Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Dez. 2016 - 1 StR 571/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:221216B1STR571.16.0
bei uns veröffentlicht am22.12.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 571/16
vom
22. Dezember 2016
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:221216B1STR571.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 22. Dezember 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 17. Juni 2016 mit den Feststellungen aufgehoben , jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung und mit vorsätzlichem unerlaubtem Führen einer Schusswaffe und mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz von Munition“ zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg und ist im Übrigen unbegründet.

I.


2
1. Nach den Feststellungen kam es zwischen dem Angeklagten und seinem Arbeitgeber, dem Geschädigten U. , in der vom Angeklagten bewohnten Wohnung zu einem Zerwürfnis. In dessen Rahmen versetzteU. dem Angeklagten zwei Faustschläge, aufgrund derer der Angeklagte zu Boden ging. Der ebenfalls in der Wohnung anwesende H. hielt U. daraufhin am Arm fest und forderte ihn zum Gehen auf. Der in Wut geratene Angeklagte fasste nunmehr den Entschluss, an U. Vergeltung zu üben und ihn zu erschießen. Er holte eine unter seiner Matratze verborgene Schreckschusswaffe hervor, deren Lauf so manipuliert war, dass damit Kartuschenmunition, Kaliber 9 mm, versehen mit einer nachgefertigten Stahlrundkugel, Kaliber 4 mm, mit einer Masse von 0,26 g, verschossen werden konnte. Die Waffe war mit sechs dieser Geschosse geladen. Weder für die Waffe noch für die Munition besaß der Angeklagte die erforderliche Erlaubnis.
3
H. hatte die Bewaffnung des Angeklagten wahrgenommen, warnte U. und forderte ihn zur Flucht auf. Dem kam U. nach und lief den vor der Wohnung gelegenen Treppenabsatz bis zu dem vor der Haustür gelegenen zweiten Treppenabsatz hinunter. H. verließ ebenfalls die Wohnung, zog die Wohnungstüre hinter sich zu und hielt die Türklinke mit beiden Händen fest, um zu verhindern, dass der Angeklagte nachfolgte. U. blieb stehen und beobachtete die Bemühungen H. s. Der Angeklagte stellte fest, dass die Tür von außen zugehalten wurde, er wusste auch, dass dies durch H. erfolgte. Er beschloss, sich den Weg frei zu schießen und schoss – ohne die Schussbahn zu berechnen – schräg von oben nach unten durch die Wohnungstüre. Die in die Kartusche eingesetzte Stahlrundkugel durchschlug das hölzerne Türblatt, verfehlte H. , dessen Verletzung der Ange- klagte billigend in Kauf genommen hatte. Die Kugel schlug auf dem Treppenabsatz vor der Wohnungstüre auf dem Boden des Hausflurs auf, prallte von dort wieder ab und flog als Querschläger über die Treppenstufen hinweg in Richtung des unteren Treppenabsatzes und traf U. dort an der linken Flanke. Das Durchdringen des Türblattes in schräger Bahn hatte allerdings zu einer Drosselung der Geschwindigkeit und einer Herabsetzung der Energiedichte geführt, so dass das Geschoss nicht mehr eindrang, sondern lediglich eine Prellmarke verursachte.
4
U. floh aus dem Gebäude und brachte sich in einem in der Nähe befindlichen Kaufhaus in Sicherheit. Der Angeklagte setzte ihm bis auf den Gehsteig vor dem Haus nach. Seine Versuche, erneut auf U. zu schießen, scheiterten jedoch an einer Ladehemmung der Waffe. Als er diese beseitigt hatte, war U. nicht mehr zu sehen. Er wandte sich sodann dem Fahrzeug des U. zu, das er beschädigte.
5
2. Das Landgericht hat sich davon überzeugt, dass der Angeklagte bei der Schussabgabe durch das Türblatt mit bedingtem Tötungsvorsatz im Hinblick auf U. handelte. Er habe zwar keine Berechnung der Schussbahn vorgenommen, sei hierzu auch nicht in der Lage gewesen, er habe aber einen Querschläger für möglich gehalten. Dass U. von einer „unkon- trollierbar umherfliegenden Kugel“ getroffen werden könnte, habe er für möglich gehalten und auch gewollt. Denn er habe damit gerechnet, das U. weiter von der Tür Weg gestanden und sich damit im tiefer gelegenen Bereich des Treppenhauses, mithin „näher in der schräg nach unten verlaufenden Schussbahn“ befunden habe.

II.


6
1. Die Beweiswürdigung zur inneren Tatseite hat keinen Bestand. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift hierzu ausgeführt: „Die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite im Moment der Schuss- abgabe durch die Wohnungstür begegnet rechtlichen Bedenken. Dies gilt zwar nicht für die Annahme, der Angeklagte habe dabei eine Verletzung der Zeugen H. und U. zumindest billigend in Kauf genommen (siehe UA Seite 34), wohl aber für die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes zum Nachteil des Zeugen U. . Es fehlt diesbezüglich an einer nachvollziehbaren Beweiswürdigung zum kognitiven Vorsatzelement. Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, und dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. Beide Elemente der inneren Tatseite müssen in jedem Einzelfall gesondert geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Es bedarf einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände, bei der die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Gegebenheiten zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator ist. Neben der konkreten Angriffsweise sind dabei regelmäßig auch die Persönlichkeit des Täters, sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motivation mit einzubeziehen (BGH, Beschluss vom 07. September 2015 – 2 StR 194/15, juris). Zur objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung hat das Gericht festgestellt, dass das aufgrund Durchschlagens des Türblatts abgebremste Geschoss allenfalls bei einem Auftreffen auf das Auge in einen menschlichen Körper hätte eindringen können und unabhängig von der Stelle des Auftreffens nicht geeignet war, lebensgefährliche Verletzungen herbeizuführen (UA Seite 32 f.). Hierauf komme es jedoch, so die Kammer, nicht an, da der Angeklagte 'nicht zu einer Einschätzung der Energiedichte als Maßstab für ein Eindringen des Geschosses in den menschlichen Körper nach Durchschlagen der Tür in der Lage' gewesen sei (UA Seite 14, siehe auch UA Seite 33). Diese Erwägung begegnet deshalb Bedenken, weil – unabhängig von der genauen Berechnung der kinetischen Energie – die Erkenntnis, dass Projektile durch das Durchschießen von Gegenständen abgebremst werden, allgemeinkundig sein dürfte. Die Kammer hat weiter festgestellt, der Angeklagte habe bei der Schussabgabe durch seine Wohnungstür keine Berechnung der Schussbahn vorgenommen; er sei hierzu auch nicht in der Lage gewesen (siehe UA Seite 32). Gleichwohl soll der Angeklagte damit gerechnet haben, dass der Zeuge U. sich noch im Treppenhaus und dort gerade an einer solchen Stelle aufhalten könnte, an der er von einem unkontrolliert umherfliegenden Querschläger (lebensgefährlich) hätte getroffen werden können. Worauf sich diese Behauptung zum angeblichen Vorstellungsbild des Angeklagten stützt, bleibt offen. Der Angeklagte hatte ausweislich der Feststellungen zuvor lediglich wahrgenommen , dass der Zeuge U. vor ihm davonlief und der Zeuge H. dessen Verfolgung dadurch zu behindern versuchte, dass er die Wohnungstür von außen zuhielt (UA Seite 3, 12). Dies spricht, ebenso wie die Feststellung der Kammer, der Angeklagte habe deshalb von der Waffe Gebrauch gemacht, weil er sich den Weg (zur weiteren Verfolgung des Zeugen U. ) habe 'freischießen' wollen (siehe UA Seite 12, siehe auch UA Seite 34), dagegen, dass der Angeklagte mit der Möglichkeit rechnete, U. könne bei einer Schussabgabe durch die Tür (tödlich) getroffen werden.“
7
Dem schließt sich der Senat an.
8
Die Sache bedarf daher insoweit neuer tatrichterlicher Verhandlung und Entscheidung; denn die Frage, ob der Angeklagte bei dem Geschehen vor dem Haus mit Tötungsvorsatz handelte, wird das neu zuständige Tatgericht zu klären haben.
9
Die Aufhebung erfasst auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen der tateinheitlichen Delikte. Jedoch bedurfte es der Aufhebung der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen nicht, da diese rechtsfehlerfrei getroffen sind, § 353 Abs. 2 StPO. Das Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.
10
Mit Blick auf die im Verurteilungsfalle erneut vorzunehmende Strafzumessung weist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts hin.
Raum Jäger Cirener Mosbacher Fischer

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Dez. 2016 - 1 StR 571/16

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Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 353 Aufhebung des Urteils und der Feststellungen


(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren
Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Dez. 2016 - 1 StR 571/16 zitiert 3 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 353 Aufhebung des Urteils und der Feststellungen


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Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Sept. 2015 - 2 StR 194/15

bei uns veröffentlicht am 07.09.2015

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 S t R 1 9 4 / 1 5 vom 7. September 2015 in der Strafsache gegen wegen versuchten Totschlags u.a. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 7. Sept

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 S t R 1 9 4 / 1 5
vom
7. September 2015
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 7. September 2015 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Limburg an der Lahn vom 9. Februar 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug der verhängten Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten "einschließlich der erlittenen Untersuchungshaft" angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
3
a) Der mehrfach - auch wegen Körperverletzungsdelikten - vorbestrafte Angeklagte, der sich zum Tatzeitpunkt im offenen Vollzug befand, besuchte mit seiner Ehefrau, seinem Schwager und dessen Freundin ein Stadtfest. Obwohl ihm während seines Hafturlaubs der Genuss von Alkohol untersagt war, trank er im Laufe des Abends mindestens zwei Liter Bier und konsumierte 0,2 bis 0,3 Gramm Kokain. Der Angeklagte trennte sich gegen 23.00 Uhr kurzfristig von der Gruppe, um an einer Tankstelle einzukaufen. Währenddessen geriet die Ehefrau des Angeklagten in eine Auseinandersetzung mit dem ihr unbekannten Zeugen S. , von dem sie sich "angemacht" fühlte und dem sie (deswegen) den Inhalt ihres Glases ins Gesicht schüttete. Dabei traf sie den Zeugen mit dem Glas "leicht am Kinn", woraufhin dieser ihr eine Ohrfeige versetzte und sich entfernte. Die Ehefrau des Angeklagten lief dem Zeugen S. nach und "schrie unterdessen hysterisch mehrmals" nach ihrem Bruder. Im weiteren Verlauf kam es zu einer Schlägerei zwischen ihrem Bruder, dem Zeugen S. und weiteren - teils unbekannten - Personen.
4
Währenddessen war der Angeklagte mit einer gläsernen Flasche Bier zu 0,5 Liter, die er zuvor etwa zur Hälfte ausgetrunken hatte, zu seiner Ehefrau zurückgekehrt. Sie berichtete ihm "laut weinend und hysterisch, dass sie von einem jungen Türken belästigt und geschlagen worden sei. Auf seinen Einwand , er sei im offenen Vollzug, forderte die Ehefrau ihn auf, wenigstens ihren Bruder aufzusuchen und dafür zu sorgen, dass nichts passiere".
5
Der Angeklagte lief zu der sich am Boden prügelnden Gruppe und ging davon aus, dass sich dort sein Schwager befand. Er nahm ferner wahr, dass abseits von dieser Schlägerei der Zeuge A. stand, von dem der Angeklagte annahm, dass dieser entweder selbst der Türke sei, der seine Frau belästigt habe oder aber zumindest zur Gruppe der Türken gehöre, die für die Beleidigung seiner Ehefrau verantwortlich sei. Der Angeklagte schlug dem Zeugen A. ohne Vorwarnung mit erhobener rechter Hand unvermittelt von oben mit voller Wucht die halb gefüllte Bierflasche auf die rechte Kopfseite; die Glasfla- sche zersplitterte infolge des wuchtigen Schlages an der rechten Schläfe des Geschädigten. Dem Angeklagten, dessen Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit 1,46 ‰ betrug, war bei der Tatausführung bewusst, dass ein solcher massiver Schlag mit einer Glasflasche gegen den Kopf eines Menschen geeignet ist, schwerste Verletzungen mit tödlichem Ausgang herbeizuführen, was ihm jedoch gleichgültig war.
6
Der Geschädigte trug eine Platz-Schnittwunde davon, bei der eine Arterie eröffnet wurde, so dass es zu einer heftigen Spritzblutung kam. Der Angeklagte zog die abgebrochene Flasche von der Schläfe des Geschädigten in Richtung des rechten Ohrs bis hinter die Ohrmuschel. Der Zeuge A. sackte zu Boden und rief mehrfach, dass er verblute und sterbe. Der Angeklagte nahm wahr, dass er dem Geschädigten schwerste Verletzungen zugefügt hatte, zumal der Zeuge A. wiederholt rief "Ich sterbe". Er verließ den Tatort, ohne sich um Hilfe zu bemühen. Der Geschädigte zog sich mehrere Schnittwunden am Kopf und eine Schädelprellung zu, die ärztlich versorgt wurden.
7
b) Seine Überzeugung, dass der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte, hat das Schwurgericht auf die Lebensgefährlichkeit der konkreten Verletzungshandlung gestützt. Dem Angeklagten sei bewusst gewesen, dass der Schlag mit einer gläsernen Bierflasche gegen den Kopf des Zeugen A. dessen Tod herbeiführen konnte; dies entspräche "dem Allgemeinwissen eines durchschnittlich intelligenten Menschen", wozu auch der Angeklagte gehöre. Die Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände ergebe auch, dass dem Angeklagten der Tod des Zeugen A. gleichgültig gewesen sei.
8
2. Der Schuldspruch wegen versuchten Totschlags hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes ist nicht tragfähig begründet.
9
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, und dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. Beide Elemente der inneren Tatseite müssen in jedem Einzelfall gesondert geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. Senat, Urteil vom 18. Oktober 2006 - 2 StR 340/06, NStZ 2007, 150, 151; BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 - 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702; Senat, Beschluss vom 9. Juni 2015 - 2 StR 504/14). Annahme oder Ablehnung bedingten Tötungsvorsatzes können nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444). Dabei ist die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 1999 - 1 StR 26/99, NJW 1999, 2533, 2534). Neben der konkreten Angriffsweise ist dabei regelmäßig auch die Persönlichkeit des Täters, sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motivation mit in die erforderliche Gesamtbetrachtung einzubeziehen (vgl. Senat, Beschluss vom 1. Juni 2007 - 2 StR 133/07, NStZ-RR 2007, 267, 268; Beschluss vom 9. Juni 2015 - 2 StR 504/14).
10
b) Diesen Anforderungen wird die landgerichtliche Entscheidung nicht gerecht. Das Landgericht hat schon nicht eindeutig das kognitive Moment des bedingten Tötungsvorsatzes festgestellt. Auch wenn dem Angeklagten - wovon das Landgericht ausgeht - "bewusst" gewesen ist, dass man mit einer Bierflasche einen Menschen töten könne, so belegt dies nur das Wissen um die all- gemeine Gefährlichkeit des Einsatzes dieses Tatwerkzeugs gegen den Kopfbereich eines Menschen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 19. Juli 1994 - 4 StR 348/94, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 41 mwN). Daraus lässt sich indes nicht ohne weiteres herleiten, dass der Angeklagte in der konkreten Tatsituation auch tatsächlich mit der Möglichkeit rechnete, der Zeuge A. könne durch einen Schlag mit einer Flasche auf dessen Kopf zu Tode kommen, und er dies in seine Überlegungen mit einbezog. Es ist durchaus möglich, dass der Angeklagte zwar alle Umstände kannte, ohne sich indes in der konkreten Situation bewusst zu sein, dass sein Vorgehen zum Tode des Opfers führen könne (vgl. auch BGH, Urteil vom 10. Dezember 1987 - 4 StR 539/87, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 10; Beschluss vom 19. Juli 1994 - 4 StR 348/94, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 41). Das Landgericht hätte sich insoweit insbesondere mit den besonderen Tatumständen auseinandersetzen müssen, die zu einer erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit führten: Aufgrund der deutlichen Tatzeitalkoholisierung des Angeklagten mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,46 ‰, des zusätzlichen Konsums von Kokain, seiner Übermüdung und des aggressiven Impulsdurchbruchs als Reaktion auf das hysterische Verhalten seiner Ehefrau kann dem Angeklagten, der zudem unmittelbar zuvor erklärt hatte, sich im offenen Vollzug zu befinden, das Bewusstsein gefehlt haben, dass seine spontane Tathandlung den Tod des Zeugen A. zur Folge haben könnte.
11
3. Der dargelegte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Schuldspruchs insgesamt. Die Aufhebung erfasst auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 - 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1; Gericke in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 353 Rn. 12). Die Sache bedarf insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Fischer Eschelbach Ott Zeng Bartel

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.