Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Jan. 2000 - 5 StR 651/99

bei uns veröffentlicht am11.01.2000

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 651/99

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 11. Januar 2000
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Januar 2000

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten Z wird das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 22. Juli 1999 nach § 349 Abs. 4 StPO im Gesamtstrafausspruch gegen diesen Angeklagten aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Beschwerdeführer wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung, Diebstahls in vier Fällen und versuchten Diebstahls in zwei Fällen unter Einbeziehung anderweits rechtskräftig verhängter Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine Revision ist zum Schuldspruch und zu den Einzelstrafaussprüchen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Sie führt jedoch mit der Sachrüge zur Aufhebung des Gesamtstrafausspruchs.
Allerdings sind die Ausgangsüberlegungen des Tatrichters bei Anwendung des § 55 Abs. 1 StGB zunächst weitgehend nicht zu beanstanden. So hat er rechtsfehlerfrei die verhängten Einzelstrafen mit den rechtskräftigen Einzelstrafen aus dem nach Begehung der Taten ergangenen Urteil des Amtsgerichts Neubrandenburg vom 18. Juni 1997 (Zäsur im Sinne des § 55 Abs. 1 StGB) und aus vier späteren rechtskräftigen Vorverurteilungen, die ebenfalls Taten vor der genannten Zäsur betrafen, auf eine Gesamtfreiheitsstrafe zurückgeführt. Da alle jene Taten erst in den Jahren 1996 und 1997 begangen worden waren, hat der Tatrichter mit Recht die Einzelstrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Neubrandenburg vom 23. Februar 1995 und vom 12. August 1997 nicht in die Gesamtstrafe einbezogen, weil die mit jenen Urteilen abgeurteilten Taten bereits vor Februar 1995, der durch das erstgenannte dieser Urteile begründeten weiteren früheren (ersten) Zäsur, begangen worden waren (BGHSt 44, 179, 180 f. m.w.N.). Zutreffend hat sich der Tatrichter zu dieser Einbeziehung auch durch die Rechtskraft der letzten Vorverurteilung durch das Landgericht Neubrandenburg vom 11. Dezember 1998 nicht veranlaßt gesehen, obgleich in dessen Gesamtfreiheitsstrafe (sechs Jahre und sechs Monate) neben den auch hier einbezogenen weiteren Einzelstrafen aus vier früheren Vorverurteilungen rechtsfehlerhaft auch die Einzelstrafen aus den die erste Zäsur betreffenden Vorverurteilungen einbezogen worden waren. Die Rechtskraft einer fehlerhaften Gesamtstrafbildung steht bei weiterer nachträglicher Gesamtstrafbildung gemäß § 55 Abs. 1 StGB der nunmehr gebotenen Korrektur nicht entgegen (BGHSt 35, 243; BGHR StGB § 55 Abs. 1 - Einbeziehung 3 sowie § 55 Abs. 1 Satz 1 - Strafen, einbezogene 4; Stree in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl. § 55 Rdn. 17 m.w.N.).
Diese zulässige und notwendige Korrektur berechtigte den Tatrichter aber nicht, die vom Landgericht Neubrandenburg rechtskräftig aufgehobene Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Neubrandenburg vom 12. August 1997 (zwei Jahre und vier Monate), welche die weiteren fälschlich einbezogenen Einzelstrafen für die Taten vor der ersten Zäsur betroffen hatte , „wieder aufleben” zu lassen. Diese Gesamtstrafe hatte ihre Wirkung durch das rechtskräftige Urteil des Landgerichts Neubrandenburg endgültig eingebüßt. Der Tatrichter hätte insoweit selbst eine neue weitere Gesamtfreiheitsstrafe bilden müssen; er wäre freilich nicht gehindert gewesen, sie wieder in gleicher Höhe festzusetzen (BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 - Strafen, einbezogene 2 a.E., insoweit in BGHSt 35, 243 nicht abgedruckt).
Schon weil der Tatrichter insoweit keine eigenen Strafzumessungserwägungen angestellt und weder die vor der ersten Zäsur begangenen Taten hinreichend konkret bezeichnet noch die hierfür verhängten Einzelstrafen mitgeteilt hat (vgl. BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 - Strafen, einbezogene 1), sieht sich der Senat nicht in der Lage, etwa von sich aus auf eine solche weitere (erste) Gesamtfreiheitsstrafe durchzuentscheiden. Vielmehr hebt er auch die hier verhängte (zweite) Gesamtfreiheitsstrafe auf, die für den Beschwerdeführer zusammen mit der alten, fälschlich als „wiederaufgelebt” angesehenen (ersten) Gesamtfreiheitsstrafe zu einer beträchtlichen Erhöhung der bisherigen Gesamtstrafenlast - um insgesamt drei Jahre und vier Monate - geführt hat. Dem neuen Tatrichter ist so Gelegenheit zu umfassender neuer Gesamtstrafabwägung gegeben. Hierbei werden der enge zeitliche Zusammenhang zwischen sämtlichen Taten, welche die Einzelstrafen der zweiten Gesamtstrafbildung betreffen, der beträchtliche zeitliche Abstand zwischen Tatbegehungen und endgültiger Sanktionierung, das verhältnismäßig niedrige Alter des Beschwerdeführers und die Höhe der Einsatzstrafe für die zweite Gesamtstrafe - drei Jahre und sechs Monate Freiheitsstrafe aus der letzten Vorverurteilung - besonders zu beachten sein.
Die notwendigen Feststellungen zu Tatzeiten, Aburteilungsgegenständen und Einzelstrafhöhe für die nachzuholende, neu vorzunehmende erste Gesamtstrafbildung wird der neue Tatrichter zu treffen haben. Der Aufhebung bisheriger Feststellungen bedarf es hingegen nicht. Nach dem Ver- schlechterungsverbot gelten für den neuen Tatrichter für die erste Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre und vier Monate, für die zweite sieben Jahre und sechs Monate als Obergrenzen.
Harms Häger Basdorf Gerhardt Raum

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Jan. 2000 - 5 StR 651/99

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Jan. 2000 - 5 StR 651/99

Referenzen - Gesetze

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 55 Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe


(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen h
Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Jan. 2000 - 5 StR 651/99 zitiert 3 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 55 Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe


(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen h

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Jan. 2000 - 5 StR 651/99 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).

4 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Jan. 2000 - 5 StR 651/99.

Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Jan. 2011 - 4 StR 450/10

bei uns veröffentlicht am 11.01.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 450/10 vom 11. Januar 2011 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 11. Januar 2

Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Feb. 2000 - 5 StR 1/00

bei uns veröffentlicht am 22.02.2000

5 StR 1/00 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 22. Februar 2000 in der Strafsache gegen wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Februar 2000 beschlosse

Bundesgerichtshof Urteil, 14. Jan. 2016 - 4 StR 437/15

bei uns veröffentlicht am 14.01.2016

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 437/15 vom 14. Januar 2016 in der Strafsache gegen wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung ECLI:DE:BGH:2016:140116U4STR437.15.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzu

Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Jan. 2015 - 4 StR 574/14

bei uns veröffentlicht am 28.01.2015

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR574/14 vom 28. Januar 2015 in der Strafsache gegen wegen Diebstahls u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 28. Januar 2015 gemäß § 349

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.