Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Dez. 2014 - 2 StR 211/14

bei uns veröffentlicht am29.12.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR211/14
vom
29. Dezember 2014
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 29. Dezember 2014 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 9. Juli 2013 mit den Feststellungen aufgehoben
a) im Fall II.3. der Urteilsgründe,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und
c) im Maßregelausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in vier Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Jugendlichen, sowie wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Daneben hat es dem Angeklagten untersagt, berufs- und gewerbsmäßig von Personen unter 21 Jahren Abbildungen anzufertigen oder solche Personen als Schauspieler oder Fotomodel auszubilden, zu beraten oder zu vermitteln. Darüber hinaus hat das Landgericht zugunsten der Nebenklägerin T. eine Adhäsionsentscheidung getroffen.
2
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
3
1. Soweit sich die Revision gegen die Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in vier Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Jugendlichen (Taten zum Nachteil der Nebenklägerin T. ) richtet, zeigt sie aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler auf.
4
Auch der Adhäsionsausspruch hält im Ergebnis revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Das Landgericht hat bei der Bemessung des der Nebenklägerin T. zugesprochenen Schmerzensgelds in Höhe von 1.000 € die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten und der Nebenklägerin berücksichtigt. Dies entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 18. Juni 2014 - 4 StR 217/14; Beschluss vom 2. September 2014 - 3 StR 325/14). Der Senat hält indes aus den im Beschluss vom 8. Oktober 2014 (2 StR 337/14) dargelegten Gründen sowohl die Einbeziehung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers als auch eine Erörterung der Vermögensverhältnisse der Geschädigten bei der Entscheidung über die Höhe der billigen Entschädigung im Sinne des § 253 Abs. 2 BGB für rechtsfehlerhaft. Ungeachtet dessen hat sich der vom Landgericht zugrunde gelegte Bewertungsmaßstab hier jedenfalls nicht zu Lasten des Angeklagten ausgewirkt. Angesichts der geringen Höhe des Schmerzensgelds und im Hinblick darauf , dass das Landgericht die wirtschaftlichen Verhältnisse lediglich anspruchsmindernd und damit zugunsten des Angeklagten in Ansatz gebracht hat, kann ein den Angeklagten beschwerender Rechtsfehler ausgeschlossen werden.
5
2. Dagegen hat die Revision zu Fall II.3. der Urteilsgründe (Tat zum Nachteil der Nebenklägerin K. ) mit der Rüge der Verletzung formellen Rechts Erfolg.
6
Nach den insoweit getroffenen Feststellungen setzte sich die zum Tatzeitpunkt dreizehnjährige Nebenklägerin in der Wohnung des Angeklagten zur Anfertigung von Fotoaufnahmen auf ein Sofa. Während der Angeklagte Fotos machte, kniete er sich vor die Nebenklägerin, die keine Unterhose trug, führte einen Finger in ihre Scheide ein und manipulierte an ihrer Klitoris.
7
a) Die von dem Angeklagten erhobene Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 3 StPO ist begründet. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde :
8
In der Hauptverhandlung beantragte der Angeklagte die Spurensuche nach DNA-Anhaftungen zum Beweis der Tatsache, dass sich auf dem Sofa keine DNA-Spuren der Nebenklägerin befänden. Das Landgericht hat diesen Antrag als Beweisermittlungsantrag eingestuft und ausgeführt, die Aufklärungspflicht gebiete eine Beweiserhebung nicht, weil selbst das Fehlen von DNASpuren nicht den Schluss zuließe, der Angeklagte habe die ihm vorgeworfene sexuelle Handlung nicht begangen.
9
Dies hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat den Antrag rechtsfehlerhaft als Beweisermittlungsantrag gewertet. In dem Antrag wurde ein konkretes Beweismittel zwar nicht ausdrücklich benannt. Der Antragsbegründung war jedoch im Wege der gebotenen Auslegung (vgl. MeyerGoßner /Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 244 Rn. 39) unzweifelhaft zu entnehmen, dass der Angeklagte die Einholung eines Sachverständigengutachtens begehrte. Auch die Begründung, mit der das Landgericht das Beweisbegehren zurückgewiesen hat, ist nicht frei von Rechtsfehlern. Die Erwägung, das Fehlen von DNA-Spuren spräche nicht gegen die Tatbegehung durch den Angeklagten, wäre zwar grundsätzlich geeignet gewesen, eine Zurückweisung des Antrags wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO) zu rechtfertigen. Hierfür hätte es aber einer eingehenderen Begründung bedurft. Will das Tatgericht einen Beweisantrag wegen Bedeutungslosigkeit zurückweisen, muss es darlegen, warum es aus der Beweistatsache keine entscheidungserheblichen Schlussfolgerungen ziehen will. Die Anforderungen an diese Begründung entsprechen grundsätzlich denjenigen, denen das Gericht genügen müsste, wenn es die Indiz- oder Hilfstatsache durch Beweiserhebung festgestellt und sodann in den schriftlichen Urteilsgründen darzulegen hätte, warum sie auf seine Entscheidungsbildung ohne Einfluss geblieben ist. Dies nötigt zu einer Einfügung der behaupteten Beweistatsache in das bis dahin gewonnene Beweisergebnis (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2013 - 5 StR 143/13, NStZ 2013, 611). Hieran fehlt es. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Verurteilung im Fall II.3. der Urteilsgründe auf diesem Verfahrensfehler beruht.
10
b) Darüber hinaus hat die Revision auch aufgrund einer weiteren Verfahrensbeanstandung , mit der die Verletzung des § 244 Abs. 3 StPO gerügt wird, Erfolg. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
11
Nach der Vernehmung der Nebenklägerin stellte der Angeklagte den Antrag , ein ärztliches Gutachten bezüglich seiner Erektionsprobleme, die ein medizinisches Problem seien, einzuholen. Das Gutachten werde belegen, dass die Nebenklägerin - anders als von ihr ausgesagt - nach der Tat bei ihm keine Erektion habe wahrnehmen können. Das Landgericht hat auch diesen Antrag als Beweisermittlungsantrag gewertet und ihn ohne weitere Begründung zurückgewiesen.
12
Entgegen der Ansicht des Landgerichts handelte es sich auch bei diesem Antrag um einen Beweisantrag. An der bestimmten Behauptung einer Beweistatsache fehlte es nicht deshalb, weil der Angeklagte im Zusammenhang mit den Tatvorwürfen zum Nachteil der Nebenklägerin P. eingeräumt hatte, mit dieser eine intime Beziehung gehabt und mit ihr "stets […] einvernehmlich sexuell verkehrt" zu haben (UA S. 68). Ein Beweisantrag liegt zwar dann nicht vor, wenn eine Beweisbehauptung wider besseres Wissen und daher lediglich zum Schein aufgestellt wird (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 10. April 1992 - 3 StR 388/91, NStZ 1992, 397, 398; OLG Hamburg, StV 1999, 81, 82). Eine solche Intention des Angeklagten ist hier aber nicht ausreichend belegt. Denn aus der Einlassung des Angeklagten ergibt sich nicht ohne Weiteres , dass die behaupteten Erektionsprobleme zum Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Tat zum Nachteil der Nebenklägerin K. nicht bestanden. Das Landgericht hätte die begehrte Beweisaufnahme daher nur aus den in § 244 Abs. 3 und § 244 Abs. 4 StPO genannten Gründen ablehnen dürfen. Fehlt - wiehier - eine solche Begründung, kann sie im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht nachgeholt werden (vgl. KK-Krehl, StPO, 7. Aufl., § 244 Rn. 233).
13
c) Als rechtsfehlerhaft erweist sich schließlich auch die Zurückweisung des Antrags, das Video der Wohnung des Angeklagten in Augenschein zu nehmen und mehrere Zeugen zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, dass sich entgegen der Aussage der Nebenklägerin in der Wohnung keine Aktfotos an den Wänden befanden.
14
Auch dieser Antrag enthielt die bestimmte Behauptung einer konkreten Beweistatsache. Seine Zurückweisung hätte daher einer hinreichenden Begründung bedurft, um dem Senat die Möglichkeit zu eröffnen, die Rechtmäßigkeit der Ablehnung zu überprüfen (vgl. LR-Becker, 26. Aufl., § 244 Rn. 134). Eine entsprechende Begründung durch das Landgericht, das den Antrag rechtsfehlerhaft als Beweisermittlungsantrag behandelt hat, fehlt. Dazu, ob die Zeugenvernehmung aus tatsächlichen Gründen für die Entscheidung ohne Bedeutung war (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO), weil die Beweistatsache nicht geeignet gewesen wäre, die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin zu erschüttern oder ob - soweit es die beantragte Einnahme des Augenscheins betrifft - die Beweisaufnahme aus diesem Grund unter Aufklärungsgesichtspunkten nicht erforderlich war (§ 244 Abs. 5 Satz 1 StPO), verhält sich der Ablehnungsbeschluss des Landgerichts nicht. Angesichts der bereits durchgreifenden weiteren Verfahrensrügen kann dahinstehen, ob die Verurteilung im Fall II.3. auch auf dieser Gesetzesverletzung beruht.
15
3. Die Aufhebung der Verurteilung im Fall II.3. der Urteilsgründe entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.
16
4. Aufgrund der zwischen Strafe und Maßregel bestehenden Wechselwirkung (vgl. Schönke/Schröder-Stree/Kinzig, StGB, 29. Aufl., § 46 Rn. 70) ist zudem die Anordnung des Berufsverbots aufzuheben. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass für den Fall, dass das Tatgericht erneut ein Berufsverbot verhängen sollte, dieses auf den Umgang mit Personen weiblichen Geschlechts zu beschränken wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Januar 2014 - 3 StR 388/13, NStZ-RR 2014, 177). Fischer Appl Schmitt Eschelbach Ott

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Dez. 2014 - 2 StR 211/14

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Dez. 2014 - 2 StR 211/14

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 253 Immaterieller Schaden


(1) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden. (2) Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbs
Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Dez. 2014 - 2 StR 211/14 zitiert 5 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 253 Immaterieller Schaden


(1) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden. (2) Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbs

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Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR217/14
vom
18. Juni 2014
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 18. Juni 2014 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 17. Dezember 2013 im Ausspruch über die Entschädigung der Adhäsionsklägerin A. R. aufgehoben. Von einer weiteren Entscheidung über diesen Adhäsionsantrag wird abgesehen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels, die insoweit durch das Adhäsionsverfahren der NebenklägerinAdhäsionsklägerin K. S. R. entstandenen besonderen Kosten sowie die ihr erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen. Die durch das Adhäsionsverfahren der Adhäsionsklägerin A. R. entstandenen besonderen Kosten werden der Staatskasse auferlegt; ihre insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt diese selbst.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs von Kin- dern, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Außerdem hat es Adhäsionsentscheidungen getroffen.
2
1. Seine auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision ist aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 19. Mai 2014 unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO, soweit sie sich gegen den Schuld- und Strafausspruch richtet.
3
2. Der Adhäsionsausspruch hinsichtlich der Adhäsionsklägerin A. R. kann hingegen keinen Bestand haben. Bei der Bemessung des ihr zuerkannten Schmerzensgeldes hat das Landgericht nach den schriftlichen Urteilsgründen lediglich auf die Auswirkungen der Tat auf die Adhäsionsklägerin abgestellt. Damit ist es der erforderlichen Würdigung aller dafür maßgeblichen Umstände nicht gerecht geworden, da es in ihre Erwägungen weder die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten noch die finanzielle Lage der Adhäsionsklägerin erkennbar einbezogen hat (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 30. April 1993 – 3 StR 169/93; Urteil vom 5. März 2014 – 2 StR 503/13, Tz. 13).
4
Eine Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung allein über den Entschädigungsanspruch kommt nicht in Betracht (BGH, Beschluss vom 30. April 1993 – 3 StR 169/13).
5
3. Der Erfolg des Rechtsmittels des Beschwerdeführers ist so gering, dass es nicht geboten ist, ihn aus Billigkeitsgründen teilweise von der Kostenund Auslagenlast freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO). Die Entscheidung über die Kosten des Adhäsionsverfahrens der Adhäsionsklägerin A. R. beruht auf § 472a Abs. 2 StPO.
Mutzbauer RinBGH Roggenbuck ist wegen Cierniak Urlaubs an der Unterschriftsleistung gehindert. Mutzbauer
Franke Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 3 2 5 / 1 4
vom
2. September 2014
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
2. September 2014 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 10. Februar 2014 im Adhäsionsausspruch aufgehoben. Von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag des Nebenklägers wird abgesehen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Die durch das Adhäsionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Die sonstigen durch dieses Verfahren entstandenen Auslagen trägt jeder Beteiligte selbst.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung (Fall II. 1.) und wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Fall II. 2.) zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es ihn dazu verurteilt, an den im Fall II. 2. geschädigten Nebenkläger ein Schmer- zensgeld in Höhe von 5.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 3. Dezember 2013 zu zahlen.
2
Das auf eine Verfahrensrüge und auf sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Rechtsmittel des Angeklagten ist zum Schuld- und Strafausspruch unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Demgegenüber kann die Adhäsionsentscheidung keinen Bestand haben.
3
Das Landgericht hat zur Begründung der Höhe des Schmerzensgeldanspruchs lediglich ausgeführt, dass es "die Schwere der Verletzung des Nebenklägers und die nicht unerheblichen, wahrscheinlich bleibenden Folgen einerseits und die Schwere des Verschuldens des Angeklagten andererseits gegeneinander abgewogen" habe. Derartige allgemeine Erwägungen genügen nicht den Anforderungen an die Begründungspflicht, die auch für die im Strafurteil getroffene Entscheidung über zivilrechtliche Ansprüche gilt. Insbesondere wird mit dieser Begründung der Adhäsionsentscheidung schon nicht deutlich, ob die Kammer dabei, wie regelmäßig erforderlich, die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Tatbeteiligten berücksichtigt hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Juli 2010 - 2 StR 100/10, NStZ-RR 2010, 344; vom 29. November 2011 - 3 StR 326/11, juris Rn. 13 mwN). Da die Zurückweisung der Sache allein wegen des zivilrechtlichen Teils der Entscheidung nicht in Betracht kommt (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 406a Rn. 5 mwN), sieht der Senat von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag ab. Schäfer RiBGH Hubert ist wegen Mayer Urlaubs an der Unterschrift gehindert. Schäfer Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 S t R 1 3 7 / 1 4
2 S t R 3 3 7 / 1 4
vom
8. Oktober 2014
in den Strafsachen
gegen
1.
2.
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u. a.
hier: Anfrage gemäß § 132 Abs. 3, 4 GVG
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Oktober 2014 beschlossen:
1. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden: Bei der Bemessung der billigen Entschädigung in Geld (§ 253 Abs. 2 BGB) sind weder die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten noch die des Schädigers zu berücksichtigen. 2. Der Senat fragt bei dem Großen Senat für Zivilsachen und den anderen Strafsenaten des Bundesgerichtshofs an, ob an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird.

Gründe:

I.

1
1. Das Verfahren 2 StR 137/14
2
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in sieben Fällen sowie wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es den Angeklagten verurteilt, an die Nebenklägerin S. S. 12.000 Euro sowie an die Nebenklägerinnen A. S. und M. je 5.000 Euro, jeweils nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 14. November 2013, zu zahlen, und dieses Urteil gegen eine Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt.
3
Bei der Bemessung der Höhe der Schmerzensgelder hat das Landgericht auf die Tatumstände und die Folgen der Taten für die Geschädigten abgestellt. Dagegen ist dem Urteil weder erkennbar zu entnehmen, dass das Landgericht die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten berücksichtigt hat, der nach den Feststellungen ein monatliches Nettoeinkommen von 1.200 Euro hat, von dem 500 Euro an Mietkosten aufzubringen sind, noch die der Nebenklägerinnen.
4
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf Verfahrensbeanstandungen und die näher ausgeführte Sachrüge gestützten Revision. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Zuerkennung des Schmerzensgeldanspruchs dem Grunde nach aufrechtzuerhalten und von einer weiteren Entscheidung über die Adhäsionsanträge abzusehen, da das Urteil nicht erkennen lasse, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse von Täter und Opfer gebührend berücksichtigt worden seien. Im Übrigen hat er Verwerfung des Rechtsmittels beantragt (§ 349 Abs. 2 StPO).
5
2. Das Verfahren 2 StR 337/14
6
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen , versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern und mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, und wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es den Angeklagten verurteilt, an die Neben- und Adhäsionsklägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 6. Februar 2014 zu zahlen, dieses Urteil gegen eine Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt sowie festgestellt, dass der Angeklagte verpflichtet ist, "sämtliche zukünftig noch entstehenden materiellen und immateriellen Schäden aus den obigen Taten zu ersetzen, soweit diese nicht auf den Sozialversicherungsträger übergegangen sind".
7
Bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes hat das Landgericht neben den Tatumständen und den Folgen der Taten für die Geschädigte ausdrücklich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten , der nach den Feststellungen als Montierer angestellt ist und 860 Euro monatlich netto verdient, und, wenn auch nicht näher erläutert, die des Opfers berücksichtigt.
8
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Der Generalbundesanwalt hat auch in diesem Verfahren beantragt, die Zuerkennung des Schmerzensgeldanspruchs dem Grunde nach aufrechtzuerhalten und von einer weiteren Entscheidung über die Adhäsionsanträge abzusehen, da das Landgericht nur unzureichende Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen von Schädiger und Geschädigten getroffen habe. Im Übrigen sei das Rechtsmittel gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.
9
3. In beiden Fällen hat der Senat die Revision des Angeklagten entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwaltes als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO verworfen, soweit sie sich gegen den Schuldspruch und den Strafausspruch richtet, und die Entscheidung über den Adhäsionsausspruch zurückgestellt (Beschlüsse vom 8. Oktober 2014 - 2 StR 137/14 und 2 StR 337/14). Insoweit geben die Rechtsmittel der Angeklagten und die Antragsschriften des Generalbundesanwalts dem Senat Anlass, die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten bei der Bemessung der billigen Entschädigung in Geld (§ 253 Abs. 2 BGB), des sogenannten Schmerzensgeldes (vgl. § 406 Abs. 1 Satz 6 StPO), zu überdenken und diese Frage im Wege des Anfrage- und Vorlageverfahrens gemäß § 132 Abs. 2 und 3 GVG zu klären; er hält dies auch für eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 4 GVG.
10
Der Senat ist insoweit der Ansicht, dass es entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (nachfolgend II.) bei der Bemessung der Entschädigung nicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten und des Schädigers ankommen darf (nachfolgend III.). Er hat die beiden Verfahren zur Durchführung des Anfrage- und Vorlageverfahrens verbunden, um durch die Zugrundelegung der verschiedenen Fallgestaltungen eine breitere Beurteilungsgrundlage zu schaffen. Im Verfahren 2 StR 137/14, in dem das Landgericht die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nicht berücksichtigt hat, vermag der Senat auf Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Erörterungspflicht , die sich zu Gunsten des Angeklagten auswirken könnte, nicht zu verneinen. Im Verfahren 2 StR 337/14 hat das Landgericht dagegen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten und des Opfers ausdrücklich berücksichtigt, allerdings ohne dass erkennbar wäre, ob es ihnen anspruchserhöhende oder anspruchsmindernde Wirkung zugebilligt hat. Der Senat kann nicht ausschließen, dass auf ein niedrigeres Schmerzensgeld erkannt worden wäre, wenn das Landgericht die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht berücksichtigt hätte.

II.

11
1. Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts waren bei Bemessung der billigen Entschädigung in Geld gemäß § 847 BGB a.F. die persönlichen und Vermögensverhältnisse beider Teile in Betracht zu ziehen (vgl. etwa RGZ 63, 104, 105; 76, 174, 175; vgl. auch RGZ 136, 60, 61). Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs entschied dagegen mit Urteil vom 29. September 1952 - III ZR 340/51, BGHZ 7, 223, dass es jedenfalls auf die Vermögensverhältnisse des Schädigers nicht ankommen dürfe. Auf Vorlage des VI. Zivilsenats (vgl. hierzu Knöpfel, AcP 155, 135 f. mwN) entschied jedoch der Große Senat für Zivilsachen (Beschluss vom 6. Juli 1955 - GZ 1/55, BGHZ 18, 149 ff.), dass bei der Festsetzung der Entschädigung grundsätzlich alle in Betracht kommenden Umstände des Falles einschließlich der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten berücksichtigt werden dürften. Dies begründete er im Wesentlichen wie folgt:
12
a) Ein Vergleich mit den anderen Vorschriften des BGB, in denen das Ausmaß einer Leistung nach "billigem Ermessen" bestimmt oder eine "billige Entschädigung" gewährt werde, zeige, dass das Gesetz in der Regel sämtliche in Betracht kommenden Umstände und insbesondere die Verhältnisse aller Beteiligten berücksichtigt wissen wolle; insbesondere ergebe sich aus § 829 BGB und der Entstehungsgeschichte des "Kranzgeldes" (§ 1300 BGB, aufgehoben durch das Gesetz zur Neuordnung des Eheschließungsrechts vom 4. Mai 1998, BGBl. I S. 833), dass der Richter bei der Bemessung einer billigen Entschädigung in Geld nicht gebunden sein soll, bestimmte Umstände nicht zu berücksichtigen (BGHZ 18, 149, 153 f.).
13
b) Dasselbe ergebe sich aus der doppelten Zweckbestimmung des Schmerzensgeldes. Dieses solle dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für diejenigen Schäden bieten, die nicht vermögensrechtlicher Art sind. Es solle aber zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung schulde. Denn auch wenn dem Schmerzensgeldanspruch kein unmittelbarer Strafcharakter mehr innewohne, so schwinge in dem Ausgleichsgedanken doch etwas vom Charakter der Buße oder Genugtuung mit, da er sich aus dem Strafrecht entwickelt habe.
14
Im Vordergrund stehe der Ausgleich für die erlittene Beeinträchtigung: der Schädiger, der dem Geschädigten über den Vermögensschaden hinaus das Leben schwer gemacht hat, soll durch seine Leistung dazu helfen, es ihm im Rahmen des Möglichen wieder leichter zu machen. Im Hinblick auf diese Zweckbestimmung hänge die Bemessung der Entschädigung in erster Linie von Größe, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen, Leiden und Entstellungen ab. Der Schmerzensgeldanspruch sei zwar vom Gesetzgeber formal als bürgerlich-rechtlicher Schadensersatzanspruch konstruiert worden, die Wiederherstellungsfunktion lasse sich indes nicht wie bei Vermögensschäden verwirklichen. Das alleinige Abstellen auf den Ausgleichsgedanken sei unmöglich, weil immaterielle Schäden sich nie und Ausgleichsmöglichkeiten sich nur beschränkt in Geld ausdrücken ließen. Dies gelte insbesondere in den Fällen, in denen der immaterielle Schaden so groß sei, dass ein Ausgleich überhaupt kaum denkbar sei, etwa bei weitgehender physischer Zerstörung des Körpers, oder in denen der Geschädigte wegen einer erlittenen psychischen Störung subjektiv kein Bewusstsein der Schädigung besitze. Ähnlich sei es, wenn der Verletzte wirtschaftlich so gestellt sei, dass bei ihm durch keinerlei Geldbeträge ein Lustgefühl zum Ausgleich für die erlittenen Schäden hervorgerufen werden könnte. Gerade für diese Gruppen gewinne die Genugtuungsfunktion ihre besondere Bedeutung (BGHZ 18, 149, 154 ff.).
15
c) Danach könnten - neben dem in erster Linie zu beachtenden Umfang der Lebensbeeinträchtigung - bei der Bemessung alle Umstände berücksichtigt werden, die dem einzelnen Schadensfall sein besonderes Gepräge gäben. Dazu gehörten der Grad des Verschuldens des Schädigers sowie - möglicherweise - auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten. So könne bei besonders günstigen Vermögensverhältnissen des Verletzten die Ausgleichsfunktion zurücktreten, wenn diesem durch Geldbeträge ein Ausgleich für die erlittenen Schäden kaum geboten werden könne. In diesen Fällen trete die Genugtuungsfunktion in den Vordergrund. Andererseits könne im Einzelfall der gewohnte höhere Lebensstandard des Verletzten auch zu einer Erhöhung des Schmerzensgeldes führen (BGHZ 18, 149, 157 ff.).
16
Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers könnten danach ebenfalls bei der Bemessung berücksichtigt werden. Der Ausgleichsgedanke dürfe im Allgemeinen nicht dazu führen, dass der Schädiger in schwere oder nachhaltige Not gerate. Allerdings stünden auch hier die Notwendigkeit einer Genugtuung und des Ausgleichs im Vordergrund. Die schlechte Wirtschaftslage des Schädigers werde daher, je nach Anlass des Schadensereignisses, insbesondere nach dem Grad des Verschuldens, stärkeres oder schwächeres Gewicht haben; so könne besonders verwerfliches Verhalten des Schädigers den Gedanken , ihn vor wirtschaftlicher Not zu bewahren, weitgehend zurückdrängen. Andererseits könne es bei besonders günstigen wirtschaftlichen Verhältnissen billig erscheinen, die Entschädigung höher festzusetzen. Auch könne, je geringer der zum Ausgleich benötigte Betrag sei, umso eher von der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse vor allem des Schädigers abgesehen werden (BGHZ 18, 149, 159 f.). Schließlich könne dabei auch der Umstand, dass der Schädiger haftpflichtversichert sei und in Höhe der Versicherungssumme gegen den Versicherer einen Anspruch auf Freistellung habe, bei der Bemessung berücksichtigt werden, da sein durch Prämienzahlung erworbener Anspruch sich als Vermögenswert darstelle (BGHZ 18, 149, 165 ff.).
17
In ähnlicher Weise könnten in diesem Zusammenhang (wiederum) die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten Bedeutung gewinnen. Wenn dieser in guten wirtschaftlichen Verhältnissen sei, so könne es bei wirtschaftli- cher Schwäche des Schädigers billig erscheinen, dies innerhalb der gegebenen Ermessensmöglichkeiten zu Gunsten des Schädigers zu berücksichtigen; bei schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen des Geschädigten hingegen in geringerem Maße. Jedoch dürfe die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers nie dazu führen, dass der vermögenslose Schädiger von der Entrichtung eines Schmerzensgeldes befreit werde, denn es handele sich dabei nur um einen Umstand unter zahlreichen (BGHZ 18, 149, 160 ff.).
18
d) Zwar gelte für Vermögensschäden der Grundsatz, dass der Umfang der Verpflichtung regelmäßig von der Leistungsfähigkeit des Schuldners unabhängig sei. Dies gelte jedoch nicht für die Bemessung von Nichtvermögensschäden , bei der § 847 BGB a.F. eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles verlange. Bei der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers handele es sich nicht um eine Kürzung einer "an sich" angemessenen Entschädigung, sondern es werde durch die Berücksichtigung aller Umstände, zu denen auch die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten gehörten , überhaupt erst die "billige Entschädigung" ermittelt. Diese bildeten daher einen Teil des zu beurteilenden Sachverhalts. Damit liege auch kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz vor, soweit zwischen Schädigern, die in unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnissen lebten, differenziert werde (BGHZ 18, 149, 160 ff.).
19
2. Vor diesem Hintergrund erachten die Zivilsenate des Bundesgerichtshofs die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Geschädigten als bei Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigende Umstände (vgl. etwa Urteil vom 16. Mai 1961 - VI ZR 112/60, VersR 1961, 727, 728; BGH, Urteil vom 13. Januar 1964 - III ZR 48/63, VersR 1964, 389, 390; Urteile vom 25. September 1964 - VI ZR 137/63 und VI ZR 139/63, VersR 1964, 1299, 1302; Urteil vom 16. Februar 1993 - VI ZR 29/92, NJW 1993, 1531, 1532; vgl.
auch BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 2006 - VI ZB 26/05, NJW 2006, 1068, 1069, sowie die Parallelbeschlüsse vom selben Tag - VI ZB 27/05 und VI ZB 28/05). Dementsprechend werden die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten in der obergerichtlichen Rechtsprechung regelmäßig, wenn auch nicht immer , im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung erörtert (vgl. aus neuerer Zeit etwa OLG Celle, Urteil vom 28. Mai 2014 - 14 U 165/13 juris Rn. 24; OLG München , Urteil vom 11. April 2014 - 10 U 4757/13 juris Rn. 42 ff.; OLG Zweibrücken , NJW-RR 2014, 33).
20
Dem folgend erachten auch die Strafsenate des Bundesgerichtshofs die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Geschädigten als für die Bemessung des Schmerzensgeldes regelmäßig bedeutsame Umstände, mit der Folge, dass eine fehlende Erörterung in den Urteilsgründen einen durchgreifenden Rechtsfehler darstellen kann, der auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils führt (vgl. nur Senat, Beschlüsse vom 9. Juni 1993 - 2 StR 232/93, BGHR StPO § 403 Anspruch 4, vom 21. August 1996 - 2 StR 263/96, BGHR StPO § 404 Abs. 1 Entscheidung 5, und vom 26. August 1998 - 2 StR 151/98, BGHR StPO § 403 Anspruch 6; Urteil vom 5. März 2014 - 2 StR 503/13, insoweit in NStZ-RR 2014, 185 nicht abgedruckt; BGH, Beschlüsse vom 30. Oktober 1992 - 3 StR 478/92, BGHR StPO § 403 Anspruch 3, vom 5. Januar 1999 - 3 StR 602/98, NJW 1999, 1123, 1124, vom 2. September 2014 - 3 StR 325/14 juris Rn. 3 und vom 18. Juni 2014 - 4 StR 217/14 juris Rn. 3). Begründet wird dies hinsichtlich des Schädigers regelmäßig damit, dass die Verpflichtung zur Schmerzensgeldzahlung für diesen nicht zu einer unbilligen Härte werden dürfe (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Oktober 1992 - 3 StR 478/92, BGHR StPO § 403 Anspruch 3; Senat, Beschluss vom 9. Juni 1993 - 2 StR 232/93, BGHR StPO § 403 Anspruch 4). Eine Erörterungspflicht wurde verneint, wenn nach Auffassung des jeweiligen Senats die Feststellungen nicht dazu drängten (vgl. nur BGH, Urteil vom 7. Februar 1995 - 1 StR 668/94, BGHR StPO § 404 Abs. 1 Entscheidung 3 und Urteil vom 27. September 1995 - 3 StR 338/95, BGHR StPO § 404 Abs. 1 Entscheidung 4; vgl. auch Beschluss vom 2. September 2014 - 3 StR 346/14), ohne dass hier eine klare Linie erkennbar wäre.
21
3. Durch das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002 (BGBl. I S. 2674) wurde der Anspruch auf Ersatz von Nichtvermögensschäden (Schmerzensgeld) unter Aufhebung des § 847 BGB a.F. und unter Erweiterung auf die Vertrags- und Gefährdungshaftung in § 253 Abs. 2 BGB geregelt. Eine Änderung der Auslegung des Begriffs der "billigen Entschädigung" war damit nicht verbunden (vgl. BT-Drucks. 14/7752 S. 14 ff., und BT-Drucks. 14/8780, S. 21).

III.

22
Der Senat beabsichtigt, die Rechtsprechung, wonach bei der Bemessung der billigen Entschädigung in Geld die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten berücksichtigt werden dürfen, aufzugeben.
23
1. Nach seiner Auffassung darf es auf die Vermögenslage des Geschädigten nicht ankommen.
24
a) Zwar verlangt der Begriff der "Billigkeit" im Sinne des § 253 Abs. 2 BGB die Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände des Falles. Was danach "in Betracht kommt", bedarf jedoch der Konkretisierung am Maßstab von Wertvorstellungen, die in erster Linie von den Grundsatzentscheidungen der Verfassung bestimmt werden. Bei der Auslegung und Anwendung der zivilrechtlichen Generalklauseln haben daher die Gerichte die Grundrechte als "Richtlinien" zu beachten (vgl. BVerfGE 89, 214, 229 f. mwN; speziell zum Schmerzensgeld auch BGH, Urteil vom 13. Oktober 1992 - VI ZR 201/91, BGHZ 120, 1, 5 f.); auch der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ist zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 84, 197, 199 mwN).
25
b) Vor diesem Hintergrund lässt sich eine unterschiedliche Bewertung von körperlichen oder seelischen Leiden danach, ob der Betroffene finanziell besser oder schlechter gestellt ist, nicht rechtfertigen.
26
aa) Eine solche Anknüpfung an die Vermögensverhältnisse ist mit dem sich aus Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG ergebenden, jeden Menschen in gleichem Maße, ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seine Leistungen und seinen sozialen Status zukommenden sozialen Wert- und Achtungsanspruch (vgl. BVerfGE 87, 209, 228) und dem jedem Menschen in gleichem Maße zustehenden Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG) nicht vereinbar (so auch OLG Schleswig, NJW-RR 1990, 470, 471; Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearb. 2005, § 253 Rn. 43; Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, 7. Aufl., Rn. 1375 ff., Slizyk, Systematische Kommentierung des Schmerzensgeldrechts, 10. Aufl. [2014], Rn. 129; Vieweg/Lorz in jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 253 Rn. 75; vgl. auch Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeldbeträge 2014, 32. Aufl., S. 18).
27
Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass nicht die erlittene körperliche oder seelische Beeinträchtigung selbst, sondern nur der Ausgleich hierfür unterschiedlich bemessen wird (vgl. Schneider, ZAP 2004 [Beilage 2], S. 7; Jaeger/Luckey aaO Rn. 1377). Denn nach den dargestellten verfassungsrechtlichen Grundsatzentscheidungen hat weder der Wohlhabende ein rechtlich anerkennenswertes größeres finanzielles Interesse an einem Ausgleich einer erlittenen Beeinträchtigung, noch der Arme ein geringeres. Danach geht es umgekehrt aber auch fehl, bei im Wesentlichen gleichen körperlichen oder seeli- schen Leiden die schlechte Vermögenslage des Armen als anspruchserhöhend oder den Reichtum des Wohlhabenden als anspruchsmindernd anzusetzen. Denn die in § 253 Abs. 2 BGB genannten Rechte und Rechtsgüter stehen dem Betroffenen nicht nach Maßgabe seiner Vermögensverhältnisse zu, sondern unabhängig davon (so im Ergebnis auch die überwiegende Ansicht im Schrifttum , vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 73. Aufl., § 253 Rn. 16; Staudinger /Schiemann aaO; NK-BGB/Huber, 2. Aufl., § 253 Rn. 96; MünchKommBGB /Oetker, 6. Aufl., § 253 Rn. 38; Spindler in Bamberger/Roth, BGB, § 253 Rn. 42; Vieweg/Lorz aaO; Jaeger/Luckey, aaO Rn. 1375 ff., 1386; Pardey in Geigel, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl., S. 220 f.; Lorenz, Immaterieller Schaden und "billige Entschädigung in Geld", 1981, S. 126 f., 146 ff.; Pecher, AcP 171, 44, 69; aA etwa Soergel/Zeuner, BGB, 12. Aufl., § 847 Rn. 30; RGRKBGB /Kreft, 12. Aufl., § 847 Rn. 43).
28
bb) Wollte man demgegenüber den wirtschaftlichen Verhältnissen einen Einfluss auf das Maß der auszugleichenden Beeinträchtigung zugestehen, müsste man dies konsequenterweise im Einzelfall durch eine Beweisaufnahme zum Lebensstil des Verletzten verifizieren. Denn auch der wirtschaftliche gut Situierte kann bescheiden leben, während ein anderer trotz schlechter wirtschaftlicher Verhältnisse einen aufwendigen Lebensstil pflegen mag; zudem wäre eine ungerechtfertigte Benachteiligung des sparsamen gegenüber dem verschwenderischen Verletzten zu vermeiden (vgl. OLG Schleswig, NJW-RR 1990, 470, 471; Knöpfel, AcP 155, 145 f.). Eine solche Beweisaufnahme ließe sich indes mit dem - verfassungsrechtlich verbürgten (vgl. BVerfGE 38, 105, 114) - Schutz des persönlichen Lebensbereiches des (Opfer-)Zeugen (vgl. § 68a Abs. 1 StPO für den Strafprozess) nur schwerlich vereinbaren (vgl. auch Lorenz, Immaterieller Schaden und "billige Entschädigung in Geld", 1981, S. 52 f.). Im Zivilprozess gilt zwar die Erleichterung des § 287 ZPO; dies ändert aber nichts daran, dass der Tatrichter sich im Urteil mit allen für die Bemessung des Schmerzensgelds maßgeblichen Umständen hinreichend auseinandersetzen muss und nicht jedes diesbezügliche Beweisangebot zurückweisen darf (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 1998 - VI ZR 182/97, BGHZ 138, 388, 391; Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., § 287 Rn. 6, 8 mwN).
29
Hinzu kommt, dass auch nach der Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen unklar bleibt, in welchen konkreten "Einzelfällen" die Vermögensverhältnisse des Geschädigten überhaupt zu einer Erhöhung oder Verminderung des Schmerzensgeldes führen könnten (vgl. auch Vieweg/Lorz in jurisPKBGB , 7. Aufl. 2014, § 253 Rn. 75); denn auch wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt werden dürften, bedürfte es eines Maßstabs, inwieweit diese Umstände anspruchsmindernd, anspruchserhöhend oder wertneutral wirken sollten. Ein solcher Maßstab ist weder der Entscheidung des Großen Senats für Zivilsachen zu entnehmen noch sonst erkennbar.
30
cc) Schließlich ist zu besorgen, dass die Berücksichtigung der Vermögensverhältnisse jedenfalls im Endeffekt zu einer Taxierung des Schmerzensgeldes nach sozialen Klassen führen kann (vgl. OLG Schleswig NJW-RR 1990, 470, 471; Slizyk, Systematische Kommentierung des Schmerzensgeldrechts, 10. Aufl. [2014], Rn. 12), gegen die sich schon das Reichsgericht aussprach (vgl. RGZ 76, 174, 176).
31
c) Danach scheiden die Vermögensverhältnisse des Geschädigten als legitime Rechtfertigungsgründe für eine Ungleichbehandlung bei der Bemessung des Schmerzensgeldes aus. Nichts anderes gilt, wenn wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten nicht eine "an sich" angemessene Entschädigung gekürzt oder erhöht wird, sondern diese von vornherein in die Abwägung eingestellt werden (vgl. BGHZ 18, 149, 160 f.). Denn auch durch die- sen dogmatischen "Kunstgriff" verlieren sie nicht ihren Charakter als das Schmerzensgeld erhöhende oder mindernde Umstände, der ihnen aber nach den dargestellten Maßstäben nicht zukommen darf.
32
d) Soweit der Große Senat für Zivilsachen im Wege der systematischen Auslegung die Vorschriften der §§ 829, 1300 BGB als Beleg dafür herangezogen hat, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse als in Betracht zu ziehende Umstände des Einzelfalls anzusehen sind (vgl. auch Lorenz aaO S. 157), steht dies im Widerspruch zu dem der Verfassung zu Grunde liegenden und vom Bundesverfassungsgericht zwischenzeitlich weiter konkretisierten Menschenbild, das wesentlich von dem jedem Menschen in gleichem Maße zustehenden sozialen Wert- und Achtungsanspruch geprägt wird (vgl. oben III.1.b.aa); auch wurde § 1300 BGB durch den Gesetzgeber inzwischen als rechtspolitisch überholt aufgehoben (vgl. BT-Drucks. 13/4898 S. 14).
33
2. Nach Ansicht des Senats sind auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers nicht zu berücksichtigen.
34
a) Der Schmerzensgeldanspruch ist vom Gesetzgeber gerade nicht als Strafe, sondern als Schadensersatzanspruch ausgestaltet worden (vgl. BGH, Urteil vom 29. September 1952 - III ZR 340/51, BGHZ 7, 223, 224 ff.; BGH, Beschluss vom 6. Juli 1955 - GZ 1/55, BGHZ 18, 149, 151, 156; vgl. auch Staudinger /Schiemann, BGB, Neubearb. 2005, § 253 Rn. 28, 43; NK-BGB/Huber, 2. Aufl., § 253 Rn. 119; Müller, VersR 1993, 909 f.; Knöpfel, AcP 155, 139 ff.; Pecher AcP 171, 44, 70). Schon dies spricht dafür, dass die wirtschaftliche Lage des Schädigers entsprechend dem allgemeinen Prinzip der unbeschränkten Vermögenshaftung (vgl. nur Palandt/Grüneberg, BGB, 73. Aufl., § 276 Rn. 28 mwN) bei der Bemessung der Entschädigung, auch und gerade im Rahmen der Ausgleichsfunktion, keine Rolle spielen darf (so auch Palandt/Grüneberg aaO § 253 Rn. 17).
35
b) Zu einer anderen Betrachtung zwingt auch nicht die Genugtuungsfunktion der Entschädigung. Denn der Gedanke der Genugtuung kann, ungeachtet seiner im Schrifttum umstrittenen Funktion (vgl. statt aller Staudinger /Schiemann aaO Rn. 30 ff. mwN), innerhalb eines zivilrechtlichen Schadensersatzanspruches nicht bezwecken, dem Schädiger ein zu bemessendes Übel zuzufügen (mit der Folge, dass unbillige Härten zu vermeiden wären). Vielmehr soll der Geschädigte durch die - ihm selbst und nicht etwa dem Staat oder einer gemeinnützigen Einrichtung zufließende - "billige Entschädigung" Genugtuung für den ihm zugefügten immateriellen Schaden erfahren, wozu auch die Verletzung des Rechtsgefühls zählt (vgl. Knöpfel, aaO, 150, 154 f.). Im Blick haben daher auch hier der Geschädigte und dessen Beeinträchtigung zu stehen (vgl. Pecher, aaO, 70). Art und Ausmaß des vom Schädiger wiedergutzumachenden Unrechts sind aber von seinen Vermögensverhältnissen gänzlich unabhängig (vgl. Knöpfel aaO).
36
c) Das dagegen vorgebrachte Argument, bei Nichtvermögensschäden seien nach dem gesetzgeberischen Willen alle Umstände des Falles zu berücksichtigen (BGHZ 18, 149, 160 f.), vermag gleichfalls nicht mehr zu überzeugen. Vor dem Hintergrund der unter III.1.b dargestellten verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen ist es nicht zu rechtfertigen, dass die Höhe einer Entschädigung für ein- und dasselbe körperliche oder seelische Leiden - wenn auch nur als einem unter mehreren Gesichtspunkten - möglicherweise davon abhängig ist, ob der Schädiger Hilfsarbeiter oder Millionär ist. Insbesondere ist es für die Frage, ob eine solche Differenzierung mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG sachlich gerechtfertigt ist, ohne Bedeutung, ob die wirtschaftlichen Verhältnisse von vornherein in die Abwägung eingestellt werden oder eine "an sich" angemessene Entschädigung gekürzt oder erhöht wird (vgl. oben III.1.c).
37
d) Etwaige unbillige Härten für den Schädiger können zudem sachgerecht im Zwangsvollstreckungs- oder Insolvenzverfahren berücksichtigt werden (vgl. schon BGH, Urteil vom 29. September 1952 - III ZR 340/51, BGHZ 7, 223, 228; Ermann/Ebert, BGB, 14. Aufl., § 253 Rn. 27; NK-BGB/Huber, 2. Aufl., § 253 Rn. 119; Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, 7. Aufl., Rn. 1371 ff.). In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass durch das Abstellen auf die wirtschaftlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt des Urteils dem Geschädigten die ihm bei allen anderen Schadensersatzansprüchen zustehende Möglichkeit genommen wird, bei nachträglicher Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers zur Befriedigung seines Schadensersatzes zu kommen (vgl. schon BGH, Urteil vom 29. September 1952 - III ZR 340/51, BGHZ 7, 223, 228; Lorenz, Immaterieller Schaden und "billige Entschädigung in Geld", 1981, S. 154 f.).
38
e) Vor diesem Hintergrund kann es auch keine Rolle spielen, ob der Schädiger haftpflichtversichert ist, zumal dann die Höhe der Entschädigung von einem für die geschädigte Person zufälligen Umstand abhängen würde (vgl. Spindler in Bamberger/Roth, BGB, § 253 Rn. 43; NK-BGB/Huber aaO).
39
3. Der Senat fragt deshalb bei dem Großen Senat für Zivilsachen und den anderen Strafsenaten des Bundesgerichtshofs an, ob an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird. Fischer Appl Krehl Eschelbach Ott

(1) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden.

(2) Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden.

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

5 StR 143/13

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 14. Mai 2013
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Mai 2013

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bautzen vom 13. Dezember 2012 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts Görlitz zurückverwiesen.

G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
2
1. Folgendes Geschehen liegt zugrunde:
3
a) Die Schwurgerichtskammer hat einen Beweisantrag der Verteidigung wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit abgelehnt. Mit diesem hatte der Angeklagte unter anderem die Vernehmung der Zeugin Z. zum Beweis der Tatsache begehrt, dass die Zeugin Wi. , die Freundin des Angeklagten, ihr am Morgen nach der Tatnacht – in Übereinstimmung mit späteren Angaben gegenüber der Polizei – von dem Tatgeschehen berichtet und hierbei kundgetan habe, der Angeklagte sei von den Zeugen A. und B. angegriffen worden, habe sich rückwärts von diesen wegbewegt und die ihn weiter verfolgenden Zeugen aufgefordert, sich ihm nicht weiter zu nähern. Er habe dabei mit einem abgebrochenen Flaschenhals in der Hand wild um sich geschlagen und gestikuliert. Der Zeuge B. habe sich gleichwohl weiter genähert und sei schließlich vom Angeklagten am Hals getroffen worden.
4
b) Zur Begründung der Ablehnung dieses Beweisantrags hat das Landgericht ausgeführt, es halte die Einvernahme der Zeugin Z. zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin Wi. für nicht erforderlich. Falls die Zeugin Z. inhaltlich die Angaben der Zeugin Wi. gegenüber der Polizei wiedergebe, wäre als weitergehender Erkenntnisgewinn lediglich festzustellen, dass die Zeugin Wi. innerhalb von ca. zwei Wochen zwei gleichlautende Aussagen getroffen habe. Die Strafkammer habe die Zeugen F. (den Polizeibeamten, der im Ermittlungsverfahren die Zeugin Wi. vernommen hatte) und Wi. bereits vernommen. Die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben von Zeugen treffe die Kammer aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme. Im Urteil hat die Schwurgerichtskammer die die Einlassung des Angeklagten stützende Aussage der Zeugin Wi. als unglaubhaft bewertet und insoweit unter anderem ausgeführt, die Zeugin habe zwischen dem Abtauchen des Angeklagten und ihrem eigenen Verschwinden am 2. Dezember 2011 (dem Tattag ) bis zu ihrer Vernehmung am 17. Dezember 2011 genügend Zeit gehabt, ihre Aussage mit derjenigen des Angeklagten abzustimmen (UA S. 25).
5
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
6
a) Bereits die Begründung, mit der das Landgericht den auf eine Indiztatsache gerichteten Beweisantrag abgelehnt hat, genügt nicht den insoweit bestehenden Anforderungen. Der Beschluss, mit dem die Erhebung eines Beweises wegen Unerheblichkeit der Beweistatsache abgelehnt wird, ist mit konkreten Erwägungen zu begründen, warum das Tatgericht aus der Beweistatsache keine entscheidungserheblichen Schlussfolgerungen ziehen will. Die Anforderungen an diese Begründung entsprechen grundsätzlich denjenigen, denen das Gericht genügen müsste, wenn es die Indiz- oder Hilfstatsache durch Beweiserhebung festgestellt und sodann in den schriftlichen Urteilsgründen darzulegen hätte, warum sie auf seine Entscheidungsbildung ohne Einfluss blieb. Dies nötigt zu einer Einfügung der Beweistatsache in das bisher gewonnene Beweisergebnis (BGH, Beschluss vom 27. November 2012 – 5 StR 426/12 mwN). Das Landgericht hätte sich daher in der Beschlussbegründung ausdrücklich damit auseinandersetzen müssen, weshalb der für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit jedenfalls nicht von vornherein unerhebliche Umstand der Übereinstimmung kurz nach der Tat gegenüber einer Bekannten getätigter Angaben mit einer zwei Wochen später stattfindenden Aussage bei der Polizei im konkreten Fall keinen Einfluss auf die Bewertung der das Tatgeschehen weitgehend im Einklang mit der Einlassung des Angeklagten darstellenden Angaben der Zeugin Wi. haben kann, sei es, weil es der Zeugin ohnehin Glauben schenkt, sei es, weil es deren Angaben auch bei einer zu unterstellenden Richtigkeit der Beweisbehauptung aus bestimmten Gründen als unglaubhaft bewerten würde. Demgegenüber erweckt die Beschlussbegründung den Eindruck, das Landgericht halte den – tatsächlich bestehenden – Zusammenhang der Beweistatsache mit dem Gegenstand der Urteilsfindung nicht für gegeben.
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b) Ob dieser Begründungsmangel im vorliegenden Fall bereits für sich genommen geeignet wäre, die Revision des Angeklagten zu begründen, kann indessen letztlich dahinstehen, da sich die Ablehnung des Beweisantrags jedenfalls aus einem anderen Grund als rechtsfehlerhaft erweist.
8
An der dem Ablehnungsbeschluss zugrunde liegenden Annahme tatsächlicher Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache muss sich das Gericht festhalten lassen; es darf sich nicht im Urteil zu der Ablehnungsbegründung in Widerspruch setzen, insbesondere die Urteilsgründe nicht auf das Gegenteil der unter Beweis gestellten Tatsache stützen (BGH, Beschlüsse vom 27. November 2012 – 5 StR 426/12 – und vom 20. Juli 2010 – 3 StR 250/10, StraFo 2010, 466; Urteil vom 19. September 2007 – 2 StR 248/07, StraFo 2008, 29; Beschluss vom 20. August 1996 – 4 StR 373/96, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 22). Indem die Strafkammer die die Einlassung des Angeklagten bestätigende Aussage der Zeugin Wi. - unter anderem mit der Begründung als unglaubhaft bewertet hat, die Zeugin habe zwischen dem Abtauchen des Angeklagten und ihrem eigenen Verschwinden am 2. Dezember 2011 bis zu ihrer Vernehmung am 17. Dezember 2011 genügend Zeit gehabt, ihre Aussage mit derjenigen des Angeklagten abzustimmen, hat sie jedoch einen mit der im Ablehnungsbeschluss als bedeutungslos erachteten Tatsache unvereinbaren Umstand zur Stützung seiner Überzeugung herangezogen. Hätte die Zeugin Wi. nämlich bereits am Morgen nach der Tat identische Angaben gemacht, könnte nicht auf den im Urteil genannten für eine Abstimmung der Aussagen zur Verfügung stehenden Zeitraum von zwei Wochen abgestellt werden, sondern lediglich auf einen solchen von wenigen Stunden, in dem der Angeklagte und die Zeugin noch unmittelbar unter dem Eindruck des Erlebten gestanden haben dürften und eine polizeiliche Aussage noch nicht unmittelbar bevorstand.
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c) Auf dem Verfahrensfehler beruht das Urteil. Zwar führt das Landgericht noch weitere Gründe für die Unglaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin Wi. an. Das Abstellen auf den zur Abstimmung der Aussage zur Verfügung stehenden Zeitraum kann gleichwohl nicht als die Entscheidung nicht tragende Hilfserwägung verstanden werden. Vielmehr kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Strafkammer unter Berücksichtigung einer inhaltlich deckungsgleichen Schilderung Wi. s bereits am Morgen nach der Tat insoweit zu einem anderen Ergebnis gelangt und die Aussage der Zeugin sowie die durch sie gestützte Einlassung des Angeklagten anders bewertet und im Ergebnis abweichende tatsächliche Feststellungen getroffen hätte.
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d) Dieser Rechtsfehler nötigt zur umfassenden Aufhebung des Urteils. Zwar lässt die in der Hauptverhandlung abgegebene Einlassung des Angeklagten einen die Voraussetzungen des § 32 StGB erfüllenden unmittelbar bevorstehenden Angriff der Zeugen A. und B. nicht erkennen, so dass ihr entsprechende Feststellungen entgegen der Ansicht der Revision dem Schuldspruch nicht ohne weiteres die Grundlage entzögen. Es ist dem Revisionsgericht jedoch verwehrt, die rechtsfehlerhaft zustande gekommenen Feststellungen des Tatgerichts durch anderweitige zu ersetzen.
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3. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
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a) Die Notwendigkeit und der Umfang der Wiedergabe von Zeugenaussagen und der Auseinandersetzung mit ihnen bestimmen sich nach den Umständen des Einzelfalls (näher Engelhardt in KK, StPO, 6. Aufl., § 267 Rn. 15 mwN). So muss etwa die Entwicklung einer Zeugenaussage in der Beweiswürdigung dann nicht abgehandelt werden, wenn dieser Gesichtspunkt zur Überzeugung der Strafkammer geklärt ist und das Urteil selbst von Widersprüchen oder Lücken frei ist (BGH, Urteil vom 27. Juli 2005 – 2 StR 203/05, NStZ 2006, 55). Das neue Tatgericht wird sich jedoch einge- hender als bisher geschehen mit den verschiedenen Zeugenaussagen auseinanderzusetzen haben, die im angefochtenen Urteil zur Widerlegung der Einlassung des Angeklagten herangezogen worden sind. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass etwa die im Urteil wiedergegebenen Aussagen der Zeuginnen Bü. und Al. in Teilbereichen inhaltlich nicht mit den Feststellungen des Landgerichts in Einklang stehen.
13
b) Die im Urteil vorgenommene Trinkmengenberechnung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken (vgl. zur Berechnung König in LK, 12. Aufl., § 316 Rn. 37 ff.).
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4. Der Senat verweist die Sache – nach „Aufhebung“ des Landgerichts Bautzen – an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts Görlitz zurück (§ 71 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 3 SächsJG).
Raum Sander Schneider
König Bellay

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 3 8 8 / 1 3
vom
21. Januar 2014
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
21. Januar 2014 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 StPO einstimmig beschlossen
:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Düsseldorf vom 1. August 2013

a) im Ausspruch über das Berufsverbot dahingehend geändert,
dass dem Angeklagten für die Dauer von fünf Jahren die
Ausübung des Berufs des Lehrers oder Nachhilfelehrers zur
Unterrichtung weiblicher Personen unter achtzehn Jahren
sowie der Betrieb des Gewerbes eines Nachhilfe- oder Ausbildungsunternehmens
für die Unterrichtung weiblicher Personen
unter achtzehn Jahren verboten wird;

b) im Adhäsionsausspruch aufgehoben, soweit der Angeklagte
zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt worden ist. Von
einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag wird insoweit
abgesehen.
Die durch das Adhäsionsverfahren entstandenen gerichtlichen
Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Die sonstigen
durch dieses Verfahren entstandenen Auslagen trägt jeder Beteiligte
selbst.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten seines
Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen insoweit im Revisionsverfahren
entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in sechzehn Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es ihm verboten, für die Dauer von fünf Jahren den Beruf des Lehrers oder Nachhilfelehrers bei Unterrichtung von Personen unter achtzehn Jahren auszuüben sowie das Gewerbe eines Nachhilfe- und Ausbildungsunternehmens , in dem Personen unter achtzehn Jahren unterrichtet werden , zu betreiben. Schließlich hat es ihn dazu verurteilt, an die Nebenklägerin- nen jeweils ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30. Juli 2013 zu zahlen und festgestellt, dass er den Nebenklägerinnen jeden materiellen und den weiteren immateriellen auf den abgeurteilten Taten beruhenden Schaden zu ersetzen hat, soweit der Ersatzanspruch nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen ist.
2
Das auf sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Rechtsmittel des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
3
1. Der Ausspruch über das Berufsverbot (§ 70 Abs. 1 StGB) bedarf der Änderung. Der Verbotsausspruch ist auf Personen weiblichen Geschlechts unter achtzehn Jahren zu beschränken; für die Annahme, dass von dem Angeklagten die Gefahr sexueller Verfehlungen auch gegenüber Kindern und Jugendlichen männlichen Geschlechts ausgehe, bieten die Feststellungen des angefochtenen Urteils keinen Anhalt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Mai 2008 - 3 StR 122/08, juris Rn. 3; Beschluss vom 17. Februar 1995 - 2 StR 13/95, BGHR StGB § 70 Abs. 1 Umfang, zulässiger 2). Der Senat hat über die entsprechende Abänderung des Berufsverbots in analoger Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO selbst entschieden.
4
2. Der Adhäsionsausspruch hat im Ausspruch über das Schmerzensgeld keinen Bestand.
5
Nach den Feststellungen missbrauchte der Angeklagte die Adhäsionsklägerin S. in elf Fällen und die Adhäsionsklägerin Sch. in fünf Fällen während des Nachhilfeunterrichts, indem er sie - teilweise in Anwesenheit einer weiteren Schülerin - unter der Kleidung an Bauch, Rücken, Gesäß und meist auch an der Scheide berührte und hiervon Videoaufnahmen fertigte. Zur Höhe des vom Angeklagten an die Nebenklägerinnen zu leistenden Schmerzensgeldes von jeweils 25.000 € führt die Strafkammer neben dem Umstand, dass die Nebenklägerinnen über einen längeren Zeitraum immer wieder den Übergriffen des Angeklagten ausgesetzt waren, lediglich "die gesteigerte Genugtuungsfunktion, die das zu zahlende Schmerzensgeld gerade im Hinblick auf sexuelle Übergriffe hat", an. Mit dieser Begründung kann die Adhäsionsentscheidung schon deshalb keinen Bestand haben, weil nicht deutlich wird, ob die Kammer dabei, wie regelmäßig erforderlich, die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Tatbeteiligten berücksichtigt hat (vgl.
BGH, Beschluss vom 7. Juli 2010 - 2 StR 100/10, NStZ-RR 2010, 344). Da die Zurückverweisung der Sache allein wegen des zivilrechtlichen Teils der Entscheidung nicht in Betracht kommt (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 406a Rn. 5 mwN), sieht der Senat von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag ab.
6
Der erzielte geringe Teilerfolg der Revision macht es nicht unbillig, den Beschwerdeführer mit den gesamten Kosten des Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 StPO).
Becker Hubert Schäfer Gericke Spaniol