Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Dez. 2011 - 1 StR 533/11

bei uns veröffentlicht am14.12.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 533/11
vom
14. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Dezember 2011 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
München I vom 31. Mai 2011 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.

Gründe:

1
Der Angeklagte wurde wegen eines Überfalls auf den Kellner und den letzten Gast eines Lokals unter anderem wegen versuchten Mordes am Kellner zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Seine Revision ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Senat bemerkt zur Bewertung der Feststellungen, die zum Verhalten des Angeklagten beim Verlassen des Tatorts angefallen sind:
2
1. Der Angeklagte und ein früherer Mitangeklagter hatten den Kellner in der Toilette zunächst mit heftigen Faustschlägen ins Gesicht zu Boden ge- streckt; der Angeklagte schlug dann fünfmal dessen Kopf „mit voller Wucht auf den harten Fliesenboden“, der Mitangeklagtenahm den Geldbeutel weg. Der Angeklagte drohte dem Kellner ständig, ihn umzubringen, wenn er nicht sage, wo weiteres Geld ist. Ein weiterer Mitangeklagter kam hinzu und schlug mit einem Hammer auf den Kellner ein. Am Ende blieb dieser mit massiven Verletzungen blutüberströmt und gefesselt zurück, der Angeklagte drohte ihm zuletzt noch, er solle ja nicht folgen, sonst werde er sterben.
3
2. Lägen keine weiteren Erkenntnisse vor, hätten die genannten Äußerungen ausdrückliche Erörterungen gebieten können zu dem von der Strafkammer angenommenen (bedingten) Tötungsvorsatz ebenso wie vor allem zu der vom Generalbundesanwalt aufgeworfenen Frage, ob der Angeklagte beim Verlassen des Tatorts möglicherweise geglaubt haben könnte, noch nicht alles für die Tötung Erforderliche getan zu haben (vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2001 - 3 StR 231/01), sodass er - unbeschadet etwaiger Besonderheiten wegen der Mitwirkung mehrerer Täter, die gleichzeitig den Tatort verließen - allein durch das Absehen von weiteren Handlungen freiwillig vom Mordversuch zurückgetreten sein könnte.
4
3. Die Strafkammer hat jedoch auf Grund der Angaben des Angeklagten und der Mitangeklagten (rechtsfehlerfrei) festgestellt, dass diese sich nach der Tat auf ihrer Flucht darüber unterhielten, „ob eines der Opfer [der Versuch eines Mitangeklagten, den Gast während des Überfalls zu ermorden, wurde dem Angeklagten nicht angelastet] … verstorben sein könnte“. Dies erhärtet die sich angesichts des ungewöhnlich brutalen Vorgehens ohnehin aufdrängende Annahme eines (bedingten) Tötungsvorsatzes schon bei der Tat und zeigt zugleich , dass der Angeklagte beim Verlassen des Tatorts zumindest für möglich hielt, dass der Geschädigte auf Grund der ihm bereits zugefügten Verletzungen sterben könnte. Eine andere Bewertung könnte nur bei erkennbaren Anhaltspunkten dafür in Betracht kommen, dass der Angeklagte erst später die Möglichkeit des Todes des Kellners erkannt haben könnte (zu derartigen Fallgestaltungen vgl. zum Vorsatz BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 1 StR 537/10; zum Rücktritt BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2009 - 3 StR 384/09; Urteil vom 3. Juni 2008 - 1 StR 59/08). Dies ist nicht der Fall; bloß theoretische Möglichkeiten brauchte die Strafkammer auch nicht zu erörtern (BGH, Beschluss vom 23. August 2011 - 1 StR 153/11 mwN).
5
4. Die Drohung des Angeklagten gegenüber dem Kellner, er werde sterben , wenn er sich rühren und ihm (dem Angeklagten) folgen würde, stellt sich daher nur als die Drohung des Angeklagten dar, den von ihm bisher - nur - billigend in Kauf genommenen Tod des Kellners, auf den es ihm also nicht entscheidend angekommen war, dann auf jeden Fall herbeizuführen. Den vorangegangenen bedingten Tötungsvorsatz stellt dies offensichtlich nicht in Frage. Entsprechendes gilt hinsichtlich eines Rücktritts. Allein der Verzicht darauf, durch weitere Gewalttätigkeit den auch schon auf Grund der bisherigen Gewaltanwendung für möglich gehaltenen Tod auf jeden Fall herbeizuführen, kann die Annahme eines Rücktritts durch bloßes Nicht-weiter-Handeln (Rücktritt vom unbeendeten Versuch) nicht begründen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Mai 2011 - 1 StR 20/11).
6
Auch im Übrigen ist die Revision unbegründet, wie dies der Generalbundesanwalt zutreffend dargelegt hat.
Nack Wahl Elf Jäger Sander

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Dez. 2011 - 1 StR 533/11

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Dez. 2011 - 1 StR 533/11

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric
Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Dez. 2011 - 1 StR 533/11 zitiert 2 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 537/10
vom
11. Januar 2011
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Januar 2011 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 5. Mai 2010 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit besonders schwerem Raub und in weiterer Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe (D. ) bzw. zu einer Jugendstrafe (S. ) jeweils von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richten sich die auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten. Die Rechtsmittel haben Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen drangen die beiden Angeklagten in der Tatnacht in das Haus des Geschädigten M. ein, um dort Geld und Drogen zu stehlen. Weil sie kein Bargeld finden konnten, misshandelten sie den bis dahin schlafenden Geschädigten. Während der Angeklagte S. ihn auf das Bett drückte, schlug der Angeklagte D. ihm mit einem Schlagstock wenigstens zwanzigmal auf Kopf und Oberkörper. Dabei handelten beide Angeklagten mit bedingtem Tötungsvorsatz. Anschließend fesselten sie den Geschädigten an Händen und Füßen und knebelten ihn. Als sie auch bei der wei- teren Durchsuchung der Wohnung kein Geld finden konnten, schlug der Angeklagte D. wieder mit dem Schlagstock auf den Geschädigten ein, bis dieser ihnen das Versteck preisgab, in dem er sein Geld aufbewahrte. Die Angeklagten fanden dort 1.000 €. Da sie in der Wohnung aber weiteres Geld vermuteten, versetzte der Angeklagte D. dem Geschädigten noch einen Schlag mit dem Schlagstock, woraufhin der Angeklagte S. zu ihm sagte: „Hör auf, du bringst ihn noch um.“ Weil sie den Geschädigten in den Keller sperren wollten, um zu verhindern, dass er nach ihrem Verlassen seines Hauses die Polizei ruft, brachten sie ihn zum Kellerabgang. Dort stieß ihn der Angeklagte S. , ohne dies zuvor mit dem Angeklagten D. abgesprochen zu haben, die aus steinernen Stufen bestehende Kellertreppe hinunter. Im Keller packte er den Geschädigten und zerrte ihn dann noch in einen Nebenraum. Anschließend verließen die beiden Angeklagten das Haus. Hierbei nahmen sie billigend in Kauf, dass der Geschädigte in dem Keller sterben könnte. Tatsächlich gelang es dem Geschädigten , der sich durch die Gewalthandlungen Platzwunden am Kopf sowie Prellungen und Schürfwunden am ganzen Körper zugezogen hatte, bereits nach kurzer Zeit, sich seiner Fesseln zu entledigen und Hilfe zu holen.
3
2. Die Feststellungen tragen die Verurteilung der beiden Angeklagten wegen versuchten Mordes nicht, da sich das Landgericht nur unzureichend mit den Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts auseinandergesetzt hat.
4
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es, wovon auch das Landgericht insoweit zutreffend ausgegangen ist, für die Abgrenzung eines beendeten vom unbeendeten Versuch und damit für die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts maßgeblich auf die Vorstellungen der Täter nach der letzten Ausführungshandlung („Rücktrittshorizont“) an. Dies gilt insbesondere auch bei einem mehraktigen Tatgeschehen, das - wie hier - als eine Tat im Rechtssinne gewertet wird (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2008 - 4 StR 233/08, StraFo 2009, 78 mwN). Halten die Täter nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung aufgrund der tatsächlichen Umstände den Tod ihres Opfers für möglich oder machen sie sich über die Folgen ihres Handelns - namentlich bei besonders schweren Gewalthandlungen, die zu schweren Verletzungen geführt haben - keine Gedanken, so ist der Versuch beendet (st. Rspr.; vgl. jew. mwN BGH, Urteil vom 10. November 2005 - 4 StR 337/05 Rz. 8; BGH, Beschluss vom 3. Februar 1999 - 2 StR 540/98 Rz. 4; BGH, Beschluss vom 11. Februar 1999 - 1 StR 694/98 Rz. 4). Ein strafbefreiender Rücktritt ist in diesem Fall bei mehreren Tätern nur unter den engen Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 StGB möglich. Liegt dagegen ein unbeendeter Versuch vor, kommt ein strafbefreiender Rücktritt nach dieser Vorschrift auch dann in Betracht, wenn die Täter einvernehmlich nicht weiterhandelten , obwohl sie dies hätten tun können (BGH, Beschluss vom 9. Januar 2003 - 4 StR 410/02 Rz. 2, StraFo 2003, 207). Die äußeren Gegebenheiten sind bei der Abgrenzung eines beendeten von einem unbeendeten Versuch insoweit von Bedeutung, als sie Rückschlüsse auf die innere Einstellung des Täters ermöglichen (BGH, Beschluss vom 1. Juli 1993 - 1 StR 337/93 Rz. 6, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Freiwilligkeit 22 mwN).
5
b) Das Landgericht ist bei seiner rechtlichen Würdigung des Tatgeschehens bei beiden Angeklagten von einem beendeten Versuch ausgegangen und hat in Ermangelung von Rettungsbemühungen die Voraussetzungen für einen strafbefreienden Rücktritt jeweils verneint. Es hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass die beiden Angeklagten die weitere Tatausführung nicht freiwillig aufgegeben hätten, weil sie nach der letzten Ausführungshandlung, dem Zurücklassen des Geschädigten im Keller, dessen Tod - infolge der erlittenen Verletzungen (UA S. 15) bzw. wegen fehlender Befreiungsmöglichkeiten (UA S. 32) - gebilligt hätten. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand:
6
(1) Hinsichtlich des Angeklagten D. beschränken sich die Ausführungen des Landgerichts lediglich auf die Feststellung, dass dieser beim Zurücklassen des Geschädigten im Keller dessen Tod gebilligt habe. Diese Feststellung ist, soweit sie möglicherweise auch die Vorstellung des Angeklagten von einem möglichen Erfolgseintritt - hier dem Tod des Geschädigten - mitumfasst , in den Urteilsgründen nicht belegt. Der Angeklagte D. hat sich zu seinen Vorstellungen beim Zurücklassen des Geschädigten im Keller nicht eingelassen. Es ist im Urteil auch nicht dargetan, ob das Landgericht allein aus dem - insoweit rechtsfehlerfrei festgestellten - Umstand, dass der Angeklagte D. den Stoß durch den Angeklagten S. und den anschließenden Sturz des Geschädigten die Kellertreppe hinunter aus unmittelbarer Nähe beobachtet hat, auf dessen Vorstellungen von einem möglichen Todeseintritt beim Zurücklassen des Geschädigten geschlossen hat. Eine solche Schlussfolgerung wäre hier jedenfalls nicht ohne weiteres nahe liegend gewesen, da ein Treppensturz nicht unweigerlich zu lebensbedrohlichen Verletzungen führen muss und im vorliegenden Fall auch nicht zu solchen Verletzungen geführt hat.
7
(2) Hinsichtlich des Angeklagten S. hat das Landgericht seine Überzeugung , dass auch dieser den Tod des Geschädigten beim Verlassen des Tatorts für möglich gehalten habe, auf dessen spätere Äußerungen gegenüber Freunden gestützt, wonach er fürchte, „dass das Opfer versterben könnte.“ Zwar kann aus einer solchen Äußerung auf die Vorstellungen des Täters nach der letzten Ausführungshandlung geschlossen werden. Dies setzt allerdings voraus, dass die einer solchen Äußerung zugrunde liegende Vorstellung von einem möglichen Todeseintritt schon unmittelbar nach der letzten Tathandlung vorhanden war (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Oktober 2009 - 3 StR 384/09 Rz. 2, NStZ 2010, 146) und nicht erst durch später hinzu tretende Umstände entstanden ist. Dies hat das Landgericht bei seiner Würdigung nicht in ausreichendem Maß bedacht.
8
So hat es die Frage, ob der Angeklagte S. seine Befürchtung, der Geschädigte könne sterben, erst dann zum Ausdruck gebracht hat, nachdem ihm von einer Freundin mitgeteilt worden war, dass sich der Geschädigte im Krankenhaus befinde, ausdrücklich offen gelassen. Hiermit hätte sich das Landgericht aber auseinandersetzen müssen. Der Angeklagte S. war unmittelbar nach dem Sturz des Geschädigten bei diesem im Keller und zerrte ihn in einen Nebenraum. Dies wäre, was das Landgericht nicht erörtert hat, jedoch nicht nötig gewesen, wenn er davon ausgegangen wäre, dass sich der Geschädigte bereits durch den Sturz lebensgefährliche Verletzungen zugezogen hätte. In diesem Fall hätte er ihn einfach am Fuß der Kellertreppe liegen lassen und die Kellertür verschließen können. Dies hätte ausgereicht, um eine baldige Entdeckung der Tat zu verhindern.
9
In diesem Zusammenhang sind die Feststellungen zu dem tatsächlichen Geschehen im unmittelbaren Anschluss an den Sturz des Geschädigten zudem unklar. Im Urteil wird nicht ausgeführt, welche Reaktionen der Geschädigte hierbei zeigte. Wäre er für einige Augenblicke bewusstlos gewesen, könnte dies bei dem Angeklagten S. für die Vorstellung von einem möglichen Tod des Geschädigten sprechen. Dagegen könnte eine solche Vorstellung zweifelhaft sein, wenn der Geschädigte auch nach dem Sturz noch deutliche Lebensanzeichen gezeigt hätte, wenn er etwa laut geschrieen oder sich gegen das Verbringen in den Kellerraum trotz seiner Fesselung im Rahmen seiner Möglichkeiten zur Wehr gesetzt hätte. Auch hiermit hätte sich das Landgericht auseinandersetzen müssen.
10
Hinzu kommt, dass die Feststellungen auch die Annahme nicht hinreichend nahe legen, der Angeklagte S. sei hinsichtlich der Folgen seiner Handlungen, insbesondere eines möglichen Todes des Geschädigten, gleichgültig gewesen. Denn der Angeklagte S. hatte noch wenige Augenblicke, bevor er den Geschädigten die Treppe hinunter stieß, weitere schwerwiegende Gewalthandlungen durch den Angeklagten D. noch mit den Worten „Hör auf, du bringst ihn noch um“ verhindert. Warum der Angeklagte S. nun innerhalb kurzer Zeit seine Meinung geändert haben und sich nach dem Stoß keine Gedanken mehr um das Überleben des Geschädigten gemacht haben sollte, ist aus den Urteilsgründen nicht ersichtlich. Angesichts der dargelegten Umstände kann jedenfalls nicht ausgeschlossen werden, dass die von dem Angeklagten S. geäußerte Befürchtung, der Geschädigte könne sterben, erst nachträglich durch die Kenntnis von dem Krankenhausaufenthalt des Geschädigten entstanden ist und nicht die Vorstellungen des Angeklagten unmittelbar nach der letzten Ausführungshandlung wiedergibt. Dies hätte das Landgericht bei seiner Beweiswürdigung berücksichtigen müssen.

11
3. Die Verurteilung der beiden Angeklagten wegen versuchten Mordes hat demnach keinen Bestand. Der Senat kann den Schuldspruch nicht auf einen besonders schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung umstellen. Es kann nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass aufgrund neuer Feststellungen ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch rechtsfehlerfrei verneint werden kann. Nack Wahl Graf Jäger Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 384/09
vom
6. Oktober 2009
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführerin am 6. Oktober 2009 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 22. Juni 2009 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer Revision, die sie auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts stützt. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt: "Soweit das Landgericht auf Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen einen strafbefreienden Rücktritt vom versuchten Totschlag verneint hat, da der Versuch beendet gewesen sei (UA S. 37 f.), hält dies rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch und damit für die Voraussetzungen strafbefreienden Rücktritts darauf an, ob der Täter nach der letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (Senat, Beschluss vom 21.03.2001 - 3 StR 535/00; BGHSt 39, 221, 227 m.w.N.). Darüber hinaus ist anerkannt, dass ein beendeter Versuch auch dann vorliegt, wenn der Täter sich nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung keine Gedanken darüber macht, ob sein bisheriges Verhalten ausreicht, um den Erfolg herbeizuführen (BGHSt 40, 304, 306; vgl. Lilie/Albrecht in LK 12. Aufl. § 24 Rdn. 175 m.w.N.).
Die Strafkammer hat hierzu jedoch keine eindeutigen Feststellungen getroffen. Während sie zunächst festgestellt hat, die Angeklagte habe sich 'nach der Tat zunächst gar keine Gedanken über den Gesundheitszustand' des Opfers gemacht (UA S. 14), heißt es an anderer Stelle, dass die Angeklagte aufgrund der fortbestehenden Handlungsfähigkeit des Opfers 'unmittelbar im Anschluss an die Messerstiche noch nicht mit einem tödlichen Ausgang ihrer Messerattacke' rechnete (UA S. 37). Das Landgericht hat weiter festgestellt, dass die Angeklagte spätestens als die Zeugin S. die Wohnung etwa 15 Minuten nach den Messerstichen verließ, erkannte, dass die Verletzungen zum Tode des Zeugen W. führen könnten (UA S. 14).
Im Ansatz zutreffend geht die Strafkammer zwar davon aus, dass auch wenn der Täter zunächst nicht mit einem tödlichen Ausgang rechnet, eine sogenannte umgekehrte Korrektur des Rücktrittshorizontes möglich ist, wenn er unmittelbar darauf erkennt, dass er sich insoweit geirrt hat (UA S. 37 f.). In diesem Fall liegt ein beendeter Versuch vor. Dies gilt jedoch nur dann, wenn die Korrektur der Vorstellung des Täters bei fortbestehender Handlungsmöglichkeit sogleich nach der letzten Tathandlung in engstem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dieser erfolgt (BGHSt 36, 224, 226; BGH StraFo 2008, 212; vgl. Lilie/Albrecht aaO Rdn. 179, 181).
Einen solchen engen Zusammenhang hat das Landgericht gerade nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt. Die letzte Ausführungshandlung war gegen 19:20 Uhr der vierte Messerstich, nach dem die Beschwerdeführerin noch nicht mit einem tödlichen Ausgang rechnete. Im Anschluss kam es zunächst aufgrund der Gegenwehr des Opfers zu einem heftigen Gerangel, welches sich aus dem Wohnungs- in den Hausflur verlagerte (UA S. 13). Der Zeuge W. konnte sich der Angeklagten schließlich entziehen, kehrte in die Wohnung zurück und setzte sich dort auf einen Sessel im Wohnzimmer. Die Angeklagte folgte dem Zeugen, baute sich drohend vor ihm auf, ließ aber von ihm ab und begab sich in das Badezimmer, um sich zu reinigen. Der Zeuge folgte ihr dorthin, kehrte aber in das Wohnzimmer zurück, wo er sich erneut hinsetzte. Auf Nachfrage der Zeugin S. lehnte der Zeuge W. es ab, dass ein Rettungswagen gerufen werde. Um 19:35 Uhr verließ die Zeugin S. die Wohnung, um Hilfe zu holen. Spätestens in diesem Zeitpunkt - etwa 15 Minuten nach der letzten Ausführungshandlung - realisierte die Angeklagte die Möglichkeit des Er-
folgseintritts, da der Zeuge W. immer schwächer wurde (UA S. 14). Angesichts des zeitlichen Ablaufs, der wiederholten räumlichen Verlagerung sowie der Handlungsfähigkeit des Opfers liegt es aufgrund der bisherigen Feststellungen nahe, dass der ursprüngliche Tötungsversuch abgeschlossen und der Rücktritt durch bloßes Nichtweiterhandeln bereits vollzogen war, als die Angeklagte die Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs erkannte (vgl. für den Fall einer zehnminütigen Zäsur BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 15).
Da die Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf durch die fehlerhafte rechtliche Wertung nicht berührt werden, können sie bestehen bleiben. Der neue Tatrichter wird weitere Feststellungen zum Vorstellungsbild der Angeklagten im unmittelbaren Anschluss an die letzte Tathandlung und angesichts der Gegenwehr des Opfers auch zu den fortbestehenden Handlungsmöglichkeiten der Angeklagten - insoweit in Ergänzung zu den aufrechterhaltenen Feststellungen zum äußeren Ablauf - treffen müssen. Soweit auf dieser Grundlage ein freiwilliger Rücktritt bejaht wird, wird ein versuchter Totschlag durch Unterlassen zu prüfen sein, da die Angeklagte das von ihr verletzte Opfer seinem Schicksal überließ, obwohl sie die Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs spätestens in diesem Zeitpunkt erkannt hatte."
3
Dem schließt sich der Senat an. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Becker von Lienen Sost-Scheible
Schäfer Mayer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 59/08
vom
3. Juni 2008
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Juni 2008,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwälte und aus München
als Verteidiger,
Rechtsanwalt aus Friedberg
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 12. Oktober 2007 wird verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Der Angeklagte wurde wegen versuchten Totschlags in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.
2
Seine auf die näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision bleibt erfolglos.

I.


3
Die Strafkammer hat festgestellt:
4
Der Angeklagte ist Vater des am 4. März 2006 geborenen D. , eines sehr unruhigen Kindes, das viel schrie. Ende August/Anfang September 2006 war der Angeklagte weitgehend allein für die Versorgung des Kindes verantwortlich. Mit dieser Aufgabe war er überfordert. Er behandelte das Kind „zunehmend gereizt und aggressiv“. Zu einem nicht exakt feststellbaren Zeitpunkt innerhalb dieses Zeitraumes packte der Angeklagte das schreiende Kind am Brustkorb und schüttelte es, um es zum Schweigen zu bringen, so heftig in „sagittaler Richtung“, dass der Kopf nach vorne und hinten schlug und wegen der noch schwachen Nackenmuskulatur erst in der Extremposition, also Brust und Nacken, abgebremst wurde. Es kam zum Abriss so genannter Brückenvenen zwischen Schädelkalotte und Gehirn. Dies führte zu subduralen Blutungen und zu beidseits flächenhaften mehrschichtigen Netzhauteinblutungen.
5
Unabhängig davon hatte der Angeklagte das Kind auch wiederholt in den Oberarm, die Wange und das Gesäß gebissen, was zu entsprechenden Spuren an dessen Körper führte. Weitere Spuren am Körper des Kindes im Bereich der Gesäßfalte/Steißbeinregion sowie unterhalb beider Schlüsselbeine waren vom Angeklagten durch stumpfe Gewalteinwirkung hervorgerufen worden (wegen dieser Taten wurde das Verfahren eingestellt, da sie neben den abgeurteilten Taten nicht ins Gewicht fielen). Der Angeklagte versuchte, gegenüber der Mutter des Kindes diese Spuren sowohl als „Knutschflecken“ als auch als von der Katze verursacht zu verharmlosen. Die Mutter ging aber wegen dieser Verletzungsspuren zur Polizei, die eine Untersuchung in der Rechtsmedizin veranlasste. Dort fiel der ungewöhnliche Umfang des Kopfes des Kindes auf und es wurde sofort in die Kinderklinik verbracht, wo sein Leben - nur - durch zahlreiche intensivmedizinische Maßnahmen gerettet werden konnte. Im Rahmen dieser Untersuchungen wurde anhand entsprechender Spuren im Körper des Kindes festgestellt, dass es auch schon vor Ende August/Anfang September in ähnlicher Weise und mit ähnlichen Folgen wie dort geschüttelt worden sein muss (zur Erfahrung, dass wiederholte Tathandlungen in diesem Zusammenhang nicht selten sind vgl. auch Schneiders/Schröder: Das Schütteltrauma - eine häufig unbekannte Form der Kindesmisshandlung, Kriminalistik 2005, 734, 735). Zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung vor dem Landgericht war eine bestimmte Hirnfunktion des Kindes noch gestört. Ob dauerhaft geistige oder motorische Retardierungen zurückbleiben werden, war noch nicht absehbar.

II.


6
1. Die Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf sind nicht zu beanstanden. Der näheren Ausführung bedarf dies nur insoweit, als die Revision die Täterschaft des Angeklagten hinsichtlich des ersten Schüttelns nicht für rechtsfehlerfrei festgestellt hält.
7
a) Dem liegt folgendes zu Grunde: Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung keine Angaben zur Sache gemacht und im Ermittlungsverfahren jedes Fehlverhalten bestritten. Auch mit sachverständiger Hilfe konnte die Strafkammer - nahe liegend - nicht exakt feststellen, an welchem Tag der Angeklagte das Kind erstmals so heftig geschüttelt hatte, dass die geschilderten Folgen auftraten. Festzustellen war nur, dass das Kind mindestens vier Wochen alt war, als ihm diese Verletzungen zugefügt wurden und dass die Verletzungen schon mindestens vier Wochen alt waren, als sie entdeckt wurden. Da das Kind am 6. März 2006 geboren wurde und ab dem 8. September 2006 in der Kinderklinik untersucht und behandelt wurde, hat demnach das erste Schütteln frühestens Anfang April 2006 und spätestens Mitte August 2006 stattgefunden. Der Angeklagte wohnte jedoch erst ab Ende April 2006 mit dem Kind in derselben Wohnung. Daher geht die Strafkammer davon aus, dass die erste Tat nicht vor diesem Zeitpunkt begangen wurde.
8
b) Die Revision meint, die Annahme der Täterschaft des Angeklagten sei ein Zirkelschluss. Ein Tatzeitpunkt vor Ende April 2006 sei medizinisch nicht auszuschließen. Der Angeklagte habe aber erst ab Ende April 2006 Gelegenheit zur Tat gehabt. Das Gericht habe sich mit der Möglichkeit, dass die Tat schon vorher begangen worden sei, der Angeklagte also nicht der Täter sei, gedanklich nicht auseinandergesetzt. Soweit die Strafkammer, so die Revision ergänzend in der Hauptverhandlung vor dem Senat, geprüft und verneint habe, ob andere Personen als der Angeklagte als Täter in Betracht kämen, bezöge sich dies (ebenfalls) nur auf den Zeitraum ab Ende April 2006. Dies bekräftige, dass die Strafkammer den möglichen Tatzeitraum rechtsfehlerhaft zum Nachteil des Angeklagten verkürzt habe.
9
c) Der Senat sieht keinen Rechtsfehler.
10
Das Kind lebte bis Ende April 2006 in der Wohnung des früheren Ehemannes der Mutter, R. , dann zogen Mutter und Kind mit dem Angeklagten zusammen. Die Strafkammer hat jedoch, ohne insoweit eine zeitliche Einschränkung vorzunehmen, geprüft, ob der frühere Ehemann oder - sämtliche - andere Personen, die mit dem Kind schon in der Wohnung des früheren Ehemannes Kontakt hatten, als Täter in Betracht kommen. Ihre Prüfung beschränkt sich daher offensichtlich nicht auf den Zeitraum, ab dem das Kind nicht mehr in der Wohnung des früheren Ehemannes lebte. Dass die Strafkammer diese Personen rechtsfehlerhaft als Täter ausgeschlossen hätte, ist weder konkret behauptet noch sonst ersichtlich. Mit anderen Personen als denen, deren mögliche Täterschaft die Strafkammer geprüft hat, hatte das Kind, so ergeben die Urteilsgründe, zu keinem Zeitpunkt Kontakt. Auch diese Feststellungen, gegen die die Revision ebenfalls keine konkreten Einwendungen erhebt, sind rechtsfehlerfrei. Wenn also eine andere Person als der Angeklagte Täter des ersten Schüttelns sein sollte, müsste es ein Unbekannter gewesen sein, zu dem das Kind im Übrigen keinen Kontakt hatte. Es ist jedoch weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten einen Sachverhalt zu unterstellen, für dessen Vorliegen sich keine konkreten Anhaltspunkte ergeben haben (NJW 2007, 2274; NStZ-RR 2005, 147; 2003, 371 ; NStZ 2004, 35, 36 m.w.N.). Dementsprechend war auch eine ausdrückliche Erörterung der aufgezeigten fern liegenden und bloß theoretischen Möglichkeit nicht geboten.
11
2. Auch der - bedingte - Tötungsvorsatz ist rechtsfehlerfrei bejaht.
12
Der Senat verkennt nicht, dass nach forensischer Erfahrung in „Schüttelfällen“ ein derartiger Vorsatz vielfach nicht festzustellen ist (vgl. zusammenfassend Schneider in NStZ 2004, 202, 203 m.w.N.; vgl. auch Schneiders/Schröder aaO m.w.N. in Fußn. 9). Allein dass ein bestimmtes Ergebnis nicht fern liegt, schließt jedoch nicht aus, dass der Tatrichter im Einzelfall auch rechtsfehlerfrei zu einem anderen Ergebnis kommen kann (vgl. BGH, Urt. vom 12. Juni 2007 - 1 StR 73/07; zum Tötungsvorsatz beim Schütteltrauma vgl. BGH, Urt. vom 7. Dezember 1999 - 1 StR 538/99). Hier stützt die Strafkammer die Annahme eines Tötungsvorsatzes nicht allein auf das - wie sich die Strafkammer nach sachverständiger Beratung und Demonstration überzeugt hat - vorliegend „äußerst heftige“ und „sehr schnelle“ Schütteln, sondern auch etwa darauf, dass der Angeklagte wiederholt und von unterschiedlichen Personen darauf hingewiesen worden war, dass man bei Kindern „ganz besonders auf den Kopf achten müsse, nachdem diese ihren Kopf noch nicht selbst halten könnten“, und dass „so ein Genick schnell gebrochen sei“. Diese und weitere für und gegen einen Tötungsvorsatz, auch hinsichtlich des erforderlichen voluntativen Vorsatzelements (vgl. zusammenfassend Schneider aaO m.w.N.), sprechende Gesichtspunkte, wie sie sich etwa aus den Feststellungen zum sonstigen Verhalten des Angeklagten gegenüber dem Kind ergeben, hat die Strafkammer sorgfältig gegeneinander abgewogen. Hinsichtlich des zweiten Schüttelns hat sie auch erwogen (und verneint), ob der letztlich nicht tödliche Ausgang des ersten Schüttelns gegen einen (bedingten) Tötungsvorsatz beim zweiten Schütteln sprechen könnte. Es ist insgesamt nicht ersichtlich, dass das von ihr gefundene Ergebnis auf widersprüchlicher, lückenhafter oder unklarer Grundlage beruhte, gegen Denk- oder Erfahrungssätze verstieße oder sonst die dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung gezogenen rechtlichen Grenzen überschritte.
13
3. Der Generalbundesanwalt weist zutreffend darauf hin, dass die Strafkammer nicht geprüft hat, ob (jeweils) ein strafbefreiender Rücktritt (§ 24 StGB) vorliegen könnte. Ein den Bestand des Urteils gefährdender durchgreifender Mangel liegt deshalb jedoch nicht vor.
14
a) Ein strafbefreiender freiwilliger Rücktritt käme allerdings schon im Ansatz nicht in Betracht, wenn die Tat(en) fehlgeschlagen wäre(n). Dies ist der Fall, wenn entweder der Erfolgseintritt objektiv nicht mehr möglich ist und der Täter dies erkennt oder wenn der Täter den Erfolgseintritt jedenfalls nicht mehr für möglich hält (st. Rspr., vgl. nur BGHSt 39, 221, 228 m.w.N.).
15
b) Es ist den Urteilsgründen jedoch nicht zu entnehmen, dass die Strafkammer (jeweils) von einem fehlgeschlagen Versuch ausgegangen wäre.

16
Allerdings stellt sie Erwägungen darüber an, wie lange genau der Angeklagte das Kind geschüttelt hat. Sachverständig beraten geht sie davon aus, dass - auch angesichts des Gewichts des Kindes - ein Erwachsener das Kind so heftig wie festgestellt zehn oder maximal 20 Sekunden geschüttelt haben kann, danach würde er ermüden und könnte nicht länger schütteln. „Zu Gunsten des Angeklagten“, so die Strafkammer, gehe sie davon aus, dass er zehn Sekunden geschüttelt habe, offenbar weil er dann ermüdet gewesen sei. Wenn mit alledem zum Ausdruck gebracht sein sollte, es läge ein fehlgeschlagener Versuch vor, weil der Angeklagte das Kind so lange geschüttelt habe, wie er konnte, bestünden allerdings Bedenken. Ein Versuch ist (unter anderem) dann nicht gescheitert, wenn sie der Täter zwar auf der Stelle kurzfristig nicht fortsetzen kann, ihm dies aber ohne nennenswerte zeitliche Zäsur möglich bleibt (BGH, Beschl. vom 27. November 2002 - 1 StR 462/02 m.w.N. = NStZ-RR 2003, 199 ; BGHSt aaO m.w.N.). Dass ein junger, zur Tatzeit 22 oder 23 Jahre alter Mann, selbst wenn er wegen Ermüdung einen Säugling nicht länger als zehn oder 20 Sekunden schütteln kann, nicht alsbald wieder so zu Kräften käme, dass er weiter schütteln könnte, wenn er dies will, versteht sich jedenfalls nicht von selbst. Im Übrigen ist jedenfalls im zweiten Fall der Versuch schon deshalb nicht fehlgeschlagen, weil das Kind ohne die späteren intensivmedizinischen Maßnahmen an den Folgen des Schüttelns gestorben wäre. Der Senat versteht die Urteilsgründe jedoch nicht so, dass die Strafkammer deshalb den Rücktritt nicht prüft, weil sie die Versuche wegen Ermüdung als endgültig gescheitert ansehen würde. Abgesehen davon, dass dies nicht ausdrücklich ausgeführt ist, spricht gegen diese Annahme insbesondere, dass die Strafkammer in diesem Zusammenhang die von ihr als wesentlich angesehene Frage in den Mittelpunkt stellt, ob der Angeklagte nach zehn oder erst nach 20 Sekunden ermüdet war, was - allenfalls - für die Frage der Intensität der Handlung bedeut- sam sein mag, für die Frage eines gescheiterten Versuchs aber bedeutungslos ist.
17
Im Übrigen bemerkt der Senat in diesem Zusammenhang, dass es jedenfalls nicht ausgeschlossen erscheint, dass der Täter in derartigen Fällen zu schütteln aufhört, weil das Kind still geworden ist und er deshalb sein eigentliches Ziel erreicht hat: „Das Fatale bei dem Schütteltrauma ist, dass der von dem Täter/der Täterin intendierte Erfolg, dass der Säugling endlich aufhört zu schreien, aufgrund der Schädigungen sofort eintritt“ (Schneiders/Schröder aaO 735). Die unterbliebene Erörterung dieser Möglichkeit durch die Strafkammer stellt jedoch keine den Bestand des Urteils gefährdende Lücke dar, weil die (etwaige) Feststellung, der Angeklagte habe zu Schütteln aufgehört, weil das Kind nicht mehr geschrien hat, keine notwendigen - zumal nicht den Angeklagten entlastende - Schlüsse darüber ergibt, welche Vorstellungen er über die bisherigen Folgen des Schüttelns hatte.
18
c) Liegt kein fehlgeschlagener Versuch vor, so kommt es hinsichtlich des Rücktritts darauf an, ob ein unbeendeter oder ein beendeter Versuch vorliegt. Dies richtet sich nach der Vorstellung, die der Täter zu dem Zeitpunkt hat, zu dem er auf die ihm mögliche Weiterführung der Tat verzichtet („Rücktrittshorizont“ ; st. Rspr. seit BGHSt 33, 295 ff. unter Hinweis auf BGHSt 31, 170). Geht er davon aus, sein bisheriges Handeln reiche nicht aus, den Erfolg der Tat herbeizuführen , so läge ein unbeendeter Versuch vor; für einen strafbefreienden Rücktritt genügt dann freiwilliges Nichtweiterhandeln (§ 24 Abs. 1 Satz 1, 1. Alternative StGB). Glaubt er dagegen, sein bisheriges Verhalten werde zum Erfolg der Tat führen - oder macht er sich überhaupt keine Vorstellungen hierüber (vgl. BGHSt 40, 304, 306) - so liegt ein beendeter Versuch vor. Strafbefreiender Rücktritt verlangt dann, dass er erfolgreiche Bemühungen entfaltet, um den drohenden Eintritt des (schädlichen) Erfolgs seiner Tat zu verhindern (§ 24 Abs. 1 Satz 1, 2. Alternative StGB).
19
d) Ein auf erfolgreichen Rettungsbemühungen beruhender Rücktritt (vom beendeten Versuch) liegt offensichtlich nicht vor.
20
e) Grundvoraussetzung für die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts wäre daher, dass der Angeklagte nach dem Schütteln geglaubt hätte, tödliche Folgen würden schon allein deshalb ausbleiben, weil er nicht weiter schüttelte. Hiervon brauchte die Strafkammer nicht auszugehen:
21
Der Angeklagte wusste nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen beim Schütteln, dass dieses tödliche Folgen haben konnte, und nahm dies billigend in Kauf.
22
In tatsächlicher Hinsicht unterscheidet sich eine solche Gewalthandlung von vielen anderen Gewalthandlungen insoweit, als ihre Auswirkungen nicht ohne weiteres äußerlich erkennbar sind; ebenso wenig muss der tödliche Erfolg in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der todesverursachenden Handlung stehen, sondern er kann - wie es hier ohne die Rettungsmaßnahmen der Fall gewesen wäre - auch etliche Tage später noch eintreten. Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, an welche realen Gesichtspunkte die Annahme anknüpfen könnte, der Angeklagte habe bei Beendigung des Schüttelns geglaubt , dass die von ihm beim Schütteln noch für möglich gehaltenen Folgen jetzt doch nicht eintreten sollten. Auch er selbst hat sich weder innerhalb noch außerhalb des Verfahrens je in diesem Sinne geäußert. Bei einer solchen Beweislage sind präzise Feststellungen über eine sogenannte innere Tatsache - also darüber, was der Angeklagte, ohne dies erkennbar werden zu lassen, geglaubt oder nicht geglaubt hat - offenbar nicht möglich.
23
Allerdings ist der Zweifelssatz auch auf das Vorliegen von Rücktrittsvoraussetzungen anzuwenden, wenn bei einer Gesamtbeurteilung der Tatsachen keine eindeutigen Feststellungen getroffen werden können. Jedoch ist es - auch - in diesem Zusammenhang nicht zulässig, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für die es keinerlei konkrete Anhaltspunkte gibt (st. Rspr. vgl. d. N. oben II 1 c; speziell zum Rücktritt vgl. BGH, Urt. vom 13. März 2008 - 4 StR 610/07; vgl. hierzu zusammenfassend auch Leipold/Beukelmann NJW-Spezial 2008, 281). All dies führt auch bei einem (wie hier) schweigenden beziehungsweise pauschal bestreitenden Angeklagten nicht zu einer mit dem Schuldprinzip kollidierenden Beweislastumkehr, sondern ist notwendige Folge der Verpflichtung des Gerichts, gemäß § 261 StPO seine Überzeugung aus dem Gang der Hauptverhandlung zu schöpfen (vgl. BVerfG, Beschl. vom 8. November 2006 - 2 BvR 1378/06; BGH NJW 2007, 2274).
24
Kann aber eine Vorstellungsänderung des Angeklagten als auf nichts gestützte und daher nur denktheoretische Möglichkeit schon im Ansatz nicht tragfähige Grundlage ihn begünstigender Schlussfolgerungen sein, so brauchte die Strafkammer diese Möglichkeit auch nicht ausdrücklich zu erörtern.
25
4. Auch im Übrigen ist der Schuldspruch rechtsfehlerfrei.
26
5. Ebenso hält auch der Strafausspruch rechtlicher Überprüfung Stand. Anzumerken ist insoweit nur folgendes: Die Strafkammer führt näher aus, dass gegen den Angeklagten 1997 ein Verfahren wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 45 JGG behandelt wurde (eingetragen im Erziehungsregister gem. § 60 Abs. 1 Nr. 7 BZRG) und dass er in einem weiteren Verfahren wegen Sachbeschädigung 2002 vom Jugendrichter verwarnt wurde (eingetragen im Erziehungsregister gem. § 60 Abs. 1 Nr. 2 BZRG). Weitere Vorahndungen gibt es nicht. Ausweislich der Urteilsgründe sind diese Feststellungen auf einen mehrere Monate vor der Hauptverhandlung erhobenen Auszug aus dem Bundeszentralregister gestützt. Da der Angeklagte aber zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits das 24. Lebensjahr vollendet hatte, waren die genannten Eintragungen im Erziehungsregister gemäß § 63 Abs. 1 und 2 BZRG bereits entfernt und durften gemäß § 63 Abs. 4 BZRG i.V.m. § 51 Abs. 1 BZRG nicht mehr zum Nachteil des Angeklagten verwendet werden (BGHR BZRG § 60 Erziehungsregister 1 m.w.N.; § 63 Verwertung 1). Nachdem die Strafkammer jedoch diese Vorahndungen ausschließlich unter der Überschrift „Strafmilderungsgründe“ bewertet und dort ausführt, dass sie „allesamt noch dem Jugendrecht unterfielen, nicht einschlägig (sind) und … bereits längere Zeit zurück(liegen)“, kann der Senat ausschließen, dass sich der aufgezeigte Mangel zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat. Der Senat hat daher zu der andernfalls nahe liegenden Prüfung, ob die Strafe als angemessen i.S.d. § 354 Abs. 1a StPO anzusehen ist, keine Veranlassung.
Herr RiBGH Dr. Boetticher befindet sich in Urlaub und ist deshalb an der Unterschrift gehindert. Nack Wahl Nack Graf Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 153/11
vom
23. August 2011
BGHSt: ja zu A II. 3. a
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Art. 34
Nach Übernahme eines Ermittlungsverfahrens durch die Bundesrepublik
Deutsch-land ist eine in dem abgebenden Vertragsstaat der MRK bereits eingetretene
rechts- staatswidrige Verfahrensverzögerung nicht zu kompensieren.
BGH, Beschluss vom 23. August 2011 - 1 StR 153/11 - LG Ravensburg
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen zu 1. und 2.: gefährlicher Körperverletzung
zu 3.: vorsätzlicher Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. August 2011 beschlossen
:
1. Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Ravensburg vom 10. November 2010 werden als unbegründet
verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
Jeder Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die
dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen
zu tragen.
2. Die Revisionen des Nebenklägers gegen das vorbezeichnete
Urteil werden
hinsichtlich des Angeklagten C. als unzulässig (§ 349
Abs. 1 StPO),
hinsichtlich der Angeklagten A. und T. als unbegründet
verworfen.
Der Nebenkläger hat die Kosten seiner Rechtsmittel und die
den Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen
zu tragen.

Gründe:


1
Die Jugendkammer hat festgestellt:
2
Die Angeklagten waren mit Freunden und Bekannten am Karsamstag 2008 in einer Diskothek in Hard (Österreich), ebenso der Nebenkläger M. . Dieser wollte eine schon abflauende Auseinandersetzung, an der der Angeklagte C. beteiligt war, schlichten. C. schlug ihn mit der Faust ins Gesicht, es entstand eine aggressive Stimmung. Nunmehr wollten die Angeklagten A. und T. , die zuvor mit C. zusammen am Tisch gewesen waren, C. helfen, der allerdings bald die Diskothek verließ. M. erhielt, auch von A. und T. , Schläge und Tritte, ging zu Boden, konnte sich zunächst aber wieder aufrichten. Es gab weitere, namentlich nicht ermittelte Beteiligte an der Auseinandersetzung. Es flogen Flaschen, eine davon traf auch A. , der seinerseits eine Flasche nahm und sie „in Bauchhöhe“ gegen M. warf. Eine Flasche traf M. so heftig am Kopf, dass er „k.o. ging und völlig hilflos zu Boden sackte“. Dass A. d i e s e Flasche geworfen hatte, steht nicht fest. Er trat aber gemeinsam mit anderen - darunter auch T. - auf den bewusstlos am Boden liegenden M. ein. M. wurde dabei auch gegen den Kopf getreten, ohne dass einem der Beteiligten einzelne Tritte genau zugeordnet werden konnten. M. zog sich sehr schwere Verletzungen zu, z.B. Brüche im Bereich des Jochbeins, der Augenhöhle und des Kiefers. Wegen der Gefahr, Blut einzuatmen, hätte er ohne fremde Hilfe ersticken können. Durch das Gesamtgeschehen wurde er auf einem Auge blind und kann, zu 40% erwerbsgemindert , seinen Beruf nicht mehr ausüben. Auch muss er lebenslang eine Platte im Gesicht tragen.
3
Auf der Grundlage dieser Feststellungen wurde C. wegen Körperverletzung (§ 223 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Hinsichtlich der beiden anderen, heranwachsenden Angeklagten konnte sich die Jugendkammer nicht von den in der Anklage noch enthaltenen Vorwürfen des versuchten Totschlags, hinsichtlich A. auch der schweren Körperverletzung (Verlust eines Auges) überzeugen, und verurteilte sie wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) wegen der Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 JGG) jeweils zu einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe, A. zu zehn Monaten, T. zu einem Jahr.
4
Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Angeklagten und des Nebenklägers. Sämtliche Rechtsmittel bleiben erfolglos.

A.

5
Die Revisionen der Angeklagten
6
Sämtliche Revisionen erheben die Sachrüge, die der Angeklagten A. und T. führen sie näher aus. Die Revision des Angeklagten A. ist zusätzlich noch auf Verfahrensrügen gestützt.

I.

7
Die Verfahrensrügen des Angeklagten A. wenden sich gegen die Verwertung der Angaben, die er am 24. März 2009 gegenüber KHK H. gemacht hatte; dieser hatte ihn als Beschuldigten vernommen, nachdem die österreichischen Behörden das Ermittlungsverfahren an die Staatsanwaltschaft Ravensburg abgegeben hatten. Schon in der Hauptverhandlung war ein Widerspruch gegen die Zeugenvernehmung von KHK H. , gestützt auf die Vernehmungsniederschrift , (u.a.) damit begründet worden, er habe ihn nur über sein Schweigerecht, aber nicht über sein Recht auf Verteidigerkonsultation belehrt und seinen Wunsch nach Unterrichtung des von ihm benannten Verteidigers abgelehnt.
8
Außerdem habe er ihn durch die in der Vernehmungsniederschrift dokumentierten Vorhalte
9
„Du weißt doch genau, dass der M. durch diese [von A. gewor- fene] Flasche das Auge verloren hat“ und später
10
„Laut bisherigen Ermittlungen ist klar, dass durch deinen Flaschenwurf die schweren Verletzungen am linken Auge des M. entstanden sind“ i.S.d. § 136a StPO über den bisherigen Stand der Ermittlungen getäuscht, da er, wie näher dargelegt, gewusst habe, dass es keine den Angeklagten konkret belastenden Erkenntnisse über das Zustandekommen der Augenverletzung gäbe.
11
Zu alledem befragt, erinnerte sich KHK H. genau, A. auch über sein Recht auf Verteidigerkonsultation belehrt zu haben, was er aber versehentlich nicht protokolliert habe. A. habe erklärt, seine Rechte aus einem früheren Verfahren - ein 2006 gemäß § 45 Abs. 1 JGG behandeltes Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs - zu kennen, jedoch nicht den Wunsch nach Kontakt mit (s)einem Rechtsanwalt geäußert. Außerdem erläuterte KHK H. seine damaligen Kenntnisse vom Ermittlungsstand. Die Jugendkammer hielt sei- ne Angaben für „uneingeschränkt überzeugend“, wies den Widerspruch mit nä- her begründetem Beschluss zurück und vernahm ihn zur Sache.
12
Hieran knüpft die Revision an. Sie hält sowohl § 136 StPO als auch § 136a StPO für verletzt.
13
1. Ein Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO liege vor, weil der Angeklagte keinen Kontakt mit seinem Verteidiger aufnehmen durfte; das Urteil begründe die Verwertbarkeit der Aussage von KHK H. nicht konkret. Seine Angaben seien wegen der entgegen Nr. 45 Abs. 1 RiStBV nicht dokumentierten Belehrung unglaubhaft, zumal er - so die Revision - erklärt habe, er dokumentiere die Beschuldigtenbelehrung nie in einem gesonderten Formular. Daher ergebe die Prüfung des Vernehmungsablaufs hier „ausschließlich“ das Ergebnis, „dass die Belehrung … nicht stattgefunden hat“. Die Behauptung von KHK H. , der Angeklagte habe geäußert, seine Rechte aus einem früheren Verfahren zu kennen, werde den Gegebenheiten nicht gerecht. Da insgesamt genügende Hinweise auf eine Belehrung fehlten, seien die Angaben des Angeklagten unverwertbar.
14
a) Im Urteil ist die Verwertbarkeit der Aussage von KHK H. nicht konkret begründet. Ob dies als eigenständiger Rechtsfehler gerügt sein soll, mag dahinstehen. Ausführungen zur Verwertbarkeit von Beweismitteln im Urteil sind rechtlich nicht geboten und würden es nur überfrachten (BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 - 1 StR 99/09, NJW 2009, 2612, 2613 mwN).
15
b) Im Übrigen sprechen die genannten ineinander übergehend beide Gesichtspunkte ansprechenden Ausführungen der Revision dafür, dass Grundlage eines Beweisverwertungsverbots offenbar sowohl die unterbliebene Belehrung über das Recht auf Verteidigerkonsultation (BGH, Urteil vom 22. November 2001 - 1 StR 220/01, BGHSt 47, 172, 173 f.), als auch die Verhinderung der ausdrücklich gewünschten Kontaktaufnahme mit dem Verteidiger (BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372, 374; vgl. auch Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK; hierzu Schädler in KK-StPO 6. Aufl., Art. 6 MRK Rn. 50 mwN) sein soll. Unbeschadet der Frage nach der gebotenen Klarheit der „Angriffsrichtung“ dieser Rüge (vgl. BGH,Beschluss vom 14. Januar 2010 - 1 StR 620/09, NStZ 2010, 403, 404 mwN) in tatsächlicher Hinsicht, erscheint zweifelhaft, ob, wie für eine zulässige Verfahrensrüge stets erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juni 2010 - 1 StR 157/10, StV 2011, 399; BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2005 - 1 StR 117/05, NStZ-RR 2006, 181, 182 mwN), der Vortrag widerspruchsfrei ist. Einerseits sei der Hinweis von KHK H. auf die bei der Vernehmung aktuelle Kenntnis des Angeklagten von seinem Recht auf Verteidigerkonsultation - sie stünde trotz unterbliebener Belehrung einem Verwertungsverbot entgegen (BGH, Urteil vom 22. November 2001 - 1 StR 220/01, BGHSt 47, 172, 174) - unzutreffend, andererseits habe der Angeklagte Kontakt mit seinem Verteidiger verlangt. Wie es miteinander vereinbar ist, dass ein Recht unbekannt ist, aber dennoch geltend gemacht wird, liegt nicht auf der Hand.
16
c) Letztlich kann dies aber auf sich beruhen, da der Senat das tatsächliche Vorbringen der Revision, hinsichtlich der unterbliebenen Belehrung ebenso wie hinsichtlich der verwehrten Kontaktaufnahme, nicht für bewiesen hält (zum Maßstab vgl. BGH, Urteil vom 20. Juni 1997 - 2 StR 130/97, StV 1999, 354). Er hat keinen Grund, die Angaben von KHK H. hierzu anders zu bewerten als die Jugendkammer. Er teilt nicht die Auffassung, dass wegen einer entgegen Nr. 45 Abs. 1 RiStBV teilweise unterbliebenen Protokollierung einer Belehrung bei Gericht „ausschließlich“ oder nahe liegend Lügen des hierfür verantwortli- chen Polizeibeamten zum Vernehmungsablauf zu erwarten seien. Auch konkret spricht hier für diese Möglichkeit nichts.
17
d) Die Belastung des Verfahrens durch unsorgfältige Protokollierung wäre leicht bei Verwendung eines entsprechenden Formulars vermieden worden.
18
Macht im Übrigen, wie hier, ein Angeklagter in der Hauptverhandlung keine Angaben, oder sagt er - erfahrungsgemäß ebenfalls nicht ungewöhnlich - dort anders aus als im Ermittlungsverfahren, können seine früheren Angaben sehr bedeutsam werden. Da hinsichtlich dieser Angaben hier keine ordnungsgemäße Belehrung aktenkundig war, stand das Verbot ihrer Verwertung dann im Raum, wenn die Belehrung und nicht nur deren Dokumentation unzulänglich war. Diese anhand der Akten nicht klärbare Frage hätte bereits vor der Hauptverhandlung überprüft werden können, auch schon von der Staatsanwaltschaft. Deren Gesamtverantwortung für ein rechtmäßiges Ermittlungsverfahren - auch soweit von der Polizei geführt - verlangt auch hinsichtlich etwaiger Beweisverwertungsverbote effektiv ausgeübte Leitungs- und Kontrollbefugnisse, damit gegebenenfalls gebotene Maßnahmen ergriffen werden können, wo nötig in Form allgemeiner Weisungen. Dies gilt in allen Verfahren, hat aber in Kapitalsachen (versuchter Totschlag) besonderes Gewicht (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 - 1 StR 99/09, NJW 2009, 2612, 2613 mwN).
19
2. Eine Täuschung des Angeklagten über den Ermittlungsstand (§ 136a StPO) liegt nicht vor. Als der Angeklagte, der auch schon zuvor erklärt hatte, er wisse nicht, wo die von ihm geworfene Flasche getroffen habe, erneut auch auf den ersten als Beleg für eine Täuschung genannten Vorhalt „Du weißt doch genau …“ (oben A. I. vor 1.)nicht bestätigte, M. am Auge getroffen zu haben , hielt ihm KHK H. als nächstes vor: „Aber es ist in der Gruppe bekannt, dass deine Flasche den M. am Auge getroffen hat“, worauf der Angeklagte erwiderte: „Man sagt das deswegen, weil man gesehen hat, dass ich die eine Flasche geworfen habe“. Es gab also - vom Angeklagten sogar als richtig bestä- tigte - polizeiliche Erkenntnisse, dass mehrere bei dem Vorfall anwesende Personen (die „Gruppe“) - unabhängig von Angaben bei der Polizei - geäußert hatten , der Angeklagte habe M. mit der Flasche am Auge verletzt. Schon deshalb hat die Annahme einer Täuschung durch KHK H. keine Grundlage. Außerdem hat die Jugendkammer lediglich festgestellt, dass der Angeklagte - wie von vielen Anwesenden gesehen und auch von ihm schon vor der angeblichen Täuschung eingeräumt - eine Flasche geworfen, aber nicht, dass sie M. am Auge getroffen hat. Selbst wenn, was nicht so ist, eine Täuschung vorläge, hätte sie sich schon nicht auf die Aussagen des Angeklagten bei der Polizei und erst Recht nicht auf das Urteil ausgewirkt.

II.

20
Die auf Grund der von allen Angeklagten erhobenen Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil eines Angeklagten ergeben. Ergänzend bemerkt der Senat:
21
1. Zum Schuldspruch:
22
a) Vorbringen für den Angeklagten A. :
23
(1) Die Behauptung, die Jugendkammer habe nur Feststellungen zum Flaschenwurf getroffen und nichts festgestellt, was die Beteiligung des Angeklagten an den vorangegangenen Gewalttätigkeiten belege, widerspricht den Urteilsgründen. Danach hatte sich C. unmittelbar vor Beginn seiner Auseinandersetzung mit M. „an den Nachbartisch zu … A. und T. begeben“. M. hat bekundet, nachdem ihn C. geschlagen hatte, seien dessen „Begleiter oder Freunde … aufgestanden und hätten auf ihn eingeschlagen“. Zweifel an der Glaubwürdigkeit M. s hatte die Jugendkammer nicht, Gründe , warum sie sie hätte haben müssen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
24
(2) Weite Teile des sonstigen Vorbringens gegen die Feststellungen zum Tatgeschehen erschöpfen sich in Überlegungen zu alternativen Geschehensabläufen (der Angeklagte könne nach dem Flaschenwurf den Tatort alsbald verlassen oder dort nur zur Beobachtung des weiteren Geschehens „verweilt“ haben), die in den Urteilsgründen keine Anknüpfungspunkte finden. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 27. April 2010 - 1 StR 454/09, wistra 2010, 310, 312 mwN). Dementsprechend braucht das Urteil bloß theoretische Möglichkeiten auch nicht zu erörtern (BGH, Urteil vom 26. Mai 2011 - 1 StR 20/11). Eine auf den Beleg der Richtigkeit ihrer Vermutungen gerichtete Aufklärungsrüge hat die Revision nicht erhoben.
25
(3) Nach den Feststellungen der Jugendkammer traten „umstehende Per- sonen“ aufden am Boden liegenden M. „mit Füßen … ein. ... Hieran waren auch die Angeklagten A. und T. beteiligt“. Angesichts dessen ist die Annahme der Revision, zur Art der Beteiligung des Angeklagten sei nichts festgestellt, nicht nachvollziehbar.
26
b) Vorbringen für den Angeklagten T. :
27
Die Revision verkennt, dass weder die Sach- noch eine Verfahrensrüge auf einen Abgleich der Urteilsgründe mit dem Akteninhalt gestützt werden kann (st. Rspr.; zuletzt BGH, Urteil vom 26. Mai 2011 - 1 StR 20/11; vgl. zusammenfassend Wahl in NJW-SH f. G. Schäfer, 2002, 73 mwN). Deshalb ist auch für die von ihr angeregte Anhörung eines Zeugen durch den Senat kein Raum. Sollte ein Zeuge im weiteren Verlauf wegen eines Aussagedelikts rechtskräftig verurteilt werden, könnte dies Grundlage einer Wiederaufnahme des Verfahrens sein (§ 359 Nr. 2 StPO). Soweit die Revision darüber hinaus im Rahmen der Begrün- dung der Sachrüge wegen der Ablehnung des „Beweisantrag(s) Anlage 8“ eine Verletzung der Aufklärungspflicht sieht, kommt eine Umdeutung in eine Verfahrensrüge nicht in Betracht, da das Vorbringen den Anforderungen von § 344 Abs. 2 StPO nicht genügt. Weder der Antrag noch der Beschluss sind mitgeteilt.
28
2. Zum Strafausspruch:
29
a) Ausführungen zum Strafausspruch enthält nur die Revisionsbegründung für den Angeklagten A. . Soweit sich fehlende Feststellungen zur Art der Tatbeteiligung auf den Strafausspruch ausgewirkt haben sollen, gilt nichts anderes als hinsichtlich des Schuldspruchs (vgl. A. II. 1. a (3)). Das übrige Vorbringen erschöpft sich in dem im Revisionsverfahren unbeachtlichen Versuch, Bewertungen, die die dem Tatrichter hierbei gezogenen Grenzen an keiner Stelle zum Nachteil des Angeklagten überschreiten, durch eigene zu ersetzen. Zu Unrecht ist die Jugendkammer allerdings davon ausgegangen, der Angeklagte sei „nicht strafrechtlich vorbelastet“ gewesen. Tatsächlich ist er schon 2006 wegen Landfriedensbruchs in Erscheinung getreten (vgl. A. I. vor 1.). Auch wenn nähere Feststellungen hierzu fehlen, handelt es sich dabei jedenfalls um ein Delikt, bei dem es, ähnlich wie hier, um Gewalttätigkeiten aus einer wegen etlicher Beteiligter unübersichtlichen Situation heraus geht. Die unterbliebene Erörterung dieses Gesichtspunkts hat sich jedoch nur zu Gunsten des Angeklagten ausgewirkt.
30
b) Auch sonst sind bei der Strafzumessung Rechtsfehler weder zum Nachteil des Angeklagten A. noch zum Nachteil der übrigen Angeklagten ersichtlich.
31
3. Zur Kompensation rechtsstaatswidriger Verfahrensdauer:
32
Die Jugendkammer hat die Verfahrensdauer nicht nur als bedeutsamen Strafmilderungsgrund angesehen, sondern insoweit auch eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung festgestellt, weil - bis zur Abgabe des zunächst in Österreich anhängigen Ermittlungsverfahrens an die Staatsanwaltschaft Ravensburg „in erster Linie durch die zögerliche Behandlung bzw. Nichtbehandlung der Ermittlungen seitens der österreichischen Ermittlungsbehörden schon neun Monate ins Land gegangen“ sind; und - wegen vieler vorrangiger Haftsachen zwischen Eingang der Anklage und Urteil zwölf Monate gelegen haben.
33
In beiden Abschnitten sei das Verfahren in einer Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK zuwiderlaufenden Weise für die Dauer von je neun Monaten verzögert worden, was mit je drei Monaten zu kompensieren sei.
34
Dementsprechend wurden von der gegen den Angeklagten C. verhängten Freiheitsstrafe sechs Monate (im Urteilstenor) für vollstreckt erklärt.
35
Anders sei, so die Jugendkammer in den Urteilsgründen, demgegenüber hinsichtlich der Angeklagten A. und T. zu verfahren. Da gegen sie Jugendstrafe verhängt sei, sei nicht ein Teil der Strafe für vollstreckt zu erklären, sondern ein Abschlag von der an sich für angemessen gehaltenen Strafe vorzunehmen. Dementsprechend wurde eine Jugendstrafe von einem Jahr statt von einem Jahr und sechs Monaten gegen T. und von zehn Monaten statt von einem Jahr und vier Monaten gegen A. verhängt.
36
Der Senat bemerkt:
37
a) Die Dauer eines Strafverfahrens kann unabhängig von ihren Gründen für die Strafzumessung bedeutsam sein (BGH, Urteil vom 21. Februar 2002 - 1 StR 538/01, StV 2002, 598 mwN). Der Senat ist jedoch nicht der Auffassung, dass eine (von der Jugendkammer nur knapp geschilderte, nach ihrer Auffassung ) mit Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK unvereinbare Verfahrensverzögerung durch österreichische Behörden hier darüber hinaus auch als konventionswidrig zu kompensieren ist. Eine solche Kompensation ist Wiedergutmachung. Sie soll die „Opferstellung“ eines Betroffenen (Art. 34 MRK) beenden und so den jeweiligen Vertragsstaat (hier die Bundesrepublik Deutschland) vor einer möglichen Verurteilung durch den EGMR auf Grund einer Individualbeschwerde wegen Verletzung der MRK bewahren (BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 137). Letztlich wird durch eine solche Kompensation eine „im Verantwortungsbereich des Staates“ (BGH aaO 129; vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 5 StR 253/09, NStZ 2010, 230 mwN) entstandene „Art Staatshaftungsanspruch“ erfüllt (BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 138). Dem entspricht, dass Individualbeschwerden gemäß Art. 35 Abs. 3 MRK zurückgewiesen werden, wenn die gerügten Handlungen oder Unterlassungen dem beklagten Staat nicht zuzurechnen wären (vgl. EGMR, Entscheidung vom 15. Juni 1999, Nr. 18360/91; EKMR, Entscheidung vom 14. April 1998, Nr. 20652/92). Dies spricht dagegen, dass ein (etwa) konventionswidriger Verfahrensgang in einem Mitgliedsstaat der MRK einem anderen Mitgliedsstaat, der hierauf keinen Einfluss nehmen konnte, gleichwohl zuzurechnen und von ihm zu kompensieren ist, wenn seine Ermittlungsbehörden das Ermittlungsverfahren erst nach Eintritt der Verzögerung übernommen haben (so in vergleichbarem Sinne, wenn auch anderen prozessualen Zusammenhängen, BGH, Beschluss vom 17. März 2010 - 2 StR 397/09, BGHSt 55, 70, 77 f. [mögliche Verletzung des Konfrontationsrechts durch einen anderen Staat im Rahmen von Rechtshilfe] und OLG Rostock, NStZ-RR 2010, 340 [mögliche konventionswidrige Verfahrensverzögerung durch einen anderen Staat bei einer hier zur Vollstreckung übernommenen Verurteilung] jew. mwN).
38
b) Der Senat kann auf der Grundlage der hierzu ebenfalls knappen Feststellungen nicht beurteilen, ob und gegebenenfalls wie lange das Verfahren durch die Jugendkammer konventionswidrig verzögert wurde (vgl. zu hierfür we- sentlichen Punkten BGH, Beschluss vom 20. März 2008 - 1 StR 488/07, NJW 2008, 2451, 2453 f.). Jedenfalls handelt es sich hier um eine „Jugendschwurgerichtssache“ (§ 41 Abs. 1 Nr. 1 JGG) gegen (ursprünglich) fünf nicht inhaftierte Angeklagte. Diesen lagen, hinsichtlich der einzelnen Angeklagten differenziert, unterschiedliche Delikte teilweise sehr erheblichen Gewichts (gefährliche Körperverletzung , schwere Körperverletzung, versuchter Totschlag) zum Nachteil des am Verfahren als Nebenkläger beteiligten Geschädigten zur Last. Sämtliche Taten sollten die nicht geständigen Angeklagten im Rahmen eines tumultartigen und daher schwer klärbaren Geschehens begangen haben, wobei einige Zeugen der im Ausland begangenen Tat(en) im Ausland wohnten. Der Senat hält es danach jedenfalls nicht für menschenrechtswidrig, dass hier nicht schon etwa drei Monate nach Eingang der Anklage ein Urteil erging.
39
c) Außerdem ist bei der Prüfung einer etwaigen konventionswidrigen Verfahrensverzögerung stets die Dauer des gesamten Verfahrens in den Blick zu nehmen (BGH, Urteil vom 9. Oktober 2008 - 1 StR 238/08, wistra 2009, 147, 148 mwN). Es ist daher kein zutreffender Ansatz, nach jeweils nur isolierter Bewertung für mehrere Verfahrensabschnitte jeweils gesonderte Kompensationen zu bestimmen und diese dann zu addieren.
40
d) Eine konventionswidrige Verfahrensverzögerung kann gegebenenfalls schon durch ihre Feststellung genügend kompensiert sein (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - 5 StR 330/10, StraFo 2011, 56, 57 mwN). Jedenfalls hätte die Jugendkammer, die diese hier nahe liegende Möglichkeit nicht geprüft hat, bei der Bemessung der Kompensation aber erkennbar zu erwägen gehabt, dass sie, wie dargelegt, schon bei der Strafzumessung die Verfahrensdauer strafmildernd bewertet hat, sodass darüber hinaus nur noch deren konventionswidrige Verursachung auszugleichen ist. Dies wird, von hier nicht erkennbaren besonderen Fallgestaltungen abgesehen, vielfach dazu führen, dass sich eine Kompensation nur noch auf einen eher geringen Bruchteil der Strafe zu beschränken hat (BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 146, 147; BGH, Urteil vom 9. Oktober 2008 - 1 StR 238/08, wistra aaO mwN). Die Jugendkammer hat demgegenüber zwischen einem Drittel und der Hälfte der von ihr für angemessen gehaltenen Strafen für vollstreckt erklärt bzw. nicht ausgesprochen. Bei der Bemessung der Höhe einer Kompensation ist jedoch auch in den Blick zu nehmen, dass eine überzogene Berücksichtigung des Zeitfaktors als Ausgleich für Justiz und Ermittlungsbehörden anzulastenden Mängeln den Zielen effektiver Verteidigung der Rechtsordnung zuwider läuft (BGH, Beschluss vom 17. November 2010 - 1 StR 145/10, wistra 2011, 115, 116 mwN).
41
e) Einer abschließenden Entscheidung der aufgezeigten Gesichtspunkte hinsichtlich der Verfahrensverzögerung bedarf es hier aber nicht, da sie sich ersichtlich nur zu Gunsten der Angeklagten ausgewirkt haben.
42
f) Im Übrigen ist die Umsetzung der von der Jugendkammer für erforderlich gehaltenen Kompensation nur hinsichtlich des Angeklagten C. („Voll- streckungsmodell“) rechtsfehlerfrei.
43
Die Annahme, bei Verhängung von Jugendstrafe sei demgegenüber nicht das Vollstreckungsmodell anzuwenden, sondern ein Strafabschlag vorzunehmen , entspricht nicht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, jedenfalls, wenn die Jugendstrafe, wie jeweils hier, allein auf eine Schwere der Schuld (§ 17 Abs. 2 JGG) gestützt ist (BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - 5 StR 330/10, StraFo 2011, 56, 57; Urteil vom 9. Mai 2010 - 2 StR 278/09 jew. mwN). Die Angeklagten sind dadurch jedoch nicht beschwert. Ein Angeklagter kann schon generell ohnehin allenfalls unter sehr ungewöhnlichen Umständen beschwert sein, wenn eine niedrigere statt einer höheren - sei es auch teilweise als vollstreckt geltenden - Strafe ausgesprochen wird (BGH, Beschluss vom 20. März 2008 - 1 StR 488/07, NJW 2008, 2451, 2454; vgl. auch Pohlit in FS Rissing-van Saan, 453, 457). Hier kommt hinzu, dass der Strafabschlag dazu führte, dass die Jugendstrafen schon nach Maßgabe von § 21 Abs. 1 JGG zur Bewährung ausgesetzt werden konnten und nicht wie die von der Jugendkammer an sich für angemessen gehaltenen Strafen nur unter den demgegenüber (schon ausweislich des Gesetzeswortlauts) engeren Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 JGG (vgl. hierzu Brunner/Dölling JGG 11. Aufl., § 21 Rn. 11, 11a; vgl. auch BGH, Beschluss vom 5. März 2008 - 2 StR 54/08, StV 2008, 400 zum strukturell identischen Fall, dass der Strafabschlag § 56 Abs. 1 StGB anwendbar macht, während bei dem Vollstreckungsmodell nur § 56 Abs. 2 StGB anwendbar wäre).

B.

44
Die Revisionen des Nebenklägers

I.

45
Revision zum Nachteil des Angeklagten C. :
46
1. Die Revision wurde uneingeschränkt in der „Strafsache gegen A. u.a.“ eingelegt. Ebenso uneingeschränkt ist im Rahmen der Revisionsbegründung beantragt (§ 344 Abs.1 StPO), das Urteil aufzuheben. Die auf die Sachrüge gestützte Begründung erwähnt den Angeklagten C. nicht, sondern legt ausschließlich dar, warum das Urteil hinsichtlich der Angeklagten A. und T. rechtsfehlerhaft ist. Zur Begründung herangezogen sind ausschließlich Feststellungen zum Geschehen, das sich ereignete, nachdem C. die Diskothek verlassen hatte.
47
2. Der Senat hatte daher zu prüfen, ob das Urteil auch zum Nachteil des Angeklagten C. angefochten ist. Die Revisionseinlegungsschrift spricht eher dafür, da sich die Nebenklage auch gegen den auch wegen eines nebenklagefähigen Delikts verurteilten Angeklagten C. richtete. Gleiches gilt im Ergebnis für den Revisionsantrag. Gegen eine Revision zum Nachteil des Angeklagten C. spricht die Revisionsbegründung, die ihn weder erwähnt, noch sich auf die ihm zur Last gelegte Tat bezieht. Der Senat hat erwogen, ob hier, wie auch sonst bei Zweifeln über den Umfang einer Revision, deren Begründung maßgeblich ist (vgl. BGH, Urteil vom 7. Mai 2009 - 3 StR 122/09; BGH, Urteil vom 25. November 2003 - 1 StR 182/03, NStZ-RR 2004, 118 mwN). Dies hat er verneint. Wird, sei es auch in nur einem Schriftsatz, ein gegen mehrere Angeklagte ergangenes Urteil uneingeschränkt angefochten, gilt dies regelmäßig hinsichtlich jedes Angeklagten. Es liegen der Sache nach mehrere, voneinander unabhängige Rechtsmittel vor. Dann kann aber nicht allein der späteren Begründung des Rechtsmittels zum Nachteil eines Angeklagten inzident entnommen werden, dass zum Nachteil eines anderen Angeklagten doch kein Rechtsmittel eingelegt sein soll. Die Frage nach dem Umfang eines Rechtsmittels ist von anderer Art als die Frage, ob überhaupt ein Rechtsmittel eingelegt ist. Insoweit kommt es allein auf die Einlegungsschrift an.
48
3. Die danach (auch) zum Nachteil des Angeklagten C. eingelegte Revision ist unzulässig (§ 349 Abs. 1 StPO), da mangels konkreter Begründung nicht erkennbar ist, dass sie ein von einer Nebenklägerrevision erreichbares Ziel (§ 400 Abs. 1 StPO) verfolgte.

II.

49
Revisionen zum Nachteil der Angeklagten A. und T. :
50
Insoweit hat die auf Grund der Revisionsrechtfertigung(en) gebotene Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler ergeben, der diesen Revisionen des Nebenklägers zum Erfolg verhelfen könnte.
51
1. Die Annahme, dass insbesondere bei Tritten gegen den Kopf eines am Boden liegenden Menschen ein Tötungsvorsatz in Betracht kommen kann, liegt im Grundsatz nicht fern (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 2005 - 1 StR 288/05, NStZ-RR 2006, 10, 11; Beschluss vom 28. Juni 2005 - 1 StR 178/05). Die insoweit freilich sehr knappen Ausführungen der Jugendkammer ergeben im Kontext mit den sonstigen Urteilsgründen, dass der Jugendkammer auch im Blick auf ein eher spontanes, sich rasch intensivierendes Geschehen Zweifel an einem solchen Vorsatz verblieben. Dies gilt auch, soweit die Jugendkammer angesichts des in seiner ständigen Bewegung schnell wechselnden und nur begrenzt zuverlässig zu rekonstruierenden tumultartigen Geschehens keine Handlungen der Angeklagten festzustellen vermochte, die die Annahme eines Tötungsvorsatzes aufdrängten. Vergleichbares gilt hinsichtlich des beim Nebenkläger eingetretenen Verlusts des Auges und der sonstigen schweren Verletzungen , von deren Verursachung durch die Angeklagten sich die Jugendkammer ebenfalls nicht zweifelsfrei überzeugen konnte. All dies liegt auch unter Berücksichtigung des hiergegen gerichteten Revisionsvorbringens noch im Rahmen möglicher tatrichterlicher Beweiswürdigung, sodass es nicht darauf ankommt, ob auch eine andere Würdigung vertretbar erschiene.
52
2. Näher noch als die Annahme eines versuchten Totschlags und/oder einer schweren Körperverletzung hätte die Annahme einer Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 StGB, zweite Alternative) gelegen, da die Angeklagten sich gemeinsam mit anderen an einem u.a. auch durch Flaschenwürfe begangenen Angriff auf M. beteiligten, durch den dieser ein Auge verlor, ohne dass es darauf ankäme, welche konkrete Handlungen ihnen im Blick auf die hier, wie in solchen Fällen typisch, vorliegende Beweisnot zugerechnet werden können (vgl. zusammenfassend Fischer StGB 58. Aufl., § 231 Rn. 1, 2, 4 ff. mwN). Näher nachzugehen braucht der Senat dem aber nicht, weil § 231 StGB kein zur Nebenklage berechtigendes Delikt ist; ein nur hierauf bezogener etwaiger Rechtsfehler zu Gunsten der Angeklagten kann einer hinsichtlich der Anwendung von Nebenklagedelikten erfolglosen Nebenklägerrevision nicht zum Erfolg verhelfen (BGH, Urteil vom 21. August 2008 - 3 StR 236/08, NStZ-RR 2009, 24, 25; BGH, Urteil vom 12. März 1997 - 3 StR 627/96, NStZ 1997, 402, 403 jew. mwN). Gleiches gilt im Ergebnis insoweit, als die Jugendkammer nicht geprüft hat, ob eine nur nach ihrer einzelfallbezogen abstrakten Gefährlichkeit, nicht nach ihren konkreten Folgen zu beurteilende lebensgefährdende Behandlung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB (vgl. Fischer aaO § 224 Rn. 12 mwN) vorliegt, oder ob im Blick auf bei den Tritten nahe liegend von den Angeklagten getragene Schuhe gefährliche Werkzeuge gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 (vgl. BGH, Urteil vom 24. September 2009 - 4 StR 347/09, NStZ 2010, 151 mwN) verwendet wurden. Das Hinzutreten weiterer Tatbestandsalternativen eines ohnehin abgeurteilten Delikts betrifft den Schuldumfang und daher den Strafausspruch (BGH, Urteil vom 21. April 1999 - 5 StR 714/98, NJW 1999, 2449; BGH, Beschluss vom 3. Juli 1997 - 4 StR 266/97, NStZ-RR 1997, 371 jew. mwN) und kann daher einer Nebenklägerrevision ebenso wenig zum Erfolg verhelfen wie sonstige nur den Strafausspruch betreffende Rechtsfehler (§ 400 StPO). Nack Wahl Rothfuß Hebenstreit Graf

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 20/11
vom
26. Mai 2011
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. Mai 2011,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Rothfuß,
Hebenstreit,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwälte
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 24. August 2010 wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Der Angeklagte wurde wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil seiner Frau zu Freiheitsstrafe verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft führt aus, es läge versuchter Totschlag vor. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel bleibt erfolglos.

I.


2
1. Die Strafkammer hat festgestellt:
3
Der angetrunkene Angeklagte hatte seine Frau mit (bedingtem) Tötungsvorsatz durch eine Machete schwer verletzt und meinte, er hätte sie getötet. Das sagte er auch einem Nachbarn, der dann ohne Wissen des Angeklag- ten telefonisch die Polizei informierte, die Beamte und Rettungskräfte schickte. Noch bevor sie eintrafen, rief auch der Angeklagte die Polizei an und sagte, er habe seine Frau getötet. Dies berichtigte er, als er während des Gesprächs merkte, dass sie noch lebte, und forderte, bald einen Arzt zu schicken, sonst verblute sie. Als Polizei und Rettungskräfte kamen, legte er „auf Zuruf nicht sofort alle Gegenstände aus den Händen“. Daher setzte die Polizei zur Eigensi- cherung Pfefferspray ein. Die Frau wurde gerettet.
4
2. Die Strafkammer nimmt einen Rücktritt vom Totschlagsversuch nach Korrektur des Rücktrittshorizonts an; der Angeklagte habe seine Frau nicht mit einem möglichen neuen Machetenangriff getötet, als er merkte, dass sie noch lebte (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB). „Selbst wenn man … (einen) ... beendeten Versuch annehmen würde“, sei er „zudem“ wegen seiner Forderung nach ei- nem Arzt zurückgetreten. Weil dieser schon allein wegen des Anrufs des Nachbarn gekommen sei, habe er objektiv nichts zur Rettung beigetragen, sich aber freiwillig und ernsthaft um die Abwendung der „auch ohne weiteren Schlag“ wei- terhin „akut drohende(n) Gefahr der Vollendung“ bemüht (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB).

II.


5
Die rechtsfehlerfreien Feststellungen (1.) begründen zwar keinen Rücktritt gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB (2.); wohl aber den (auch bejahten) Rücktritt gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB (3.). Im Übrigen ist das Urteil rechtsfehlerfrei (4.).
6
1. Die Feststellungen sind insgesamt rechtsfehlerfrei. Die Angriffe der Revision gegen die im Zusammenhang mit der Forderung nach einem Arzt getroffenen Feststellungen versagen.
7
a) Da der Angeklagte schon gesagt hatte, er habe seine Frau getötet, wäre, so die Revision, zu erörtern gewesen, ob er auch ohne konkrete Kenntnis vom Anruf des Nachbarn für möglich hielt, dass ohnehin ein Arzt käme.
8
Warum der angetrunkene Angeklagte dies in der konkreten Lage erwogen haben sollte, ist nicht erkennbar. Nur theoretische Möglichkeiten sind nicht zu behandeln.
9
b) Die Strafkammer, die hierzu insbesondere den Nachbarn und einen Polizeibeamten vernommen hat, konnte einen Versuch des Angeklagten zur Behinderung von Polizei und Rettungskräften nicht feststellen. Dies, so die Revision , sei rechtsfehlerhaft, er habe die Tür(en) nicht geöffnet (1) und (mit Pfef- ferspray) „überwältigt“ werden müssen (2).
10
(1) Die Urteilsgründe ergeben nicht, dass der Angeklagte die Tür(en) nicht geöffnet hätte. Die Revision trägt hierzu vielmehr die Abschrift des in der Hauptverhandlung abgehörten Mitschnitts vom - bei Eintreffen der Polizei noch nicht beendeten - Anruf des Angeklagten sowie einen dort angebrachten polizeilichen Vermerk vor. Urteilsfremder Vortrag kann die Sachrüge nicht begründen (BGH, Beschluss vom 17. März 1988 - 1 StR 361/87, BGHSt 35, 238, 241; Kuckein in KK 6. Aufl., § 337 Rn. 28 mwN). Im Übrigen wäre aber auch eine entsprechende Verfahrensrüge erfolglos. Über das Ergebnis eines Augenscheins - hierunter fällt auch das Abhören eines Tonbands (BGH, Beschluss vom 3. März 1977 - 2 StR 390/76, BGHSt 27, 135; Pfeiffer/Hannich in KK 6. Aufl., Einl. Rn. 113 mwN) - hat allein der Tatrichter zu befinden (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18). Ebenso wenig kann die Sach- oder eine Verfahrensrüge auf einen Abgleich von Urteilsgründen und Akteninhalt, etwa dem von der Revision vorgetragenen Vermerk, gestützt werden (vgl. zusammenfassend Wahl in NJW-SH f. G. Schäfer, 73 mwN).
11
(2) Die Annahme der Strafkammer, der sofortige Einsatz von Pfefferspray belege keine vom Angeklagten verursachte oder erstrebte nennenswerte Verzögerung des Einsatzes, ist rechtsfehlerfrei. Die Strafkammer musste dies auch nicht breiter als geschehen ausführen, da Gründe für einen entsprechenden Sinneswandel des Angeklagten weder aufgezeigt noch sonst erkennbar sind.
12
2. Die Strafkammer nimmt in erster Linie einen Rücktritt vom unbeendeten Versuch des Totschlags an, da der Angeklagte seine Frau nicht mittels eines erneuten Angriffs getötet hat, als er merkte, dass sie noch lebte.
13
Ob ein Versuch unbeendet oder beendet ist, hängt von der Vorstellung des Täters nach der letzten Ausführungshandlung (Rücktrittshorizont) ab. Hält er für den Taterfolg noch weitere Handlungen für (möglich und) nötig, ist der Versuch unbeendet, er kann durch Untätigkeit zurücktreten (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB erste Alternative). Hält er dagegen den Eintritt des Taterfolgs für möglich, ist der Versuch beendet; ein Rücktritt erfordert eine Verhinderung des Erfolgs durch eigene Tätigkeit (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB zweite Alternative) oder entsprechende Bemühungen (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB), wenn der Erfolg ohne sein Zutun ausgeblieben ist (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 229 mwN).
14
Hier liegt kein Rücktritt vom unbeendeten Versuch vor; wie der Hinweis des Angeklagten, ohne Arzt werde seine Frau verbluten, zeigt, hielt er ihren Tod für möglich. Dem entsprechend ist allein der Verzicht auf eine (gewisse) Beschleunigung ihres von ihm ohnehin erwarteten verletzungsbedingten Todes kein Rücktritt gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB erste Alternative. Darüber hinaus bemerkt der Senat, dass der Angeklagte nicht seinen Rücktrittshorizont korrigierte (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224; Lilie/Albrecht in LK 12. Aufl., § 24 Rn. 178 ff. mwN). Als er bemerkte, dass seine Frau doch noch lebte, entstand vielmehr erstmals ein Rücktrittshorizont , nachdem er sie zuvor für tot gehalten hatte und er daher zuvor noch keinen Rücktrittshorizont gehabt haben konnte.
15
3. Auf der Annahme eines Rücktritts vom unbeendeten Versuch beruht das Urteil aber nicht, da rechtsfehlerfrei (auch) ein Rücktritt gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 StGB bejaht ist (vgl. I 2).
16
a) Zu Unrecht hält die Revision dem gegenüber das Verhalten des Angeklagten nicht für freiwillig, da die Tat, wie er wusste, schon entdeckt gewesen sei.
17
Freiwillig ist ein Rücktritt, wenn weder eine äußere Zwangslage noch seelischer Druck den Täter an der Vollendung der Tat hindert (st. Rspr., vgl. schon BGH, Beschluss vom 14. April 1955 - 4 StR 16/55, BGHSt 7, 296, 299; zusammenfassend Lilie/Albrecht aaO Rn. 222, 248 f., 319 mwN); eine vorherige Entdeckung der Tat kann gegen Freiwilligkeit sprechen (BGH, Beschluss vom 29. Januar 1982 - 3 StR 496/81, StV 1982, 219 mwN). Für die Freiwilligkeit von Rücktrittsbemühungen gilt all dies entsprechend (Lilie/Albrecht aaO Rn. 359).
18
Hier hatte der Angeklagte vor seiner Forderung nach einem Arzt gegenüber dem Nachbarn und (zu Beginn des Gespräches) der Polizei ein hinsichtlich einer Gewaltanwendung zum Nachteil seiner Frau zwar zutreffendes, hin- sichtlich ihres dadurch verursachten Todes aber objektiv falsches „Geständnis“ abgelegt. Nach Erkenntnis seines Irrtums hat er sich bemüht, diese zwar dro- hende, aber entgegen seinem bisherigen „Geständnis“ noch nicht eingetretene Folge seiner Tat zu verhindern. Es ist nicht zu erkennen, dass dies aus seiner Sicht auf äußerem oder innerem Druck beruht hätte und daher unfreiwillig wäre.
19
b) Auch die Bewertung der Bemühungen des Angeklagten als ernsthaft ist rechtsfehlerfrei. Die, wie dargelegt (II 1 b), rechtsfehlerfreien Urteilsfeststellungen ergeben entgegen der Auffassung der Revision insbesondere auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte sein Verhalten für die Verhinderung des Todes seiner Frau selbst für nicht erforderlich gehalten, sondern geglaubt hätte, sie würde auch ohne sein Zutun gerettet (vgl. hierzu BGH b. Holtz MDR 1978, 988; Lilie/Albrecht aaO Rn. 331, 332 mwN), oder dass er sogar die Rettung behindert (vgl. hierzu Lilie/Albrecht aaO Rn. 343) oder dies jedenfalls versucht hätte.
20
4. Im Übrigen hat die auf Grund der Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils weder im Schuldspruch noch im Strafausspruch einen Rechtsfehler zu Gunsten oder zu Lasten (§ 301 StPO) des Angeklagten ergeben.
Nack Wahl Rothfuß Hebenstreit Sander