Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 16. Dez. 2014 - L 18 U 364/12 ZVW

bei uns veröffentlicht am16.12.2014
vorgehend
Sozialgericht Würzburg, S 11 U 441/01, 08.09.2004
nachgehend
Bundessozialgericht, B 2 U 66/15 B, 30.06.2015
Bundessozialgericht, B 2 U 20/15 R, 18.02.2016
Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 2420/15, 02.05.2018

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 08.09.2004 wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Revisionsverfahrens vor dem Bundessozialgericht B 2 U 100/12 B trägt die Staatskasse. Ansonsten haben die Beteiligten einander außergerichtliche Aufwendungen nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nummer 1317 (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische) bzw. nach den Nummern 1302 und 1303 der Anlage I zur Berufskrankheitenverordnung (BK 1317 bzw. BK 1302 und BK 1303).

Am 26.04.2001 ging bei der Beklagten eine ärztliche Anzeige des Nervenarztes Dr. B. über eine Berufskrankheit des Klägers ein, in der ausgeführt wird, der Kläger leide an einer Neuropathie, einer schweren Myopathie, einer schweren Ataxie, einer schweren Leistungsminderung und zunehmenden chemischen Überempfindlichkeit.

Der Kläger war von 1970 bis 1987 als selbstständiger Landwirt, von 1987 bis 1989 als Keramikarbeiter und von 1989 bis 1992 als Lkw-Fahrer tätig. Ab 1992 war er bei der Firma H. GmbH (H) als Maschinenführer beschäftigt. Er kam dort mit Härtern, Leim und Lösungsmitteln sowie Lärm in Kontakt. Im November 2000 gab er diese Tätigkeit auf.

Die Beklagte zog ein Krankheitsverzeichnis der Krankenkasse sowie verschiedene Befundberichte bei, unter anderem Reha-Entlassungsberichte der Rentenversicherung vom 07.04.1998 und vom 10.04.2000. Sie zog die Sicherheitsdatenblätter der Stoffe bei, mit denen der Kläger an seinem Arbeitsplatz bei Hin Berührung gekommen war (insbesondere Dynomel L-425, L-435 und Härter H-467, H-469). Zudem holte sie eine Stellungnahme des Facharztes für Arbeitsmedizin Dr. L. ein. Das Gewerbeaufsichtsamt W-Stadt gab am 20.09.2001 eine gewerbeärztliche Stellungnahme durch Dr. R. ab.

Mit Bescheid vom 08.11.2001 (Widerspruchsbescheid vom 14.12.2001) lehnte die Beklagte die Anerkennung einer Berufskrankheit der BK-Zifferngruppe 13, insbesondere der BK 1317, unter Hinweis auf die Stellungnahme des staatlichen Gewerbearztes ab.

Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben. Das SG hat ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie sowie Sozialmedizin Prof. Dr. E. vom 10.03.2003 eingeholt. Auf Veranlassung des SG hat Prof. Dr. D. ein arbeitsmedizinisches Gutachten vom 12.05.2003 erstattet. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 08.09.2004 abgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger am 09.11.2004 Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Der Senat hat ein arbeitsmedizinisches Gutachten des Prof. Dr. D. vom 27.07.2006 und ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. C. vom 17.09.2007 (mit ergänzenden gutachtlichen Stellungnahmen vom 01.02.2011 und vom 30.08.2011) sowie auf Vorschlag des Gutachters ein psychologisches Zusatzgutachten des Diplom-Psychologen J. F. vom 31.07.2007 eingeholt. Auf Antrag des Klägers hat der Senat auf der Grundlage des § 109 SGG ein Gutachten der Dr. K. vom 06.05.2009 (mit ergänzender, von der Klägerseite vorgelegter Stellungnahme vom 22.01.2010) erstatten lassen. Die Klägerseite hat eine „gutachterliche Stellungnahme zur Darstellung des Standes der Wissenschaft in Sachen BK 1317“ des Diplom-Chemikers und „Impulsgebers für den Ersatz des Merkblattes in Sachen BK 1317“ Dr. M. vom 21.09.2010 (mit Ergänzung vom 12.04.2011) vorgelegt.

Mit Urteil vom 30.11.2011 hat der Senat die Berufung zurückgewiesen. Auf die Beschwerde des Klägers hat das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 24.07.2012, B 2 U 100/12 B, das Urteil vom 30.11.2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das LSG zurück verwiesen; das LSG hätte den im Termin nochmals protokollierten Anträgen des Klägers vom 14.04.2010 und 15.11.2011 nachkommen und weitere Fragen an den Sachverständigen zulassen müssen. Der Senat hat daraufhin eine ergänzende Stellungnahme des Prof. Dr. E. vom 03.01.2013 eingeholt und den Gutachter Dr. C. am 12.03.2013 und am 16.10.2013 zu den Fragen des Klägers angehört.

Der Kläger führt aus, zwar hätten aufgrund eines Unfalls im September 1990 mit einer Schädigung der Halswirbelsäule gesundheitliche Beeinträchtigungen vorgelegen, diese hätten allerdings nicht zu einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit geführt. Vielmehr sei er aufgrund dieser Beeinträchtigungen lediglich nicht mehr in der Lage gewesen, als Lkw-Fahrer zu arbeiten. Die Beeinträchtigungen hätten nach Aufnahme der Tätigkeit bei H deutlich zugenommen und schließlich im Jahre 2000 zur völligen Arbeitsunfähigkeit geführt. Es wäre erforderlich gewesen, den Arbeitsplatz des Klägers zu überprüfen und festzustellen, mit welchen Stoffen dieser in Berührung gekommen sei und mit welcher Intensität. Er habe auch auf 2 Arbeitskollegen verwiesen, die unter den gleichen Bedingungen gearbeitet und bereits nach kurzer Zeit dieselben Beschwerden gehabt hätten. Diese hätten als Zeugen gehört werden müssen. Als Folge der Tätigkeit bei H liege eine Polyneuropathie und eine Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische gemäß der Listen-Nummer 1317 vor. Bei der Beurteilung einer Berufskrankheit sei vom neuesten Stand der Wissenschaft auszugehen. Dieser werde vorliegend durch die Stellungnahmen des Dr. M. dargestellt. Soweit Dr. C. von guter klinischer Praxis spreche, sei dies unerheblich, da allein auf den Stand der Wissenschaft abzustellen sei. Diesen wende Dr. C. allerdings nicht an, da er ihn unzutreffend interpretiere. So finde sich im Merkblatt nichts zu den Messwerten, die nach Dr. C. eine toxische Verursachung der Polyneuropathie ausschließen würden. Auch dazu, dass das Verhalten des Patienten Testergebnisse relativieren könnte, finde sich im Merkblatt nichts. Auch nehme Dr. C. im Gegensatz zum Merkblatt an, dass Nervenleitgeschwindigkeitsmessungen der Sicherung der Diagnose Polyneuropathie dienen könnten. Hier kreiere Dr. C. ein eigenes Diagnosekriterium. Die Kausalität der Exposition für den Eintritt des Gesundheitsschadens werde vermutet. Auch könne Dr. C. letztlich die toxische Schädigung auch nicht ausschließen. Die Diagnosekriterien seien im Merkblatt eindeutig festgelegt. Eine Interpretation durch den Sachverständigen habe nicht stattzufinden. Bei der Exposition komme es nach dem Merkblatt nicht auf Grenzwerte an. Unter Ziffer III. des Merkblattes seien die Diagnosekriterien festgelegt. Lediglich Dr. K. habe ihr Gutachten nach den Diagnosekriterien erstellt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 08.09.2004 sowie den Bescheid vom 08.11.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.12.2001 aufzuheben und festzustellen, dass beim Kläger eine Berufskrankheit nach der BK-Nr. 1302, 1303 und 1317 der Anlage zu Berufskrankheitenverordnung vorliegt,

hilfsweise,

weitere Ermittlungen durchzuführen nach Maßgabe des Schriftsatzes vom 16.12.2014.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 08.09.2004 zurück zuweisen.

Die Beklagte hat eine Stellungnahme des Dr. L. und eine Stellungnahme des Facharztes für Neurologie Psychiatrie und Psychotherapie Dr. D. vom 11.01.2010 vorgelegt. Sie vertritt die Auffassung, Krankheitsbefunde im Sinne dieser BK könnten nicht festgestellt werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten aller Instanzen verwiesen.

Gründe

Die Berufung des Klägers wurde form- und fristgerecht erhoben und ist auch ansonsten zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Sie ist aber unbegründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 08.11.2001 (Widerspruchsbescheid vom 14.12.2001), mit dem die Beklagte die Anerkennung einer BK „nach der Zifferngruppe 13“, „insbesondere Nummer 1317“ der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung abgelehnt hat. Zu Recht hat das SG die dagegen zulässigerweise erhobene kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 SGG) abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung einer BK 1317 oder 1302, 1303.

Berufskrankheiten sind nach § 7 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Versicherungsfälle. Berufskrankheiten sind dabei Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Eine BK 1317 ist eine Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische (BArbBl. 3/2005, S. 49). Eine BK 1302 liegt vor bei Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe, eine BK 1303 bei Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe und Styrol.

Für die Listen-BKen 1317 und 1302, 1303 lassen sich folgende Tatbestandsmerkmale ableiten: Die Verrichtung der - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung“, „Einwirkungen“ und „Krankheit“ müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen (zum Erfordernis des Vollbeweise siehe BSG, Urteil vom 02.02.1978, 8 RU 66/77; Bayer. LSG, Urteil vom 01.07.2009, L 2 U 243/06; vom 06.11.2013, L 2 U 558/10; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.12.2009, L 2 U 202/07; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 02.11.2009, L 6 U 131/05). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteile vom 27.06.2006, B 2 U 20/04 R und vom 09.05.2006, B 2 U 1/05 R). Um eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zu bejahen, muss absolut mehr für als gegen die jeweilige Tatsache sprechen. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, das ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden und nach der geltenden ärztlichen wissenschaftlichen Lehrmeinung deutlich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, juris Rn. 4 m.w.N.; BSG, Urteil vom 02.02.1978, 8 RU 66/77, juris Rn. 13). Die Beweisanforderungen bei der hinreichenden Wahrscheinlichkeit sind höher als bei der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (Glaubhaftmachung im Sinne eines Beweismaßes, vgl. dazu BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, juris Rn. 5). Überwiegende Wahrscheinlichkeit bedeutet die gute Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können; dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet (vgl. BSG vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, juris Rn. 5 und Orientierungssatz; vom 14.12.2006, B 4 R 29/06, juris Rn. 116; vom 17.04.2013, B 9 V 3/12 R, juris Rn. 36; Keller, a.a.O., Rn. 3d m.w.N.; zum Zivilrecht BGH vom 11.09.2003, IX ZB 37/03, juris Rn. 8; vom 15.06.1994, IV ZB 6/94).

Der bei der Beklagten gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherte Kläger macht in erster Linie das Vorliegen einer BK 1317 der Anlage zur BKV geltend. Für diese BK ergibt sich aus den dargelegten Maßgaben im Besonderen, dass - neben den sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen (dazu unter 1.) - die in Nr. 1317 der Anlage I zur BKV die dort genannten Gesundheitsstörungen Polyneuropathie oder Enzephalopathie (dazu unten 2.) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, d.h. im Vollbeweis gegeben sein müssen. Für den Ursachenzusammenhang zwischen der Einwirkung durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische und den Gesundheitsstörungen (deren Vorliegen unterstellt, siehe unter 3.) genügt der geringere Beweismaßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit (BSG vom 08.08.2001, a.a.O.).

1. Die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen liegen vor. Zur vollen Überzeugung des Senats steht fest, dass der Kläger im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit von 1992 bis 2000 Einwirkungen i.S.d. der BK 1317 ausgesetzt war. Dies ergibt sich aus den Angaben des Klägers im Fragebogen zu seinem beruflichen Werdegang, an deren Richtigkeit der Senat keine Zweifel hat. Danach war der Kläger in diesem Zeitraum bei der Firma H. als Maschinenführer tätig, wo er mit Härtern, Leim und Lösungsmitteln in Kontakt gekommen ist. Auch die gewerbeärztliche Stellungnahme des Dr. R., Gewerbeaufsichtsamt W-Stadt, vom 20.09.2001 geht davon aus, dass ein Kontakt zu Leimen und Härtern, Lacken und Farben seit 1992 bestanden habe, in den zuvor ausgeübten Tätigkeiten eine Belastung im Sinne einer BK 1317 aber nicht plausibel sei. Dasselbe gilt für die von der Klägerseite vorgelegte „gutachterliche Stellungnahme zur Darstellung des Standes der Wissenschaft in Sachen BK 1317“ des Diplom-Chemikers Dr. M. vom 21.09.2010 (mit Ergänzung vom 12.04.2011). Die Feststellung von Mindestdosen der Exposition ist nicht erforderlich. Das auch insofern den Stand der Wissenschaft wiedergebende Merkblatt (Bek. des BGMS, BArbBl 2005, H3, S. 49) verweist hierzu in Ziffer I. nur auf die entsprechenden Gefahrenquellen, d.h es benennt die als gesichert neurotoxisch eingestuften Lösungsmittel, ihr Vorkommen und die Arbeiten, bei denen die Gefahr der Aufnahme dieser Stoffe durch den Körper besteht, ohne irgendwelche diesbezügliche Mindestanforderungen festzusetzen. Es besteht im Übrigen auch zwischen den Beteiligten und allen medizinischen Sachverständigen Einigkeit, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 1317 erfüllt sind. Die einzig in eine andere Richtung gehende, wage Einschätzung des Dr. L. vom 27.08.2001, es ergäbe sich kein schlüssiges Bild, wenn man den Fall von der Schadstoffexposition her aufwickle, vermag Zweifel am Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht zu begründen. Es bedarf daher insofern keiner weiteren Aufklärung des Sachverhalts, etwa durch Einholung eines toxikologischen Gutachtens.

2. Die Gesundheitsstörungen Polyneuropathie (dazu unter a) oder Enzephalopathie (dazu unter b) i.S.d. BK 1317 der Anlage zur BKV sind - den durch die Literatur und die gehörten Sachverständigen vermittelten aktuellen Stand der Wissenschaft zugrunde legend - nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gegeben.

a. Die Gesundheitsstörung Polyneuropathie liegt nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vor.

aa. Der aktuelle Stand der medizinischen Wissenschaft zum Vorliegen einer Polyneuropathie i.S.d. BK 1317 stellt sich wie folgt dar:

Die Polyneuropathie wird in der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme von 2012 (ICD-10) unter Punkt G 60-64 zusammen mit sonstigen Krankheiten des peripheren Nervensystems geführt. Die ICD 10 G 62.2 benennt speziell eine Polyneuropathie durch sonstige toxische Agenzien. Diese ist als Krankheit i.S.d. BK 1317 zugrunde zu legen und bedarf noch weiterer Präzisierung. Das einschlägige Merkblatt (aaO) zur BK 1317 spezifiziert die Polyneuropathie i.S. dieser BK dahingehend, dass typisch für eine neurotoxische Polyneuropathie arm- und beinbetonte, sensible, motorische oder sensomotorische Ausfälle mit strumpf- oder handschuhförmiger Verteilung sind. Asymetrische, multifokale, rein motorische oder autonome Neuropathien schließen eine Verursachung durch Lösungsmittel weitgehend aus. Polyneuropathien i.S. der BK 1317 sind also nur distal-symmetrische Polyneuropathien, nicht aber asymmetrisch-multifokale Polyneuropathien. Auch Dr. C. hat bei der Anhörung durch den Senat am 13.10.2013 nochmals in überzeugender Weise erläutert, dass Nervenschädigungen vom multifokalen Typ gegen eine toxische Genese sprechen und dass bei distal-symmetrischen Polyneuropathien typischerweise auf beiden Seiten krankhaft veränderte Nervenleitgeschwindigkeiten und auch typische klinische Symptome bestehen müssten. Neuere, insbesondere von den dargelegten Grundsätzen abweichende Erkenntnisse sind nicht ersichtlich, wurden insbesondere auch nicht durch den im Revisionsverfahren unter dem Gesichtspunkt des geänderten Merkblatts nochmals gehörten Prof. Dr. E. mitgeteilt. Was die vom Kläger kritisierte Erwähnung der „guten klinischen Praxis“ durch Dr. C. betrifft, wird - wie sich aus dem Zusammenhang der Äußerung ergibt - lediglich der Umstand thematisiert, dass die Diagnose einer Polyneuropathie auf der Anamnese und dem klinischen Befund basiert. Entgegen der Auffassung des Klägers wird dadurch der wissenschaftliche Wert der Ausführungen des Dr. C. in keiner Weise geschmälert.

bb. Die Gesundheitsstörung Polyneuropathie i.S.d BK 1317 liegt nicht mit der zu fordernden an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit vor.

Eine belangvolle Schädigung peripherer Nerven im Sinne einer toxischen Polyneuropathie hat Prof. Dr. E., Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie sowie Sozialmedizin (Gutachten vom 10.03.2003), nicht festgestellt. Er hat in den Normbereich einzuordnende Messergebnisse für den Nervus peroneus, den Nervus tibialis und den Nervus suralis rechts gefunden ebenso wie regelrechte F-Wellen und kommt zu dem zusammenfassenden Ergebnis, dass die von Dr. B. genannten Diagnosen für das neurologisch-psychiatrische Gebiet nicht bestätigt werden könnten. Eine Neuropathie, eine schwere Myopathie oder eine schwere Ataxie hat er nicht festgestellt. Prof. Dr. E. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 03.01.2013 mitgeteilt, dass sich durch die Änderung des Merkblattes im Jahre 2005, die nach seiner ursprünglichen Begutachtung erfolgte, keine neuen Gesichtspunkte ergeben haben, die vorliegend für die Feststellung einer Polyneuropathie belangvoll wären.

Die Einschätzungen des Prof. Dr. E. stimmen überein mit den Ergebnissen der von der Beklagten eingeholten und noch innerhalb des Expositionszeitraums erstellten Entlassungsberichte (EB) der Rentenversicherung vom 07.04.1998 und vom 10.04.2000. Daraus ergibt sich, dass der Kläger wegen eines chronisch rezidivierenden HWS-Syndroms und eines statisch-funktionellen LWS-Syndroms in Behandlung gewesen ist und neurologische Reiz- und Ausfallerscheinungen nicht feststellbar waren (EB vom 07.04.1998, zum neurologischen Befund Punkt 6. 3), „an den oberen und unteren Extremitäten waren sensible Qualitäten, Reflexe und Motorik seitengleich normal. Ein Hinweis auf gestörte Koordinationsfähigkeit ließ sich nicht finden. Lasègue-Zeichen beidseits negativ“ (EB vom 10.04.2000, Punkt 6. 3).

Die Einschätzung von Prof. Dr. E. wird durch die Ausführungen des Neurologen und Psychiaters Dr. C. bestätigt. Dessen vom Senat eingeholtes Gutachten vom 17.09.2007 (mit ergänzenden gutachtlichen Stellungnahmen vom 01.02.2011 und vom 30.08.2011) kommt zu dem Ergebnis, es finde sich keine typische distal-symmetrische Polyneuropathie.

Er sah in seinem auf der Untersuchung vom Juli 2007 basierenden Gutachten vom 17.09.2007, also 7 Jahre nach Beendigung der Exposition, in der Verteilung der beim Kläger gemessenen krankhaft gestörten elektro-physiologischen Messparameter zwar insgesamt Hinweise für eine diskrete Schädigung der linken peripheren Nervenbahnen an Arm und Bein. Diese interpretiert Dr. C. aber als eher vom multifokalen Typ als vom distal-symmetrischen Typ, da sie an unterschiedlichen Orten und damit nicht gleichzeitig vorkamen. Dies spricht gegen eine toxische Genese und damit gegen das Vorliegen einer toxischen Polyneuropathie, da bei dieser Ursache typischerweise auf beiden Seiten krankhaft veränderte Nervenleitgeschwindigkeiten und auch typische klinische Symptome bestehen müssten. Diese Einschätzung überzeugt, sie stimmt insbesondere mit den im Merkblatt zur BK-Nr. 1317 dargelegten Grundsätzen überein. Beim Kläger liegt daher ein entzündliches oder auch autoimmunes Geschehen vor, aber keine toxische Neuropathie i.S.d. BK 1317.

Für eine mit einer Polyneuropathie in irgendeiner Weise zusammenhängende Muskelerkrankung gibt es keine Anhaltspunkte, die von Dr. B. gestellte Diagnose einer Ataxie (Störung der Koordination von Bewegungsabläufen) ist nicht nachvollziehen. Der Neurologe und Psychiater Dr. C. hat bei der Untersuchung vom 25.07.2007 in den oberen Extremitäten keine Kraftminderung und auch keine körperlich-motorischen Koordinationsdefizite gefunden. Die elektro-physiologischen Untersuchungen zeigten für die oberen Extremitäten links eine verzögerte Nervenleitgeschwindigkeit, eine mäßiggradige F-Welle und bei den sensiblen NLG eine im Seitenvergleich verminderte Amplitude. Daraus ist mit dem Gutachter der Schluss einer subklinischen gemischten Schädigung der Nervenleitung im Bereich der Armplexus links mit einer axonalen Schädigung zu ziehen. In den unteren Extremitäten fand Dr. C. Hinweise auf eine linksseitige Plexusläsion mit diskreter demyelinisierender Schädigung und leicht bis mittelgradiger axonaler Schädigung.

Die Erklärungsversuche der Dr. K. zu der für die Feststellung einer Polyneuropathie angeblich fehlenden Relevanz der Asymmetrie der Ausfallerscheinungen überzeugen nicht; jedenfalls führen sie keinen Überzeugungsgrad des Senats herbei, der eine Bejahung einer Polyneuropathie i.S.d BK 1317 rechtfertigt. Dr. K. will die Asymmetrie der Ausfallerscheinungen in einem Zusammenhang mit dem Schleudertrauma der Halswirbelsäule und der lumbalen beidseitigen radikulären Symptomatik sehen. Hierzu weist Dr. C. in nachvollziehbarer Weise darauf hin, dass die von Dr. K. im klinischen Befund festgehaltene deutliche Kraftminderung des linken Armes und der gleichseitigen Hand entweder für eine Beeinträchtigung motorischer Nervenwurzeln infolge des (schon vor Aufnahme der gefährdenden Tätigkeit i.S.d. BK 1317 erlittenen) HWS-Traumas sprechen oder als weitere Möglichkeit der Entstehung dieser Symptome eine fokale Schädigung des Gehirns in Betracht zu ziehen ist. Wie Dr. C. erläutert, bedeutet fokal in diesem Zusammenhang, dass die Schädigung aufgrund der neuroanatomischen Grundlagen eindeutig in die rechte Gehirnhälfte lokalisiert werden müsste, was gerade das Gegenteil einer diffusen generalisierten Enzephalopathie sei. Nur letztere spräche, wie unter 2b noch auszuführen sein wird, für eine lösungsmittelbedingte Schädigung. Bei der Anhörung im Termin vom 13.10.2013 hat Dr. C. in diesem Zusammenhang nochmals darauf hingewiesen, dass die von ihm festgestellten Messwerte „SSEP“ dafür sprechen, dass eine relevante Schädigung der HWS (durch den Unfall von 1990) ausgeschlossen werden kann, da eine Verzögerung dieser Messwerte nicht habe festgestellt werden können. Eine bleibende Schädigung der Nerven in diesem Bereich hätte aber eine deutliche zeitliche Verzögerung nach sich ziehen müssen. Dr. C. stellt daher zutreffend fest, dass beim Kläger eine asymmetrisch-multifokale und nicht eine distal-symmetrische Polyneuropathie vorliegt und diese nicht durch eine lumbal radikuläre Symptomatik beeinflusst ist.

Der vom Kläger vorgelegten Stellungnahme des Diplomchemikers Dr. M. vom 12.04.2011 und vom 21.09.2010 kann der Senat keine Anhaltspunkte entnehmen, die für die Annahme des Vorliegens einer Polyneuropathie des Klägers i.S.d BK 1317 sprechen. Wegen der rechtlichen Maßgaben, zu denen sich Dr. M. geäußert hat, wird auf die obigen Ausführungen Bezug genommen. Zu den medizinischen Fragen, zur Testpsychologie und insbesondere zu der zu fordernden Symmetrie der Ausfälle, hat Dr. M. die Aussagen der Dr. K. übernommen und sich sonst nicht weiter geäußert; diese Fragen betreffen auch nicht sein Fachgebiet.

Die Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Homöopathie Dr. K. kommt in ihrem Gutachten vom 06.05.2009 mit ergänzender, von der Klägerseite vorgelegter Stellungnahme vom 22.01.2010 im Übrigen auch nur zu dem Ergebnis, eine toxisch bedingte Polyneuropathie liege mit hoher Wahrscheinlichkeit vor, was wie ausgeführt aus rechtlichen Gründen für deren Bejahung im Rahmen der Feststellung einer BK 1317 nicht ausreicht.

2b. Auch die Gesundheitsstörung Enzephalopathie i.S.d BK 1317 der Anlage zur BKV liegt nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vor.

aa. Der aktuelle Stand der medizinischen Wissenschaft zum Vorliegen einer Enzephalopathie i.S.d. BK 1317 stellt sich wie folgt dar:

Die ICD-10 benennt unter G 92 die toxische Enzephalopathie, die als Krankheit i.S.d. BK 1317 zugrunde zu legen ist und noch weiterer Präzisierung bedarf. Unter einer toxischen Enzephalopathie versteht man eine nicht-entzündliche Erkrankung oder Schädigung des Gehirns (Enzephalopathie), die Ihre Ursache in einer akuten oder chronischen Schädigung durch giftige Substanzen hat (http://www...de/...html). Nach dem einschlägigen Merkblatt (a.a.O.) äußert sich eine Enzephalopathie i.S.d. BK 1317 durch diffuse Störungen der Hirnfunktion. Konzentrations- und Merkschwächen, Auffassungsschwierigkeiten, Denkstörungen, Persönlichkeitsveränderungen oft mit Antriebsarmut, Reizbarkeit und Affektstörungen verbunden, stehen im Vordergrund. Der psychopathologische Befund muss durch psychologische Testverfahren objektiviert werden, die das Alter des Patienten berücksichtigen. Wichtige anamnestische Hinweise sind Alkoholintoleranz und häufige pränarkotische Symptome im unmittelbaren Zusammenhang mit der Lösungsmittelexposition (Benommenheit, Trunkenheit, Müdigkeit, Übelkeit, Brechreiz, aber auch Zustände von Euphorie). Die Diagnose einer Enzephalopathie stützt sich, wie Dr. C. erläutert hat, auf die anamnestischen Angaben, den psychopathologischen Befund sowie die Ergebnisse von Testverfahren.

Eingeteilt wird die toxische Enzephalopathie in verschiedene Schweregrade. Toxische Enzephalopathien treten in der Regel noch während des Expositionszeitraumes auf. Die klinische Diagnose kann allerdings auch noch Jahre nach Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit gestellt werden (vgl. Merkblatt, Punkt III).

bb. Auch die Gesundheitsstörung Enzephalopathie i.S.d. BK 1317 liegt beim Kläger nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vor.

Eine Enzephalopathie haben weder der vom SG gehörte neurologische Gutachter Prof. Dr. E. noch der vom Senat bestellte neurologische Gutachter Dr. C. (unter Beachtung der Feststellungen des Diplom-Psychologen F.) diagnostiziert.

Wie bereits zur Neuropathie ausgeführt kommt Prof. Dr. E., Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie sowie Sozialmedizin, in seinem Gutachten vom 10.03.2003 zu dem zusammenfassenden Ergebnis, dass die von Dr. B. genannten Diagnosen für das neurologisch-psychiatrische Gebiet nicht bestätigt werden können. Eine schwere Myopathie oder eine schwere Ataxie, die auf eine Enzephalopathie hindeuten könnten, hat Prof. Dr. E. nicht feststellen können. Auch eine schwere Leistungsminderung konnte er nicht feststellen, selbst wenn eine leichte Leistungseinschränkung beim Kläger aufgrund der bestehenden Gesundheitsstörungen mit chronischen Kopfschmerzen bei auch chronischen Wirbelsäulenbeschwerden und überlagernden reaktiven depressiven Störungen bestünde. Eine die Exposition wesentlich überdauernde Verschlimmerung von Kopfschmerzen hat Prof. Dr. E. nicht als wahrscheinlich eingeordnet. Nur die vorübergehende Verstärkung von Kopfschmerzen erklärte er mit der Belastung durch Lösungsmittel. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 03.01.2013 hat Prof. Dr. E. mitgeteilt, dass sich durch die Änderung des Merkblattes im Jahre 2005, die nach seiner ursprünglichen Begutachtung erfolgte, vorliegend keine neuen Gesichtspunkte ergeben haben, die für die Feststellung einer Enzephalopathie belangvoll wären.

Die den notwendigen Überzeugungsgrad ausschließenden Zweifel des Senats am Vorliegen einer Enzephalopathie ergeben sich auch aus den Feststellungen des Neurologen und Psychiaters Dr. C.. Der Sachverständige kommt, das geänderte Merkblatt zur BK 1317 zugrunde legend, in seinem Gutachten vom 17.09.2007 (mit ergänzenden gutachtlichen Stellungnahmen vom 01.02.2011 und vom 30.08.2011) zu dem überzeugenden Ergebnis, dass sich keine Enzephalopathie findet. Die Untersuchungen des Dr. C. haben eine leichtgradige kognitive Einbuße ergeben, die vor allem auf eine verminderte psychophysische Belastbarkeit und Ausdauer hinweist. Diese steht eher in Zusammenhang mit einer möglichen depressiven Störung (die beim Kläger bereits 1990 und damit vor Beginn der Exposition erstmals diagnostiziert wurde) als mit einer reinen hirnorganisch bedingten kognitiven Störung, wie Dr. C. übereinstimmend mit Prof. Dr. E. ausführt. Eine toxische Ursache dieser Einbuße ist unwahrscheinlich. In diesem Sinne bezeichnet Prof. Dr. E. die im Rahmen der Testung durch den Diplom-Psychologen K. am 09.02.2001 testpsychologisch erfassten Hirnleistungsstörungen des Klägers als unspezifisch und nicht hinweisend auf eine Hirnschädigung.

Auch aus den vom Diplom-Psychologen F. vom 26. bis 28.07.2007 durchgeführten neuropsychologischen Tests kann Dr. C. keine eindeutigen Hinweise für einen deutlichen Hirnabbau oder Hinweise für eine allgemein beginnende oder fortschreitende Abbauerkrankung (Enzephalopathie) erkennen. Dr. C. fand im EEG eine normale Alpha-Grundaktivität 8/Sekunde mit einer einmaligen dysrhythmischen Gruppe bilateral sowie vereinzelten Theta- und Deltawellen im Sinne von flüchtigen Funktionsstörungen. Dr. C. bezeichnet diese flüchtigen Funktionsstörungen als noch im Bereich des Normalen anzusehen, die mit der geklagten verminderten Belastbarkeit und vorzeitiger und gehäufter Ermüdung korrelieren. Dr. C. führt überzeugend aus, dass für eine eindeutige leichte Allgemeinveränderung, wie sie auch zum Beispiel bei einer Enzephalopathie und einer diffusen Hirnschädigung bestehen können, definitionsgemäß eine deutlichere Verlangsamung der Grundaktivität und eine Blockadereaktion verlangt werden, die sich im EEG nicht gefunden haben. Dabei verkennt der Senat nicht, dass das Fehlen von Auffälligkeiten im EEG nach dem Merkblatt kein Ausschlusskriterium für das Vorliegen einer toxischen Enzephalopathie ist. Die von Dr. C. festgestellten flüchtigen Funktionsstörungen sind aber auch nicht beweisend für eine toxische Enzephalopathie.

Aus den Feststellungen des Diplom-Psychologen F. und des Dr. C. lassen sich jedenfalls keine Persönlichkeitsveränderungen oder Leistungseinschränkungen erkennen, die für den Schweregrad IIA einer (toxischen) Enzephalopathie i.S.d. Merkblatts sprechen. Soweit der Kläger anamnestisch Leistungseinschränkungen benannt hat (die allenfalls für den Schweregrad Ieiner toxischen Enzephalopathie sprechen könnten) hat der Senat erhebliche Zweifel an den Angaben des Klägers. Nach den Feststellungen des Diplom-Psychologen F. stehen Testergebnisse und Untersuchungsverhalten des Klägers im Widerspruch. Die in den Testverfahren teilweise gezeigten erheblichen Einschränkungen im Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsbereich müssten sich, wie Diplom-Psychologe F. nachvollziehbar ausführt, stark behindernd auf die Alltagsbewältigung auswirken, was der Psychologe aber nicht beobachten konnte. So ist der Kläger u. a. stets pünktlich und selbstständig zu vereinbarten Terminen erschienen und konnte sich an Geschehnisse, Gegebenheiten und Absprachen des Vortags erinnern. Zudem hat der Kläger im Gespräch mit dem Diplom-Psychologen F. nicht psychisch verlangsamt gewirkt, was aufgrund der Verlangsamung in den Testverfahren der Fall hätte sein müssen. Somit ist zum einen der Nachweis testpsychologischer Leistungsbeeinträchtigungen nicht erbracht. Zum anderen sind aber auch die Angaben des Klägers zu seinen Einschränkungen selbst in Zweifel zu ziehen. Dies deckt sich im Übrigen auch mit dem Verhalten des Klägers in den verschiedenen Terminen vor dem Senat, wo er z. B. bei der Anhörung des Sachverständigen am 16.10.2013 der Verhandlung über mehrere Stunden problemlos folgen und sich dann durch gezielte Fragen auch selbst einbringen konnte.

Auch der vom Kläger vorgelegten Stellungnahme des Dr. M. lassen sich keine Hinweise für das Vorliegen einer Enzephalopathie entnehmen. Es gilt insoweit das oben zur Polyneuropathie Gesagte entsprechend.

Aus den sonstigen aktenkundigen ärztlichen Angaben bzw. Stellungnahmen ergibt sich kein Hinweis auf eine Erkrankung i.S.d. BK 1317.

Die Ausführungen der auf Antrag des Klägers vom Senat gehörten Dr. K., Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Homöopathie, in ihrem Gutachten vom 06.05.2009 (mit ergänzender, von der Klägerseite vorgelegter Stellungnahme vom 22.01.2010) überzeugen nicht. Sie vertritt die Auffassung, es läge eine toxische Enzephalopathie des Schweregrades 2B (und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch eine toxisch bedingte Polyneuropathie) vor. Die Gutachterin führt aus, ein Vergleich der bereits am 06. und 07.01.2001 erhobenen Testergebnisse mit den am 16.02.2009 erhobenen psychologischen Befundergebnissen weise auf eine Progredienz der mentalen Ausfallerscheinungen hin. Es sei eindeutig von einem progredienten hirnorganischen Prozess auszugehen. Es seien eindeutig arbeits- und stoffbezogene Wirkungen beim Kläger zu verzeichnen mit Benommenheit, Übelkeit, Luftnot, Kribbelparesthesien an Händen und Füßen, Hinterkopfschmerz als akute Symptome sowie Hirnleistungsschwäche, Schlafstörungen und Geruchsempfindlichkeit als chronische Erscheinungen. Dr. K. zieht die oben genannten Schlussfolgerungen aus einem Vergleich der bei Professor Dr. E. erzielten Ergebnisse mit dem Ergebnis aus dem Jahre 2007 in C-Stadt; dort hätten sich erstmals gesicherte Hinweise für eine periphere neurologische Ausfallerscheinung mit Beeinträchtigung der motorischen und sensiblen Nervenleitgeschwindigkeit gefunden. Daraus ergibt sich jedoch keine entsprechende volle Überzeugung des Senats vom Vorliegen einer Enzephalopathie. Wie Dr. C. zutreffend ausführt, kann eine geringfügige Verlangsamung der Grundtätigkeit im EEG nicht als neurophysiologisches Korrelat für eine fortschreitende Hirnleistungsbeeinträchtigung bewertet werden, da hierzu eine deutlichere Verlangsamung zu fordern wäre. Soweit Dr. K. auf den mehrfach erfolgten Nachweis testpsychologischer Leistungsminderungen verweist, ist dieser Nachweis nach den obigen Ausführungen gerade nicht zur Überzeugung des Senats erbracht. Der Einschätzung des Dr. C., dass die testdiagnostische und klinische Feststellung einer kognitiven Beeinträchtigung in bestimmten Leistungsbereichen nicht automatisch bedeutet, dass eine Enzephalopathie vorliegt, ist in vollem Umfang zuzustimmen.

Zusammenfassend kann der Senat aus den dargestellten Gründen keine volle Überzeugung für das Vorliegen einer Polyneuropathie oder einer Enzephalopathie i.S.d. BK 1317 gewinnen.

3. Zum Ursachenzusammenhang ist das Folgende auszuführen:

Wie bereits bei der Prüfung des Vorliegens einer Gesundheitsstörung i.S.d. BK 1317 deutlich wurde, nimmt das entsprechende Merkblatt keine deutliche Trennung zwischen den Gesundheitsstörungen Polyneuropathie bzw. Enzephalopathie als solche und der Verursachung und Kausalitätsfragen vor. So wird die Polyneuropathie als neurotoxische gekennzeichnet und ausgeführt, asymetrische, multifokale, rein motorische oder autonome Neuropathien schlößen eine Verursachung durch Lösungsmittel weitgehend aus. Auch die Enzephalopathie wird im Merkblatt als toxische Enzephalopathie bezeichnet, wobei sich die Diagnose auf die anamnestischen Angaben und den psychopathologischen Befund stützt, aber auch differentialdiagnostische Überlegungen anzustellen sind. Daher ist - im Hinblick auf die vom Senat bereits nicht festgestellten Gesundheitsstörungen hilfsweise - auszuführen, dass eine (insofern unterstellte) Polyneuropathie oder Enzephalopathie vorliegend nicht mit dem notwendigen Wahrscheinlichkeitsgrad auf berufliche Einwirkungen zurückzuführen wäre. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine Kausalität ergibt sich insbesondere nicht aus der von der Klägerseite vorgelegten „gutachterlichen Stellungnahme zur Darstellung des Standes der Wissenschaft in Sachen BK 1317“ des Diplom-Chemikers Dr. M. vom 21.09.2010 (mit Ergänzung vom 12.04.2011). Auch wenn man mit Dr. M. davon ausgeht, dass der Kläger einen Risikoberuf in der Halle ausgeübt und einen besonders intensiven Kontakt gehabt hat, dass die Neurotoxizität der Lösemitteln Ethanol und Methanol anerkannt und dass ein Schaden eingetreten ist, ergeben sich - die oben dargelegten Grundsätze zugrunde legend - Zweifel an einer solchen Ursächlichkeit in einem Maße, das die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Verursachung einer Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel und deren Gemische ausschließt.

Diese Zweifel resultieren - was die Polyneuropathie betrifft - insbesondere aus dem vom Senat eingeholten Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. C. vom 17.09.2007 (mit ergänzenden gutachtlichen Stellungnahmen vom 01.02.2011 und vom 30.08.2011) und aus dessen Anhörung durch den Senat am 13.10.2013. Dr. C. hat in überzeugender Weise erläutert, dass beim Kläger keine distal-symmetrische Polyneuropathie vorliegt. Wie bereits ausgeführt bedeutet dies, dass eine Nervenschädigung nicht mit dem notwendigen Wahrscheinlichkeitsgrad auf eine berufsbedingte Langzeiteinwirkung durch Lösungsmittel zurückzuführen und die berufliche Tätigkeit des Klägers ist daher nicht als wesentliche Teilursache zu werten wäre.

Was die Enzephalopathie betrifft, lassen sich jedenfalls keine Persönlichkeitsveränderungen oder Leistungseinschränkungen erkennen, die für den (nach dem Merkblatt) erforderlichen Schweregrad IIA einer toxischen Enzephalopathie kennzeichnend sind. Dies ergibt sich in eindeutiger Weise aus den oben bereits dargelegten Feststellungen des Dipl.-Psych. F. und des Dr. C. und den beschriebenen erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit der Angaben des Klägers zu seinen Leistungsdefiziten.

Eine Vermutung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der Exposition und einer Erkrankung wie von der Klägerseite behauptet, besteht nicht und wird auch vom Merkblatt nicht konstituiert. Insbesondere existiert keine Vermutung, dass Beschwerden bzw. Leistungseinschränkungen etwa im kognitiven Bereich auf eine Exposition gegenüber Lösungsmitteln beruhen. Diese Vermutung wird auch nicht durch § 9 Abs. 3 SGB VII fingiert, da vorliegend Anhaltspunkte für außerberufliche Ursachenzusammenhänge für die Beschwerden des Klägers bestehen. Hier ist insbesondere die bereits 1990 diagnostizierte Depression zu nennen. Schon gar nicht besteht der in den Stellungnahmen des Dr. M. suggerierte Automatismus zwischen Exposition und Ursachenzusammenhang. Weder Vermutung noch Automatismus im vorgenannten Sinne lassen sich insbesondere dem Merkblatt zur BK 1317 entnehmen, das nur Anhaltspunkte für das Vorliegen einer toxischen Enzephalopathie aufzeigt und im Übrigen auf differentialdiagnostische Krankheitsbilder verweist. Umgekehrt müssen, wie Dr. C. unter Hinweis auf den Stand der Wissenschaft (unter Inbezugnahme insbesondere von Widder/Gaidzik, Begutachtung in der Neurologie, 2. Aufl. 2011, 515 f.) ausführt, differentialdiagnostisch gerade auch andere Ursachen berücksichtigt werden.

4. Den weiteren vom Kläger gestellten (Beweis-)Anträgen musste der Senat nicht nachgehen. Dabei lässt der Senat dahinstehen, ob es sich bei den gestellten Fragen überhaupt um wirksame Beweisanträge handelt, insbesondere ob die klägerischen Beweisthemen durch die pauschalisierende Inbezugnahme aller möglichen Schriftsätze hinreichend bestimmt ist, ob die Anträge also in prozessordnungsgerechter Weise formuliert wurden, das Beweisthema ordnungsgemäß angegeben und wenigstens umrissen wurde, was die Beweisaufnahme ergeben soll (vgl. dazu BSG, Beschluss vom 18.12.1997, 5 BH (J) 14/97; Leitherer in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 160 Rn. 18 a). Sie gehen jedenfalls aus den folgenden Gründen ins Leere:

Den Anträgen vom 04.11.2003 und vom 07.03.2008 betreffend Nachermittlungen zu den Arbeitsbedingungen in der Zeit vom 10/1992 bis 11/2000, Einvernahme von Arbeitskollegen als Zeugen und Beiziehung von Verwaltungsakten der Beklagten, betreffend diese Zeugen, musste der Senat nicht nachgehen, weil die Exposition des Klägers gegenüber Lösungsmitteln im Sinne der BK 1317 vom Senat bejaht wird. Sie ist im Übrigen auch unstrittig. Eine bestimmte Konzentration der Lösungsmittel ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung einer BK 1317 (vgl. dazu Hessisches LSG, Urteil vom 06.07.2007, L 7 U 8/06). Die Beklagte hat daher schon in einem Schriftsatz vom 09.01.2004 hinreichende Anhaltspunkte dafür bejaht, dass der Kläger schädigenden Einwirkungen im Sinne der BK 1317 ausgesetzt gewesen ist.

Die mit Schriftsätzen vom 15.10.2009, 27.10.2009 und 14.04.2010 geforderte ergänzende Anhörung der nach § 109 SGG ernannten Gutachterin Dr. K. war nach den Regelungen dieser Vorschrift sowie des § 103 SGG nicht notwendig. Der Sachverhalt ist, insbesondere auch nach den ergänzenden Anhörungen des Sachverständigen Dr. C. vom 12.03.2013 und am 16.10.2013, erschöpfend aufgeklärt.

Soweit der Kläger im Schriftsatz vom 14.04.2010 die Vorlage der Beratungsarztverträge mit Dr. L. und Dr. D. beantragt hat, lässt der Senat offen, ob es sich um einen zulässigen Beweisantrag im oben dargestellten Sinn handelt. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 16.09.2010 die Niederschriften über die Belehrung und Verpflichtung des Dr. L. vom 20.07.1995 und des Dr. D. vom 30.04.2003 vorgelegt. Deren Status als Beratungsarzt steht damit zur vollen Überzeugung des Senats fest. Bei den von der Beklagten vorgelegten Äußerungen von Dr. L. vom 05.08.2009 und von Dr. D. vom 11.01.2010 handelt es sich um Parteivortrag der Beklagten und nicht um gutachtliche Stellungnahmen im Sinne des § 200 SGB VII. Das Vorbringen wurde vom Senat (und auch vom Gutachter Dr. C.) auch in diesem Sinne gewürdigt.

Eine im Schriftsatz vom 29.11.2013 erneut beantragte Anhörung des Dr. M. und des Prof. Dr. W. war schon deshalb nicht erforderlich, weil es sich bei diesen weder um nach § 106 SGG noch um nach § 109 SGG vom Senat beauftragte Gutachter handelt. Soweit sie als sachverständige Zeugen gehört werden sollen, fehlt es bereits an der Benennung eines geeigneten Beweisthemas. Dr. M. und Prof. Dr. W. haben den Kläger selbst nie untersucht, so dass auch deswegen nicht erkennbar ist, wozu sie zeugenschaftliche Angaben machen könnten.

Den in den Schriftsätzen vom 14.04.2010 und 15.11.2011 enthaltenen Anträgen auf Anhörung des Diplom-Psychologen F. ist der Senat durch Anhörung des Hauptgutachters Dr. C. nachgekommen. Dieser hat am 12.03.2013 und am 16.10.2013 zu allen Fragen des Klägers auch zur Testpsychologie Stellung genommen. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass danach noch Fragen offen geblieben sind.

Mangels Nachweis des Vorliegens einer toxischen Polyneuropathie bzw. Enzephalopathie i.S.d. BK 1317 waren weitere Ermittlungen zur Exposition des Klägers gegenüber organischen Lösungsmitteln oder deren Gemischen nicht erforderlich.

Für das Vorliegen der Voraussetzungen einer BK 1302 oder 1303 ergeben sich aus dem Akteninhalt, insbesondere aus den eingeholten sachverständigen Äußerungen, keine Anhaltspunkte, so dass auch in diese Richtung gehende weitere Ermittlungen nicht geboten waren. Insbesondere liegen beim Kläger keine toxischen Erkrankungen vor, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die Einwirkung durch Halogenkohlenwasserstoffe (vgl. dazu das Merkblatt zur BK 1302, Bek. des BMA vom 29.03.1985, BArbBl 1985, H.6 S.55, Punkt III) oder Benzol (vgl. dazu das Merkblatt zur BK 1303, Bek. des BMA vom 24.02.1964, BArbBl Fachteil Arbeitsschutz 1964, 30 Punkt III, mit Ergänzung Bek. des BMA vom 22.08.1994, BArbBl 10/94, S.139 ff, Punkt III) zurückzuführen sind.

Die Berufung gegen das klageabweisende Urteil war nach alledem zurück zuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Revisionszulassungsgründe im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG sind nicht gegeben.

Urteilsbesprechung zu Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 16. Dez. 2014 - L 18 U 364/12 ZVW

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Referenzen - Gesetze

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 54


(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig
Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 16. Dez. 2014 - L 18 U 364/12 ZVW zitiert 16 §§.

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(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 103


Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 2 Versicherung kraft Gesetzes


(1) Kraft Gesetzes sind versichert 1. Beschäftigte,2. Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen,3. Personen, die sich Untersuchungen, Prüfungen oder ähnliche

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 109


(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschieß

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 6 Freiwillige Versicherung


(1) Auf schriftlichen oder elektronischen Antrag können sich versichern 1. Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner; ausgenommen sind Haushaltsführende, Unternehmer von nicht gewerbsmäßig betriebenen Binnenfisch

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 3 Versicherung kraft Satzung


(1) Die Satzung kann bestimmen, daß und unter welchen Voraussetzungen sich die Versicherung erstreckt auf1.Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,2.Personen, die sich auf der Unternehmensstätte aufhalten; § 2

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(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlich

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 9 Berufskrankheit


(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 7 Begriff


(1) Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. (2) Verbotswidriges Handeln schließt einen Versicherungsfall nicht aus.

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 200 Einschränkung der Übermittlungsbefugnis


(1) § 76 Abs. 2 Nr. 1 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, daß der Unfallversicherungsträger auch auf ein gegenüber einem anderen Sozialleistungsträger bestehendes Widerspruchsrecht hinzuweisen hat, wenn dieser nicht selbst zu einem Hinweis nach

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Bundessozialgericht Beschluss, 24. Juli 2012 - B 2 U 100/12 B

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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 24. Jan. 2019 - L 17 U 123/14

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Tenor I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 18. Februar 2014 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen

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Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 30. November 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten um die Anerkennung des Vorliegens insbesondere einer BK nach Nummer 1317 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV; in Zukunft BK Nr 1317) - Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische.

2

Der Kläger arbeitete zuletzt von 1992 bis 2000 bei einer Firma für Holzleimbau als Maschinenführer. Er kam dort mit Härtern, Leim, Lösungsmitteln sowie mit Lärm in Kontakt. 2001 ging bei der Beklagten eine ärztliche Anzeige eines Nervenarztes ein, in der ausgeführt wird, der Kläger leide an einer Neuropathie, einer schweren Myopathie, einer schweren Ataxie, einer schweren Leistungsminderung und zunehmender chemischer Überempfindlichkeit. Die Beklagte lehnte die Anerkennung einer BK nach Zifferngruppe 13 der Anlage, insbesondere der Nr 1317 ab (Bescheid vom 8.11.2001; Widerspruchsbescheid vom 14.12.2001). Nach Eingang der Klage am 31.12.2001 hat das SG ein Gutachten des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Prof. Dr. G. vom 10.3.2003 eingeholt sowie ein arbeitsmedizinisches Gutachten von Prof. Dr. D. vom 12.5.2003. Durch Urteil vom 8.9.2004 hat das SG die Klage abgewiesen.

3

Nach Einlegung der Berufung am 9.11.2004 hat das LSG ein arbeitsmedizinisches Gutachten des Prof. Dr. S. sowie ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. Sch. vom 17.9.2007 und nach § 109 SGG ein Gutachten der Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Homöopathie Dr. K. vom 6.5.2009 eingeholt.

4

Der Kläger beantragte am 23.2.2010 eine erneute Stellungnahme der Dr. K. und eine gutachterliche Stellungnahme des Diplom-Chemikers Dr. M., der Impulsgeber für die Neufassung des Merkblatts zur BK Nr 1317 im Jahr 2005 gewesen sei. Das LSG holte sodann zwei weitere ergänzende Stellungnahmen des Dr. Sch. ein.

5

In der mündlichen Verhandlung vom 30.11.2011 wurde der folgende Hilfsantrag des Klägers protokolliert,

"weitere Ermittlungen durchzuführen nach Maßgabe der Schriftsätze vom 04.11.2003; 19.05.2004, 27.12.2006, 15.10.2009, 27.10.2009, 14.04.2010, 19.07.2010, 10.03.2011, 28.04.2011 und 15.11.2011".

6

Das LSG hat die Berufung durch Urteil vom 30.11.2011 zurückgewiesen. Maßgeblich hat es sich darauf gestützt, dass eine Erkrankung im Sinne einer toxischen Enzephalopathie und/oder einer toxischen Polyneuropathie beim Kläger nicht festzustellen gewesen sei. Eine Polyneuropathie oder Enzephalopathie hätten weder der vom SG gehörte neurologische Gutachter Prof. Dr. Grobe noch der vom Senat bestellte neurologische Gutachter Dr. Sch. (…) diagnostiziert. Eine im Schriftsatz des Klägers vom 14.4.2010 beantragte Anhörung der Gutachter Prof. Dr. G., Prof. Dr. D., des Diplompsychologen F., des Dr. Sch."und der übrigen Verfasser der bisherigen Gutachten" zu ihrer fachlichen Qualifikation, etwa eigenen Änderungen in den bisherigen Gutachten durch das neue Merkblatt BK 1317, Stand 03/05 und den Diagnosekriterien der WHO 1985 und zu den Gutachten Dr. K. vom 6.5.2009 und 22.1.2010 sei, soweit die Gutachten nicht im Berufungsverfahren eingeholt worden seien, schon deshalb nicht erforderlich, weil der Senat seine Entscheidung auf diese Gutachten nicht stütze. Hinsichtlich der Fragestellung des Merkblattes zur BK 1317, der Diagnosekriterien sowie den Feststellungen Dr. K. habe der Senat die weitere ergänzende Stellungnahme des Dr. Sch. vom 30.8.2011 eingeholt. Den unsubstantiierten Zweifeln an der Qualifikation von Gutachtern müsse der Senat nicht nachgehen, da er sie nicht teile und keinen Anhaltspunkt für diese Zweifel sehe.

7

Der Kläger macht mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG und das Vorliegen von Verfahrensmängeln geltend, auf denen die angefochtene Entscheidung beruhen kann gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG.

8

Sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt worden, weil er mit Schriftsatz vom 14.4.2010 die Anhörung der Vorgutachter Prof. Dr. G. und Prof. Dr. D. beantragt habe. Diese hätten ihre Gutachten im Jahre 2003 erstellt. Im Jahr 2005 sei der Inhalt des Merkblatts zur BK Nr 1317 aber wesentlich geändert worden, so dass beide Gutachten nicht auf der Grundlage des Merkblatts Stand 03/05 und damit nach dem Stand der Wissenschaft erstellt worden seien. Das LSG habe ausdrücklich den gesamten Akteninhalt und damit auch diese Gutachten zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht.

9

Das LSG habe diese Beweisanträge mit der Begründung abgelehnt, dass das Fragerecht nur hinsichtlich von Gutachten der gleichen Instanz bestehe. Dies sei keine hinreichende Begründung, weil das LSG sich gerade auch auf diese Gutachten gestützt habe. Weiterhin habe das LSG zur Begründung ausgeführt, eine Anhörung der Prof. Dr. G. und Prof. Dr. D. sei nicht erforderlich gewesen, weil ein weiteres Gutachten des Dr. Sch. eingeholt worden sei. Dr. Sch. habe aber nur eine Begutachtung zu einem späteren Zeitpunkt vornehmen können, was die Aussagen der beiden Gutachter zu dem Gesundheitszustand zu einem früheren Zeitpunkt nicht habe ersetzen können. Er verweise ausdrücklich auf die Rechtsprechung des BVerfG (Hinweis auf BVerfG vom 9.10.2007 - 2 BvR 1268/03).

10

Weiterhin sei am 14.4.2010 die Anhörung der Prof. Dr. G., Prof. Dr. D., des Dipl-Psych. F. und des Dr. Sch. zu den entgegenstehenden Feststellungen in dem späteren Gutachten der Frau Dr. K. beantragt worden. Frau Dr. K. habe in ihrem Gutachten auf der Grundlage des Merkblatts Stand 03/05 zur BK Nr 1317 ausgeführt, dass eine entsprechende Erkrankung des Klägers vorliege. Sie habe insbesondere hervorgehoben, dass auch die Folgen des Unfalls des Klägers vom 2.9.1990 in die Begutachtung einbezogen werden müssten. Der Kläger habe ein HWS-Schleudertrauma mit neurologischen Ausfallerscheinungen erlitten. Diese vorbestehenden Ausfallerscheinungen überlagerten die Auswirkungen der Sensibilitätsstörungen aufgrund der toxischen Exposition, so dass nur aus diesem Grund keine teilweise distal symmetrischen Beschwerden vorlägen. Zu diesem schlüssigen Grund für die fehlende Asymmetrie und zu der Feststellung, dass aufgrund der zusätzlichen Ursache dennoch die Diagnosekriterien für eine toxische Enzephalopathie erfüllt worden seien, hätten die übrigen Gutachter Stellung nehmen sollen. Insbesondere Dr. Sch. habe es unterlassen, sich mit den Auswirkungen des Verkehrsunfalls aus dem Jahre 1990 auseinanderzusetzen. Er - der Kläger - habe am 15.11.2011 beantragt, den Gutachter Dr. Sch. insbesondere zu der Frage zu hören, was dieser unter einer guten klinischen Praxis verstehe und warum er die toxische Polyneuropathie und Enzephalopathie nicht nach den Diagnosekriterien des Merkblatts 03/05 zur BK 1317 auf der Grundlage der Stellungnahme des Sachverständigenrats und der WHO zu diesen Kriterien prüfe. Diese Fragen seien in sämtlichen Stellungnahmen des Dr. Sch. offen geblieben.

11

Von grundsätzlicher Bedeutung sei schließlich die Frage, ob ein zwischenzeitlich ergehendes neues Merkblatt, wie hier das 2005 erlassene Merkblatt mit Kriterien zur Diagnose der BK Nr 1317 zwingend in einem sozialgerichtlichen Verfahren zugrunde zu legen sei. Insbesondere Dr. Sch habe eine eigene Methodik und Diagnosekriterien entwickelt und es sei nicht auszuschließen, dass die Gutachter und das LSG zu einem anderen Ergebnis gelangt wären, wenn sie die Diagnosekriterien in dem Merkblatt 03/05 zugrunde gelegt hätten.

12

II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil des LSG ist unter Verstoß gegen die Vorschriften der §§ 402, 397 ZPO iVm § 118 Abs 1 SGG ergangen. Das LSG hätte den im Termin nochmals protokollierten Anträgen des Klägers vom 14.4.2010 und 15.11.2011 nachkommen und weitere Fragen an die Sachverständigen zulassen bzw stellen müssen.

13

Die Beschwerdebegründung genügt den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Sie bezeichnet die Tatsachen, aus denen sich der Verfahrensmangel ergibt. Der Kläger hat hinreichend deutlich gemacht, wieso aus seiner Sicht eine (weitere) Befragung der Sachverständigen Prof. Dr. G., Prof. Dr. D., des Dipl-Psych. F. und des Dr. Sch. erforderlich gewesen wäre. Die Beschwerde macht auch hinreichend deutlich, dass das Urteil des LSG auf dieser unterlassenen Anhörung der Sachverständigen beruhen kann.

14

Der Senat beruft sich dabei ausdrücklich auf die Rechtsprechung des BVerfG, das zuletzt am 17.1.2012 (1 BvR 2728/10) wieder betont und bindend entschieden hat, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör grundsätzlich auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger umfasst (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3.2.1998 - 1 BvR 909/94 - NJW 1998, 2273). Nach § 402 ZPO iVm § 397 ZPO sind die Parteien berechtigt, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten. Der BGH hat daraus in ständiger Rechtsprechung die Pflicht der Gerichte abgeleitet, dem Antrag einer Partei auf mündliche Befragung gerichtlicher Sachverständiger nachzukommen (vgl BGHZ 6, 398 <400 f>; BGH, Urteil vom 21.10.1986 - VI ZR 15/85 - NJW-RR 1987, 339 <340>; BGH, Urteil vom 17.12.1996 - VI ZR 50/96 - NJW 1997, 802 <802 f>). Auf die Frage, ob das Gericht selbst das Sachverständigengutachten für erklärungsbedürftig hält, kommt es dabei nicht an. Es gehört vielmehr gerade zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, dass die Parteien den Sachverständigen Fragen stellen, ihnen Bedenken vortragen und sie um eine nähere Erläuterung von Zweifelspunkten bitten können (BGH, Urteil vom 21.10.1986, aaO). Ein Antrag auf Anhörung des Sachverständigen kann allerdings dann abgelehnt werden, wenn er verspätet oder rechtsmissbräuchlich gestellt wurde oder die für erläuterungsbedürftig gehaltenen Punkte nicht benennt (BGHZ 35, 370 <371>; BGH, Urteile vom 21.10.1986, aaO, und vom 17.12.1996, aaO; vgl hierzu zuletzt Beschluss des Senats vom 18.7.2012 - B 2 U 105/12 B). Hat das erstinstanzliche Gericht einem Antrag auf mündliche Anhörung des Sachverständigen verfahrensfehlerhaft nicht entsprochen, so muss nach der Rechtsprechung des BGH das Berufungsgericht dem in zweiter Instanz wiederholten Antrag stattgeben (BGH, Beschlüsse vom 10.5.2005 - VI ZR 245/04 - Juris und vom 14.7.2009 - VIII ZR 295/08 - NJW-RR 2009, 1361 <1362>).

15

Beachtet ein Gericht diese verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht, so liegt darin jedenfalls dann ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn es einen Antrag auf Erläuterung des Sachverständigengutachtens völlig übergeht oder ihm allein deshalb nicht nachkommt, weil das Gutachten ihm überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint. Dagegen verlangt Art 103 Abs 1 GG nicht, einem rechtzeitigen und nicht missbräuchlichen Antrag auf Anhörung der Sachverständigen ausnahmslos Folge zu leisten. Die mündliche Anhörung des Sachverständigen ist zwar die nächstliegende, aber nicht die einzig mögliche Behandlung eines derartigen Antrags (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3.2.1998, aaO; vgl BGH, Urteil vom 10.12.1991 - VI ZR 234/90 - NJW 1992, 1459 f). Dazu bieten sich nach der genannten Rechtsprechung des BVerfG, die insoweit auf die in der Rechtsprechung des BGH im Urteil vom 10.12.1991 (dort RdNr 26) abschließend aufgezählten Ausnahmen verweist, weitere Möglichkeiten an (BGH, Urteile vom 14.4.1981 - VI ZR 264/79 - VersR 1981, 576; Urteil vom 6.3.1986 - III ZR 245/84 - NJW 1986, 1928, 1930; BGH, Urteil vom 10.12.1991 - VI ZR 234/90 - NJW 1992, 1459; vgl zuletzt BSG, Beschluss vom 19.7.2012 - B 2 U 105/12 B). Das Gericht kann den Sachverständigen zu einer schriftlichen Ergänzung seines Gutachtens veranlassen oder ihn, wenn dies zweckmäßiger erscheint, zur mündlichen Verhandlung laden und befragen. Es kann statt dessen nach § 412 ZPO aber auch ein weiteres Gutachten einholen. Nur insoweit besteht ein (Auswahl-)Ermessen des Gerichts.

16

Das LSG hätte unter Anwendung dieser Grundsätze den Anträgen des Beschwerdeführers vom 14.4.2010 und 15.11.2011 auf Anhörung bzw Befragung der Sachverständigen Prof. Dr. G. und Dr. Sch. nachgehen müssen. Die Beschwerde trägt hierzu schlüssig und auch inhaltlich richtig vor, dass beide Sachverständige bei ihrer Begutachtung das neue, 2005 geänderte Merkblatt zur BK Nr 1317 (Bekanntmachung des BMGS, BArBl 2005, Heft 3, S 49 ff) bei ihrer Begutachtung nicht zugrunde gelegt hatten. Zugleich hat das LSG seine Entscheidung aber gerade darauf gestützt, dass nach diesen beiden Gutachten das Krankheitsbild der Enzephalopathie nicht vorliege. Insofern ist auch unbeachtlich, dass Prof. Dr. G. sein Gutachten bereits im Verfahren vor dem SG erstellt hat, weil das LSG sich tragend auch gerade auf den Inhalt dieses Gutachtens berufen hat. Der Antrag des Klägers war daher nachvollziehbar und keinesfalls missbräuchlich. Ebenso hätten die genannten Sachverständigen zu den abweichenden Bewertungen der Gutachterin Dr. K. insbesondere zu der behaupteten Überlagerung des Krankheitsbildes des Klägers mit den Folgen des Unfalls aus dem Jahre 1990 - auf eine der drei oben aufgezeigten Weisen gehört werden müssen.

17

Liegen damit die Voraussetzungen eines Verfahrensmangels gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vor, kann das BSG auf die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil wegen des festgestellten Verfahrensmangels aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen(§ 160a Abs 5 SGG). Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.

18

Entgegen dem Vorbringen des Klägers ist es hingegen nicht von grundsätzlicher Bedeutung, ob die Gutachter und das LSG die Neufassung des Merkblatts 3/2005 zur BK Nr 1317 zugrunde zu legen gehabt hätten. Diese Rechtsfrage ist höchstrichterlich geklärt. Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass im Bereich der BK'en von den Tatsachengerichten jeweils der im Entscheidungszeitpunkt aktuelle Stand der medizinischen Wissenschaft zugrunde zu legen ist (BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 20; vgl auch BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20; Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, mwN). Jedes Gericht, das die für die Anerkennung als BK erforderlichen Einwirkungen zu präzisieren hat, muss sich Klarheit darüber verschaffen, welches in der streitigen Frage der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist (BSG vom 15.9.2011, aaO). Von daher folgt aus der genannten Rechtsprechung zwanglos, dass vom Tatsachengericht auch jeweils der im Zeitpunkt der Entscheidungsfindung aktuellste Stand der Merkblätter etc bei der Prüfung der objektiven Verursachung zu berücksichtigen ist.

19

Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 30. November 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten um die Anerkennung des Vorliegens insbesondere einer BK nach Nummer 1317 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKV; in Zukunft BK Nr 1317) - Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische.

2

Der Kläger arbeitete zuletzt von 1992 bis 2000 bei einer Firma für Holzleimbau als Maschinenführer. Er kam dort mit Härtern, Leim, Lösungsmitteln sowie mit Lärm in Kontakt. 2001 ging bei der Beklagten eine ärztliche Anzeige eines Nervenarztes ein, in der ausgeführt wird, der Kläger leide an einer Neuropathie, einer schweren Myopathie, einer schweren Ataxie, einer schweren Leistungsminderung und zunehmender chemischer Überempfindlichkeit. Die Beklagte lehnte die Anerkennung einer BK nach Zifferngruppe 13 der Anlage, insbesondere der Nr 1317 ab (Bescheid vom 8.11.2001; Widerspruchsbescheid vom 14.12.2001). Nach Eingang der Klage am 31.12.2001 hat das SG ein Gutachten des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Prof. Dr. G. vom 10.3.2003 eingeholt sowie ein arbeitsmedizinisches Gutachten von Prof. Dr. D. vom 12.5.2003. Durch Urteil vom 8.9.2004 hat das SG die Klage abgewiesen.

3

Nach Einlegung der Berufung am 9.11.2004 hat das LSG ein arbeitsmedizinisches Gutachten des Prof. Dr. S. sowie ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. Sch. vom 17.9.2007 und nach § 109 SGG ein Gutachten der Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Homöopathie Dr. K. vom 6.5.2009 eingeholt.

4

Der Kläger beantragte am 23.2.2010 eine erneute Stellungnahme der Dr. K. und eine gutachterliche Stellungnahme des Diplom-Chemikers Dr. M., der Impulsgeber für die Neufassung des Merkblatts zur BK Nr 1317 im Jahr 2005 gewesen sei. Das LSG holte sodann zwei weitere ergänzende Stellungnahmen des Dr. Sch. ein.

5

In der mündlichen Verhandlung vom 30.11.2011 wurde der folgende Hilfsantrag des Klägers protokolliert,

"weitere Ermittlungen durchzuführen nach Maßgabe der Schriftsätze vom 04.11.2003; 19.05.2004, 27.12.2006, 15.10.2009, 27.10.2009, 14.04.2010, 19.07.2010, 10.03.2011, 28.04.2011 und 15.11.2011".

6

Das LSG hat die Berufung durch Urteil vom 30.11.2011 zurückgewiesen. Maßgeblich hat es sich darauf gestützt, dass eine Erkrankung im Sinne einer toxischen Enzephalopathie und/oder einer toxischen Polyneuropathie beim Kläger nicht festzustellen gewesen sei. Eine Polyneuropathie oder Enzephalopathie hätten weder der vom SG gehörte neurologische Gutachter Prof. Dr. Grobe noch der vom Senat bestellte neurologische Gutachter Dr. Sch. (…) diagnostiziert. Eine im Schriftsatz des Klägers vom 14.4.2010 beantragte Anhörung der Gutachter Prof. Dr. G., Prof. Dr. D., des Diplompsychologen F., des Dr. Sch."und der übrigen Verfasser der bisherigen Gutachten" zu ihrer fachlichen Qualifikation, etwa eigenen Änderungen in den bisherigen Gutachten durch das neue Merkblatt BK 1317, Stand 03/05 und den Diagnosekriterien der WHO 1985 und zu den Gutachten Dr. K. vom 6.5.2009 und 22.1.2010 sei, soweit die Gutachten nicht im Berufungsverfahren eingeholt worden seien, schon deshalb nicht erforderlich, weil der Senat seine Entscheidung auf diese Gutachten nicht stütze. Hinsichtlich der Fragestellung des Merkblattes zur BK 1317, der Diagnosekriterien sowie den Feststellungen Dr. K. habe der Senat die weitere ergänzende Stellungnahme des Dr. Sch. vom 30.8.2011 eingeholt. Den unsubstantiierten Zweifeln an der Qualifikation von Gutachtern müsse der Senat nicht nachgehen, da er sie nicht teile und keinen Anhaltspunkt für diese Zweifel sehe.

7

Der Kläger macht mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG und das Vorliegen von Verfahrensmängeln geltend, auf denen die angefochtene Entscheidung beruhen kann gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG.

8

Sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt worden, weil er mit Schriftsatz vom 14.4.2010 die Anhörung der Vorgutachter Prof. Dr. G. und Prof. Dr. D. beantragt habe. Diese hätten ihre Gutachten im Jahre 2003 erstellt. Im Jahr 2005 sei der Inhalt des Merkblatts zur BK Nr 1317 aber wesentlich geändert worden, so dass beide Gutachten nicht auf der Grundlage des Merkblatts Stand 03/05 und damit nach dem Stand der Wissenschaft erstellt worden seien. Das LSG habe ausdrücklich den gesamten Akteninhalt und damit auch diese Gutachten zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht.

9

Das LSG habe diese Beweisanträge mit der Begründung abgelehnt, dass das Fragerecht nur hinsichtlich von Gutachten der gleichen Instanz bestehe. Dies sei keine hinreichende Begründung, weil das LSG sich gerade auch auf diese Gutachten gestützt habe. Weiterhin habe das LSG zur Begründung ausgeführt, eine Anhörung der Prof. Dr. G. und Prof. Dr. D. sei nicht erforderlich gewesen, weil ein weiteres Gutachten des Dr. Sch. eingeholt worden sei. Dr. Sch. habe aber nur eine Begutachtung zu einem späteren Zeitpunkt vornehmen können, was die Aussagen der beiden Gutachter zu dem Gesundheitszustand zu einem früheren Zeitpunkt nicht habe ersetzen können. Er verweise ausdrücklich auf die Rechtsprechung des BVerfG (Hinweis auf BVerfG vom 9.10.2007 - 2 BvR 1268/03).

10

Weiterhin sei am 14.4.2010 die Anhörung der Prof. Dr. G., Prof. Dr. D., des Dipl-Psych. F. und des Dr. Sch. zu den entgegenstehenden Feststellungen in dem späteren Gutachten der Frau Dr. K. beantragt worden. Frau Dr. K. habe in ihrem Gutachten auf der Grundlage des Merkblatts Stand 03/05 zur BK Nr 1317 ausgeführt, dass eine entsprechende Erkrankung des Klägers vorliege. Sie habe insbesondere hervorgehoben, dass auch die Folgen des Unfalls des Klägers vom 2.9.1990 in die Begutachtung einbezogen werden müssten. Der Kläger habe ein HWS-Schleudertrauma mit neurologischen Ausfallerscheinungen erlitten. Diese vorbestehenden Ausfallerscheinungen überlagerten die Auswirkungen der Sensibilitätsstörungen aufgrund der toxischen Exposition, so dass nur aus diesem Grund keine teilweise distal symmetrischen Beschwerden vorlägen. Zu diesem schlüssigen Grund für die fehlende Asymmetrie und zu der Feststellung, dass aufgrund der zusätzlichen Ursache dennoch die Diagnosekriterien für eine toxische Enzephalopathie erfüllt worden seien, hätten die übrigen Gutachter Stellung nehmen sollen. Insbesondere Dr. Sch. habe es unterlassen, sich mit den Auswirkungen des Verkehrsunfalls aus dem Jahre 1990 auseinanderzusetzen. Er - der Kläger - habe am 15.11.2011 beantragt, den Gutachter Dr. Sch. insbesondere zu der Frage zu hören, was dieser unter einer guten klinischen Praxis verstehe und warum er die toxische Polyneuropathie und Enzephalopathie nicht nach den Diagnosekriterien des Merkblatts 03/05 zur BK 1317 auf der Grundlage der Stellungnahme des Sachverständigenrats und der WHO zu diesen Kriterien prüfe. Diese Fragen seien in sämtlichen Stellungnahmen des Dr. Sch. offen geblieben.

11

Von grundsätzlicher Bedeutung sei schließlich die Frage, ob ein zwischenzeitlich ergehendes neues Merkblatt, wie hier das 2005 erlassene Merkblatt mit Kriterien zur Diagnose der BK Nr 1317 zwingend in einem sozialgerichtlichen Verfahren zugrunde zu legen sei. Insbesondere Dr. Sch habe eine eigene Methodik und Diagnosekriterien entwickelt und es sei nicht auszuschließen, dass die Gutachter und das LSG zu einem anderen Ergebnis gelangt wären, wenn sie die Diagnosekriterien in dem Merkblatt 03/05 zugrunde gelegt hätten.

12

II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil des LSG ist unter Verstoß gegen die Vorschriften der §§ 402, 397 ZPO iVm § 118 Abs 1 SGG ergangen. Das LSG hätte den im Termin nochmals protokollierten Anträgen des Klägers vom 14.4.2010 und 15.11.2011 nachkommen und weitere Fragen an die Sachverständigen zulassen bzw stellen müssen.

13

Die Beschwerdebegründung genügt den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Sie bezeichnet die Tatsachen, aus denen sich der Verfahrensmangel ergibt. Der Kläger hat hinreichend deutlich gemacht, wieso aus seiner Sicht eine (weitere) Befragung der Sachverständigen Prof. Dr. G., Prof. Dr. D., des Dipl-Psych. F. und des Dr. Sch. erforderlich gewesen wäre. Die Beschwerde macht auch hinreichend deutlich, dass das Urteil des LSG auf dieser unterlassenen Anhörung der Sachverständigen beruhen kann.

14

Der Senat beruft sich dabei ausdrücklich auf die Rechtsprechung des BVerfG, das zuletzt am 17.1.2012 (1 BvR 2728/10) wieder betont und bindend entschieden hat, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör grundsätzlich auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger umfasst (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3.2.1998 - 1 BvR 909/94 - NJW 1998, 2273). Nach § 402 ZPO iVm § 397 ZPO sind die Parteien berechtigt, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten. Der BGH hat daraus in ständiger Rechtsprechung die Pflicht der Gerichte abgeleitet, dem Antrag einer Partei auf mündliche Befragung gerichtlicher Sachverständiger nachzukommen (vgl BGHZ 6, 398 <400 f>; BGH, Urteil vom 21.10.1986 - VI ZR 15/85 - NJW-RR 1987, 339 <340>; BGH, Urteil vom 17.12.1996 - VI ZR 50/96 - NJW 1997, 802 <802 f>). Auf die Frage, ob das Gericht selbst das Sachverständigengutachten für erklärungsbedürftig hält, kommt es dabei nicht an. Es gehört vielmehr gerade zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, dass die Parteien den Sachverständigen Fragen stellen, ihnen Bedenken vortragen und sie um eine nähere Erläuterung von Zweifelspunkten bitten können (BGH, Urteil vom 21.10.1986, aaO). Ein Antrag auf Anhörung des Sachverständigen kann allerdings dann abgelehnt werden, wenn er verspätet oder rechtsmissbräuchlich gestellt wurde oder die für erläuterungsbedürftig gehaltenen Punkte nicht benennt (BGHZ 35, 370 <371>; BGH, Urteile vom 21.10.1986, aaO, und vom 17.12.1996, aaO; vgl hierzu zuletzt Beschluss des Senats vom 18.7.2012 - B 2 U 105/12 B). Hat das erstinstanzliche Gericht einem Antrag auf mündliche Anhörung des Sachverständigen verfahrensfehlerhaft nicht entsprochen, so muss nach der Rechtsprechung des BGH das Berufungsgericht dem in zweiter Instanz wiederholten Antrag stattgeben (BGH, Beschlüsse vom 10.5.2005 - VI ZR 245/04 - Juris und vom 14.7.2009 - VIII ZR 295/08 - NJW-RR 2009, 1361 <1362>).

15

Beachtet ein Gericht diese verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht, so liegt darin jedenfalls dann ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn es einen Antrag auf Erläuterung des Sachverständigengutachtens völlig übergeht oder ihm allein deshalb nicht nachkommt, weil das Gutachten ihm überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint. Dagegen verlangt Art 103 Abs 1 GG nicht, einem rechtzeitigen und nicht missbräuchlichen Antrag auf Anhörung der Sachverständigen ausnahmslos Folge zu leisten. Die mündliche Anhörung des Sachverständigen ist zwar die nächstliegende, aber nicht die einzig mögliche Behandlung eines derartigen Antrags (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3.2.1998, aaO; vgl BGH, Urteil vom 10.12.1991 - VI ZR 234/90 - NJW 1992, 1459 f). Dazu bieten sich nach der genannten Rechtsprechung des BVerfG, die insoweit auf die in der Rechtsprechung des BGH im Urteil vom 10.12.1991 (dort RdNr 26) abschließend aufgezählten Ausnahmen verweist, weitere Möglichkeiten an (BGH, Urteile vom 14.4.1981 - VI ZR 264/79 - VersR 1981, 576; Urteil vom 6.3.1986 - III ZR 245/84 - NJW 1986, 1928, 1930; BGH, Urteil vom 10.12.1991 - VI ZR 234/90 - NJW 1992, 1459; vgl zuletzt BSG, Beschluss vom 19.7.2012 - B 2 U 105/12 B). Das Gericht kann den Sachverständigen zu einer schriftlichen Ergänzung seines Gutachtens veranlassen oder ihn, wenn dies zweckmäßiger erscheint, zur mündlichen Verhandlung laden und befragen. Es kann statt dessen nach § 412 ZPO aber auch ein weiteres Gutachten einholen. Nur insoweit besteht ein (Auswahl-)Ermessen des Gerichts.

16

Das LSG hätte unter Anwendung dieser Grundsätze den Anträgen des Beschwerdeführers vom 14.4.2010 und 15.11.2011 auf Anhörung bzw Befragung der Sachverständigen Prof. Dr. G. und Dr. Sch. nachgehen müssen. Die Beschwerde trägt hierzu schlüssig und auch inhaltlich richtig vor, dass beide Sachverständige bei ihrer Begutachtung das neue, 2005 geänderte Merkblatt zur BK Nr 1317 (Bekanntmachung des BMGS, BArBl 2005, Heft 3, S 49 ff) bei ihrer Begutachtung nicht zugrunde gelegt hatten. Zugleich hat das LSG seine Entscheidung aber gerade darauf gestützt, dass nach diesen beiden Gutachten das Krankheitsbild der Enzephalopathie nicht vorliege. Insofern ist auch unbeachtlich, dass Prof. Dr. G. sein Gutachten bereits im Verfahren vor dem SG erstellt hat, weil das LSG sich tragend auch gerade auf den Inhalt dieses Gutachtens berufen hat. Der Antrag des Klägers war daher nachvollziehbar und keinesfalls missbräuchlich. Ebenso hätten die genannten Sachverständigen zu den abweichenden Bewertungen der Gutachterin Dr. K. insbesondere zu der behaupteten Überlagerung des Krankheitsbildes des Klägers mit den Folgen des Unfalls aus dem Jahre 1990 - auf eine der drei oben aufgezeigten Weisen gehört werden müssen.

17

Liegen damit die Voraussetzungen eines Verfahrensmangels gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vor, kann das BSG auf die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil wegen des festgestellten Verfahrensmangels aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen(§ 160a Abs 5 SGG). Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.

18

Entgegen dem Vorbringen des Klägers ist es hingegen nicht von grundsätzlicher Bedeutung, ob die Gutachter und das LSG die Neufassung des Merkblatts 3/2005 zur BK Nr 1317 zugrunde zu legen gehabt hätten. Diese Rechtsfrage ist höchstrichterlich geklärt. Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass im Bereich der BK'en von den Tatsachengerichten jeweils der im Entscheidungszeitpunkt aktuelle Stand der medizinischen Wissenschaft zugrunde zu legen ist (BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 20; vgl auch BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 20; Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, mwN). Jedes Gericht, das die für die Anerkennung als BK erforderlichen Einwirkungen zu präzisieren hat, muss sich Klarheit darüber verschaffen, welches in der streitigen Frage der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist (BSG vom 15.9.2011, aaO). Von daher folgt aus der genannten Rechtsprechung zwanglos, dass vom Tatsachengericht auch jeweils der im Zeitpunkt der Entscheidungsfindung aktuellste Stand der Merkblätter etc bei der Prüfung der objektiven Verursachung zu berücksichtigen ist.

19

Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten.

(2) Verbotswidriges Handeln schließt einen Versicherungsfall nicht aus.

(1) Kraft Gesetzes sind versichert

1.
Beschäftigte,
2.
Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen,
3.
Personen, die sich Untersuchungen, Prüfungen oder ähnlichen Maßnahmen unterziehen, die aufgrund von Rechtsvorschriften zur Aufnahme einer versicherten Tätigkeit oder infolge einer abgeschlossenen versicherten Tätigkeit erforderlich sind, soweit diese Maßnahmen vom Unternehmen oder einer Behörde veranlaßt worden sind,
4.
behinderte Menschen, die in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen, bei einem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches oder in Blindenwerkstätten im Sinne des § 226 des Neunten Buches oder für diese Einrichtungen in Heimarbeit tätig sind,
5.
Personen, die
a)
Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens sind und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
b)
im landwirtschaftlichen Unternehmen nicht nur vorübergehend mitarbeitende Familienangehörige sind,
c)
in landwirtschaftlichen Unternehmen in der Rechtsform von Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind,
d)
ehrenamtlich in Unternehmen tätig sind, die unmittelbar der Sicherung, Überwachung oder Förderung der Landwirtschaft überwiegend dienen,
e)
ehrenamtlich in den Berufsverbänden der Landwirtschaft tätig sind,
wenn für das Unternehmen die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft zuständig ist.
6.
Hausgewerbetreibende und Zwischenmeister sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
7.
selbständig tätige Küstenschiffer und Küstenfischer, die zur Besatzung ihres Fahrzeugs gehören oder als Küstenfischer ohne Fahrzeug fischen und regelmäßig nicht mehr als vier Arbeitnehmer beschäftigen, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
8.
a)
Kinder während des Besuchs von Tageseinrichtungen, deren Träger für den Betrieb der Einrichtungen der Erlaubnis nach § 45 des Achten Buches oder einer Erlaubnis aufgrund einer entsprechenden landesrechtlichen Regelung bedürfen, während der Betreuung durch geeignete Tagespflegepersonen im Sinne von § 23 des Achten Buches sowie während der Teilnahme an vorschulischen Sprachförderungskursen, wenn die Teilnahme auf Grund landesrechtlicher Regelungen erfolgt,
b)
Schüler während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen und während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen,
c)
Studierende während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen,
9.
Personen, die selbständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig sind,
10.
Personen, die
a)
für Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts oder deren Verbände oder Arbeitsgemeinschaften, für die in den Nummern 2 und 8 genannten Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von Gebietskörperschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
b)
für öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften und deren Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
11.
Personen, die
a)
von einer Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts zur Unterstützung einer Diensthandlung herangezogen werden,
b)
von einer dazu berechtigten öffentlichen Stelle als Zeugen zur Beweiserhebung herangezogen werden,
12.
Personen, die in Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen oder im Zivilschutz unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen dieser Unternehmen einschließlich der satzungsmäßigen Veranstaltungen, die der Nachwuchsförderung dienen, teilnehmen,
13.
Personen, die
a)
bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten,
b)
Blut oder körpereigene Organe, Organteile oder Gewebe spenden oder bei denen Voruntersuchungen oder Nachsorgemaßnahmen anlässlich der Spende vorgenommen werden,
c)
sich bei der Verfolgung oder Festnahme einer Person, die einer Straftat verdächtig ist oder zum Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen persönlich einsetzen,
d)
Tätigkeiten als Notärztin oder Notarzt im Rettungsdienst ausüben, wenn diese Tätigkeiten neben
aa)
einer Beschäftigung mit einem Umfang von regelmäßig mindestens 15 Stunden wöchentlich außerhalb des Rettungsdienstes oder
bb)
einer Tätigkeit als zugelassener Vertragsarzt oder als Arzt in privater Niederlassung
ausgeübt werden,
14.
Personen, die
a)
nach den Vorschriften des Zweiten oder des Dritten Buches der Meldepflicht unterliegen, wenn sie einer besonderen, an sie im Einzelfall gerichteten Aufforderung der Bundesagentur für Arbeit, des nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Trägers oder eines nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Trägers nachkommen, diese oder eine andere Stelle aufzusuchen,
b)
an einer Maßnahme teilnehmen, wenn die Person selbst oder die Maßnahme über die Bundesagentur für Arbeit, einen nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Träger oder einen nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Träger gefördert wird,
15.
Personen, die
a)
auf Kosten einer Krankenkasse oder eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der landwirtschaftlichen Alterskasse stationäre oder teilstationäre Behandlung oder stationäre, teilstationäre oder ambulante Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten,
b)
zur Vorbereitung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auf Aufforderung eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit einen dieser Träger oder eine andere Stelle aufsuchen,
c)
auf Kosten eines Unfallversicherungsträgers an vorbeugenden Maßnahmen nach § 3 der Berufskrankheiten-Verordnung teilnehmen,
d)
auf Kosten eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung, der landwirtschaftlichen Alterskasse oder eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung an Präventionsmaßnahmen teilnehmen,
16.
Personen, die bei der Schaffung öffentlich geförderten Wohnraums im Sinne des Zweiten Wohnungsbaugesetzes oder im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung bei der Schaffung von Wohnraum im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 des Wohnraumförderungsgesetzes oder entsprechender landesrechtlicher Regelungen im Rahmen der Selbsthilfe tätig sind,
17.
Pflegepersonen im Sinne des § 19 Satz 1 und 2 des Elften Buches bei der Pflege eines Pflegebedürftigen mit mindestens Pflegegrad 2 im Sinne der §§ 14 und 15 Absatz 3 des Elften Buches; die versicherte Tätigkeit umfasst pflegerische Maßnahmen in den in § 14 Absatz 2 des Elften Buches genannten Bereichen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung nach § 18 Absatz 5a Satz 3 Nummer 2 des Elften Buches.

(1a) Versichert sind auch Personen, die nach Erfüllung der Schulpflicht auf der Grundlage einer schriftlichen Vereinbarung im Dienst eines geeigneten Trägers im Umfang von durchschnittlich mindestens acht Wochenstunden und für die Dauer von mindestens sechs Monaten als Freiwillige einen Freiwilligendienst aller Generationen unentgeltlich leisten. Als Träger des Freiwilligendienstes aller Generationen geeignet sind inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts oder unter § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes fallende Einrichtungen zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger oder kirchlicher Zwecke (§§ 52 bis 54 der Abgabenordnung), wenn sie die Haftpflichtversicherung und eine kontinuierliche Begleitung der Freiwilligen und deren Fort- und Weiterbildung im Umfang von mindestens durchschnittlich 60 Stunden je Jahr sicherstellen. Die Träger haben fortlaufende Aufzeichnungen zu führen über die bei ihnen nach Satz 1 tätigen Personen, die Art und den Umfang der Tätigkeiten und die Einsatzorte. Die Aufzeichnungen sind mindestens fünf Jahre lang aufzubewahren.

(2) Ferner sind Personen versichert, die wie nach Absatz 1 Nr. 1 Versicherte tätig werden. Satz 1 gilt auch für Personen, die während einer aufgrund eines Gesetzes angeordneten Freiheitsentziehung oder aufgrund einer strafrichterlichen, staatsanwaltlichen oder jugendbehördlichen Anordnung wie Beschäftigte tätig werden.

(3) Absatz 1 Nr. 1 gilt auch für

1.
Personen, die im Ausland bei einer amtlichen Vertretung des Bundes oder der Länder oder bei deren Leitern, Mitgliedern oder Bediensteten beschäftigt und in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 4 Absatz 1 Satz 2 des Sechsten Buches pflichtversichert sind,
2.
Personen, die
a)
im Sinne des Entwicklungshelfer-Gesetzes Entwicklungsdienst oder Vorbereitungsdienst leisten,
b)
einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst „weltwärts” im Sinne der Richtlinie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vom 1. August 2007 (BAnz. 2008 S. 1297) leisten,
c)
einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst im Sinne der Richtlinie Internationaler Jugendfreiwilligendienst des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 20. Dezember 2010 (GMBl S. 1778) leisten,
3.
Personen, die
a)
eine Tätigkeit bei einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Organisation ausüben und deren Beschäftigungsverhältnis im öffentlichen Dienst während dieser Zeit ruht,
b)
als Lehrkräfte vom Auswärtigen Amt durch das Bundesverwaltungsamt an Schulen im Ausland vermittelt worden sind oder
c)
für ihre Tätigkeit bei internationalen Einsätzen zur zivilen Krisenprävention als Sekundierte nach dem Sekundierungsgesetz abgesichert werden.
Die Versicherung nach Satz 1 Nummer 3 Buchstabe a und c erstreckt sich auch auf Unfälle oder Krankheiten, die infolge einer Verschleppung oder einer Gefangenschaft eintreten oder darauf beruhen, dass der Versicherte aus sonstigen mit seiner Tätigkeit zusammenhängenden Gründen, die er nicht zu vertreten hat, dem Einflussbereich seines Arbeitgebers oder der für die Durchführung seines Einsatzes verantwortlichen Einrichtung entzogen ist. Gleiches gilt, wenn Unfälle oder Krankheiten auf gesundheitsschädigende oder sonst vom Inland wesentlich abweichende Verhältnisse bei der Tätigkeit oder dem Einsatz im Ausland zurückzuführen sind. Soweit die Absätze 1 bis 2 weder eine Beschäftigung noch eine selbständige Tätigkeit voraussetzen, gelten sie abweichend von § 3 Nr. 2 des Vierten Buches für alle Personen, die die in diesen Absätzen genannten Tätigkeiten im Inland ausüben; § 4 des Vierten Buches gilt entsprechend. Absatz 1 Nr. 13 gilt auch für Personen, die im Ausland tätig werden, wenn sie im Inland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

(4) Familienangehörige im Sinne des Absatzes 1 Nr. 5 Buchstabe b sind

1.
Verwandte bis zum dritten Grade,
2.
Verschwägerte bis zum zweiten Grade,
3.
Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 2 des Ersten Buches)
der Unternehmer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner.

(1) Die Satzung kann bestimmen, daß und unter welchen Voraussetzungen sich die Versicherung erstreckt auf

1.
Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
2.
Personen, die sich auf der Unternehmensstätte aufhalten; § 2 Absatz 3 Satz 4 erster Halbsatz gilt entsprechend,
3.
Personen, die
a)
im Ausland bei einer staatlichen deutschen Einrichtung beschäftigt werden,
b)
im Ausland von einer staatlichen deutschen Einrichtung anderen Staaten zur Arbeitsleistung zur Verfügung gestellt werden;
Versicherungsschutz besteht nur, soweit die Personen nach dem Recht des Beschäftigungsstaates nicht unfallversichert sind,
4.
ehrenamtlich Tätige und bürgerschaftlich Engagierte,
5.
Kinder und Jugendliche während der Teilnahme an Sprachförderungskursen, wenn die Teilnahme auf Grund landesrechtlicher Regelungen erfolgt.

(2) Absatz 1 gilt nicht für

1.
Haushaltsführende,
2.
Unternehmer von nicht gewerbsmäßig betriebenen Binnenfischereien oder Imkereien und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
3.
Personen, die aufgrund einer vom Fischerei- oder Jagdausübungsberechtigten erteilten Erlaubnis als Fischerei- oder Jagdgast fischen oder jagen,
4.
Reeder, die nicht zur Besatzung des Fahrzeugs gehören, und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner.

(1) Auf schriftlichen oder elektronischen Antrag können sich versichern

1.
Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner; ausgenommen sind Haushaltsführende, Unternehmer von nicht gewerbsmäßig betriebenen Binnenfischereien, von nicht gewerbsmäßig betriebenen Unternehmen nach § 123 Abs. 1 Nr. 2 und ihre Ehegatten oder Lebenspartner sowie Fischerei- und Jagdgäste,
2.
Personen, die in Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind,
3.
gewählte oder beauftragte Ehrenamtsträger in gemeinnützigen Organisationen,
4.
Personen, die in Verbandsgremien und Kommissionen für Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften sowie anderen selbständigen Arbeitnehmervereinigungen mit sozial- oder berufspolitischer Zielsetzung (sonstige Arbeitnehmervereinigungen) ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
5.
Personen, die ehrenamtlich für Parteien im Sinne des Parteiengesetzes tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen.
In den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 kann auch die Organisation, für die die Ehrenamtsträger tätig sind, oder ein Verband, in dem die Organisation Mitglied ist, den Antrag stellen; eine namentliche Bezeichnung der Versicherten ist in diesen Fällen nicht erforderlich. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 4 und 5 gilt Satz 2 entsprechend.

(2) Die Versicherung beginnt mit dem Tag, der dem Eingang des Antrags folgt. Die Versicherung erlischt, wenn der Beitrag oder Beitragsvorschuß binnen zwei Monaten nach Fälligkeit nicht gezahlt worden ist. Eine Neuanmeldung bleibt so lange unwirksam, bis der rückständige Beitrag oder Beitragsvorschuß entrichtet worden ist.

(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 16. September 2011 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen, soweit sie die Gewährung von Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs in der Kindheit und Jugend der Klägerin betrifft.

Die zweitinstanzlich erhobene Klage betreffend Folgen körperlicher Misshandlung wird abgewiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

2

Die 1949 geborene Klägerin lebte bis 1962 bei ihrer Mutter und deren zweiten Ehemann H. Stiefvater). Der Vater der Klägerin hatte sich kurz nach der Geburt der Klägerin von deren Mutter getrennt. Gegen den Stiefvater wurde offenbar aufgrund des Verdachts, seine eigene Tochter sexuell missbraucht zu haben, ein Ermittlungsverfahren durchgeführt. Nach dem Tod des Stiefvaters im März 1962 wurde die Klägerin vom Jugendamt aus dem Haushalt der Mutter herausgenommen und ihrem Vater, der wieder geheiratet hatte, zugeführt.

3

Im Mai 1967 erstattete die Klägerin gegen ihren Vater eine Strafanzeige. Dieser habe sie im vergangenen halben Jahr immer wieder unzüchtig berührt. Der Vater wurde offenbar verhaftet und das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Klägerin zunächst dem Jugendamt der Stadt K. und ab August 1967 der Evangelischen Jugendhilfe des Amtes für Diakonie K. übertragen. Bis zur Vollendung ihres 21. Lebensjahres arbeitete die Klägerin in der Heimküche eines Altersheims, wo sie anscheinend auch wohnte. Nach dem späteren Erwerb des Hauptschulabschlusses und verschiedenen Erwerbstätigkeiten heiratete die Klägerin im Jahre 1976 und gebar zwischen 1977 und 1981 drei Kinder.

4

Anlässlich einer stationären Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation in der P.-Klinik B. im Jahr 2000 wurde bei der Klägerin neben einer mittelgradigen depressiven Episode erstmals eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Im Anschluss an diese Maßnahme nahm die Klägerin eine ambulante Psychotherapie bei der psychologischen Psychotherapeutin S. auf. Diese äußerte den Verdacht einer dissoziativen Identitätsstörung die im Jahr 2002 durch die Abteilung Klinische Psychiatrie und Psychotherapie H. bestätigt wurde.

5

Im Mai 2005 beantragte die Klägerin beim Niedersächsischen Landesamt für Soziales, Jugend und Familie die Gewährung von Gewaltopferentschädigung, weil sie in ihrer Kindheit von ihrem Stiefvater sexuell missbraucht und von ihrem Vater sexuell belästigt worden sei. Zur Begründung legte sie das Ergebnis ihrer Recherchen sowie Unterlagen vor, die sie unter Mitwirkung ihrer Therapeutin zusammengetragen hatte. Von dort wurde die Angelegenheit im Juni 2005 wegen des angegebenen Tatorts in K. zuständigkeitshalber an das Versorgungsamt M. abgegeben. Dieses Amt holte einen Befundbericht der Psychotherapeutin S. sowie Berichte der Abteilung Klinische Psychiatrie und Psychotherapie H. ein. Zudem befragte das Amt schriftlich Frau C., die in der Zeit von 1969 bis 1972 als Sozialarbeiterin im Amt für Diakonie tätig und kurze Zeit mit der Pflegschaft der Klägerin befasst war. Ferner zog es die von der Evangelischen Jugend- und Familienhilfe K. eV archivierte Akte der Klägerin über die Pflegschaft der Klägerin sowie die Schwerbehindertenakte des Niedersächsischen Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie bei, das mit Bescheid vom 30.8.2005 bei der Klägerin einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 wegen einer psychischen Behinderung ab Mai 2005 festgestellt hatte.

6

Mit Bescheid vom 3.1.2006 des Versorgungsamts M. in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Münster vom 17.7.2006 wurde der Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG abgelehnt. Es sei nicht nachgewiesen, dass die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 OEG geworden sei. Weder der sexuelle Missbrauch durch den Stiefvater noch die sexuelle Belästigung durch den leiblichen Vater seien nachgewiesen. Selbst unter Heranziehung der Beweiserleichterung des § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) sei ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff auf die Klägerin nicht anzunehmen.

7

Das von der Klägerin daraufhin angerufene Sozialgericht Lüneburg (SG) hat von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie/Psychotherapie Dr. F. ein im Juli 2007 erstattetes nervenärztliches Gutachten mit einem unter Mithilfe des psychologischen Psychotherapeuten Dr. B. erstellten testpsychologischen Zusatzgutachten eingeholt. Der Sachverständige diagnostizierte eine dissoziative Identitätsstörung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 vH. Er vertrat die Auffassung, dass aufgrund des eindeutigen Vorliegens einer dissoziativen Identitätsstörung nach herrschender wissenschaftlicher Lehre ein frühkindlicher sexueller Missbrauch als Ursache für die Störung anzunehmen sei.

8

Mit Urteil vom 8.11.2007 hat das SG die noch gegen das Land Nordrhein-Westfalen gerichtete Klage abgewiesen, weil nicht im Sinne des notwendigen Vollbeweises feststellbar sei, dass die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden sei. Auch unter Anwendung der Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG sei nicht anzunehmen, dass ein derartiger Angriff auf die Klägerin in ihrer Kindheit stattgefunden habe, weil von einer Glaubhaftigkeit der Schilderungen der Klägerin nicht ausgegangen werden könne. Schließlich sei der vom Sachverständigen gezogene Rückschluss von der vorliegenden Erkrankung auf deren Ursache nicht zulässig.

9

Das von der Klägerin mit der Berufung angerufene Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) hat weitere medizinische Unterlagen eingeholt, ua den Rehabilitations-Entlassungsbericht der P.-Klinik B. vom 26.7.2000 sowie das für die Deutsche Rentenversicherung Braunschweig-Hannover in einem Rentenverfahren erstellte Gutachten der Neurologin und Psychiaterin Dr. T. vom 18.1.2005. Außerdem hat sich das LSG von der Dipl. Psychologin D. ein Glaubhaftigkeitsgutachten vom 19.4.2011 über die Klägerin erstatten lassen. Danach ist die Aussage der Klägerin bezüglich des dargelegten Missbrauchs durch den Stiefvater (1961 bis 1962) und den Vater (1963 bis 1967) nicht glaubhaft. Zwar liege keine bewusste Falschaussage vor, es bestünden aber Hinweise, dass die Angaben der Klägerin sich erst unter suggestiven Bedingungen entwickelt hätten.

10

Mit Urteil vom 16.9.2011 hat das LSG die zuletzt gegen den beklagten Landschaftsverband gerichtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Seine Entscheidung hat es auf folgende Erwägungen gestützt:

Das Gericht sehe sich nicht in der Lage, einen sexuellen Missbrauch der Klägerin durch deren Stiefvater und/oder eine sexuelle Belästigung durch deren leiblichen Vater und damit einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 OEG anzunehmen. Der von der Klägerin behauptete sexuelle Missbrauch bzw die sexuelle Belästigung sei zur Überzeugung des Senats nicht nachgewiesen. Unmittelbare Tatzeugen seien nicht vorhanden. Stiefvater, Mutter und Vater der Klägerin seien bereits verstorben. Urkunden, wie etwa staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakten etc, seien nicht mehr vorhanden. Andere Beweismittel, die die Angaben der Klägerin bestätigen könnten, seien nicht ersichtlich. Der sexuelle Missbrauch bzw die sexuelle Belästigung könne auch nicht aus der medizinischen Diagnose einer dissoziativen Identitätsstörung gefolgert werden.
Schließlich lasse sich ein sexueller Missbrauch bzw eine sexuelle Belästigung auch nicht unter Zugrundelegung der Beweiserleichterung nach § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 KOVVfG annehmen. Zwar komme die Beweiserleichterung (Glaubhaftmachung) zugunsten der Klägerin zur Anwendung, weil es weder Zeugen noch sonstige zum Beweis geeignete Unterlagen zu den von der Klägerin behaupteten Taten gebe. Die entsprechenden Behauptungen der Klägerin seien jedoch nicht glaubhaft. Dies ergebe sich zum einen aus dem eingeholten Glaubhaftigkeitsgutachten der Sachverständigen D. und zum anderen auch aus eigenen Erwägungen des Senats zur Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin. Ein Anspruch auf Opferentschädigung ergebe sich aus im Wesentlichen gleichen Überlegungen auch nicht aus der Behauptung der Klägerin, von ihrem Vater einmal krankenhausreif geschlagen worden zu sein.

11

Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass der Anspruch der Klägerin "wahrscheinlich" auch an den Voraussetzungen des § 10a OEG scheitern würde. Für Taten in der Zeit vom 23.5.1949 bis 15.5.1976 könnten die Opfer nur dann Entschädigung nach dem OEG erhalten, wenn sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt seien, also ein Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von mindestens 50 vorliege. Nach dem Schwerbehindertenrecht sei indes nur ein GdB von 30 anerkannt. Dem Gutachten des Dr. F. sei nicht zu folgen, weil er keinerlei Begründung dafür gegeben habe, dass die "MdE 50" betrage. Im Ergebnis könne dies jedoch dahinstehen.

12

Mit der - vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen - Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Soweit das LSG davon ausgehe, dass keine Beweismittel mehr vorhanden seien, sei § 103 SGG verletzt. Sie, die Klägerin, habe dem LSG gegenüber die Vernehmung ihrer Halbschwester als Zeitzeugin angeboten. Soweit das LSG sage, dass aus der Diagnose einer dissoziativen Identitätsstörung nicht auf deren Ursache rückgeschlossen werden könne, stehe dies im Widerspruch zu der Aussage des erstinstanzlich eingeholten ärztlichen Gutachtens. Zudem sei nach der Entscheidung des BSG vom 18.10.1995 - 9/9a RVg 4/92 - ein derartiger Rückschluss durchaus ernsthaft in Betracht zu ziehen, wenn die herrschende Meinung in der medizinischen Wissenschaft die geltend gemachte Belastung allgemein für geeignet halte, bestimmte Krankheiten hervorzurufen. Nach dem Gutachten des Dr. F. sei nach heute herrschender wissenschaftlicher Lehrmeinung ein entsprechender Rückschluss hier möglich.

13

Im Hinblick auf das zweitinstanzlich eingeholte aussagepsychologische Gutachten sei bisher ungeklärt, ob ein derartiges Gutachten überhaupt "die Entscheidung des Gerichts ersetzen darf". Bezüglich der vom LSG als eigene Erwägungen bezeichneten Gründe zur fehlenden Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen (fehlende Aussagekonstanz) habe das LSG nicht beachtet, dass sie an einer dissoziativen Identitätsstörung leide.

14

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 16. September 2011 sowie des Sozialgerichts Lüneburg vom 8. November 2007 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 3. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2006 zu verurteilen, ihr wegen der Folgen sexuellen Missbrauchs im Kindes- und Jugendalter sowie einer schweren körperlichen Misshandlung Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz iVm dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.

15

Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

16

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

17

Der Senat hat die Bundesrepublik Deutschland auf deren Antrag hin beigeladen (Beschluss vom 29.1.2013). Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

18

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

Entscheidungsgründe

19

Die Revision der Klägerin ist zulässig.

20

Sie ist vom BSG zugelassen worden und damit statthaft (§ 160 Abs 1 SGG). Die Klägerin hat bei der Einlegung und Begründung der Revision Formen und Fristen eingehalten (§ 164 Abs 1 und 2 SGG). Die Revisionsbegründung genügt den Voraussetzungen des § 164 Abs 2 S 3 SGG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihren Entschädigungsanspruch nach dem OEG auf zahlreiche schädigende Vorgänge stützt. Demnach ist der Streitgegenstand derart teilbar, dass die Zulässigkeit und Begründetheit der Revision für jeden durch einen abgrenzbaren Sachverhalt bestimmten Teil gesondert zu prüfen ist (vgl BSG Urteil vom 18.5.2006 - B 9 V 2/05 R - SozR 4-3100 § 1 Nr 3). Dabei bietet es sich hier an, die verschiedenen Vorgänge in zwei Gruppen zusammenzufassen, nämlich einen über Jahre andauernden sexuellen Missbrauch und eine körperliche Misshandlung.

21

Hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs rügt die Klägerin eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) durch das LSG, weil das Gericht ihre Halbschwester nicht als Zeitzeugin vernommen habe. Als weitere Verletzung der Sachaufklärungspflicht betrachtet die Klägerin die Einholung und Verwertung eines aussagepsychologischen Gutachtens durch das LSG, und zwar auch in Bezug auf die behauptete einmalige schwere körperliche Misshandlung durch ihren Vater. Als Verletzung der Sachaufklärungspflicht und Überschreitung der Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung rügt die Klägerin, dass das LSG entgegen dem erstinstanzlich eingeholten psychiatrischen Gutachten nicht davon ausgegangen sei, dass aus der Art ihrer jetzigen Erkrankung auf sexuellen Missbrauch in der Kindheit und Jugend rückgeschlossen werden könne. Die Grenzen der richterlichen Beweiswürdigung habe das LSG auch im Rahmen von ihm so bezeichneter eigener Erwägungen überschritten. Insgesamt rügt die Klägerin zusätzlich eine Verletzung des materiellen Beweisrechts, weil sich das LSG bei Anwendung des § 15 KOVVfG nicht an die danach geltenden Grundsätze der Glaubhaftmachung gehalten habe.

22

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), soweit das Berufungsurteil einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs im Kindes- und Jugendalter betrifft. Hinsichtlich geltend gemachter Folgen einer schweren körperlichen Misshandlung durch den Vater führt die Revision insoweit zu einer Änderung des Urteils des LSG, als die darauf bezogene zweitinstanzlich erhobene Klage abgewiesen wird.

23

Stillschweigend aber zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass bereits während des Berufungsverfahrens ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes stattgefunden hat und seit dem 1.1.2008 der beklagte Landschaftsverband passiv legitimiert ist (vgl hierzu BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 20 mwN). Denn § 4 Abs 1 Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung(= Art 1 Zweites Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in NRW vom 30.10.2007, GVBl NRW 482) hat die den Versorgungsämtern übertragenen Aufgaben des sozialen Entschädigungsrechts einschließlich der Kriegsopferversorgung mit Wirkung zum 1.1.2008 auf die Landschaftsverbände übertragen. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass die Verlagerung der Zuständigkeit für die Aufgaben der Kriegsopferversorgung, der Soldatenversorgung sowie der Opferentschädigung auf die kommunalen Landschaftsverbände in NRW nicht gegen höherrangiges Bundesrecht, insbesondere nicht gegen Vorschriften des GG verstößt (vgl hierzu Urteile vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1, RdNr 21, und - B 9 V 3/07 R - Juris RdNr 22; vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 24; vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 26). Diese Übertragung hat zur Folge, dass allein der im Laufe des Verfahrens zuständig gewordene Rechtsträger die von der Klägerin beanspruchte Leistung gewähren kann, sodass sich die von der Klägerin erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG)ab 1.1.2008 gemäß § 6 Abs 1 OEG gegen den für die Klägerin örtlich zuständigen Landschaftsverband Westfalen-Lippe zu richten hat.

24

Obwohl auch der Revisionsantrag der Klägerin auf die Bewilligung einer "Opferentschädigung" gerichtet ist, legt der Senat den erhobenen Anspruch im wohlverstandenen Interesse der Klägerin dahin aus, dass diese die Gewährung von Beschädigtenrente begehrt (vgl § 123 SGG). Der wörtlich gestellte Leistungsantrag wäre nämlich unzulässig. Zwar kann im sozialgerichtlichen Verfahren die Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs 4 SGG auf jede nach dem materiellen Recht vorgesehene Leistung gerichtet werden. Die beanspruchte Leistung muss indes genau bezeichnet werden (BSG Urteil vom 17.7.2008 - B 9/9a VS 5/06 R - SozR 4-3200 § 81 Nr 5). Der Begriff Opferentschädigung betrifft aber keine bestimmte Leistung, sondern umfasst alle nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG zur Verfügung stehenden Leistungen (vgl § 1 Abs 1 OEG iVm § 9 BVG). Selbst wenn nach den Umständen des Falles als "Opferentschädigung" nur Geldleistungen in Betracht kämen, kann nach der Rechtsprechung des Senats ein dann immer noch zu unbestimmter Ausspruch nicht Gegenstand eines Grundurteils nach § 130 SGG sein(Urteil vom 20.10.1999 - B 9 VG 2/98 R - USK 99140 S 816 f; Urteil vom 8.8.2001 - B 9 VG 1/00 R - BSGE 88, 240, 246 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 20 S 90; Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 12).

25

Soweit das LSG erstmals über einen Anspruch der Klägerin nach dem OEG/BVG wegen der Folgen einer einmaligen schweren körperlichen Misshandlung durch ihren Vater entschieden hat, handelt es sich um eine Entscheidung über eine erst im Laufe des Berufungsverfahrens erhobene Klage. Diese Klage ist schon deshalb unzulässig, weil über den Anspruch insoweit noch keine Verwaltungsentscheidung vorliegt. Das LSG hat sich mit diesem Streitpunkt nicht gesondert befasst. Insoweit ist das Urteil des LSG klarstellend dahin abzuändern, dass diese Klage abgewiesen wird.

26

Für einen Anspruch der Klägerin auf eine Beschädigtenrente nach dem OEG iVm dem BVG sind folgende rechtliche Grundsätze maßgebend:

Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs 1 S 1 OEG gegeben sind(vgl hierzu BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 27 mwN). Danach erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs 1 S 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind.

27

In Altfällen - also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des GG (23.5.1949) und dem Inkrafttreten des OEG (16.5.1976) - müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 S 2 OEG iVm § 10a Abs 1 S 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in der Zeit vom 23.5.1949 bis 15.5.1976 geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie (1.) allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und (2.) bedürftig sind und (3.) im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

28

Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (stRspr seit 1995; vgl hierzu BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 32 mwN). Dabei hat der erkennende Senat je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben. Leitlinie des erkennenden Senats ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat der Senat daher aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist er in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger bzw rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (stRspr; vgl nur BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25 mwN). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff iS des § 240 StGB zeichnet sich der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 36 mwN).

29

In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern iS von § 176 StGB hat der Senat den Begriff des tätlichen Angriffs noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Für den Senat ist allein entscheidend, dass die Begehensweise, also sexuelle Handlungen, eine Straftat war (vgl BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 28 mwN). Auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG sein(BSG Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - BSGE 77, 7, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 S 23 f, und - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7 S 28 f). Diese erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG geboten. Eine Erstreckung dieses Begriffsverständnisses auf andere Fallgruppen hat das BSG bislang abgelehnt (vgl BSG Urteil vom 12.2.2003 - B 9 VG 2/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 1 RdNr 12).

30

Soweit Kinder Opfer körperlicher Gewalt ihrer Eltern werden, die die Erheblichkeitsschwelle überschreitet, liegt regelmäßig eine Körperverletzung iS des § 223 StGB und damit auch ein tätlicher Angriff nach § 1 Abs 1 S 1 OEG vor. Nach § 1631 Abs 2 BGB haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig. Daraus folgt jedoch nicht, dass jede Vernachlässigung von Kindern und jede missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, die das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet, als Gewalttat angesehen werden kann (Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 1 OEG RdNr 51). Auch insofern ist zu beachten, dass die erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs auf die Fälle sexuellen Missbrauchs von minderjährigen Kindern beschränkt ist. Anders als bei rein seelischen Misshandlungen liegen bei sexuellem Missbrauch Tätlichkeiten vor, die gegen den Körper des Kindes gerichtet sind.

31

Zum "Mobbing" als einem sich über längere Zeit hinziehenden Konflikt zwischen dem Opfer und Personen seines gesellschaftlichen Umfeldes hat der erkennende Senat entschieden, dass bei einzelnen "Mobbing"-Aktivitäten die Schwelle zur strafbaren Handlung und somit zum kriminellen Unrecht überschritten sein kann; tätliche Angriffe liegen allerdings nur vor, wenn auf den Körper des Opfers gezielt eingewirkt wird, wie zB durch einen Fußtritt (BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 278 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 72).

32

Auch in Fällen der Bedrohung oder Drohung mit Gewalt, in denen es unter Umständen an einer besonderen Kraftentfaltung gegen den Körper einer anderen Person bzw an einem beabsichtigten Verletzungserfolg gänzlich fehlt, ist maßgeblich auf das Kriterium der objektiven Gefahr für Leib und Leben des Opfers abzustellen. Die Grenze der Wortlautinterpretation hinsichtlich des Begriffs des tätlichen Angriffs sieht der Senat jedenfalls dann erreicht, wenn sich die auf das Opfer gerichtete Einwirkung - ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellt und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielt (vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 44 mwN). So ist beim "Stalking" die Grenze zum tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG - ungeachtet ggf einschlägiger Straftatbestände nach dem StGB - erst überschritten, wenn die Tat durch Mittel körperlicher Gewalt gegen das Opfer begangen und/oder der rechtswidrig herbeigeführte Zustand mittels Tätlichkeiten aufrechterhalten wird(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 69 mwN).

33

Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das soziale Entschädigungsrecht, also auch das OEG, drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang hier: tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG, der gemäß § 6 Abs 3 OEG anzuwenden ist, sind hinsichtlich des schädigenden Vorgangs bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

34

Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG Urteil vom 24.11.2010 - B 11 AL 35/09 R - Juris RdNr 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN).

35

Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit iS des § 1 Abs 3 S 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht(vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 mwN). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.

36

Bei dem "Glaubhafterscheinen" iS des § 15 S 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), dh der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 f mwN). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, dh es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung, § 128 Abs 1 S 1 SGG; vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 15).

37

Soweit die Klägerin Beschädigtenrente nach dem OEG wegen der Folgen sexuellen Missbrauchs im Kindes- und Jugendalter beansprucht, ist dem Senat eine abschließende Entscheidung unmöglich. Entgegen der bisherigen Diktion auch des LSG ist nicht zwischen einem sexuellen Missbrauch durch den Stiefvater und einer sexuellen Belästigung durch den Vater zu unterscheiden, sondern einheitlich von einem sexuellen Missbrauch zu sprechen. Denn strafrechtlich wird so nicht differenziert. Hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs von Kindern (Personen unter vierzehn Jahren) setzt § 176 StGB "sexuelle Handlungen" voraus. Ebenso stellt § 177 StGB betreffend andere Personen "sexuelle Handlungen" unter Strafe. Als solche werden alle Einwirkungen auf ein Kind oder eine über vierzehn Jahre alte Person verstanden, die mit sexuell bezogenem Körperkontakt einhergehen (s nur Fischer, StGB, 59. Aufl 2012, § 177 RdNr 49), sodass darunter auch die bisher als sexuelle Belästigung bezeichneten Handlungen des Vaters der Klägerin fallen. Die von der Klägerin ihrem Stiefvater und ihrem Vater zur Last gelegten schädigenden Vorgänge werden zwar von § 1 Abs 1 S 1 OEG erfasst. Es fehlen jedoch hinreichende verwertbare Tatsachenfeststellungen.

38

Den behaupteten sexuellen Missbrauch durch den Stiefvater und später durch den Vater der Klägerin hat das LSG nicht als nachgewiesen erachtet. Diese Beurteilung vermag der Senat nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht zu bestätigen. Denn sie beruht auf einer Auslegung des § 15 S 1 KOVVfG, die der Senat nicht teilt.

39

Nach § 15 S 1 KOVVfG sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind(vgl grundlegend BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 125 = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 S 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (vgl §§ 383 ff ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 S 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind(vgl bereits BSG Beschluss vom 28.7.1999 - B 9 VG 6/99 B - Juris RdNr 6).

40

Diesen Kriterien hat das LSG zwar Rechnung getragen, indem es eine Anwendbarkeit des § 15 S 1 KOVVfG angenommen hat. Der Anwendung dieser Vorschrift steht hier auch nicht der Umstand entgegen, dass das LSG verpflichtet war, die von der Klägerin benannte Zeugin R. zu vernehmen, denn diese ist nicht als Tatzeugin, sondern als Zeitzeugin benannt worden. Die Verpflichtung zu ihrer Vernehmung folgt indes aus § 103 SGG, denn ausgehend von seiner materiellen Rechtsansicht zur Anwendbarkeit des § 15 KOVVfG hätte sich das LSG zu deren Vernehmung gedrängt fühlen müssen. Die Angaben der Zeugin R. sind nämlich von erheblicher Relevanz im Rahmen der Prüfung einer Glaubhaftmachung des sexuellen Missbrauchs der Klägerin durch ihren Stiefvater H. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG über ein Ermittlungsverfahren gegen H. wegen eines sexuellen Missbrauchs seiner eigenen Tochter könnte es sich bei der Zeugin um die Tochter des H. handeln, die möglicherweise selbst von diesem sexuell missbraucht worden ist. Ihren Angaben kann somit auch hinsichtlich des behaupteten sexuellen Missbrauchs der Klägerin durch H. erhebliche Bedeutung zukommen.

41

Obwohl das LSG den § 15 S 1 KOVVfG herangezogen hat, lassen seine Ausführungen nicht hinreichend deutlich erkennen, dass es dabei den von dieser Vorschrift eröffneten Beweismaßstab der Glaubhaftmachung zugrunde gelegt hat. Aus der einschränkungslosen Bezugnahme auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen D. vom 19.4.2011 lässt sich eher der Schluss ziehen, dass das LSG insoweit einen unzutreffenden, nämlich zu strengen Beweismaßstab angewendet hat. Diese Sachlage gibt dem Senat Veranlassung, grundsätzlich auf die Verwendung von sog Glaubhaftigkeitsgutachten in Verfahren betreffend Ansprüche nach dem OEG einzugehen.

42

Die Einholung und Berücksichtigung psychologischer Glaubhaftigkeitsgutachten ist im sozialen Entschädigungsrecht nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze für die Einholung von Sachverständigengutachten zulässig.

43

Grundsätzlich steht das Ausmaß von Ermittlungen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Einen Sachverständigen bestellt das Gericht, wenn es selbst nicht über ausreichende Sachkunde verfügt (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 118 RdNr 11b). Dies gilt auch für die Einholung eines sog Glaubhaftigkeitsgutachtens. Dabei handelt es sich um eine aussagepsychologische Begutachtung, deren Gegenstand die Beurteilung ist, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, dh einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen (vgl grundlegend BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167). Da eine solche Beurteilung an sich zu den Aufgaben eines Tatrichters gehört, kommt die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nur ausnahmsweise in Betracht (vgl BGH aaO, 182; BGH Urteil vom 16.5.2002 - 1 StR 40/02 - Juris RdNr 22). Ob eine derartige Beweiserhebung erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Hinzuziehung eines aussagepsychologischen Sachverständigen kann insbesondere dann geboten sein, wenn die betreffenden Angaben das einzige das fragliche Geschehen belegende Beweismittel sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie durch eine psychische Erkrankung der Auskunftsperson (Zeuge, Beteiligter) und deren Behandlung beeinflusst sein können (vgl dazu BSG Beschluss vom 7.4.2011 - B 9 VG 15/10 B - Juris RdNr 6; Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 22). Die Entscheidung, ob eine solche Fallgestaltung vorliegt und ob daher ein Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen ist, beurteilt und trifft das Tatsachengericht im Rahmen der Amtsermittlung nach § 103 SGG. Fußt seine Entscheidung auf einem hinreichenden Grund, so ist deren Überprüfung dem Revisionsgericht entzogen (vgl BSG Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 20, 23).

44

Von Seiten des Gerichts muss im Zusammenhang mit der Einholung, vor allem aber mit der anschließenden Würdigung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens stets beachtet werden, dass sich die psychologische Begutachtung von Aussagen nicht darauf beziehen kann, Angaben über die Faktizität eines Sachverhalts zu machen. Möglich ist lediglich herauszufinden, ob sich Aussagen auf Erlebtes beziehen, dh einen Erlebnishintergrund haben. Darüber hinaus besteht die Kompetenz und damit auch die Aufgabe des Sachverständigen darin abzuklären, ob sich dieser Erlebnishintergrund in der sog Wachwirklichkeit befindet, anstatt auf Träumen, Halluzinationen oder Vorstellungen zu beruhen. Ausschließlich auf diesen Aspekt des Wirklichkeitsbezuges einer Aussage kann sich die Glaubhaftigkeitsbegutachtung beziehen (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 27, 49). In einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung trifft der Sachverständige erfahrungswissenschaftlich gestützte Feststellungen zu Erlebnishaltigkeit und Zuverlässigkeit von Sachverhaltskonstruktionen, die ein Zeuge oder ein Beteiligter vorträgt. Durch das Gutachten vermittelt er dem Gericht daher auf den Einzelfall bezogene wissenschaftliche Erkenntnisse und stellt diesem aufgrund von Befundtatsachen wissenschaftlich gestützte Schlussfolgerungen zur Verfügung (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 280 f). Die umfassende rechtliche Würdigung dieser Feststellungen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen obliegt sodann dem Gericht.

45

Aus den Ausführungen in dem Urteil des LSG NRW vom 28.11.2007 (- L 10 VG 13/06 - Juris RdNr 25) ergeben sich keine Hinweise auf die Unzulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialrechtlichen Verfahren. Vielmehr hat das LSG NRW hierbei lediglich die Amtsermittlung des erstinstanzlichen Gerichts gerügt, das anstelle der Vernehmung der durch die dortige Klägerin benannten Zeugen ein Sachverständigengutachten eingeholt hatte (ua mit der Beweisfrage "Steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - dh es darf kein begründbarer Zweifel bestehen - fest, dass die Klägerin Opfer sexuellen Missbrauchs - in welchem Zeitraum, in welcher Weise - geworden ist?"; Juris RdNr 9). Vor diesem Hintergrund ist es vollkommen nachvollziehbar, wenn das LSG NRW zum einen die Vernehmung der Zeugen gefordert und zum anderen festgestellt hat, dass die an die Sachverständigen gestellte Frage keinem Beweis durch ein medizinisches oder aussagepsychologisches Sachverständigengutachten zugänglich sei, sondern dass das Gericht diese Tatsache selbst aufzuklären habe. Ausdrücklich zu aussagepsychologischen Gutachten hat das LSG NRW ferner zutreffend festgestellt, auch bei diesen dürfe dem Sachverständigen nicht die Entscheidung überlassen werden, ob eine behauptete Tat stattgefunden habe oder nicht. Vielmehr dürfe dieser nur beurteilen, ob aussagepsychologische Kriterien für oder gegen den Wahrheitsgehalt der Angaben Betroffener sprächen und/oder ob die Aussagen und Erklärungen möglicherweise trotz subjektiv wahrheitsgemäßer Angaben nicht auf eigenen tatsächlichen Erinnerungen der Betroffenen beruhten (LSG NRW, aaO, Juris RdNr 25 aE). Aus diesen Ausführungen lässt sich nicht der Schluss ziehen, das LSG NRW gehe grundsätzlich davon aus, dass in sozialrechtlichen Verfahren keine Glaubhaftigkeitsgutachten eingeholt und berücksichtigt werden könnten.

46

Für die Erstattung von Glaubhaftigkeitsgutachten gelten auch im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts zunächst die Grundsätze, die der BGH in der Entscheidung vom 30.7.1999 (1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellt hat. Mit dieser Entscheidung hat der BGH die wissenschaftlichen Standards und Methoden für die psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen zusammengefasst. Nicht das jeweilige Prozessrecht schafft diese Anforderungen (zum Straf- und Strafprozessrecht: Fabian/Greuel/Stadler, StV 1996, 347 f), vielmehr handelt es sich hierbei um wissenschaftliche Erkenntnisse der Aussagepsychologie (vgl Vogl, NJ 1999, 603), die Glaubhaftigkeitsgutachten allgemein zu beachten haben, damit diese überhaupt belastbar sind und verwertet werden können (so auch BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f; vgl grundlegend hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/ Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 48 ff; Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 16 ff). Die grundsätzlichen wissenschaftlichen Anforderungen an Glaubhaftigkeitsgutachten stellen sich wie folgt dar (vgl zum Folgenden BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167 ff mwN; basierend ua auf dem Gutachten von Steller/Volbert, wiedergegeben in Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46 ff):

Bei der psychologischen Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen besteht das methodische Grundprinzip darin, einen zu überprüfenden Sachverhalt (hier: Glaubhaftigkeit einer bestimmten Aussage) so lange zu negieren, bis diese Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist. Der wissenschaftlich ausgebildete psychologische Sachverständige arbeitet (gedanklich) also zunächst mit der Unwahrannahme als sog Nullhypothese (Steller/Volbert, Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46, 61; den Begriff der Nullhypothese sowie das Ausgehen von dieser kritisierend Stanislawski/Blumer, Streit 2000, 65, 67 f). Der Sachverständige bildet dazu neben der "Wirklichkeitshypothese" (die Aussage ist mit hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert) die Gegenhypothese, die Aussage sei unwahr. Bestehen mehrere Möglichkeiten, aus welchen Gründen eine Aussage keinen Erlebnishintergrund haben könnte, hat der Sachverständige bezogen auf den konkreten Einzelfall passende Null- bzw Alternativhypothesen zu bilden (vgl beispielhaft hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/ Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 52 f; ebenso, zudem mit den jeweiligen diagnostischen Bezügen Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 61 ff). Die Bildung relevanter, also auf den jeweiligen Einzelfall abgestimmter Hypothesen ist von ausschlaggebender Bedeutung für Inhalt und (methodischen) Ablauf einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung. Sie stellt nach wissenschaftlichen Prinzipien einen wesentlichen, unerlässlichen Teil des Begutachtungsprozesses dar. Im weiteren Verlauf hat der Sachverständige jede einzelne Alternativhypothese darauf zu untersuchen, ob diese mit den erhobenen Fakten in Übereinstimmung stehen kann; wird dies für sämtliche Null- bzw Alternativhypothesen verneint, gilt die Wirklichkeitshypothese, wonach es sich um eine wahre Aussage handelt.

47

Die zentralen psychologischen Konstrukte, die den Begriff der Glaubhaftigkeit - aus psychologischer Sicht - ausfüllen und somit die Grundstruktur der psychodiagnostischen Informationsaufnahme und -verarbeitung vorgeben, sind Aussagetüchtigkeit (verfügt die Person über die notwendigen kognitiven Grundvoraussetzungen zur Erstattung einer verwertbaren Aussage?), Aussagequalität (weist die Aussage Merkmale auf, die in erlebnisfundierten Schilderungen zu erwarten sind?) sowie Aussagevalidität (liegen potentielle Störfaktoren vor, die Zweifel an der Zuverlässigkeit der Aussage begründen können?). Erst wenn die Aussagetüchtigkeit bejaht wird, kann der mögliche Erlebnisbezug der Aussage unter Berücksichtigung ihrer Qualität und Validität untersucht werden (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49; zur eventuell erforderlichen Hinzuziehung eines Psychiaters zur Bewertung der Aussagetüchtigkeit Schumacher, StV 2003, 641 ff). Das abschließende gutachterliche Urteil über die Glaubhaftigkeit einer Aussage kann niemals allein auf einer einzigen Konstruktebene (zB der Ebene der Aussagequalität) erfolgen, sondern erfordert immer eine integrative Betrachtung der Befunde in Bezug auf sämtliche Ebenen (Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 62).

48

Die wesentlichen methodischen Mittel, die der Sachverständige zur Überprüfung der gebildeten Hypothesen anzuwenden hat, sind die - die Aussagequalität überprüfende - Aussageanalyse (Inhalts- und Konstanzanalyse) und die - die Aussagevalidität betreffende - Fehlerquellen-, Motivations- sowie Kompetenzanalyse. Welche dieser Analyseschritte mit welcher Gewichtung durchzuführen sind, ergibt sich aus den zuvor gebildeten Null- bzw Alternativhypothesen; bei der Abgrenzung einer wahren Darstellung von einer absichtlichen Falschaussage sind andere Analysen erforderlich als bei deren Abgrenzung von einer subjektiv wahren, aber objektiv nicht zutreffenden, auf Scheinerinnerungen basierenden Darstellung (vgl hierzu Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 17 ff).

49

Diese Prüfungsschritte müssen nicht in einer bestimmten Prüfungsstrategie angewendet werden und verlangen keinen vom Einzelfall losgelösten, schematischen Gutachtenaufbau. Die einzelnen Elemente der Begutachtung müssen auch nicht nach einer bestimmten Reihenfolge geprüft werden (vgl BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f). Es ist vielmehr ausreichend, wenn sich aus einer Gesamtbetrachtung des Gutachtens ergibt, dass der Sachverständige das dargestellte methodische Grundprinzip angewandt hat. Vor allem muss überprüfbar sein, auf welchem Weg er zu seinen Ergebnissen gelangt ist.

50

Die aufgrund der dargestellten methodischen Vorgehensweise, insbesondere aufgrund des Ausgehens von der sog Nullhypothese, vorgebrachten Bedenken gegen die Zulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialgerichtlichen Verfahren (vgl hierzu SG Fulda Urteil vom 30.6.2008 - S 6 VG 16/06 - Juris RdNr 33 aE; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 8.7.2010 - L 13 VG 25/07 - Juris RdNr 36; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 27.6.2012 - L 4 VG 13/09 - Juris RdNr 44 ff; offenlassend, aber Zweifel an der Anwendbarkeit der Nullhypothese äußernd LSG Baden-Württemberg Urteil vom 15.12.2011 - L 6 VG 584/11 - ZFSH/SGB 2012, 203, 206) überzeugen nicht.

51

Nach derzeitigen Erkenntnissen gibt es für einen psychologischen Sachverständigen keine Alternative zu dem beschriebenen Vorgehen. Der Erlebnisbezug einer Aussage ist nicht anders als durch systematischen Ausschluss von Alternativhypothesen zur Wahrannahme zu belegen (Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 20, 22). Nach dem gegenwärtigen psychologischen Kenntnisstand kann die Wirklichkeitshypothese selbst nicht überprüft werden, da eine erlebnisbasierte Aussage eine hohe, aber auch eine niedrige Aussagequalität haben kann. Die Prüfung hat daher an der Unwahrhypothese bzw ihren möglichen Alternativen anzusetzen. Erst wenn sämtliche Unwahrhypothesen ausgeschlossen werden können, ist die Wahrannahme belegt (vgl Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 22). Zudem hat diese Vorgehensweise zur Folge, dass sämtliche Unwahrhypothesen geprüft werden, womit ein ausgewogenes Analyseergebnis erzielt werden kann (Schoreit, StV 2004, 284, 286).

52

Es ist zutreffend, dass dieses methodische Vorgehen ein recht strenges Verfahren der Aussageprüfung darstellt (so auch Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 205), denn die Tatsache, dass eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, bedeutet nicht zwingend, dass diese Hypothese tatsächlich zutrifft. Gleichwohl würde das Gutachten in einem solchen Fall zu dem Ergebnis gelangen, dass eine wahre Aussage nicht belegt werden kann. Insoweit korrespondieren das methodische Grundprinzip der Aussagepsychologie und die rechtlichen Anforderungen in Strafverfahren besonders gut miteinander (vgl dazu Volbert, aaO S 20). Denn auch die Unschuldsvermutung hat zugunsten des Angeklagten bis zum Beweis des Gegenteils zu gelten. Durch beide Prinzipien soll auf jeden Fall vermieden werden, dass eine tatsächlich nicht zutreffende Aussage als glaubhaft klassifiziert wird. Zwar soll möglichst auch der andere Fehler unterbleiben, dass also eine wahre Aussage als nicht zutreffend bewertet wird. In Zweifelsfällen gilt aber eine klare Entscheidungspriorität (vgl Volbert, aaO): Bestehen noch Zweifel hinsichtlich einer Unwahrhypothese, kann diese also nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, so gilt der Erlebnisbezug der Aussage als nicht bewiesen und die Aussage als nicht glaubhaft.

53

Diese Konsequenz führt nicht dazu, dass Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialrechtlichen Entschädigungsverfahren nach dem OEG als Beweismittel schlichtweg ungeeignet sind. Soweit der Vollbeweis gilt, ist damit die Anwendung dieser methodischen Prinzipien der Aussagepsychologie ohne Weiteres zu vereinbaren. Denn dabei gilt eine Tatsache erst dann als bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. Bestehen in einem solchen Verfahren noch Zweifel daran, dass eine Aussage erlebnisfundiert ist, weil eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, geht dies zu Lasten des Klägers bzw der Klägerin (von der Zulässigkeit von Glaubhaftigkeitsgutachten ausgehend LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 9.9.2008 - L 11 VG 33/08 - Juris RdNr 24 ff; LSG NRW Urteil vom 29.9.2010 - L 6 (7) VG 16/05 - Juris RdNr 24; ebenso, jedoch bei Anwendung der Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG Bayerisches LSG Urteil vom 30.6.2005 - L 15 VG 13/02 - Juris RdNr 40; LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 5.6.2008 - L 13 VG 1/05 - Juris RdNr 34 sowie Urteil vom 16.9.2011 - L 10 VG 26/07 - Juris RdNr 38 ff).

54

Die grundsätzliche Bejahung der Beweiseignung von Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialen Entschädigungsrecht wird auch dadurch gestützt, dass nach der dargestellten hypothesengeleiteten Methodik - unter Einschluss der sog Nullhypothese - erstattete Gutachten nicht nur in Strafverfahren Anwendung finden, sondern auch in Zivilverfahren (vgl BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527, 2528 f; Saarländisches OLG Urteil vom 13.7.2011 - 1 U 32/08 - Juris RdNr 50 ff) und in arbeitsrechtlichen Verfahren (vgl LAG Berlin-Brandenburg Urteil vom 20.7.2011 - 26 Sa 1269/10 - Juris RdNr 64 ff). In diesen Verfahren ist der Vollbeweis der anspruchsbegründenden Tatsachen bzw der Voraussetzungen für einen Kündigungsgrund (zumeist eine erhebliche Pflichtverletzung) ebenfalls erforderlich.

55

Soweit allerdings nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG eine Glaubhaftmachung ausreicht, ist ein nach der dargestellten Methodik erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten nicht ohne Weiteres geeignet, zur Entscheidungsfindung des Gerichts beizutragen. Das folgt schon daraus, dass es im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG ausreicht, wenn die Möglichkeit, dass die Angaben des Antragstellers zutreffen, als die wahrscheinlichste angesehen werden kann, während ein aussagepsychologischer Sachverständiger diese Angaben erst dann als glaubhaft ansieht, wenn er alle Alternativhypothesen ausschließen kann. Da ein sachgerecht erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten den Vollbeweis ermöglichen soll, muss ein für die Auskunftsperson ungünstiges Ergebnis eines solchen Gutachtens nicht bedeuten, dass die betreffenden Angaben nicht iS des § 15 S 1 KOVVfG als glaubhaft erscheinen können.

56

Will sich ein Gericht auch bei Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG eines aussagepsychologischen Gutachtens bedienen, so hat es den Sachverständigen mithin auf den insoweit geltenden Beweismaßstab hinzuweisen und mit ihm zu klären, ob er sein Gutachten nach den insoweit maßgebenden Kriterien erstatten kann. Dabei sind auch die Beweisfragen entsprechend zu fassen. Im Falle von Glaubhaftigkeitsbegutachtungen lautet die übergeordnete psychologische Untersuchungsfragestellung: "Können die Angaben aus aussagepsychologischer Sicht als mit (sehr) hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert klassifiziert werden?" (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/ Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49). Demgegenüber sollte dann, wenn eine Glaubhaftmachung ausreicht, darauf abgestellt werden, ob die Angaben mit relativer Wahrscheinlichkeit als erlebnisfundiert angesehen werden können.

57

Damit das Gericht den rechtlichen Begriff der Glaubhaftmachung in eigener Beweiswürdigung ausfüllen kann und nicht durch die Feststellung einer Glaubhaftigkeit seitens des Sachverständigen festgelegt ist, könnte es insoweit hilfreich sein, dem Sachverständigen aufzugeben, solange systematisch und unvoreingenommen nach Fakten zu den verschiedenen Hypothesen zu suchen, bis sich ein möglichst klarer Unterschied in ihrer Geltungswahrscheinlichkeit bzw praktischen Gewissheit ergibt (für eine solche Vorgehensweise im Asylverfahren vgl Lösel/Bender, Schriftenreihe des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Bd 7, 2001, S 175, 184). Denn dem Tatsachengericht ist am ehesten gedient, wenn der psychologische Sachverständige im Rahmen des Möglichen die Wahrscheinlichkeiten bzw Wahrscheinlichkeitsgrade für die unterschiedlichen Hypothesen darstellt.

58

Diesen Maßgaben wird das Berufungsurteil nicht gerecht. Das LSG hat sich bei seiner Verneinung einer Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin nach § 15 S 1 KOVVfG ohne Weiteres auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen D. vom 19.4.2011 gestützt. Dieses Glaubhaftigkeitsgutachten ist vom LSG zu den Fragen eingeholt worden:

59

Ist die Aussage der Klägerin bezüglich der dargelegten schädigenden Ereignisse (Missbrauch durch den Stiefvater H. 1961 - 1962; Missbrauch durch den Vater 1963 - 1967) glaubhaft? Wenn ja, auf welchen aussagepsychologischen Kriterien beruht die Glaubhaftigkeit zu den unmittelbaren schädigenden Ereignissen? Wenn nein, nach welchen aussagepsychologischen Kriterien ist die Glaubhaftigkeit für die unmittelbaren schädigenden Ereignisse nicht erreicht oder auszuweisen?

60

Ein Hinweis auf den im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG geltenden Beweismaßstab der Glaubhaftmachung ist dabei nach Aktenlage nicht erfolgt. Dementsprechend lässt das Gutachten der Sachverständigen D. nicht erkennen, dass sich diese der daraus folgenden Besonderheiten bewusst gewesen ist. Vielmehr hat die Sachverständige in dem Abschnitt 3 ("Methodik der Begutachtung und Hypothesenbildung") festgestellt, dass es sich bei der Glaubhaftigkeitsbeurteilung um einen Hypothesen geleiteten Prüfprozess handele ("Wahrheits-Hypothese" und "Unwahr-Hypothese"). Dabei hat die Sachverständige auf Veröffentlichungen von Volbert (Beurteilung von Aussagen über Traumata. Erinnerungen und ihre psychologische Bewertung - Forensisch-psychologische Praxis 2004 und Volbert/Steller, Die Begutachtung der Glaubhaftigkeit, 2004) hingewiesen (S 15 f des Gutachtens).

61

Da das Berufungsurteil mithin bei der Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG offenbar auf einer Tatsachenwürdigung beruht, der ein unzutreffender Beweismaßstab zugrunde liegt, vermag der erkennende Senat die Beurteilung des LSG zu diesem Punkt nicht zu bestätigen.

62

Auf dieser nicht tragfähigen Tatsachenwürdigung beruht die Entscheidung des LSG. Das gilt auch in Anbetracht des Umstandes, dass das LSG seine Auffassung von der fehlenden "Glaubhaftigkeit" der Behauptungen der Klägerin zusätzlich auf eigene Erwägungen gestützt hat. Denn diese Erwägungen tragen die Entscheidung des LSG nicht allein. Vielmehr hat das LSG diese Ausführungen nur ergänzend gemacht ("nicht nur auf das Glaubhaftigkeitsgutachten, sondern auch auf eigene Erwägungen"), sodass das Glaubhaftigkeitsgutachten der Sachverständigen D. nach der Diktion des LSG für dessen Tatsachenwürdigung maßgebend ist.

63

Der erkennende Senat sieht sich zu einer Aufhebung des Berufungsurteils und einer Zurückverweisung der Sache an das LSG veranlasst (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), weil die jetzt nach zutreffenden Beweismaßstäben vorzunehmenden Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigungen im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden können (§ 163 SGG).

64

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Kraft Gesetzes sind versichert

1.
Beschäftigte,
2.
Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen,
3.
Personen, die sich Untersuchungen, Prüfungen oder ähnlichen Maßnahmen unterziehen, die aufgrund von Rechtsvorschriften zur Aufnahme einer versicherten Tätigkeit oder infolge einer abgeschlossenen versicherten Tätigkeit erforderlich sind, soweit diese Maßnahmen vom Unternehmen oder einer Behörde veranlaßt worden sind,
4.
behinderte Menschen, die in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen, bei einem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches oder in Blindenwerkstätten im Sinne des § 226 des Neunten Buches oder für diese Einrichtungen in Heimarbeit tätig sind,
5.
Personen, die
a)
Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens sind und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
b)
im landwirtschaftlichen Unternehmen nicht nur vorübergehend mitarbeitende Familienangehörige sind,
c)
in landwirtschaftlichen Unternehmen in der Rechtsform von Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind,
d)
ehrenamtlich in Unternehmen tätig sind, die unmittelbar der Sicherung, Überwachung oder Förderung der Landwirtschaft überwiegend dienen,
e)
ehrenamtlich in den Berufsverbänden der Landwirtschaft tätig sind,
wenn für das Unternehmen die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft zuständig ist.
6.
Hausgewerbetreibende und Zwischenmeister sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
7.
selbständig tätige Küstenschiffer und Küstenfischer, die zur Besatzung ihres Fahrzeugs gehören oder als Küstenfischer ohne Fahrzeug fischen und regelmäßig nicht mehr als vier Arbeitnehmer beschäftigen, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
8.
a)
Kinder während des Besuchs von Tageseinrichtungen, deren Träger für den Betrieb der Einrichtungen der Erlaubnis nach § 45 des Achten Buches oder einer Erlaubnis aufgrund einer entsprechenden landesrechtlichen Regelung bedürfen, während der Betreuung durch geeignete Tagespflegepersonen im Sinne von § 23 des Achten Buches sowie während der Teilnahme an vorschulischen Sprachförderungskursen, wenn die Teilnahme auf Grund landesrechtlicher Regelungen erfolgt,
b)
Schüler während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen und während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen,
c)
Studierende während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen,
9.
Personen, die selbständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig sind,
10.
Personen, die
a)
für Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts oder deren Verbände oder Arbeitsgemeinschaften, für die in den Nummern 2 und 8 genannten Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von Gebietskörperschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
b)
für öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften und deren Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
11.
Personen, die
a)
von einer Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts zur Unterstützung einer Diensthandlung herangezogen werden,
b)
von einer dazu berechtigten öffentlichen Stelle als Zeugen zur Beweiserhebung herangezogen werden,
12.
Personen, die in Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen oder im Zivilschutz unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen dieser Unternehmen einschließlich der satzungsmäßigen Veranstaltungen, die der Nachwuchsförderung dienen, teilnehmen,
13.
Personen, die
a)
bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten,
b)
Blut oder körpereigene Organe, Organteile oder Gewebe spenden oder bei denen Voruntersuchungen oder Nachsorgemaßnahmen anlässlich der Spende vorgenommen werden,
c)
sich bei der Verfolgung oder Festnahme einer Person, die einer Straftat verdächtig ist oder zum Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen persönlich einsetzen,
d)
Tätigkeiten als Notärztin oder Notarzt im Rettungsdienst ausüben, wenn diese Tätigkeiten neben
aa)
einer Beschäftigung mit einem Umfang von regelmäßig mindestens 15 Stunden wöchentlich außerhalb des Rettungsdienstes oder
bb)
einer Tätigkeit als zugelassener Vertragsarzt oder als Arzt in privater Niederlassung
ausgeübt werden,
14.
Personen, die
a)
nach den Vorschriften des Zweiten oder des Dritten Buches der Meldepflicht unterliegen, wenn sie einer besonderen, an sie im Einzelfall gerichteten Aufforderung der Bundesagentur für Arbeit, des nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Trägers oder eines nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Trägers nachkommen, diese oder eine andere Stelle aufzusuchen,
b)
an einer Maßnahme teilnehmen, wenn die Person selbst oder die Maßnahme über die Bundesagentur für Arbeit, einen nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Träger oder einen nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Träger gefördert wird,
15.
Personen, die
a)
auf Kosten einer Krankenkasse oder eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der landwirtschaftlichen Alterskasse stationäre oder teilstationäre Behandlung oder stationäre, teilstationäre oder ambulante Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten,
b)
zur Vorbereitung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auf Aufforderung eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit einen dieser Träger oder eine andere Stelle aufsuchen,
c)
auf Kosten eines Unfallversicherungsträgers an vorbeugenden Maßnahmen nach § 3 der Berufskrankheiten-Verordnung teilnehmen,
d)
auf Kosten eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung, der landwirtschaftlichen Alterskasse oder eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung an Präventionsmaßnahmen teilnehmen,
16.
Personen, die bei der Schaffung öffentlich geförderten Wohnraums im Sinne des Zweiten Wohnungsbaugesetzes oder im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung bei der Schaffung von Wohnraum im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 des Wohnraumförderungsgesetzes oder entsprechender landesrechtlicher Regelungen im Rahmen der Selbsthilfe tätig sind,
17.
Pflegepersonen im Sinne des § 19 Satz 1 und 2 des Elften Buches bei der Pflege eines Pflegebedürftigen mit mindestens Pflegegrad 2 im Sinne der §§ 14 und 15 Absatz 3 des Elften Buches; die versicherte Tätigkeit umfasst pflegerische Maßnahmen in den in § 14 Absatz 2 des Elften Buches genannten Bereichen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung nach § 18 Absatz 5a Satz 3 Nummer 2 des Elften Buches.

(1a) Versichert sind auch Personen, die nach Erfüllung der Schulpflicht auf der Grundlage einer schriftlichen Vereinbarung im Dienst eines geeigneten Trägers im Umfang von durchschnittlich mindestens acht Wochenstunden und für die Dauer von mindestens sechs Monaten als Freiwillige einen Freiwilligendienst aller Generationen unentgeltlich leisten. Als Träger des Freiwilligendienstes aller Generationen geeignet sind inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts oder unter § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes fallende Einrichtungen zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger oder kirchlicher Zwecke (§§ 52 bis 54 der Abgabenordnung), wenn sie die Haftpflichtversicherung und eine kontinuierliche Begleitung der Freiwilligen und deren Fort- und Weiterbildung im Umfang von mindestens durchschnittlich 60 Stunden je Jahr sicherstellen. Die Träger haben fortlaufende Aufzeichnungen zu führen über die bei ihnen nach Satz 1 tätigen Personen, die Art und den Umfang der Tätigkeiten und die Einsatzorte. Die Aufzeichnungen sind mindestens fünf Jahre lang aufzubewahren.

(2) Ferner sind Personen versichert, die wie nach Absatz 1 Nr. 1 Versicherte tätig werden. Satz 1 gilt auch für Personen, die während einer aufgrund eines Gesetzes angeordneten Freiheitsentziehung oder aufgrund einer strafrichterlichen, staatsanwaltlichen oder jugendbehördlichen Anordnung wie Beschäftigte tätig werden.

(3) Absatz 1 Nr. 1 gilt auch für

1.
Personen, die im Ausland bei einer amtlichen Vertretung des Bundes oder der Länder oder bei deren Leitern, Mitgliedern oder Bediensteten beschäftigt und in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 4 Absatz 1 Satz 2 des Sechsten Buches pflichtversichert sind,
2.
Personen, die
a)
im Sinne des Entwicklungshelfer-Gesetzes Entwicklungsdienst oder Vorbereitungsdienst leisten,
b)
einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst „weltwärts” im Sinne der Richtlinie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vom 1. August 2007 (BAnz. 2008 S. 1297) leisten,
c)
einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst im Sinne der Richtlinie Internationaler Jugendfreiwilligendienst des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 20. Dezember 2010 (GMBl S. 1778) leisten,
3.
Personen, die
a)
eine Tätigkeit bei einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Organisation ausüben und deren Beschäftigungsverhältnis im öffentlichen Dienst während dieser Zeit ruht,
b)
als Lehrkräfte vom Auswärtigen Amt durch das Bundesverwaltungsamt an Schulen im Ausland vermittelt worden sind oder
c)
für ihre Tätigkeit bei internationalen Einsätzen zur zivilen Krisenprävention als Sekundierte nach dem Sekundierungsgesetz abgesichert werden.
Die Versicherung nach Satz 1 Nummer 3 Buchstabe a und c erstreckt sich auch auf Unfälle oder Krankheiten, die infolge einer Verschleppung oder einer Gefangenschaft eintreten oder darauf beruhen, dass der Versicherte aus sonstigen mit seiner Tätigkeit zusammenhängenden Gründen, die er nicht zu vertreten hat, dem Einflussbereich seines Arbeitgebers oder der für die Durchführung seines Einsatzes verantwortlichen Einrichtung entzogen ist. Gleiches gilt, wenn Unfälle oder Krankheiten auf gesundheitsschädigende oder sonst vom Inland wesentlich abweichende Verhältnisse bei der Tätigkeit oder dem Einsatz im Ausland zurückzuführen sind. Soweit die Absätze 1 bis 2 weder eine Beschäftigung noch eine selbständige Tätigkeit voraussetzen, gelten sie abweichend von § 3 Nr. 2 des Vierten Buches für alle Personen, die die in diesen Absätzen genannten Tätigkeiten im Inland ausüben; § 4 des Vierten Buches gilt entsprechend. Absatz 1 Nr. 13 gilt auch für Personen, die im Ausland tätig werden, wenn sie im Inland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

(4) Familienangehörige im Sinne des Absatzes 1 Nr. 5 Buchstabe b sind

1.
Verwandte bis zum dritten Grade,
2.
Verschwägerte bis zum zweiten Grade,
3.
Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 2 des Ersten Buches)
der Unternehmer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner.

(1) Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, daß die Krankheiten nur dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind. In der Rechtsverordnung kann ferner bestimmt werden, inwieweit Versicherte in Unternehmen der Seefahrt auch in der Zeit gegen Berufskrankheiten versichert sind, in der sie an Land beurlaubt sind.

(1a) Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ein Ärztlicher Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten gebildet. Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Bundesministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt. Bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich, insbesondere durch die Erstellung systematischer Reviews, unterstützt. Das Nähere über die Stellung und die Organisation des Sachverständigenbeirats und der Geschäftsstelle regelt die Bundesregierung in der Rechtsverordnung nach Absatz 1.

(2) Die Unfallversicherungsträger haben eine Krankheit, die nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versicherungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach Absatz 1 Satz 2 erfüllt sind.

(2a) Krankheiten, die bei Versicherten vor der Bezeichnung als Berufskrankheiten bereits entstanden waren, sind rückwirkend frühestens anzuerkennen

1.
in den Fällen des Absatzes 1 als Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die Bezeichnung in Kraft getreten ist,
2.
in den Fällen des Absatzes 2 wie eine Berufskrankheit zu dem Zeitpunkt, in dem die neuen Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft vorgelegen haben; hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten eine Empfehlung für die Bezeichnung einer neuen Berufskrankheit beschlossen, ist für die Anerkennung maßgebend der Tag der Beschlussfassung.

(3) Erkranken Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Absatz 1 genannten Berufskrankheit ausgesetzt waren, an einer solchen Krankheit und können Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellt werden, wird vermutet, daß diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

(3a) Der Unfallversicherungsträger erhebt alle Beweise, die zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind. Dabei hat er neben den in § 21 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Beweismitteln auch Erkenntnisse zu berücksichtigen, die er oder ein anderer Unfallversicherungsträger an vergleichbaren Arbeitsplätzen oder zu vergleichbaren Tätigkeiten gewonnen hat. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Ermittlungen zu den Einwirkungen während der versicherten Tätigkeit dadurch erschwert sind, dass der Arbeitsplatz des Versicherten nicht mehr oder nur in veränderter Gestaltung vorhanden ist. Die Unfallversicherungsträger sollen zur Erfüllung der Aufgaben nach den Sätzen 2 und 3 einzeln oder gemeinsam tätigkeitsbezogene Expositionskataster erstellen. Grundlage für diese Kataster können die Ergebnisse aus systematischen Erhebungen, aus Ermittlungen in Einzelfällen sowie aus Forschungsvorhaben sein. Die Unfallversicherungsträger können außerdem Erhebungen an vergleichbaren Arbeitsplätzen durchführen.

(4) Besteht für Versicherte, bei denen eine Berufskrankheit anerkannt wurde, die Gefahr, dass bei der Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und lässt sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen, haben die Unfallversicherungsträger darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen. Die Versicherten sind von den Unfallversicherungsträgern über die mit der Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen umfassend aufzuklären. Zur Verhütung einer Gefahr nach Satz 1 sind die Versicherten verpflichtet, an individualpräventiven Maßnahmen der Unfallversicherungsträger teilzunehmen und an Maßnahmen zur Verhaltensprävention mitzuwirken; die §§ 60 bis 65a des Ersten Buches gelten entsprechend. Pflichten der Unternehmer und Versicherten nach dem Zweiten Kapitel und nach arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften bleiben hiervon unberührt. Kommen Versicherte ihrer Teilnahme- oder Mitwirkungspflicht nach Satz 3 nicht nach, können die Unfallversicherungsträger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder die Leistung einer danach erstmals festzusetzenden Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder den Anteil einer Rente, der auf eine danach eingetretene wesentliche Änderung im Sinne des § 73 Absatz 3 zurückgeht, bis zur Nachholung der Teilnahme oder Mitwirkung ganz oder teilweise versagen. Dies setzt voraus, dass infolge der fehlenden Teilnahme oder Mitwirkung der Versicherten die Teilhabeleistungen erforderlich geworden sind oder die Erwerbsminderung oder die wesentliche Änderung eingetreten ist; § 66 Absatz 3 und § 67 des Ersten Buches gelten entsprechend.

(5) Soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, ist bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.

(6) Die Bundesregierung regelt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates

1.
Voraussetzungen, Art und Umfang von Leistungen zur Verhütung des Entstehens, der Verschlimmerung oder des Wiederauflebens von Berufskrankheiten,
2.
die Mitwirkung der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen bei der Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind; dabei kann bestimmt werden, daß die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen berechtigt sind, Zusammenhangsgutachten zu erstellen sowie zur Vorbereitung ihrer Gutachten Versicherte zu untersuchen oder auf Kosten der Unfallversicherungsträger andere Ärzte mit der Vornahme der Untersuchungen zu beauftragen,
3.
die von den Unfallversicherungsträgern für die Tätigkeit der Stellen nach Nummer 2 zu entrichtenden Gebühren; diese Gebühren richten sich nach dem für die Begutachtung erforderlichen Aufwand und den dadurch entstehenden Kosten.

(7) Die Unfallversicherungsträger haben die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle über den Ausgang des Berufskrankheitenverfahrens zu unterrichten, soweit ihre Entscheidung von der gutachterlichen Stellungnahme der zuständigen Stelle abweicht.

(8) Die Unfallversicherungsträger wirken bei der Gewinnung neuer medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere zur Fortentwicklung des Berufskrankheitenrechts mit; sie sollen durch eigene Forschung oder durch Beteiligung an fremden Forschungsvorhaben dazu beitragen, den Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungshäufigkeiten in einer bestimmten Personengruppe und gesundheitsschädlichen Einwirkungen im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit aufzuklären. Die Verbände der Unfallversicherungsträger veröffentlichen jährlich einen gemeinsamen Bericht über ihre Forschungsaktivitäten und die Forschungsaktivitäten der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Bericht erstreckt sich auf die Themen der Forschungsvorhaben, die Höhe der aufgewendeten Mittel sowie die Zuwendungsempfänger und Forschungsnehmer externer Projekte.

(9) Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stellen dürfen zur Feststellung von Berufskrankheiten sowie von Krankheiten, die nach Absatz 2 wie Berufskrankheiten zu entschädigen sind, Daten verarbeiten sowie zur Vorbereitung von Gutachten Versicherte untersuchen, soweit dies im Rahmen ihrer Mitwirkung nach Absatz 6 Nr. 2 erforderlich ist; sie dürfen diese Daten insbesondere an den zuständigen Unfallversicherungsträger übermitteln. Die erhobenen Daten dürfen auch zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren gespeichert, verändert, genutzt, übermittelt oder in der Verarbeitung eingeschränkt werden. Soweit die in Satz 1 genannten Stellen andere Ärzte mit der Vornahme von Untersuchungen beauftragen, ist die Übermittlung von Daten zwischen diesen Stellen und den beauftragten Ärzten zulässig, soweit dies im Rahmen des Untersuchungsauftrages erforderlich ist.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(1) § 76 Abs. 2 Nr. 1 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, daß der Unfallversicherungsträger auch auf ein gegenüber einem anderen Sozialleistungsträger bestehendes Widerspruchsrecht hinzuweisen hat, wenn dieser nicht selbst zu einem Hinweis nach § 76 Abs. 2 Nr. 1 des Zehnten Buches verpflichtet ist.

(2) Vor Erteilung eines Gutachtenauftrages soll der Unfallversicherungsträger dem Versicherten mehrere Gutachter zur Auswahl benennen; die betroffene Person ist außerdem auf ihr Widerspruchsrecht nach § 76 Abs. 2 des Zehnten Buches hinzuweisen und über den Zweck des Gutachtens zu informieren.

(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(2) Der Vorsitzende hat bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen.

(3) Zu diesem Zweck kann er insbesondere

1.
um Mitteilung von Urkunden sowie um Übermittlung elektronischer Dokumente ersuchen,
2.
Krankenpapiere, Aufzeichnungen, Krankengeschichten, Sektions- und Untersuchungsbefunde sowie Röntgenbilder beiziehen,
3.
Auskünfte jeder Art einholen,
4.
Zeugen und Sachverständige in geeigneten Fällen vernehmen oder, auch eidlich, durch den ersuchten Richter vernehmen lassen,
5.
die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen und ausführen,
6.
andere beiladen,
7.
einen Termin anberaumen, das persönliche Erscheinen der Beteiligten hierzu anordnen und den Sachverhalt mit diesen erörtern.

(4) Für die Beweisaufnahme gelten die §§ 116, 118 und 119 entsprechend.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.