Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Feb. 2018 - 4 StR 346/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2018:130218B4STR346.17.0
bei uns veröffentlicht am13.02.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 346/17
vom
13. Februar 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 13. Februar 2018 einstimmig beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Bochum vom 17. März 2017 wird als unbegründet verworfen, da die
Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der
Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen
zu tragen.
ECLI:DE:BGH:2018:130218B4STR346.17.0

Ergänzend zum Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
Die Beanstandung, mit welcher die Revision die unterbliebene Erörterung der Gründe für die Einstellung des Verfahrens hinsichtlich eines weiteren Körperverletzungsvorwurfs geltend macht, hat weder im Rahmen der Sachbeschwerde Erfolg noch genügt sie den sich aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergebenden Anforderungen an eine Verfahrensrüge.
1. Beruhen mehrere Tatvorwürfe auf den belastenden Angaben eines Zeugen und stellt das Tatgericht das Verfahren wegen eines Teils dieser Vorwürfe nach § 154 Abs. 2 StPO ein, kann den Gründen für die Teileinstellung des Verfahrens nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Bedeutung für die Beweiswürdigung zu den verbleibenden Vorwürfen insbesondere hinsichtlich der Frage der Glaubhaftigkeit der Bekundungen des Belastungszeugen zukommen (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 160; Beschlüsse vom 30. Mai 2000 – 1 StR 183/00, BGHR StPO § 154 Abs. 2 Teileinstellung 1; vom 10. Juni 2008 – 5 StR 143/08, NStZ 2008, 581 f.; vom 9. Dezember 2008 – 5 StR 511/08, StV 2009, 116 f.; vom 23. August 2012 – 4 StR 207/12 Rn. 4; Urteil vom 16. April 2014 – 1 StR 516/13 Rn. 19 in NJW 2014, 1975 nicht abgedruckt). Ist dies nach der konk- ret gegebenen Beweissituation der Fall, ist der Tatrichter aus Gründen sachlichen Rechts gehalten, die Gründe für die Teileinstellung im Urteil mitzuteilen und sich mit deren Beweisbedeutung auseinanderzusetzen.
Ergibt sich die Erörterungsbedürftigkeit der Gründe für die Teileinstellung aus den schriftlichen Urteilsgründen, ist ein insoweit gegebener Erörterungsmangel vom Revisionsgericht auf Sachrüge hin zu beachten (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998
1 StR 94/98 aaO; Beschluss vom 24. Januar 2008 – 5 StR 585/07, NStZ-RR 2008, 254, 255). Legen dagegen die Urteilsgründe eine Bedeutung der Einstellungsgründe für die Beweiswürdigung im Übrigen nicht nahe, muss die Revision einen von ihr behaupteten Erörterungsmangel mit der Verfahrensrüge geltend machen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Mai 2000 – 1 StR 183/00 aaO; vom 10. Juni 2008 – 5 StR 143/08 aaO; vom 9. Dezember 2008 – 5 StR 511/08 aaO; vom 23. August 2012 – 4 StR 207/12 aaO). Bei der nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gebotenen Darlegung der für den behaupteten Erörterungsmangel maßgeblichen Tatsachen darf sich die Revision nicht auf die bloße Mitteilung der Teileinstellung beschränken. Sie muss sich vielmehr dazu verhalten, ob und gegebenenfalls welche Gründe für die Einstellung in der Hauptverhandlung erörtert worden sind. Erforderlich ist zumindest der Vortrag, dass für die Einstellung keine Gründe angeführt worden sind, die für die Beweiswürdigung keine Bedeutung haben (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Mai 2000 – 1 StR 183/00 aaO; Brause, NStZ 2007, 505, 511).
2. Den Gründen des angefochtenen Urteils lässt sich eine Beweisbedeutung der Gründe für die Teileinstellung des Verfahrens hinsichtlich des weiteren Körperverletzungsvorwurfs für die der Verurteilung zugrunde liegenden Beweiswürdigung nicht entnehmen. Insbesondere bieten die Urteilsausführungen keinen Anhalt dafür, dass die Teileinstellung mit der Würdigung der Glaubhaftigkeit der Bekundungen der Nebenklägerin in Zusammenhang gestanden hat. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers genügt das Revisionsvorbringen schließlich nicht den aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO resultierenden Anforderungen an eine Verfahrensrüge. Denn die Revision gibt lediglich die Passage aus den Urteilsgründen wieder, die im Rahmen der Prozessgeschichte die Verfahrenseinstellung als solche mitteilt. Dagegen fehlt jegliches Vorbringen zum Inhalt der Erörterungen und Erklärungen, die der Verfah-
renseinstellung in der Hauptverhandlung vorausgegangen sind oder sie begleitet haben.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Bender Feilcke

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Feb. 2018 - 4 StR 346/17

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Feb. 2018 - 4 StR 346/17

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 154 Teileinstellung bei mehreren Taten


(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen, 1. wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Bes

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R
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Strafprozeßordnung - StPO | § 154 Teileinstellung bei mehreren Taten


(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen, 1. wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Bes

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

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(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

4
a) Die mit der - zulässigen - Verfahrensrüge (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Mai 2000 - 1 StR 183/00, NStZ-RR 2001, 174) geltend gemachte Beanstandung , das Landgericht habe die Gründe für die Teileinstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO rechtsfehlerhaft weder in dem Einstellungsbeschluss noch in den Urteilsgründen dargelegt bzw. erörtert, bleibt im Ergebnis ohne Erfolg. Es trifft zwar zu, dass in einem Fall, in dem die Anklagevorwürfe allein auf der Aussage einer Belastungszeugin aufbauen, wegen einiger dieser Taten das Verfahren aber nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt wird, den Gründen für die Einstellung Beweisbedeutung für die Frage der Glaubwürdigkeit der einzigen Belastungszeugin zukommen kann. In einem solchen Fall kann ein Erörterungsmangel vorliegen, wenn der Grund für die Einstellung nicht mitgeteilt wird (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 10. Juni 2008 - 5 StR 143/08, NStZ 2008, 581). Unter den im vorliegenden Fall gegebenen Umständen ergibt sich daraus jedoch kein den Angeklagten beschwerender Rechtsfehler. Zum einen ist den Urteilsgründen zu entnehmen, dass der Angeklagte das jeweilige Rahmengeschehen, das den einzelnen Taten zugrunde liegt, entsprechend den Feststellungen geschildert und sich noch in seinem letzten Wort für die "reinen" Körperverletzungshandlungen entschuldigt hat; dies gilt im Fall II. 1 der Urteilsgründe auch für die Anwendung von Gewalt durch das Würgen der Geschädigten M. . Zum anderen sind die Angaben der Nebenklägerin M. über gewalttätige Reaktionen des Angeklagten in Situationen, die seinen Vorstellungen nicht entsprachen, durch die Angaben der Geschädigten G. und der Zeugin A. bestätigt worden. Im Fall II. 3 der Urteilsgründe konnte sich das Landgericht zusätzlich zu der Aussage der Geschädigten auf die Angaben des Zeugen P. und der Mutter der Geschädigten M. stützen. Im Übrigen hat sich die Strafkammer unter dem Gesichtspunkt eines möglichen Falschbelastungsmotivs umfassend mit der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin und der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben auseinandergesetzt.
19
b) Grundsätzlich kann es geboten sein, die Gründe einer Verfahrensbeschränkung in der Beweiswürdigung zu erörtern, etwa wenn mehrere gleichartige Anklagevorwürfe sich allein auf die Aussage eines Belastungszeugen stützen und ein Teil dieser Vorwürfe dann aus dem Verfahren ausgeschieden wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Dezember 2008 - 5 StR 511/08, NStZ 2009, 228 mwN und vom 30. Mai 2000 - 1 StR 183/00, NStZ-RR 2001, 174). Eine derartige Konstellation liegt hier nicht vor.
5 StR 585/07

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 24. Januar 2008
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Januar 2008

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. Juli 2007 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen sowie wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die mit Verfahrensrügen und der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
3
1. Der 43-jährige Angeklagte ist Vater des 11-jährigen T. , der sich im Sommer 2003 mit dem seinerzeit 10-jährigen Zeugen V. C. anfreundete. Bald besuchte V. , der mit seiner Mutter und fünf Geschwistern in äußerst bescheidenen und beengten Verhältnissen lebte, T. häufig zu Hause, um mit ihm dort am Computer oder mit der Playstation zu spielen; diese Möglichkeiten hatte er daheim nicht. Nach kurzer Zeit durfte der Zeuge auch gelegentlich bei T. übernachten. Da der Angeklagte damals arbeitslos war und tagsüber seine Kinder T. und die 4-jährige J. beaufsichtigte, kam es häufig vor, dass V. den Angeklagten allein in der Wohnung antraf, wenn T. noch in der Schule und das kleine Mädchen im Kindergarten war. Nachdem der Zeuge bereits mehrere Monate bei der Familie des Angeklagten ein- und ausgegangen war, kam es im Frühjahr 2004 erstmals und danach bis spätestens zum 28. März 2005 in fünf Fällen zu sexuellen Handlungen zwischen dem Angeklagten und V. .
4
In vier Fällen entblößte der Angeklagte seinen Penis vor dem Zeugen, führte alsdann dessen Hand an sein Glied, hielt die Hand fest und nahm onanierende Bewegungen bis zum Samenerguss vor. Obwohl der Junge sich ekelte, leistete er in keinem der Fälle Widerstand. Er ging jeweils davon aus, dass er keine andere Wahl habe und – sollte er versuchen wegzurennen – die Wohnungstür verschlossen sein könnte oder der Angeklagte vor ihm an der Wohnungstür sein würde. Zudem erhielt er anschließend Belohnungen in Form von Süßigkeiten, Eis oder selbstgebrannten CDs mit PC-Spielen oder Musik.
5
dem In genannten Tatzeitraum kam es schließlich auch zu einem wechselseitigen Oralverkehr. Während die Kinder des Angeklagten – im Wohnzimmer vor dem Sofa sitzend – eine Fernsehsendung verfolgten, saß der Angeklagte hinter dem Sofa auf einem Computerhocker. Er entblößte seinen Penis, bedeutete V. , sich hinzuknien und führte den Kopf des Jungen an sein Glied. Dieser führte den Oralverkehr an dem Angeklagten aus, ohne dass dieser jedoch zum Samenerguss gelangte. Anschließend zog er dem Jungen die Hose herunter und nahm dessen Glied für kurze Zeit in den Mund. Hierfür erhielt V. keine Gegenleistung, der Angeklagte versprach aber, ihm eine Musik-CD zu brennen. Der Geschädigte brachte dieses Versprechen mit dem Oralverkehr in Zusammenhang und sah sich deswegen berechtigt, die Einlösung des Versprechens zu erwarten.
6
In der Folgezeit ließ der Kontakt zwischen T. und dem Zeugen nach. T. und seine Schwester wollten nicht mehr mit ihm spielen, weil V. sehr bestimmend war. Der Angeklagte musste ihn auch mehrfach ermahnen, sich an die Regeln zu halten und untersagte ihm darüber hinaus, sexistisch gefärbte Schimpfworte zu benutzen. Möglicherweise war V. letztmalig zu Silvester 2004/2005 in der Wohnung des Angeklagten, weil er mit T. feiern wollte. Als der Angeklagte ihm mitteilte, dass T. mit einem anderen Jungen verabredet sei, reagierte der Zeuge wohl aus Eifersucht überaus aufgebracht, so dass der Angeklagte ihn der Wohnung verwies.
7
Im April 2005 sah der Zeuge eine Nachmittags-Show, in der allgemein über Sex gesprochen wurde. Hierdurch fühlte er sich an die sexuellen Handlungen mit dem Angeklagten erinnert und fing an zu weinen. Zudem war er enttäuscht, weil er die ihm einige Zeit zuvor versprochene CD nicht erhalten hatte, die er sich seiner Meinung nach durch die letzten sexuellen Handlungen „verdient“ hatte. Als seine Mutter ihn nach dem Grund der Tränen fragte, berichtete V. von den Vorfällen mit dem Angeklagten.
8
Die 2. Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
9
Angeklagte Der bestreitet die gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Die Strafkammer stützt die Verurteilung im Wesentlichen auf die Angaben des zur Tatzeit 10-jährigen und im Zeitpunkt der Hauptverhandlung 13 Jahre alten Zeugen, deren Glaubhaftigkeit eine Sachverständige bestätigt hat. In einem Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung allein davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (st. Rspr. vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1, 13 und 14). Dies gilt insbesondere dann, wenn der einzige Belastungszeuge in der Hauptverhandlung seine Vorwürfe ganz oder teilweise nicht mehr aufrechter- hält oder wenn der anfänglichen Schilderung weiterer Taten nicht gefolgt wird (vgl. BGHSt 44, 153, 159).
10
a) Ins Gewicht fällt hier zunächst, dass V. hinsichtlich einzelner Tatmodalitäten seine früheren Tatschilderungen in der Hauptverhandlung ganz erheblich abgeschwächt hat. So hat er im Ermittlungsverfahren angegeben , der Angeklagte habe ihm Schläge angedroht, wenn er die sexuellen Handlungen nicht dulde. In der Hauptverhandlung hat er konkrete Drohungen nicht mehr bekundet, sondern „ist darauf ausgewichen“, dass er „glaube“, dass der Angeklagte „irgendwas“ angedroht habe (UA S. 19). In ähnlicher Weise verhält es sich auch mit der Anzahl der sexuellen Übergriffe. Bei seiner polizeilichen Vernehmung hat er nach Aussage der Vernehmungsbeamtin von zwei Fällen des Oralverkehrs gesprochen, während er in der Hauptverhandlung erklärt hat, dass dies nur einmal vorgekommen sei. Auch im Hinblick auf seine Fluchtmöglichkeiten ist der Zeuge von seiner ursprünglichen Aussage im Ermittlungsverfahren, wonach die Wohnungstür immer abgeschlossen gewesen sei, abgewichen. In der Hauptverhandlung hat er hierzu bekundet, dass die Wohnungstür eigentlich nur nachts, wenn er dort übernachtet habe, abgeschlossen worden sei (UA S. 17).
11
Die dargelegten, möglicherweise auf das Alter des Zeugen zurückzuführenden Aussagedefizite stehen einer Wertung seiner Bekundungen als glaubhaft zwar nicht notwendig entgegen; sie bedingen jedoch eine sorgfältige Darlegung und Abgleichung dessen, was er bei seiner polizeilichen Vernehmung zu diesen Punkten im Einzelnen mitgeteilt hat. Dies gilt namentlich vor dem Hintergrund, dass das Landgericht das Verfahren wegen zehn weiterer Taten gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt hat. Den Grund für diese Teileinstellung teilt die Strafkammer nicht mit. Insoweit ist dem Urteil an anderer Stelle lediglich zu entnehmen, dass der Zeuge sich sicher nur an die festgestellten Fälle erinnere (UA S. 16). Gleichwohl könnten auch andere Gründe für die Einstellung eine Rolle gespielt haben, denen für die Frage der Glaubwürdigkeit des einzigen Belastungszeugen Bedeutung zukommen kann (vgl. BGHSt 44, 153, 160).
12
b) Des Weiteren verhält sich das Urteil nicht dazu, wann die letzte gravierende Tat stattgefunden hat. Nach der unwiderlegten Einlassung des Angeklagten hat er V. zuletzt Silvester 2004/2005 gesehen. Der Zeuge wiederum spricht von einem Tatzeitraum von Sommer 2004 bis Herbst 2004, „vielleicht auch später“. Das Landgericht legt den Feststellungen offensichtlich zugrunde, dass die letzte Tat am 28. März 2005 geschehen sein könnte. Eine genauere zeitliche Bestimmung, die ebenfalls durch einen Abgleich mit den polizeilichen Aussagen des Kindes und durch eine entsprechende Befragung von Zeugen, denen V. von den Vorfällen berichtet hatte, hätte erfolgen können, wäre für die Würdigung der Aussagegenese und -entwicklung von Bedeutung gewesen. Denn es kann einen Unterschied machen , ob sich der Zeuge nur wenige Tage nach der letzten Tat oder erst Monate später gegenüber seiner Mutter offenbart hat.
13
Das Gleiche gilt für die Frage, ob der Zeuge den Angeklagten zu Unrecht belastet haben könnte. Die Strafkammer geht davon aus, dass V. kein Motiv – insbesondere kein Rachemotiv – für eine Falschbelastung gehabt habe. Aus dem „Rausschmiss“ am Silvesterabend 2004/2005 könne ein solches Motiv nicht hergeleitet werden, weil der Angeklagte keine Reaktion auf diesen Vorfall beschrieben habe. Dies trifft so nicht zu. Der Junge hat nach der auch insoweit unwiderlegten Einlassung des Angeklagten wohl aus Eifersucht auf den neuen Freund von T. überaus aufgebracht reagiert. In diesem Zusammenhang hätte deshalb auch die Möglichkeit erörtert werden müssen, ob sich der Zeuge durch die insbesondere auch für die Kinder des Angeklagten äußerst belastenden und familiär einschneidenden Schuldvorwürfe gegen ihren Vater an T. wegen dessen „Treulosigkeit“ rächen wollte.
14
c) Schließlich hätte sich das Gericht, was den sachlichen Inhalt der Bekundungen des Zeugen betrifft, eingehender mit den äußeren Umständen des von V. geschilderten Oralverkehrs auseinandersetzen müssen. Es ist schon im Hinblick auf das hohe Entdeckungsrisiko schwer vorstellbar, dass der Angeklagte im Beisein seiner Kinder eine derartige Handlung begangen hat. Auch ist nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, weshalb sich V. in diesem Fall der Tat nicht entzogen hat, was möglich gewesen wäre. Ob diese Umstände bei der Vernehmung des V. oder des ebenfalls als Zeugen vernommenen Sohnes des Angeklagten problematisiert worden sind, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen.
VRiBGH Basdorf ist krankheitsbedingt an der Unterschrift gehindert Gerhardt Gerhardt Raum Schaal Jäger

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 183/00
vom
30. Mai 2000
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Mai 2000 gemäß § 349
Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 17. Dezember 1999 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.
a) Soweit die Revision beanstandet, das Landgericht habe das Verfahren hinsichtlich eines weiteren dem Angeklagten zur Last gelegten Vorwurfs des sexuellen Mißbrauchs der Geschädigten U. v on ähnlicher Begehungsweise und ähnlichem Gewicht wie die abgeurteilte Tat gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, ohne im Urteil dafür Gründe anzugeben, entspricht die Rüge nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Zutreffend geht die Revision zwar davon aus, daß in einem Fall, in dem der Anklagevorwurf wegen zwei Taten allein auf der Aussage einer einzigen Belastungszeugin aufbaut, wegen einer dieser Taten das Verfahren aber nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt wird, den Gründen dafür Beweisbedeutung für die entscheidende Frage der Glaubwürdigkeit der einzigen Belastungszeugin
zukommen kann; wird der Grund für die Einstellung nicht mitgeteilt, liegt darin ein Erörterungsmangel (BGH StV 1998, 580, 582). Der Beschwerdeführer hat den Mangel auch richtig als Verfahrensfehler beanstandet. Bei der Beantwortung der Frage, ob einer - möglicherweise verletzten - Rechtsnorm verfahrens- oder sachlich-rechtlicher Charakter zukommt, ist grundsätzlich darauf abzuheben, daß für die sachlich-rechtliche Überprüfung dem Revisionsgericht allein die Urteilsurkunde zur Verfügung steht; alle anderen Erkenntnisquellen sind ihm verschlossen. Soweit sich der Rechtsfehler nicht allein aus der Urteilsurkunde erschließen läßt, weil er sich auf das der Entscheidung vorausgegangene Verfahren bezieht, verbleibt es bei der Verfahrensrüge. Der von der Revision geltend gemachte Erörterungsmangel betrifft zwar insoweit das sachliche Recht, als er in den Bereich der Beweiswürdigung fällt. Doch kann die Frage, ob und was im Zusammenhang mit einer Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO zu erörtern ist, nicht notwendig aus der Urteilsurkunde allein erschlossen werden. Eine derartige Verfahrenseinstellung kann in den Urteilsgründen zwar mitgeteilt sein; eine Verpflichtung dazu allein aus verfahrensrechtlicher Sicht enthält die Strafprozeßordnung aber nicht. Selbst wenn sich das Urteil aber dazu äußert, kann diese Ä ußerung unvollständig sein, so wenn in der Hauptverhandlung Gründe für die Verfahrenseinstellung genannt wurden, diese sich aber im Urteil nicht finden. Das bedeutet, daß eine entsprechende Rüge mit der - insbesondere der nicht ausgeführten - Sachrüge nicht ausreichend begründet ist, da auf dieser Grundlage eine abschließende Prüfung nicht möglich ist. Daran ändert nichts, daß es Urteile gibt, in denen eine teilweise erfolgte Verfahrenseinstellung, die Gründe dafür und ihre Auswirkung auf die Beweiswürdigung umfassend darge-
stellt sind. Eine solche Erörterung erfolgt in der Regel nur, wenn dazu nach Meinung des Tatgerichts Anlaß bestand. Die Prüfung, ob eine - fehlende - Erörterung geboten gewesen wäre, eröffnet nur die Verfahrensrüge. Der Fall ist dem vergleichbar, daß der Tatrichter ausgeschiedenen Verfahrensstoff dem Angeklagten bei der Strafzumessung angelastet hat, ohne vorher auf diese Möglichkeit hingewiesen zu haben; auch in diesem Fehler hat die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nach einigem Schwanken einen Verfahrensfehler gesehen (BGHR StPO § 154 Abs. 1 Verwertungsverbot 1). Ist aber eine Verfahrensrüge zu erheben, muß der Revisionsführer den Sachverhalt so umfassend vortragen, daß das Revisionsgericht allein auf Grund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen der Revision zutrifft (BGH NJW 1995, 2047; BGH StV 1996, 530). Hier hat der Beschwerdeführer die Tatsache der Einstellung und die fehlende Erörterung der Gründe dafür im Urteil mitgeteilt; er hat auch, wenn auch in sehr summarischer Form, den Sachverhalt angesprochen, auf den sich die Einstellung bezog. Was fehlt ist jedoch eine Ä ußerung dazu, ob und ggf. welche Gründe für die Einstellung in der Hauptverhandlung erörtert wurden, denn die mangelnde Begründung der Einstellung im Urteil könnte im Ergebnis nur dann einen Verfahrensfehler darstellen, wenn es sich um Gründe handelte, die auf die anschließend getroffene Sachentscheidung Einfluß nehmen konnten, wie etwa zweifelhafte Glaubhaftigkeit der Angaben der einzigen Belastungszeugin zu dem eingestellten Vorfall.
Es ist auch - ungeachtet insoweit fehlender Protokollierungspflicht - in der Regel nicht so, daß eine Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO in der Hauptverhandlung kommentarlos erfolgt. Sollte es in Ausnahmefällen dennoch so sein, müßte vom Beschwerdeführer zumindest aber das Vorbringen verlangt werden, daß für die Einstellung keine Gründe angeführt wurden, die für die Beweiswürdigung ohne Bedeutung waren, wie etwa Verfahrensbeschränkung aus prozeßökonomischen Gründen.
b) Die weitere Rüge, das Landgericht habe § 261 StPO verletzt, weil es auf den Inhalt einer Reihe in der Hauptverhandlung auf Antrag der Verteidigung ganz oder teilweise verlesener Vernehmungsprotokolle, Gutachten und sonstige Urkunden nicht eingegangen sei, greift gleichfalls nicht durch. Zwar muß das Urteil erkennen lassen, daß der Tatrichter Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, in seine Überlegungen einbezogen hat (BGHR StPO § 261 Inbegriff 7, 15). Doch kann nicht aus jedem Schweigen zu den in der Hauptverhandlung erhobenen Beweisen darauf geschlossen werden, das Gericht habe diese Beweismittel unbeachtet gelassen. Die Erörterungsbedürftigkeit in den schriftlichen Gründen beurteilt sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme. Nur mit Umständen, die im Zeitpunkt der Urteilsfällung noch beweiserheblich waren, muß sich der Tatrichter im Urteil auseinandersetzen. Ob das der Fall war, läßt sich dem Beweisgehalt der Beweismittel selbst nicht ohne weiteres entnehmen. Die weitere Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung kann dem Beweismittel jede Bedeutung genommen haben. Das gilt insbesondere , soweit es sich um Beweise von Hilfstatsachen handelt, auf die die Beweisanträge der Verteidigung weitgehend abzielten. Würde man eine weitergehende Begründungspflicht verlangen, liefe das darauf hinaus, daß der
Tatrichter in seinem schriftlichen Urteil nicht das Ergebnis der Hauptverhandlung zu begründen, sondern den Gang der Hauptverhandlung zu dokumentieren hätte (vgl. G. Schäfer StV 1995, 147, 156). 2. Ebenso können die Angriffe gegen die Beweiswürdigung, die die Revision mit der Sachrüge vorbringt, keinen Erfolg haben. Insbesondere mußte sich das Landgericht nicht ausdrücklich mit der Frage einer unbewußten Suggestion der Geschädigten durch die Heimleiterin M. befassen. Die Geschädigte hatte sich zunächst dem Mitpatienten K. und später dem früheren Werkstattleiter B. offenbart. Beide sind dann mit ihr zur Sozialpädagogin Ba. gegangen, wo sie den Sachverhalt wieder in gleicher Weise schilderte. Frau Ba. bewog die Geschädigte schließlich, sich mit der Heimleiterin in Verbindung zu setzen. Bei dieser Entstehungsgeschichte der Aussage liegt die Möglichkeit einer unbewußten Suggestion durch die Heimleiterin fern. Schäfer Maul Granderath Nack Kolz
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a) Die mit der - zulässigen - Verfahrensrüge (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Mai 2000 - 1 StR 183/00, NStZ-RR 2001, 174) geltend gemachte Beanstandung , das Landgericht habe die Gründe für die Teileinstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO rechtsfehlerhaft weder in dem Einstellungsbeschluss noch in den Urteilsgründen dargelegt bzw. erörtert, bleibt im Ergebnis ohne Erfolg. Es trifft zwar zu, dass in einem Fall, in dem die Anklagevorwürfe allein auf der Aussage einer Belastungszeugin aufbauen, wegen einiger dieser Taten das Verfahren aber nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt wird, den Gründen für die Einstellung Beweisbedeutung für die Frage der Glaubwürdigkeit der einzigen Belastungszeugin zukommen kann. In einem solchen Fall kann ein Erörterungsmangel vorliegen, wenn der Grund für die Einstellung nicht mitgeteilt wird (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 10. Juni 2008 - 5 StR 143/08, NStZ 2008, 581). Unter den im vorliegenden Fall gegebenen Umständen ergibt sich daraus jedoch kein den Angeklagten beschwerender Rechtsfehler. Zum einen ist den Urteilsgründen zu entnehmen, dass der Angeklagte das jeweilige Rahmengeschehen, das den einzelnen Taten zugrunde liegt, entsprechend den Feststellungen geschildert und sich noch in seinem letzten Wort für die "reinen" Körperverletzungshandlungen entschuldigt hat; dies gilt im Fall II. 1 der Urteilsgründe auch für die Anwendung von Gewalt durch das Würgen der Geschädigten M. . Zum anderen sind die Angaben der Nebenklägerin M. über gewalttätige Reaktionen des Angeklagten in Situationen, die seinen Vorstellungen nicht entsprachen, durch die Angaben der Geschädigten G. und der Zeugin A. bestätigt worden. Im Fall II. 3 der Urteilsgründe konnte sich das Landgericht zusätzlich zu der Aussage der Geschädigten auf die Angaben des Zeugen P. und der Mutter der Geschädigten M. stützen. Im Übrigen hat sich die Strafkammer unter dem Gesichtspunkt eines möglichen Falschbelastungsmotivs umfassend mit der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin und der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben auseinandergesetzt.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 183/00
vom
30. Mai 2000
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Mai 2000 gemäß § 349
Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 17. Dezember 1999 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.
a) Soweit die Revision beanstandet, das Landgericht habe das Verfahren hinsichtlich eines weiteren dem Angeklagten zur Last gelegten Vorwurfs des sexuellen Mißbrauchs der Geschädigten U. v on ähnlicher Begehungsweise und ähnlichem Gewicht wie die abgeurteilte Tat gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, ohne im Urteil dafür Gründe anzugeben, entspricht die Rüge nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Zutreffend geht die Revision zwar davon aus, daß in einem Fall, in dem der Anklagevorwurf wegen zwei Taten allein auf der Aussage einer einzigen Belastungszeugin aufbaut, wegen einer dieser Taten das Verfahren aber nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt wird, den Gründen dafür Beweisbedeutung für die entscheidende Frage der Glaubwürdigkeit der einzigen Belastungszeugin
zukommen kann; wird der Grund für die Einstellung nicht mitgeteilt, liegt darin ein Erörterungsmangel (BGH StV 1998, 580, 582). Der Beschwerdeführer hat den Mangel auch richtig als Verfahrensfehler beanstandet. Bei der Beantwortung der Frage, ob einer - möglicherweise verletzten - Rechtsnorm verfahrens- oder sachlich-rechtlicher Charakter zukommt, ist grundsätzlich darauf abzuheben, daß für die sachlich-rechtliche Überprüfung dem Revisionsgericht allein die Urteilsurkunde zur Verfügung steht; alle anderen Erkenntnisquellen sind ihm verschlossen. Soweit sich der Rechtsfehler nicht allein aus der Urteilsurkunde erschließen läßt, weil er sich auf das der Entscheidung vorausgegangene Verfahren bezieht, verbleibt es bei der Verfahrensrüge. Der von der Revision geltend gemachte Erörterungsmangel betrifft zwar insoweit das sachliche Recht, als er in den Bereich der Beweiswürdigung fällt. Doch kann die Frage, ob und was im Zusammenhang mit einer Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO zu erörtern ist, nicht notwendig aus der Urteilsurkunde allein erschlossen werden. Eine derartige Verfahrenseinstellung kann in den Urteilsgründen zwar mitgeteilt sein; eine Verpflichtung dazu allein aus verfahrensrechtlicher Sicht enthält die Strafprozeßordnung aber nicht. Selbst wenn sich das Urteil aber dazu äußert, kann diese Ä ußerung unvollständig sein, so wenn in der Hauptverhandlung Gründe für die Verfahrenseinstellung genannt wurden, diese sich aber im Urteil nicht finden. Das bedeutet, daß eine entsprechende Rüge mit der - insbesondere der nicht ausgeführten - Sachrüge nicht ausreichend begründet ist, da auf dieser Grundlage eine abschließende Prüfung nicht möglich ist. Daran ändert nichts, daß es Urteile gibt, in denen eine teilweise erfolgte Verfahrenseinstellung, die Gründe dafür und ihre Auswirkung auf die Beweiswürdigung umfassend darge-
stellt sind. Eine solche Erörterung erfolgt in der Regel nur, wenn dazu nach Meinung des Tatgerichts Anlaß bestand. Die Prüfung, ob eine - fehlende - Erörterung geboten gewesen wäre, eröffnet nur die Verfahrensrüge. Der Fall ist dem vergleichbar, daß der Tatrichter ausgeschiedenen Verfahrensstoff dem Angeklagten bei der Strafzumessung angelastet hat, ohne vorher auf diese Möglichkeit hingewiesen zu haben; auch in diesem Fehler hat die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nach einigem Schwanken einen Verfahrensfehler gesehen (BGHR StPO § 154 Abs. 1 Verwertungsverbot 1). Ist aber eine Verfahrensrüge zu erheben, muß der Revisionsführer den Sachverhalt so umfassend vortragen, daß das Revisionsgericht allein auf Grund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen der Revision zutrifft (BGH NJW 1995, 2047; BGH StV 1996, 530). Hier hat der Beschwerdeführer die Tatsache der Einstellung und die fehlende Erörterung der Gründe dafür im Urteil mitgeteilt; er hat auch, wenn auch in sehr summarischer Form, den Sachverhalt angesprochen, auf den sich die Einstellung bezog. Was fehlt ist jedoch eine Ä ußerung dazu, ob und ggf. welche Gründe für die Einstellung in der Hauptverhandlung erörtert wurden, denn die mangelnde Begründung der Einstellung im Urteil könnte im Ergebnis nur dann einen Verfahrensfehler darstellen, wenn es sich um Gründe handelte, die auf die anschließend getroffene Sachentscheidung Einfluß nehmen konnten, wie etwa zweifelhafte Glaubhaftigkeit der Angaben der einzigen Belastungszeugin zu dem eingestellten Vorfall.
Es ist auch - ungeachtet insoweit fehlender Protokollierungspflicht - in der Regel nicht so, daß eine Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO in der Hauptverhandlung kommentarlos erfolgt. Sollte es in Ausnahmefällen dennoch so sein, müßte vom Beschwerdeführer zumindest aber das Vorbringen verlangt werden, daß für die Einstellung keine Gründe angeführt wurden, die für die Beweiswürdigung ohne Bedeutung waren, wie etwa Verfahrensbeschränkung aus prozeßökonomischen Gründen.
b) Die weitere Rüge, das Landgericht habe § 261 StPO verletzt, weil es auf den Inhalt einer Reihe in der Hauptverhandlung auf Antrag der Verteidigung ganz oder teilweise verlesener Vernehmungsprotokolle, Gutachten und sonstige Urkunden nicht eingegangen sei, greift gleichfalls nicht durch. Zwar muß das Urteil erkennen lassen, daß der Tatrichter Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, in seine Überlegungen einbezogen hat (BGHR StPO § 261 Inbegriff 7, 15). Doch kann nicht aus jedem Schweigen zu den in der Hauptverhandlung erhobenen Beweisen darauf geschlossen werden, das Gericht habe diese Beweismittel unbeachtet gelassen. Die Erörterungsbedürftigkeit in den schriftlichen Gründen beurteilt sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme. Nur mit Umständen, die im Zeitpunkt der Urteilsfällung noch beweiserheblich waren, muß sich der Tatrichter im Urteil auseinandersetzen. Ob das der Fall war, läßt sich dem Beweisgehalt der Beweismittel selbst nicht ohne weiteres entnehmen. Die weitere Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung kann dem Beweismittel jede Bedeutung genommen haben. Das gilt insbesondere , soweit es sich um Beweise von Hilfstatsachen handelt, auf die die Beweisanträge der Verteidigung weitgehend abzielten. Würde man eine weitergehende Begründungspflicht verlangen, liefe das darauf hinaus, daß der
Tatrichter in seinem schriftlichen Urteil nicht das Ergebnis der Hauptverhandlung zu begründen, sondern den Gang der Hauptverhandlung zu dokumentieren hätte (vgl. G. Schäfer StV 1995, 147, 156). 2. Ebenso können die Angriffe gegen die Beweiswürdigung, die die Revision mit der Sachrüge vorbringt, keinen Erfolg haben. Insbesondere mußte sich das Landgericht nicht ausdrücklich mit der Frage einer unbewußten Suggestion der Geschädigten durch die Heimleiterin M. befassen. Die Geschädigte hatte sich zunächst dem Mitpatienten K. und später dem früheren Werkstattleiter B. offenbart. Beide sind dann mit ihr zur Sozialpädagogin Ba. gegangen, wo sie den Sachverhalt wieder in gleicher Weise schilderte. Frau Ba. bewog die Geschädigte schließlich, sich mit der Heimleiterin in Verbindung zu setzen. Bei dieser Entstehungsgeschichte der Aussage liegt die Möglichkeit einer unbewußten Suggestion durch die Heimleiterin fern. Schäfer Maul Granderath Nack Kolz

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.