Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 09. März 2017 - 22 ZB 17.245

bei uns veröffentlicht am09.03.2017

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 20.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Durch Bescheid vom 7. April 2016 (Az. 34-8221.4-71/14) untersagte das Landratsamt Neu-Ulm der H … GmbH, deren einziger Geschäftsführer der Kläger ist, die Ausübung näher bezeichneter Gewerbe sowie jegliche weitere selbständige, von § 35 Abs. 1 GewO erfasste gewerbliche Tätigkeit. Der Bescheid, der an die H … GmbH, vertreten durch den Kläger als Geschäftsführer dieser Gesellschaft, W …straße 8, I …, adressiert ist und für den das Landratsamt Zustellung gegen Postzustellungsurkunde verfügt hatte, wurde am 8. April 2016 ausweislich der Angaben auf der Postzustellungsurkunde der im Geschäftsraum der H* … GmbH beschäftigten Frau K … übergeben.

Durch weiteren Bescheid vom 7. April 2016 (Az. 34-8221.4-72/14) untersagte das Landratsamt dem Kläger persönlich die selbständige Ausübung der gleichen Gewerbe wie der H … GmbH, ferner die Ausübung jeder weiteren von § 35 Abs. 1 GewO erfassten selbständigen gewerblichen Tätigkeit sowie Tätigkeiten als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als Betriebsleiter eines Gewerbebetriebs mit Ausnahme einer Tätigkeit als fachlich-technischer Leiter eines Handwerksbetriebs im Sinn von § 7 Abs. 1 HwO in der Stellung als Arbeitnehmer in einem Betrieb, dessen Inhaber die Voraussetzungen für eine Eintragung in die Handwerksrolle erfüllt. Dieser Bescheid, der an den Kläger persönlich - ebenfalls unter Angabe der Adresse W …straße 8, I … - adressiert ist und auch mittels Postzustellungsurkunde zuzustellen war, wurde durch den Zustellbediensteten der Post am 8. April 2016 gleichfalls Frau K … übergeben.

Die am 6. Mai 2016 gegen den die H … GmbH betreffenden Untersagungsbescheid erhobene Anfechtungsklage wies das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg durch Urteil vom 8. Dezember 2016 (Az. Au 5 K 16.709), im Rubrum berichtigt durch Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 13. Februar 2017, als unbegründet ab. Der Antrag der H … GmbH, gegen dieses Urteil die Berufung zuzulassen, ist vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof unter dem Aktenzeichen 22 ZB 17.244 anhängig.

Im Verfahren Au 5 K 16.709 wies das Landratsamt das Verwaltungsgericht mit Schreiben vom 2. Juni 2016 auf den gegen den Kläger am 7. April 2016 persönlich erlassenen Bescheid sowie auf die unterbliebene Erhebung einer Anfechtungsklage hiergegen hin.

Nach Zuleitung dieses Schreibens an die Bevollmächtigten der H … GmbH durch das Verwaltungsgericht machten diese mit Schriftsatz vom 17. Juni 2016 geltend, die von der H … GmbH erhobene Klage sei so auszulegen, dass sie sich auch gegen den Bescheid vom 7. April 2016 mit dem Aktenzeichen 34-8221.4-72/14 richte. Sollte das Verwaltungsgericht diese Auffassung nicht teilen, werde die Klage ausdrücklich auch gegen den letztgenannten Bescheid gerichtet. Gleichzeitig beantragten die Klagebevollmächtigten, dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Klagefrist zu gewähren.

Das Verwaltungsgericht wies die Klage des Klägers durch Urteil vom 8. Dezember 2016 (Au 5 K 16.894) als unzulässig ab, da die Klagefrist hinsichtlich des ihn persönlich betreffenden Bescheids am 9. Mai 2016 abgelaufen sei und ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden könne, da er die Klagefrist schuldhaft nicht eingehalten habe.

Der Kläger beantragt, gegen dieses Urteil die Berufung zuzulassen, da ernstliche Zweifel an der Richtigkeit dieser Entscheidung im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden.

II.

Über den Antrag auf Zulassung der Berufung konnte ohne Anhörung des Beklagten entschieden werden, da sich aus der Begründung dieses Rechtsbehelfs (vgl. zur Maßgeblichkeit der darin enthaltenen Darlegungen § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) nicht ergibt, dass die Voraussetzungen des einzigen Zulassungsgrundes, auf den sich der Kläger stützt, vorliegen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage vielmehr zweifelsfrei zutreffend als unzulässig abgewiesen, da der Kläger die einmonatige Klagefrist (§ 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO) nicht eingehalten hat und ihm keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann.

1. Die angefochtene Entscheidung geht im Ergebnis zutreffend davon aus, dass die Klagefrist jedenfalls vor dem 17. Juni 2016 abgelaufen war. Ob auch der den Kläger persönlich betreffende Untersagungsbescheid - wie vom Verwaltungsgericht angenommen - spätestens am 9. Mai 2016 hätte gerichtlich angegriffen werden müssen, oder ob die Klagefrist insoweit erst am 18. Mai 2016 endete, kann im Rahmen des vorliegenden Beschlusses auf sich beruhen, da im konkreten Fall hiervon keine rechtlichen Folgen abhängen.

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht davon abgesehen, auf die Frage einzugehen, ob ein Bescheid, der - wie vorliegend der Fall - den Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung persönlich (d.h. nicht in seiner Eigenschaft als Organ dieser juristischen Person) betrifft, ihm im Wege einer Ersatzzustellung gemäß § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO (hier anzuwenden in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 Satz 1 VwZVG) durch Übergabe an eine Person zugestellt werden kann, die in einem Geschäftsraum der Gesellschaft mit beschränkter Haftung beschäftigt ist. Sollte diese Frage jedenfalls dann zu bejahen sein, wenn die Ersatzzustellung in „Geschäfts-“ und nicht nur in „Betriebsräumen“ der Gesellschaft mit beschränkter Haftung vorgenommen wurde (so z.B. Häublein in MK zur ZPO, 5. Aufl. 2016, § 178 Rn. 19 m.w.N.; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 37. Aufl. 2016, § 178 Rn. 16 m.w.N.), läge eine fehlerfreie Ersatzzustellung vor. Denn im dritten Absatz auf Seite 4 der Antragsbegründung vom 24. Februar 2017 hat der Kläger selbst vorgetragen, im Anwesen „W …straße 8“ in I … befänden sich die Büroräume der H* … GmbH, während die Produktionsstätte dieses Unternehmens in einem Nachbarort liege.

Nicht anders würde sich die Rechtslage darstellen, falls man die Ersatzzustellung von Schriftstücken, die für den Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung persönlich bestimmt sind, an Beschäftigte dieser Gesellschaft in deren Geschäftsräumen dann zulässt, wenn der Name des Geschäftsführers - wie hier - in der Firma der Gesellschaft in Erscheinung tritt und er nach außen hin als Inhaber dieses Unternehmens - und nicht nur als dessen Angestellter - auftritt (so BVerwG, U.v. 9.10.1973 - V C 110.72 - BVerwGE 44, 104/107 f.). Auch die letztgenannte Voraussetzung ist hier erfüllt, da der Kläger selbst von einer „rein formal juristischen Trennung bei der E. GmbH zwischen Geschäftsbetrieb und Geschäftsführer“ gesprochen hat (Seite 3 oben des Schriftsatzes seiner Bevollmächtigten vom 17.6.2016), er und die H … GmbH ferner einen gemeinsamen Briefkasten benutzen würden (Seite 3 unten des gleichen Schriftsatzes) und er in der Antragsbegründung geltend macht, der im vorliegenden Verfahren streitgegenständliche Bescheid würde zehn Arbeitsplätze sowie die Lebensgrundlage von zehn Familien vernichten: Obgleich die unter dem Aktenzeichen 34-8221.4-72/14 verfügte Gewerbeuntersagung keine Regelung der gewerblichen Betätigung der H … GmbH zum Gegenstand hat, geht auch dieses Vorbringen des Klägers erkennbar davon aus, dass es sich bei den Beschäftigten der H … GmbH um „seine“ Arbeitnehmer handele, und dass er selbst, nicht aber die H … GmbH ihnen Arbeitsplätze zur Verfügung stelle.

In Lauf gesetzt worden wäre die Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO aber auch dann, falls der Auffassung zu folgen sein sollte, eine Ersatzzustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO dürfe nur in Geschäftsräumen des Zustelladressaten selbst vorgenommen werden (so z.B. BGH, B.v. 16.4.1986 - VIII ZB 26/85 - BGHZ 97, 341/343; OLG Brandenburg, B.v. 9.10.1995 - 7 W 16/95 - juris Rn. 6; OLG Nürnberg, B.v. 30.6.1998 - 1 W 1666/98 - MDR 1998, 1369; LAG Frankfurt a. M., B.v. 6.10.2006 - 4 Ta 435/06 - juris Rn. 5 f.). Auf der Grundlage dieses Rechtsstandpunkts wäre die Bekanntgabe des vorliegend verfahrensgegenständlichen Bescheids zwar unter Verstoß gegen zwingende Zustellungsvorschriften erfolgt. Dieser Umstand wäre gemäß Art. 9 VwZVG jedoch dadurch geheilt worden, dass dem Kläger der ihn betreffende Bescheid tatsächlich zugegangen ist. Ein „tatsächlicher Zugang“ im Sinn dieser Norm liegt vor, wenn die Person, für die das Dokument bestimmt ist, den Besitz hieran erlangt hat und ihr eine Kenntnisnahme zuverlässig möglich war (Giehl/Adolph/Käß, Verwaltungsverfahrensrecht in Bayern, Stand März 2013, Art. 9 VwZVG Anm. III.2). Art. 9 VwZVG lässt die Heilung einer fehlerhaften Zustellung damit unter den gleichen Voraussetzungen eintreten wie sie die - mit dieser Bestimmung weitgehend wortgleich übereinstimmende - Vorschrift des § 189 ZPO aufstellt. Danach ist ein Dokument dann zugegangen, wenn es dergestalt in den Machtbereich des Adressaten gelangt ist, dass er Gelegenheit zur Kenntnisnahme besaß (BGH, U.v. 23.11.1977 - VIII ZR 107/76 - MDR 1978, 487 zu der mit § 189 ZPO heutiger Fassung der Sache nach inhaltsgleichen Vorschrift des § 187 Satz 1 ZPO in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung). Das Gesetz stellt insoweit auf den Gedanken der Zweckerreichung ab (BGH, U.v. 23.11.1977, a.a.O.); die Rechtsfolgen, die durch die förmliche Zustellung ausgelöst werden sollten, treten danach in dem Zeitpunkt ein, in dem der Zweck der förmlichen Zustellung durch den Zugang des Schriftstücks erreicht wurde (BGH, U.v. 23.11.1977, a.a.O.). Da die bloße Möglichkeit der Kenntnisnahme genügt, hängt die Heilungswirkung des § 189 ZPO nicht davon ab, ob und wann der Betroffene das Dokument tatsächlich liest (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 75. Aufl. 2017, § 189 Rn. 5).

Nach der Darstellung im Schriftsatz der Klagebevollmächtigten vom 17. Juni 2016, die mit den Angaben in den eidesstattlichen Versicherungen von Frau K … vom 16. Juni 2016 und des Klägers vom 21. Juni 2016 übereinstimmt, hat Frau K … am 8. April 2016 nur den an die H* … GmbH gerichteten Bescheid geöffnet und ihn per E-Mail an den damals auf Geschäftsreise befindlichen Kläger weitergeleitet. Den Bescheid, der den Kläger selbst betrifft, habe sie ungeöffnet auf dessen Schreibtisch gelegt. Der Kläger habe diesen Bescheid nach seiner am 18. April 2016 erfolgten Rückkehr von der Geschäftsreise an einem ihm nicht mehr bekannten Zeitpunkt geöffnet, ihn aber nicht weiter beachtet, da er der Meinung gewesen sei, es handele sich um den gleichen Bescheid wie derjenige, der gegenüber der H … GmbH erlassen wurde. In der Begründung des Zulassungsantrags behauptete der Kläger demgegenüber, Frau K … habe auch den ihn betreffenden Bescheid geöffnet und ihn „auf die allgemeine Geschäftspost“ bzw. „in den allgemeinen Posteingang der H … GmbH“ gelegt.

Es bedarf in vorliegendem Zusammenhang keiner Entscheidung, welche dieser beiden Versionen als glaubhaft angesehen werden kann. Denn der Geschäftsführer einer Gesellschaft für beschränkte Haftung erlangt Besitz an Schriftstücken, die - geöffnet oder ungeöffnet - auf seinen Schreibtisch gelegt werden.

Wie das Schicksal des ebenfalls am 8. April 2016 zugestellten, gegenüber der H … GmbH erlassenen Bescheids zeigt, hätte für den Kläger bereits an diesem Tag ohne weiteres die Möglichkeit bestanden, von der ihn selbst betreffenden Gewerbeuntersagung Kenntnis zu nehmen, wenn er seine Sekretärin angewiesen hätte, ihm auch diesen Verwaltungsakt per E-Mail an seinen Aufenthaltsort zu übermitteln, oder falls die Sekretärin aus eigenem Entschluss so verfahren wäre. Gerade bei Personen, die - wie beim Kläger der Fall - ein international tätiges Unternehmen leiten, sind derartige Formen der Weiterleitung von Unterlagen unter Nutzung der Möglichkeiten, die die Telekommunikationstechnik eröffnet, bereits seit mehreren Jahren derart verbreitet, dass nach der Verkehrsanschauung zu erwarten ist, dass sie von wichtigen Schriftstücken, die in ihrem Geschäftslokal eingehen, auch während einer Geschäftsreise Kenntnis erlangen. Dies gilt umso mehr, als die Rechtsprechung schriftliche Erklärungen, die einem Arbeitnehmer zu einem Zeitpunkt an seiner Heimatadresse zugestellt werden, an dem er sich im Urlaub oder im Ausland in Haft befindet, als im Sinn von § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB „zugegangen“ ansieht (vgl. grundlegend BAG, U.v. 16.3.1988 - 7 AZR 587/87 - NJW 1989, 606, ferner BAG, U.v. 2.3.1989 - 2 AZR 275/88 - NJW 1989, 2213 sowie allgemein zum Zugang von Willenserklärungen, die während des Urlaubs des Adressaten in dessen häuslichen oder geschäftlichen Machtbereich gelangt sind, in dem Zeitpunkt, in dem die „objektive Möglichkeit zur Kenntniserlangung im abstrakten Sinn“ bestand, BGH, U.v. 21.1.2004 - XII ZR 214/00 - NJW 2004, 1320). Da zugunsten des Geschäftsführers eines international tätigen Unternehmens keine milderen Maßstäbe gelten können, wäre vom Eintritt der Heilungswirkung nach Art. 9 VwZVG vorliegend bereits am 8. April 2016 mit der Folge auszugehen, dass die Klagefrist, wie das Verwaltungsgericht dies angenommen hat, am Folgetag in Lauf gesetzt worden wäre und am 9. Mai 2016 geendet hätte.

Ohne Auswirkungen auf das „Ob“ der Heilung eines ggf. unterlaufenen Zustellungsfehlers, sondern nur auf die zutreffende Beantwortung der Frage, wann die Klagefrist in Gang gesetzt wurde, wäre es, falls es für den Eintritt der in Art. 9 VwZVG bezeichneten Rechtsfolge nicht ausreichen sollte, dass für den „richtigen“ Zustellungsadressaten unter gewöhnlichen Umständen Gelegenheit zur Kenntnisnahme bestand, sondern insoweit zu fordern sein sollte, dass er das zuzustellende Dokument „in den Händen hält“ (so BFH, B.v. 6.5.2014 - GrS 2/13 - NJW 2014, 2524/2527). Diese Voraussetzung wäre jedenfalls am 18. April 2016 erfüllt gewesen, da der Kläger eigener Darstellung zufolge an diesem Tag von seiner Geschäftsreise in die Golf-Emirate zurückgekehrt ist; die Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO hätte in diesem Fall erst mit Ablauf des 18. Mai 2016 geendet. Auf die Frage, wann er von dem ihn persönlich betreffenden Untersagungsbescheid tatsächlich Kenntnis genommen hat, kommt es auch bei Zugrundelegung dieser Auffassung, die das Kriterium des „tatsächlichen Zugangs“ im Sinn von § 189 ZPO (und ggf. vergleichbarer Heilungsvorschriften wie Art. 9 VwZVG) enger fasst als das für die Bejahung eines Zugangs nach § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB erforderlich ist, nicht an.

2. Aus der Begründung des Zulassungsantrags ergeben sich keine ernstlichen Zweifel daran, dass das Verwaltungsgericht dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand deshalb zu Recht verweigert hat, weil die unterbliebene rechtzeitige Klageerhebung entgegen § 60 Abs. 1 VwGO als von ihm verschuldet angesehen werden muss.

Im Schriftsatz vom 24. Februar 2017 macht er geltend, Frau K … habe den ihn persönlich betreffenden Untersagungsbescheid geöffnet in einen Stapel mit Geschäftspost gelegt, die die H* … GmbH betroffen habe. Nach Rückkehr aus dem Ausland habe er „wie üblich den Stapel Briefe nur oberflächlich“ durchgesehen. Angesichts des großen Umfangs dieses Stapels sowie deshalb, weil ihn seine Sekretärin nicht darauf hingewiesen habe, dass der ihn betreffende Bescheid mit einer gesonderten Postzustellungsurkunde übersandt worden sei, sich beide Bescheide ferner äußerlich kaum voneinander unterscheiden würden, sei ihm die Bedeutung der ihn persönlich betreffenden Untersagungsverfügung entgangen.

Bereits dieses Vorbringen rechtfertigt die Aussage, dass den Kläger ein Verschulden an der Nichteinhaltung der Klagefrist hinsichtlich des Bescheids mit dem Aktenzeichen 34-8221.4-72/14 trifft. Denn der Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, der Geschäftspost üblicherweise nur oberflächlich durchsieht, wie der Kläger das in Bezug auf sein Verhalten ausdrücklich einräumt, lässt jene Sorgfalt außer Acht, die für eine gewissenhafte, ihre Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmende Person im Hinblick auf die Einhaltung von Fristen geboten ist und die ihr nach den Gesamtumständen des konkreten Falles zuzumuten ist (vgl. zu diesem Maßstab für die Entscheidung der Frage, ob einem Rechtsschutzsuchenden ein Verschulden zur Last fällt, das einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegensteht, Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 60 Rn. 9 mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung).

Vorliegend besteht zwar die Besonderheit, dass in den Monaten April und Mai 2016 noch kein gerichtliches Verfahren anhängig war, das eine den Kläger persönlich betreffende Gewerbeuntersagung zum Gegenstand hatte. Was das Maß der von ihm zu fordernden Sorgfalt anbetrifft, musste er damit nicht jenen Anforderungen genügen, die eine Person treffen, die bereits an einem Rechtsstreit beteiligt ist. Es steht vielmehr der erstmalige „Zugang zum Gericht“ als solcher inmitten, der nicht durch zu strenge, sachlich nicht mehr zu rechtfertigende Anforderungen erschwert werden darf. Andererseits bestand für den Kläger deswegen Anlass, sowohl die Geschäftsals auch die ihn persönlich betreffende Post sorgfältig daraufhin durchzusehen, ob sie für seine wirtschaftliche Existenz bedeutsame Schriftstücke enthält, weil er - und zwar gerade in zeitlicher Nähe zum Erhalt des die H* … GmbH betreffenden Untersagungsbescheids - mit einer Gewerbeuntersagung auch in Bezug auf seine eigene Person konkret rechnen musste.

Das Landratsamt hat vor Erlass der Bescheide vom 7. April 2016 jeweils zeitgleich sowohl an die H … GmbH als auch an den Kläger selbst vier Anhörungsschreiben gerichtet; sie datieren vom 25. Februar 2015, vom 16. April 2015, vom 21. August 2015 und vom 12. Oktober 2015. Soweit sie die H* … GmbH betrafen, tragen sie das Aktenzeichen 34-8221.4-71/14, soweit sie dazu dienten, dem Kläger eine Stellungnahme hinsichtlich einer gegen ihn persönlich zu richtenden Gewerbeuntersagung zu ermöglichen, das Aktenzeichen 34-8221.4-72/14. Bereits aufgrund der Duplizität dieser Zuleitungen konnte auch für eine auf rechtlichem Gebiet unbewanderte Person kein Zweifel daran bestehen, dass das Landratsamt parallel zueinander zwei Untersagungsverfahren betrieb; erst recht musste dies für den Geschäftsführer einer international tätigen Kapitalgesellschaft wie den Kläger erkennbar sein. Denn keine Behörde versendet viermal hintereinander am gleichen Tag jeweils zwei Anhörungsschreiben in ein und derselben Angelegenheit. Überdies ergab sich bereits aus dem Inhalt der Zuleitungen vom 25. Februar 2015 deutlich, dass das Landratsamt eine Gewerbeuntersagung zum einen gegen die H* … GmbH, zum anderen gegen den Kläger als natürliche Person in Aussicht nahm. In dem Schreiben, das seinerzeit an die H* … GmbH gerichtet wurde, hieß es u. a.:

„Der vorgenannte Sachverhalt lässt an der künftigen Zuverlässigkeit der ‚H … GmbH‘ zweifeln. Beim Landratsamt Neu-Ulm wurde deshalb ein Gewerbeuntersagungsverfahren eingeleitet und es ist beabsichtigt, der Gesellschaft die selbständige Gewerbeausübung zu versagen.“

Im Anhörungsschreiben vom 25. Februar 2015, das an den Kläger in eigener Person gerichtet wurde, hat die Behörde demgegenüber u. a. ausgeführt:

„Der vorgenannte Sachverhalt lässt daher an Ihrer gewerblichen Zuverlässigkeit zweifeln. Beim Landratsamt Neu-Ulm wurde deshalb ein Gewerbeuntersagungsverfahren eingeleitet und es ist beabsichtigt, Ihnen die selbständige Gewerbeausübung zu versagen.“

War für den Kläger aber während einer Zeitspanne von mehr als einem Jahr vor dem Erlass der Bescheide vom 7. April 2016 erkennbar, dass das Landratsamt nebeneinander ein Gewerbeuntersagungsverfahren gegen die von ihm geleitete Gesellschaft und ein weiteres derartiges Verwaltungsverfahren in Bezug auf seine eigene Person betrieb, so bestand für ihn dringender Anlass, sich nach dem Erhalt des die H … GmbH betreffenden Untersagungsbescheids sorgfältig darüber zu vergewissern, ob auch ihm selbst gegenüber ein derartiger Verwaltungsakt erlassen worden war. Mit dem Ergehen eines solchen Bescheids musste nicht nur angesichts der vier vorangegangenen, an den Kläger persönlich gerichteten Anhörungsschreiben gerechnet werden; vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Behörde beide Verwaltungsverfahren durchgängig parallel zueinander betrieben hatte, LAG darüber hinaus die Annahme nahe, dass auch die diese Verfahren abschließenden Behördenentscheidungen (annähernd) zeitgleich ergehen würden. Eine gewissenhafte Durchsicht der eingehenden Post auf vom Landratsamt Neu-Ulm stammende Schriftstücke hin war deshalb für eine Person, die ihre Belange mit der gebotenen Sorgfalt wahrt, gerade im April 2016 unerlässlich.

Auf den Umstand, dass der Kläger angesichts der Vorgeschichte der beiden Bescheide vom 7. April 2016 konkret mit dem Erlass auch einer ihn persönlich betreffenden Gewerbeuntersagung rechnen musste, hat das Verwaltungsgericht auf Seite 10 des angefochtenen Urteils zutreffend hingewiesen. Der Kläger ist der Bedeutung dieses Umstandes für das Maß der von ihm zu fordernden Sorgfalt bei der Durchsicht des Posteinlaufs in der Antragsbegründung lediglich mit der Behauptung entgegengetreten, er könne sich nicht an ein separates Anhörungsschreiben erinnern. In der Nachbarschaft befinde sich eine „H … GmbH Verwertungen“, weswegen es sich nicht ausschließen lasse, dass ihm nicht der gesamte Schriftverkehr zugegangen sei.

Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils darzutun. Denn der Kläger hat auf die behördlichen Zuleitungen vom 25. Februar 2015 u. a. durch einen Anruf beim Landratsamt am 19. März 2015 reagiert; auf die Schreiben des Landratsamts vom 16. April 2015 hat er am 15. Mai 2015, auf diejenigen vom 21. August 2015 am 8. September 2015 und auf diejenigen vom 12. Oktober 2015 am 2. November 2015 mit jeweils von ihm eigenhändig unterzeichneten Briefen geantwortet. Wenn er in diesen drei Antwortschreiben stets nur das Aktenzeichen 34-8221.4-71/14 genannt hat, so folgt daraus nicht, dass ihm alle vier an ihn persönlich adressierten Anhörungsschreiben nicht zugegangen sind; denn für eine derartige Häufung postalischer Fehlleitungen (bei gleichzeitigem Erhalt aller vier die H … GmbH betreffenden Anhörungsschreiben) spricht nicht einmal eine entfernte Wahrscheinlichkeit.

Lediglich ergänzend ist vor diesem Hintergrund festzuhalten, dass das Vorbringen in der Antragsbegründung insoweit nicht als glaubhaft angesehen werden kann, als der Kläger nunmehr geltend macht, der ihn persönlich betreffende Bescheid vom 7. April 2016 habe sich in bereits geöffnetem Zustand in dem die H* … GmbH betreffenden Poststapel befunden. Diese Darstellung steht in offenkundigem Widerspruch zur Sachverhaltsschilderung in der Klageschrift vom 17. Juni 2016 sowie in der eidesstattlichen Versicherung von Frau K … vom 16. Juni 2016; dort wurde jeweils behauptet, Frau K … habe nur den an die H … GmbH adressierten Bescheid geöffnet, während sie den für den Kläger selbst bestimmten Brief ungeöffnet auf dessen Schreibtisch gelegt habe. Im Schriftsatz vom 17. Juni 2016 sowie in der vom 21. Juni 2016 stammenden eidesstattlichen Versicherung des Klägers wurde zusätzlich geltend gemacht, es sei der Kläger selbst gewesen, der an einem ihm nicht mehr bekannten Datum das ihn persönlich betreffende Schriftstück geöffnet habe.

Die Klagepartei hat nicht einmal im Ansatz erläutert, warum sie in der Begründung des Zulassungsantrags eine Behauptung aufstellt, die zu ihrem Vortrag im ersten Rechtszug, dessen Richtigkeit durch eidesstattliche Versicherungen glaubhaft gemacht wurde, in Gegensatz steht. Vor diesem Hintergrund könnte der Eindruck entstehen, dass durch die geänderte Sachverhaltsschilderung im Zulassungsverfahren das sinngemäße Argument des Verwaltungsgerichts entkräftet werden soll, der Kläger habe den im Verfahren 34-8221.4-72/14 erlassenen Bescheid auch deshalb nicht frei von Verschulden übersehen können, da beide Verwaltungsakte „in separaten Umschlägen, jeweils mit eigener Postzustellungsurkunde“ zugestellt worden seien (Seite 10 des angefochtenen Urteils). Zwar kommt der Postzustellungsurkunde in diesem Zusammenhang keine Bedeutung zu, da sie der Kläger nicht zu Gesicht bekam; sie ist seitens des Postunternehmens nach erfolgter Zustellung vielmehr an die absendende Stelle zurückzuleiten. Aussagekräftig ist jedoch der Hinweis des Verwaltungsgerichts auf die Besonderheit der Umschläge, in denen mittels Postzustellungsauftrags bekanntzugebende Schriftstücke versandt werden: Ihre auffallend gelbe Farbe steht der Annahme, ein hinreichend sorgfältiger Empfänger könne eine solche Sendung dann frei von Verschulden übersehen, wenn er sie nicht persönlich in Empfang nimmt, sondern er sie in einer größeren Menge anderer Schriftstücke vorfindet, zusätzlich entgegen. Ein nachträgliches, an die jeweilige Prozesslage angepasstes Vorbringen aber, durch das ein Verfahrensbeteiligter möglicherweise einen ihm ungünstigen Vorhalt in einer von ihm angefochtenen Entscheidung zu entkräften versucht, kann jedenfalls so lange nicht als glaubhaft anerkannt werden, als der Betroffene den Wechsel seiner eigenen tatsächlichen Einlassungen nicht plausibel erklärt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit der Empfehlung in der Nummer 54.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Urteilsbesprechung zu Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 09. März 2017 - 22 ZB 17.245

Urteilsbesprechungen zu Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 09. März 2017 - 22 ZB 17.245

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 09. März 2017 - 22 ZB 17.245 zitiert 15 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124


(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. (2) Die B

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124a


(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nic

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 60


(1) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. (2) Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; bei Vers

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 74


(1) Die Anfechtungsklage muß innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden. Ist nach § 68 ein Widerspruchsbescheid nicht erforderlich, so muß die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erho

Gewerbeordnung - GewO | § 35 Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit


(1) Die Ausübung eines Gewerbes ist von der zuständigen Behörde ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden oder einer mit der Leitung des Gewerbebetriebes beauftragten Person in bez

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 130 Wirksamwerden der Willenserklärung gegenüber Abwesenden


(1) Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Sie wird nicht wirksam, wenn dem anderen vorher oder gleichzeitig ein Wide

Zivilprozessordnung - ZPO | § 189 Heilung von Zustellungsmängeln


Lässt sich die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen oder ist das Dokument unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, so gilt es in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Dokument der Person, an die die Zuste

Zivilprozessordnung - ZPO | § 178 Ersatzzustellung in der Wohnung, in Geschäftsräumen und Einrichtungen


(1) Wird die Person, der zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung, in dem Geschäftsraum oder in einer Gemeinschaftseinrichtung, in der sie wohnt, nicht angetroffen, kann das Schriftstück zugestellt werden1.in der Wohnung einem erwachsenen Familienang

Zivilprozessordnung - ZPO | § 187 Veröffentlichung der Benachrichtigung


Das Prozessgericht kann zusätzlich anordnen, dass die Benachrichtigung einmal oder mehrfach im Bundesanzeiger oder in anderen Blättern zu veröffentlichen ist.

Handwerksordnung - HwO | § 7


(1) Als Inhaber eines Betriebs eines zulassungspflichtigen Handwerks wird eine natürliche oder juristische Person oder eine Personengesellschaft in die Handwerksrolle eingetragen, wenn der Betriebsleiter die Voraussetzungen für die Eintragung in die

Referenzen - Urteile

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 09. März 2017 - 22 ZB 17.245 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 09. März 2017 - 22 ZB 17.245 zitiert 3 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 21. Jan. 2004 - XII ZR 214/00

bei uns veröffentlicht am 21.01.2004

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL XII ZR 214/00 Verkündet am: 21. Januar 2004 Küpferle, Justizamtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGH

Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 08. Dez. 2016 - Au 5 K 16.894

bei uns veröffentlicht am 08.12.2016

Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in

Bundesfinanzhof Beschluss, 06. Mai 2014 - GrS 2/13

bei uns veröffentlicht am 06.05.2014

Tatbestand 1 A. I. Vorgelegte Rechtsfrage 2 Der VIII. Senat
2 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 09. März 2017 - 22 ZB 17.245.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 29. März 2017 - 22 ZB 17.244

bei uns veröffentlicht am 29.03.2017

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 20.000 Euro festgesetzt. Grü

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 23. Apr. 2018 - 10 S 358/18

bei uns veröffentlicht am 23.04.2018

Tenor Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 22. Januar 2018 - 1 K 20289/17 - wird zurückgewiesen.Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.Der Streitwert wird unter Abänderung d

Referenzen

(1) Die Ausübung eines Gewerbes ist von der zuständigen Behörde ganz oder teilweise zu untersagen, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden oder einer mit der Leitung des Gewerbebetriebes beauftragten Person in bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung zum Schutze der Allgemeinheit oder der im Betrieb Beschäftigten erforderlich ist. Die Untersagung kann auch auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person sowie auf einzelne andere oder auf alle Gewerbe erstreckt werden, soweit die festgestellten Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß der Gewerbetreibende auch für diese Tätigkeiten oder Gewerbe unzuverlässig ist. Das Untersagungsverfahren kann fortgesetzt werden, auch wenn der Betrieb des Gewerbes während des Verfahrens aufgegeben wird.

(2) Dem Gewerbetreibenden kann auf seinen Antrag von der zuständigen Behörde gestattet werden, den Gewerbebetrieb durch einen Stellvertreter (§ 45) fortzuführen, der die Gewähr für eine ordnungsgemäße Führung des Gewerbebetriebes bietet.

(3) Will die Verwaltungsbehörde in dem Untersagungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen, der Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen einen Gewerbetreibenden gewesen ist, so kann sie zu dessen Nachteil von dem Inhalt des Urteils insoweit nicht abweichen, als es sich bezieht auf

1.
die Feststellung des Sachverhalts,
2.
die Beurteilung der Schuldfrage oder
3.
die Beurteilung der Frage, ob er bei weiterer Ausübung des Gewerbes erhebliche rechtswidrige Taten im Sinne des § 70 des Strafgesetzbuches begehen wird und ob zur Abwehr dieser Gefahren die Untersagung des Gewerbes angebracht ist.
Absatz 1 Satz 2 bleibt unberührt. Die Entscheidung über ein vorläufiges Berufsverbot (§ 132a der Strafprozeßordnung), der Strafbefehl und die gerichtliche Entscheidung, durch welche die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt wird, stehen einem Urteil gleich; dies gilt auch für Bußgeldentscheidungen, soweit sie sich auf die Feststellung des Sachverhalts und die Beurteilung der Schuldfrage beziehen.

(3a) (weggefallen)

(4) Vor der Untersagung sollen, soweit besondere staatliche Aufsichtsbehörden bestehen, die Aufsichtsbehörden, ferner die zuständige Industrie- und Handelskammer oder Handwerkskammer und, soweit es sich um eine Genossenschaft handelt, auch der Prüfungsverband gehört werden, dem die Genossenschaft angehört. Ihnen sind die gegen den Gewerbetreibenden erhobenen Vorwürfe mitzuteilen und die zur Abgabe der Stellungnahme erforderlichen Unterlagen zu übersenden. Die Anhörung der vorgenannten Stellen kann unterbleiben, wenn Gefahr im Verzuge ist; in diesem Falle sind diese Stellen zu unterrichten.

(5) (weggefallen)

(6) Dem Gewerbetreibenden ist von der zuständigen Behörde auf Grund eines an die Behörde zu richtenden schriftlichen oder elektronischen Antrages die persönliche Ausübung des Gewerbes wieder zu gestatten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß eine Unzuverlässigkeit im Sinne des Absatzes 1 nicht mehr vorliegt. Vor Ablauf eines Jahres nach Durchführung der Untersagungsverfügung kann die Wiederaufnahme nur gestattet werden, wenn hierfür besondere Gründe vorliegen.

(7) Zuständig ist die Behörde, in deren Bezirk der Gewerbetreibende eine gewerbliche Niederlassung unterhält oder in den Fällen des Absatzes 2 oder 6 unterhalten will. Bei Fehlen einer gewerblichen Niederlassung sind die Behörden zuständig, in deren Bezirk das Gewerbe ausgeübt wird oder ausgeübt werden soll. Für die Vollstreckung der Gewerbeuntersagung sind auch die Behörden zuständig, in deren Bezirk das Gewerbe ausgeübt wird oder ausgeübt werden soll.

(7a) Die Untersagung kann auch gegen Vertretungsberechtigte oder mit der Leitung des Gewerbebetriebes beauftragte Personen ausgesprochen werden. Das Untersagungsverfahren gegen diese Personen kann unabhängig von dem Verlauf des Untersagungsverfahrens gegen den Gewerbetreibenden fortgesetzt werden. Die Absätze 1 und 3 bis 7 sind entsprechend anzuwenden.

(8) Soweit für einzelne Gewerbe besondere Untersagungs- oder Betriebsschließungsvorschriften bestehen, die auf die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden abstellen, oder eine für das Gewerbe erteilte Zulassung wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden zurückgenommen oder widerrufen werden kann, sind die Absätze 1 bis 7a nicht anzuwenden. Dies gilt nicht für die Tätigkeit als vertretungsberechtigte Person eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung des Betriebes oder einer Zweigniederlassung beauftragte Person sowie für Vorschriften, die Gewerbeuntersagungen oder Betriebsschließungen durch strafgerichtliches Urteil vorsehen.

(9) Die Absätze 1 bis 8 sind auf Genossenschaften entsprechend anzuwenden, auch wenn sich ihr Geschäftsbetrieb auf den Kreis der Mitglieder beschränkt; sie finden ferner Anwendung auf den Handel mit Arzneimitteln, mit Losen von Lotterien und Ausspielungen sowie mit Bezugs- und Anteilscheinen auf solche Lose und auf den Betrieb von Wettannahmestellen aller Art.

(1) Als Inhaber eines Betriebs eines zulassungspflichtigen Handwerks wird eine natürliche oder juristische Person oder eine Personengesellschaft in die Handwerksrolle eingetragen, wenn der Betriebsleiter die Voraussetzungen für die Eintragung in die Handwerksrolle mit dem zu betreibenden Handwerk oder einem mit diesem verwandten Handwerk erfüllt. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz bestimmt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates, welche zulassungspflichtige Handwerke sich so nahestehen, daß die Beherrschung des einen zulassungspflichtigen Handwerks die fachgerechte Ausübung wesentlicher Tätigkeiten des anderen zulassungspflichtigen Handwerks ermöglicht (verwandte zulassungspflichtige Handwerke).

(1a) In die Handwerksrolle wird eingetragen, wer in dem von ihm zu betreibenden oder in einem mit diesem verwandten zulassungspflichtigen Handwerk die Meisterprüfung bestanden hat.

(2) In die Handwerksrolle werden ferner Ingenieure, Absolventen von technischen Hochschulen und von staatlichen oder staatlich anerkannten Fachschulen für Technik und für Gestaltung mit dem zulassungspflichtigen Handwerk eingetragen, dem der Studien- oder der Schulschwerpunkt ihrer Prüfung entspricht. Dies gilt auch für Personen, die eine andere, der Meisterprüfung für die Ausübung des betreffenden zulassungspflichtigen Handwerks mindestens gleichwertige deutsche staatliche oder staatlich anerkannte Prüfung erfolgreich abgelegt haben. Dazu gehören auch Prüfungen auf Grund einer nach § 42 dieses Gesetzes oder nach § 53 des Berufsbildungsgesetzes erlassenen Rechtsverordnung, soweit sie gleichwertig sind. Der Abschlussprüfung an einer deutschen Hochschule gleichgestellt sind Diplome, die nach Abschluss einer Ausbildung von mindestens drei Jahren oder einer Teilzeitausbildung von entsprechender Dauer an einer Universität, einer Hochschule oder einer anderen Ausbildungseinrichtung mit gleichwertigem Ausbildungsniveau in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder in der Schweiz erteilt wurden; falls neben dem Studium eine Berufsausbildung gefordert wird, ist zusätzlich der Nachweis zu erbringen, dass diese abgeschlossen ist. Die Entscheidung, ob die Voraussetzungen für die Eintragung erfüllt sind, trifft die Handwerkskammer. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz kann zum Zwecke der Eintragung in die Handwerksrolle nach Satz 1 im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Voraussetzungen bestimmen, unter denen die in Studien- oder Schulschwerpunkten abgelegten Prüfungen nach Satz 1 Meisterprüfungen in zulassungspflichtigen Handwerken entsprechen.

(2a) Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz kann durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bestimmen, daß in die Handwerksrolle einzutragen ist, wer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum eine der Meisterprüfung für die Ausübung des zu betreibenden Gewerbes oder wesentlicher Tätigkeiten dieses Gewerbes gleichwertige Berechtigung zur Ausübung eines Gewerbes erworben hat.

(3) In die Handwerksrolle wird ferner eingetragen, wer eine Ausnahmebewilligung nach § 8 oder § 9 Abs. 1 oder eine Gleichwertigkeitsfeststellung nach § 50c für das zu betreibende zulassungspflichtige Handwerk oder für ein diesem verwandtes zulassungspflichtiges Handwerk besitzt.

(4) bis (6) (weggefallen)

(7) In die Handwerksrolle wird eingetragen, wer für das zu betreibende Gewerbe oder für ein mit diesem verwandtes Gewerbe eine Ausübungsberechtigung nach § 7a oder § 7b besitzt.

(8) (weggefallen)

(9) Vertriebene und Spätaussiedler, die vor dem erstmaligen Verlassen ihrer Herkunftsgebiete eine der Meisterprüfung gleichwertige Prüfung im Ausland bestanden haben, sind in die Handwerksrolle einzutragen. Satz 1 ist auf Vertriebene, die am 2. Oktober 1990 ihren ständigen Aufenthalt in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet hatten, anzuwenden.

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen eine erweiterte Gewerbeuntersagung, die Anordnung der Betriebseinstellung sowie die Androhung von Zwangsgeld.

Der Kläger ist einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer und Alleingesellschafter der ... GmbH. Diese betreibt das selbständige Gewerbe ...

Mit Bescheid vom 7. April 2016 untersagte das ... der ... GmbH die Ausübung des betriebenen Gewerbes und jegliche weitere gewerbliche Tätigkeit, soweit sie unter § 35 Abs. 1 GewO falle. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger als vertretungsberechtigter Geschäftsführer der GmbH am 6. Mai 2016 unter dem Az. Au 5 K 16.709 Klage.

Mit weiterem Bescheid vom 7. April 2016 wurde dem Kläger die selbständige Ausübung des Gewerbes ... sowie jegliche weitere gewerbliche Tätigkeit, soweit sie unter § 35 Abs. 1 GewO fällt, untersagt (Ziffer 1 des Bescheides). In Ziffer 2 des Bescheides wurde die Untersagung auch auf die Ausübung als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder der Tätigkeit als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person mit der möglichen Ausnahme einer Tätigkeit als fachlich technischer Leiter eines Handwerksbetriebes im Sinne des § 7 Abs. 1 HwO in der Stellung als Arbeitnehmer in einem Betrieb, in dem der Betriebsinhaber selbst eintragungsfähig in die Handwerksrolle ist, erstreckt. Für den Fall der Nichterfüllung der Verpflichtungen aus den Ziffer 1 und 2 wurde in Ziffer 3 des Bescheides für den Fall der Zuwiderhandlung sowohl gegen die Untersagung der derzeit betriebenen Gewerbe als auch des Betriebes eines anderen Gewerbes als auch gegen die Untersagung der Ausübung einer Tätigkeit als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person oder als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR angedroht.

Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.

Der Bescheid wurde dem Kläger laut der Postzustellungsurkunde am 8. April 2016 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 17. Juni 2016, bei Gericht per Telefax eingegangen am 17. Juni 2016, hat der Kläger Klage erhoben und beantragt,

den Bescheid des ... vom 7.4.2016,, aufzuheben.

Zudem beantragte er, für den Fall der Versäumnis der Klagefrist, 10 die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der genannten Frist.

Zur Begründung ist ausgeführt, dass der Kläger von der Tatsache, dass gegen ihn als Geschäftsführer der GmbH unter dem Az.: ... am 7. April 2016 ebenfalls eine Gewerbeuntersagung erlassen worden sei, erst durch den Schriftsatz des Beklagten vom 3. Juni 2016, beim Klägerbevollmächtigten eingegangen am 9. Juni 2016, Kenntnis erlangt habe. Die Gewerbeuntersagungsverfügung des Beklagten gegen den Kläger habe einen komplett identischen Inhalt und sei an die gleiche Adresse adressiert. Im Bescheid werde im Wesentlichen lediglich die Bezeichnung des Betroffenen ausgetauscht. Die Bescheide hingen kausal miteinander zusammen, da der eine Bescheid nicht ohne den anderen begründet werden könne, insoweit seien auch die Gründe identisch. Die rein formal juristische Trennung bei der E. GmbH zwischen Geschäftsbetrieb und Geschäftsführer könne verwaltungsgerichtlich nicht die Auswirkung haben, dass ein Bescheid rechtskräftig werde und der andere nicht. Selbstverständlich sei es Wille der ... GmbH gewesen, mit der Klage Rechtsschutz gegen sämtliche Maßnahmen des Beklagten gegen die GmbH und auch deren Geschäftsführer zu erlangen. Die Klage sei daher so auszulegen, dass sie sich gegen alle Bescheide im Zusammenhang mit der Gewerbeuntersagung richte. Der Wiedereinsetzungsantrag werde wie folgt begründet. Wie aus den Bescheiden ersichtlich sei, hätten die ... GmbH und der Kläger die gleiche Zustellungsanschrift. Dies liege daran, dass Produktion und Büro der GmbH verschiedene Standorte hätten. Das Büro der GmbH befinde sich gleich neben der Privatwohnung des Klägers. Sowohl die GmbH als auch der Kläger hätten einen gemeinsamen Briefkasten. Der Kläger habe sich zum Zeitpunkt der Zustellung beider Bescheide am 8. April 2016 auf einer Geschäftsreise in den Golf-Emiraten befunden, wo sich ein Großteil der Kunden der GmbH befinde. Der Kläger sei erst am 18. April 2016 von der Geschäftsreise zurückgekehrt und dann für eine weitere Geschäftsreise bereits am 6. Mai 2016 wieder in die Emirate geflogen. Die GmbH habe eine Sekretariatsmitarbeiterin, die sich um die gesamte Geschäftspost und die bürotechnischen Angelegenheiten der GmbH kümmere. Diese habe am Zustellungstag der Bescheide nur den Bescheid, der an die GmbH gerichtet gewesen sei, geöffnet und sei von dessen Inhalt zutiefst erschrocken gewesen. Den Bescheid an den Kläger persönlich habe die Mitarbeiterin ungeöffnet auf dessen Schreibtisch gelegt. In der Aufregung habe die Mitarbeiterin den Geschäftsführer noch am 8. April 2016 telefonisch über den Bescheid gegen die GmbH informiert, jedoch nicht über die Existenz eines zweiten Briefes. Der Kläger habe die Mitarbeiterin dann gebeten, ihm den Bescheid per E-Mail zukommen zu lassen. Dem sei die Mitarbeiterin noch am selben Tage nachgekommen. Der Kläger habe sich dann zu einem nicht mehr genau nachvollziehbaren Datum telefonisch mit dem Bevollmächtigten in Verbindung gesetzt und den Untersagungsbescheid weitergeleitet. Insoweit habe auch der Bevollmächtigte des Klägers nichts von einem Bescheid gegen den Kläger persönlich gewusst. Der Bescheid gegen den Kläger persönlich habe weiterhin auf dem Schreibtisch gelegen und sei von der Mitarbeiterin in Vergessenheit geraten. Diesen Brief habe der Kläger zu einem nicht mehr bekannten Datum in einem großen Stapel der allgemeinen Post gefunden und geöffnet. Es werde eingeräumt, dass dies wahrscheinlich - aber nicht sicher - vor Ablauf der Klagefrist erfolgt sei. Der Kläger habe diesen zweiten Bescheid jedoch für den identischen Bescheid gehalten, wie denjenigen, der an seine Firma gerichtet gewesen sei, lediglich an ihn als Geschäftsführer adressiert. Dabei sei zu beachten, dass der Kläger juristischer Laie sei und aufgrund der Ähnlichkeit beider Bescheide der Meinung gewesen sei, dass es sich hierbei um keinen separaten Verwaltungsakt gehandelt habe. Diese Einschätzung sei durchaus nachvollziehbar, denn die Bescheide unter schieden sich im Aktenzeichen nur in einer Ziffer, sie trügen das gleiche Datum, die gleiche Adresse und hätten den identischen Inhalt. Die Bescheide unterschieden sich lediglich leicht im Tenor. Der juristische Laie könne nicht beurteilen, dass in diesem Fall ein separates Klageverfahren durchgeführt werden müsse, vor allem im Falle einer Ein Mann GmbH, bei der der juristische Laie oft die Unterscheidung der beiden Rechtssubjekte nicht wahrnehme. Den Kläger treffe somit kein Verschulden an der Fristversäumnis, da er keine Kenntnis von der Zustellung eines eigenständigen Bescheides gegen ihn persönlich gehabt habe und erst durch den Schriftsatz des Beklagten vom 3. Juni 2016 hiervon Kenntnis erlangt habe. Hierüber habe der Bevollmächtigte des Klägers den Kläger telefonisch am 13. Juni 2016 unterrichtet. Dem Kläger sei kein Schuldvorwurf zu machen. Bei juristischen Laien sei der Sorgfaltsmaßstab geringer anzusetzen. Das Verhalten der Mitarbeiterin, einer Hilfsperson des Klägers, sei dem Kläger nicht zuzurechnen. Ein Verschulden des Klägers liege auch nicht bei einer Sorgfaltspflichtverletzung bei der Auswahl seiner Hilfsperson vor, da die Mitarbeiterin seit Jahren absolut zuverlässig und ordentlich arbeite. Zudem sei der Beklagte verpflichtet gewesen, im Rahmen des Akteneinsichtsgesuches zumindest beide Akten zur Verfügung zu stellen, insbesondere auch deshalb, da Fälle dieser Art oftmals in einer Akte geführt würden. Wäre nur eine Akte geführt worden, wäre selbstverständlich der zweite Bescheid sofort aufgefallen.

Mit der Klageschrift legte der Kläger Unbedenklichkeitsbescheinigungen der Krankenkassen vor. Rückstände bezüglich der Beitragszahlungen bestehen demzufolge nicht.

Der Beklagte hat mit Schreiben vom 29. Juli 2016 beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung ist ausgeführt, dass dem Kläger ausweislich der Zustellungsurkunde der streitgegenständliche Bescheid durch Übergabe an eine in der „... GmbH“ beschäftigte Person am 8. April 2016 unter der Anschrift, übergeben und damit wirksam zugestellt worden sei. Der Bescheid sei darüber hinaus mit einer ausdrücklichen Belehrung über die einmonatige Klagefrist ab Zustellung versehen. Die Klagefrist habe damit mit Ablauf des 9. Mai 2016 geendet. Sofern vorgetragen werde, dass die Gewerbeuntersagungsverfügung gegen den Kläger einen komplett identischen Inhalt habe, bei dem im Wesentlichen lediglich die Bezeichnung des Betroffenen ausgetauscht worden sei, könne dem nicht gefolgt werden. Der Kläger hätte als Geschäftsführer der GmbH allein schon aufgrund des Umstands, dass sämtlicher, während des Verfahrens erfolgter Schriftverkehr sich einmal gegen die Gesellschaft und einmal gegen ihn selbst als Geschäftsführer des Unternehmens unter der Verwendung eines jeweils eigenen Aktenzeichens gerichtet habe, erkennen können, dass es sich um zwei voneinander unabhängige Verfahren handele. Zudem treffe es nicht zu, dass beide Untersagungsverfügungen kausal miteinander zusammenhingen. Beide Verfahren könnten nach § 35 GewO unabhängig voneinander zum Abschluss gebracht werden. Daher könne sich der Klägervertreter auch nicht darauf berufen, dass eine reine formal juristische Trennung bei einer GmbH, gleich welcher Zahl an Gesellschaftern und Geschäftsführern, die verwaltungsgerichtliche Auswirkung haben müsse, dass beide Bescheide stets nur zusammen bestandskräftig sein könnten. Bei der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags des Klägervertreters fehle es allein schon an einer schlüssigen Darstellung und Belegung, wann die angeblichen Hinderungsgründe zur fristgerechten Einreichung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand tatsächlich entfallen sind und ob die Antragstellung dadurch innerhalb der gesetzlichen Frist erfolgte. Die Abwesenheit des Geschäftsführers im Ausland sei nicht durch Nachweise wie Reiseunterlagen belegt. Zudem sei es dem Kläger laut den Ausführungen des Bevollmächtigten des Klägers zwischen dem 19. April 2016 bis zum 5. Mai 2016 möglich gewesen, sowohl seine geschäftlichen als auch privaten postalischen Unterlagen zu sichten. Es sei nicht nachvollziehbar, warum der Kläger als angeblicher juristischer Laie den von ihm ohnehin schon beauftragten Bevollmächtigten nicht umgehend über das Schreiben informiert und dessen Rechtsrat eingeholt habe, insbesondere, wenn sich ihm die Bedeutung des an ihn persönlich adressierten Schriftstückes nicht ohne weiteres erschlossen habe. Daher sei auch nicht feststellbar, zu welchem Zeitpunkt das geltend gemachte Hindernis im Sinne des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO tatsächlich weggefallen sei. Dass der Kläger als juristischer Laie dem an ihn gerichteten Bescheid keine Bedeutung zugemessen habe, stelle keinen Versäumnisgrund dar. Es lasse sich nicht nachvollziehen, warum der Kläger das an ihn persönlich gerichtete Schreiben lediglich als Zweitschrift der gegen die GmbH erlassenen Untersagungsverfügung gehalten haben solle. Zudem sei darauf hinzuweisen, dass auf Seite 10 der Begründung des Bescheids angesprochen werde, dass mit Bescheid des ... vom 7.4.2016, ..., gegen die ... GmbH ebenfalls eine Gewerbeuntersagung ausgesprochen worden sei. Dies stelle auch gegenüber einer juristisch nicht vorgebildeten Person eine deutliche Klarstellung dar, dass zwei separate Verfügungen ergangen seien. Der Kläger sei auch nicht unerfahren oder unbeholfen. Er sei vielmehr seit 37 Jahren geschäftlich und insbesondere international tätig. Zudem sollte gerade der Geschäftsführer einer E.in M.ann GmbH die Unterscheidung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter kennen, da er diese gesellschaftliche Gestaltung selbst gewählt habe. Auch sei nicht nachvollziehbar, dass die Mitarbeiterin beide Schreiben unterschiedlich behandelt habe. Allein schon der Umstand, dass beide Schreiben förmlich zugestellt worden seien, lege nahe, dass das ungeöffnete Schriftstück an den Kläger beim geöffneten Schriftstück an die GmbH zur Kenntnis belassen werden sollte, statt es dem Kläger unerwähnt auf dem Schreibtisch zu hinterlassen. Es sei zudem zweifelhaft, ob die Mitarbeiterin die Stellung einer Hilfsperson im Sinne des § 60 VwGO inne habe, derer sich der Kläger die zur Wahrnehmung verfahrensrechtlicher Aufgaben in Bezug auf den gegen ihn erlassenen Bescheid bedient habe, weshalb ihm ein Verschulden über § 85 Abs. 2 ZPO nicht zugerechnet werden könne, da sich diese Vorschrift nicht auf diesen Personenkreis beziehe. Der Bevollmächtigte des Klägers habe gegenüber dem ... lediglich die Vertretung der ... GmbH angezeigt, nicht jedoch die Vertretung des Geschäftsführers selbst. Daher habe für das ... auch kein Anlass bestanden, im Rahmen des Akteneinsichtsgesuchs für die * GmbH auch die separat geführte Akte im eigenständigen Verfahren gegen den Kläger zur Verfügung zu stellen. Für den Bevollmächtigten hätte naheliegend gewesen sein müssen, dass eine weitere Untersagungsverfü-gung erlassen worden sein könnte, da ihm die Möglichkeiten von Untersagungen nach § 35 GewO wohl bekannt seien. Es sei überdies auch aus dem Bescheid gegen die GmbH ersichtlich, dass von einer Unzuverlässigkeit des Klägers ausgegangen werde. Dem Kläger sei deshalb die Einhaltung der Frist zumutbar gewesen.

Mit Schreiben vom 12. August 2016 und 4. Oktober 2016 vertiefte der Kläger sein Vorbringen und legte eine betriebswirtschaftliche Auswertung der Gesellschaft des Klägers sowie weitere Nachweise vor.

Am 8. Dezember 2016 fand mit dem Verfahren Au 5 K 16.709 die gemeinsame mündliche Verhandlung vor Gericht statt. Auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung wird Bezug genommen.

Ergänzend wird auf die vorgelegte Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.

Gründe

Die Klage stellt sich bereits als unzulässig dar.

1. Der Kläger hat die Klagefrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO von einem Monat nach Bekanntgabe bzw. Zustellung des Verwaltungsakts nicht eingehalten. Der Bescheid des Beklagten vom 7. April 2016 war mit einer zutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung:versehen, die den Kläger auf die Möglichkeit der Erhebung der Klage beim Verwaltungsgericht Augsburg als statthaften Rechtsbehelf hinwies. Dieser Bescheid ist dem Kläger ausweislich der vorgelegten Behördenakten mittels Postzustellungsurkunde am Freitag, dem 8. April 2016 zugestellt worden. Damit war Fristende gemäß § 57 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO), § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alt. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) am 8. Mai 2016. Da es sich dabei um einen Sonntag handelt, verschiebt sich das Fristende gemäß § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. 222 Abs. 2 ZPO auf den nächsten Werktag. Die Klagefrist gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist damit am 9. Mai 2016 um 0 Uhr abgelaufen. Die Klageerhebung am 17. Juni 2016 erfolgte nicht mehr innerhalb der Klagefrist.

2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 VwGO kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht.

Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 erster Halbsatz VwGO ist der Wiedereinsetzungsantrag binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung glaubhaft zu machen (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Die versäumte Handlung ist innerhalb der Antragsfrist nachzuholen (§ 60 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Bei Nachholung der Handlung kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden (§ 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO).

Der Kläger hat die versäumte Handlung - hier die Klageerhebung - zwar nachgeholt, es ist jedoch kein Grund für eine Wiedereinsetzung gegeben. Dem Kläger ist ein Verschulden bei der Nichteinhaltung der Frist anzulasten.

Für das Verschulden bezüglich der Fristwahrung kommt es darauf an, ob der Beteiligte diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Einzelfalles auch zumutbar war (Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 60 Rn. 9). Auch Fahrlässigkeit schließt eine Wiedereinsetzung aus.

Nach diesen Maßstäben liegt ein Verschulden des Klägers vor. Auf ein etwaiges Verschulden der Mitarbeiterin des Klägers ist hierbei nicht einzugehen, da der Kläger nach eigenem Vortrag zumindest im Zeitraum seiner Anwesenheit vom 18. April 2016 bis 6. Mai 2016 die Möglichkeit der Kenntnisnahme beider Schreiben hatte. Dass er die Relevanz des an ihn persönlich gerichteten Schreibens falsch einschätzte, muss nach Auffassung der Kammer als fahrlässig gewertet werden. Auch ein juristischer Laie muss nach den rechtlichen Fahrlässigkeitsmaßstäben die im Rechtsverkehr übliche Sorgfalt aufwenden, einen an ihn adressierten Bescheid zu beachten und aufmerksam zu lesen. Beide Bescheide wurden in separaten Umschlägen, jeweils mit einer eigenen Postzustellungsurkunde zugestellt. Weiterhin unterscheiden sich die Bescheide nicht nur hinsichtlich der Adressierung und des Aktenzeichens, vielmehr muss einem aufmerksamen Leser die unterschiedliche Tenorierung, insbesondere in Ziffer 2 der Bescheide auffallen. Bereits aus dem jeweiligen Tenor der Bescheide sind die inhaltlich unterschiedlichen Verfügungen ersichtlich. Diesbezüglich sind keinerlei rechtliche Kenntnisse erforderlich. Schon rein optisch ist anhand Ziffer 2 der Bescheide ein Unterschied deutlich erkennbar, so dass nicht von einer zweifachen Ausfertigung ausgegangen werden kann. In der Begründung des an die ... GmbH gerichteten Bescheides wird zudem auf die eigenen Steuerschulden und die Straftat des Geschäftsführers Bezug genommen. Die Begründung der Bescheide unterscheidet sich insgesamt und durchgängig an vielen Stellen und nicht nur hinsichtlich der Bezeichnung des jeweiligen Adressaten. Weiterhin ergibt sich das ersichtliche Vorliegen zweier Untersagungsverfahren schon hinsichtlich der bereits vor Bescheidserlass erfolgten Anhörungsschreiben, die für jedes Verfahren separat, sowohl an den Kläger selbst als auch an die GmbH gerichtet, ergingen. Damit war den Kläger bereits vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids deutlich erkennbar, dass zwei Gewerbeuntersagungsverfahren nebeneinander betrieben werden, von denen eines ihn persönlich betrifft. Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem Kläger entgegen des Vortrags seines Bevollmächtigten nicht um einen gänzlich unerfahrenen Bürger, sondern um einen international tätigen Gewerbetreibenden handelt, der den Umgang mit rechtlich relevanten Schriftstücken gewohnt ist.

c) Damit kann offen bleiben, ob die Frist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses eingehalten wurde.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Die Anfechtungsklage muß innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden. Ist nach § 68 ein Widerspruchsbescheid nicht erforderlich, so muß die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden.

(2) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.

(1) Wird die Person, der zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung, in dem Geschäftsraum oder in einer Gemeinschaftseinrichtung, in der sie wohnt, nicht angetroffen, kann das Schriftstück zugestellt werden

1.
in der Wohnung einem erwachsenen Familienangehörigen, einer in der Familie beschäftigten Person oder einem erwachsenen ständigen Mitbewohner,
2.
in Geschäftsräumen einer dort beschäftigten Person,
3.
in Gemeinschaftseinrichtungen dem Leiter der Einrichtung oder einem dazu ermächtigten Vertreter.

(2) Die Zustellung an eine der in Absatz 1 bezeichneten Personen ist unwirksam, wenn diese an dem Rechtsstreit als Gegner der Person, der zugestellt werden soll, beteiligt ist.

(1) Die Anfechtungsklage muß innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden. Ist nach § 68 ein Widerspruchsbescheid nicht erforderlich, so muß die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden.

(2) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.

(1) Wird die Person, der zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung, in dem Geschäftsraum oder in einer Gemeinschaftseinrichtung, in der sie wohnt, nicht angetroffen, kann das Schriftstück zugestellt werden

1.
in der Wohnung einem erwachsenen Familienangehörigen, einer in der Familie beschäftigten Person oder einem erwachsenen ständigen Mitbewohner,
2.
in Geschäftsräumen einer dort beschäftigten Person,
3.
in Gemeinschaftseinrichtungen dem Leiter der Einrichtung oder einem dazu ermächtigten Vertreter.

(2) Die Zustellung an eine der in Absatz 1 bezeichneten Personen ist unwirksam, wenn diese an dem Rechtsstreit als Gegner der Person, der zugestellt werden soll, beteiligt ist.

Lässt sich die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen oder ist das Dokument unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, so gilt es in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Dokument der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist.

Das Prozessgericht kann zusätzlich anordnen, dass die Benachrichtigung einmal oder mehrfach im Bundesanzeiger oder in anderen Blättern zu veröffentlichen ist.

Lässt sich die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen oder ist das Dokument unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, so gilt es in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Dokument der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist.

(1) Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Sie wird nicht wirksam, wenn dem anderen vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht.

(2) Auf die Wirksamkeit der Willenserklärung ist es ohne Einfluss, wenn der Erklärende nach der Abgabe stirbt oder geschäftsunfähig wird.

(3) Diese Vorschriften finden auch dann Anwendung, wenn die Willenserklärung einer Behörde gegenüber abzugeben ist.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 214/00 Verkündet am:
21. Januar 2004
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB §§ 127 a.F., 130 Abs. 1 Satz 1

a) Zum Zugang einer per Telefax übermittelten empfangsbedürftigen Willenserklärung
, deren Empfänger urlaubsbedingt abwesend ist.

b) Zum Bedeutungsgehalt einer Vereinbarung, nach der die Kündigung eines Mietvertrages
durch eingeschriebenen Brief erfolgen soll.
BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 - XII ZR 214/00 - OLG Saarbrücken
LG Saarbrücken
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 21. Januar 2004 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter
Sprick, Fuchs, Dr. Ahlt und Dose

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 21. Juni 2000 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Oberlandesgericht über die Verurteilung zur Zahlung von 41.683,19 DM nebst Zinsen hinaus zum Nachteil der Beklagten erkannt hat. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 4. September 1998 - in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 13. Januar 1999 - wird hinsichtlich des Feststellungsantrages zurückgewiesen. Im übrigen wird der Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen Kündigung eines gewerblichen Mietverhältnisses.
Der Kläger vermietete durch schriftlichen Mietvertrag vom 23. März 1990 an die Beklagte drei Lagerhallen nebst gewerblichen Flächen, Sanitär- und Sozialräumen zu einem monatlichen Mietzins von 19.500 DM zuzüglich Mehrwertsteuer. Nach § 2 Abs. 2 des Mietvertrages war das Mietverhältnis jeweils zum 30. Juni und 31. Dezember eines jeden Jahres unter Einhaltung einer Frist von 12 Monaten kündbar, für beide Parteien jedoch erstmals zum 31. Dezember 1992. Die Parteien vereinbarten in § 2 Abs. 6 des Mietvertrages, daß die Kündigung durch einen eingeschriebenen Brief zu erfolgen habe. Der Mietvertrag enthielt zudem in § 3 Abs. 2 eine Mietanpassungsklausel. Anläßlich der Bestellung eines dinglichen Vorkaufsrechts zugunsten der Beklagten wurde der Mietvertrag vom 23. März 1990 durch den notariellen Vertrag vom 25. Mai 1990 geringfügig modifiziert. Seit September 1991 fanden Verhandlungen der Parteien über die Anpassung des Mietzinses statt. Durch die Zusatzvereinbarung vom 8./18. Februar 1992 wurde der Mietzins für die Zeit ab 1. Oktober 1991 rückwirkend auf monatlich 21.444,68 DM zuzüglich Mehrwertsteuer festgelegt. Der Kläger verlangte ab Januar 1994 einen Nettomietzins in Höhe von 22.997,80 DM und ab Januar 1995 einen solchen in Höhe von 26.605,53 DM jeweils zuzüglich Mehrwertsteuer. Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 22. Juni 1995 das Mietverhältnis zum 30. Juni 1996. Dieses Schreiben übermittelte sie am 29. Juni 1995 dem Kläger per Telefax. In einem Anschreiben zu der Kündigungserklärung wies die Beklagte darauf hin, daß dem Kläger das Original des Kündigungsschreibens am darauffolgenden Tag über Herr Braun zugehen werde. Am 30. Juni 1995 wurde das Kündigungsschreiben gegen 10 Uhr in den Hausbriefkasten des Klägers eingeworfen. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger mit seiner Ehefrau verreist. Mit Schreiben vom 13. Juli 1995 wies der Kläger die Beklagte darauf
hin, daß er bis heute keine vertragsgemäße Kündigung erhalten habe. Durch Schreiben vom 18. Dezember 1995 verlangte der Kläger für den Zeitraum von 1993 bis 1995 rückständige Mietzinsen in Höhe von insgesamt 63.416,52 DM brutto und machte ab Januar 1996 einen monatlichen Mietzins von 27.813,48 DM brutto geltend. Die Beklagte erklärte durch Schreiben vom 19. Dezember 1995 erneut vorsorglich die Kündigung des Mietvertrages zum 31. Dezember 1996. Sie räumte das Mietobjekt zum 30. Juni 1996. Zwischen den Parteien besteht Streit, ob die Mietsache nach ihrer Rückgabe vermietbar war. Der Kläger verlangt mit der Klage Zahlung des Mietzinses für die zweite Jahreshälfte 1996 in Höhe von 166.880,88 DM sowie Zahlung der von ihm für die Jahre 1994, 1995 und die erste Jahreshälfte 1996 geforderten Mieterhöhungen von 70.165,44 DM. Hilfsweise macht er für die zweite Jahreshälfte 1996 einen Schadensersatz wegen entgangenen Gewinns geltend. Im übrigen beantragt er festzustellen, daß das Mietverhältnis aufgrund der Kündigung der Beklagten vom 19. Dezember 1995 erst zum 31. Dezember 1996 beendet worden ist. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 41.683,19 DM stattgegeben und im übrigen die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht das Urteil des Landgerichtes abgeändert und die Beklagte verurteilt, weitere 158.900,46 DM zu zahlen. Weiterhin hat es festgestellt, daß das Mietverhältnis erst aufgrund der Kündigung der Beklagten vom 19. Dezember 1995 zum 31. Dezember 1996 beendet wurde. Im übrigen hat es die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten , die der Senat angenommen hat.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils im Umfang der Anfechtung und hinsichtlich des Feststellungsantrags zur Zurückweisung der Berufung des Klägers. Im übrigen (Ziffer 1.1. des Tenors) führt sie zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Oberlandesgericht.

I.

Das Oberlandesgericht hat ausgeführt, dem Kläger stünden für den Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 1996 rückständige Mietzinsen in Höhe von 158.900,46 DM zu. Der Kläger könne für diesen Zeitraum Mietzinsen geltend machen, da die Kündigung der Beklagten vom 22. Juni 1995 das Mietverhältnis nicht mit Wirkung zum 30. Juni 1996 beendet habe. Die durch das Telefaxschreiben vom 29. Juni 1995 übermittelte Kündigung der Beklagten sei nicht fristgerecht zugegangen. Die Kündigung durch das Telefax habe zwar dem vertraglich festgelegten Formerfordernis genügt, da eine solche Übermittlung zur Wahrung der gewillkürten Schriftform im Sinne von § 127 BGB a.F. ausreiche. Ein Zugang einer Willenserklärung liege aber nur dann vor, wenn sie derart in den Bereich des Empfängers gelangt sei, daß dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit habe, von dem Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Aus dem Sendeprotokoll ergebe sich zwar, daß das Telefax am 29. Juni 1995 um 10.39 Uhr von dem Empfangsgerät des Klägers ausgedruckt worden sei. Der Kläger habe aber wegen seines Urlaubes erst nach dem 30. Juni 1995 von dem Telefax Kenntnis erlangt.
Ein fristgerechter Zugang der Kündigung sei auch nicht durch den am 30. Juni 1995 getätigten Einwurf des Kündigungsschreibens in den Hausbriefkasten des Klägers erfolgt. Es könne zwar zugunsten der Beklagten unterstellt werden, daß das vereinbarte Kündigungserfordernis per eingeschriebenem Brief keine Formvoraussetzung im Sinne der §§ 125 ff. BGB gewesen sei, sondern lediglich Beweisfunktion gehabt habe. Die Beklagte habe auch bewiesen, daß das Kündigungsschreiben vom 22. Juni 1995 in den Hausbriefkasten des Klägers am 30. Juli 1995 gegen 10 Uhr eingeworfen worden sei. Für den Zugang der Kündigung sei weiterhin unerheblich, daß der Kläger sich am 30. Juni 1995 auf einer Reise befunden habe. Für diesen Fall hätte er hinreichend Vorsorge dafür treffen müssen, daß die Kündigung, mit der er auch gerechnet habe , rechtzeitig ihm übermittelt werde. Die Kündigung habe den Hausbriefkasten des Klägers aber zu einer Tageszeit erreicht, zu der mit ihrer Entnahme nicht mehr zu rechnen gewesen sei. Nach den Auskunftsschreiben der Deutschen Post vom 3. April 2000 und vom 3. Mai 2000 sei zwar die übliche Zustellzeit in der Wohnstraße des Klägers zwischen 9.30 Uhr und 10.30 Uhr gewesen. Der Kläger habe jedoch bewiesen, daß zwischen ihm und dem Postzusteller eine Vereinbarung bestanden habe, nach der seine Post ihm regelmäßig zwischen 8.30 Uhr und 9.00 Uhr zugestellt worden sei. Innerhalb dieses Zeitraumes sei dem Kläger das Kündigungsschreiben nicht zugegangen. Dem Kläger stehe daher für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1996 ein Anspruch auf Zahlung von rückständigen Mietzinsen in Höhe von 158.900,46 DM zu. Die von dem Kläger verlangte Erhöhung des Mietzinses nach dem Lebenshaltungsindex sei indes nur in Höhe von 1.822,03 DM monatlich gerechtfertigt, woraus sich ein monatlicher Gesamtmietzins von 26.483,41 DM (24.661,38 + 1.822,03 DM) und damit ein Gesamtbetrag von 158.900,46 DM (26.483,41 x 6) errechne.

II.

Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten der rechtlichen Nachprüfung in entscheidenden Punkten nicht stand. 1. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist allerdings die Annahme des Berufungsgerichts, daß die in dem Mietvertrag vereinbarte Kündigungsform kein Wirksamkeitserfordernis darstellt. Die in § 2 Abs. 4 des Mietvertrages enthaltene Vertragsklausel beinhaltet die Abrede der Schriftform für die Kündigungserklärung und zusätzlich die Vereinbarung der besonderen Übersendungsart durch einen eingeschriebenen Brief. Bei einer solchen Klausel hat die Schriftform konstitutive Bedeutung im Sinne von § 125 Satz 2 BGB, während die Versendung als Einschreibebrief nur den Zugang der Kündigungserklärung sichern soll. Deswegen ist bei einer solchen Klausel regelmäßig nur die Schriftform als Wirksamkeitserfordernis für die Kündigungserklärung vereinbart, dagegen kann ihr Zugang auch in anderer Weise als durch einen Einschreibebrief wirksam erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 1996 - II ZR 65/85 - NJW-RR 1996, 866, 867; BAG, Urteil vom 20. September 1979 - 2 AZR 967/77 - NJW 1980, 1304; OLG Frankfurt, NJW-RR 1999, 955; Grapentin in: Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl. Kap. 4 Rdn. 13; MünchKomm/Einsele BGB 4. Aufl. § 130 Rdn. 12). Diesen Anforderungen hat die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung genügt, da die Übermittlung einer Willenserklärung durch ein Telefax zur Wahrung der gewillkürten Schriftform - die hier gegeben ist - ausreicht (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 1996 aaO 867). Das Berufungsgericht hat in der Vereinbarung der Parteien keine Anhaltspunkte dafür gesehen, daß sie darüber hinaus - abweichend von der genannten Rechtsprechung - hier eine besondere Zugangsart als Wirksamkeitserfordernis der Kündigung vereinbart hätten. Diese Auslegung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
2. Mit Erfolg wendet sich die Revision allerdings gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, die Kündigung der Beklagten vom 22. Juni 1995 sei dem Kläger nicht am 29. Juni 1995 durch das Telefax zugegangen.
a) Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber in dessen Abwesenheit abzugeben ist, wird in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Zugegangen ist eine Willenserklärung dann, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, daß dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen (vgl. BGH, Urteil vom 26. November 1997 - VIII ZR 22/97 - NJW 1998, 976, 977; BAG, Urteil vom 16. März 1988 - 7 AZR 587/87 - NJW 1989, 606; BGHZ 67, 271, 275; MünchKomm /Einsele aaO § 130 Rdn. 9; Staudinger/Rolfs BGB - Neubearbeitung 2003 - § 542 Rdn. 29). Willenserklärungen, die durch Fernschreiben oder ein Telefax übermittelt werden, gehen grundsätzlich mit Abschluß des Druckvorganges am Empfangsgerät des Adressaten diesem zu (vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 1994 - VIII ZR 153/93 - NJW 1995, 665, 667; BGHZ 101, 276, 280; MünchKomm/Einsele aaO § 130 Rdn. 20). Allerdings ist der Zugang erst dann vollendet, wenn die Kenntnisnahme durch den Empfänger möglich und nach der Verkehrsanschauung zu erwarten ist. Daher ist auch bei einer Übermittlung per Telefax auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem sich der Empfänger nach den Gepflogenheiten der Verkehrsanschauung Kenntnis vom Inhalt der Willenserklärung verschaffen konnte (vgl. BGHZ 67 aaO 275; OLG Rostock, NJW-RR 1998, 526, 527; Soergel/Hefermehl BGB 13. Aufl. § 130 Rdn. 8, 13 b, 13 c; MünchKomm/Einsele aaO § 130 Rdn. 20).
b) Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist das Telefax am 29. Juni 1995 um 10.39 Uhr von dem Empfangsgerät des Klägers ausgedruckt worden. Für die Wirksamkeit des Zuganges ist es unbeachtlich , daß der Kläger im Zeitpunkt des Ausdruckes wegen seines Urlaubes
nicht anwesend war. Das Berufungsgericht hat verkannt, daß die objektive Möglichkeit zur Kenntniserlangung im abstrakten Sinn zu verstehen ist und daher für den Zugang der Kündigung eine tatsächliche Kenntnisnahme des Klägers nicht erforderlich war. Es genügt, daß die Willenserklärung in den Bereich des Empfängers gelangt ist und zwar so, daß sie üblicherweise - nicht zufällig - alsbald wahrgenommen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 1997 aaO 977; Soergel/Hefermehl aaO § 130 Rdn. 8). Hierbei hat der Empfänger die Risiken seines räumlichen Machtbereiches zu tragen. Führen diese dazu, daß der Empfänger vom Inhalt der Willenserklärung entweder verspätet oder gar nicht Kenntnis nimmt, sind diese dem Empfänger zuzurechnen, wenn die Erklärung in seinen räumlichen Machtbereich gelangt ist. Daher geht eine Willenserklärung auch dann zu, wenn der Empfänger durch Krankheit oder - wie hier - durch Urlaub daran gehindert ist, von dem Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. In diesem Fall trifft den Empfänger die Obliegenheit, die nötigen Vorkehrungen zu treffen. Unterläßt er dies, so wird der Zugang durch solche - allein in der Person des Empfängers liegenden - Gründe nicht ausgeschlossen (vgl. BAG, Urteil vom 16. März 1988 aaO 607; MünchKomm/Einsele aaO § 130 Rdn. 35; Soergel/Hefermehl aaO § 130 Rdn. 11).
c) Ohne Erfolg beanstandet die Revisionserwiderung mit der Gegenrüge, daß es sich bei dem Telefaxschreiben lediglich um eine Ankündigung der Kündigungserklärung gehandelt habe. Ausweislich des der Kündigungserklärung vorangestellten Anschreibens hat die Beklagte mit dem Telefax die Kündigung ausdrücklich erklärt. Lediglich das Original des Schreibens sollte nach dem Inhalt des Anschreibens am nächsten Tag dem Kläger persönlich übergeben werden. Mit der Nachsendung des Originals wollte die Beklagte den bekannten Unsicherheiten der fernmeldetechnischen Übermittlung Rechnung tragen. Die Übergabe des Originals der Kündigung und die darin enthaltene Empfangsbe-
stätigung hatten daher lediglich Beweisfunktion, während durch das Telefaxschreiben die Rechtzeitigkeit der Kündigungserklärung gewahrt werden sollte. 3. Es kommt folglich nicht mehr darauf an, ob die Kündigung durch den Einwurf des Kündigungsschreibens in den Hausbriefkasten dem Kläger fristgerecht zugegangen ist. Insoweit kann aber nicht dem Oberlandesgericht gefolgt werden, daß es für den Zugang der Kündigung auf die mit dem Postzusteller individuell vereinbarte Abrede ankommt, nach der die Post dem Kläger üblicherweise zwischen 8.30 Uhr und 9.00 Uhr zugestellt werden sollte. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ist die Kündigungserklärung am 30. Juni 1995 um 10 Uhr in dem Briefkasten des Klägers geworfen worden. Der Zugang der Kündigung ist an dem Tag bewirkt worden, an dem nach der Verkehrsanschauung mit der Leerung des Briefkastens noch gerechnet werden konnte. Erreicht eine Willenserklärung den Briefkasten des Empfängers zu einer Tageszeit, zu der nach den Gepflogenheiten des Verkehrs eine Entnahme durch den Adressaten nicht mehr erwartet werden kann, so ist sie an diesem Tag nicht mehr zugegangen (vgl. BayVerfGH, NJW 1993, 517, 519). Dabei ist nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers, sondern im Interesse der Rechtssicherheit auf die Verkehrsanschauung abzustellen (vgl. Palandt/Heinrichs BGB 63. Aufl. § 130 Rdn. 6). Da Postsendungen - nach den Auskünften der Post AG - in der von dem Kläger bewohnten Straße üblicherweise in der Zeit von 8.30 Uhr bis 10.30 Uhr zugestellt werden, war nach der objektiven Verkehrsanschauung mit der Leerung des Briefkastens um 10.00 Uhr noch zu rechnen. 4. Das BG hat von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig keine Feststellungen darüber erhoben, ob die Klageforderung unter dem Gesichtpunkt des hilfsweise geltend gemachten Schadensersatzanspruches begründet ist. Die Revisionserwiderung hat mit der in der mündlichen Verhandlung erho-
benen Gegenrüge zu Recht beanstandet, daß hinsichtlich des Bestehens eines Schadensersatzes wegen entgangenen Gewinns weitere Feststellungen notwendig sind, die der Senat nicht treffen kann. Die Sache war daher zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Hahne Sprick Fuchs Ahlt Dose

Tatbestand

1

A. I. Vorgelegte Rechtsfrage

2

Der VIII. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat durch Beschluss vom 7. Februar 2013 VIII R 2/09 (BFHE 241, 107, BStBl II 2013, 823) dem Großen Senat des BFH folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:

3

Ist im Fall einer zulässigen Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten, die gegen zwingende Zustellungsvorschriften verstößt, weil der Zusteller entgegen § 180 Satz 3 der Zivilprozessordnung (ZPO) auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung nicht vermerkt hat, das zuzustellende Schriftstück i.S. von § 189 ZPO bereits in dem Zeitpunkt dem Empfänger tatsächlich zugegangen und gilt deshalb als zugestellt, in dem nach dem gewöhnlichen Geschehensablauf mit einer Entnahme des Schriftstücks aus dem Briefkasten und der Kenntnisnahme gerechnet werden kann, auch wenn der Empfänger das Schriftstück erst später in die Hand bekommt?

4

II. Sachverhalt

5

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erließ unter dem 22. August 2005 gegenüber den zusammenveranlagten Klägern und Revisionsklägern (Kläger) einen geänderten Einkommensteuerbescheid 2002.

6

Nach erfolglosem Einspruch wies das Finanzgericht (FG) die Klage mit aufgrund mündlicher Verhandlung verkündetem Urteil vom 16. Dezember 2008  10 K 4614/05 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 554) ab und ließ die Revision zu. Die für die Kläger bestimmte Ausfertigung des Urteils wurde den damaligen Prozessbevollmächtigten der Kläger, drei in einer Sozietät zusammengeschlossenen Rechtsanwälten, im Wege eines Zustellungsauftrags durch die Deutsche Post AG zugestellt. In der vom Zusteller unterzeichneten Zustellungsurkunde wird angegeben, dass der Umschlag nach dem vergeblichen Versuch der Übergabe in einen zum Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt wurde. Als Tag der Zustellung wurde der 24. Dezember 2008 (Mittwoch) ohne Angabe einer Uhrzeit in die Zustellungsurkunde eingetragen.

7

Die Revisionsschrift der Prozessbevollmächtigten der Kläger vom 26. Januar 2009 ging am Dienstag, den 27. Januar 2009, beim BFH ein. Nach einem telefonischen Hinweis der Geschäftsstelle des zuständigen VIII. Senats, dass die Frist zur Einlegung der Revision bereits am 26. Januar 2009 abgelaufen sei, widersprachen die Prozessbevollmächtigten dem mit Schriftsatz vom 28. Januar 2009 und stellten zugleich (hilfsweise) namens der Kläger einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Revisionsfrist.

8

Die Kläger tragen vor, das Urteil sei ihren Prozessbevollmächtigen erst am 29. Dezember 2008 (Montag) zugegangen. Die Kanzlei sei vom 24. bis 28. Dezember 2008 nicht geöffnet gewesen. Die für die Leerung des Briefkastens sowie die Öffnung und Verteilung der Eingangspost zuständige Rechtsanwaltsfachangestellte B habe die Sendung am 29. Dezember 2008 im Kanzleibriefkasten vorgefunden. Dem bearbeitenden Rechtsanwalt habe B auf sofortige Nachfrage gesagt, der Brief sei am 29. Dezember 2008 eingegangen. Auf dem Briefumschlag fehle die Angabe des Tags der Zustellung. Für den Beginn der Revisionsfrist komme es auf den Tag an, an dem der Prozessbevollmächtigte das zuzustellende Urteil in die Hand bekommen habe, also den 29. Dezember 2008. Danach sei die Revision rechtzeitig eingelegt worden. Hilfsweise sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren; ein möglicher Fehler von B könne den Klägern nicht zugerechnet werden.

9

Zur Glaubhaftmachung ihres Vortrags haben die Kläger einen Briefumschlag für eine förmliche Zustellung mit einem Absenderstempel des FG übersandt und beziehen sich im Übrigen auf Versicherungen an Eides statt ihres bearbeitenden Prozessbevollmächtigten und B. Der Briefumschlag enthält im Feld "zugestellt am" keine Eintragung. Handschriftlich ist auf dem Umschlag vermerkt: "Eingang am Montag 29.12.08 laut Frau B ... und Frau T ...".

10

Der vorlegende Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Briefzustellers als Zeugen über die Frage, zu welcher Tageszeit das Urteil des FG (am 24. Dezember 2008) in den Briefkasten der Prozessbevollmächtigten der Kläger eingeworfen worden ist.

11

III. Vorlagebeschluss des VIII. Senats

12

1. Die Vorlagefrage ist nach Auffassung des VIII. Senats zu bejahen. Das Dokument sei dem Empfänger i.S. des § 189 ZPO (hier i.V.m. § 53 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) bereits in dem Zeitpunkt tatsächlich zugegangen, in dem nach dem gewöhnlichen Geschehensablauf mit einer Entnahme des Schriftstücks aus dem Briefkasten und der Kenntnisnahme gerechnet werden könne.

13

Für den Begriff des Zugangs i.S. des § 189 ZPO sei auf den allgemeinen Zugangsbegriff in § 130 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zurückzugreifen. Da § 189 ZPO für unterschiedliche Fallgruppen fehlerhafter und deswegen unwirksamer Zustellungen Heilungsmöglichkeiten anbieten solle, sei die Vorschrift fallgruppenbezogen auszulegen, nämlich zumindest einerseits für die Fälle, in denen sich die formgerechte Zustellung nicht nachweisen lasse, sowie andererseits für die Fälle, in denen das Dokument unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen sei. Der Zustellungsfiktion könne nur der Regelungswille entnommen werden sicherzustellen, dass dem Adressaten das Schriftstück ungeachtet etwaiger Zustellungsmängel auch tatsächlich --in der vom Zustellenden in den Verkehr gegebenen verkörperten Form-- zugänglich gemacht worden sei. Die Adressaten fehlerhaft zugestellter Schriftstücke dürften nicht schlechter gestellt werden als die Adressaten ordnungsgemäß zugestellter Dokumente. Sie darüber hinaus gegenüber Adressaten verfahrensfehlerfreier Ersatzzustellungen besser zu stellen, sei nicht Regelungszweck des § 189 ZPO.

14

Unter den Umständen des Streitfalls seien die objektiv-rechtlichen Zwecke der Zustellungsvorschriften höher als der Schutz des Adressaten zu bewerten. Für die normative Bestimmung des Heilungszeitpunkts spreche vor allem, dass nur sie dem objektiven Zustellungszweck zum Durchbruch verhelfe, den Zeitpunkt der Zustellung auch im Fall der Heilung einer zunächst fehlgeschlagenen Zustellung rechtssicher bestimmen zu können. Der Zustellungsempfänger könne den durch das Fehlen des Datumsvermerks hervorgerufenen Zweifel über das Datum der Zustellung durch einen Anruf bei Gericht beseitigen; dadurch seien seine Interessen ausreichend gewahrt.

15

2. Der VIII. Senat hält die vorgelegte Rechtsfrage für entscheidungserheblich.

16

Nach seiner Meinung hat die Einlegung der Sendung in den Briefkasten nicht zu einer nach § 180 Satz 2 ZPO wirksamen Ersatzzustellung geführt, weil das Datum der Zustellung nicht auf dem Umschlag vermerkt und damit gegen die Formvorschrift des § 180 Satz 3 ZPO verstoßen worden sei. Die Missachtung dieser Formvorschrift führe zur Unwirksamkeit der Ersatzzustellung. Der Zustellungsmangel könne nur nach § 189 ZPO geheilt worden sein. Danach gelte das Dokument in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es dem Empfänger tatsächlich zugegangen sei.

17

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei das zuzustellende FG-Urteil am Vormittag des 24. Dezember 2008 in den Briefkasten der Bevollmächtigten der Kläger eingeworfen worden. Der Senat vertrete im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu Zustellungen an auf einen Werktag fallenden Silvestertagen die Auffassung, dass am 24. Dezember zumindest bis zum Mittag mit einer Kenntnisnahme von Geschäftspost gerechnet werden könne.

18

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionseinlegungsfrist sei nicht zu gewähren. Die Kläger hätten die Frist nicht ohne Verschulden versäumt, denn sie müssten sich ein Verschulden ihres Bevollmächtigten zurechnen lassen. Im Fall von Zustellungen von Amts wegen nach §§ 166 ff. ZPO müsse der Prozessbevollmächtigte die Fristberechnung anhand des auf dem Zustellungskuvert angebrachten Zustellungsvermerks des Postbediensteten selbst nachprüfen. Fehle der Datumsvermerk, so müsse sich der Prozessbevollmächtigte auf andere Weise --z.B. durch Rückfrage beim FG-- über das Zustellungsdatum erkundigen. Dies sei hier unterblieben.

19

3. Wegen der Begründung der Vorlage im Einzelnen wird auf den Vorlagebeschluss in BFHE 241, 107, BStBl II 2013, 823 Bezug genommen.

20

IV. Rechtsgrund der Vorlage

21

Der VIII. Senat stützt die Vorlage sowohl auf § 11 Abs. 2 FGO als auch auf Abs. 4 der Vorschrift.

22

Die Klärung der vorgelegten Rechtsfrage habe grundsätzliche Bedeutung. Wegen der unterschiedlichen Auffassungen der mit der Rechtsfrage bisher befassten BFH-Senate I, II, VI und VIII sowie den verschiedenen Ansichten in der Literatur sei eine Entscheidung durch den Großen Senat erforderlich, um eine einheitliche Rechtsauslegung für die Zukunft zu gewährleisten.

23

Mit seiner Auslegung des Merkmals "tatsächlich zugegangen" des § 189 ZPO weiche der vorlegende Senat von dem Beschluss des VI. Senats vom 19. September 2007 VI B 151/06 (BFH/NV 2007, 2332) ab. Der VI. Senat habe mitgeteilt, er stimme einer Abweichung von seiner Rechtsauffassung nicht zu.

Entscheidungsgründe

24

B. I. Zulässigkeit der Vorlage

25

Die Vorlage des VIII. Senats ist zulässig.

26

1. Die Zulässigkeit der Vorlage ergibt sich bereits aus § 11 Abs. 2 und 3 FGO. Der Große Senat entscheidet nach § 11 Abs. 2 FGO, wenn ein Senat des BFH in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats oder des Großen Senats abweichen will. Die Auffassung des vorlegenden Senats weicht von derjenigen des VI. Senats des BFH in BFH/NV 2007, 2332 ab. Dieser Beschluss kann Gegenstand einer Divergenz i.S. des § 11 Abs. 2 FGO sein.

27

Der von § 11 Abs. 3 FGO vorausgesetzte Begriff der "Entscheidung" umfasst grundsätzlich auch Beschlüsse (BFH-Beschlüsse vom 28. November 1977 GrS 4/77, BFHE 124, 130, BStBl II 1978, 229, unter C.I.1., und vom 10. März 1969 GrS 4/68, BFHE 95, 366, BStBl II 1969, 435, unter 1.). Eine Abweichung i.S. des § 11 Abs. 2 FGO setzt weiter voraus, dass mit dem Beschluss das seinerzeitige Verfahren abgeschlossen und die nach Meinung des anfragenden Senats nun abweichend zu beantwortende Rechtsfrage endgültig entschieden wurde (vgl. Brandis in Tipke/ Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 11 FGO Rz 4; Müller-Horn in Beermann/Gosch, FGO § 11 Rz 8; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 11 Rz 11; Sunder-Plassmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 11 FGO Rz 29). Diese Voraussetzungen können auch erfüllt sein, wenn mit dem Beschluss eine Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen wird und die abschließende Entscheidung über die Rechtsfrage die Entscheidung trägt.

28

Mit dem Beschluss in BFH/NV 2007, 2332 hat der VI. Senat eine Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet zurückgewiesen, nachdem er sie zuvor als zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt beurteilt hat. Die Entscheidung über die Begründetheit der Nichtzulassungsbeschwerde setzt deren Zulässigkeit voraus und beinhaltet deshalb eine abschließende Beantwortung der für die Wahrung der Einlegungsfrist bedeutsamen Rechtsfragen. Der Beschluss des VI. Senats in BFH/NV 2007, 2332 ist danach eine Entscheidung, von der i.S. des § 11 Abs. 2 FGO in Bezug auf Rechtsfragen abgewichen werden kann, die die Zulässigkeit der Beschwerde betreffen.

29

In Bezug auf eine solche Rechtsfrage, nämlich die Frage, wann ein Dokument i.S. des § 189 ZPO als bekanntgegeben gilt, weicht die Auffassung des vorlegenden Senats von dem Beschluss des VI. Senats des BFH in BFH/NV 2007, 2332 ab.

30

Der VI. Senat hat auf Anfrage des vorlegenden Senats mit Beschluss vom 13. November 2012 VI ER-S 3/12 der Abweichung nicht zugestimmt.

31

2. Die Zulässigkeit der Vorlage ergibt sich darüber hinaus auch aus § 11 Abs. 4 FGO. Eine Vorlage, die nach Durchführung des Anfrageverfahrens auf Divergenz gestützt wird, kann zusätzlich auch auf den Anfragegrund der grundsätzlichen Bedeutung gestützt werden.

32

Die vorgelegte Rechtsfrage war bereits Gegenstand von Entscheidungen mehrerer Senate und kann in Entscheidungen jedes Senats entscheidungserheblich zu beantworten sein. Der vorlegende Senat hat der Rechtsfrage deshalb zutreffend grundsätzliche Bedeutung beigemessen.

33

II. Entscheidungserheblichkeit der Vorlage

34

Die vorgelegte Rechtsfrage ist für die Entscheidung des VIII. Senats erheblich. Bei Verneinung der Vorlagefrage entsprechend der Rechtsauffassung des VI. Senats wäre die Revision der Kläger zulässig, denn der Zustellungsmangel wäre dann am 29. Dezember 2008 dadurch geheilt worden, dass der Bevollmächtigte der Kläger die Ausfertigung des FG-Urteils "in den Händen hielt". Die Frist zur Einlegung der Revision wäre bei Eingang der Revisionsschrift am 27. Januar 2009 noch nicht abgelaufen gewesen. Der vorlegende Senat ginge dann ausweislich des Vorlagebeschlusses von der Zulässigkeit der Revision aus, so dass die Revision nicht nach § 126 Abs. 1 FGO durch Beschluss zu verwerfen wäre. Es müsste vielmehr durch Urteil über die Begründetheit der Revision entschieden werden.

35

III. Entscheidung des Großen Senats über die vorgelegte Rechtsfrage

36

1. Rechtsgrundlagen

37

Nach § 104 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ist ein aufgrund mündlicher Verhandlung verkündetes Urteil den Beteiligten zuzustellen. Zugestellt wird von Amts wegen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (§ 53 Abs. 2 FGO).

38

Zustellung ist nach § 166 Abs. 1 ZPO die Bekanntgabe eines Dokuments an eine Person in der von §§ 166 ff. ZPO bestimmten Form. Ein Zustellungsauftrag kann der Post erteilt werden, indem dieser das zuzustellende Schriftstück in einem verschlossenen Umschlag sowie ein vorbereitetes Formular einer Zustellungsurkunde übergeben wird (§ 176 Abs. 1 ZPO). Für die Ausführung der Zustellung gelten §§ 177 bis 181 ZPO176 Abs. 2 ZPO). Das Schriftstück kann der Person, der zugestellt werden soll, an jedem Ort übergeben werden, an dem sie angetroffen wird (§ 177 ZPO). Wird die Person, der zugestellt werden soll, in ihrer Wohnung, in dem Geschäftsraum oder in einer Gemeinschaftseinrichtung, in der sie wohnt, nicht angetroffen, und kann das Schriftstück auch nicht einer der in § 178 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 ZPO genannten Personen übergeben werden, kann nach § 180 Satz 1 ZPO das Schriftstück in einen zu der Wohnung oder dem Geschäftsraum gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung, die der Adressat für den Postempfang eingerichtet hat und die in der allgemein üblichen Art für eine sichere Aufbewahrung geeignet ist, eingelegt werden. Mit der Einlegung gilt das Schriftstück als zugestellt (§ 180 Satz 2 ZPO). Nach § 180 Satz 3 ZPO vermerkt der Zusteller auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung. Zum Nachweis der Zustellung ist eine Urkunde auf dem hierfür vorgesehenen Formular anzufertigen (§ 182 Abs. 1 Satz 1 ZPO), die u.a. die Bemerkung enthalten muss, dass der Tag der Zustellung auf dem Umschlag, der das zuzustellende Schriftstück enthält, vermerkt ist (§ 182 Abs. 2 Nr. 6 ZPO).

39

Zustellungsmängel werden unter den Voraussetzungen des § 189 ZPO geheilt. Die Vorschrift lautet:

40

"Lässt sich die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen oder ist das Dokument unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, so gilt es in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Dokument der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist."

41

2. Rechtsentwicklung

42

Die Vorschriften über die Zustellung im Gerichtsverfahren sind durch das Zustellungsreformgesetz (ZustRG) vom 25. Juni 2001 (BGBl I 2001, 1206) novelliert worden. Die Neuregelungen sind am 1. Juli 2002 in Kraft getreten (Art. 4 ZustRG).

43

Bis zum Inkrafttreten des Zustellungsreformgesetzes hatte § 53 Abs. 2 FGO a.F. bestimmt, dass Zustellungen von Amts wegen nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) vorzunehmen waren. Für Zustellungen durch die Post verwies § 3 Abs. 3 VwZG auf §§ 180 bis 186 und 195 Abs. 2 ZPO damaliger Fassung (ZPO a.F.). Eine Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten war dort nicht vorgesehen. Zur Heilung von Zustellungsmängeln bestimmte § 9 Abs. 1 VwZG für den Fall, dass sich die formgerechte Zustellung des Schriftstücks nicht nachweisen ließ oder das Schriftstück unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen war, dass dieses als in dem Zeitpunkt zugestellt gelte, in dem der Empfangsberechtigte es nachweislich erhalten habe. Dies galt nach § 9 Abs. 2 VwZG aber nicht, wenn mit der Zustellung eine Rechtsmittelfrist begann. In ähnlicher Weise war auch für nach der Zivilprozessordnung zu bewirkende Zustellungen eine Heilung nur möglich (§ 187 Satz 1 ZPO a.F.), soweit nicht durch die Zustellung der Lauf einer Notfrist in Gang gesetzt werden sollte (§ 187 Satz 2 ZPO a.F.).

44

Das Zustellungsreformgesetz verfolgte das Ziel, das Zustellungsrecht zu vereinfachen. Insbesondere sollte "die kostenaufwendige und für den Zustellungsadressaten oftmals umständliche beurkundete Zustellung durch Niederlegung soweit wie vertretbar vermieden" werden (Begründung des Regierungsentwurfs, BTDrucks 14/4554, 13). Dies sollte u.a. durch Einführung der beurkundeten Ersatzzustellung durch Einlegen des Schriftstücks in den Briefkasten sowie durch eine erweiterte Heilung von Zustellungsmängeln erreicht werden. Zustellungszweck sei es, dem Adressaten angemessene Gelegenheit zur Kenntnisnahme eines Schriftstücks zu verschaffen und den Zeitpunkt dieser Bekanntgabe zu dokumentieren. Lasse sich die formgerechte Zustellung nicht nachweisen oder seien zwingende Zustellungsvorschriften verletzt worden, gelte ein Schriftstück in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es der Adressat oder ein Empfangsberechtigter erhalten habe. Das Gericht prüfe in diesen Fällen in freier Beweiswürdigung des Sachverhalts, ob der Zustellungszweck erreicht und wann das geschehen sei. Das gelte auch dann, wenn die Zustellung eine Notfrist in Gang setze (BTDrucks 14/4554, 14). In der Einzelbegründung zu der Neuregelung der Heilung in § 189 ZPO heißt es (BTDrucks 14/4554, 24 f.):

45

"Nach dem Vorbild des § 9 Abs. 1 [VwZG] soll deshalb ein Schriftstück als zu dem Zeitpunkt zugestellt gelten, in dem es der Zustellungsadressat oder ein Empfangsberechtigter nachweislich erhalten hat. Unter diesen Voraussetzungen ist ein Zustellungsmangel auch dann geheilt, wenn durch die Zustellung der Lauf einer Notfrist in Gang gesetzt werden soll. Wenn eine fehlerhafte Zustellung mit dem Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs an den Adressaten oder einen Empfangsberechtigten wirksam wird, muss das für jede Zustellung gelten. Treten Fehler auf, so darf deren Beseitigung nicht zu Lasten einer Partei gehen, wenn feststeht, dass das zuzustellende Schriftstück der Person tatsächlich zugegangen ist, an die es gerichtet war oder dem Gesetz gemäß gerichtet werden konnte."

46

Die vorgeschlagenen neuen §§ 181 und 189 ZPO wurden im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zum Zustellungsreformgesetz nicht geändert und gingen deshalb in der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Fassung in den Gesetzesbeschluss ein.

47

3. Rechtsprechung

48

a) Vor Ergehen des Vorlagebeschlusses war der BFH --soweit anhand der veröffentlichten Entscheidungen ersichtlich-- in vier Fällen mit der Auslegung des § 189 ZPO befasst.

49

aa) Im Fall des Beschlusses vom 19. Januar 2005 II B 38/04 (BFH/NV 2005, 900) war ein Urteil des FG durch Einlegen in den Briefkasten am 13. März 2004, einem Samstag, zugestellt worden, ohne dass der Zusteller das Datum der Zustellung auf dem Briefumschlag vermerkt hatte. Die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde war am 14. Mai 2004 beim BFH eingegangen. Der BFH kam zu dem Ergebnis, dass die Frist von zwei Monaten gemäß § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO noch nicht abgelaufen gewesen sei, und entschied, die Beschwerdebegründung sei zwar rechtzeitig eingegangen, sie entspreche aber nicht den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. Weil der Prozessbevollmächtigte erklärt hatte, dass in seiner Kanzlei an Samstagen üblicherweise nicht gearbeitet werde, und das Urteil in der Kanzlei mit dem Eingangsstempel vom 15. März 2004 (Montag) versehen worden war, ging der II. Senat davon aus, dass das Urteil dem Prozessbevollmächtigten am 15. März 2004 tatsächlich zugegangen sei. Dieser Zeitpunkt --nicht der Zeitpunkt des Einlegens in den Briefkasten der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers (13. März 2004)-- sei für die Zustellung des FG-Urteils maßgebend (§ 189 ZPO).

50

bb) Dem zur Anrufung des Großen Senats wegen Divergenz führenden Beschluss des VI. Senats in BFH/NV 2007, 2332 liegt die Auffassung zugrunde, für den Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs i.S. des § 189 ZPO komme es darauf an, dass das zuzustellende Schriftstück derart in die Hände des Zustellungsadressaten gelangt sei, dass dieser es behalten und von seinem Inhalt Kenntnis nehmen könne. Im dortigen Fall war das angefochtene FG-Urteil ausweislich der Zustellungsurkunde am 17. November 2006 (Freitag) durch Einlegen in den Briefkasten des Klägers zugestellt worden. Auf dem Briefumschlag befand sich kein Vermerk über das Datum der Zustellung. Die Beschwerde war am 21. Dezember 2006 eingelegt worden. Nach eigenen Angaben hatte der Kläger am 23. November 2006 Kenntnis von der Zustellung erhalten. Diesen Tag betrachtete der VI. Senat als Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs i.S. des § 189 ZPO.

51

cc) Der IX. Senat hat mit Beschluss vom 9. März 2009 IX B 120/08 (BFH/NV 2009, 964) den rechtzeitigen Eingang einer Nichtzulassungsbeschwerde unter Hinweis auf § 189 ZPO bejaht. Von den näheren Umständen der Zustellung ist dem Beschluss nur zu entnehmen, dass durch Einlegen in den Briefkasten zugestellt wurde, die Zustellungsurkunde aber in Folge des Fehlens einer Unterschrift unvollständig war. Der IX. Senat führte aus, der Zustellungsmangel führe nicht zur Unwirksamkeit der Zustellung, sondern das FG-Urteil gelte nach § 189 ZPO in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es der betreffenden Person tatsächlich zugegangen sei. Das sei hier Montag, der 26. Mai 2008, gewesen. Aufgrund welcher Umstände dieser Tag als Tag des Zugangs angesehen wurde, ist aus dem Beschluss nicht ersichtlich.

52

dd) In seinem Urteil vom 21. September 2011 I R 50/10 (BFHE 235, 255, BStBl II 2012, 197) hat der I. Senat der Revision gegen ein Urteil stattgegeben, das nach Angaben des FG am 29. Mai 2010 (Samstag) durch Einlegen in den Briefkasten des Prozessbevollmächtigten zugestellt und gegen das Revision am 30. Juni 2010 eingelegt worden war. Auf dem Umschlag fehlte der Vermerk über das Datum der Zustellung. Der I. Senat hielt die Revisionsfrist nicht für versäumt, weil er den Angaben des Prozessbevollmächtigten folgend davon ausging, diesem sei das Schriftstück mit Öffnen der Post am Montag, dem 31. Mai 2010, tatsächlich zugegangen. Unter Bezugnahme auf den Beschluss des VI. Senats in BFH/NV 2007, 2332 vertrat der I. Senat die Auffassung, der tatsächliche Zugang i.S. des § 189 ZPO setze voraus, dass das zuzustellende Schriftstück derart in die Hände des Zustellungsadressaten gelangt sei, dass dieser es behalten und von seinem Inhalt Kenntnis nehmen könne.

53

b) Im Übrigen war die Frage, zu welchem Zeitpunkt ein nach § 180 ZPO durch Einlegen in den Briefkasten des Adressaten unter Verletzung von Formvorschriften zugestelltes Dokument i.S. des § 189 ZPO dem Adressaten tatsächlich zugegangen ist, --soweit ersichtlich-- nur in einem Urteil des Landessozialgerichts (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 17. Januar 2013 L 9 AL 173/11, juris) von entscheidungserheblicher Bedeutung. In diesem Urteil heißt es, eine Heilung gemäß § 189 ZPO setze die Feststellung des Zeitpunktes voraus, in dem das Schriftstück (ggf. spätestens) in die Hände des Adressaten gelangt sei. Das LSG bezog sich dabei auf einen Beschluss des BGH (Beschluss vom 21. Dezember 1983 IVb ZB 29/82, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1984, 926), der allerdings die Auslegung des § 187 ZPO a.F. betrifft.

54

4. Schrifttum

55

a) Im Schrifttum wird überwiegend in Anlehnung an die Formel des BGH-Beschlusses in NJW 1984, 926 (ebenso BGH-Urteile vom 21. März 2001 VIII ZR 244/00, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2001, 1200; vom 22. November 1988 VI ZR 226/87, NJW 1989, 1154) die Auffassung vertreten, es müsse eine zuverlässige Kenntnis von dem zuzustellenden Schriftstück vermittelt werden, was im Allgemeinen dann geschehen sei, wenn der Adressat der Zustellung trotz Verletzung der Zustellungsvorschriften das zuzustellende Schriftstück "in die Hand bekommen" habe (MünchKommZPO/Häublein, 4. Aufl., § 189 Rz 8; Prütting/Gehrlein, ZPO, 5. Aufl., § 189 Rz 4; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 189 Rz 7; Hüßtege in Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung, 35. Aufl., § 189 Rz 8; Wittschier in Musielak, ZPO, 11. Aufl., § 189 Rz 3; Zöller/ Stöber, ZPO, 30. Aufl., § 189 Rz 4; ebenso zu § 8 VwZG: Kruse in Tipke/Kruse, a.a.O., § 8 VwZG Rz 1; Schwarz in HHSp, § 8 VwZG Rz 5).

56

Rohe (Wieczorek/Schütze/Rohe, 4. Aufl., § 189 ZPO Rz 26) weist darauf hin, dass § 189 ZPO gegenüber dem früheren § 187 ZPO a.F. präziser gefasst worden sei, indem der "tatsächliche" Zugang beim Adressaten verlangt werde. Dies setze abweichend von den Zugangsregeln des bürgerlichen Rechts die gegenständliche Übernahme des Schriftstücks durch den Adressaten selbst voraus. Der bloße Eintritt in den Machtbereich genüge dagegen nicht. Eine Heilung sei nur gerechtfertigt, wenn das Recht des Adressaten auf rechtliches Gehör tatsächlich und nicht nur potenziell gewahrt werde.

57

Nach Zimmermann (ZPO, 8. Aufl., § 189 Rz 2) setzt der Zugang voraus, dass das Schriftstück gegenständlich in die Hände des Adressaten gelangt ist. Das Datum des Zugangs sei notfalls durch Beweisaufnahme zu ermitteln. In der Regel begnüge man sich mit dem Datum, das der Empfänger einräume (Hinweis auf Zustellung gegen Empfangsbekenntnis nach § 174 ZPO).

58

Brandis (in Tipke/Kruse, a.a.O., § 53 FGO Rz 31) vertritt die Auffassung, der tatsächliche, nicht der vermutete Zugang heile den Zustellungsfehler. Die Frist beginne dann im Zeitpunkt dieser "fiktiven Zustellung".

59

b) Der Vorlagebeschluss des VIII. Senats (BFHE 241, 107, BStBl II 2013, 823) ist im Schrifttum teils zustimmend, teils ablehnend aufgenommen worden.

60

Steinhauff (juris PraxisReport Steuerrecht 45/2013 Anm. 6) hält die im Vorlagebeschluss vertretene Auffassung für zutreffend. Wenn auf den Zeitpunkt abgestellt werde, in dem der Empfänger das Schriftstück tatsächlich in die Hände genommen habe, sei ein angemessener Ausgleich zwischen den Interessen des Zustellenden und des Zustellungsempfängers nicht gewährleistet. Der Empfänger habe es in der Hand, den Zeitpunkt der Heilung hinauszuzögern, weil nur er über diesen Auskunft erteilen könne. Dies sei nicht damit zu vereinbaren, dass die Zustellungsvorschriften objektiv dazu dienten, den Zeitpunkt für alle Beteiligten gleichermaßen rechtssicher zu bestimmen. Marfels (Steuerberaterwoche 2013, 842) hält den Vorlagebeschluss ebenfalls für überzeugend begründet.

61

Kritisch wird der Vorlagebeschluss von Carlé (Deutsche Steuer-Zeitung 2013, 652) besprochen. Der Beschluss berücksichtige nicht, dass die Zugangsfiktion abweichend vom sonstigen Abgabenrecht auf die tatsächliche Kenntnisnahme abstelle und nicht auf den dem gewöhnlichen Gang der Dinge entsprechenden unterstellten Sachverhalt.

62

IV. Auffassung des Großen Senats

63

1. Als Vorfrage zur Vorlage hat der VIII. Senat § 180 Satz 3 ZPO, wonach vom Zusteller auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung zu vermerken ist, als eine der nach § 189 ZPO heilbaren zwingenden Zustellungsvorschriften beurteilt. An diese Rechtsauffassung ist der Große Senat gebunden, er teilt sie auch (ebenso BFH-Urteil in BFHE 235, 255, BStBl II 2012, 197, Rz 9, m.w.N.).

64

Die Entscheidung des Großen Senats betrifft allein die Frage, zu welchem Zeitpunkt das Dokument als zugestellt gilt. Dass die Prozessbevollmächtigten der Kläger i.S. des § 189 ZPO Kenntnis von dem zuzustellenden Dokument durch Einlegen in den zu ihren Büroräumen gehörenden Briefkasten erhalten haben, ist unstreitig.

65

2. Ein Dokument ist i.S. des § 189 ZPO in dem Zeitpunkt tatsächlich zugegangen, in dem der Adressat das Dokument "in den Händen hält". Der Große Senat teilt nicht die Auffassung des vorlegenden Senats, es sei auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem eine Willenserklärung i.S. des § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB als zugegangen gilt.

66

a) Dem Wortlaut der Regelung lässt sich entnehmen, dass der Zugang alleine für die Bestimmung des Zeitpunkts der Zustellung nicht ausreichen soll. Dass der Gesetzgeber das Adjektiv "tatsächlich" verwendet hat, spricht dafür, dass eine qualifizierte Form des Zugangs gemeint ist. Damit unterscheidet sich § 189 ZPO tatbestandlich von § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB, denn dort wird lediglich der Zugang der Willenserklärung gefordert. Dies spricht dagegen, die für den Zugang von Willenserklärungen geltenden Grundsätze bei der Auslegung des § 189 ZPO zu übernehmen.

67

b) Betrachtet man die Entstehungsgeschichte des § 189 ZPO, muss der Begriff des "tatsächlichen" Zugangs im Zusammenhang mit den anderen Regelungen zur Reform des Zustellungsrechts im Zustellungsreformgesetz ausgelegt werden. § 189 ZPO unterscheidet sich von der Vorgängerregelung in § 187 ZPO a.F. insbesondere dadurch, dass eine Heilung auch dann möglich ist, wenn durch die Zustellung eine Notfrist in Gang gesetzt werden soll. § 187 Satz 2 ZPO a.F. schloss eine Heilung in einem solchen Fall ausdrücklich aus. Die Ausweitung der Heilung von Zustellungen nach der Zivilprozessordnung ist in gleicher Weise auch für Zustellungen nach dem Verwaltungszustellungsgesetz geregelt worden. Während § 9 Abs. 2 VwZG a.F. eine Heilung für den Fall ausschloss, dass mit der Zustellung eine Klage-, Berufungs-, Revisions- oder Rechtsmittelbegründungsfrist beginnt, kann nach § 8 VwZG auch eine fristauslösende Zustellung geheilt werden.

68

Sowohl in § 189 ZPO als auch in § 8 VwZG ist abweichend von den Vorgängerregelungen jetzt der Zeitpunkt entscheidend, in dem das Dokument dem Adressaten "tatsächlich zugegangen" ist. Nach § 187 Satz 1 ZPO a.F. war auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem das Schriftstück "zugegangen" war, nach § 9 Abs. 1 VwZG a.F. auf den Zeitpunkt, in dem der Empfangsberechtigte das Dokument "nachweislich erhalten" hatte. Beide Regelungen wurden in ständiger Rechtsprechung dahingehend ausgelegt, dass der Empfänger das Schriftstück "in den Händen halten" musste (vgl. z.B. BGH-Beschluss in NJW 1984, 926, und BGH-Urteil in HFR 2001, 1200; Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Dezember 1996  6 C 6/95, BVerwGE 104, 1, und vom 18. April 1997  8 C 43/95, BVerwGE 104, 301). Dafür, dass der Gesetzgeber bei einer Ausweitung der Heilung auf fristauslösende Zustellungen von diesen Anforderungen an den Zugang abweichen und sie herabsetzen wollte, gibt es keinen Anhaltspunkt. Bei der Neuordnung der Zustellungsvorschriften hat der Gesetzgeber daran festgehalten, dass eine Zustellung in ihrer Grundform durch körperliche Übergabe stattfindet (vgl. §§ 173, 177 ZPO). In dieses Konzept fügt sich danach auch weiterhin ein, dass die Heilung eines Formfehlers bei einer anderen Zustellungsart das "In-den-Händen-Halten" des Dokuments erfordert. Deshalb muss die jetzt gewählte Formulierung in § 189 ZPO und in § 8 VwZG zumindest als klarstellende Festschreibung der bisherigen Zugangsanforderungen, wenn nicht sogar im Hinblick auf die verschärften Rechtsfolgen als weitere Erhöhung der Anforderungen an einen Zugang verstanden werden.

69

c) Eine teleologische Auslegung des § 189 ZPO muss die mit der Reform des Zustellungsrechts verfolgten Ziele berücksichtigen. Die Ausweitung der Heilungsmöglichkeit auf fristauslösende Zustellungen ist aus der Sicht eines Zustellungsadressaten eine deutliche Verschärfung. Vor diesem Hintergrund ist die gleichzeitige Aufnahme des Merkmals des "tatsächlichen" Zugangs als Begrenzung der Wirkungen einer Heilung von Zustellungsfehlern zu verstehen. Die unter Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften ausgeführte Zustellung soll eine Frist erst dann auslösen, wenn der Zustellungsempfänger "tatsächlich" und nicht nur potenziell Kenntnis von dem Dokument nehmen kann (Wieczorek/Schütze/Rohe, a.a.O., § 189 Rz 26). Das Merkmal "tatsächlich" ist danach als das Gegenstück zu "fiktiv" zu verstehen.

70

Für diese Auslegung spricht auch das rechtsstaatliche Gebot einer folgerichtigen Ausgestaltung des Verfahrensrechts. Demjenigen, der Adressat einer hoheitlich betriebenen und unter Verletzung wesentlicher Formvorschriften ausgeführten Zustellung ist, dürfen keine Nachteile aus der Heilung im Vergleich zu einer ordnungsgemäßen Zustellung entstehen. Soweit die Heilung eine Frist auslöst, muss deshalb sichergestellt sein, dass die Frist auch in vollem Umfang genutzt werden kann.

71

d) Eine an den Rechten des Adressaten orientierte Auslegung des § 189 ZPO ist insbesondere in Bezug auf die Heilung einer Ersatzzustellung nach § 180 ZPO geboten. Diese Form der Ersatzzustellung soll der Vereinfachung des Zustellungsverfahrens dienen (s. dazu unter B.III.2.) und hat den Umfang der formellen Anforderungen an eine Zustellung im Vergleich zur früheren Rechtslage weiter abgesenkt. Während die Zustellung in ihrer ursprünglichen Gestalt als Übergabe des Dokuments an den Adressaten die Bestimmung eines sicheren Zeitpunkts der möglichen Kenntnisnahme gestattet, kann dieser Zeitpunkt im Fall der Ersatzzustellung nicht mehr konkret bestimmt werden. Die Zustellungsfiktion nach § 180 Satz 2 ZPO wird deswegen durch eine Fiktion auch des Zustellungszeitpunktes ergänzt, die an objektive Kriterien anknüpft. Je zuverlässiger diese Kriterien festgestellt werden können, umso eher kann angenommen werden, dass die Fiktion der Realität nahe kommt.

72

Mit der Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten knüpft das Gesetz im Wesentlichen an Kriterien an, die nicht mit hoher Zuverlässigkeit festgestellt werden können, weil ihre Verwirklichung nicht beobachtet werden kann und auch keine Amtsträger tätig werden. Macht man die Fiktion des Zugangs von derartigen Kriterien abhängig (kritisch etwa Meissner/Schenk in Schoch/Schneider/Bier, VwGO § 56 Rz 11), verliert die fiktive Bestimmung des Zugangszeitpunkts ihre Grundlage jedenfalls dann, wenn auch nur eines dieser Kriterien infolge eines Zustellungsfehlers entfällt.

73

Entgegen der Auffassung des vorlegenden Senats bedeutet dies keine Besserstellung von Adressaten fehlerhafter Zustellungen gegenüber Adressaten ordnungsgemäß ausgeführter Zustellungen. Denn die Verwirklichung der Anknüpfungskriterien für die Fiktion liegt nicht im Einflussbereich des Adressaten. Vielmehr kann nur anhand des von Dritten (Zusteller) verwirklichten Anknüpfungskriteriums eine Zugangsfiktion begründet werden, nicht aber ohne dieses Kriterium.

74

e) Werden bei Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten auf dem Umschlag (§ 180 Satz 3 ZPO) und auf der Zustellungsurkunde (§ 182 Abs. 2 Nr. 7 ZPO) nicht identische Datumsangaben angebracht, entfällt nach den vorstehenden Überlegungen das Anknüpfungskriterium für den fiktiven Zeitpunkt der Zustellung. Der Zeitpunkt kann dann nur in Anlehnung an den Zeitpunkt der realen Kenntnisnahme bestimmt werden. Dieser wird sich häufig nicht sicher feststellen lassen, so dass im Zweifel auf den Zeitpunkt abzustellen ist, den der Adressat selbst als Zugangszeitpunkt angibt.

75

f) Soweit der vorlegende Senat "objektiv-rechtlichen Zwecken der Zustellungsvorschriften" Vorrang vor dem Schutz des Adressaten einräumt, folgt der Große Senat dem nicht. Objektiver Zustellungszweck soll danach sein, "den Zeitpunkt der Zustellung auch im Fall der Heilung einer zunächst fehlgeschlagenen Zustellung rechtssicher bestimmen zu können". Dieser Zweckbestimmung mag für den Fall der ordnungsgemäß ausgeführten Zustellung zu folgen sein. Bei einer fehlerhaften Zustellung wird dieses Ziel aber gerade verfehlt, so dass zu seiner Erreichung an sich eine erneute und nun ordnungsgemäße Zustellung erforderlich wäre. Wenn das Gesetz aus Vereinfachungsgründen eine Heilung von Zustellungsmängeln vorsieht, stellt es den Zweck der Zustellung, dem Empfänger die Kenntnis vom Inhalt eines Dokuments zu ermöglichen, in den Vordergrund. Die rechtssichere Bestimmung des Zeitpunkts der Zustellung tritt dahinter zurück. Sie kann dann auch keinen Vorrang vor den Regelungen des Zustellungsrechts haben, die den Empfänger schützen, insbesondere die rechtssichere Bestimmung der ihm gegenüber in Gang gesetzten Frist ermöglichen sollen (vgl. MünchKommZPO/Häublein, a.a.O., § 180 Rz 7 i.V.m. § 181 Rz 12; a.A. Zöller/Stöber, a.a.O., § 189 Rz 17).

76

Keinen Vorrang können auch die Interessen des Zustellenden haben. Das Risiko einer misslungenen Zustellung hat derjenige zu tragen, der mit der Zustellung fristgebundene Rechtsfolgen auslösen will. Dies war schon nach bisheriger Rechtslage so, als eine Heilung bei fristauslösenden Zustellungen nicht möglich war. Es ist nicht ersichtlich, dass die Vereinfachung des Zustellungsrechts Änderungen an dieser Risikoverteilung mit sich bringen sollte. Soweit in der Begründung des Gesetzentwurfs das Interesse der zustellenden Partei in den Vordergrund gerückt wird (BTDrucks 14/4554, 24 f.), betrifft dies nur den Zugang des Dokuments selbst, nicht aber den Zeitpunkt des Zugangs.

77

C. Der Große Senat beantwortet die ihm vorgelegte Frage wie folgt:

78

Verstößt eine Ersatzzustellung durch Einlegen in den Briefkasten gegen zwingende Zustellungsvorschriften, weil der Zusteller entgegen § 180 Satz 3 ZPO auf dem Umschlag des zuzustellenden Dokuments das Datum der Zustellung nicht vermerkt hat, ist das zuzustellende Dokument i.S. des § 189 ZPO in dem Zeitpunkt dem Empfänger tatsächlich zugegangen, in dem er das Dokument in die Hand bekommt.

(1) Die Anfechtungsklage muß innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden. Ist nach § 68 ein Widerspruchsbescheid nicht erforderlich, so muß die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden.

(2) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.

Lässt sich die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen oder ist das Dokument unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, so gilt es in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem das Dokument der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist.

(1) Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Sie wird nicht wirksam, wenn dem anderen vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht.

(2) Auf die Wirksamkeit der Willenserklärung ist es ohne Einfluss, wenn der Erklärende nach der Abgabe stirbt oder geschäftsunfähig wird.

(3) Diese Vorschriften finden auch dann Anwendung, wenn die Willenserklärung einer Behörde gegenüber abzugeben ist.

(1) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

(2) Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; bei Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung, des Antrags auf Zulassung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Beschwerde beträgt die Frist einen Monat. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

(3) Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist ist der Antrag unzulässig, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.

(4) Über den Wiedereinsetzungsantrag entscheidet das Gericht, das über die versäumte Rechtshandlung zu befinden hat.

(5) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.