Erbrecht: Ausschlagungsfrist beginnt erst mit zuverlässiger Kenntnis von der Erbschaft

bei uns veröffentlicht am04.03.2007

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für Familien- und Erbrecht

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Zusammenfassung des Autors
Rechtsberatung zu Familienrecht und Erbrecht durch die Rechtsanwälte S&K in Berlin Mitte

Die Frist zur Ausschlagung der Erbschaft beginnt erst, wenn der Erbe zuverlässige Kenntnis vom Anfall der Erbschaft und dem Grund seiner Berufung hat.

 

Hierauf wies das Oberlandesgericht (OLG) München hin. Die Richter verdeutlichten, dass eine zuverlässige Kenntnis vom Grund der Berufung nicht gegeben sei, wenn

 

  • der durch eine auslegungsbedürftige letztwillige Verfügung berufene Miterbe mit vertretbaren Gründen annimmt, er sei Alleinerbe aufgrund Gesetzes.

 

  • das Nachlassgericht einen nicht näher begründeten Hinweis gibt, die Erbfolge richte sich nach dem Testament, dessen Auslegung zwischen den Beteiligten streitig ist.

 

(OLG München, 31 Wx 45/06)


Die Entscheidung im Einzelnen lautet:

OLG München: Beschluss vom 28.08.2006 - Az: 31 Wx 45/06

Die Frist zur Ausschlagung der Erbschaft beginnt erst, wenn der Erbe zuverlässige Kenntnis vom Anfall der Erbschaft und dem Grund seiner Berufung hat. Zuverlässige Kenntnis vom Grund der Berufung ist nicht gegeben, wenn der durch eine auslegungsbedürftige letztwillige Verfügung berufene Miterbe mit vertretbaren Gründen annimmt, er sei Alleinerbe auf Grund Gesetzes.

Der nicht näher begründete gerichtliche Hinweis, die Erbfolge richte sich nach dem Testament, dessen Auslegung zwischen den Beteiligten streitig ist, vermittelt in der Regel keine zuverlässige Kenntnis vom Grund der Berufung.

Es bleibt offen, ob es in einem solchen Fall für den Beginn der Ausschlagungsfrist auf die Kenntnis des Verfahrensbevollmächtigten des Erben ankommen kann.


Sachverhalt:

Der Erblasser ist am 13.4.2002 im Alter von 89 Jahren verstorben. Seine Ehefrau ist 1995 vorverstorben. Der kinderlose Beteiligte zu 1 ist das einzige gemeinsame Kind der Eheleute. Die Ehefrau hatte drei weitere Kinder aus erster Ehe. Die Beteiligte zu 2 ist ihre Tochter, die Beteiligten zu 3 und 4 sind deren Kinder. Eine weitere Tochter ist im Januar 1992 vorverstorben, der Beteiligte zu 5 ist ihr Sohn. Zum Sohn aus erster Ehe war der Kontakt abgebrochen.

Die Eheleute haben am 15.3.1992 ein privatschriftliches gemeinschaftliches Testament errichtet, das wie folgt lautet:

„Unser letzter Wille.

Wir, die Eheleute … setzen uns gegenseitig zu alleinigen Erben ein.

Unsere zwei Kinder und drei Enkel sollen als Nacherben nur das erhalten was nach dem Tode des letzten Ehepartners von dem Nachlass des früher verstorbenen Ehepartners noch übrig ist - und zwar wie folgt:

(Beteiligte zu 2) und (Beteiligter zu 1) je 25%
(Beteiligte zu 3, 4 und 5) je16 2/3 %

Verlangt eines unserer Kinder aus dem Nachlass des zuerst Versterbenden seinen Pflichtteil, so soll er nach dem Tode des zuletzt Versterbenden auch nur den Pflichtteil aus dessen Nachlass erhalten.

Das gleiche gilt, wenn eines unserer Kinder unseren letzten Willen anfechten sollte.

(Ort, Datum, Unterschriften)“

Im Zusammenhang mit dem Erbscheinsantrag nach dem Tod seiner Ehefrau hat der Erblasser erklärt: „Schlusserben sind im Testament eingesetzt. Die angegebenen Nacherben sind auch die Erben meines Vermögens.“ Das drei Seiten umfassende Protokoll enthält ferner am Ende der zweiten Seite einen handschriftlichen Einschub, in dem die Formulierung „unsere zwei Kinder“ erläutert und ausgeführt wird: „Es war für mich kein Unterschied zu meinem eigenen Kind und (der Beteiligten zu 2).“

Zum Nachlass gehört eine Eigentumswohnung; der Gesamtnachlasswert beträgt rund 1 Mio. €.

Der Beteiligte zu 1 hat mit Urkunde seines zugleich als Notar tätigen Verfahrensbevollmächtigten vom 24.5.2002 die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der ihn als alleinigen gesetzlichen Erben ausweist. Zur Begründung hat er ausgeführt, das gemeinschaftliche Testament vom 15.3.1992 enthalte keine Erbeinsetzung nach dem Letztversterbenden, so dass gesetzliche Erbfolge eintrete. Die Beteiligten zu 2 bis 4 sind dem entgegengetreten. Sie haben die Auffassung vertreten, die als „Nacherben“ bezeichneten Bedachten seien zugleich Schlusserben nach dem Letztversterbenden. Der Beteiligte zu 4 hat die Erteilung eines gemeinschaftlichen Teilerbscheins beantragt, der die Beteiligte zu 2 als Miterbin zu ¼, die Beteiligten zu 3 und 4 als Miterben zu je 1/6 ausweist.

Mit Verfügung vom 10.10.2002 hat das Nachlassgericht die Beteiligten darauf hingewiesen, dass der Erklärung des Erblassers am 19.12.1995 für die Ermittlung des Erblasserwillens maßgebliche Bedeutung zukomme, und ihnen eine Ablichtung der Niederschrift des Nachlassgerichts übermittelt. Der Verfahrensbevollmächtigte des Beteiligten zu 1 hat mit Schriftsatz vom 30.10.2002 erwidert, es sei unrichtig, dass im Testament Schlusserben eingesetzt seien. Überdies sei der handschriftliche Vermerk unverständlich, er stamme nicht vom Erblasser, sondern von der Beteiligten zu 2, die ausweislich des Protokolls bei dem Termin jedoch nicht anwesend gewesen sei. Insofern werde um Aufklärung gebeten. Mit Schreiben vom 27.11.2002 hat er auf die noch ausstehende Stellungnahme zu seinen letzten Schriftsätzen hingewiesen, insbesondere zur Frage des handschriftlichen Vermerks.

Mit Beschluss vom 4.12.2002 hat das Nachlassgericht angekündigt, die vom Beteiligten zu 4 beantragten Erbscheine zu erteilen. Mit Schriftsatz vom 19.12.2002, beim Nachlassgericht eingegangen am 23.12.2002, hat der Beteiligte zu 1 die von seinem Verfahrensbevollmächtigten am 19.12.2002 notariell beglaubigte Ausschlagung der Erbschaft als testamentarischer Miterbe vorgelegt, die wie folgt lautet:

„Ich habe … einen Erbschein beantragt, der mich als gesetzlichen Alleinerben ausweisen soll. Ich habe von Notar B. nunmehr das Protokoll vom 19.12.1995 erhalten, das unter dem Aktenzeichen … am 19.12.1995 errichtet worden ist und das mir bisher als solches und inhaltlich nicht bekannt war. Bisher war ich der Ansicht, dass die gesetzliche Erbfolge greife. Durch dieses Protokoll bin ich nunmehr eines anderen belehrt worden. Ich fechte eine eventuelle Versäumung der Ausschlagungsfrist an, fechte die Annahme der Erbschaft an und schlage die Erbschaft als testamentarischer Miterbe aus. Zur Begründung sei nur soviel vorgetragen: Ich war über den Berufungsgrund und die Notwendigkeit der Einhaltung einer Frist im Irrtum. Von dieser habe ich erst nach dem 14.11.2002 von dem Notar erfahren. Nachdem nunmehr das Gericht über den Notar das vorgenannte Protokoll übersandt hat, musste ich feststellen, dass ich mich geirrt habe. Ich bin nicht alleiniger Erbe kraft Gesetzes, sondern wäre neben anderen Personen testamentarischer Erbe. Den von mir gestellten Erbscheinsantrag nehme ich hiermit zurück und bitte um eine Abschrift der ergehenden Entscheidung über den weiter gestellten Antrag.“

Der Beteiligte zu 4 hat darauf einen gemeinschaftlichen Teilerbschein beantragt, der die Beteiligte zu 2 als Miterbin zu 1/3 und die Beteiligten zu 3 bis 4 als Miterben zu je 2/9 ausweist. Das Nachlassgericht hat am 14.3.2003 den Beteiligten zu 2 bis 5 jeweils Teilerbscheine entsprechend dieser Quoten erteilt.

Am 13.12.2004 hat der Beteiligte zu 1 die notariell beglaubigte Anfechtung der Ausschlagung bei Gericht eingereicht, in der er zugleich die Einziehung „des Erbscheins“ beantragt hat. Zur Begründung hat er ausgeführt, er sei Anfang 2002 wegen Verdachtes eines Gehirntumors behandelt worden, 2003 sei ein Tumor diagnostiziert und operativ entfernt worden. Er habe die Tragweite seiner Ausschlagungserklärung nicht erkannt. Im Übrigen sei diese in sich widersprüchlich, da eine Teilausschlagung hinsichtlich der gewillkürten Erbfolge nicht möglich sei. Ferner habe er sich über die Folgen der Ausschlagung geirrt, da er geglaubt habe, sich dadurch das gesetzliche Erbrecht erhalten zu können. Bei nochmaliger Durchsicht der Unterlagen habe er festgestellt, dass das Protokoll vom 19.12.1995 einen handschriftlichen Vermerk enthalte, der ganz offensichtlich nicht vom Erblasser oder von dem Gericht stamme, vielmehr handele es sich um die Schrift der Beteiligten zu 2.

Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 4.5.2005 den Antrag auf Einziehung der Teilerbschein zurückgewiesen. Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1 hat das LG diese Entscheidung aufgehoben und das Nachlassgericht angewiesen, die erteilten Erbscheine einzuziehen. Dagegen richtete sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2 bis 4. Die weitere Beschwerde erwies sich als zulässig. Sie ist auch begründet, soweit sie sich gegen die Einziehung der den Beteiligten zu 2 bis 4 erteilten Erbscheine wendet, und führt insoweit zur Aufhebung der landgerichtlichen Entscheidung und Zurückweisung der Erstbeschwerde. Zu Recht hat das LG aber die Einziehung des dem Beteiligten zu 5 erteilten Erbscheins angeordnet, insoweit bleibt das Rechtsmittel ohne Erfolg.


Aus den Gründen:

Das LG hat im Wesentlichen ausgeführt:

Die Auslegung der letztwilligen Verfügung vom 15.3.1992 ergebe, dass der Beteiligte zu 1 neben den Beteiligten zu 2 bis 5 als Schlusserbe eingesetzt sei. Eine Schlusserbeneinsetzung müsse nicht ausdrücklich vorgenommen werden, sondern könne auch als selbstverständlich vorausgesetzt sein, etwa wenn – wie hier – zugleich eine Pflichtteilsstrafklausel angeordnet sei. Die Bezeichnung „Unsere zwei Kinder und drei Enkel“ deute darauf hin, dass die Ehegatten nicht zwischen den Kindern aus erster Ehe und dem gemeinsamen Kind unterscheiden wollten. Dieses Ziel könne ohne Schlusserbeneinsetzung nicht erreicht werden. Andernfalls wäre die Erbfolge ein Ergebnis des Zufalls, je nachdem, wer zuerst verstürbe. Ohne Schlusserbeneinsetzung würde auch die Pflichtteilsstrafklausel weitgehend ins Leere laufen. Dieses Auslegungsergebnis werde durch die Angaben des Erblassers im Erbscheinsverfahren nach der vorverstorbenen Ehefrau bestätigt, die „Nacherben“ sollten auch die Erben seines Vermögens sein.

Der Beteiligte zu 1 habe die Erbschaft nicht wirksam ausgeschlagen, so dass es auf die Wirksamkeit der Anfechtung nicht mehr ankomme. Zwar gelte die Annahmeerklärung vom 27.5.2002 als nicht erfolgt, da der Beteiligte zu 1 zu diesem Zeitpunkt über den Berufungsgrund, nämlich die Berufung als testamentarischer statt als gesetzlicher Erbe, im Irrtum gewesen sei. Die Ausschlagung sei jedoch nicht fristgerecht innerhalb von sechs Wochen ab Kenntnis vom Berufungsgrund erfolgt. Bei gewillkürter Vertretung genüge sowohl die Kenntnis des Vertretenen als auch die Kenntnis des Vertreters, wobei die früher ablaufende Frist entscheide. Unerheblich sei, ob die Ausschlagungserklärung selbst durch den Vertreter vorgenommen werde. Hier habe der richterliche Hinweis vom 10.10.2002 mit dem Protokoll vom 19.12.1995 den Lauf der Frist bewirkt, weil damit positive Kenntnis vorgelegen habe. Das gerichtliche Schreiben sei spätestens am 30.10.2002 beim Verfahrensbevollmächtigten des Beteiligten zu 1 eingegangen, so dass die Frist am 11.12.2002 geendet habe. Zwar könne eine irrige rechtliche Beurteilung des Sachverhalts dazu führen, dass die Ausschlagungsfrist nicht beginne. Die Grenze der Berücksichtigungsfähigkeit liege jedoch dort, wo der Erbe sich bei eindeutiger und auch für Laien überschaubarer Rechtslage rechtsblind verhalte. Diese Grenze sei zwar nicht allein auf Grund des gerichtlichen Hinweises erreicht. Jedoch enthalte das Protokoll vom 19.12.1995 eine so klare und maßgebliche Auslegung des Testaments, dass die Rechtslage auch für einen Laien eindeutig gewesen sei. Das habe auch der Beteiligte zu 1 in seiner Ausschlagungserklärung zu erkennen gegeben. Das Fristversäumnis sei auch nicht durch Anfechtung beseitigt worden. Der Beteiligte zu 1 habe zwar vorgetragen, er sei über die Notwendigkeit der Einhaltung einer Frist im Irrtum gewesen. Er sei jedoch anwaltlich vertreten gewesen, so dass es nach dem Rechtsgedanken des § 166 I BGB nicht auf seine Kenntnis, sondern die seines Vertreters ankomme.

Der Teilerbschein für den Beteiligten zu 5 sei schon deshalb einzuziehen, weil es insoweit an einem Antrag fehle und auch keine stillschweigende Genehmigung erfolgt sei.

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 I FGG, § 546 ZPO) nicht in vollem Umfang stand.

Die Auslegung der letztwilligen Verfügung vom 15.3.1992 durch das LG begegnet keinen Bedenken; sie wird auch von keinem der Beteiligten mehr in Zweifel gezogen. Danach wäre der Beteiligte zu 1 nach dem Tod des Erblassers als Miterbe zu ¼ berufen.

Rechtsfehlerhaft ist jedoch die Auffassung des LG, die Ausschlagung durch den Beteiligten zu 1 sei nicht fristgerecht erfolgt.

Für den Beginn der Ausschlagungsfrist ist nach § 1944 II Satz 1 BGB Kenntnis von Erbfall und Grund der Berufung erforderlich. Kenntnis setzt ein zuverlässiges Erfahren der maßgeblichen Umstände voraus, auf Grund dessen ein Handeln erwartet werden kann. Ein Irrtum im Bereich der Tatsachen kann Kenntnis in diesem Sinne ebenso verhindern wie eine irrige rechtliche Beurteilung, wenn deren Gründe nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind. Auch wenn dem Erben die richtige Einschätzung der Rechtslage als mögliche Betrachtungsweise zwar bekannt ist, er selbst aber die Rechtslage anders beurteilt oder sie jedenfalls für zweifelhaft hält, kann ein die Kenntnis ausschließender Rechtsirrtum vorliegen. Auch bei dieser Sachlage kann vom Erben nicht erwartet werden, dass er sich zur Annahme oder Ausschlagung entschließt, obwohl für ihn unklar ist, welche Rechtsposition er überhaupt erlangen bzw. aufgeben kann. Allerdings kann dann kein Rechtsirrtum angenommen werden, wenn der Erbe zwar subjektiv zweifelt, aber bei objektiver Beurteilung die Rechtslage völlig eindeutig ist; der Erbe darf sich nicht blind stellen. Von diesen Grundsätzen ist das LG zutreffend ausgegangen.

Die Frage, wann ein Erbe hinreichend sichere Kenntnis vom Anfall der Erbschaft und vom Grund der Berufung erlangt hat, liegt zwar im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet. Das Rechtsbeschwerdegericht hat insoweit die Feststellung des LG daraufhin zu überprüfen, ob das LG Verfahrensvorschriften verletzt, den maßgeblichen Sachverhalt ausreichend erforscht (§ 12 FGG, § 2358 BGB), bei der Erörterung des Beweisstoffes alle wesentlichen Umstände berücksichtigt (§ 25 FGG) und hierbei nicht gegen gesetzliche Beweisregeln, Denkgesetze und feststehende Erfahrungssätze verstoßen hat, ferner ob die Beweisanforderungen vernachlässigt oder überspannt worden sind. Hier hat das LG wesentliche Umstände außer Acht gelassen und die Anforderungen an die Kenntnis vom Berufungsgrund zu niedrig angesetzt.

Die Annahme, mit der spätestens am 30.10.2002 erfolgten Übersendung der Niederschrift vom 19.12.1995 habe jedenfalls beim anwaltlichen Vertreter des Beteiligten zu 1 wegen der völlig eindeutigen Rechtslage Kenntnis von der testamentarischen Erbfolge vorgelegen, wird durch den der Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt nicht getragen.

Anlass für die widerstreitenden, jeweils eingehend begründeten Erbscheinsanträge des Beteiligten zu 1 einerseits und der Beteiligten zu 2 bis 4 andererseits ist das privatschriftliche Ehegattentestament vom 15.3.1992, das eine ausdrückliche Regelung für die Erbfolge nach dem zuletzt Versterbenden nicht enthält und insoweit auslegungsbedürftig ist. Die vom Beteiligten zu 1 vertretene Auffassung, es trete nach dem Erblasser gesetzliche Erbfolge ein, war deshalb nicht von vornherein von der Hand zu weisen. Bei einer solchen Fallgestaltung kann Kenntnis von der Berufung auf Grund Testaments in der Regel erst dann angenommen werden, wenn das Erbscheinsverfahren einen Stand erreicht hat, der dem Beteiligten Gewissheit über die Auslegung des Testaments gibt und die bis dahin vertretene Auffassung als unhaltbar erscheinen lässt.

Wie das LG zutreffend angenommen hat, hatte das Verfahren einen solchen Stand nicht auf Grund des knappen gerichtlichen Hinweises vom 10.10.2002 erreicht, der sich in einer Verweisung auf das gleichzeitig übersandte Protokoll vom 19.12.1995 erschöpfte. Entgegen der Auffassung des LG war aber auch die gleichzeitig vorgenommene Übermittlung des Protokolls vom 19.12.1995 nicht geeignet, die vom Beteiligten zu 1 und seinem Verfahrensbevollmächtigten vertretene Rechtsauffassung als völlig unhaltbar und das weitere Festhalten an ihr als rechtsblind erscheinen zu lassen.

Die in der Niederschrift enthaltenen Erläuterungen des Erblassers zum gemeinsamen Testament stellen zwar ein Indiz für den übereinstimmenden Willen der Testierenden dar. Sie sind jedoch nicht allein maßgeblich; insbesondere bedarf es im Hinblick auf die Formbedürftigkeit einer letztwilligen Verfügung zumindest einer Andeutung im Testament selbst. Dementsprechend hat das LG seine Auslegung insbesondere auf die im Testament enthaltene Pflichtteilsstrafklausel gestützt, die ohne Schlusserbeneinsetzung weitgehend ins Leere liefe, und auf das aus dem Wortlaut des Testaments abgeleitete Bestreben der Testierenden, die Kinder aus erster und zweiter Ehe gleich zu behandeln. Das Protokoll vom 19.12.1995 allein war nicht geeignet, so eindeutige Erkenntnisse hinsichtlich der Erbrechtslage zu vermitteln, dass eine mit einer Begründung versehene gerichtliche Entscheidung über die widersprechenden Erbscheinsanträge für die Überzeugungsbildung überflüssig erscheinen musste.

Hinzu kommt, dass der Verfahrensbevollmächtigte des Beteiligten zu 1 mit Schriftsatz vom 30.10.2002 sowohl inhaltliche als auch formale Bedenken gegen die Niederschrift vom 19.12.1995 vorgebracht und um weitere Aufklärung gebeten hat, die er mit Schreiben vom 27.11.2002 nochmals angemahnt hat. Eine gesonderte gerichtliche Stellungnahme zu diesen Schriftsätzen ist nicht erfolgt. Die Urheberschaft der handschriftlichen Einfügung wurde erst im Beschluss des Nachlassgerichts vom 4.12.2002 angesprochen und als nicht entscheidungserheblich angesehen, weil es auf den Inhalt des Vermerks für die Auslegung des Testaments nicht ankomme. Angesichts der vorgetragenen und mit einer jedenfalls nicht abwegigen Begründung versehenen Einwände gegen die Niederschrift vom 19.12.1995 als maßgebliche Auslegungshilfe kann demjenigen, der weiterhin von einem Fehlen der Schlusserbeneinsetzung ausgeht, nicht Rechtsblindheit vorgeworfen werden.

Eine hinreichend sichere Kenntnis über den Eintritt der testamentarischen Erbfolge, auf deren Grundlage Erwägungen über das Für und Wider der Ausschlagung angestellt werden konnten, wurde hier deshalb frühestens durch den Beschluss des Nachlassgerichts vom 4.12.2002 vermittelt, der die Einwände gegen den gerichtlichen Hinweis zurückweist und erstmals eine zusammenhängende Begründung für die bereits zuvor geäußerte Auffassung des Gerichts über die Erbrechtslage gibt. . Dem steht nicht entgegen, dass der Beteiligte zu 1 nach seinen Angaben in der Ausschlagungserklärung durch das Protokoll vom 19.12.1995 „eines anderen belehrt“ wurde und seine Ansicht aufgab, es trete gesetzliche Erbfolge ein. Der Erbe ist nicht gehindert, sich eine Überzeugung auf Grund von Umständen zu bilden, die bei objektiver Betrachtung noch keine sichere Beurteilung zulassen, oder die Ausschlagung bereits vor Beginn der Frist zu erklären (vgl. § 1946 BGB). Abgesehen davon ist weder dargetan noch sonst erkennbar, dass die Überzeugungsbildung bereits zu einem Zeitpunkt abgeschlossen gewesen wäre, der wesentlich vor Errichtung der am 19.12.2002 beglaubigten Ausschlagungserklärung liegt. Selbst wenn das der Fall wäre – wogegen der Wortlaut der Erklärung spricht -, könnte eine auf subjektiven Erwägungen beruhende Änderung der – nach wie vor vertretbaren - Rechtsauffassung des Beteiligten zu 1, die nicht in irgendeiner Form nach außen hervorgetreten ist, nicht den Beginn der Anfechtungsfrist auslösen.

Die Ausschlagungserklärung ist bereits am 23.12.2002 bei Gericht eingegangen, also knapp drei Wochen nach Erlass dieses Beschlusses, und jedenfalls fristgerecht (§ 1944 II BGB). Es kann deshalb dahinstehen, ob die Frist bereits mit dem Zugang beim Verfahrensbevollmächtigten beginnt oder erst mit dem Zugang beim Vertretenen.

Da sich die Entscheidung des LG hinsichtlich der Beurteilung der Erbrechtslage auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist, ist sie aufzuheben. Weitere Ermittlungen sind nicht erforderlich; der Senat kann deshalb in der Sache selbst entscheiden.

Die Ausschlagung ist auch im Übrigen wirksam.

Die mit dem Erbscheinsantrag vom 24.5.2002 verbundene Annahme der Erbschaft steht nicht entgegen (§ 1949 I BGB). Sie gilt als nicht erfolgt, da der Beteiligte zu 1 die Erbschaft als vermeintlicher alleiniger gesetzlicher Erbe angenommen hat, während tatsächlich die Erbfolge durch das Testament vom 15.3.1992 bestimmt wird, in dem er als Miterbe zu ¼ eingesetzt ist.

Der Umstand, dass der Beteiligte zu 1 die Ausschlagung auf die Einsetzung als testamentarischer Erbe beschränkt hat, macht die Erklärung nicht in sich widersprüchlich. Die Ausschlagung kann auf einen Berufungsgrund beschränkt werden. Das ergibt sich sowohl aus § 1949 II BGB, nach dem sie sich nur „im Zweifel“ auf alle Berufungsgründe erstreckt, und aus § 1948 I BGB. Im vorliegenden Fall hatte die Beschränkung auf die Berufung als eingesetzter Erbe lediglich keine Auswirkung, weil die Erbfolge umfassend durch Testament geregelt ist und die gesetzliche Erbfolge deshalb nicht eintritt.

Weder die vom Beteiligten zu 1 dargestellte schwere Erkrankung noch die Behauptung, er habe die Tragweite seiner Erklärung nicht erfasst, bieten Anlass, die Geschäftsfähigkeit des Beteiligten zu 1 bei der Erklärung der Ausschlagung in Zweifel zu ziehen. Geschäftsunfähig ist derjenige, der sich in einem Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, der die freie Willensbildung ausschließt (§ 104 Nr. 2 BGB). Für eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit zum maßgeblichen Zeitpunkt - Ende 2002 - sind hinreichende Anhaltspunkte weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Soweit auf die Belastungen durch die Diagnose und Behandlung der schweren, lebensbedrohlichen Erkrankung hingewiesen wird, ist zum einen nicht erkennbar, dass etwa dadurch bedingte psychische Beeinträchtigungen das Ausmaß einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit erreicht haben, zum anderen wurde die Diagnose erst 2003 gestellt.

Die Anfechtung der Ausschlagung wegen Irrtums (§ 119 I Satz 1 BGB) greift nicht durch.

Der Beteiligte zu 1 stützt die Anfechtung darauf, dass er angenommen habe, sich mit der Ausschlagung sein gesetzliches Erbrecht zu erhalten. Diese Darstellung ist schon in tatsächlicher Hinsicht durch den Inhalt seiner Ausschlagungserklärung widerlegt. Dort weist der Beteiligte zu 1 ausdrücklich darauf hin, er habe bisher angenommen, gesetzlicher Erbe zu sein, sei nun aber „eines Besseren belehrt“ worden. Darüber hinaus hat er zugleich seinen Erbscheinsantrag zurückgenommen, was zeigt, dass er gerade nicht angenommen hat, nach der Ausschlagung gesetzlicher Erbe zu sein. Überdies wäre insoweit auch die Anfechtungsfrist von sechs Wochen ab Kenntnis des Anfechtungsgrundes (§ 1954 I und 2 BGB) nicht eingehalten. Wie aus dem Schreiben seines Verfahrensbevollmächtigen an das Nachlassgericht vom 11.3.2003 ersichtlich wird, war sich der Beteiligte zu 1 jedenfalls zu diesem Zeitpunkt darüber im Klaren, nicht Erbe zu sein. Dort wird eine Abschrift des erteilten Erbscheins angefordert und weiter ausgeführt, der Beteiligte zu 1 habe bei Durchsicht seiner Unterlagen festgestellt, noch im Besitz vom Schlüsseln für die Wohnung des Erblassers zu sein, die er dem Berechtigten überlassen wolle. Dem Beteiligten zu 1 war also offensichtlich bewusst, selbst nicht zu den Berechtigten zu gehören. Überdies wurde der Inhalt der erteilten Erbscheine dem Verfahrensbevollmächtigen des Beteiligten zu 1 mit Schreiben des Nachlassgerichts vom 20.3.2003 mitgeteilt.

Dem Vortrag zu den erneuten Zweifeln bezüglich der Urheberschaft des handschriftlichen Vermerks lässt sich nichts entnehmen, was auf einen Willensmangel bei der Abgabe der Ausschlagungserklärung schließen ließe. Zum einen war dem Beteiligten zu 1 das Protokoll vom 19.5.1995 bei der Ausschlagung bekannt; die handschriftliche Einfügung befindet sich auf derselben Seite wie die Erklärung des Erblassers zur Einsetzung von Schlusserben. Die Frage wurde im Schriftsatz vom 30.10.2002 eingehend erörtert und im Beschluss des AG vom 4.12.2002 angesprochen und als nicht entscheidungserheblich bezeichnet. Lediglich zur Klarstellung ist insoweit anzumerken, dass nichts gegen die Urheberschaft des Rechtspflegers spricht, der die Erklärungen des Erblassers entgegengenommen, die Niederschrift errichtet und neben dem Erblasser unterschrieben hat.

Die erteilten Erbscheine entsprechen deshalb der Erbrechtslage. Durch die wirksame Ausschlagung wächst der Erbteil des Beteiligten zu 1 den übrigen eingesetzten Erben an (§ 1953 I und 2, § 2094 I Satz 1 BGB). Die Erteilung einzelner Teilerbscheine anstelle des beantragten gemeinschaftlichen Teilerbscheins für die Beteiligten zu 2 bis 4 stellt keinen so schwerwiegenden Verfahrensfehler dar, dass deshalb die Einziehung dieser Erbscheine veranlasst ist. Zudem haben die Beteiligten zu 2 bis 4 sie ohne Beanstandung entgegengenommen und gegen den Einziehungsantrag des Beteiligten zu 1 verteidigt, so dass jedenfalls eine stillschweigende Genehmigung vorliegt.

Zu Recht hat das LG die Einziehung des dem Beteiligten zu 5 erteilten Erbscheins angeordnet. Dieser ist zwar inhaltlich richtig, jedoch ohne den erforderlichen Antrag erteilt worden. Der Beteiligte zu 4 hat ausdrücklich einen Teilerbschein beantragt, der nur die Erbenstellung der Beteiligten zu 2 bis 4 ausweisen sollte. Rechtsfehlerfrei ist das LG davon ausgegangen, dass der Beteiligte zu 5 die Erbscheinserteilung nicht stillschweigend genehmigt hat, da sich dieser im Erbscheinsverfahren nie geäußert hat. Überdies ist nach Aktenlage der Erbschein auch nicht dem Beteiligten zu 5, sondern mit den übrigen Teilerbscheinen dem Beteiligten zu 4 übermittelt worden.

Nachdem sich die Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des Nachlassgerichts im Wesentlichen als unbegründet erwiesen hat, hat er den Beteiligten zu 2 bis 4 die im Beschwerdeverfahren vor dem LG entstandenen Kosten zu erstatten.

Für die im Wesentlichen erfolgreiche Rechtsbeschwerde verbleibt es bei dem Grundsatz, dass jeder Beteiligte seine Kosten selbst trägt (§ 13 a I Satz 1 FGG). Die aus formalen Gründen anzuordnende Einziehung des Erbscheins, der ohne Antrag dem Beteiligten zu 5 erteilt wurde, fällt für die Kostenentscheidung nicht ins Gewicht. Sie ist für die Beteiligten ersichtlich nicht von Bedeutung.
 

 

 

 

 

 

Gesetze

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4 Gesetze werden in diesem Text zitiert

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Das Recht ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

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Geschäftsunfähig ist:1.wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat,2.wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorüberge

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 1946 Zeitpunkt für Annahme oder Ausschlagung


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Geschäftsunfähig ist:

1.
wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat,
2.
wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist.