Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Mai 2013 - 1 StR 71/13

bei uns veröffentlicht am22.05.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 71/13
vom
22. Mai 2013
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Mai 2013 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 30. Juli 2012 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen - mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tatgeschehen - aufgehoben. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, vorsätzlicher Körperverletzung, Nötigung und Bedrohung, wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und Nötigung, wegen Nachstellung in Tateinheit mit Beleidigung und einem Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz sowie wegen unerlaubten Führens einer Waffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision, die den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg hat.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts sperrte der Angeklagte am 14. März 2010 seine Ehefrau sechs Stunden lang im Wohnzimmer der gemein- samen Wohnung ein, zog sie an den Haaren, schlug, trat und würgte sie derart, dass die Geschädigte keine Luft mehr bekam. Unter Vorhalt eines Messers drohte er ihr, sie umzubringen, und nötigte sie, die Oberbekleidung auszuziehen. Sodann versetzte er ihr nochmals einen Faustschlag. Ein Jahr später sperrte er die Geschädigte abermals in der Wohnung ein, diese flüchtete panisch über den Balkon im vierten Stock auf das Dach des Nachbarhauses. Der Angeklagte setzte ihr hinterher, hielt sie schmerzhaft mit seinem von hinten um den Hals gelegten Arm fest und drohte ihr, sie vom Dach herunterzustoßen. Nach der Trennung der Eheleute behelligte der Angeklagte die Geschädigte trotz einer gerichtlichen Unterlassungsverpflichtung zwischen dem 20. Oktober und dem 20. Dezember 2012 durch mehrfache tägliche Anrufe und bezeichnete sie dabei als Lügnerin. Einmal beobachtete er sie in diesem Zeitraum in ihrer Wohnung. Zwischen dem 21. November 2011 und dem 20. Dezember 2011 fragte er über die SIM-Karte seines Mobiltelefons ca. 420mal die Standortdaten des Kraftfahrzeugs der Geschädigten ab, an das er heimlich einen GPSPeilsender angebracht hatte. Am 21. Dezember 2011 führte er in seinem Fahrzeug eine Schreckschusspistole mit sich.
3
Das Landgericht hat - dem Sachverständigen folgend - eine chronifizierte depressive Störung ohne psychotische Symptome angenommen, die eine krankhafte seelische Störung im Sinne des § 20 StGB darstelle. Diese äußere sich darin, dass der Angeklagte dauerhaft ängstlich, bedrückt, teilnahmslos und antriebsgemindert sei. Hinzu trete eine ausgeprägte Eifersucht, die schon wahnhaften Charakter habe. Sein Denken kreise ständig um seine Ehefrau und deren Verhalten. Die festgestellte Störung habe bei allen Taten zu einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit geführt. Die Depression habe sich bei den Taten durch Aggression „in Form negativer Energie“ geäußert. Da diese Störung andauere, der Angeklagte unvermindert aggressiv sei, wie ein Suizid- versuch trotz „formaler Anpassung“ belege, bestehe die Gefahr schwererAg- gressionsdelikte.
4
2. Diese Feststellungen sind nicht geeignet, die Anordnungsvoraussetzungen des § 63 StGB zu belegen.
5
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf lediglich angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die unterzubringende Person bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war (BGH, Beschlüsse vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12, und vom 20. November 2012 - 1 StR 504/12, NJW 2013, 246 jew. mwN). Hierzu hat das Tatgericht festzustellen, warum die festgestellte Störung unter ein Eingangsmerkmal des § 20 StGB zu subsumieren ist und wie sich diese, einem Eingangsmerkmal von § 20 StGB unterfallende Störung in der jeweiligen konkreten Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. März 2013 - 1 StR 654/12, und vom 12. November 2004 - 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 352). Daran fehlt es.
6
Das Landgericht beschränkt sich auf die Mitteilung der vom Sachverständigen vorgenommenen diagnostischen Einordnung und der Symptome der festgestellten Störung. Erwägungen zum Ausprägungsgrad hat es für die depressive Störung nicht angestellt. Allein die psychiatrische Diagnose ist aber nicht mit einem Eingangsmerkmal des § 20 StGB gleichzusetzen (BGH, Beschluss vom 12. November 2004 - 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 352). Hierfür sind vielmehr der Ausprägungsgrad der Störung und ihr Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit entscheidend. Für die Bewertung der Schwere einer die Tat überdauernden Störung ist insbesondere maßgebend, ob es im Alltag außerhalb der beschuldigten Delikte zu Einschränkungen des beruflichen und so- zialen Handlungsvermögens gekommen ist (vgl. hierzu Boetticher/Nedopil/ Bosinski/Saß NStZ 2005, 57). Dass die diagnostizierte Störung hier sicher eine derartige Schwere erreicht, ist vom Landgericht ohne weiteres angenommen worden, versteht sich aber auch angesichts des Umstands, dass der Angeklagte bis zu seiner Festnahme als Vorarbeiter im Schichtbetrieb tätig, mithin beruflich eingegliedert war, nicht von selbst.
7
Zudem ist nicht nachvollziehbar dargelegt, wie sich die depressive Störung und die ihr zugeordneten verhaltensbezogenen Symptome, die eine starke passive Ausprägung haben, konkret auf die Begehung der Taten, die sich über Stunden, teilweise über Wochen erstreckten und vom Täter erhebliche Aktivität verlangten, ausgewirkt haben. Dass die durch die Störung verursachte Inaktivi- tät sich „in Form negativer Energie“ in Aggression umgewandelt habe, ist nicht geeignet, in nachprüfbarer Weise darzulegen, worin der Zustand des Angeklagten besteht und welche seiner Auswirkungen die Anordnung der gravierenden, unter Umständen lebenslangen Maßregel nach § 63 StGB gebieten (vgl. BGH aaO; Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307).
8
Auch für die Eifersucht, der bereits ein wahnhafter Charakter zugeschrieben wird, ist weder dargelegt, ob diese überhaupt einem Eingangsmerkmal des § 20 StGB unterfällt, noch welche Auswirkungen diese Symptomatik - sei es auch im Zusammenspiel mit der depressiven Störung - auf die Schuldfähigkeit bei der Ausführung der Taten hatte. Hinzu kommt, dass der Sachverständige , dessen Ausführungen sich das Landgericht anschließt, den wahnhaften Charakter unter den vom Landgericht nicht aufgeklärten Vorbehalt stellt, dass die Ehefrau tatsächlich kein außereheliches Verhältnis gehabt habe. Insoweit ist schon der Schluss auf die wahnhafte Eifersucht nicht belegt.
9
3. Der Senat kann angesichts der unklaren Auswirkungen des psychischen Zustands des Angeklagten letztlich nicht ausschließen, dass er bei den Taten schuldunfähig war, so dass auch der Schuldspruch aufzuheben war. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können jedoch bestehen bleiben. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
10
Der Senat weist darauf hin, dass für den Fall der erneuten Festsetzung einer Geldstrafe für diese auch dann eine Tagessatzhöhe festzulegen ist, wenn aus Einzelfreiheitsstrafen und einer Einzelgeldstrafe eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden ist (BGH, Beschluss vom 14. Mai 1981 - 4 StR 599/80, BGHSt 30, 93, 96). Die nun zur Entscheidung berufene Strafkammer wird zudem bei erneuter Feststellung eines Zustands im Sinne des § 63 StGB zu berücksichtigen haben, dass die für die Anordnung der Maßregel erforderliche Gefährlichkeit für die Allgemeinheit nur dann auf Selbsttötungsbestrebungen gestützt werden kann, wenn damit Folgen für Dritte verbunden sind (vgl. zu einer solchen Konstellation BGH, Urteil vom 10. Dezember 2009 - 4 StR 435/09, NStZ-RR 2010, 105).
Wahl Graf Cirener Radtke Zeng

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Mai 2013 - 1 StR 71/13

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Mai 2013 - 1 StR 71/13

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und
Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Mai 2013 - 1 StR 71/13 zitiert 3 §§.

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Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 348/12
vom
26. September 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 26. Septemer 2012 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 31. Mai 2012 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Ferner wurden Maßregeln nach den §§ 69, 69a StGB getroffen. Die auf den Maßregelausspruch nach § 63 StGB beschränkte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des gesamten Urteils.

I.


2
Nach den Feststellungen leidet der Angeklagte an einer im Jahr 2007 manifest gewordenen paranoid-halluzinatorischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Zudem besteht bei ihm ein schädlicher Gebrauch von Alkohol.
3
Am Nachmittag des 6. November 2011 gegen 16.50 Uhr riss der Angeklagte auf dem Parkplatz eines Supermarktes die Fahrertür eines dort abgestellten Pkw BMW 330 CICP auf und sagte zu dem in seinem Fahrzeug sitzenden Zeugen F. und dessen Freundin, der Zeugin M. , in bestimmtem Ton: „Aussteigen“. Da der Angeklagte beide Hände in den Taschen seiner Jacke stecken hatte, befürchteten die Zeugen, dass er eine Waffe bei sich führe und verließen das Fahrzeug. Der erheblich alkoholisierte Angeklagte nahm auf dem Fahrersitz Platz und fuhr davon. Den Pkw des Zeugen F. wollte er für sich behalten, weil es sein „Traumauto“ war. Aufgrund der sofort eingeleiteten Fahndung wurde das entwendete Fahrzeug mit dem Angeklagten am Steuer schon nach kurzer Zeit von zwei Polizeistreifen auf einer öffentlichen Straße entdeckt. Während der anschließenden Verfolgungsfahrt missachtete der Angeklagte wiederholt Anhalteaufforderungen der ihm mit Blaulicht und Martinshorn nachfahrenden Polizeibeamten und vereitelte mehrere Überholversuche, indem er mit dem von ihm gesteuerten Pkw nach links oder rechts zog. Nachdem es dem Polizeibeamten S. doch gelungen war, sich mit seinem Fahrzeug vor den Angeklagten zu setzen, unternahm dieser nun seinerseits mehrere erfolglose Überholmanöver. Schließlich musste er auf einem Gehweg anhalten. Der Aufforderung zum Aussteigen kam der Angeklagte erst nach einem Warnschuss nach. Eine ihm um 18.35 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 1,51 Promille auf.
4
Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten als Diebstahl (§ 242 StGB) in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1 StGB) und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 Abs. 1 StGB) gewertet. Bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit und der Einschätzung der Gefährlichkeitsprognose hat sich das Landgericht dem angehörten Sachverständigen angeschlossen. Danach „scheine“ bei dem Angeklagten neben dem Alko- holkonsum ein psychotisches Erleben mit Fremdbeeinflussungsgedanken („mein Vater ist Luzifer und mein Vater hat gesagt, ich solle das Auto entwenden“ ) im Rahmen seiner schizophrenen Erkrankung im Vordergrund gestanden zu haben. Die Intensität der Beeinträchtigung sei zu den Tatzeitpunkten so ausgeprägt gewesen, dass eine erheblich eingeschränkte Handlungs- und Steuerungsfähigkeit angenommen werden müsse. Eine vollständig aufgehobene Einsichts- und Steuerungsfähigkeit könne nicht ausgeschlossen werden, wenn man davon ausgehe, dass die dokumentierten Fremdbeeinflussungserlebnisse wirksam gewesen seien (UA 8). Die Prognose des Angeklagten müsse als ungünstig bezeichnet werden, weil seine Krankheitseinsicht und seine Therapiewilligkeit erheblichen Schwankungen unterworfen seien. Bei einer sofortigen Entlassung sei mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Angeklagte seine Medikamente erneut absetzt und dadurch in psychotische Zustände gerät, in denen er – möglicherweise in suizidaler Absicht – Straftaten der vorliegenden Art begehen könnte. Das Landgericht geht davon aus, dass die Anlassdelikte „von erheblichem Gewicht“ waren. Insbesondere sei der Dieb- stahl in seiner Begehungsform einem Raub angenähert gewesen (UA 9).

II.


5
Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht belegt.
6
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198; Beschluss vom 8. April 2003 – 3 StR 79/03, NStZ-RR 2003, 232).
7
Die Diagnose einer paranoid-halluzinatorischen Psychose führt nicht zwangsläufig zu der Feststellung einer generellen oder über längere Zeiträume andauernden gesicherten Beeinträchtigung oder Aufhebung der Schuldfähigkeit. Es ist daher stets im Einzelnen darzulegen, wie sich die Erkrankung in der konkreten Tatsituation auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf sie zurückzuführen sind (BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; Beschluss vom 2. Oktober 2007 – 3 StR 412/07, NStZ-RR 2008, 39; Beschluss vom 3. Juli 1991 – 3 StR 69/91, NStZ 1991, 527, 528).
8
Das landgerichtliche Urteil enthält hierzu keine ausreichenden Feststellungen. Soweit das Landgericht im Anschluss an den Sachverständigen davon ausgeht, dass bei dem Angeklagten ein auf seiner Schizophrenie beruhendes psychotisches Erleben mit Fremdbeeinflussungsgedanken im Vordergrund gestanden habe, werden die diese Bewertung tragenden Anknüpfungs- und Befundtatsachen nicht wiedergegeben, sodass eine Überprüfung nicht möglich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; Beschluss vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10, Rn. 8). Das in diesem Zusammenhang mitgeteilte Wahnerleben („mein Vater ist Luzifer und mein Vater hat gesagt, ich solle das Auto entwenden“) ist mit dem festgestellten Motiv für den Diebstahl des Pkw („Traumauto“) unvereinbar. Da dieser Beweggrund offenkundig nicht in einem Zusammenhang mit der Grunderkrankung des Angeklagten steht, sind die Feststellungen des Landgerichts an dieser Stelle mehrdeutig. Konkrete Ausführungen zu der Frage, wie sich die psychische Erkrankung auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten während der anschließenden Trunkenheitsfahrt und der Polizeiflucht ausgewirkt hat, fehlen ganz. Schließlich war es auch rechtsfehlerhaft, dass das Landgericht mit dem Sachverständigen eine gleichzeitige Aufhebung der Einsichts- und der Steuerungsfähigkeit für möglich gehalten hat (BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; Beschluss vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10, Rn. 8; Beschluss vom 9. September 1986 – 4 StR 470/86, BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1).
9
2. Auch die Gefährlichkeitsprognose begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
10
Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZRR 2011, 240, 241; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202). Ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Beschluss vom 26. April 2001 – 4 StR 538/00, StV 2002, 477 f.). Sind die zu erwartenden Delikte nicht wenigstens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen, ist die Annahme einer schweren Störung des Rechtsfriedens nur in Ausnahmefällen begründbar (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 18. März 2008 – 4 StR 6/08; Beschluss vom 18. Februar 1992 – 4 StR 27/92, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 16; Beschluss vom 28. Juni 2005 – 4 StR 223/05, NStZ-RR 2005, 303, 304). Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (BGH, Urteil vom 17. August 1977 – 2 StR 300/77, BGHSt 27, 246, 248 f.; Urteil vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27). An die Darlegungen sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (BGH, Beschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, Rn. 8; Beschluss vom 8. November 2006 – 2 StR 465/06, NStZ-RR 2007, 73, 74).
11
Diesen Maßstäben werden die Erwägungen des Landgerichts nicht gerecht. Das Landgericht hat keine die Biographie des Angeklagten und seine Krankheitsgeschichte in den Blick nehmende Gesamtwürdigung vorgenommen. In diesem Zusammenhang hätte erörtert werden müssen, dass der Angeklagte bereits seit dem Jahr 2007 manifest erkrankt ist, ohne strafrechtlich in Erscheinung getreten zu sein. Dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine Straftaten begangen hat, ist ein Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten (BGH, Beschluss vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198, 199). Die Wertung des Landgerichts, wonach sämtliche Anlassdelikte von einem erheblichen Gewicht waren, wird durch die festgestellten Tatumstände nicht belegt. Eine vorsätzliche Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 1 StGB kann nicht ohne weiteres der mittleren Kriminalität zugeordnet werden (vgl. MK-StGB/van Gemmeren, 2. Aufl., § 63 Rn. 55). Sie ist erst bei einer zu erwartenden besonderen Häufung oder bei außergewöhnlichen – hier nicht festgestellten – Tatumständen erheblich. Der festgestellte Widerstand hat zu keiner Zeit zu einer Gefährdung der eingesetzten Polizeibeamten geführt und war daher ebenfalls nicht als eine schwere Störung des Rechtsfriedens anzusehen.

III.


12
Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
13
1. Der Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht der Aufhebung des Freispruchs nicht entgegen. Wird die Anordnung einer Unterbringung nach § 63 StGB auf eine Revision des Angeklagten hin aufgehoben , hindert das Schlechterstellungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO den neuen Tatrichter nicht daran, an Stelle einer Unterbringung nunmehr eine Strafe zu verhängen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO). Dadurch soll vermieden werden, dass die erfolgreiche Revision eines Angeklagten gegen die alleinige Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dazu führt, dass eine Tat, die wegen angenommener Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB nicht zu einer Bestrafung geführt hat, ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war (BT-Drs. 16/1344, S. 17). Dieses gesetzgeberische Ziel kann nur erreicht werden, wenn das Revisionsgericht in diesen Fällen nicht nur die auf rechtsfehlerhaften Feststellungen zur Schuldfähigkeit beruhende Maßregelanordnung, sondern auch den hierauf gestützten Freispruch aufhebt (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; Beschluss vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10, Rn. 11; Beschluss vom 27. Oktober 2009 – 3 StR 369/09, Rn. 9).
14
2. Die Beschränkung der Revision des Angeklagten auf die Maßregelanordnung ist unwirksam, weil die Unterbringung nach § 63 StGB und der auf § 20 StGB gestützte Freispruch gleichermaßen von der Bewertung der Schuldfähigkeit abhängen und deshalb zwischen beiden Entscheidungen aus sachlichrechtlichen Gründen ein untrennbarer Zusammenhang besteht. Da nach § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nunmehr eine Bestrafung des Angeklagten möglich ist, wenn sich seine Schuldfähigkeit herausstellen sollte, lässt sich die Wirksamkeit einer isolierten Anfechtung der Maßregelanordnung nicht mehr mit der Erwägung rechtfertigen, dass aufgrund des Verbots der Schlechterstellung (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) unabhängig von der Bewertung der Schuldfrage in jedem Fall wieder auf Freispruch erkannt werden müsste (vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 1953 – 3 StR 620/53, BGHSt 5, 267, 268). Der Senat braucht an dieser Stelle nicht zu entscheiden, ob § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO eine isolierte Anfechtung der Anordnung einer Unterbringung nach § 63 StGB auch dann hindert, wenn die den Freispruch tragende Schuldunfähigkeit des Angeklagten feststeht und nur die der Maßregelanordnung zugrunde liegende Gefährlichkeitsprognose zu überprüfen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 1963 – 5 StR 13/63, NJW 1963, 1414, 1415).
Mutzbauer Cierniak Franke
Quentin Reiter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 504/12
vom
20. November 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. November 2012 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 9. Juli 2012 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben; die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bleiben jedoch aufrechterhalten. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Der Vollzug der Unterbringung wurde zur Bewährung ausgesetzt. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.
2
Sein Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO.

I.

3
Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte mehrere Taten der vorsätzlichen Sachbeschädigung begangen und einmal den Tatbestand des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verwirklicht hat.
4
Zur Schuldfähigkeit des Angeklagten hat das Landgericht ausgeführt:
5
"Der Angeklagte leidet unter einer chronifizierten Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, welche derzeit zwar remittiert ist, zum Tatzeitpunkt aber floride war. Aufgrund dessen war er in seiner Einsichtsfähigkeit mit Sicherheit eingeschränkt, eine vollständige Aufhebung seiner Einsichtsfähigkeit kann aufgrund dessen Erkrankung nicht ausgeschlossen werden" (UA S. 5).
6
Beim Angeklagten sei auch schon eine Negativsymptomatik, wie Verwahrlosung und soziale Rückzugstendenzen, festzustellen. Des Weiteren lägen auch paranoide Erlebnisweisen vor in Form von Beeinträchtigungs- und Verfolgungsgedanken mit dem subjektiven Gefühl, bedroht zu werden (UA S. 10).

II.

7
Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht belegt.
8
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12 mwN).
9
Es ist dabei stets im Einzelnen darzulegen, wie sich die Erkrankung in der konkreten Tatsituation auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf sie zurückzuführen sind (BGH aaO mwN).
10
Die Urteilsausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht der Auffassung ist, bereits mit der Feststellung einer erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit seien die Voraussetzungen des § 21 StGB erfüllt und damit auch die Grundlage für die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB gegeben. Dies trifft indes nicht zu.
11
Eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von Bedeutung , wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juli 2012 - 1 StR 332/12 mwN).
12
Der Täter, der trotz erheblich verminderter Einsichtsfähigkeit im konkreten Fall die Einsicht in das Unrecht seiner Tat gehabt hat, ist - sofern nicht seine Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war - voll schuldfähig.
13
In einem solchen Fall ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zulässig.
14
Allein auf die Feststellung einer erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit kann eine Unterbringung nach § 63 StGB deshalb nicht gestützt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Februar 2005 - 3 StR 3/05 mwN).
15
Im vorliegenden Fall lässt sich den Urteilsgründen in ihrer Gesamtheit nicht hinreichend deutlich entnehmen, dass dem Angeklagten bei der Begehung der Tat die Unrechtseinsicht vollständig gefehlt hat. Der Tatrichter hat schon nicht im Einzelnen dargelegt, wie sich die Erkrankung des Angeklagten in der konkreten Tatsituation auf seine Einsichtsfähigkeit ausgewirkt hat. Hin- sichtlich des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte hat er vielmehr festgestellt , dass der Angeklagte die Beamten als Amtsträger erkannt hat und sich auch des Umstandes bewusst war, dass diese im Begriff waren, eine rechtmäßige Amtshandlung vorzunehmen (UA S. 5).
16
Bei der Gefährlichkeitsprognose stellt der Tatrichter u.a. darauf ab, dass beim Angeklagten nicht die erforderlichen Hemmungsmechanismen vorlägen und er nicht in der Lage sei, inneren Regungen entsprechende Hemmungen in adäquater Weise entgegenzusetzen (UA S. 13). Diese Überlegungen könnten eher auf eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit hindeuten.
17
Der Senat kann daher nicht mit Sicherheit ausschließen, dass die Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB auf den aufgezeigten Rechtsfehlern beruht.
18
Von der Aufhebung nicht betroffen sind jedoch die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen, die deshalb bestehen bleiben. Denn die diesen Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung weist keinen Rechtsfehler auf. Insoweit war die Revision zu verwerfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

III.

19
Aufzuheben war allerdings auch der Freispruch.
20
Der Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht der Aufhebung des Freispruchs nicht entgegen. Wird die Anordnung einer Unterbringung nach § 63 StGB auf eine Revision des Angeklagten hin aufgehoben , hindert das Schlechterstellungsverbot des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO den neuen Tatrichter nicht daran, an Stelle einer Unterbringung nunmehr eine Strafe zu verhängen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO). Dadurch soll vermieden werden, dass die erfolgreiche Revision eines Angeklagten gegen die alleinige Anord- nung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dazu führt, dass eine Tat, die wegen angenommener Schuldfähigkeit gemäß § 20 StGB nicht zu einer Bestrafung geführt hat, ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war (BT-Drucks. 16/1344, S. 17). Dieses gesetzgeberische Ziel kann nur erreicht werden, wenn das Revisionsgericht in diesen Fällen nicht nur die auf rechtsfehlerhaften Feststellungen zur Schuldfähigkeit beruhende Maßregelanordnung, sondern auch den hierauf gestützten Freispruch aufhebt (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12 mwN).

IV.

21
Der neue Tatrichter wird, wenn er erneut zur Erörterung der Voraussetzungen des § 63 StGB gelangt, Gelegenheit haben näher darzulegen, weshalb konkret eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Begehung erheblicher - über Belästigungen hinausgehender - rechtswidriger Taten besteht.
22
Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit kann auch die etwaige Bestellung eines Betreuers berücksichtigt werden (vgl. hierzu die Rechtsprechungshinweise bei Fischer, StGB, 59. Aufl. 2012, Rn. 23b zu § 63).
23
Es darf allerdings nicht - wie im angefochtenen Urteil - zu Lasten des Angeklagten in die Gesamtwürdigung einbezogen werden, dass der Angeklagte sich für eine andere Person ausgibt und hier auch nicht die geringste Übernahme von Verantwortung für seine Taten zeigt (UA S. 15). Denn zum einen liegt ein zulässiges Verteidigungsverhalten des Angeklagten vor. Zum anderen ist eine solche Überlegung jedenfalls dann rechtsfehlerhaft, wenn das Landgericht zuvor (UA S. 6) zugunsten des Angeklagten unterstellt hat, dass er krank- heitsbedingt meint, jemand anderes zu sein. Dann darf ihm dies nicht angelastet werden. Nack Rothfuß Jäger Sander Radtke

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 654/12
vom
6. März 2013
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. März 2013 beschlossen:
1. Auf die Revision der Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 18. Oktober 2012 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen - mit Ausnahme derjenigen zu den äußeren Tatgeschehen - aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und den Vollzug dieser Maßregel zur Bewährung ausgesetzt. Ihre dagegen gerichtete Revision, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge weitgehend Erfolg.

I.


2
Die Verfahrensrüge, mit der die Beschuldigte die Verletzung von § 261 StPO geltend macht, bleibt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 30. Januar 2013 genannten Gründen ohne Erfolg.

II.


3
Der vom Landgericht festgestellte Sachverhalt belegt allerdings nicht die Voraussetzungen der Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB.
4
1. Nach den Feststellungen der Strafkammer leidet die Beschuldigte an einer sog. Erotomanie („isolierter Liebeswahn“), die das sachverständig berate- ne Tatgericht als krankhafte seelische Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB wertet. Aufgrund dieses Liebeswahns, der sich auf den Geschädigten Dr. H. , einen Gynäkologen, der die Beschuldigte früher mehrfach behandelt hatte, bezieht, seien bei dieser im Zeitpunkt der Begehung der Anlass- taten „sowohl die Einsichtsfähigkeit als auch die Steuerungsfähigkeit“ erheblich eingeschränkt, nicht ausschließbar sogar aufgehoben gewesen. Es liege bei der Beschuldigten ein chronifizierter Wahn vor. Ihr zentrales Wahnthema bestehe darin, dass eine andere Person (Dr. H. ) geliebt werde und die Beschuldigte davon ausgehe, von dieser Person ebenfalls geliebt zu werden.
5
Als Anlasstaten hat das Tatgericht einen Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz jeweils in Tateinheit mit Nötigung, Körperverletzung und Beleidigung (Fall 1) sowie zwei weitere Fälle von Verstößen gegen das Gewaltschutzgesetz (Fälle 2 und 3) festgestellt. Dabei beruhen die Verstöße in den Fällen 2 und 3 darauf, dass die Beschuldigte unter Missachtung des ihr durch das Amtsgericht Mühlburg erteilten Kontaktverbots dem Geschädigten eine Karte bzw. einen Brief zukommen ließ. Letzteren warf sie selbst in den Briefkasten des Hauses von Dr. H. ein, obwohl sie sich diesem wegen des Kontaktverbots nicht auf weniger als 100 Meter nähern durfte. Im Fall 1 hinderte sie Dr. H. am Verlassen des Klinikums in M. , indem sie ihm den Weg versperrte und ihm in die Haare und an die Jacke griff. Nachdem es diesem gelungen war, sich in das Gebäude zurückzuziehen, folgte ihm die Beschuldigte und hinderte ihn daran, telefonisch die Polizei zu verständigen. Darüber hinaus zog sie Dr. H. an den Haaren sowie am Bart und versetzte ihm Schläge mit der flachen Hand auf den Oberschenkel. Zudem bezeichnete sie den Geschädigten als „arrogantes Arschloch“. Er erlitt eine Distorsion an der rechten Schulter. Es trat eine schmerzhafte Irritation der Kopfhaut ein.
6
2. Diese Feststellungen belegen die Anordnungsvoraussetzungen der Maßregel gemäß § 63 StGB nicht.
7
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf lediglich angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die unterzubringende Person bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Begehung der Anlasstat bzw. der Anlasstaten auf diesem Zustand beruht (BGH, Beschlüsse vom 26. September 2012 - 4 StR 348/12 und vom 20. November 2012 - 1 StR 504/12, NJW 2013, 246). Es muss seitens des Tatgerichts im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte , einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen konkreten Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (BGH jeweils aaO; siehe auch BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307).
8
Dem angefochtenen Urteil lässt sich weder hinreichend entnehmen, dass die Beschuldigte bei Begehung der Anlasstaten schuldunfähig oder zumindest sicher erheblich vermindert schuldfähig war, noch, in welcher Weise sich die zugrunde gelegte psychische Störung, der isolierte Liebeswahn, konkret auf die Begehung der Taten ausgewirkt hat.
9
aa) Dabei braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob bereits die Annahme , bei der Begehung der Anlasstaten seien sowohl die Einsichts- als auch die Steuerungsfähigkeit der Beschuldigten „erheblich eingeschränkt, nicht ausschließbar sogar aufgehoben gewesen“, zur Aufhebung des Urteils führen könnte. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann zwar im Grundsatz die Anwendung von § 20 StGB nicht zugleich auf den Ausschluss sowohl der Einsichts- als auch der Steuerungsfähigkeit gestützt werden (etwa BGH, Beschluss vom 9. September 1986 - 4 StR 470/86, BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 21 Rn. 5 mwN). Im Ausnahmefall können nach Maßgabe des entsprechenden Krankheitsbildes aber beide Fähigkeiten vollständig aufgehoben sein (BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167, 168).
10
bb) Unabhängig davon hat das Tatgericht nicht hinreichend dargelegt, dass die Beschuldigte bei Begehung der Anlasstaten schuldunfähig, zumindest aber sicher erheblich vermindert schuldfähig war. Das angefochtene Urteil beschränkt sich - gestützt auf das Ergebnis der Beurteilung des Sachverständigen - auf die Mitteilung, bei der Beschuldigten bestehe ein als krankhafte seelische Störung eingeordneter isolierter Liebeswahn, der chronifiziert sei und weiter fortbestehe. Auf welchen Anknüpfungstatsachen die Einschätzung des Sachverständigen beruht, wird ebenso wenig dargelegt wie die von diesem herangezogenen „eigen- und fremdamnestischen Angaben“. Mehr als das von dem Gutachter erzielte Ergebnis zu der Art der psychischen Störung und deren Zuordnung zur „krankhaften seelischen Störung“ im Sinne von § 20 StGB lässt sich dem Urteil selbst in seinem Gesamtzusammenhang nicht entnehmen.
11
Damit wird dem Senat aber nicht ermöglicht, das Gutachten nachzuvollziehen und seine Schlüssigkeit zu beurteilen. Dies wäre aber erforderlich ge- wesen (BGH, Beschluss vom 6. April 2011 - 2 StR 72/11, NStZ-RR 2011, 241, 242 mwN). Aus der vom Sachverständigen verwendeten und vom Tatgericht übernommenen Bezeichnung der Störung als „Erotomanie“ (isolierter Liebes- wahn) lässt sich zudem nicht erkennen, um welche Art von Erkrankung es sich bei der Beschuldigten konkret handelt. Der Liebeswahn als solcher ist in den anerkannten Klassifizierungsinstrumenten wie dem ICD 10 nicht erfasst. Die von dem Sachverständigen als Erotomanie bezeichnete, als Wahn beschriebene Störung mag sich als schizophrene Psychose (ICD 10 F 20.3; siehe BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 417/12) darstellen und kann dann je nach konkretem Krankheitsbild zu einem Ausschluss der Schuldfähigkeit führen (vgl. BGH aaO). Das Urteil enthält jedoch keine genauere Einordnung. Die im Rahmen der Angaben zur Person der Beschuldigten getroffene Feststellung, diese „stehe seit einiger Zeit unter nervenärztlicher Behandlung“ und werde mit dem Antidepressivum Citalopram behandelt, enthält keine Hinweise, dass diese ambulante nervenärztliche Behandlung auf dem angenommenen „Liebeswahn“ beruht. Zu dem Verlauf der Erkrankung und deren Behandlung bis zur Begehung der verfahrensgegenständlichen Anlasstaten hat das Tatgericht überdies keine näheren Feststellungen getroffen.
12
Vor allem aber lässt das Urteil nähere Feststellungen über die tatsächlichen Auswirkungen der Erkrankung der Beschuldigten auf deren Schuldfähigkeit bei der Ausführung der Anlasstaten vermissen. Gerade mit dieser Frage muss sich der Tatrichter aber in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise auseinandersetzen (BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2009 - 3 StR 369/09 und vom 6. April 2011 - 2 StR 72/11, NStZ-RR 2011, 241, 242; siehe auch BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Um dem Revisionsgericht eine Überprüfung des Vorliegens der Anordnungsvoraussetzungen des § 63 StGB zu ermöglichen, ist das Tatgericht ge- halten, zu klären und in nachvollziehbarer Weise darzulegen, ob dem Täter bei Begehung der Anlasstaten bereits die Fähigkeit fehlte, das Unrecht seiner Tat einzusehen, oder ob er lediglich sich nicht entsprechend der noch vorhandenen Einsichtsfähigkeit zu steuern vermochte (BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167, 168). Dazu muss der spezifische Zusammenhang zwischen der Erkrankung und den einzelnen Anlasstaten im Hinblick auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit aufgezeigt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012, NStZ-RR 2012, 306, 307).
13
Entgegen diesen Anforderungen beschränkt sich das angefochtene Ur- teil auf die pauschale Mitteilung, durch die bei der Beschuldigten „krankhaft entstandene Fehlbeurteilung der Realität“ sei die Einsichts- und Steuerungsfä- higkeit erheblich eingeschränkt, möglicherweise sogar aufgehoben gewesen.
14
Das belegt weder die Voraussetzungen des § 20 StGB noch diejenigen des § 21 StGB.
15
Es ist bereits nicht zu erkennen, worauf sich die Fehlbeurteilung der Realität konkret bezieht. Soweit damit auf die (wahnhafte) Vorstellung einer Erwiderung ihrer Liebe durch Dr. H. abgestellt werden sollte, fehlt jegliche Darlegung der Auswirkungen dieser Fehlbeurteilung auf die Schuldfähigkeit der Beschuldigten bei Begehung der Taten. Da das Tatgericht bei den insoweit zutreffend als Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz gewerteten Kontaktaufnahmen der Beschuldigten zu Dr. H. durch eine Weihnachtskarte bzw. einen Brief (Fälle 2 und 3) der jeweilige Inhalt nicht mitgeteilt wird, kann der Senat auch aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils nicht erkennen, ob ein spezifischer Zusammenhang zwischen der angenommenen psychischen Störung und den Anlasstaten ohne weiteres vorlag und es deshalb ausnahmsweise näherer Darlegungen dazu nicht bedurfte.
16
b) Die vom Tatgericht getroffenen (kursorischen) Feststellungen belegen auch die weiteren Anordnungsvoraussetzungen des § 63 StGB, insbesondere die zukünftige Gefährlichkeit der Beschuldigten, nicht hinreichend.
17
aa) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darf wegen der Schwere des mit ihr verbundenen Eingriffs lediglich angeordnet werden , wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Dafür ist zwar nicht erforderlich, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind. Die zu erwartenden Taten müssen aber schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen und daher grundsätzlich zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 und vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202 jeweils mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241). Erreichen die Anlasstaten ihrem Gewicht nach nicht einmal diesen Bereich, ist eine Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB nicht völlig ausgeschlossen; das Tatgericht muss in solchen Fällen allerdings die erforderliche Gefährlichkeitsprognose besonders sorgfältig darlegen (BGH, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241). Dazu ist regelmäßig eine besonders eingehende Würdigung der Person des bzw. der Beschuldigten, vor allem der Krankheitsgeschichte sowie der Anlasstaten, notwendig (BGH aaO).
18
bb) Dem genügt das angefochtene Urteil nicht.
19
Die festgestellten Anlasstaten bewegen sich lediglich, ungeachtet der mit dem Verhalten der Beschuldigten einhergehenden Beeinträchtigungen der Lebensführung des geschädigten Dr. H. , am unteren Rand der mittleren Kriminalität. Die im Fall 1 begangene Körperverletzung war mit nur geringer Gewaltanwendung verbunden und überschritt im Hinblick auf das Ziehen an Bart- und Haupthaar nur unwesentlich die Erheblichkeitsschwelle der tatbestandlich verlangten Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit. Da das Tatgericht auf der Grundlage der wiederum lediglich im Ergebnis mitgeteilten Erkenntnisse des Sachverständigen auch zukünftig mit den Anlasstaten gleichgelagerten , jedenfalls nicht erheblich über diese hinausgehenden Straftaten rechnet, bedurfte es nach dem genannten Maßstab im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose näherer Ausführungen zu der Persönlichkeit der Beschuldigten und ihrer Erkrankung einschließlich deren bisherigen Verlaufs. Dazu verhält sich das Urteil aber nicht ausreichend.
20
3. Eine Ablehnung des Antrags auf Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus durch den Senat (§ 414 Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 354 Abs. 1 StPO) kommt nicht in Betracht.
21
a) Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich bei weitergehenden Feststellungen zu der bei der Beschuldigten vorhandenen psychischen Störung, ihrer Einordnung unter die Merkmale der §§ 20, 21 StGB und zu den Auswirkungen der Erkrankung auf die Begehung der Taten sowie zu der Gefährlichkeitsprognose die Voraussetzungen einer Anordnung der Maßregel aus § 63 StGB ergeben. Sollte auch das neue Tatgericht mit sachverständiger Beratung zu der Einschätzung gelangen, von der Beschuldigten seien mit ausreichender Wahrscheinlichkeit weitere Straftaten mit dem Gewicht der bisherigen zu erwarten, stünde dies der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht von vornherein entgegen. Wie ausgeführt, bedarf es dann aber näherer Ausführungen dazu, dass es sich um Taten handeln wird, mit denen eine schwere Störung des Rechtsfriedens einhergeht.
22
Angesichts der nur wenig umfänglichen Feststellungen zu der Erkrankung der Beschuldigten kann umgekehrt nicht ausgeschlossen werden, dass ihre Schuldfähigkeit bei Begehung der Anlasstaten lediglich erheblich vermindert oder nicht in rechtlich relevanter Weise ausgeschlossen war. Sollte sich für den neuen Tatrichter ergeben, dass die Schuldfähigkeit der Beschuldigten bei Begehung der Taten bestand, also deren Bestrafung - und gegebenenfalls zusätzlich deren Unterbringung gemäß § 63 StGB - in Betracht kommt, erinnert der Senat an die von § 416 Abs. 1 und 2 StPO vorgesehene Verfahrensweise.
23
b) Einer Aufhebung der Feststellungen zu dem jeweiligen äußeren Geschehen der Anlasstaten bedarf es nicht. Diese hat das Tatgericht an sich zutreffend festgestellt. Allerdings wird der neue Tatrichter Gelegenheit haben, bezüglich der Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz in allen drei Fällen über die wirksame gerichtliche Anordnung eines Kontaktverbots und die Kenntnis der Beschuldigten davon ergänzende Feststellungen, auch zu der wirksamen Zustellung der entsprechenden gerichtlichen Anordnungen, zu treffen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hängt die Strafbarkeit gemäß § 4 Abs. 1 GewSchG auch von einer wirksamen Zustellung der gerichtlichen Entscheidungen ab (BGH, Beschluss vom 10. Mai 2012 - 4 StR 122/11, NStZ 2013, 108 f. mwN).
24
Der Senat besorgt nicht, dass die insoweit gebotene ergänzende Sachverhaltsaufklärung zu einem (teilweisen) Wegfall der Anlasstaten führt.
Richter am BGH Dr. Wahl ist wegen Urlaubsabwesenheit an der Unterschriftsleistung gehindert. Rothfuß Rothfuß Jäger Cirener Radtke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 367/04
vom
12. November 2004
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja (vor 1 bis 4)
Veröffentlichung: ja
Zu den Anforderungen an ein psychiatrisches Sachverständigengutachten über
die Schuldfähigkeit des Angeklagten und die Voraussetzungen seiner Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus sowie zu den Prüfungsanforderungen
an das Gericht bei Vorliegen eines methodenkritischen Gegengutachtens.
BGH, Beschluß vom 12. November 2004 - 2 StR 367/04 - Landgericht -
Schwurgerichtskammer - Koblenz
wegen Mordes
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 12. November 2004 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 1. Dezember 2003 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts als Schwurgericht zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Mordes freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die allein vom Angeklagten eingelegte Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. 1. Das Landgericht hat festgestellt, daß der zur Tatzeit 21-jährige, bislang unauffällige Angeklagte im Januar 2002 seine Cousine, mit der zusammen er eine Wohnung im Haus seiner Großmutter bewohnte, ohne feststellbaren Grund durch Ersticken tötete. An einem unbekannten Ort außerhalb der Wohnung zerlegte er in der Folge die Leiche in aufwendiger Weise, wobei er namentlich auch die Haut abzog, die Brüste und das Geschlechtsteil gesondert abtrennte, die lange Rückenstrecker-Muskulatur vom Torso entfernte, einzelne
Knochen auslöste und innere Organe entnahm. Erhebliche Teile der Leiche erhitzte er im Backofen seiner Wohnung. Er verpackte die Leichenteile in Plastiktüten, die er zunächst in der Wohnung versteckte. Den Kopf und die Beckenknochen verbrachte er in einen Steinbruch, wo er den Kopf zusätzlich mit einem Beil zertrümmerte und vergrub. An den später in der Wohnung und in dem Steinbruch von der Polizei aufgefundenen Leichenteilen fanden sich eine Vielzahl von Reiskörnern. Wesentliche Teile der Leiche wurden nie aufgefunden. Daß der Angeklagte diese Teile verzehrt hat, konnte nicht mit Sicherheit festgestellt werden. 2. Das Landgericht hat, da es die Voraussetzungen eines Mordmerkmals im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB als nicht bewiesen angesehen hat, dieses Geschehen als tatbestandsmäßiges und rechtswidriges Verbrechen des Totschlags angesehen. Zur Schuldfähigkeit des Angeklagten hat es festgestellt, zur Tatzeit sei die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sicher erheblich vermindert , möglicherweise aufgehoben gewesen. Die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten sei möglicherweise voll erhalten, möglicherweise gänzlich aufgehoben gewesen. Im Zweifel sei daher von der Schuldunfähigkeit des Angeklagten auszugehen. Das Landgericht hat den Angeklagten daher freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Das Landgericht hat sich bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit "den gut verständlichen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen (Dr. B.) angeschlossen" und sie sich zu eigen gemacht (UA S. 37). Diese hat es im wesentlichen wie folgt wiedergegeben: "Insgesamt wirke der Angeklagte in seinem Gesamtverhalten hoch auffällig (…) Der Zustand des Angeklagten gehe über eine bloße Persönlichkeitsstörung deutlich hinaus. Für das Vorliegen einer Persönlich-
keitsstörung sprächen zwar eine emotionale Verflachung, die Nivellierung von Gefühlen und das Einzelgängertum des Angeklagten. Für die Annahme einer Persönlichkeitsstörung müßten sich diese Symptome jedoch bis in die Jugend verfolgen lassen. Schulbildung, Lehre und Beruf des Angeklagten seien jedoch unauffällig (…). Auch eine klassische schizophrene Psychose und mithin eine Geisteskrankheit im engeren Sinne liege … nicht vor. Bei der Störung des Angeklagten handle es sich um eine solche, welche zwar in seiner Persönlichkeitsstörung verankert sei, jedoch schizophrenietypische Züge trage. Hierfür spreche auch der erhebliche Konsum von Betäubungsmitteln (…). Ein Suchtmittelmißbrauch sei für das vorliegende Krankheitsbild symptomatisch. Es sei auch nicht auszuschließen, daß der Gebrauch von Haschisch die Entwicklung und Verschlimmerung des Krankheitsbildes befördert habe. Aufgrund der festgestellten Erkrankung des Angeklagten sei seine Steuerungsfähigkeit zumindest erheblich vermindert, möglicherweise auch ausgeschlossen. Hinsichtlich der Einsichtsfähigkeit sei von deren vollen Erhalt bis hin zu deren völligen Verlust alles denkbar" (UA S. 36, 37) … Die festgestellte schizotype Persönlichkeitsstörung sei entweder unter das Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung oder unter das der anderen seelischen Abartigkeit zu fassen (UA S. 38). Auch im Hinblick auf die Gefährlichkeitsprognose im Sinne von § 63 StGB ist das Landgericht "den gut verständlichen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. B. (gefolgt)", die das Urteil wie folgt wiedergibt : "Bei der festgestellten schizophrenen Psychose handle es sich um eine überdauerte Störung der Geistestätigkeit. Die Krankheit des Angeklag-
ten sei chronisch. Das Rückfallrisiko des Angeklagten sei extrem hoch. Krankheitstypisch sei die Begehung von Straftaten, welche sich durch ein Übermaß an Gewalt auszeichneten und auch zum Tode des Opfers führen könnten. Hierbei sei von einer Tatbegehung vornehmlich im Verwandten - und näheren Bekanntenkreis auszugehen. Insgesamt sei damit zu rechnen, daß der Angeklagte aufgrund seiner Erkrankung weitere, der vorliegenden Tat vergleichbare Handlungen vornehmen werde" (UA S. 39). 3. In der Hauptverhandlung stellte die Verteidigerin, nachdem der Sachverständige Dr. B. sein Gutachten erstattet hatte, den Beweisantrag, ein (weiteres ) medizinisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten unter anderem zum Beweis der Tatsachen einzuholen, daß der Angeklagte nicht, wie vom Sachverständigen Dr. B. angenommen, an einer Schizophrenia simplex oder einer schizotypen Persönlichkeitsstörung leide, vielmehr seelisch und geistig gesund sei. Sie stützte diesen Antrag auf ein von ihr vorgelegtes methodenkritisches Gutachten des Sachverständigen Dr. W., der sich mit dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. B. kritisch auseinandersetzte und sowohl formale Mängel rügte als auch "in inhaltlicher Hinsicht erhebliche Zweifel (formulierte ), ob die im Gutachten dargelegten Anknüpfungspunkte die von Dr. B. vorgenommenen diagnostischen Zuordnungen tragen." Es seien kaum objektivierbare psychopathologische Anknüpfungspunkte dargelegt; eine Ableitung der Diagnose aus diagnostisch relevanten biographischen Besonderheiten fehle weitgehend ebenso wie eine Auseinandersetzung mit dem unauffälligen Verlaufsbericht über die vorläufige Unterbringung nach § 126 a StPO. In dem dem Landgericht vorgelegten schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. W. waren diese inhaltlichen Zweifel im einzelnen ausgeführt. Es enthielt unter anderem auch folgende Hinweise:
"Psychodiagnostische Überlegungen dazu, wie sich die von Dr. B. angenommene - Störung in der vorgeworfenen Tatsituation konkret ausgewirkt haben soll, enthält das Gutachten nicht (…), was insoweit den gutachtlichen Ausführungen einen eigentümlich spekulativ-beliebigen Charakter verleiht". (…) "(Es besteht) eine nicht unerhebliche Gefahr eines logischen Zirkelschlusses: Ausgehend von den bizarr-erschreckenden Umständen des Leichenfundes, die die Mutmaßung nahe legen, daß es sich hier um einen schwer psychisch gestörten Täter gehandelt haben dürfte, könnte man versucht sein, den Tatverdächtigen zu 'psychopathologisieren' , um ihn für die ihm unterstellte Tat 'passend' zu machen - gewissermaßen nach dem Motto: Wer so etwas tut, der muß verrückt sein. Diese Gefahr sehe ich im vorliegenden Fall um so mehr, als die von Dr. B. vorgenommenen diagnostischen Zuordnungen mir ausgesprochen schwach begründet erscheinen (…)." Das Landgericht hat den Beweisantrag mit der Begründung abgelehnt, das Gegenteil der behaupteten Tatsache sei bereits erwiesen. Die Sachkunde des Sachverständigen sei nicht zweifelhaft. Die gerügten Mängel beträfen lediglich das vorläufige schriftliche Gutachten; der Sachverständige habe sein Ergebnis jedoch mündlich vorgetragen. Er habe seinem Gutachten im Gegensatz zu dem Sachverständigen Dr. W. den Akteninhalt und das Ergebnis der Beweisaufnahme zugrunde gelegt. 4. Mit der Ablehnung hat das Landgericht gegen § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO verstoßen, denn die Sachkunde des früheren Gutachters war nach Lage der Dinge zweifelhaft, sein Gutachten nicht ohne Widersprüche.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann für die Anwendung der §§ 20, 21 StGB regelmäßig nicht offen bleiben, welche der
Eingangsvoraussetzungen des § 20 StGB vorliegt. Das gilt gleichermaßen für die Anordnung des § 63 StGB (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 232; BGH StraFo 2003, 282; Beschl. vom 21. September 2004 - 3 StR 333/04), denn dieser setzt einen länger dauernden psychischen Defektzustand des Betroffenen voraus, auf welchem dessen Gefährlichkeit beruht (vgl. etwa BGHSt 34, 24, 28; 42, 385, 388; BGH NStZ 1991, 528; BGH NStZ-RR 1997, 166; 2000, 298; Hanack in LK StGB 11. Aufl. § 63 Rdn. 66; Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 63 Rdn. 6 f., 12, jeweils m.w.N.). Selbst wenn im Einzelfall die Grenzen zwischen diagnostischen Zuordnungen nach einem der gängigen Klassifikationssysteme fließend und die Einordnung unter eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB schwierig sein mögen, weil z. B. mehrere Merkmale gleichzeitig vorliegen oder keines in "reiner" Form gegeben ist, ist das Tatgericht gehalten, zum einen konkrete Feststellungen zu den handlungsleitenden Auswirkungen der Störung zum Zeitpunkt der Tat (vgl. § 20 StGB) zu treffen und zum anderen auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung von Persönlichkeit, Lebensgeschichte , Lebensumständen und Verhalten des Angeklagten und der Anlaßtat in nachprüfbarer Weise darzulegen, worin der "Zustand" des Beschuldigten besteht und welche seiner Auswirkungen die Anordnung der gravierenden, unter Umständen lebenslangen Maßregel nach § 63 StGB gebieten. Die bloße Angabe einer Diagnose im Sinne eines der Klassifikationssysteme ICD-10 oder DSM-IV ersetzt weder die Feststellung eines der Merkmale des § 20 StGB noch belegt sie für sich schon das Vorliegen eines Zustands im Sinne des § 63 StGB (vgl. BGH, Beschl. vom 21. September 2004 - 3 StR 333/04 m.w.N.).
b) Das Gericht, das sich zur Prüfung der genannten Voraussetzungen der Hilfe eines Sachverständigen zu bedienen hat (§ 246 a StPO), muß dessen Tätigkeit überwachen und leiten. Dazu gehört insbesondere auch die Prüfung, ob Grundlagen, Methodik und Inhalt des Gutachtens den anerkannten fachwis-
senschaftlichen Anforderungen genügen (zur Sachleitungs- und Prüfungspflicht des Gerichts vgl. Jähnke in LK 11. Aufl., § 20 Rdn. 89, 92 f.; Tröndle/Fischer aaO § 20 Rdn. 63, 64 a ff. mit Nachweisen zur Rechtsprechung). Vorliegend hatte die Verteidigung mit dem Antrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zutreffend auf erhebliche Mängel jedenfalls des vorbereitenden schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. B. hingewiesen. Daß der Sachverständige diese im Beweisantrag und im Gutachten des Sachverständigen Dr. W. konkret angesprochenen Mängel in seinem mündlichen Gutachten behoben oder die Einwände ausgeräumt hat, hat das Landgericht in dem den Antrag zurückweisenden Beschluß nicht dargelegt. Die Urteilsgründe belegen eher das Gegenteil. Das Gutachten entsprach in formaler und inhaltlicher Hinsicht nicht den Anforderungen, die in der Rechtsprechung und forensisch-psychiatrischen wissenschaftlichen Literatur an entsprechende Gutachten gestellt werden (vgl. dazu im einzelnen etwa Foerster/Venzlaff, in: Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl. 2004, S. 31 ff.; Foerster/Leonhardt, ebd. S. 43, 47 f.; Nedopil, Forensische Psychiatrie, 2. Aufl. 1996, S. 274, 282 ff.; Rasch, Forensische Psychiatrie, 2. Aufl. 1999, S. 313 ff.; Heinz, Fehlerquellen forensischpsychiatrischer Gutachten, 1992; Venzlaff, Fehler und Irrtümer in psychiatrischen Gutachten, NStZ 1983, 199; Maisch, Fehlerquellen psychologischpsychiatrischer Begutachtung im Strafprozeß, StV 1985, 517; jeweils m.w.N.). aa) In formaler Hinsicht war auffällig, daß das schriftliche Gutachten weder eine Sexualanamnese noch eine detaillierte Beziehungsanamnese enthielt. Auch die bewertenden Darlegungen zur Biographie und zur psychiatrischen Entwicklung (Gutachten S. 36 ff.) erscheinen teilweise auf formale Aspekte beschränkt.
bb) Soweit der Sachverständige hier zu Bewertungen gelangte, sind diese teilweise auch im Zusammenhang nur schwer verständlich, etwa wenn von "einer gewissen magisch-mystischen Sicht- und Denkweise", von "umfassender Exzentrizität", "großen soziointegrativen Fähigkeiten" u.s.w. die Rede ist (ebd. S. 44 f.), ohne daß diese zusammenfassenden, stark subjektiv wertenden Beschreibungen hinlänglich konkretisiert werden. Die Zusammenfassung, wonach "man hier allenfalls an eine sogenannte vor sich hindümpelnde psychische Erkrankung denken (würde), die mit einer gewissen sozialen 'Unmöglichkeit', bizarr manirierten Verhaltensmustern und einer gewissen affektiven (…?) inadäquat vergesellschaftet als sogenannte schizophrenia simplex … in Erscheinung treten könnte" (ebd. S. 47), macht die Diagnose nach ICD-10, F 20.6, auf welche hingewiesen wird, kaum nachvollziehbar. cc) Hinzu kommt, daß das Gutachten im Zusammenhang mit der Wiedergabe der Explorationsgespräche eine Vielzahl abwertender Beschreibungen und Bewertungen der Person und des Verhaltens des Angeklagten enthält, die durch die Notwendigkeit diagnostisch-wertender Beschreibung nicht stets geboten erscheinen. Beispielhaft hierfür sind etwa die Beschreibungen, es hätten sich "immer wieder süffisante Grinseinlagen (gefunden)"; der Angeklagte habe "pathologische Witzelsüchtigkeit mit sarkastischer Unterlegung" (S. 29) und "ein von Theoretisierereien und persönlichen Interpretationen geprägtes Schildern der Tat" (S. 30) gezeigt; er habe sich "in läppisch distanzloser Art auf den Schreibtisch positioniert, eine Zigarette rauchend, den Rauch aus den Mundwinkeln ausblasend (…), sichtlich die Macht genießend, eine gewisse Hilflosigkeit bei Unterzeichner auszulösen …" (S. 28); er habe sich "in seiner Informationspolitik wenig durchsichtig" und "sich in der Verweigerung suhlend" gezeigt (S. 29).
In ihrer Häufung konnten diese Beschreibungen, welche die Grenze zwischen der Darstellung von Befundtatsachen und allgemein persönlichen Abwertungen teilweise überschritten, nicht nur die Objektivität des Gutachters in Frage stellen (vgl. Nedopil aaO S. 282). Sie konnten damit auch die Besorgnis begründen , daß der Sachverständige den Erfordernissen einer differentialdiagnostischen Befunderhebung möglicherweise nicht die gebotene Aufmerksamkeit hatte zukommen lassen. Soweit von einem "Schildern der Tat" die Rede war, war dies schon mit dem Umstand nicht vereinbar, daß der Angeklagte die Tat stets - auch gegenüber dem Sachverständigen - bestritten hat. Das zur Frage der Schuldfähigkeit und zu den Voraussetzungen des § 63 StGB einzuholende Gutachten wird zwar, um die Diagnose rational nachvollziehbar und für das Gericht verständlich und überprüfbar zu machen, auf Verhaltensbeschreibungen, wertungsbehaftete Charakterisierungen und alltagssprachliche Umsetzungen klinischer Befunde nicht verzichten können. Dies ergibt sich auch aus den Merkmalsbeschreibungen der Klassifikationssysteme , so wenn etwa die Diagnose der "schizotypen Störung" (ICD-10, F 21) durch die Feststellung "eigentümlichen Verhaltens", "seltsamer Glaubensinhalte" , der Exzentrizität oder von gekünstelter Sprache getragen werden kann. Eine solche Darstellung ist aber kein Selbstzweck. dd) Inhaltliches Ziel des Gutachtens ist es, dem Gericht eine Beurteilung zu ermöglichen, ob zum Zeitpunkt der Tat eine der Eingangsvoraussetzungen des § 20 StGB vorgelegen hat und ob, ggf. wie diese sich auf die Unrechtseinsicht des Beschuldigten oder auf seine Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat. Für die Frage einer möglichen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist darüber hinaus zu klären, ob aufgrund der die Schuldfähigkeit bei der
Anlaßtat beeinträchtigenden psychischen Störung ein längerfristiger Zustand des Beschuldigten besteht, welcher dessen Gefährlichkeit im Sinne von § 63 StGB begründet und daher die Unterbringung gebietet. Hierfür können in der Regel die Diagnose der psychischen Störung sowie ihre Einordnung unter die Eingangsmerkmale des § 20 StGB nicht offen bleiben. Vorliegend hatte der Sachverständige in seinem vorbereitenden schriftlichen Gutachten offen gelassen, ob bei dem Angeklagten eine "schizotype Störung" (ICD-10, F 21) oder eine "schizophrenia simplex" (ICD-10, F 20.6) vorliege, die beide dem Merkmal "krankhafte seelische Störung" im Sinne von § 20 StGB zuzuordnen seien; eine Persönlichkeitsstörung im Sinne einer "schweren anderen seelischen Abartigkeit" (SASA) liege nicht vor (Gutachten S. 47 ff., 51). In seinem in der Hauptverhandlung erstatteten mündlichen Gutachten kam er dagegen zu der Ansicht, es sei "die festgestellte schizotype Persönlichkeitsstörung entweder unter das Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung oder unter das der anderen seelischen Abartigkeit zu fassen" (UA S. 38); eine schizophrene Psychose liege nicht vor (UA S. 37). Eine Persönlichkeitsstörung sei gleichfalls nicht gegeben (UA S. 36/37), vielmehr eine in der Persönlichkeit verankerte Störung mit schizophrenietypischen Zügen , für welche ein Suchtmittelmißbrauch symptomatisch sei (UA S. 37). Die letztgenannte Diagnose ist - gerade auch unter Heranziehung der Beschreibungen in den Klassifikationssystemen - schon aus sich heraus kaum nachvollziehbar. Sowohl im Ablehnungsbeschluß des Landgerichts als auch im Urteil fehlt jede Darlegung, aus welchen objektivierbaren Gründen der Sachverständige in der Hauptverhandlung von seinem vorbereitenden Gutachten abwich und ob diese Gründe mit ihm erörtert worden sind.
ee) Feststellung und Begründung der Diagnose einer Störung belegen nicht deren strafrechtliche Relevanz im Sinne von §§ 20, 21 StGB (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03 = NJW 2004, 1810, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen; BGH, Beschluß vom 21. September 2004 - 3 StR 333/04; vgl. auch Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl., § 20 Rdn. 44; Jähnke in LK 11. Aufl., § 20 Rdn. 34 f.; jew. m.w.N.). Entscheidend für die inhaltliche Brauchbarkeit des Gutachtens ist, ob es wissenschaftlich hinreichend begründete Aussagen über den Zusammenhang zwischen einer diagnostizierten psychischen Störung und der Tat enthält, welche Gegenstand des Verfahrens ist. Es ist also - unabhängig von der Einordnung unter ein Eingangsmerkmal des § 20 StGB - im einzelnen konkret darzulegen, ob und ggf. wie sich die Störung auf das Einsichts- oder Hemmungsvermögen des Beschuldigten tatsächlich ausgewirkt hat (vgl. Schreiber/Rosenau, in: Venzlaff/Foerster aaO, S. 51, 77 f.; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 20 Rdn. 31). Nichts anderes gilt für die Beurteilung des "Zustands" im Sinne von § 63 StGB, denn es gibt weder eine abstrakte "Schuldunfähigkeit" ohne Bezug zu einem konkreten Delikt noch einen abstrakten "Zustand" ohne diesen Bezug , aus welchem sich symptomatisch die die Unterbringung erfordernde Gefährlichkeit des Beschuldigten ergibt. An einer Darlegung dieses Zusammenhangs fehlte es in dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. B. gänzlich; ein solcher Zusammenhang ergibt sich auch aus der Wiedergabe des mündlich erstatteten Gutachtens im angefochtenen Urteil nicht. Hier bleibt schon offen, in welchen forensisch relevanten Eigenschaften, Dispositionen oder Einschränkungen der Einsichts - oder Steuerungsfähigkeit die festgestellte "chronische Krankheit" (UA S. 39) des Angeklagten sich überhaupt ausdrückt. Als "symptomatisch" wird insoweit allein der Suchtmittelmißbrauch genannt; Feststellungen zu Ausmaß oder
Auswirkungen des Konsums von Haschisch oder anderen Rauschmitteln am Tattag fehlen jedoch. Auch im übrigen ergibt sich weder aus dem schriftlichen Gutachten noch den Darlegungen im Urteil, in welcher konkreten Weise sich die beim Angeklagten festgestellten psychischen Auffälligkeiten bei der Tat ausgewirkt haben könnten. Zutreffend hat der Sachverständige Dr. W. in seinem von der Verteidigung zur Begründung des Beweisantrags vorgelegten Gutachten darauf hingewiesen, das Gutachten des Sachverständigen Dr. B. zeige eine gewisse Zirkelschlüssigkeit und habe einen "eigentümlich spekulativ -beliebigen Charakter". ff) Eine kritische Beurteilung des Gutachtens und der Sachkunde des Gutachters lag jedenfalls unter Berücksichtigung der Begründung des Beweisantrags für den Tatrichter auch deshalb nahe, weil das Gutachten ausschließlich zu Diagnosen (entweder "schizophrenia simplex" oder "schizotype Störung" ) gelangte, von deren Verwendung im Klassifikationssystem ICD-10 ausdrücklich abgeraten wird. Überdies lagen wichtige Merkmale der festgestellten "schizotypen Störung", namentlich zeitlich überdauernde Auswirkungen auf Biographie, Verhalten oder Auffälligkeiten des Betroffenen, gerade nicht vor; das Gutachten befaßte sich damit nur vage und unklar. Darüber hinaus ließ das Gutachten eine hinreichende differenzialdiagnostische Erörterung vermissen ; die diagnostischen Schlußfolgerungen waren letztlich auf wenig mehr gestützt als die (unterstellte) Begehung der Tat selbst. gg) Auch die Schlußfolgerungen, die der Sachverständige aus diesen eher unklaren und unsicheren Feststellungen auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten vom Tatzeitpunkt gezogen hatte, hätten dem Gericht Anlaß zur kritischen Überprüfung geben müssen. In seinem schriftlichen Gutachten hatte der Sachverständige ausgeführt, der Angeklagte sei
zwar "grundsätzlich als psychisch gestört und geisteskrank zu betrachten". Die Auffälligkeiten hätten aber mangels akuter paranoider Symptomatik und akuter Derealisation "eben nicht einen vollumfänglichen Verlust seiner Einsichtsfähigkeit nach sich gezogen" (Gutachten S. 52). Es sei jedoch festzustellen, daß der Angeklagte in seiner Wahrnehmung und Interpretation von Sicht- und Denkweisen des alltäglichen Lebens und seiner Beziehung zu dem Tatopfer "beeinträchtigt gewesen sein muß". Das habe "eine gewisse Verzerrung der Realität" nach sich gezogen, was wiederum "zu einer Uminterpretation von realen Begebenheiten führte"; dadurch seien "die Sicht- und Denkweisen beeinträchtigt" worden. Daher sei die Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen (ebd.). In seinem mündlichen Gutachten führte der Sachverständige ausweislich des Urteils dann im ausdrücklichen Gegensatz hierzu aus, hinsichtlich der Einsichtsfähigkeit des Angeklagten sei "von dessen vollem Erhalt bis hin zu dessen völligem Verlust alles denkbar" (UA S. 37). Für diesen grundlegenden Wechsel in der Beurteilung findet sich keine Begründung; aus der Wiedergabe des Gutachtens kann auch nicht nachvollzogen werden, wie die von dem Sachverständigen für möglich gehaltenen Alternativen der Unrechtseinsicht mit dem psychodiagnostischen Krankheitsbild des Angeklagten in Einklang zu bringen sein könnten. Die hypothetische Feststellung, entweder die Einsichtoder die Steuerungsfähigkeit habe gefehlt, würde voraussetzen, daß der psychische Defekt des Betroffenen sich tatsächlich in einer solchen alternativen Weise konkret auswirken konnte. Zur Begründung dieser Feststellung bedürfte es jedenfalls eingehender Darlegungen zur Diagnose der Störung und zu ihrer konkreten Auswirkung auf die Tatbegehung. Hieran fehlte es hier offensichtlich; die vage Aussage des Sachverständigen zur Auswirkung der Störung beruhte vielmehr gerade auf der Unschärfe der diagnostischen Zuordnung.

c) Angesichts dieser erheblichen Mängel und Unklarheiten des vorbereitenden schriftlichen und des mündlich erstatteten Gutachtens durfte das Landgericht den Beweisantrag auf Einholung eines weiteren medizinischpsychiatrischen Sachverständigengutachtens nicht mit der Begründung ablehnen , das Gegenteil der behaupteten Tatsache sei bereits erwiesen, und die Sachkunde des Sachverständigen Dr. B. sei nicht zweifelhaft, ohne sich eingehend mit den erhobenen Beanstandungen auseinanderzusetzen. Die gravierenden Einwände, welche das Gutachten des Sachverständigen Dr. W. gegen Methodik und Ergebnisse des schriftlichen Gutachtens erhob, mußten Anlaß sein, die vom Sachverständigen mündlich vorgetragenen Ergebnisse sowie die Abweichungen und ggf. deren Begründung besonders kritisch zu prüfen. Dies hat das Landgericht nicht getan; vielmehr hat es die in vielfacher Hinsicht zweifelhaften Ausführungen des Sachverständigen allein dahingehend gewürdigt, sie seien "gut verständlich und nachvollziehbar" gewesen und die Kammer schließe sich ihnen an (UA S. 37, 40). Mit der im Ablehnungsbeschluß gegebenen Begründung hat sich das Landgericht daher seiner Aufgabe einer kritischen Überprüfung und Würdigung des Sachverständigengutachtens gerade entzogen, indem es die Mängel des vorbereitenden schriftlichen Gutachtens mit dem Hinweis auf das mündliche Gutachten beiseite schob. Dies wäre nur dann tragfähig, wenn das mündlich erstattete Gutachten seinerseits fehlerfrei gewesen und wenn die Abweichungen zum schriftlichen Gutachten nachvollziehbar erklärt wären. Hieran fehlte es; nach der Wiedergabe des Gutachtens in den Urteilsgründen setzten sich die von dem Sachverständigen Dr. W. angesprochenen Fehler vielmehr im mündlichen Gutachten fort und führten darüber hinaus zu neuen Widersprüchen (vgl. BGHSt 23, 176, 185; BGH NStZ 1990, 244; 1991, 448; Meyer-Goßner, StPO 47. Aufl., § 244 Rdn. 76 m.w.N.).

d) Danach war hier die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft; die Beweiserhebung war daher erforderlich. Eigene, unter Umständen durch das erste Gutachten vermittelte Sachkunde des Gerichts, welche die Ablehnung hätte tragen können, lag nicht vor. 5. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils insgesamt. Daß die Staatsanwaltschaft das Urteil nicht angefochten hat und daß § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO einer Bestrafung entgegenstünde, auch wenn der neue Tatrichter jedenfalls eine Aufhebung der Schuldfähigkeit ausschließen könnte, steht der Aufhebung nicht entgegen, denn wenn die Voraussetzungen für die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB nicht vorlägen, so dürfte sie selbstverständlich auch dann nicht erfolgen, wenn die Verhängung einer Strafe aus Rechtsgründen ausschiede. Im Hinblick auf die überaus enge Verflechtung der Feststellungen zum Tathergang, zur Motivation des Angeklagten und zu seinem Nachtatverhalten mit denjenigen zu den Voraussetzungen des § 63 StGB scheidet eine Aufrechterhaltung von Feststellungen hier aus, auch wenn das Urteil insoweit rechtsfehlerfrei ist. Insoweit merkt der Senat an, daß die Rüge einer Verletzung des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO aus den vom Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführten Gründen jedenfalls unbegründet ist. Der neue Tatrichter wird Gelegenheit zu umfassenden neuen Feststellungen haben. Es erscheint naheliegend, zur Frage der Schuldfähigkeit und der Maßregelanordnung (auch) einen anderen Sachverständigen mit der Gutach - tenerstattung zu beauftragen. Rissing-van Saan Detter Bode
Rothfuß Fischer

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 367/04
vom
12. November 2004
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja (vor 1 bis 4)
Veröffentlichung: ja
Zu den Anforderungen an ein psychiatrisches Sachverständigengutachten über
die Schuldfähigkeit des Angeklagten und die Voraussetzungen seiner Unterbringung
in einem psychiatrischen Krankenhaus sowie zu den Prüfungsanforderungen
an das Gericht bei Vorliegen eines methodenkritischen Gegengutachtens.
BGH, Beschluß vom 12. November 2004 - 2 StR 367/04 - Landgericht -
Schwurgerichtskammer - Koblenz
wegen Mordes
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 12. November 2004 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 1. Dezember 2003 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts als Schwurgericht zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Mordes freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die allein vom Angeklagten eingelegte Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. 1. Das Landgericht hat festgestellt, daß der zur Tatzeit 21-jährige, bislang unauffällige Angeklagte im Januar 2002 seine Cousine, mit der zusammen er eine Wohnung im Haus seiner Großmutter bewohnte, ohne feststellbaren Grund durch Ersticken tötete. An einem unbekannten Ort außerhalb der Wohnung zerlegte er in der Folge die Leiche in aufwendiger Weise, wobei er namentlich auch die Haut abzog, die Brüste und das Geschlechtsteil gesondert abtrennte, die lange Rückenstrecker-Muskulatur vom Torso entfernte, einzelne
Knochen auslöste und innere Organe entnahm. Erhebliche Teile der Leiche erhitzte er im Backofen seiner Wohnung. Er verpackte die Leichenteile in Plastiktüten, die er zunächst in der Wohnung versteckte. Den Kopf und die Beckenknochen verbrachte er in einen Steinbruch, wo er den Kopf zusätzlich mit einem Beil zertrümmerte und vergrub. An den später in der Wohnung und in dem Steinbruch von der Polizei aufgefundenen Leichenteilen fanden sich eine Vielzahl von Reiskörnern. Wesentliche Teile der Leiche wurden nie aufgefunden. Daß der Angeklagte diese Teile verzehrt hat, konnte nicht mit Sicherheit festgestellt werden. 2. Das Landgericht hat, da es die Voraussetzungen eines Mordmerkmals im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB als nicht bewiesen angesehen hat, dieses Geschehen als tatbestandsmäßiges und rechtswidriges Verbrechen des Totschlags angesehen. Zur Schuldfähigkeit des Angeklagten hat es festgestellt, zur Tatzeit sei die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sicher erheblich vermindert , möglicherweise aufgehoben gewesen. Die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten sei möglicherweise voll erhalten, möglicherweise gänzlich aufgehoben gewesen. Im Zweifel sei daher von der Schuldunfähigkeit des Angeklagten auszugehen. Das Landgericht hat den Angeklagten daher freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Das Landgericht hat sich bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit "den gut verständlichen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen (Dr. B.) angeschlossen" und sie sich zu eigen gemacht (UA S. 37). Diese hat es im wesentlichen wie folgt wiedergegeben: "Insgesamt wirke der Angeklagte in seinem Gesamtverhalten hoch auffällig (…) Der Zustand des Angeklagten gehe über eine bloße Persönlichkeitsstörung deutlich hinaus. Für das Vorliegen einer Persönlich-
keitsstörung sprächen zwar eine emotionale Verflachung, die Nivellierung von Gefühlen und das Einzelgängertum des Angeklagten. Für die Annahme einer Persönlichkeitsstörung müßten sich diese Symptome jedoch bis in die Jugend verfolgen lassen. Schulbildung, Lehre und Beruf des Angeklagten seien jedoch unauffällig (…). Auch eine klassische schizophrene Psychose und mithin eine Geisteskrankheit im engeren Sinne liege … nicht vor. Bei der Störung des Angeklagten handle es sich um eine solche, welche zwar in seiner Persönlichkeitsstörung verankert sei, jedoch schizophrenietypische Züge trage. Hierfür spreche auch der erhebliche Konsum von Betäubungsmitteln (…). Ein Suchtmittelmißbrauch sei für das vorliegende Krankheitsbild symptomatisch. Es sei auch nicht auszuschließen, daß der Gebrauch von Haschisch die Entwicklung und Verschlimmerung des Krankheitsbildes befördert habe. Aufgrund der festgestellten Erkrankung des Angeklagten sei seine Steuerungsfähigkeit zumindest erheblich vermindert, möglicherweise auch ausgeschlossen. Hinsichtlich der Einsichtsfähigkeit sei von deren vollen Erhalt bis hin zu deren völligen Verlust alles denkbar" (UA S. 36, 37) … Die festgestellte schizotype Persönlichkeitsstörung sei entweder unter das Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung oder unter das der anderen seelischen Abartigkeit zu fassen (UA S. 38). Auch im Hinblick auf die Gefährlichkeitsprognose im Sinne von § 63 StGB ist das Landgericht "den gut verständlichen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Dr. B. (gefolgt)", die das Urteil wie folgt wiedergibt : "Bei der festgestellten schizophrenen Psychose handle es sich um eine überdauerte Störung der Geistestätigkeit. Die Krankheit des Angeklag-
ten sei chronisch. Das Rückfallrisiko des Angeklagten sei extrem hoch. Krankheitstypisch sei die Begehung von Straftaten, welche sich durch ein Übermaß an Gewalt auszeichneten und auch zum Tode des Opfers führen könnten. Hierbei sei von einer Tatbegehung vornehmlich im Verwandten - und näheren Bekanntenkreis auszugehen. Insgesamt sei damit zu rechnen, daß der Angeklagte aufgrund seiner Erkrankung weitere, der vorliegenden Tat vergleichbare Handlungen vornehmen werde" (UA S. 39). 3. In der Hauptverhandlung stellte die Verteidigerin, nachdem der Sachverständige Dr. B. sein Gutachten erstattet hatte, den Beweisantrag, ein (weiteres ) medizinisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten unter anderem zum Beweis der Tatsachen einzuholen, daß der Angeklagte nicht, wie vom Sachverständigen Dr. B. angenommen, an einer Schizophrenia simplex oder einer schizotypen Persönlichkeitsstörung leide, vielmehr seelisch und geistig gesund sei. Sie stützte diesen Antrag auf ein von ihr vorgelegtes methodenkritisches Gutachten des Sachverständigen Dr. W., der sich mit dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. B. kritisch auseinandersetzte und sowohl formale Mängel rügte als auch "in inhaltlicher Hinsicht erhebliche Zweifel (formulierte ), ob die im Gutachten dargelegten Anknüpfungspunkte die von Dr. B. vorgenommenen diagnostischen Zuordnungen tragen." Es seien kaum objektivierbare psychopathologische Anknüpfungspunkte dargelegt; eine Ableitung der Diagnose aus diagnostisch relevanten biographischen Besonderheiten fehle weitgehend ebenso wie eine Auseinandersetzung mit dem unauffälligen Verlaufsbericht über die vorläufige Unterbringung nach § 126 a StPO. In dem dem Landgericht vorgelegten schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. W. waren diese inhaltlichen Zweifel im einzelnen ausgeführt. Es enthielt unter anderem auch folgende Hinweise:
"Psychodiagnostische Überlegungen dazu, wie sich die von Dr. B. angenommene - Störung in der vorgeworfenen Tatsituation konkret ausgewirkt haben soll, enthält das Gutachten nicht (…), was insoweit den gutachtlichen Ausführungen einen eigentümlich spekulativ-beliebigen Charakter verleiht". (…) "(Es besteht) eine nicht unerhebliche Gefahr eines logischen Zirkelschlusses: Ausgehend von den bizarr-erschreckenden Umständen des Leichenfundes, die die Mutmaßung nahe legen, daß es sich hier um einen schwer psychisch gestörten Täter gehandelt haben dürfte, könnte man versucht sein, den Tatverdächtigen zu 'psychopathologisieren' , um ihn für die ihm unterstellte Tat 'passend' zu machen - gewissermaßen nach dem Motto: Wer so etwas tut, der muß verrückt sein. Diese Gefahr sehe ich im vorliegenden Fall um so mehr, als die von Dr. B. vorgenommenen diagnostischen Zuordnungen mir ausgesprochen schwach begründet erscheinen (…)." Das Landgericht hat den Beweisantrag mit der Begründung abgelehnt, das Gegenteil der behaupteten Tatsache sei bereits erwiesen. Die Sachkunde des Sachverständigen sei nicht zweifelhaft. Die gerügten Mängel beträfen lediglich das vorläufige schriftliche Gutachten; der Sachverständige habe sein Ergebnis jedoch mündlich vorgetragen. Er habe seinem Gutachten im Gegensatz zu dem Sachverständigen Dr. W. den Akteninhalt und das Ergebnis der Beweisaufnahme zugrunde gelegt. 4. Mit der Ablehnung hat das Landgericht gegen § 244 Abs. 4 Satz 2 StPO verstoßen, denn die Sachkunde des früheren Gutachters war nach Lage der Dinge zweifelhaft, sein Gutachten nicht ohne Widersprüche.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann für die Anwendung der §§ 20, 21 StGB regelmäßig nicht offen bleiben, welche der
Eingangsvoraussetzungen des § 20 StGB vorliegt. Das gilt gleichermaßen für die Anordnung des § 63 StGB (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 232; BGH StraFo 2003, 282; Beschl. vom 21. September 2004 - 3 StR 333/04), denn dieser setzt einen länger dauernden psychischen Defektzustand des Betroffenen voraus, auf welchem dessen Gefährlichkeit beruht (vgl. etwa BGHSt 34, 24, 28; 42, 385, 388; BGH NStZ 1991, 528; BGH NStZ-RR 1997, 166; 2000, 298; Hanack in LK StGB 11. Aufl. § 63 Rdn. 66; Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 63 Rdn. 6 f., 12, jeweils m.w.N.). Selbst wenn im Einzelfall die Grenzen zwischen diagnostischen Zuordnungen nach einem der gängigen Klassifikationssysteme fließend und die Einordnung unter eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB schwierig sein mögen, weil z. B. mehrere Merkmale gleichzeitig vorliegen oder keines in "reiner" Form gegeben ist, ist das Tatgericht gehalten, zum einen konkrete Feststellungen zu den handlungsleitenden Auswirkungen der Störung zum Zeitpunkt der Tat (vgl. § 20 StGB) zu treffen und zum anderen auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung von Persönlichkeit, Lebensgeschichte , Lebensumständen und Verhalten des Angeklagten und der Anlaßtat in nachprüfbarer Weise darzulegen, worin der "Zustand" des Beschuldigten besteht und welche seiner Auswirkungen die Anordnung der gravierenden, unter Umständen lebenslangen Maßregel nach § 63 StGB gebieten. Die bloße Angabe einer Diagnose im Sinne eines der Klassifikationssysteme ICD-10 oder DSM-IV ersetzt weder die Feststellung eines der Merkmale des § 20 StGB noch belegt sie für sich schon das Vorliegen eines Zustands im Sinne des § 63 StGB (vgl. BGH, Beschl. vom 21. September 2004 - 3 StR 333/04 m.w.N.).
b) Das Gericht, das sich zur Prüfung der genannten Voraussetzungen der Hilfe eines Sachverständigen zu bedienen hat (§ 246 a StPO), muß dessen Tätigkeit überwachen und leiten. Dazu gehört insbesondere auch die Prüfung, ob Grundlagen, Methodik und Inhalt des Gutachtens den anerkannten fachwis-
senschaftlichen Anforderungen genügen (zur Sachleitungs- und Prüfungspflicht des Gerichts vgl. Jähnke in LK 11. Aufl., § 20 Rdn. 89, 92 f.; Tröndle/Fischer aaO § 20 Rdn. 63, 64 a ff. mit Nachweisen zur Rechtsprechung). Vorliegend hatte die Verteidigung mit dem Antrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zutreffend auf erhebliche Mängel jedenfalls des vorbereitenden schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. B. hingewiesen. Daß der Sachverständige diese im Beweisantrag und im Gutachten des Sachverständigen Dr. W. konkret angesprochenen Mängel in seinem mündlichen Gutachten behoben oder die Einwände ausgeräumt hat, hat das Landgericht in dem den Antrag zurückweisenden Beschluß nicht dargelegt. Die Urteilsgründe belegen eher das Gegenteil. Das Gutachten entsprach in formaler und inhaltlicher Hinsicht nicht den Anforderungen, die in der Rechtsprechung und forensisch-psychiatrischen wissenschaftlichen Literatur an entsprechende Gutachten gestellt werden (vgl. dazu im einzelnen etwa Foerster/Venzlaff, in: Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 4. Aufl. 2004, S. 31 ff.; Foerster/Leonhardt, ebd. S. 43, 47 f.; Nedopil, Forensische Psychiatrie, 2. Aufl. 1996, S. 274, 282 ff.; Rasch, Forensische Psychiatrie, 2. Aufl. 1999, S. 313 ff.; Heinz, Fehlerquellen forensischpsychiatrischer Gutachten, 1992; Venzlaff, Fehler und Irrtümer in psychiatrischen Gutachten, NStZ 1983, 199; Maisch, Fehlerquellen psychologischpsychiatrischer Begutachtung im Strafprozeß, StV 1985, 517; jeweils m.w.N.). aa) In formaler Hinsicht war auffällig, daß das schriftliche Gutachten weder eine Sexualanamnese noch eine detaillierte Beziehungsanamnese enthielt. Auch die bewertenden Darlegungen zur Biographie und zur psychiatrischen Entwicklung (Gutachten S. 36 ff.) erscheinen teilweise auf formale Aspekte beschränkt.
bb) Soweit der Sachverständige hier zu Bewertungen gelangte, sind diese teilweise auch im Zusammenhang nur schwer verständlich, etwa wenn von "einer gewissen magisch-mystischen Sicht- und Denkweise", von "umfassender Exzentrizität", "großen soziointegrativen Fähigkeiten" u.s.w. die Rede ist (ebd. S. 44 f.), ohne daß diese zusammenfassenden, stark subjektiv wertenden Beschreibungen hinlänglich konkretisiert werden. Die Zusammenfassung, wonach "man hier allenfalls an eine sogenannte vor sich hindümpelnde psychische Erkrankung denken (würde), die mit einer gewissen sozialen 'Unmöglichkeit', bizarr manirierten Verhaltensmustern und einer gewissen affektiven (…?) inadäquat vergesellschaftet als sogenannte schizophrenia simplex … in Erscheinung treten könnte" (ebd. S. 47), macht die Diagnose nach ICD-10, F 20.6, auf welche hingewiesen wird, kaum nachvollziehbar. cc) Hinzu kommt, daß das Gutachten im Zusammenhang mit der Wiedergabe der Explorationsgespräche eine Vielzahl abwertender Beschreibungen und Bewertungen der Person und des Verhaltens des Angeklagten enthält, die durch die Notwendigkeit diagnostisch-wertender Beschreibung nicht stets geboten erscheinen. Beispielhaft hierfür sind etwa die Beschreibungen, es hätten sich "immer wieder süffisante Grinseinlagen (gefunden)"; der Angeklagte habe "pathologische Witzelsüchtigkeit mit sarkastischer Unterlegung" (S. 29) und "ein von Theoretisierereien und persönlichen Interpretationen geprägtes Schildern der Tat" (S. 30) gezeigt; er habe sich "in läppisch distanzloser Art auf den Schreibtisch positioniert, eine Zigarette rauchend, den Rauch aus den Mundwinkeln ausblasend (…), sichtlich die Macht genießend, eine gewisse Hilflosigkeit bei Unterzeichner auszulösen …" (S. 28); er habe sich "in seiner Informationspolitik wenig durchsichtig" und "sich in der Verweigerung suhlend" gezeigt (S. 29).
In ihrer Häufung konnten diese Beschreibungen, welche die Grenze zwischen der Darstellung von Befundtatsachen und allgemein persönlichen Abwertungen teilweise überschritten, nicht nur die Objektivität des Gutachters in Frage stellen (vgl. Nedopil aaO S. 282). Sie konnten damit auch die Besorgnis begründen , daß der Sachverständige den Erfordernissen einer differentialdiagnostischen Befunderhebung möglicherweise nicht die gebotene Aufmerksamkeit hatte zukommen lassen. Soweit von einem "Schildern der Tat" die Rede war, war dies schon mit dem Umstand nicht vereinbar, daß der Angeklagte die Tat stets - auch gegenüber dem Sachverständigen - bestritten hat. Das zur Frage der Schuldfähigkeit und zu den Voraussetzungen des § 63 StGB einzuholende Gutachten wird zwar, um die Diagnose rational nachvollziehbar und für das Gericht verständlich und überprüfbar zu machen, auf Verhaltensbeschreibungen, wertungsbehaftete Charakterisierungen und alltagssprachliche Umsetzungen klinischer Befunde nicht verzichten können. Dies ergibt sich auch aus den Merkmalsbeschreibungen der Klassifikationssysteme , so wenn etwa die Diagnose der "schizotypen Störung" (ICD-10, F 21) durch die Feststellung "eigentümlichen Verhaltens", "seltsamer Glaubensinhalte" , der Exzentrizität oder von gekünstelter Sprache getragen werden kann. Eine solche Darstellung ist aber kein Selbstzweck. dd) Inhaltliches Ziel des Gutachtens ist es, dem Gericht eine Beurteilung zu ermöglichen, ob zum Zeitpunkt der Tat eine der Eingangsvoraussetzungen des § 20 StGB vorgelegen hat und ob, ggf. wie diese sich auf die Unrechtseinsicht des Beschuldigten oder auf seine Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat. Für die Frage einer möglichen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist darüber hinaus zu klären, ob aufgrund der die Schuldfähigkeit bei der
Anlaßtat beeinträchtigenden psychischen Störung ein längerfristiger Zustand des Beschuldigten besteht, welcher dessen Gefährlichkeit im Sinne von § 63 StGB begründet und daher die Unterbringung gebietet. Hierfür können in der Regel die Diagnose der psychischen Störung sowie ihre Einordnung unter die Eingangsmerkmale des § 20 StGB nicht offen bleiben. Vorliegend hatte der Sachverständige in seinem vorbereitenden schriftlichen Gutachten offen gelassen, ob bei dem Angeklagten eine "schizotype Störung" (ICD-10, F 21) oder eine "schizophrenia simplex" (ICD-10, F 20.6) vorliege, die beide dem Merkmal "krankhafte seelische Störung" im Sinne von § 20 StGB zuzuordnen seien; eine Persönlichkeitsstörung im Sinne einer "schweren anderen seelischen Abartigkeit" (SASA) liege nicht vor (Gutachten S. 47 ff., 51). In seinem in der Hauptverhandlung erstatteten mündlichen Gutachten kam er dagegen zu der Ansicht, es sei "die festgestellte schizotype Persönlichkeitsstörung entweder unter das Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung oder unter das der anderen seelischen Abartigkeit zu fassen" (UA S. 38); eine schizophrene Psychose liege nicht vor (UA S. 37). Eine Persönlichkeitsstörung sei gleichfalls nicht gegeben (UA S. 36/37), vielmehr eine in der Persönlichkeit verankerte Störung mit schizophrenietypischen Zügen , für welche ein Suchtmittelmißbrauch symptomatisch sei (UA S. 37). Die letztgenannte Diagnose ist - gerade auch unter Heranziehung der Beschreibungen in den Klassifikationssystemen - schon aus sich heraus kaum nachvollziehbar. Sowohl im Ablehnungsbeschluß des Landgerichts als auch im Urteil fehlt jede Darlegung, aus welchen objektivierbaren Gründen der Sachverständige in der Hauptverhandlung von seinem vorbereitenden Gutachten abwich und ob diese Gründe mit ihm erörtert worden sind.
ee) Feststellung und Begründung der Diagnose einer Störung belegen nicht deren strafrechtliche Relevanz im Sinne von §§ 20, 21 StGB (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03 = NJW 2004, 1810, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen; BGH, Beschluß vom 21. September 2004 - 3 StR 333/04; vgl. auch Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl., § 20 Rdn. 44; Jähnke in LK 11. Aufl., § 20 Rdn. 34 f.; jew. m.w.N.). Entscheidend für die inhaltliche Brauchbarkeit des Gutachtens ist, ob es wissenschaftlich hinreichend begründete Aussagen über den Zusammenhang zwischen einer diagnostizierten psychischen Störung und der Tat enthält, welche Gegenstand des Verfahrens ist. Es ist also - unabhängig von der Einordnung unter ein Eingangsmerkmal des § 20 StGB - im einzelnen konkret darzulegen, ob und ggf. wie sich die Störung auf das Einsichts- oder Hemmungsvermögen des Beschuldigten tatsächlich ausgewirkt hat (vgl. Schreiber/Rosenau, in: Venzlaff/Foerster aaO, S. 51, 77 f.; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 20 Rdn. 31). Nichts anderes gilt für die Beurteilung des "Zustands" im Sinne von § 63 StGB, denn es gibt weder eine abstrakte "Schuldunfähigkeit" ohne Bezug zu einem konkreten Delikt noch einen abstrakten "Zustand" ohne diesen Bezug , aus welchem sich symptomatisch die die Unterbringung erfordernde Gefährlichkeit des Beschuldigten ergibt. An einer Darlegung dieses Zusammenhangs fehlte es in dem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. B. gänzlich; ein solcher Zusammenhang ergibt sich auch aus der Wiedergabe des mündlich erstatteten Gutachtens im angefochtenen Urteil nicht. Hier bleibt schon offen, in welchen forensisch relevanten Eigenschaften, Dispositionen oder Einschränkungen der Einsichts - oder Steuerungsfähigkeit die festgestellte "chronische Krankheit" (UA S. 39) des Angeklagten sich überhaupt ausdrückt. Als "symptomatisch" wird insoweit allein der Suchtmittelmißbrauch genannt; Feststellungen zu Ausmaß oder
Auswirkungen des Konsums von Haschisch oder anderen Rauschmitteln am Tattag fehlen jedoch. Auch im übrigen ergibt sich weder aus dem schriftlichen Gutachten noch den Darlegungen im Urteil, in welcher konkreten Weise sich die beim Angeklagten festgestellten psychischen Auffälligkeiten bei der Tat ausgewirkt haben könnten. Zutreffend hat der Sachverständige Dr. W. in seinem von der Verteidigung zur Begründung des Beweisantrags vorgelegten Gutachten darauf hingewiesen, das Gutachten des Sachverständigen Dr. B. zeige eine gewisse Zirkelschlüssigkeit und habe einen "eigentümlich spekulativ -beliebigen Charakter". ff) Eine kritische Beurteilung des Gutachtens und der Sachkunde des Gutachters lag jedenfalls unter Berücksichtigung der Begründung des Beweisantrags für den Tatrichter auch deshalb nahe, weil das Gutachten ausschließlich zu Diagnosen (entweder "schizophrenia simplex" oder "schizotype Störung" ) gelangte, von deren Verwendung im Klassifikationssystem ICD-10 ausdrücklich abgeraten wird. Überdies lagen wichtige Merkmale der festgestellten "schizotypen Störung", namentlich zeitlich überdauernde Auswirkungen auf Biographie, Verhalten oder Auffälligkeiten des Betroffenen, gerade nicht vor; das Gutachten befaßte sich damit nur vage und unklar. Darüber hinaus ließ das Gutachten eine hinreichende differenzialdiagnostische Erörterung vermissen ; die diagnostischen Schlußfolgerungen waren letztlich auf wenig mehr gestützt als die (unterstellte) Begehung der Tat selbst. gg) Auch die Schlußfolgerungen, die der Sachverständige aus diesen eher unklaren und unsicheren Feststellungen auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten vom Tatzeitpunkt gezogen hatte, hätten dem Gericht Anlaß zur kritischen Überprüfung geben müssen. In seinem schriftlichen Gutachten hatte der Sachverständige ausgeführt, der Angeklagte sei
zwar "grundsätzlich als psychisch gestört und geisteskrank zu betrachten". Die Auffälligkeiten hätten aber mangels akuter paranoider Symptomatik und akuter Derealisation "eben nicht einen vollumfänglichen Verlust seiner Einsichtsfähigkeit nach sich gezogen" (Gutachten S. 52). Es sei jedoch festzustellen, daß der Angeklagte in seiner Wahrnehmung und Interpretation von Sicht- und Denkweisen des alltäglichen Lebens und seiner Beziehung zu dem Tatopfer "beeinträchtigt gewesen sein muß". Das habe "eine gewisse Verzerrung der Realität" nach sich gezogen, was wiederum "zu einer Uminterpretation von realen Begebenheiten führte"; dadurch seien "die Sicht- und Denkweisen beeinträchtigt" worden. Daher sei die Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen (ebd.). In seinem mündlichen Gutachten führte der Sachverständige ausweislich des Urteils dann im ausdrücklichen Gegensatz hierzu aus, hinsichtlich der Einsichtsfähigkeit des Angeklagten sei "von dessen vollem Erhalt bis hin zu dessen völligem Verlust alles denkbar" (UA S. 37). Für diesen grundlegenden Wechsel in der Beurteilung findet sich keine Begründung; aus der Wiedergabe des Gutachtens kann auch nicht nachvollzogen werden, wie die von dem Sachverständigen für möglich gehaltenen Alternativen der Unrechtseinsicht mit dem psychodiagnostischen Krankheitsbild des Angeklagten in Einklang zu bringen sein könnten. Die hypothetische Feststellung, entweder die Einsichtoder die Steuerungsfähigkeit habe gefehlt, würde voraussetzen, daß der psychische Defekt des Betroffenen sich tatsächlich in einer solchen alternativen Weise konkret auswirken konnte. Zur Begründung dieser Feststellung bedürfte es jedenfalls eingehender Darlegungen zur Diagnose der Störung und zu ihrer konkreten Auswirkung auf die Tatbegehung. Hieran fehlte es hier offensichtlich; die vage Aussage des Sachverständigen zur Auswirkung der Störung beruhte vielmehr gerade auf der Unschärfe der diagnostischen Zuordnung.

c) Angesichts dieser erheblichen Mängel und Unklarheiten des vorbereitenden schriftlichen und des mündlich erstatteten Gutachtens durfte das Landgericht den Beweisantrag auf Einholung eines weiteren medizinischpsychiatrischen Sachverständigengutachtens nicht mit der Begründung ablehnen , das Gegenteil der behaupteten Tatsache sei bereits erwiesen, und die Sachkunde des Sachverständigen Dr. B. sei nicht zweifelhaft, ohne sich eingehend mit den erhobenen Beanstandungen auseinanderzusetzen. Die gravierenden Einwände, welche das Gutachten des Sachverständigen Dr. W. gegen Methodik und Ergebnisse des schriftlichen Gutachtens erhob, mußten Anlaß sein, die vom Sachverständigen mündlich vorgetragenen Ergebnisse sowie die Abweichungen und ggf. deren Begründung besonders kritisch zu prüfen. Dies hat das Landgericht nicht getan; vielmehr hat es die in vielfacher Hinsicht zweifelhaften Ausführungen des Sachverständigen allein dahingehend gewürdigt, sie seien "gut verständlich und nachvollziehbar" gewesen und die Kammer schließe sich ihnen an (UA S. 37, 40). Mit der im Ablehnungsbeschluß gegebenen Begründung hat sich das Landgericht daher seiner Aufgabe einer kritischen Überprüfung und Würdigung des Sachverständigengutachtens gerade entzogen, indem es die Mängel des vorbereitenden schriftlichen Gutachtens mit dem Hinweis auf das mündliche Gutachten beiseite schob. Dies wäre nur dann tragfähig, wenn das mündlich erstattete Gutachten seinerseits fehlerfrei gewesen und wenn die Abweichungen zum schriftlichen Gutachten nachvollziehbar erklärt wären. Hieran fehlte es; nach der Wiedergabe des Gutachtens in den Urteilsgründen setzten sich die von dem Sachverständigen Dr. W. angesprochenen Fehler vielmehr im mündlichen Gutachten fort und führten darüber hinaus zu neuen Widersprüchen (vgl. BGHSt 23, 176, 185; BGH NStZ 1990, 244; 1991, 448; Meyer-Goßner, StPO 47. Aufl., § 244 Rdn. 76 m.w.N.).

d) Danach war hier die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft; die Beweiserhebung war daher erforderlich. Eigene, unter Umständen durch das erste Gutachten vermittelte Sachkunde des Gerichts, welche die Ablehnung hätte tragen können, lag nicht vor. 5. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils insgesamt. Daß die Staatsanwaltschaft das Urteil nicht angefochten hat und daß § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO einer Bestrafung entgegenstünde, auch wenn der neue Tatrichter jedenfalls eine Aufhebung der Schuldfähigkeit ausschließen könnte, steht der Aufhebung nicht entgegen, denn wenn die Voraussetzungen für die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB nicht vorlägen, so dürfte sie selbstverständlich auch dann nicht erfolgen, wenn die Verhängung einer Strafe aus Rechtsgründen ausschiede. Im Hinblick auf die überaus enge Verflechtung der Feststellungen zum Tathergang, zur Motivation des Angeklagten und zu seinem Nachtatverhalten mit denjenigen zu den Voraussetzungen des § 63 StGB scheidet eine Aufrechterhaltung von Feststellungen hier aus, auch wenn das Urteil insoweit rechtsfehlerfrei ist. Insoweit merkt der Senat an, daß die Rüge einer Verletzung des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO aus den vom Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführten Gründen jedenfalls unbegründet ist. Der neue Tatrichter wird Gelegenheit zu umfassenden neuen Feststellungen haben. Es erscheint naheliegend, zur Frage der Schuldfähigkeit und der Maßregelanordnung (auch) einen anderen Sachverständigen mit der Gutach - tenerstattung zu beauftragen. Rissing-van Saan Detter Bode
Rothfuß Fischer

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 139/12
vom
29. Mai 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 29. Mai 2012 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 13. Oktober 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung in sieben Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, sowie des versuchten Diebstahls freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Nach Überzeugung der sachverständig beratenen Strafkammer befand sich der Angeklagte aufgrund einer chronifizierten und zur Tatzeit akuten schizophrenen Psychose bei Begehung der Körperverletzungsdelikte und des in zwei Fällen tateinheitlich begangenen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in einem Zustand, in dem sowohl seine Einsichts- als auch seine Steue- rungsfähigkeit auf motivationaler Ebene vollständig aufgehoben waren (§ 20 StGB), während er sich bei Begehung des versuchten Diebstahls in einem Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit befand, wobei eine völlige Aufhebung nicht ausgeschlossen werden konnte. Infolge seines Zustandes und des dadurch bedingten Wahnerlebens seien auch in Zukunft erhebliche Straftaten , auch im Bereich von Gewalttaten, zu erwarten. Eine psychiatrische Behandlung des Angeklagten könne nur unter den geschützten Bedingungen des Maßregelvollzuges erfolgen.
3
2. Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht hinreichend belegt.
4
Das Landgericht hat bereits nicht hinreichend dargelegt, dass der Angeklagte bei Begehung der Anlasstaten sicher schuldunfähig bzw. erheblich vermindert schuldfähig war. Dabei ist noch nicht ausschlaggebend, dass die Strafkammer bei Begehung der Körperverletzungsdelikte und des tateinheitlich begangenen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte einen Ausschluss der Einsichts- und der Steuerungsfähigkeit angenommen hat (BGHR StGB § 63 Schuldfähigkeit 1; Fischer StGB 59. Aufl. § 21 Rn. 5; vgl. aber auch BGH NStZRR 2006, 167, 168). Es fehlt jedenfalls an einer tatsächlichen Grundlage für die Annahme eines jeweils akuten Schubs der Erkrankung und insbesondere auch eines spezifischen Zusammenhangs zwischen der Erkrankung und den einzelnen Taten.
5
Allein die Diagnose einer schizophrenen Psychose führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten Beeinträchtigung bzw. Aufhebung der Schuldfähigkeit (vgl. BGH, NStZ-RR 2008, 39). Erforderlich ist vielmehr stets die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, StraFo 2004, 390 mwN). Die Strafkammer schließt sich insoweit der Beurteilung des Sachverständigen an, ohne dessen dafür wesentlichen Anknüpfungs - und Befundtatsachen im Urteil so wiederzugeben, wie es zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2010 - 5 StR 123/10 mwN). Soweit der Sachverständige und ihm folgend die Kammer darauf abgestellt haben, der Angeklagte habe aufgrund eines zum jeweiligen Tatzeitpunkt bestehenden "Wahnerlebens" (UA S. 18) bzw. er habe auf eine "subjektiv empfundene, gegebenenfalls auch wahnhaft wahrgenommene, Provokation hin" sein Verhalten nicht mehr "steuern" können, bzw. projiziere seine eigenen Aggressionen "in (vermeintlich) feindselige Handlungsformen anderer Personen" (UA S. 19), wird dies in den Urteilsgründen nicht belegt. Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergeben sich insoweit keine hinreichenden Anhaltpunkte. Die festgestellten Taten des Angeklagten richteten sich gegen seine vormalige Freundin, die ihm eine gewünschte Aussprache verweigerte, gegen einen Passanten , der ihr beistehen wollte, gegen zwei Schüler, die zuvor Steinchen gegen das Auto des Angeklagten geworfen bzw. ihm Zigarettenrauch ins Gesicht geblasen hatten, sowie gegen zwei Polizeibeamte, die in zwei Fällen hinzu kamen und den Angeklagten festnehmen wollten. Lediglich im Fall des versuchten Diebstahls lassen die Feststellungen erkennen, dass der Angeklagte offenkundig davon ausging, dass er ein Fahrzeug, das nicht erkennbar gebraucht werde, mitnehmen dürfe; auch dies weist entgegen der Annahme der Kammer aber nicht auf eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit hin.
6
3. Die Sache bedarf daher insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat war durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; vgl. BGH StraFo 2011, 55 mwN).
Fischer Berger Krehl Eschelbach Ott

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 435/09
vom
10. Dezember 2009
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Dezember
2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer
als beisitzende Richter,
Richter am Amtsgericht
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kaiserslautern vom 10. Juni 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


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Das Landgericht hat den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen wendet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft , die vom Generalbundesanwalt vertreten wird. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
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1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen entfachte die Beschuldigte, die schon tagelang Selbstmordgedanken gehegt und sogar einen entsprechenden Versuch unternommen hatte, unter Verwendung von Brennspiritus ein Feuer im Dachgeschoss des unter anderem von ihr und ihrem Ehemann bewohnten Mehrfamilienhauses, um sich durch Einatmen von Rauchgasen zu töten. Beim Anblick des Feuers erschrak sie jedoch und verließ fluchtartig den Dachboden; auch ihr anschließender Versuch, sich vor einen Zug zu werfen, scheiterte, weil der Triebwagenführer rechtzeitig eine Schnellbremsung einleitete. Da das Feuer frühzeitig entdeckt wurde, konnten die anwesenden Hausbewohner das Gebäude unverletzt verlassen. Der entstandene Sachschaden beträgt etwa 60.000 €.
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Die Strafkammer ist - sachverständig beraten - rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Beschuldigte bei Begehung der Tat wegen einer schweren krankhaften seelischen Störung nicht einsichtsfähig gewesen war. Die Beschuldigte leide seit mehr als 30 Jahren an einer affektiven Störung im Sinne einer schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen (ICD 10: F 32.3). Obwohl sie seit dem Jahre 1993 medikamentös behandelt werde, habe sich ihr Zustand fortlaufend verschlechtert. Zudem seien seit 2006 grenzwertige psychotische Symptome in Form von Beziehungsideen aufgetreten, die auf ihre jeweiligen Nachbarn gerichtet seien. Zwischen Dezember 2006 und Dezember 2007 habe ihre Suizidalität drei stationäre Aufenthalte in einer psychiatrischen Klinik erforderlich gemacht.
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2. Die Voraussetzungen für eine Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hat das Landgericht mit folgender Begründung verneint:
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Zwar dauere die schwere krankhafte seelische Störung fort. Entgegen der Auffassung der gehörten Sachverständigen Dr. S. ergebe die Gesamtwürdigung der Person der Beschuldigten und der Anlasstat jedoch nicht, dass von ihr infolge ihres Zustands weitere erhebliche Straftaten zu erwarten seien und sie deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei. Das folge schon daraus, dass die Beschuldigte, obwohl sie seit vielen Jahren an der depressiven Störung leide, bisher weder strafrechtlich in Erscheinung getreten sei noch fremdaggressives Verhalten gezeigt habe. Außerdem sei die Fremdgefährdung bei der Anlasstat nur "bei Gelegenheit" einer beabsichtigten Selbsttötung der Be- schuldigten erfolgt und stünde nicht in Bezug zu der wahnhaften Symptomatik in Form von "grenzwertigen" Beziehungsideen.
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3. Die Ablehnung der Unterbringung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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a) Der Tatrichter ist zwar nicht gehindert, von dem Gutachten eines vernommenen Sachverständigen abzuweichen, da dieses stets nur Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung sein kann (BGH, Urteil vom 16. Dezember 1992 - 2 StR 440/92, BGHR StPO § 261 Sachverständiger 5). Will er aber eine Frage, für deren Beantwortung er sachverständige Hilfe in Anspruch genommen hat, im Widerspruch zu dem Gutachten beantworten, muss er die Gründe hierfür in einer Weise darlegen, die dem Revisionsgericht die Nachprüfung erlaubt , ob er das Gutachten zutreffend gewürdigt und aus ihm rechtlich zulässige Schlüsse gezogen hat. Hierzu bedarf es einer erschöpfenden Auseinandersetzung mit den Darlegungen des Sachverständigen, insbesondere zu den Gesichtspunkten , auf welche das Gericht seine abweichende Auffassung stützt (vgl. BGH aaO; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 1 StR 579/05 = NStZ-RR 2006, 242, 243; Beschluss vom 13. September 2001 - 3 StR 333/01 m.w.N.). Dies lässt die angefochtene Entscheidung vermissen.
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Soweit das Landgericht entgegen dem Sachverständigengutachten eine qualifizierte Steigerung der affektiven Störung in den letzten beiden Jahren vor der Anlasstat verneint und dabei darauf abstellt, dass die Vorstellung der Beschuldigten , einem "Nachbarschaftsterror" ausgesetzt zu sein, zeitlich und örtlich auf eine frühere Wohnsituation beschränkt sei, lässt es außer Acht, dass die Beschuldigte auch in ihrer neuen Mietwohnung die unbegründete und über- triebene Sorge hegte, ihre Vermieter wollten sie wegen ihrer Krankheit "loswerden" und die Nachbarn würden hinter ihrem Rücken schlecht über sie reden.
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b) Schon im Ansatz fehl geht die weitere Überlegung der Strafkammer, wonach gegen eine qualifizierte Steigerung der affektiven Störung spreche, dass die Beschuldigte auf den "akustischen Nachbarschaftsterror" nicht mit fremdaggressivem Verhalten reagiert habe. Nach den Ausführungen der Sachverständigen zum Krankheitsbild ist dieses zwar nicht durch Fremdaggression, sondern durch ausgeprägte Suizidalität gekennzeichnet. Da die Beschuldigte bei ihren Selbsttötungsbestrebungen aber, wie die Sachverständige ausgeführt hat, mögliche Folgen für Dritte ausblendet, entsteht aus einer erhöhten Suizidalität auch eine erhöhte Gefahr für die Allgemeinheit.
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4. Wegen des aufgezeigten Rechtsfehlers unterliegt das Urteil insgesamt der Aufhebung. Die Möglichkeit, die Beschuldigte belastende, für sich genommen rechtsfehlerfrei getroffene Feststellungen zum äußeren Tathergang teilweise aufrecht zu erhalten, scheidet aus, da die Beschuldigte das Urteil insoweit nicht hätte anfechten können (vgl. BGH, Urteil vom 23. Februar 2000 - 3 StR 595/99, NStZ-RR 2000, 300 m.w.N.).
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Sollte der neue Tatrichter eine fortdauernde Gefährlichkeit der Beschuldigten feststellen, wird er zu prüfen haben, ob die von der Beschuldigten ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit durch eine konsequente medizinische Behandlung, für deren Durchführung bereits ein Betreuer bestellt ist, abgewendet werden kann. In diesem Fall würde es, worauf auch die Revisionsführerin hingewiesen hat, nahe liegen, die Vollstreckung der Unterbringung gemäß § 67 b StGB zur Bewährung auszusetzen (vgl. BGH aaO; BGH, Urteil vom 20. Februar 2008 - 5 StR 575/07, jeweils m.w.N.).
Tepperwien Maatz Solin-Stojanović
Franke Mutzbauer