Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Aug. 2015 - 3 StR 214/15

bei uns veröffentlicht am20.08.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 2 1 4 / 1 5
vom
20. August 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zur Vergewaltigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO am 20. August 2015 einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 14. November 2014, soweit es ihn betrifft , im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur Vergewaltigung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt und dahin erkannt, dass von dieser Strafe wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung sechs Monate als bereits vollstreckt gelten. Von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat die Jugendkammer abgesehen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Schuldspruch, die Kompensationsentscheidung und das Absehen von der Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB weisen keinen den Angeklagten belastenden materiellrechtlichen Fehler auf.
3
2. Der Strafausspruch hält jedoch sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
4
Das Landgericht hat gegen den zur Tatzeit am 25. November 2007 16 Jahre alten Angeklagten gemäß § 17 Abs. 2 JGG Jugendstrafe verhängt und dabei sowohl schädliche Neigungen als auch die Schwere der Schuld bejaht. Bei der Bestimmung der Strafhöhe hat es sich maßgebend am Erziehungsgedanken orientiert. Einen Härteausgleich, weil mehrere in weiteren Urteilen verhängte jugendstrafrechtliche Sanktionen bereits vollständig vollstreckt waren und die entsprechenden Entscheidungen deshalb nicht gemäß § 31 Abs. 2 JGG einbezogen werden konnten, hat es ausdrücklich deshalb abgelehnt , weil dieser "dem Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts zuwiderliefe".
5
Damit hat die Jugendkammer nicht bedacht, dass dem Erziehungsgedanken bei der Bestimmung von Art und Dauer der Sanktion für die Tat des zum Zeitpunkt der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils bereits 23 Jahre und fast sieben Monate alten und damit im strafrechtlichen Sinne erwachsenen Angeklagten bereits nach der bisherigen Rechtsprechung ein allenfalls geringes Gewicht zukommen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 2006 - 1 StR 577/05, NStZ 2006, 587, 588; Urteil vom 31. August 2004 - 1 StR 213/04, juris Rn. 12). Schon dieser Rechtsfehler führt dazu, dass der Strafausspruch nicht bestehen bleiben kann. Der Senat muss deshalb hier nicht entscheiden, ob er in vollem Umfang der neueren Auffassung des 1. Strafsenats zustimmen könnte , der nunmehr weiter gehend und der - soweit ersichtlich - überwiegenden Ansicht in der Literatur (vgl. etwa Brunner/Dölling, JGG, 12. Aufl., § 17 Rn. 14b; MüKoStGB/Radtke, JGG § 17 Rn. 60; HK-JGG/Laue, 2. Aufl., § 17 Rn. 28; aA etwa Eisenberg, JGG, 17. Aufl., § 17 Rn. 34a) folgend dazu neigt, bei einer auf die Schwere der Schuld gestützten Jugendstrafe die Erziehungsfähigkeit und -bedürftigkeit des jugendlichen oder heranwachsenden Straftäters generell nicht zu berücksichtigen (BGH, Beschluss vom 6. Mai 2013 - 1 StR 178/13, BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schwere der Schuld 5 mit Anmerkung Eisenberg, NStZ 2013, 636). Er gibt allerdings zu erwägen, dass insbesondere auch verfassungsrechtliche Vorgaben (vgl. Budelmann, Jugendstrafrecht für Erwachsene?, S. 80 ff.) Anlass dazu sein könnten, die bisherige Rechtsprechung dahin weiter zu entwickeln, dass bei der Verhängung von Sanktionen gegen Straftäter, die zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung bereits das 21. Lebensjahr vollendet haben und somit im strafrechtlichen Sinne als erwachsen gelten, der Erziehungsgedanke nicht mehr nur von geringem Gewicht sein kann, sondern insgesamt kein taugliches Strafzumessungskriterium mehr ist. Dies könnte mit Blick auf § 89b Abs. 1 Satz 2 JGG jedenfalls für solche Täter gelten, die zu dem genannten Zeitpunkt das 24. Lebensjahr vollendet haben und deren Jugendstrafe deshalb regelmäßig im Strafvollzug für Erwachsene zu vollziehen ist (vgl. Eisenberg NStZ 2013, 636, 637).
6
Die Aufhebung des Strafausspruchs lässt die Kompensationsentscheidung unberührt (BGH, Urteil vom 27. August 2009 - 3 StR 250/09, BGHSt 54, 135, 138).
Becker Pfister Schäfer RiBGH Mayer befindet sich Spaniol im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Aug. 2015 - 3 StR 214/15

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

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Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 31 Mehrere Straftaten eines Jugendlichen


(1) Auch wenn ein Jugendlicher mehrere Straftaten begangen hat, setzt das Gericht nur einheitlich Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe fest. Soweit es dieses Gesetz zuläßt (§ 8), können ungleichartige Erziehungsmaßregeln und Zuchtm

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 17 Form und Voraussetzungen


(1) Die Jugendstrafe ist Freiheitsentzug in einer für ihren Vollzug vorgesehenen Einrichtung. (2) Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder
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Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Die Jugendstrafe ist Freiheitsentzug in einer für ihren Vollzug vorgesehenen Einrichtung.

(2) Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist.

(1) Auch wenn ein Jugendlicher mehrere Straftaten begangen hat, setzt das Gericht nur einheitlich Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe fest. Soweit es dieses Gesetz zuläßt (§ 8), können ungleichartige Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel nebeneinander angeordnet oder Maßnahmen mit der Strafe verbunden werden. Die gesetzlichen Höchstgrenzen des Jugendarrestes und der Jugendstrafe dürfen nicht überschritten werden.

(2) Ist gegen den Jugendlichen wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig die Schuld festgestellt oder eine Erziehungsmaßregel, ein Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe festgesetzt worden, aber noch nicht vollständig ausgeführt, verbüßt oder sonst erledigt, so wird unter Einbeziehung des Urteils in gleicher Weise nur einheitlich auf Maßnahmen oder Jugendstrafe erkannt. Die Anrechnung bereits verbüßten Jugendarrestes steht im Ermessen des Gerichts, wenn es auf Jugendstrafe erkennt. § 26 Absatz 3 Satz 3 und § 30 Absatz 1 Satz 2 bleiben unberührt.

(3) Ist es aus erzieherischen Gründen zweckmäßig, so kann das Gericht davon absehen, schon abgeurteilte Straftaten in die neue Entscheidung einzubeziehen. Dabei kann es Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel für erledigt erklären, wenn es auf Jugendstrafe erkennt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 577/05
vom
17. März 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. März 2006 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 24. Juni 2005 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den 1969 geborenen Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen in Tatmehrheit mit versuchter Vergewaltigung, diese rechtlich zusammentreffend mit gefährlicher Körperverletzung, zu einer Jugendstrafe von acht Jahren verurteilt.
2
Nach den Urteilsfeststellungen zwang der Angeklagte im Zeitraum von Oktober bis Dezember 1988, vermutlich vom 12. bis zum 17. Oktober oder vom 17. bis zum 27. Dezember, die Nebenklägerinnen K. und M. mit Gewalt zum Geschlechtsverkehr. Der allenfalls gerade 14 Jahre alten Nebenklägerin K. fügte er dabei mit einem Messer blutende Schnittwunden am Hals zu (Tat II.1. der Urteilsgründe); der zur Tatzeit 15 Jahre alten Nebenklägerin M. drohte er neben der Gewaltanwendung mit dem Einsatz eines Messers (Tat II.2.). Am 2. Februar 2000 versuchte der Angeklagte, die Nebenklägerin W. zu vergewaltigen, wobei er wiederum ein Messer verwendete, so- dass die Geschädigte drei blutende Schnittverletzungen am Hals erlitt; der Versuch schlug fehl (Tat II.3.).
3
Die hiergegen eingelegte Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung des Angeklagten hat keinen den Bestand des Urteils gefährdenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Näherer Erörterung bedarf nur Folgendes:
4
1. Soweit mit der Aufklärungsrüge beanstandet wird, dass die Kammer nicht weitere Beweise zur Bestimmung der Tatzeiten bei den Taten zum Nachteil der Nebenklägerinnen K. und M. erhoben hat, bleibt ihr der Erfolg versagt. Insoweit macht der Beschwerdeführer geltend, der Kammer habe es sich aufdrängen müssen, das polizeiliche Vernehmungsprotokoll hinsichtlich der Nebenklägerin M. gemäß § 253 Abs. 2 StPO zu verlesen. Deren Zeugenaussage in der Hauptverhandlung stünde zu ihrer polizeilichen Aussage in Widerspruch. Während die angefochtene Entscheidung feststelle, dass die Nebenklägerin M. von einer Tatzeit 1987 nie gesprochen habe, sei dem polizeilichen Vernehmungsprotokoll zu entnehmen, dass die Nebenklägerin M. am Ende ihrer Vernehmung ausgesagt habe, die Vergewaltigung habe 1987 stattgefunden. Diesen Widerspruch zwischen den Aussagen habe die Kammer verkannt. Ferner habe es sich aufdrängen müssen, die Eltern der Nebenklägerin K. als Zeugen zu vernehmen, da diese bei ihrer polizeilichen Einvernahme ausgesagt habe, an dem Tattag habe sie zum ersten Mal ihren leiblichen Vater gesehen. Vor dem Hintergrund, dass die Nebenklägerin K. sich nicht sicher an die Tatzeit habe erinnern können, beide Vergewaltigungen jedoch unzweifelhaft als zeitnah erfolgt geschildert worden seien, hätte die Einvernahme der Eltern zur Annahme anderer Tatzeiten geführt.
5
Zwar kann sich die Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO auch aus Hinweisen in den Akten ergeben (BGH NStZ 1985, 324, 325), sodass die Aufklärungsrüge dem Revisionsgericht gleichsam den Blick in die Akten eröffnet. Andererseits verspricht die Aufklärungsrüge dann keinen Erfolg, wenn ihre Prüfung eine Wertung des Inhalts der Beweisaufnahme erfordert (Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 244 Rdn. 352 m.w.N.). Ein nach den Urteilsfeststellungen in der Hauptverhandlung nicht aufgeklärter Widerspruch hinsichtlich der Angaben der Nebenklägerin M. zur Tatzeit zwischen den Urteilsfeststellungen und dem Akteninhalt ist hier nicht ersichtlich. Die Revision missversteht das Urteil. Daraus ist allein zu entnehmen, dass die Nebenklägerin M. jedenfalls in der Hauptverhandlung unzweifelhaft und für den Tatrichter überzeugend erklärt hat, die Tat habe nicht im Jahre 1987 sondern 1988 stattgefunden, und zwar an einem Sonnabend, wobei sie am folgenden Wochenende erfahren habe, dass der Angeklagte in Haft sei (UA S. 22 f.), und die festgestellten Hafturlaube nur mit einer Tatzeit im Oktober oder Dezember 1988 korrespondierten. Im Übrigen ist die Urteilspassage, auf die sich die Revision vor allem bezieht ("von einer Tatzeit 1987 sprach diese aber nie" [UA S. 22]), vom vorhergehenden Absatz über die zeitliche Einordnung der Taten seitens des ermittelnden Polizeibeamten abgesetzt. Die Kammer hat ferner die "Abweichungen während der verschiedenen Aussagen der Geschädigten M. hinsichtlich der genauen Tatzeiten" erkannt und gewürdigt (UA S. 25).
6
Hinsichtlich der Rüge, es hätte eine Verlesung nach § 253 Abs. 2 StPO erfolgen müssen, ist somit bereits nicht dargetan, dass die Nebenklägerin M. bekundet hat, bei der Aufnahme des Protokolls nicht tatsächlich das im Protokoll Festgehaltene ausgesagt zu haben (BGH NStZ 2002, 46, 47). Die Auseinandersetzung mit Abweichungen bei den Aussagen und das Eingehen auf das gedankliche In-Beziehung-Setzen mit der Vergewaltigung an B. S. seitens der Kammer legt vielmehr nahe, dass der Nebenklägerin M. ihre der Anklageschrift zugrunde liegende polizeiliche Aussage vorgehalten worden ist, sie diese als ihre Aussage anerkannt hat, sich jedoch insbesondere aufgrund der sicheren Erinnerung, dass die Tat während des Hafturlaubs geschah, davon inhaltlich distanziert hat. Sie hat sich (in der Hauptverhandlung) "nie davon abbringen" lassen, "dass die Tat 1988 erfolgte, auch wenn die Anklageschrift von 1987 ausging" (UA S. 23).
7
Auch im Übrigen haben sich keine weiteren Beweiserhebungen aufgedrängt , da das Beweisergebnis zu den Tatzeiten - wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat - hinreichend gesichert ist (vgl. dazu BGH StV 1996, 249). Gerade die spontane Erinnerung der Nebenklägerin M. in der Hauptverhandlung daran, dass sie an dem auf die Vergewaltigung folgenden Wochenende vom Bruder des Angeklagten erfahren habe, dass dieser in Haft sei, weil ihn eine andere Frau der Vergewaltigung bezichtigt habe (UA S. 22 f.), stützt das Ergebnis in besonderer Weise. Diese Aussage hat sich zur Überzeugung des Gerichts zusammen mit anderen Beweisanzeichen zu einem in sich geschlossenen Bild gefügt. Dabei ist zusätzlich ein Brief des Angeklagten an die Nebenklägerin vom 27. Dezember 1988 von erheblicher Bedeutung, in dem er diese auf "blaue Flecken" anspricht, was die Nebenklägerin M. stets als auf die Vergewaltigungstat bezogen verstanden hat.
8
Soweit die Revision weiterhin behauptet, dass die Taten bereits deshalb nicht Ende 1988 hätten stattgefunden haben können, weil die Nebenklägerinnen K. und M. dann wegen des vorausgegangenen Strafverfahrens misstrauisch gewesen wären, nimmt sie eine eigene Beweiswürdigung vor. Außerdem hat die Nebenklägerin M. ausgesagt, sie habe erst nach der Tat erfahren, dass sich der Angeklagte wegen Vergewaltigung in Haft befinde (UA S. 23).
9
2. Die Verhängung einer Jugendstrafe von acht Jahren hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.
10
a) Der Beschwerdeführer hat allerdings mit Recht einen Verstoß gegen das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG beanstandet. Das Landgericht hat sowohl zur Begründung der Notwendigkeit der Verhängung von Jugendstrafe i.S.v. § 17 Abs. 2 JGG als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne den Umstand berücksichtigt, dass der Vollzug einer Jugendstrafe den Angeklagten nicht beeindruckte. Die zugrunde liegende Vorstrafe war zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung nach § 46 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. e, Abs. 3 BZRG bereits getilgt; denn § 46 Abs. 1 Nr. 3 nF BZRG galt zum Zeitpunkt der Tilgungsreife noch nicht.
11
Das Urteil begründet die Notwendigkeit der Verhängung von Jugendstrafe u.a. wie folgt: "Trotz der Einwirkung des Strafvollzugs hat sich der Angeklagte nunmehr bewusst und selbstverantwortlich gegen das Recht und für das Unrecht entschieden" (UA S. 45). "Der Vollzug einer Jugendstrafe hielt ihn also nicht ab, während einer Vollzugslockerung erneut massive Straftaten zu begehen. Dies zeigt, dass die gewünschte erzieherische Wirkung durch eine mäßige Jugendstrafe nicht erreicht werden konnte" (UA S. 46). Bei der Strafzumessung im engeren Sinne wird zwar ausgeführt, dass die bereits getilgte Vorstrafe "zu keiner Zeit negativ gewertet", vielmehr zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt werde, dass er nicht vorbestraft ist (UA S. 49). An anderer Stelle heißt es jedoch: "Zu Lasten des Angeklagten spricht, dass er die Taten aus 1988 während eines Hafturlaubs beging. Der Vollzug hatte also keinerlei Wirkung auf ihn, straffrei zu leben" (UA S. 47).
12
Das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG hindert den Tatrichter nicht nur an der Berücksichtigung der Vorstrafe als solcher, sondern auch an der strafschärfenden Erwägung, dass der Vollzug der von dem Verwertungsverbot betroffenen Strafe nicht ausreichte, um den Angeklagten von weiteren Straftaten abzuhalten (BGH NStZ 1983, 19). Das Verwertungsverbot erstreckt sich auch auf Umstände, die eng mit der nicht verwertbaren Tat im Zusammenhang stehen (etwa hohe Rückfallgeschwindigkeit, erneute Tatbegehung am selben Opfer). Auch wenn sie für die Beurteilung des Schuldgehalts von wesentlicher Bedeutung sind, müssen derartige Umstände gleichsam ausgeblendet werden (BGHR BZRG § 51 Verwertungsverbot 5). Obgleich dies auf den ersten Blick nur schwer nachvollziehbar erscheint - zumal gerade dann, wenn es nur um die zeitliche Einordnung einer Tat in einen historischen Zusammenhang (Aufenthalt in einer Justizvollzugsanstalt) geht -, lässt die zwingende gesetzliche Regelung in § 51 Abs. 1 i.V.m. §§ 46, 47 BZRG keine andere Auslegung zu (BGH NJW 2005, 1813). Auch der Umstand, dass die Vorstrafe von der Verteidigung offenbart (UA S. 21) und immer wieder angesprochen worden ist (UA S. 49), macht sie nicht verwertbar (BGHSt 27, 108, 109 f.).
13
b) Der Verstoß gegen das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG erfordert jedoch nicht die Aufhebung des Strafausspruchs, da die Verhängung einer Jugendstrafe von acht Jahren trotz des Strafzumessungsfehlers angemessen ist (vgl. § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO). Nach § 354 Abs. 1a StPO soll von einer Aufhebung des Urteils auch dann abgesehen werden, wenn das Revisionsgericht die verhängte Strafe trotz des Rechtsfehlers bei ihrer Zumessung im Ergebnis für angemessen hält, selbst wenn nicht festgestellt werden kann, dass der Tatrichter ohne den Fehler auf dieselbe Strafe erkannt hätte (BGH NJW 2005, 913, 914; Maier/Paul NStZ 2006, 82 f. m.w.N.). Ob die Beurteilung der Angemessenheit allein aufgrund der Urteilsgründe möglich ist oder ob es etwa in besonderem Maße auf den persönlichen Eindruck vom Angeklagten ankommt und deshalb die Aufhebung des Strafausspruchs und die Zurückverwei- sung der Sache geboten ist, ist eine Frage des Einzelfalls (BGH NJW 2005, 1813, 1814).
14
Das Landgericht hat vorliegend die für die Strafzumessung relevanten Umstände festgestellt. Dabei kann dahinstehen, ob die Strafkammer aufgrund der festgestellten Umstände zu den Taten und der Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten bereits zum Zeitpunkt der beiden ersten Taten zutreffend die Anwendung von Jugendstrafrecht bejaht hat, da ihn dies nicht belastet. Dies gilt ebenso für die Annahme, dass das Schwergewicht der Taten bei den beiden ersten Vergewaltigungen liegt, obgleich jedenfalls bei Anwendung des § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG für die ersten beiden Taten die im Alter von immerhin nunmehr 30 Jahren begangene dritte Tat im Jahre 2000 nicht zwingend weniger schwer wiegt, auch wenn diese Vergewaltigung aufgrund der Gegenwehr des Opfers im Versuchsstadium stecken geblieben ist.
15
Unter Anwendung von § 32 S. 1 JGG für alle drei Taten hat die Jugendkammer rechtsfehlerfrei allein wegen der Schwere der Schuld Jugendstrafe verhängt (vgl. Senat, Urt. vom 31. August 2004 - 1 StR 213/04; BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schwere der Schuld 1 und 2). Bei deren Bemessung hat sie dem Erziehungsgedanken i.S.v. § 18 Abs. 2 JGG für den zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung 36-jährigen Angeklagten, der bei Begehung der Taten 19 bzw. 30 Jahre alt war, eine nur untergeordnete Bedeutung beigemessen. Dagegen ist aus Rechtsgründen nichts zu erinnern, da mit fortschreitendem Alter des Täters dem Erziehungsgedanken ein immer geringeres Gewicht zukommen kann (Senat, Urt. vom 31. August 2004 - 1 StR 213/04).
16
Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht zu Recht herausgestellt , dass die drei Taten der schweren Kriminalität zuzurechnen, von hoher krimineller Energie geprägt sind und von einer eingeschliffenen Haltung zeugen, das Recht anderer auf sexuelle Selbstbestimmung zu missachten. Bei den Taten unter II.1. und II.2. waren die Opfer sehr jung, das eine knapp oder gerade 14 Jahre alt, das andere 15 Jahre alt. Bei den Taten unter II.1. und II.3. verwendete der Angeklagte zum Zweck der Vergewaltigung jeweils ein Messer und fügte den Opfern Schnittwunden zu; er verwirklichte also tateinheitlich neben dem Straftatbestand der (versuchten besonders schweren) Vergewaltigung jeweils den Straftatbestand der gefährlichen Körperverletzung des § 223a Abs. 1 aF bzw. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, wenngleich bei der Tat unter II.1. diesbezüglich Verjährung eingetreten ist (zur Berücksichtigungsfähigkeit verjährter Taten - wenn auch mit geringerem Gewicht - Senat, Beschluss vom 14. März 2000 - 1 StR 65/00; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 20). Bei der Tat unter II.2. drohte er mit dem Einsatz eines Messers. Der Angeklagte missbrauchte bei allen Taten das ihm als Mitglied der gemeinsamen Clique von den Opfern entgegengebrachte Vertrauen. Nach den ersten beiden Taten setzte er seine jugendlichen Opfer jeweils planmäßig und auf äußerst perfide Weise unter Druck, um sie von Strafanzeigen abzuhalten. Die Opfer leiden noch heute massiv unter den psychischen Folgen der Taten.
17
Zu Gunsten des Angeklagten hat die Kammer im Rahmen der Strafzumessung hervorgehoben, dass jedenfalls die Taten zum Nachteil der Nebenklägerinnen K. und M. sehr lange zurückliegen. Auch die weiteren für den Angeklagten sprechenden Umstände, welche in seiner Person begründet sind - gesundheitliche Einschränkungen, hieraus resultierende Verfahrensdauer , Untersuchungshaft und familiäre Eingebundenheit, keine Vorstrafen -, hat das Landgericht erkannt und gewürdigt.
18
Bei einer Gesamtwürdigung sind die Taten auch im Vergleich zu sonstigen Fällen der (versuchten) Vergewaltigung als überdurchschnittlich schwerwiegend einzustufen. Auch bei der rechtlich gebotenen Nichtberücksichtigung des Umstands, dass den Angeklagten der Vollzug einer Jugendstrafe in der Vergangenheit offensichtlich nicht beeindruckt hat, stellt sich eine Jugendstrafe von acht Jahren als angemessen dar. Dabei würdigt der Senat auch den - von der Kammer nicht ausdrücklich erwogenen - Umstand, dass bei Sexualstraftaten zum Nachteil junger Opfer der bloße Zeitablauf seit der Tat als begünstigender Strafzumessungsumstand weniger Gewicht hat (Senat, Beschluss vom 8. Februar 2006 - 1 StR 7/06; Schäfer, Praxis der Strafzumessung 3. Aufl. Rdn. 437). Dies findet darin seine Bestätigung, dass nach den Urteilsfeststellungen die Nebenklägerinnen K. und M. nur deswegen von einer früheren Anzeigeerstattung absahen, weil es dem Angeklagten gelang, die noch sehr jungen Opfer planmäßig und auf perfide Weise zu manipulieren und die Geschädigte K. zudem mit der für diese als erheblich belastend angesehenen öffentlichen Preisgabe einer vorangegangenen Vergewaltigung unter Druck setzte. Wahl Kolz Hebenstreit Richterin am Bundesgerichtshof Richter am Bundesgerichtshof Elf ist wegen Urlaubs an der Dr. Graf ist wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert. Unterschrift gehindert. Wahl Wahl

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 213/04
vom
31. August 2004
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 31. August
2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 11. Februar 2004 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich seine Revision , mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird. Das Rechtsmittel hat weder zum Schuld- noch zum Strafausspruch Erfolg. Erörterungsbedürftig sind lediglich die Erwägungen zur Höhe der Strafe. Im übrigen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 10. Mai 2004 Bezug genommen. 2. Nach den Feststellungen des Landgerichts kam der Angeklagte 1998 im Alter von 19 Jahren aus dem Kosovo allein nach Deutschland und stellte Asylantrag. Er konsumierte mit vielen Unterbrechungen von 1998 bis etwa 2000 "keine großen Mengen" Heroin. Die verfahrensgegenständliche Tat beging er am 30. August 1999 mit zwei albanischen Mittätern, die ihn "dazu verführt hatten". Bei der Tat stand er nicht unter Drogen. Zusammen mit seinen Mittätern überfiel er eine Tankstelle. Dabei bedrohten sie den Tankwart mit einer Scheinwaffe, die sie ihm in Gesichtshöhe entgegenhielten. Als der Ange-
klagte das Geld aus der gewaltsam aufgebrochenen Kasse entnahm, verletzte er sich am Finger und hinterließ eine Blutspur. Die Täter erbeuteten 1.500 DM. Dem Angeklagten war nicht zu widerlegen, daß er von der Beute keinen Anteil erhielt. Zwei Jahre nach der Tat, im Jahr 2001, ging der Angeklagte in sein Heimatland zurück. Seine Freundin, die er in Deutschland kennengelernt hatte, folgte ihm. Das Paar heiratete im November 2001 im Kosovo. Zunächst kehrte die Ehefrau, dann der Angeklagte im Mai 2002 nach Deutschland zurück. Nach der Heirat ließ er sich Codein verschreiben; er nimmt derzeit keine Drogen mehr. Der Angeklagte hatte nach der Rückkehr nur kurzfristige Arbeitsverhältnisse in Deutschland und war auf finanzielle Zuwendungen seiner Schwiegereltern angewiesen. Seine Ehefrau hat teilweise auch ihre Eltern bestohlen. Ca. das letzte halbe Jahr vor der Inhaftierung des Angeklagten im September 2003 lebte er von Sozialhilfe. Das Landgericht hat auf den zur Tatzeit über 20 Jahre alten Heranwachsenden Jugendstrafrecht angewendet und rechtsfehlerfrei allein wegen der Schwere der Schuld Jugendstrafe verhängt (vgl. BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schwere der Schuld 1 und 2). 3. Bei der Bemessung der Höhe der Jugendstrafe hat das Tatgericht nicht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen. Die Begründung der Jugendstrafe von drei Jahren entspricht den Anforderungen des § 18 Abs. 2 JGG.
a) Der Erziehungsgedanke ist auch dann zu berücksichtigen, wenn eine Jugendstrafe - wie hier - ausschließlich wegen der Schwere der Schuld verhängt wird (BGHSt 15, 224, 226; 16, 261, 263; BGH StV 1994, 598). Daneben
sind auch andere Strafzwecke, bei Kapitalverbrechen namentlich der Sühnegedanke und das Erfordernis des gerechten Schuldausgleichs zu beachten (BGHR JGG § 17 Abs. 2 Strafzwecke 1). Diesen Grundsätzen hat die Jugendkammer bei der Bemessung der Jugendstrafe Rechnung getragen.
b) Sie hat die erforderliche Gesamtwürdigung (vgl. Brunner, JGG 11. Aufl. § 18 Rdn. 7 a) vorgenommen (UA S. 17 bis 20), die keinen Erörterungsmangel enthält. Die Jugendkammer hat durch die Tat hervorgetretene gravierende Erziehungsdefizite angenommen, aber sich auch mit Veränderungen in der Einstellung und in den Lebensumständen des Angeklagten seit der Tat auseinandergesetzt und folgendes berücksichtigt: Die Tatsache, daß der Angeklagte nicht vorbestraft ist, insbesondere in der Zwischenzeit keine weiteren Straftaten begangen hat, seine Tat bereut und fünf Monate Untersuchungshaft verbüßt hat (UA S. 19). Dabei war sich die Kammer bewußt, daß die Tat viereinhalb Jahre zurücklag, denn sie hat diesen Zeitabstand ausdrücklich bei der Erörterung des § 105 JGG genannt (UA S. 16) und bei der Strafzumessung wie folgt darauf hingewiesen: "- auch wenn die späte Klärung der Straftat nicht das Verdienst des Angeklagten ist -". Soweit die Kammer die nach der Tat erfolgte Eheschließung und Drogenfreiheit bei der Strafzumessung nicht ausdrücklich erwähnt, so heißt das nicht, daß sie sie aus dem Blick verloren hat, sondern nur, daß sie diesen Umständen keine bestimmende Wirkung beigemessen hat (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 3 Satz 1 Strafzumessung 2). Wenn der Angeklagte keine Arbeit und keine Ausbildung hat, von Sozialhilfe lebt, seine Ehefrau wegen finanzieller Engpässe ihre Eltern bestiehlt, so
ist trotz Eheschließung und Drogenfreiheit das Versperren eines Neubeginns durch die verhängte Jugendstrafe nicht ersichtlich, so daß es insoweit einer Abwägung des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden - wie etwa beim Abbruch einer Lehre - nicht bedurfte (BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 2 und 3). Die Begründung der Kammer, sie erachte unter Abwägung der von ihr genannten Gesichtspunkte aus erzieherischen Gründen und wegen des Ausmaßes der Schuld eine Jugendstrafe von drei Jahren als angemessen und ausreichend, begegnet keinen rechtlichen Bedenken, zumal mit fortschreitendem Alter des Täters dem Erziehungsgedanken geringere Bedeutung beigemessen werden kann (BGH StV 1998, 334). Der Angeklagte ist derzeit 25 Jahre alt. Er wird die Jugendstrafe im Erwachsenenvollzug verbüßen, wie es in den gesetzlichen Regelungen zur Vollstreckung einer Jugendstrafe gegen Täter , die das vierundzwanzigste Lebensjahr vollendet haben, vorgesehen ist (§§ 92 Abs. 2 Satz 3, 85 Abs. 6 JGG). Nack Wahl Kolz Elf Graf

(1) Die Jugendstrafe ist Freiheitsentzug in einer für ihren Vollzug vorgesehenen Einrichtung.

(2) Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 178/13
vom
6. Mai 2013
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: sexueller Nötigung u.a.
zu 2.: Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Mai 2013 gemäß § 349
Abs. 2 und 4, § 357 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten N. wird das Urteil des Landgerichts Offenburg vom 20. Dezember 2012 unter Erstreckung auf die Mitangeklagte J. dahingehend abgeändert, dass
a) die Angeklagte N. der gefährlichen Körperverletzung und der sexuellen Nötigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, Nötigung und gefährlicher Körperverletzung schuldig ist,
b) die Mitangeklagte J. der gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen, der Vergewaltigung und der sexuellen Nötigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, Nötigung und mit gefährlicher Körperverletzung schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision der Angeklagten und die Revision des Angeklagten R. werden verworfen.
3. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


I.


1
Das Landgericht hat die Angeklagte N. und die nicht revidierende Mitangeklagte J. aufgrund verschiedener Handlungen zum Nachteil der Nebenklägerin u.a. wegen Vergewaltigung in zwei Fällen verurteilt. Den Schuldsprüchen wegen dieses Delikts in den Fällen III.B.3. und III.B.4. der Urteilsgründe liegt folgendes tatsächliche Geschehen zugrunde:
2
1. Nachdem beide im Zusammenwirken mit dem Angeklagten R. und einem weiteren nicht revidierenden Mitangeklagten die Nebenklägerin über mehrere Stunden misshandelt und gedemütigt hatten, zwangen diese die Nebenklägerin unter Androhung von Schlägen, sich nackt in eine Badewanne zu stellen. Dort führte ihr die Mitangeklagte J. in Anwesenheit und mit Billigung der Angeklagten N. einen mit Gleitgel versehenen Vibrator in den Anus ein. Auf die dadurch hervorgerufenen Schmerzensschreie der Nebenklägerin reagierten sie mit lautem Gelächter (Fall III.B.3. der Urteilsgründe). Einige Zeit später brachten beide die Nebenklägerin unter Drohung mit Schlägen dazu, bei dem Angeklagten R. für einige Minuten den Oralverkehr auszuführen. Da sich bei diesem jedoch keine Erektion einstellte, wurde der weitere Vollzug abgebrochen (Fall III.B.4. der Urteilsgründe).
3
2. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 4. April 2013 zutreffend ausgeführt hat, belegen diese Feststellungen den Schuldspruch gegen die Angeklagte N. wegen Vergewaltigung in zwei Fällen nicht. Nach der wesentlich auf den Wortlaut „der Täter“ in § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB abstellenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verwirklicht das genannte, eigenständig zu tenorierende Regelbeispiel nur derjenige Tatbe- teiligte, der in eigener Person eine der in der Vorschrift genannten sexuellen Handlungen verwirklicht (BGH, Beschlüsse vom 15. März 2000 - 2 StR 635/99, NStZ-RR 2000, 326 und vom 21. April 2009 - 4 StR 531/08, NStZ-RR 2009, 278). Tatbeteiligte, bei denen diese eigenhändige Verwirklichung nicht vorliegt, können nicht als Mittäter einer Vergewaltigung verurteilt werden (BGH, Beschluss vom 8. November 2011 - 4 StR 468/11, NStZ-RR 2012, 45). Die Angeklagte N. hat in keinem der beiden Fälle ein von den Sexualhandlungen der Vergewaltigung erfasstes Verhalten in eigener Person vollzogen.
4
Da jedoch nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen die Voraussetzungen einer sexuellen Nötigung gemäß § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB jeweils erfüllt waren, war der Schuldspruch entsprechend zu berichtigen. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil die vollumfänglich geständige Angeklagte sich nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
5
Angesichts der nach den festgestellten Gesamtumständen der sich über rund 24 Stunden erstreckenden Misshandlungen, Demütigungen und Erniedrigungen der Nebenklägerin ungewöhnlich niedrigen Strafe schließt der Senat aus, dass das Tatgericht zu einer noch geringeren Jugendstrafe gelangt wäre, wenn es in den Fällen III.B.3. und 4. der Urteilsgründe von sexuellen Nötigungen gemäß § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StGB statt von Vergewaltigungen gemäß § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB ausgegangen wäre.
6
3. Dass die Angeklagte N. im Fall III.B.3. der Urteilsgründe nicht zusätzlich wegen Nötigung gemäß § 240 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StGB verurteilt worden ist, weil sie gemeinsam mit der Mitangeklagten J. die Nebenklägerin durch Drohung mit Misshandlungen dazu gezwungen hat, sich zeitlich vor der analen Penetration durch die Mitangeklagte J. den Vibrator selbst vaginal einzuführen, hat sich nicht zu Lasten der Angeklagten ausgewirkt.
7
4. Die Angriffe der Revision der Angeklagten N. gegen die Verhängung einer Jugendstrafe und deren Bemessung dringen nicht durch.
8
a) Der Senat teilt insbesondere nicht die Auffassung der Revision, der Anordnungsgrund der „Schwere der Schuld“ in § 17Abs. 2 JGG könne grund- sätzlich lediglich bei „Kapitalstrafsachen“ in Betracht kommen. Dies entspricht nicht der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die auch außerhalb dessen bei besonders schweren Straftaten, zu denen gravierende Sexualdelikte gehören können (BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2009 - 3 StR 404/09, NStZ-RR 2010, 56 f. und vom 28. September 2010 - 5 StR 330/10, StV 2011, 588 f.), die Verhängung einer allein auf die Schwere der Schuld gegründeten Jugendstrafe zugelassen hat (etwa BGH, Beschluss vom 20. Januar 1998 - 4 StR 656/97, StV 1998, 332, 333; weit. Nachw. bei Radtke in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., 2013, Band 6, JGG § 17 Rn. 67).
9
b) Im Übrigen neigt der Senat dazu, bereits das Vorliegen eines gewissen Schuldausmaßes allein als Anordnungsgrund einer auf das Merkmal der „Schwere der Schuld“ gestützten Jugendstrafe ohne eine faktische Erziehungs- fähigkeit und -bedürftigkeit des jugendlichen oder heranwachsenden Täters genügen zu lassen. Weder der Wortlaut von § 17 Abs. 2 JGG noch dessen Entstehungsgeschichte (vgl. BT-Drucks. I/3264 S. 40 re. Spalte/S. 41 li. Spalte) deuten auf ein kumulatives Erfordernis eines solchen Erziehungsbedürfnisses als Anordnungsvoraussetzung der Jugendstrafe hin. Die in § 18 Abs. 2 JGG enthaltene Vorgabe, bei der Bemessung der Jugendstrafe die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich zu machen, betrifft unmittelbar lediglich die Festsetzung der Dauer einer Jugendstrafe, nicht aber die vorgelagerte, in § 17 Abs. 2 JGG (in Verbindung mit § 5 und § 13 Abs. 1 JGG) geregelte Auswahl der jugendstrafrechtlichen Sanktion. Es entspricht zudem ohnehin der gefestig- ten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, im Rahmen der Strafbemessung der Jugendstrafe gemäß § 18 Abs. 2 JGG neben der Erziehungswirksamkeit auch andere Strafzwecke, bei schweren Straftaten vor allem das Erfordernis des gerechten Schuldausgleichs, zu berücksichtigen (BGH, Beschlüsse vom 1. Dezember 1981 - 1 StR 634/81, StV 1982, 121; vom 27. November 1995 - 1 StR 634/95, NStZ 1996, 232 f.; BGH, Urteil vom 23. Oktober 1997 - 5 StR 486/97; Beschluss vom 23. März 2010 - 5 StR 556/09, NStZ-RR 2010, 290, 291). Dem Gedanken des Schuldausgleichs ist insbesondere bei fünf Jahre übersteigenden Jugendstrafen Bedeutung zugemessen worden, weil bei derartigen Verbüßungszeiträumen eine (weitere) erzieherische Wirkung bezweifelt wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. November 1995 - 1 StR 634/95, NStZ 1996, 232 f. und vom 20. März 1996 - 3 StR 10/96, StV 1998, 344; siehe aber auch BGH, Beschluss vom 7. Mai 1996 - 4 StR 182/96, NStZ 1996, 496 f.).
10
c) Ob faktische Erziehungsfähigkeit und rechtliche Erziehungsberechtigung (bei Heranwachsenden) notwendige Anordnungsvoraussetzungen der Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld sind, bedarf vorliegend allerdings keiner Entscheidung, weil das Tatgericht ohne Rechtsfehler ein Erziehungsbedürfnis bei der Angeklagten festgestellt hat.
11
d) Die Annahme der „Schwere der Schuld“ ist auch im Übrigen nicht zu beanstanden. Gerade weil in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dieses Merkmal nicht anhand des äußeren Unrechtsgehalts der Tat, sondern der charakterlichen Haltung, der Persönlichkeit und der Tatmotivation des bzw. der Jugendlichen oder Heranwachsenden beurteilt werden soll (etwa BGH, Beschluss vom 14. August 2012 - 5 StR 318/12, StraFo 2012, 469 f.), versteht sich das Vorliegen dieses Anordnungsgrundes des § 17 Abs. 2 JGG angesichts der getroffenen Feststellungen geradezu von selbst.
12
5. Im Fall III.B.4. der Urteilsgründe ist die Berichtigung des Schuldspruchs gemäß § 357 Satz 1 StPO auch auf die nicht revidierende Mitangeklagte J. zu erstrecken (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 2011 - 4 StR 468/11, NStZ-RR 2012, 45). Diese hat lediglich im Fall III.B.3. der Urteilsgründe durch das anale Einführen des Vibrators in eigener Person eine der in § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB genannten Handlungen vorgenommen, nicht aber im Fall III.B.4. der Urteilsgründe. Die Erstreckung ist auch dann vorzunehmen , wenn sich die Schuldspruchberichtigung nicht auf den Rechtsfolgenausspruch auswirkt (BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2003 - 1 StR 385/03 mwN).

II.


13
Die Revision des Angeklagten R. bleibt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 4. April 2013 ohne Erfolg.
Wahl Rothfuß Jäger Radtke Zeng

(1) Die Jugendstrafe ist Freiheitsentzug in einer für ihren Vollzug vorgesehenen Einrichtung.

(2) Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist.

(1) An einem Verurteilten, der das 18. Lebensjahr vollendet hat und sich nicht für den Jugendstrafvollzug eignet, kann die Jugendstrafe statt nach den Vorschriften für den Jugendstrafvollzug nach den Vorschriften des Strafvollzuges für Erwachsene vollzogen werden. Hat der Verurteilte das 24. Lebensjahr vollendet, so soll Jugendstrafe nach den Vorschriften des Strafvollzuges für Erwachsene vollzogen werden.

(2) Über die Ausnahme vom Jugendstrafvollzug entscheidet der Vollstreckungsleiter.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 250/09
vom
27. August 2009
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________
MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1; StPO § 353 Abs. 1
Die Aufhebung eines tatrichterlichen Urteils durch das Revisionsgericht allein im
Strafausspruch erfasst grundsätzlich nicht die Frage der Kompensation einer bis zur
revisionsgerichtlichen Entscheidung eingetretenen rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung.
BGH, Urt. vom 27. August 2009 - 3 StR 250/09 - LG Hannover
wegen besonders schwerer Vergewaltigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. August
2009, an der teilgenommen haben:
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als Vorsitzende,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Dr. Schäfer,
Mayer
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 16. Februar 2009 im Ausspruch über die Entschädigung für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung aufgehoben; der Ausspruch entfällt. Die Kosten des Rechtsmittels hat der Angeklagte zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten, der bereits rechtskräftig wegen besonders schwerer Vergewaltigung schuldig gesprochen worden war, zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und ausgesprochen, dass wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung von der verhängten Freiheitsstrafe neun Monate als verbüßt gelten. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten , auf die Sachrüge gestützten und vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft, das Landgericht habe zu Unrecht einen Teil der verhängten Strafe als vollstreckt angesehen. Das trotz des umfassenden Aufhebungsantrags ausweislich der Revisionsbegründung wirksam auf den Kompensationsausspruch beschränkte (vgl. BGH, Urt. vom 18. Juni 2009 - 3 StR 89/09) Rechtsmittel hat Erfolg.
2
Die angefochtene Kompensationsentscheidung kann nicht bestehen bleiben; denn ihr steht die auch insoweit eingetretene Teilrechtskraft des in die- sem Verfahren zuvor ergangenen landgerichtlichen Urteils vom 15. Februar 2008 entgegen.
3
1. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
4
Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 15. Februar 2008 wegen besonders schwerer Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision hatte der Angeklagte unter anderem mit einer Verfahrensrüge einen Verstoß gegen Art. 6 MRK geltend gemacht, weil das Verfahren durch unzureichende Ermittlungen des Aufenthalts der Geschädigten durch die Polizeibehörden rechtsstaatswidrig verzögert worden sei; dies habe das Landgericht im Urteil feststellen und festlegen müssen, welcher Teil der Strafe zur Kompensation als vollstreckt gelte. Der Generalbundesanwalt hatte beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen, und ausgeführt , die dargestellte Verfahrensrüge sei weder in der erforderlichen Form erhoben noch in der Sache begründet. Mit einer weiteren verfahrensrechtlichen Beanstandung hatte der Angeklagte gerügt, dass ein auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Schuldfähigkeit gerichteter Beweisantrag rechtsfehlerhaft abgelehnt worden sei. Auf diese Rüge hatte der Senat mit Beschluss vom 7. August 2008 (3 StR 274/08) das Urteil mit den zugehörigen Feststellungen im Strafausspruch und soweit eine Entscheidung über eine Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB unterblieben war aufgehoben sowie die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen; die weitergehende Revision hatte er verworfen.
5
Nach der Zurückverweisung hat das Landgericht das nunmehr von der Staatsanwaltschaft im Kompensationsausspruch angegriffene Urteil erlassen.
Die nach seiner Ansicht gegebene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung hat es damit begründet, dass die Polizeibehörden während des Ermittlungsverfahrens den Aufenthaltsort der Geschädigten nicht intensiv genug ermittelt hätten.
6
2. Das Landgericht durfte die angefochtene Kompensationsentscheidung nicht treffen. Hierzu gilt:
7
Führt die Revision nur teilweise zur Urteilsaufhebung, erwächst der bestehen bleibende Teil in Rechtskraft; dieser ist im neuen Verfahren nicht mehr nachzuprüfen (vgl. Kuckein in KK 6. Aufl. § 353 Rdn. 32). Der neue Tatrichter, an den das Verfahren nach der Zurückverweisung gelangt, hat lediglich den noch offenen Verfahrensgegenstand neu zu verhandeln und zu entscheiden (vgl. Wohlers in SK-StPO § 354 Rdn. 87). Hieraus folgt etwa, dass der Schuldspruch rechtskräftig wird, wenn das angefochtene Urteil allein im Strafausspruch aufgehoben wird (sog. horizontale Teilrechtskraft). Auch innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs kann horizontale Teilrechtskraft bezüglich einzelner Tatfolgen eintreten, wenn lediglich der Strafausspruch aufgehoben wird und weitere Rechtsfolgen, auf die das Tatgericht erkannt hat, von Art und Höhe der Strafe unabhängig sind. Dies richtet sich nach den für die Rechtsmittelbschränkung geltenden Grundsätzen (vgl. Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 353 Rdn. 8) und kann etwa der Fall sein bei Einziehungs- (vgl. BGH, Beschl. vom 16. Dezember 1998 - 2 StR 536/98 Rdn. 5) sowie Unterbringungsanordnungen (vgl. BGH bei Holtz MDR 1980, 454 f.; NStZ 1982, 483) oder sonstigen Maßregeln wie der Entziehung der Fahrerlaubnis (vgl. BGH, Beschl. vom 8. Juli 1983 - 3 StR 215/83 Rdn. 4 ff.). Maßgebend für den Umfang der Aufhebung ist die Formulierung im Urteilstenor bzw. der Beschlussformel der revisionsgerichtlichen Entscheidung. Die Aufhebung des Strafausspruchs betrifft regelmäßig nur die Strafe, die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs die gesamten Rechts- folgen der Tat (vgl. Kuckein aaO Rdn. 21 m. w. N.; weitergehend für § 76 a StGB aF noch BGHSt 14, 381, 382).
8
Nach diesen Maßstäben erfasst die Aufhebung allein des Strafausspruchs durch das Revisionsgericht grundsätzlich die Frage eines Ausgleichs für eine bis dahin eingetretene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nicht; vielmehr tritt insoweit horizontale (Teil-)Rechtskraft ein. Zwar wurde nach der früheren Rechtsprechung die übermäßige und von dem Angeklagten nicht zu vertretende Verzögerung des Verfahrens bei der Strafzumessung berücksichtigt. Demgemäß umfasste damals die Aufhebung eines tatgerichtlichen Urteils im Strafausspruch auch die Frage der Kompensation eines rechtsstaatswidrigen Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot. Jedoch hat der Große Senat für Strafsachen dieses sog. Strafabschlagsmodell mit seiner Entscheidung vom 17. Januar 2008 (BGHSt 52, 124) aufgegeben und es durch die sog. Vollstreckungslösung ersetzt. Danach ist der Ausgleich für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nunmehr getrennt und unabhängig von der Strafzumessung vorzunehmen. Er lässt die Frage des Unrechts, der Schuld und der Strafhöhe unberührt und stellt eine rein am Entschädigungsgedanken orientierte eigene Rechtsfolge neben der Strafzumessung dar. Das Gewicht der Tat und das Maß der Schuld spielen weder für die Frage, ob das Verfahren rechtsstaatswidrig verzögert ist, noch für Art und Umfang der zu gewährenden Kompensation eine Rolle (vgl. Meyer-Goßner aaO Art. 6 MRK Rdn. 9 a). Deshalb sind der Strafausspruch und die Kompensationsentscheidung grundsätzlich je für sich auf Rechtsfehler überprüfbar (vgl. BGH, Urt. vom 18. Juni 2009 - 3 StR 89/09 Rdn. 27). Hieraus folgt im Einzelnen:
9
Enthält ein landgerichtliches Urteil - wie hier die ursprüngliche Entscheidung der Strafkammer vom 15. Februar 2008 - keine Kompensationsentscheidung für eine bis zur Urteilsverkündung eingetretene Verzögerung, kann der Angeklagte, wenn er dies für rechtsfehlerhaft hält, sich hiergegen mit seiner Revision wenden. Zu diesem Zweck muss er grundsätzlich - wenn sich die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung nicht bereits aus den Urteilsgründen ergibt und deshalb mit der Sachrüge zur Prüfung durch das Revisionsgericht gestellt werden kann (vgl. BGHSt 49, 342) - eine Verfahrensrüge erheben (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 50, 56). Dringt er wie hier mit seiner Beanstandung nicht durch, und hebt das Revisionsgericht das erstinstanzliche Urteil insoweit auch nicht wegen einer erheblichen Verletzung des Beschleunigungsgebotes nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist auf eine zulässige Revision von Amts wegen auf (vgl. BGH NStZ-RR 2005, 320), steht rechtskräftig fest, dass der Angeklagte nicht wegen eines Verstoßes gegen Art. 6 MRK vor Ergehen der Revisionsentscheidung zu entschädigen ist. Gleiches gilt, wenn das Revisionsgericht das erstinstanzliche Urteil neben dem Strafausspruch aufhebt, soweit eine Entscheidung über eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB unterblieben ist; denn die Frage, ob eine solche Maßregel anzuordnen ist, berührt die Kompensation wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung aus den genannten Gründen ebenfalls nicht. Es liegt zudem nahe, dass die vorgenannten Grundsätze auch dann Anwendung finden, wenn der Angeklagte keine Verfahrensrüge erhoben hat und für das Revisionsgericht auch sonst kein Anlass besteht, die Frage der Verfahrensverzögerung ausdrücklich in den Blick zu nehmen; denn diese Umstände sind für den Eintritt und die Wirkungen der Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung grundsätzlich ohne Belang.
10
Dem neuen Tatrichter ist es deshalb verwehrt, dem Angeklagten nach der Teilaufhebung eines Urteils ausschließlich im Strafausspruch und soweit eine Entscheidung über eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB unterblieben ist allein wegen eines zeitlich vor der Entscheidung des Revisionsgerichts liegenden Verstoßes gegen Art. 6 MRK eine Entschädigung zuzusprechen; er hat vielmehr lediglich neu über die Strafzumessung und den Maßregelausspruch zu befinden. Daneben hat er, sofern hierzu Anlass besteht, allerdings zu prüfen und zu entscheiden, ob nach der Entscheidung des Revisionsgerichts eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung eingetreten und zu kompensieren ist; denn der Umstand, dass eine Entschädigungspflicht wegen eines bis zur revisionsgerichtlichen Entscheidung gegebenen Verstoßes gegen Art. 6 MRK nicht besteht, schließt es nicht aus, dass eine Kompensation aufgrund einer erst danach aufgetretenen Verzögerung ausgesprochen werden kann. Diese Frage hat das Tatgericht nach den insoweit allgemein geltenden Grundsätzen zu beurteilen (vgl. BGHSt 52, 124, 146 ff.); demgemäß hat es bei seiner Bewertung das gesamte Verfahren und damit auch diejenigen Teile in den Blick zu nehmen, die vor der revisionsgerichtlichen Entscheidung liegen. Diese Gesamtbetrachtung ist ihm nicht deshalb verschlossen, weil bereits rechtskräftig entschieden ist, dass dem Angeklagten allein aufgrund von Umständen, die zeitlich vor der revisionsgerichtlichen Entscheidung liegen, kein Ausgleich für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zu gewähren ist.
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Aus alldem ergibt sich, dass die nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen zur sog. Vollstreckungslösung ergangene teilweise Aufhebung des landgerichtlichen Urteils durch den Beschluss des Senats vom 7. August 2008 die Frage der Entschädigung des Angeklagten für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung in der Zeit bis zur revisionsgerichtlichen Entscheidung nicht betroffen hat; insoweit ist vielmehr (Teil-)Rechtskraft eingetreten. Das Landgericht durfte deshalb nach der Zurückverweisung der Sache nicht einen - vermeintlichen - Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot im Ermittlungsverfahren kompensieren. Der entsprechende Ausspruch muss somit entfallen; dies hat der Senat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO selbst entschieden.
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3. Der Senat hat deshalb nicht mehr in der Sache zu entscheiden, ob die Feststellungen des Landgerichts die Annahme einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung tragen. Die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils geben jedoch Anlass zu bemerken, dass nicht jedes Versäumnis der Ermittlungsbehörden einen zu kompensierenden Verstoß gegen Art. 6 MRK zu begründen vermag. Dies gilt insbesondere dann, wenn diese wie hier nicht völlig untätig waren und der Vorwurf allein dahin geht, sie hätten möglicherweise noch intensiver ermitteln können. Der Senat neigt dazu, in solchen Fällen eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung - in Anlehnung an die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Kompensation von Verfahrensverzögerungen , die allein durch eine auf die Revision des Angeklagten erfolgte Aufhebung des tatgerichtlichen Urteils und Zurückverweisung der Sache entstehen (vgl. BGH NStZ 2009, 104) - allenfalls bei ganz erheblichen, kaum verständlichen Ermittlungsfehlern in Betracht zu ziehen. In diesem Sinne gravierende Versäumnisse hat das Landgericht nicht festgestellt. Sost-Scheible Pfister Hubert Schäfer Mayer