradigen depressiven Episode hinsichtlich der an die Diagnose zu stellenden Anforderungen nicht haltbar sei. Wie bereits erläutert, hat sich das Verwaltungsgericht explizit mit dem Substantiierungserfordernis einer psychischen Krankheit befasst. Die Auffassung, dass die vorgelegte Stellungnahme eines Diplom-Psychologen nicht dem Substantiierungserfordernis eines Beweisantrags entspricht, ist nicht zu beanstanden. Insbesondere verweist das Verwaltungsgericht zu Recht darauf, dass sie nicht von einem Arzt, sondern von einem Diplom-Psychologen erstellt ist. Dieser ist nicht zur Diagnostik befugt, wie sich aus dem Gesetz über die Berufsausübung, die Berufsvertretungen und die Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker sowie der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (Heilberufe-Kammergesetz - HKaG) ergibt. Danach gehört die Tätigkeit eines Psychologen nicht zu den Heilberufen. Das ist erst der Fall, wenn ein Psychologe zusätzlich die mindestens dreijährige Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten gem. § 5 Psychotherapeutengesetz (PsychThG) abgeleistet und die entsprechende Approbation (§ 2 PsychThG) erhalten hat (siehe hierzu auch OVG NRW, B.v. 19.12.2008 - 8 A 3053/08.A - AuAS 2009, 82). Erst der approbierte Psychologe hat das Recht und trägt die Verantwortung sowohl für die Erstellung von Diagnosen als auch für seine Entscheidung über eine Psychotherapie und ihre Durchführung (Stellungnahme des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen - bpd - zur Tätigkeit des Diplom-Psychologen als Sachverständiger im Sozialgerichtsverfahren, abrufbar unter www.b...-v....org/b...html).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.

Tenor

I.

Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 8. April 2016 wird zugelassen, soweit damit die Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG abgewiesen wurde.

II.

Im Übrigen wird der Antrag auf Zulassung der Berufung verworfen.

III.

Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt S., M., für das Zulassungsverfahren und das anschließende Berufungsverfahren bewilligt, soweit die Berufung zugelassen wurde. Im Übrigen wird der Prozesskostenhilfeantrag abgelehnt.

IV.

Die Kostenentscheidung bleibt der Berufungsentscheidung vorbehalten.

Gründe

1. Soweit der Zulassungsantrag sich auf die Klageabweisung hinsichtlich der im Hauptantrag begehrten Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 AsylG bezieht, war er zu verwerfen, da insoweit eine § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügende Darlegung der Zulassungsgründe nicht erfolgt ist. Denn der geltend gemachte Zulassungsgrund einer dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht gerecht werdenden Ablehnung der gestellten Beweisanträge betrifft allein die mit dem Hilfsantrag begehrte Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes.

2. Im Übrigen ist der Zulassungsantrag jedoch zulässig und begründet.

Die rechtlich fehlerhafte Ablehnung eines in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags stellt nicht immer einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs dar, sondern erst dann, wenn die Nichtberücksichtigung im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (Berlit in GK-AsylVfG, 52. Ergänzungslieferung April 1998, § 78 Rn. 665 m. w. N.). Ein solcher qualifizierter Rechtsverstoß liegt hier vor, da das Attest bzw. der psychologische Bericht des Diplom-Psychologen und Psychologischen Psychotherapeuten H. S. vom 18. Januar 2016 die vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 11. September 2007 (Az. 10 C 8/07, BVerwGE 129, 251, Rn. 15 und Leitsatz 1) aufgestellten Anforderungen an ein fachärztliches Attest inhaltlich erfüllt.

Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass der psychologische Bericht des Dipl.-Psych. S. nicht mit der Begründung zurückgewiesen werden konnte, dass es sich bei ihm nicht um einen Arzt, sondern um einen Psychologischen Psychotherapeuten handelt. Denn aus der ausschließlichen Erwähnung eines „fachärztlichen“ Attestes in der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts folgt nicht, dass damit die gutachterliche Stellungnahme eines Psychologischen Psychotherapeuten zur Substantiierung eines Sachverständigen-Beweisantrags schlechthin ungeeignet wäre. Dies ergibt sich einerseits aus der vom Bundesverwaltungsgericht in der genannten Entscheidung vorgenommenen Einschränkung, dass „regelmäßig“ die Vorlage eines fachärztlichen Attestes erforderlich sei. Der Senat geht ebenso wie das OVG NRW (vgl. u. a. B.v. 19.12.2008, Az. 8 A 3053/08.A, InfAuslR 2009, 173 - 174) davon aus, dass auch Psychologische Psychotherapeuten aufgrund ihrer Ausbildung (vgl. § 5 Psychotherapeutengesetz - PsychThG) und ihrer fachlichen Qualifikation befähigt sind, psychische Erkrankungen wie auch posttraumatische Belastungsstörungen zu diagnostizieren (ebenso VG München, U.v. 28.7.2015 - M 2 K 14.31070 - juris, U.v. 14.2.2014 - M 21 K 11.30993 - juris; VG Augsburg, U.v. 21.6.2013 - Au 7 K 13.30077 - juris). Der psychologische Bericht vom 18. Januar 2016 enthält sowohl die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erforderlichen Pflichtangaben zur Beschreibung des Krankheitsbildes, zur Dauer und Häufigkeit der Behandlung und (obwohl unter der alleinigen Zwischenüberschrift des gesamten zweiseitigen Berichts „Anamnese“ aufgeführt) Aussagen über die Bestätigung der durch Anamnese des Betroffenen geschilderten Beschwerden durch die Diagnose des Behandelnden. Auch die als „Soll-Anforderungen“ vom Bundesverwaltungsgericht formulierten Angaben über Schwere der Krankheit und Behandlungsbedürftigkeit liegen vor. Allenfalls die Angaben über den Behandlungsverlauf sind etwas knapp geraten, als insoweit nur ausgeführt wird, dass das Verhältnis zur Belastung krankheitsbedingt massiv gestört sei. Da die sonstigen Angaben aber komplett vorhanden sind und der psychologische Bericht insgesamt ein anschauliches Bild über das Krankheitsbild wiedergibt, sind die Mindestanforderungen gewahrt.

Die Beweisanträge auf Einvernahme des Dipl.-Psych. S. (wofür nach der zutreffenden Rechtsprechung des VGH BW, B.v. 9.7.2012, Az. A 9 S 1359/12, AuAS 2012, 211, Leitsatz 1 und Rn. 14, die gleichen Grundsätze wie nach dem Urteil des BVerwG vom 11.9.2007 gelten) sowie auf Einholung eines Sachverständigengutachtens konnten auch nicht wegen eines unauflöslich widersprüchlichen Verfolgungsvortrags abgelehnt werden. Nach dieser Rechtsprechung greift das Gebot, ordnungsgemäß gestellten Beweisanträgen nachzugehen dann ausnahmsweise nicht, wenn das das Asylbegehren stützende Vorbringen in sich so unschlüssig und widersprüchlich ist, dass ein sachliches Substrat für eine Beweiserhebung zu einzelnen Elementen des Vorbringens fehlt (vgl. zum Ganzen Berlit in GK-AsylVfG, 52. Ergänzungslieferung, April 1998, § 78 Rn. 364 m. w. N.). Denn im vorliegenden Fall deckt sich der Kernbereich des Vorbringens des Klägers beim Bundesamt wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht mit seinen Angaben bei diversen Ärzten und Psychologen, die er wegen seiner psychischen Beschwerden aufgesucht hat. Nur in Randbereichen finden sich hier Widersprüche, deren Ursache in der jeweiligen Situation durchaus auch durch unzureichende Übersetzung gesetzt worden sein kann. Unauflösliche Widersprüche liegen aber nicht vor.

Dementsprechend liegen, soweit dem Antrag auf Zulassung der Berufung stattzugeben war, auch die Voraussetzungen für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung nach § 166 VwGO i. V. m. §§ 114 ff. ZPO vor.

Wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung bleibt diese der Entscheidung über die Berufung vorbehalten (vgl. zum Ganzen Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 30. Ergänzungslieferung Februar 2016, § 124a, Rn. 136 m. w. N.).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG, § 152 VwGO.

Gründe

1

I. Die gemäß § 146 Abs. 4 VwGO zulässige Beschwerde der Antragsteller hat Erfolg.

2

Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die Antragsteller hätten nicht glaubhaft gemacht, dass ihre Ausreise aufgrund inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse infolge einer Erkrankung des Antragstellers zu 1 unmöglich sei. Es sei nicht davon auszugehen, dass bei diesem eine Reiseunfähigkeit vorliege. Die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen seien unzureichend. Die Bescheinigung des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie D. enthalte weder eine Anamnese noch eine nachvollziehbare Diagnose. Die Bescheinigungen der Psychologinnen S. und K. seien zwar ausführlicher, beruhten aber nur auf den Angaben des Antragstellers zu 1, so dass die Schlussfolgerung, eine vorgetäuschte Diagnose könne ausgeschlossen werden, nicht überzeuge. Auch werde nicht darauf eingegangen, ob die vom Antragsteller zu 1 geschilderten Symptome in Zusammenhang mit der Einnahme von Medikamenten oder Halluzinogenen stünden. Auffällig sei, dass die vom Antragsteller zu 1 geäußerten Kriegserlebnisse im Rahmen der Anhörungen vor dem Bundesamt nicht geschildert worden seien. Zudem falle auf, dass sich der Antragsteller zu 1 erst nach Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen in psychiatrische Behandlung begeben habe, obwohl er sich bereits seit 2010 in Deutschland aufhalte. Die Bescheinigungen zögen auch keinerlei Alternativursachen in Betracht, obwohl dies angesichts der geschilderten Ängste des Antragstellers zu 1 naheliegend sei. Als Alternativursache komme ein schweres Entwurzelungssyndrom in Betracht. Dies werde weder erwähnt noch im Rahmen einer Differentialdiagnose diskutiert. Die psychologischen Stellungnahmen seien ersichtlich darauf angelegt, dem Antragsteller zu 1 zum beantragten Abschiebungsschutz zu verhelfen. Die äußerst kurzen Stellungnahmen der Amtsärztinnen S. und M. enthielten keinerlei medizinische Substanz. Es werde nicht einmal erläutert, um was für eine psychische Erkrankung es sich handeln soll, die beim Antragsteller zu 1 bestehe. Es sei auch nicht ersichtlich, dass dieser aufgrund einer akuten und schwerwiegenden Erkrankung an posttraumatischer Belastungsstörung dringend auf ärztliche Behandlung gerade in Deutschland angewiesen sei. Ziehe man in Betracht, dass bei einer Rückkehr des Antragstellers zu 1 in seine Heimat sowohl die Sprachbarriere, die einer aussichtsreichen Heilung psychischer Probleme in Deutschland entgegenstehe, als auch die soziale Isolation entfielen, sei von zusätzlichen Erschwernissen durch die Verneinung von Abschiebungshindernissen nicht auszugehen. Aufgrund der aufgezeigten Mängel sei auch nicht davon auszugehen, dass eine akute Suizidalität mit Eigen- und Fremdgefährdung bei einer Abschiebung des Antragstellers zu 1 bestehe. Möglichen Gefährdungen sei durch geeignete Vorkehrungen und Modalitäten bei der Abschiebung zu begegnen. Der Antragsgegner habe für sichere Abschiebemodalitäten und eine Begleitung durch Fachpersonal (Arzt/Sanitäter) Sorge zu tragen. Ebenso sei nach Eintreffen des Rücktransports in der Heimat des Antragstellers zu 1 durch vorherige Kontaktaufnahme mit den Heimatbehörden dessen nahtlose ärztliche und psychologische Begleitung und Versorgung sicherzustellen und eine Zurverfügungstellung von Medikamenten zu veranlassen. Dadurch werde der dem Antragsteller zu 1 bescheinigten Suizidgefahr im Rahmen der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen mit angemessenen Mitteln begegnet. Hinzu komme, dass eine Rückführung in die Heimat gerade zu einer Besserung der Gesamtsymptomatik führen könne: Die auch für seelisch Gesunde – zumal nach langjährigen Auslandsaufenthalt – bestehende starke Belastung einer drohenden Abschiebung entfalle nach dem Vollzug, was dafür spreche, dieses schwierige Phase nicht hinauszuzögern, sondern abzukürzen.

3

Dieser Würdigung durch das Verwaltungsgericht tritt die Beschwerde mit Erfolg entgegen.

4

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sogenannte Sicherungsanordnung). Anordnungsanspruch und -grund sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Für den Anordnungsanspruch einer Sicherungsanordnung genügt dabei die Glaubhaftmachung von Tatsachen, aus denen sich zumindest ergibt, dass der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen ist; ein Anordnungsgrund ist glaubhaft gemacht, wenn eine vorläufige Sicherung des in der Hauptsache verfolgten materiellen Anspruchs zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes dringlich ist (Beschl. d. Senats v. 20.06.2011 – 2 M 38/11 –, Juris RdNr. 8 m.w.N.).

5

Diese Voraussetzungen für den Erlass der von den Antragstellern begehrten einstweiligen Anordnung sind erfüllt. Es besteht die Gefahr, dass die vom Antragsgegner in Aussicht genommene Abschiebung der Antragsteller ohne eine vorherige gutachtliche Klärung der im Tenor bezeichneten Fragen die Verwirklichung eines ihnen in der Hauptsache möglicherweise zustehenden Anspruchs auf weitere Aussetzung der Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG vereitelt.

6

1. Nach derzeitigem Erkenntnisstand ist offen, ob durch die Abschiebung eine wesentliche Verschlechterung der beim Antragsteller zu 1 nach den vorliegenden ärztlichen bzw. psychologischen Stellungnahmen vorhandenen psychischen Erkrankung eintreten und sich dadurch die auf dieser Krankheit beruhende (latente) Selbstmordgefahr in einer Weise erhöhen wird, dass eine Abschiebung nicht verantwortet werden kann.

7

Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschl. v. 20.06.2011 – 2 M 38/11 – a.a.O. RdNr. 5) kann auch eine bestehende psychische Erkrankung eines ausreisepflichtigen Ausländers ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG in zwei Fallgruppen begründen: Zum einen scheidet eine Abschiebung aus, wenn und solange der Ausländer wegen Erkrankung transportunfähig ist, d. h. sich sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des „Reisens" wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn). Zum anderen muss eine Abschiebung auch dann unterbleiben, wenn sie – außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bedeutet; dies ist der Fall, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solche (unabhängig vom Zielstaat) sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne). Es geht also nicht nur darum, während des eigentlichen Abschiebevorgangs selbstschädigende Handlungen eines aufgrund einer psychischen Erkrankung suizidgefährdeten Ausländers zu verhindern; eine Abschiebung hat vielmehr auch dann zu unterbleiben, wenn sich durch den Abschiebevorgang die psychische Erkrankung (wieder) verschlimmert, eine latent bestehende Suizidalität akut wird und deshalb die Gefahr besteht, dass der Ausländer unmittelbar vor oder nach der Abschiebung sich selbst tötet. Von einem inlandsbezogenen Abschiebungshindernis ist auch dann auszugehen, wenn sich die Erkrankung des Ausländers gerade aufgrund der zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland wesentlich verschlechtert, und nicht nur, wenn ein Suizid während der Abschiebung droht (BayVGH, Beschl. v. 23.10.2007 – 24 CE 07.484 –, Juris RdNr. 21). Die Frage, ob Maßnahmen bei der Gestaltung der Abschiebung – wie ärztliche Hilfe und Flugbegleitung – ausreichen, um der auf einer psychischen Erkrankung beruhenden ernsthaften Suizidgefahr wirksam zu begegnen, lässt sich erst aufgrund einer möglichst fundierten und genauen Erfassung des Krankheitsbildes und der sich daraus ergebenden Gefahren beantworten; eine abstrakte oder pauschale Zusicherung von Vorkehrungen wird dem gebotenen Schutz aus Art. 2 Abs. 2 GG nicht gerecht (OVG NW, Beschl. v. 09.05.2007 – 19 B 352/07 –, Juris RdNr. 7).

8

Macht ein Ausländer eine solche Reiseunfähigkeit geltend oder ergeben sich sonst konkrete Hinweise darauf, ist die für die Aussetzung der Abschiebung zuständige Ausländerbehörde verpflichtet, den aufgeworfenen Tatsachenfragen, zu deren Beantwortung im Regelfall medizinische Sachkunde erforderlich ist, im Rahmen ihrer Amtsaufklärungspflicht nach § 24 VwVfG i.V.m. § 1 VwVfG LSA nachzugehen, wobei der Ausländer zur Mitwirkung verpflichtet ist (§ 82 AufenthG). Kann die Reiseunfähigkeit trotz Vorliegens ärztlicher oder psychologischer Fachberichte nicht als erwiesen angesehen werden, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass für die Ausländerbehörde kein weiterer Aufklärungsbedarf besteht. Sie bleibt nach § 24 VwVfG i.V.m. § 1 VwVfG LSA verpflichtet, den Sachverhalt selbst weiter aufzuklären, wenn und soweit sich aus den ärztlichen oder psychologischen Äußerungen, dem Vortrag des Ausländers oder aus sonstigen Erkenntnisquellen ausreichende Indizien für eine Reiseunfähigkeit ergeben. Ist das der Fall, wird regelmäßig eine amtsärztliche Untersuchung oder die Einholung einer ergänzenden (fach-)ärztlichen Stellungnahme oder eines (fach-)ärztlichen Gutachtens angezeigt sein, da der Ausländerbehörde und auch den Verwaltungsgerichten die erforderliche medizinische Sachkunde zur Beurteilung einer mit der Abschiebung einhergehenden Gesundheitsgefahr und auch der Frage fehlen dürfte, mit welchen Vorkehrungen diese Gefahr ausgeschlossen oder gemindert werden könnte (vgl. VGH BW, Beschl. v. 06.02.2008 – 11 S 2439/07 –, Juris RdNr. 9).

9

Im Fall des Antragstellers zu 1 ist ein solcher weiterer Aufklärungsbedarf gegeben. Die vorliegenden ärztlichen und psychologischen Stellungnahmen gehen zwar davon aus, dass der Antragsteller zu 1 an einer psychischen Erkrankung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTSB) leidet und im Falle einer Abschiebung eine erhöhte Suizidgefahr besteht. Ob dies zutrifft, ist jedoch auch im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht erhobenen Einwände zweifelhaft. Die Problematik muss daher erst in einem ergänzenden fachärztlichen Gutachten abschließend geklärt werden.

10

Die Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie D. von der (…)-Praxis GmbH vom 12.03.2014 (GA Bl. 30) diagnostiziert bei dem Antragsteller zu 1 zwar eine posttraumatische Belastungsstörung, lässt aber nicht erkennen, auf Grund welcher Befundtatsachen die angesprochene Diagnose gestellt wurde, und legt auch nicht dar, welche Folgen sich aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben. Damit erfüllt sie die Anforderungen nicht, die nach der Rechtsprechung des Senats an die Glaubhaftmachung einer Krankheit als rechtliches Abschiebungshindernis zu stellen sind (vgl. Beschl. v. 08.02.2012 – 2 M 29/12 –, Juris RdNr. 11).

11

Die psychologischen Stellungnahmen der Psychologin S. vom 20.03.2013 (GA Bl. 35 – 36) sowie der Psychologin K. und des Systemischen Therapeuten D. vom Psychosozialen Zentrum für Migrantinnen und Migranten in Sachsen-Anhalt vom 21.05.2014 (GA Bl. 89 – 93) diagnostizieren bei dem Antragsteller zu 1 eine posttraumatische Belastungsstörung in Komorbidität mit einer mittelschweren Depression. Eine vorgetäuschte Diagnose schließen sie aus. Eine Abschiebungsankündigung bzw. eine Rückkehr in den Kosovo werde mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar psychische Dekompensation(en) und suizidale Verhaltensweisen zur Folge haben. Auch ein erweiterter Suizid erscheine möglich. Aus psychologisch-therapeutischer Sicht wäre eine Abschiebungsandrohung bzw. eine Rückkehr mit einer erheblichen Gesundheitsgefährdung bis hin zur Stimulation einer Selbstgefährdung des Antragstellers zu 1 verbunden. In der Stellungnahme vom 21.05.2014 wird darüber hinaus ausführlich dargestellt, auf welcher Grundlage die Diagnose gestellt wurde. Mit dem Antragsteller zu 1 seien seit dem 01.02.2013 insgesamt zehn Gespräche zur Diagnostik, Stabilisierung und unmittelbaren Krisenintervention geführt worden. Befund und Spontanangaben werden ausführlich wiedergegeben. Auf dieser Grundlage wird sowohl die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung in Komorbidität mit einer mittelschweren Depression gestellt als auch die Behandlungsbedürftigkeit beurteilt. Diese Stellungnahmen enthalten zwar ernst zu nehmende Hinweise auf eine mögliche Suizidgefahr bei einer Abschiebung des Antragstellers zu 1 in den Kosovo. Sie sind jedoch auch gewichtigen Einwänden ausgesetzt. Zunächst enthält insbesondere die zuletzt vorgelegte psychologische Stellungnahme vom 21.05.2014 keinen überzeugenden Nachweis eines Traumas. Voraussetzung für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung ist jedoch der Nachweis eines traumatischen Ereignisses (vgl. Ebert/Kindt, Die posttraumatische Belastungsstörung im Rahmen von Asylverfahren, VBlBW 2004, 41 <42>; Gierlichs u.a., Grenzen und Möglichkeiten klinischer Gutachten im Ausländerrecht, ZAR 2005, 158 <161>). Da die einschlägigen fachärztlichen bzw. psychologischen Gutachten wesentlich auf den Angaben des Betroffenen beruhen, bedarf es insoweit der Prüfung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Betroffenen (VGH BW, Beschl. v. 02.05.2000 – 11 S 1963/99 –, Juris RdNr. 7; SächsOVG, Beschl. v. 21.01.2014 – 3 B 476/13 –, Juris RdNr. 5; Middeke, Posttraumatisierte Flüchtlinge im Asyl- und Abschiebungsprozess, DVBl. 2005, 150 <151>). Von Bedeutung für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit ist dabei der Umstand, dass bestimmte Ereignisse, die im Rahmen der klinischen Begutachtung als traumatisierend dargestellt werden, bei der vorherigen Anhörung vor dem Bundesamt nicht angegeben wurden. Wird das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt, die schon längere Zeit zurückliegen, ist eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (SächsOVG, Beschl. v. 21.01.2014 – 3 B 476/13 – a.a.O. RdNr. 5 unter Hinweis auf BVerwG, Urt. v. 11.09.2007 – BVerwG 10 C 8.07 –, Juris RdNr. 15). Nach diesen Grundsätzen ist die Stellungnahme vom 21.05.2014 dem fachlichen Einwand ausgesetzt, dass nicht klar wird, worin das die posttraumatische Belastungsstörung auslösende Trauma liegen soll. Im Rahmen der Biographischen Anamnese werden Ereignisse aus dem Jahr 1999 nach Ausbruch des Kosovokrieges geschildert, aber auch zeitlich nachfolgende Bedrohungen und Misshandlungen in Serbien, Übergriffe von albanisch sprechenden Männern nach der Rückkehr der Antragsteller in das Kosovo sowie eine Bedrohung des Sohnes des Antragstellers zu 1 mit einer Pistole durch Nachbarn. Soweit die Ereignisse während des Kosovokrieges im Jahr 1999 als maßgeblich für das Trauma anzusehen sein sollten, wäre zu begründen, warum diese Umstände nicht schon während der Anhörung des Antragstellers zu 1 am 29.03.2010 durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgetragen wurden. Begründungsbedürftig ist ferner der Umstand, dass der Antragsteller zu 1 das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung erst im Jahr 2013 geltend gemacht hat, obwohl er bereits seit dem Jahr 2010 aus seiner Heimat ausgereist ist. Ein weiterer Mangel der Stellungnahme vom 21.05.2014 liegt darin, dass nicht explizit angegeben wird, nach welchen Kriterien eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wurde (vgl. dazu Ebert/Kindt, a.a.O. S. 42). Schließlich stellt sich noch die Frage, ob die beim Antragsteller zu 1 festgestellten Symptome nicht auch andere Ursachen als eine posttraumatische Belastungsstörung haben können, etwa die unkontrollierte Einnahme von Medikamenten und Halluzinogenen oder ein schweres Entwurzelungssyndrom.

12

Die Stellungnahmen der Amtsärztin S. vom 08.07.2013 und 10.03.2014 sowie der Amtsärztin M. vom 29.04.2014 und 20.05.2014 lassen ebenfalls keine abschließende Beurteilung der hier relevanten Fragestellung zu. In dem amtsärztlichen Gutachten zur Beurteilung der Flug- und Reisefähigkeit des Antragstellers zu 1 vom 08.07.2013 (GA Bl. 50) heißt es, dieser leide an einer psychischen Erkrankung, die akut exazerbiert sei. Zum jetzigen Zeitpunkt bestehe die akute Gefahr eines Suizids bzw. erweiterten Suizids. In der Stellungnahme vom 10.03.2014 (GA Bl. 49) heißt es, die Reisefähigkeit im weiteren Sinne sei aufgrund der psychischen Erkrankung des Antragstellers zu 1 nicht gegeben. In der Stellungnahme vom 29.04.2014 (GA Bl. 62) wird ausgeführt, es könnten keine wesentlichen Veränderungen der gesundheitlichen Situation des Antragstellers zu 1 festgestellt werden. Er habe weiterhin eine unbändige Angst vor der Abschiebung in sein Heimatland. Er reagiere damit, im Abschiebungsfall sich und seine Familie umzubringen. Die Flug- und Reisetauglichkeit sei nach wie vor unsicher, da in keiner Weise abzuschätzen sei, ob der Antragsteller zu 1 seine Drohungen wahr mache. In der Stellungnahme vom 20.05.2014 (GA Bl. 61) wird ergänzend ausgeführt, bei der Vorstellung im Gesundheitsamt habe der Antragsteller zu 1 überzeugend den Eindruck gemacht, dass er im Falle einer Abschiebung sich und seiner Familie etwas antun werde. Es bestehe eine bedingte Flug- und Reisefähigkeit. Bedingung sei die Minderung der Eigen- und Fremdgefährdung. Die sei durch Verzicht auf eine vorherige Ankündigung des Abschiebetages und eine fachärztliche Begleitung während des Fluges zu gewährleisten. In diesen Stellungnahmen wird weder angegeben, aufgrund welcher tatsächlichen Umstände die fachliche Beurteilung erfolgt ist, noch enthalten sie eine nachvollziehbare medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes oder eine nachvollziehbare Darlegung der Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben. Die in der Stellungnahme vom 20.05.2014 vertretene Annahme, eine hinreichende Minderung der Eigen- und Fremdgefährdung könne durch Verzicht auf eine vorherige Ankündigung des Abschiebetages und Gewährleistung einer fachärztlichen Begleitung während des Fluges sichergestellt werden, wird nicht näher begründet und stellt sich als reine Spekulation dar. Zur Klärung der im Tenor bezeichneten Fragen sind diese amtsärztlichen Stellungnahmen ungeeignet.

13

Vor diesem Hintergrund liegen zwar Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller zu 1 unter einer posttraumatische Belastungsstörung leidet und eine Abschiebung zu einer erheblichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung führt. Es verbleiben jedoch Zweifel. Bei dieser Sachlage kann über das Vorliegen des geltend gemachten Duldungsgrundes ohne fachärztliches Gutachten zur Klärung der im Tenor bezeichneten Fragen nicht entschieden werden. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist damit offen, so dass ein Anordnungsanspruch gegeben ist.

14

2. Auch die Antragstellerin zu 2 und die Antragsteller zu 3 – 6 haben einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Eine rechtliche Unmöglichkeit einer Abschiebung im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG kann sich aus inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen ergeben, zu denen auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa mit Blick auf Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind. Der Schutz des Art. 6 GG umfasst die Freiheit der Eheschließung und Familiengründung sowie das Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben. Sich hieraus ergebende schutzwürdige Belange können einer (zwangsweisen) Beendigung des Aufenthalts des Ausländers dann entgegen stehen, wenn es ihm nicht zuzumuten ist, seine tatsächlichen Bindungen zu berechtigterweise im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen durch Ausreise auch nur kurzfristig zu unterbrechen (Beschl. d. Senats v. 14.08.2014 – 2 L 115/13 – m.w.N.). Derartige schutzwürdige Belange liegen im Fall der Antragstellerin zu 2 und der Antragsteller zu 3 – 6 vor. Aufgrund der oben dargestellten Umstände besteht bei dem Antragsteller zu 1 möglicherweise ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis. Die übrigen Familienmitglieder können daher einstweilen eine gewünschte familiäre Lebensgemeinschaft im gemeinsamen Heimatland nicht führen. Eine alleinige auch nur kurzfristige Rückkehr ohne Begleitung durch den Antragsteller zu 1 in das Kosovo ist ihnen ebenfalls nicht zuzumuten.

15

3. Es besteht auch ein Anordnungsgrund. Der Antragsgegner beabsichtigt, die Antragsteller ohne vorherige Einholung eines fachärztlichen Gutachtens zur Suizidgefahr abzuschieben. Die vorläufige Sicherung des in der Hauptsache verfolgten Duldungsanspruchs ist daher zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes dringlich. Denn der Duldungsanspruch erlischt ebenso wie die Aussetzung selbst (vgl. § 60a Abs. 5 Satz 1 AufenthG) mit der Ausreise (vgl. VGH BW, Beschl. v. 06.02.2008 – 11 S 2439/07 – a.a.O. RdNr. 14). Er würde durch die Abschiebung daher vereitelt. Zudem ist eine Abschiebung ohne vorherige fachärztliche Begutachtung der damit nach den vorliegenden Erkenntnissen möglicherweise einhergehenden gesundheitlichen Risiken mit der staatlichen Schutzpflicht nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht zu vereinbaren.

16

II. Den Antragstellern ist auch die beantragte Prozesskostenhilfe zu gewähren, weil sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage sind, die Kosten der Prozessführung aufzubringen, die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht mutwillig erscheint und aus den vorstehend ausgeführten Gründen hinreichende Erfolgsaussichten zu bejahen sind (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO).

17

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

18

VI. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des beschließenden Senats, im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes den halben Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG je Antragsteller festzusetzen, soweit Streitgegenstand – wie hier – die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung ist.


Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass bei der Klägerin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 07.09.2007 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Die Klägerin ist türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit. Sie reiste am 08.12.2002 in das Bundesgebiet ein. Am 09.01.2003 beantragte Sie die Gewährung von Asyl.
Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 19.03.2003 wurde der Asylantrag abgelehnt und festgestellt, dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG noch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen, sowie mit einer Ausreisefrist von einem Monat die Abschiebung angedroht. Die hierauf eingelegten Rechtsmittel blieben ohne Erfolg (vgl. VG Stuttgart, Urt. v. 25.10.2005 - A 15 K 10904/03 - und VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.04.2006 - A 12 S 1096/05 -).
Mit Schriftsatz vom 10.05.2007 stellte die Klägerin einen Asylfolgeantrag und brachte zur Begründung vor, ihr Gesundheitszustand habe sich erheblich verschlimmert. Aufgrund ihres Gesundheitszustandes bestehe im Falle einer Abschiebung in die Türkei eine Gefahr für Leib und Leben. In der Türkei habe sie in massiver Weise Verfolgung und menschenrechtswidrige Behandlung erlitten; hierdurch sei sie in ihrer psychischen Integrität erheblich verletzt und traumatisiert worden. Gleichzeitig legte die Klägerin ein ärztliches Attest der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie - Psychotherapie Dr. Beier-Fügel vom 12.06.2006, ein Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 sowie ein Gutachten der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 12.04.2007 vor.
Mit Bescheid vom 07.09.2007 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 19.03.2003 bezüglich der Feststellung zu § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1-3 VwVfG seien nicht erfüllt. Die vorgelegten ärztlichen Gutachten und Atteste könnten die Feststellungen im Urteil des VG Stuttgart vom 25.10.2005 nicht erschüttern. Bei den vorgelegten ärztlichen Gutachten und Attesten handele es sich um fachpsychiatrische Aussagen über den gegenwärtigen Gesundheitszustand der Klägerin und nicht um belastbare, verlässliche Analysen der Erlebnisse der Klägerin in der Türkei. Die Aussagen der Klägerin seien von den ärztlichen Gutachtern keiner nachvollziehbaren wissenschaftlichen Bewertung unterzogen worden. Am Wahrheitsgehalt des gesteigerten Sachvortrags der Klägerin bestünden Zweifel, da sie bereits im Erstasylverfahren trotz eingehender psychiatrischer Untersuchung die erlittene Vergewaltigung nicht erwähnt habe. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG liege nicht vor. Die Klägerin könne auf die zur Behandlung ihres Krankheitsbildes in der Türkei zur Verfügung stehenden medizinischen Möglichkeiten verwiesen werden.
Am 17.09.2007 hat die Klägerin Klage erhoben.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 07.09.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
10 
Sie verweist auf die angefochtene Entscheidung.
11 
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die zur Sache gehörenden Akten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
12 
Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit er dem entgegensteht.
13 
Allerdings ist das Bundesamt aufgrund des gestellten Asylfolgeantrags nicht gemäß § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG verpflichtet gewesen, das Verfahren im Hinblick auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wieder aufzugreifen. Insoweit steht dem Begehren der Klägerin ersichtlich § 51 Abs. 3 VwVfG entgegen, da das Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 den Prozessbevollmächtigten der Klägerin bereits am 16.01.2007 vorgelegen hat und in diesem Gutachten aufgrund umfassender Anamnese eine posttraumatische Belastungsstörung aufgrund erlittener Vergewaltigung der Klägerin diagnostiziert wurde. In diesem Gutachten wurde auch dargelegt, dass Belastungen jeglicher Art (und damit auch eine Rückkehr/Abschiebung der Klägerin in die Türkei) zu einer Gefährdung der Klägerin mit Dekompensation im Sinne einer Symptomverstärkung und Suizidalität führen werden. Spätestens mit Zugang dieses Gutachtens hatten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Sinne des § 51 Abs. 3 Satz 2 VwVfG Kenntnis von dem nunmehr in Anspruch genommenen Wiederaufgreifensgrund. Sie hätten ihn demnach binnen drei Monaten geltend machen müssen. Tatsächlich ist der Asylfolgeantrag erst am 11.05.2007 beim Bundesamt eingegangen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass dem Asylfolgeantrag ein weiteres Gutachten der Fachklinik für Psychiatrie und Psychologie Reutlingen vom 23.04.2007 beigefügt war. Denn dieses Gutachten vertieft nur das Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007, beinhaltet jedoch keine darüber hinausgehenden, substantiell neuen Tatsachen.
14 
Die Klägerin hat aber unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG einen Anspruch darauf, dass das Bundesamt eine positive Feststellung zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG trifft. Denn jenseits des § 71 AsylVfG, der nur den Asylantrag im Sinne von § 13 AsylVfG betrifft, kann sich aus §§ 51 Abs. 5, 48, 49 VwVfG und einer in deren Rahmen i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 und 2 GG gebotenen Ermessensreduzierung auf Null das Wiederaufgreifen des abgeschlossenen früheren Verwaltungsverfahrens, die Aufhebung des unanfechtbar gewordenen Verwaltungsakts und eine neue Sachentscheidung zu § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG dann ergeben, wenn tatsächlich Abschiebungsverbote vorliegen; auf die Frage, wann diese geltend gemacht worden sind, kommt es wegen des materiellen Schutzgehalts der Grundrechte nicht an (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.06.2000, DVBl. 2000, 179; BVerwG, Urteil vom 07.09.1999, InfAuslR 2000, 16 und Urteil vom 21.03.2000, NVwZ 2000, 940; VGH Baden-Württ., Beschluss vom 04.01.2000, NVwZ-RR 2000, 261). Einer Feststellung des geltend gemachten Abschiebungsverbots durch das Bundesamt steht auch nicht die Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung über die negative Feststellung des Bundesamts im Asylerstverfahren entgegen. Das Bundesamt ist nicht gehindert, einen rechtskräftig abgesprochenen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten zu erfüllen, wenn es erkennt, dass der Anspruch tatsächlich besteht und das rechtskräftige Urteil unzutreffend ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.12.1992, BVerwGE 91, 256; Urteil vom 27.01.1994, BVerwGE 95, 86 und Urteil vom 07.09.1999, NVwZ 2000, 204). Ob eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG vorliegt, ist somit ohne Rücksicht auf die Versagung asylrechtlichen Verfolgungsschutzes und ohne Bindung an etwa vorliegende rechtskräftige Gerichtsentscheidungen zu beurteilen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.12.1996, InfAuslR 1997, 284 und Urteil vom 30.03.1999, DVBl. 1999, 1213).
15 
Die Beklagte ist für den Anspruch der Klägerin auch passiv legitimiert. Das Bundesamt ist zur Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG auch bei solchen Folgeanträgen zuständig, die nach § 71 Abs. 1 AsylVfG nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führen (vgl. BVerwG, Urteil vom 07.09.1999, NVwZ 2000, 204; Beschluss vom 23.11.1999, NVwZ 2000, 941 und Urteil vom 21.03.2000, NVwZ 2000, 940). Schließlich ist das Verwaltungsgericht im Hinblick auf § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG auch befugt und verpflichtet, in der Sache durch zu entscheiden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.02.1998, NVwZ 1998, 861).
16 
Bei der Klägerin liegt ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vor. Das dem Bundesamt eingeräumte Ermessen auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf die Feststellung dieses Abschiebungsverbots ist deshalb auf Null reduziert (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 04.01.2000, NVwZ-RR 2000, 261). Selbst wenn eine Ermessensreduzierung auf Null eine extreme individuelle Gefahr voraussetzen sollte (vgl. BVerwG, Urt. vom 20.10.2004, BVerwGE 122, 103), ist die Beklagte vorliegend zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vorliegt, da sich die Klägerin krankheitsbedingt bei einer Rückkehr in die Türkei in einer extremen individuellen Gefahrensituation befinden würde.
17 
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Bestimmung fragt nicht danach, von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird; die Regelung stellt vielmehr lediglich auf das Bestehen einer konkreten Gefahr ab ohne Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.10.1995, NVwZ 1996, 199). Eine Aussetzung der Abschiebung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kommt jedoch nicht in Betracht, wenn die geltend gemachten Gefahren nicht landesweit drohen und der Ausländer sich ihnen durch Ausweichen in sichere Gebiete seines Herkunftslandes entziehen kann (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.10.1995 aaO.). Ein Ausländer kann schon dann auf einen alternativen Landesteil verwiesen werden, wenn ihm dort konkrete Gefahren i. S. d. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen; sonstige Mindestanforderungen an die Qualität und Verfolgungssicherheit des Aufenthalts in der Ausweichregion bestehen nicht (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. vom 22.07.1998 - A 6 S 3421/96 - juris -). Die Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit muss mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestehen. Die besondere Schwere eines drohenden Eingriffs ist im Rahmen der gebotenen qualifizierenden Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung, Abwägung und zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts vermittels des Kriteriums, ob die Wahrscheinlichkeit der Rechtsgutverletzung beachtlich ist, zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.10.1995 aaO. und Urt. vom 05.07.1994, InfAuslR 1995, 24). Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne ist gegeben, wenn die für den Eintritt der Gefahr sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (vgl. BVerwG, Beschl. vom 18.07.2001, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 46).
18 
Auch die drohende Verschlimmerung einer Krankheit wegen ihrer nur unzureichenden medizinischen Behandlung im Zielstaat der Abschiebung kann ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen (vgl. BVerwG, Urt. vom 25.11.1997, BVerwGE 105, 383 = NVwZ 1998, 524; Urt. vom 27.04.1998, NVwZ 1998, 973 und Urt. vom 21.09.1999, NVwZ 2000, 206). Von einer Verschlimmerung ist auszugehen, wenn eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands droht; konkret ist diese Gefahr, wenn die Verschlechterung alsbald nach der Rückkehr in den Heimatstaat eintreten würde (vgl. BVerwG, Urt. vom 25.11.1997 aaO und Urt. vom 29.07.1999 - 9 C 2/99 - Juris -). Ob die Gefahr der Verschlechterung der Gesundheit durch die individuelle Konstitution des Ausländers bedingt oder mitbedingt ist, ist unerheblich (vgl. BVerwG, Urt. vom 29.07.1999 aaO). Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation im Zielstaat zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.2002, NVwZ-Beilage I 2003, 53 = DVBl 2003, 463 und Beschluss vom 29.04.2003, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 60; VGH Kassel, Urteil vom 24.06.2003, AuAS 2004, 20). Die mögliche Unterstützung durch Angehörige im In- oder Ausland ist in die gerichtliche Prognose, ob bei Rückkehr eine Gefahr für Leib oder Leben besteht, mit einzubeziehen (vgl. BVerwG, Beschl. vom 01.10.2001, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 51).
19 
Nach diesen Kriterien steht der Klägerin ein Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG hinsichtlich der Türkei zu. Die Klägerin leidet ausweislich der von ihr vorgelegten Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 an einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10: F 43.1) und (so die Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen) an einer schweren Depression ohne psychotische Symptome (ICD-10: F 32.2).
20 
Bei der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) handelt es sich um ein komplexes psychisches Krankheitsbild. Die posttraumatische Belastungsstörung entsteht als eine verzögerte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde und mit starker Furcht und Hilflosigkeit einhergeht. Typische Merkmale der PTBS sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (sog. Intrusionen), die so weit gehen können, dass der Körper das schlimme Ereignis noch einmal wie in der Ursprungssituation nacherlebt (flashbacks). Weitere Merkmale sind das andauernde Gefühl von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit, Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber und Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Hinzu tritt gewöhnlich ein Zustand vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung und eine übermäßige Schreckhaftigkeit und Schlaflosigkeit. Angst und Depressionen sind häufig mit den vorstehend genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert, und Suizidgedanken sind nicht selten. Die PTBS kann zu einer Beeinträchtigung des Erinnerungs- und Wiedergabevermögens und zu Konzentrationsschwierigkeiten führen, zu Schweigsamkeit aus Scham, Angst vor Erinnerung, Apathie (vgl. zum Vorstehenden Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Auflage, Seite 750 ff.; Loesel/Bender, Asylpraxis Band 7 S. 175 ff.; Koch, Asylpraxis Band 9 S. 61 ff.; Haenel, Asylpraxis Band 9, S. 111 ff., Marx, InfAuslR 2000, 357 ff; Treiber, ZAR 2002, 282 ff.; Middeke, DVBl. 2004, 150 ff.). Die posttraumatische Belastungsstörung ist in der Auflistung aller Krankheiten durch die Weltgesundheitsorganisation unter F 43.1 der ICD 10 enthalten (vgl. Dilling u.a., Internationale Klassifikation psychischer Störungen, 3. Auflage, S. 121).
21 
In der internationalen Klassifikation sind Traumata definiert als kurz oder lang anhaltende Ereignisse oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß, die nahezu bei jedem Betroffenen tiefgreifende Verzweiflung auslösen werden (vgl. Koch in: Asylpraxis, Band 9, Seite 61, 69ff). Man unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen traumatischen Ereignissen in Folge von Unfällen oder Katastrophen und willentlich durch Menschen verursachten Traumata (z. B. Folter, Misshandlung, Vergewaltigung und Kriegserlebnisse). Da es sich bei der PTBS um ein innerpsychisches Erlebnis handelt, das sich einer Erhebung äußerlich objektiver Befundtatsachen weitgehend entzieht, kommt es in besonderem Maße auf die Glaubhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit eines geschilderten inneren Erlebnisses und der zugrunde liegende faktischen äußeren Erlebnistatsachen an, was wiederum angesichts der Komplexität und Schwierigkeit des Krankheitsbildes eine eingehende Befassung des Arztes mit dem Patienten erfordert. Regelmäßig sind tragfähige Aussagen zur Traumatisierung erst nach mehreren Sitzungen über eine längere Zeit möglich. Auch bedarf es unter anderem einer gründlichen Anamnese sowie einer schlüssigen und nachvollziehbaren Herleitung des im Übrigen genau zu definierenden Krankheitsbildes (vgl. Treiber a.a.O.; Loesel/Bender a.a.O.). Es gibt keine PTBS ohne Trauma und auch beim Vorliegen aller Symptome einer PTBS kann eine solche nur diagnostiziert werden, wenn auch ein entsprechendes Trauma vorhanden war. Aus den Symptomen kann nicht rückgeschlossen werden, dass ein Trauma stattgefunden hat (vgl. Venzlaff/Foerster a.a.O. S. 752; Steller in Sonderheft für Gerhard Schäfer, NJW-Beilage 2002, S. 69, 71; Ebert/Kindt, VBlBW 2004, 41 f.; a.A. Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321).
22 
Nach den Feststellungen der Sachverständigen Dr. K (Michael-Balint-Klinik) und Dr. N (Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen) erbrachten ihre eigenen Untersuchungen der Klägerin die sichere Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die für diese Krankheit nach ICD-10: F 43.1 erforderlichen diagnostischen Kriterien seien erfüllt. An der Richtigkeit dieser Ausführungen hegt das Gericht keine Zweifel. Die Feststellungen in dem Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und im Gutachten der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 sind eindeutig, in sich widerspruchsfrei und nachvollziehbar. Die Gutachter haben andere differentialdiagnostische Erwägungen angestellt, diese jedoch verworfen. Aus beiden Gutachten geht eindeutig hervor, auf welcher Grundlage die Sachverständigen ihre Diagnose gestellt haben und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Die Gutachten geben auch Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf. Für diese psychotraumatologischen Fachfragen gibt es keine eigene Sachkunde der Behörde oder des Gerichts (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.05.2006, NVwZ 2007, 345 und Urt. v. 11.09.2007 - 10 C 8/07 - juris -). Soweit das Bundesamt das Vorliegen der fachärztlich diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung verneint, weil es das Vorhandensein eines traumatisierenden Ereignisses als nicht hinreichend belegt ansieht, fehlt ihm für diese Aussage ohne Einholung eines eigenen medizinischen Sachverständigengutachtens die notwendige Sachkunde.
23 
Das Bundesamt ist erkennbar auch der Auffassung, bei den medizinischen Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 fehle die inhaltliche Analyse der erhobenen Aussagen der Klägerin in Bezug auf das Vorliegen und den Ausprägungsgrad von Glaubhaftigkeitsmerkmalen (Konstanz- und Motivationsanalyse, Fehlerquellen- und Kompetenzanalyse). Dieses Vorbringen deutet darauf hin, dass das Bundesamt den Unterschied zwischen aussagepsychologischen und klinischen Gutachten nicht kennt. Aussagepsychologische Gutachten äußern sich zu Aussagen über ein Geschehen. Die aussagepsychologische Begutachtung wurde entwickelt, um mit Hilfe der Inhaltsanalyse einer Aussage und unter Berücksichtigung der Entstehungsgenese, der Kompetenz und der Motivation des Untersuchten sowie mit Hilfe des Vergleichs verschiedener Aussagen einer Person zu unterschiedlichen Zeiten (Konstanzanalyse) die Frage zu klären, inwieweit die Schilderungen glaubhaft und zuverlässig sind. Klinische Gutachten äußern sich hingegen zu der Frage, ob jemand gesund oder krank ist und dazu, welche Erkrankungen gegebenenfalls vorliegen. Forensische aussagepsychologische Gutachten liegen aber außerhalb des Kompetenzbereichs eines Facharztes oder Psychotherapeuten. Klinische Gutachten oder Stellungnahmen zu Fragen nach bestehenden psychischen Traumafolgen analysieren Aussagen nicht anhand der Kriterien der Aussagepsychologie. Diese Kriterien (Konstanzanalyse, Aussageentstehung und Aussageentwicklung oder Motivationsanalyse) gehören deshalb nicht in den Rahmen eines klinischen Gutachtens. Klinische Gutachten können allenfalls wesentliche Anhaltspunkte enthalten, die für oder gegen den Erlebnisbezug von Aussagen zur traumatischen Vorgeschichte sprechen (vgl. zum Ganzen Venzlaff/Foerster a.a.O. S. 752; Gierlichs u.a., ZAR 2005, 158 ff; Wenk-Ansohn u.a., Anforderungen an Gutachten, Einzelentscheiderbrief 8 und 9/2002, 3; Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321, 322). Unabhängig hiervon haben sich die Gutachter Dr. K und Dr. N mit der Glaubhaftigkeit des Vorbringens der Klägerin nachhaltig beschäftigt. Eine Simulation und Aggravation wurde von beiden Gutachtern überzeugend ausgeschlossen.
24 
Da nach dem Vorgenannten weder mit psychiatrisch-psychotherapeutischen Mitteln noch mit Hilfe der Psychopathologie sicher erschlossen werden kann, ob tatsächlich ein traumatisches Ereignis stattgefunden hat und wie dieses geartet war, muss das behauptete traumatisierende Ereignis zur Überzeugung des Gerichts stattgefunden haben (ebenso VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.10.2006, VBlBW 2007, 116; vgl. aber auch BVerwG, Beschl. v. 18.07.2001, DVBl 2002, 53: Glaubhaftigkeitsprüfung unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen bei Traumatisierung). Dies ist vorliegend der Fall. Aufgrund der Einvernahme der Klägerin in der mündlichen Verhandlung und aufgrund der ausführlich wiedergegebenen Anamnesen in den Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 ist das Gericht der Überzeugung, dass die Klägerin tatsächlich im März 2002 von einem Angehörigen türkischer Sicherheitskräfte vergewaltigt wurde. Sie hat dieses Ereignis mit hinreichenden Realkennzeichen bei der Anamneseerhebung durch die Michael-Balint-Klinik geschildert. Außerdem hatte sie bereits im Erstasylverfahren vorgetragen, seit März 2002 Probleme in der Türkei gehabt zu haben; dieses Datum korrespondiert mit den Angaben der Klägerin im Asylfolgeverfahren, wonach sie im März 2002 die Vergewaltigung durch einen türkischen Polizisten erlitten habe. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass die Klägerin die Vergewaltigung erst nach dem Erstasylverfahren benannt hat. Aus der psychotraumatologischen Forschung ist bekannt, dass traumatische Erinnerungen eher fragmentarischen Charakter haben und dass gerade bei traumatisierten Personen charakteristische Gedächtnisstörungen krankheitsbedingt die Regel sind. Hinzu kommt, dass traumatisierte Menschen oft jene Ereignisse verschweigen, die als besonders schmerzhaft erlebt wurden oder die stark schambesetzt sind. Dieses Vermeidungsverhalten ist Teil des Krankheitsbildes und nur bedingt willentlich beeinflussbar (vgl. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Auflage, Seite 752; Hinckeldey/Fischer, Psychotraumatologie der Gedächtnisleistung; Birck, Traumatisierte Flüchtlinge sowie in ZAR 2002, 28 ff.; Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321, 322; Mehari, Koch, Bittenbinder, Wirtgen, Haenel, Hüther in: Asylpraxis, Band 9 Seite 17 ff.; ebenso OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris -). Bei traumatisierten Personen können somit die bei der Glaubhaftigkeitsprüfung relevanten Kriterien wie Detailreichtum, Farbigkeit der Darstellung, logische Kohärenz, Homogenität, innere Widerspruchsfreiheit und Konstanz der Aussage nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden (vgl. Treiber, ZAR 2002, 282; Middeke, DVBl. 2004, 150, 151; Marx, InfAuslR 2003, 21, 23; Koch in: Asylpraxis Band 9, Seite 61ff, 88). Deshalb wird im Hinblick auf die Schilderung des Traumageschehens bei einem traumatisierten Asylbewerber ein qualifizierter Beweisnotstand angenommen, der zu einer Herabsetzung der Anforderungen an die Schlüssigkeit des tatsächlichen Vorbringens und damit auch an den Nachweis eines Verfolgungsgeschehens führt (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 10.05.2002 - 10 A 11457/01 -; OVG Münster, Beschl. v. 07.01.1998, AuAS 1998, 105; OVG Weimar, Urt. v. 25.09.2003, NVwZ-RR 2004, 455 und Urt. v. 18.03.2005, Asylmagazin 7-8/2005, 34; OVG Greifswald, Urt. v. 13.04.2000, AuAS 2000, 221).
25 
Wegen der Eigentümlichkeit, dass die Traumatisierten oft erst im Rahmen einer bereits greifenden therapeutischen Bemühung in der Lage sind, über das Geschehene Auskunft zu geben, kann in der äußerlichen Widersprüchlichkeit von Angaben kein ausschlaggebendes Moment ausgemacht werden, das der Annahme des der Feststellung der posttraumatischen Belastungsstörung zugrunde liegenden Traumas entgegensteht (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 23.09.2003, Asylmagazin 4/2004, 33). Der Glaubhaftigkeit der von der Klägerin im Asylfolgeverfahren dargelegten erlittenen Vergewaltigung im März 2002 steht deshalb nicht entgegen, dass sie sich weder bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt am 14.01.2003 noch bei den Begutachtungen durch das Klinikum Weissenhof und durch die psychologische Beratungsstelle Stuttgart in der Lage gesehen hat, die in der Türkei erlebte Erniedrigung zu berichten. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin glaubhaft dargelegt, dass sie aus Angst, ihr vor der Tür wartender Ehemann könne ihre Angaben mithören, keine Aussagen im Klinikum Weissenhof und in der psychologischen Beratungsstelle Stuttgart zu der erlittenen Vergewaltigung gemacht hat. Auch in der mündlichen Verhandlung war die tief sitzende Furcht der Klägerin mit Händen greifbar, ihre Angaben im Sitzungssaal könnten von dem im Wartebereich aufhältigen Ehemann mitgehört werden. Bei der Anamneseerhebung durch Dr. N in der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen hinderte ein intrusives, flashback-artiges Wiedererleben der Vergewaltigung die Klägerin daran, über das konkrete Vergewaltigungsgeschehen zu sprechen; die Klägerin war über mehr als 15 Minuten nicht zu beruhigen und verbal nicht mehr zu erreichen. Eine notfallmäßige Klinikaufnahme zur Krisenintervention wurde vom Gutachter in Erwägung gezogen. Auch der persönliche Eindruck, den die Klägerin in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, hat bestätigt, dass sie nur unter Aufbietung aller ihrer Kräfte und unter Tränen und Weinanfällen zu Andeutungen über den erlittenen sexuellen Missbrauch in der Lage ist.
26 
Im Übrigen müsste auch dem Bundesamt bekannt sein, dass das Selbstbild der von sexualisierter Gewalt betroffenen Frauen aus der Türkei (gleiches gilt aber auch für Frauen aus dem Irak, aus Bosnien und aus dem Kosovo) geprägt ist vom Gedanken des Entehrtseins und deren Gefühlswelt von Scham, Wertlosigkeit, Selbstverurteilung und Schuld erfüllt ist. Um in der sozialen Gemeinschaft weiter existieren zu können und aus Angst davor, vom Ehemann verstoßen zu werden, entschließen sich die meisten dieser Frauen, über die erlebten sexuellen Übergriffe durch Sicherheitskräfte nicht zu sprechen. Angaben über sexualisierte Gewalt stellen vor dem Hintergrund islamisch geprägter Traditionen nicht nur für die betroffene Frau, sondern auch für deren Ehemann und die gesamte Familie eine neuerliche Entehrung dar. Deshalb kommen Aussagen zu sexualisierten Gewalterfahrungen bei muslimischen Frauen erst unter größtem Druck, wenn beispielsweise die Abschiebung unmittelbar droht, zustande (vgl. zum Ganzen Haenel/Wenk-Ansohn, Begutachtung psychisch reaktiver Traumafolgen in aufenthaltsrechtlichen Verfahren, S. 160 ff.; Birck, ZAR 2002, 28, 31; Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321, 323).
27 
Gegen die Richtigkeit der in den Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 gestellten Diagnose posttraumatische Belastungsstörung spricht auch nicht das späte Auftreten der von der Klägerin geschilderten Krankheitssymptome. Entgegen der vom Bundesamt häufig vertretenen Auffassung tritt die posttraumatische Belastungsstörung nicht regelmäßig innerhalb von sechs Monaten nach dem traumatischen Ereignis auf. Diese Zeitspanne wird in der ICD-10 für F 43.1 nur als häufigste Latenz angegeben. In der (ausführlicheren) DSM-IV wird ausdrücklich auf eine PTBS mit verzögertem Beginn hingewiesen. Nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen können traumabedingte Störungen einschließlich posttraumatischer Belastungsstörungen auch mit jahrelanger bis zum Teil jahrzehntelanger Latenz auftreten (vgl. Gierlichs, Asylmagazin 7-8/2003, 53 sowie in ANA-ZAR 5/2007, 33 m.w.N.). In der ergänzenden Stellungnahme an das Gericht vom 11.01.2008 hat auch Dr. N, der anerkanntermaßen ein ausgewiesener Fachmann auf dem Gebiet der Psychotraumatologie ist, dargelegt, dass der Ausbruch der Symptome der PTBS von vielfältigen Umgebungsfaktoren abhängen kann, die beispielsweise eine Kompensation ermöglichen oder Verdrängung/Verleugnung des Traumas erforderlich machen können.
28 
Nach dem Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 ist bei einer erzwungenen Rückkehr der Klägerin in die Türkei aufgrund der Retraumatisierung mit Dekompensation mit massivster Verschlechterung der psychischen Erkrankung mit akuter Lebensgefährdung zu rechnen. Den ärztlichen Feststellungen zufolge leidet die Klägerin an Einschlaf- und Durchschlafstörungen, unter Gedankenkreisen und Grübeln und unter einem kompletten Libidoverlust; weiter traten bei den Explorationen Hitzewallungen, Kopfschmerzen, Schwindel und brennende Hände „wie Feuer“ auf. Schließlich wird in den Gutachten über massive Lebensunlust, Todessehnsucht und über vier Suizidversuche berichtet. Diese ärztlichen Feststellungen sind klar, eindeutig und überzeugend. Im Übrigen handelt es sich bei der Einschätzung des Krankheitsverlaufs und der gesundheitlichen Folgen wiederum um medizinische Fachfragen, für die es keine eigene Sachkunde der Behörde oder des Gerichts gibt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.05.2006, NVwZ 2007, 345).
29 
Unter dem Begriff der „Retraumatisierung“ wird die durch äußere Ursachen oder Bedingungen, die dem zugrundeliegenden traumatischen Erlebnis gleichen, ähneln oder auch nur Anklänge daran haben, ausgelöste Reaktualisierung der inneren Bilder des traumatischen Erlebens in der Vorstellung und den körperlichen Reaktionen des Betroffenen verstanden, die mit der vollen oder gesteigerten Entfaltung des Symptombildes der ursprünglichen traumatischen Reaktion auf der körperlichen, psychischen und sozialen Ebene einhergeht (vgl. Marx, InfAuslR 2000, 357, 360 m.w.N.). Die Folge davon kann eine akute Dekompensation wie z. B. schwere depressive Reaktion, psychotische Dekompensation, suizidale Handlung und anderes sein und zu einer dauerhaften Verschlimmerung oder Chronifizierung des posttraumatischen Krankheitsprozesses führen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris -).
30 
Bereits diese konkrete Gefahr der Retraumatisierung begründet ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (ebenso VGH München, Urt. v. 20.10.1999 - 23 B 98.30524; VGH Kassel, Urt. v. 26.02.2007 - 4 UE 1125/05.A - juris -; OVG Koblenz, Urt. v. 09.02.2007 - 10 A 10952/06.OVG - ; OVG Schleswig, Beschl. v. 28.09.2006 - 4 LB/06 -; OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris - und Urt. v. 12.09.2007 - 8 LB 210/05 - juris -). Die Gefahr der Retraumatisierung lässt sich nicht auf den eigentlichen Ort eingrenzen, an dem die Verletzungshandlung erfolgte, denn auch andere Orte und Personen im Heimatland, die dem zugrundeliegenden traumatischen Erlebnis gleichen, ähneln oder auch nur Anklänge daran haben, führen zu einer Reaktualisierung der inneren Bilder des traumatischen Erlebens in der Vorstellung und den körperlichen Reaktionen des Betroffenen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 28.02.2005 - 11 LB 121/04 und Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/ 05 - juris -), so dass im Falle der Klägerin die Gefahr der Retraumatisierung konkret und landesweit gegeben ist.
31 
Diese konkrete und landesweite Gefahr im Falle einer Abschiebung in die Türkei ist durch eine mögliche medikamentöse Behandlung im Zielstaat der Abschiebung nicht zu verhindern (vgl. Gierlichs/Wenk-Ansohn, ZAR 2005, 405, 408; Gierlichs u.a., ZAR 2005, 158, 163). Der erheblichen Gesundheits- und Lebensgefahr für die Klägerin kann auch nicht dadurch wirksam begegnet werden, dass sie sich unverzüglich nach der Rückkehr in ihr Heimatland in psychologische oder psychiatrische Behandlung begibt. Denn Menschen mit traumatogenen Störungen können in einer Umgebung, die Intrusionen stimuliert und kein Vermeidungsverhalten erlaubt, nicht behandelt werden (vgl. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl., S. 753). Nach fachwissenschaftlichen Erkenntnissen ist eine erfolgreiche Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen nur in einer sicheren Umgebung und bei Schutz vor weiterer Traumaeinwirkung möglich (vgl. Stellungnahme der wissenschaftlichen Fachgesellschaften, veröffentlicht in: http://www.aerzteblatt.de/v4/plus/down.asp ? typ=PDF&id=1166 ; Koch in: Asylpraxis Band 9 S. 61, 78; Gierlichs/Wenk-Ansohn, ZAR 2005, 405, 408; Gierlichs, ZAR 2006, 277, 279; Bittenbinder in: Asylpraxis Band 9, S. 35, 54 ff.; Graessner u.a., Die Spuren von Folter, S. 77 ff.; ebenso OVG Koblenz, Urt. v. 23.09.2003, Asylmagazin 4/2004, 33; OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris -).
32 
Unabhängig hiervon wird die Klägerin vor dem Hintergrund der bei ihr bestehenden schweren Erkrankung und der schon heute gezeigten extremen Destabilisierung nicht in der Lage sein, in der Türkei im Anschluss an ihre Abschiebung und die damit für sie zwangsläufig verbundene Verschlimmerung ihres Gesundheitszustandes die für sie alsdann noch umso dringlicher gebotene medizinische Hilfe zu erfahren, zumal die hier vorliegende Traumatisierung durch Vergewaltigung einen Fall mit einer besonders ungünstigen Prognose, nämlich den Fall des sog. „man made disaster“ (vgl. Koch in: Asylpraxis Band 9 Seite 71) darstellt. Denn unabhängig von der Frage, ob posttraumatische Belastungsstörungen in der Türkei behandelbar sind und ob die Klägerin eine solche Behandlung unter finanziellen Gesichtspunkten erreichen könnte, gilt im vorliegenden Fall, dass die Klägerin nach ihrer Rückkehr aufgrund ihres Rückzugsverhaltens, ihrer Depressivität und ihrer Ängste nicht in der Lage sein wird, eine solche Behandlung aus eigener Kraft oder durch entsprechende Einwirkungen durch Verwandte mittels deren Hilfestellung anzutreten. Für die Klägerin besteht somit bei einer Rückkehr in die Türkei ungeachtet der vom Bundesamt behaupteten Behandlungsmöglichkeiten die ganz konkrete Gefahr eines psychischen Zusammenbruchs, wenn nicht gar des Suizids, und damit eine extreme individuelle Gefahrensituation.
33 
Steht danach zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich der Krankheitszustand der Klägerin im Falle einer Abschiebung in ihr Herkunftsland alsbald nach ihrer Rückkehr wesentlich bzw. angesichts ihrer erheblichen Suizidalität sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde, so steht ihr ein Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Türkei zu. Die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wird nicht durch § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG gesperrt. Angesichts des vielfältigen Symptombildes der posttraumatischen Belastungsstörung kann nicht angenommen werden, dass diesbezüglich ein Bedürfnis nach einer ausländerpolitischen Leitentscheidung nach § 60 a Abs. 1 AufenthG besteht (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 18.07.2006 - 1 C 16/05 - Juris -). Im Übrigen ist inzwischen allgemein anerkannt, dass die an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankten Personen, deren Erkrankung auf willentlich durch Menschen verursachte Traumata beruht, nicht Teil einer Bevölkerungsgruppe sind (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 16.02.2004, Asylmagazin 6/2004, 30; OVG Koblenz, Urt. v. 23.09.2003, Asylmagazin 4/2004, 33 und Urt. v. 09.02.2007 - 10 A 10952/06.OVG- ; VGH Kassel, Beschl. v. 09.01.2006 - 7 ZU 1831/05.A -).
34 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, § 83 b AsylVfG.

Gründe

 
12 
Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit er dem entgegensteht.
13 
Allerdings ist das Bundesamt aufgrund des gestellten Asylfolgeantrags nicht gemäß § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG verpflichtet gewesen, das Verfahren im Hinblick auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wieder aufzugreifen. Insoweit steht dem Begehren der Klägerin ersichtlich § 51 Abs. 3 VwVfG entgegen, da das Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 den Prozessbevollmächtigten der Klägerin bereits am 16.01.2007 vorgelegen hat und in diesem Gutachten aufgrund umfassender Anamnese eine posttraumatische Belastungsstörung aufgrund erlittener Vergewaltigung der Klägerin diagnostiziert wurde. In diesem Gutachten wurde auch dargelegt, dass Belastungen jeglicher Art (und damit auch eine Rückkehr/Abschiebung der Klägerin in die Türkei) zu einer Gefährdung der Klägerin mit Dekompensation im Sinne einer Symptomverstärkung und Suizidalität führen werden. Spätestens mit Zugang dieses Gutachtens hatten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Sinne des § 51 Abs. 3 Satz 2 VwVfG Kenntnis von dem nunmehr in Anspruch genommenen Wiederaufgreifensgrund. Sie hätten ihn demnach binnen drei Monaten geltend machen müssen. Tatsächlich ist der Asylfolgeantrag erst am 11.05.2007 beim Bundesamt eingegangen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass dem Asylfolgeantrag ein weiteres Gutachten der Fachklinik für Psychiatrie und Psychologie Reutlingen vom 23.04.2007 beigefügt war. Denn dieses Gutachten vertieft nur das Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007, beinhaltet jedoch keine darüber hinausgehenden, substantiell neuen Tatsachen.
14 
Die Klägerin hat aber unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG einen Anspruch darauf, dass das Bundesamt eine positive Feststellung zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG trifft. Denn jenseits des § 71 AsylVfG, der nur den Asylantrag im Sinne von § 13 AsylVfG betrifft, kann sich aus §§ 51 Abs. 5, 48, 49 VwVfG und einer in deren Rahmen i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 und 2 GG gebotenen Ermessensreduzierung auf Null das Wiederaufgreifen des abgeschlossenen früheren Verwaltungsverfahrens, die Aufhebung des unanfechtbar gewordenen Verwaltungsakts und eine neue Sachentscheidung zu § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG dann ergeben, wenn tatsächlich Abschiebungsverbote vorliegen; auf die Frage, wann diese geltend gemacht worden sind, kommt es wegen des materiellen Schutzgehalts der Grundrechte nicht an (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.06.2000, DVBl. 2000, 179; BVerwG, Urteil vom 07.09.1999, InfAuslR 2000, 16 und Urteil vom 21.03.2000, NVwZ 2000, 940; VGH Baden-Württ., Beschluss vom 04.01.2000, NVwZ-RR 2000, 261). Einer Feststellung des geltend gemachten Abschiebungsverbots durch das Bundesamt steht auch nicht die Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung über die negative Feststellung des Bundesamts im Asylerstverfahren entgegen. Das Bundesamt ist nicht gehindert, einen rechtskräftig abgesprochenen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten zu erfüllen, wenn es erkennt, dass der Anspruch tatsächlich besteht und das rechtskräftige Urteil unzutreffend ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.12.1992, BVerwGE 91, 256; Urteil vom 27.01.1994, BVerwGE 95, 86 und Urteil vom 07.09.1999, NVwZ 2000, 204). Ob eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG vorliegt, ist somit ohne Rücksicht auf die Versagung asylrechtlichen Verfolgungsschutzes und ohne Bindung an etwa vorliegende rechtskräftige Gerichtsentscheidungen zu beurteilen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.12.1996, InfAuslR 1997, 284 und Urteil vom 30.03.1999, DVBl. 1999, 1213).
15 
Die Beklagte ist für den Anspruch der Klägerin auch passiv legitimiert. Das Bundesamt ist zur Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG auch bei solchen Folgeanträgen zuständig, die nach § 71 Abs. 1 AsylVfG nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führen (vgl. BVerwG, Urteil vom 07.09.1999, NVwZ 2000, 204; Beschluss vom 23.11.1999, NVwZ 2000, 941 und Urteil vom 21.03.2000, NVwZ 2000, 940). Schließlich ist das Verwaltungsgericht im Hinblick auf § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG auch befugt und verpflichtet, in der Sache durch zu entscheiden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.02.1998, NVwZ 1998, 861).
16 
Bei der Klägerin liegt ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vor. Das dem Bundesamt eingeräumte Ermessen auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf die Feststellung dieses Abschiebungsverbots ist deshalb auf Null reduziert (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 04.01.2000, NVwZ-RR 2000, 261). Selbst wenn eine Ermessensreduzierung auf Null eine extreme individuelle Gefahr voraussetzen sollte (vgl. BVerwG, Urt. vom 20.10.2004, BVerwGE 122, 103), ist die Beklagte vorliegend zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vorliegt, da sich die Klägerin krankheitsbedingt bei einer Rückkehr in die Türkei in einer extremen individuellen Gefahrensituation befinden würde.
17 
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Bestimmung fragt nicht danach, von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird; die Regelung stellt vielmehr lediglich auf das Bestehen einer konkreten Gefahr ab ohne Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.10.1995, NVwZ 1996, 199). Eine Aussetzung der Abschiebung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kommt jedoch nicht in Betracht, wenn die geltend gemachten Gefahren nicht landesweit drohen und der Ausländer sich ihnen durch Ausweichen in sichere Gebiete seines Herkunftslandes entziehen kann (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.10.1995 aaO.). Ein Ausländer kann schon dann auf einen alternativen Landesteil verwiesen werden, wenn ihm dort konkrete Gefahren i. S. d. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen; sonstige Mindestanforderungen an die Qualität und Verfolgungssicherheit des Aufenthalts in der Ausweichregion bestehen nicht (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. vom 22.07.1998 - A 6 S 3421/96 - juris -). Die Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit muss mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestehen. Die besondere Schwere eines drohenden Eingriffs ist im Rahmen der gebotenen qualifizierenden Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung, Abwägung und zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts vermittels des Kriteriums, ob die Wahrscheinlichkeit der Rechtsgutverletzung beachtlich ist, zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.10.1995 aaO. und Urt. vom 05.07.1994, InfAuslR 1995, 24). Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne ist gegeben, wenn die für den Eintritt der Gefahr sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (vgl. BVerwG, Beschl. vom 18.07.2001, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 46).
18 
Auch die drohende Verschlimmerung einer Krankheit wegen ihrer nur unzureichenden medizinischen Behandlung im Zielstaat der Abschiebung kann ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen (vgl. BVerwG, Urt. vom 25.11.1997, BVerwGE 105, 383 = NVwZ 1998, 524; Urt. vom 27.04.1998, NVwZ 1998, 973 und Urt. vom 21.09.1999, NVwZ 2000, 206). Von einer Verschlimmerung ist auszugehen, wenn eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands droht; konkret ist diese Gefahr, wenn die Verschlechterung alsbald nach der Rückkehr in den Heimatstaat eintreten würde (vgl. BVerwG, Urt. vom 25.11.1997 aaO und Urt. vom 29.07.1999 - 9 C 2/99 - Juris -). Ob die Gefahr der Verschlechterung der Gesundheit durch die individuelle Konstitution des Ausländers bedingt oder mitbedingt ist, ist unerheblich (vgl. BVerwG, Urt. vom 29.07.1999 aaO). Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation im Zielstaat zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.2002, NVwZ-Beilage I 2003, 53 = DVBl 2003, 463 und Beschluss vom 29.04.2003, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 60; VGH Kassel, Urteil vom 24.06.2003, AuAS 2004, 20). Die mögliche Unterstützung durch Angehörige im In- oder Ausland ist in die gerichtliche Prognose, ob bei Rückkehr eine Gefahr für Leib oder Leben besteht, mit einzubeziehen (vgl. BVerwG, Beschl. vom 01.10.2001, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 51).
19 
Nach diesen Kriterien steht der Klägerin ein Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG hinsichtlich der Türkei zu. Die Klägerin leidet ausweislich der von ihr vorgelegten Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 an einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10: F 43.1) und (so die Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen) an einer schweren Depression ohne psychotische Symptome (ICD-10: F 32.2).
20 
Bei der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) handelt es sich um ein komplexes psychisches Krankheitsbild. Die posttraumatische Belastungsstörung entsteht als eine verzögerte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde und mit starker Furcht und Hilflosigkeit einhergeht. Typische Merkmale der PTBS sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (sog. Intrusionen), die so weit gehen können, dass der Körper das schlimme Ereignis noch einmal wie in der Ursprungssituation nacherlebt (flashbacks). Weitere Merkmale sind das andauernde Gefühl von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit, Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber und Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Hinzu tritt gewöhnlich ein Zustand vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung und eine übermäßige Schreckhaftigkeit und Schlaflosigkeit. Angst und Depressionen sind häufig mit den vorstehend genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert, und Suizidgedanken sind nicht selten. Die PTBS kann zu einer Beeinträchtigung des Erinnerungs- und Wiedergabevermögens und zu Konzentrationsschwierigkeiten führen, zu Schweigsamkeit aus Scham, Angst vor Erinnerung, Apathie (vgl. zum Vorstehenden Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Auflage, Seite 750 ff.; Loesel/Bender, Asylpraxis Band 7 S. 175 ff.; Koch, Asylpraxis Band 9 S. 61 ff.; Haenel, Asylpraxis Band 9, S. 111 ff., Marx, InfAuslR 2000, 357 ff; Treiber, ZAR 2002, 282 ff.; Middeke, DVBl. 2004, 150 ff.). Die posttraumatische Belastungsstörung ist in der Auflistung aller Krankheiten durch die Weltgesundheitsorganisation unter F 43.1 der ICD 10 enthalten (vgl. Dilling u.a., Internationale Klassifikation psychischer Störungen, 3. Auflage, S. 121).
21 
In der internationalen Klassifikation sind Traumata definiert als kurz oder lang anhaltende Ereignisse oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß, die nahezu bei jedem Betroffenen tiefgreifende Verzweiflung auslösen werden (vgl. Koch in: Asylpraxis, Band 9, Seite 61, 69ff). Man unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen traumatischen Ereignissen in Folge von Unfällen oder Katastrophen und willentlich durch Menschen verursachten Traumata (z. B. Folter, Misshandlung, Vergewaltigung und Kriegserlebnisse). Da es sich bei der PTBS um ein innerpsychisches Erlebnis handelt, das sich einer Erhebung äußerlich objektiver Befundtatsachen weitgehend entzieht, kommt es in besonderem Maße auf die Glaubhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit eines geschilderten inneren Erlebnisses und der zugrunde liegende faktischen äußeren Erlebnistatsachen an, was wiederum angesichts der Komplexität und Schwierigkeit des Krankheitsbildes eine eingehende Befassung des Arztes mit dem Patienten erfordert. Regelmäßig sind tragfähige Aussagen zur Traumatisierung erst nach mehreren Sitzungen über eine längere Zeit möglich. Auch bedarf es unter anderem einer gründlichen Anamnese sowie einer schlüssigen und nachvollziehbaren Herleitung des im Übrigen genau zu definierenden Krankheitsbildes (vgl. Treiber a.a.O.; Loesel/Bender a.a.O.). Es gibt keine PTBS ohne Trauma und auch beim Vorliegen aller Symptome einer PTBS kann eine solche nur diagnostiziert werden, wenn auch ein entsprechendes Trauma vorhanden war. Aus den Symptomen kann nicht rückgeschlossen werden, dass ein Trauma stattgefunden hat (vgl. Venzlaff/Foerster a.a.O. S. 752; Steller in Sonderheft für Gerhard Schäfer, NJW-Beilage 2002, S. 69, 71; Ebert/Kindt, VBlBW 2004, 41 f.; a.A. Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321).
22 
Nach den Feststellungen der Sachverständigen Dr. K (Michael-Balint-Klinik) und Dr. N (Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen) erbrachten ihre eigenen Untersuchungen der Klägerin die sichere Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die für diese Krankheit nach ICD-10: F 43.1 erforderlichen diagnostischen Kriterien seien erfüllt. An der Richtigkeit dieser Ausführungen hegt das Gericht keine Zweifel. Die Feststellungen in dem Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und im Gutachten der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 sind eindeutig, in sich widerspruchsfrei und nachvollziehbar. Die Gutachter haben andere differentialdiagnostische Erwägungen angestellt, diese jedoch verworfen. Aus beiden Gutachten geht eindeutig hervor, auf welcher Grundlage die Sachverständigen ihre Diagnose gestellt haben und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Die Gutachten geben auch Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf. Für diese psychotraumatologischen Fachfragen gibt es keine eigene Sachkunde der Behörde oder des Gerichts (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.05.2006, NVwZ 2007, 345 und Urt. v. 11.09.2007 - 10 C 8/07 - juris -). Soweit das Bundesamt das Vorliegen der fachärztlich diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung verneint, weil es das Vorhandensein eines traumatisierenden Ereignisses als nicht hinreichend belegt ansieht, fehlt ihm für diese Aussage ohne Einholung eines eigenen medizinischen Sachverständigengutachtens die notwendige Sachkunde.
23 
Das Bundesamt ist erkennbar auch der Auffassung, bei den medizinischen Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 fehle die inhaltliche Analyse der erhobenen Aussagen der Klägerin in Bezug auf das Vorliegen und den Ausprägungsgrad von Glaubhaftigkeitsmerkmalen (Konstanz- und Motivationsanalyse, Fehlerquellen- und Kompetenzanalyse). Dieses Vorbringen deutet darauf hin, dass das Bundesamt den Unterschied zwischen aussagepsychologischen und klinischen Gutachten nicht kennt. Aussagepsychologische Gutachten äußern sich zu Aussagen über ein Geschehen. Die aussagepsychologische Begutachtung wurde entwickelt, um mit Hilfe der Inhaltsanalyse einer Aussage und unter Berücksichtigung der Entstehungsgenese, der Kompetenz und der Motivation des Untersuchten sowie mit Hilfe des Vergleichs verschiedener Aussagen einer Person zu unterschiedlichen Zeiten (Konstanzanalyse) die Frage zu klären, inwieweit die Schilderungen glaubhaft und zuverlässig sind. Klinische Gutachten äußern sich hingegen zu der Frage, ob jemand gesund oder krank ist und dazu, welche Erkrankungen gegebenenfalls vorliegen. Forensische aussagepsychologische Gutachten liegen aber außerhalb des Kompetenzbereichs eines Facharztes oder Psychotherapeuten. Klinische Gutachten oder Stellungnahmen zu Fragen nach bestehenden psychischen Traumafolgen analysieren Aussagen nicht anhand der Kriterien der Aussagepsychologie. Diese Kriterien (Konstanzanalyse, Aussageentstehung und Aussageentwicklung oder Motivationsanalyse) gehören deshalb nicht in den Rahmen eines klinischen Gutachtens. Klinische Gutachten können allenfalls wesentliche Anhaltspunkte enthalten, die für oder gegen den Erlebnisbezug von Aussagen zur traumatischen Vorgeschichte sprechen (vgl. zum Ganzen Venzlaff/Foerster a.a.O. S. 752; Gierlichs u.a., ZAR 2005, 158 ff; Wenk-Ansohn u.a., Anforderungen an Gutachten, Einzelentscheiderbrief 8 und 9/2002, 3; Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321, 322). Unabhängig hiervon haben sich die Gutachter Dr. K und Dr. N mit der Glaubhaftigkeit des Vorbringens der Klägerin nachhaltig beschäftigt. Eine Simulation und Aggravation wurde von beiden Gutachtern überzeugend ausgeschlossen.
24 
Da nach dem Vorgenannten weder mit psychiatrisch-psychotherapeutischen Mitteln noch mit Hilfe der Psychopathologie sicher erschlossen werden kann, ob tatsächlich ein traumatisches Ereignis stattgefunden hat und wie dieses geartet war, muss das behauptete traumatisierende Ereignis zur Überzeugung des Gerichts stattgefunden haben (ebenso VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.10.2006, VBlBW 2007, 116; vgl. aber auch BVerwG, Beschl. v. 18.07.2001, DVBl 2002, 53: Glaubhaftigkeitsprüfung unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen bei Traumatisierung). Dies ist vorliegend der Fall. Aufgrund der Einvernahme der Klägerin in der mündlichen Verhandlung und aufgrund der ausführlich wiedergegebenen Anamnesen in den Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 ist das Gericht der Überzeugung, dass die Klägerin tatsächlich im März 2002 von einem Angehörigen türkischer Sicherheitskräfte vergewaltigt wurde. Sie hat dieses Ereignis mit hinreichenden Realkennzeichen bei der Anamneseerhebung durch die Michael-Balint-Klinik geschildert. Außerdem hatte sie bereits im Erstasylverfahren vorgetragen, seit März 2002 Probleme in der Türkei gehabt zu haben; dieses Datum korrespondiert mit den Angaben der Klägerin im Asylfolgeverfahren, wonach sie im März 2002 die Vergewaltigung durch einen türkischen Polizisten erlitten habe. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass die Klägerin die Vergewaltigung erst nach dem Erstasylverfahren benannt hat. Aus der psychotraumatologischen Forschung ist bekannt, dass traumatische Erinnerungen eher fragmentarischen Charakter haben und dass gerade bei traumatisierten Personen charakteristische Gedächtnisstörungen krankheitsbedingt die Regel sind. Hinzu kommt, dass traumatisierte Menschen oft jene Ereignisse verschweigen, die als besonders schmerzhaft erlebt wurden oder die stark schambesetzt sind. Dieses Vermeidungsverhalten ist Teil des Krankheitsbildes und nur bedingt willentlich beeinflussbar (vgl. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Auflage, Seite 752; Hinckeldey/Fischer, Psychotraumatologie der Gedächtnisleistung; Birck, Traumatisierte Flüchtlinge sowie in ZAR 2002, 28 ff.; Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321, 322; Mehari, Koch, Bittenbinder, Wirtgen, Haenel, Hüther in: Asylpraxis, Band 9 Seite 17 ff.; ebenso OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris -). Bei traumatisierten Personen können somit die bei der Glaubhaftigkeitsprüfung relevanten Kriterien wie Detailreichtum, Farbigkeit der Darstellung, logische Kohärenz, Homogenität, innere Widerspruchsfreiheit und Konstanz der Aussage nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden (vgl. Treiber, ZAR 2002, 282; Middeke, DVBl. 2004, 150, 151; Marx, InfAuslR 2003, 21, 23; Koch in: Asylpraxis Band 9, Seite 61ff, 88). Deshalb wird im Hinblick auf die Schilderung des Traumageschehens bei einem traumatisierten Asylbewerber ein qualifizierter Beweisnotstand angenommen, der zu einer Herabsetzung der Anforderungen an die Schlüssigkeit des tatsächlichen Vorbringens und damit auch an den Nachweis eines Verfolgungsgeschehens führt (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 10.05.2002 - 10 A 11457/01 -; OVG Münster, Beschl. v. 07.01.1998, AuAS 1998, 105; OVG Weimar, Urt. v. 25.09.2003, NVwZ-RR 2004, 455 und Urt. v. 18.03.2005, Asylmagazin 7-8/2005, 34; OVG Greifswald, Urt. v. 13.04.2000, AuAS 2000, 221).
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Wegen der Eigentümlichkeit, dass die Traumatisierten oft erst im Rahmen einer bereits greifenden therapeutischen Bemühung in der Lage sind, über das Geschehene Auskunft zu geben, kann in der äußerlichen Widersprüchlichkeit von Angaben kein ausschlaggebendes Moment ausgemacht werden, das der Annahme des der Feststellung der posttraumatischen Belastungsstörung zugrunde liegenden Traumas entgegensteht (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 23.09.2003, Asylmagazin 4/2004, 33). Der Glaubhaftigkeit der von der Klägerin im Asylfolgeverfahren dargelegten erlittenen Vergewaltigung im März 2002 steht deshalb nicht entgegen, dass sie sich weder bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt am 14.01.2003 noch bei den Begutachtungen durch das Klinikum Weissenhof und durch die psychologische Beratungsstelle Stuttgart in der Lage gesehen hat, die in der Türkei erlebte Erniedrigung zu berichten. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin glaubhaft dargelegt, dass sie aus Angst, ihr vor der Tür wartender Ehemann könne ihre Angaben mithören, keine Aussagen im Klinikum Weissenhof und in der psychologischen Beratungsstelle Stuttgart zu der erlittenen Vergewaltigung gemacht hat. Auch in der mündlichen Verhandlung war die tief sitzende Furcht der Klägerin mit Händen greifbar, ihre Angaben im Sitzungssaal könnten von dem im Wartebereich aufhältigen Ehemann mitgehört werden. Bei der Anamneseerhebung durch Dr. N in der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen hinderte ein intrusives, flashback-artiges Wiedererleben der Vergewaltigung die Klägerin daran, über das konkrete Vergewaltigungsgeschehen zu sprechen; die Klägerin war über mehr als 15 Minuten nicht zu beruhigen und verbal nicht mehr zu erreichen. Eine notfallmäßige Klinikaufnahme zur Krisenintervention wurde vom Gutachter in Erwägung gezogen. Auch der persönliche Eindruck, den die Klägerin in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, hat bestätigt, dass sie nur unter Aufbietung aller ihrer Kräfte und unter Tränen und Weinanfällen zu Andeutungen über den erlittenen sexuellen Missbrauch in der Lage ist.
26 
Im Übrigen müsste auch dem Bundesamt bekannt sein, dass das Selbstbild der von sexualisierter Gewalt betroffenen Frauen aus der Türkei (gleiches gilt aber auch für Frauen aus dem Irak, aus Bosnien und aus dem Kosovo) geprägt ist vom Gedanken des Entehrtseins und deren Gefühlswelt von Scham, Wertlosigkeit, Selbstverurteilung und Schuld erfüllt ist. Um in der sozialen Gemeinschaft weiter existieren zu können und aus Angst davor, vom Ehemann verstoßen zu werden, entschließen sich die meisten dieser Frauen, über die erlebten sexuellen Übergriffe durch Sicherheitskräfte nicht zu sprechen. Angaben über sexualisierte Gewalt stellen vor dem Hintergrund islamisch geprägter Traditionen nicht nur für die betroffene Frau, sondern auch für deren Ehemann und die gesamte Familie eine neuerliche Entehrung dar. Deshalb kommen Aussagen zu sexualisierten Gewalterfahrungen bei muslimischen Frauen erst unter größtem Druck, wenn beispielsweise die Abschiebung unmittelbar droht, zustande (vgl. zum Ganzen Haenel/Wenk-Ansohn, Begutachtung psychisch reaktiver Traumafolgen in aufenthaltsrechtlichen Verfahren, S. 160 ff.; Birck, ZAR 2002, 28, 31; Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321, 323).
27 
Gegen die Richtigkeit der in den Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 gestellten Diagnose posttraumatische Belastungsstörung spricht auch nicht das späte Auftreten der von der Klägerin geschilderten Krankheitssymptome. Entgegen der vom Bundesamt häufig vertretenen Auffassung tritt die posttraumatische Belastungsstörung nicht regelmäßig innerhalb von sechs Monaten nach dem traumatischen Ereignis auf. Diese Zeitspanne wird in der ICD-10 für F 43.1 nur als häufigste Latenz angegeben. In der (ausführlicheren) DSM-IV wird ausdrücklich auf eine PTBS mit verzögertem Beginn hingewiesen. Nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen können traumabedingte Störungen einschließlich posttraumatischer Belastungsstörungen auch mit jahrelanger bis zum Teil jahrzehntelanger Latenz auftreten (vgl. Gierlichs, Asylmagazin 7-8/2003, 53 sowie in ANA-ZAR 5/2007, 33 m.w.N.). In der ergänzenden Stellungnahme an das Gericht vom 11.01.2008 hat auch Dr. N, der anerkanntermaßen ein ausgewiesener Fachmann auf dem Gebiet der Psychotraumatologie ist, dargelegt, dass der Ausbruch der Symptome der PTBS von vielfältigen Umgebungsfaktoren abhängen kann, die beispielsweise eine Kompensation ermöglichen oder Verdrängung/Verleugnung des Traumas erforderlich machen können.
28 
Nach dem Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 ist bei einer erzwungenen Rückkehr der Klägerin in die Türkei aufgrund der Retraumatisierung mit Dekompensation mit massivster Verschlechterung der psychischen Erkrankung mit akuter Lebensgefährdung zu rechnen. Den ärztlichen Feststellungen zufolge leidet die Klägerin an Einschlaf- und Durchschlafstörungen, unter Gedankenkreisen und Grübeln und unter einem kompletten Libidoverlust; weiter traten bei den Explorationen Hitzewallungen, Kopfschmerzen, Schwindel und brennende Hände „wie Feuer“ auf. Schließlich wird in den Gutachten über massive Lebensunlust, Todessehnsucht und über vier Suizidversuche berichtet. Diese ärztlichen Feststellungen sind klar, eindeutig und überzeugend. Im Übrigen handelt es sich bei der Einschätzung des Krankheitsverlaufs und der gesundheitlichen Folgen wiederum um medizinische Fachfragen, für die es keine eigene Sachkunde der Behörde oder des Gerichts gibt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.05.2006, NVwZ 2007, 345).
29 
Unter dem Begriff der „Retraumatisierung“ wird die durch äußere Ursachen oder Bedingungen, die dem zugrundeliegenden traumatischen Erlebnis gleichen, ähneln oder auch nur Anklänge daran haben, ausgelöste Reaktualisierung der inneren Bilder des traumatischen Erlebens in der Vorstellung und den körperlichen Reaktionen des Betroffenen verstanden, die mit der vollen oder gesteigerten Entfaltung des Symptombildes der ursprünglichen traumatischen Reaktion auf der körperlichen, psychischen und sozialen Ebene einhergeht (vgl. Marx, InfAuslR 2000, 357, 360 m.w.N.). Die Folge davon kann eine akute Dekompensation wie z. B. schwere depressive Reaktion, psychotische Dekompensation, suizidale Handlung und anderes sein und zu einer dauerhaften Verschlimmerung oder Chronifizierung des posttraumatischen Krankheitsprozesses führen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris -).
30 
Bereits diese konkrete Gefahr der Retraumatisierung begründet ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (ebenso VGH München, Urt. v. 20.10.1999 - 23 B 98.30524; VGH Kassel, Urt. v. 26.02.2007 - 4 UE 1125/05.A - juris -; OVG Koblenz, Urt. v. 09.02.2007 - 10 A 10952/06.OVG - ; OVG Schleswig, Beschl. v. 28.09.2006 - 4 LB/06 -; OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris - und Urt. v. 12.09.2007 - 8 LB 210/05 - juris -). Die Gefahr der Retraumatisierung lässt sich nicht auf den eigentlichen Ort eingrenzen, an dem die Verletzungshandlung erfolgte, denn auch andere Orte und Personen im Heimatland, die dem zugrundeliegenden traumatischen Erlebnis gleichen, ähneln oder auch nur Anklänge daran haben, führen zu einer Reaktualisierung der inneren Bilder des traumatischen Erlebens in der Vorstellung und den körperlichen Reaktionen des Betroffenen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 28.02.2005 - 11 LB 121/04 und Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/ 05 - juris -), so dass im Falle der Klägerin die Gefahr der Retraumatisierung konkret und landesweit gegeben ist.
31 
Diese konkrete und landesweite Gefahr im Falle einer Abschiebung in die Türkei ist durch eine mögliche medikamentöse Behandlung im Zielstaat der Abschiebung nicht zu verhindern (vgl. Gierlichs/Wenk-Ansohn, ZAR 2005, 405, 408; Gierlichs u.a., ZAR 2005, 158, 163). Der erheblichen Gesundheits- und Lebensgefahr für die Klägerin kann auch nicht dadurch wirksam begegnet werden, dass sie sich unverzüglich nach der Rückkehr in ihr Heimatland in psychologische oder psychiatrische Behandlung begibt. Denn Menschen mit traumatogenen Störungen können in einer Umgebung, die Intrusionen stimuliert und kein Vermeidungsverhalten erlaubt, nicht behandelt werden (vgl. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl., S. 753). Nach fachwissenschaftlichen Erkenntnissen ist eine erfolgreiche Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen nur in einer sicheren Umgebung und bei Schutz vor weiterer Traumaeinwirkung möglich (vgl. Stellungnahme der wissenschaftlichen Fachgesellschaften, veröffentlicht in: http://www.aerzteblatt.de/v4/plus/down.asp ? typ=PDF&id=1166 ; Koch in: Asylpraxis Band 9 S. 61, 78; Gierlichs/Wenk-Ansohn, ZAR 2005, 405, 408; Gierlichs, ZAR 2006, 277, 279; Bittenbinder in: Asylpraxis Band 9, S. 35, 54 ff.; Graessner u.a., Die Spuren von Folter, S. 77 ff.; ebenso OVG Koblenz, Urt. v. 23.09.2003, Asylmagazin 4/2004, 33; OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris -).
32 
Unabhängig hiervon wird die Klägerin vor dem Hintergrund der bei ihr bestehenden schweren Erkrankung und der schon heute gezeigten extremen Destabilisierung nicht in der Lage sein, in der Türkei im Anschluss an ihre Abschiebung und die damit für sie zwangsläufig verbundene Verschlimmerung ihres Gesundheitszustandes die für sie alsdann noch umso dringlicher gebotene medizinische Hilfe zu erfahren, zumal die hier vorliegende Traumatisierung durch Vergewaltigung einen Fall mit einer besonders ungünstigen Prognose, nämlich den Fall des sog. „man made disaster“ (vgl. Koch in: Asylpraxis Band 9 Seite 71) darstellt. Denn unabhängig von der Frage, ob posttraumatische Belastungsstörungen in der Türkei behandelbar sind und ob die Klägerin eine solche Behandlung unter finanziellen Gesichtspunkten erreichen könnte, gilt im vorliegenden Fall, dass die Klägerin nach ihrer Rückkehr aufgrund ihres Rückzugsverhaltens, ihrer Depressivität und ihrer Ängste nicht in der Lage sein wird, eine solche Behandlung aus eigener Kraft oder durch entsprechende Einwirkungen durch Verwandte mittels deren Hilfestellung anzutreten. Für die Klägerin besteht somit bei einer Rückkehr in die Türkei ungeachtet der vom Bundesamt behaupteten Behandlungsmöglichkeiten die ganz konkrete Gefahr eines psychischen Zusammenbruchs, wenn nicht gar des Suizids, und damit eine extreme individuelle Gefahrensituation.
33 
Steht danach zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich der Krankheitszustand der Klägerin im Falle einer Abschiebung in ihr Herkunftsland alsbald nach ihrer Rückkehr wesentlich bzw. angesichts ihrer erheblichen Suizidalität sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde, so steht ihr ein Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Türkei zu. Die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wird nicht durch § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG gesperrt. Angesichts des vielfältigen Symptombildes der posttraumatischen Belastungsstörung kann nicht angenommen werden, dass diesbezüglich ein Bedürfnis nach einer ausländerpolitischen Leitentscheidung nach § 60 a Abs. 1 AufenthG besteht (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 18.07.2006 - 1 C 16/05 - Juris -). Im Übrigen ist inzwischen allgemein anerkannt, dass die an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankten Personen, deren Erkrankung auf willentlich durch Menschen verursachte Traumata beruht, nicht Teil einer Bevölkerungsgruppe sind (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 16.02.2004, Asylmagazin 6/2004, 30; OVG Koblenz, Urt. v. 23.09.2003, Asylmagazin 4/2004, 33 und Urt. v. 09.02.2007 - 10 A 10952/06.OVG- ; VGH Kassel, Beschl. v. 09.01.2006 - 7 ZU 1831/05.A -).
34 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, § 83 b AsylVfG.

Gründe

1

I. Die gemäß § 146 Abs. 4 VwGO zulässige Beschwerde der Antragsteller hat Erfolg.

2

Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die Antragsteller hätten nicht glaubhaft gemacht, dass ihre Ausreise aufgrund inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse infolge einer Erkrankung des Antragstellers zu 1 unmöglich sei. Es sei nicht davon auszugehen, dass bei diesem eine Reiseunfähigkeit vorliege. Die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen seien unzureichend. Die Bescheinigung des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie D. enthalte weder eine Anamnese noch eine nachvollziehbare Diagnose. Die Bescheinigungen der Psychologinnen S. und K. seien zwar ausführlicher, beruhten aber nur auf den Angaben des Antragstellers zu 1, so dass die Schlussfolgerung, eine vorgetäuschte Diagnose könne ausgeschlossen werden, nicht überzeuge. Auch werde nicht darauf eingegangen, ob die vom Antragsteller zu 1 geschilderten Symptome in Zusammenhang mit der Einnahme von Medikamenten oder Halluzinogenen stünden. Auffällig sei, dass die vom Antragsteller zu 1 geäußerten Kriegserlebnisse im Rahmen der Anhörungen vor dem Bundesamt nicht geschildert worden seien. Zudem falle auf, dass sich der Antragsteller zu 1 erst nach Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen in psychiatrische Behandlung begeben habe, obwohl er sich bereits seit 2010 in Deutschland aufhalte. Die Bescheinigungen zögen auch keinerlei Alternativursachen in Betracht, obwohl dies angesichts der geschilderten Ängste des Antragstellers zu 1 naheliegend sei. Als Alternativursache komme ein schweres Entwurzelungssyndrom in Betracht. Dies werde weder erwähnt noch im Rahmen einer Differentialdiagnose diskutiert. Die psychologischen Stellungnahmen seien ersichtlich darauf angelegt, dem Antragsteller zu 1 zum beantragten Abschiebungsschutz zu verhelfen. Die äußerst kurzen Stellungnahmen der Amtsärztinnen S. und M. enthielten keinerlei medizinische Substanz. Es werde nicht einmal erläutert, um was für eine psychische Erkrankung es sich handeln soll, die beim Antragsteller zu 1 bestehe. Es sei auch nicht ersichtlich, dass dieser aufgrund einer akuten und schwerwiegenden Erkrankung an posttraumatischer Belastungsstörung dringend auf ärztliche Behandlung gerade in Deutschland angewiesen sei. Ziehe man in Betracht, dass bei einer Rückkehr des Antragstellers zu 1 in seine Heimat sowohl die Sprachbarriere, die einer aussichtsreichen Heilung psychischer Probleme in Deutschland entgegenstehe, als auch die soziale Isolation entfielen, sei von zusätzlichen Erschwernissen durch die Verneinung von Abschiebungshindernissen nicht auszugehen. Aufgrund der aufgezeigten Mängel sei auch nicht davon auszugehen, dass eine akute Suizidalität mit Eigen- und Fremdgefährdung bei einer Abschiebung des Antragstellers zu 1 bestehe. Möglichen Gefährdungen sei durch geeignete Vorkehrungen und Modalitäten bei der Abschiebung zu begegnen. Der Antragsgegner habe für sichere Abschiebemodalitäten und eine Begleitung durch Fachpersonal (Arzt/Sanitäter) Sorge zu tragen. Ebenso sei nach Eintreffen des Rücktransports in der Heimat des Antragstellers zu 1 durch vorherige Kontaktaufnahme mit den Heimatbehörden dessen nahtlose ärztliche und psychologische Begleitung und Versorgung sicherzustellen und eine Zurverfügungstellung von Medikamenten zu veranlassen. Dadurch werde der dem Antragsteller zu 1 bescheinigten Suizidgefahr im Rahmen der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen mit angemessenen Mitteln begegnet. Hinzu komme, dass eine Rückführung in die Heimat gerade zu einer Besserung der Gesamtsymptomatik führen könne: Die auch für seelisch Gesunde – zumal nach langjährigen Auslandsaufenthalt – bestehende starke Belastung einer drohenden Abschiebung entfalle nach dem Vollzug, was dafür spreche, dieses schwierige Phase nicht hinauszuzögern, sondern abzukürzen.

3

Dieser Würdigung durch das Verwaltungsgericht tritt die Beschwerde mit Erfolg entgegen.

4

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sogenannte Sicherungsanordnung). Anordnungsanspruch und -grund sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Für den Anordnungsanspruch einer Sicherungsanordnung genügt dabei die Glaubhaftmachung von Tatsachen, aus denen sich zumindest ergibt, dass der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen ist; ein Anordnungsgrund ist glaubhaft gemacht, wenn eine vorläufige Sicherung des in der Hauptsache verfolgten materiellen Anspruchs zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes dringlich ist (Beschl. d. Senats v. 20.06.2011 – 2 M 38/11 –, Juris RdNr. 8 m.w.N.).

5

Diese Voraussetzungen für den Erlass der von den Antragstellern begehrten einstweiligen Anordnung sind erfüllt. Es besteht die Gefahr, dass die vom Antragsgegner in Aussicht genommene Abschiebung der Antragsteller ohne eine vorherige gutachtliche Klärung der im Tenor bezeichneten Fragen die Verwirklichung eines ihnen in der Hauptsache möglicherweise zustehenden Anspruchs auf weitere Aussetzung der Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG vereitelt.

6

1. Nach derzeitigem Erkenntnisstand ist offen, ob durch die Abschiebung eine wesentliche Verschlechterung der beim Antragsteller zu 1 nach den vorliegenden ärztlichen bzw. psychologischen Stellungnahmen vorhandenen psychischen Erkrankung eintreten und sich dadurch die auf dieser Krankheit beruhende (latente) Selbstmordgefahr in einer Weise erhöhen wird, dass eine Abschiebung nicht verantwortet werden kann.

7

Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschl. v. 20.06.2011 – 2 M 38/11 – a.a.O. RdNr. 5) kann auch eine bestehende psychische Erkrankung eines ausreisepflichtigen Ausländers ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG in zwei Fallgruppen begründen: Zum einen scheidet eine Abschiebung aus, wenn und solange der Ausländer wegen Erkrankung transportunfähig ist, d. h. sich sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des „Reisens" wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn). Zum anderen muss eine Abschiebung auch dann unterbleiben, wenn sie – außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bedeutet; dies ist der Fall, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solche (unabhängig vom Zielstaat) sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne). Es geht also nicht nur darum, während des eigentlichen Abschiebevorgangs selbstschädigende Handlungen eines aufgrund einer psychischen Erkrankung suizidgefährdeten Ausländers zu verhindern; eine Abschiebung hat vielmehr auch dann zu unterbleiben, wenn sich durch den Abschiebevorgang die psychische Erkrankung (wieder) verschlimmert, eine latent bestehende Suizidalität akut wird und deshalb die Gefahr besteht, dass der Ausländer unmittelbar vor oder nach der Abschiebung sich selbst tötet. Von einem inlandsbezogenen Abschiebungshindernis ist auch dann auszugehen, wenn sich die Erkrankung des Ausländers gerade aufgrund der zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland wesentlich verschlechtert, und nicht nur, wenn ein Suizid während der Abschiebung droht (BayVGH, Beschl. v. 23.10.2007 – 24 CE 07.484 –, Juris RdNr. 21). Die Frage, ob Maßnahmen bei der Gestaltung der Abschiebung – wie ärztliche Hilfe und Flugbegleitung – ausreichen, um der auf einer psychischen Erkrankung beruhenden ernsthaften Suizidgefahr wirksam zu begegnen, lässt sich erst aufgrund einer möglichst fundierten und genauen Erfassung des Krankheitsbildes und der sich daraus ergebenden Gefahren beantworten; eine abstrakte oder pauschale Zusicherung von Vorkehrungen wird dem gebotenen Schutz aus Art. 2 Abs. 2 GG nicht gerecht (OVG NW, Beschl. v. 09.05.2007 – 19 B 352/07 –, Juris RdNr. 7).

8

Macht ein Ausländer eine solche Reiseunfähigkeit geltend oder ergeben sich sonst konkrete Hinweise darauf, ist die für die Aussetzung der Abschiebung zuständige Ausländerbehörde verpflichtet, den aufgeworfenen Tatsachenfragen, zu deren Beantwortung im Regelfall medizinische Sachkunde erforderlich ist, im Rahmen ihrer Amtsaufklärungspflicht nach § 24 VwVfG i.V.m. § 1 VwVfG LSA nachzugehen, wobei der Ausländer zur Mitwirkung verpflichtet ist (§ 82 AufenthG). Kann die Reiseunfähigkeit trotz Vorliegens ärztlicher oder psychologischer Fachberichte nicht als erwiesen angesehen werden, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass für die Ausländerbehörde kein weiterer Aufklärungsbedarf besteht. Sie bleibt nach § 24 VwVfG i.V.m. § 1 VwVfG LSA verpflichtet, den Sachverhalt selbst weiter aufzuklären, wenn und soweit sich aus den ärztlichen oder psychologischen Äußerungen, dem Vortrag des Ausländers oder aus sonstigen Erkenntnisquellen ausreichende Indizien für eine Reiseunfähigkeit ergeben. Ist das der Fall, wird regelmäßig eine amtsärztliche Untersuchung oder die Einholung einer ergänzenden (fach-)ärztlichen Stellungnahme oder eines (fach-)ärztlichen Gutachtens angezeigt sein, da der Ausländerbehörde und auch den Verwaltungsgerichten die erforderliche medizinische Sachkunde zur Beurteilung einer mit der Abschiebung einhergehenden Gesundheitsgefahr und auch der Frage fehlen dürfte, mit welchen Vorkehrungen diese Gefahr ausgeschlossen oder gemindert werden könnte (vgl. VGH BW, Beschl. v. 06.02.2008 – 11 S 2439/07 –, Juris RdNr. 9).

9

Im Fall des Antragstellers zu 1 ist ein solcher weiterer Aufklärungsbedarf gegeben. Die vorliegenden ärztlichen und psychologischen Stellungnahmen gehen zwar davon aus, dass der Antragsteller zu 1 an einer psychischen Erkrankung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTSB) leidet und im Falle einer Abschiebung eine erhöhte Suizidgefahr besteht. Ob dies zutrifft, ist jedoch auch im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht erhobenen Einwände zweifelhaft. Die Problematik muss daher erst in einem ergänzenden fachärztlichen Gutachten abschließend geklärt werden.

10

Die Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie D. von der (…)-Praxis GmbH vom 12.03.2014 (GA Bl. 30) diagnostiziert bei dem Antragsteller zu 1 zwar eine posttraumatische Belastungsstörung, lässt aber nicht erkennen, auf Grund welcher Befundtatsachen die angesprochene Diagnose gestellt wurde, und legt auch nicht dar, welche Folgen sich aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben. Damit erfüllt sie die Anforderungen nicht, die nach der Rechtsprechung des Senats an die Glaubhaftmachung einer Krankheit als rechtliches Abschiebungshindernis zu stellen sind (vgl. Beschl. v. 08.02.2012 – 2 M 29/12 –, Juris RdNr. 11).

11

Die psychologischen Stellungnahmen der Psychologin S. vom 20.03.2013 (GA Bl. 35 – 36) sowie der Psychologin K. und des Systemischen Therapeuten D. vom Psychosozialen Zentrum für Migrantinnen und Migranten in Sachsen-Anhalt vom 21.05.2014 (GA Bl. 89 – 93) diagnostizieren bei dem Antragsteller zu 1 eine posttraumatische Belastungsstörung in Komorbidität mit einer mittelschweren Depression. Eine vorgetäuschte Diagnose schließen sie aus. Eine Abschiebungsankündigung bzw. eine Rückkehr in den Kosovo werde mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar psychische Dekompensation(en) und suizidale Verhaltensweisen zur Folge haben. Auch ein erweiterter Suizid erscheine möglich. Aus psychologisch-therapeutischer Sicht wäre eine Abschiebungsandrohung bzw. eine Rückkehr mit einer erheblichen Gesundheitsgefährdung bis hin zur Stimulation einer Selbstgefährdung des Antragstellers zu 1 verbunden. In der Stellungnahme vom 21.05.2014 wird darüber hinaus ausführlich dargestellt, auf welcher Grundlage die Diagnose gestellt wurde. Mit dem Antragsteller zu 1 seien seit dem 01.02.2013 insgesamt zehn Gespräche zur Diagnostik, Stabilisierung und unmittelbaren Krisenintervention geführt worden. Befund und Spontanangaben werden ausführlich wiedergegeben. Auf dieser Grundlage wird sowohl die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung in Komorbidität mit einer mittelschweren Depression gestellt als auch die Behandlungsbedürftigkeit beurteilt. Diese Stellungnahmen enthalten zwar ernst zu nehmende Hinweise auf eine mögliche Suizidgefahr bei einer Abschiebung des Antragstellers zu 1 in den Kosovo. Sie sind jedoch auch gewichtigen Einwänden ausgesetzt. Zunächst enthält insbesondere die zuletzt vorgelegte psychologische Stellungnahme vom 21.05.2014 keinen überzeugenden Nachweis eines Traumas. Voraussetzung für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung ist jedoch der Nachweis eines traumatischen Ereignisses (vgl. Ebert/Kindt, Die posttraumatische Belastungsstörung im Rahmen von Asylverfahren, VBlBW 2004, 41 <42>; Gierlichs u.a., Grenzen und Möglichkeiten klinischer Gutachten im Ausländerrecht, ZAR 2005, 158 <161>). Da die einschlägigen fachärztlichen bzw. psychologischen Gutachten wesentlich auf den Angaben des Betroffenen beruhen, bedarf es insoweit der Prüfung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Betroffenen (VGH BW, Beschl. v. 02.05.2000 – 11 S 1963/99 –, Juris RdNr. 7; SächsOVG, Beschl. v. 21.01.2014 – 3 B 476/13 –, Juris RdNr. 5; Middeke, Posttraumatisierte Flüchtlinge im Asyl- und Abschiebungsprozess, DVBl. 2005, 150 <151>). Von Bedeutung für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit ist dabei der Umstand, dass bestimmte Ereignisse, die im Rahmen der klinischen Begutachtung als traumatisierend dargestellt werden, bei der vorherigen Anhörung vor dem Bundesamt nicht angegeben wurden. Wird das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt, die schon längere Zeit zurückliegen, ist eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (SächsOVG, Beschl. v. 21.01.2014 – 3 B 476/13 – a.a.O. RdNr. 5 unter Hinweis auf BVerwG, Urt. v. 11.09.2007 – BVerwG 10 C 8.07 –, Juris RdNr. 15). Nach diesen Grundsätzen ist die Stellungnahme vom 21.05.2014 dem fachlichen Einwand ausgesetzt, dass nicht klar wird, worin das die posttraumatische Belastungsstörung auslösende Trauma liegen soll. Im Rahmen der Biographischen Anamnese werden Ereignisse aus dem Jahr 1999 nach Ausbruch des Kosovokrieges geschildert, aber auch zeitlich nachfolgende Bedrohungen und Misshandlungen in Serbien, Übergriffe von albanisch sprechenden Männern nach der Rückkehr der Antragsteller in das Kosovo sowie eine Bedrohung des Sohnes des Antragstellers zu 1 mit einer Pistole durch Nachbarn. Soweit die Ereignisse während des Kosovokrieges im Jahr 1999 als maßgeblich für das Trauma anzusehen sein sollten, wäre zu begründen, warum diese Umstände nicht schon während der Anhörung des Antragstellers zu 1 am 29.03.2010 durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgetragen wurden. Begründungsbedürftig ist ferner der Umstand, dass der Antragsteller zu 1 das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung erst im Jahr 2013 geltend gemacht hat, obwohl er bereits seit dem Jahr 2010 aus seiner Heimat ausgereist ist. Ein weiterer Mangel der Stellungnahme vom 21.05.2014 liegt darin, dass nicht explizit angegeben wird, nach welchen Kriterien eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wurde (vgl. dazu Ebert/Kindt, a.a.O. S. 42). Schließlich stellt sich noch die Frage, ob die beim Antragsteller zu 1 festgestellten Symptome nicht auch andere Ursachen als eine posttraumatische Belastungsstörung haben können, etwa die unkontrollierte Einnahme von Medikamenten und Halluzinogenen oder ein schweres Entwurzelungssyndrom.

12

Die Stellungnahmen der Amtsärztin S. vom 08.07.2013 und 10.03.2014 sowie der Amtsärztin M. vom 29.04.2014 und 20.05.2014 lassen ebenfalls keine abschließende Beurteilung der hier relevanten Fragestellung zu. In dem amtsärztlichen Gutachten zur Beurteilung der Flug- und Reisefähigkeit des Antragstellers zu 1 vom 08.07.2013 (GA Bl. 50) heißt es, dieser leide an einer psychischen Erkrankung, die akut exazerbiert sei. Zum jetzigen Zeitpunkt bestehe die akute Gefahr eines Suizids bzw. erweiterten Suizids. In der Stellungnahme vom 10.03.2014 (GA Bl. 49) heißt es, die Reisefähigkeit im weiteren Sinne sei aufgrund der psychischen Erkrankung des Antragstellers zu 1 nicht gegeben. In der Stellungnahme vom 29.04.2014 (GA Bl. 62) wird ausgeführt, es könnten keine wesentlichen Veränderungen der gesundheitlichen Situation des Antragstellers zu 1 festgestellt werden. Er habe weiterhin eine unbändige Angst vor der Abschiebung in sein Heimatland. Er reagiere damit, im Abschiebungsfall sich und seine Familie umzubringen. Die Flug- und Reisetauglichkeit sei nach wie vor unsicher, da in keiner Weise abzuschätzen sei, ob der Antragsteller zu 1 seine Drohungen wahr mache. In der Stellungnahme vom 20.05.2014 (GA Bl. 61) wird ergänzend ausgeführt, bei der Vorstellung im Gesundheitsamt habe der Antragsteller zu 1 überzeugend den Eindruck gemacht, dass er im Falle einer Abschiebung sich und seiner Familie etwas antun werde. Es bestehe eine bedingte Flug- und Reisefähigkeit. Bedingung sei die Minderung der Eigen- und Fremdgefährdung. Die sei durch Verzicht auf eine vorherige Ankündigung des Abschiebetages und eine fachärztliche Begleitung während des Fluges zu gewährleisten. In diesen Stellungnahmen wird weder angegeben, aufgrund welcher tatsächlichen Umstände die fachliche Beurteilung erfolgt ist, noch enthalten sie eine nachvollziehbare medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes oder eine nachvollziehbare Darlegung der Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben. Die in der Stellungnahme vom 20.05.2014 vertretene Annahme, eine hinreichende Minderung der Eigen- und Fremdgefährdung könne durch Verzicht auf eine vorherige Ankündigung des Abschiebetages und Gewährleistung einer fachärztlichen Begleitung während des Fluges sichergestellt werden, wird nicht näher begründet und stellt sich als reine Spekulation dar. Zur Klärung der im Tenor bezeichneten Fragen sind diese amtsärztlichen Stellungnahmen ungeeignet.

13

Vor diesem Hintergrund liegen zwar Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller zu 1 unter einer posttraumatische Belastungsstörung leidet und eine Abschiebung zu einer erheblichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung führt. Es verbleiben jedoch Zweifel. Bei dieser Sachlage kann über das Vorliegen des geltend gemachten Duldungsgrundes ohne fachärztliches Gutachten zur Klärung der im Tenor bezeichneten Fragen nicht entschieden werden. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist damit offen, so dass ein Anordnungsanspruch gegeben ist.

14

2. Auch die Antragstellerin zu 2 und die Antragsteller zu 3 – 6 haben einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Eine rechtliche Unmöglichkeit einer Abschiebung im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG kann sich aus inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen ergeben, zu denen auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa mit Blick auf Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind. Der Schutz des Art. 6 GG umfasst die Freiheit der Eheschließung und Familiengründung sowie das Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben. Sich hieraus ergebende schutzwürdige Belange können einer (zwangsweisen) Beendigung des Aufenthalts des Ausländers dann entgegen stehen, wenn es ihm nicht zuzumuten ist, seine tatsächlichen Bindungen zu berechtigterweise im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen durch Ausreise auch nur kurzfristig zu unterbrechen (Beschl. d. Senats v. 14.08.2014 – 2 L 115/13 – m.w.N.). Derartige schutzwürdige Belange liegen im Fall der Antragstellerin zu 2 und der Antragsteller zu 3 – 6 vor. Aufgrund der oben dargestellten Umstände besteht bei dem Antragsteller zu 1 möglicherweise ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis. Die übrigen Familienmitglieder können daher einstweilen eine gewünschte familiäre Lebensgemeinschaft im gemeinsamen Heimatland nicht führen. Eine alleinige auch nur kurzfristige Rückkehr ohne Begleitung durch den Antragsteller zu 1 in das Kosovo ist ihnen ebenfalls nicht zuzumuten.

15

3. Es besteht auch ein Anordnungsgrund. Der Antragsgegner beabsichtigt, die Antragsteller ohne vorherige Einholung eines fachärztlichen Gutachtens zur Suizidgefahr abzuschieben. Die vorläufige Sicherung des in der Hauptsache verfolgten Duldungsanspruchs ist daher zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes dringlich. Denn der Duldungsanspruch erlischt ebenso wie die Aussetzung selbst (vgl. § 60a Abs. 5 Satz 1 AufenthG) mit der Ausreise (vgl. VGH BW, Beschl. v. 06.02.2008 – 11 S 2439/07 – a.a.O. RdNr. 14). Er würde durch die Abschiebung daher vereitelt. Zudem ist eine Abschiebung ohne vorherige fachärztliche Begutachtung der damit nach den vorliegenden Erkenntnissen möglicherweise einhergehenden gesundheitlichen Risiken mit der staatlichen Schutzpflicht nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht zu vereinbaren.

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II. Den Antragstellern ist auch die beantragte Prozesskostenhilfe zu gewähren, weil sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage sind, die Kosten der Prozessführung aufzubringen, die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht mutwillig erscheint und aus den vorstehend ausgeführten Gründen hinreichende Erfolgsaussichten zu bejahen sind (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO).

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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

18

VI. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des beschließenden Senats, im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes den halben Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG je Antragsteller festzusetzen, soweit Streitgegenstand – wie hier – die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung ist.


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I. Der Kläger ist seinen Angaben zufolge Staatsangehöriger Sierra Leones. Er begehrt im asylrechtlichen Folgeverfahren die Beklagte zu verpflichten, das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses festzustellen. Das Verwaltungsgericht wies die Asylklage mit Urteil vom 24. August 2016 in der Sache ab. Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel des Klägers. Er macht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend.

II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Die geltend gemachte Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) wegen verfahrensfehlerhafter Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags liegt nicht vor.

Die Ablehnung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG, B. v. 30.1.1985 - 1 BvR 393/84 - BVerfGE 69, 141/144 = NJW 1986, 833; BVerfG, B. v. 18.6.1993 - 2 BvR 1815/92 - NVwZ 1994, 60 = BayVBl 1993, 562; BayVerfGH, E. v. 26.4.2005 - Vf. 97-VI-04 - VerfGH 58, 108 = BayVBl 2005, 721). Das rechtliche Gehör ist versagt, wenn ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird. Willkürlich ist ein Richterspruch aber nur, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sach-fremden Erwägungen beruht. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Von einer willkürlichen Missdeutung kann insbesondere nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (BVerfG, B. v. 22.5.2015 - 1 BvR 2291/13 - juris Rn. 5 m. w. N.).

Gemessen daran liegt in der Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 24. August 2016 gestellten Beweisantrags, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen,

„zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer depressiven Episode, derzeit leichtgradig, und einer generalisierenden Angststörung leidet, der Kläger psychotherapeutischer und psychiatrischer Behandlung bedarf und sich sein Gesundheitszustand bei Abbruch der Behandlung wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde“,

keine Verletzung des rechtlichen Gehörs.

Ausweislich der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom 24. August 2016 hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag mit folgender Begründung abgelehnt:

„Hinsichtlich der für die Person des Klägers geltend gemachten posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) ist der Beweisantrag rechtlich nicht erheblich. Die im Rahmen des Verfahrens vorgelegten therapeutischen und ärztlichen Äußerungen zu den Anknüpfungstatsachen für das Krankheitsbild einer PTBS sind nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts unglaubwürdig. Hinsichtlich des für die Person des Klägers weiter geltend gemachten ‚depressiven Episode‘ und ‚Angststörung‘ werden die vorgelegten Diagnosen als wahr unterstellt.“

1. Soweit es das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung betrifft, hat das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass der Klägervortrag den aus der Rechtsprechung (u. a. BVerwG, U. v. 11.9.2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 = juris Rn. 15) folgenden Anforderungen an die Substantiierung zum Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung, die sich - wie hier - auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland stützt und deren Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen werden, nicht genügt und seine Rechtsauffassung umfassend und nachvollziehbar begründet. Danach beruhten die vom Kläger vorgelegten therapeutischen Berichte und fachärztlichen Atteste hinsichtlich der darin zugrunde gelegten Auslösekriterien auf einem unglaubhaften Vortrag des Klägers und damit auf unzureichenden tatsächlichen Grundlagen. Diese Bewertung durch das Verwaltungsgericht ist nicht zu beanstanden.

a) Das Verwaltungsgericht geht zutreffend davon aus, dass eine posttraumatische Belastungsstörung nur aufgrund eines traumatisierenden Ereignisses entstehen kann (vgl. ICD-10: F.43.1, Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision: „ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde“).

b) Weiter trifft es zu, dass die nach dem Diagnoseklassifikationssystem ICD-10 erstellten Befunde von Refugio vom 7. August 2014 und vom 18. Juli 2016 sowie des Bezirksklinikums Niederbayern vom 25. Februar 2014 als „Auslösekriterium“ bzw. schwerwiegende Traumatisierung die Tötung des Vaters, die Entführung des Klägers durch Rebellen bzw. die Erschießung des Bruders des Klägers bei der Rekrutierung zum Kindersoldaten zugrunde legen und dass die darin genannten tatsächlichen Grundlagen (zur behaupteten Erschießung des Bruders vgl. nachfolgend Buchst. c, Doppelbuchst. dd), bereits vom Verwaltungsgericht Regensburg (U. v. 29.11.2012 - RN 5 K 12.30096) als unglaubhaft angesehen wurden. Das ärztliche Attest des Klinikums der Universität München vom 12. Juli 2016 benennt dagegen das auslösende Ereignis nicht.

c) Hiervon ausgehend beruht der vom Verwaltungsgericht gezogene Schluss, es fehle an der tatsächlichen Grundlage eines traumatisierenden Ereignisses, aufgrund derer die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung gerechtfertigt sei, auf einer nachvollziehbaren, insbesondere willkürfreien und sachlichen Grundlage, von der sich das Verwaltungsgericht eine eigene Überzeugung gebildet hat.

aa) Die Bewertung der tatsächlichen Grundlagen durch das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Verfahren folgt zwar der Bewertung des Verwaltungsgerichts Regensburg aus dem Urteil vom 29. November 2012. Dieses hatte sich im Rahmen des Erstverfahrens im rechtskräftigen Urteil vom 29. November 2012 umfänglich mit den vom Kläger geschilderten Geschehnissen auseinandergesetzt, die auch Auslöser der im Erstverfahren wie im gegenständlichen Verfahren geltend gemachten posttraumatischen Belastungsstörung sein sollen, sowie umfassend und nachvollziehbar begründet, weshalb es den klägerischen Vortrag „in höchstem Maße“ für „unsubstantiiert“, „oberflächlich“, „lebensfremd“ und „widersprüchlich“ erachtet. Nicht zutreffend ist aber, dass das Verwaltungsgericht die Bewertung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Regensburg im Erstverfahren lediglich ungeprüft übernommen habe. Es hat vielmehr das vom Kläger im Erstverfahren geschilderte Geschehen dargestellt, das im gegenständlichen Verfahren nicht vertieft oder ergänzt wurde, sich mit diesem auseinandergesetzt und weiter ausgeführt, es sei nicht zu erkennen, dass von der Bewertung des Verwaltungsgerichts Regensburg abzuweichen sei. Damit bringt das Verwaltungsgericht aber zum Ausdruck, dass es sich die Bewertung des Verwaltungsgerichts Regensburg auch für den gegenständlichen Fall zu Eigen macht, nicht dass es dessen Bewertung lediglich (ungeprüft) übernimmt.

bb) Soweit der Kläger weiter bemängelt, das Verwaltungsgericht habe den Kläger zu den Ereignissen in Sierra Leone nicht weiter befragt, verhilft auch dies dem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg.

Angesichts der konkreten Umstände bestand für das Verwaltungsgericht keine Veranlassung, den Kläger zu den im Erstverfahren vorgetragenen Ereignissen in Sierra Leone zu befragen. Insbesondere hat der Kläger im Folgeverfahren weder gegenüber dem Bundesamt noch in der Klagebegründung andere oder ergänzende Angaben zu den behaupteten traumatisierenden Geschehnissen in Sierra Leone vorgetragen, die eine vom Urteil des Verwaltungsgericht Regensburg abweichende Bewertung nahegelegt hätten. Davon abgesehen hatte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 24. August 2016 Gelegenheit und angesichts der Feststellungen im Erstverfahren aber auch im Bundesamtsbescheid vom 15. Mai 2014 triftige Gründe, die in seiner Sphäre liegenden behaupteten Geschehnisse in Sierra Leone von sich aus nachvollziehbar und widerspruchsfrei zu schildern.

cc) Eine weitergehende Aufklärung zur Richtigkeit des Klägervorbringens musste sich dem Verwaltungsgericht auch nicht auf Grundlage der vorgelegten Befundberichte und fachärztlichen Atteste aufdrängen.

Zwar gehen die Befundberichte von Refugio vom 7. August 2014 und vom 18. Juli 2016 auch auf die Auslösekriterien ein. Die vom Kläger geschilderten und in der Zeit weit zurückliegenden Geschehnisse, die das Auslösekriterium erfüllen sollen, wie etwa das „Miterleben der diversen Morde in der Zeit mit den Rebellen“, insbesondere „die Entführung durch die Rebellen“ und die „Situation um die berichtete Enthauptung seines Vaters“, werden aber allein den geschilderten Symptomen und der Verhaltensbeobachtung gegenübergestellt. Ihre äußere, objektive Ereignisseite bleibt in den Befundberichten im Allgemeinen, wird also weder hinreichend konkret beschrieben noch sorgfältig oder kritisch hinterfragt. Dies ist bei der Begutachtung einer posttraumatischen Belastungsstörung wohl auch nicht zu leisten (vgl. Befundbericht v. 18.7.2016 S. 5: „Bei der Diagnoseerstellung von posttraumatischen Störungen ermöglicht die Symptomatologie des psychopathologischen Befunds generell keine Rekonstruktion der objektiven Seite der traumatisierenden Ereignisse“). Dass das behauptete traumatisierende Ereignis tatsächlich stattgefunden hat, muss vielmehr vom Schutzsuchenden gegenüber dem Tatrichter und nicht gegenüber einem ärztlichen Gutachter nachgewiesen bzw. wahrscheinlich gemacht werden (vgl. BayVGH, B. v. 17.10.2012 - 9 ZB 10.30390 - juris Rn. 8). Die in den o.g. Befundberichten auf die Symptomatik gestützte Beurteilung zu den Angaben über die geschilderten Vorgänge lässt aus den genannten Gründen keine andere Bewertung zu. Im Befundbericht vom 7. August 2014 werden als Auslösekriterien „das Miterleben der diversen Morde in der Zeit mit den Rebellen“ und „die Situation um die berichtete Enthauptung seines Vaters“ genannt, wenngleich die genauen Umstände zu Letzterem unklar bleiben würden; eine nähere Begründung für die gleichwohl getroffene Annahme, „Den gewaltsamen Verlust des Vaters sehen wir allerdings als gesichert an“, wird nicht gegeben. Im Befundbericht vom 18. Juli 2016 wird als Auslösekriterium zunächst die Ermordung des Vaters gesehen, jedoch auch die Erlebnisse bei den Rebellen. Letzteres erfülle danach „eindeutig das Traumakriterium A“ (Befundbericht v. 18.7.2016, S. 5); die objektive Seite dieser Erlebnisse wird allerdings nicht aufgeklärt. Obschon „aufgrund einiger Ungenauigkeiten und Widersprüche nicht sicher gesagt werden kann, dass/ob alle geschilderten Erlebnisse so stattgefunden haben“ (vgl. Befundbericht v. 7.8.2014, S. 9; ebs. Befundbericht v. 18.7.2016, S. 6), wird im Befundbericht vom 18. Juli 2016 der Schluss gezogen, dass die beobachtete Symptomatik weiterhin überzeuge, insbesondere weil aufgrund der physiologischen Reaktionen bzw. Veränderungen des Klägers bei der Schilderung seiner Lebensgeschichte und insbesondere der traumatischen Erfahrungen keine Anhaltspunkte dafür gesehen würden, dass der Kläger „in diesen Punkten“ seine Biografie simuliere. Eine Auseinandersetzung etwa mit den vom Verwaltungsgericht Regensburg festgestellten Widersprüchen des klägerischen Vortrags findet nicht statt, obschon Refugio jedenfalls dessen Beschluss vom 27. März 2012 (Az. RN 5 S 12.30095) und die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Regensburg vom 29. November 2012 vorlagen und bekannt waren (vgl. Befundbericht v. 7.8.2014, S. 2 sowie Befundbericht v. 18.7.2016, S. 2). Insgesamt fällt auf, dass das vom Kläger geschilderte Geschehen vage und im Allgemeinen bleibt; der Inhalt der festgestellten Ungenauigkeiten und Widersprüche sowie deren Bezug zu den gleichwohl zugrunde gelegten traumatisierenden Ereignissen wird nicht erläutert. Vonseiten des Klägers sind die in seine Sphäre fallenden behaupteten objektiven Ereignisse, also Ereignisse, die „fast bei jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würden“ (vgl. ICD-10: F43.1), auch in den behördlichen und gerichtlichen Verfahren nach wie vor nicht schlüssig und widerspruchsfrei dargestellt worden, obwohl angesichts der tatrichterlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 29. November 2012 aber auch der Begründung des Bundesamtsbescheids vom 29. April 2014 Anlass dazu bestand. Insbesondere hat der Kläger im Folgeverfahren, die offen zu Tage tretenden Widersprüche seines Vortrags aus dem Erstverfahren nicht ausgeräumt.

dd) Der Einwand, das Verwaltungsgericht habe den klägerischen Vortrag zur Erschießung des Bruders bei der Rekrutierung zum Kindersoldaten für unglaubhaft gehalten, weil der Kläger die Frage zur Anzahl seiner Geschwister nicht richtig beantwortet habe, was dieser aber richtig gestellt habe, führt nicht zur Zulassung der Berufung.

Das Verwaltungsgericht hat diesen Umstand aus gutem Grund erfragt und in den Entscheidungsgründen aufgeführt. Das erstmals und soweit ersichtlich auch einmalig behauptete traumatisierende Ereignis, wonach der Bruder des Klägers bei der Rekrutierung zum Kindersoldaten erschossen worden sei (vgl. ärztliche Bestätigung des Bezirksklinikums Niederbayern v. 25.2.2014), hatte der Kläger weder bei der Anhörung im Erstverfahren noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Regensburg vom 29. November 2012 erwähnt. In der Niederschrift zur Erstanhörung wurden auch nur ein Bruder und eine Schwester vermerkt, die der Kläger zuletzt zu Hause gesehen habe. Die auf entsprechenden Vorhalt des Verwaltungsgerichts in der mündlichen Verhandlung vom 24. August 2016 gegebene Antwort des Klägers, „Ich habe nicht gewusst, dass ich bereits tote Geschwister auch angeben soll“, hat das Verwaltungsgericht in der Gesamtschau und aus nachvollziehbaren Gründen für unglaubhaft gehalten. So hatte der Kläger bei seiner Anhörung im Erstverfahren von der Verhaftung vieler Jungen durch die Rebellen berichtet, aber nichts zu einem Bruder erwähnt, der von diesen erschossen worden sein soll.

Hiervon abgesehen hat das Verwaltungsgericht die behauptete Verschleppung des Klägers durch Rebellen aber auch deshalb für unglaubhaft erachtet, weil der Kläger bereits im Asylerstverfahren widersprüchliche Angaben zur behaupteten Verschleppung durch Rebellen gemacht hatte (bei der Anhörung v. 18.1.2012 auf Frage wie lange der Kläger insgesamt bei den Rebellen gewesen sei: „Zehn Tage lang, dann bin ich entkommen“, in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Regensburg v. 29. November 2012: „Ich wurde während des Krieges längere Zeit gefangen gehalten“ und „Sie (Anm.: die Rebellen) haben mich damals mehrmals gefangen genommen und ich bin immer wieder abgehauen und dann auch immer wieder zur Schule gegangen“).

d) Das Vorbringen, grundsätzlich gelte auch für den medizinischen Bereich, dass ein Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nur dann unzulässig sei, wenn ein unsubstantiierter „Ausforschungs-“ Beweisantrag vorliege und für die zugrundeliegende Tatsachenbehauptung nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spreche, führt nicht zur Zulassung der Berufung.

aa) Ob sich ein derartiger allgemeiner Rechtssatz aus der u. a. in Bezug genommenen Zulassungsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. März 2006 (Az. 1 B 91.05 - NVwZ 2007, 346) entnehmen lässt, erscheint fraglich, kann aber dahinstehen. Jedenfalls hat das Bundesverwaltungsgericht seine Rechtsauffassung im Revisionsverfahren präzisiert und klargestellt, dass zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrags, der das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung zum Gegenstand hat, angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptome regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests gehört und ausgeführt, welche Anforderungen an die Substantiierung zu stellen sind (BVerwG, U. v. 11.9.2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251; vgl. auch BVerwG, U. v. 11.9.2007 - 10 C 17.00 - juris Rn. 15 f.). Hiervon geht auch das Verwaltungsgericht aus (vgl. UA S. 11). Soweit das Verwaltungsgericht auf die seiner Auffassung nach unzureichenden tatsächlichen Grundlagen zur Frage des Vorliegens eines traumatisierenden Ereignisses abstellt, hat es die Anforderungen an die Darlegungspflicht des Klägers nicht überspannt. Insbesondere erfordert die nachvollziehbare Schilderung von in der Sphäre des Klägers liegenden Ereignissen keine kostenauslösende oder umfängliche gutachtliche Stellungnahme. Vielmehr sind die Beteiligten auch in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess verpflichtet, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (vgl. BVerwG, U. v. 29.6.1999 - 9 C 36.98 - BVerwGE 109, 174). Insoweit obliegt es dem Kläger, die behaupteten Geschehnisse, die bei ihm eine posttraumatische Belastungsstörung zum Entstehen gebracht haben sollen, jedenfalls in Grundzügen unter Angabe von Einzelheiten schlüssig und widerspruchsfrei zu schildern (vgl. BayVGH, B. v. 17.10.2012 - 9 ZB 10.30390 - juris Rn. 8). Hiervon ausgehend greift auch der Beweisantrag, ein Sachverständigengutachten darüber einzuholen, dass beim Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegt, zu kurz, weil ein solches Gutachten die objektive Seite des Ereignisses nicht klärt.

bb) Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag des Klägers abgelehnt, weil es die Anknüpfungstatsachen für das Krankheitsbild einer posttraumatischen Belastungsstörung nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung für nicht gegeben erachtete. Das Verwaltungsgericht hat den vorgelegten Bescheinigungen auch nicht per se deren hinreichende Qualität abgesprochen; es hat vielmehr die vom Kläger geschilderten und den Befunden zugrunde gelegten traumatisierenden Erlebnisse im Hinblick auf deren objektive Seite mit einer nachvollziehbaren Begründung als unglaubhaft gewertet.

Dass das Vorliegen eines traumatischen Ereignisses zwingende Voraussetzung für die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung ist, wurde zutreffend bereits im Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 29. November 2012 zum Erstverfahren festgestellt (nachfolgend BayVGH, B. v. 6.2.2013 - 9 ZB 13.30032), findet seine Bestätigung aber auch in den Befundberichten von Refugio vom 7. August 2014 und vom 18. Juli 2016, wonach die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht nur eine spezifische Symptomatik, sondern auch ein traumatisches Lebensereignis als Auslöser für die Symptomatik zwingend erfordere und die Symptomatologie des psychopathologischen Befunds generell keine Rekonstruktion der objektiven Seite der traumatisierenden Ereignisse ermögliche (vgl. Befundbericht v. 7.8.2014, S. 5 bzw. Befundbericht v. 18.7.2016, S. 5).

e) Aus der in Bezug genommenen Zulassungsentscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (B. v. 8.1.2016 - 13a ZB 15.30245 - nicht veröffentlicht) folgt nichts anderes. Diese Entscheidung betrifft nicht die an die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung gestellten Anforderungen (vgl. hierzu BVerwG, U. v. 11.9.2007 - 10 C 17.07 - juris Rn. 15 f.), sondern die Übertragung dieser Anforderungen an die Diagnose einer Depression.

2. Soweit es die geltend gemachte (leichtgradige) depressive Störung und Angststörung beim Kläger betrifft, hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag abgelehnt, weil es die vorgelegten Diagnosen als wahr unterstellt hat. Auch dies ist nicht zu beanstanden.

Das Absehen von einer Beweiserhebung wegen „Wahrunterstellung“ (im Sinn von Dahinstehenlassen von behaupteten Tatsachen) ist im Verwaltungsprozess dort zulässig, wo der Sache nach ein Verzicht auf die Beweiserhebung wegen Unerheblichkeit der vorgetragenen Tatsachen vorliegt (vgl. BVerwG, U. v. 17.1.1990 - 9 C 39.89 - NVwZ-RR 1990, 510). So liegt es hier. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass die nachgewiesenen Erkrankungen einer depressiven Störung (leichtgradig) und einer Angststörung nicht derart schwerwiegende Krankheitsbilder darstellten, dass im Fall der Rückkehr nach Sierra Leone auch ohne deren fortlaufende Behandlung eine erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten sei. Diese Bewertung stützt sich auf die fachärztliche Äußerung des Klinikums der Universität München vom 12. Juli 2016, wonach der Kläger „klar von Suizidalität distanziert“ sei und den Befundbericht von Refugio vom 18. Juli 2016, wonach der Kläger aus medizinischen Gründen derzeit keine Medikation in Bezug auf die Angststörung erhalte. Ohne dass es vorliegend darauf ankommt, findet diese Bewertung ihre rechtliche Grundlage in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Danach liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Nach § 83 b AsylVfG werden Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) nicht erhoben.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Soweit dieses Gesetz nicht abweichende Vorschriften enthält, sind auf die Beweisaufnahme §§ 358 bis 444 und 450 bis 494 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.

(1) Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt. Das Gleiche gilt für den Asylantrag eines Kindes, wenn der Vertreter nach § 14a Abs. 3 auf die Durchführung eines Asylverfahrens verzichtet hatte.

(2) Der Ausländer hat den Folgeantrag persönlich bei der Außenstelle des Bundesamtes zu stellen, die der Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist, in der er während des früheren Asylverfahrens zu wohnen verpflichtet war. Wenn der Ausländer das Bundesgebiet zwischenzeitlich verlassen hatte, gelten die §§ 47 bis 67 entsprechend. In den Fällen des § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder wenn der Ausländer nachweislich am persönlichen Erscheinen gehindert ist, ist der Folgeantrag schriftlich zu stellen. Der Folgeantrag ist schriftlich bei der Zentrale des Bundesamtes zu stellen, wenn

1.
die Außenstelle, die nach Satz 1 zuständig wäre, nicht mehr besteht,
2.
der Ausländer während des früheren Asylverfahrens nicht verpflichtet war, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen.
§ 19 Abs. 1 findet keine Anwendung.

(3) In dem Folgeantrag hat der Ausländer seine Anschrift sowie die Tatsachen und Beweismittel anzugeben, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes ergibt. Auf Verlangen hat der Ausländer diese Angaben schriftlich zu machen. Von einer Anhörung kann abgesehen werden. § 10 gilt entsprechend.

(4) Liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vor, sind die §§ 34, 35 und 36 entsprechend anzuwenden; im Falle der Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) ist § 34a entsprechend anzuwenden.

(5) Stellt der Ausländer, nachdem eine nach Stellung des früheren Asylantrags ergangene Abschiebungsandrohung oder -anordnung vollziehbar geworden ist, einen Folgeantrag, der nicht zur Durchführung eines weiteren Verfahrens führt, so bedarf es zum Vollzug der Abschiebung keiner erneuten Fristsetzung und Abschiebungsandrohung oder -anordnung. Die Abschiebung darf erst nach einer Mitteilung des Bundesamtes, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vorliegen, vollzogen werden, es sei denn, der Ausländer soll in den sicheren Drittstaat abgeschoben werden.

(6) Absatz 5 gilt auch, wenn der Ausländer zwischenzeitlich das Bundesgebiet verlassen hatte. Im Falle einer unerlaubten Einreise aus einem sicheren Drittstaat (§ 26a) kann der Ausländer nach § 57 Abs. 1 und 2 des Aufenthaltsgesetzes dorthin zurückgeschoben werden, ohne dass es der vorherigen Mitteilung des Bundesamtes bedarf.

(7) War der Aufenthalt des Ausländers während des früheren Asylverfahrens räumlich beschränkt, gilt die letzte räumliche Beschränkung fort, solange keine andere Entscheidung ergeht. Die §§ 59a und 59b gelten entsprechend. In den Fällen der Absätze 5 und 6 ist für ausländerrechtliche Maßnahmen auch die Ausländerbehörde zuständig, in deren Bezirk sich der Ausländer aufhält.

(8) Ein Folgeantrag steht der Anordnung von Abschiebungshaft nicht entgegen, es sei denn, es wird ein weiteres Asylverfahren durchgeführt.

(1) In den Fällen der Unzulässigkeit nach § 29 Absatz 1 Nummer 2 und 4 und der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrages beträgt die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist eine Woche.

(2) Das Bundesamt übermittelt mit der Zustellung der Entscheidung den Beteiligten eine Kopie des Inhalts der Asylakte. Der Verwaltungsvorgang ist mit dem Nachweis der Zustellung unverzüglich dem zuständigen Verwaltungsgericht zu übermitteln.

(3) Anträge nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsandrohung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen; dem Antrag soll der Bescheid des Bundesamtes beigefügt werden. Der Ausländer ist hierauf hinzuweisen. § 58 der Verwaltungsgerichtsordnung ist entsprechend anzuwenden. Die Entscheidung soll im schriftlichen Verfahren ergehen; eine mündliche Verhandlung, in der zugleich über die Klage verhandelt wird, ist unzulässig. Die Entscheidung soll innerhalb von einer Woche nach Ablauf der Frist des Absatzes 1 ergehen. Die Kammer des Verwaltungsgerichts kann die Frist nach Satz 5 um jeweils eine weitere Woche verlängern. Die zweite Verlängerung und weitere Verlängerungen sind nur bei Vorliegen schwerwiegender Gründe zulässig, insbesondere wenn eine außergewöhnliche Belastung des Gerichts eine frühere Entscheidung nicht möglich macht. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Die Entscheidung ist ergangen, wenn die vollständig unterschriebene Entscheidungsformel der Geschäftsstelle der Kammer vorliegt. Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt nach § 11 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes und die Anordnung und Befristung nach § 11 Absatz 7 des Aufenthaltsgesetzes sind ebenso innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung bleibt hiervon unberührt.

(4) Die Aussetzung der Abschiebung darf nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig. Ein Vorbringen, das nach § 25 Abs. 3 im Verwaltungsverfahren unberücksichtigt geblieben ist, sowie Tatsachen und Umstände im Sinne des § 25 Abs. 2, die der Ausländer im Verwaltungsverfahren nicht angegeben hat, kann das Gericht unberücksichtigt lassen, wenn andernfalls die Entscheidung verzögert würde.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn

1.
ein anderer Staat
a)
nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 oder
b)
auf Grund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages
für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist,
2.
ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 gewährt hat,
3.
ein Staat, der bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als für den Ausländer sicherer Drittstaat gemäß § 26a betrachtet wird,
4.
ein Staat, der kein Mitgliedstaat der Europäischen Union und bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als sonstiger Drittstaat gemäß § 27 betrachtet wird oder
5.
im Falle eines Folgeantrags nach § 71 oder eines Zweitantrags nach § 71a ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.

(2) Das Bundesamt hört den Ausländer zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe b bis Nummer 4 persönlich an, bevor es über die Zulässigkeit eines Asylantrags entscheidet. Zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 5 gibt es dem Ausländer Gelegenheit zur Stellungnahme nach § 71 Absatz 3.

(3) Erscheint der Ausländer nicht zur Anhörung über die Zulässigkeit, entscheidet das Bundesamt nach Aktenlage. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das in Satz 1 genannte Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte. Führt der Ausländer diesen Nachweis, ist das Verfahren fortzuführen.

(4) Die Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags kann gemäß § 24 Absatz 1a dafür geschulten Bediensteten anderer Behörden übertragen werden.

Tatbestand

1

Die Kläger, nach eigenen Angaben afghanische Staatsangehörige, wenden sich gegen die Ablehnung der Durchführung weiterer Asylverfahren.

2

Sie reisten im Juli 2012 in das Bundesgebiet ein und beantragten ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Aufgrund von Eurodac-Treffern stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) fest, dass die Kläger zuvor bereits in Ungarn Asyl beantragt hatten, und richtete ein Wiederaufnahmeersuchen an Ungarn. Mit Antwortschreiben vom 30. Juli 2012 bestätigten die ungarischen Behörden, dass der Kläger zu 1 zusammen mit seiner Familie im April 2012 dort Asyl beantragt habe. Wegen des Verschwindens der Familie sei das Asylverfahren beendet worden. Es werde zugestimmt, die Kläger wieder aufzunehmen, um über ihre Asylanträge zu entscheiden.

3

Nachdem eine Überstellung der Kläger nach Ungarn nicht erfolgt war, stellte das Bundesamt Ende Januar 2013 fest, dass wegen des Ablaufs der Überstellungsfrist im nationalen Verfahren zu entscheiden sei.

4

Mit Bescheiden vom 13. und 17. Juni 2014 lehnte das Bundesamt hinsichtlich aller Kläger die Durchführung von weiteren Asylverfahren ab (Nr. 1), stellte aber jeweils fest, dass das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt (Nr. 2). Zur Begründung führte es aus, es handele sich bei dem Asylantrag nach der erfolglosen Durchführung eines Asylverfahrens in Ungarn jeweils um einen Zweitantrag. Ein weiteres Asylverfahren sei nicht durchzuführen, da Wiederaufgreifensgründe im Sinne von § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorlägen. Die humanitären Bedingungen in Afghanistan führten jedoch zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG.

5

Mit ihrer zunächst erhobenen Verpflichtungsklage begehrten die Kläger die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutzes. Sie hätten glaubhaft geschildert, dass der Klägerin zu 3 in Afghanistan die Zwangsverheiratung drohe. Von einem Zweitantrag sei nicht auszugehen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nahmen die Kläger ihre Verpflichtungsanträge auf richterlichen Hinweis zurück und beantragten nur noch, jeweils die Nr. 1 der Bescheide vom 13. und 17. Juni 2014 aufzuheben.

6

Das Verwaltungsgericht gab dieser Klage statt. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Anfechtungsklage sei die statthafte Klageart, wenn - wie vorliegend - Streit darüber bestehe, ob ein Anwendungsfall des § 71a AsylG gegeben sei. Im Unterschied zum Folgeverfahren nach § 71 AsylG seien hier zwei Mitgliedstaaten beteiligt und müsse deshalb zunächst die Verfahrenssituation ermittelt, also festgestellt werden, ob überhaupt eine "Zweitantragssituation" vorliege. Insoweit sei den Klägern das Recht einzuräumen, zunächst isoliert die sie beschwerende Wertung als Zweitantrag zu beseitigen und damit den Weg freizumachen für ein vom Bundesamt durchzuführendes Asylverfahren.

7

Die Klage sei auch begründet. Die Ablehnung der Anträge auf Durchführung von weiteren Asylverfahren sei rechtswidrig und verletze die Kläger in ihren Rechten. Ein "erfolgloser Abschluss" (§ 71a AsylG) des in Ungarn eingeleiteten Asylverfahrens liege nicht vor, weil das Erstverfahren in Ungarn noch nicht endgültig beendet sei. Ungarn habe sich damit einverstanden erklärt, die Kläger wieder aufzunehmen, um über deren Asylbegehren zu entscheiden. Dies entspreche den Auskünften des Auswärtigen Amtes zum ungarischen Asylverfahrensrecht. Danach sei ein endgültiger Verfahrensabschluss mit der Folge, dass ein neuerliches Asylbegehren als Folgeantrag gewertet werde, nur anzunehmen, wenn ein vorheriges Asylverfahren in der Sache unanfechtbar negativ abgeschlossen oder das Asylverfahren nach ausdrücklicher schriftlicher Rücknahme des Asylbegehrens unanfechtbar eingestellt worden sei. Sei ein Asylverfahren hingegen ohne Entscheidung in der Sache eingestellt worden, könne der Antragsteller seine im Erstverfahren dargelegten Fluchtgründe erneut vorbringen. Ausgehend davon liege auch in Deutschland keine "Zweitantragssituation" vor, sondern müsse über das Asylbegehren erstmals entschieden werden. Denn die Dublin II-VO enthalte keine Regelung, nach der der Zuständigkeitsübergang auch zu einem formellen oder materiellen Rechtsverlust führen könnte.

8

Die Beklagte macht mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe den Anwendungsbereich von § 71a AsylG fehlerhaft zu eng bestimmt. Im Unterschied zu der das Folgeantragsverfahren betreffenden Regelung des § 71 AsylG beziehe sich § 71a AsylG nicht nur auf die in jener Vorschrift angeführten Konstellationen der Rücknahme oder unanfechtbaren Ablehnung eines früheren Asylantrags, sondern richte sich mit der Formulierung vom "erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens" auf einen potentiell weitergehenden Kreis von Fallgestaltungen. Ein erfolgloser Abschluss eines Asylverfahrens liege immer auch dann vor, wenn ein in dem Mitgliedstaat vorausgegangenes behördliches Asylverfahren ohne inhaltliche Prüfung einen formellen Abschluss gefunden habe. Dabei sei unerheblich, ob und unter welchen Voraussetzungen im sicheren Drittstaat die Möglichkeit einer Wiedereröffnung oder einer anderweitigen Fortführung bzw. Prüfung der bis zum Verfahrensabschluss bestehenden Schutzgründe bestehe. Nicht zuletzt die aktuelle Entscheidung des EuGH vom 17. März 2016 (Rs. C-695/15) belege, dass Unionsrecht gerade nicht fordere, auf die zur Wiederaufnahme bzw. Verfahrensfortführung im sicheren Drittstaat bestehende Rechtslage abzustellen. Die Asylverfahrensrichtlinie a.F. stelle es den Mitgliedstaaten frei, ob sie die Wiedereröffnung eines eingestellten Verfahrens ermöglichten. Dieser dem innerstaatlichen Normgeber unionsrechtlich eröffnete Gestaltungsspielraum würde erheblich beeinträchtigt, wenn dem Berufungsgericht zu folgen wäre. Sei die Prüfung des Asylantrags in Deutschland durchzuführen, müssten auch die hier geltenden Gesetze Anwendung finden.

9

Die Kläger verteidigen die angegriffene Entscheidung.

10

Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich am Verfahren nicht beteiligt.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das Urteil des Berufungsgerichts verletzt kein revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Das Berufungsgericht geht zu Recht davon aus, dass die Ablehnung der Durchführung weiterer Asylverfahren in Ziffer 1 der Bescheide des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 13. und 17. Juni 2014 rechtswidrig ist und die Kläger in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

12

Die von den Klägern erhobene Anfechtungsklage ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (1.). Sie ist auch begründet, denn die Voraussetzungen, unter denen die Durchführung eines Asylverfahrens gemäß § 71a Abs. 1 AsylG wegen vorheriger erfolgloser Durchführung eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat abgelehnt werden kann, liegen nicht vor (2.). Die Entscheidung kann nicht auf anderer Rechtsgrundlage aufrechterhalten bleiben (3.) und verletzt die Kläger in ihren Rechten (4.).

13

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens ist das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert mit Wirkung vom 10. November 2016 durch das Fünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung vom 4. November 2016 (BGBl. I S. 2460). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Revisionsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es seiner Entscheidung, wenn es jetzt entschiede, die während des Revisionsverfahrens in Kraft getretenen Änderungen des Asylgesetzes zugrunde legen, soweit nicht hiervon eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist.

14

1. Zu Recht haben die Vorinstanzen die nach Rücknahme der Verpflichtungsanträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nur noch anhängige Anfechtungsklage in der vorliegenden prozessualen Konstellation als statthaft angesehen.

15

Die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylG bzw. - hier - § 71a AsylG stellt sich nach Inkrafttreten des Integrationsgesetzes der Sache nach als Entscheidung über die Unzulässigkeit eines Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG dar. Mit dem Integrationsgesetz hat der Gesetzgeber zur besseren Übersichtlichkeit und Vereinfachung der Rechtsanwendung in § 29 Abs. 1 AsylG die möglichen Gründe für die Unzulässigkeit eines Asylantrags in einem Katalog zusammengefasst (BT-Drs. 18/8615 S. 51). Hierzu zählt gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG nunmehr auch der - materiellrechtlich unverändert geregelte - Fall, dass im Falle eines Folgeantrags nach § 71 AsylG oder eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.

16

Jedenfalls seit Inkrafttreten dieser Neuregelung ist die Entscheidung, kein weiteres Asylverfahren durchzuführen, mit der Anfechtungsklage anzugreifen. Eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG stellt, ebenso wie die hier noch ergangene - gleichbedeutende - Ablehnung der Durchführung eines weiteres Asylverfahrens, einen der Bestandskraft fähigen, anfechtbaren Verwaltungsakt dar (vgl. zur bisherigen Rechtslage Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, Stand Dezember 2016, § 71a Rn. 39). Sie verschlechtert die Rechtsstellung der Kläger, weil damit ohne inhaltliche Prüfung festgestellt wird, dass ihr Asylvorbringen nicht zur Schutzgewährung führt und darüber hinaus auch im Falle eines weiteren Asylantrags abgeschnitten wird, weil ein Folgeantrag, um den es sich gemäß § 71a Abs. 5 i.V.m. § 71 AsylG handeln würde, nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG zu einem weiteren Asylverfahren führen kann. Ferner erlischt mit der nach § 71a Abs. 4 i.V.m. §§ 34, 36 Abs. 1 und 3 AsylG regelmäßig zu erlassenden, sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung auch die Aufenthaltsgestattung (§ 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG). Der Asylsuchende muss die Aufhebung des Bescheids, mit dem die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens abgelehnt wird, erreichen, wenn er eine Entscheidung über seinen Asylantrag erhalten will (siehe auch BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 - 9 C 264.94 - Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12 = juris Rn. 12).

17

Die Anfechtungsklage ist nicht wegen des Vorrangs einer Verpflichtungsklage im Hinblick darauf unzulässig, dass für das von den Klägern endgültig verfolgte Ziel der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft die Verpflichtungsklage die richtige Klageart ist. Soweit in der bisherigen Rechtsprechung zum Folgeantrag eine Verpflichtung der Gerichte zum "Durchentscheiden" angenommen und dementsprechend die Verpflichtungsklage als allein zulässige Klageart betrachtet worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 - BVerwGE 106, 171 <172 ff.>), hält der Senat daran mit Blick auf die Weiterentwicklung des Asylverfahrensrechts nicht mehr fest.

18

Anknüpfend an die stärkere Betonung des behördlichen Asylverfahrens, der hierfür in der für die EU-Mitgliedstaaten verbindlichen Verfahrensrichtlinie enthaltenen, speziellen Verfahrensgarantien sowie der dort vorgesehenen eigenen Kategorie unzulässiger Asylanträge (vgl. Art. 25 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft - Asylverfahrensrichtlinie a.F. - bzw. Art. 33 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes - Asylverfahrensrichtlinie n.F. -) hat der Gesetzgeber mit der zusammenfassenden Regelung verschiedener Unzulässigkeitstatbestände in § 29 Abs. 1 AsylG das Verfahren strukturiert und dem Bundesamt nicht nur eine Entscheidungsform eröffnet, sondern eine mehrstufige Prüfung vorgegeben. Erweist sich ein Asylantrag schon als unzulässig, ist eine eigenständig geregelte Unzulässigkeitsentscheidung zu treffen. Zugleich hat das Bundesamt über das Bestehen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zu entscheiden (§ 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG). Diese Prüfungsstufe ist bei Anträgen, die das Bundesamt als Zweitantrag einstuft, auf die Fragen beschränkt, ob es sich tatsächlich um einen derartigen Antrag handelt und ob ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, also die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 AsylG vorliegen (§ 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a Abs. 1 AsylG). Die weitere in § 71a Abs. 1 AsylG genannte Voraussetzung, dass die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, muss an dieser Stelle bereits feststehen. Andernfalls wäre eine - vorrangige - Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG zu treffen. Denn die Dublin-Verordnungen regeln abschließend die Zuständigkeit zur Prüfung eines in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags. Erst wenn ein Mitgliedstaat danach zuständig ist, kann er einen Asylantrag - wie hier - aus den Gründen des § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig ablehnen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. November 2015 - 1 C 4.15 - BVerwGE 153, 234 Rn. 20).

19

Diese klare Gliederung der Prüfung von Anträgen, für die die Bundesrepublik Deutschland zuständig ist, in eine Entscheidung, ob ein Zweitantrag nach § 71a AsylG vorliegt und ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist (Zulässigkeitsprüfung) und die weitere Entscheidung, ob die materiellrechtlichen Anerkennungsvoraussetzungen gegeben sind (Sachprüfung), hat auch in eigenständigen Verfahrensvorgaben für die erste Prüfungsstufe Ausdruck gefunden. In § 71a Abs. 2 AsylG wird das "Verfahren zur Feststellung, ob ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist", besonders geregelt (vgl. zum Verfahren der Zulässigkeitsprüfung allgemein auch § 29 Abs. 2 bis 4 AsylG). Es liegt nahe, damit auch spezialgesetzliche, prozessuale Konsequenzen zu verbinden und den Streitgegenstand einer Klage nach einer derartigen Unzulässigkeitsentscheidung auf die vom Bundesamt bis dahin nur geprüfte Zulässigkeit des Asylantrags beschränkt zu sehen (siehe auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 13. März 1993 - 2 BvR 1988/92 - InfAuslR 1993, 229 = juris Rn. 23; BVerwG, Urteil vom 23. Juni 1987 - 9 C 251.86 - BVerwGE 77, 323 ff., jeweils zur partiell vergleichbaren Rechtslage nach dem AsylVfG 1982). Dafür spricht schließlich auch § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG, wonach das Bundesamt bei einer stattgebenden gerichtlichen Entscheidung das Asylverfahren fortzuführen hat. Diese Regelung gilt zwar unmittelbar nur für den Fall eines erfolgreichen Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen Unzulässigkeitsentscheidungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG, dessen in § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG geregelte, besondere Rechtsfolgen nicht verallgemeinerungsfähig sind. Letzteres gilt jedoch nicht für den in § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken. Dieser ist auf den Fall der Aufhebung einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG übertragbar und lässt darauf schließen, dass die verweigerte sachliche Prüfung vorrangig von der mit besonderem Sachverstand ausgestatteten Fachbehörde nachzuholen ist (ähnlich bereits BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 - 9 C 264.94 - Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12 = juris Rn. 13 und 17). Ausgehend davon kommt auch ein eingeschränkter, auf die Durchführung eines (gegebenenfalls weiteren) Asylverfahrens gerichteter Verpflichtungsantrag nicht in Betracht, weil das Bundesamt hierzu nach Aufhebung der Entscheidung über die Unzulässigkeit automatisch verpflichtet ist.

20

Die von der jüngeren Asylgesetzgebung verfolgten Beschleunigungsziele, auf die der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat, führen zu keiner abweichenden Beurteilung. Sie rechtfertigen es bei der derzeitigen Ausgestaltung des nationalen Asylverfahrensrechts und der unionsrechtlichen Vorgaben nicht, bei Folge- und (vermeintlichen) Zweitanträgen, welche entgegen der Einschätzung des Bundesamts zur Durchführung eines (weiteren) Asylverfahrens führen müssen, den nach dem Asylgesetz auf die Unzulässigkeitsentscheidung begrenzten Streitgegenstand auf die sachliche Verpflichtung zur Schutzgewähr zu erweitern und dann unter Rückgriff auf das allgemeine Verwaltungsprozessrecht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) die erstmalige Sachentscheidung in das verwaltungsgerichtliche Verfahren zu verlagern. Für bestimmte Fallgestaltungen stehen dem Bundesamt im Übrigen selbst Beschleunigungsmöglichkeiten zur Verfügung, die eine eventuelle Verlängerung der Gesamtverfahrensdauer bis zu einer abschließenden Entscheidung über die Berechtigung zu internationalem Schutz zumindest abmildern können. Hierzu zählt die Option, offensichtlich unbegründete Anträge nach § 30 AsylG abzulehnen und eine Abschiebungsandrohung mit verkürzter Ausreisefrist zu erlassen, sowie bei Folgeanträgen nunmehr auch die Möglichkeit, das Asylverfahren beschleunigt durchzuführen (§ 30a Abs. 1 Nr. 4 AsylG). Nicht zu entscheiden ist, ob und unter welchen Voraussetzungen das Bundesamt in Fällen des § 29 Abs. 1 AsylG neben einer Unzulässigkeitsentscheidung vorsorglich und in dem gehörigen Verfahren im Interesse einer Beschleunigung auch ausdrücklich (hilfsweise) eine Sachentscheidung treffen kann. Dass nach § 31 Abs. 3 AsylG in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge festzustellen ist, "ob die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen", und sich das Bundesamt zumindest insoweit sachlich mit einem Schutzbegehren zu befassen hat, ersetzt diese Prüfung nicht, weil sie nicht bezogen ist auf die - dem nationalen Abschiebungsschutz vorrangige Frage der - Anerkennung als Asylberechtigter bzw. Gewährung internationalen Schutzes (§ 1 Abs. 1 AsylG) und einen anderen Streitgegenstand betrifft. Dieser Streitgegenstand kann - in Fällen, in denen das Bundesamt die Unzulässigkeitsentscheidung mit der Feststellung verbunden hat, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht vorliegen - durch den Schutzsuchenden zusätzlich zu der gegen die Unzulässigkeitsentscheidung gerichteten Anfechtungsklage hilfsweise mit der Verpflichtungsklage zur verwaltungsgerichtlichen Prüfung gestellt werden.

21

Vor der Aufhebung einer rechtswidrigen Unzulässigkeitsentscheidung hat das Gericht zu prüfen, ob die Entscheidung auf der Grundlage eines anderen, auf gleicher Stufe stehenden Unzulässigkeitstatbestandes aufrechterhalten bleiben kann. Wird die Unzulässigkeitsentscheidung auf die Anfechtungsklage hin aufgehoben, ist auch eine gegebenenfalls ergangene Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen, nebst Abschiebungsandrohung aufzuheben. Denn beide Entscheidungen sind dann jedenfalls verfrüht ergangen (vgl. entsprechend BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 - 9 C 264.94 - Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12 = juris Rn. 19).

22

2. Das Berufungsgericht hat ohne Verletzung von Bundesrecht angenommen, dass die Voraussetzungen, unter denen die Durchführung eines Asylverfahrens gemäß § 71a Abs. 1 AsylG wegen vorheriger erfolgloser Durchführung eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat abgelehnt werden kann, nicht vorliegen.

23

Rechtsgrundlage für die angefochtene Entscheidung ist § 29 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 71a Abs. 1 AsylG. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist ein Asylantrag unter anderem dann unzulässig, wenn im Falle eines Zweitantrags nach § 71a ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.

24

Ein Zweitantrag liegt nach § 71a Abs. 1 AsylG vor, wenn der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag stellt. Er hat zur Folge, dass ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen ist, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt.

25

Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber die in § 71 AsylG vorgesehene besondere Behandlung von Folgeanträgen auf den Fall erstreckt, dass dem Asylantrag des Antragstellers ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in einem anderen EU-Mitgliedstaat oder Vertragsstaat vorausgegangen ist.

26

Der Senat kann offenlassen, ob gegen die mitgliedstaatsübergreifende Anwendung des unionsrechtlich ermöglichten Folgeantragskonzepts (vgl. Art. 32 bis 34 Asylverfahrensrichtlinie a.F. bzw. Art. 40 bis 42 Asylverfahrensrichtlinie n.F.) grundsätzliche unionsrechtliche Bedenken bestehen (vgl. Marx, AsylG, 9. Aufl. 2016, § 71a Rn. 3 ff.). Keiner Entscheidung bedarf auch die Frage, ob die Aufnahme der Folge- und Zweitanträge, bei denen keine Gründe für ein Wiederaufgreifen vorliegen, in den Katalog der Unzulässigkeitstatbestände des § 29 Abs. 1 AsylG bereits mit der Asylverfahrensrichtlinie a.F. - ihre Anwendbarkeit unterstellt - vereinbar war und ob und in welcher Weise Art. 25 Abs. 2 Buchst. f i.V.m. Art. 2 Buchst. d dieser Richtlinie die Auslegung der Tatbestandsvoraussetzung "nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens" zusätzlich begrenzt.

27

Die Voraussetzungen für die Nichtdurchführung eines (weiteren) Asylverfahrens nach § 71a Abs. 1 AsylG liegen hier schon deshalb nicht vor, weil die Asylanträge der Kläger keine Zweitanträge im Sinne dieser Vorschrift sind. Ihren Anträgen ist kein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) vorausgegangen.

28

Zwar ist Ungarn als Mitgliedstaat der Europäischen Union ein sicherer Drittstaat im Sinne von § 71a Abs. 1 AsylG, für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten: Im vorliegenden Fall richtet sich die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50 S. 1) - Dublin II-VO, weil Asylantrag und Wiederaufnahmegesuch vor dem maßgeblichen Stichtag (1. Januar 2014) gestellt worden sind (vgl. die Übergangsregelung in Art. 49 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags auf internationalen Schutz - Dublin III-VO).

29

Es fehlt indes an einem "erfolglosen Abschluss" der von den Klägern in Ungarn eingeleiteten Asylverfahren. Ein erfolgloser Abschluss des in einem anderen Mitgliedstaat betriebenen Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden ist. Eine Einstellung ist nicht in diesem Sinne endgültig, wenn das (Erst-)Verfahren noch wiedereröffnet werden kann (a). Ob eine solche Wiedereröffnung bzw. Wiederaufnahme möglich ist, ist nach der Rechtslage des Staates zu beurteilen, in dem das Asylverfahren durchgeführt worden ist (b). Nach diesen Maßstäben ist das von den Klägern in Ungarn betriebene und dort eingestellte Asylverfahren vorliegend nicht erfolglos abgeschlossen (c).

30

a) Dem Wortlaut nach umfasst die Tatbestandsvoraussetzung "nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens" jede Art des formellen Abschlusses eines Asylverfahrens ohne Zuerkennung eines Schutzstatus. Für die nähere Konkretisierung der möglichen Varianten und der Anforderungen an den Verfahrensabschluss kann auf die Parallelregelung zum Folgeantrag in § 71 Abs. 1 AsylG zurückgegriffen werden, wonach es sich um eine Rücknahme oder eine unanfechtbare Ablehnung des Antrags handeln kann. Entgegen der Auffassung der Beklagten spricht nichts dafür, dass der Gesetzgeber mit der abweichenden Formulierung in § 71a Abs. 1 AsylG inhaltlich weitere Tatbestände hätte erfassen wollen. Denn der Sinn und Zweck des § 71a AsylG ist darauf beschränkt, den Zweitantrag dem Folgeantrag und damit die asylrechtliche Entscheidung des Drittstaats einer asylrechtlichen Entscheidung der Bundesrepublik Deutschland gleichzustellen (BT-Drs. 12/4450 S. 27; siehe auch Hailbronner, in: Ausländerrecht, Ordner 4, Stand November 2016, § 71a AsylVfG Rn. 14 f.).

31

Der Begriff der Rücknahme in § 71 Abs. 1 AsylG erfasst nach der bis zum 16. März 2016 geltenden Rechtslage uneingeschränkt auch die Fälle, in denen der Asylantrag nach § 33 Abs. 1 AsylG wegen Nichtbetreibens des Verfahrens als zurückgenommen gilt. Dies macht nicht zuletzt § 32 Abs. 2 AsylG deutlich. Anders stellt sich dies nach der am 17. März 2016 in Kraft getretenen grundlegenden Neufassung des § 33 AsylG durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 390) dar: Nach § 33 Abs. 5 Satz 2 bis 6 AsylG kann nunmehr ein Ausländer, dessen Verfahren wegen Nichtbetreibens eingestellt worden ist, einmalig die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen. Ein neuer Asylantrag gilt als derartiger Wiederaufnahmeantrag und ist als Erstantrag zu behandeln, sofern seit der Einstellung des Asylverfahrens noch keine neun Monate vergangen sind und das Asylverfahren noch nicht nach dieser Vorschrift wieder aufgenommen worden war. Infolge dieser - erkennbar vorrangigen - Spezialregelung ist der Begriff der Rücknahme in § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG nunmehr bereits nach nationalem Recht dahin einschränkend auszulegen, dass er die Fälle der fiktiven Rücknahme nach § 33 Abs. 1 und 3 AsylG nur noch unter den Voraussetzungen des § 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG umfasst, wenn also die Einstellung des Asylverfahrens zum Zeitpunkt der Antragstellung mindestens neun Monate zurückliegt oder das Asylverfahren bereits einmal wieder aufgenommen worden war.

32

Steht die bestehende Wiederaufnahmemöglichkeit somit nach den eindeutigen gesetzlichen Vorgaben (Umkehrschluss aus § 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG) der Behandlung als Folgeantrag entgegen, muss dies - wegen der bezweckten Gleichstellung - auch für den Zweitantrag gelten. Hinzu kommt ein systematisches Argument innerhalb des § 71a AsylG: Liegt ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren im Sinne des § 71a AsylG im Falle der Antragsablehnung erst vor, wenn diese Ablehnung unanfechtbar ist (vgl. dazu OLG Köln, Beschluss vom 20. Juli 2007 - 16 Wx 150/07 - juris Rn. 7; Hailbronner, Ausländerrecht, Ordner 4, Stand November 2016, § 71a AsylVfG Rn. 15), ist ein erfolgloser Abschluss auch im Falle der Verfahrenseinstellung nach (ausdrücklicher oder stillschweigender/fingierter) Rücknahme nur anzunehmen, wenn das konkrete Asyl(erst)verfahren endgültig - d.h. ohne die Möglichkeit einer Wiederaufnahme auf Antrag des Asylbewerbers - beendet ist (zum unionsrechtlichen Begriff der "rechtskräftigen" bzw. "bestandskräftigen" Entscheidung s. Art. 2 Buchst. d Asylverfahrensrichtlinie a.F. bzw. Art. 2 Buchst. e Asylverfahrensrichtlinie n.F.). Denn es ist kein Grund ersichtlich, warum die beiden Varianten des erfolglosen Abschlusses eines Asylverfahrens, die jeweils dieselbe Rechtsfolge bewirken, insoweit unterschiedlichen Anforderungen unterliegen sollten.

33

b) Der Verwaltungsgerichtshof ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Frage, ob ein in einem anderen Mitgliedstaat zuvor betriebenes Asylverfahren dort durch bestandskräftige Ablehnung oder endgültige Einstellung beendet worden ist, insgesamt nach dem betreffenden ausländischen Asylverfahrensrecht richtet. § 71a Abs. 1 AsylG knüpft an einen abgeschlossenen, im Ausland geschehenen Vorgang an, der insgesamt dem ausländischen Recht unterfällt. Der enge Zusammenhang des Verwaltungsakts und seiner Bestandskraft gebietet, die Frage, ob eine ausländische Verwaltungsentscheidung noch anfechtbar bzw. revidierbar ist, nach ausländischem und nicht deutschem Recht zu beantworten. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten lässt zwar Raum dafür, die Rechts- und Bestandskraft einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung als Tatbestandsvoraussetzung für die innerstaatliche Rechtsanwendung heranzuziehen; sie erlaubt aber keine Erstreckung des nationalen Verfahrensrechts auf die Beurteilung dieser Vorfrage.

34

Die hier noch anwendbare Dublin II-VO beschränkt sich auf die Regelung der internationalen Zuständigkeit; ihr lässt sich indes keine Grundlage für eine Handhabung entnehmen, nach der der Zuständigkeitsübergang auf einen anderen Mitgliedstaat mit einer Verschlechterung der verfahrensrechtlichen Rechtsstellung verbunden wäre. Sie berechtigt insbesondere nicht dazu, an einen Zuständigkeitsübergang nach Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO einen Verlust des Rechts auf eine unbeschränkte, nicht nach Folgeantragsgrundsätzen erfolgende Antragsprüfung zu knüpfen, wenn dieses Recht im zuvor zuständigen Staat nach dem dort geltenden Asylverfahrensrecht noch bestand (vgl. auch VGH Mannheim, Urteil vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 - NVwZ 2015, 1155 = juris Rn. 36).

35

Dem steht der Hinweis der Beklagten, bei Zuständigkeit Deutschlands für die Prüfung eines Asylantrags müsse diese Prüfung auch nach deutschen Gesetzen erfolgen, nicht entgegen. Er trifft zwar insoweit zu, als nicht jede rechtliche Schlechterstellung durch einen Zuständigkeitsübergang ausgeschlossen ist. So darf ein durch Ablauf der Überstellungsfrist zuständig gewordener Staat einen Asylantrag nach Art. 3 Abs. 3 Dublin III-VO (vergleichbar: Art. 3 Abs. 3 Dublin II-VO) auch dann ablehnen, wenn der ursprünglich zuständige Staat vom Drittstaatskonzept keinen Gebrauch macht (vgl. EuGH, Urteil vom 17. März 2016 - C-695/15 [ECLI:EU:C:2016:188], PPU - NVwZ 2016, 753). Von dieser Fallkonstellation unterscheidet sich die hier relevante Regelung zum Zweitantrag aber dadurch, dass der deutsche Gesetzgeber darin den Prüfungsumfang vom Abschluss eines in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführten Verwaltungsverfahrens abhängig macht. Damit knüpft die gesetzliche Regelung selbst an einen nach der ausländischen Rechtsordnung zu beurteilenden Tatbestand an.

36

Zu keinem anderen Ergebnis führt die weitere Aussage des EuGH in der vorgenannten Entscheidung, Art. 18 Abs. 2 Dublin III-VO verpflichte die zuständigen Behörden des zuständigen Mitgliedstaats bei Wiederaufnahme eines Asylbewerbers nicht, das Verfahren zur Prüfung seines Antrags in dem Stadium wiederaufzunehmen, in dem es von diesen Behörden eingestellt worden war. In diesem Zusammenhang weist der EuGH auch auf Art. 28 Abs. 2 letzter Unterabsatz Asylverfahrensrichtlinie n.F. hin, wonach die Mitgliedstaaten der Asylbehörde die Wiederaufnahme der Prüfung in dem Verfahrensabschnitt, in dem sie eingestellt wurde, gestatten können, aber nicht müssen (vgl. EuGH, Urteil vom 17. März 2016 - C-695/12 - Rn. 67; ebenso Art. 20 Abs. 2 Unterabs. 4 Asylverfahrensrichtlinie a.F.). Daraus kann etwa folgen, dass eine bereits erfolgte Anhörung nicht zwingend wiederholt werden muss. Ungeachtet der unterschiedlichen Verfahrenskonstellation rechtfertigen diese Bemerkungen aber nicht den Schluss, dass ein Verlust des Rechts auf eine unbeschränkte Antragsprüfung durch bloßen Zuständigkeitsübergang mit dem Unionsrecht vereinbar wäre. Die Begriffe "Verfahrensabschnitt" bzw. "Stadium" beziehen sich nach dem Verständnis des EuGH zweifelsfrei nicht auf die Frage, ob es sich um ein Erst- oder ein Folgeverfahren handelt. Denn der EuGH betont ausdrücklich, dass die Prüfung des Antrags den für Erstanträge vorgesehenen Anforderungen entsprechen muss.

37

Nach den vorstehenden Ausführungen kann auch der Einwand der Beklagten nicht durchgreifen, bei Anwendung ungarischen Rechts werde der dem innerstaatlichen Normgeber zustehende Gestaltungsspielraum beeinträchtigt, den die Asylverfahrensrichtlinie a.F. den Mitgliedstaaten im vorliegenden Kontext einräume. Es trifft zwar zu, dass Art. 20 Abs. 2 Asylverfahrensrichtlinie a.F. - anders als Art. 28 Abs. 2 Asylverfahrensrichtlinie n.F. - den Mitgliedstaaten noch nicht bindend vorgibt, eine Wiedereröffnung von Asylverfahren vorzusehen, die wegen stillschweigender Antragsrücknahme oder Nichtbetreiben des Verfahrens eingestellt worden sind, sondern wahlweise auch die Behandlung eines hiernach gestellten Antrags als Folgeantrag akzeptiert. Dieses Wahlrecht steht allerdings bei der hier in Rede stehenden mitgliedstaatsübergreifenden Anwendung des Folgeantragskonzepts - deren Vereinbarkeit mit Unionsrecht unterstellt - dem Staat zu, in dem das Verfahren durchgeführt worden ist, hier mithin Ungarn. Aus der Verwendung des Plurals in Art. 20 Abs. 2 Asylverfahrensrichtlinie a.F. ("Die Mitgliedstaaten stellen sicher ...") kann nichts anderes geschlossen werden. Wenn in dieser Regelung von einem Asylbewerber die Rede ist, "der sich nach Einstellung der Antragsprüfung gemäß Absatz 1 des vorliegenden Artikels wieder bei der zuständigen Behörde meldet, so beschreibt dies einen Vorgang innerhalb ein und desselben Mitgliedstaates und keine länderübergreifende Situation.

38

c) Nach diesen Maßstäben ist die Entscheidung des Berufungsgerichts, das von den Klägern in Ungarn eingeleitete Asylverfahren als nicht erfolglos abgeschlossen im Sinne von § 71a AsylG anzusehen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die Kläger im Falle einer Rückkehr nach Ungarn das dort eingeleitete Asylverfahren ohne inhaltliche Beschränkung ihres Vortrags wie ein Erstverfahren weiterbetreiben können. Nach Auskünften des Auswärtigen Amtes vom 12. März 2015 (an das VG Freiburg) und vom 19. November 2014 (an das VG Düsseldorf) zur Ausgestaltung des ungarischen Asylverfahrens werde in Fällen, in denen ein vorheriges Asylverfahren ohne Entscheidung in der Sache eingestellt worden sei ("discontinuation"), ein erneutes Asylbegehren behandelt wie ein Erstverfahren, insbesondere könne der Antragsteller seine im Erstverfahren dargelegten Fluchtgründe erneut vorbringen. Dies werde bestätigt durch die Zustimmungserklärung der ungarischen Behörden, die sich damit einverstanden erklärt hätten, die Kläger wieder aufzunehmen und über das Asylbegehren zu entscheiden. Im Ergebnis würde somit das Verfahren fortgeführt bzw. wiederaufgenommen, wenn die Kläger nach Ungarn zurückkehren würden.

39

An diese nicht mit durchgreifenden Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts zum Inhalt des ungarischen Rechts ist der Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, weil sie nach § 173 VwGO i.V.m. § 293 ZPO zur Tatsachenfeststellung zählen (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 20. April 2004 - 1 C 13.03 - BVerwGE 120, 298 <302 f.>).

40

Keiner Entscheidung bedarf, auf welchen Zeitpunkt bei der Beurteilung der Frage abzustellen ist, ob ein in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführtes Asylverfahren im Sinne von § 71a Abs. 1 AsylG erfolglos abgeschlossen ist. Insoweit kommen in erster Linie der Zeitpunkt der Asylantragstellung in Deutschland oder der Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs in Betracht. Diese Frage kann hier dahinstehen, da die Kläger auch zu dem späteren Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs noch die Möglichkeit hatten, die Asylverfahren in Ungarn weiter zu betreiben. Denn aus den Feststellungen des Berufungsgerichts zum ungarischen Asylverfahrensrecht ergibt sich nicht, dass das Recht, ein wegen Fortzugs eingestelltes Asylverfahren wieder aufzunehmen, nur befristet bestanden hätte (zur Möglichkeit einer Befristung auf mindestens neun Monate vgl. nunmehr Art. 28 Abs. 2 Unterabs. 2 Asylverfahrensrichtlinie n.F.). Hierfür liegen bezogen auf den hier relevanten Zeitraum bis Ende Januar 2013 auch keine Anhaltspunkte vor.

41

3. Die Entscheidung kann nicht auf anderer Rechtsgrundlage aufrechterhalten bleiben. Der insoweit allein in Betracht kommende Unzulässigkeitstatbestand des § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG greift schon deshalb nicht ein, weil Deutschland für die Durchführung der hier in Rede stehenden Asylverfahren aufgrund des Ablaufs der Überstellungsfrist nach Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO zuständig ist. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein Staat, der bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als für den Ausländer sicherer Drittstaat gemäß § 26a AsylG betrachtet wird. Gemäß § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylG schließt die Einreise aus einem sicheren Drittstaat die Berufung auf Art. 16a Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes jedoch nicht aus, wenn die Bundesrepublik Deutschland - wie hier - aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dies gilt nicht nur bei einer originären Zuständigkeit Deutschlands, sondern auch bei einem nachträglichen Zuständigkeitswechsel.

42

Diese Regelung nimmt § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG mit in Bezug: Mit der Aufnahme des § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG in den Katalog der Unzulässigkeitsgründe sollte die zuvor bestehende Möglichkeit, einen Asylantrag nach § 26a AsylG abzulehnen, inhaltlich nicht verändert werden. In § 31 Abs. 4 AsylG ist weiterhin von einer Ablehnung "nach § 26a" - jetzt - als unzulässig die Rede. Im Gesetzgebungsverfahren hat die Bundesregierung zudem betont, durch den expliziten Verweis im künftigen § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG auf § 26a AsylG komme zum Ausdruck, dass die dort geregelten Anforderungen auch weiterhin - im Rahmen der Entscheidung über die Zulässigkeit des Asylantrags - zu beachten sind. Wie im geltenden Recht setze der künftige § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG daher voraus, dass der Drittstaat die - unverändert gebliebenen - Voraussetzungen des § 26a AsylG erfülle und durch Aufnahme in Anlage I des Asylgesetzes als sicherer Drittstaat eingestuft worden sei (BT-Drs. 18/8883 S. 10). Ob § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG mit Unionsrecht vereinbar ist, bedarf hier mithin keiner Entscheidung.

43

4. Die Ablehnung der Durchführung von (weiteren) Asylverfahren verletzt die Kläger auch in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Ihr aus dem Unionsrecht folgender Anspruch auf Prüfung ihres Schutzbegehrens durch einen Mitgliedstaat der EU ist verletzt, wenn das Bundesamt - wie hier - als auch nach eigener Auffassung international zuständige Behörde es rechtswidrig ablehnt, ein Asylverfahren durchzuführen.

44

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG sind nicht gegeben.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn

1.
ein anderer Staat
a)
nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 oder
b)
auf Grund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages
für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist,
2.
ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 gewährt hat,
3.
ein Staat, der bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als für den Ausländer sicherer Drittstaat gemäß § 26a betrachtet wird,
4.
ein Staat, der kein Mitgliedstaat der Europäischen Union und bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als sonstiger Drittstaat gemäß § 27 betrachtet wird oder
5.
im Falle eines Folgeantrags nach § 71 oder eines Zweitantrags nach § 71a ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.

(2) Das Bundesamt hört den Ausländer zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe b bis Nummer 4 persönlich an, bevor es über die Zulässigkeit eines Asylantrags entscheidet. Zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 5 gibt es dem Ausländer Gelegenheit zur Stellungnahme nach § 71 Absatz 3.

(3) Erscheint der Ausländer nicht zur Anhörung über die Zulässigkeit, entscheidet das Bundesamt nach Aktenlage. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das in Satz 1 genannte Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte. Führt der Ausländer diesen Nachweis, ist das Verfahren fortzuführen.

(4) Die Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags kann gemäß § 24 Absatz 1a dafür geschulten Bediensteten anderer Behörden übertragen werden.

(1) Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt. Das Gleiche gilt für den Asylantrag eines Kindes, wenn der Vertreter nach § 14a Abs. 3 auf die Durchführung eines Asylverfahrens verzichtet hatte.

(2) Der Ausländer hat den Folgeantrag persönlich bei der Außenstelle des Bundesamtes zu stellen, die der Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist, in der er während des früheren Asylverfahrens zu wohnen verpflichtet war. Wenn der Ausländer das Bundesgebiet zwischenzeitlich verlassen hatte, gelten die §§ 47 bis 67 entsprechend. In den Fällen des § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder wenn der Ausländer nachweislich am persönlichen Erscheinen gehindert ist, ist der Folgeantrag schriftlich zu stellen. Der Folgeantrag ist schriftlich bei der Zentrale des Bundesamtes zu stellen, wenn

1.
die Außenstelle, die nach Satz 1 zuständig wäre, nicht mehr besteht,
2.
der Ausländer während des früheren Asylverfahrens nicht verpflichtet war, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen.
§ 19 Abs. 1 findet keine Anwendung.

(3) In dem Folgeantrag hat der Ausländer seine Anschrift sowie die Tatsachen und Beweismittel anzugeben, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes ergibt. Auf Verlangen hat der Ausländer diese Angaben schriftlich zu machen. Von einer Anhörung kann abgesehen werden. § 10 gilt entsprechend.

(4) Liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vor, sind die §§ 34, 35 und 36 entsprechend anzuwenden; im Falle der Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) ist § 34a entsprechend anzuwenden.

(5) Stellt der Ausländer, nachdem eine nach Stellung des früheren Asylantrags ergangene Abschiebungsandrohung oder -anordnung vollziehbar geworden ist, einen Folgeantrag, der nicht zur Durchführung eines weiteren Verfahrens führt, so bedarf es zum Vollzug der Abschiebung keiner erneuten Fristsetzung und Abschiebungsandrohung oder -anordnung. Die Abschiebung darf erst nach einer Mitteilung des Bundesamtes, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vorliegen, vollzogen werden, es sei denn, der Ausländer soll in den sicheren Drittstaat abgeschoben werden.

(6) Absatz 5 gilt auch, wenn der Ausländer zwischenzeitlich das Bundesgebiet verlassen hatte. Im Falle einer unerlaubten Einreise aus einem sicheren Drittstaat (§ 26a) kann der Ausländer nach § 57 Abs. 1 und 2 des Aufenthaltsgesetzes dorthin zurückgeschoben werden, ohne dass es der vorherigen Mitteilung des Bundesamtes bedarf.

(7) War der Aufenthalt des Ausländers während des früheren Asylverfahrens räumlich beschränkt, gilt die letzte räumliche Beschränkung fort, solange keine andere Entscheidung ergeht. Die §§ 59a und 59b gelten entsprechend. In den Fällen der Absätze 5 und 6 ist für ausländerrechtliche Maßnahmen auch die Ausländerbehörde zuständig, in deren Bezirk sich der Ausländer aufhält.

(8) Ein Folgeantrag steht der Anordnung von Abschiebungshaft nicht entgegen, es sei denn, es wird ein weiteres Asylverfahren durchgeführt.

(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn

1.
sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;
2.
neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden;
3.
Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind.

(2) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.

(3) Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.

(4) Über den Antrag entscheidet die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der Verwaltungsakt, dessen Aufhebung oder Änderung begehrt wird, von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(5) Die Vorschriften des § 48 Abs. 1 Satz 1 und des § 49 Abs. 1 bleiben unberührt.

(1) Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt. Das Gleiche gilt für den Asylantrag eines Kindes, wenn der Vertreter nach § 14a Abs. 3 auf die Durchführung eines Asylverfahrens verzichtet hatte.

(2) Der Ausländer hat den Folgeantrag persönlich bei der Außenstelle des Bundesamtes zu stellen, die der Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist, in der er während des früheren Asylverfahrens zu wohnen verpflichtet war. Wenn der Ausländer das Bundesgebiet zwischenzeitlich verlassen hatte, gelten die §§ 47 bis 67 entsprechend. In den Fällen des § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder wenn der Ausländer nachweislich am persönlichen Erscheinen gehindert ist, ist der Folgeantrag schriftlich zu stellen. Der Folgeantrag ist schriftlich bei der Zentrale des Bundesamtes zu stellen, wenn

1.
die Außenstelle, die nach Satz 1 zuständig wäre, nicht mehr besteht,
2.
der Ausländer während des früheren Asylverfahrens nicht verpflichtet war, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen.
§ 19 Abs. 1 findet keine Anwendung.

(3) In dem Folgeantrag hat der Ausländer seine Anschrift sowie die Tatsachen und Beweismittel anzugeben, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes ergibt. Auf Verlangen hat der Ausländer diese Angaben schriftlich zu machen. Von einer Anhörung kann abgesehen werden. § 10 gilt entsprechend.

(4) Liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vor, sind die §§ 34, 35 und 36 entsprechend anzuwenden; im Falle der Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) ist § 34a entsprechend anzuwenden.

(5) Stellt der Ausländer, nachdem eine nach Stellung des früheren Asylantrags ergangene Abschiebungsandrohung oder -anordnung vollziehbar geworden ist, einen Folgeantrag, der nicht zur Durchführung eines weiteren Verfahrens führt, so bedarf es zum Vollzug der Abschiebung keiner erneuten Fristsetzung und Abschiebungsandrohung oder -anordnung. Die Abschiebung darf erst nach einer Mitteilung des Bundesamtes, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vorliegen, vollzogen werden, es sei denn, der Ausländer soll in den sicheren Drittstaat abgeschoben werden.

(6) Absatz 5 gilt auch, wenn der Ausländer zwischenzeitlich das Bundesgebiet verlassen hatte. Im Falle einer unerlaubten Einreise aus einem sicheren Drittstaat (§ 26a) kann der Ausländer nach § 57 Abs. 1 und 2 des Aufenthaltsgesetzes dorthin zurückgeschoben werden, ohne dass es der vorherigen Mitteilung des Bundesamtes bedarf.

(7) War der Aufenthalt des Ausländers während des früheren Asylverfahrens räumlich beschränkt, gilt die letzte räumliche Beschränkung fort, solange keine andere Entscheidung ergeht. Die §§ 59a und 59b gelten entsprechend. In den Fällen der Absätze 5 und 6 ist für ausländerrechtliche Maßnahmen auch die Ausländerbehörde zuständig, in deren Bezirk sich der Ausländer aufhält.

(8) Ein Folgeantrag steht der Anordnung von Abschiebungshaft nicht entgegen, es sei denn, es wird ein weiteres Asylverfahren durchgeführt.

(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn

1.
sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;
2.
neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden;
3.
Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind.

(2) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.

(3) Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.

(4) Über den Antrag entscheidet die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der Verwaltungsakt, dessen Aufhebung oder Änderung begehrt wird, von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(5) Die Vorschriften des § 48 Abs. 1 Satz 1 und des § 49 Abs. 1 bleiben unberührt.

(1) Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt. Das Gleiche gilt für den Asylantrag eines Kindes, wenn der Vertreter nach § 14a Abs. 3 auf die Durchführung eines Asylverfahrens verzichtet hatte.

(2) Der Ausländer hat den Folgeantrag persönlich bei der Außenstelle des Bundesamtes zu stellen, die der Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist, in der er während des früheren Asylverfahrens zu wohnen verpflichtet war. Wenn der Ausländer das Bundesgebiet zwischenzeitlich verlassen hatte, gelten die §§ 47 bis 67 entsprechend. In den Fällen des § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder wenn der Ausländer nachweislich am persönlichen Erscheinen gehindert ist, ist der Folgeantrag schriftlich zu stellen. Der Folgeantrag ist schriftlich bei der Zentrale des Bundesamtes zu stellen, wenn

1.
die Außenstelle, die nach Satz 1 zuständig wäre, nicht mehr besteht,
2.
der Ausländer während des früheren Asylverfahrens nicht verpflichtet war, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen.
§ 19 Abs. 1 findet keine Anwendung.

(3) In dem Folgeantrag hat der Ausländer seine Anschrift sowie die Tatsachen und Beweismittel anzugeben, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes ergibt. Auf Verlangen hat der Ausländer diese Angaben schriftlich zu machen. Von einer Anhörung kann abgesehen werden. § 10 gilt entsprechend.

(4) Liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vor, sind die §§ 34, 35 und 36 entsprechend anzuwenden; im Falle der Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) ist § 34a entsprechend anzuwenden.

(5) Stellt der Ausländer, nachdem eine nach Stellung des früheren Asylantrags ergangene Abschiebungsandrohung oder -anordnung vollziehbar geworden ist, einen Folgeantrag, der nicht zur Durchführung eines weiteren Verfahrens führt, so bedarf es zum Vollzug der Abschiebung keiner erneuten Fristsetzung und Abschiebungsandrohung oder -anordnung. Die Abschiebung darf erst nach einer Mitteilung des Bundesamtes, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vorliegen, vollzogen werden, es sei denn, der Ausländer soll in den sicheren Drittstaat abgeschoben werden.

(6) Absatz 5 gilt auch, wenn der Ausländer zwischenzeitlich das Bundesgebiet verlassen hatte. Im Falle einer unerlaubten Einreise aus einem sicheren Drittstaat (§ 26a) kann der Ausländer nach § 57 Abs. 1 und 2 des Aufenthaltsgesetzes dorthin zurückgeschoben werden, ohne dass es der vorherigen Mitteilung des Bundesamtes bedarf.

(7) War der Aufenthalt des Ausländers während des früheren Asylverfahrens räumlich beschränkt, gilt die letzte räumliche Beschränkung fort, solange keine andere Entscheidung ergeht. Die §§ 59a und 59b gelten entsprechend. In den Fällen der Absätze 5 und 6 ist für ausländerrechtliche Maßnahmen auch die Ausländerbehörde zuständig, in deren Bezirk sich der Ausländer aufhält.

(8) Ein Folgeantrag steht der Anordnung von Abschiebungshaft nicht entgegen, es sei denn, es wird ein weiteres Asylverfahren durchgeführt.

(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn

1.
sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;
2.
neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden;
3.
Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind.

(2) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.

(3) Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.

(4) Über den Antrag entscheidet die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der Verwaltungsakt, dessen Aufhebung oder Änderung begehrt wird, von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(5) Die Vorschriften des § 48 Abs. 1 Satz 1 und des § 49 Abs. 1 bleiben unberührt.

(1) Die Entscheidung des Bundesamtes ergeht schriftlich. Sie ist schriftlich zu begründen. Entscheidungen, die der Anfechtung unterliegen, sind den Beteiligten unverzüglich zuzustellen. Wurde kein Bevollmächtigter für das Verfahren bestellt, ist eine Übersetzung der Entscheidungsformel und der Rechtsbehelfsbelehrung in einer Sprache beizufügen, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann. Das Bundesamt informiert mit der Entscheidung über die Rechte und Pflichten, die sich aus ihr ergeben.

(2) In Entscheidungen über zulässige Asylanträge und nach § 30 Absatz 5 ist ausdrücklich festzustellen, ob dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz zuerkannt wird und ob er als Asylberechtigter anerkannt wird. In den Fällen des § 13 Absatz 2 Satz 2 ist nur über den beschränkten Antrag zu entscheiden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 und in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge ist festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen. Davon kann abgesehen werden, wenn der Ausländer als Asylberechtigter anerkannt wird oder ihm internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 zuerkannt wird. Von der Feststellung nach Satz 1 kann auch abgesehen werden, wenn das Bundesamt in einem früheren Verfahren über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes entschieden hat und die Voraussetzungen des § 51 Absatz 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vorliegen.

(4) Wird der Asylantrag nur nach § 26a als unzulässig abgelehnt, bleibt § 26 Absatz 5 in den Fällen des § 26 Absatz 1 bis 4 unberührt.

(5) Wird ein Ausländer nach § 26 Absatz 1 bis 3 als Asylberechtigter anerkannt oder wird ihm nach § 26 Absatz 5 internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 zuerkannt, soll von der Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen werden.

(6) Wird der Asylantrag nach § 29 Absatz 1 Nummer 1 als unzulässig abgelehnt, wird dem Ausländer in der Entscheidung mitgeteilt, welcher andere Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.

(7) In der Entscheidung des Bundesamtes ist die AZR-Nummer nach § 3 Absatz 1 Nummer 2 des Gesetzes über das Ausländerzentralregister zu nennen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Gründe

I

1

Der Kläger, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte im März 2011 einen Asylantrag wegen Wehrdienstentziehung. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 19. Dezember 2012 mangels Glaubwürdigkeit der Angaben zu seinem Vorfluchtschicksal ab. Während des Klageverfahrens ist der Kläger zum Christentum übergetreten und hat sich im Mai 2013 taufen lassen.

2

Das Verwaltungsgericht hat seiner auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichteten Klage stattgegeben. Den Entscheidungsgründen ist zu entnehmen, dass sich das Gericht zwar nicht von der Ernsthaftigkeit der Konversion habe überzeugen können. Dennoch sei der Kläger als Flüchtling anzuerkennen, denn die Taufe gehöre als Aufnahmeakt zum seelsorgerischen Kernbereich einer Religionsgemeinschaft. Deshalb sei das Gericht gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV an die Beurteilung der die Taufe vollziehenden Pfarrerin gebunden, der Glaubensübertritt sei vom Kläger ernsthaft gewollt.

3

Auf die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, ein flüchtlingsrechtlich relevanter, hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit des unverfolgt aus dem Iran ausgereisten Klägers setze u.a. voraus, dass für den Betroffenen die Befolgung bestimmter gefahrenträchtiger religiöser Praktiken in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig sei. Das Gericht habe jedoch auch in Ansehung der Taufe des Klägers nicht mit der notwendigen Überzeugungsgewissheit feststellen können, dass die von ihm geltend gemachte Hinwendung zur christlichen Religion auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel beruhe. Der christliche Glaube präge die religiöse Identität des Klägers nicht in einer Weise, dass dieser die christliche Betätigung für sich selbst als verpflichtend empfinde, um seine Identität zu wahren. Bei dieser Beurteilung binde der Umstand, dass der Betroffene durch den Amtsträger einer christlichen Kirche getauft worden sei, die staatlichen Stellen nicht. Es sei vielmehr die ureigene Aufgabe staatlicher Verwaltungsgerichte, zu einer eigenen Einschätzung hinsichtlich der Ernsthaftigkeit des Glaubensübertritts zu gelangen. Aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 und 3 WRV ergebe sich nichts anderes. Denn es bleibe der Kirchengemeinde unbenommen, den Kläger weiterhin als ihr Mitglied anzusehen. Die Beantwortung der davon zu unterscheidenden Frage, ob die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche eine religiöse Verfolgung nach sich ziehe und deshalb die Flüchtlingsanerkennung begründe, sei allein Aufgabe der staatlichen Gerichte.

4

Hiergegen wendet sich die Beschwerde des Klägers, mit der dieser die Zulassung der Revision erstrebt.

II

5

Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und eines Verfahrensmangels des Berufungsurteils (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

6

1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschluss vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110).

7

Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,

"ob das staatliche Gericht uneingeschränkt befugt ist, im Rahmen eines Asylverfahrens entgegen einer Taufe in den christlichen Glauben und entgegen einer pfarramtlichen Bescheinigung der Pfarrerin seiner Kirchengemeinde davon auszugehen, dass ein Asylbewerber keine religiöse Identität in dem Sinne habe, dass ihm der Verzicht auf eine öffentlich wahrnehmbare Betätigung seines christlichen Glaubens zumutbar ist."

8

Dazu führt sie im Kern aus, die Feststellung der Ernsthaftigkeit des Übertritts zum Christentum sowie der religiösen Identität eines Asylbewerbers sei eine innerkirchliche Angelegenheit, die gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV staatlicher Überprüfung entzogen sei. Die Taufe gehöre zum Kernbereich kirchlichen Handelns, den der Staat nicht infrage stellen dürfe. Auch der Kläger werde in seiner grundrechtlich geschützten Glaubensfreiheit verletzt, wenn der Staat sich die Entscheidungskompetenz darüber anmaße, ob er "wahrer" Christ sei oder nicht. Mit diesem und dem weiteren Vorbringen zeigt die Beschwerde keine klärungsbedürftigen Fragen des revisiblen Rechts auf, die die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 oder 3 VwGO rechtfertigen.

9

Es bedarf keiner Durchführung eines Revisionsverfahrens, um zu klären, dass staatliche Behörden und Verwaltungsgerichte bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 und 4 AsylVfG nicht an die Beurteilung des zuständigen Amtsträgers einer christlichen Kirche gebunden sind, der Taufe des betroffenen Asylbewerbers liege eine ernsthafte und nachhaltige Glaubensentscheidung zugrunde. Dies folgt insbesondere aus der dem Berufungsurteil vom Verwaltungsgerichtshof zugrunde gelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 im Anschluss an EuGH, Urteil vom 5. September 2012 - C-71/11 und C-99/11 [ECLI:EU:C:2012:518] - NVwZ 2012, 1612). Das Vorbringen der Beschwerde zeigt keinen neuerlichen oder weitergehenden Klärungsbedarf auf.

10

Art. 4 Abs. 1 und 2 GG als einheitliches Grundrecht sowie Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV garantieren den Religionsgesellschaften die Freiheit, ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes zu ordnen und zu verwalten (zum Verhältnis der Bestimmungen zueinander im Sinne einer Schrankenspezialität: BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 - EuGRZ 2014, 698 Rn. 82 ff.). Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht umfasst alle Maßnahmen, die der Sicherstellung der religiösen Dimension des Wirkens im Sinne kirchlichen Selbstverständnisses und der Wahrung der unmittelbaren Beziehung der Tätigkeit zum kirchlichen Grundauftrag dienen (BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 - EuGRZ 2014, 698 Rn. 95 m.w.N.). Zu den "eigenen Angelegenheiten" in diesem Sinne zählen insbesondere die Rechte und Pflichten der Mitglieder der jeweiligen Religionsgemeinschaft, insbesondere Bestimmungen, die den Ein- und Austritt, die mitgliedschaftliche Stellung sowie den Ausschluss von Glaubensangehörigen regeln (BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2014 - 2 BvR 278/11 - EuGRZ 2015, 250 Rn. 37 m.w.N.). Die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft beurteilt sich mit Wirkung für den weltlichen Bereich (etwa als Voraussetzung für die Kirchensteuerpflicht) grundsätzlich nach den Regeln der jeweiligen Religionsgemeinschaft (BVerfG, Beschluss vom 31. März 1971 - 1 BvR 744/67 - BVerfGE 30, 415 <422> - auch zu der Grenze des für alle geltenden Gesetzes). Demzufolge obliegen die Interpretation und die Beurteilung der kirchenrechtlichen Voraussetzungen für eine Taufe sowie deren Wirksamkeit mit der Folge, dass der Betroffene Mitglied in der Gemeinde einer Religionsgemeinschaft wie der evangelisch-lutherischen Landeskirche ist, den innerkirchlich zuständigen Amtsträgern (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. November 2013 - 6 C 21.12 - BVerwGE 148, 271 Rn. 46 ff. - auch zur Abgrenzung gegenüber staatlichen Gerichten verbleibenden Prüfungspunkten).

11

Es liegt auf der Hand, dass - von Missbrauchsfällen abgesehen - die von einer Religionsgemeinschaft bestätigte Mitgliedschaft als solche von den Verwaltungsgerichten bei der Untersuchung, ob dem Asylbewerber in seinem Heimatland eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit als flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht, nicht infrage gestellt werden darf. Die durch Taufe bewirkte Mitgliedschaft in einer christlichen Religionsgemeinschaft ist aber nur dann allein entscheidungserheblich, wenn eine Verfolgung in einem Land ausschließlich an der Kirchenzugehörigkeit anknüpft. Ist dies jedoch - wie nach der tatrichterlichen Würdigung der Verfolgungslage im Iran durch das Berufungsgericht - nicht der Fall, haben das Bundesamt bzw. die Verwaltungsgerichte auf der Rechtstatsache der Kirchenmitgliedschaft aufbauend bei der Beurteilung der Schwere einer drohenden Verletzung der Religionsfreiheit des Betroffenen zu prüfen, ob die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis für ihn zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Da bereits der unter dem Druck drohender Verfolgung erzwungene Verzicht auf eine Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG erreichen kann, ist für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund drohender religiöser Verfolgung in diesem Fall maßgeblich, wie der Einzelne seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis ein zentrales Element seiner religiösen Identität bildet und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 28 ff. im Anschluss an EuGH, Urteil vom 5. September 2012 - C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612). Dass diese Fragestellung in Teilbereichen zugleich auch als kirchenrechtliche Voraussetzung für die Taufe bedeutsam ist und von dem innerkirchlich zuständigen Amtsträger bejaht worden ist, macht sie - wie das Berufungsgericht zutreffend herausgestellt hat - mit Blick auf die hier zu prüfende, staatlichen Stellen obliegende Flüchtlingsanerkennung nicht zu einer "eigenen Angelegenheit" der Religionsgemeinschaft im Sinne des Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV i.V.m. Art. 140 GG. Diese Grundsätze gelten unabhängig davon, ob die jeweilige Religionsgemeinschaft als Körperschaft des Öffentlichen Rechts konstituiert ist oder nicht.

12

Es bedarf auch keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass staatliche Stellen mit der eigenständigen Würdigung im Rahmen der Prüfung des § 3 Abs. 1 AsylVfG, ob eine bestimmte Glaubenspraxis für den Antragsteller nach seinem Glaubensverständnis ein zentrales Element seiner religiösen Identität bildet und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist, nicht die sich aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sowie Art. 140 i.V.m. Art. 136 Abs. 1 und 4, Art. 137 Abs. 1 WRV ergebende Pflicht des Staates zur weltanschaulichen Neutralität verletzen. Denn eine verfassungsrechtlich unzulässige Bewertung des Glaubens oder der Lehre einer Kirche ist damit nicht verbunden. Bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung wegen geltend gemachter religiöser Verfolgung setzen sich staatliche Stellen weder mit Inhalten von Glaubenssätzen auseinander noch bewerten sie diese oder formulieren gar eigene Standpunkte in Glaubensdingen (zur Reichweite des Neutralitätsgebots: BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 - EuGRZ 2014, 698 Rn. 88 ff. m.w.N.; vgl. auch EGMR, Urteil vom 15. Januar 2013 - Nr. 48420/10 u.a. - NJW 2014, 1935 Rn. 81 und Urteil vom 8. April 2014 - Nr. 70945/11 u.a. - NVwZ 2015, 499 Rn. 76). Sie entscheiden auch nicht über die Legitimität religiöser Glaubensüberzeugungen, sondern gehen lediglich der Stellung des einzelnen Antragstellers zu seinem Glauben nach, nämlich der Intensität selbst empfundener Verbindlichkeit von Glaubensgeboten für die Identität der Person. Darin liegt keine Verletzung der Pflicht des Staates zu weltanschaulicher Neutralität.

13

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist auch geklärt, dass die Verwaltungsgerichte sich bei der Prüfung der inneren Tatsache, ob der Kläger die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung seiner religiösen Identität empfindet, nicht auf eine Plausibilitätsprüfung hinreichend substantiierter Darlegung beschränken dürfen, sondern insoweit das Regelbeweismaß der vollen Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) zugrunde zu legen haben (BVerwG, Urteil vom Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 30). Ein erneuter oder weitergehender Klärungsbedarf ergibt sich nicht daraus, dass die Anlegung des Regelbeweismaßes nach Auffassung der Beschwerde die Religionsfreiheit des Betroffenen und zugleich das kirchliche Selbstbestimmungsrecht verletzt. Denn eine Zurücknahme des tatrichterlichen Beweismaßes sowie der gerichtlichen Kontrolldichte ist nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung nur bei der Bestimmung der Reichweite des Schutzbereichs des Art. 4 GG angezeigt. Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als korporative oder individuelle Ausübung von Religion und Weltanschauung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG anzusehen ist, muss der zentralen Bedeutung des Begriffs der "Religionsausübung" durch eine extensive Auslegung Rechnung getragen werden; insoweit darf das Selbstverständnis der jeweils betroffenen Religionsgemeinschaften und des einzelnen Grundrechtsträgers nicht außer Betracht bleiben. Die Formulierung ihres Selbstverständnisses und Auftrags - des kirchlichen Proprium - obliegt allein den Kirchen und ist als elementarer Bestandteil der korporativen Religionsfreiheit durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verfassungsrechtlich geschützt (BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 - EuGRZ 2014, 698 Rn. 101, 114). Auch auf der individuellen Ebene dürfen staatliche Organe nur prüfen, ob hinreichend substantiiert dargelegt ist, dass sich ein von dem Betroffenen als religiös geboten reklamiertes Verhalten tatsächlich nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung in plausibler Weise dem Schutzbereich des Art. 4 GG zuordnen lässt, also tatsächlich eine als religiös anzusehende Motivation hat (BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2015 - 1 BvR 471/10 u.a. - EuGRZ 2015, 181 Rn. 86 m.w.N.). Die gebotene Berücksichtigung des kirchlichen und individuellen Selbstverständnisses des Grundrechtsträgers bei der Bestimmung, wie weit der Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG im konkreten Einzelfall reicht, ist jedoch nicht auf die der Schutzbereichsbestimmung vorgelagerte tatrichterliche Würdigung zu übertragen, ob und inwieweit eine Person eine bestimmte religiöse Betätigung ihres Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung ihrer religiösen Identität empfindet.

14

Der Senat hat auch klargestellt, dass die religiöse Identität als innere Tatsache sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen lässt (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 31). Entgegen der Auffassung der Beschwerde wird die Glaubensfreiheit eines Asylbewerbers, der sich auf eine ihm drohende Verfolgung wegen seiner Religion beruft, nicht dadurch verletzt, dass es ihm im Rahmen der asylverfahrensrechtlichen Mitwirkungspflichten (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG) und des prozessrechtlichen Untersuchungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) obliegt, staatlichen Stellen über sein religiöses Selbstverständnis Auskunft zu geben. Es unterliegt der freien Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO und ist insoweit keiner weiteren grundsätzlichen Klärung zugänglich, auf welche Weise der Tatrichter versucht, sich die erforderliche Überzeugungsgewissheit vom Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsache der Wahrung der religiösen Identität des Asylbewerbers zu verschaffen. Nicht weiter klärungsbedürftig ist in diesem Zusammenhang insbesondere, dass es - wovon das Berufungsgericht ausgegangen ist (UA S. 16) - die Glaubensfreiheit nicht verletzt und die Beweisanforderungen nicht überspannt, von einem Erwachsenen im Regelfall zu erwarten, dass dieser schlüssige und nachvollziehbare Angaben zu den inneren Beweggründen für die Konversion machen kann und im Rahmen seiner Persönlichkeit und intellektuellen Disposition mit den Grundzügen seiner neuen Religion vertraut ist.

15

2. Die Beschwerde rügt des Weiteren, dem Berufungsgericht fehle die notwendige Sachkunde zur Beurteilung der religiösen Identität des Klägers. Dem Verwaltungsgerichtshof hätte sich eine Begutachtung des Klägers in psychologischer und religiöser Hinsicht aufdrängen müssen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 86 Abs. 1 VwGO). Die Aufklärungs- und damit verbundene Gehörsrüge verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg.

16

Zum einen hat der Kläger ausweislich der Sitzungsniederschrift in der Berufungsverhandlung keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung gemäß § 86 Abs. 1 VwGO grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer sich nicht aufdrängenden Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter nicht ausdrücklich beantragt hat (BVerwG, Beschluss vom 2. November 1978 - 3 B 6.78 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 116). Aus welchen Gründen sich dem Verwaltungsgerichtshof eine weitere Aufklärung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen, legt die Beschwerde nicht dar. Zum anderen ist bei der Prüfung, ob dem Berufungsgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, von dessen materiellrechtlicher Rechtsauffassung auszugehen, auch wenn diese - wofür hier nichts ersichtlich ist - verfehlt sein sollte (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289 Rn. 17 m.w.N.; stRspr). Es ist weder von der Beschwerde dargelegt noch sonst ersichtlich, aus welchen Gründen das Berufungsgericht - nachdem nicht etwa Glaubensinhalte einer fremden Religion aufzuklären waren - nicht über die ausreichende Sachkunde zur Beurteilung der religiösen Überzeugung und Identität des Klägers verfügen sollte. Für die Ermittlung und Würdigung des (Nicht-)Vorliegens dieser inneren Tatsache bedarf es in aller Regel keines nur Experten vorbehaltenen Wissens. Letztlich wendet sich die Beschwerde im Wege der Aufklärungs- und Gehörsrüge gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts; damit vermag sie indessen nicht durchzudringen.

17

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

18

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

Tenor

Das Verfahren wird ausgesetzt.

Es wird gemäß Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu folgenden Fragen eingeholt:

1) Ist Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG dahin auszulegen, dass nicht jeder Eingriff in die Religionsfreiheit, der gegen Art. 9 EMRK verstößt, eine Verfolgungshandlung im Sinne der erstgenannten Vorschrift darstellt, sondern liegt eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit als grundlegendes Menschenrecht nur dann vor, wenn ihr Kernbereich betroffen ist?

2) Für den Fall, dass Frage 1 zu bejahen ist:

a) Ist der Kernbereich der Religionsfreiheit auf das Glaubensbekenntnis und auf Glaubensbetätigungen im häuslichen und nachbarschaftlichen Bereich beschränkt oder kann eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG auch darin liegen, dass im Herkunftsland die Glaubensausübung in der Öffentlichkeit zu einer Gefahr für Leib, Leben oder physische Freiheit führt und der Antragsteller deshalb auf sie verzichtet?

b) Falls der Kernbereich der Religionsfreiheit auch bestimmte Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit umfassen kann:

Genügt es in diesem Fall für eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit, dass der Antragsteller diese Betätigung seines Glaubens für sich selbst als unverzichtbar empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren,

oder ist außerdem erforderlich, dass die Religionsgemeinschaft, der der Antragsteller angehört, diese religiöse Betätigung als zentralen Bestandteil ihrer Glaubenslehre ansieht,

oder können sich aus sonstigen Umständen, etwa den allgemeinen Verhältnissen im Herkunftsland, weitere Einschränkungen ergeben?

3) Für den Fall, dass Frage 1 zu bejahen ist:

Liegt eine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG dann vor, wenn feststeht, dass der Antragsteller bestimmte - außerhalb des Kernbereichs liegende - religiöse Betätigungen nach Rückkehr in das Herkunftsland vornehmen wird, obwohl sie zu einer Gefahr für Leib, Leben oder physische Freiheit führen werden, oder ist es dem Antragsteller zuzumuten, auf solche künftigen Betätigungen zu verzichten?

Gründe

I.

1

Der Kläger, ein pakistanischer Staatsangehöriger, begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie hilfsweise die Feststellung eines Abschiebungsverbots in Bezug auf Pakistan.

2

Der 1977 in Pakistan geborene Kläger reiste im August 2003 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl. Zur Begründung gab er an, er habe Pakistan verlassen, weil er der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehöre und deshalb misshandelt und inhaftiert worden sei.

3

Mit Bescheid vom 8. Juli 2004 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - (Bundesamt) den Antrag auf Gewährung von Asyl nach Art. 16a des Grundgesetzes ab (Ziff. 1) und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (Flüchtlingsschutz) nicht vorliegen (Ziff. 2). Zugleich stellte es fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen (Ziff. 3), und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Pakistan an (Ziff. 4).

4

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 13. Juli 2007 die Klage als unbegründet abgewiesen. Der Kläger habe Pakistan nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung verlassen. Die Lage der Ahmadis in Pakistan rechtfertige noch nicht die Annahme einer Verfolgung aus religiösen Gründen.

5

Auf die hiergegen gerichtete Berufung hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 13. November 2008 das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Beklagte zu der Feststellung verpflichtet, dass in der Person des Klägers die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (Abschiebungsverbot als Flüchtling) in Bezug auf Pakistan vorliegen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe zwar nicht glaubhaft gemacht, dass er in Pakistan schon vor seiner Ausreise von individueller Verfolgung bedroht gewesen sei. Er sei jetzt aber jedenfalls als aktiver Ahmadi in Pakistan einer ihn kollektiv treffenden Verfolgungsgefahr im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt. Ihm sei nämlich eine Fortführung seiner öffentlichkeitswirksamen religiösen Betätigung bei einer Rückkehr nach Pakistan nicht ohne konkrete Gefahr für Leib und Leben möglich.

6

Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts wurde die Ahmadiyya- Gemeinschaft 1889 im heutigen indischen Bundesstaat Punjab gegründet. Sie verstehe sich als innerislamische Erneuerungsbewegung, während aus Sicht der orthodoxen Muslime die Ahmadis Apostaten seien, die ihr Leben verwirkt hätten. In Pakistan leben etwa ein bis zwei Millionen Ahmadis, davon allerdings allenfalls 500 000 bis 600 000 bekennende Mitglieder. Der ganz überwiegende Teil der pakistanischen Bevölkerung seien sunnitische und schiitische Moslems. Der Islam sei in Pakistan durch die Verfassung von 1973 zur Staatsreligion erklärt worden. Die Ahmadis seien nach der Verfassung als Nicht-Muslime anzusehen und würden als religiöse Minderheit eingestuft. Nach dem pakistanischen Strafgesetzbuch würden Angehörige der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe betraft, wenn sie den Anspruch erheben würden, Muslime zu sein, ihren Glauben als Islam bezeichnen, ihn predigen oder propagieren oder andere auffordern würden, ihren Glauben anzunehmen (Sec. 298 C des Strafgesetzbuches). Nach Sec. 295 C des Strafgesetzbuches könne zudem mit dem Tode oder lebenslanger Freiheitsstrafe und Geldstrafe bestraft werden, wer den Namen des Propheten Mohammed verunglimpfe. Seit Einführung dieser spezifisch auf die Ahmadis zugeschnittenen Blasphemiebestimmung sollen etwa 2 000 Strafverfahren gegen Ahmadis eingeleitet worden sein. In den Pässen würden die Ahmadis - entgegen ihrem religiösen Selbstverständnis - als "non-muslim" geführt.

7

Den Ahmadis sei es untersagt, öffentliche Versammlungen sowie religiöse Treffen und Konferenzen abzuhalten, namentlich auch solche Veranstaltungen, auf denen öffentlich gebetet werde. Hingegen werde es ihnen nicht generell unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln. Allerdings werde die gemeinsame Ausübung des Glaubens immer wieder dadurch behindert, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen würden oder deren Errichtung verhindert werde und Gebetshäuser oder Versammlungsstätten von Extremisten überfallen würden. Im Gegensatz zu anderen Minderheitsreligionen sei den Ahmadis jedes Werben für ihren Glauben mit dem Ziel, andere zum Beitritt in die eigene Glaubensgemeinschaft zu bewegen, strikt untersagt und werde regelmäßig strafrechtlich verfolgt. Ahmadis seien seit Jahren in besonders auffälligem Maße Opfer religiös motivierter Gewalttaten, die aus der Mitte der Mehrheitsbevölkerung von religiösen Extremisten begangen würden, ohne dass die Polizeiorgane hiergegen effektiven Schutz gewährten.

8

Die so beschriebene Situation stellt nach der Würdigung des Oberverwaltungsgerichts für einen dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen Ahmadi in Pakistan, zu dessen Überzeugung es auch gehört, den Glauben in der Öffentlichkeit zu leben, eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit dar. Angesichts der angedrohten erheblichen Strafen sowie der zahlreichen ungehinderten Übergriffe extremistischer Gruppen lege es für einen Ahmadi der gesunde Menschenverstand nahe, alle öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigungen zu unterlassen oder äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche Verbreiten des eigenen Glaubens. Aufgrund der informatorischen Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung und der von ihm eingereichten Unterlagen ist das Oberverwaltungsgericht davon überzeugt, dass der Kläger seinem Glauben eng verbunden sei und ihn in Pakistan aktiv in führender Position gelebt habe. Auch in Deutschland übe er seinen Glauben weiterhin aus.

9

Mit der vom Bundesverwaltungsgericht zugelassenen Revision rügen die Beklagte und der Bundesbeauftragte, dass das Oberverwaltungsgericht den Schutzbereich der Religionsfreiheit nach Art. 9 und Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG zu weit gezogen habe. Sie verweisen auf die in Deutschland vor Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG herrschende Rechtsprechung, wonach eine asylerhebliche Verfolgung nur bei Eingriffen in den Kernbereich der religiösen Überzeugung angenommen worden sei, nicht aber auch bei Beschränkungen der öffentlichen Ausübung des Glaubens. Die Beschränkungen für Ahmadis in Pakistan, die die Praktizierung ihres Glaubens in der Öffentlichkeit betreffen, stellten keinen Eingriff in den Kernbereich der Religionsfreiheit dar. Im Übrigen ergebe sich aus den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts zu der Frage, wie der Kläger seinen Glauben in Deutschland praktiziere, nichts dafür, dass für ihn Handlungsweisen unverzichtbar wären, die über den Kernbereich der religiösen Betätigung hinausgehen.

II.

10

Der Rechtsstreit ist auszusetzen. Es ist eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) zu den im Beschlusstenor formulierten Fragen einzuholen (Art. 267 AEUV). Die Fragen betreffen die Auslegung des Art. 2 Buchst. c und des Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; ber. ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24). Da es um die Auslegung von Unionsrecht geht, ist der Gerichtshof zuständig. Es wird darauf hingewiesen, dass die Fragen Gegenstand eines weiteren - gleichlautenden - Vorabentscheidungsersuchens sind (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 21.09).

11

1. Für die rechtliche Beurteilung des Verpflichtungsbegehrens auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht am 13. November 2008 abzustellen. Danach bilden folgende nationale Vorschriften, die - soweit hier einschlägig - auch derzeit noch unverändert gelten, den rechtlichen Rahmen dieses Rechtsstreits:

12

§ 3 Abs. 1 und Abs. 4 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) vom 27. Juli 1993 (BGBl I S. 1361) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798):

§ 3 Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, den Bedrohungen nach § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes ausgesetzt ist.

(2) und (3) ...

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes.

13

§ 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162):

§ 60 Verbot der Abschiebung

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt wurden. Eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch dann vorliegen, wenn die Bedrohung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit oder der Freiheit allein an das Geschlecht anknüpft. Eine Verfolgung im Sinne des Satzes 1 kann ausgehen von

a)

dem Staat,

b)

Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen oder

c)

nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den Buchstaben a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht,

es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative. Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, sind Artikel 4 Abs. 4 sowie die Artikel 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 S. 12) ergänzend anzuwenden. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylverfahrensgesetzes angefochten werden.

14

2. Die Vorlagefragen sind entscheidungserheblich und bedürfen einer Klärung durch den Gerichtshof.

15

Der Kläger begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 und 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG. Danach ist einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn er in dem Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, Bedrohungen seines Lebens und seiner Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG ergänzend anzuwenden. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Die Gewährung von Flüchtlingsschutz setzt daher eine Verfolgungshandlung voraus, die - anknüpfend an die in Art. 10 der Richtlinie genannten Verfolgungsgründe (Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie) - ein Menschenrecht in schwerwiegender Weise verletzt.

16

Da eine Vorverfolgung des Klägers im Sinne des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG nicht festgestellt worden ist, kommt es darauf an, ob ihm in seinem Herkunftsstaat künftig mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit (real risk) Verfolgung droht. Dabei geht es um die Frage, unter welchen Voraussetzungen an den Verfolgungsgrund der Religion anknüpfende Handlungen als so schwerwiegend anzusehen sind, dass sie die Qualität einer Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG besitzen. Die Frage stellt sich entscheidungserheblich zum einen dann, wenn ein Ausländer unter dem Druck der ihm drohenden Gefahr für Leib, Leben oder physische Freiheit von einer religiösen Betätigung absieht (im Folgenden: Fragen 1 und 2). Sie stellt sich aber auch dann, wenn feststeht, dass ein Ausländer seine Religion im Heimatland trotz der ihm drohenden Sanktionen praktizieren wird und ihm dadurch Gefahr für Leib, Leben oder physische Freiheit droht (im Folgenden: Frage 3). Das Oberverwaltungsgericht geht davon aus, dass der Kläger sowohl im Fall des Verzichts wie im Fall der Ausübung der Religion von einer flüchtlingsrechtlich erheblichen Verfolgung betroffen ist, ohne sich festzulegen, wie der Kläger sich tatsächlich verhalten würde. Es kommt also entscheidungserheblich auf beide Handlungsalternativen an.

17

Im Einzelnen stellen sich in diesem Zusammenhang die folgenden Vorlagefragen 1 bis 3. Sie bedürfen einer Klärung durch den Gerichtshof der Europäischen Union, da er zur Entscheidung auslegungsbedürftiger Fragen betreffend die hier maßgebliche Richtlinie 2004/83/EG berufen ist.

18

1. Vorlagefrage:

19

Geht es im vorliegenden Fall um die Frage, welche konkreten Eingriffe in die Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 EMRK zu einer Anerkennung des Klägers als Flüchtling führen können, ist zunächst zu klären, ob jeder Eingriff in die Religionsfreiheit, der gegen Art. 9 EMRK verstößt, eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG darstellt oder ob es hierfür eines qualifizierten Eingriffs bedarf, durch den der Kernbereich der Religionsfreiheit verletzt wird.

20

Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass Eingriffe in die Religionsfreiheit eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG darstellen können. Zwar soll durch diese Vorschrift insbesondere die Verletzung solcher Menschenrechte erfasst werden, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist. Hierzu zählt die Religionsfreiheit nicht. Allerdings ist der Verweis in Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG auf die in Art. 15 Abs. 2 EMRK aufgeführten Rechte nicht abschließend, wie sich aus der Formulierung "insbesondere" ergibt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in seiner Rechtsprechung wiederholt die grundlegende Bedeutung der Religionsfreiheit für die demokratische Gesellschaft betont (vgl. etwa Urteil vom 5. April 2007 - Nr. 18147/02, Scientology/Russland - Rn. 71, NJW 2008, 495 f.). Dass der Religionsfreiheit eine zentrale Bedeutung bei den Menschenrechten zukommt, wird auch an dem vielfältigen Schutz dieses Rechts auf nationaler, unionsrechtlicher und internationaler Ebene deutlich. So garantieren nicht nur zahlreiche nationale Verfassungen die Religionsfreiheit als Menschenrecht (vgl. in Deutschland Art. 4 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes), sondern auch Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta), Art. 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 und Art. 18 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte von 1966. Das vorlegende Gericht ist deshalb schon vor Geltung der Richtlinie 2004/83/EG in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, dass Verletzungen der Religionsfreiheit - jedenfalls wenn sie einen für die religiöse Identität des Einzelnen wesentlichen Kernbereich betreffen - die Annahme einer asylerheblichen Verfolgung rechtfertigen (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 <24> m.w.N.). Es hat dies auch zu Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie so entschieden (Urteil vom 5. März 2009 - BVerwG 10 C 51.07 - BVerwGE 133, 221 Rn. 13 f.). Das vorlegende Gericht geht im Übrigen auch in seiner Rechtsprechung zum Abschiebungsschutz im Fall einer Verletzung der EMRK (jetzt: § 60 Abs. 5 AufenthG) davon aus, dass eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit ein Abschiebungsverbot nach Art. 9 EMRK begründen kann (vgl. Urteil vom 24. Mai 2000 - BVerwG 9 C 34.99 - BVerwGE 111, 223 <229 f.>).

21

Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG können nur solche Handlungen eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung begründen, die eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Das bedeutet, dass nicht jede Beschränkung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 EMRK ausreicht, sondern eine schwerwiegende Verletzung dieses Rechts erforderlich ist. Eine solche schwerwiegende Verletzung dürfte dann vorliegen, wenn die Religionsfreiheit in ihrem Kernbereich betroffen ist.

22

Zunächst scheiden solche Handlungen von vornherein aus, die zwar einen Eingriff in die Religionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 1 EMRK darstellen, aber keine Verletzung dieses Rechts, weil sie nach Art. 9 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt sind. So hat der EGMR im Verbot des Tragens eines Kopftuchs in der Universität zwar eine Einschränkung der Religionsfreiheit der betroffenen Studentin gesehen, eine Verletzung von Art. 9 EMRK aber verneint, weil der Eingriff zur Wahrung der religiösen Neutralität des Staates und des religiösen Friedens an der Universität gerechtfertigt war (Urteil vom 10. November 2005 - Große Kammer - Nr. 44774/98, Leyla Sahin/Türkei - Rn. 106 bis 116, NVwZ 2006, 1389). In der Bestrafung von Zeugen Jehovas wegen Missionierung hat der EGMR ebenfalls einen Eingriff in die Religionsfreiheit gesehen, diesen aber für gerechtfertigt erachtet, wenn er dem Schutz des Glaubens und der Würde anderer vor einer Beeinflussung mit verwerflichen Mitteln dient (Urteil vom 25. Mai 1993 - Nr. 14307/88, Kokkinakis/Griechenland - Rn. 48, Slg. 1996-IV S. 1364).

23

Keinen Eingriff in den Kernbereich der Religionsfreiheit stellen ferner Handlungen dar, die zwar gegen Art. 9 EMRK verstoßen, in ihrer Schwere aber nicht der Verletzung solcher Menschenrechte entsprechen, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist. Der EGMR hat in einem Urteil vom 7. Dezember 2010 die Religionsfreiheit in einem Fall als verletzt angesehen, in dem einem Mahayana Buddhisten, der in Polen eine achtjährige Haftstrafe wegen Vergewaltigung verbüßt, die Verabreichung einer von seiner Glaubenslehre vorgeschriebenen fleischlosen Kost verweigert wurde (Nr. 18429/06, Jakobski/Polen - Rn. 54 f.). Eine Verletzung der Religionsfreiheit hat er auch darin gesehen, dass die Staatsangehörigen der Türkei in ihrem staatlichen Ausweis die Religionszugehörigkeit anzugeben hatten, weil das mit der Freiheit unvereinbar sei, seinen Glauben nicht preisgeben zu müssen, selbst wenn dem Ausweisinhaber die Möglichkeit eröffnet wird, von jeglicher Eintragung in die Rubrik "Religion" abzusehen (Urteil vom 2. Februar 2010 - Nr. 21924/05, Sinan Isik/Türkei). Im Übrigen wird die Große Kammer des EGMR demnächst zu entscheiden haben, ob eine Verletzung der staatlichen Neutralitätspflicht und des Rechts der Schulkinder, einen Glauben zu haben oder nicht zu haben, schon allein deshalb zu bejahen ist, weil Kinder in Italien in Klassenzimmern unterrichtet wurden, in denen ein Kreuz aufgehängt war (vgl. Urteil der Kammer vom 3. November 2009 - Nr. 30814/06, Lautsi/Italien). Die vorgenannten Verletzungshandlungen sind nach Auffassung des vorlegenden Gerichts nicht von einem solchen Gewicht, dass im Fall der Flucht der Betroffenen ins Ausland die Anerkennung als Flüchtling im Sinne der Richtlinie 2004/83/EG gerechtfertigt wäre. Sie stellen keinen Eingriff in den Kernbereich der Religionsfreiheit dar. Der EGMR hat in seiner bisherigen Rechtsprechung - soweit ersichtlich - noch in keinem Fall eine Verletzung der Religionsfreiheit als so schwerwiegend angesehen, dass er einem Ausländer allein deshalb Schutz vor Abschiebung gewährt hat. Er hat Ausländern Abschiebungsschutz vielmehr nur in Fällen einer im Heimatstaat drohenden Verletzung anderer Menschenrechte - insbesondere von Art. 3 EMRK - zugebilligt.

24

Etwas anderes kann auch nicht aus der weiten Definition der Religion als Verfolgungsgrund in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie hergeleitet werden. Diese bezieht sich auf den Verfolgungsgrund, an den eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie anknüpfen muss. Eine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie setzt aber nicht nur einen Eingriff in den weiten Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 EMRK voraus, sondern auch die fehlende Rechtfertigung des Eingriffs (vgl. Art. 9 Abs. 2 EMRK) sowie eine Verletzung, die schwerwiegend ist.

25

2. Vorlagefrage:

26

Für den Fall, dass Frage 1 zu bejahen ist, stellt sich die Frage nach der inhaltlichen Bestimmung des Kernbereichs der Religionsfreiheit, dessen Verletzung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG als Verfolgungshandlung zu qualifizieren ist.

27

Aus Art. 9 EMRK und aus der Rechtsprechung des EGMR lassen sich hierzu erste Anhaltspunkte entnehmen. Art. 9 Abs. 1 EMRK schützt zunächst die innere Religionsfreiheit (EGMR, Urteile vom 25. Mai 1993 - Nr. 14307/88, Kokkinakis/Griechenland - Rn. 31 und vom 10. November 2005 - Große Kammer - Nr. 44774/98, Leyla Sahin/Türkei - Rn. 105). Die innere Seite der Religionsfreiheit umfasst, einen Glauben zu haben und zu bilden, diesen auch neu zu wählen und zu wechseln. Geschützt ist auch, keinen Glauben zu haben. Der Schutz des Art. 9 Abs. 1 EMRK erstreckt sich aber auch auf die Freiheit, seine Religion einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich und im Kreis derer zu bekennen, die demselben Glauben anhängen (EGMR, Urteil vom 10. November 2005 a.a.O.). Die Freiheit zum Bekenntnis und zur Ausübung der Religion in der Öffentlichkeit unterliegt - anders als die innere Religionsfreiheit - den Einschränkungen nach Art. 9 Abs. 2 EMRK. Bereits hieraus ergibt sich, dass nicht jede Beschränkung der Ausübung der Religion in der Öffentlichkeit als schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit angesehen werden kann, wie dies Voraussetzung für die Annahme einer Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG ist. Die Vorlagefragen 2a und 2b zielen auf eine konkretere Bestimmung des geschützten Kernbereichs, wie er für den vorliegenden Fall entscheidungserheblich ist.

28

Vorlagefrage 2a:

29

a) Dem Kläger drohen nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts Beschränkungen bei der öffentlichen Praktizierung seiner Religion. Zwar wird es den Ahmadis danach nicht generell unmöglich gemacht, sich in ihren Gebetshäusern zu versammeln, selbst wenn dies durch die Öffentlichkeit wahrgenommen werden kann und wird. Allerdings wird die gemeinsame Ausübung des Glaubens immer wieder dadurch behindert, dass Gebetshäuser aus willkürlichen Gründen geschlossen werden oder deren Errichtung verhindert wird. Dem Kläger war es allerdings möglich, seinen Glauben in seiner Heimatregion zu praktizieren, wiederholt am Tag in die Moschee zu gehen, zu beten und an religiösen Festen teilzunehmen. Das Oberverwaltungsgericht hat nicht festgestellt, dass durch die strafrechtlichen Sanktionen und die religiös motivierten Übergriffe auf Ahmadis durch Extremisten auch in deren Recht eingegriffen wird, sich zu dem eigenen Glauben zu bekennen und ihn für sich und in Gemeinschaft mit anderen abseits der Öffentlichkeit zu praktizieren. Ein Eingriff erfolgt nach den gerichtlichen Feststellungen aber im Bereich der öffentlichen Religionsausübung einschließlich der Missionierung Andersgläubiger. Der Kläger darf als Angehöriger der Ahmadis für seine Religion nicht öffentlich eintreten und andere auffordern, diesen Glauben anzunehmen. Handelt er dem zuwider, begeht er eine Straftat. Das Missionieren anderer wird regelmäßig strafrechtlich verfolgt. Den Ahmadis ist es untersagt, öffentliche Versammlungen abzuhalten, namentlich solche, auf denen gebetet wird. Das Oberverwaltungsgericht ist zu dem Ergebnis gekommen, dass dem Kläger eine Fortführung seiner öffentlichkeitswirksamen religiösen Betätigung bei einer Rückkehr nach Pakistan nicht ohne konkrete Gefahr für Leib und Leben möglich ist. Angesichts der angedrohten erheblichen Strafen sowie der zahlreichen ungehinderten Übergriffe extremistischer Gruppen legt es nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts der gesunde Menschenverstand für einen Ahmadi nahe, alle öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigungen zu unterlassen oder weitgehend zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens.

30

Der Eingriff in die Religionsfreiheit, der den Verzicht auf die Glaubensausübung in der Öffentlichkeit nahelegt, ist auch nicht nach Art. 9 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt. Vielmehr kommt das Oberverwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass die staatlichen Maßnahmen, die gegen Ahmadis ergriffen werden, nicht der Durchsetzung des öffentlichen Friedens dienen. Denn der pakistanische Staat verhält sich nicht neutral, sondern beeinträchtigt einseitig die Angehörigen der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft in ihrer religiösen Selbstbestimmung.

31

Es ist also entscheidungserheblich, ob die nicht nach Art. 9 Abs. 2 EMRK gerechtfertigte Beeinträchtigung des Rechts auf öffentliche Religionsausübung eine schwerwiegende Verletzungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG darstellen kann - und zwar auch dann, wenn der Gläubige unter dem Druck der ihm drohenden Gefahr für Leib, Leben und physische Freiheit auf die Glaubensausübung in der Öffentlichkeit verzichtet.

32

b) Das vorlegende Gericht ist in seiner Rechtsprechung vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG davon ausgegangen, dass eine asylrechtlich beachtliche Verfolgung nur von Handlungen ausgeht, die in das religiöse Existenzminimum eines Menschen eingreifen (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 - BVerwG 1 C 9.03 - BVerwGE 120, 16 <19 ff.>). Diese Rechtsprechung entspricht der des Bundesverfassungsgerichts zum verfassungsrechtlichen Asylanspruch (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 1. Juli 1987 - 2 BvR 478, 962/86 - BVerfGE 76, 143 <158 ff.>). Der auch als "forum internum" bezeichnete unverzichtbare und unentziehbare Kern der Privatsphäre des glaubenden Menschen umfasst nach dieser Rechtsprechung die religiöse Überzeugung als solche und die Religionsausübung abseits der Öffentlichkeit und in persönlicher Gemeinschaft mit anderen Gläubigen dort, wo man sich nach Treu und Glauben unter sich wissen darf. Eine asylrechtlich beachtliche Verfolgungshandlung durch Eingriffe in die Religionsfreiheit ist danach etwa dann gegeben, wenn den Angehörigen einer religiösen Gruppe unter Androhung von Strafen an Leib, Leben oder physischer Freiheit eine Verleugnung oder gar Preisgabe ihres Glaubens zugemutet wird oder sie daran gehindert werden, ihren eigenen Glauben, so wie sie ihn verstehen, im privaten Bereich und unter sich zu bekennen. Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit einschließlich der Missionierung ("forum externum") gehören nach dieser Auffassung nicht zum religiösen Existenzminimum. Allgemein wurde verlangt, dass die Eingriffe in die Religionsfreiheit den Gläubigen in ähnlich schwerer Weise treffen wie Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit oder physische Freiheit (Urteil vom 25. Oktober 1988 - BVerwG 9 C 37.88 - BVerwGE 80, 321 <324>).

33

Demgegenüber gehen das Oberverwaltungsgericht im vorliegenden Fall und weitere Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte in Deutschland seit Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG davon aus, dass über das nach der früheren Rechtsprechung geschützte "forum internum" hinaus auch Beeinträchtigungen des "forum externum" eine schwerwiegende Verletzungshandlung im Sinne von Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG darstellen können. Das wird unter anderem mit der weiten Definition der Religionsfreiheit in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie begründet, die auch die Praktizierung der Religion in der Öffentlichkeit umfasse (vgl. VGH Mannheim, Urteile vom 20. Mai 2008 - A 10 S 72/08 - AuAS 2008, 213 Rn. 121 und vom 27. September 2010 - A 10 S 689/08 - juris Rn. 33 ff.; VGH München, Urteil vom 23. Oktober 2007 - 14 B 06.30315 - InfAuslR 2008, 101 <102>). Unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG sei es einem Gläubigen nicht mehr zuzumuten, öffentlich praktizierten Riten seiner Glaubensgemeinschaft - etwa Gottesdiensten oder Prozessionen - fernzubleiben, um staatliche Sanktionen zu vermeiden. Der Glaubensangehörige sei nämlich auch verfolgt, wenn er zu unzumutbaren Ausweichhandlungen genötigt werde, um der staatlichen Repression zu entkommen (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 30. Juli 2009 - 5 A 982/07.A - juris Rn. 34; VGH Kassel, Urteil vom 12. Juli 2007 - 8 UE 3339/04.A - juris Rn. 83).

34

Die Rechtsprechung in Großbritannien beschränkt den Flüchtlingsschutz bei Eingriffen in die Religionsfreiheit ebenfalls nicht auf das "forum internum". Vielmehr wird geprüft, ob dem Asylbewerber bei Rückkehr in sein Heimatland Verfolgung auch für den Fall der öffentlichen Religionsbetätigung droht, etwa wenn ein Ahmadi entsprechend seiner Glaubenslehre missionieren würde (vgl. Court of Appeal for England and Wales, Urteil vom 5. November 1999 - Iftikhar Ahmed v. Secretary of State for the Home Department <1999> EWCA Civ 3003). Nach einem neueren Urteil des Supreme Court of the United Kingdom betreffend die Verfolgung wegen Homosexualität kann auch ein erzwungener Verzicht auf die öffentliche Praktizierung der Sexualität zur Flüchtlingsanerkennung führen (Urteil vom 7. Juli 2010, HJ (Iran) (FC) v. Secretary of State for the Home Department <2010> UKSC 31 Rn. 82). Komme ein Gericht zu dem Ergebnis, dass ein maßgeblicher Grund für das diskrete Leben des Asylbewerbers nach Rückkehr die Furcht vor Verfolgung ist, die sich aus einer offenen Praktizierung seiner Sexualität ergäbe, sei seine Furcht vor Verfolgung begründet. Überträgt man die vorgenannte Rechtsprechung auf Beschränkungen der öffentlichen Betätigung der Religionsfreiheit, könnten sie als Verfolgungshandlungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG zu werten sein, wenn es sich um schwerwiegende Eingriffe handelte und der Ausländer deshalb auf die Ausübung seines Glaubens in der Öffentlichkeit verzichten würde.

35

Demgegenüber ist die Rechtsprechung in Großbritannien bei der Gewährung von Abschiebungsschutz nach der EMRK restriktiver. Der Court of Appeal hat in seinem Urteil vom 16. Dezember 2002 in der Sache Ullah v. Secretary of State for the Home Department (<2002> EWCA Civ 1856 Rn. 64) die Auffassung vertreten, dass Abschiebungsschutz in Bezug auf ein Herkunftsland, in dem die Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 EMRK nicht respektiert wird, nur dann zu gewähren ist, wenn die Beschränkung der Religionsfreiheit einen Schweregrad aufweist, der zugleich eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellt. Im entschiedenen Fall - einen Ahmadi aus Pakistan betreffend - hat er die Klage auf Gewährung von Abschiebungsschutz abgewiesen. Das House of Lords hat diese Entscheidung im Urteil vom 16. Juni 2004 (<2004> UKHL 26) im Ergebnis bestätigt. Allerdings hat es einen hinreichend schweren Eingriff deshalb abgelehnt, weil das Recht aus Art. 9 EMRK nicht vollständig verweigert wurde, was eine mindestens gleich hohe Hürde darstellt ("only in such a case - where the right will be completely denied or nullified in the destination country" - Rn. 24 des Urteils vom 16. Juni 2004).

36

Ob der Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie im Fall der Religionsfreiheit auf das Glaubensbekenntnis und auf Glaubensbetätigungen im häuslichen und nachbarschaftlichen Bereich beschränkt ist oder sich auch auf die Glaubensausübung in der Öffentlichkeit erstreckt, ist eine Zweifelsfrage, deren Beantwortung dem Gerichtshof der Europäischen Union obliegt.

37

Vorlagefrage 2b:

38

Falls der Kernbereich der Religionsfreiheit auch bestimmte Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit umfasst, ist weiter zu klären, unter welchen Voraussetzungen der erzwungene Verzicht darauf eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG darstellt. Dies kann dann der Fall sein, wenn der Antragsteller oder die Religionsgemeinschaft, der er angehört, die konkrete Betätigung des Glaubens, die dem Antragsteller verboten wird, als unverzichtbar empfindet.

39

a) Der Kläger hat nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts in Pakistan ein religiös geprägtes Leben als Angehöriger der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft geführt, in dem er wiederholt am Tag in die Moschee gegangen ist, gebetet und an religiösen Festen teilgenommen hat. Er hat sich zu seinem Glauben auch in der Öffentlichkeit bekannt und ihn in öffentlichen Auseinandersetzungen mit radikalen moslemischen Bewohnern seines Heimatdorfes aktiv als Wortführer vertreten. Das Oberverwaltungsgericht hat damit der Sache nach festgestellt, dass der Kläger die von ihm bisher praktizierte öffentliche Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren. Es hat aber nicht hinreichend nachvollziehbar festgestellt, dass eine solche aktive öffentliche Glaubensbetätigung auch von der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft als zentraler Bestandteil ihrer Glaubenslehre angesehen wird.

40

b) Die Frage, unter welchen Voraussetzungen der erzwungene Verzicht auf die Glaubensausübung in der Öffentlichkeit eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/83/EG darstellt, kann nach Auffassung des vorlegenden Gerichts danach bestimmt werden, welche Bedeutung die in Rede stehende Handlung einerseits für die Religionsgemeinschaft des Antragstellers und andererseits auch für diesen persönlich hat. Eine Mindestvoraussetzung dürfte sein, dass die in Rede stehende Glaubensbetätigung der Religion des Antragstellers entspricht und der Antragsteller diese auch ausüben will, weil er sie für sich selbst zur Wahrung seiner religiösen Identität als unverzichtbar empfindet. Wenn dies nicht feststeht, ist schon eine Verletzung von Art. 9 EMRK und damit auch eine Menschenrechtsverletzung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG nicht gegeben.

41

Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) spricht sich in seinen Richtlinien zum Internationalen Schutz (betreffend Anträge auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund religiöser Verfolgung im Sinne des Artikels 1A(2) des Abkommens von 1951 und/oder des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, HCR/GIP/04/06, Kapitel 16 - Stand: 28. April 2004) dafür aus, bei der Schwere des Eingriffs in die Religionsfreiheit durch erzwungenen Verzicht auf eine bestimmte Glaubensbetätigung mit zu berücksichtigen, welche "Bedeutung oder zentrale Stellung" die unterdrückte Glaubensbetätigung für die Glaubensgemeinschaft und für den betroffenen Gläubigen hat. Soweit der eingeschränkte Brauch lediglich für die Religion, nicht jedoch für die betroffene Person von Bedeutung sei, sei die Annahme einer Verfolgung unwahrscheinlich, es sei denn, es träten zusätzliche Faktoren hinzu. Sei der eingeschränkte religiöse Brauch dagegen für die Glaubensgemeinschaft weniger bedeutend, jedoch für die betroffene Person von besonderer Bedeutung, so könne dies dennoch eine Verfolgung aus Glaubens- oder Gewissensgründen darstellen.

42

Der Court of Appeal stellt darauf ab, ob die Glaubenslehre eine bestimmte Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit gebietet und dies auch der einzelne Gläubige für sich selbst als verpflichtend ansieht (für das Missionieren durch Ahmadis in Pakistan vgl. Court of Appeal for England and Wales, Urteil vom 5. November 1999 - Iftikhar Ahmed v. Secretary of State for the Home Department <1999> EWCA Civ 3003).

43

Das Bundesverwaltungsgericht hat zur Rechtslage vor Inkrafttreten der Richtlinie 2004/83/EG die Auffassung vertreten, die unterdrückte Glaubensbetätigung müsse für die Religionsgemeinschaft nach deren Selbstverständnis wie für den einzelnen Glaubensangehörigen selbst unverzichtbar sein (vgl. Urteil vom 20. Januar 2004 a.a.O. <25>). Unter Geltung der Richtlinie 2004/83/EG neigt das vorlegende Gericht allerdings zu der Auffassung, dass es ausreichend sein dürfte, dass der Asylbewerber die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren. Dies müsste vom Antragsteller allerdings jeweils zur vollen Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden. Dabei dürfte dem Umstand, dass die Glaubensbetätigung nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, eine indizielle, aber keine zwingende Wirkung zukommen. Maßgeblich dürfte vielmehr sein, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und welche Glaubensbetätigungen für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar sind. Nicht ausreichend dürfte hingegen sein, dass zwar die Religionsgemeinschaft die konkrete Glaubensbetätigung als zentralen Bestandteil ihrer Glaubenslehre ansieht (z.B. Missionierung), der einzelne Asylbewerber aber keine innere Verpflichtung verspürt, diesen Teil seiner Glaubenslehre zu praktizieren, um seine Identität zu wahren.

44

Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts können sich aber aus sonstigen Umständen, etwa den allgemeinen Verhältnissen im Herkunftsland, weitere Einschränkungen ergeben. So kann es die Schwelle für eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit erhöhen, wenn die Bevölkerung im Herkunftsland allgemein bestimmte Einschränkungen der öffentlichen Religionsausübung mit Rücksicht auf eine in der Verfassung des Heimatstaates verankerte Staatsreligion oder religiös motivierte Spannungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen hinzunehmen hat.

45

Vorlagefrage 3:

46

Vorlagefrage 3 soll der Klärung dienen, ob die Verfolgungsfurcht des Antragstellers auch dann begründet ist, wenn feststeht, dass er bestimmte - außerhalb des Kernbereichs liegende - religiöse Betätigungen nach Rückkehr in das Herkunftsland vornehmen wird, obwohl sie zu einer Gefahr für Leib, Leben oder physische Freiheit führen werden oder ob in diesem Fall dem Antragsteller zuzumuten ist, auf solche künftigen Betätigungen zu verzichten.

47

a) Das Oberverwaltungsgericht hat nicht festgestellt, ob der Kläger im Fall der Rückkehr nach Pakistan auf bestimmte Formen der Religionsausübung in der Öffentlichkeit verzichten wird. Es hat lediglich allgemein bezogen auf Anhänger der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft festgestellt, dass es angesichts der drohenden Gefahren für Leib, Leben und Freiheit der gesunde Menschenverstand nahelege, alle öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigungen zu unterlassen oder äußerst zu beschränken, insbesondere jedes öffentliche werbende Verbreiten des eigenen Glaubens. Wenn es für die Anerkennung als Flüchtling darauf ankommt, ob der Kläger angesichts der ihm drohenden Gefahren auf die Glaubensbetätigung verzichtet oder bestimmte Glaubensbetätigungen trotzdem praktizieren würde, wird das Oberverwaltungsgericht diesen Umstand unter Berücksichtigung der Antworten des Gerichtshofs weiter aufzuklären haben.

48

b) Nach der deutschen Rechtsprechung ist die Furcht vor Verfolgung auch wegen einer über den Kernbereich hinausgehenden religiösen Betätigung begründet, wenn deshalb ein Eingriff in Leib, Leben oder physische Freiheit bereits unmittelbar droht.

49

Die Verfolgungshandlung (vgl. Art. 9 Richtlinie 2004/83/EG) greift hier nicht nur in die Religionsfreiheit ein, sondern auch und vor allem in Leib, Leben oder physische Freiheit des Antragstellers. Erreicht dieser Eingriff die erforderliche Schwere, kommt es nicht darauf an, ob die Religionsfreiheit in ihrem Kernbereich betroffen ist oder nur in Randbereichen. Das Bundesverwaltungsgericht hat eine asylerhebliche Verfolgung daher im Fall eines Ahmadis aus Pakistan bejaht, gegen den wegen Benutzung des moslemischen Gebetsrufs und Tragens der Kalima eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt worden war (Urteil vom 13. Mai 1993 - BVerwG 9 C 49.92 - BVerwGE 92, 278 <279 f.>).

50

Allerdings wird die öffentliche Ausübung der Religion über den Kernbereich der Religionsfreiheit hinaus nach der bisherigen deutschen Rechtsprechung nur dann geschützt, wenn die zur Gefährdung führende Glaubensbetätigung bereits erfolgt ist, der Ausländer also beispielsweise bereits missioniert hat. Beruft sich ein Asylbewerber dagegen allein darauf, dass zu erwartende zukünftige Betätigungen nach Rückkehr in das Heimatland zu einer Verfolgung führen, fehlt es an der erforderlichen Unmittelbarkeit der Gefährdung von Leib, Leben oder physischer Freiheit. Denn die Realisierung der Gefahr hängt noch von einer willensgesteuerten Handlung des Asylbewerbers ab, die sich nicht sicher prognostizieren lässt. Dem Ausländer wird danach zugemutet, die Gefahr zu vermeiden, soweit dadurch nicht der Kernbereich seiner Religionsfreiheit verletzt wird. Wird dieser Kernbereich dagegen verletzt, kommt es auf die ohnehin nur schwer zu treffende Prognose, wie sich der Betroffene nach Rückkehr in sein Heimatland verhalten würde, nicht mehr an.

51

Im vorliegenden Fall hat der Kläger nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts seinen Glauben bisher nur in einer Weise praktiziert, die keine individuelle Verfolgung nach sich zog. Das Gericht erwartet eine solche Verfolgung aber im Fall der Rückkehr des Klägers. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob ihm zugemutet werden kann, auf eine Ausübung seiner Religion außerhalb des Kernbereichs zu verzichten.

52

Die britische Rechtsprechung verfolgt ein anderes Konzept zur Erheblichkeit eines möglichen Vermeidungsverhaltens als die deutsche. Danach kommt es allein darauf an, wie der Antragsteller sich nach einer Rückkehr in das Herkunftsland tatsächlich verhalten würde. Ist die Prognose gerechtfertigt, dass er sich tatsächlich so verhalten wird, wie er behauptet, und würde das zu Verfolgungsmaßnahmen führen, ist er als Flüchtling anzuerkennen. Dem steht nicht entgegen, dass sein Verhalten unvernünftig erscheinen mag. Die Tatsache, dass er Verfolgung vermeiden könnte, indem er das Gefahr bringende Verhalten unterlässt, steht seinem Anspruch auf Flüchtlingsschutz nicht entgegen, sofern er dieses Verhalten - trotz der damit verbundenen Gefahren - tatsächlich ausführen würde. Das hat der Court of Appeal in seinem Urteil vom 5. November 1999 - Iftikhar Ahmed v. Secretary of State for the Home Department (<1999> EWCA Civ 3003) so entschieden, in dem es um das beabsichtigte Missionieren eines Ahmadi in Pakistan ging.

53

Die Unerheblichkeit eines möglichen Vermeidungsverhaltens ergibt sich für die britische Rechtsprechung auch aus dem Urteil des Supreme Court des United Kingdom vom 7. Juli 2010 (HJ (Iran) (FC) v. Secretary of State for the Home Department <2010> UKSC 31 Rn. 82), betreffend einen Fall von Homosexualität. Danach ist die Verfolgungsfurcht eines Asylbewerbers begründet, wenn er seine Homosexualität im Heimatstaat öffentlich leben würde und daher der Gefahr der Verfolgung ausgesetzt wäre, selbst wenn er die Gefahr durch diskrete Praktizierung seiner sexuellen Orientierung vermeiden könnte.

Gründe

I

1

Der Kläger, ein iranischer Staatsangehöriger, stellte im März 2011 einen Asylantrag wegen Wehrdienstentziehung. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 19. Dezember 2012 mangels Glaubwürdigkeit der Angaben zu seinem Vorfluchtschicksal ab. Während des Klageverfahrens ist der Kläger zum Christentum übergetreten und hat sich im Mai 2013 taufen lassen.

2

Das Verwaltungsgericht hat seiner auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichteten Klage stattgegeben. Den Entscheidungsgründen ist zu entnehmen, dass sich das Gericht zwar nicht von der Ernsthaftigkeit der Konversion habe überzeugen können. Dennoch sei der Kläger als Flüchtling anzuerkennen, denn die Taufe gehöre als Aufnahmeakt zum seelsorgerischen Kernbereich einer Religionsgemeinschaft. Deshalb sei das Gericht gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV an die Beurteilung der die Taufe vollziehenden Pfarrerin gebunden, der Glaubensübertritt sei vom Kläger ernsthaft gewollt.

3

Auf die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, ein flüchtlingsrechtlich relevanter, hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit des unverfolgt aus dem Iran ausgereisten Klägers setze u.a. voraus, dass für den Betroffenen die Befolgung bestimmter gefahrenträchtiger religiöser Praktiken in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig sei. Das Gericht habe jedoch auch in Ansehung der Taufe des Klägers nicht mit der notwendigen Überzeugungsgewissheit feststellen können, dass die von ihm geltend gemachte Hinwendung zur christlichen Religion auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel beruhe. Der christliche Glaube präge die religiöse Identität des Klägers nicht in einer Weise, dass dieser die christliche Betätigung für sich selbst als verpflichtend empfinde, um seine Identität zu wahren. Bei dieser Beurteilung binde der Umstand, dass der Betroffene durch den Amtsträger einer christlichen Kirche getauft worden sei, die staatlichen Stellen nicht. Es sei vielmehr die ureigene Aufgabe staatlicher Verwaltungsgerichte, zu einer eigenen Einschätzung hinsichtlich der Ernsthaftigkeit des Glaubensübertritts zu gelangen. Aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 und 3 WRV ergebe sich nichts anderes. Denn es bleibe der Kirchengemeinde unbenommen, den Kläger weiterhin als ihr Mitglied anzusehen. Die Beantwortung der davon zu unterscheidenden Frage, ob die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche eine religiöse Verfolgung nach sich ziehe und deshalb die Flüchtlingsanerkennung begründe, sei allein Aufgabe der staatlichen Gerichte.

4

Hiergegen wendet sich die Beschwerde des Klägers, mit der dieser die Zulassung der Revision erstrebt.

II

5

Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und eines Verfahrensmangels des Berufungsurteils (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

6

1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschluss vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110).

7

Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,

"ob das staatliche Gericht uneingeschränkt befugt ist, im Rahmen eines Asylverfahrens entgegen einer Taufe in den christlichen Glauben und entgegen einer pfarramtlichen Bescheinigung der Pfarrerin seiner Kirchengemeinde davon auszugehen, dass ein Asylbewerber keine religiöse Identität in dem Sinne habe, dass ihm der Verzicht auf eine öffentlich wahrnehmbare Betätigung seines christlichen Glaubens zumutbar ist."

8

Dazu führt sie im Kern aus, die Feststellung der Ernsthaftigkeit des Übertritts zum Christentum sowie der religiösen Identität eines Asylbewerbers sei eine innerkirchliche Angelegenheit, die gemäß Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV staatlicher Überprüfung entzogen sei. Die Taufe gehöre zum Kernbereich kirchlichen Handelns, den der Staat nicht infrage stellen dürfe. Auch der Kläger werde in seiner grundrechtlich geschützten Glaubensfreiheit verletzt, wenn der Staat sich die Entscheidungskompetenz darüber anmaße, ob er "wahrer" Christ sei oder nicht. Mit diesem und dem weiteren Vorbringen zeigt die Beschwerde keine klärungsbedürftigen Fragen des revisiblen Rechts auf, die die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 oder 3 VwGO rechtfertigen.

9

Es bedarf keiner Durchführung eines Revisionsverfahrens, um zu klären, dass staatliche Behörden und Verwaltungsgerichte bei der Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 und 4 AsylVfG nicht an die Beurteilung des zuständigen Amtsträgers einer christlichen Kirche gebunden sind, der Taufe des betroffenen Asylbewerbers liege eine ernsthafte und nachhaltige Glaubensentscheidung zugrunde. Dies folgt insbesondere aus der dem Berufungsurteil vom Verwaltungsgerichtshof zugrunde gelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 im Anschluss an EuGH, Urteil vom 5. September 2012 - C-71/11 und C-99/11 [ECLI:EU:C:2012:518] - NVwZ 2012, 1612). Das Vorbringen der Beschwerde zeigt keinen neuerlichen oder weitergehenden Klärungsbedarf auf.

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Art. 4 Abs. 1 und 2 GG als einheitliches Grundrecht sowie Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV garantieren den Religionsgesellschaften die Freiheit, ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes zu ordnen und zu verwalten (zum Verhältnis der Bestimmungen zueinander im Sinne einer Schrankenspezialität: BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 - EuGRZ 2014, 698 Rn. 82 ff.). Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht umfasst alle Maßnahmen, die der Sicherstellung der religiösen Dimension des Wirkens im Sinne kirchlichen Selbstverständnisses und der Wahrung der unmittelbaren Beziehung der Tätigkeit zum kirchlichen Grundauftrag dienen (BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 - EuGRZ 2014, 698 Rn. 95 m.w.N.). Zu den "eigenen Angelegenheiten" in diesem Sinne zählen insbesondere die Rechte und Pflichten der Mitglieder der jeweiligen Religionsgemeinschaft, insbesondere Bestimmungen, die den Ein- und Austritt, die mitgliedschaftliche Stellung sowie den Ausschluss von Glaubensangehörigen regeln (BVerfG, Beschluss vom 17. Dezember 2014 - 2 BvR 278/11 - EuGRZ 2015, 250 Rn. 37 m.w.N.). Die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft beurteilt sich mit Wirkung für den weltlichen Bereich (etwa als Voraussetzung für die Kirchensteuerpflicht) grundsätzlich nach den Regeln der jeweiligen Religionsgemeinschaft (BVerfG, Beschluss vom 31. März 1971 - 1 BvR 744/67 - BVerfGE 30, 415 <422> - auch zu der Grenze des für alle geltenden Gesetzes). Demzufolge obliegen die Interpretation und die Beurteilung der kirchenrechtlichen Voraussetzungen für eine Taufe sowie deren Wirksamkeit mit der Folge, dass der Betroffene Mitglied in der Gemeinde einer Religionsgemeinschaft wie der evangelisch-lutherischen Landeskirche ist, den innerkirchlich zuständigen Amtsträgern (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. November 2013 - 6 C 21.12 - BVerwGE 148, 271 Rn. 46 ff. - auch zur Abgrenzung gegenüber staatlichen Gerichten verbleibenden Prüfungspunkten).

11

Es liegt auf der Hand, dass - von Missbrauchsfällen abgesehen - die von einer Religionsgemeinschaft bestätigte Mitgliedschaft als solche von den Verwaltungsgerichten bei der Untersuchung, ob dem Asylbewerber in seinem Heimatland eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit als flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht, nicht infrage gestellt werden darf. Die durch Taufe bewirkte Mitgliedschaft in einer christlichen Religionsgemeinschaft ist aber nur dann allein entscheidungserheblich, wenn eine Verfolgung in einem Land ausschließlich an der Kirchenzugehörigkeit anknüpft. Ist dies jedoch - wie nach der tatrichterlichen Würdigung der Verfolgungslage im Iran durch das Berufungsgericht - nicht der Fall, haben das Bundesamt bzw. die Verwaltungsgerichte auf der Rechtstatsache der Kirchenmitgliedschaft aufbauend bei der Beurteilung der Schwere einer drohenden Verletzung der Religionsfreiheit des Betroffenen zu prüfen, ob die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis für ihn zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Da bereits der unter dem Druck drohender Verfolgung erzwungene Verzicht auf eine Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG erreichen kann, ist für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufgrund drohender religiöser Verfolgung in diesem Fall maßgeblich, wie der Einzelne seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis ein zentrales Element seiner religiösen Identität bildet und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 28 ff. im Anschluss an EuGH, Urteil vom 5. September 2012 - C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612). Dass diese Fragestellung in Teilbereichen zugleich auch als kirchenrechtliche Voraussetzung für die Taufe bedeutsam ist und von dem innerkirchlich zuständigen Amtsträger bejaht worden ist, macht sie - wie das Berufungsgericht zutreffend herausgestellt hat - mit Blick auf die hier zu prüfende, staatlichen Stellen obliegende Flüchtlingsanerkennung nicht zu einer "eigenen Angelegenheit" der Religionsgemeinschaft im Sinne des Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV i.V.m. Art. 140 GG. Diese Grundsätze gelten unabhängig davon, ob die jeweilige Religionsgemeinschaft als Körperschaft des Öffentlichen Rechts konstituiert ist oder nicht.

12

Es bedarf auch keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass staatliche Stellen mit der eigenständigen Würdigung im Rahmen der Prüfung des § 3 Abs. 1 AsylVfG, ob eine bestimmte Glaubenspraxis für den Antragsteller nach seinem Glaubensverständnis ein zentrales Element seiner religiösen Identität bildet und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist, nicht die sich aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, Art. 4 Abs. 1 und 2 GG sowie Art. 140 i.V.m. Art. 136 Abs. 1 und 4, Art. 137 Abs. 1 WRV ergebende Pflicht des Staates zur weltanschaulichen Neutralität verletzen. Denn eine verfassungsrechtlich unzulässige Bewertung des Glaubens oder der Lehre einer Kirche ist damit nicht verbunden. Bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung wegen geltend gemachter religiöser Verfolgung setzen sich staatliche Stellen weder mit Inhalten von Glaubenssätzen auseinander noch bewerten sie diese oder formulieren gar eigene Standpunkte in Glaubensdingen (zur Reichweite des Neutralitätsgebots: BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 - EuGRZ 2014, 698 Rn. 88 ff. m.w.N.; vgl. auch EGMR, Urteil vom 15. Januar 2013 - Nr. 48420/10 u.a. - NJW 2014, 1935 Rn. 81 und Urteil vom 8. April 2014 - Nr. 70945/11 u.a. - NVwZ 2015, 499 Rn. 76). Sie entscheiden auch nicht über die Legitimität religiöser Glaubensüberzeugungen, sondern gehen lediglich der Stellung des einzelnen Antragstellers zu seinem Glauben nach, nämlich der Intensität selbst empfundener Verbindlichkeit von Glaubensgeboten für die Identität der Person. Darin liegt keine Verletzung der Pflicht des Staates zu weltanschaulicher Neutralität.

13

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist auch geklärt, dass die Verwaltungsgerichte sich bei der Prüfung der inneren Tatsache, ob der Kläger die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung seiner religiösen Identität empfindet, nicht auf eine Plausibilitätsprüfung hinreichend substantiierter Darlegung beschränken dürfen, sondern insoweit das Regelbeweismaß der vollen Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) zugrunde zu legen haben (BVerwG, Urteil vom Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 30). Ein erneuter oder weitergehender Klärungsbedarf ergibt sich nicht daraus, dass die Anlegung des Regelbeweismaßes nach Auffassung der Beschwerde die Religionsfreiheit des Betroffenen und zugleich das kirchliche Selbstbestimmungsrecht verletzt. Denn eine Zurücknahme des tatrichterlichen Beweismaßes sowie der gerichtlichen Kontrolldichte ist nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung nur bei der Bestimmung der Reichweite des Schutzbereichs des Art. 4 GG angezeigt. Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als korporative oder individuelle Ausübung von Religion und Weltanschauung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG anzusehen ist, muss der zentralen Bedeutung des Begriffs der "Religionsausübung" durch eine extensive Auslegung Rechnung getragen werden; insoweit darf das Selbstverständnis der jeweils betroffenen Religionsgemeinschaften und des einzelnen Grundrechtsträgers nicht außer Betracht bleiben. Die Formulierung ihres Selbstverständnisses und Auftrags - des kirchlichen Proprium - obliegt allein den Kirchen und ist als elementarer Bestandteil der korporativen Religionsfreiheit durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verfassungsrechtlich geschützt (BVerfG, Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 - EuGRZ 2014, 698 Rn. 101, 114). Auch auf der individuellen Ebene dürfen staatliche Organe nur prüfen, ob hinreichend substantiiert dargelegt ist, dass sich ein von dem Betroffenen als religiös geboten reklamiertes Verhalten tatsächlich nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung in plausibler Weise dem Schutzbereich des Art. 4 GG zuordnen lässt, also tatsächlich eine als religiös anzusehende Motivation hat (BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2015 - 1 BvR 471/10 u.a. - EuGRZ 2015, 181 Rn. 86 m.w.N.). Die gebotene Berücksichtigung des kirchlichen und individuellen Selbstverständnisses des Grundrechtsträgers bei der Bestimmung, wie weit der Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG im konkreten Einzelfall reicht, ist jedoch nicht auf die der Schutzbereichsbestimmung vorgelagerte tatrichterliche Würdigung zu übertragen, ob und inwieweit eine Person eine bestimmte religiöse Betätigung ihres Glaubens für sich selbst als verpflichtend zur Wahrung ihrer religiösen Identität empfindet.

14

Der Senat hat auch klargestellt, dass die religiöse Identität als innere Tatsache sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen lässt (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 31). Entgegen der Auffassung der Beschwerde wird die Glaubensfreiheit eines Asylbewerbers, der sich auf eine ihm drohende Verfolgung wegen seiner Religion beruft, nicht dadurch verletzt, dass es ihm im Rahmen der asylverfahrensrechtlichen Mitwirkungspflichten (§ 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG) und des prozessrechtlichen Untersuchungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) obliegt, staatlichen Stellen über sein religiöses Selbstverständnis Auskunft zu geben. Es unterliegt der freien Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO und ist insoweit keiner weiteren grundsätzlichen Klärung zugänglich, auf welche Weise der Tatrichter versucht, sich die erforderliche Überzeugungsgewissheit vom Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsache der Wahrung der religiösen Identität des Asylbewerbers zu verschaffen. Nicht weiter klärungsbedürftig ist in diesem Zusammenhang insbesondere, dass es - wovon das Berufungsgericht ausgegangen ist (UA S. 16) - die Glaubensfreiheit nicht verletzt und die Beweisanforderungen nicht überspannt, von einem Erwachsenen im Regelfall zu erwarten, dass dieser schlüssige und nachvollziehbare Angaben zu den inneren Beweggründen für die Konversion machen kann und im Rahmen seiner Persönlichkeit und intellektuellen Disposition mit den Grundzügen seiner neuen Religion vertraut ist.

15

2. Die Beschwerde rügt des Weiteren, dem Berufungsgericht fehle die notwendige Sachkunde zur Beurteilung der religiösen Identität des Klägers. Dem Verwaltungsgerichtshof hätte sich eine Begutachtung des Klägers in psychologischer und religiöser Hinsicht aufdrängen müssen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 86 Abs. 1 VwGO). Die Aufklärungs- und damit verbundene Gehörsrüge verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg.

16

Zum einen hat der Kläger ausweislich der Sitzungsniederschrift in der Berufungsverhandlung keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung gemäß § 86 Abs. 1 VwGO grundsätzlich dann nicht, wenn es von einer sich nicht aufdrängenden Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter nicht ausdrücklich beantragt hat (BVerwG, Beschluss vom 2. November 1978 - 3 B 6.78 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 116). Aus welchen Gründen sich dem Verwaltungsgerichtshof eine weitere Aufklärung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen, legt die Beschwerde nicht dar. Zum anderen ist bei der Prüfung, ob dem Berufungsgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, von dessen materiellrechtlicher Rechtsauffassung auszugehen, auch wenn diese - wofür hier nichts ersichtlich ist - verfehlt sein sollte (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289 Rn. 17 m.w.N.; stRspr). Es ist weder von der Beschwerde dargelegt noch sonst ersichtlich, aus welchen Gründen das Berufungsgericht - nachdem nicht etwa Glaubensinhalte einer fremden Religion aufzuklären waren - nicht über die ausreichende Sachkunde zur Beurteilung der religiösen Überzeugung und Identität des Klägers verfügen sollte. Für die Ermittlung und Würdigung des (Nicht-)Vorliegens dieser inneren Tatsache bedarf es in aller Regel keines nur Experten vorbehaltenen Wissens. Letztlich wendet sich die Beschwerde im Wege der Aufklärungs- und Gehörsrüge gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts; damit vermag sie indessen nicht durchzudringen.

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3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 22. Januar 2015 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 11. Juni 2014 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die ausdrücklich bzw. sinngemäß geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) und der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) sind nicht in der gebotenen Weise (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) dargelegt bzw. liegen nicht vor.

I. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, bisher höchstrichterlich oder - bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen - durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt, aber klärungsbedürftig und über den zu entscheidenden Fall hinaus bedeutsam ist (st. Rspr., z. B. BayVGH, B. v. 25.2.2013 - 14 ZB 13.30023 - juris Rn. 2 m. w. N.; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36 ff. m. w. N.). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

1. Die vom Kläger gestellte (Tatsachen)Frage,

„ob ein iranischer Staatsangehöriger, der in Deutschland um Asyl ersucht hat und gegen seinen Willen in den Iran zurückgeführt wird, bei Bekanntwerden des Glaubensübertritts während seines Aufenthalts in Deutschland im Iran keinerlei relevanten Verfolgungsmaßnahmen unterliegt“,

hat keine grundsätzliche Bedeutung. Der Kläger hat bereits nicht dargelegt, dass es eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür gibt, dass sein formaler Glaubenswechsel durch seine in Deutschland lebenden Verwandten im Iran bekannt werden könnte. Zudem fehlt es dieser Frage an der erforderlichen Entscheidungserheblichkeit. Das Verwaltungsgericht hat darauf abgestellt, dass das Bekenntnis des Klägers zum Christentum nicht auf einer inneren Glaubensüberzeugung beruhe; es sei der Eindruck entstanden, der Kläger sei nur formal und aus asyltaktischen Gründen zum christlichen Glauben übergetreten. Die aufgeworfene Frage könnte in einem Berufungsverfahren daher nur dann entscheidungserheblich sein, wenn allein der formale Akt des Übertritts zum christlichen Glauben - vorliegend also die durch die Taufe des Klägers bewirkte Mitgliedschaft in der evangelischen Landeskirche Bayern - zu Repressionen seitens des iranischen Staates führen könnte, ohne dass der christliche Glaube nach einer Rückkehr in den Iran gelebt würde. Der Kläger nennt zwar mögliche Lebensbereiche, in denen es nach seiner Ansicht für ihn zu Repressionen kommen könnte, die - aufgrund der Kumulation - als Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b RL 2011/95/EU - Qualifikationsrichtlinie - anzusehen seien. Nachvollziehbare Belege, die die Möglichkeit derartiger Repressionen bestätigen, benennt er jedoch nicht.

Es gibt auch keine entsprechenden Erkenntnisse, dass dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran allein wegen des formalen Glaubenswechsels oder wegen seiner bisherigen religiösen Betätigung in Deutschland eine asylrechtlich relevante und/oder abschiebungsrelevante Verfolgung drohen könnte. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hat unter Auswertung zahlreicher Erkenntnisquellen zur Frage einer Verfolgungsgefahr wegen Apostasie in seinem Urteil vom 7. November 2012 - 13 A 1999/07.A - (juris Rn. 49 ff.) festgestellt, dass der Abfall vom Islam im Iran nach wie vor nach weltlichem Recht nicht mit Strafe bedroht ist und dass trotz des im September 2008 in erster Lesung beschlossenen Apostasiestrafgesetzes jedenfalls bei Apostaten, die nicht exponiert tätig sind, Verurteilungen zu Todesstrafen nicht erfolgen. Andere staatliche oder nichtstaatliche Repressionen sind demnach auch nur für solche konvertierten Christen festzustellen, die in Ausübung ihres Glaubens an öffentlichen Riten wie etwa Gottesdiensten teilnehmen, oder zumindest ihren neu angenommenen Glauben - und die damit verbundene Abkehr vom Islam - nach außen zeigen wollen. Diese Situation wird durch den aktuellen Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrechtliche Lage in der Islamischen Republik Iran vom 24. Februar 2015 bestätigt (vgl. S. 16 ff.). Erkennbar beziehen sich die dortigen Aussagen auf solche Konvertiten, die die neue Religion aktiv im Iran ausüben (so im Ergebnis auch: BayVGH, B. v. 9.4.2015 - 14 ZB 13.30120 - juris Rn. 6; VGH BW, B. v. 19.2.2014 - A 3 S 2023/12 - juris Rn. 14; U. v. 15.4.2015 - A 3 S 1923/14 - n. v. UA S. 21; OVG NW, B. v. 27.8.2012 - 13 A 1703/12.A - juris Rn. 8; B. v. 27.4.2015 - 13 A 440/15.A - juris Rn. 10 f.).

2. Aus den gleichen Gründen sind auch die zweite (Tatsachen)Frage,

„ob ein zum Christentum konvertierter iranischer Staatsangehöriger, der im Falle einer Rückkehr sich weigert, den (nicht gelebten) christlichen Glauben formal abzulegen und sich wieder zum Islam zu bekennen, verfolgungsrelevante Maßnahmen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie zu befürchten hat, wenn der Glaubensübertritt bekannt wird“,

sowie die vierte (Tatsachen)Frage,

‚ob ein „Taufscheinchrist“, wie vorher beschrieben, der also keine innere tiefe Glaubensüberzeugung besitzt, gleichwohl aber Mitglied der Glaubensgemeinschaft sein will und im Falle der Rückkehr auch sein wird, bei einem Bekenntnis zu dieser Art von Mitgliedschaft im Iran eine Verfolgung zu befürchten hat, wenn er sich weigert, wieder Moslem zu werden‘,

nicht klärungsbedürftig.

Bei einem, ohne innere Glaubensüberzeugung lediglich formal konvertierten Christen, steht weder im Raum, dass er seine religiöse Identität nach Rückkehr in sein Heimatland unterdrücken müsste, noch dass er sich im Heimatland religiös betätigen wird. Wie zuvor ausgeführt, stellt sich somit die Frage asylrelevanter Verfolgung des lediglich formal Getauften nicht. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob es einem, ohne innere Glaubensüberzeugung lediglich formal konvertierten Christen zumutbar ist, seine (formale) Mitgliedschaft in einer christlichen Religionsgemeinschaft aufzugeben, ohne in sein durch Art. 10 Abs. 1 GR-Charta garantiertes Recht auf Religionsfreiheit einzugreifen. Ungeachtet dessen ist zweifelhaft, warum sich der Kläger als lediglich formaler Christ weigern könnte, dem Christentum abzuschwören bzw. wieder Moslem zu werden, zumal er nur vorträgt, nach „seiner inneren Überzeugung (wie sei das Gericht versteht)“ lediglich „möglicherweise“ Atheist zu sein.

3. Auch die vom Kläger gestellte Rechtsfrage,

„ob die ‚innere identitätsprägende Überzeugung‘ eines Glaubens, wie vom VG verlangt, ein ‚Verständnis der Glaubensinhalte‘ erfordert oder ob die identitätsprägende Überzeugung allein in dem Willen der Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft, getragen von sonstigen Motiven z. B. einer Emotionalität, dem Wunsch der kulturellen Zugehörigkeit ect. bestehen kann“

bedarf keiner grundsätzlichen Klärung. Zum einen ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (vgl. BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 30 im Anschluss an EuGH, U. v. 5.9.2012 - C-71/11 u. C-99/11 - NVwZ 2012, 1612; U. v. 9.12.2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289 Rn. 19), dass der Schutzsuchende, der nicht bereits wegen seiner Religion verfolgt oder unmittelbar mit Verfolgung bedroht war und bei dem nicht bereits die Taufe als solche zu einer Verfolgung führt, die inneren Beweggründe, die ihn zur Konversion veranlasst haben, glaubhaft machen muss, wenn er sich auf eine Verfolgungsgefährdung mit der Begründung beruft, er sei in Deutschland zu einer in seinem Herkunftsland bekämpften Religion übergetreten. Es muss festgestellt werden können, dass die Hinwendung zu der angenommenen Religion auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel und nicht auf Opportunitätserwägungen beruht, und der Glaubenswechsel nunmehr die religiöse Identität des Schutzsuchenden prägt. Zum anderen kommt der Frage regelmäßig keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Die Prüfung, ob ein (identitätsprägender) Glaubenswechsel vorliegt, kann jeweils nur anhand der individuellen Gegebenheiten des jeweiligen Sachverhalts erfolgen (BVerwG, B. v. 25.8.2015 - 1 B 40.15 - Asylmagazin 2015, 345 Rn. 11; BayVGH, B. v. 9.4.2015 - 14 ZB 13.30444 - juris Rn. 5 m. w. N.). Wann eine solche Prägung anzuerkennen ist und welche Anforderungen im Einzelnen zu stellen sind, lässt sich nicht allgemein beschreiben, sondern richtet sich vorwiegend nach der Persönlichkeit des Schutzsuchenden und seiner intellektuellen Disposition (OVG NW, U. v. 7.11.2012 - 13 A 1999/07.A - juris Rn. 39). Es ist ureigene Sache des Gerichts, im Rahmen der Beweiswürdigung anhand der individuellen Gegebenheiten des jeweiligen Einzelfalls zu klären, ob ein Glaubenswechsel vorliegt.

II. Soweit der Kläger den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG) geltend machen wollte mit seinem Vorbringen, das Verwaltungsgericht habe gegen die vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Grundsätze verstoßen, wonach es im Hinblick auf die Gefahrenprognose auf das persönliche Glaubensverständnis des Individuums und das Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft ankomme, ist er bereits seinen diesbezüglichen Darlegungspflichten (vgl. § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG) nicht nachgekommen. Mit seinem Einwand, das Verwaltungsgericht habe entgegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in seiner Entscheidung vom 20. März 2013 - 10 C 23.12 - auf das „Verständnis der Glaubensinhalte“ und auf die „innere identitätsprägende Überzeugung“ abgestellt, hat er keinen abstrakten Rechtssatz dargelegt, sondern lediglich eine - seiner Ansicht nach fehlerhafte - gerichtliche Bewertung des Einzelfalls aufgezeigt. Den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sieht § 78 Abs. 3 AsylG nicht vor.

III. Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 9. November 2015 vorgetragen hat, dass er seine am 6. März 2015 geborene Tochter entsprechend seiner Glaubensüberzeugung am 25. Oktober 2015 hat taufen lassen, kann dies im Zulassungsverfahren gemäß § 78 Abs. 4 Satz 1 und 4 AsylG nicht mehr berücksichtigt werden.

Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO.

Tenor

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 20. Dezember 2013 - A 5 K 122/13 - zuzulassen, wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des - gerichtskostenfreien - Berufungszulassungsverfahrens.

Gründe

Der auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das bezeichnete Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg hat keinen Erfolg.
Die aufgeworfene Frage,
ob eine Grundsatzentscheidung des zuständigen kirchlichen Würdenträgers, des Pfarrers, der einen ernsthaften Glaubensübertritt (eines Asylbewerbers) bejaht hat, das staatliche Gericht staatskirchenrechtlich bindet,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache. Die Frage ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 20.2.2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67; Beschl. v. 9.12.2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289) bereits ausreichend geklärt.
Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.4.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Die Beurteilung, ob eine Verletzung der Religionsfreiheit die erforderliche Schwere aufweist, um die Voraussetzungen einer Verfolgungshandlung im Sinne der genannten Vorschrift zu erfüllen, hängt aber außer von objektiven auch von subjektiven Gesichtspunkten ab. Objektive Gesichtspunkte sind insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter wie z.B. Leib und Leben. Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit ist der Umstand anzusehen, ob für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Es reicht dafür nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten.
Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (BVerwG, Urt. v. 20.2.2013, a.a.O., Rn. 30; Beschl. v. 9.12.2010, a.a.O.). Der formale, kirchenrechtlich wirksam vollzogene Übertritt zum Christentum in Gestalt der Taufe reicht für die Gewinnung dieser Überzeugung jedenfalls im Regelfall nicht aus (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.2.2014 - A 3 S 2023/12 -; Beschl. v. 9.1.2014 - A 2 S 1812/13 -; OVG Niedersachsen, 7.3.2014 - 13 LA 118/13 - juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 24.5.2013 - 5 A 1062/12.A - juris; BayVGH, Beschl. v. 12.1.2012 - 14 ZB 11.30346 - juris). Ob ein von diesem Regelfall abweichender Sonderfall vorliegt, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und ist deshalb einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylVfG.
Der Beschluss ist unanfechtbar.

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 21. März 2012 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.


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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

(1) Die Approbation ist zurückzunehmen, wenn bei ihrer Erteilung die Voraussetzung des § 2 Absatz 1 Nummer 1 nicht vorgelegen hat. Die Approbation kann zurückgenommen werden, wenn bei ihrer Erteilung die Voraussetzung des § 2 Absatz 1 Nummer 2 oder Nummer 3 nicht vorgelegen hat. Im Übrigen bleiben die dem § 48 des Verwaltungsverfahrensgesetzes entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften unberührt.

(2) Die Approbation ist zu widerrufen, wenn nachträglich

1.
die Voraussetzung nach § 2 Absatz 1 Nummer 2 wegfällt oder
2.
dauerhaft die Voraussetzung nach § 2 Absatz 1 Nummer 3 wegfällt.
Im Übrigen bleiben die dem § 49 des Verwaltungsverfahrensgesetzes entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften unberührt.

(3) Das Ruhen der Approbation kann angeordnet werden, wenn

1.
gegen die betreffende Person wegen des Verdachts einer Straftat, aus der sich die Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs ergeben würde, ein Strafverfahren eingeleitet worden ist,
2.
die gesundheitliche Eignung zur Ausübung des Berufs voraussichtlich nur vorübergehend wegfällt,
3.
Zweifel an der gesundheitlichen Eignung der betreffenden Person bestehen, die Person sich aber weigert, sich einer von der zuständigen Behörde angeordneten amts- oder fachärztlichen Untersuchung zu unterziehen,
4.
sich erweist, dass die betreffende Person nicht über die für die Ausübung des Berufs erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt oder
5.
sich ergibt, dass die betreffende Person nicht ausreichend gegen die sich aus ihrer Berufsausübung ergebenden Haftpflichtgefahren versichert ist, sofern kraft Landesrechts oder kraft Standesrechts eine Pflicht zur Versicherung besteht.
Die Anordnung des Ruhens der Erlaubnis ist aufzuheben, sobald die Voraussetzung für die Anordnung nicht mehr vorliegt.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten entsprechend für Personen mit einer Erlaubnis zur vorübergehenden Berufsausübung oder einer Erlaubnis zur partiellen Berufsausübung.

(1) Die Approbation als Psychotherapeutin oder Psychotherapeut ist auf Antrag zu erteilen, wenn die antragstellende Person

1.
das Studium, das Voraussetzung für die Erteilung einer Approbation als Psychotherapeutin oder Psychotherapeut ist, erfolgreich absolviert hat und die psychotherapeutische Prüfung nach § 10 bestanden hat,
2.
sich nicht eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich die Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs ergibt,
3.
nicht in gesundheitlicher Hinsicht zur Ausübung des Berufs ungeeignet ist und
4.
über die für die Ausübung des Berufs erforderlichen Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt.

(2) Soll die Erteilung der Approbation abgelehnt werden, weil mindestens eine der in Absatz 1 Nummer 2 oder Nummer 3 genannten Voraussetzungen nicht vorliegt, so ist die antragstellende Person oder ihre gesetzliche Vertreterin oder ihr gesetzlicher Vertreter vor der Entscheidung zu hören.

(3) Ist gegen die antragstellende Person wegen des Verdachts einer Straftat, aus der sich die Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs ergeben kann, ein Strafverfahren eingeleitet, so kann die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung der Approbation ausgesetzt werden, bis das Strafverfahren beendet ist.

Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 10. Dezember 2014 ist unbegründet.

Das Urteil weicht nicht von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ab. Eine Divergenz im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG liegt vor, wenn das Verwaltungsgericht mit einem sein Urteil tragenden Obersatz von einem Obersatz des höheren Gerichts abgewichen ist (BVerwG, B.v. 19.8.1997 - 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328).

Der Kläger rügt, die Ansicht des Verwaltungsgerichts, die Anforderungen an das substantiierte Vorbringen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) seien auch auf die Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode zu übertragen, stehe im Widerspruch zum Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 21. März 2014 (13a ZB 13.30292). Dort sei ausgeführt, dass das Substantiierungserfordernis überspannt sei, wenn die hohen Anforderungen an die Diagnose bei PTBS auf diejenigen der Depression übertragen würden.

Vorliegend ist das Verwaltungsgericht zum Ergebnis gelangt, dass die vom Kläger vorgelegte psychologische Stellungnahme eines Diplom-Psychologen den im Einzelnen genannten Anforderungen an die Substantiierung seines Vorbringens nicht genüge. In erster Linie stützt sich das Verwaltungsgericht dabei darauf, dass die Stellungnahme von einem Diplom-Psychologen ausgestellt sei und nicht von einem Facharzt für psychische Erkrankungen (UA S. 9 f.). Aufgrund der Eigenart des geltend gemachten Krankheitsbildes bestünden entsprechende Anforderungen an ärztliches Vorgehen und Diagnostik, die nur von Fachärzten für Psychiatrie oder für Psychotherapeutische Medizin erfüllt werden könnten. „Diplom-Psychologe“ dürfe sich nennen, wer ein Psychologiestudium an einer Universität absolviert habe. Der Beruf des Psychologen sei kein Heilberuf; mangels Approbation dürfe der Psychologe nicht eigenverantwortlich heilberuflich am Menschen tätig werden. Der Diplom-Psychologe sei nicht als Facharzt approbiert, daher fehle ihm die fachliche ärztliche Kompetenz, so komplizierte Diagnosen psychischer Erkrankungen zu stellen.

Mit diesen Ausführungen wird kein Obersatz aufgestellt, welcher der vom Kläger zitierten Rechtsprechung des Senats widersprechen würde. Dort war die Erkrankung von einer Fachärztin für Neurologie und Nervenheilkunde diagnostiziert worden, die eine PTBS und eine „depressive Störung mittelgradiger Ausprägung“ bescheinigt hatte. Dementsprechend war auch der Beweisantrag auf das Vorliegen einer Depression und einer PTBS gerichtet. Bei der Ablehnung des Beweisantrags hat sich das Verwaltungsgericht im dortigen Fall allein auf die PTBS gestützt und ihn nach den Anforderungen an einen substantiierten Vortrag für dieses Krankheitsbild gewürdigt. Mit der Depression hat es sich überhaupt nicht befasst. Vorliegend hingegen hat das Verwaltungsgericht im Einklang mit dem Beweisantrag die attestierte depressive Episode zugrunde gelegt und insbesondere darauf hingewiesen, dass die Stellungnahme im Gegensatz zur vorgelegten Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs nicht von einem diagnoseberechtigten (Fach-)Arzt, sondern von einem Diplom-Psychologen ausgestellt sei. Damit weicht das Verwaltungsgericht nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab, weil die Ausgangslage eine andere ist.

Aus den gleichen Gründen scheidet auch der vom Kläger weiter geltend gemachte Verfahrensmangel der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör aus (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO).

Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht (Art. 103 Abs. 1 GG) sichert den Parteien ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge, dass sie ihr Verhalten eigenbestimmt und situationsspezifisch gestalten können, insbesondere dass sie mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört werden (BVerfG, B.v. 30.4.2003 - 1 PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395/409 = NJW 2003, 1924). Der Kläger muss die Möglichkeit haben, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (BVerfG, B.v. 21.4.1982 - 2 BvR 810/81 - BVerfGE 60, 305/310). Der Anspruch der Prozessbeteiligten auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch in Erwägung zu ziehen (BVerfG, B.v. 19.5.1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133/146 = DVBl 1992, 1215; BayVerfGH, E.v. 13.3.1981 - Vf. 93-VI-78 - BayVBl 1981, 529). Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvorbringens eines Beteiligten zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfG, B.v. 19.5.1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133/146; B.v. 23.7.2003 - 2 BvR 624/01 - NVwZ-RR 2004, 3). Für den substantiierten Tatsachenvortrag und die schlüssige Darlegung seines Schicksals ist der Kläger selbst verantwortlich (BVerwG, B.v. 28.12.1999 - 9 B 467.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 51).

Der Kläger rügt, die Ablehnung des Beweisantrags sei rechtswidrig, weil die Gleichsetzung des Krankheitsbilds einer posttraumatischen Belastungsstörung mit dem einer mittelgradigen depressiven Episode hinsichtlich der an die Diagnose zu stellenden Anforderungen nicht haltbar sei. Wie bereits erläutert, hat sich das Verwaltungsgericht explizit mit dem Substantiierungserfordernis einer psychischen Krankheit befasst. Die Auffassung, dass die vorgelegte Stellungnahme eines Diplom-Psychologen nicht dem Substantiierungserfordernis eines Beweisantrags entspricht, ist nicht zu beanstanden. Insbesondere verweist das Verwaltungsgericht zu Recht darauf, dass sie nicht von einem Arzt, sondern von einem Diplom-Psychologen erstellt ist. Dieser ist nicht zur Diagnostik befugt, wie sich aus dem Gesetz über die Berufsausübung, die Berufsvertretungen und die Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker sowie der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (Heilberufe-Kammergesetz - HKaG) ergibt. Danach gehört die Tätigkeit eines Psychologen nicht zu den Heilberufen. Das ist erst der Fall, wenn ein Psychologe zusätzlich die mindestens dreijährige Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten gem. § 5 Psychotherapeutengesetz (PsychThG) abgeleistet und die entsprechende Approbation (§ 2 PsychThG) erhalten hat (siehe hierzu auch OVG NRW, B.v. 19.12.2008 - 8 A 3053/08.A - AuAS 2009, 82). Erst der approbierte Psychologe hat das Recht und trägt die Verantwortung sowohl für die Erstellung von Diagnosen als auch für seine Entscheidung über eine Psychotherapie und ihre Durchführung (Stellungnahme des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen - bpd - zur Tätigkeit des Diplom-Psychologen als Sachverständiger im Sozialgerichtsverfahren, abrufbar unter www.b...-v....org/b...html).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylVfG.

Tenor

I.

Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 8. April 2016 wird zugelassen, soweit damit die Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG abgewiesen wurde.

II.

Im Übrigen wird der Antrag auf Zulassung der Berufung verworfen.

III.

Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt S., M., für das Zulassungsverfahren und das anschließende Berufungsverfahren bewilligt, soweit die Berufung zugelassen wurde. Im Übrigen wird der Prozesskostenhilfeantrag abgelehnt.

IV.

Die Kostenentscheidung bleibt der Berufungsentscheidung vorbehalten.

Gründe

1. Soweit der Zulassungsantrag sich auf die Klageabweisung hinsichtlich der im Hauptantrag begehrten Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 AsylG bezieht, war er zu verwerfen, da insoweit eine § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügende Darlegung der Zulassungsgründe nicht erfolgt ist. Denn der geltend gemachte Zulassungsgrund einer dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht gerecht werdenden Ablehnung der gestellten Beweisanträge betrifft allein die mit dem Hilfsantrag begehrte Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes.

2. Im Übrigen ist der Zulassungsantrag jedoch zulässig und begründet.

Die rechtlich fehlerhafte Ablehnung eines in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags stellt nicht immer einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs dar, sondern erst dann, wenn die Nichtberücksichtigung im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (Berlit in GK-AsylVfG, 52. Ergänzungslieferung April 1998, § 78 Rn. 665 m. w. N.). Ein solcher qualifizierter Rechtsverstoß liegt hier vor, da das Attest bzw. der psychologische Bericht des Diplom-Psychologen und Psychologischen Psychotherapeuten H. S. vom 18. Januar 2016 die vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 11. September 2007 (Az. 10 C 8/07, BVerwGE 129, 251, Rn. 15 und Leitsatz 1) aufgestellten Anforderungen an ein fachärztliches Attest inhaltlich erfüllt.

Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass der psychologische Bericht des Dipl.-Psych. S. nicht mit der Begründung zurückgewiesen werden konnte, dass es sich bei ihm nicht um einen Arzt, sondern um einen Psychologischen Psychotherapeuten handelt. Denn aus der ausschließlichen Erwähnung eines „fachärztlichen“ Attestes in der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts folgt nicht, dass damit die gutachterliche Stellungnahme eines Psychologischen Psychotherapeuten zur Substantiierung eines Sachverständigen-Beweisantrags schlechthin ungeeignet wäre. Dies ergibt sich einerseits aus der vom Bundesverwaltungsgericht in der genannten Entscheidung vorgenommenen Einschränkung, dass „regelmäßig“ die Vorlage eines fachärztlichen Attestes erforderlich sei. Der Senat geht ebenso wie das OVG NRW (vgl. u. a. B.v. 19.12.2008, Az. 8 A 3053/08.A, InfAuslR 2009, 173 - 174) davon aus, dass auch Psychologische Psychotherapeuten aufgrund ihrer Ausbildung (vgl. § 5 Psychotherapeutengesetz - PsychThG) und ihrer fachlichen Qualifikation befähigt sind, psychische Erkrankungen wie auch posttraumatische Belastungsstörungen zu diagnostizieren (ebenso VG München, U.v. 28.7.2015 - M 2 K 14.31070 - juris, U.v. 14.2.2014 - M 21 K 11.30993 - juris; VG Augsburg, U.v. 21.6.2013 - Au 7 K 13.30077 - juris). Der psychologische Bericht vom 18. Januar 2016 enthält sowohl die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erforderlichen Pflichtangaben zur Beschreibung des Krankheitsbildes, zur Dauer und Häufigkeit der Behandlung und (obwohl unter der alleinigen Zwischenüberschrift des gesamten zweiseitigen Berichts „Anamnese“ aufgeführt) Aussagen über die Bestätigung der durch Anamnese des Betroffenen geschilderten Beschwerden durch die Diagnose des Behandelnden. Auch die als „Soll-Anforderungen“ vom Bundesverwaltungsgericht formulierten Angaben über Schwere der Krankheit und Behandlungsbedürftigkeit liegen vor. Allenfalls die Angaben über den Behandlungsverlauf sind etwas knapp geraten, als insoweit nur ausgeführt wird, dass das Verhältnis zur Belastung krankheitsbedingt massiv gestört sei. Da die sonstigen Angaben aber komplett vorhanden sind und der psychologische Bericht insgesamt ein anschauliches Bild über das Krankheitsbild wiedergibt, sind die Mindestanforderungen gewahrt.

Die Beweisanträge auf Einvernahme des Dipl.-Psych. S. (wofür nach der zutreffenden Rechtsprechung des VGH BW, B.v. 9.7.2012, Az. A 9 S 1359/12, AuAS 2012, 211, Leitsatz 1 und Rn. 14, die gleichen Grundsätze wie nach dem Urteil des BVerwG vom 11.9.2007 gelten) sowie auf Einholung eines Sachverständigengutachtens konnten auch nicht wegen eines unauflöslich widersprüchlichen Verfolgungsvortrags abgelehnt werden. Nach dieser Rechtsprechung greift das Gebot, ordnungsgemäß gestellten Beweisanträgen nachzugehen dann ausnahmsweise nicht, wenn das das Asylbegehren stützende Vorbringen in sich so unschlüssig und widersprüchlich ist, dass ein sachliches Substrat für eine Beweiserhebung zu einzelnen Elementen des Vorbringens fehlt (vgl. zum Ganzen Berlit in GK-AsylVfG, 52. Ergänzungslieferung, April 1998, § 78 Rn. 364 m. w. N.). Denn im vorliegenden Fall deckt sich der Kernbereich des Vorbringens des Klägers beim Bundesamt wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht mit seinen Angaben bei diversen Ärzten und Psychologen, die er wegen seiner psychischen Beschwerden aufgesucht hat. Nur in Randbereichen finden sich hier Widersprüche, deren Ursache in der jeweiligen Situation durchaus auch durch unzureichende Übersetzung gesetzt worden sein kann. Unauflösliche Widersprüche liegen aber nicht vor.

Dementsprechend liegen, soweit dem Antrag auf Zulassung der Berufung stattzugeben war, auch die Voraussetzungen für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung nach § 166 VwGO i. V. m. §§ 114 ff. ZPO vor.

Wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung bleibt diese der Entscheidung über die Berufung vorbehalten (vgl. zum Ganzen Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 30. Ergänzungslieferung Februar 2016, § 124a, Rn. 136 m. w. N.).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG, § 152 VwGO.

Gründe

1

I. Die gemäß § 146 Abs. 4 VwGO zulässige Beschwerde der Antragsteller hat Erfolg.

2

Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die Antragsteller hätten nicht glaubhaft gemacht, dass ihre Ausreise aufgrund inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse infolge einer Erkrankung des Antragstellers zu 1 unmöglich sei. Es sei nicht davon auszugehen, dass bei diesem eine Reiseunfähigkeit vorliege. Die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen seien unzureichend. Die Bescheinigung des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie D. enthalte weder eine Anamnese noch eine nachvollziehbare Diagnose. Die Bescheinigungen der Psychologinnen S. und K. seien zwar ausführlicher, beruhten aber nur auf den Angaben des Antragstellers zu 1, so dass die Schlussfolgerung, eine vorgetäuschte Diagnose könne ausgeschlossen werden, nicht überzeuge. Auch werde nicht darauf eingegangen, ob die vom Antragsteller zu 1 geschilderten Symptome in Zusammenhang mit der Einnahme von Medikamenten oder Halluzinogenen stünden. Auffällig sei, dass die vom Antragsteller zu 1 geäußerten Kriegserlebnisse im Rahmen der Anhörungen vor dem Bundesamt nicht geschildert worden seien. Zudem falle auf, dass sich der Antragsteller zu 1 erst nach Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen in psychiatrische Behandlung begeben habe, obwohl er sich bereits seit 2010 in Deutschland aufhalte. Die Bescheinigungen zögen auch keinerlei Alternativursachen in Betracht, obwohl dies angesichts der geschilderten Ängste des Antragstellers zu 1 naheliegend sei. Als Alternativursache komme ein schweres Entwurzelungssyndrom in Betracht. Dies werde weder erwähnt noch im Rahmen einer Differentialdiagnose diskutiert. Die psychologischen Stellungnahmen seien ersichtlich darauf angelegt, dem Antragsteller zu 1 zum beantragten Abschiebungsschutz zu verhelfen. Die äußerst kurzen Stellungnahmen der Amtsärztinnen S. und M. enthielten keinerlei medizinische Substanz. Es werde nicht einmal erläutert, um was für eine psychische Erkrankung es sich handeln soll, die beim Antragsteller zu 1 bestehe. Es sei auch nicht ersichtlich, dass dieser aufgrund einer akuten und schwerwiegenden Erkrankung an posttraumatischer Belastungsstörung dringend auf ärztliche Behandlung gerade in Deutschland angewiesen sei. Ziehe man in Betracht, dass bei einer Rückkehr des Antragstellers zu 1 in seine Heimat sowohl die Sprachbarriere, die einer aussichtsreichen Heilung psychischer Probleme in Deutschland entgegenstehe, als auch die soziale Isolation entfielen, sei von zusätzlichen Erschwernissen durch die Verneinung von Abschiebungshindernissen nicht auszugehen. Aufgrund der aufgezeigten Mängel sei auch nicht davon auszugehen, dass eine akute Suizidalität mit Eigen- und Fremdgefährdung bei einer Abschiebung des Antragstellers zu 1 bestehe. Möglichen Gefährdungen sei durch geeignete Vorkehrungen und Modalitäten bei der Abschiebung zu begegnen. Der Antragsgegner habe für sichere Abschiebemodalitäten und eine Begleitung durch Fachpersonal (Arzt/Sanitäter) Sorge zu tragen. Ebenso sei nach Eintreffen des Rücktransports in der Heimat des Antragstellers zu 1 durch vorherige Kontaktaufnahme mit den Heimatbehörden dessen nahtlose ärztliche und psychologische Begleitung und Versorgung sicherzustellen und eine Zurverfügungstellung von Medikamenten zu veranlassen. Dadurch werde der dem Antragsteller zu 1 bescheinigten Suizidgefahr im Rahmen der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen mit angemessenen Mitteln begegnet. Hinzu komme, dass eine Rückführung in die Heimat gerade zu einer Besserung der Gesamtsymptomatik führen könne: Die auch für seelisch Gesunde – zumal nach langjährigen Auslandsaufenthalt – bestehende starke Belastung einer drohenden Abschiebung entfalle nach dem Vollzug, was dafür spreche, dieses schwierige Phase nicht hinauszuzögern, sondern abzukürzen.

3

Dieser Würdigung durch das Verwaltungsgericht tritt die Beschwerde mit Erfolg entgegen.

4

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sogenannte Sicherungsanordnung). Anordnungsanspruch und -grund sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Für den Anordnungsanspruch einer Sicherungsanordnung genügt dabei die Glaubhaftmachung von Tatsachen, aus denen sich zumindest ergibt, dass der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen ist; ein Anordnungsgrund ist glaubhaft gemacht, wenn eine vorläufige Sicherung des in der Hauptsache verfolgten materiellen Anspruchs zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes dringlich ist (Beschl. d. Senats v. 20.06.2011 – 2 M 38/11 –, Juris RdNr. 8 m.w.N.).

5

Diese Voraussetzungen für den Erlass der von den Antragstellern begehrten einstweiligen Anordnung sind erfüllt. Es besteht die Gefahr, dass die vom Antragsgegner in Aussicht genommene Abschiebung der Antragsteller ohne eine vorherige gutachtliche Klärung der im Tenor bezeichneten Fragen die Verwirklichung eines ihnen in der Hauptsache möglicherweise zustehenden Anspruchs auf weitere Aussetzung der Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG vereitelt.

6

1. Nach derzeitigem Erkenntnisstand ist offen, ob durch die Abschiebung eine wesentliche Verschlechterung der beim Antragsteller zu 1 nach den vorliegenden ärztlichen bzw. psychologischen Stellungnahmen vorhandenen psychischen Erkrankung eintreten und sich dadurch die auf dieser Krankheit beruhende (latente) Selbstmordgefahr in einer Weise erhöhen wird, dass eine Abschiebung nicht verantwortet werden kann.

7

Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschl. v. 20.06.2011 – 2 M 38/11 – a.a.O. RdNr. 5) kann auch eine bestehende psychische Erkrankung eines ausreisepflichtigen Ausländers ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG in zwei Fallgruppen begründen: Zum einen scheidet eine Abschiebung aus, wenn und solange der Ausländer wegen Erkrankung transportunfähig ist, d. h. sich sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des „Reisens" wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn). Zum anderen muss eine Abschiebung auch dann unterbleiben, wenn sie – außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bedeutet; dies ist der Fall, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solche (unabhängig vom Zielstaat) sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne). Es geht also nicht nur darum, während des eigentlichen Abschiebevorgangs selbstschädigende Handlungen eines aufgrund einer psychischen Erkrankung suizidgefährdeten Ausländers zu verhindern; eine Abschiebung hat vielmehr auch dann zu unterbleiben, wenn sich durch den Abschiebevorgang die psychische Erkrankung (wieder) verschlimmert, eine latent bestehende Suizidalität akut wird und deshalb die Gefahr besteht, dass der Ausländer unmittelbar vor oder nach der Abschiebung sich selbst tötet. Von einem inlandsbezogenen Abschiebungshindernis ist auch dann auszugehen, wenn sich die Erkrankung des Ausländers gerade aufgrund der zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland wesentlich verschlechtert, und nicht nur, wenn ein Suizid während der Abschiebung droht (BayVGH, Beschl. v. 23.10.2007 – 24 CE 07.484 –, Juris RdNr. 21). Die Frage, ob Maßnahmen bei der Gestaltung der Abschiebung – wie ärztliche Hilfe und Flugbegleitung – ausreichen, um der auf einer psychischen Erkrankung beruhenden ernsthaften Suizidgefahr wirksam zu begegnen, lässt sich erst aufgrund einer möglichst fundierten und genauen Erfassung des Krankheitsbildes und der sich daraus ergebenden Gefahren beantworten; eine abstrakte oder pauschale Zusicherung von Vorkehrungen wird dem gebotenen Schutz aus Art. 2 Abs. 2 GG nicht gerecht (OVG NW, Beschl. v. 09.05.2007 – 19 B 352/07 –, Juris RdNr. 7).

8

Macht ein Ausländer eine solche Reiseunfähigkeit geltend oder ergeben sich sonst konkrete Hinweise darauf, ist die für die Aussetzung der Abschiebung zuständige Ausländerbehörde verpflichtet, den aufgeworfenen Tatsachenfragen, zu deren Beantwortung im Regelfall medizinische Sachkunde erforderlich ist, im Rahmen ihrer Amtsaufklärungspflicht nach § 24 VwVfG i.V.m. § 1 VwVfG LSA nachzugehen, wobei der Ausländer zur Mitwirkung verpflichtet ist (§ 82 AufenthG). Kann die Reiseunfähigkeit trotz Vorliegens ärztlicher oder psychologischer Fachberichte nicht als erwiesen angesehen werden, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass für die Ausländerbehörde kein weiterer Aufklärungsbedarf besteht. Sie bleibt nach § 24 VwVfG i.V.m. § 1 VwVfG LSA verpflichtet, den Sachverhalt selbst weiter aufzuklären, wenn und soweit sich aus den ärztlichen oder psychologischen Äußerungen, dem Vortrag des Ausländers oder aus sonstigen Erkenntnisquellen ausreichende Indizien für eine Reiseunfähigkeit ergeben. Ist das der Fall, wird regelmäßig eine amtsärztliche Untersuchung oder die Einholung einer ergänzenden (fach-)ärztlichen Stellungnahme oder eines (fach-)ärztlichen Gutachtens angezeigt sein, da der Ausländerbehörde und auch den Verwaltungsgerichten die erforderliche medizinische Sachkunde zur Beurteilung einer mit der Abschiebung einhergehenden Gesundheitsgefahr und auch der Frage fehlen dürfte, mit welchen Vorkehrungen diese Gefahr ausgeschlossen oder gemindert werden könnte (vgl. VGH BW, Beschl. v. 06.02.2008 – 11 S 2439/07 –, Juris RdNr. 9).

9

Im Fall des Antragstellers zu 1 ist ein solcher weiterer Aufklärungsbedarf gegeben. Die vorliegenden ärztlichen und psychologischen Stellungnahmen gehen zwar davon aus, dass der Antragsteller zu 1 an einer psychischen Erkrankung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTSB) leidet und im Falle einer Abschiebung eine erhöhte Suizidgefahr besteht. Ob dies zutrifft, ist jedoch auch im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht erhobenen Einwände zweifelhaft. Die Problematik muss daher erst in einem ergänzenden fachärztlichen Gutachten abschließend geklärt werden.

10

Die Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie D. von der (…)-Praxis GmbH vom 12.03.2014 (GA Bl. 30) diagnostiziert bei dem Antragsteller zu 1 zwar eine posttraumatische Belastungsstörung, lässt aber nicht erkennen, auf Grund welcher Befundtatsachen die angesprochene Diagnose gestellt wurde, und legt auch nicht dar, welche Folgen sich aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben. Damit erfüllt sie die Anforderungen nicht, die nach der Rechtsprechung des Senats an die Glaubhaftmachung einer Krankheit als rechtliches Abschiebungshindernis zu stellen sind (vgl. Beschl. v. 08.02.2012 – 2 M 29/12 –, Juris RdNr. 11).

11

Die psychologischen Stellungnahmen der Psychologin S. vom 20.03.2013 (GA Bl. 35 – 36) sowie der Psychologin K. und des Systemischen Therapeuten D. vom Psychosozialen Zentrum für Migrantinnen und Migranten in Sachsen-Anhalt vom 21.05.2014 (GA Bl. 89 – 93) diagnostizieren bei dem Antragsteller zu 1 eine posttraumatische Belastungsstörung in Komorbidität mit einer mittelschweren Depression. Eine vorgetäuschte Diagnose schließen sie aus. Eine Abschiebungsankündigung bzw. eine Rückkehr in den Kosovo werde mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar psychische Dekompensation(en) und suizidale Verhaltensweisen zur Folge haben. Auch ein erweiterter Suizid erscheine möglich. Aus psychologisch-therapeutischer Sicht wäre eine Abschiebungsandrohung bzw. eine Rückkehr mit einer erheblichen Gesundheitsgefährdung bis hin zur Stimulation einer Selbstgefährdung des Antragstellers zu 1 verbunden. In der Stellungnahme vom 21.05.2014 wird darüber hinaus ausführlich dargestellt, auf welcher Grundlage die Diagnose gestellt wurde. Mit dem Antragsteller zu 1 seien seit dem 01.02.2013 insgesamt zehn Gespräche zur Diagnostik, Stabilisierung und unmittelbaren Krisenintervention geführt worden. Befund und Spontanangaben werden ausführlich wiedergegeben. Auf dieser Grundlage wird sowohl die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung in Komorbidität mit einer mittelschweren Depression gestellt als auch die Behandlungsbedürftigkeit beurteilt. Diese Stellungnahmen enthalten zwar ernst zu nehmende Hinweise auf eine mögliche Suizidgefahr bei einer Abschiebung des Antragstellers zu 1 in den Kosovo. Sie sind jedoch auch gewichtigen Einwänden ausgesetzt. Zunächst enthält insbesondere die zuletzt vorgelegte psychologische Stellungnahme vom 21.05.2014 keinen überzeugenden Nachweis eines Traumas. Voraussetzung für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung ist jedoch der Nachweis eines traumatischen Ereignisses (vgl. Ebert/Kindt, Die posttraumatische Belastungsstörung im Rahmen von Asylverfahren, VBlBW 2004, 41 <42>; Gierlichs u.a., Grenzen und Möglichkeiten klinischer Gutachten im Ausländerrecht, ZAR 2005, 158 <161>). Da die einschlägigen fachärztlichen bzw. psychologischen Gutachten wesentlich auf den Angaben des Betroffenen beruhen, bedarf es insoweit der Prüfung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Betroffenen (VGH BW, Beschl. v. 02.05.2000 – 11 S 1963/99 –, Juris RdNr. 7; SächsOVG, Beschl. v. 21.01.2014 – 3 B 476/13 –, Juris RdNr. 5; Middeke, Posttraumatisierte Flüchtlinge im Asyl- und Abschiebungsprozess, DVBl. 2005, 150 <151>). Von Bedeutung für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit ist dabei der Umstand, dass bestimmte Ereignisse, die im Rahmen der klinischen Begutachtung als traumatisierend dargestellt werden, bei der vorherigen Anhörung vor dem Bundesamt nicht angegeben wurden. Wird das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt, die schon längere Zeit zurückliegen, ist eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (SächsOVG, Beschl. v. 21.01.2014 – 3 B 476/13 – a.a.O. RdNr. 5 unter Hinweis auf BVerwG, Urt. v. 11.09.2007 – BVerwG 10 C 8.07 –, Juris RdNr. 15). Nach diesen Grundsätzen ist die Stellungnahme vom 21.05.2014 dem fachlichen Einwand ausgesetzt, dass nicht klar wird, worin das die posttraumatische Belastungsstörung auslösende Trauma liegen soll. Im Rahmen der Biographischen Anamnese werden Ereignisse aus dem Jahr 1999 nach Ausbruch des Kosovokrieges geschildert, aber auch zeitlich nachfolgende Bedrohungen und Misshandlungen in Serbien, Übergriffe von albanisch sprechenden Männern nach der Rückkehr der Antragsteller in das Kosovo sowie eine Bedrohung des Sohnes des Antragstellers zu 1 mit einer Pistole durch Nachbarn. Soweit die Ereignisse während des Kosovokrieges im Jahr 1999 als maßgeblich für das Trauma anzusehen sein sollten, wäre zu begründen, warum diese Umstände nicht schon während der Anhörung des Antragstellers zu 1 am 29.03.2010 durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgetragen wurden. Begründungsbedürftig ist ferner der Umstand, dass der Antragsteller zu 1 das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung erst im Jahr 2013 geltend gemacht hat, obwohl er bereits seit dem Jahr 2010 aus seiner Heimat ausgereist ist. Ein weiterer Mangel der Stellungnahme vom 21.05.2014 liegt darin, dass nicht explizit angegeben wird, nach welchen Kriterien eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wurde (vgl. dazu Ebert/Kindt, a.a.O. S. 42). Schließlich stellt sich noch die Frage, ob die beim Antragsteller zu 1 festgestellten Symptome nicht auch andere Ursachen als eine posttraumatische Belastungsstörung haben können, etwa die unkontrollierte Einnahme von Medikamenten und Halluzinogenen oder ein schweres Entwurzelungssyndrom.

12

Die Stellungnahmen der Amtsärztin S. vom 08.07.2013 und 10.03.2014 sowie der Amtsärztin M. vom 29.04.2014 und 20.05.2014 lassen ebenfalls keine abschließende Beurteilung der hier relevanten Fragestellung zu. In dem amtsärztlichen Gutachten zur Beurteilung der Flug- und Reisefähigkeit des Antragstellers zu 1 vom 08.07.2013 (GA Bl. 50) heißt es, dieser leide an einer psychischen Erkrankung, die akut exazerbiert sei. Zum jetzigen Zeitpunkt bestehe die akute Gefahr eines Suizids bzw. erweiterten Suizids. In der Stellungnahme vom 10.03.2014 (GA Bl. 49) heißt es, die Reisefähigkeit im weiteren Sinne sei aufgrund der psychischen Erkrankung des Antragstellers zu 1 nicht gegeben. In der Stellungnahme vom 29.04.2014 (GA Bl. 62) wird ausgeführt, es könnten keine wesentlichen Veränderungen der gesundheitlichen Situation des Antragstellers zu 1 festgestellt werden. Er habe weiterhin eine unbändige Angst vor der Abschiebung in sein Heimatland. Er reagiere damit, im Abschiebungsfall sich und seine Familie umzubringen. Die Flug- und Reisetauglichkeit sei nach wie vor unsicher, da in keiner Weise abzuschätzen sei, ob der Antragsteller zu 1 seine Drohungen wahr mache. In der Stellungnahme vom 20.05.2014 (GA Bl. 61) wird ergänzend ausgeführt, bei der Vorstellung im Gesundheitsamt habe der Antragsteller zu 1 überzeugend den Eindruck gemacht, dass er im Falle einer Abschiebung sich und seiner Familie etwas antun werde. Es bestehe eine bedingte Flug- und Reisefähigkeit. Bedingung sei die Minderung der Eigen- und Fremdgefährdung. Die sei durch Verzicht auf eine vorherige Ankündigung des Abschiebetages und eine fachärztliche Begleitung während des Fluges zu gewährleisten. In diesen Stellungnahmen wird weder angegeben, aufgrund welcher tatsächlichen Umstände die fachliche Beurteilung erfolgt ist, noch enthalten sie eine nachvollziehbare medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes oder eine nachvollziehbare Darlegung der Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben. Die in der Stellungnahme vom 20.05.2014 vertretene Annahme, eine hinreichende Minderung der Eigen- und Fremdgefährdung könne durch Verzicht auf eine vorherige Ankündigung des Abschiebetages und Gewährleistung einer fachärztlichen Begleitung während des Fluges sichergestellt werden, wird nicht näher begründet und stellt sich als reine Spekulation dar. Zur Klärung der im Tenor bezeichneten Fragen sind diese amtsärztlichen Stellungnahmen ungeeignet.

13

Vor diesem Hintergrund liegen zwar Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller zu 1 unter einer posttraumatische Belastungsstörung leidet und eine Abschiebung zu einer erheblichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung führt. Es verbleiben jedoch Zweifel. Bei dieser Sachlage kann über das Vorliegen des geltend gemachten Duldungsgrundes ohne fachärztliches Gutachten zur Klärung der im Tenor bezeichneten Fragen nicht entschieden werden. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist damit offen, so dass ein Anordnungsanspruch gegeben ist.

14

2. Auch die Antragstellerin zu 2 und die Antragsteller zu 3 – 6 haben einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Eine rechtliche Unmöglichkeit einer Abschiebung im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG kann sich aus inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen ergeben, zu denen auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa mit Blick auf Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind. Der Schutz des Art. 6 GG umfasst die Freiheit der Eheschließung und Familiengründung sowie das Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben. Sich hieraus ergebende schutzwürdige Belange können einer (zwangsweisen) Beendigung des Aufenthalts des Ausländers dann entgegen stehen, wenn es ihm nicht zuzumuten ist, seine tatsächlichen Bindungen zu berechtigterweise im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen durch Ausreise auch nur kurzfristig zu unterbrechen (Beschl. d. Senats v. 14.08.2014 – 2 L 115/13 – m.w.N.). Derartige schutzwürdige Belange liegen im Fall der Antragstellerin zu 2 und der Antragsteller zu 3 – 6 vor. Aufgrund der oben dargestellten Umstände besteht bei dem Antragsteller zu 1 möglicherweise ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis. Die übrigen Familienmitglieder können daher einstweilen eine gewünschte familiäre Lebensgemeinschaft im gemeinsamen Heimatland nicht führen. Eine alleinige auch nur kurzfristige Rückkehr ohne Begleitung durch den Antragsteller zu 1 in das Kosovo ist ihnen ebenfalls nicht zuzumuten.

15

3. Es besteht auch ein Anordnungsgrund. Der Antragsgegner beabsichtigt, die Antragsteller ohne vorherige Einholung eines fachärztlichen Gutachtens zur Suizidgefahr abzuschieben. Die vorläufige Sicherung des in der Hauptsache verfolgten Duldungsanspruchs ist daher zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes dringlich. Denn der Duldungsanspruch erlischt ebenso wie die Aussetzung selbst (vgl. § 60a Abs. 5 Satz 1 AufenthG) mit der Ausreise (vgl. VGH BW, Beschl. v. 06.02.2008 – 11 S 2439/07 – a.a.O. RdNr. 14). Er würde durch die Abschiebung daher vereitelt. Zudem ist eine Abschiebung ohne vorherige fachärztliche Begutachtung der damit nach den vorliegenden Erkenntnissen möglicherweise einhergehenden gesundheitlichen Risiken mit der staatlichen Schutzpflicht nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht zu vereinbaren.

16

II. Den Antragstellern ist auch die beantragte Prozesskostenhilfe zu gewähren, weil sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage sind, die Kosten der Prozessführung aufzubringen, die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht mutwillig erscheint und aus den vorstehend ausgeführten Gründen hinreichende Erfolgsaussichten zu bejahen sind (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO).

17

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

18

VI. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des beschließenden Senats, im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes den halben Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG je Antragsteller festzusetzen, soweit Streitgegenstand – wie hier – die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung ist.


Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass bei der Klägerin ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegt. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 07.09.2007 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Die Klägerin ist türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit. Sie reiste am 08.12.2002 in das Bundesgebiet ein. Am 09.01.2003 beantragte Sie die Gewährung von Asyl.
Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 19.03.2003 wurde der Asylantrag abgelehnt und festgestellt, dass weder die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG noch Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen, sowie mit einer Ausreisefrist von einem Monat die Abschiebung angedroht. Die hierauf eingelegten Rechtsmittel blieben ohne Erfolg (vgl. VG Stuttgart, Urt. v. 25.10.2005 - A 15 K 10904/03 - und VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.04.2006 - A 12 S 1096/05 -).
Mit Schriftsatz vom 10.05.2007 stellte die Klägerin einen Asylfolgeantrag und brachte zur Begründung vor, ihr Gesundheitszustand habe sich erheblich verschlimmert. Aufgrund ihres Gesundheitszustandes bestehe im Falle einer Abschiebung in die Türkei eine Gefahr für Leib und Leben. In der Türkei habe sie in massiver Weise Verfolgung und menschenrechtswidrige Behandlung erlitten; hierdurch sei sie in ihrer psychischen Integrität erheblich verletzt und traumatisiert worden. Gleichzeitig legte die Klägerin ein ärztliches Attest der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie - Psychotherapie Dr. Beier-Fügel vom 12.06.2006, ein Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 sowie ein Gutachten der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 12.04.2007 vor.
Mit Bescheid vom 07.09.2007 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und den Antrag auf Abänderung des Bescheids vom 19.03.2003 bezüglich der Feststellung zu § 53 Abs. 1 bis 6 AuslG ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1-3 VwVfG seien nicht erfüllt. Die vorgelegten ärztlichen Gutachten und Atteste könnten die Feststellungen im Urteil des VG Stuttgart vom 25.10.2005 nicht erschüttern. Bei den vorgelegten ärztlichen Gutachten und Attesten handele es sich um fachpsychiatrische Aussagen über den gegenwärtigen Gesundheitszustand der Klägerin und nicht um belastbare, verlässliche Analysen der Erlebnisse der Klägerin in der Türkei. Die Aussagen der Klägerin seien von den ärztlichen Gutachtern keiner nachvollziehbaren wissenschaftlichen Bewertung unterzogen worden. Am Wahrheitsgehalt des gesteigerten Sachvortrags der Klägerin bestünden Zweifel, da sie bereits im Erstasylverfahren trotz eingehender psychiatrischer Untersuchung die erlittene Vergewaltigung nicht erwähnt habe. Auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG liege nicht vor. Die Klägerin könne auf die zur Behandlung ihres Krankheitsbildes in der Türkei zur Verfügung stehenden medizinischen Möglichkeiten verwiesen werden.
Am 17.09.2007 hat die Klägerin Klage erhoben.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 07.09.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
10 
Sie verweist auf die angefochtene Entscheidung.
11 
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die zur Sache gehörenden Akten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
12 
Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit er dem entgegensteht.
13 
Allerdings ist das Bundesamt aufgrund des gestellten Asylfolgeantrags nicht gemäß § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG verpflichtet gewesen, das Verfahren im Hinblick auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wieder aufzugreifen. Insoweit steht dem Begehren der Klägerin ersichtlich § 51 Abs. 3 VwVfG entgegen, da das Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 den Prozessbevollmächtigten der Klägerin bereits am 16.01.2007 vorgelegen hat und in diesem Gutachten aufgrund umfassender Anamnese eine posttraumatische Belastungsstörung aufgrund erlittener Vergewaltigung der Klägerin diagnostiziert wurde. In diesem Gutachten wurde auch dargelegt, dass Belastungen jeglicher Art (und damit auch eine Rückkehr/Abschiebung der Klägerin in die Türkei) zu einer Gefährdung der Klägerin mit Dekompensation im Sinne einer Symptomverstärkung und Suizidalität führen werden. Spätestens mit Zugang dieses Gutachtens hatten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Sinne des § 51 Abs. 3 Satz 2 VwVfG Kenntnis von dem nunmehr in Anspruch genommenen Wiederaufgreifensgrund. Sie hätten ihn demnach binnen drei Monaten geltend machen müssen. Tatsächlich ist der Asylfolgeantrag erst am 11.05.2007 beim Bundesamt eingegangen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass dem Asylfolgeantrag ein weiteres Gutachten der Fachklinik für Psychiatrie und Psychologie Reutlingen vom 23.04.2007 beigefügt war. Denn dieses Gutachten vertieft nur das Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007, beinhaltet jedoch keine darüber hinausgehenden, substantiell neuen Tatsachen.
14 
Die Klägerin hat aber unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG einen Anspruch darauf, dass das Bundesamt eine positive Feststellung zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG trifft. Denn jenseits des § 71 AsylVfG, der nur den Asylantrag im Sinne von § 13 AsylVfG betrifft, kann sich aus §§ 51 Abs. 5, 48, 49 VwVfG und einer in deren Rahmen i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 und 2 GG gebotenen Ermessensreduzierung auf Null das Wiederaufgreifen des abgeschlossenen früheren Verwaltungsverfahrens, die Aufhebung des unanfechtbar gewordenen Verwaltungsakts und eine neue Sachentscheidung zu § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG dann ergeben, wenn tatsächlich Abschiebungsverbote vorliegen; auf die Frage, wann diese geltend gemacht worden sind, kommt es wegen des materiellen Schutzgehalts der Grundrechte nicht an (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.06.2000, DVBl. 2000, 179; BVerwG, Urteil vom 07.09.1999, InfAuslR 2000, 16 und Urteil vom 21.03.2000, NVwZ 2000, 940; VGH Baden-Württ., Beschluss vom 04.01.2000, NVwZ-RR 2000, 261). Einer Feststellung des geltend gemachten Abschiebungsverbots durch das Bundesamt steht auch nicht die Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung über die negative Feststellung des Bundesamts im Asylerstverfahren entgegen. Das Bundesamt ist nicht gehindert, einen rechtskräftig abgesprochenen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten zu erfüllen, wenn es erkennt, dass der Anspruch tatsächlich besteht und das rechtskräftige Urteil unzutreffend ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.12.1992, BVerwGE 91, 256; Urteil vom 27.01.1994, BVerwGE 95, 86 und Urteil vom 07.09.1999, NVwZ 2000, 204). Ob eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG vorliegt, ist somit ohne Rücksicht auf die Versagung asylrechtlichen Verfolgungsschutzes und ohne Bindung an etwa vorliegende rechtskräftige Gerichtsentscheidungen zu beurteilen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.12.1996, InfAuslR 1997, 284 und Urteil vom 30.03.1999, DVBl. 1999, 1213).
15 
Die Beklagte ist für den Anspruch der Klägerin auch passiv legitimiert. Das Bundesamt ist zur Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG auch bei solchen Folgeanträgen zuständig, die nach § 71 Abs. 1 AsylVfG nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führen (vgl. BVerwG, Urteil vom 07.09.1999, NVwZ 2000, 204; Beschluss vom 23.11.1999, NVwZ 2000, 941 und Urteil vom 21.03.2000, NVwZ 2000, 940). Schließlich ist das Verwaltungsgericht im Hinblick auf § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG auch befugt und verpflichtet, in der Sache durch zu entscheiden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.02.1998, NVwZ 1998, 861).
16 
Bei der Klägerin liegt ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vor. Das dem Bundesamt eingeräumte Ermessen auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf die Feststellung dieses Abschiebungsverbots ist deshalb auf Null reduziert (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 04.01.2000, NVwZ-RR 2000, 261). Selbst wenn eine Ermessensreduzierung auf Null eine extreme individuelle Gefahr voraussetzen sollte (vgl. BVerwG, Urt. vom 20.10.2004, BVerwGE 122, 103), ist die Beklagte vorliegend zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vorliegt, da sich die Klägerin krankheitsbedingt bei einer Rückkehr in die Türkei in einer extremen individuellen Gefahrensituation befinden würde.
17 
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Bestimmung fragt nicht danach, von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird; die Regelung stellt vielmehr lediglich auf das Bestehen einer konkreten Gefahr ab ohne Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.10.1995, NVwZ 1996, 199). Eine Aussetzung der Abschiebung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kommt jedoch nicht in Betracht, wenn die geltend gemachten Gefahren nicht landesweit drohen und der Ausländer sich ihnen durch Ausweichen in sichere Gebiete seines Herkunftslandes entziehen kann (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.10.1995 aaO.). Ein Ausländer kann schon dann auf einen alternativen Landesteil verwiesen werden, wenn ihm dort konkrete Gefahren i. S. d. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen; sonstige Mindestanforderungen an die Qualität und Verfolgungssicherheit des Aufenthalts in der Ausweichregion bestehen nicht (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. vom 22.07.1998 - A 6 S 3421/96 - juris -). Die Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit muss mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestehen. Die besondere Schwere eines drohenden Eingriffs ist im Rahmen der gebotenen qualifizierenden Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung, Abwägung und zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts vermittels des Kriteriums, ob die Wahrscheinlichkeit der Rechtsgutverletzung beachtlich ist, zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.10.1995 aaO. und Urt. vom 05.07.1994, InfAuslR 1995, 24). Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne ist gegeben, wenn die für den Eintritt der Gefahr sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (vgl. BVerwG, Beschl. vom 18.07.2001, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 46).
18 
Auch die drohende Verschlimmerung einer Krankheit wegen ihrer nur unzureichenden medizinischen Behandlung im Zielstaat der Abschiebung kann ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen (vgl. BVerwG, Urt. vom 25.11.1997, BVerwGE 105, 383 = NVwZ 1998, 524; Urt. vom 27.04.1998, NVwZ 1998, 973 und Urt. vom 21.09.1999, NVwZ 2000, 206). Von einer Verschlimmerung ist auszugehen, wenn eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands droht; konkret ist diese Gefahr, wenn die Verschlechterung alsbald nach der Rückkehr in den Heimatstaat eintreten würde (vgl. BVerwG, Urt. vom 25.11.1997 aaO und Urt. vom 29.07.1999 - 9 C 2/99 - Juris -). Ob die Gefahr der Verschlechterung der Gesundheit durch die individuelle Konstitution des Ausländers bedingt oder mitbedingt ist, ist unerheblich (vgl. BVerwG, Urt. vom 29.07.1999 aaO). Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation im Zielstaat zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.2002, NVwZ-Beilage I 2003, 53 = DVBl 2003, 463 und Beschluss vom 29.04.2003, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 60; VGH Kassel, Urteil vom 24.06.2003, AuAS 2004, 20). Die mögliche Unterstützung durch Angehörige im In- oder Ausland ist in die gerichtliche Prognose, ob bei Rückkehr eine Gefahr für Leib oder Leben besteht, mit einzubeziehen (vgl. BVerwG, Beschl. vom 01.10.2001, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 51).
19 
Nach diesen Kriterien steht der Klägerin ein Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG hinsichtlich der Türkei zu. Die Klägerin leidet ausweislich der von ihr vorgelegten Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 an einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10: F 43.1) und (so die Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen) an einer schweren Depression ohne psychotische Symptome (ICD-10: F 32.2).
20 
Bei der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) handelt es sich um ein komplexes psychisches Krankheitsbild. Die posttraumatische Belastungsstörung entsteht als eine verzögerte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde und mit starker Furcht und Hilflosigkeit einhergeht. Typische Merkmale der PTBS sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (sog. Intrusionen), die so weit gehen können, dass der Körper das schlimme Ereignis noch einmal wie in der Ursprungssituation nacherlebt (flashbacks). Weitere Merkmale sind das andauernde Gefühl von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit, Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber und Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Hinzu tritt gewöhnlich ein Zustand vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung und eine übermäßige Schreckhaftigkeit und Schlaflosigkeit. Angst und Depressionen sind häufig mit den vorstehend genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert, und Suizidgedanken sind nicht selten. Die PTBS kann zu einer Beeinträchtigung des Erinnerungs- und Wiedergabevermögens und zu Konzentrationsschwierigkeiten führen, zu Schweigsamkeit aus Scham, Angst vor Erinnerung, Apathie (vgl. zum Vorstehenden Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Auflage, Seite 750 ff.; Loesel/Bender, Asylpraxis Band 7 S. 175 ff.; Koch, Asylpraxis Band 9 S. 61 ff.; Haenel, Asylpraxis Band 9, S. 111 ff., Marx, InfAuslR 2000, 357 ff; Treiber, ZAR 2002, 282 ff.; Middeke, DVBl. 2004, 150 ff.). Die posttraumatische Belastungsstörung ist in der Auflistung aller Krankheiten durch die Weltgesundheitsorganisation unter F 43.1 der ICD 10 enthalten (vgl. Dilling u.a., Internationale Klassifikation psychischer Störungen, 3. Auflage, S. 121).
21 
In der internationalen Klassifikation sind Traumata definiert als kurz oder lang anhaltende Ereignisse oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß, die nahezu bei jedem Betroffenen tiefgreifende Verzweiflung auslösen werden (vgl. Koch in: Asylpraxis, Band 9, Seite 61, 69ff). Man unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen traumatischen Ereignissen in Folge von Unfällen oder Katastrophen und willentlich durch Menschen verursachten Traumata (z. B. Folter, Misshandlung, Vergewaltigung und Kriegserlebnisse). Da es sich bei der PTBS um ein innerpsychisches Erlebnis handelt, das sich einer Erhebung äußerlich objektiver Befundtatsachen weitgehend entzieht, kommt es in besonderem Maße auf die Glaubhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit eines geschilderten inneren Erlebnisses und der zugrunde liegende faktischen äußeren Erlebnistatsachen an, was wiederum angesichts der Komplexität und Schwierigkeit des Krankheitsbildes eine eingehende Befassung des Arztes mit dem Patienten erfordert. Regelmäßig sind tragfähige Aussagen zur Traumatisierung erst nach mehreren Sitzungen über eine längere Zeit möglich. Auch bedarf es unter anderem einer gründlichen Anamnese sowie einer schlüssigen und nachvollziehbaren Herleitung des im Übrigen genau zu definierenden Krankheitsbildes (vgl. Treiber a.a.O.; Loesel/Bender a.a.O.). Es gibt keine PTBS ohne Trauma und auch beim Vorliegen aller Symptome einer PTBS kann eine solche nur diagnostiziert werden, wenn auch ein entsprechendes Trauma vorhanden war. Aus den Symptomen kann nicht rückgeschlossen werden, dass ein Trauma stattgefunden hat (vgl. Venzlaff/Foerster a.a.O. S. 752; Steller in Sonderheft für Gerhard Schäfer, NJW-Beilage 2002, S. 69, 71; Ebert/Kindt, VBlBW 2004, 41 f.; a.A. Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321).
22 
Nach den Feststellungen der Sachverständigen Dr. K (Michael-Balint-Klinik) und Dr. N (Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen) erbrachten ihre eigenen Untersuchungen der Klägerin die sichere Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die für diese Krankheit nach ICD-10: F 43.1 erforderlichen diagnostischen Kriterien seien erfüllt. An der Richtigkeit dieser Ausführungen hegt das Gericht keine Zweifel. Die Feststellungen in dem Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und im Gutachten der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 sind eindeutig, in sich widerspruchsfrei und nachvollziehbar. Die Gutachter haben andere differentialdiagnostische Erwägungen angestellt, diese jedoch verworfen. Aus beiden Gutachten geht eindeutig hervor, auf welcher Grundlage die Sachverständigen ihre Diagnose gestellt haben und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Die Gutachten geben auch Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf. Für diese psychotraumatologischen Fachfragen gibt es keine eigene Sachkunde der Behörde oder des Gerichts (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.05.2006, NVwZ 2007, 345 und Urt. v. 11.09.2007 - 10 C 8/07 - juris -). Soweit das Bundesamt das Vorliegen der fachärztlich diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung verneint, weil es das Vorhandensein eines traumatisierenden Ereignisses als nicht hinreichend belegt ansieht, fehlt ihm für diese Aussage ohne Einholung eines eigenen medizinischen Sachverständigengutachtens die notwendige Sachkunde.
23 
Das Bundesamt ist erkennbar auch der Auffassung, bei den medizinischen Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 fehle die inhaltliche Analyse der erhobenen Aussagen der Klägerin in Bezug auf das Vorliegen und den Ausprägungsgrad von Glaubhaftigkeitsmerkmalen (Konstanz- und Motivationsanalyse, Fehlerquellen- und Kompetenzanalyse). Dieses Vorbringen deutet darauf hin, dass das Bundesamt den Unterschied zwischen aussagepsychologischen und klinischen Gutachten nicht kennt. Aussagepsychologische Gutachten äußern sich zu Aussagen über ein Geschehen. Die aussagepsychologische Begutachtung wurde entwickelt, um mit Hilfe der Inhaltsanalyse einer Aussage und unter Berücksichtigung der Entstehungsgenese, der Kompetenz und der Motivation des Untersuchten sowie mit Hilfe des Vergleichs verschiedener Aussagen einer Person zu unterschiedlichen Zeiten (Konstanzanalyse) die Frage zu klären, inwieweit die Schilderungen glaubhaft und zuverlässig sind. Klinische Gutachten äußern sich hingegen zu der Frage, ob jemand gesund oder krank ist und dazu, welche Erkrankungen gegebenenfalls vorliegen. Forensische aussagepsychologische Gutachten liegen aber außerhalb des Kompetenzbereichs eines Facharztes oder Psychotherapeuten. Klinische Gutachten oder Stellungnahmen zu Fragen nach bestehenden psychischen Traumafolgen analysieren Aussagen nicht anhand der Kriterien der Aussagepsychologie. Diese Kriterien (Konstanzanalyse, Aussageentstehung und Aussageentwicklung oder Motivationsanalyse) gehören deshalb nicht in den Rahmen eines klinischen Gutachtens. Klinische Gutachten können allenfalls wesentliche Anhaltspunkte enthalten, die für oder gegen den Erlebnisbezug von Aussagen zur traumatischen Vorgeschichte sprechen (vgl. zum Ganzen Venzlaff/Foerster a.a.O. S. 752; Gierlichs u.a., ZAR 2005, 158 ff; Wenk-Ansohn u.a., Anforderungen an Gutachten, Einzelentscheiderbrief 8 und 9/2002, 3; Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321, 322). Unabhängig hiervon haben sich die Gutachter Dr. K und Dr. N mit der Glaubhaftigkeit des Vorbringens der Klägerin nachhaltig beschäftigt. Eine Simulation und Aggravation wurde von beiden Gutachtern überzeugend ausgeschlossen.
24 
Da nach dem Vorgenannten weder mit psychiatrisch-psychotherapeutischen Mitteln noch mit Hilfe der Psychopathologie sicher erschlossen werden kann, ob tatsächlich ein traumatisches Ereignis stattgefunden hat und wie dieses geartet war, muss das behauptete traumatisierende Ereignis zur Überzeugung des Gerichts stattgefunden haben (ebenso VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.10.2006, VBlBW 2007, 116; vgl. aber auch BVerwG, Beschl. v. 18.07.2001, DVBl 2002, 53: Glaubhaftigkeitsprüfung unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen bei Traumatisierung). Dies ist vorliegend der Fall. Aufgrund der Einvernahme der Klägerin in der mündlichen Verhandlung und aufgrund der ausführlich wiedergegebenen Anamnesen in den Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 ist das Gericht der Überzeugung, dass die Klägerin tatsächlich im März 2002 von einem Angehörigen türkischer Sicherheitskräfte vergewaltigt wurde. Sie hat dieses Ereignis mit hinreichenden Realkennzeichen bei der Anamneseerhebung durch die Michael-Balint-Klinik geschildert. Außerdem hatte sie bereits im Erstasylverfahren vorgetragen, seit März 2002 Probleme in der Türkei gehabt zu haben; dieses Datum korrespondiert mit den Angaben der Klägerin im Asylfolgeverfahren, wonach sie im März 2002 die Vergewaltigung durch einen türkischen Polizisten erlitten habe. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass die Klägerin die Vergewaltigung erst nach dem Erstasylverfahren benannt hat. Aus der psychotraumatologischen Forschung ist bekannt, dass traumatische Erinnerungen eher fragmentarischen Charakter haben und dass gerade bei traumatisierten Personen charakteristische Gedächtnisstörungen krankheitsbedingt die Regel sind. Hinzu kommt, dass traumatisierte Menschen oft jene Ereignisse verschweigen, die als besonders schmerzhaft erlebt wurden oder die stark schambesetzt sind. Dieses Vermeidungsverhalten ist Teil des Krankheitsbildes und nur bedingt willentlich beeinflussbar (vgl. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Auflage, Seite 752; Hinckeldey/Fischer, Psychotraumatologie der Gedächtnisleistung; Birck, Traumatisierte Flüchtlinge sowie in ZAR 2002, 28 ff.; Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321, 322; Mehari, Koch, Bittenbinder, Wirtgen, Haenel, Hüther in: Asylpraxis, Band 9 Seite 17 ff.; ebenso OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris -). Bei traumatisierten Personen können somit die bei der Glaubhaftigkeitsprüfung relevanten Kriterien wie Detailreichtum, Farbigkeit der Darstellung, logische Kohärenz, Homogenität, innere Widerspruchsfreiheit und Konstanz der Aussage nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden (vgl. Treiber, ZAR 2002, 282; Middeke, DVBl. 2004, 150, 151; Marx, InfAuslR 2003, 21, 23; Koch in: Asylpraxis Band 9, Seite 61ff, 88). Deshalb wird im Hinblick auf die Schilderung des Traumageschehens bei einem traumatisierten Asylbewerber ein qualifizierter Beweisnotstand angenommen, der zu einer Herabsetzung der Anforderungen an die Schlüssigkeit des tatsächlichen Vorbringens und damit auch an den Nachweis eines Verfolgungsgeschehens führt (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 10.05.2002 - 10 A 11457/01 -; OVG Münster, Beschl. v. 07.01.1998, AuAS 1998, 105; OVG Weimar, Urt. v. 25.09.2003, NVwZ-RR 2004, 455 und Urt. v. 18.03.2005, Asylmagazin 7-8/2005, 34; OVG Greifswald, Urt. v. 13.04.2000, AuAS 2000, 221).
25 
Wegen der Eigentümlichkeit, dass die Traumatisierten oft erst im Rahmen einer bereits greifenden therapeutischen Bemühung in der Lage sind, über das Geschehene Auskunft zu geben, kann in der äußerlichen Widersprüchlichkeit von Angaben kein ausschlaggebendes Moment ausgemacht werden, das der Annahme des der Feststellung der posttraumatischen Belastungsstörung zugrunde liegenden Traumas entgegensteht (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 23.09.2003, Asylmagazin 4/2004, 33). Der Glaubhaftigkeit der von der Klägerin im Asylfolgeverfahren dargelegten erlittenen Vergewaltigung im März 2002 steht deshalb nicht entgegen, dass sie sich weder bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt am 14.01.2003 noch bei den Begutachtungen durch das Klinikum Weissenhof und durch die psychologische Beratungsstelle Stuttgart in der Lage gesehen hat, die in der Türkei erlebte Erniedrigung zu berichten. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin glaubhaft dargelegt, dass sie aus Angst, ihr vor der Tür wartender Ehemann könne ihre Angaben mithören, keine Aussagen im Klinikum Weissenhof und in der psychologischen Beratungsstelle Stuttgart zu der erlittenen Vergewaltigung gemacht hat. Auch in der mündlichen Verhandlung war die tief sitzende Furcht der Klägerin mit Händen greifbar, ihre Angaben im Sitzungssaal könnten von dem im Wartebereich aufhältigen Ehemann mitgehört werden. Bei der Anamneseerhebung durch Dr. N in der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen hinderte ein intrusives, flashback-artiges Wiedererleben der Vergewaltigung die Klägerin daran, über das konkrete Vergewaltigungsgeschehen zu sprechen; die Klägerin war über mehr als 15 Minuten nicht zu beruhigen und verbal nicht mehr zu erreichen. Eine notfallmäßige Klinikaufnahme zur Krisenintervention wurde vom Gutachter in Erwägung gezogen. Auch der persönliche Eindruck, den die Klägerin in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, hat bestätigt, dass sie nur unter Aufbietung aller ihrer Kräfte und unter Tränen und Weinanfällen zu Andeutungen über den erlittenen sexuellen Missbrauch in der Lage ist.
26 
Im Übrigen müsste auch dem Bundesamt bekannt sein, dass das Selbstbild der von sexualisierter Gewalt betroffenen Frauen aus der Türkei (gleiches gilt aber auch für Frauen aus dem Irak, aus Bosnien und aus dem Kosovo) geprägt ist vom Gedanken des Entehrtseins und deren Gefühlswelt von Scham, Wertlosigkeit, Selbstverurteilung und Schuld erfüllt ist. Um in der sozialen Gemeinschaft weiter existieren zu können und aus Angst davor, vom Ehemann verstoßen zu werden, entschließen sich die meisten dieser Frauen, über die erlebten sexuellen Übergriffe durch Sicherheitskräfte nicht zu sprechen. Angaben über sexualisierte Gewalt stellen vor dem Hintergrund islamisch geprägter Traditionen nicht nur für die betroffene Frau, sondern auch für deren Ehemann und die gesamte Familie eine neuerliche Entehrung dar. Deshalb kommen Aussagen zu sexualisierten Gewalterfahrungen bei muslimischen Frauen erst unter größtem Druck, wenn beispielsweise die Abschiebung unmittelbar droht, zustande (vgl. zum Ganzen Haenel/Wenk-Ansohn, Begutachtung psychisch reaktiver Traumafolgen in aufenthaltsrechtlichen Verfahren, S. 160 ff.; Birck, ZAR 2002, 28, 31; Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321, 323).
27 
Gegen die Richtigkeit der in den Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 gestellten Diagnose posttraumatische Belastungsstörung spricht auch nicht das späte Auftreten der von der Klägerin geschilderten Krankheitssymptome. Entgegen der vom Bundesamt häufig vertretenen Auffassung tritt die posttraumatische Belastungsstörung nicht regelmäßig innerhalb von sechs Monaten nach dem traumatischen Ereignis auf. Diese Zeitspanne wird in der ICD-10 für F 43.1 nur als häufigste Latenz angegeben. In der (ausführlicheren) DSM-IV wird ausdrücklich auf eine PTBS mit verzögertem Beginn hingewiesen. Nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen können traumabedingte Störungen einschließlich posttraumatischer Belastungsstörungen auch mit jahrelanger bis zum Teil jahrzehntelanger Latenz auftreten (vgl. Gierlichs, Asylmagazin 7-8/2003, 53 sowie in ANA-ZAR 5/2007, 33 m.w.N.). In der ergänzenden Stellungnahme an das Gericht vom 11.01.2008 hat auch Dr. N, der anerkanntermaßen ein ausgewiesener Fachmann auf dem Gebiet der Psychotraumatologie ist, dargelegt, dass der Ausbruch der Symptome der PTBS von vielfältigen Umgebungsfaktoren abhängen kann, die beispielsweise eine Kompensation ermöglichen oder Verdrängung/Verleugnung des Traumas erforderlich machen können.
28 
Nach dem Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 ist bei einer erzwungenen Rückkehr der Klägerin in die Türkei aufgrund der Retraumatisierung mit Dekompensation mit massivster Verschlechterung der psychischen Erkrankung mit akuter Lebensgefährdung zu rechnen. Den ärztlichen Feststellungen zufolge leidet die Klägerin an Einschlaf- und Durchschlafstörungen, unter Gedankenkreisen und Grübeln und unter einem kompletten Libidoverlust; weiter traten bei den Explorationen Hitzewallungen, Kopfschmerzen, Schwindel und brennende Hände „wie Feuer“ auf. Schließlich wird in den Gutachten über massive Lebensunlust, Todessehnsucht und über vier Suizidversuche berichtet. Diese ärztlichen Feststellungen sind klar, eindeutig und überzeugend. Im Übrigen handelt es sich bei der Einschätzung des Krankheitsverlaufs und der gesundheitlichen Folgen wiederum um medizinische Fachfragen, für die es keine eigene Sachkunde der Behörde oder des Gerichts gibt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.05.2006, NVwZ 2007, 345).
29 
Unter dem Begriff der „Retraumatisierung“ wird die durch äußere Ursachen oder Bedingungen, die dem zugrundeliegenden traumatischen Erlebnis gleichen, ähneln oder auch nur Anklänge daran haben, ausgelöste Reaktualisierung der inneren Bilder des traumatischen Erlebens in der Vorstellung und den körperlichen Reaktionen des Betroffenen verstanden, die mit der vollen oder gesteigerten Entfaltung des Symptombildes der ursprünglichen traumatischen Reaktion auf der körperlichen, psychischen und sozialen Ebene einhergeht (vgl. Marx, InfAuslR 2000, 357, 360 m.w.N.). Die Folge davon kann eine akute Dekompensation wie z. B. schwere depressive Reaktion, psychotische Dekompensation, suizidale Handlung und anderes sein und zu einer dauerhaften Verschlimmerung oder Chronifizierung des posttraumatischen Krankheitsprozesses führen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris -).
30 
Bereits diese konkrete Gefahr der Retraumatisierung begründet ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (ebenso VGH München, Urt. v. 20.10.1999 - 23 B 98.30524; VGH Kassel, Urt. v. 26.02.2007 - 4 UE 1125/05.A - juris -; OVG Koblenz, Urt. v. 09.02.2007 - 10 A 10952/06.OVG - ; OVG Schleswig, Beschl. v. 28.09.2006 - 4 LB/06 -; OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris - und Urt. v. 12.09.2007 - 8 LB 210/05 - juris -). Die Gefahr der Retraumatisierung lässt sich nicht auf den eigentlichen Ort eingrenzen, an dem die Verletzungshandlung erfolgte, denn auch andere Orte und Personen im Heimatland, die dem zugrundeliegenden traumatischen Erlebnis gleichen, ähneln oder auch nur Anklänge daran haben, führen zu einer Reaktualisierung der inneren Bilder des traumatischen Erlebens in der Vorstellung und den körperlichen Reaktionen des Betroffenen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 28.02.2005 - 11 LB 121/04 und Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/ 05 - juris -), so dass im Falle der Klägerin die Gefahr der Retraumatisierung konkret und landesweit gegeben ist.
31 
Diese konkrete und landesweite Gefahr im Falle einer Abschiebung in die Türkei ist durch eine mögliche medikamentöse Behandlung im Zielstaat der Abschiebung nicht zu verhindern (vgl. Gierlichs/Wenk-Ansohn, ZAR 2005, 405, 408; Gierlichs u.a., ZAR 2005, 158, 163). Der erheblichen Gesundheits- und Lebensgefahr für die Klägerin kann auch nicht dadurch wirksam begegnet werden, dass sie sich unverzüglich nach der Rückkehr in ihr Heimatland in psychologische oder psychiatrische Behandlung begibt. Denn Menschen mit traumatogenen Störungen können in einer Umgebung, die Intrusionen stimuliert und kein Vermeidungsverhalten erlaubt, nicht behandelt werden (vgl. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl., S. 753). Nach fachwissenschaftlichen Erkenntnissen ist eine erfolgreiche Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen nur in einer sicheren Umgebung und bei Schutz vor weiterer Traumaeinwirkung möglich (vgl. Stellungnahme der wissenschaftlichen Fachgesellschaften, veröffentlicht in: http://www.aerzteblatt.de/v4/plus/down.asp ? typ=PDF&id=1166 ; Koch in: Asylpraxis Band 9 S. 61, 78; Gierlichs/Wenk-Ansohn, ZAR 2005, 405, 408; Gierlichs, ZAR 2006, 277, 279; Bittenbinder in: Asylpraxis Band 9, S. 35, 54 ff.; Graessner u.a., Die Spuren von Folter, S. 77 ff.; ebenso OVG Koblenz, Urt. v. 23.09.2003, Asylmagazin 4/2004, 33; OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris -).
32 
Unabhängig hiervon wird die Klägerin vor dem Hintergrund der bei ihr bestehenden schweren Erkrankung und der schon heute gezeigten extremen Destabilisierung nicht in der Lage sein, in der Türkei im Anschluss an ihre Abschiebung und die damit für sie zwangsläufig verbundene Verschlimmerung ihres Gesundheitszustandes die für sie alsdann noch umso dringlicher gebotene medizinische Hilfe zu erfahren, zumal die hier vorliegende Traumatisierung durch Vergewaltigung einen Fall mit einer besonders ungünstigen Prognose, nämlich den Fall des sog. „man made disaster“ (vgl. Koch in: Asylpraxis Band 9 Seite 71) darstellt. Denn unabhängig von der Frage, ob posttraumatische Belastungsstörungen in der Türkei behandelbar sind und ob die Klägerin eine solche Behandlung unter finanziellen Gesichtspunkten erreichen könnte, gilt im vorliegenden Fall, dass die Klägerin nach ihrer Rückkehr aufgrund ihres Rückzugsverhaltens, ihrer Depressivität und ihrer Ängste nicht in der Lage sein wird, eine solche Behandlung aus eigener Kraft oder durch entsprechende Einwirkungen durch Verwandte mittels deren Hilfestellung anzutreten. Für die Klägerin besteht somit bei einer Rückkehr in die Türkei ungeachtet der vom Bundesamt behaupteten Behandlungsmöglichkeiten die ganz konkrete Gefahr eines psychischen Zusammenbruchs, wenn nicht gar des Suizids, und damit eine extreme individuelle Gefahrensituation.
33 
Steht danach zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich der Krankheitszustand der Klägerin im Falle einer Abschiebung in ihr Herkunftsland alsbald nach ihrer Rückkehr wesentlich bzw. angesichts ihrer erheblichen Suizidalität sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde, so steht ihr ein Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Türkei zu. Die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wird nicht durch § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG gesperrt. Angesichts des vielfältigen Symptombildes der posttraumatischen Belastungsstörung kann nicht angenommen werden, dass diesbezüglich ein Bedürfnis nach einer ausländerpolitischen Leitentscheidung nach § 60 a Abs. 1 AufenthG besteht (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 18.07.2006 - 1 C 16/05 - Juris -). Im Übrigen ist inzwischen allgemein anerkannt, dass die an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankten Personen, deren Erkrankung auf willentlich durch Menschen verursachte Traumata beruht, nicht Teil einer Bevölkerungsgruppe sind (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 16.02.2004, Asylmagazin 6/2004, 30; OVG Koblenz, Urt. v. 23.09.2003, Asylmagazin 4/2004, 33 und Urt. v. 09.02.2007 - 10 A 10952/06.OVG- ; VGH Kassel, Beschl. v. 09.01.2006 - 7 ZU 1831/05.A -).
34 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, § 83 b AsylVfG.

Gründe

 
12 
Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit er dem entgegensteht.
13 
Allerdings ist das Bundesamt aufgrund des gestellten Asylfolgeantrags nicht gemäß § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG verpflichtet gewesen, das Verfahren im Hinblick auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wieder aufzugreifen. Insoweit steht dem Begehren der Klägerin ersichtlich § 51 Abs. 3 VwVfG entgegen, da das Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 den Prozessbevollmächtigten der Klägerin bereits am 16.01.2007 vorgelegen hat und in diesem Gutachten aufgrund umfassender Anamnese eine posttraumatische Belastungsstörung aufgrund erlittener Vergewaltigung der Klägerin diagnostiziert wurde. In diesem Gutachten wurde auch dargelegt, dass Belastungen jeglicher Art (und damit auch eine Rückkehr/Abschiebung der Klägerin in die Türkei) zu einer Gefährdung der Klägerin mit Dekompensation im Sinne einer Symptomverstärkung und Suizidalität führen werden. Spätestens mit Zugang dieses Gutachtens hatten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Sinne des § 51 Abs. 3 Satz 2 VwVfG Kenntnis von dem nunmehr in Anspruch genommenen Wiederaufgreifensgrund. Sie hätten ihn demnach binnen drei Monaten geltend machen müssen. Tatsächlich ist der Asylfolgeantrag erst am 11.05.2007 beim Bundesamt eingegangen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass dem Asylfolgeantrag ein weiteres Gutachten der Fachklinik für Psychiatrie und Psychologie Reutlingen vom 23.04.2007 beigefügt war. Denn dieses Gutachten vertieft nur das Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007, beinhaltet jedoch keine darüber hinausgehenden, substantiell neuen Tatsachen.
14 
Die Klägerin hat aber unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG einen Anspruch darauf, dass das Bundesamt eine positive Feststellung zu § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG trifft. Denn jenseits des § 71 AsylVfG, der nur den Asylantrag im Sinne von § 13 AsylVfG betrifft, kann sich aus §§ 51 Abs. 5, 48, 49 VwVfG und einer in deren Rahmen i.V.m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 und 2 GG gebotenen Ermessensreduzierung auf Null das Wiederaufgreifen des abgeschlossenen früheren Verwaltungsverfahrens, die Aufhebung des unanfechtbar gewordenen Verwaltungsakts und eine neue Sachentscheidung zu § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG dann ergeben, wenn tatsächlich Abschiebungsverbote vorliegen; auf die Frage, wann diese geltend gemacht worden sind, kommt es wegen des materiellen Schutzgehalts der Grundrechte nicht an (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.06.2000, DVBl. 2000, 179; BVerwG, Urteil vom 07.09.1999, InfAuslR 2000, 16 und Urteil vom 21.03.2000, NVwZ 2000, 940; VGH Baden-Württ., Beschluss vom 04.01.2000, NVwZ-RR 2000, 261). Einer Feststellung des geltend gemachten Abschiebungsverbots durch das Bundesamt steht auch nicht die Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung über die negative Feststellung des Bundesamts im Asylerstverfahren entgegen. Das Bundesamt ist nicht gehindert, einen rechtskräftig abgesprochenen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten zu erfüllen, wenn es erkennt, dass der Anspruch tatsächlich besteht und das rechtskräftige Urteil unzutreffend ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 08.12.1992, BVerwGE 91, 256; Urteil vom 27.01.1994, BVerwGE 95, 86 und Urteil vom 07.09.1999, NVwZ 2000, 204). Ob eine Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG vorliegt, ist somit ohne Rücksicht auf die Versagung asylrechtlichen Verfolgungsschutzes und ohne Bindung an etwa vorliegende rechtskräftige Gerichtsentscheidungen zu beurteilen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.12.1996, InfAuslR 1997, 284 und Urteil vom 30.03.1999, DVBl. 1999, 1213).
15 
Die Beklagte ist für den Anspruch der Klägerin auch passiv legitimiert. Das Bundesamt ist zur Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG auch bei solchen Folgeanträgen zuständig, die nach § 71 Abs. 1 AsylVfG nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führen (vgl. BVerwG, Urteil vom 07.09.1999, NVwZ 2000, 204; Beschluss vom 23.11.1999, NVwZ 2000, 941 und Urteil vom 21.03.2000, NVwZ 2000, 940). Schließlich ist das Verwaltungsgericht im Hinblick auf § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG auch befugt und verpflichtet, in der Sache durch zu entscheiden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.02.1998, NVwZ 1998, 861).
16 
Bei der Klägerin liegt ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vor. Das dem Bundesamt eingeräumte Ermessen auf Wiederaufgreifen des Verfahrens im Hinblick auf die Feststellung dieses Abschiebungsverbots ist deshalb auf Null reduziert (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 04.01.2000, NVwZ-RR 2000, 261). Selbst wenn eine Ermessensreduzierung auf Null eine extreme individuelle Gefahr voraussetzen sollte (vgl. BVerwG, Urt. vom 20.10.2004, BVerwGE 122, 103), ist die Beklagte vorliegend zu verpflichten festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vorliegt, da sich die Klägerin krankheitsbedingt bei einer Rückkehr in die Türkei in einer extremen individuellen Gefahrensituation befinden würde.
17 
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Bestimmung fragt nicht danach, von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird; die Regelung stellt vielmehr lediglich auf das Bestehen einer konkreten Gefahr ab ohne Rücksicht darauf, ob sie vom Staat ausgeht oder ihm zumindest zuzurechnen ist (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.10.1995, NVwZ 1996, 199). Eine Aussetzung der Abschiebung nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kommt jedoch nicht in Betracht, wenn die geltend gemachten Gefahren nicht landesweit drohen und der Ausländer sich ihnen durch Ausweichen in sichere Gebiete seines Herkunftslandes entziehen kann (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.10.1995 aaO.). Ein Ausländer kann schon dann auf einen alternativen Landesteil verwiesen werden, wenn ihm dort konkrete Gefahren i. S. d. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen; sonstige Mindestanforderungen an die Qualität und Verfolgungssicherheit des Aufenthalts in der Ausweichregion bestehen nicht (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. vom 22.07.1998 - A 6 S 3421/96 - juris -). Die Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit muss mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bestehen. Die besondere Schwere eines drohenden Eingriffs ist im Rahmen der gebotenen qualifizierenden Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung, Abwägung und zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts vermittels des Kriteriums, ob die Wahrscheinlichkeit der Rechtsgutverletzung beachtlich ist, zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urt. vom 17.10.1995 aaO. und Urt. vom 05.07.1994, InfAuslR 1995, 24). Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne ist gegeben, wenn die für den Eintritt der Gefahr sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deswegen gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (vgl. BVerwG, Beschl. vom 18.07.2001, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 46).
18 
Auch die drohende Verschlimmerung einer Krankheit wegen ihrer nur unzureichenden medizinischen Behandlung im Zielstaat der Abschiebung kann ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG darstellen (vgl. BVerwG, Urt. vom 25.11.1997, BVerwGE 105, 383 = NVwZ 1998, 524; Urt. vom 27.04.1998, NVwZ 1998, 973 und Urt. vom 21.09.1999, NVwZ 2000, 206). Von einer Verschlimmerung ist auszugehen, wenn eine wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustands droht; konkret ist diese Gefahr, wenn die Verschlechterung alsbald nach der Rückkehr in den Heimatstaat eintreten würde (vgl. BVerwG, Urt. vom 25.11.1997 aaO und Urt. vom 29.07.1999 - 9 C 2/99 - Juris -). Ob die Gefahr der Verschlechterung der Gesundheit durch die individuelle Konstitution des Ausländers bedingt oder mitbedingt ist, ist unerheblich (vgl. BVerwG, Urt. vom 29.07.1999 aaO). Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation im Zielstaat zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.2002, NVwZ-Beilage I 2003, 53 = DVBl 2003, 463 und Beschluss vom 29.04.2003, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 60; VGH Kassel, Urteil vom 24.06.2003, AuAS 2004, 20). Die mögliche Unterstützung durch Angehörige im In- oder Ausland ist in die gerichtliche Prognose, ob bei Rückkehr eine Gefahr für Leib oder Leben besteht, mit einzubeziehen (vgl. BVerwG, Beschl. vom 01.10.2001, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 51).
19 
Nach diesen Kriterien steht der Klägerin ein Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG hinsichtlich der Türkei zu. Die Klägerin leidet ausweislich der von ihr vorgelegten Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 an einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10: F 43.1) und (so die Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen) an einer schweren Depression ohne psychotische Symptome (ICD-10: F 32.2).
20 
Bei der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) handelt es sich um ein komplexes psychisches Krankheitsbild. Die posttraumatische Belastungsstörung entsteht als eine verzögerte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigen Ausmaßes, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde und mit starker Furcht und Hilflosigkeit einhergeht. Typische Merkmale der PTBS sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (sog. Intrusionen), die so weit gehen können, dass der Körper das schlimme Ereignis noch einmal wie in der Ursprungssituation nacherlebt (flashbacks). Weitere Merkmale sind das andauernde Gefühl von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit, Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber und Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Hinzu tritt gewöhnlich ein Zustand vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung und eine übermäßige Schreckhaftigkeit und Schlaflosigkeit. Angst und Depressionen sind häufig mit den vorstehend genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert, und Suizidgedanken sind nicht selten. Die PTBS kann zu einer Beeinträchtigung des Erinnerungs- und Wiedergabevermögens und zu Konzentrationsschwierigkeiten führen, zu Schweigsamkeit aus Scham, Angst vor Erinnerung, Apathie (vgl. zum Vorstehenden Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Auflage, Seite 750 ff.; Loesel/Bender, Asylpraxis Band 7 S. 175 ff.; Koch, Asylpraxis Band 9 S. 61 ff.; Haenel, Asylpraxis Band 9, S. 111 ff., Marx, InfAuslR 2000, 357 ff; Treiber, ZAR 2002, 282 ff.; Middeke, DVBl. 2004, 150 ff.). Die posttraumatische Belastungsstörung ist in der Auflistung aller Krankheiten durch die Weltgesundheitsorganisation unter F 43.1 der ICD 10 enthalten (vgl. Dilling u.a., Internationale Klassifikation psychischer Störungen, 3. Auflage, S. 121).
21 
In der internationalen Klassifikation sind Traumata definiert als kurz oder lang anhaltende Ereignisse oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß, die nahezu bei jedem Betroffenen tiefgreifende Verzweiflung auslösen werden (vgl. Koch in: Asylpraxis, Band 9, Seite 61, 69ff). Man unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen traumatischen Ereignissen in Folge von Unfällen oder Katastrophen und willentlich durch Menschen verursachten Traumata (z. B. Folter, Misshandlung, Vergewaltigung und Kriegserlebnisse). Da es sich bei der PTBS um ein innerpsychisches Erlebnis handelt, das sich einer Erhebung äußerlich objektiver Befundtatsachen weitgehend entzieht, kommt es in besonderem Maße auf die Glaubhaftigkeit und Nachvollziehbarkeit eines geschilderten inneren Erlebnisses und der zugrunde liegende faktischen äußeren Erlebnistatsachen an, was wiederum angesichts der Komplexität und Schwierigkeit des Krankheitsbildes eine eingehende Befassung des Arztes mit dem Patienten erfordert. Regelmäßig sind tragfähige Aussagen zur Traumatisierung erst nach mehreren Sitzungen über eine längere Zeit möglich. Auch bedarf es unter anderem einer gründlichen Anamnese sowie einer schlüssigen und nachvollziehbaren Herleitung des im Übrigen genau zu definierenden Krankheitsbildes (vgl. Treiber a.a.O.; Loesel/Bender a.a.O.). Es gibt keine PTBS ohne Trauma und auch beim Vorliegen aller Symptome einer PTBS kann eine solche nur diagnostiziert werden, wenn auch ein entsprechendes Trauma vorhanden war. Aus den Symptomen kann nicht rückgeschlossen werden, dass ein Trauma stattgefunden hat (vgl. Venzlaff/Foerster a.a.O. S. 752; Steller in Sonderheft für Gerhard Schäfer, NJW-Beilage 2002, S. 69, 71; Ebert/Kindt, VBlBW 2004, 41 f.; a.A. Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321).
22 
Nach den Feststellungen der Sachverständigen Dr. K (Michael-Balint-Klinik) und Dr. N (Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen) erbrachten ihre eigenen Untersuchungen der Klägerin die sichere Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung. Die für diese Krankheit nach ICD-10: F 43.1 erforderlichen diagnostischen Kriterien seien erfüllt. An der Richtigkeit dieser Ausführungen hegt das Gericht keine Zweifel. Die Feststellungen in dem Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und im Gutachten der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 sind eindeutig, in sich widerspruchsfrei und nachvollziehbar. Die Gutachter haben andere differentialdiagnostische Erwägungen angestellt, diese jedoch verworfen. Aus beiden Gutachten geht eindeutig hervor, auf welcher Grundlage die Sachverständigen ihre Diagnose gestellt haben und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Die Gutachten geben auch Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf. Für diese psychotraumatologischen Fachfragen gibt es keine eigene Sachkunde der Behörde oder des Gerichts (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.05.2006, NVwZ 2007, 345 und Urt. v. 11.09.2007 - 10 C 8/07 - juris -). Soweit das Bundesamt das Vorliegen der fachärztlich diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung verneint, weil es das Vorhandensein eines traumatisierenden Ereignisses als nicht hinreichend belegt ansieht, fehlt ihm für diese Aussage ohne Einholung eines eigenen medizinischen Sachverständigengutachtens die notwendige Sachkunde.
23 
Das Bundesamt ist erkennbar auch der Auffassung, bei den medizinischen Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 fehle die inhaltliche Analyse der erhobenen Aussagen der Klägerin in Bezug auf das Vorliegen und den Ausprägungsgrad von Glaubhaftigkeitsmerkmalen (Konstanz- und Motivationsanalyse, Fehlerquellen- und Kompetenzanalyse). Dieses Vorbringen deutet darauf hin, dass das Bundesamt den Unterschied zwischen aussagepsychologischen und klinischen Gutachten nicht kennt. Aussagepsychologische Gutachten äußern sich zu Aussagen über ein Geschehen. Die aussagepsychologische Begutachtung wurde entwickelt, um mit Hilfe der Inhaltsanalyse einer Aussage und unter Berücksichtigung der Entstehungsgenese, der Kompetenz und der Motivation des Untersuchten sowie mit Hilfe des Vergleichs verschiedener Aussagen einer Person zu unterschiedlichen Zeiten (Konstanzanalyse) die Frage zu klären, inwieweit die Schilderungen glaubhaft und zuverlässig sind. Klinische Gutachten äußern sich hingegen zu der Frage, ob jemand gesund oder krank ist und dazu, welche Erkrankungen gegebenenfalls vorliegen. Forensische aussagepsychologische Gutachten liegen aber außerhalb des Kompetenzbereichs eines Facharztes oder Psychotherapeuten. Klinische Gutachten oder Stellungnahmen zu Fragen nach bestehenden psychischen Traumafolgen analysieren Aussagen nicht anhand der Kriterien der Aussagepsychologie. Diese Kriterien (Konstanzanalyse, Aussageentstehung und Aussageentwicklung oder Motivationsanalyse) gehören deshalb nicht in den Rahmen eines klinischen Gutachtens. Klinische Gutachten können allenfalls wesentliche Anhaltspunkte enthalten, die für oder gegen den Erlebnisbezug von Aussagen zur traumatischen Vorgeschichte sprechen (vgl. zum Ganzen Venzlaff/Foerster a.a.O. S. 752; Gierlichs u.a., ZAR 2005, 158 ff; Wenk-Ansohn u.a., Anforderungen an Gutachten, Einzelentscheiderbrief 8 und 9/2002, 3; Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321, 322). Unabhängig hiervon haben sich die Gutachter Dr. K und Dr. N mit der Glaubhaftigkeit des Vorbringens der Klägerin nachhaltig beschäftigt. Eine Simulation und Aggravation wurde von beiden Gutachtern überzeugend ausgeschlossen.
24 
Da nach dem Vorgenannten weder mit psychiatrisch-psychotherapeutischen Mitteln noch mit Hilfe der Psychopathologie sicher erschlossen werden kann, ob tatsächlich ein traumatisches Ereignis stattgefunden hat und wie dieses geartet war, muss das behauptete traumatisierende Ereignis zur Überzeugung des Gerichts stattgefunden haben (ebenso VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 20.10.2006, VBlBW 2007, 116; vgl. aber auch BVerwG, Beschl. v. 18.07.2001, DVBl 2002, 53: Glaubhaftigkeitsprüfung unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen bei Traumatisierung). Dies ist vorliegend der Fall. Aufgrund der Einvernahme der Klägerin in der mündlichen Verhandlung und aufgrund der ausführlich wiedergegebenen Anamnesen in den Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 ist das Gericht der Überzeugung, dass die Klägerin tatsächlich im März 2002 von einem Angehörigen türkischer Sicherheitskräfte vergewaltigt wurde. Sie hat dieses Ereignis mit hinreichenden Realkennzeichen bei der Anamneseerhebung durch die Michael-Balint-Klinik geschildert. Außerdem hatte sie bereits im Erstasylverfahren vorgetragen, seit März 2002 Probleme in der Türkei gehabt zu haben; dieses Datum korrespondiert mit den Angaben der Klägerin im Asylfolgeverfahren, wonach sie im März 2002 die Vergewaltigung durch einen türkischen Polizisten erlitten habe. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass die Klägerin die Vergewaltigung erst nach dem Erstasylverfahren benannt hat. Aus der psychotraumatologischen Forschung ist bekannt, dass traumatische Erinnerungen eher fragmentarischen Charakter haben und dass gerade bei traumatisierten Personen charakteristische Gedächtnisstörungen krankheitsbedingt die Regel sind. Hinzu kommt, dass traumatisierte Menschen oft jene Ereignisse verschweigen, die als besonders schmerzhaft erlebt wurden oder die stark schambesetzt sind. Dieses Vermeidungsverhalten ist Teil des Krankheitsbildes und nur bedingt willentlich beeinflussbar (vgl. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Auflage, Seite 752; Hinckeldey/Fischer, Psychotraumatologie der Gedächtnisleistung; Birck, Traumatisierte Flüchtlinge sowie in ZAR 2002, 28 ff.; Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321, 322; Mehari, Koch, Bittenbinder, Wirtgen, Haenel, Hüther in: Asylpraxis, Band 9 Seite 17 ff.; ebenso OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris -). Bei traumatisierten Personen können somit die bei der Glaubhaftigkeitsprüfung relevanten Kriterien wie Detailreichtum, Farbigkeit der Darstellung, logische Kohärenz, Homogenität, innere Widerspruchsfreiheit und Konstanz der Aussage nicht ohne Weiteres vorausgesetzt werden (vgl. Treiber, ZAR 2002, 282; Middeke, DVBl. 2004, 150, 151; Marx, InfAuslR 2003, 21, 23; Koch in: Asylpraxis Band 9, Seite 61ff, 88). Deshalb wird im Hinblick auf die Schilderung des Traumageschehens bei einem traumatisierten Asylbewerber ein qualifizierter Beweisnotstand angenommen, der zu einer Herabsetzung der Anforderungen an die Schlüssigkeit des tatsächlichen Vorbringens und damit auch an den Nachweis eines Verfolgungsgeschehens führt (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 10.05.2002 - 10 A 11457/01 -; OVG Münster, Beschl. v. 07.01.1998, AuAS 1998, 105; OVG Weimar, Urt. v. 25.09.2003, NVwZ-RR 2004, 455 und Urt. v. 18.03.2005, Asylmagazin 7-8/2005, 34; OVG Greifswald, Urt. v. 13.04.2000, AuAS 2000, 221).
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Wegen der Eigentümlichkeit, dass die Traumatisierten oft erst im Rahmen einer bereits greifenden therapeutischen Bemühung in der Lage sind, über das Geschehene Auskunft zu geben, kann in der äußerlichen Widersprüchlichkeit von Angaben kein ausschlaggebendes Moment ausgemacht werden, das der Annahme des der Feststellung der posttraumatischen Belastungsstörung zugrunde liegenden Traumas entgegensteht (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 23.09.2003, Asylmagazin 4/2004, 33). Der Glaubhaftigkeit der von der Klägerin im Asylfolgeverfahren dargelegten erlittenen Vergewaltigung im März 2002 steht deshalb nicht entgegen, dass sie sich weder bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt am 14.01.2003 noch bei den Begutachtungen durch das Klinikum Weissenhof und durch die psychologische Beratungsstelle Stuttgart in der Lage gesehen hat, die in der Türkei erlebte Erniedrigung zu berichten. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin glaubhaft dargelegt, dass sie aus Angst, ihr vor der Tür wartender Ehemann könne ihre Angaben mithören, keine Aussagen im Klinikum Weissenhof und in der psychologischen Beratungsstelle Stuttgart zu der erlittenen Vergewaltigung gemacht hat. Auch in der mündlichen Verhandlung war die tief sitzende Furcht der Klägerin mit Händen greifbar, ihre Angaben im Sitzungssaal könnten von dem im Wartebereich aufhältigen Ehemann mitgehört werden. Bei der Anamneseerhebung durch Dr. N in der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen hinderte ein intrusives, flashback-artiges Wiedererleben der Vergewaltigung die Klägerin daran, über das konkrete Vergewaltigungsgeschehen zu sprechen; die Klägerin war über mehr als 15 Minuten nicht zu beruhigen und verbal nicht mehr zu erreichen. Eine notfallmäßige Klinikaufnahme zur Krisenintervention wurde vom Gutachter in Erwägung gezogen. Auch der persönliche Eindruck, den die Klägerin in der mündlichen Verhandlung gemacht hat, hat bestätigt, dass sie nur unter Aufbietung aller ihrer Kräfte und unter Tränen und Weinanfällen zu Andeutungen über den erlittenen sexuellen Missbrauch in der Lage ist.
26 
Im Übrigen müsste auch dem Bundesamt bekannt sein, dass das Selbstbild der von sexualisierter Gewalt betroffenen Frauen aus der Türkei (gleiches gilt aber auch für Frauen aus dem Irak, aus Bosnien und aus dem Kosovo) geprägt ist vom Gedanken des Entehrtseins und deren Gefühlswelt von Scham, Wertlosigkeit, Selbstverurteilung und Schuld erfüllt ist. Um in der sozialen Gemeinschaft weiter existieren zu können und aus Angst davor, vom Ehemann verstoßen zu werden, entschließen sich die meisten dieser Frauen, über die erlebten sexuellen Übergriffe durch Sicherheitskräfte nicht zu sprechen. Angaben über sexualisierte Gewalt stellen vor dem Hintergrund islamisch geprägter Traditionen nicht nur für die betroffene Frau, sondern auch für deren Ehemann und die gesamte Familie eine neuerliche Entehrung dar. Deshalb kommen Aussagen zu sexualisierten Gewalterfahrungen bei muslimischen Frauen erst unter größtem Druck, wenn beispielsweise die Abschiebung unmittelbar droht, zustande (vgl. zum Ganzen Haenel/Wenk-Ansohn, Begutachtung psychisch reaktiver Traumafolgen in aufenthaltsrechtlichen Verfahren, S. 160 ff.; Birck, ZAR 2002, 28, 31; Haenel/Birck, VBlBW 2004, 321, 323).
27 
Gegen die Richtigkeit der in den Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 gestellten Diagnose posttraumatische Belastungsstörung spricht auch nicht das späte Auftreten der von der Klägerin geschilderten Krankheitssymptome. Entgegen der vom Bundesamt häufig vertretenen Auffassung tritt die posttraumatische Belastungsstörung nicht regelmäßig innerhalb von sechs Monaten nach dem traumatischen Ereignis auf. Diese Zeitspanne wird in der ICD-10 für F 43.1 nur als häufigste Latenz angegeben. In der (ausführlicheren) DSM-IV wird ausdrücklich auf eine PTBS mit verzögertem Beginn hingewiesen. Nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen können traumabedingte Störungen einschließlich posttraumatischer Belastungsstörungen auch mit jahrelanger bis zum Teil jahrzehntelanger Latenz auftreten (vgl. Gierlichs, Asylmagazin 7-8/2003, 53 sowie in ANA-ZAR 5/2007, 33 m.w.N.). In der ergänzenden Stellungnahme an das Gericht vom 11.01.2008 hat auch Dr. N, der anerkanntermaßen ein ausgewiesener Fachmann auf dem Gebiet der Psychotraumatologie ist, dargelegt, dass der Ausbruch der Symptome der PTBS von vielfältigen Umgebungsfaktoren abhängen kann, die beispielsweise eine Kompensation ermöglichen oder Verdrängung/Verleugnung des Traumas erforderlich machen können.
28 
Nach dem Gutachten der Michael-Balint-Klinik vom 12.01.2007 und der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Reutlingen vom 23.04.2007 ist bei einer erzwungenen Rückkehr der Klägerin in die Türkei aufgrund der Retraumatisierung mit Dekompensation mit massivster Verschlechterung der psychischen Erkrankung mit akuter Lebensgefährdung zu rechnen. Den ärztlichen Feststellungen zufolge leidet die Klägerin an Einschlaf- und Durchschlafstörungen, unter Gedankenkreisen und Grübeln und unter einem kompletten Libidoverlust; weiter traten bei den Explorationen Hitzewallungen, Kopfschmerzen, Schwindel und brennende Hände „wie Feuer“ auf. Schließlich wird in den Gutachten über massive Lebensunlust, Todessehnsucht und über vier Suizidversuche berichtet. Diese ärztlichen Feststellungen sind klar, eindeutig und überzeugend. Im Übrigen handelt es sich bei der Einschätzung des Krankheitsverlaufs und der gesundheitlichen Folgen wiederum um medizinische Fachfragen, für die es keine eigene Sachkunde der Behörde oder des Gerichts gibt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.05.2006, NVwZ 2007, 345).
29 
Unter dem Begriff der „Retraumatisierung“ wird die durch äußere Ursachen oder Bedingungen, die dem zugrundeliegenden traumatischen Erlebnis gleichen, ähneln oder auch nur Anklänge daran haben, ausgelöste Reaktualisierung der inneren Bilder des traumatischen Erlebens in der Vorstellung und den körperlichen Reaktionen des Betroffenen verstanden, die mit der vollen oder gesteigerten Entfaltung des Symptombildes der ursprünglichen traumatischen Reaktion auf der körperlichen, psychischen und sozialen Ebene einhergeht (vgl. Marx, InfAuslR 2000, 357, 360 m.w.N.). Die Folge davon kann eine akute Dekompensation wie z. B. schwere depressive Reaktion, psychotische Dekompensation, suizidale Handlung und anderes sein und zu einer dauerhaften Verschlimmerung oder Chronifizierung des posttraumatischen Krankheitsprozesses führen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris -).
30 
Bereits diese konkrete Gefahr der Retraumatisierung begründet ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (ebenso VGH München, Urt. v. 20.10.1999 - 23 B 98.30524; VGH Kassel, Urt. v. 26.02.2007 - 4 UE 1125/05.A - juris -; OVG Koblenz, Urt. v. 09.02.2007 - 10 A 10952/06.OVG - ; OVG Schleswig, Beschl. v. 28.09.2006 - 4 LB/06 -; OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris - und Urt. v. 12.09.2007 - 8 LB 210/05 - juris -). Die Gefahr der Retraumatisierung lässt sich nicht auf den eigentlichen Ort eingrenzen, an dem die Verletzungshandlung erfolgte, denn auch andere Orte und Personen im Heimatland, die dem zugrundeliegenden traumatischen Erlebnis gleichen, ähneln oder auch nur Anklänge daran haben, führen zu einer Reaktualisierung der inneren Bilder des traumatischen Erlebens in der Vorstellung und den körperlichen Reaktionen des Betroffenen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 28.02.2005 - 11 LB 121/04 und Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/ 05 - juris -), so dass im Falle der Klägerin die Gefahr der Retraumatisierung konkret und landesweit gegeben ist.
31 
Diese konkrete und landesweite Gefahr im Falle einer Abschiebung in die Türkei ist durch eine mögliche medikamentöse Behandlung im Zielstaat der Abschiebung nicht zu verhindern (vgl. Gierlichs/Wenk-Ansohn, ZAR 2005, 405, 408; Gierlichs u.a., ZAR 2005, 158, 163). Der erheblichen Gesundheits- und Lebensgefahr für die Klägerin kann auch nicht dadurch wirksam begegnet werden, dass sie sich unverzüglich nach der Rückkehr in ihr Heimatland in psychologische oder psychiatrische Behandlung begibt. Denn Menschen mit traumatogenen Störungen können in einer Umgebung, die Intrusionen stimuliert und kein Vermeidungsverhalten erlaubt, nicht behandelt werden (vgl. Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl., S. 753). Nach fachwissenschaftlichen Erkenntnissen ist eine erfolgreiche Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen nur in einer sicheren Umgebung und bei Schutz vor weiterer Traumaeinwirkung möglich (vgl. Stellungnahme der wissenschaftlichen Fachgesellschaften, veröffentlicht in: http://www.aerzteblatt.de/v4/plus/down.asp ? typ=PDF&id=1166 ; Koch in: Asylpraxis Band 9 S. 61, 78; Gierlichs/Wenk-Ansohn, ZAR 2005, 405, 408; Gierlichs, ZAR 2006, 277, 279; Bittenbinder in: Asylpraxis Band 9, S. 35, 54 ff.; Graessner u.a., Die Spuren von Folter, S. 77 ff.; ebenso OVG Koblenz, Urt. v. 23.09.2003, Asylmagazin 4/2004, 33; OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.06.2007 - 11 LB 398/05 - juris -).
32 
Unabhängig hiervon wird die Klägerin vor dem Hintergrund der bei ihr bestehenden schweren Erkrankung und der schon heute gezeigten extremen Destabilisierung nicht in der Lage sein, in der Türkei im Anschluss an ihre Abschiebung und die damit für sie zwangsläufig verbundene Verschlimmerung ihres Gesundheitszustandes die für sie alsdann noch umso dringlicher gebotene medizinische Hilfe zu erfahren, zumal die hier vorliegende Traumatisierung durch Vergewaltigung einen Fall mit einer besonders ungünstigen Prognose, nämlich den Fall des sog. „man made disaster“ (vgl. Koch in: Asylpraxis Band 9 Seite 71) darstellt. Denn unabhängig von der Frage, ob posttraumatische Belastungsstörungen in der Türkei behandelbar sind und ob die Klägerin eine solche Behandlung unter finanziellen Gesichtspunkten erreichen könnte, gilt im vorliegenden Fall, dass die Klägerin nach ihrer Rückkehr aufgrund ihres Rückzugsverhaltens, ihrer Depressivität und ihrer Ängste nicht in der Lage sein wird, eine solche Behandlung aus eigener Kraft oder durch entsprechende Einwirkungen durch Verwandte mittels deren Hilfestellung anzutreten. Für die Klägerin besteht somit bei einer Rückkehr in die Türkei ungeachtet der vom Bundesamt behaupteten Behandlungsmöglichkeiten die ganz konkrete Gefahr eines psychischen Zusammenbruchs, wenn nicht gar des Suizids, und damit eine extreme individuelle Gefahrensituation.
33 
Steht danach zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich der Krankheitszustand der Klägerin im Falle einer Abschiebung in ihr Herkunftsland alsbald nach ihrer Rückkehr wesentlich bzw. angesichts ihrer erheblichen Suizidalität sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde, so steht ihr ein Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Türkei zu. Die Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG wird nicht durch § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG gesperrt. Angesichts des vielfältigen Symptombildes der posttraumatischen Belastungsstörung kann nicht angenommen werden, dass diesbezüglich ein Bedürfnis nach einer ausländerpolitischen Leitentscheidung nach § 60 a Abs. 1 AufenthG besteht (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 18.07.2006 - 1 C 16/05 - Juris -). Im Übrigen ist inzwischen allgemein anerkannt, dass die an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkrankten Personen, deren Erkrankung auf willentlich durch Menschen verursachte Traumata beruht, nicht Teil einer Bevölkerungsgruppe sind (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 16.02.2004, Asylmagazin 6/2004, 30; OVG Koblenz, Urt. v. 23.09.2003, Asylmagazin 4/2004, 33 und Urt. v. 09.02.2007 - 10 A 10952/06.OVG- ; VGH Kassel, Beschl. v. 09.01.2006 - 7 ZU 1831/05.A -).
34 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO, § 83 b AsylVfG.

Gründe

1

I. Die gemäß § 146 Abs. 4 VwGO zulässige Beschwerde der Antragsteller hat Erfolg.

2

Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die Antragsteller hätten nicht glaubhaft gemacht, dass ihre Ausreise aufgrund inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse infolge einer Erkrankung des Antragstellers zu 1 unmöglich sei. Es sei nicht davon auszugehen, dass bei diesem eine Reiseunfähigkeit vorliege. Die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen seien unzureichend. Die Bescheinigung des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie D. enthalte weder eine Anamnese noch eine nachvollziehbare Diagnose. Die Bescheinigungen der Psychologinnen S. und K. seien zwar ausführlicher, beruhten aber nur auf den Angaben des Antragstellers zu 1, so dass die Schlussfolgerung, eine vorgetäuschte Diagnose könne ausgeschlossen werden, nicht überzeuge. Auch werde nicht darauf eingegangen, ob die vom Antragsteller zu 1 geschilderten Symptome in Zusammenhang mit der Einnahme von Medikamenten oder Halluzinogenen stünden. Auffällig sei, dass die vom Antragsteller zu 1 geäußerten Kriegserlebnisse im Rahmen der Anhörungen vor dem Bundesamt nicht geschildert worden seien. Zudem falle auf, dass sich der Antragsteller zu 1 erst nach Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen in psychiatrische Behandlung begeben habe, obwohl er sich bereits seit 2010 in Deutschland aufhalte. Die Bescheinigungen zögen auch keinerlei Alternativursachen in Betracht, obwohl dies angesichts der geschilderten Ängste des Antragstellers zu 1 naheliegend sei. Als Alternativursache komme ein schweres Entwurzelungssyndrom in Betracht. Dies werde weder erwähnt noch im Rahmen einer Differentialdiagnose diskutiert. Die psychologischen Stellungnahmen seien ersichtlich darauf angelegt, dem Antragsteller zu 1 zum beantragten Abschiebungsschutz zu verhelfen. Die äußerst kurzen Stellungnahmen der Amtsärztinnen S. und M. enthielten keinerlei medizinische Substanz. Es werde nicht einmal erläutert, um was für eine psychische Erkrankung es sich handeln soll, die beim Antragsteller zu 1 bestehe. Es sei auch nicht ersichtlich, dass dieser aufgrund einer akuten und schwerwiegenden Erkrankung an posttraumatischer Belastungsstörung dringend auf ärztliche Behandlung gerade in Deutschland angewiesen sei. Ziehe man in Betracht, dass bei einer Rückkehr des Antragstellers zu 1 in seine Heimat sowohl die Sprachbarriere, die einer aussichtsreichen Heilung psychischer Probleme in Deutschland entgegenstehe, als auch die soziale Isolation entfielen, sei von zusätzlichen Erschwernissen durch die Verneinung von Abschiebungshindernissen nicht auszugehen. Aufgrund der aufgezeigten Mängel sei auch nicht davon auszugehen, dass eine akute Suizidalität mit Eigen- und Fremdgefährdung bei einer Abschiebung des Antragstellers zu 1 bestehe. Möglichen Gefährdungen sei durch geeignete Vorkehrungen und Modalitäten bei der Abschiebung zu begegnen. Der Antragsgegner habe für sichere Abschiebemodalitäten und eine Begleitung durch Fachpersonal (Arzt/Sanitäter) Sorge zu tragen. Ebenso sei nach Eintreffen des Rücktransports in der Heimat des Antragstellers zu 1 durch vorherige Kontaktaufnahme mit den Heimatbehörden dessen nahtlose ärztliche und psychologische Begleitung und Versorgung sicherzustellen und eine Zurverfügungstellung von Medikamenten zu veranlassen. Dadurch werde der dem Antragsteller zu 1 bescheinigten Suizidgefahr im Rahmen der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen mit angemessenen Mitteln begegnet. Hinzu komme, dass eine Rückführung in die Heimat gerade zu einer Besserung der Gesamtsymptomatik führen könne: Die auch für seelisch Gesunde – zumal nach langjährigen Auslandsaufenthalt – bestehende starke Belastung einer drohenden Abschiebung entfalle nach dem Vollzug, was dafür spreche, dieses schwierige Phase nicht hinauszuzögern, sondern abzukürzen.

3

Dieser Würdigung durch das Verwaltungsgericht tritt die Beschwerde mit Erfolg entgegen.

4

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sogenannte Sicherungsanordnung). Anordnungsanspruch und -grund sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Für den Anordnungsanspruch einer Sicherungsanordnung genügt dabei die Glaubhaftmachung von Tatsachen, aus denen sich zumindest ergibt, dass der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen ist; ein Anordnungsgrund ist glaubhaft gemacht, wenn eine vorläufige Sicherung des in der Hauptsache verfolgten materiellen Anspruchs zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes dringlich ist (Beschl. d. Senats v. 20.06.2011 – 2 M 38/11 –, Juris RdNr. 8 m.w.N.).

5

Diese Voraussetzungen für den Erlass der von den Antragstellern begehrten einstweiligen Anordnung sind erfüllt. Es besteht die Gefahr, dass die vom Antragsgegner in Aussicht genommene Abschiebung der Antragsteller ohne eine vorherige gutachtliche Klärung der im Tenor bezeichneten Fragen die Verwirklichung eines ihnen in der Hauptsache möglicherweise zustehenden Anspruchs auf weitere Aussetzung der Abschiebung wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG vereitelt.

6

1. Nach derzeitigem Erkenntnisstand ist offen, ob durch die Abschiebung eine wesentliche Verschlechterung der beim Antragsteller zu 1 nach den vorliegenden ärztlichen bzw. psychologischen Stellungnahmen vorhandenen psychischen Erkrankung eintreten und sich dadurch die auf dieser Krankheit beruhende (latente) Selbstmordgefahr in einer Weise erhöhen wird, dass eine Abschiebung nicht verantwortet werden kann.

7

Nach der Rechtsprechung des Senats (Beschl. v. 20.06.2011 – 2 M 38/11 – a.a.O. RdNr. 5) kann auch eine bestehende psychische Erkrankung eines ausreisepflichtigen Ausländers ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis wegen rechtlicher Unmöglichkeit der Abschiebung gemäß § 60a Abs. 2 AufenthG in zwei Fallgruppen begründen: Zum einen scheidet eine Abschiebung aus, wenn und solange der Ausländer wegen Erkrankung transportunfähig ist, d. h. sich sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des „Reisens" wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn). Zum anderen muss eine Abschiebung auch dann unterbleiben, wenn sie – außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bedeutet; dies ist der Fall, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solche (unabhängig vom Zielstaat) sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne). Es geht also nicht nur darum, während des eigentlichen Abschiebevorgangs selbstschädigende Handlungen eines aufgrund einer psychischen Erkrankung suizidgefährdeten Ausländers zu verhindern; eine Abschiebung hat vielmehr auch dann zu unterbleiben, wenn sich durch den Abschiebevorgang die psychische Erkrankung (wieder) verschlimmert, eine latent bestehende Suizidalität akut wird und deshalb die Gefahr besteht, dass der Ausländer unmittelbar vor oder nach der Abschiebung sich selbst tötet. Von einem inlandsbezogenen Abschiebungshindernis ist auch dann auszugehen, wenn sich die Erkrankung des Ausländers gerade aufgrund der zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland wesentlich verschlechtert, und nicht nur, wenn ein Suizid während der Abschiebung droht (BayVGH, Beschl. v. 23.10.2007 – 24 CE 07.484 –, Juris RdNr. 21). Die Frage, ob Maßnahmen bei der Gestaltung der Abschiebung – wie ärztliche Hilfe und Flugbegleitung – ausreichen, um der auf einer psychischen Erkrankung beruhenden ernsthaften Suizidgefahr wirksam zu begegnen, lässt sich erst aufgrund einer möglichst fundierten und genauen Erfassung des Krankheitsbildes und der sich daraus ergebenden Gefahren beantworten; eine abstrakte oder pauschale Zusicherung von Vorkehrungen wird dem gebotenen Schutz aus Art. 2 Abs. 2 GG nicht gerecht (OVG NW, Beschl. v. 09.05.2007 – 19 B 352/07 –, Juris RdNr. 7).

8

Macht ein Ausländer eine solche Reiseunfähigkeit geltend oder ergeben sich sonst konkrete Hinweise darauf, ist die für die Aussetzung der Abschiebung zuständige Ausländerbehörde verpflichtet, den aufgeworfenen Tatsachenfragen, zu deren Beantwortung im Regelfall medizinische Sachkunde erforderlich ist, im Rahmen ihrer Amtsaufklärungspflicht nach § 24 VwVfG i.V.m. § 1 VwVfG LSA nachzugehen, wobei der Ausländer zur Mitwirkung verpflichtet ist (§ 82 AufenthG). Kann die Reiseunfähigkeit trotz Vorliegens ärztlicher oder psychologischer Fachberichte nicht als erwiesen angesehen werden, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass für die Ausländerbehörde kein weiterer Aufklärungsbedarf besteht. Sie bleibt nach § 24 VwVfG i.V.m. § 1 VwVfG LSA verpflichtet, den Sachverhalt selbst weiter aufzuklären, wenn und soweit sich aus den ärztlichen oder psychologischen Äußerungen, dem Vortrag des Ausländers oder aus sonstigen Erkenntnisquellen ausreichende Indizien für eine Reiseunfähigkeit ergeben. Ist das der Fall, wird regelmäßig eine amtsärztliche Untersuchung oder die Einholung einer ergänzenden (fach-)ärztlichen Stellungnahme oder eines (fach-)ärztlichen Gutachtens angezeigt sein, da der Ausländerbehörde und auch den Verwaltungsgerichten die erforderliche medizinische Sachkunde zur Beurteilung einer mit der Abschiebung einhergehenden Gesundheitsgefahr und auch der Frage fehlen dürfte, mit welchen Vorkehrungen diese Gefahr ausgeschlossen oder gemindert werden könnte (vgl. VGH BW, Beschl. v. 06.02.2008 – 11 S 2439/07 –, Juris RdNr. 9).

9

Im Fall des Antragstellers zu 1 ist ein solcher weiterer Aufklärungsbedarf gegeben. Die vorliegenden ärztlichen und psychologischen Stellungnahmen gehen zwar davon aus, dass der Antragsteller zu 1 an einer psychischen Erkrankung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTSB) leidet und im Falle einer Abschiebung eine erhöhte Suizidgefahr besteht. Ob dies zutrifft, ist jedoch auch im Hinblick auf die vom Verwaltungsgericht erhobenen Einwände zweifelhaft. Die Problematik muss daher erst in einem ergänzenden fachärztlichen Gutachten abschließend geklärt werden.

10

Die Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie D. von der (…)-Praxis GmbH vom 12.03.2014 (GA Bl. 30) diagnostiziert bei dem Antragsteller zu 1 zwar eine posttraumatische Belastungsstörung, lässt aber nicht erkennen, auf Grund welcher Befundtatsachen die angesprochene Diagnose gestellt wurde, und legt auch nicht dar, welche Folgen sich aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben. Damit erfüllt sie die Anforderungen nicht, die nach der Rechtsprechung des Senats an die Glaubhaftmachung einer Krankheit als rechtliches Abschiebungshindernis zu stellen sind (vgl. Beschl. v. 08.02.2012 – 2 M 29/12 –, Juris RdNr. 11).

11

Die psychologischen Stellungnahmen der Psychologin S. vom 20.03.2013 (GA Bl. 35 – 36) sowie der Psychologin K. und des Systemischen Therapeuten D. vom Psychosozialen Zentrum für Migrantinnen und Migranten in Sachsen-Anhalt vom 21.05.2014 (GA Bl. 89 – 93) diagnostizieren bei dem Antragsteller zu 1 eine posttraumatische Belastungsstörung in Komorbidität mit einer mittelschweren Depression. Eine vorgetäuschte Diagnose schließen sie aus. Eine Abschiebungsankündigung bzw. eine Rückkehr in den Kosovo werde mit hoher Wahrscheinlichkeit unmittelbar psychische Dekompensation(en) und suizidale Verhaltensweisen zur Folge haben. Auch ein erweiterter Suizid erscheine möglich. Aus psychologisch-therapeutischer Sicht wäre eine Abschiebungsandrohung bzw. eine Rückkehr mit einer erheblichen Gesundheitsgefährdung bis hin zur Stimulation einer Selbstgefährdung des Antragstellers zu 1 verbunden. In der Stellungnahme vom 21.05.2014 wird darüber hinaus ausführlich dargestellt, auf welcher Grundlage die Diagnose gestellt wurde. Mit dem Antragsteller zu 1 seien seit dem 01.02.2013 insgesamt zehn Gespräche zur Diagnostik, Stabilisierung und unmittelbaren Krisenintervention geführt worden. Befund und Spontanangaben werden ausführlich wiedergegeben. Auf dieser Grundlage wird sowohl die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung in Komorbidität mit einer mittelschweren Depression gestellt als auch die Behandlungsbedürftigkeit beurteilt. Diese Stellungnahmen enthalten zwar ernst zu nehmende Hinweise auf eine mögliche Suizidgefahr bei einer Abschiebung des Antragstellers zu 1 in den Kosovo. Sie sind jedoch auch gewichtigen Einwänden ausgesetzt. Zunächst enthält insbesondere die zuletzt vorgelegte psychologische Stellungnahme vom 21.05.2014 keinen überzeugenden Nachweis eines Traumas. Voraussetzung für die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung ist jedoch der Nachweis eines traumatischen Ereignisses (vgl. Ebert/Kindt, Die posttraumatische Belastungsstörung im Rahmen von Asylverfahren, VBlBW 2004, 41 <42>; Gierlichs u.a., Grenzen und Möglichkeiten klinischer Gutachten im Ausländerrecht, ZAR 2005, 158 <161>). Da die einschlägigen fachärztlichen bzw. psychologischen Gutachten wesentlich auf den Angaben des Betroffenen beruhen, bedarf es insoweit der Prüfung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens des Betroffenen (VGH BW, Beschl. v. 02.05.2000 – 11 S 1963/99 –, Juris RdNr. 7; SächsOVG, Beschl. v. 21.01.2014 – 3 B 476/13 –, Juris RdNr. 5; Middeke, Posttraumatisierte Flüchtlinge im Asyl- und Abschiebungsprozess, DVBl. 2005, 150 <151>). Von Bedeutung für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit ist dabei der Umstand, dass bestimmte Ereignisse, die im Rahmen der klinischen Begutachtung als traumatisierend dargestellt werden, bei der vorherigen Anhörung vor dem Bundesamt nicht angegeben wurden. Wird das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt, die schon längere Zeit zurückliegen, ist eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist (SächsOVG, Beschl. v. 21.01.2014 – 3 B 476/13 – a.a.O. RdNr. 5 unter Hinweis auf BVerwG, Urt. v. 11.09.2007 – BVerwG 10 C 8.07 –, Juris RdNr. 15). Nach diesen Grundsätzen ist die Stellungnahme vom 21.05.2014 dem fachlichen Einwand ausgesetzt, dass nicht klar wird, worin das die posttraumatische Belastungsstörung auslösende Trauma liegen soll. Im Rahmen der Biographischen Anamnese werden Ereignisse aus dem Jahr 1999 nach Ausbruch des Kosovokrieges geschildert, aber auch zeitlich nachfolgende Bedrohungen und Misshandlungen in Serbien, Übergriffe von albanisch sprechenden Männern nach der Rückkehr der Antragsteller in das Kosovo sowie eine Bedrohung des Sohnes des Antragstellers zu 1 mit einer Pistole durch Nachbarn. Soweit die Ereignisse während des Kosovokrieges im Jahr 1999 als maßgeblich für das Trauma anzusehen sein sollten, wäre zu begründen, warum diese Umstände nicht schon während der Anhörung des Antragstellers zu 1 am 29.03.2010 durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgetragen wurden. Begründungsbedürftig ist ferner der Umstand, dass der Antragsteller zu 1 das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung erst im Jahr 2013 geltend gemacht hat, obwohl er bereits seit dem Jahr 2010 aus seiner Heimat ausgereist ist. Ein weiterer Mangel der Stellungnahme vom 21.05.2014 liegt darin, dass nicht explizit angegeben wird, nach welchen Kriterien eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wurde (vgl. dazu Ebert/Kindt, a.a.O. S. 42). Schließlich stellt sich noch die Frage, ob die beim Antragsteller zu 1 festgestellten Symptome nicht auch andere Ursachen als eine posttraumatische Belastungsstörung haben können, etwa die unkontrollierte Einnahme von Medikamenten und Halluzinogenen oder ein schweres Entwurzelungssyndrom.

12

Die Stellungnahmen der Amtsärztin S. vom 08.07.2013 und 10.03.2014 sowie der Amtsärztin M. vom 29.04.2014 und 20.05.2014 lassen ebenfalls keine abschließende Beurteilung der hier relevanten Fragestellung zu. In dem amtsärztlichen Gutachten zur Beurteilung der Flug- und Reisefähigkeit des Antragstellers zu 1 vom 08.07.2013 (GA Bl. 50) heißt es, dieser leide an einer psychischen Erkrankung, die akut exazerbiert sei. Zum jetzigen Zeitpunkt bestehe die akute Gefahr eines Suizids bzw. erweiterten Suizids. In der Stellungnahme vom 10.03.2014 (GA Bl. 49) heißt es, die Reisefähigkeit im weiteren Sinne sei aufgrund der psychischen Erkrankung des Antragstellers zu 1 nicht gegeben. In der Stellungnahme vom 29.04.2014 (GA Bl. 62) wird ausgeführt, es könnten keine wesentlichen Veränderungen der gesundheitlichen Situation des Antragstellers zu 1 festgestellt werden. Er habe weiterhin eine unbändige Angst vor der Abschiebung in sein Heimatland. Er reagiere damit, im Abschiebungsfall sich und seine Familie umzubringen. Die Flug- und Reisetauglichkeit sei nach wie vor unsicher, da in keiner Weise abzuschätzen sei, ob der Antragsteller zu 1 seine Drohungen wahr mache. In der Stellungnahme vom 20.05.2014 (GA Bl. 61) wird ergänzend ausgeführt, bei der Vorstellung im Gesundheitsamt habe der Antragsteller zu 1 überzeugend den Eindruck gemacht, dass er im Falle einer Abschiebung sich und seiner Familie etwas antun werde. Es bestehe eine bedingte Flug- und Reisefähigkeit. Bedingung sei die Minderung der Eigen- und Fremdgefährdung. Die sei durch Verzicht auf eine vorherige Ankündigung des Abschiebetages und eine fachärztliche Begleitung während des Fluges zu gewährleisten. In diesen Stellungnahmen wird weder angegeben, aufgrund welcher tatsächlichen Umstände die fachliche Beurteilung erfolgt ist, noch enthalten sie eine nachvollziehbare medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes oder eine nachvollziehbare Darlegung der Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben. Die in der Stellungnahme vom 20.05.2014 vertretene Annahme, eine hinreichende Minderung der Eigen- und Fremdgefährdung könne durch Verzicht auf eine vorherige Ankündigung des Abschiebetages und Gewährleistung einer fachärztlichen Begleitung während des Fluges sichergestellt werden, wird nicht näher begründet und stellt sich als reine Spekulation dar. Zur Klärung der im Tenor bezeichneten Fragen sind diese amtsärztlichen Stellungnahmen ungeeignet.

13

Vor diesem Hintergrund liegen zwar Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller zu 1 unter einer posttraumatische Belastungsstörung leidet und eine Abschiebung zu einer erheblichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer Selbstgefährdung führt. Es verbleiben jedoch Zweifel. Bei dieser Sachlage kann über das Vorliegen des geltend gemachten Duldungsgrundes ohne fachärztliches Gutachten zur Klärung der im Tenor bezeichneten Fragen nicht entschieden werden. Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist damit offen, so dass ein Anordnungsanspruch gegeben ist.

14

2. Auch die Antragstellerin zu 2 und die Antragsteller zu 3 – 6 haben einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Eine rechtliche Unmöglichkeit einer Abschiebung im Sinne des § 60a Abs. 2 AufenthG kann sich aus inlandsbezogenen Abschiebungshindernissen ergeben, zu denen auch diejenigen Verbote zählen, die aus Verfassungsrecht (etwa mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa mit Blick auf Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind. Der Schutz des Art. 6 GG umfasst die Freiheit der Eheschließung und Familiengründung sowie das Recht auf ein eheliches und familiäres Zusammenleben. Sich hieraus ergebende schutzwürdige Belange können einer (zwangsweisen) Beendigung des Aufenthalts des Ausländers dann entgegen stehen, wenn es ihm nicht zuzumuten ist, seine tatsächlichen Bindungen zu berechtigterweise im Bundesgebiet lebenden Familienangehörigen durch Ausreise auch nur kurzfristig zu unterbrechen (Beschl. d. Senats v. 14.08.2014 – 2 L 115/13 – m.w.N.). Derartige schutzwürdige Belange liegen im Fall der Antragstellerin zu 2 und der Antragsteller zu 3 – 6 vor. Aufgrund der oben dargestellten Umstände besteht bei dem Antragsteller zu 1 möglicherweise ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis. Die übrigen Familienmitglieder können daher einstweilen eine gewünschte familiäre Lebensgemeinschaft im gemeinsamen Heimatland nicht führen. Eine alleinige auch nur kurzfristige Rückkehr ohne Begleitung durch den Antragsteller zu 1 in das Kosovo ist ihnen ebenfalls nicht zuzumuten.

15

3. Es besteht auch ein Anordnungsgrund. Der Antragsgegner beabsichtigt, die Antragsteller ohne vorherige Einholung eines fachärztlichen Gutachtens zur Suizidgefahr abzuschieben. Die vorläufige Sicherung des in der Hauptsache verfolgten Duldungsanspruchs ist daher zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes dringlich. Denn der Duldungsanspruch erlischt ebenso wie die Aussetzung selbst (vgl. § 60a Abs. 5 Satz 1 AufenthG) mit der Ausreise (vgl. VGH BW, Beschl. v. 06.02.2008 – 11 S 2439/07 – a.a.O. RdNr. 14). Er würde durch die Abschiebung daher vereitelt. Zudem ist eine Abschiebung ohne vorherige fachärztliche Begutachtung der damit nach den vorliegenden Erkenntnissen möglicherweise einhergehenden gesundheitlichen Risiken mit der staatlichen Schutzpflicht nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht zu vereinbaren.

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II. Den Antragstellern ist auch die beantragte Prozesskostenhilfe zu gewähren, weil sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage sind, die Kosten der Prozessführung aufzubringen, die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht mutwillig erscheint und aus den vorstehend ausgeführten Gründen hinreichende Erfolgsaussichten zu bejahen sind (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO).

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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

18

VI. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des beschließenden Senats, im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes den halben Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG je Antragsteller festzusetzen, soweit Streitgegenstand – wie hier – die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung ist.


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I. Der Kläger ist seinen Angaben zufolge Staatsangehöriger Sierra Leones. Er begehrt im asylrechtlichen Folgeverfahren die Beklagte zu verpflichten, das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses festzustellen. Das Verwaltungsgericht wies die Asylklage mit Urteil vom 24. August 2016 in der Sache ab. Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel des Klägers. Er macht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend.

II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Die geltend gemachte Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG, § 138 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) wegen verfahrensfehlerhafter Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags liegt nicht vor.

Die Ablehnung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG, B. v. 30.1.1985 - 1 BvR 393/84 - BVerfGE 69, 141/144 = NJW 1986, 833; BVerfG, B. v. 18.6.1993 - 2 BvR 1815/92 - NVwZ 1994, 60 = BayVBl 1993, 562; BayVerfGH, E. v. 26.4.2005 - Vf. 97-VI-04 - VerfGH 58, 108 = BayVBl 2005, 721). Das rechtliche Gehör ist versagt, wenn ein Beweisantrag in willkürlicher Weise als unerheblich qualifiziert wird. Willkürlich ist ein Richterspruch aber nur, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sach-fremden Erwägungen beruht. Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Von einer willkürlichen Missdeutung kann insbesondere nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (BVerfG, B. v. 22.5.2015 - 1 BvR 2291/13 - juris Rn. 5 m. w. N.).

Gemessen daran liegt in der Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 24. August 2016 gestellten Beweisantrags, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten einzuholen,

„zum Beweis der Tatsache, dass der Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer depressiven Episode, derzeit leichtgradig, und einer generalisierenden Angststörung leidet, der Kläger psychotherapeutischer und psychiatrischer Behandlung bedarf und sich sein Gesundheitszustand bei Abbruch der Behandlung wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde“,

keine Verletzung des rechtlichen Gehörs.

Ausweislich der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom 24. August 2016 hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag mit folgender Begründung abgelehnt:

„Hinsichtlich der für die Person des Klägers geltend gemachten posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) ist der Beweisantrag rechtlich nicht erheblich. Die im Rahmen des Verfahrens vorgelegten therapeutischen und ärztlichen Äußerungen zu den Anknüpfungstatsachen für das Krankheitsbild einer PTBS sind nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts unglaubwürdig. Hinsichtlich des für die Person des Klägers weiter geltend gemachten ‚depressiven Episode‘ und ‚Angststörung‘ werden die vorgelegten Diagnosen als wahr unterstellt.“

1. Soweit es das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung betrifft, hat das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass der Klägervortrag den aus der Rechtsprechung (u. a. BVerwG, U. v. 11.9.2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 = juris Rn. 15) folgenden Anforderungen an die Substantiierung zum Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung, die sich - wie hier - auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland stützt und deren Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen werden, nicht genügt und seine Rechtsauffassung umfassend und nachvollziehbar begründet. Danach beruhten die vom Kläger vorgelegten therapeutischen Berichte und fachärztlichen Atteste hinsichtlich der darin zugrunde gelegten Auslösekriterien auf einem unglaubhaften Vortrag des Klägers und damit auf unzureichenden tatsächlichen Grundlagen. Diese Bewertung durch das Verwaltungsgericht ist nicht zu beanstanden.

a) Das Verwaltungsgericht geht zutreffend davon aus, dass eine posttraumatische Belastungsstörung nur aufgrund eines traumatisierenden Ereignisses entstehen kann (vgl. ICD-10: F.43.1, Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision: „ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde“).

b) Weiter trifft es zu, dass die nach dem Diagnoseklassifikationssystem ICD-10 erstellten Befunde von Refugio vom 7. August 2014 und vom 18. Juli 2016 sowie des Bezirksklinikums Niederbayern vom 25. Februar 2014 als „Auslösekriterium“ bzw. schwerwiegende Traumatisierung die Tötung des Vaters, die Entführung des Klägers durch Rebellen bzw. die Erschießung des Bruders des Klägers bei der Rekrutierung zum Kindersoldaten zugrunde legen und dass die darin genannten tatsächlichen Grundlagen (zur behaupteten Erschießung des Bruders vgl. nachfolgend Buchst. c, Doppelbuchst. dd), bereits vom Verwaltungsgericht Regensburg (U. v. 29.11.2012 - RN 5 K 12.30096) als unglaubhaft angesehen wurden. Das ärztliche Attest des Klinikums der Universität München vom 12. Juli 2016 benennt dagegen das auslösende Ereignis nicht.

c) Hiervon ausgehend beruht der vom Verwaltungsgericht gezogene Schluss, es fehle an der tatsächlichen Grundlage eines traumatisierenden Ereignisses, aufgrund derer die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung gerechtfertigt sei, auf einer nachvollziehbaren, insbesondere willkürfreien und sachlichen Grundlage, von der sich das Verwaltungsgericht eine eigene Überzeugung gebildet hat.

aa) Die Bewertung der tatsächlichen Grundlagen durch das Verwaltungsgericht im gegenständlichen Verfahren folgt zwar der Bewertung des Verwaltungsgerichts Regensburg aus dem Urteil vom 29. November 2012. Dieses hatte sich im Rahmen des Erstverfahrens im rechtskräftigen Urteil vom 29. November 2012 umfänglich mit den vom Kläger geschilderten Geschehnissen auseinandergesetzt, die auch Auslöser der im Erstverfahren wie im gegenständlichen Verfahren geltend gemachten posttraumatischen Belastungsstörung sein sollen, sowie umfassend und nachvollziehbar begründet, weshalb es den klägerischen Vortrag „in höchstem Maße“ für „unsubstantiiert“, „oberflächlich“, „lebensfremd“ und „widersprüchlich“ erachtet. Nicht zutreffend ist aber, dass das Verwaltungsgericht die Bewertung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Regensburg im Erstverfahren lediglich ungeprüft übernommen habe. Es hat vielmehr das vom Kläger im Erstverfahren geschilderte Geschehen dargestellt, das im gegenständlichen Verfahren nicht vertieft oder ergänzt wurde, sich mit diesem auseinandergesetzt und weiter ausgeführt, es sei nicht zu erkennen, dass von der Bewertung des Verwaltungsgerichts Regensburg abzuweichen sei. Damit bringt das Verwaltungsgericht aber zum Ausdruck, dass es sich die Bewertung des Verwaltungsgerichts Regensburg auch für den gegenständlichen Fall zu Eigen macht, nicht dass es dessen Bewertung lediglich (ungeprüft) übernimmt.

bb) Soweit der Kläger weiter bemängelt, das Verwaltungsgericht habe den Kläger zu den Ereignissen in Sierra Leone nicht weiter befragt, verhilft auch dies dem Zulassungsantrag nicht zum Erfolg.

Angesichts der konkreten Umstände bestand für das Verwaltungsgericht keine Veranlassung, den Kläger zu den im Erstverfahren vorgetragenen Ereignissen in Sierra Leone zu befragen. Insbesondere hat der Kläger im Folgeverfahren weder gegenüber dem Bundesamt noch in der Klagebegründung andere oder ergänzende Angaben zu den behaupteten traumatisierenden Geschehnissen in Sierra Leone vorgetragen, die eine vom Urteil des Verwaltungsgericht Regensburg abweichende Bewertung nahegelegt hätten. Davon abgesehen hatte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vom 24. August 2016 Gelegenheit und angesichts der Feststellungen im Erstverfahren aber auch im Bundesamtsbescheid vom 15. Mai 2014 triftige Gründe, die in seiner Sphäre liegenden behaupteten Geschehnisse in Sierra Leone von sich aus nachvollziehbar und widerspruchsfrei zu schildern.

cc) Eine weitergehende Aufklärung zur Richtigkeit des Klägervorbringens musste sich dem Verwaltungsgericht auch nicht auf Grundlage der vorgelegten Befundberichte und fachärztlichen Atteste aufdrängen.

Zwar gehen die Befundberichte von Refugio vom 7. August 2014 und vom 18. Juli 2016 auch auf die Auslösekriterien ein. Die vom Kläger geschilderten und in der Zeit weit zurückliegenden Geschehnisse, die das Auslösekriterium erfüllen sollen, wie etwa das „Miterleben der diversen Morde in der Zeit mit den Rebellen“, insbesondere „die Entführung durch die Rebellen“ und die „Situation um die berichtete Enthauptung seines Vaters“, werden aber allein den geschilderten Symptomen und der Verhaltensbeobachtung gegenübergestellt. Ihre äußere, objektive Ereignisseite bleibt in den Befundberichten im Allgemeinen, wird also weder hinreichend konkret beschrieben noch sorgfältig oder kritisch hinterfragt. Dies ist bei der Begutachtung einer posttraumatischen Belastungsstörung wohl auch nicht zu leisten (vgl. Befundbericht v. 18.7.2016 S. 5: „Bei der Diagnoseerstellung von posttraumatischen Störungen ermöglicht die Symptomatologie des psychopathologischen Befunds generell keine Rekonstruktion der objektiven Seite der traumatisierenden Ereignisse“). Dass das behauptete traumatisierende Ereignis tatsächlich stattgefunden hat, muss vielmehr vom Schutzsuchenden gegenüber dem Tatrichter und nicht gegenüber einem ärztlichen Gutachter nachgewiesen bzw. wahrscheinlich gemacht werden (vgl. BayVGH, B. v. 17.10.2012 - 9 ZB 10.30390 - juris Rn. 8). Die in den o.g. Befundberichten auf die Symptomatik gestützte Beurteilung zu den Angaben über die geschilderten Vorgänge lässt aus den genannten Gründen keine andere Bewertung zu. Im Befundbericht vom 7. August 2014 werden als Auslösekriterien „das Miterleben der diversen Morde in der Zeit mit den Rebellen“ und „die Situation um die berichtete Enthauptung seines Vaters“ genannt, wenngleich die genauen Umstände zu Letzterem unklar bleiben würden; eine nähere Begründung für die gleichwohl getroffene Annahme, „Den gewaltsamen Verlust des Vaters sehen wir allerdings als gesichert an“, wird nicht gegeben. Im Befundbericht vom 18. Juli 2016 wird als Auslösekriterium zunächst die Ermordung des Vaters gesehen, jedoch auch die Erlebnisse bei den Rebellen. Letzteres erfülle danach „eindeutig das Traumakriterium A“ (Befundbericht v. 18.7.2016, S. 5); die objektive Seite dieser Erlebnisse wird allerdings nicht aufgeklärt. Obschon „aufgrund einiger Ungenauigkeiten und Widersprüche nicht sicher gesagt werden kann, dass/ob alle geschilderten Erlebnisse so stattgefunden haben“ (vgl. Befundbericht v. 7.8.2014, S. 9; ebs. Befundbericht v. 18.7.2016, S. 6), wird im Befundbericht vom 18. Juli 2016 der Schluss gezogen, dass die beobachtete Symptomatik weiterhin überzeuge, insbesondere weil aufgrund der physiologischen Reaktionen bzw. Veränderungen des Klägers bei der Schilderung seiner Lebensgeschichte und insbesondere der traumatischen Erfahrungen keine Anhaltspunkte dafür gesehen würden, dass der Kläger „in diesen Punkten“ seine Biografie simuliere. Eine Auseinandersetzung etwa mit den vom Verwaltungsgericht Regensburg festgestellten Widersprüchen des klägerischen Vortrags findet nicht statt, obschon Refugio jedenfalls dessen Beschluss vom 27. März 2012 (Az. RN 5 S 12.30095) und die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Regensburg vom 29. November 2012 vorlagen und bekannt waren (vgl. Befundbericht v. 7.8.2014, S. 2 sowie Befundbericht v. 18.7.2016, S. 2). Insgesamt fällt auf, dass das vom Kläger geschilderte Geschehen vage und im Allgemeinen bleibt; der Inhalt der festgestellten Ungenauigkeiten und Widersprüche sowie deren Bezug zu den gleichwohl zugrunde gelegten traumatisierenden Ereignissen wird nicht erläutert. Vonseiten des Klägers sind die in seine Sphäre fallenden behaupteten objektiven Ereignisse, also Ereignisse, die „fast bei jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würden“ (vgl. ICD-10: F43.1), auch in den behördlichen und gerichtlichen Verfahren nach wie vor nicht schlüssig und widerspruchsfrei dargestellt worden, obwohl angesichts der tatrichterlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 29. November 2012 aber auch der Begründung des Bundesamtsbescheids vom 29. April 2014 Anlass dazu bestand. Insbesondere hat der Kläger im Folgeverfahren, die offen zu Tage tretenden Widersprüche seines Vortrags aus dem Erstverfahren nicht ausgeräumt.

dd) Der Einwand, das Verwaltungsgericht habe den klägerischen Vortrag zur Erschießung des Bruders bei der Rekrutierung zum Kindersoldaten für unglaubhaft gehalten, weil der Kläger die Frage zur Anzahl seiner Geschwister nicht richtig beantwortet habe, was dieser aber richtig gestellt habe, führt nicht zur Zulassung der Berufung.

Das Verwaltungsgericht hat diesen Umstand aus gutem Grund erfragt und in den Entscheidungsgründen aufgeführt. Das erstmals und soweit ersichtlich auch einmalig behauptete traumatisierende Ereignis, wonach der Bruder des Klägers bei der Rekrutierung zum Kindersoldaten erschossen worden sei (vgl. ärztliche Bestätigung des Bezirksklinikums Niederbayern v. 25.2.2014), hatte der Kläger weder bei der Anhörung im Erstverfahren noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Regensburg vom 29. November 2012 erwähnt. In der Niederschrift zur Erstanhörung wurden auch nur ein Bruder und eine Schwester vermerkt, die der Kläger zuletzt zu Hause gesehen habe. Die auf entsprechenden Vorhalt des Verwaltungsgerichts in der mündlichen Verhandlung vom 24. August 2016 gegebene Antwort des Klägers, „Ich habe nicht gewusst, dass ich bereits tote Geschwister auch angeben soll“, hat das Verwaltungsgericht in der Gesamtschau und aus nachvollziehbaren Gründen für unglaubhaft gehalten. So hatte der Kläger bei seiner Anhörung im Erstverfahren von der Verhaftung vieler Jungen durch die Rebellen berichtet, aber nichts zu einem Bruder erwähnt, der von diesen erschossen worden sein soll.

Hiervon abgesehen hat das Verwaltungsgericht die behauptete Verschleppung des Klägers durch Rebellen aber auch deshalb für unglaubhaft erachtet, weil der Kläger bereits im Asylerstverfahren widersprüchliche Angaben zur behaupteten Verschleppung durch Rebellen gemacht hatte (bei der Anhörung v. 18.1.2012 auf Frage wie lange der Kläger insgesamt bei den Rebellen gewesen sei: „Zehn Tage lang, dann bin ich entkommen“, in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Regensburg v. 29. November 2012: „Ich wurde während des Krieges längere Zeit gefangen gehalten“ und „Sie (Anm.: die Rebellen) haben mich damals mehrmals gefangen genommen und ich bin immer wieder abgehauen und dann auch immer wieder zur Schule gegangen“).

d) Das Vorbringen, grundsätzlich gelte auch für den medizinischen Bereich, dass ein Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nur dann unzulässig sei, wenn ein unsubstantiierter „Ausforschungs-“ Beweisantrag vorliege und für die zugrundeliegende Tatsachenbehauptung nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spreche, führt nicht zur Zulassung der Berufung.

aa) Ob sich ein derartiger allgemeiner Rechtssatz aus der u. a. in Bezug genommenen Zulassungsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. März 2006 (Az. 1 B 91.05 - NVwZ 2007, 346) entnehmen lässt, erscheint fraglich, kann aber dahinstehen. Jedenfalls hat das Bundesverwaltungsgericht seine Rechtsauffassung im Revisionsverfahren präzisiert und klargestellt, dass zur Substantiierung eines Sachverständigenbeweisantrags, der das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung zum Gegenstand hat, angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes sowie seiner vielfältigen Symptome regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests gehört und ausgeführt, welche Anforderungen an die Substantiierung zu stellen sind (BVerwG, U. v. 11.9.2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251; vgl. auch BVerwG, U. v. 11.9.2007 - 10 C 17.00 - juris Rn. 15 f.). Hiervon geht auch das Verwaltungsgericht aus (vgl. UA S. 11). Soweit das Verwaltungsgericht auf die seiner Auffassung nach unzureichenden tatsächlichen Grundlagen zur Frage des Vorliegens eines traumatisierenden Ereignisses abstellt, hat es die Anforderungen an die Darlegungspflicht des Klägers nicht überspannt. Insbesondere erfordert die nachvollziehbare Schilderung von in der Sphäre des Klägers liegenden Ereignissen keine kostenauslösende oder umfängliche gutachtliche Stellungnahme. Vielmehr sind die Beteiligten auch in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess verpflichtet, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (vgl. BVerwG, U. v. 29.6.1999 - 9 C 36.98 - BVerwGE 109, 174). Insoweit obliegt es dem Kläger, die behaupteten Geschehnisse, die bei ihm eine posttraumatische Belastungsstörung zum Entstehen gebracht haben sollen, jedenfalls in Grundzügen unter Angabe von Einzelheiten schlüssig und widerspruchsfrei zu schildern (vgl. BayVGH, B. v. 17.10.2012 - 9 ZB 10.30390 - juris Rn. 8). Hiervon ausgehend greift auch der Beweisantrag, ein Sachverständigengutachten darüber einzuholen, dass beim Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegt, zu kurz, weil ein solches Gutachten die objektive Seite des Ereignisses nicht klärt.

bb) Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag des Klägers abgelehnt, weil es die Anknüpfungstatsachen für das Krankheitsbild einer posttraumatischen Belastungsstörung nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung für nicht gegeben erachtete. Das Verwaltungsgericht hat den vorgelegten Bescheinigungen auch nicht per se deren hinreichende Qualität abgesprochen; es hat vielmehr die vom Kläger geschilderten und den Befunden zugrunde gelegten traumatisierenden Erlebnisse im Hinblick auf deren objektive Seite mit einer nachvollziehbaren Begründung als unglaubhaft gewertet.

Dass das Vorliegen eines traumatischen Ereignisses zwingende Voraussetzung für die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung ist, wurde zutreffend bereits im Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 29. November 2012 zum Erstverfahren festgestellt (nachfolgend BayVGH, B. v. 6.2.2013 - 9 ZB 13.30032), findet seine Bestätigung aber auch in den Befundberichten von Refugio vom 7. August 2014 und vom 18. Juli 2016, wonach die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht nur eine spezifische Symptomatik, sondern auch ein traumatisches Lebensereignis als Auslöser für die Symptomatik zwingend erfordere und die Symptomatologie des psychopathologischen Befunds generell keine Rekonstruktion der objektiven Seite der traumatisierenden Ereignisse ermögliche (vgl. Befundbericht v. 7.8.2014, S. 5 bzw. Befundbericht v. 18.7.2016, S. 5).

e) Aus der in Bezug genommenen Zulassungsentscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (B. v. 8.1.2016 - 13a ZB 15.30245 - nicht veröffentlicht) folgt nichts anderes. Diese Entscheidung betrifft nicht die an die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung gestellten Anforderungen (vgl. hierzu BVerwG, U. v. 11.9.2007 - 10 C 17.07 - juris Rn. 15 f.), sondern die Übertragung dieser Anforderungen an die Diagnose einer Depression.

2. Soweit es die geltend gemachte (leichtgradige) depressive Störung und Angststörung beim Kläger betrifft, hat das Verwaltungsgericht den Beweisantrag abgelehnt, weil es die vorgelegten Diagnosen als wahr unterstellt hat. Auch dies ist nicht zu beanstanden.

Das Absehen von einer Beweiserhebung wegen „Wahrunterstellung“ (im Sinn von Dahinstehenlassen von behaupteten Tatsachen) ist im Verwaltungsprozess dort zulässig, wo der Sache nach ein Verzicht auf die Beweiserhebung wegen Unerheblichkeit der vorgetragenen Tatsachen vorliegt (vgl. BVerwG, U. v. 17.1.1990 - 9 C 39.89 - NVwZ-RR 1990, 510). So liegt es hier. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass die nachgewiesenen Erkrankungen einer depressiven Störung (leichtgradig) und einer Angststörung nicht derart schwerwiegende Krankheitsbilder darstellten, dass im Fall der Rückkehr nach Sierra Leone auch ohne deren fortlaufende Behandlung eine erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten sei. Diese Bewertung stützt sich auf die fachärztliche Äußerung des Klinikums der Universität München vom 12. Juli 2016, wonach der Kläger „klar von Suizidalität distanziert“ sei und den Befundbericht von Refugio vom 18. Juli 2016, wonach der Kläger aus medizinischen Gründen derzeit keine Medikation in Bezug auf die Angststörung erhalte. Ohne dass es vorliegend darauf ankommt, findet diese Bewertung ihre rechtliche Grundlage in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Danach liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Nach § 83 b AsylVfG werden Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) nicht erhoben.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Soweit dieses Gesetz nicht abweichende Vorschriften enthält, sind auf die Beweisaufnahme §§ 358 bis 444 und 450 bis 494 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden.

(1) Stellt der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt. Das Gleiche gilt für den Asylantrag eines Kindes, wenn der Vertreter nach § 14a Abs. 3 auf die Durchführung eines Asylverfahrens verzichtet hatte.

(2) Der Ausländer hat den Folgeantrag persönlich bei der Außenstelle des Bundesamtes zu stellen, die der Aufnahmeeinrichtung zugeordnet ist, in der er während des früheren Asylverfahrens zu wohnen verpflichtet war. Wenn der Ausländer das Bundesgebiet zwischenzeitlich verlassen hatte, gelten die §§ 47 bis 67 entsprechend. In den Fällen des § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder wenn der Ausländer nachweislich am persönlichen Erscheinen gehindert ist, ist der Folgeantrag schriftlich zu stellen. Der Folgeantrag ist schriftlich bei der Zentrale des Bundesamtes zu stellen, wenn

1.
die Außenstelle, die nach Satz 1 zuständig wäre, nicht mehr besteht,
2.
der Ausländer während des früheren Asylverfahrens nicht verpflichtet war, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen.
§ 19 Abs. 1 findet keine Anwendung.

(3) In dem Folgeantrag hat der Ausländer seine Anschrift sowie die Tatsachen und Beweismittel anzugeben, aus denen sich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes ergibt. Auf Verlangen hat der Ausländer diese Angaben schriftlich zu machen. Von einer Anhörung kann abgesehen werden. § 10 gilt entsprechend.

(4) Liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vor, sind die §§ 34, 35 und 36 entsprechend anzuwenden; im Falle der Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) ist § 34a entsprechend anzuwenden.

(5) Stellt der Ausländer, nachdem eine nach Stellung des früheren Asylantrags ergangene Abschiebungsandrohung oder -anordnung vollziehbar geworden ist, einen Folgeantrag, der nicht zur Durchführung eines weiteren Verfahrens führt, so bedarf es zum Vollzug der Abschiebung keiner erneuten Fristsetzung und Abschiebungsandrohung oder -anordnung. Die Abschiebung darf erst nach einer Mitteilung des Bundesamtes, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vorliegen, vollzogen werden, es sei denn, der Ausländer soll in den sicheren Drittstaat abgeschoben werden.

(6) Absatz 5 gilt auch, wenn der Ausländer zwischenzeitlich das Bundesgebiet verlassen hatte. Im Falle einer unerlaubten Einreise aus einem sicheren Drittstaat (§ 26a) kann der Ausländer nach § 57 Abs. 1 und 2 des Aufenthaltsgesetzes dorthin zurückgeschoben werden, ohne dass es der vorherigen Mitteilung des Bundesamtes bedarf.

(7) War der Aufenthalt des Ausländers während des früheren Asylverfahrens räumlich beschränkt, gilt die letzte räumliche Beschränkung fort, solange keine andere Entscheidung ergeht. Die §§ 59a und 59b gelten entsprechend. In den Fällen der Absätze 5 und 6 ist für ausländerrechtliche Maßnahmen auch die Ausländerbehörde zuständig, in deren Bezirk sich der Ausländer aufhält.

(8) Ein Folgeantrag steht der Anordnung von Abschiebungshaft nicht entgegen, es sei denn, es wird ein weiteres Asylverfahren durchgeführt.

(1) In den Fällen der Unzulässigkeit nach § 29 Absatz 1 Nummer 2 und 4 und der offensichtlichen Unbegründetheit des Asylantrages beträgt die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist eine Woche.

(2) Das Bundesamt übermittelt mit der Zustellung der Entscheidung den Beteiligten eine Kopie des Inhalts der Asylakte. Der Verwaltungsvorgang ist mit dem Nachweis der Zustellung unverzüglich dem zuständigen Verwaltungsgericht zu übermitteln.

(3) Anträge nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsandrohung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen; dem Antrag soll der Bescheid des Bundesamtes beigefügt werden. Der Ausländer ist hierauf hinzuweisen. § 58 der Verwaltungsgerichtsordnung ist entsprechend anzuwenden. Die Entscheidung soll im schriftlichen Verfahren ergehen; eine mündliche Verhandlung, in der zugleich über die Klage verhandelt wird, ist unzulässig. Die Entscheidung soll innerhalb von einer Woche nach Ablauf der Frist des Absatzes 1 ergehen. Die Kammer des Verwaltungsgerichts kann die Frist nach Satz 5 um jeweils eine weitere Woche verlängern. Die zweite Verlängerung und weitere Verlängerungen sind nur bei Vorliegen schwerwiegender Gründe zulässig, insbesondere wenn eine außergewöhnliche Belastung des Gerichts eine frühere Entscheidung nicht möglich macht. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Die Entscheidung ist ergangen, wenn die vollständig unterschriebene Entscheidungsformel der Geschäftsstelle der Kammer vorliegt. Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt nach § 11 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes und die Anordnung und Befristung nach § 11 Absatz 7 des Aufenthaltsgesetzes sind ebenso innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Vollziehbarkeit der Abschiebungsandrohung bleibt hiervon unberührt.

(4) Die Aussetzung der Abschiebung darf nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen. Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig. Ein Vorbringen, das nach § 25 Abs. 3 im Verwaltungsverfahren unberücksichtigt geblieben ist, sowie Tatsachen und Umstände im Sinne des § 25 Abs. 2, die der Ausländer im Verwaltungsverfahren nicht angegeben hat, kann das Gericht unberücksichtigt lassen, wenn andernfalls die Entscheidung verzögert würde.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.