Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Jan. 2015 - 5 StR 473/14

bei uns veröffentlicht am15.01.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR473/14
vom
15. Januar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Januar 2015 beschlossen
:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Berlin vom 1. Juli 2014 nach § 349 Abs. 4 StPO im
Ausspruch über den Vorwegvollzug aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO
als unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und in der Sicherungsverwahrung angeordnet und bestimmt, dass ein Jahr und sechs Monate der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung in der Entziehungsanstalt zu vollziehen sind. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat lediglich in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
2
1. Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, soweit es sich gegen den Schuld- und den Strafausspruch richtet; auch der Maßregelausspruch hat Bestand. Es beschwert den Angeklagten nicht, dass das Landgericht der Anordnung von Sicherungsverwahrung eine strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung im Sinne der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 128, 326) für die Zeit der Weitergeltung des § 66 StGB bis zum Inkrafttreten einer verfassungskonformen gesetzlichen Neuregelung aufgestellten Anforderungen zu Grunde gelegt hat, obgleich die Anlasstat am 18./19. November 2013 begangen wurde, mithin nach Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I, 2425; vgl. zur Anwendbarkeit des § 66 StGB nach Maßgabe einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung auch nach Inkrafttreten der Neuregelung für bis zum 31. Mai 2013 begangene Straftaten BGH, Urteil vom 11. März 2014 – 5 StR 563/13, BGHR StGB § 66 Strikte Verhältnismäßigkeit bei bis zum 31. Mai 2013 begangenen Anlasstaten 1; Beschluss vom 17. April 2014 – 3 StR 355/13, NStZ-RR 2014, 207).
3
Es kann auch dahinstehen, ob das Landgericht bei der Prüfung des Eintritts von Rückfallverjährung nach der Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung vom 6. Oktober 2001 zu Recht auf die Fünfzehnjahresfrist des § 66 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 StGB abgestellt hat oder ob diese – wofür der Wortlaut der Vorschrift und die Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucks. 17/3403, S. 25) sprechen – nur dann gilt, wenn sowohl die Vortat als auch die Anlasstat Sexualstraftaten sind. Denn jedenfalls ist auch bei Zugrundelegung der Fünfjahresfrist des § 66 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 1 StGB keine Rückfallverjährung eingetreten.
4
2. Die vom Landgericht vorgenommene Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs der Maßregel ist jedoch rechtsfehlerhaft. Denn die Strafkammer hat es unterlassen, in dem Urteil mitzuteilen, wie lange die Unterbringung des Angeklagten voraussichtlich erforderlich sein wird (vgl. dazu etwa BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2012 – 4 StR 409/12). Die Dauer des Vorwegvollzugs ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB, also eine Entlassung zum Halbstrafenzeitpunkt, möglich ist. Das zur neuen Verhandlung und Entscheidung berufene Tatgericht wird – unter erneuter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) – bei der Berechnung des vorweg zu vollstreckenden Teils der Freiheitsstrafe die voraussichtlich notwendige Therapiedauer feststellen und diese von den zwei Jahren und sechs Monaten – der Hälfte der (nunmehr rechtskräftig) erkannten Freiheitsstrafe – abziehen müssen.
5
Es wird überdies § 72 Abs. 3 Satz 1 StGB zu beachten und die Reihenfolge der Vollstreckung der Maßregeln zu bestimmen haben (BGH, Beschluss vom 21. Dezember 1994 – 3 StR 347/94, NStZ 1995, 284). Dabei ist die Unterbringung in der Entziehungsanstalt im Zweifel grundsätzlich vor der Sicherungsverwahrung zu vollstrecken, weil eine erfolgreiche Entziehungskur die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung (§ 67c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB) oder jedenfalls günstigere Voraussetzungen für die Resozialisierung in der Sicherungsverwahrung schaffen kann.
6
Einer Aufhebung der Feststellungen bedarf es nicht. Bei der voraussichtlichen Therapiedauer handelt es sich um eine ergänzende Feststellung.
Sander Schneider Dölp
Berger Bellay

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Jan. 2015 - 5 StR 473/14

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

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Strafprozeßordnung - StPO | § 246a Vernehmung eines Sachverständigen vor Entscheidung über eine Unterbringung


(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Ange
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
EGStGB § 316f Abs. 2 Satz 1
Wegen bis zum 31. Mai 2013 begangener Taten darf die Sicherungsverwahrung
weiterhin nur mit der Einschränkung strikter
Verhältnismäßigkeit im Sinne des Urteils des Bundesverfassungsgerichts
vom 4. Mai 2011 (BVerfGE 128, 326) angeordnet
werden.
BGH, Urteil vom 11. März 2014 – 5 StR 563/13
LG Cottbus –
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR563/13
vom
11. März 2014
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
vom 18. Februar und 11. März 2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Prof. Dr. Sander,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dr. Berger,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt ,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
in der Sitzung vom 11. März 2014 für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 17. Juli 2013 aufgehoben
a) mit den zugehörigen Feststellungen, soweit von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist,
b) zugunsten des Angeklagten im gesamten Strafausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht, sowie wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in 19 weiteren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt; wegen der Missbrauchstaten hat es Einzelfreiheitsstrafen von drei Jahren sowie von neun Monaten für tat- und schuldangemessen erachtet. Die vom Generalbundesanwalt vertretene, soweit sie zum Nachteil des Angeklagten geführt wird, wirksam auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkte und auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
3
a) Der im Zeitpunkt der Hauptverhandlung 63-jährige Angeklagte, der bereits in den Jahren 2000 und 2007 jeweils wegen mehrerer Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt worden war, besuchte Ende Mai 2012 den gesondert verfolgten R. , den er während seiner Inhaftierung kennengelernt hatte. In der Wohnung des R. hielt sich der 13-jährige C. auf. Der Angeklagte und R. vereinbarten, dass der Angeklagte gegen Zahlung von 50 Euro mit C. sexuellen Kontakt aufnehmen könne. Der Geschädigte war damit einverstanden. Im Beisein des R. führte der Angeklagte bei dem Geschädigten den Oralverkehr durch und veranlasste ihn, bei dem Angeklagten den Analverkehr auszuüben. Während dieser sexuellen Handlungen masturbierte R. vor dem Geschädigten. Anschließend onanierte der Angeklagte vor dem Geschädigten bis zum Samenerguss. Danach gab der Angeklagte R. 50 Euro, wovon 30 Euro für den Geschädigten bestimmt waren (Tat 1).
4
Im Sommer 2012 unterhielt der Angeklagte über Skype Kontakt zu R. und dem zwölf Jahre alten Geschädigten L. , der sich in der Wohnung des R. aufhielt. Bei der Übertragung onanierte der Angeklagte vor R. und dem Geschädigten (Tat 2).
5
Bei beiden Taten handelte der Angeklagte entgegen einer ihm im Rahmen der Führungsaufsicht erteilten Kontaktverbotsweisung.
6
Entgegen dieser Weisung unterhielt der Angeklagte darüber hinaus Kontakte zu dem 13-jährigen W. , der ihm von Ende 2011 bis Sommer 2012 an 19 Tagen bei Problemen mit seinem Computer und dem Internet half (Taten 3 bis 21).
7
b) Sachverständig beraten hat das Landgericht festgestellt, dass bei dem Angeklagten eine Pädophilie vorliege, wobei sein „sexueller Hang“ Jungen gelte , die bereits sekundäre Geschlechtsmerkmale aufweisen. Die pädophile sexuelle Ausrichtung sei indes für den Angeklagten, der in der Vergangenheit zeitweise in Lebenspartnerschaften, teils mit Männern, teils mit Frauen, gelebt hatte, „nur eine von mehreren Varianten der für ihn attraktiven sexuellen Betätigung , wobei seine sexuelle Appetenz breit ausgerichtet“ sei (UA S. 6, 8). Bei Begehung seiner Taten sei der Angeklagte weder in seiner Einsichts- noch in seiner Steuerungsfähigkeit gemindert gewesen. Er habe vielmehr günstige und relativ sicher erscheinende Gelegenheiten abwarten können, die er dann wiederholt zu sexuellen Handlungen ausgenutzt habe.
8
2. Das Urteil ist hinsichtlich des Absehens von der Anordnung der Sicherungsverwahrung aufzuheben.
9
a) Die Strafkammer hat die Verhängung einer Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten, „der deutlich Merkmale eines Hangtäters aufweist“, nicht „konkret erwogen“, weil sie anhand der ihr „zugänglichen Gesetzestexte“ davon ausgegangen ist, dass nach der Entscheidung des Bundesverfassungs- gerichts vom 4. Mai 2011, die den § 66 StGB „für verfassungswidrig und nichtig erklärt“ habe, und nach Ablauf der bis zum 31. Mai 2013 geltenden Übergangs- frist „bislang noch keine neue Regelung durch den Gesetzgeber getroffen wor- den sei“ (UA S. 11). Sie hat dabei übersehen, dass am 1. Juni 2013 das „Ge- setz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Si- cherungsverwahrung“ vom 5. Dezember 2012 (BGBl.I 2425) in Kraft getreten ist, durch das das genannte Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 128, 326) umgesetzt wurde. Für die abgeurteilten Tatzeiträume ist danach – mit der nachfolgend unter c) aa) dargestellten Einschränkung – § 66 StGB in der Fassung des „Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Siche- rungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen“ vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I 2300) anzuwenden (Art. 316e Abs. 1 Satz 1, Art. 316f Abs. 2 Satz 1 EGStGB).
10
b) Ungeachtet der fehlenden Angabe von Tatzeiten, Einzelstrafen und Haftzeiten aus den beiden genannten Vorverurteilungen sind jedenfalls die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB gegeben; möglicherweise liegen sogar diejenigen des § 66 Abs. 1 StGB vor. Nach den Ausführungen des Landgerichts ist es darüber hinaus – wenngleich die beschwerdeführende Staatsanwaltschaft nicht auf Anordnung von Sicherungsverwahrung angetragen hat – möglich, dass auch die materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB erfüllt sind.
11
c) Auch die aufgrund der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts (aaO) nach Ansicht des Senats – im Einklang mit der vom Verteidiger in der Revisionshauptverhandlung vertretenen Auffassung – im vorlie- genden „Altfall“ weiterhin vorzunehmende „strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung" (nachfolgend aa)) steht der Anordnung der Sicherungsverwahrung hier nicht von vornherein entgegen (nachfolgend bb)).
12
aa) Die am 1. Juni 2013 in Kraft getretene Neuregelung enthält überaus kompliziert ausgestaltete Übergangsvorschriften (vgl. Fischer, StGB, 61. Aufl., § 66 Rn. 17; Jehle in SSW-StGB, 2. Aufl., § 66 Rn. 5, 52). Hiernach sind für die abgeurteilten Tatzeiträume gemäß Art. 316f Abs. 2 Satz 1 EGStGB „die bis zum 31. Mai 2013 geltenden Vorschriften über die Sicherungsverwahrung“ (nach Maßgabe der hier nicht einschlägigen Sätze 2 bis 4) anzuwenden. Gemäß Art. 316e Abs. 1 Satz 1 EGStGB handelt es sich um § 66 StGB in der Fassung des „Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen“ vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I 2300). Diese Vor- schrift war zur Tatzeit nur mit der Maßgabe „strikter Verhältnismäßigkeit“ anzu- wenden, die das Bundesverfassungsgericht in dem genannten Urteil (aaO, S. 406, Rn. 172) gemäß § 35 BVerfGG wegen ihrer Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz infolge Verletzung des Abstandsgebotes einschränkend verlangt hat.
13
Indem der Gesetzgeber in der Übergangsvorschrift ausdrücklich auf die bisherigen Vorschriften abgestellt hat, hat er – freilich entgegen seiner erklärten Absicht (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 7. November 2012, BT-Drucks. 17/11388 S. 24; entsprechend wohl schon der Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 17/9874 S. 12) – die zur Tatzeit geltende Rechtslage fortgeschrieben , damit aber auch die Einschränkung aufgrund der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts. Der Wortlaut der Übergangsvorschrift muss, da er die bisherige Rechtslage hervorhebt, vom Normadressaten nach Auffassung des Senats im Sinne eines solchen Vertrauensschutzes verstanden werden (so auch Renzikowski, NJW 2013, 1638, 1642; abweichend Jehle, aaO Rn. 54; Zimmermann, HRRS 2013, 164, 170). Dass der Gesetzgeber in den Folgesätzen weitergehende ausdrückliche Fortschreibungen vom Bundesverfassungsgericht vorgegebener Einschränkungen für Fälle besonderen Vertrauensschutzes vorgenommen hat (BVerfG, aaO Rn. 173; vgl. dazu den Gesetzentwurf der Bundesregierung, aaO; Zimmermann, aaO, S. 166), rechtfertigt an- gesichts des rückbezogenen Wortlauts der Regelung des ersten Satzes trotz des entsprechenden Willens des Gesetzgebers nicht, die Einschränkung des Bundesverfassungsgerichts für sonstige vor Inkrafttreten der Neuregelung begangene Taten als überwunden zu verstehen.
14
Zu einem so weit gehenden Vertrauensschutz wäre der Gesetzgeber nach Art. 103 Abs. 2 GG zwar nicht verpflichtet gewesen, womöglich auch nicht nach dem Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes (vgl. § 2 Abs. 6 StGB). Eine vertrauensschützende Fortgeltungsanordnung, wie sie der Senat dem Wortlaut des Art. 316f Abs. 2 Satz 1 EGStGB entnimmt, ist indes unbedenklich und rechtsstaatlich ausgewogen. Andernfalls müssten nämlich Täter, die – wie der Angeklagte – ihre Anlasstat vor Inkrafttreten der Neuregelung begangen haben, eine Rechtsverschärfung gegenüber der Rechtslage zur Tatzeit hinnehmen, ohne dass diese im Sinne des Opferschutzes, an dem die vom Bundesverfassungsgericht verlangte einschränkende Maßgabe strikter Verhältnismäßigkeit sich orientiert, unerlässlich wäre; dies würde insbesondere auch in Fällen wie dem vorliegenden gelten, die nicht bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung des Abstandsgebotes am 1. Juni 2013 tatgerichtlich abgeurteilt worden sind, obgleich dies ohne weiteres möglich gewesen wäre (hier: Tatzeit bis Sommer 2012; Inhaftierung des Angeklagten im November 2012; Anklage im Februar 2013). Soweit der Senat bislang die Fortgeltung des vom Bundesverfassungsgericht für die Weitergeltung des § 66 StGB verlangten Maßstabes strikter Verhältnismäßigkeit aufgrund im Rechtsstaatsprinzip verankerten Vertrauensschutzes nur in Fällen verlangt hat, in denen – anders als hier – ein tatgerichtliches Urteil bereits vor Inkrafttreten dieses Gesetzes ergangen war (BGH, Urteile vom 23. April 2013 – 5 StR 610 und 617/12 – und 12. Juni 2013 – 5 StR 129/13, NStZ 2013, 522 und 524), brauchte er ein weitergehendes ver- trauensschützendes Verständnis von der Übergangsvorschrift nicht zu erwägen.
15
bb) Bei „strikter Verhältnismäßigkeitsprüfung" scheidet die Anordnung der Sicherungsverwahrung im vorliegenden Fall – entgegen der Auffassung der Verteidigung in der Revisionshauptverhandlung – nicht von vornherein aus.
16
Zumindest Taten des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176a Abs. 1 Nr. 1 StGB, wie sie der Angeklagte wiederholt begangen hat, sind im Hinblick auf die für die Tatopfer oftmals gewichtigen psychischen Auswirkungen und die hohe Strafdrohung unabhängig von körperlicher Gewaltanwendung – unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls – grundsätzlich als schwere Sexualstraftaten im Sinne der Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts zu werten (vgl. BGH, Urteile vom 23. April 2013 – 5 StR 617/12 und vom 19. Februar 2013 – 1 StR 275/12, jeweils NStZ-RR 2014, 43). Allerdings werden bei der tatgerichtlichen Wertung das fortgeschrittene Lebensalter des Angeklagten und seine nicht auf Kinder fixierten sexuellen Neigungen zu bedenken sein sowie der Umstand, dass die einzige schwerwiegende abgeurteilte Tat des Angeklagten zum Nachteil eines bereits 13-jährigen Jungen verübt wurde, der ohne Zwangseinwirkung bereit war, entsprechende Sexualpraktiken gegen Entgelt hinzunehmen. Freilich gebietet die letztgenannte Besonderheit auch vor dem Hintergrund der mit Hilfe des Sachverständigen konkret festgestellten Neigungen des Angeklagten, günstige „Gelegenheiten“ auszunutzen, bei denen die jeweiligen Geschädigten die sexu- ellen Handlungen bereitwillig ausführen ließen (UA S. 8), mit Blick auf Opferschutzgesichtspunkte für sich genommen noch nicht die Annahme eines Aus- nahmefalles. Immerhin bleibt zu beachten, dass gerade „wahrlose“ Kinder, die von ihren Familien und ihrem sonstigen sozialen Nahraum ersichtlich keinen ausreichenden Schutz erfahren und deshalb anfällig dafür sind, Opfer sexuellen Missbrauchs zu werden, auf den Schutz des Strafrechts vor schweren sexuellen Übergriffen angewiesen sind. Der Umstand, dass der Angeklagte sich die Bereitschaft des Jungen zur Hinnahme sexueller Handlungen durch Geldzah- lungen erkaufte, kann zudem ein frühes Abgleiten des Geschädigten in die Prostitution und einen sozial randständigen Lebensstil begünstigen.
17
d) Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht wird unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 1 StPO) die Voraussetzungen des § 66 StGB – unter der Einschränkung strikter Verhältnismäßigkeit – zu prüfen, für den Fall des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB darüber hinaus die gebotene Ermessensentscheidung zu treffen haben. Dem Antrag des Generalbundesanwalts folgend hebt der Senat zugunsten des Angeklagten den gesamten Strafausspruch auf (§ 301 StPO), da nicht sicher auszuschließen ist, dass er milder ausgefallen wäre, wenn das Tatgericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet hätte.
Basdorf Sander Schneider
Berger Bellay

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 3 5 5 / 1 3
vom
17. April 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 17. April 2014 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 11. Juni 2013 im Ausspruch über die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aufgehoben; dieser entfällt.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dadurch dem Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, die besondere Schwere seiner Schuld festgestellt und gemäß § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
2
Das Rechtsmittel ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zum Schuld- und zum Strafausspruch unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung kann hingegen keinen Bestand haben.
3
Nach Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung (BGBl. I 2012, S. 2425) am 1. Juni 2013 sind für Anlasstaten, die vor diesem Stichtag begangen wurden , gemäß Art. 316f Abs. 2 Satz 1 EGStGB die bis zum 31. Mai 2013 geltenden Vorschriften über die Sicherungsverwahrung anzuwenden, hier - wovon auch das Landgericht ausgegangen ist - nach Art. 316e Abs. 1 Satz 1 EGStGB mithin § 66 StGB in der Fassung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Gesetzen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I 2010, S. 2300). Zur Tatzeit war diese Vorschrift indes gemäß der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2333/08 u.a., BVerfGE 128, 326) nur nach Maßgabe einer "strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung" anwendbar, die Sicherungsverwahrung mithin nur anzuordnen, wenn der damit verbundene Eingriff gegen den Angeklagten unerlässlich war, um die Ordnung des betroffenen Lebensbereichs aufrecht zu erhalten (BVerfG aaO, BVerfGE 128, 326, 406).
4
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt dieser Maßstab aus Gründen des Vertrauensschutzes für Taten fort, die vor dem 31. Mai 2013 begangen wurden, und zwar nicht nur dann, wenn die Neuregelungen zwischen dem tatgerichtlichen Urteil und der Revisionsentscheidung in Kraft getreten sind (BGH, Urteile vom 23. April 2013 - 5 StR 610/12, BGHR StGB § 66 Verhältnismäßigkeit 2 und 5 StR 617/12, juris Rn. 19; Urteil vom 12. Juni 2013 - 5 StR 129/13, NStZ 2013, 524, 525; siehe auch Urteil vom 24. Oktober 2013 - 4 StR 124/13, NJW 2013, 3735), sondern auch dann, wenn bereits das erstinstanzliche Urteil nach Inkrafttreten der Neuregelungen ergangen ist (BGH, Urteil vom 11. März 2014 - 5 StR 563/13, NJW 2014, 1316).
5
Bei Durchführung der vorgenannten strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung erweist sich im Rahmen der nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB zu treffenden Ermessensentscheidung die Anordnung von Sicherungsverwahrung neben der Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe nicht als unerlässlich, weil die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Strafe (vgl. § 57a StGB) und der Maßregel (vgl. § 67c StGB) in der Praxis gleich zu handhaben sind und deshalb ein Fall, in dem die Freiheitsstrafe unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit zur Bewährung ausgesetzt werden könnte, aber gleichwohl die Maßregel wegen fortdauernder Gefährlichkeit des Betroffenen noch vollstreckt werden dürfte, kaum denkbar erscheint (BGH, Urteil vom 10. Januar 2013 - 3 StR 330/12, juris Rn. 6). Dies entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Ermessensentscheidung nach § 66 Abs. 2 StGB (BGH aaO sowie Urteil vom 25. Juli 2012 - 2 StR 111/12, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 8); für die Entscheidung nach § 66 Abs. 3 StGB gilt nichts anderes (BGH, Urteil vom 12. Juni 2013 - 5 StR 129/13, NStZ 2013, 524, 525). Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hat deshalb zu entfallen.
6
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 4 StPO. Angesichts der aufgezeigten gleichen Handhabung der Voraussetzungen für die Aussetzung von Restfreiheitsstrafe und Maßregel führt der Wegfall der Sicherungsverwahrung nicht zu einer spürbaren Besserstellung des Angeklagten, so dass es nicht unbillig erscheint, ihn mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels, mit dem er sich umfänglich auch gegen den Schuld- und Strafausspruch gewandt hat, zu belasten.
Schäfer Hubert Mayer Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 409/12
vom
4. Dezember 2012
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes u. a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 4. Dezember 2012 gemäß § 349
Abs. 2 und Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 11. Mai 2012 im Ausspruch über den Vorwegvollzug aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes, wegen Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und wegen Computerbetruges in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt , die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass ein Jahr und sechs Monate der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung zu vollziehen sind. Gegen die Verurteilung richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Sie hat lediglich in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
2
Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, soweit es sich gegen den Schuld- und den Strafausspruch richtet; auch die Anordnung zur Unterbringung in der Entziehungsanstalt weist keinen Rechtsfehler auf.
3
Die vom Landgericht vorgenommene Bestimmung der Dauer des Vorwegvollzugs der Maßregel ist jedoch nicht nachvollziehbar und daher rechtsfehlerhaft. Denn die Strafkammer hat es unterlassen, in dem Urteil mitzuteilen, wie lange die Unterbringung des Angeklagten voraussichtlich erforderlich sein wird (vgl. dazu etwa BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 4 StR 448/10; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 67 Rn. 11b mwN). Die Dauer des Vorwegvollzugs ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB, also eine Entlassung zum Halbstrafenzeitpunkt, möglich ist. Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter wird - unter erneuter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Satz 2 StPO) - bei der Berechnung des vorweg zu vollstreckenden Teils der Freiheitsstrafe die voraussichtlich notwendige Therapiedauer feststellen und diese von den drei Jahren - der Hälfte der (nunmehr rechtskräftig) erkannten Freiheitsstrafe - abziehen müssen.
4
Einer Aufhebung der Feststellungen bedarf es nicht. Bei der voraussichtlichen Therapiedauer handelt es sich um eine ergänzende Feststellung; die weiteren für § 67 Abs. 2, 5 StGB relevanten Feststellungen wurden rechtsfehlerfrei getroffen.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Bender Reiter

(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen.

(2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird. Bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren soll das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Dieser Teil der Strafe ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach Absatz 5 Satz 1 möglich ist. Das Gericht soll ferner bestimmen, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn die verurteilte Person vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und zu erwarten ist, dass ihr Aufenthalt im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe beendet wird.

(3) Das Gericht kann eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 nachträglich treffen, ändern oder aufheben, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen. Eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 kann das Gericht auch nachträglich treffen. Hat es eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 getroffen, so hebt es diese auf, wenn eine Beendigung des Aufenthalts der verurteilten Person im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe nicht mehr zu erwarten ist.

(4) Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind.

(5) Wird die Maßregel vor der Strafe oder vor einem Rest der Strafe vollzogen, so kann das Gericht die Vollstreckung des Strafrestes unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 zur Bewährung aussetzen, wenn die Hälfte der Strafe erledigt ist. Wird der Strafrest nicht ausgesetzt, so wird der Vollzug der Maßregel fortgesetzt; das Gericht kann jedoch den Vollzug der Strafe anordnen, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen.

(6) Das Gericht bestimmt, dass eine Anrechnung nach Absatz 4 auch auf eine verfahrensfremde Strafe erfolgt, wenn deren Vollzug für die verurteilte Person eine unbillige Härte wäre. Bei dieser Entscheidung sind insbesondere das Verhältnis der Dauer des bisherigen Freiheitsentzugs zur Dauer der verhängten Strafen, der erzielte Therapieerfolg und seine konkrete Gefährdung sowie das Verhalten der verurteilten Person im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Die Anrechnung ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die der verfahrensfremden Strafe zugrunde liegende Tat nach der Anordnung der Maßregel begangen worden ist. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.

(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.

(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.

(1) Sind die Voraussetzungen für mehrere Maßregeln erfüllt, ist aber der erstrebte Zweck durch einzelne von ihnen zu erreichen, so werden nur sie angeordnet. Dabei ist unter mehreren geeigneten Maßregeln denen der Vorzug zu geben, die den Täter am wenigsten beschweren.

(2) Im übrigen werden die Maßregeln nebeneinander angeordnet, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt.

(3) Werden mehrere freiheitsentziehende Maßregeln angeordnet, so bestimmt das Gericht die Reihenfolge der Vollstreckung. Vor dem Ende des Vollzugs einer Maßregel ordnet das Gericht jeweils den Vollzug der nächsten an, wenn deren Zweck die Unterbringung noch erfordert. § 67c Abs. 2 Satz 4 und 5 ist anzuwenden.

(1) Wird eine Freiheitsstrafe vor einer wegen derselben Tat oder Taten angeordneten Unterbringung vollzogen und ergibt die vor dem Ende des Vollzugs der Strafe erforderliche Prüfung, dass

1.
der Zweck der Maßregel die Unterbringung nicht mehr erfordert oder
2.
die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung unverhältnismäßig wäre, weil dem Täter bei einer Gesamtbetrachtung des Vollzugsverlaufs ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 2 in Verbindung mit § 66c Absatz 1 Nummer 1 nicht angeboten worden ist,
setzt das Gericht die Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus; mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein. Der Prüfung nach Satz 1 Nummer 1 bedarf es nicht, wenn die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung im ersten Rechtszug weniger als ein Jahr vor dem Ende des Vollzugs der Strafe angeordnet worden ist.

(2) Hat der Vollzug der Unterbringung drei Jahre nach Rechtskraft ihrer Anordnung noch nicht begonnen und liegt ein Fall des Absatzes 1 oder des § 67b nicht vor, so darf die Unterbringung nur noch vollzogen werden, wenn das Gericht es anordnet. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Das Gericht ordnet den Vollzug an, wenn der Zweck der Maßregel die Unterbringung noch erfordert. Ist der Zweck der Maßregel nicht erreicht, rechtfertigen aber besondere Umstände die Erwartung, daß er auch durch die Aussetzung erreicht werden kann, so setzt das Gericht die Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus; mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein. Ist der Zweck der Maßregel erreicht, so erklärt das Gericht sie für erledigt.