Erbenstellung: Vertragliche Verschaffung kann umgedeutet werden

bei uns veröffentlicht am30.05.2010

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für Familien- und Erbrecht

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Anwalt für Familienrecht und Erbrecht - S&K Awälte in Berlin Mitte
Wenn die Personen, die als Erben in Betracht kommen, im Hinblick auf eine unklare oder unklar erscheinende Erbrechtslage in einem notariellen Vertrag vereinbaren, dass einer von ihnen Hoferbe sein soll, ist eine darin liegende, von der tatsächlichen Hoferbrechtsfolge abweichende Hoferbenbestimmung unwirksam.

Nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Oldenburg kann ein solcher Vertrag gleichwohl Auswirkungen haben. Sei die Vereinbarung darauf gerichtet, dem begünstigten Beteiligten unabhängig von der tatsächlichen Erbrechtslage den zur Erbschaft gehörenden Nachlass zukommen zu lassen, lasse sich hieraus eine schuldrechtliche Verpflichtung herleiten, ggf. durch Rechtsgeschäft unter Lebenden die bei entsprechender Erbenstellung bestehende Vermögenslage herbeizuführen. Dem begünstigten Beteiligten sei also der Nachlass bzw. bei einem Hof das Hofvermögen zu übertragen und damit das von den Beteiligten bei Vertragsschluss übereinstimmend gewollte Ergebnis herbeizuführen. Die Richter machten zugleich deutlich, dass eine solche Vereinbarung mit Vergleichscharakter regelmäßig nicht mit Erfolg wegen Irrtums angefochten werden könne. Sie sei grundsätzlich auch einer Aufhebung oder Rückabwicklung nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage nicht zugänglich, wenn sich später eine gerichtliche Klärung der bei Vertragsschluss unklaren Erbrechtslage ergebe (OLG Oldenburg, 1 U 36/09).


Urteile

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Oberlandesgericht Naumburg Urteil, 11. März 2010 - 1 U 36/09

bei uns veröffentlicht am 11.03.2010

Tenor Die Berufungen der Beklagten und des Streithelfers gegen das am 27.2.2009 verkündete Urteil des Landgerichts Halle (3 O 358/03) werden mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Ziffer 1 im Tenor des angefochtenen Urteils wie folgt neu gefasst wi

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Tenor

Die Berufungen der Beklagten und des Streithelfers gegen das am 27.2.2009 verkündete Urteil des Landgerichts Halle (3 O 358/03) werden mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Ziffer 1 im Tenor des angefochtenen Urteils wie folgt neu gefasst wird:

Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 110.000,-- Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5.11.2003 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens; die Kosten der Streithilfe hat der Streithelfer zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 140.000,-- Euro abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Die am 8.7.1998 geborene Klägerin macht gegen die Beklagte zu 1) (i.F. Beklagte) einen Schadensersatzanspruch wegen einer vorgeburtlich oder während der Geburt entstandenen Hirnschädigung geltend. Die Klage gegen den die Geburt leitenden Beklagten zu 2), einen bei der Beklagten zu 1) angestellten Facharzt, hat das Landgericht abgewiesen. Insoweit ist das Urteil rechtskräftig geworden. Die Parteien streiten im Berufungsverfahren im wesentlichen darum, ob auf Seiten der Beklagten eine Pflichtverletzung durch die angestellte Hebamme H. K. vorliegt, die als grober Behandlungsfehler einzuordnen ist und ob die bei der Klägerin entstandene Hirnschädigung kausal auf eine solche Pflichtverletzung zurückzuführen ist.

2

Bei der Mutter der Klägerin wurde die Schwangerschaft durch den Streithelfer (einem niedergelassenen Gynäkologen) am 15.12.1997 festgestellt. Am 19.1.1998 stellte der Streithelfer eine Zwillingsschwangerschaft fest. Im Mai 1998 überwies der Streithelfer die Mutter der Klägerin an das B. Krankenhaus (u.a.) zur Erstellung einer Sonographie. Der dort behandelnde Arzt Dr. Pf. vermerkte in dem Untersuchungsbericht vom 29.5.1998 (Bl. 23 I):

3

Monochorisch – monoamniotisch !!!, Gemini

4

Am Endes Befundberichts heißt es weiter:

5

Diagnose

Unauffällige, zeitentsprechend entwickelte Zwillinge ohne Wachstumsdiskordanz. Dopplersonographie unauffällig.

6

Zwischen den Parteien ist streitig, ob Dr. Pf. den Befundbericht mit der Mutter der Klägerin besprochen hat, insbesondere, ob er ihr gegenüber die Notwendigkeit einer (frühzeitigen) „Kaiserschnittgeburt“ (Sectio) erwähnt hat. Der Untersuchungsbericht wurde dem Streithelfer übermittelt, der (bzw. nach dem Inhalt der Anhörung der Kindesmutter [Bl. 107 IV], die bei ihm angestellte Hebamme Kr. ) die Mutter der Klägerin über den Inhalt in Kenntnis setzte. In den Mutterpass (Bl. 24 ff. I) wurde diese Information nicht eingetragen. Der Streitverkündete (bzw. [s.o.] die Hebamme Kr. ) legte den Befundbericht (lose) in den Mutterpass ein. Bei der Mutter der Klägerin wurden bis zur Geburt - unstreitig - alle üblichen Untersuchungen durchgeführt (dazu: die Eintragungen im Mutterpass). Am 10.6.1998 (= 32. Schwangerschaftswoche) stellte sich die Mutter der Klägerin in Begleitung ihrer Mutter, der Zeugin C. W., bei der Beklagten vor. Es kam zu einem Eingangsgespräch mit der diensthabenden Hebamme H. K. . Der Inhalt dieses Gesprächs ist zwischen den Parteien streitig. Die Klägerin hat dazu in der Klageschrift vorgetragen (S. 6 - Bl. 7 I -):

7

Die Kindesmutter überreichte Frau K. den Mutterpass mit dem in der hinteren Lasche befindlichen Befundbericht von Herrn Oberarzt Dr. Pf. vom 29.5.1998. Hierbei wies die Kindesmutter die Hebamme ausdrücklich auf das von Herrn Oberarzt Dr. Pf. festgestellte und ihr gegenüber geäußerte Risiko hin, insbesondere dass die Entbindung mittels Kaiserschnitt zu erfolgen hat. Hierauf antwortete die Hebamme wörtlich:

        

... wenn es immer nach den Ärzten ginge, müssten wir nur noch Kaiserschnitte machen, wir haben Erfahrungen mit Drillings-Geburten ohne Kaiserschnitt. ...

8

Unstreitig zog die Hebamme zu diesem Gespräch keinen Arzt hinzu. Das Landgericht hat zum Inhalt des Gesprächs die Zeuginnen K. und W. gehört (Protokoll vom 19.7.2007 - Bl. 130 ff. II/133 II -). Auf den Inhalt des Protokolls wird Bezug genommen.

9

In der Berufungsbegründung (S. 14 - Bl. 219 III -) hat die Beklagte noch einmal ausdrücklich bestritten, dass der Untersuchungsbericht von Dr. Pf. bei dem Gespräch am 10.6.1998 vorgelegen hat.

10

In der Folgezeit wurden die üblichen Untersuchungen durch den Streithelfer durchgeführt, insbesondere auch mehrere Unterschalluntersuchungen, die unauffällig waren. Am Morgen des 8.7.1998 kam es bei der Mutter der Klägerin zu einem vorzeitigen Blasensprung, ohne Einsetzen der Wehentätigkeit. Die Mutter der Klägerin wurde umgehend in das Krankenhaus der Beklagten gebracht und dort aufgenommen. Ob zu diesem Zeitpunkt der Untersuchungsbericht von Dr. Pf. vorlag, ist zwischen den Parteien streitig. Eine Sectio wurde zunächst nicht vorgenommen, sondern die spontane Geburt abgewartet. Gegen 15.21 Uhr wurde die Schwester der Klägerin komplikationslos geboren. Bei der weiteren vaginalen Untersuchung stellte der ursprüngliche Beklagte zu 2) fest, dass der Kopf der Klägerin noch hoch im Becken stand und ertastete ein Nabelschnurkonglomerat. Es stellte sich heraus, dass beide Nabelschnüre miteinander verschlungen waren und somit auch die Nabelschnur der Klägerin vorgefallen war. Daraufhin veranlasste der Beklagte zu 2) die Durchführung einer Not-Sectio. Die Klägerin wurde um 15.51 Uhr geboren. Bei der Klägerin liegt eine Hirnschädigung vor, die zu einer Mehrfachbehinderung führte. Die Klägerin musste langfristig (bis zum 16.10.1998) in der Kinderklinik der Beklagten versorgt werden (dazu: Gutachten Prof. Dr. J., S. 6 - 9/Bl. 202 - 205 I). Die Behinderung äußert sich (u.a.) in einer rechts betonten Bewegungsstörung, sowie einer deutlichen Störung des Sprachvermögens, der intellektuellen Leistungsfähigkeit und der Wahrnehmung. Es sind zwar Besserungen zu erwarten, die Behinderung wird aber zeitlebens bestehen (Gutachten Prof. Dr. J., S. 14/15 - Bl. 209/210 I).

11

Zwischen den Parteien ist nach der rechtskräftigen Abweisung der Klage gegen den Beklagten zu 2) nicht mehr im Streit, dass die Versorgung der Klägerin und der Kindesmutter am 8.7.1998, also während der Geburt selbst, nicht fehlerhaft war (dazu auch: Gutachten Dr. Maul, S. 4 - Bl. 237 II -). Die Parteien streiten vor allem darum,

12

- welchen Inhalt das Gespräch vom 10.6.1998 hatte;

13

- ob die Zeugin K. - unterstellt, dass ihr der Bericht Dr. Pf. bekannt war - verpflichtet war, sofort einen Arzt hinzuzuziehen;

14

- ob ein solches Unterlassen grob pflichtwidrig war (mit den entsprechenden Konsequenzen für die Verteilung der Beweislast);

15

- welche Handlungsoptionen einem Arzt bei Kenntnis der Risikoschwangerschaft am 10.6.1998 zur Verfügung gestanden hätten:

16

- ob das Ergreifen einer solchen Handlungsoption den Kausalverlauf positiv hätte beeinflussen können, wobei sich auch die Frage stellt, wann die Hirnschädigung bei der Klägerin eingetreten ist.

17

Das Landgericht hat zu diesem Fragenkomplex die bereits erwähnten Zeuginnen gehört (Hinweis- und Beweisbeschluss vom 21.9.2006 - Bl. 88 - 91 II -/Protokoll vom 19.1.2007 - Bl. 130 - 139 II -) sowie zwei Gutachten eingeholt:

18

Gemäß Beweisbeschluss vom 20.1.2004 (Bl. 139/140 I) wurde ein Gutachten von Prof. Dr. J. (Fachrichtung: Pädiatrie und Neonatologie) vom 25.1.2005 (Bl. 197 - 215 I) eingeholt, ergänzt gemäß Beschluss vom 2.5.2005 (Bl. 244 - 246 I) durch das Ergänzungsgutachten vom 22.11.2005 (Bl. 1 - 11 II).

19

Weiter wurde gemäß Beweisbeschluss vom 9.3.2007 (Bl. 180/181 II) ein Gutachten von Dr. M. (Gynäkologe, Spezialgebiet Geburtshilfe und Perinatologie) vom 25.7.2008 (Bl. 234 - 238 II) eingeholt, der sein Gutachten im Termin vom 12.12.2008 (Bl. 36 - 41 III) mündlich erläutert hat.

20

Auf den Inhalt der Protokolle und schriftlichen Gutachten wird Bezug genommen.

21

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil der Klage gegen die Beklagte in vollem Umfang stattgegeben: Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass die Zeugin K. Kenntnis von der Risikoschwangerschaft bei der Mutter der Klägerin hatte. Soweit diese es unterlassen habe, sofort einen Arzt hinzuzuziehen, liege ein grober Fehler vor. Die Zeugin habe seitens der Beklagten die klare Handlungsanweisung gehabt, so zu verfahren. Es hätte sogleich eine Überweisung an ein Perinatalzentrum erfolgen müssen. Dass dies auch der Streithelfer hätte tun müssen, entlaste die Beklagte nicht. Da ein grober Fehler vorliege, trage die Beklagte die Beweislast dafür, dass zwischen dem Fehler und der Gesundheitsbeeinträchtigung bei der Klägerin kein Kausalzusammenhang bestehe. Diesen Nachweis könne die Beklagte nicht führen, weil alle übrigen Punkte ungewiss seien. So sei ungewiss, ob ein zugezogener Arzt die Überweisung in ein Perinatalzentrum veranlasst hätte. Weiter bleibe ungeklärt, ob eine Überweisung am 10.6.1998 den Gesundheitsschaden bei der Klägerin verhindert hätte, insbesondere, ob das Perinatalzentrum noch in der 32. Schwangerschaftswoche eine Sectio durchgeführt hätte und eine solche die Hirnschädigung verhindert hätte. Diese Unsicherheiten gingen zulasten der Beklagten. Das Landgericht hat für die Zeit vom 8.7.1998 (= Tag der Geburt) bis zum 12.12.2008 (= Schluss der mündlichen Verhandlung) ein beziffertes Schmerzensgeld i.H.v. 110.000,-- Euro zugesprochen und im übrigen festgestellt, dass die Beklagten zum Ersatz sämtlicher materieller und immaterieller Schäden bei der Klägerin verpflichtet ist.

22

Gegen dieses Urteil wenden sich die Beklagte und der Streithelfer mit der Berufung. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Berufungsbegründungen vom 5.6.2009 (Beklagte - Bl. 206 - 232 III -) und 11.6.2009 (Streithelfer - Bl. 236/237 III -) und den Schriftsatz der Beklagten vom 30.9.2009 (Bl. 58/59 IV).

23

Die Beklagte und der Streithelfer beantragen,

24

das am 27.2.2009 verkündete Urteil des Landgerichts Halle (3 O 358/03) abzuändern und die Klage abzuweisen.

25

Die Klägerin beantragt,

26

die Berufung zurückzuweisen.

27

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt und vertieft ihren Vortrag aus erster Instanz. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Berufungserwiderung vom 14.9.2009 (Bl. 36 - 53 IV).

28

Auf die mündliche Verhandlung vom 8.10.2009 (Bl. 60 IV) hat der Senat einen Hinweis- und Beweisbeschluss erlassen, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 63 - 66 IV). Im Termin vom 18.2.2010 hat der Senat die Kindesmutter persönlich angehört, sowie die Zeuginnen H. K., C. W., Dr. I. St., Dr. S. R. und den Zeugen Dipl.-med. F. H. vernommen. Die Anhörung der Kindermutter und der Zeugen fand in Anwesenheit des Sachverständigen Dr. M. statt, der am Ende der Beweisaufnahme eine sachverständige Bewertung abgegeben hat. Auf den Inhalt des Protokolls wird Bezug genommen (Bl. 107 - 111 IV).

II.

29

Beide Berufungen sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg. Mit dem Landgericht ist davon auszugehen, dass die Beklagte in vollem Umgang für die bei der Klägerin eingetretenen Gesundheitsschäden einzustehen hat (§§ 823, 847 Abs. 1 BGB a.F. i.V.m. Art. 229 § 8 EGBGB).

30

Der Senat geht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon aus, dass der Zeugin H. K. eine grob pflichtwidrige Unterlassung zur Last zu legen ist, als sie es in Kenntnis des Befundberichts Dr. Pf. (Bl. 23 I) entgegen einer entsprechenden Weisung der Beklagten unterließ, einen Arzt hinzuzuziehen. Der Senat folgt dabei den Bekundungen der Kindesmutter und der Zeugin W. . Beide haben übereinstimmend ausgesagt, dass bei dem Gespräch vom 10.6.1998 sowohl der Mutterpass, als auch der Befundbericht Dr. Pf. vorgelegen hätten. Beide haben weiter bekundet, dass die Kindesmutter die Hebamme darauf hingewiesen hat, dass eine Kaiserschnittgeburt gemacht werden soll, womit die Zeugin K. nicht einverstanden war (Bl. 110 IV) bzw. dass sie auf das Ansinnen burschikos reagiert habe (Bl. 107 IV). Diese beiden Aussagen werden durch die Bekundungen der Zeugin K. nicht substanziell erschüttert. Die Zeugin hat zwar ausgesagt, dass der Befundbericht Dr. Pf. nicht vorgelegen habe, sie musste aber auf Vorhalt (Bl. 110 IV) einräumen: Ganz 100%ig ist es natürlich nicht . Diese Einschränkung muss im Zusammenhang mit ihrer Aussage vor dem Landgericht gesehen werden, in der sie noch allgemeiner formuliert hat: Konkrete Erinnerungen an das Aufnahmegespräch habe ich aber nicht mehr (Bl. 134 II). Ihre vage, auf Vorhalt eingeschränkte Aussage, ist letztlich nicht geeignet, die Bekundungen der Kindesmutter und der Zeugin W. zu erschüttern.

31

Die Bekundungen der Kindesmutter und der Zeugin W. sind in sich schlüssig und glaubhaft. Es bestehen zwar Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Kindesmutter, weil sie zur Überzeugung des Senats in einem anderen Punkt die Unwahrheit gesagt hat. Sie hat zum Tag der Geburt (8.7.1998) bekundet, dass sie erneut den Mutterpass und den Befund von Dr. Pf. hervorgeholt und gesagt [habe], dass ein Kaiserschnitt gemacht werden solle (Bl. 108 IV). Zwar hat die Zeugin Dr. R. bekundet, an den Vorgang keinerlei Erinnerung zu haben. Der Zeuge H. hat aber eine vollständig abweichende Aussage gemacht. Er hat bekundet, mit der Kindesmutter ein Aufklärungsgespräch durchgeführt zu haben, bei dem zwar der Mutterpass, nicht aber der Befundbericht Dr. Pf. vorgelegen habe. Über eine Kaiserschnittgeburt sei nicht gesprochen worden. Der Zeuge konnte auf Vorhalt auch erklären (Bl. 108 a.E. IV), warum er sich an den Vorgang nach so langer Zeit noch genau erinnern konnte. Seine Aussage wird zudem durch den schriftlichen Vermerk auf der Dokumentierte [n] Patientenaufklärung (Bl. 108 I) gestützt. Der Vermerk enthält einen kurzen Hinweis auf ein geführtes Patientengespräch über Schwangerschaft und Geburt . Vor diesem Hintergrund ist die Aussage der Kindesmutter, dass keine(r) der beteiligten Ärzte/tinnen oder Hebammen ihre Hinweise und den Befundbericht zur Kenntnis genommen habe, und es keinerlei Gespräch mit dem Zeugen H. gegeben hat, unglaubwürdig.

32

Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin W. bestehen demgegenüber nicht gleicher Weise. Ihre Aussagen vor dem Landgericht (Bl. 133/134 II) und vor dem Senat (Bl. 110 IV) sind nahezu deckungsgleich. Bei ihrer Anhörung durch den Senat hat sie zwar über den Inhalt ihrer Aussage vor dem Landgericht hinaus ausgeführt, dass die Kindesmutter bei Übergabe des Mutterpasses an die Zeugin K. darauf hingewiesen habe, dass ein Kaiserschnitt durchgeführt werden solle. Zum einen stellt dies im Verhältnis zum protokollierten Inhalt der Aussage in erster Instanz keinen Widerspruch dar, zum anderen kann dem dortigen Protokoll nicht entnommen werden, dass diese Frage seinerzeit erörtert worden wäre.

33

Zusammengefasst geht der Senat davon aus, dass bei dem Gespräch vom 10.6.1998 neben dem Mutterpass auch der Befundbericht Dr. Pf. vorlag, die Zeugin K. sich diesen Bericht durchgelesen und die Kindesmutter auf eine Kaiserschnittgeburt hingewiesen hat.

34

Da die Zeugin K. in dieser Situation keinen Arzt hinzugezogen hat, obgleich ihr nach eigener Aussage bekannt war (Bl. 134 II/110 IV), dass sie in einem solchen Fall dazu verpflichtet war (was im Grundsatz auch von der Zeugin Dr. St. bei ihrer Aussage vor dem Landgericht bestätigt worden ist - Bl. 137 II -), handelte sie grob pflichtwidrig. Der Sachverständige Prof. Dr. J. hat in seinem Hauptgutachten ausgeführt (Bl. 211 II), dass eine monoamniotische Zwillingsschwangerschaft immer eine extreme Risikoschwangerschaft darstellt. Die Zeugin K. hat bei ihrer Anhörung durch das Landgericht selbst bekundet, dass ihr der Begriff einer monochorisch-monoamniotischen Schwangerschaft bekannt war. Der Sachverständige Dr. M. hatte das Verhalten der Zeugin K. bereits in seinem schriftlichen Gutachten als fahrlässig (Bl. 237 II) bzw. grob fahrlässig (Bl.238 II) eingestuft. Er hat diesen Standpunkt in Kenntnis des Inhalts der Zeugenaussagen noch einmal ausdrücklich bestätigt und das Verhalten der Zeugin K. als völlig inadäquat bezeichnet und an anderer Stelle als schweren Fehler . Es wurde damit zumindest die Möglichkeit vereitelt, in Kenntnis einer Risikoschwangerschaft die Entbindung planen zu können. Es kommt hinzu, dass das Verhalten der Zeugin K. (auf der Basis des vorskizzierten Beweiswürdigungsergebnisses) nicht nachvollziehbar ist: Nach eigenem Bekunden ist ihr das Phänomen einer monochorisch-monoamniotischen Schwangerschaft bekannt. Weiter nach eigenem Bekunden wusste sie um die Verpflichtung, in dieser Situation einen Arzt hinzuziehen zu müssen. Wenn sie in Kenntnis beider Umstände dann keinen Arzt hinzuzieht (was für sie ja auch haftungsrechtliche und arbeitsrechtliche Konsequenzen hätte nach sich ziehen können), bleibt ihr Verhalten/Unterlassen gänzlich unverständlich, sodass die Einordnung als grob fehlerhaft gerechtfertigt ist.

35

Mit dem Landgericht (LGU S. 10) ist damit davon auszugehen, dass hinsichtlich der Kausalität zwischen schädigender Handlung/Unterlassung und dem bei der Klägerin eingetretenen Schaden eine Beweislastumkehr zulasten der Beklagten eingetreten ist. Verbleibende Zweifel hinsichtlich der sich anschließenden Fragen,

36

- hätte ein zugezogener Arzt eine frühzeitige sectio angeordnet?

- wann wäre diese in einem solchen Fall durchgeführt worden?

- wäre eine Einweisung in ein Perinatalzentrum erfolgt?

- wann wäre dort eine sectio durchgeführt worden?

- und hätte all dies unterstellt, die Schädigung bei der Klägerin verhindert werden können?

37

gehen zulasten der Beklagten. Insbesondere letztgenannter Punkt ist unsicher, soweit der Sachverständige Prof. Dr. J. (Bl. 213 II) ausführt, dass eine frühzeitige Entbindung z.B. in der 32. Schwangerschaftswoche das Risiko für einen Hirnschaden zwar vermutlich gesenkt, aber nicht ausgeschlossen hätte. Dies hängt in erster Linie damit zusammen, dass nicht mehr aufklärbar ist (wenn es denn jemals aufklärbar war), wann die Hirnschädigung überhaupt eingetreten ist. Beide Sachverständige stimmen überein, dass sie eher nicht bei der Geburt eingetreten ist. Bei seiner Anhörung durch den Senat hat Dr. M. dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen (s.a. Prof. Dr. J. - Bl. 212 a.E. II -). Soweit Dr. M. bei seiner Anhörung durch das Landgericht (Bl. 40 III) bekundet hat, dass die Schädigung auch vor der 32. Schwangerschaftswoche eingetreten sein könnte, hat er dazu bei seiner Anhörung durch den Senat ergänzt, möglich sei auch, dass die Schädigung theoretisch schon in der 17. Schwangerschaftswoche eingetreten sein könnte. Die Schädigung könnte durch eine einmalige heftige Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr eingetreten sein oder auch durch mehrfache kurzfristige Unterbrechungen, die erst in der Summe die Schädigung hervorgerufen haben könnten (dazu auch Prof. Dr. J. - Bl. 206 a.E. II -). Möglich ist daher auch, dass sich die Entstehung der Schädigung über einen längeren Zeitraum erstreckt hat und durch den Geburtsvorgang eine zusätzliche Schädigung eingetreten sein könnte, was Prof. Dr. J. (Bl. 2 III) allerdings eher für unwahrscheinlich hält. Für wahrscheinlicher hält er den Eintritt der Schädigung rund 2 Wochen vor der Geburt (Bl. 8 III). Soweit Dr. M. bei seiner Anhörung angemerkt hat, dass die Frage nach dem Zeitpunkt einem Arzt für Neuroradiologie bzw. Neuropädiatrie vorgelegt werden sollte (Bl. 111 IV), wurde dieser Befund bereits erhoben. Prof. Dr. J. hat für sein Ergänzungsgutachten (Bl. 2 III) die Stellungnahme des Neuroradiologen Prof. S. eingeholt, der anhand des im Alter von 6 Monaten angefertigten Schädel-MRTs den Eintritt der Schädigung auf einen Zeitpunkt vor der 34 Schwangerschaftswoche, d.h. mindestens 2 Wochen vor der in der 36. Schwangerschaftswoche erfolgten Entbindung datiert. Da weitere Erkenntnisquellen, insbesondere keine durchgängig erstellten MRTs, existieren, hält es der Senat für ausgeschlossen, dass eine erneute Begutachtung eine genauere zeitliche Einordnung des Eintritts der Schädigung erbringen würde. Keiner der vorliegenden gutachterlichen Stellungnahmen kann auch nur ansatzweise entnommen werden, dass sich der Zeitpunkt mit hinreichender Genauigkeit sicher auf die Zeit vor dem 10.6.1998 wird datieren lassen. Ist dies indes nicht möglich, kann die Beklagte die gegen sie sprechende Annahme der Kausalität nicht widerlegen.

38

Damit besteht die Haftung der Beklagten dem Grunde nach. Es entlastet sie nicht, dass Dr. M. im Verlauf der Zeit bis zur Geburt eine ganze Fehlerkette sieht, beginnend schon bei Dr. Pf., der nicht für eine direkte Unterrichtung des Streithelfers gesorgt hat. Überträgt man die Ausführungen von Dr. M. auf das Verhalten der Hebamme Kr. (die Angaben der Kindesmutter an dieser Stelle unterstellt), ist deren Entscheidung - offenbar ohne Befragung des Streithelfers - das Befundergebnis nicht im Mutterpass zu vermerken, ebenfalls nicht nachvollziehbar. Es bleibt aber dabei, dass - worauf schon Prof. Dr. T. in seinem Gutachten für die Schlichtungsstelle hingewiesen hat: Der entscheidende Umstand war jedoch, ob eine Mitteilung der bereits sicher diagnostizierten Besonderheit der Zwillingsschwangerschaft erfolgte, bzw. im Mutterpass verfügbar war (Bl. 65 I). Dem ist nichts hinzuzufügen.

39

Das Landgericht hat ein Kapitalschmerzensgeld von 110.000,-- Euro zugesprochen und in den Gründen ausgeführt (LGU S. 14), dass damit der Zeitraum bis zum 12.12.2008 (= Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz) abgegolten werde. Die Berufung rügt (BB S. 25 - Bl. 230 III -), dass das Landgericht damit ein unzulässiges Teilschmerzensgeld zugesprochen habe. Dem kann nicht gefolgt werden. Die Klägerin hat bereits in der Klageschrift (S. 20 - Bl. 20 I -) klargestellt, dass sie die Höhe des Schmerzensgeldes in das Ermessen des Gerichts stelle. Der Klageantrag enthält zwar eine Befristung auf den 31.7.2003. Daran ist der Senat aber eben sowenig i.S.v. § 308 ZPO gebunden, wie an die Benennung eines Mindestbetrages (Senat, Urteil vom 28.11.2001 - 1 U 161/99 - [VersR 2002, 1295, 1296]). Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes gebietet, die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Schmerzensgeldes aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen. Lässt sich demgegenüber nicht endgültig sagen, welche Änderungen eintreten können, so ist es zulässig, den Betrag des Schmerzensgeldes zuzusprechen, der dem Verletzten zum Zeitpunkt der Entscheidung mindestens zusteht. Dafür muss der Kläger keine offene Teilklage erheben, es reicht vielmehr, dass er sich - wie vorliegend - durch einen Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten seinen Anspruch auf zukünftige immaterielle Schäden sichert (BGH, Urteil vom 20.1.2004 - VI ZR 70/03 - [VersR 2004, 1243]). Der Sachverständige Prof. Dr. J. hat die Folgen für die Klägerin in seinem Hauptgutachten (S.14 a.E../14 - Bl. 209/210 II -) wie folgt zusammengefasst:

40

Es liegt eine Mehrfachbehinderung vor, die sich vor allem in einer rechtsbetonten Bewegungsstörung, sowie einer deutlichen Störung des Sprachvermögens, der intellektuellen Leistungsfähigkeit und der Wahrnehmung äußert. Weitere Fortschritte sind zu erwarten, jedoch wird die Behinderung zeitlebens bestehen.

41

Von diesen Feststellungen ist bei der Bemessung des Schmerzensgeldes auszugehen. Insbesondere steht fest, dass die Behinderung ein Leben lang andauern wird, sodass (die Klägerin ist heute 11 ½ Jahre alt; durchschnittliche Lebenserwartung für Frauen in Deutschland [Stand heute] rd. 80 Jahre) zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz abschließende Feststellungen zu künftigen immateriellen Schäden nicht getroffen werden können. Weiter ist zu berücksichtigten, dass bislang seitens der Beklagten oder des hinter ihr stehenden Haftpflichtversicherers, keinerlei Schadensregulierung vorgenommen wurde. Zieht man wie das Landgericht Vergleichsfälle heran

42

z.B.: OLG Schleswig VersR 1994, 310, 311; OLG Stuttgart VersR 2001,1560, 1563/4; OLG München VersR 1997, 977; OLG Brandenburg VersR 2004, 199, 200; OLG Düsseldorf VersR 2008, LG München VersR 2007, 1139; Senat a.a.O.)

43

ergibt sich ein Rahmen (teilweise unter Einbeziehung einer Schmerzensgeldrente) zwischen rd. 170.000,-- Euro und 350.000,-- Euro. Berücksichtigt man, dass sich das vom Landgericht zugesprochene Schmerzensgeld - jetzt - auf den Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz bezieht (für eine Erhöhung des Betrages wegen des fortgeschritten Zeitablaufs sieht der Senat ebenfalls keine Veranlassung), liegt der Betrag von 110.000,-- Euro im vertretbaren Rahmen.

44

Da künftige Schäden (in der Klageschrift wird z.B. auf mögliche vermehrte Bedürfnisse hingewiesen) nicht auszuschließen sind, ist auch der Feststellungsantrag begründet.

45

Die Berufung ist daher in vollem Umfang zurückzuweisen.

46

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

47

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

48

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen von § 543 ZPO nicht vorliegen.

49

Hinsichtlich der Streitwertfestsetzung wird Bezug genommen auf den Beschluss des Landgerichts vom 6.5.2009 (Bl. 147/148 III).

50

Beschluss

51

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 140.000,-- Euro festgesetzt.