Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Juni 2022 - 6 StR 68/21

erstmalig veröffentlicht: 17.08.2022, letzte Fassung: 19.10.2022

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Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

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Wirtschaftsrecht / Existenzgründung / Insolvenzrecht / Gesellschaftsrecht / Strafrecht
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Zusammenfassung des Autors

Der Bundesgerichtshof konkretisiert die Kriterien zur Abgrenzung einer strafbaren Törung auf Verlangen von einer straflosen Beihilfe zum Suizid. Diese Abgrenzung erfordere eine normative Betrachtung und dürfe nicht lediglich danach entschieden werden, wer aktiv gehandelt habe. Die Ehefrau, die ihrem Mann eine tödliche Dosis Insulin verabreicht hatte, wurde freigesprochen.

Dirk Streifler - Streifler&Kollegen - Rechtsanwälte Berlin

BUNDESGERICHTSHOF 

 

Beschluss vom 28.06.2022

Az.: 6 StR 68/21
 

 

1. Die Abgrenzung strafbarer Tötung auf Verlangen von strafloser Beihilfe zum Suizid erfordert eine normative Betrachtung.

2. Der ohne Wissens- und Verantwortungsdefizit gefasste und erklärte Sterbewille führt zur situationsbezogenen Suspendierung der Einstandspflicht für das Leben des Ehegatten.

Tenor

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stendal vom 10. November 2020 aufgehoben.

Die Angeklagte wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Tötung auf Verlangen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision der Angeklagten hat Erfolg und führt zu ihrem Freispruch (§ 349 Abs. 4, § 354 Abs. 1 StPO).

I.

Dem Urteil liegen folgende Feststellungen und rechtliche Wertungen zugrunde:

1. Die Angeklagte arbeitete jahrzehntelang als Krankenschwester, bis sie im Jahr 2010 in Rente ging. Sie war seit 1970 mit R. S. verheiratet, der aufgrund einer Lendenwirbelfraktur, die er sich als Jugendlicher zugezogen hatte, und eines Bandscheibenvorfalls seit Anfang der 1990er Jahre unter Schmerzen im Rücken und Schulter-Nacken-Bereich litt. Ab 1993 entwickelte sich ein chronisches Schmerzsyndrom. Seitdem war er krankheitsbedingt arbeitsunfähig und berentet. Er litt seither unter einem schmerzgeleiteten Psychosyndrom, Adipositas, Myalgie, Hypertonie, insulinpflichtigem Diabetes mellitus, einem zervikalen Bandscheibenschaden mit Radikulopathie, psychosomatischen Schlafstörungen, einem Restless-Legs-Syndrom, einer mittelgradigen depressiven Episode und Arthrose in den Händen. Im Jahr 2016 musste er sich überdies einer Hüftoperation unterziehen.

Seit 2016 wurde R. S. zu Hause von der Angeklagten gepflegt. Eine Heimunterbringung oder ambulante Pflege sowie ärztliche Behandlung lehnte er ab, abgesehen von halbjährlichen Besuchen der Hausärztin. Er wurde unter anderem mit Hydromorphon in Tablettenform, Diazepam, Prothazin liquidum sowie Insulininjektionen behandelt. Das Insulin verabreichte ihm seit 2017 die Angeklagte, die ihm auch die Tabletten aus den Blistern drückte, weil es ihm aufgrund seiner Arthrose schwerfiel, die Spritzen selbst aufzuziehen und die Tabletten herauszudrücken. Seit Anfang 2019 war er bettlägerig. Er äußerte vermehrt den Wunsch zu sterben und kam mit der Angeklagten dahin überein, dass kein Arzt geholt werden solle, wenn er seinem Leben ein Ende setzen wolle.

Als seine Schmerzen seit dem Frühjahr 2019 weiter zunahmen und sich sein gesundheitlicher Zustand stetig verschlechterte, erwog R. S. die Inanspruchnahme eines Sterbehilfevereins, sah sich daran aber durch das seinerzeit geltende gesetzliche Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe in Deutschland gehindert. Er sagte nun nahezu wöchentlich, "gehen" zu wollen. Im Juni 2019 bat er die Angeklagte, ein paar Tage wegzufahren, weil er sich zu Hause mit Tabletten das Leben nehmen wolle; sie kam dieser Aufforderung jedoch nicht nach.

Am 7. August 2019 litt R. S. an schwersten Schmerzen und hatte seit Tagen keinen Stuhlgang gehabt. Kurz nach 15 Uhr versuchte die Angeklagte, ihn aus dem Pflegebett aufzurichten und auf den Nachtstuhl zu setzen, was ihr jedoch nicht gelang. Seine Rückenschmerzen waren so stark, dass er laut aufschrie. Erst nachdem sie ihm auf seine Bitte vier schnellwirkende, hochdosierte Schmerztabletten (Hydromorphon 25 mg akut) gegeben hatte, gelang es ihr gegen 17 Uhr, ihn auf den Nachtstuhl zu setzen; er hatte jedoch nach wie vor keinen Stuhlgang.

Als sie anschließend zusammen Kaffee tranken und er zwei Zigaretten rauchte, sagte er: "Heute machen wir’s". Der Angeklagten war klar, dass er damit meinte, seinem Leben an diesem Tag ein Ende setzen zu wollen. Im weiteren Verlauf des Abends äußerte er, die Schmerzen nicht mehr auszuhalten und an diesem Tag "gehen" zu wollen. Er sprach mit ihr über die gemeinsamen Ehejahre und sagte, dass er sie nicht gern allein lasse, aber trotzdem heute "gehen" müsse. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war ihr bewusst, dass der Sterbewunsch ihres Mannes ernst war.

R. S. forderte die Angeklagte gegen 23 Uhr auf, ihm alle im Haus vorrätigen Tabletten zu geben. Sie fragte ihn, ob er keinen Abschiedsbrief schreiben wolle, weil sonst "noch alle denken" würden, dass sie ihn umgebracht habe. Er hielt dies zunächst nicht für nötig, schrieb dann aber mit zitternden Händen in ein Notizbuch, dass er unter den großen Schmerzen nicht weiterleben wolle, seiner Frau verboten habe, einen Arzt einzuschalten, und hoffe, dass sein Tablettenvorrat ausreiche, um von seinen großen Schmerzen erlöst zu werden. Anschließend trug die Angeklagte seinem Wunsch entsprechend alle verfügbaren Medikamente zusammen, brach die Tabletten (ca. zehn Tabletten Hydromorphon 25 mg akut und 15 Diazepamtabletten) aus den Verpackungen und gab ihm diese in die Hand. Sie schüttete den Inhalt einer noch fast vollen 50-ml-Flasche Prothazin in ein Wasserglas und reichte es ihm. Er nahm alle Tabletten selbständig ein und schluckte sie mit dem Inhalt des Trinkglases hinunter.

Nun forderte er die Angeklagte auf, alle noch vorhandenen Insulinspritzen zu holen. Er legte sich hin und rauchte. Die Angeklagte holte sechs schnell wirkende Insulinspritzen mit jeweils 100 Einheiten. Ihr war bewusst, dass sie ihrem Mann nunmehr entsprechend der üblichen Handhabung die sechs Insulinspritzen in die Bauchdecke injizieren sollte, was sie auch tat. Sie wusste, dass die Insulingabe geeignet war, seinen Tod herbeizuführen.

Nachdem sie ihm die Insulinspritzen verabreicht hatte, fragte R. S. die Angeklagte, ob dies auch alle vorrätigen Spritzen gewesen seien, "nicht, dass er noch als Zombie" zurückkehre, und bat sie, ihm die Urinflasche anzulegen. Sie bejahte seine Frage und legte ihm die Urinflasche an. Ihm fiel es nun zunehmend schwer, seine letzte Zigarette sicher in der Hand zu halten, weshalb die Angeklagte ihm diese aus der Hand nahm. Er fuhr sich noch einmal mit der Hand über den Kopf und schlief ein. Die Angeklagte vergewisserte sich immer wieder, ob er noch atme, und stellte schließlich gegen 3:30 Uhr seinen Tod fest. Einen Arzt informierte sie aufgrund der mit ihrem Ehemann getroffenen Absprache nicht. R. S. starb an Unterzuckerung infolge des injizierten Insulins. Die anfangs mittels der Tabletten eingenommenen Wirkstoffe waren ebenfalls geeignet, seinen Tod herbeizuführen, jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt.

2. Das Landgericht hat den Tatbestand des § 216 Abs. 1 StGB als verwirklicht angesehen. Die Angeklagte habe nicht nur straflose Beihilfe zum Suizid geleistet. Sie habe R. S. aktiv handelnd die Insulinspritzen gesetzt. Obwohl er bei vollem Bewusstsein gewesen sei, habe er nicht bis zum Eintritt des Todes die Möglichkeit gehabt, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Als sie ihm das Insulin injiziert habe, habe er sich bereits entschlossen, ihre auf seinen Tod hinzielende Handlung duldend hinzunehmen, und dies auch getan. Denn er habe nicht gewusst, ob und wann die Insulingabe tödliche Wirkung haben und bis wann es ihm möglich sein werde, sich dieser tödlichen Wirkung zu entziehen, was der Angeklagten bewusst gewesen sei. Er habe mithin sein Leben in ihre Hand gelegt.

II.

Die Revision ist begründet. Die Angeklagte hat sich unter keinem Gesichtspunkt strafbar gemacht.

1. Die Verurteilung der Angeklagten wegen Tötung auf Verlangen (§ 216 Abs. 1 StGB) wird von den Feststellungen nicht getragen. Das Verhalten der Angeklagten stellt sich nicht als Tötung ihres Ehemanns durch aktives Tun, sondern als straflose Beihilfe zu dessen Suizid dar.

a) Täter einer Tötung auf Verlangen ist, wer das zum Tode führende Geschehen tatsächlich beherrscht, auch wenn er sich damit einem fremden Selbsttötungswillen unterordnet. Entscheidend ist, wer den lebensbeendenden Akt eigenhändig ausführt. Gibt sich der Suizident nach dem Gesamtplan in die Hand des anderen, um duldend von ihm den Tod entgegenzunehmen, dann hat dieser die Tatherrschaft. Behält der Sterbewillige dagegen bis zuletzt die freie Entscheidung über sein Schicksal, dann tötet er sich selbst, wenn auch mit fremder Hilfe. Dies gilt nicht nur, wenn die Ursachenreihe von ihm selbst, sondern auch, wenn sie vom anderen bewirkt worden war. Solange nach Vollzug des Tatbeitrags des anderen dem Sterbewilligen noch die volle Freiheit verbleibt, sich den Auswirkungen zu entziehen oder sie zu beenden, liegt nur Beihilfe zur Selbsttötung vor (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 14. August 1963 – 2 StR 181/63, BGHSt 19, 135, 139 f. ["Gisela-Fall"]; vom 4. Juli 2018 – 2 StR 245/17, BGHSt 63, 161, 165; vom 3. Juli 2019 – 5 StR 132/18, BGHSt 64, 121, 125; OLG München NJW 1987, 2940, 2941).

Die Abgrenzung strafbarer Tötung auf Verlangen von strafloser Beihilfe zum Suizid kann dabei nicht sinnvoll nach Maßgabe einer naturalistischen Unterscheidung von aktivem und passivem Handeln vorgenommen werden. Geboten ist vielmehr eine normative Betrachtung (vgl. BGH, Urteile vom 25. Juni 2010 – 2 StR 454/09, BGHSt 55, 191, 202 f.; vom 3. Juli 2019 – 5 StR 393/18, BGHSt 64, 135, 138).

b) Danach beherrschte nicht die Angeklagte das zum Tode führende Geschehen, sondern ihr Ehemann. Dem steht nicht entgegen, dass die Angeklagte ihm das todesursächliche Insulin durch aktives Tun verabreichte. Eine isolierte Bewertung dieses Verhaltens trägt dem auf die Herbeiführung des Todes gerichteten Gesamtplan nicht hinreichend Rechnung. Danach wollte sich R. S. in erster Linie durch die Einnahme sämtlicher im Haus vorrätigen Schmerz-, Schlaf- und Beruhigungsmittel das Leben nehmen, während die zusätzliche Injektion des Insulins vor allem der Sicherstellung des Todeseintritts diente; er wollte keinesfalls "als Zombie zurückkehren". Bei wertender Betrachtung bildeten die Einnahme der Tabletten und die Injektion des Insulins nach dem Gesamtplan einen einheitlichen lebensbeendenden Akt, über dessen Ausführung allein R. S. bestimmte. Die Medikamente nahm er eigenständig ein, während die Angeklagte ihm der jahrelangen Übung entsprechend die Insulinspritzen setzte, weil ihm dies aufgrund seiner krankheitsbedingten Beeinträchtigungen schwerfiel. Nach dem Gesamtplan war es letztlich dem Zufall geschuldet, dass das Insulin seinen Tod verursachte, während die Medikamente ihre tödliche Wirkung erst zu einem späteren Zeitpunkt entfaltet hätten. In Anbetracht dessen wird die Annahme des Landgerichts, dass R. S. sich in die Hand der Angeklagten begeben und den Tod duldend von ihr entgegengenommen habe, den Besonderheiten des Falles nicht gerecht.

Dies gilt umso mehr, als R. S. das zu seinem Tod führende Geschehen auch noch beherrschte, nachdem die Angeklagte ihm das Insulin injiziert und ihren aktiven Beitrag damit abgeschlossen hatte. Er blieb anschließend noch eine gewisse Zeit lang bei Bewusstsein und sah eigenverantwortlich davon ab, Gegenmaßnahmen einzuleiten, etwa die Angeklagte aufzufordern, den Rettungsdienst zu alarmieren. Er ließ sich im Gegenteil von ihr versichern, dass sie ihm "alle vorrätigen Spritzen" gesetzt hatte.

c) Dieser Bewertung steht die Entscheidung des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs im sogenannten Gisela-Fall (Urteil vom 14. August 1963 – 2 StR 181/63, aaO) nicht entgegen, weil sich der ihr zugrundeliegende Sachverhalt und der nunmehr zu beurteilende in rechtlich bedeutsamer Hinsicht unterscheiden. Seinerzeit hatten der Angeklagte auf dem Fahrersitz und die ebenfalls sterbewillige Geschädigte auf dem Beifahrersitz eines Autos Platz genommen, und der Angeklagte ließ mittels eines an das Auspuffrohr angeschlossenen Schlauchs Abgas in das Wageninnere strömen, indem er das Gaspedal durchtrat, bis er die Besinnung verlor. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hob den Freispruch des Angeklagten vom Vorwurf der Tötung auf Verlangen auf, obwohl die Geschädigte zunächst noch in der Lage gewesen war, die Beifahrertür zu öffnen oder den Fuß des Angeklagten vom Gaspedal zu stoßen. Die Tatherrschaft des Angeklagten sah er darin begründet, dass dieser nach dem Gesamtplan durch das fortdauernde Durchtreten des Gaspedals das Geschehen bis zuletzt in der Hand haben sollte. Der aktive Beitrag des Angeklagten war mithin während des Zeitraums noch nicht abgeschlossen, in dem die Geschädigte sich noch hätte retten können. Das Treten des Gaspedals als eigentliche Tötungshandlung hatte die gleichzeitige Selbstrettungsmöglichkeit der Sterbewilligen derart überlagert, dass bei wertender Betrachtung der Angeklagte, nicht jedoch die Sterbewillige die Herrschaft über das Geschehen innehatte (vgl. Otto in Festschrift Tröndle, 1989, S. 157, 161, 163; Sowada in Festschrift Merkel, 2020, S. 1109, 1114, 1116). Hier erschöpfte sich der aktive Beitrag der Angeklagten nach dem Gesamtplan demgegenüber darin, R. S. die Insulinspritzen zu verabreichen, "bis zuletzt" sollte sie das gesamte Geschehen dementsprechend nicht in der Hand haben.

Der festgestellte Sachverhalt ist hingegen mit demjenigen vergleichbar, der dem Urteil des Reichsgerichts vom 27. August 1920 – 905/20 II, JW 1921, 579 ("Gashahn-Fall") zugrunde lag. Dort hatten der Angeklagte und die Geschädigte ein Hotelzimmer bezogen, um gemeinsam aus dem Leben zu scheiden. Zu diesem Zweck verstopfte die Geschädigte die Türritzen, während der Angeklagte die Gashähne öffnete. Die Geschädigte starb infolge einer Gasvergiftung, der Angeklagte konnte indes gerettet werden. Wie in dem hier zu beurteilenden Fall hätte die Geschädigte ohne Weiteres Rettungsmaßnahmen ergreifen können, nachdem der aktive Beitrag des Angeklagten abgeschlossen war. Das Reichsgericht bejahte gleichwohl die Tatherrschaft des Angeklagten, leitete diese allerdings allein daraus her, dass er die Tat als eigene gewollt habe. Diese nach subjektiven Merkmalen ausgerichtete Unterscheidung von strafloser Beihilfe zur Selbsttötung und Tötung auf Verlangen verwarf der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in seiner Entscheidung im "Gisela-Fall" (vgl. BGH, Urteil vom 14. August 1963 – 2 StR 181/63, aaO, S. 138 f.), wobei er zugleich zutreffend klarstellte, dass der Angeklagte im "Gashahn-Fall" bei richtiger Bewertung lediglich Beihilfe zur Selbsttötung geleistet habe (vgl. BGH, aaO, S. 140; ebenso Jakobs, Tötung auf Verlangen, Euthanasie und Strafrechtssystem, 1998, S. 24; Otto, aaO, S. 164; Sowada, aaO, S. 1116; aA LK-StGB/Rissingvan-Saan, 12. Aufl., § 216 Rn. 44; MüKo-StGB/Schneider, 4. Aufl., § 216 Rn. 47, 52; Schroeder, ZStW 1994, 565, 578).

Auch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25. November 1986 (1 StR 613/86, NJW 1987, 1092 ["Scophedal-Fall"]) gebietet keine andere Beurteilung. Denn R. S. hatte – anders als der dortige Sterbewillige – gerade nicht die Möglichkeit verloren, das Geschehen zu beeinflussen. Vielmehr hielt er es bis zuletzt selbst in der Hand.

d) Da die Angeklagte den Tatbestand des § 216 Abs. 1 StGB danach mangels Tatherrschaft nicht durch aktives Tun verwirklicht hat, kann dahinstehen, ob und inwieweit die Vorschrift diesbezüglich mit Blick auf das verfassungsrechtlich verbürgte Recht auf selbstbestimmtes Sterben auf Bedenken stößt.

aa) Nach den dazu vom Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf das gemäß § 217 Abs. 1 StGB strafbewehrte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (vgl. BVerfGE 153, 182) entwickelten Grundsätzen gewährleistet Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG das Recht, selbstbestimmt die Entscheidung zu treffen, sein Leben eigenhändig bewusst und gewollt zu beenden und bei der Umsetzung der Selbsttötung auf die Hilfe Dritter zurückzugreifen (vgl. BVerfG, aaO, Rn. 203 ff.). Ist die Wahrnehmung des Grundrechts von der Einbeziehung dritter Personen abhängig, schützt es auch davor, dass es durch ein Verbot gegenüber Dritten beschränkt wird, im Rahmen ihrer Freiheit Unterstützung anzubieten (vgl. BVerfG, aaO, Rn. 213). In dieses Recht können auch strafrechtliche Normen eingreifen, die sich nicht an den Suizidenten, sondern an die dritten Personen richten. Der legitime Einsatz des Strafrechts zum Schutz der autonomen Entscheidung des Einzelnen über die Beendigung seines Lebens findet indessen seine Grenze dort, wo die freie Entscheidung nicht mehr geschützt, sondern unmöglich gemacht wird (vgl. BverfG, aaO, Rn. 273). Dies hat das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich des ausnahmslosen Verbots der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung gemäß § 217 Abs. 1 StGB aF bejaht.

bb) Der Senat neigt zu der Auffassung, dass die vom Bundesverfassungsgericht in Bezug auf § 217 Abs. 1 StGB entwickelten Grundsätze (vgl. zum Recht auf selbstbestimmtes Sterben ferner EGMR, NJW 2002, 2851; BVerwGE 158, 142; BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 393/18, aaO, S. 142) auf § 216 Abs. 1 StGB übertragbar sind, weil diese Vorschrift in vergleichbarer Weise in das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben eingreift (in diesem Sinne Kienzerle, Paternalismus im Strafrecht der Sterbehilfe, 2021, S. 433; Godinho, GA 2015, 329, 331; Huber/Ruf, medstra 2021, 135, 141; Kunze, medstra 2022, 88, 91; Lindner, NStZ 2020, 505, 507; Öz, JR 2021, 428, 429; Rostalski, JR 2021, 477, 480; aA Leipold/Tsambikakis/Zöller/Mitsch, Anwaltkommentar StGB, 3. Aufl., § 216 Rn. 1; LK-StGB/Rissingvan-Saan, aaO, § 216 Rn. 4; Matt/Renzikowski/Safferling, StGB, 2. Aufl., § 216 Rn. 2; MüKo-StGB/Schneider, aaO, § 216 Rn. 60; Grünewald, JR 2021, 99, 105; Höfling, GesR 2021, 351, 354; Scholz, medstra 2021, 157, 161). Er hält es für naheliegend, dass § 216 Abs. 1 StGB einer verfassungskonformen Auslegung bedarf, wonach jedenfalls diejenigen Fälle vom Anwendungsbereich der Norm ausgenommen werden, in denen es einer sterbewilligen Person faktisch unmöglich ist, ihre frei von Willensmängeln getroffene Entscheidung selbst umzusetzen, aus dem Leben zu scheiden, sie vielmehr darauf angewiesen ist, dass eine andere Person die unmittelbar zum Tod führende Handlung ausführt (vgl. dazu Schönke/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben, StGB, 30. Aufl., § 216 Rn. 15a; Godinho, aaO, S. 338; Kunze, aaO, S. 92; Leitmeier, NStZ 2020, 508, 512; Lindner, aaO, S. 507; aA Matt/Renzikowski/Safferling, aaO, § 212 Rn. 39).

2. Die Angeklagte hat sich auch nicht wegen Tötung auf Verlangen durch Unterlassen (§ 216 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht, indem sie davon absah, Rettungsmaßnahmen zu veranlassen, nachdem R. S. eingeschlafen war. Denn es fehlte insoweit an einer strafbarkeitsbegründenden Einstandspflicht für die Abwendung seines Todes. Sie ergab sich weder aus der bestehenden Ehe noch aus Ingerenz.

a) Zwar erwuchs der Angeklagten aus § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB die Stellung als Garantin für Leib und Leben ihres Ehemannes (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 1952 – 1 StR 59/50, BGHSt 2, 150, 153; Schönke/Schröder/Bosch, StGB, aaO, § 13 Rn. 18; Ceffinato, NStZ 2021, 65 mwN; Herzberg, NJW 1986, 1635, 1638). Aus dieser Verantwortungsstellung folgte aber für das konkrete Geschehen keine Pflicht zur Abwendung seines Todes. Denn der ohne Wissens- und Verantwortungsdefizit frei gefasste und erklärte Sterbewille ihres Mannes, der sich darin manifestierte, dass er ihr verbot, ärztliche Hilfe zu holen, führte zur situationsbezogenen Suspendierung ihrer Einstandspflicht für sein Leben. Insoweit gilt Entsprechendes wie für Garantenpflichten, die sich aus dem Arzt-Patienten-Verhältnis oder aus einer Wohn- und Lebensgemeinschaft ergeben.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs endet die Schutzposition eines Arztes für Leib und Leben seines Patienten, wenn dieser seinen Sterbewunsch äußert und nur noch um Begleitung im Sterben bittet (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 393/18, aaO, S. 142). Denn das grundgesetzlich geschützte Selbstbestimmungsrecht gewährt auch die Freiheit, Heilbehandlungen selbst dann abzulehnen, wenn sie lebenswichtig sind, und so über das eigene Leben zu verfügen. Ein in diese Richtung geäußerter Wille ist auch nach Eintritt der Bewusstlosigkeit zu respektieren (vgl. § 1901a BGB), solange er ohne Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizit freiverantwortlich gebildet und umgesetzt wurde und sich später keine Hinweise auf eine Änderung des Sterbewillens ergeben (vgl. BGH, aaO, S. 145 mwN).

bb) Der Bundesgerichtshof hat ferner entschieden, dass die Begründung einer Wohn- und Lebensgemeinschaft zwar Obhuts- und Schutzpflichten zu erzeugen vermag. Hieraus folgt aber keine Rechtspflicht, den anderen am selbstgewollten Ableben zu hindern, sofern sich dieser in freier Willensbestimmung dazu entschlossen hat, dem für ihn erkennbar herannahenden Tod keinen Widerstand mehr entgegenzusetzen, sondern dem dazu führenden Geschehen seinen Lauf zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 1982 – 2 StR 494/82 Rn. 9).

cc) Die Auffassung, nach der das Selbstbestimmungsrecht und die Eigenverantwortlichkeit des Sterbewilligen die Einstandspflicht im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB begrenzen, wird auch in der Literatur weithin vertreten (vgl. Hoffmann, Der sogenannte natürliche Wille und sein Verhältnis zur Patientenautonomie im Recht der ärztlichen Heilbehandlung, 2021, 114; Kienzerle, aaO, S. 211; Öz, Das Spannungsverhältnis zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Opfers und dem strafrechtlichen Lebensschutz, 2021, S. 40; Otto, Recht auf den eigenen Tod? in: Verhandlungen des 56. Deutschen Juristentages, 1986, D 66; Roxin in Festschrift Fischer, 2018, S. 509, 519; Sowada in Festschrift Merkel, aaO, S. 1109; Leipold/Tsambikakis/Zöller/Mitsch, aaO, § 216 Rn. 26; MüKo-StGB/Schneider, aaO, Vor § 211 Rn. 75, 77, § 216 Rn. 66; Ceffinato, aaO, S. 66; Engländer JZ 2019, 1049, 1051; Hillenkamp, JZ 2019, 1053, 1056; Merkel, ZStW 1995, 545, 553; Miebach, NStZ 2016, 530, 537; Roxin, NStZ 1987, 345, 346; ders. GA 2013, 313, 317; Saliger, medstra 2015, 132, 136; Schroth, GA 2006, 549, 568; Sowada, NStZ 2019, 670, 671; Windsberger, ZErb 2021, 95, 96).

dd) Für eine durch Eheschließung begründete Garantenpflicht kann nichts anderes gelten, zumal die vom 5. Strafsenat zur Begrenzung der ärztlichen Schutzposition für das Leben seiner Patienten herangezogenen Gründe (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 393/18, aaO, S. 142) mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 153, 182) zum Recht auf selbstbestimmtes Sterben zusätzliches Gewicht erlangt haben. Dieses Recht schützt auch vor Verboten gegenüber Dritten, von denen die Wahrnehmung des Grundrechts abhängig ist (BVerfG, aaO, Rn. 213). Deshalb kann eine strafbewehrte Pflicht, den Ehepartner zu retten, wenn dieser infolge einer freiverantwortlichen Selbsttötungsentscheidung eingeschlafen ist, fortan keinen Bestand haben.

ee) Das Urteil des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 12. Februar 1952 (1 StR 59/50, BGHSt 2, 150) steht dieser Beurteilung nicht in einer ein Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG erfordernden Weise entgegen. Zum einen unterscheidet sich der ihm zugrundeliegende Sachverhalt von dem nunmehr zu beurteilenden wesentlich dadurch, dass R. S. der Angeklagten ausdrücklich verboten hatte, ärztliche Hilfe zu holen. Zum anderen ist – abgesehen von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum verfassungsrechtlich verbürgten Recht auf selbstbestimmtes Sterben – die damalige Gesetzeslage mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29. Juli 2009 (BGBl. I 2286) überholt. Hierdurch hat der Gesetzgeber die Verbindlichkeit des Willens des Betroffenen für Behandlungsentscheidungen über den Zeitpunkt des Eintritts seiner Einwilligungsunfähigkeit hinaus klargestellt (§ 1901a BGB). Die Maßgeblichkeit dieses Willens ist nicht auf bestimmte Erkrankungen beschränkt. Vielmehr ist der Wille des Betroffenen selbst bei Selbstgefährdung und Selbstaufgabe, mithin auch im Fall des Eintretens pathologischer Zustände im Verlauf einer Selbsttötung, nunmehr von Gesetzes wegen zu beachten (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 393/18, aaO, S. 143). Adressat dieser verfügenden Willensbekundung ist in Fällen der vorliegenden Art auch der Ehepartner, denn die Patientenverfügung richtet sich an alle, die am Dialog über die Behandlung beteiligt sind (vgl. BT-Drucks. 16/8442, S. 9).

b) Die Angeklagte traf auch keine Rettungspflicht aus vorangegangenem gefährdenden Tun.

Eine Garantenstellung wegen Ingerenz wurde nicht dadurch begründet, dass die Angeklagte R. S. die Medikamente reichte und ihm die Insulinspritzen setzte. Hiergegen stehen die freiverantwortlichen Entscheidungen des Sterbewilligen, die Medikamente einzunehmen und die durch das Spritzen des Insulins in Gang gesetzte Ursachenreihe nicht zu unterbrechen. Das Risiko für die Verwirklichung der durch das Vorverhalten des Angeklagten erhöhten Gefahr lag allein im Verantwortungsbereich von R. S. (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 393/18, aaO, S. 145; Engländer, aaO, S. 1051).

3. Eine Strafbarkeit der Angeklagten wegen versuchter Tötung auf Verlangen (§ 216 Abs. 1, § 22 StGB) scheidet ebenfalls aus.

a) Eine Versuchsstrafbarkeit käme in Betracht, wenn nach dem Vorstellungsbild der Angeklagten ihrem Ehemann nach dem Setzen der Insulinspritzen keine Möglichkeit mehr geblieben wäre, eine Entscheidung über Rettungsmaßnahmen zu treffen. Innere Tatsachen dieser Art hat das Landgericht nicht festgestellt. Sie liegen bei der Angeklagten, die als Krankenschwester ihren seit langem an Diabetes mellitus erkrankten Ehemann pflegte und bei der Insulintherapie unterstützte, auch fern.

b) Das Landgericht hat zudem keine Fehlvorstellung der Angeklagten über die Grenzen der Verantwortlichkeit als Ehefrau für Leib und Leben ihres Mannes nach Eintritt der Bewusstlosigkeit festgestellt; eine solche beträfe ohnehin kein Tatbestandsmerkmal, sondern die Frage der strafrechtlichen Bewehrung. Selbst wenn die Angeklagte irrig angenommen hätte, sie verletze eine bestehende Garantenpflicht, läge mithin lediglich ein strafloses Wahndelikt vor (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. Mai 1961 – GSSt 1/61, BGHSt 16, 155, 160; vom 8. Juni 2017 – 1 StR 614/16; LK-StGB/Murmann, 13. Aufl., § 22 Rn. 299).

c) Eine Fehlvorstellung der Angeklagten über die Voraussetzungen einer Garantenstellung aus Ingerenz ist ebenso wenig festgestellt. Der Senat schließt aus, dass sie einem Irrtum über Tatsachen hätte erlegen sein können. Ein Irrtum über die normativen Bedingungen einer Einstandspflicht im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB vermag hingegen keine Strafbarkeit zu begründen (vgl. oben b).

4. Schließlich hat sich die Angeklagte nicht wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c Abs. 1 StGB) strafbar gemacht, indem sie es unterließ, Rettungsmaßnahmen einzuleiten, nachdem R. S. eingeschlafen war. Eine dem von ihm geäußerten Willen zuwiderlaufende Hilfeleistung war ihr aus den bereits genannten Gründen nicht zumutbar (vgl. dazu BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 – 5 StR 132/18, BGHSt 64, 121, 133 ff.).

5. Das angefochtene Urteil kann mithin keinen Bestand haben. Der Senat entscheidet in der Sache selbst und spricht die Angeklagte gemäß § 354 Abs. 1 StPO frei. Denn es ist auszuschließen, dass ein neues Tatgericht Feststellungen treffen könnte, die einen Schuldspruch gegen die Angeklagte tragen würden. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist umfassend.

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Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 1


(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen G

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört
Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Juni 2022 - 6 StR 68/21 zitiert 13 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

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Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 132


(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate. (2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Sena

Strafgesetzbuch - StGB | § 22 Begriffsbestimmung


Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

Strafgesetzbuch - StGB | § 13 Begehen durch Unterlassen


(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichun

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 1353 Eheliche Lebensgemeinschaft


(1) Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen. Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet; sie tragen füreinander Verantwortung. (2) Ein Ehegatte ist nicht ver

Strafgesetzbuch - StGB | § 323c Unterlassene Hilfeleistung; Behinderung von hilfeleistenden Personen


(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird

Strafgesetzbuch - StGB | § 217 Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung


(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Als Teilnehmer blei

Strafgesetzbuch - StGB | § 216 Tötung auf Verlangen


(1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen. (2) Der Versuch ist strafbar.

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Juni 2022 - 6 StR 68/21 zitiert oder wird zitiert von 7 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Juni 2022 - 6 StR 68/21 zitiert 6 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 14. Aug. 1963 - 2 StR 181/63

bei uns veröffentlicht am 17.08.2022

Beim "einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmord" ist der Überlebende nach § 216 StGB zu bestrafen, wenn er das zum Tode führende Geschehen beherrscht hat (Tatherrschaft). Andernfalls liegt straflose Beihilfe zum Selbstmord vor.

Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Juni 2022 - 6 StR 68/21

bei uns veröffentlicht am 17.08.2022

Der Bundesgerichtshof konkretisiert die Kriterien zur Abgrenzung einer strafbaren Törung auf Verlangen von einer straflosen Beihilfe zum Suizid. Diese Abgrenzung erfordere eine normative Betrachtung und dürfe nicht lediglich danach entschie

Bundesgerichtshof Urteil, 04. Juli 2018 - 2 StR 245/17

bei uns veröffentlicht am 04.07.2018

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 245/17 vom 4. Juli 2018 Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja BGHR: ja Veröffentlichung: ja StGB § 30 Abs. 2 Var. 1, § 211 Abs. 2 Wegen Sich-Bereiterklärens zu einem Tötungsverbrechen kann sich

Bundesgerichtshof Urteil, 03. Juli 2019 - 5 StR 393/18

bei uns veröffentlicht am 03.07.2019

Nachschlagewerk: ja BGHSt : ja Veröffentlichung : ja StGB §§ 212, 216, 13 Die Garantenstellung des Arztes für das Leben seines Patienten endet, wenn er vereinbarungsgemäß nur noch dessen freiverantwortlichen Suizid begleitet. BGH, Urteil vom 3. J

Bundesgerichtshof Urteil, 03. Juli 2019 - 5 StR 132/18

bei uns veröffentlicht am 03.07.2019

Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja StGB §§ 212, 216, 13 Angesichts der gewachsenen Bedeutung der Selbstbestimmung des Einzelnen auch bei Entscheidungen über seinLeben kann in Fällen des freiverantwortlichen Suizids der A

Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Juni 2017 - 1 StR 614/16

bei uns veröffentlicht am 08.06.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 614/16 vom 8. Juni 2017 in der Strafsache gegen wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt u.a. ECLI:DE:BGH:2017:080617B1STR614.16.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat - in Bezug auf Ziff
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Der Bundesgerichtshof konkretisiert die Kriterien zur Abgrenzung einer strafbaren Törung auf Verlangen von einer straflosen Beihilfe zum Suizid. Diese Abgrenzung erfordere eine normative Betrachtung und dürfe nicht lediglich danach entschie

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(2) Der Versuch ist strafbar.

BUNDESGERICHTSHOF

 

Urteil vom 14.08.1963

Az.: 2 StR 181/63


In der Strafsache

.......

hat der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
auf Grund der Hauptverhandlung vom 31. Juli 1963
in der Sitzung vom 14. August 1963,
an denen teilgenommen haben:

Senatspräsident Dr. Baldus als Vorsitzender,
Bundesrichter Dr. Dotterweich,
Bundesrichter Mayr,
Bundesrichter Meyer,
Bundesrichter Henning als beisitzende Richter,
Bundesanwalt Dr. ... als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts in Duisburg vom 24. Juli 1962 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmitteln an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe

Der Angeklagte und die 16-jährige Gisela Di. empfanden tiefe Zuneigung füreinander; zwischen beiden entwickelten sich intime Liebesbeziehungen. Die Eltern mißbilligten jedoch diese Verbindung. Als auf Antrag der Eheleute Di. dem Angeklagten sogar durch einstweilige Verfügung verboten wurde, zu ihrer Tochter noch einmal Kontakt aufzunehmen, faßte Gisela den festen Entschluß, aus dem Leben zu scheiden. Als sie am Abend des 8. Juni 1959 mit dem Angeklagten zusammentraf, versuchte dieser vergeblich, das über sein Alter hinaus gereifte Mädchen umzustimmen. Weil er Gisela nicht allein sterben lassen wollte, beschloß er, mit ihr in den Tod zu gehen. Beide schrieben Abschiedsbriefe an ihre Eltern, fuhren dann zu einem Parkplatz und nahmen, im Kraftwagen des Angeklagten sitzend, Luminaltabletten ein. Als keine Wirkung eintrat, äußerte Gisela, daß man sich auf andere Weise töten müsse. Der Angeklagte schlug vor, die Auspuffgase in das Wageninnere zu leiten. Damit war Gisela einverstanden und meinte, das sei gilt, hoffentlich finde man sie nicht zu früh. Der Angeklagte schloß einen Schlauch an das Auspuffrohr an und führte ihn durch das linke Fenster in das Wageninnere. Dann versperrte er die linke Wagentür von außen, stieg von rechts in den Kraftwagen und setzte sich auf den Sitz des Fahrers. Das linke Wagenfenster drehte er so weit zu, wie es der Schlauch ermöglichte. Gisela, die neben dem Angeklagten auf dem rechten Vordersitz Platz nahm, verriegelte die rechte Tür von innen. Der Angeklagte ließ nun den Motor an und trat das Gaspedal durch, bis das einströmende Kohlenoxyd ihm die Besinnung raubte. Am Morgen des 9. Juni 1959 wurden der Angeklagte und Gisela im Kraftwagen, dessen Motor noch lief, gefunden. Sie waren in sich zusammengesunken und bewußtlos, lebten aber noch. Doch nur der Angeklagte konnte gerettet werden, Gisela verstarb alsbald.


Die Strafkammer hat den Angeklagten von dem Vorwurf, Gisela Di. auf ihr Verlangen getötet zu haben, freigesprochen. Sie ist der Meinung, er sei "mangels Tötungshandlung, mangels Tötungsvorsatzes und mangels erheblicher Tatherrschaft nicht als Täter und mangels Strafbarkeit des Selbstmords nicht als Gehilfe fremder Tötung zu bestrafen". Im einzelnen hat sie hierzu ausgeführt: Es spreche nichts dafür, daß Gisela an den Angeklagten mit der Bitte herangetreten sei, sie zu töten. Sie habe sich vielmehr selbst töten wollen. Sein Tatbeitrag stelle sich nicht als Tötungshandlung dar. Das Einnehmen der Tabletten sei als Selbsttötungsversuch Giselas anzusehen, den der Angeklagte - durch Zurückgabe der von ihm vor Tatbeginn verwahrten Tabletten - gefördert habe. Der Vorgang mit den Auspuffgasen könne nicht anders beurteilt werden. Das Hineinleiten der Gase in den Wagen habe den Tod Giselas so wenig verursacht, wie dies die Aushändigung der Tabletten vermocht habe. Wenn es dort notwendig gewesen sei, daß Gisela mit Freitodentschluß die Tabletten nahm, so sei es hier erforderlich gewesen, daß sie sich in den Wagen setzte, dort Platz behielt, die Tür schloß und die Gase einatmete. Abgesehen davon habe der Angeklagte nach seiner unwiderlegten Einlassung zwar sich selbst, nicht aber Gisela töten, dieser vielmehr ihre eigene Tötung selbst überlassen wollen. An ihrem Tode sei er nicht interessiert gewesen. Auch eine Tatherrschaft habe er weder gehabt noch haben wollen. Gisela habe vielmehr nach seinem Tatbeitrag - der Einführung der Gase in den Kraftwagen - die freie Entscheidung über Leben und Tod behalten, zumal da sie möglicherweise später als der Angeklagte das Bewußtsein verloren habe.
3
Gegen dieses Urteil wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Eltern Gisela Di.s als Nebenkläger mit ihren Revisionen. Sie rügen Verletzung sachlichen Rechts, Die Rechtsmittel haben Erfolg. Die Feststellungen rechtfertigen den Freispruch des Angeklagten nicht. Die Würdigung der Strafkammer ist teils unvereinbar mit diesen Feststellungen, teils beruht sie auf Erwägungen, denen der Senat nicht folgen kann.


Für die Entscheidung der Schuldfrage kommt es nach dem erwiesenen Sachverhalt allein darauf an, ob die Tätigkeit des Angeklagten als straflose Beihilfe zur Selbsttötung oder als strafbare Tötung auf Verlangen zu beurteilen ist. Angesichts einzelner Formulierungen des angefochtenen Urteils muß zunächst klargestellt werden, daß der Angeklagte jedenfalls durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Mädchens zur Tat bestimmt wurde. Nachdem der Versuch mit den Luminaltabletten fehlgeschlagen war, gab ihm Gisela durch ihr entschlossenes Verhalten, insbesondere durch ihre Äußerung, sein Vorschlag sei gut und hoffentlich finde man sie nicht zu früh, unmißverständlich zu verstehen, daß sie auf dem von ihm angeregten Weg den Tod suche und wolle Diesen ernstlichen und im vollen Bewußtsein seiner Tragweite zum Ausdruck gebrachten Wunsch, der ihn zugleich zum Festhalten an seinem eigenen Selbsttötungsentschluß bestimmte, wollte der Angeklagte erfüllen. Was er tat, war auch ursächlich für den Tod des Mädchens. Daß Gisela dieses Handeln wünschte und - auf Grund ihres frei und unbeeinflußt gefaßten Entschlusses - durch Verbleiben im Wagen und Einatmen der einströmenden Gase wirksam werden ließ, schließt weder die Kausalität aus, noch wird dadurch der Vorsatz des Angeklagten in Frage gestellt. Indem er die notwendigen technischen Vorbereitungen traf und die giftigen Gase einströmen ließ in der Vorstellung, dadurch den beiderseitigen Tod herbeiführen zu können, hat er bewußt und gewollt, also vorsätzlich, auch eine Ursache zum eingetretenen Teilerfolg, dem Tod Giselas, gesetzt.

Daß der Tatbestand des § 216 StGB von der straflosen Beihilfe zur Selbsttötung nach den Grundsätzen der Teilnahmelehre abzugrenzen ist, kann als gesicherte Rechtsprechung angesehen werden. Dagegen läßt sich nicht einwenden, Selbsttötung und Beihilfe dazu seien für straffrei erklärt, also mangels Tatbestandsmäßigkeit keine Straftaten, während es die Teilnahmelehre nur mit solchen zu tun habe; denn die von der Teilnahmelehre vorgeschlagenen Unterscheidungsmerkmale sind begrifflich nicht in der Weise von der Pönalisierung abhängig, daß sie nicht auch auf Taten im "natürlichen" Sinne anwendbar wären. Nur insoweit ergibt sich aus der Straflosigkeit der Selbsttötung eine Besonderheit, als "Tatbeiträge" des Lebensmüden zu seinem Tod dem anderen nicht über § 47 StGB zugerechnet werden dürfen.

In BGHSt 13, 162, 166 [BGH 15.05.1959 - 4 StR 475/58] hat der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs ausgesprochen, nach § 216 StGB könne nur bestraft werden, wer das zum Tode führende Geschehen beherrschen wollte, d.h. mit "Täterwillen" gehandelt habe. Unter ausdrücklichen Hinweis auf diese Entscheidung meint die Strafkammer, der Angeklagte habe die Tatherrschaft weder gehabt noch haben wollen. Indessen beruht das Urteil des 4. Strafsenats im Ergebnis auf anderen Erwägungen, so daß es in der hier zu entscheidenden Abgrenzungsfrage nicht bindet. Auch können die Bedenken, die in der allgemeinen Teilnahmelehre gegen das Merkmal des "Willens zur Tatherrschaft" geltend gemacht werden, unerörtert bleiben. Nach Ansicht des erkennenden Senats sind jedenfalls für den Sonderfall der tatbestandlichen Abgrenzung des § 216 StGB gegenüber der straflosen Beihilfe zur Selbsttötung subjektiv bestimmte Kriterien, ob nämlich der Handelnde die Tat als eigene wollte, ob er den Täterwillen, den Willen zur Tatherrschaft oder ein eigenes Interesse an der Tat hatte, nicht geeignet, sinnvolle Ergebnisse zu gewährleisten. Das gilt vor allem für den "einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmord", weil hier der freie und ernste Entschluß, gemeinsam zu sterben, die bewußte Verknüpfung des beiderseitigen Schicksals, gerade zu einer Übereinstimmung der inneren Haltung führt, die eine Unterscheidung nach subjektiven Merkmalen als besonders fragwürdig erscheinen läßt. Sehr deutlich wird das bei dem Urteil des Reichsgerichts in JW 1921, 579: Nach dem Entschluß, gemeinsam durch Gasvergiftung aus dem Leben zu scheiden, hatte der Mann die Gashähne geöffnet, das Mädchen die Türritzen verstopft. Der Mann war gerettet worden; seine Verurteilung wegen Tötung auf Verlangen wurde vom Reichsgericht gebilligt, weil die Annahme des Tatrichters, der Mann habe die Tat als eigene gewollt, rechtlich nicht zu beanstanden sei. Indessen ist nicht erfindlich, an welche Tatsachen diese Annahme angesichts des gemeinsamen Entschlusses und der beiderseits geleisteten Beiträge zu seiner Durchführung anknüpfen könnte. Das Ergebnis ist notwendigerweise willkürlich und unkontrollierbar. Wenn man dem Handelnden nicht gleichsam gestatten will, sich selbst von dem, was er tut, durch "besonderen Willensakt" zu distanzieren, so müßte die Entscheidung davon abhängen, mit welcher Intensität und Hartnäckigkeit der Lebensmüde oder der Partner des Überlebenden den Freitodentschluß verfolgt hat und in welchem Maße sich der Überlebende dem Willen des Partners gebeugt und untergeordnet hat. Davon ist offenbar die Strafkammer ausgegangen, weil sie wiederholt und betont die starke Persönlichkeit, die Zielstrebigkeit und den unbeugsamen Willen Giselas der Labilität, Beeinflußbarkeit und Willensschwäche des Angeklagten gegenüberstellt. Indessen gestattet das Gesetz eine solche Unterscheidung nicht. § 216 StGB setzt tatbestandlich die Unterordnung unter den fremden Willen gerade voraus. Deshalb ist es nach Ansicht des Senats nicht möglich, seine Anwendung an dem Maß dieser Unterordnung im Einzelfalle auszurichten. Wer den Lebensmüden erschießt, ist strafbar nach § 216 StGB, mag er zunächst noch so sehr Widerstand geleistet und mag der Getötete noch so hartnäckig und unermüdlich auf die Ausführung gedrängt und den Widerstand dadurch überwunden haben.

Sieht man von einer nach subjektiven Merkmalen ausgerichteten Unterscheidung ab, dann kann es allein darauf ankommen, wer das zum Tode führende Geschehen tatsächlich beherrscht hat. Im Einzelfall ist dafür entscheidend die Art und Weise, wie der Tote über sein Schicksal verfügt hat. Gab er sich in die Hand des Anderen, weil er duldend von ihm den Tod entgegennehmen wollte, dann hatte dieser die Tatherrschaft. Behielt er dagegen bis zuletzt die freie Entscheidung über sein Schicksal, dann tötete er sich selbst, wenn auch mit fremder Hilfe. Dieser "Vorbehalt der Entscheidung" darf allerdings nach Ansicht des Senats beim einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmord nicht schlechthin damit gleichgesetzt werden, daß der eine nach dem Tatbeitrag des anderen tatsächlich noch die freie Entscheidung über Leben und Tod gehabt hat (vgl. Schönke-Schröder, StGB 11. Aufl. § 216 Anm. 14). Sonst hinge die Beurteilung vielfach von den Zufälligkeiten des Geschehensablaufs ab, insbesondere ließe sich das Tun der Beteiligten erst nachträglich vom Ergebnis her als Tötungshandlung kennzeichnen Es kommt vielmehr auf den Gesamtplan an. Soll nach ihm der Beitrag eines Beteiligten nicht bis zum Eintritt des Erfolges willensgesteuert fortdauern, sondern nur die Ursachenreihe so in Gang setzen, daß nach seinem Vollzug dem anderen Beteiligten noch die volle Freiheit verbleibt, sich den Auswirkungen zu entziehen oder sie zu beenden, so liegt nur Beihilfe zur Selbsttötung vor, mag sich auch in diesem Beitrag das gesamte Tätigwerden erschöpfen So war der Sachverhalt in dem bereits erwähnten vom Reichsgericht in JW 1921, 579 entschiedenen Fall, Hier aber war der Gesamtplan ein anderer. Der Angeklagte sollte das gesamte Geschehen bis zuletzt in der Hand haben und die auf den beiderseitigen. Tod abzielende Ausführungshandlung bis zum Eintritt eigener Bewußtlosigkeit fortsetzen. Gisela mag zunächst noch in der Lage gewesen sein, die rechte Wagentür wieder zu öffnen oder den Fuß des Angeklagten vom Gashebel zu stoßen. Sie hatte sich aber entschlossen, die fortdauernde auf den Tod zielende Handlung des Angeklagten duldend hinzunehmen und tat dies auch, nicht wissend, wann es ihr nicht mehr möglich sein werde, sich der tödlichen Wirkung zu entziehen. Alles das wußte der Angeklagte; seine Rolle bei Ausführung des Gesamtplanes war unter solchen Umständen die eines Täters nach § 216 StGB. Ob er vor oder nach Gisela das Bewußtsein verlor, ist unerheblich; von diesem zufälligen Umstand, dessen Ungewißheit zum Gesamtplan gehörte, darf die Beurteilung nicht abhängen.

Nach allem rechtfertigen die bisherigen Feststellungen den Freispruch nicht.


Baldus
Dotterweich
Mayr
Meyer
Henning

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 245/17
vom
4. Juli 2018
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
StGB § 30 Abs. 2 Var. 1, § 211 Abs. 2
Wegen Sich-Bereiterklärens zu einem Tötungsverbrechen kann sich auch derjenige,
der die Erklärung gegenüber dem potenziellen Opfer abgibt, jedenfalls dann strafbar
machen, wenn die Erklärung in der konkreten Fallkonstellation geeignet ist, eine
motivationale Selbstbindung des Täter zu begründen.
BGH, Urteil vom 4. Juli 2018 – 2 StR 245/17 – LG Gießen
in der Strafsache
gegen
wegen Sich-Bereiterklärens zum Mord
ECLI:DE:BGH:2018:040718U2STR245.17.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 20. Juni 2018 in der Sitzung am 4. Juli 2018, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Eschelbach, Zeng, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Bartel, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Grube,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung als Verteidiger,
Amtsinspektorin in der Verhandlung, Justizangestellte bei der Verkündung als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Gießen vom 3. Januar 2017 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Sich-Bereiterklärens zu einem Mord zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte entwickelte einen sexuellen Sadismus. Er fand Gefallen an Erhängungsszenen, bei denen er Frauen fesselte und sie durch Scheinhinrichtungen in Todesangst versetzte. Im Jahr 1987 wurde er deshalb wegen Vergewaltigung und Nötigung verurteilt, nachdem er eine Prostituierte mit Gewalt zur Duldung von Geschlechtsverkehr gezwungen und einer Schein- hinrichtung unterzogen hatte. 2007 folgte eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung, weil er eine psychisch labile Frau, die er über ein Internetforum kennengelernt hatte, bis zur Bewusstlosigkeit stranguliert hatte. Im Jahr 2013 erließ die Stadt F. gegen ihn ein Verbot, den sogenannten Straßenstrich zu betreten.
4
Ab dem 18. März 2016 hatte der Angeklagte unter einem Pseudonym im Internet über ein „Le. -Forum“ Kontakt mit der Zeugin R. , die in L. wohnte. Diese war als Kind sexuell missbraucht worden, litt unter einer Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ und einer posttraumatischen Belastungsstörung. Sie fügte sich Selbstverletzungen zu und unternahm Selbsttötungsversuche mit Tabletten, von denen sie sich phasenweise distanzieren konnte. Ende 2015 verlor sie ihren Arbeitsplatz, was sie zusätzlich belastete. Sie war depressiv und befand sich wiederholt in stationärer psychiatrischer Behandlung.
5
In dem Internetforum äußerte die Zeugin Zweifel am Sinn ihres Lebens. Der Angeklagte lenkte Gespräche in der Internet-Kommunikation bereits von Beginn des Kontakts am 18. März 2016 an auf das Thema Selbsttötung; er suggerierte der Zeugin, dass Erhängen eine schmerzfreie Tötungsart sei und bot ihr an, ihr beim Sterben zu „helfen“. Sie lehnte die Annahme dieses Angebots „für diesen Tag ab, ohne das Ansinnen des Angeklagten gänzlichzurückzuweisen“. Dabei fühlte sie sich vom Angeklagten bedrängt; deshalb speicherte sie den Verlauf des Gesprächs, informierte die für das Internet-Forum Verantwortlichen und versprach ihnen, nicht auf das Drängen des Angeklagten einzugehen. Gleichwohl kommunizierte sie in der Folgezeit weiter vielfach mit ihm.
6
Dem Angeklagten gelang es, die Zeugin in zahlreichen Gesprächen zu destabilisieren. So hielt er ihr vor, dass sie nicht in ihrer Kindheit missbraucht worden sei, wie es tatsächlich geschehen war, sondern dass sie ihren Großvater verführt habe. Auch erklärte der Angeklagte ihr, dass sie wegen ihres Übergewichts keinen Partner finden werde. Schließlich erläuterte er der Zeugin seinen Plan für eine Hinrichtung. Er schlug ihr vor, dass sie mit dem Zug nach G. kommen solle, wo er sie am Bahnhof abholen werde, um mit ihr in einen Wald zu fahren. Dort solle sie sich entkleiden, während er einen Galgen vorbereiten und ihr die Hände auf den Rücken fesseln werde, so dass sie sich nicht mehr umentscheiden könne. Er werde ihr „einen guten Orgasmus“ verschaffen und sie anschließend erhängen. Der Tod werde rasch eintreten. Der Angeklagte war entschlossen, nicht nur eine Scheinhinrichtung zu inszenieren, sondern die Zeugin zu töten, um sich hierdurch eine sexuelle Stimulation zu verschaffen.
7
Am 24. März 2016 las die Zeugin im Internet Berichte darüber, dass ein Mann durch Telekommunikation über „Skype“ den Tod einer Frau aus B. verursacht hatte, die sich auf seine Aufforderung erhängt hatte. Die Zeugin hegte den Verdacht, dass dies der Angeklagte gewesen sei. Die Vorsitzende des Vereins „H. “, mit der die Zeugin in Kontakt stand, berichtete ihr, dass ein Reporterteam des Fernsehsenders nach diesem Mann suche. Die Zeugin beschloss daraufhin, sich von dem Angeklagten auf die von diesem angebotene Weise töten zu lassen, damit er anschließend auch für den Tod der Frau aus B. verantwortlich gemacht werden könne. Dadurch wollte sie ihrem Tod einen Sinn verleihen. Die Vorsitzende des Vereins „H. “ erfuhr davon und informierte die Polizei. Diese durchsuchte am 7. April 2016 die Wohnung der Zeugin, traf sie dabei aber nicht an.
8
Am 11. April 2016 wurde die Zeugin durch ihre Hausärztin in die psychiatrische Abteilung der Klinik in L. eingewiesen. Sie hatte zunächst noch ihr Mobiltelefon zur Verfügung und teilte dem Angeklagten ihren Aufenthaltsort mit. Dieser wusste deshalb, dass sie nicht in der Lage war, freiverantwortlich über eine Beendigung ihres Lebens zu entscheiden. Er drängte darauf, dass sie die Klinik verlassen solle und hielt sein Angebot aufrecht, sie in G. am Bahnhof abzuholen, in den Wald zu bringen, zu fesseln und zu erhängen. Die Zeugin stimmte zu, was unreflektiert und krankheitsbedingt geschah; dies erkannte der Angeklagte.
9
Als Zeitpunkt für die Ausführung des Vorhabens wurde der 19. April 2016 vereinbart. Der Angeklagte riet der Zeugin, sie solle „ihre fröhliche Seite“ zei- gen; wenn sie psychisch stabil erscheine, dürfe sie die Klinik verlassen. Dies gelang der Zeugin am 19. April 2016 aber noch nicht. Sie verfasste ein Testament und legte ihre Gedanken zu einem Treffen mit dem Angeklagten in einem „Tagebuch“ nieder. Dort notierte sie auch, der Angeklagte habe ihr am 24. April 2016, einem Sonntag, mitgeteilt, dass er an diesem Tag Zeit habe. Sie bat um Ausgang aus der Klinik, der ihr gewährt wurde, weil scheinbar keine Gefahr bestand. Die Zeugin vertraute ihrem Bekannten Hi. die Absicht an, sich mit dem Angeklagten zu treffen, damit er sie töte. Dem Zeugen Hi. gelang es an diesem Tag aber noch einmal, die Zeugin zur Rückkehr in die Klinik zu bewegen. Sie versicherte dort, keinen Kontakt mehr zum Angeklagten aufzunehmen und gab zur Demonstration dieses Willens die SIM-Karte ihres Mobiltelefons ab, blieb aber heimlich über das Internet mit dem Angeklagten in Kontakt.
10
Auf Anraten des Angeklagten spiegelte die Zeugin schließlich am 28. April 2016 den behandelnden Ärzten erfolgreich einen psychisch stabilen Zustand vor und erhielt Ausgang. Sie erwarb eine neue SIM-Karte für ihr Mobiltelefon und eine Zugfahrkarte nach G. . Dann begab sie sich auf die Reise zu dem Angeklagten, um sich von ihm töten zu lassen. Unterwegs verabschiedete sie sich fernmündlich von dem Zeugen Hi. . Dieser konnte sie nun zwar nicht mehr zur Rückkehr bewegen, überredete sie aber dazu, sich vor dem Treffen mit dem Angeklagten bei einem Zwischenaufenthalt am Hauptbahnhof in F. von Journalisten des Fernsehsenders interviewen zu lassen. Dieses Interview fand gegen 21.00 Uhr statt. Während des Interviews kam es zu einem Telefonkontakt mit dem Angeklagten. Die Zeugin informierte ihn darüber, dass sie auf dem Weg nach G. sei. Dem Angeklagten , der erst jetzt konkret von ihrer Anreise erfuhr, kam der Zeitpunkt ungelegen , weil die Konfirmation seiner Tochter bevorstand. Er machte der Zeugin Vorhaltungen wegen seiner späten Benachrichtigung, erklärte sich aber schließlich bereit, sie nach ihrer Ankunft in G. in den Wald zu bringen und auf die angekündigte Weise zu erhängen.
11
Die Zeugintraf gegen 01.10 Uhr am 29. April 2016 am Hauptbahnhof in G. ein, wo sie vom Angeklagten erwartet wurde. Beide gingen zu seinem Fahrzeug, in dem er Abschleppseile zum Erhängen und Kabelbinder zum Fesseln mitführte. Kurz vor Erreichen des Fahrzeugs wurde der Angeklagte festgenommen.
12
2. Das Landgericht hat die Tat als Sich-Bereiterklären zu einem Verbrechen des Mordes gemäß § 30 Abs. 2, § 211 Abs. 2 StGB gewertet. Bei der in Aussicht genommenen Tötung habe es sich nicht um eine Beteiligung an der Selbsttötung der Zeugin, sondern um eine Fremdtötung gehandelt. Es sei auch nicht um eine Tötung auf Verlangen im Sinne von § 216 StGB gegangen, denn die Erklärungen der Zeugin seien wegen ihrer psychischen Störungen nicht als ernstliches Tötungsverlangen anzusehen. Der Anwendung von § 30 Abs. 2 StGB stehe auch nicht entgegen, dass die Erklärung gerade gegenüber dem Opfer des geplanten Verbrechens erfolgt sei.

II.

13
Die Revision ist unbegründet.
14
1. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch.
15
Gemäß § 30 Abs. 2 Var. 1 StGB wird derjenige bestraft, der sich bereit erklärt, ein Verbrechen zu begehen. Dies hat der Angeklagte in der Kommunikation mit der Zeugin R. über das Internet schon im Zeitraum vom 18. bis zum 24. März 2016 getan, indem er ihr anbot, sie am Bahnhof in G. abzuholen , sie in den Wald zu bringen, dort einen Galgen vorzubereiten, während sie sich entkleiden sollte, um sie anschließend zu fesseln und zu erhängen.
16
a) Die Tat, zu deren Begehung der Angeklagte sich bereit erklärte, war ein Verbrechen des Mordes.
17
aa) Bei dem beabsichtigten Erhängen der Zeugin handelte es sich nicht um eine straflose Beteiligung des Angeklagten an einer Selbsttötung.
18
Selbsttötungen sind nicht strafbar; wer sich daran beteiligt, wird deshalb auch nicht bestraft (vgl. BGH, Urteil vom 14. Februar 1984 – 1 StR 808/83, BGHSt 32, 262, 264; Urteil vom 7. Februar 2001 – 5 StR 474/00, BGHSt 46, 279, 288; NK-StGB/Neumann, 5. Aufl., Vorbemerkungen zu § 211 Rn. 47). Anders liegt es bei einer Fremdtötung. Für die Abgrenzung zwischen einer straflosen Suizidbeteiligung und einer strafbaren Fremdtötung kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darauf an, wer das zum Tod führende Geschehen zuletzt beherrscht. Wenn der Sterbewillige bis zuletzt die freie Entscheidung über sein Schicksal behält, tötet er sich selbst, wenn auch gegebenenfalls mit fremder Hilfe (vgl. Senat, Urteil vom 14. September 1963 – 2 StR181/63, BGHSt 19, 135, 139 f.). Gibt sich der zu Tötende demgegen- über in die Hand eines anderen, weil er duldend den Tod von diesem entgegennehmen will, so hat der andere die Tatherrschaft. In diesem Fall, in dem ein anderer die Herrschaft über den eigentlich todbringenden Akt innehat, liegt eine strafbare Fremdtötung vor. Nach dem der Geschädigten unterbreiteten Tatplan war Letzteres der Fall. Der Angeklagte beabsichtigte, die Zeugin zu fesseln und sie anschließend zu töten; sie sollte sich gerade nicht mehr wirkungsvoll gegen eine Tötung entscheiden können.
19
bb) Die geplante Tat war keine strafrechtlich privilegierte Tötung auf Verlangen gemäß § 216 Abs. 1 StGB, die als bloßes Vergehen kein tauglicher Anknüpfungspunkt für § 30 StGB wäre. § 216 Abs. 1 StGB setzt ein Tötungsverlangen voraus, das bereits begrifflich nicht mit einer bloßen Zustimmung des zu Tötenden gleichgesetzt werden kann. Vielmehr ist zur Privilegierung der Tötung eine bestimmende Einflussnahme des Opfers auf den Entschluss des Täters erforderlich (vgl. RG, Urteil vom 17. September 1934 – 2 D 839/33, RGSt 68, 306, 307; Schönke/Schröder/Eser/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 216 Rn. 5; Knierim, Das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ im Strafrecht, 2018, S. 317; SK-StGB/Sinn, 9. Aufl., § 216 Rn. 6). Das Verlangen muss auch nach dem Zweck des § 216 Abs. 1 StPO, erheblich vermindertes Unrecht und reduzierte Schuld zu privilegieren, für den Täter handlungsleitend wirken (vgl. Senat, Urteil vom 22. April 2005 – 2 StR 310/04, BGHSt 50, 80, 92).
20
Das war hier nicht der Fall: Es fehlt bereits an einem Verlangen der Tötung durch das Opfer, das für den Täter handlungsleitend gewesen wäre.
21
Zurzeit des Sich-Bereiterklärens des Angeklagten zur Tötung der Zeugin in der Internetkommunikation im Zeitraum vom 18. bis zum 24. März 2016 hatte die Zeugin noch nicht ihre Bereitschaft erklärt, sich vom Angeklagten erhängen zu lassen. Erst während des Aufenthalts in der Klinik ab dem 11. April 2016 stimmte sie diesem Plan des Angeklagten zu. Diese Zustimmung der Zeugin ist im hiesigen Zusammenhang unbeachtlich. Denn der Angeklagte hatte die Initiative ergriffen, er war zur Tötung der Zeugin R. entschlossen und er verfolgte eigene sexuelle Interessen. Wer aber maßgeblich Eigeninteressen verfolgt, befindet sich nicht in einer Konfliktsituation, welche die Privilegierung gemäß § 216 Abs. 1 StGB rechtfertigt (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2018 – 5 StR 267/17, NStZ-RR 2018, 172). Der erklärte Sterbewunsch der Zeugin war für den Angeklagten zwar notwendige Voraussetzung zur Durchführung der Tat, aber nicht handlungsleitendes Motiv. Auf die vom Landgericht angesprochene Frage, ob dem Verlangen des Opfers eine fehlerfreie Willensbildung zugrunde lag (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10, NStZ 2011, 340 f.; Urteil vom 14. September 2011 – 2 StR 145/11, NStZ 2012, 85, 86), kommt es danach für die Entscheidung über das Eingreifen des Privilegierungstatbestands nach § 216 StGB nicht an.
22
cc) Nach den Vorstellungen des Angeklagten wollte er die ZeuginR. zur Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse töten. Die geplante Tat erfüllt deshalb den Tatbestand des Mordes gemäß § 211 Abs. 2 Var. 1 StGB. Mit diesem verwerflichen Motiv tötet der Täter einen anderen Menschen, wenn er in der Tötung seine geschlechtliche Befriedigung sucht (vgl. Senat, Urteil vom 22. April 2005 – 2 StR 310/04, BGHSt 50, 80, 92). Der Angeklagte wollte die Zeugin R. nackt und gefesselt erhängen, weil dies seiner sexuellen Präferenz entsprach.
23
b) Zur Begehung dieses Verbrechens hat sich der Angeklagte bereit erklärt.
24
aa) Das Sich-Bereiterklären im Sinne von § 30 Abs. 2 Var. 1 StGB besteht in der Kundgabe der Bereitschaft zur Begehung des Verbrechens gegenüber einer anderen Person (vgl. Jacoby, Die Aufforderung und das Erbieten zu einem Verbrechen und deren Annahme de lege lata und de lege ferenda, 1929, S. 19), wonach der Erklärende dem Empfänger gegenüber „im Wort steht“ (LK/Schünemann, StGB,12. Aufl., § 30 Rn. 3; Thalheimer, Die Vorfeldstrafbarkeit nach §§ 30, 31 StGB, 2008, S. 75) und deshalb nicht mehr uneingeschränkt von seinem Tatentschluss zurückstehen kann (vgl. Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Bd. II, 2003, § 28 Rn. 5).
25
Der Angeklagte erklärte sich nach den Feststellungen mit der gebotenen Ernsthaftigkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2016 – AK 3/16, BeckRS 2016, 04193; SK-StGB/Hoyer, 9. Aufl., § 30 Rn. 38; MüKoStGB/Joecks, 3. Aufl., § 30 Rn. 46; LK/Schünemann, aaO § 30 Rn. 92; Thalheimer aaO S. 78) zur Tötung der Zeugin R. bereit; die geplante Tat war auch bereits ausreichend konkretisiert.
26
Eine verbreitete Auffassung in der Literatur fordert weiter, die Erklärung müsse dem Empfänger tatsächlich zugehen (vgl. Dessecker, JA 2005, 549, 552; Eisele in Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, Strafrecht Allgemeiner Teil, 12. Aufl., § 26 Rn. 189; SK-StGB/Hoyer, § 30 Rn. 39 f.; Jescheck/Weigend, Strafrecht Allgemeiner Teil, 5. Aufl., § 65 III 3, S. 705; MüKoStGB/Joecks, aaO § 30 Rn. 48; Mitsch in Festschrift für Maiwald, 2010, S. 539, 553 f.; SSWStGB /Murmann, 3. Aufl., § 30 Rn. 21; Piazena, Das Verabreden, Auffordern und Anleiten von Straftaten unter Nutzung der Kommunikationsmöglichkeiten des Internets, 2014, S. 169; aA Schönke/Schröder/Heine/Weißer, aaO § 30 Rn. 22). Ob dem zu folgen ist, kann dahinstehen; denn jedenfalls ist auch diese Voraussetzung erfüllt.
27
bb) Der Annahme eines tatbestandlichen Sich-Bereiterklären zur Begehung eines Verbrechens steht nicht entgegen, dass seine Erklärung nicht gegenüber einem potenziellen weiteren Tatbeteiligten, sondern gegenüber dem Tatopfer angegeben wurde. Wortlaut und Zweck der Norm gebieten eine Anwendung der Vorschrift auf die vorliegende Fallkonstellation; die Entwicklungsgeschichte der Norm und die Gesetzessystematik stehen dem jedenfalls nicht entgegen.
28
(1) Der Wortlaut des Gesetzes nennt keinen Adressaten, dem gegenüber die Tatbereitschaft erklärt werden muss. Auf die Abgabe der Erklärung gegenüber einer bestimmten Person kommt es danach nicht an. Zwar muss es irgendeinen Empfänger der Erklärung geben, weil andernfalls keine gefahrbegründende Selbstbindung des Erklärenden entstehen könnte (vgl. Mitsch aaO S. 545). Ein prospektiver Tatbeteiligter muss dies aber nicht sein, wenn die Erklärung auch gegenüber einer anderen Person eine motivationale Selbstbindung des Täters begründen kann. Erklärungsempfänger kann daher auch das voraussichtliche Tatopfer sein, wenn dessen Zustimmung oder sonstige Mitwirkung nach der Vorstellung des Täters die Tatausführung ermöglicht und der Täter mit seiner Erklärung auf die Herbeiführung dieser Zustimmung oder sonstigen Mitwirkung abzielt.
29
Etwas anderes folgt auch nicht aus der gesetzlichen Überschrift. Die Bezeichnung des Delikts als „Versuch der Beteiligung“ deutet nicht darauf hin, dass Adressat in der Konstellation des § 30 Abs. 2 Var. 1 StGB ein potenzieller Tatbeteiligter sein muss (aA Mitsch aaO S. 556); denn die Überschrift ist kein verbindlicher Teil des Inhalts der strafrechtlichen Bestimmung.
30
(2) Der Normzweck des § 30 Abs. 2 StGB spricht für dessen Anwendung auf den Fall des Sich-Bereiterklärens des Täters zur Begehung eines Mordes auch gegenüber dem potenziellen Opfer. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Erklärung in der konkreten Fallkonstellation geeignet ist, eine motivationale Selbstbindung des Täters zu begründen.
31
Der Zweck des § 30 Abs. 2 StGB besteht in der Bekämpfung von Gefahren für das von dem Verbrechenstatbestand geschützte Rechtsgut durch eine motivationale Bindung des Täters (vgl. BT-Drucks. V/4095, S. 13). Diese Bindung kann auch gegenüber dem potenziellen Opfer des Verbrechens erfolgen, wenn das Opfer ein eigenes Interesse an der Tatbegehung hat und seine Einbeziehung in die Ausführung der Tat deren Begehung erleichtern oder nach der Vorstellung des Täters überhaupt erst ermöglichen soll. Unter diesen Umstän- den ist auch das Tatopfer als eine „Person mit Eigeninteresse an der Verbrechensbegehung“ (Thalheimer aaO S. 76) ein geeigneter Erklärungsadressat des Erbietens des Täters zur Begehung des Verbrechens im Sinne von § 30 Abs. 2 Var. 1 StGB.
32
Diese Fallkonstellation bewegt sich zwischen den Gestaltungen des so genannten „echten Sich-Erbietens“ eines noch nicht endgültig zur Tat ent- schlossenen Täters, der die Ausführung seines Plans noch von einer Annahme des Erbietens durch einen potenziellen Teilnehmer als Erklärungsempfänger abhängig macht, und eines „unechten Sich-Erbietens“, bei dem die Ausführung nicht von einer Annahme des Angebots abhängen soll (vgl. dazu LK/Schünemann, aaO § 30 Rn. 90; Thalheimer aaO S. 73). Zwar wurde vom Angeklagten keine Annahme des Angebots durch einen weiteren Tatbeteiligten vorausgesetzt, wohl aber war die Mitwirkung des künftigen Tatopfers nach seinem Plan zur Tatausführung erforderlich. Auch in dieser Konstellation liegt beim Sich-Erbieten zur Tötung des Opfers nicht nur eine Verlautbarung des Tatent- schlusses, sondern eine Handlung mit dem Ziel, eine Reaktion hervorzurufen, welche das sexuell motivierte Erhängen ermöglichen sollte.
33
(3) Die Entwicklungsgeschichte des Gesetzes ergibt zwar nicht, dass die Ausdehnung der Strafbarkeit auf das Vorfeld zum Versuchsstadium des Verbrechens auch den Fall erfassen soll, dass sich der Täter des geplanten Verbrechens gegenüber dem Opfer zur Tatbegehung bereit erklärt. Sie steht diesem Ergebnis aber auch nicht entgegen.
34
Die ursprüngliche Regelung des § 49a RStGB, die einen eigenständigen Straftatbestand enthielt, war – nach mehreren Änderungen gegenüber dem ersten Entwurf (vgl. Witte, Erörterungen über den § 49a des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich, 1886, S. 18 ff.) – durch eine Novelle vom 26. Februar 1876 zum Reichsstrafgesetzbuch eingeführt worden (Gesetz, betreffend die Abänderung von Bestimmungen des Strafgesetzbuchs für das Deutsche Reich vom 15. Mai 1871 und die Ergänzungen desselben, RGBl. 1876 I S. 25). Anlass dafür war das historische Ereignis, dass der belgische Kesselschmied Duchesne -Poncelet dem Erzbischof von Paris während des Kulturkampfes angeboten hatte, Reichskanzler Otto von Bismarck gegen Entgelt zu töten, was der Erzbischof jedoch abgelehnt hatte. Deshalb wurde eine Strafbarkeit schon im Vorfeld des Versuchs der Verbrechensbegehung eingeführt (vgl. Becker, Der Strafgrund der Verbrechensverabredung gem. § 30 Abs. 2, Alt. 3 StGB, 2012, S. 16 ff.; Dessecker, JA 2005, 549, 550 f.; Rogall in Festschrift für Puppe, 2011, S. 865, 861 f.). Das Reichsgericht ging davon aus, dass durch § 49a RStGB nicht etwa die gesetzestreue Gesinnung, sondern das Rechtsgut der „Sicherheit der Person“ geschützt werden soll (vgl. RG, Urteil vom 4. Januar1904 – Rep. 3865/03, RGSt 37, 45, 46). Die Strafdrohung war von Anfang an umstritten. Sie wurde im Lauf der Zeit mehrfach geändert, jedoch ungeachtet der grundsätzlichen Kritik nicht aufgehoben.
35
Nach dem Zweiten Weltkrieg entschied der Bundesgerichtshof, dass § 49a RStGB in der Fassung durch die Strafrechtsangleichungsverordnung vom 29. Mai 1943 (RGBl. I S. 339) zwar eine Tendenz zum Gesinnungsstrafrecht aufweise. Es handele sich aber nicht um typisch nationalsozialistisches Gedankengut , weshalb die Regelung weiter gelte (vgl. Senat, Urteil vom 16. Februar 1951 – 2 StR 109/50, BGHSt 1, 59, 60 f.). Die Fassung wurde durch das 3. Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. August 1953 (BGBl. I S. 735) modifiziert, die erneut auch eine Strafdrohung gegen das Sich-Bereiterklären zur Begehung eines Verbrechens vorsah. Der Alternativentwurf des Jahres 1962 sah zwar eine Streichung aller Varianten bis auf den Versuch der Anstiftung vor (vgl. Becker aaO S. 35 mwN). Dieser Vorschlag wurde aber nicht umgesetzt. Der Gesetzgeber verwies auf die Möglichkeit gefährlicher Bindungen des Täters durch die Kommunikation im Sinne von § 30 StGB. Er hatte dabei allerdings vor allem diejenigen Bindungen im Blick, die durch Erklärungen gegenüber einem potenziellen Tatbeteiligten entstehen können (vgl. BT-Drucks. IV/650, S. 154; V/4095, S. 13). An die Möglichkeit einer motivationalen Selbstbindung des Täters gegenüber dem potenziellen Verbrechensopfer hat er ersichtlich nicht gedacht, diese aber auch nicht erkennbar ausgeschlossen.
36
(4) Systematische Erwägungen stehen dem aufgrund von Wortlaut und Zweck der Norm gefundenen Auslegungsergebnis ebenfalls nicht entgegen.
37
Zwar ist die Regelung des Versuchs der Beteiligung erst im Anschluss an die Vorschriften über die Beteiligung (§§ 25 bis 29 StGB) und nicht hinter denjenigen des Versuchs der Tat (§§ 22 bis 24 StGB) eingeordnet. Dieser systematische Aspekt besitzt aber nur geringe Aussagekraft. Ihr wirkt entgegen, dass der Gesetzgeber die Regelung insgesamt getroffen hat, um die Vorbereitung schwerster Delikte rechtzeitig auch mit den Mitteln des Strafrechts zu verhindern. Der Gesetzgeber hat sich somit für eine Ausdehnung der Strafbarkeit in das Vorbereitungsstadium entschieden. Auch die Rücktrittsregelung des § 31 StGB bestätigt dies (vgl. LK/Schünemann, aaO § 30 Rn. 2a). Deshalb ist ihr Anwendungsbereich von § 30 Abs. 2 Var. 1 StGB nicht notwendig auf den Versuch der Beteiligung an der Tat beschränkt, an der eine weitere Person in strafbarer Weise mitwirken soll.
38
2. Weder die Gesetzesvorschrift des § 30 Abs. 2 Var. 1 StGB noch deren Anwendung auf den Fall des Sich-Erbietens des Täters gegenüber dem Opfer zu dessen Ermordung verstößt gegen Verfassungsrecht.
39
a) Zum Teil wird in der Literatur angenommen, § 30 Abs. 2 Var. 1 StGB begründe kein strafwürdiges Unrecht und verstoße deshalb gegen den Schuldgrundsatz (vgl. Köhler, Strafrecht Allgemeiner Teil, 1997, Rn. 545; Puschke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, 2017, S. 343 f.; krit. auch LK/Schünemann, aaO § 30 Rn. 12). Er verletze zudem das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG (vgl. NK/Zaczyk, StGB, 5. Aufl., § 30 Rn. 34).
40
b) Dem folgt der Senat nicht.
41
aa) Der Wortlaut der Norm, der die Kundgabe der Bereitschaft zur Begehung eines Verbrechens voraussetzt, ist hinreichend bestimmt (vgl. LK/Schünemann, aaO, § 30 Rn. 3). Dadurch sind die Grenzen der Strafbarkeit für Normadressaten zur Tatzeit vorhersehbar.
42
bb) Auch im Hinblick auf den Schuldgrundsatz und das Verhältnismäßigkeitsprinzip bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Strafdrohung und ihre Anwendung auf Fallkonstellationen des Sich-Erbietens durch den Alleintäter gegenüber dem Tatopfer zu dessen Ermordung.
43
(1) Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, schon die Verursachung abstrakter Gefahren für ein Rechtsgut mit Strafe zu bedrohen. Es kann keine Rede davon sein, dass Strafvorschriften, weil sie sich nicht gegen eine konkrete Gefährdung eines Rechtsguts richten, schlechthin verfassungswidrig seien (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. April 1970 – 2 BvR 396/69, BVerfGE 28, 175, 188). Die Frage, ob der Gesetzgeber die Strafdrohung für angemessen hält, ist in erster Linie kriminalpolitischer, nicht verfassungsrechtlicher Natur (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2008 – 2 BvR 392/07, BVerfGE 120, 224, 241). Bei der Einschätzung drohender Gefahren und der Bewertung ihrer Strafwürdigkeit steht dem Gesetzgeber ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2014 – 3 StR 243/13, BGHSt 59, 218, 227). Es ist seine Sache, den Bereich strafbaren Handelns festzulegen. Er ist bei der Entscheidung grundsätzlich frei, wie er ein wichtiges Rechtsgut mit den Mitteln des Strafrechts verteidigen will (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2008 – 2 BvR 392/07, BVerfGE 120, 224, 240). Mit Strafdrohungen können in gewissem Umfang auch präventive Zwecke verfolgt werden (vgl. BGH, aaO, BGHSt 59, 218, 231 mwN). Die Verteidigung der von Verbrechenstatbeständen geschützten Rechtsgüter bereits im Vorfeld zum Versuch nicht nur mit polizeirechtlichen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr, sondern auch mit den Reaktionsmitteln des Strafrechts, ist insbesondere bei der Verteidigung des menschlichen Lebens gegen Tötungsverbrechen auch angemessen.
44
(2) Da der Anwendungsbereich des § 30 Abs. 2 Var. 1 StGB in Fällen der Erklärung des Täters gegenüber dem Opfer eng begrenzt ist, bleibt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch im Übrigen gewahrt. Die Anwendung des § 30 Abs. 2 Var. 1 StGB ist auf Fälle des Sich-Bereiterklärens des Täters gegenüber dem Opfer zur Begehung eines Tötungsverbrechens beschränkt. In anderen Fällen des Sich-Bereiterklärens zur Verletzung eines Individualrechtsguts wirkt das Einverständnis des vom Täter angesprochenen Opfers tatbe- standsausschließend. Nur in die Vernichtung des Rechtsguts des Lebens kann der Träger des Rechtsguts nicht wirksam einwilligen. Überdies beschränkt die Rücktrittsregelung des § 31 StGB, welche eine Strafbefreiung schon durch Aufgabe des Vorhabens durch den Täter ermöglicht, den Anwendungsbereich des § 30 Abs. 2 Var. 1 StGB auch in der Konstellation des Sich-Bereiterklärens des Täters gegenüber dem Opfer weiter ein (vgl. Schönke/Schröder/Heine/Weißer, aaO, § 30 Rn. 22).
45
(3) Die Ansicht, das bloße Sich-Bereiterklären zur Tatbegehung enthalte noch kein strafwürdiges Unrecht, trifft nicht zu (vgl. MüKoStGB/Joecks, aaO, § 30 Rn. 45; Thalheimer, aaO, S. 75). Es begründet eine kommunikative Beziehung zwischen dem Erklärenden und dem Adressaten (vgl. Jacoby, aaO, S. 21), die einer versuchten Kettenanstiftung ähnelt, bei der lediglich der Erstanstifter und der präsumtive Täter identisch sind (Thalheimer, aaO, S. 72). Das Sich-Erbieten zur Tatbegehung steht nach der Vorstellung des Täters am Anfang einer Kausalkette, die in die Vollendung der Tat einmünden soll. Die Erklärung der Tatbereitschaft gegenüber einem anderen kann auch schon eine (abstrakte) Gefährdung des geschützten Rechtsguts verursachen, weil sich der Täter hiernach an seine nach außen hervorgetretene Erklärung gebunden fühlen kann und im Einzelfall auch vom Erklärungsempfänger weiter zur Tatbegehung motiviert werden mag. Eine initiative Erklärung von Tatbereitschaft bewirkt somit eine Risikoerhöhung für das vom Verbrechenstatbestand geschützte Rechtsgut.
46
(4) Der vorliegende Fall, in dem die Erklärung der Tatbereitschaft gegenüber dem Tatopfer abgegeben wurde, zeigt dieses Gefahrenpotenzial auf. Der Angeklagte hat sich gegenüber der Zeugin R. als potenziellem Tatopfer zu deren Tötung erboten, um sie zu der nach seinem Tatplan erforderlichen Mitwirkung zu veranlassen. Die Zeugin hat danach die bestehenden Hindernisse auf dem Weg zu einem Treffen mit dem Angeklagten überwunden, um ihm den Mord zu ermöglichen. Dem Angeklagten kam die späte Nachricht von ihrer bevorstehenden Ankunft ungelegen; gleichwohl bereitete er die dem Opfer zugesagte Tatausführung durch Bereitstellen von Werkzeugen zur Fesselung und zum Erhängen des Opfers sowie dessen Abholung am Bahnhof vor. Aus alledem wird deutlich, dass die Erklärung der Bereitschaft zur Begehung des Verbrechens als Beginn einer Kausalkette eine zwar abstrakte, aber sich durch Mitwirkungsakte beider Beteiligten steigernde Gefahr ausgelöst hat, die Strafe rechtfertigt.
Schäfer Eschelbach Zeng Bartel Grube
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
Angesichts der gewachsenen Bedeutung der Selbstbestimmung
des Einzelnen auch bei Entscheidungen über seinLeben
kann in Fällen des freiverantwortlichen Suizids der Arzt, derdie
Umstände kennt, nicht mit strafrechtlichen Konsequenzen verpflichtet
werden, gegen den Willen des Suizidenten zu handeln.
BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 5 StR 132/18
LG Hamburg
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 132/18
vom
3. Juli 2019
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter Tötung auf Verlangen u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:030719U5STR132.18.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Juli2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Köhler
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof S. , Richter am Landgericht K.
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 8. November 2017 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem vom Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg in dessen Beschluss vom 8. Juni 2016 (NStZ 2016, 530) zugelassenen Anklagevorwurf freigesprochen, der 85-jährigen

W.

und der 81-jährigen M. für deren Selbsttötung die Medikamente Chloroquin und Diazepam mitgebracht sowie nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der beiden Frauen Rettungsmaßnahmen unterlassen und sich hierdurch wegen versuchter Tötung auf Verlangen durch Unterlassen sowie wegen Überlassung von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch strafbar gemacht zu haben. Mit ihrer gegen das Urteil gerichteten und auf die Sachrüge gestützten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft entsprechend ihrer ursprünglichen Anklage eine Verurteilung des Angeklagten wegen (gemeinschaftlichen) Totschlags
in mittelbarer Täterschaft in zwei tateinheitlichen Fällen. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2
1. Das Landgericht hat festgestellt:
3
W. und M. lebten seit vielen Jahren gemeinsam in einer Eigentumswohnung und führten ihren Haushalt weitgehend selbständig. Beide waren in qualifizierten Berufen tätig gewesen und wirtschaftlich gut situiert. Bis zu ihrem Tod waren sie geistig rege, nahmen aktiv am gesellschaftlichen Leben teil, unterhielten viele freundschaftliche und familiäre Beziehungen und pflegten Hobbys. Beide Frauen litten indes unter mehreren zwar nicht lebensbedrohlichen , aber die Lebensqualität und die persönlichen Handlungsmöglichkeiten zunehmend einschränkenden Krankheiten (unter anderem Bluthochdruck , beginnende Erblindung, Herzbeschwerden). In den letzten Monaten vor dem Tod nahmen ihre jeweiligen Beschwerden deutlich zu.
4
Schon im Jahr 2010 hatten Frau M. und Frau W. Patientenverfügungen verfasst. Als sich ihre Beschwerden und Krankheiten seit Ende 2010 verschlechterten, wuchs bei ihnen die Sorge, pflegebedürftig zu werden. Sie befürchteten, mit der Pflege der jeweils anderen physisch und psychisch überfordert zu sein. Die Möglichkeiten, in ein Pflegeheim zu ziehen oder eine häusliche Pflegekraft einzustellen, lehnten sie für sich nach Einholung von entsprechenden Informationen endgültig ab. Nachdem sie sich bereits seit mehreren Jahren mit dem Thema Suizid und Sterbebegleitung beschäftigt hatten, beschlossen sie – wahrscheinlich im Frühjahr 2012 –, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden. Sie empfanden ihre zunehmenden Be- schwerden als „unerträglich“ und fanden, „es sei Zeit zu gehen“. Sie nahmen Kontakt zum Verein S. (S. ) auf, insbesondere zu dessen Vorsitzenden K. , und wurden gegen Zahlung eines Beitrags von jeweils 1.000 Euro Mitglieder dieses Vereins, um schmerzfrei und begleitet Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen.
5
K. stellte den Kontakt zum Angeklagten her. Dieser ist approbierter Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, arbeitete viele Jahre als Arzt in einem Krankenhaus und erstellt seit dem Jahr 2003 ausschließlich neurologische und psychiatrische Gutachten über die Urteils- und Einsichtsfähigkeit von Suizidwilligen sowie über die Wohlerwogenheit ihres Suizidbeihilfewunsches. Die Frauen beauftragten den Angeklagten mit der Erstellung eines Gutachtens, das dem Verein als Grundlage für die Entscheidung über die Suizidbegleitung dienen sollte.
6
Bei einem persönlichen Treffen am 9. September 2012 schilderten sie dem Angeklagten ihre Biographien, ihre gesundheitlichen Beschwerden sowie die Gründe für ihre Suizidentschlüsse. Körperliche Untersuchungen führte der Angeklagte nicht durch. Zu diesem Zeitpunkt stand die Entscheidung der Frauen , sich das Leben nehmen zu wollen, bereits sicher fest. Im Rahmen dieses Treffens wurden auch mögliche Alternativen zur Lebensbeendigung, wie der Umzug in ein Seniorenheim oder die Einrichtung einer häuslichen Pflege angesprochen , die beide jedoch weiterhin ablehnten. Sie brachten mehrfach deutlich zum Ausdruck, dass sie fest zum Suizid entschlossen seien und sich ihre Entscheidung gut überlegt hätten. Hieran hatte der Angeklagte keinen Zweifel.
7
Gegen Ende des Treffens baten die Frauen den Angeklagten, sie auch später persönlich bei ihrem Suizid zu begleiten, was dieser zunächst ablehnte. In seinem am 13. September 2012 erstellten Gutachten attestierte er beiden Frauen aus psychiatrischer Sicht jeweils eine uneingeschränkte Einsichts- und Urteilsfähigkeit und kam zu dem Ergebnis, dass aus ärztlich-psychiatrischer Sicht keine Einwände gegen ihren Suizidbeihilfewunsch zu erkennen seien. Nachdem beide ihn in einem Brief nochmals um eine Begleitung bei ihrer Selbsttötung gebeten hatten, erklärte er sich schließlich hierzu bereit. Bei einem weiteren Treffen knapp drei Wochen vor ihrem Tod besprachen die Frauen mit dem Angeklagten die Einzelheiten und Formalitäten der Durchführung des Suizids , für den später der 10. November 2012 vereinbart wurde. Im Rahmen dieses Treffens wurden erneut der Sterbewunsch und Alternativen thematisiert.
8
In den Folgetagen bereiteten die Frauen die Abwicklung ihres Nachlasses vor und erstellten einen „Leitfaden für Hinterbliebene“. Sie trafen sich letztmalig mit ihren Freunden und Angehörigen oder telefonierten mit ihnen, wobei sie ihre Selbsttötungspläne weiterhin nicht offenbarten. Am 5. November 2012 unterzeichneten sie auf Veranlassung des Angeklagten ein mit dem Titel „Auf- klärung und Einwilligung“ überschriebenes Formblatt, in dem sie den Wunsch äußerten, ihr Leben in Frieden und Würde zu beenden. Für den Fall ihrer Handlungsunfähigkeit untersagten sie jegliche Rettungsmaßnahmen. Am Tag vor ihrem Suizid verfassten sie eine weitere Erklärung, in der sie – auch unter Verweis auf ihre Patientenverfügungen – jeder sie etwa noch lebend antreffenden Person im Falle ihrer Handlungsunfähigkeit Rettungsmaßnahmen verboten. Sie beauftragten ergänzend Frau W. s Neffen, gegen dem Verbot zuwiderhandelnde Personen „Regress- und Schmerzensgeldforderungen“ einzuklagen. Schließlich verfassten sie Abschiedsbriefe an ihre Angehörigen und Freunde.
9
Als der Angeklagte am 10. November 2012 vereinbarungsgemäß in der Wohnung der Frauen eingetroffen war, berichteten sie ihm über die für ihren Tod getroffenen Vorbereitungen und bezahlten das vereinbarte Gutachtenhonorar in Höhe von 1.100 Euro. Ferner übergaben sie dem Angeklagten als Zuwendung 2.000 Euro, die dieser absprachegemäß einem Kinderhospiz spende- te. Sodann besprach der Angeklagte mit ihnen erneut die Einzelheiten der Medikamenteneinnahme. Er sagte ihnen zu, dass er ihrem Wunsch entsprechend bis zum sicheren Herzstillstand bleiben werde. Die Frauen sprachen über ihre Gefühle des Abschiednehmens. Der Angeklagte fragte sie nochmals, ob sie sicher seien, die Selbsttötung jetzt durchführen zu wollen. Beide Frauen bejahten dies; sie waren fest entschlossen, den von ihnen seit langem geplanten Suizid umzusetzen. Nachdem sie unter Mithilfe des Angeklagten die für ihre Selbsttötung erforderlichen Medikamente zerkleinert und in Wasser aufgelöst hatten, nahmen sie die Lösung selbständig ein. Bereits kurze Zeit später schliefen sie ein.
10
Im Zeitpunkt des Bewusstseinsverlustes der Frauen bestand zwar noch eine „gewisse Chance“, ihr Leben zuerhalten. Die Wahrscheinlichkeit einer er- folgreichen Rettung war jedoch äußerst gering. Wenn überhaupt, hätten beide mit schwersten Hirnschäden überlebt. Dies war dem Angeklagten bewusst. Er rief nicht den Notarzt und unternahm auch sonst keine Rettungsbemühungen, um dem Willen der Frauen zu entsprechen. Für eine Willensänderung ergaben sich auch nach der Medikamenteneinnahme keine Anzeichen. Beide Frauen verstarben etwa eine Stunde später.
11
2. Die Strafkammer hat eine Strafbarkeit wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft und wegen eines Betäubungsmitteldelikts aus tatsächlichen, eine solche wegen versuchter Tötung auf Verlangen sowie unterlassener Hilfeleistung aus rechtlichen Gründen verneint.
12
a) Sie konnte nicht feststellen, dass der Angeklagte den Frauen die bei der Selbsttötung angewandten Medikamente beschafft hatte, sondern ist davon ausgegangen, dass ihnen der S. diese zur Verfügung gestellt habe. Beide Frauen hätten die alleinige Tatherrschaft über die Herbeiführung ihres Todes gehabt. Ein die Tatherrschaft des Angeklagten begründender „Defektzustand“ habe bei ihnen nicht vorgelegen. Ihre von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragenen Suizidentschlüsse seien Ergebnis einer über einen längeren Zeitraum getroffenen Entscheidung und nicht etwa im Zustand einer depressiven Stimmung gefasst worden. Das durch den Angeklagten erstellte Gutachten sei weder mitursächlich für ihre Suizidentschlüsse noch inhaltlich falsch gewesen.
13
b) Eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen versuchter Tötung auf Verlangen durch Unterlassen liege aus rechtlichen Gründen nicht vor. Denn den Angeklagten habe – unabhängig von dem bereits zweifelhaften Bestehen einer möglichen Garantenstellung – im Hinblick auf die ihm bekannte Freiverantwortlichkeit des Suizids der Frauen weder objektiv noch subjektiv eine Pflicht zur Abwendung ihres Todes getroffen.
14
c) Aus rechtlichen Gründen habe sich der Angeklagte auch nicht wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar gemacht. Es sei bereits fraglich, ob die seitens der beiden Frauen vorgenommene Selbsttötung einen Unglücksfall im Sinne des § 323c StGB darstelle. Jedenfalls sei in Fällen des freiverantwortlichen Suizides, in denen dem anwesenden Dritten der Suizidwille bekannt sei und es keine Anhaltspunkte für eine Willensänderung des Suizidenten gebe, eine Hilfeleistung nicht erforderlich und auch nicht zumutbar.

II.

15
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet. Der Freispruch des Angeklagten hält rechtlicher Überprüfung stand.
16
1. Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte nicht wegen eines vollendeten Tötungsdelikts durch aktives Tun (§ 212 Abs. 1 oder § 216 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht. Vielmehr stellt sich sein Handeln insoweit als straflose Beihilfe zum eigenverantwortlichen Suizid dar.
17
a) Die eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbsttötung erfüllt nicht den Tatbestand eines Tötungsdelikts (BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 – 3 StR 96/84, BGHSt 32, 367,371). Für die Abgrenzung einer – dementsprechend mangels rechtswidriger Haupttat straflosen – Beihilfe zur Selbsttötung und der Tötung eines anderen, gegebenenfalls auf dessen ernsthaftes Verlangen , kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darauf an, wer das zum Tod führende Geschehen zuletzt beherrscht (BGH, Urteile vom 14. August 1963 – 2 StR 181/63, BGHSt 19, 135, 139 f.; vom 7. Februar 2001 – 5 StR 474/00, BGHSt 46, 279, 284; vom 20. Mai 2003 – 5 StR 66/03, NJW 2003, 2326, 2327; vom 4. Juli 2018 – 2 StR 245/17, BGHSt 63, 161; Beschluss vom 25. November 1986 – 1 StR 613/86, NJW 1987, 1092; vgl. auch OLG München, NJW 1987, 2940, 2941). Begibt sich der Sterbewillige in die Hand eines Dritten und nimmt duldend von ihm den Tod entgegen, dann hat dieser die Tatherrschaft über das Geschehen. Nimmt dagegen der Sterbewillige selbst die todbringende Handlung vor und behält er dabei die freie Entscheidung über sein Schicksal, tötet er sich selbst, wenn auch mit fremder Hilfe.
18
Letzteres ist hier der Fall. Zwar hat der Angeklagte das zur Bereitstellung der Medikamente vom S. geforderte Gutachten erstattet, die beiden Frauen über deren Einnahme beraten und diese bei der Herstellung der tödlichen Medikamentenlösung unterstützt. Nach den Feststellungen führten die Suizidentinnen aber den lebensbeendenden Akt eigenhändig aus, indem sie die Flüssigkeiten tranken und damit das zum Tod führende Geschehen bis zuletzt selbst beherrschten.
19

b) Dem Angeklagten können die Selbsttötungshandlungen der Frauen auch nicht nach den Grundsätzen der mittelbaren Täterschaft zugerechnet werden.
20
aa) Notwendige Bedingung einer Strafbarkeit wegen eines Tötungsdelikts in mittelbarer Täterschaft in Konstellationen der Selbsttötung ist, dass derjenige , der allein oder unter Mitwirkung eines Dritten Hand an sich anlegt, unfrei handelt (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 1983 – 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38, 41 f.). Ein Begehen der Tat durch Benutzung des Suizidenten als „Werkzeug“ gegen sich selbst setzt daher voraus, dass dieser seinen Selbsttötungsentschluss aufgrund eines Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizits nicht freiverantwortlich gebildet hat (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juli 1983 – 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38, 41 f.; vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168; Beschlüsse vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13, StV 2014, 601, 602). Befindet sich der Suizident – vom „Suizidhelfer“ erkannt – in einer seine freie Willensbildung ausschließenden La- ge, kann sich das Verschaffen der Möglichkeit des Suizids als in mittelbarer Täterschaft begangenes Tötungsdelikt darstellen (BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 f.; Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13).
21
Freiverantwortlich ist demgegenüber ein Selbsttötungsentschluss, wenn das Opfer die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit für seine Entscheidung besitzt und Mangelfreiheit des Suizidwillens sowie innere Festigkeit des Entschlusses gegeben sind (vgl. BGH, Urteile vom 7. August 1984 – 1 StR 200/84, NStZ 1985, 25, 26; vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10, NStZ 2011, 340 f., und vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319, 320; Beschluss vom 8. Juli 1987 – 2 StR 298/87, NJW 1988, 1532). Zum Ausschluss der Freiverantwortlichkeit müssen konkrete Umstände festgestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13, StV 2014, 601, 603). Als solche kommen insbesondere Minderjährigkeit des Opfersoder krankheits- sowie intoxikationsbedingte Defizite in Frage (vgl. BGH, Urteile vom 22. Januar 1981 – 4 StR 480/80, NJW 1981, 932; vom 28. Oktober 1982 – 1 StR 501/82, NStZ 1983, 72; vom 11. April 2000 – 1 StR 638/99, NStZ 2001, 205, 206; vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290, und vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10, NStZ 2011, 340 f.; Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342). Der Selbsttötungsentschluss kann auch dann mangelbehaftet sein, wenn er auf Zwang, Drohung oder Täuschung durch den Täter beruht (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juli 1983 – 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38, 43; vom 3. Dezember 1985 – 5 StR 637/85, JZ 1987, 474; Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., Vor § 211 Rn. 13b; MüKo-StGB/Schneider, 3. Aufl., § 216 Rn. 22). Dasselbe gilt, wenn er einer bloßen depressiven Augenblicksstimmung entspringt, mithin nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen ist (vgl. BGH, Urteile vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10, NStZ 2011, 340, 341, und vom 14. September 2011 – 2 StR 145/11, NStZ 2012, 85, 86; MüKo-StGB/ Schneider, aaO, Rn. 19).
22
bb) Gemessen hieran ist die auf rechtsfehlerfreien Feststellungen beruhende Wertung des Landgerichts nicht zu beanstanden, die Selbsttötungsentschlüsse der beiden Frauen seien freiverantwortlich gefasst gewesen.
23
Die Strafkammer hat nach ausführlicher Würdigung der erhobenen Beweise keine Beeinträchtigungen ihrer Einsichts- und Urteilsfähigkeit, etwa durch eine psychische Störung, festgestellt. Es gab keine Anhaltspunkte dafür, dass bei den Frauen eine depressive Erkrankung etwa nicht erkannt worden sein könnte. Beider Wunsch, aus dem Leben zu scheiden, war über einen längeren Zeitraum unter Berücksichtigung von Alternativen erwogen worden und bereits gefasst, als sich die Frauen an die Sterbehilfeorganisation wandten und von ihr an den Angeklagten vermittelt wurden. Er bestand zum Zeitpunkt der tödlichen Handlungen fort. Die Frauen waren durch den Angeklagten über den genauen Ablauf des Suizids und die Wirkung der todbringenden Medikamente aufgeklärt worden, womit sie insoweit denselben Wissensstand aufwiesen, wie er selbst (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13, StV 2014, 601, 602). Ihre Selbsttötungsentschlüsse unterlagen damit keinen eine Tatherrschaft des Angeklagten begründenden Wissens- oder Willensmängeln.
24
cc) Von einem freiverantwortlichen Willensentschluss der Frauen wäre auch unter Zugrundelegung der hierfür in der Literatur vertretenen Kriterien auszugehen.
25
Die Frauen befanden sich nach den Feststellungen nicht in einem Zustand , der entsprechend §§ 19, 20, 35 StGB zu einem Verantwortlichkeitsausschluss führen würde (sogenannte Exkulpationslösung, vgl. MüKoStGB /Schneider, aaO, Vor § 211 Rn. 38; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht Besonderer Teil, 3. Aufl., § 3 Rn. 28; Roxin, NStZ 1984, 71; GA 2013, 313, 319 f.). Ihre Selbsttötungen waren das Resultat bilanzierender Reflexion, weswegen auch bei Heranziehung der Grundsätze der Einwilligung ein freiverantwortlicher Entschluss vorlag; auch an der Ernstlichkeit ihres Todeswunsches (vgl. § 216 StGB) bestanden keine Zweifel (so – mit Differenzierungen im Detail – diesogenannte Einwilligungslösung, vgl. Lackner/Kühl, aaO, Vorbemerkung §§ 211 bis 222 Rn. 13a; NK-StGB/Neumann, 5. Aufl., Vorbemerkungen zu § 211 Rn. 65; LK-StGB/Rosenau, 12. Aufl., Vor §§ 211 ff. Rn. 103; Wessels /Hettinger/Engländer, Strafrecht Besonderer Teil 1, 42. Aufl., Rn. 53 f.).
26
2. Ebenso mit Recht hat das Landgericht angenommen, dass eine Bestrafung des Angeklagten wegen vollendeter Tötung durch Unterlassen schon aus tatsächlichen Gründen nicht in Betracht kommt. Denn das Unterlassen von Rettungshandlungen nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der Frauen durch den Angeklagten war für deren Tod nicht kausal.
27
Ursächlichkeit liegt bei den (unechten) Unterlassungsdelikten vor, wenn bei Vornahme der pflichtgemäßen Handlung der tatbestandsmäßige Schadenserfolg mit dem für die Bildung der richterlichen Überzeugung erforderlichen Beweismaß der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit verhindert worden wäre (vgl. BGH, Urteile vom 4. Juli 1984 – 3 StR 96/84, BGHSt 32, 367, 369 f.; vom 6. Juli 1990 – 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106, 126 f.; vom 19. Dezember 1997 – 5 StR 569/96, BGHSt 43, 381, 397; vom 19. April 2000 – 3 StR 442/99, NJW 2000, 2754, 2757 und vom 4. September 2014 – 4 StR 473/13, BGHSt 59, 292, 301 f.; Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21, 27).
28
Der Nachweis, dass der Tod bei sofortiger Einleitung ärztlicher Rettungsmaßnahmen hätte verhindert oder hinausgeschoben werden können, ist nicht erbracht. Denn nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen schliefen die Frauen „kurze Zeit“ nach der Medikamenteneinnahme ein. Ab die- sem Zeitpunkt war die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Rettung „äußerst gering“ (UA S. 20).
29
3. Der Angeklagte hat sich auch nicht wegen eines versuchten Tötungsdelikts durch Unterlassen strafbar gemacht, da ihn keine Garantenstellung für das Leben der beiden Frauen traf und dies auch seiner Vorstellung entsprach.
30
a) Eine versuchte Tötung durch Unterlassen kann nach § 13 Abs. 1 StGB nur begehen, wer nach seiner Vorstellung rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt; zudem muss das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entsprechen. Die Gleichstellung des Unterlassens mit dem aktiven Tun setzt voraus, dass der Täter als „Garant“zur Abwendung des tatbestandlichen Erfolges verpflichtet ist. Der eine Garantenstellung schaffende besondere Rechtsgrund kann seinen Ursprung etwa in Rechtsnormen, besonderen Vertrauensverhältnissen oder vorangegangenem gefährlichen Tun finden (vgl. nur BGH, Urteil vom 24. Juli 2003 – 3 StR 153/03, BGHSt 48, 301, 306). Verbindendes Element sämtlicher Entstehungsgründe ist dabei stets die Überantwortung einer besonderen Schutzfunktion für das betroffene Rechtsgut an den Obhuts- oder Überwachungspflichtigen (vgl. BGH, Urteile vom 25. September 2014 – 4 StR 586/13, BGHSt 59, 318, 323 und vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 358/92, BGHSt 38, 388, 391; Beschluss vom 8. März 2017 – 1 StR 466/16, BGHSt 62, 72, 76).
31
b) Der Angeklagte war nicht kraft Übernahme der ärztlichen Behandlung für das Leben der beiden Frauen verantwortlich. Denn es bestand zwischen den Beteiligten kein Arzt-Patientinnen-Verhältnis (vgl. zu einer solchen Konstellation BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 – 3 StR 96/84, BGHSt 32, 367, 377 f.). Mit den Suizidentinnen vereinbart war lediglich, sie bei ihrem Sterben zu begleiten; eine Beschützergarantenstellung für ihr Leben oblag ihm daher nicht (vgl. auch BGH, Urteil vom 26. Oktober 1982 – 1 StR 413/82, NJW 1983, 350, 351).
32
c) Der Angeklagte hat auch keine Garantenstellung aus vorangegangenem gefährlichen Tun (Ingerenz). Eine solche setzt ein pflichtwidriges – auch mittelbares – Schaffen einer Gefahr voraus (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2009 – 5 StR 394/08, BGHSt 54, 44, 47; Beschlüsse vom 8. März 2017 – 1 StR 466/16, BGHSt 62, 72, 80 und vom 15. Mai 2018 – 3 StR 130/18; zur mittelbaren Gefahrverursachung vgl. Schönke/Schröder/Bosch, 30. Aufl., § 13 Rn. 39; Roxin, NStZ 1985, 320, 321).
33
aa) Das Überlassen der Medikamente kommt als Anknüpfungspunkt insofern nicht in Betracht. Denn das Landgericht hat nicht festzustellen vermocht, dass der Angeklagte sie den Frauen zur Verfügung gestellt hat, er auf diese Weise mithin eine Gefahrenquelle für beider Leben geschaffen hat (vgl. BGH, Urteile vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 41 f.; vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319, 320 und vom 22. November 2016 – 1 StR 354/16, BGHSt 61, 318, 323; Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21, 23 f.).
34
bb) Die Erstellung der Gutachten über die aus psychiatrischer Sicht bestehende Einsichts- und Urteilsfähigkeit der beiden Frauen führt nicht zur Begründung einer Garantenstellung aus vorangegangenem gefährlichem Tun. Denn dieses Handeln war nicht pflichtwidrig.
35
(1) Eine Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens des Angeklagten ergab sich weder aus § 1 Abs. 1 BÄO noch aus dem ärztlichen Standesrecht.
36
(a) Die Erstattung der Gutachten zur Vorbereitung der Gewährung von Hilfe bei einer Selbsttötung mag zwar in Widerspruch zu § 1 Abs. 1 BÄO stehen. Die Bundesärzteordnung regelt jedoch lediglich das ärztliche Berufsbild und die Voraussetzungen für die Ausübung des Arztberufs, insbesondere die Approbation.
37
(b) Die ärztlichen Berufsordnungen enthalten Regelungen, wonach Ärzte keine Hilfe zur Selbsttötung leisten dürfen (vgl. § 16 Satz 3 der von der Bundesärztekammer beschlossenen Musterberufsordnung für Ärzte) oder sollen (vgl. § 16 Satz 3 der Berufsordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe). Soweit der Angeklagte sich über eine solche Regelung hinwegsetzte, begründete dies jedoch in seiner Person keine Garantenstellung aus Ingerenz.
38
Dabei kommt es nicht – wie das Landgericht in Betracht zieht – darauf an, dass die Ärztekammer Westfalen-Lippe, der der Angeklagte angehört, das in der Musterberufsordnung vorgeschlagene ausdrückliche uneingeschränkte Verbot der Hilfe zur Selbsttötung nicht übernommen hat. Der Senat braucht auch nicht zu entscheiden, ob ärztliche Berufsordnungen, die nicht im Rang eines formellen Gesetzes stehen, zur Begründung von strafbewehrten Erfolgsabwendungspflichten geeignet sind (ablehnend etwa Hillenkamp, MedR 2018, 379, 382; ZMGR 2018, 289, 294; Hoven, NStZ 2018, 281, 284) oder die Statuierung einer Garantenstellung eine Ordnung eines Lebensbereichs darstellt, die auf eine Entscheidung des Gesetzgebers zurückzuführen sein muss (vgl. BVerfGE 33, 125, 158).
39
Denn jedenfalls muss die Pflichtwidrigkeit in der Verletzung eines Gebotes bestehen, das gerade dem Schutz des konkret gefährdeten Rechtsguts zu dienen bestimmt ist (BGH, Urteile vom 6. Juli 1990 – 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106, 115 f. und vom 4. Dezember 2007 – 5 StR 324/07, NStZ 2008, 276, 277; Beschluss vom 8. März 2017 – 1 StR 540/16, wistra 2017, 437, 440; Schönke/ Schröder/Bosch, aaO, § 13 Rn. 35a). Dies ist bereits zweifelhaft, da das ärztliche Standesrecht grundsätzlich auf die Statuierung berufsethischer (Verhaltens -) Standards und nicht auf den Schutz von Rechtsgütern gerichtet ist (vgl. BVerfGE 76, 171, 187 für anwaltliche Standesrichtlinien; siehe auch VG Berlin, Urteil vom 30. März 2012 – 9 K 63.09; MüKo-StGB/Schneider, aaO, Vor § 211 Rn. 76; Eser, JZ 1986, 786, 789; Freund/Timm, GA 2012, 491, 494). Jedenfalls aber entfaltet das Standesrecht keine strafbegründende Wirkkraft, wenn das ärztliche Verhalten dem autonomen Willen des Suizidenten entspricht (vgl. § 1901a BGB, dazu auch BGH, Urteil vom heutigen Tag – 5 StR 393/18).
40
(2) Ein Pflichtwidrigkeitsurteil kann auch nicht aus dem durch das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung mit Wirkung vom 10. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2177) in das Strafgesetzbuch eingefügten Straftatbestand des § 217 StGB abgeleitet werden. Zwar hat der Gesetzgeber damit zum Ausdruck gebracht, dass er das geschäftsmäßige Verschaffen der Gelegenheit zur Selbsttötung, wie es der Angeklagte durch seine regelmäßige Erstellung der von Sterbehilfeorganisationen vorausgesetzten Gutachten der vorliegenden Art erbracht hat, als strafwürdig und damit auch als pflichtwidrig erachtet (vgl. auch BT-Drucks. 18/5373, S. 11). Diese Norm kann freilich bereits aufgrund der vor ihrem Inkrafttreten liegenden Tatzeit die Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens des Angeklagten nicht begründen (Art. 103 Abs. 2 GG, §§ 1, 2 StGB).
41
(3) Auch die weiteren durch das Landgericht festgestellten aktiven Beiträge des Angeklagten, wie insbesondere die beratende Tätigkeit am Todestag sowie die Hilfe beim Zerkleinern und Auflösen der Tabletten, erfüllen nach dem oben Gesagten nicht die Voraussetzungen eines pflichtwidrigen Vorverhaltens. Da die Frauen nach den Feststellungen des Landgerichts schon vor der beratenden Tätigkeit des Angeklagten zum Selbstmord durch die Einnahme der Tabletten entschlossen waren, bestehen bereits Zweifel daran, ob dieses Vorverhalten des Angeklagten überhaupt die Gefahr des Eintritts des tatbestandsmäßigen Erfolgs begründete oder erhöhte (vgl. BGH, Urteile vom 6. Juli 1990 – 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106 und vom 23. September 1997 – 1 StR 430/97, NStZ 1998, 83, 84). Jedenfalls haben die Frauen im Anschluss hieran die Tabletten freiverantwortlich selbst eingenommen, so dass das Risiko für die Verwirklichung der durch das Vorverhalten des Angeklagten gegebenenfalls erhöh- ten Gefahr allein in ihrem Verantwortungsbereich lag (vgl. BGH, Beschluss vom 13. November 1963 – 4 StR 267/63, BGHSt 19, 152, 155; Urteil vom 5. Dezember 1974 – 4 StR 529/74, BGHSt 26, 35, 38; LK-StGB/Weigend, aaO, § 13 Rn.

45).

42
Dem steht nicht entgegen, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Konstellationen einer sich erwartungswidrig entwickelnden Selbstgefährdung eine Erfolgsabwendungspflicht des das Tatmittel bereitstellenden Täters angenommen hat (vgl. BGH, Urteile vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84, NStZ 1985, 319, 320; vom 27. Juni 1984 – 3 StR 144/84, NStZ 1984, 452 und vom 24. November 2016 – 4 StR 289/16, NStZ 2017, 219, 221; Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21, 26). Denn in den Selbstgefährdungsfällen erschöpft sich die Preisgabe des eigenen Rechtsguts gerade darin, dieses in der Hoffnung auf einen guten Ausgang einem Risiko auszusetzen (BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21, 26 f.; Urteil vom 24. November 2016 – 4 StR 289/16, NStZ 2017, 219, 221 f.). Demgegenüber vertraut der Suizident nicht darauf, dass sich die Gefahr, in die er seine Rechtsgüter bringt, nicht realisiert. Vielmehr kommt es ihm gerade auf den Eintritt der Rechtsgutsbeeinträchtigung an.
43
4. Das Landgericht hat schließlich eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c Abs. 1 StGB) zutreffend verneint.
44
a) Entgegen den im angefochtenen Urteil insoweit geäußerten Zweifeln hält der Senat daran fest, dass die durch einen Selbstmordversuch herbeigeführte Gefahrenlage einen Unglücksfall im Sinne des § 323c Abs. 1 StGB darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. März 1954 – GSSt 4/53, BGHSt 6, 147, 152; Urteil vom 15. Mai 1959 – 4 StR 475/58, BGHSt 13, 162, 169; anders noch Urteil vom 12. Februar 1952 – 1 StR 59/50, BGHSt 2, 150). Für eine Abkehr von dieser Auffassung besteht, auch unter Berücksichtigung der hiergegen im Schrifttum erhobenen Einwände (vgl. NK-StGB/Gaede, aaO, § 323c Rn. 5; Lackner/Kühl, aaO, § 323c Rn. 2; MüKo-StGB/Freund, aaO, § 323c Rn. 59 ff.; Schönke/Schröder/Hecker, aaO, § 323c Rn. 8; Wessels/Hettinger/Engländer, aaO, Rn. 68; Schroth in Spickhoff/Kossak/Kvit, Aktuelle Fragen des Medizinrechts , S. 157, 161), kein Anlass.
45
Ungeachtet der durch den Bundesgerichtshof in der Vergangenheit vorgenommenen Bewertung der Selbsttötung als Verstoß gegen das Sittengesetz (vgl. BGH, Beschluss vom 10. März 1954, GSSt 4/53, aaO, 153; siehe auch BGH, Urteil vom 7. Februar 2001 – 5 StR 474/00, BGHSt 46, 279, 285), stellt die mit einem Suizid verbundene Zerstörung des grundrechtlich geschützten Rechtsguts Leben – von gravierenden Ausnahmefällen (vgl. etwa den BVerwGE 158, 142) abgesehen – bei natürlicher Betrachtung einen Unglücksfall im Rechtssinn dar (vgl. Kutzer, ZRP 2012, 135, 136). Anders als bei den dem Individualschutz dienenden Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten schließt die aus dem Selbstbestimmungsrecht fließende Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Suizidenten das der Vorschrift des § 323c StGB auch zugrundeliegende Erfordernis menschlicher Solidarität nicht aus (vgl. Otto, Gutachten D für den 56. Deutschen Juristentag, 1986, D 77; NJW 2006, 2217, 2222). Deshalb stellt die Annahme eines Suizids als Unglücksfall auch keinen Widerspruch zur Straflosigkeit des Teilnehmers an einer Selbsttötung dar (vgl. auch BGH, Urteil vom 15. Mai 1959 – 4 StR 475/58, BGHSt 13, 162, 169; aA LK-StGB/Spendel, 11. Aufl., § 323c Rn. 51; Eser, MedR 2018, 734, 735; Saliger, medstra 2015, 132,

136).

46
b) Dem Angeklagten war aber nicht zuzumuten, nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der Frauen Rettungsmaßnahmen zu ergreifen. Damit hat er den Tatbestand des § 323c StGB nicht erfüllt (vgl. zur Einordnung der Zumutbarkeit als Tatbestandsmerkmal des § 323c StGB siehe BGH, Beschluss vom 2. März 1962 – 4 StR 355/61, BGHSt 17, 166, 170; SSW/Schöch, StGB, 4. Aufl., § 323c Rn. 17; Schönke/Schröder/Hecker, aaO, § 323c Rn. 1).
47
Soweit Maßnahmen zur Lebensrettung der bewusstlosen Frauen in Betracht kamen, befand sich der Angeklagte in einer für ihn unauflöslichen Konfliktsituation zwischen der aus § 323c Abs. 1 StGB erwachsenden allgemeinen Hilfspflicht und der Pflicht, das im allgemeinen Persönlichkeitsrecht verbürgte Selbstbestimmungsrecht der Frauen zu achten. Im Hinblick auf ihren geplanten Suizid hatten sie knapp eine Woche zuvor eine schriftliche Erklärung verfasst, in der sie ausdrücklich und unmissverständlich jegliche Rettungsmaßnahmen nach Eintritt ihrer Handlungsunfähigkeit untersagten (UA S. 14). Diese Verfügung zielte auf die nach Einnahme der todbringenden Medikamente eingetretene Situation und war für den Angeklagten verbindlich (§ 1901a Abs. 1 BGB; vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. September 2014 – XII ZB 202/13, BGHZ 202, 226, 238; vom 6. Juli 2016 – XII ZB 61/16, BGHZ 211, 67, 82 und vom 14. November 2018 – XII ZB 107/18, NJW 2019, 600, 602; BT-Drucks. 16/8442, S. 11 f.). Zudem hatten die Frauen ihren Willen, nicht gerettet zu werden, auch in einer schriftlichen Erklärung an Frau W. s Neffen zum Ausdruck gebracht, mit der sie diesen im Fall der Zuwiderhandlung mit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen beauftragten. Zu einer dem erklärten Willen zuwiderlaufenden Hilfeleistung verpflichtete § 323c Abs. 1 StGB den Angeklagten nicht (vgl. BGH, Urteile vom 3. Dezember 1982 – 2 StR 494/82, NStZ 1983, 117, 118 und vom 25. Juni 2010 – 2 StR 454/09, BGHSt 55, 191).
48
c) Der Senat weicht nicht in einer ein Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG erfordernden Weise von der vom 3. Strafsenat in seinem Urteil vom 4. Juli 1984 – 3 StR 96/84, BGHSt 32, 367, 381 – vertretenen Ansicht ab. Angesichts dessen, dass bei einer „Rettung“ der Frauen – ebenso wie dort – schwerste Hirnschäden zu erwarten gewesen wären (UA S. 20), liegt im Ergebnis keine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG vor (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 1994 – 4 StR 656/93, NJW 1994, 2034, 2035; Urteil vom 22. April 1997 – 1 StR 701/96, BGHSt 43, 53, 58; KK-StPO/Feilcke, 8. Aufl., GVG § 132 Rn. 4; LR-StPO/Franke, 26. Aufl., GVG § 132 Rn. 6; MüKoStPO /Cierniak/Pohlit, 2018, GVG § 132 Rn. 12).

49
5. Gegen die Ablehnung einer Strafbarkeit wegen Überlassung von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch (§ 29 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. b, § 13 Abs. 1 BtMG) oder wegen unerlaubter Abgabe verschreibungspflichtiger Medikamente (§ 95 Abs. 1 Nr. 4 AMG) ist rechtlich nichts zu erinnern.
Mutzbauer Sander Schneider
König Köhler
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Die Garantenstellung des Arztes für das Leben seines Patienten
endet, wenn er vereinbarungsgemäß nur noch dessen
freiverantwortlichen Suizid begleitet.
BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 - 5 StR 393/18
LG Berlin
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 393/18
vom
3. Juli 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Tötung auf Verlangen u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:030719U5STR393.18.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Juli2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Köhler
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof S. , Richter am Landgericht K.
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,


für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 8. März 2018 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen, sich durch die Förderung des Suizids der 44-jährigen D. sowie das spätere Unterlassen von Maßnahmen zu deren Rettung der Tötung auf Verlangen strafbar gemacht zu haben (vgl. KG, StV 2018, 304). Mit ihrer gegen den Freispruch gerichteten und auf die Sachrüge gestützten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter Tötung auf Verlangen durch Unterlassen. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2
1. Das Landgericht hat festgestellt:
3
D. litt seit ihrem sechzehnten Lebensjahr an einem nicht lebensbedrohlichen, aber starke krampfartige Schmerzen verursachenden Reiz-Darm-Syndrom. Eine Besserung ihres Gesundheitszustands konnte sie auch durch das Ausschöpfen zahlreicher klassischer und alternativer Behandlungsmöglichkeiten nicht erlangen. Daneben litt sie seit ihrer Pubertät unter rezidivierenden Harnwegsinfektionen und wiederkehrenden Analfisteln und zeigte zudem psychische Auffälligkeiten. Im Laufe ihres Lebens war sie bei verschiedenen Psychotherapeuten in Behandlung. Aufgrund ihres Gesundheitszustands war sie – obgleich an sich lebenslustig – jedenfalls in der Zeit vor ihrem Tod reaktiv depressiv. Sie hatte mehrfach Suizidversuche unternommen und beschäftigte sich intensiv mit dem Thema Tod.
4
Da ihr das Leben unter diesen Umständen nicht mehr lebenswert erschien , wandte sie sich am 8. Februar 2013 mit der Bitte an den Angeklagten, ihren Hausarzt, sie bei ihrer Selbsttötung zu unterstützen. Der Angeklagte gab dieser Bitte nach, weil ihm die lange Kranken- und Leidensgeschichte sowie die erfolglosen Therapieversuche bekannt waren und er der Überzeugung war, dass ein Arzt eine Patientin, die er über Jahre behandelt hat, auch in einer solchen Situation nicht allein lassen dürfe. Er stellte zwei Privatrezepte über eine nicht näher bekannte Menge des Medikaments Luminal aus, von denen er mindestens eines selbst einlöste und der später Verstorbenen das Medikament übergab. Während seines letzten Hausbesuchs bei Frau D. am 15. Februar 2013 traf er diese tief verzweifelt und zur Selbsttötung fest entschlossen , aus seiner Sicht aber voll geschäftsfähig an. Bei diesem Besuch übergab Frau D.
dem Angeklagten ihre Wohnungsschlüssel und bat ihn, sie nach der Einnahme der Tabletten zu Hause zu betreuen und den Leichenschauschein auszufüllen. „Weder dem Angeklagten noch der später Verstorbenen war bekannt, über wel- chen exakten Zeitraum sich der Sterbeprozess erstrecken würde; sie gingen jedoch davon aus, dass dem Tod eine komatöse Phase vorausgehen würde“ (UA S. 5).
5
Am 16. Februar 2013, jedenfalls vor 14 Uhr, nahm Frau D. „bei klarem Verstand und in dem vollen Bewusstsein, was sie tat“ (UAS. 5), eine unbekannte, aber tödliche Menge Luminal ein. Den Angeklagten informierte sie hierüber, wie zuvor vereinbart, per Kurznachricht. Wenig später begab sich der Angeklagte in ihre Wohnung und fand sie in einem tief komatösen Zustand mit normalen Vitalwerten auf dem Rücken liegend in ihrem Bett vor. Da er sich dem Sterbewunsch D. s verpflichtet fühlte, unternahm er keine Rettungsversuche, sondern prüfte lediglich Puls, Pupillenreflexe und Atmung. Er suchte Frau D. noch einmal am Abend desselben Tages, zu drei Zeitpunkten am 17. Februar 2013 sowie zu drei weiteren Zeitpunkten am 18. Februar 2013 auf. Bei den beiden letzten Besuchen befand sich Frau

D.

bereits in einem präfinalen Zustand.
6
Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt, aber jedenfalls nachdem Frau D. ins Koma gefallen war und vor ihrem Versterben, verabreichte der Angeklagte ihr mindestens einmal eine Ampulle Metoclopramid, um ein Erbrechen zu verhindern. Bei einem Erbrechen wäre es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem früheren Todeseintritt gekommen, da die später Verstorbene entweder aufgrund der Rückenlage an dem Erbrochenen erstickt wäre oder aber das Erbrechen dazu geführt hätte, dass sie kurzzeitig nochmals eine größere Menge des Phenobarbitals (dem Wirkstoff von Luminal) hätte absorbieren können, was die Vergiftung beschleunigt hätte. Darüber hinaus spritzte der Angeklagte ihr Buscopan, ein in der Palliativmedizin eingesetztes krampflösendes Medikament. So wollte er sicherstellen, dass es nicht zu unnötigen Schmerzen bei der Sterbenden kommt.
7
Am Morgen des 18. Februar 2013 rief die Mutter der Suizidentin beim Angeklagten an und erklärte, die Zeugin P. , eine Freundin ihrer Tochter, mache sich Sorgen, weil sie diese nicht habe erreichen können, und habe sich auf den Weg zu deren Wohnung gemacht. Daraufhin informierte der Angeklagte die Mutter und die Zeugin P. darüber, dass Frau D. Tabletten eingenommen habe, im Sterben liege und nichts unternommen werden solle, weil sie dies nicht gewollt habe. Gegen 21 Uhr teilte Frau D. s Sohn, der Zeuge F. , der zuvor von seiner Großmutter über den Zustand der Mutter unterrichtet worden war, dem Angeklagten mit, dass er sofort aus Stuttgart anreisen wolle. Es wurde ein Treffen in Frau D. s Wohnung verabredet.
8
Am 19. Februar 2013 gegen 4:30 Uhr stellte der Angeklagte den Tod D. s fest und füllte den Leichenschauschein aus. Als Todesart kreuzte er „natürlicher Tod“ an und trug als Todesursachen handschriftlich „Nierenversagen“ , „Tabletten-Intoxikation“ und „Depression“ ein. Ob die Verstorbe- ne nach der Einnahme des Luminals bei sofortiger medizinischer Behandlung noch hätte gerettet werden können, ließ sich nicht mit Sicherheit feststellen.
9
2. Das Landgericht hat eine Strafbarkeit des Angeklagten unter sämtlichen in Betracht kommenden Gesichtspunkten jeweils aus rechtlichen Gründen verneint. Die Bereitstellung der Medikamente stelle sich als straflose Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung dar. Auch zu Rettungsbemühungen nach Eintritt der Bewusstlosigkeit Frau D. s sei der Angeklagte nicht verpflichtet gewesen. Denn deren freiverantwortliche Ausübung des Selbstbestimmungsrechts habe eine Pflicht des Angeklagten zur Abwendung ihres Todes entfallen lassen. Eine solche ergebe sich auch nicht aus § 323c Abs. 1 StGB, da eine freiverantwortliche Selbsttötung keinen Unglücksfall darstelle.

II.

10
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet. Der Freispruch des Angeklagten hält rechtlicher Überprüfung stand.
11
1. Der Angeklagte hat sich nicht wegen eines vollendeten Tötungsdelikts durch aktives Tun (§ 212 Abs. 1 StGB oder § 216 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.
12
a) Der im Verschaffen des Zugangs zu den todbringenden Medikamenten liegende Tatbeitrag des Angeklagten stellt sich bei der gebotenen normativen Betrachtung als straflose Hilfeleistung zur eigenverantwortlich verwirklichten Selbsttötung D. s dar.
13
aa) Für die Abgrenzung einer straflosen Beihilfe zur Selbsttötung von der täterschaftlichen Tötung eines anderen ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs maßgeblich, wer in Vollzug des Gesamtplans die Herrschaft über das zum Tode führende Geschehen ausübt (BGH, Urteile vom 14. August 1963 – 2 StR 181/63, BGHSt 19, 135, 139 f.; vom 7. Februar 2001 – 5 StR 474/00, BGHSt 46, 279, 284; vom 20. Mai 2003 – 5 StR 66/03, NJW 2003, 2326, 2327; vom 4. Juli 2018 – 2 StR 245/17, BGHSt 63, 161; Beschluss vom 25. November 1986 – 1 StR 613/86, NJW 1987, 1092). Begibt sich der Sterbewillige in die Hand eines Dritten und nimmt duldend von ihm den Tod entgegen, dann hat dieser die Tatherrschaft über das Geschehen. Nimmt da- gegen der Sterbewillige selbst die todbringende Handlung vor und behält er dabei die freie Entscheidung über sein Schicksal, tötet er sich selbst, wenn auch mit fremder Hilfe (vgl., jeweils mwN, BGH, Urteile vom 4. Juli 2018 – 2 StR 245/17, BGHSt 63, 161; vom heutigen Tag – 5 StR 132/18 zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
14
Letzteres ist hier der Fall. Frau D. übte, solange sie bei Bewusstsein war, allein die Herrschaft über das zu ihrem Tod führende Geschehen aus, indem sie freiverantwortlich die ihren Tod verursachende Dosis des Medikaments einnahm.
15
bb) Dem Angeklagten kann die Selbsttötungshandlung auch nicht nach den Grundsätzen der mittelbaren Täterschaft zugerechnet werden.
16
(1) Eine Benutzung des Suizidenten als „Werkzeug“ gegen sich selbst kann unter anderem gegeben sein, wenn dieser seinen Selbsttötungsentschluss aufgrund eines Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizits nicht freiverantwortlich gebildet hat (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juli 1983 – 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38, 41 f.; vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 und vom heutigen Tag – 5 StR 132/18; Beschlüsse vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13, StV 2014, 601, 602). Befindet sich der Suizident – vom „Suizidhelfer“ erkannt – in einer seine freie Willensbildung ausschließenden Lage, kann sich das Verschaffen der Möglichkeit des Suizids als in mittelbarer Täterschaft begangenes Tötungsdelikt darstellen (BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 f.; Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13).
17
Freiverantwortlich ist demgegenüber ein Selbsttötungsentschluss, wenn das Opfer die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit für seine Entscheidung besitzt und Mangelfreiheit des Suizidwillens sowie innere Festigkeit des Entschlusses gegeben sind (vgl. BGH, Urteile vom 7. August 1984 – 1 StR 200/84, NStZ 1985, 25, 26; vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10, NStZ 2011, 340 f., und vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319, 320; Beschluss vom 8. Juli 1987 – 2 StR 298/87, NJW 1988, 1532). Zum Ausschluss der Freiverantwortlichkeit müssen konkrete Umstände festgestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13, StV 2014, 601, 603). Als solche kommen insbesondere Minderjährigkeit des Opfers oder krankheits- sowie intoxikationsbedingte Defizite in Frage (vgl. BGH, Urteile vom 22. Januar 1981 – 4 StR 480/80, NJW 1981, 932; vom 28. Oktober 1982 – 1 StR 501/82, NStZ 1983, 72; vom 11. April 2000 – 1 StR 638/99, NStZ 2001, 205, 206; vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290, und vom 7. Oktober 2010 – 3StR 168/10; Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342). Der Selbsttötungsentschluss kann auch dann mangelbehaftet sein, wenn er auf Zwang, Drohung oder Täuschung durch den Täter beruht (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juli 1983 – 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38, 43; vom 3. Dezember 1985 – 5 StR 637/85, JZ 1987, 474; Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., Vor § 211 Rn. 13b; MüKo-StGB/Schneider, 3. Aufl., § 216 Rn. 22). Dasselbe gilt, wenn er einer bloßen depressiven Augenblicksstimmung entspringt, mithin nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen ist (vgl. BGH, Urteile vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10, NStZ 2011, 340, 341, und vom 14. September 2011 – 2 StR 145/11, NStZ 2012, 85, 86; MüKo-StGB/Schneider, aaO, Rn. 19).
18
(2) Gemessen hieran ist die auf rechtsfehlerfreien Feststellungen beruhende Wertung des Landgerichts, Frau D. habe ihren ernstlichen Entschluss, aus dem Leben zu scheiden, ohne Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizite freiverantwortlich gebildet und umgesetzt, im Ergebnis nicht zu beanstanden.
19
Die Strafkammer stützt sich insofern nicht allein auf die Einschätzung des Angeklagten, der Frau D. seit vielen Jahren behandelte und daher mit ihrer Persönlichkeit sowie ihrer Leidensgeschichte in besonderem Maße vertraut war. Es kann dahingestellt bleiben, ob für die Wertung der Freiverantwortlichkeit gleichwohl allein die Anschauung des – soweit erkennbar – nicht in den Bereichen der Psychiatrie und Psychologie ausgebildeten Angeklagten zur Wahrung der Kognitionspflicht genügen würde (vgl. dazu BGH, Urteile vom 26. Januar 2017 – 3 StR 479/16, NStZ 2017, 410; vom 20. September 2018 – 3StR 195/18; vom 10. Oktober 2018 – 2 StR 253/18; KK-StPO/Ott, 8. Aufl., § 264 Rn. 28). Denn die Strafkammer setzt sich darüber hinaus eingehend mit der mehrjährigen Krankheitsgeschichte der Suizidentin auseinander und zieht dabei die Aussagen von Angehörigen und Bekannten zur Entwicklung ihrer Krankheit und ihres seelischen Zustands heran. Auch ihnen gegenüber hatte Frau D. über jeweils längere Zeiträume unabhängig voneinander ihren Todeswunsch geäußert.
20
Zwar erscheint es danach nicht ausgeschlossen, dass Frau

D.

– durch ihrfortwährendes körperliches Leiden zermürbt – im Zeitpunkt ihrer Selbsttötung aufgrund einer „tiefen Verzweiflung“ psychisch beeinträchtigt war. Indes lassen sich dem Urteil keine Umstände entnehmen, die zur Annahme einer Aufhebung ihrer Einsichts- und Urteilsfähigkeit hätten zwingen müssen oder auf ein Handeln aus einer bloßen „depressiven Augenblicksstimmung“ hindeuteten. Vielmehr hatte sie sich intensiv mit dem Thema Tod auseinandergesetzt , im Laufe der Jahre bereits mehrere Selbsttötungsversuche unternommen , ihren Freundinnen sowie ihrer Mutter und ihrem Sohn mehrmals den Sterbewunsch mitgeteilt und sich bereits ab Dezember 2012 von ihren Freundinnen verabschiedet. Ihr Entschluss beruhte mithin auf einer über die Zeit hin-
weg entwickelten und durch ihr Leiden bedingten „Lebensmüdigkeit“ (vgl. UA S. 15); sie hatte einen „langjährigen ernsthaften Todeswunsch“ (UA S. 16).
21
(3) Auch unter Zugrundelegung der innerhalb des Schrifttums für einen freiverantwortlichen Suizidentschluss formulierten Kriterien ist von einem solchen auszugehen (dazu Urteil des Senats vom heutigen Tage – 5 StR132/18 mit zahlreichen Nachweisen; zusammenfassend auch MüKo-StGB/Schneider, aaO, Vor § 211 Rn. 37 ff.). Frau D. befand sich nicht in einem Zustand , der entsprechend §§ 19, 20, 35 StGB zu einem Verantwortlichkeitsausschluss führen würde. Vielmehr war sie nach Ausschöpfung sämtlicher, auf Linderung ihrer Schmerzen gerichteter Therapien fest entschlossen, aus dem Leben zu scheiden, weil es ihr unter diesen Umständen nicht mehr lebenswert erschien. Dieser durch das Landgericht als „Bilanzselbstmord“ (UA S. 16) gewertete , auf rationaler Reflexion beruhende Entschluss kennzeichnet eine durch Willensfestigkeit und Zielstrebigkeit geprägte innere Haltung und ist daher auch nach den Grundsätzen der Einwilligung als freiverantwortlich zu werten. Die dem Entschluss zugrundeliegende Motivation, über viele Jahre hinweg erduldeten Schmerzen ein Ende zu setzen, ist – wenn sie nicht ihrerseits auf eine die Einsichts- und Urteilsfähigkeit ausschließende Erkrankung zurückzuführen ist – einer näheren Überprüfung schon deshalb nicht zugänglich, weil sich das Empfinden von Schmerzen als innerer, höchstpersönlicher Vorgang der für eine wertende Beurteilung erforderlichen Objektivierung entzieht.
22
b) Das Verabreichen muskelentspannender Medikamente während des Sterbens war nach den Feststellungen bereits nicht kausal für den eingetretenen Todeserfolg. Die Medikamentengabe hat den Sterbeprozess weder beschleunigt , noch einen neuen tödlichen Kausalverlauf in Gang gesetzt.
23

c) Schließlich ist der Angeklagte auch nicht deswegen eines vollendeten, aktiv begangenen Tötungsdelikts schuldig, weil er die Zeugin P. und den Zeugen F. in Telefongesprächen über den jeweils aktuellen Zustand der Suizidentin und deren Todeswunsch unterrichtete. Er hat damit schon nicht in strafbarer Weise Rettungsbemühungen verhindert, weil die Zeugen keine solchen unternommen hatten, mithin kein rettender Kausalverlauf in Gang gesetzt war, der ohne das Eingreifen des Angeklagten zu einer unmittelbaren Rettung der Suizidentin geführt hätte (vgl. Schönke/Schröder/Eisele, 30. Aufl., Vor §§ 13 ff. Rn. 159; Otto, Grundkurs Strafrecht, Allgemeine Strafrechtslehre, 7. Aufl., § 9 Rn. 9; Gropp, Gedächtnisschrift Schlüchter, S. 173, 179). Vielmehr beschlossen die Zeugen nach den Telefonaten „jeder für sich …, den Wunsch der später Verstorbenen zu respektieren und untätig zu bleiben“ (UA S. 20).
24
2. Eine an das Unterlassen von Bemühungen zur Rettung der von ihm bewusstlos vorgefundenen Suizidentin anknüpfende Bestrafung des Angeklagten wegen vollendeter Tötung durch Unterlassen kam schon aus tatsächlichen Gründen nicht in Betracht. Das Landgericht hat nicht festgestellt, dass das Leben der Suizidentin durch alsbald nach der Einnahme von Tabletten eingeleitete Maßnahmen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte gerettet werden können (vgl. BGH, Urteil vom heutigen Tage – 5 StR 132/19 mwN).
25
3. Der Angeklagte hat sich auch nicht wegen versuchter Tötung durch Unterlassen strafbar gemacht, denn er war nicht mehr Garant für Frau D. s Leben.
26
a) Allerdings hatte er Frau D. viele Jahre als Hausarzt betreut und befand sich aufgrund der Übernahme ihrer ärztlichen Behandlung und des damit einhergehenden Vertrauensverhältnisses zunächst in einer besonderen Schutzposition für deren Leib und Leben (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 – 3 StR 96/84, BGHSt 32, 367, 377; Schönke/Schröder/Bosch, aaO, § 13 Rn. 28a). Diese Pflichtenstellung als Hausarzt endete spätestens, als Frau D. ihren Sterbewunsch (nochmals) äußerte und diesen mit der von dem Angeklagten akzeptierten Bitte verband, er solle „sie nach Einnahme der Tabletten zu Hause betreuen“. Entsprechend dieser Vereinbarung oblag es ihm nur noch, als Sterbebegleiter etwaige Leiden oder Schmerzen während des Sterbens zu lindern oder zu verhindern (vgl. auch BGH, Urteil vom 3. Dezember 1982 – 2 StR 494/82, NStZ 1983, 117, 118; Beschluss vom 8. Juli 1987 – 2 StR 298/87, NJW 1988, 1532; LK-StGB/Rissing-van Saan, 12. Aufl., § 216 Rn. 29, 31 f.; MüKo-StGB/ Schneider, aaO, § 216 Rn. 66; SSW-StGB/Momsen, 4. Aufl., § 216 Rn. 11; Saliger, medstra 2015, 132, 136; Berghäuser, ZStW 2016, 741,

749).

27
b) Für diese Wertung sprechen folgende Erwägungen:
28
aa) Die (Patienten-)Autonomie, die Entscheidungen über das Geschehenlassen des eigenen Sterbens umfasst, hat in der jüngeren Vergangenheit in Abwägung mit dem Auftrag zum Schutz des menschlichen Lebens (vgl. BVerfGE 88, 203) eine erhebliche Aufwertung erfahren.
29
(1) Nach dem Grundgesetz ist jeder Mensch grundsätzlich frei, über den Umgang mit seiner Gesundheit nach eigenem Gutdünken zu entscheiden (BVerfG, NJW 2017, 53, 56). Die Rechtsprechung leitet aus dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG) und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) eine „Freiheit zur Krankheit“ ab, die es grundsätzlich einschließt, Heilbehandlungen auch dann abzulehnen, wenn sie medizinisch angezeigt sind (vgl. BVerfG, aaO; siehe auch BGH, Beschluss vom 17. September 2014 – XII ZB 202/13, BGHZ 202, 226, 236; jeweils unter Berufung auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG: BVerfGE 128, 282, 304; 129, 269, 280; 133, 112, 131). Selbst bei lebenswichtigenärztlichen Maßnahmen schützt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten eine Entschließung , die aus medizinischen Gründen unvertretbar erscheint (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 1984 – VI ZR 174/82, BGHZ 90, 103, 111). Das Grundgesetz garantiert dem Individuum das Recht, in Bezug auf die eigene Person aus medizinischer Sicht Unvernünftiges zu tun und sachlich Gebotenes zu unterlassen (vgl. LK-StGB/Rissing-van Saan, aaO, § 216 Rn. 26). Jeder einwilligungsfähige Kranke hat es danach in der Hand, eine lebensrettende Behandlung zu untersagen und so über das eigene Leben zu verfügen (vgl. Kutzer, ZRP 2012, 135, 136).
30
(2) Darüber hinausgehend gebietet es die Würde des Menschen, sein in einwilligungsfähigem Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu eigenverantwortlichem Entscheiden nicht mehr in der Lage ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 2003 – XII ZB 2/03, BGHZ 154, 205). Mit der gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung in § 1901a BGB durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29. Juli 2009 (BGBl. I 2286) hat der Gesetzgeber die Verbindlichkeit des Willens des Patienten für Behandlungsentscheidungen über den Zeitpunkt des Eintritts seiner Einwilligungsunfähigkeit hinaus klarstellend anerkannt, wobei es auf Art und Stadium der Erkrankung nicht ankommt (§ 1901a Abs. 3 BGB). Dabei ging auch er davon aus, dass das Selbstbestimmungsrecht des Menschen „das Recht zur Selbstgefährdung bis hin zur Selbstaufgabe und damit auch auf Ablehnung lebensverlängernder Maßnahmen unabhängig von der ärztlichen Indi- kation der Behandlung“ einschließt (BT-Drucks.16/8442, S. 8). Der Bundesge- richtshof hat demgemäß einen Behandlungsabbruch – losgelöst von der Begehungsform – als gerechtfertigt angesehen, wenn er in Ansehung von § 1901a BGB dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht und dazu dient, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 2010 – 2 StR 454/09, BGHSt 55, 191, 199, 203 f.).
31
(3) Weitergehend leitet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) aus dem Recht auf Achtung des Privatlebens im Sinne von Art. 8 EMRK das Recht einer Person her zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt ihr Leben enden soll (EGMR, NJW 2011, 3773, 3774; 2013, 2953,2955 f.). Auch wenn im Bereich der Konventionsstaaten derzeit kein Konsens hinsichtlich der Frage der Strafbarkeit eines assistierten Suizids besteht und deshalb den nationalen Gerichten in diesem Zusammenhang ein erheblicher Ermessensspielraum eingeräumt ist (EGMR, aaO), kommt der Auslegung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch den EGMR im Rahmen der verfassungs- und konventionskonformen Anwendung der §§ 216, 13 StGB eine Orientierungs- und Leitfunktion zu (vgl. zu den Auswirkungen der Rechtsprechung des EGMR auf die Rechtsanwendung durch die nationalen Gerichte BVerfGE 111, 307, 320; 128, 326, 368 ff.; BVerfG, NJW 2019, 41, 43).
32
(4) Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung des EGMR hat das Bundesverwaltungsgericht dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht das Recht eines schwer und unheilbar kranken Menschen entnommen, „zu entscheiden wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben enden soll, vorausgesetzt er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln.“ Hiermit sei die ausnahmslose Beschränkung des Zugangs zu die schmerzlose und sichere Selbsttötung ermöglichenden Betäubungsmitteln im Falle einer durch seine Krankheit begründeten extremen Notlage des Suizidwilligen unvereinbar (BVerwGE 158, 142, 152; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2019 – 3 C 6/17).
33
(5) Die herrschende Auffassung im Schrifttum entnimmt dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Suizidenten einen unterschiedlich weitgehenden „Anspruch, in Ruhe sterben zu können“ (vgl. Maunz/Dürig/Di Fabio, 84. EL, Art. 2 Abs. 1 Rn. 205; Müller-Terpitz in Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl., § 147 Rn. 101; Roxin, NStZ 2016, 185, 186; Saliger, medstra 2015, 132, 135; Gärditz, ZfL 2017, 38, 41 f.). Deshalb könne ein Arzt oder ein Dritter, der den ernstlichen Wunsch nach Behandlungseinstellung achtet, nicht wegen eines Tötungsdelikts belangt werden (vgl. Maunz/Dürig/Di Fabio, aaO).
34
bb) In Anbetracht der solchermaßen im Laufe der rechtlichen Entwicklung gewachsenen Bedeutung der Selbstbestimmung des Einzelnen auch bei Entscheidungen über sein eigenes Leben kann in Fällen des freiverantwortlichen Suizids der Arzt, der die Umstände kennt, nicht mit strafrechtlichen Konsequenzen verpflichtet werden, gegen den Willen des Suizidenten zu handeln (vgl. LK-StGB/Rissing-van Saan, aaO, § 216 Rn. 26). Da Frau D. ihren ernstlichen Entschluss, aus dem Leben zu scheiden, ohne Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizits freiverantwortlich gebildet und umgesetzt hat und sich keine Hinweise auf eine Änderung ihres Sterbewillens ergeben , brauchte der Angeklagte Maßnahmen zu ihrer Rettung nicht zu ergreifen.
35
c) Dies gilt auch hinsichtlich einer etwaigen Garantenstellung aus vorangegangenem gefährlichem Tun, insbesondere dem Verschaffen der Medikamente. Denn Frau D. hat im Anschluss hieran die Tabletten freiverantwortlich selbst eingenommen, so dass das Risiko für die Verwirklichung der durch das Vorverhalten des Angeklagten gegebenenfalls erhöhten Gefahr allein in ihrem Verantwortungsbereich lag (vgl. hierzu sowie zur Garantenstellung aus Ingerenz im Übrigen BGH, Urteil vom heutigen Tag – 5 StR 132/18).
36
d) Der Senat weicht mit dieser Ansicht nicht in einer ein Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG erfordernden Weise von der Entscheidung des 3. Strafsenats vom 4. Juli 1984 (3 StR 96/84, BGHSt 32, 367, 374) ab. Mit der Beendigung der Garantenstellung als Hausarzt und der Vereinbarung einer bloßen Sterbebegleitung unterscheidet sich der vorliegende Fall in tatsächlicher Hinsicht von dem dem Urteil des 3. Strafsenats (aaO) zugrundeliegenden Sachverhalt, in dem eine abschließende Abrede über Fortbestand und Art des ArztPatienten -Verhältnisses noch nicht getroffen worden war.
37
4. Das Landgericht hat auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c Abs. 1 StGB) zutreffend verneint. Entgegen seiner Rechtsansicht stellt die Situation einer Selbsttötung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwar auch im Falle ihrer Freiverantwortlichkeit einen Unglücksfall im Sinne von § 323c Abs. 1 StGB dar, der für jedermann in den Grenzen des Erforderlichen und Zumutbaren eine auf die Vornahme von Rettungshandlungen gerichtete Hilfspflicht begründet. Eine dem geäußerten Willen Frau D. s zuwiderlaufenden Hilfeleistung war dem Angeklagten aber nicht zumutbar (vgl. dazu BGH, Urteil vom heutigen Tag – 5 StR 132/18).
38
5. Eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a und b i.V.m. § 13 Abs. 1 BtMG sowie § 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anlage III zum Betäubungsmittelgesetz hat die Strafkammer ohne Rechtsfehler abgelehnt (UA S. 18). Mutzbauer Sander Schneider König Köhler

BUNDESGERICHTSHOF

 

Urteil vom 14.08.1963

Az.: 2 StR 181/63


In der Strafsache

.......

hat der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
auf Grund der Hauptverhandlung vom 31. Juli 1963
in der Sitzung vom 14. August 1963,
an denen teilgenommen haben:

Senatspräsident Dr. Baldus als Vorsitzender,
Bundesrichter Dr. Dotterweich,
Bundesrichter Mayr,
Bundesrichter Meyer,
Bundesrichter Henning als beisitzende Richter,
Bundesanwalt Dr. ... als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts in Duisburg vom 24. Juli 1962 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmitteln an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe

Der Angeklagte und die 16-jährige Gisela Di. empfanden tiefe Zuneigung füreinander; zwischen beiden entwickelten sich intime Liebesbeziehungen. Die Eltern mißbilligten jedoch diese Verbindung. Als auf Antrag der Eheleute Di. dem Angeklagten sogar durch einstweilige Verfügung verboten wurde, zu ihrer Tochter noch einmal Kontakt aufzunehmen, faßte Gisela den festen Entschluß, aus dem Leben zu scheiden. Als sie am Abend des 8. Juni 1959 mit dem Angeklagten zusammentraf, versuchte dieser vergeblich, das über sein Alter hinaus gereifte Mädchen umzustimmen. Weil er Gisela nicht allein sterben lassen wollte, beschloß er, mit ihr in den Tod zu gehen. Beide schrieben Abschiedsbriefe an ihre Eltern, fuhren dann zu einem Parkplatz und nahmen, im Kraftwagen des Angeklagten sitzend, Luminaltabletten ein. Als keine Wirkung eintrat, äußerte Gisela, daß man sich auf andere Weise töten müsse. Der Angeklagte schlug vor, die Auspuffgase in das Wageninnere zu leiten. Damit war Gisela einverstanden und meinte, das sei gilt, hoffentlich finde man sie nicht zu früh. Der Angeklagte schloß einen Schlauch an das Auspuffrohr an und führte ihn durch das linke Fenster in das Wageninnere. Dann versperrte er die linke Wagentür von außen, stieg von rechts in den Kraftwagen und setzte sich auf den Sitz des Fahrers. Das linke Wagenfenster drehte er so weit zu, wie es der Schlauch ermöglichte. Gisela, die neben dem Angeklagten auf dem rechten Vordersitz Platz nahm, verriegelte die rechte Tür von innen. Der Angeklagte ließ nun den Motor an und trat das Gaspedal durch, bis das einströmende Kohlenoxyd ihm die Besinnung raubte. Am Morgen des 9. Juni 1959 wurden der Angeklagte und Gisela im Kraftwagen, dessen Motor noch lief, gefunden. Sie waren in sich zusammengesunken und bewußtlos, lebten aber noch. Doch nur der Angeklagte konnte gerettet werden, Gisela verstarb alsbald.


Die Strafkammer hat den Angeklagten von dem Vorwurf, Gisela Di. auf ihr Verlangen getötet zu haben, freigesprochen. Sie ist der Meinung, er sei "mangels Tötungshandlung, mangels Tötungsvorsatzes und mangels erheblicher Tatherrschaft nicht als Täter und mangels Strafbarkeit des Selbstmords nicht als Gehilfe fremder Tötung zu bestrafen". Im einzelnen hat sie hierzu ausgeführt: Es spreche nichts dafür, daß Gisela an den Angeklagten mit der Bitte herangetreten sei, sie zu töten. Sie habe sich vielmehr selbst töten wollen. Sein Tatbeitrag stelle sich nicht als Tötungshandlung dar. Das Einnehmen der Tabletten sei als Selbsttötungsversuch Giselas anzusehen, den der Angeklagte - durch Zurückgabe der von ihm vor Tatbeginn verwahrten Tabletten - gefördert habe. Der Vorgang mit den Auspuffgasen könne nicht anders beurteilt werden. Das Hineinleiten der Gase in den Wagen habe den Tod Giselas so wenig verursacht, wie dies die Aushändigung der Tabletten vermocht habe. Wenn es dort notwendig gewesen sei, daß Gisela mit Freitodentschluß die Tabletten nahm, so sei es hier erforderlich gewesen, daß sie sich in den Wagen setzte, dort Platz behielt, die Tür schloß und die Gase einatmete. Abgesehen davon habe der Angeklagte nach seiner unwiderlegten Einlassung zwar sich selbst, nicht aber Gisela töten, dieser vielmehr ihre eigene Tötung selbst überlassen wollen. An ihrem Tode sei er nicht interessiert gewesen. Auch eine Tatherrschaft habe er weder gehabt noch haben wollen. Gisela habe vielmehr nach seinem Tatbeitrag - der Einführung der Gase in den Kraftwagen - die freie Entscheidung über Leben und Tod behalten, zumal da sie möglicherweise später als der Angeklagte das Bewußtsein verloren habe.
3
Gegen dieses Urteil wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Eltern Gisela Di.s als Nebenkläger mit ihren Revisionen. Sie rügen Verletzung sachlichen Rechts, Die Rechtsmittel haben Erfolg. Die Feststellungen rechtfertigen den Freispruch des Angeklagten nicht. Die Würdigung der Strafkammer ist teils unvereinbar mit diesen Feststellungen, teils beruht sie auf Erwägungen, denen der Senat nicht folgen kann.


Für die Entscheidung der Schuldfrage kommt es nach dem erwiesenen Sachverhalt allein darauf an, ob die Tätigkeit des Angeklagten als straflose Beihilfe zur Selbsttötung oder als strafbare Tötung auf Verlangen zu beurteilen ist. Angesichts einzelner Formulierungen des angefochtenen Urteils muß zunächst klargestellt werden, daß der Angeklagte jedenfalls durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Mädchens zur Tat bestimmt wurde. Nachdem der Versuch mit den Luminaltabletten fehlgeschlagen war, gab ihm Gisela durch ihr entschlossenes Verhalten, insbesondere durch ihre Äußerung, sein Vorschlag sei gut und hoffentlich finde man sie nicht zu früh, unmißverständlich zu verstehen, daß sie auf dem von ihm angeregten Weg den Tod suche und wolle Diesen ernstlichen und im vollen Bewußtsein seiner Tragweite zum Ausdruck gebrachten Wunsch, der ihn zugleich zum Festhalten an seinem eigenen Selbsttötungsentschluß bestimmte, wollte der Angeklagte erfüllen. Was er tat, war auch ursächlich für den Tod des Mädchens. Daß Gisela dieses Handeln wünschte und - auf Grund ihres frei und unbeeinflußt gefaßten Entschlusses - durch Verbleiben im Wagen und Einatmen der einströmenden Gase wirksam werden ließ, schließt weder die Kausalität aus, noch wird dadurch der Vorsatz des Angeklagten in Frage gestellt. Indem er die notwendigen technischen Vorbereitungen traf und die giftigen Gase einströmen ließ in der Vorstellung, dadurch den beiderseitigen Tod herbeiführen zu können, hat er bewußt und gewollt, also vorsätzlich, auch eine Ursache zum eingetretenen Teilerfolg, dem Tod Giselas, gesetzt.

Daß der Tatbestand des § 216 StGB von der straflosen Beihilfe zur Selbsttötung nach den Grundsätzen der Teilnahmelehre abzugrenzen ist, kann als gesicherte Rechtsprechung angesehen werden. Dagegen läßt sich nicht einwenden, Selbsttötung und Beihilfe dazu seien für straffrei erklärt, also mangels Tatbestandsmäßigkeit keine Straftaten, während es die Teilnahmelehre nur mit solchen zu tun habe; denn die von der Teilnahmelehre vorgeschlagenen Unterscheidungsmerkmale sind begrifflich nicht in der Weise von der Pönalisierung abhängig, daß sie nicht auch auf Taten im "natürlichen" Sinne anwendbar wären. Nur insoweit ergibt sich aus der Straflosigkeit der Selbsttötung eine Besonderheit, als "Tatbeiträge" des Lebensmüden zu seinem Tod dem anderen nicht über § 47 StGB zugerechnet werden dürfen.

In BGHSt 13, 162, 166 [BGH 15.05.1959 - 4 StR 475/58] hat der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs ausgesprochen, nach § 216 StGB könne nur bestraft werden, wer das zum Tode führende Geschehen beherrschen wollte, d.h. mit "Täterwillen" gehandelt habe. Unter ausdrücklichen Hinweis auf diese Entscheidung meint die Strafkammer, der Angeklagte habe die Tatherrschaft weder gehabt noch haben wollen. Indessen beruht das Urteil des 4. Strafsenats im Ergebnis auf anderen Erwägungen, so daß es in der hier zu entscheidenden Abgrenzungsfrage nicht bindet. Auch können die Bedenken, die in der allgemeinen Teilnahmelehre gegen das Merkmal des "Willens zur Tatherrschaft" geltend gemacht werden, unerörtert bleiben. Nach Ansicht des erkennenden Senats sind jedenfalls für den Sonderfall der tatbestandlichen Abgrenzung des § 216 StGB gegenüber der straflosen Beihilfe zur Selbsttötung subjektiv bestimmte Kriterien, ob nämlich der Handelnde die Tat als eigene wollte, ob er den Täterwillen, den Willen zur Tatherrschaft oder ein eigenes Interesse an der Tat hatte, nicht geeignet, sinnvolle Ergebnisse zu gewährleisten. Das gilt vor allem für den "einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmord", weil hier der freie und ernste Entschluß, gemeinsam zu sterben, die bewußte Verknüpfung des beiderseitigen Schicksals, gerade zu einer Übereinstimmung der inneren Haltung führt, die eine Unterscheidung nach subjektiven Merkmalen als besonders fragwürdig erscheinen läßt. Sehr deutlich wird das bei dem Urteil des Reichsgerichts in JW 1921, 579: Nach dem Entschluß, gemeinsam durch Gasvergiftung aus dem Leben zu scheiden, hatte der Mann die Gashähne geöffnet, das Mädchen die Türritzen verstopft. Der Mann war gerettet worden; seine Verurteilung wegen Tötung auf Verlangen wurde vom Reichsgericht gebilligt, weil die Annahme des Tatrichters, der Mann habe die Tat als eigene gewollt, rechtlich nicht zu beanstanden sei. Indessen ist nicht erfindlich, an welche Tatsachen diese Annahme angesichts des gemeinsamen Entschlusses und der beiderseits geleisteten Beiträge zu seiner Durchführung anknüpfen könnte. Das Ergebnis ist notwendigerweise willkürlich und unkontrollierbar. Wenn man dem Handelnden nicht gleichsam gestatten will, sich selbst von dem, was er tut, durch "besonderen Willensakt" zu distanzieren, so müßte die Entscheidung davon abhängen, mit welcher Intensität und Hartnäckigkeit der Lebensmüde oder der Partner des Überlebenden den Freitodentschluß verfolgt hat und in welchem Maße sich der Überlebende dem Willen des Partners gebeugt und untergeordnet hat. Davon ist offenbar die Strafkammer ausgegangen, weil sie wiederholt und betont die starke Persönlichkeit, die Zielstrebigkeit und den unbeugsamen Willen Giselas der Labilität, Beeinflußbarkeit und Willensschwäche des Angeklagten gegenüberstellt. Indessen gestattet das Gesetz eine solche Unterscheidung nicht. § 216 StGB setzt tatbestandlich die Unterordnung unter den fremden Willen gerade voraus. Deshalb ist es nach Ansicht des Senats nicht möglich, seine Anwendung an dem Maß dieser Unterordnung im Einzelfalle auszurichten. Wer den Lebensmüden erschießt, ist strafbar nach § 216 StGB, mag er zunächst noch so sehr Widerstand geleistet und mag der Getötete noch so hartnäckig und unermüdlich auf die Ausführung gedrängt und den Widerstand dadurch überwunden haben.

Sieht man von einer nach subjektiven Merkmalen ausgerichteten Unterscheidung ab, dann kann es allein darauf ankommen, wer das zum Tode führende Geschehen tatsächlich beherrscht hat. Im Einzelfall ist dafür entscheidend die Art und Weise, wie der Tote über sein Schicksal verfügt hat. Gab er sich in die Hand des Anderen, weil er duldend von ihm den Tod entgegennehmen wollte, dann hatte dieser die Tatherrschaft. Behielt er dagegen bis zuletzt die freie Entscheidung über sein Schicksal, dann tötete er sich selbst, wenn auch mit fremder Hilfe. Dieser "Vorbehalt der Entscheidung" darf allerdings nach Ansicht des Senats beim einseitig fehlgeschlagenen Doppelselbstmord nicht schlechthin damit gleichgesetzt werden, daß der eine nach dem Tatbeitrag des anderen tatsächlich noch die freie Entscheidung über Leben und Tod gehabt hat (vgl. Schönke-Schröder, StGB 11. Aufl. § 216 Anm. 14). Sonst hinge die Beurteilung vielfach von den Zufälligkeiten des Geschehensablaufs ab, insbesondere ließe sich das Tun der Beteiligten erst nachträglich vom Ergebnis her als Tötungshandlung kennzeichnen Es kommt vielmehr auf den Gesamtplan an. Soll nach ihm der Beitrag eines Beteiligten nicht bis zum Eintritt des Erfolges willensgesteuert fortdauern, sondern nur die Ursachenreihe so in Gang setzen, daß nach seinem Vollzug dem anderen Beteiligten noch die volle Freiheit verbleibt, sich den Auswirkungen zu entziehen oder sie zu beenden, so liegt nur Beihilfe zur Selbsttötung vor, mag sich auch in diesem Beitrag das gesamte Tätigwerden erschöpfen So war der Sachverhalt in dem bereits erwähnten vom Reichsgericht in JW 1921, 579 entschiedenen Fall, Hier aber war der Gesamtplan ein anderer. Der Angeklagte sollte das gesamte Geschehen bis zuletzt in der Hand haben und die auf den beiderseitigen. Tod abzielende Ausführungshandlung bis zum Eintritt eigener Bewußtlosigkeit fortsetzen. Gisela mag zunächst noch in der Lage gewesen sein, die rechte Wagentür wieder zu öffnen oder den Fuß des Angeklagten vom Gashebel zu stoßen. Sie hatte sich aber entschlossen, die fortdauernde auf den Tod zielende Handlung des Angeklagten duldend hinzunehmen und tat dies auch, nicht wissend, wann es ihr nicht mehr möglich sein werde, sich der tödlichen Wirkung zu entziehen. Alles das wußte der Angeklagte; seine Rolle bei Ausführung des Gesamtplanes war unter solchen Umständen die eines Täters nach § 216 StGB. Ob er vor oder nach Gisela das Bewußtsein verlor, ist unerheblich; von diesem zufälligen Umstand, dessen Ungewißheit zum Gesamtplan gehörte, darf die Beurteilung nicht abhängen.

Nach allem rechtfertigen die bisherigen Feststellungen den Freispruch nicht.


Baldus
Dotterweich
Mayr
Meyer
Henning

(1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahesteht.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Die Garantenstellung des Arztes für das Leben seines Patienten
endet, wenn er vereinbarungsgemäß nur noch dessen
freiverantwortlichen Suizid begleitet.
BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 - 5 StR 393/18
LG Berlin
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 393/18
vom
3. Juli 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Tötung auf Verlangen u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:030719U5STR393.18.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Juli2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Köhler
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof S. , Richter am Landgericht K.
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,


für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 8. März 2018 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen, sich durch die Förderung des Suizids der 44-jährigen D. sowie das spätere Unterlassen von Maßnahmen zu deren Rettung der Tötung auf Verlangen strafbar gemacht zu haben (vgl. KG, StV 2018, 304). Mit ihrer gegen den Freispruch gerichteten und auf die Sachrüge gestützten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter Tötung auf Verlangen durch Unterlassen. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2
1. Das Landgericht hat festgestellt:
3
D. litt seit ihrem sechzehnten Lebensjahr an einem nicht lebensbedrohlichen, aber starke krampfartige Schmerzen verursachenden Reiz-Darm-Syndrom. Eine Besserung ihres Gesundheitszustands konnte sie auch durch das Ausschöpfen zahlreicher klassischer und alternativer Behandlungsmöglichkeiten nicht erlangen. Daneben litt sie seit ihrer Pubertät unter rezidivierenden Harnwegsinfektionen und wiederkehrenden Analfisteln und zeigte zudem psychische Auffälligkeiten. Im Laufe ihres Lebens war sie bei verschiedenen Psychotherapeuten in Behandlung. Aufgrund ihres Gesundheitszustands war sie – obgleich an sich lebenslustig – jedenfalls in der Zeit vor ihrem Tod reaktiv depressiv. Sie hatte mehrfach Suizidversuche unternommen und beschäftigte sich intensiv mit dem Thema Tod.
4
Da ihr das Leben unter diesen Umständen nicht mehr lebenswert erschien , wandte sie sich am 8. Februar 2013 mit der Bitte an den Angeklagten, ihren Hausarzt, sie bei ihrer Selbsttötung zu unterstützen. Der Angeklagte gab dieser Bitte nach, weil ihm die lange Kranken- und Leidensgeschichte sowie die erfolglosen Therapieversuche bekannt waren und er der Überzeugung war, dass ein Arzt eine Patientin, die er über Jahre behandelt hat, auch in einer solchen Situation nicht allein lassen dürfe. Er stellte zwei Privatrezepte über eine nicht näher bekannte Menge des Medikaments Luminal aus, von denen er mindestens eines selbst einlöste und der später Verstorbenen das Medikament übergab. Während seines letzten Hausbesuchs bei Frau D. am 15. Februar 2013 traf er diese tief verzweifelt und zur Selbsttötung fest entschlossen , aus seiner Sicht aber voll geschäftsfähig an. Bei diesem Besuch übergab Frau D.
dem Angeklagten ihre Wohnungsschlüssel und bat ihn, sie nach der Einnahme der Tabletten zu Hause zu betreuen und den Leichenschauschein auszufüllen. „Weder dem Angeklagten noch der später Verstorbenen war bekannt, über wel- chen exakten Zeitraum sich der Sterbeprozess erstrecken würde; sie gingen jedoch davon aus, dass dem Tod eine komatöse Phase vorausgehen würde“ (UA S. 5).
5
Am 16. Februar 2013, jedenfalls vor 14 Uhr, nahm Frau D. „bei klarem Verstand und in dem vollen Bewusstsein, was sie tat“ (UAS. 5), eine unbekannte, aber tödliche Menge Luminal ein. Den Angeklagten informierte sie hierüber, wie zuvor vereinbart, per Kurznachricht. Wenig später begab sich der Angeklagte in ihre Wohnung und fand sie in einem tief komatösen Zustand mit normalen Vitalwerten auf dem Rücken liegend in ihrem Bett vor. Da er sich dem Sterbewunsch D. s verpflichtet fühlte, unternahm er keine Rettungsversuche, sondern prüfte lediglich Puls, Pupillenreflexe und Atmung. Er suchte Frau D. noch einmal am Abend desselben Tages, zu drei Zeitpunkten am 17. Februar 2013 sowie zu drei weiteren Zeitpunkten am 18. Februar 2013 auf. Bei den beiden letzten Besuchen befand sich Frau

D.

bereits in einem präfinalen Zustand.
6
Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt, aber jedenfalls nachdem Frau D. ins Koma gefallen war und vor ihrem Versterben, verabreichte der Angeklagte ihr mindestens einmal eine Ampulle Metoclopramid, um ein Erbrechen zu verhindern. Bei einem Erbrechen wäre es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem früheren Todeseintritt gekommen, da die später Verstorbene entweder aufgrund der Rückenlage an dem Erbrochenen erstickt wäre oder aber das Erbrechen dazu geführt hätte, dass sie kurzzeitig nochmals eine größere Menge des Phenobarbitals (dem Wirkstoff von Luminal) hätte absorbieren können, was die Vergiftung beschleunigt hätte. Darüber hinaus spritzte der Angeklagte ihr Buscopan, ein in der Palliativmedizin eingesetztes krampflösendes Medikament. So wollte er sicherstellen, dass es nicht zu unnötigen Schmerzen bei der Sterbenden kommt.
7
Am Morgen des 18. Februar 2013 rief die Mutter der Suizidentin beim Angeklagten an und erklärte, die Zeugin P. , eine Freundin ihrer Tochter, mache sich Sorgen, weil sie diese nicht habe erreichen können, und habe sich auf den Weg zu deren Wohnung gemacht. Daraufhin informierte der Angeklagte die Mutter und die Zeugin P. darüber, dass Frau D. Tabletten eingenommen habe, im Sterben liege und nichts unternommen werden solle, weil sie dies nicht gewollt habe. Gegen 21 Uhr teilte Frau D. s Sohn, der Zeuge F. , der zuvor von seiner Großmutter über den Zustand der Mutter unterrichtet worden war, dem Angeklagten mit, dass er sofort aus Stuttgart anreisen wolle. Es wurde ein Treffen in Frau D. s Wohnung verabredet.
8
Am 19. Februar 2013 gegen 4:30 Uhr stellte der Angeklagte den Tod D. s fest und füllte den Leichenschauschein aus. Als Todesart kreuzte er „natürlicher Tod“ an und trug als Todesursachen handschriftlich „Nierenversagen“ , „Tabletten-Intoxikation“ und „Depression“ ein. Ob die Verstorbe- ne nach der Einnahme des Luminals bei sofortiger medizinischer Behandlung noch hätte gerettet werden können, ließ sich nicht mit Sicherheit feststellen.
9
2. Das Landgericht hat eine Strafbarkeit des Angeklagten unter sämtlichen in Betracht kommenden Gesichtspunkten jeweils aus rechtlichen Gründen verneint. Die Bereitstellung der Medikamente stelle sich als straflose Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung dar. Auch zu Rettungsbemühungen nach Eintritt der Bewusstlosigkeit Frau D. s sei der Angeklagte nicht verpflichtet gewesen. Denn deren freiverantwortliche Ausübung des Selbstbestimmungsrechts habe eine Pflicht des Angeklagten zur Abwendung ihres Todes entfallen lassen. Eine solche ergebe sich auch nicht aus § 323c Abs. 1 StGB, da eine freiverantwortliche Selbsttötung keinen Unglücksfall darstelle.

II.

10
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet. Der Freispruch des Angeklagten hält rechtlicher Überprüfung stand.
11
1. Der Angeklagte hat sich nicht wegen eines vollendeten Tötungsdelikts durch aktives Tun (§ 212 Abs. 1 StGB oder § 216 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.
12
a) Der im Verschaffen des Zugangs zu den todbringenden Medikamenten liegende Tatbeitrag des Angeklagten stellt sich bei der gebotenen normativen Betrachtung als straflose Hilfeleistung zur eigenverantwortlich verwirklichten Selbsttötung D. s dar.
13
aa) Für die Abgrenzung einer straflosen Beihilfe zur Selbsttötung von der täterschaftlichen Tötung eines anderen ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs maßgeblich, wer in Vollzug des Gesamtplans die Herrschaft über das zum Tode führende Geschehen ausübt (BGH, Urteile vom 14. August 1963 – 2 StR 181/63, BGHSt 19, 135, 139 f.; vom 7. Februar 2001 – 5 StR 474/00, BGHSt 46, 279, 284; vom 20. Mai 2003 – 5 StR 66/03, NJW 2003, 2326, 2327; vom 4. Juli 2018 – 2 StR 245/17, BGHSt 63, 161; Beschluss vom 25. November 1986 – 1 StR 613/86, NJW 1987, 1092). Begibt sich der Sterbewillige in die Hand eines Dritten und nimmt duldend von ihm den Tod entgegen, dann hat dieser die Tatherrschaft über das Geschehen. Nimmt da- gegen der Sterbewillige selbst die todbringende Handlung vor und behält er dabei die freie Entscheidung über sein Schicksal, tötet er sich selbst, wenn auch mit fremder Hilfe (vgl., jeweils mwN, BGH, Urteile vom 4. Juli 2018 – 2 StR 245/17, BGHSt 63, 161; vom heutigen Tag – 5 StR 132/18 zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
14
Letzteres ist hier der Fall. Frau D. übte, solange sie bei Bewusstsein war, allein die Herrschaft über das zu ihrem Tod führende Geschehen aus, indem sie freiverantwortlich die ihren Tod verursachende Dosis des Medikaments einnahm.
15
bb) Dem Angeklagten kann die Selbsttötungshandlung auch nicht nach den Grundsätzen der mittelbaren Täterschaft zugerechnet werden.
16
(1) Eine Benutzung des Suizidenten als „Werkzeug“ gegen sich selbst kann unter anderem gegeben sein, wenn dieser seinen Selbsttötungsentschluss aufgrund eines Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizits nicht freiverantwortlich gebildet hat (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juli 1983 – 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38, 41 f.; vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 und vom heutigen Tag – 5 StR 132/18; Beschlüsse vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13, StV 2014, 601, 602). Befindet sich der Suizident – vom „Suizidhelfer“ erkannt – in einer seine freie Willensbildung ausschließenden Lage, kann sich das Verschaffen der Möglichkeit des Suizids als in mittelbarer Täterschaft begangenes Tötungsdelikt darstellen (BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 f.; Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13).
17
Freiverantwortlich ist demgegenüber ein Selbsttötungsentschluss, wenn das Opfer die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit für seine Entscheidung besitzt und Mangelfreiheit des Suizidwillens sowie innere Festigkeit des Entschlusses gegeben sind (vgl. BGH, Urteile vom 7. August 1984 – 1 StR 200/84, NStZ 1985, 25, 26; vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10, NStZ 2011, 340 f., und vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319, 320; Beschluss vom 8. Juli 1987 – 2 StR 298/87, NJW 1988, 1532). Zum Ausschluss der Freiverantwortlichkeit müssen konkrete Umstände festgestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13, StV 2014, 601, 603). Als solche kommen insbesondere Minderjährigkeit des Opfers oder krankheits- sowie intoxikationsbedingte Defizite in Frage (vgl. BGH, Urteile vom 22. Januar 1981 – 4 StR 480/80, NJW 1981, 932; vom 28. Oktober 1982 – 1 StR 501/82, NStZ 1983, 72; vom 11. April 2000 – 1 StR 638/99, NStZ 2001, 205, 206; vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290, und vom 7. Oktober 2010 – 3StR 168/10; Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342). Der Selbsttötungsentschluss kann auch dann mangelbehaftet sein, wenn er auf Zwang, Drohung oder Täuschung durch den Täter beruht (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juli 1983 – 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38, 43; vom 3. Dezember 1985 – 5 StR 637/85, JZ 1987, 474; Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., Vor § 211 Rn. 13b; MüKo-StGB/Schneider, 3. Aufl., § 216 Rn. 22). Dasselbe gilt, wenn er einer bloßen depressiven Augenblicksstimmung entspringt, mithin nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen ist (vgl. BGH, Urteile vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10, NStZ 2011, 340, 341, und vom 14. September 2011 – 2 StR 145/11, NStZ 2012, 85, 86; MüKo-StGB/Schneider, aaO, Rn. 19).
18
(2) Gemessen hieran ist die auf rechtsfehlerfreien Feststellungen beruhende Wertung des Landgerichts, Frau D. habe ihren ernstlichen Entschluss, aus dem Leben zu scheiden, ohne Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizite freiverantwortlich gebildet und umgesetzt, im Ergebnis nicht zu beanstanden.
19
Die Strafkammer stützt sich insofern nicht allein auf die Einschätzung des Angeklagten, der Frau D. seit vielen Jahren behandelte und daher mit ihrer Persönlichkeit sowie ihrer Leidensgeschichte in besonderem Maße vertraut war. Es kann dahingestellt bleiben, ob für die Wertung der Freiverantwortlichkeit gleichwohl allein die Anschauung des – soweit erkennbar – nicht in den Bereichen der Psychiatrie und Psychologie ausgebildeten Angeklagten zur Wahrung der Kognitionspflicht genügen würde (vgl. dazu BGH, Urteile vom 26. Januar 2017 – 3 StR 479/16, NStZ 2017, 410; vom 20. September 2018 – 3StR 195/18; vom 10. Oktober 2018 – 2 StR 253/18; KK-StPO/Ott, 8. Aufl., § 264 Rn. 28). Denn die Strafkammer setzt sich darüber hinaus eingehend mit der mehrjährigen Krankheitsgeschichte der Suizidentin auseinander und zieht dabei die Aussagen von Angehörigen und Bekannten zur Entwicklung ihrer Krankheit und ihres seelischen Zustands heran. Auch ihnen gegenüber hatte Frau D. über jeweils längere Zeiträume unabhängig voneinander ihren Todeswunsch geäußert.
20
Zwar erscheint es danach nicht ausgeschlossen, dass Frau

D.

– durch ihrfortwährendes körperliches Leiden zermürbt – im Zeitpunkt ihrer Selbsttötung aufgrund einer „tiefen Verzweiflung“ psychisch beeinträchtigt war. Indes lassen sich dem Urteil keine Umstände entnehmen, die zur Annahme einer Aufhebung ihrer Einsichts- und Urteilsfähigkeit hätten zwingen müssen oder auf ein Handeln aus einer bloßen „depressiven Augenblicksstimmung“ hindeuteten. Vielmehr hatte sie sich intensiv mit dem Thema Tod auseinandergesetzt , im Laufe der Jahre bereits mehrere Selbsttötungsversuche unternommen , ihren Freundinnen sowie ihrer Mutter und ihrem Sohn mehrmals den Sterbewunsch mitgeteilt und sich bereits ab Dezember 2012 von ihren Freundinnen verabschiedet. Ihr Entschluss beruhte mithin auf einer über die Zeit hin-
weg entwickelten und durch ihr Leiden bedingten „Lebensmüdigkeit“ (vgl. UA S. 15); sie hatte einen „langjährigen ernsthaften Todeswunsch“ (UA S. 16).
21
(3) Auch unter Zugrundelegung der innerhalb des Schrifttums für einen freiverantwortlichen Suizidentschluss formulierten Kriterien ist von einem solchen auszugehen (dazu Urteil des Senats vom heutigen Tage – 5 StR132/18 mit zahlreichen Nachweisen; zusammenfassend auch MüKo-StGB/Schneider, aaO, Vor § 211 Rn. 37 ff.). Frau D. befand sich nicht in einem Zustand , der entsprechend §§ 19, 20, 35 StGB zu einem Verantwortlichkeitsausschluss führen würde. Vielmehr war sie nach Ausschöpfung sämtlicher, auf Linderung ihrer Schmerzen gerichteter Therapien fest entschlossen, aus dem Leben zu scheiden, weil es ihr unter diesen Umständen nicht mehr lebenswert erschien. Dieser durch das Landgericht als „Bilanzselbstmord“ (UA S. 16) gewertete , auf rationaler Reflexion beruhende Entschluss kennzeichnet eine durch Willensfestigkeit und Zielstrebigkeit geprägte innere Haltung und ist daher auch nach den Grundsätzen der Einwilligung als freiverantwortlich zu werten. Die dem Entschluss zugrundeliegende Motivation, über viele Jahre hinweg erduldeten Schmerzen ein Ende zu setzen, ist – wenn sie nicht ihrerseits auf eine die Einsichts- und Urteilsfähigkeit ausschließende Erkrankung zurückzuführen ist – einer näheren Überprüfung schon deshalb nicht zugänglich, weil sich das Empfinden von Schmerzen als innerer, höchstpersönlicher Vorgang der für eine wertende Beurteilung erforderlichen Objektivierung entzieht.
22
b) Das Verabreichen muskelentspannender Medikamente während des Sterbens war nach den Feststellungen bereits nicht kausal für den eingetretenen Todeserfolg. Die Medikamentengabe hat den Sterbeprozess weder beschleunigt , noch einen neuen tödlichen Kausalverlauf in Gang gesetzt.
23

c) Schließlich ist der Angeklagte auch nicht deswegen eines vollendeten, aktiv begangenen Tötungsdelikts schuldig, weil er die Zeugin P. und den Zeugen F. in Telefongesprächen über den jeweils aktuellen Zustand der Suizidentin und deren Todeswunsch unterrichtete. Er hat damit schon nicht in strafbarer Weise Rettungsbemühungen verhindert, weil die Zeugen keine solchen unternommen hatten, mithin kein rettender Kausalverlauf in Gang gesetzt war, der ohne das Eingreifen des Angeklagten zu einer unmittelbaren Rettung der Suizidentin geführt hätte (vgl. Schönke/Schröder/Eisele, 30. Aufl., Vor §§ 13 ff. Rn. 159; Otto, Grundkurs Strafrecht, Allgemeine Strafrechtslehre, 7. Aufl., § 9 Rn. 9; Gropp, Gedächtnisschrift Schlüchter, S. 173, 179). Vielmehr beschlossen die Zeugen nach den Telefonaten „jeder für sich …, den Wunsch der später Verstorbenen zu respektieren und untätig zu bleiben“ (UA S. 20).
24
2. Eine an das Unterlassen von Bemühungen zur Rettung der von ihm bewusstlos vorgefundenen Suizidentin anknüpfende Bestrafung des Angeklagten wegen vollendeter Tötung durch Unterlassen kam schon aus tatsächlichen Gründen nicht in Betracht. Das Landgericht hat nicht festgestellt, dass das Leben der Suizidentin durch alsbald nach der Einnahme von Tabletten eingeleitete Maßnahmen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte gerettet werden können (vgl. BGH, Urteil vom heutigen Tage – 5 StR 132/19 mwN).
25
3. Der Angeklagte hat sich auch nicht wegen versuchter Tötung durch Unterlassen strafbar gemacht, denn er war nicht mehr Garant für Frau D. s Leben.
26
a) Allerdings hatte er Frau D. viele Jahre als Hausarzt betreut und befand sich aufgrund der Übernahme ihrer ärztlichen Behandlung und des damit einhergehenden Vertrauensverhältnisses zunächst in einer besonderen Schutzposition für deren Leib und Leben (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 – 3 StR 96/84, BGHSt 32, 367, 377; Schönke/Schröder/Bosch, aaO, § 13 Rn. 28a). Diese Pflichtenstellung als Hausarzt endete spätestens, als Frau D. ihren Sterbewunsch (nochmals) äußerte und diesen mit der von dem Angeklagten akzeptierten Bitte verband, er solle „sie nach Einnahme der Tabletten zu Hause betreuen“. Entsprechend dieser Vereinbarung oblag es ihm nur noch, als Sterbebegleiter etwaige Leiden oder Schmerzen während des Sterbens zu lindern oder zu verhindern (vgl. auch BGH, Urteil vom 3. Dezember 1982 – 2 StR 494/82, NStZ 1983, 117, 118; Beschluss vom 8. Juli 1987 – 2 StR 298/87, NJW 1988, 1532; LK-StGB/Rissing-van Saan, 12. Aufl., § 216 Rn. 29, 31 f.; MüKo-StGB/ Schneider, aaO, § 216 Rn. 66; SSW-StGB/Momsen, 4. Aufl., § 216 Rn. 11; Saliger, medstra 2015, 132, 136; Berghäuser, ZStW 2016, 741,

749).

27
b) Für diese Wertung sprechen folgende Erwägungen:
28
aa) Die (Patienten-)Autonomie, die Entscheidungen über das Geschehenlassen des eigenen Sterbens umfasst, hat in der jüngeren Vergangenheit in Abwägung mit dem Auftrag zum Schutz des menschlichen Lebens (vgl. BVerfGE 88, 203) eine erhebliche Aufwertung erfahren.
29
(1) Nach dem Grundgesetz ist jeder Mensch grundsätzlich frei, über den Umgang mit seiner Gesundheit nach eigenem Gutdünken zu entscheiden (BVerfG, NJW 2017, 53, 56). Die Rechtsprechung leitet aus dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG) und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) eine „Freiheit zur Krankheit“ ab, die es grundsätzlich einschließt, Heilbehandlungen auch dann abzulehnen, wenn sie medizinisch angezeigt sind (vgl. BVerfG, aaO; siehe auch BGH, Beschluss vom 17. September 2014 – XII ZB 202/13, BGHZ 202, 226, 236; jeweils unter Berufung auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG: BVerfGE 128, 282, 304; 129, 269, 280; 133, 112, 131). Selbst bei lebenswichtigenärztlichen Maßnahmen schützt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten eine Entschließung , die aus medizinischen Gründen unvertretbar erscheint (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 1984 – VI ZR 174/82, BGHZ 90, 103, 111). Das Grundgesetz garantiert dem Individuum das Recht, in Bezug auf die eigene Person aus medizinischer Sicht Unvernünftiges zu tun und sachlich Gebotenes zu unterlassen (vgl. LK-StGB/Rissing-van Saan, aaO, § 216 Rn. 26). Jeder einwilligungsfähige Kranke hat es danach in der Hand, eine lebensrettende Behandlung zu untersagen und so über das eigene Leben zu verfügen (vgl. Kutzer, ZRP 2012, 135, 136).
30
(2) Darüber hinausgehend gebietet es die Würde des Menschen, sein in einwilligungsfähigem Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu eigenverantwortlichem Entscheiden nicht mehr in der Lage ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 2003 – XII ZB 2/03, BGHZ 154, 205). Mit der gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung in § 1901a BGB durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29. Juli 2009 (BGBl. I 2286) hat der Gesetzgeber die Verbindlichkeit des Willens des Patienten für Behandlungsentscheidungen über den Zeitpunkt des Eintritts seiner Einwilligungsunfähigkeit hinaus klarstellend anerkannt, wobei es auf Art und Stadium der Erkrankung nicht ankommt (§ 1901a Abs. 3 BGB). Dabei ging auch er davon aus, dass das Selbstbestimmungsrecht des Menschen „das Recht zur Selbstgefährdung bis hin zur Selbstaufgabe und damit auch auf Ablehnung lebensverlängernder Maßnahmen unabhängig von der ärztlichen Indi- kation der Behandlung“ einschließt (BT-Drucks.16/8442, S. 8). Der Bundesge- richtshof hat demgemäß einen Behandlungsabbruch – losgelöst von der Begehungsform – als gerechtfertigt angesehen, wenn er in Ansehung von § 1901a BGB dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht und dazu dient, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 2010 – 2 StR 454/09, BGHSt 55, 191, 199, 203 f.).
31
(3) Weitergehend leitet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) aus dem Recht auf Achtung des Privatlebens im Sinne von Art. 8 EMRK das Recht einer Person her zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt ihr Leben enden soll (EGMR, NJW 2011, 3773, 3774; 2013, 2953,2955 f.). Auch wenn im Bereich der Konventionsstaaten derzeit kein Konsens hinsichtlich der Frage der Strafbarkeit eines assistierten Suizids besteht und deshalb den nationalen Gerichten in diesem Zusammenhang ein erheblicher Ermessensspielraum eingeräumt ist (EGMR, aaO), kommt der Auslegung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch den EGMR im Rahmen der verfassungs- und konventionskonformen Anwendung der §§ 216, 13 StGB eine Orientierungs- und Leitfunktion zu (vgl. zu den Auswirkungen der Rechtsprechung des EGMR auf die Rechtsanwendung durch die nationalen Gerichte BVerfGE 111, 307, 320; 128, 326, 368 ff.; BVerfG, NJW 2019, 41, 43).
32
(4) Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung des EGMR hat das Bundesverwaltungsgericht dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht das Recht eines schwer und unheilbar kranken Menschen entnommen, „zu entscheiden wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben enden soll, vorausgesetzt er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln.“ Hiermit sei die ausnahmslose Beschränkung des Zugangs zu die schmerzlose und sichere Selbsttötung ermöglichenden Betäubungsmitteln im Falle einer durch seine Krankheit begründeten extremen Notlage des Suizidwilligen unvereinbar (BVerwGE 158, 142, 152; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2019 – 3 C 6/17).
33
(5) Die herrschende Auffassung im Schrifttum entnimmt dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Suizidenten einen unterschiedlich weitgehenden „Anspruch, in Ruhe sterben zu können“ (vgl. Maunz/Dürig/Di Fabio, 84. EL, Art. 2 Abs. 1 Rn. 205; Müller-Terpitz in Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl., § 147 Rn. 101; Roxin, NStZ 2016, 185, 186; Saliger, medstra 2015, 132, 135; Gärditz, ZfL 2017, 38, 41 f.). Deshalb könne ein Arzt oder ein Dritter, der den ernstlichen Wunsch nach Behandlungseinstellung achtet, nicht wegen eines Tötungsdelikts belangt werden (vgl. Maunz/Dürig/Di Fabio, aaO).
34
bb) In Anbetracht der solchermaßen im Laufe der rechtlichen Entwicklung gewachsenen Bedeutung der Selbstbestimmung des Einzelnen auch bei Entscheidungen über sein eigenes Leben kann in Fällen des freiverantwortlichen Suizids der Arzt, der die Umstände kennt, nicht mit strafrechtlichen Konsequenzen verpflichtet werden, gegen den Willen des Suizidenten zu handeln (vgl. LK-StGB/Rissing-van Saan, aaO, § 216 Rn. 26). Da Frau D. ihren ernstlichen Entschluss, aus dem Leben zu scheiden, ohne Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizits freiverantwortlich gebildet und umgesetzt hat und sich keine Hinweise auf eine Änderung ihres Sterbewillens ergeben , brauchte der Angeklagte Maßnahmen zu ihrer Rettung nicht zu ergreifen.
35
c) Dies gilt auch hinsichtlich einer etwaigen Garantenstellung aus vorangegangenem gefährlichem Tun, insbesondere dem Verschaffen der Medikamente. Denn Frau D. hat im Anschluss hieran die Tabletten freiverantwortlich selbst eingenommen, so dass das Risiko für die Verwirklichung der durch das Vorverhalten des Angeklagten gegebenenfalls erhöhten Gefahr allein in ihrem Verantwortungsbereich lag (vgl. hierzu sowie zur Garantenstellung aus Ingerenz im Übrigen BGH, Urteil vom heutigen Tag – 5 StR 132/18).
36
d) Der Senat weicht mit dieser Ansicht nicht in einer ein Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG erfordernden Weise von der Entscheidung des 3. Strafsenats vom 4. Juli 1984 (3 StR 96/84, BGHSt 32, 367, 374) ab. Mit der Beendigung der Garantenstellung als Hausarzt und der Vereinbarung einer bloßen Sterbebegleitung unterscheidet sich der vorliegende Fall in tatsächlicher Hinsicht von dem dem Urteil des 3. Strafsenats (aaO) zugrundeliegenden Sachverhalt, in dem eine abschließende Abrede über Fortbestand und Art des ArztPatienten -Verhältnisses noch nicht getroffen worden war.
37
4. Das Landgericht hat auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c Abs. 1 StGB) zutreffend verneint. Entgegen seiner Rechtsansicht stellt die Situation einer Selbsttötung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwar auch im Falle ihrer Freiverantwortlichkeit einen Unglücksfall im Sinne von § 323c Abs. 1 StGB dar, der für jedermann in den Grenzen des Erforderlichen und Zumutbaren eine auf die Vornahme von Rettungshandlungen gerichtete Hilfspflicht begründet. Eine dem geäußerten Willen Frau D. s zuwiderlaufenden Hilfeleistung war dem Angeklagten aber nicht zumutbar (vgl. dazu BGH, Urteil vom heutigen Tag – 5 StR 132/18).
38
5. Eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a und b i.V.m. § 13 Abs. 1 BtMG sowie § 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anlage III zum Betäubungsmittelgesetz hat die Strafkammer ohne Rechtsfehler abgelehnt (UA S. 18). Mutzbauer Sander Schneider König Köhler

(1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.

(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Die Ehe wird von zwei Personen verschiedenen oder gleichen Geschlechts auf Lebenszeit geschlossen. Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet; sie tragen füreinander Verantwortung.

(2) Ein Ehegatte ist nicht verpflichtet, dem Verlangen des anderen Ehegatten nach Herstellung der Gemeinschaft Folge zu leisten, wenn sich das Verlangen als Missbrauch seines Rechts darstellt oder wenn die Ehe gescheitert ist.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Die Garantenstellung des Arztes für das Leben seines Patienten
endet, wenn er vereinbarungsgemäß nur noch dessen
freiverantwortlichen Suizid begleitet.
BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 - 5 StR 393/18
LG Berlin
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 393/18
vom
3. Juli 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Tötung auf Verlangen u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:030719U5STR393.18.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Juli2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Köhler
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof S. , Richter am Landgericht K.
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,


für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 8. März 2018 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen, sich durch die Förderung des Suizids der 44-jährigen D. sowie das spätere Unterlassen von Maßnahmen zu deren Rettung der Tötung auf Verlangen strafbar gemacht zu haben (vgl. KG, StV 2018, 304). Mit ihrer gegen den Freispruch gerichteten und auf die Sachrüge gestützten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter Tötung auf Verlangen durch Unterlassen. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2
1. Das Landgericht hat festgestellt:
3
D. litt seit ihrem sechzehnten Lebensjahr an einem nicht lebensbedrohlichen, aber starke krampfartige Schmerzen verursachenden Reiz-Darm-Syndrom. Eine Besserung ihres Gesundheitszustands konnte sie auch durch das Ausschöpfen zahlreicher klassischer und alternativer Behandlungsmöglichkeiten nicht erlangen. Daneben litt sie seit ihrer Pubertät unter rezidivierenden Harnwegsinfektionen und wiederkehrenden Analfisteln und zeigte zudem psychische Auffälligkeiten. Im Laufe ihres Lebens war sie bei verschiedenen Psychotherapeuten in Behandlung. Aufgrund ihres Gesundheitszustands war sie – obgleich an sich lebenslustig – jedenfalls in der Zeit vor ihrem Tod reaktiv depressiv. Sie hatte mehrfach Suizidversuche unternommen und beschäftigte sich intensiv mit dem Thema Tod.
4
Da ihr das Leben unter diesen Umständen nicht mehr lebenswert erschien , wandte sie sich am 8. Februar 2013 mit der Bitte an den Angeklagten, ihren Hausarzt, sie bei ihrer Selbsttötung zu unterstützen. Der Angeklagte gab dieser Bitte nach, weil ihm die lange Kranken- und Leidensgeschichte sowie die erfolglosen Therapieversuche bekannt waren und er der Überzeugung war, dass ein Arzt eine Patientin, die er über Jahre behandelt hat, auch in einer solchen Situation nicht allein lassen dürfe. Er stellte zwei Privatrezepte über eine nicht näher bekannte Menge des Medikaments Luminal aus, von denen er mindestens eines selbst einlöste und der später Verstorbenen das Medikament übergab. Während seines letzten Hausbesuchs bei Frau D. am 15. Februar 2013 traf er diese tief verzweifelt und zur Selbsttötung fest entschlossen , aus seiner Sicht aber voll geschäftsfähig an. Bei diesem Besuch übergab Frau D.
dem Angeklagten ihre Wohnungsschlüssel und bat ihn, sie nach der Einnahme der Tabletten zu Hause zu betreuen und den Leichenschauschein auszufüllen. „Weder dem Angeklagten noch der später Verstorbenen war bekannt, über wel- chen exakten Zeitraum sich der Sterbeprozess erstrecken würde; sie gingen jedoch davon aus, dass dem Tod eine komatöse Phase vorausgehen würde“ (UA S. 5).
5
Am 16. Februar 2013, jedenfalls vor 14 Uhr, nahm Frau D. „bei klarem Verstand und in dem vollen Bewusstsein, was sie tat“ (UAS. 5), eine unbekannte, aber tödliche Menge Luminal ein. Den Angeklagten informierte sie hierüber, wie zuvor vereinbart, per Kurznachricht. Wenig später begab sich der Angeklagte in ihre Wohnung und fand sie in einem tief komatösen Zustand mit normalen Vitalwerten auf dem Rücken liegend in ihrem Bett vor. Da er sich dem Sterbewunsch D. s verpflichtet fühlte, unternahm er keine Rettungsversuche, sondern prüfte lediglich Puls, Pupillenreflexe und Atmung. Er suchte Frau D. noch einmal am Abend desselben Tages, zu drei Zeitpunkten am 17. Februar 2013 sowie zu drei weiteren Zeitpunkten am 18. Februar 2013 auf. Bei den beiden letzten Besuchen befand sich Frau

D.

bereits in einem präfinalen Zustand.
6
Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt, aber jedenfalls nachdem Frau D. ins Koma gefallen war und vor ihrem Versterben, verabreichte der Angeklagte ihr mindestens einmal eine Ampulle Metoclopramid, um ein Erbrechen zu verhindern. Bei einem Erbrechen wäre es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem früheren Todeseintritt gekommen, da die später Verstorbene entweder aufgrund der Rückenlage an dem Erbrochenen erstickt wäre oder aber das Erbrechen dazu geführt hätte, dass sie kurzzeitig nochmals eine größere Menge des Phenobarbitals (dem Wirkstoff von Luminal) hätte absorbieren können, was die Vergiftung beschleunigt hätte. Darüber hinaus spritzte der Angeklagte ihr Buscopan, ein in der Palliativmedizin eingesetztes krampflösendes Medikament. So wollte er sicherstellen, dass es nicht zu unnötigen Schmerzen bei der Sterbenden kommt.
7
Am Morgen des 18. Februar 2013 rief die Mutter der Suizidentin beim Angeklagten an und erklärte, die Zeugin P. , eine Freundin ihrer Tochter, mache sich Sorgen, weil sie diese nicht habe erreichen können, und habe sich auf den Weg zu deren Wohnung gemacht. Daraufhin informierte der Angeklagte die Mutter und die Zeugin P. darüber, dass Frau D. Tabletten eingenommen habe, im Sterben liege und nichts unternommen werden solle, weil sie dies nicht gewollt habe. Gegen 21 Uhr teilte Frau D. s Sohn, der Zeuge F. , der zuvor von seiner Großmutter über den Zustand der Mutter unterrichtet worden war, dem Angeklagten mit, dass er sofort aus Stuttgart anreisen wolle. Es wurde ein Treffen in Frau D. s Wohnung verabredet.
8
Am 19. Februar 2013 gegen 4:30 Uhr stellte der Angeklagte den Tod D. s fest und füllte den Leichenschauschein aus. Als Todesart kreuzte er „natürlicher Tod“ an und trug als Todesursachen handschriftlich „Nierenversagen“ , „Tabletten-Intoxikation“ und „Depression“ ein. Ob die Verstorbe- ne nach der Einnahme des Luminals bei sofortiger medizinischer Behandlung noch hätte gerettet werden können, ließ sich nicht mit Sicherheit feststellen.
9
2. Das Landgericht hat eine Strafbarkeit des Angeklagten unter sämtlichen in Betracht kommenden Gesichtspunkten jeweils aus rechtlichen Gründen verneint. Die Bereitstellung der Medikamente stelle sich als straflose Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung dar. Auch zu Rettungsbemühungen nach Eintritt der Bewusstlosigkeit Frau D. s sei der Angeklagte nicht verpflichtet gewesen. Denn deren freiverantwortliche Ausübung des Selbstbestimmungsrechts habe eine Pflicht des Angeklagten zur Abwendung ihres Todes entfallen lassen. Eine solche ergebe sich auch nicht aus § 323c Abs. 1 StGB, da eine freiverantwortliche Selbsttötung keinen Unglücksfall darstelle.

II.

10
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet. Der Freispruch des Angeklagten hält rechtlicher Überprüfung stand.
11
1. Der Angeklagte hat sich nicht wegen eines vollendeten Tötungsdelikts durch aktives Tun (§ 212 Abs. 1 StGB oder § 216 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.
12
a) Der im Verschaffen des Zugangs zu den todbringenden Medikamenten liegende Tatbeitrag des Angeklagten stellt sich bei der gebotenen normativen Betrachtung als straflose Hilfeleistung zur eigenverantwortlich verwirklichten Selbsttötung D. s dar.
13
aa) Für die Abgrenzung einer straflosen Beihilfe zur Selbsttötung von der täterschaftlichen Tötung eines anderen ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs maßgeblich, wer in Vollzug des Gesamtplans die Herrschaft über das zum Tode führende Geschehen ausübt (BGH, Urteile vom 14. August 1963 – 2 StR 181/63, BGHSt 19, 135, 139 f.; vom 7. Februar 2001 – 5 StR 474/00, BGHSt 46, 279, 284; vom 20. Mai 2003 – 5 StR 66/03, NJW 2003, 2326, 2327; vom 4. Juli 2018 – 2 StR 245/17, BGHSt 63, 161; Beschluss vom 25. November 1986 – 1 StR 613/86, NJW 1987, 1092). Begibt sich der Sterbewillige in die Hand eines Dritten und nimmt duldend von ihm den Tod entgegen, dann hat dieser die Tatherrschaft über das Geschehen. Nimmt da- gegen der Sterbewillige selbst die todbringende Handlung vor und behält er dabei die freie Entscheidung über sein Schicksal, tötet er sich selbst, wenn auch mit fremder Hilfe (vgl., jeweils mwN, BGH, Urteile vom 4. Juli 2018 – 2 StR 245/17, BGHSt 63, 161; vom heutigen Tag – 5 StR 132/18 zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
14
Letzteres ist hier der Fall. Frau D. übte, solange sie bei Bewusstsein war, allein die Herrschaft über das zu ihrem Tod führende Geschehen aus, indem sie freiverantwortlich die ihren Tod verursachende Dosis des Medikaments einnahm.
15
bb) Dem Angeklagten kann die Selbsttötungshandlung auch nicht nach den Grundsätzen der mittelbaren Täterschaft zugerechnet werden.
16
(1) Eine Benutzung des Suizidenten als „Werkzeug“ gegen sich selbst kann unter anderem gegeben sein, wenn dieser seinen Selbsttötungsentschluss aufgrund eines Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizits nicht freiverantwortlich gebildet hat (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juli 1983 – 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38, 41 f.; vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 und vom heutigen Tag – 5 StR 132/18; Beschlüsse vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13, StV 2014, 601, 602). Befindet sich der Suizident – vom „Suizidhelfer“ erkannt – in einer seine freie Willensbildung ausschließenden Lage, kann sich das Verschaffen der Möglichkeit des Suizids als in mittelbarer Täterschaft begangenes Tötungsdelikt darstellen (BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 f.; Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13).
17
Freiverantwortlich ist demgegenüber ein Selbsttötungsentschluss, wenn das Opfer die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit für seine Entscheidung besitzt und Mangelfreiheit des Suizidwillens sowie innere Festigkeit des Entschlusses gegeben sind (vgl. BGH, Urteile vom 7. August 1984 – 1 StR 200/84, NStZ 1985, 25, 26; vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10, NStZ 2011, 340 f., und vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319, 320; Beschluss vom 8. Juli 1987 – 2 StR 298/87, NJW 1988, 1532). Zum Ausschluss der Freiverantwortlichkeit müssen konkrete Umstände festgestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13, StV 2014, 601, 603). Als solche kommen insbesondere Minderjährigkeit des Opfers oder krankheits- sowie intoxikationsbedingte Defizite in Frage (vgl. BGH, Urteile vom 22. Januar 1981 – 4 StR 480/80, NJW 1981, 932; vom 28. Oktober 1982 – 1 StR 501/82, NStZ 1983, 72; vom 11. April 2000 – 1 StR 638/99, NStZ 2001, 205, 206; vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290, und vom 7. Oktober 2010 – 3StR 168/10; Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342). Der Selbsttötungsentschluss kann auch dann mangelbehaftet sein, wenn er auf Zwang, Drohung oder Täuschung durch den Täter beruht (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juli 1983 – 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38, 43; vom 3. Dezember 1985 – 5 StR 637/85, JZ 1987, 474; Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., Vor § 211 Rn. 13b; MüKo-StGB/Schneider, 3. Aufl., § 216 Rn. 22). Dasselbe gilt, wenn er einer bloßen depressiven Augenblicksstimmung entspringt, mithin nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen ist (vgl. BGH, Urteile vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10, NStZ 2011, 340, 341, und vom 14. September 2011 – 2 StR 145/11, NStZ 2012, 85, 86; MüKo-StGB/Schneider, aaO, Rn. 19).
18
(2) Gemessen hieran ist die auf rechtsfehlerfreien Feststellungen beruhende Wertung des Landgerichts, Frau D. habe ihren ernstlichen Entschluss, aus dem Leben zu scheiden, ohne Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizite freiverantwortlich gebildet und umgesetzt, im Ergebnis nicht zu beanstanden.
19
Die Strafkammer stützt sich insofern nicht allein auf die Einschätzung des Angeklagten, der Frau D. seit vielen Jahren behandelte und daher mit ihrer Persönlichkeit sowie ihrer Leidensgeschichte in besonderem Maße vertraut war. Es kann dahingestellt bleiben, ob für die Wertung der Freiverantwortlichkeit gleichwohl allein die Anschauung des – soweit erkennbar – nicht in den Bereichen der Psychiatrie und Psychologie ausgebildeten Angeklagten zur Wahrung der Kognitionspflicht genügen würde (vgl. dazu BGH, Urteile vom 26. Januar 2017 – 3 StR 479/16, NStZ 2017, 410; vom 20. September 2018 – 3StR 195/18; vom 10. Oktober 2018 – 2 StR 253/18; KK-StPO/Ott, 8. Aufl., § 264 Rn. 28). Denn die Strafkammer setzt sich darüber hinaus eingehend mit der mehrjährigen Krankheitsgeschichte der Suizidentin auseinander und zieht dabei die Aussagen von Angehörigen und Bekannten zur Entwicklung ihrer Krankheit und ihres seelischen Zustands heran. Auch ihnen gegenüber hatte Frau D. über jeweils längere Zeiträume unabhängig voneinander ihren Todeswunsch geäußert.
20
Zwar erscheint es danach nicht ausgeschlossen, dass Frau

D.

– durch ihrfortwährendes körperliches Leiden zermürbt – im Zeitpunkt ihrer Selbsttötung aufgrund einer „tiefen Verzweiflung“ psychisch beeinträchtigt war. Indes lassen sich dem Urteil keine Umstände entnehmen, die zur Annahme einer Aufhebung ihrer Einsichts- und Urteilsfähigkeit hätten zwingen müssen oder auf ein Handeln aus einer bloßen „depressiven Augenblicksstimmung“ hindeuteten. Vielmehr hatte sie sich intensiv mit dem Thema Tod auseinandergesetzt , im Laufe der Jahre bereits mehrere Selbsttötungsversuche unternommen , ihren Freundinnen sowie ihrer Mutter und ihrem Sohn mehrmals den Sterbewunsch mitgeteilt und sich bereits ab Dezember 2012 von ihren Freundinnen verabschiedet. Ihr Entschluss beruhte mithin auf einer über die Zeit hin-
weg entwickelten und durch ihr Leiden bedingten „Lebensmüdigkeit“ (vgl. UA S. 15); sie hatte einen „langjährigen ernsthaften Todeswunsch“ (UA S. 16).
21
(3) Auch unter Zugrundelegung der innerhalb des Schrifttums für einen freiverantwortlichen Suizidentschluss formulierten Kriterien ist von einem solchen auszugehen (dazu Urteil des Senats vom heutigen Tage – 5 StR132/18 mit zahlreichen Nachweisen; zusammenfassend auch MüKo-StGB/Schneider, aaO, Vor § 211 Rn. 37 ff.). Frau D. befand sich nicht in einem Zustand , der entsprechend §§ 19, 20, 35 StGB zu einem Verantwortlichkeitsausschluss führen würde. Vielmehr war sie nach Ausschöpfung sämtlicher, auf Linderung ihrer Schmerzen gerichteter Therapien fest entschlossen, aus dem Leben zu scheiden, weil es ihr unter diesen Umständen nicht mehr lebenswert erschien. Dieser durch das Landgericht als „Bilanzselbstmord“ (UA S. 16) gewertete , auf rationaler Reflexion beruhende Entschluss kennzeichnet eine durch Willensfestigkeit und Zielstrebigkeit geprägte innere Haltung und ist daher auch nach den Grundsätzen der Einwilligung als freiverantwortlich zu werten. Die dem Entschluss zugrundeliegende Motivation, über viele Jahre hinweg erduldeten Schmerzen ein Ende zu setzen, ist – wenn sie nicht ihrerseits auf eine die Einsichts- und Urteilsfähigkeit ausschließende Erkrankung zurückzuführen ist – einer näheren Überprüfung schon deshalb nicht zugänglich, weil sich das Empfinden von Schmerzen als innerer, höchstpersönlicher Vorgang der für eine wertende Beurteilung erforderlichen Objektivierung entzieht.
22
b) Das Verabreichen muskelentspannender Medikamente während des Sterbens war nach den Feststellungen bereits nicht kausal für den eingetretenen Todeserfolg. Die Medikamentengabe hat den Sterbeprozess weder beschleunigt , noch einen neuen tödlichen Kausalverlauf in Gang gesetzt.
23

c) Schließlich ist der Angeklagte auch nicht deswegen eines vollendeten, aktiv begangenen Tötungsdelikts schuldig, weil er die Zeugin P. und den Zeugen F. in Telefongesprächen über den jeweils aktuellen Zustand der Suizidentin und deren Todeswunsch unterrichtete. Er hat damit schon nicht in strafbarer Weise Rettungsbemühungen verhindert, weil die Zeugen keine solchen unternommen hatten, mithin kein rettender Kausalverlauf in Gang gesetzt war, der ohne das Eingreifen des Angeklagten zu einer unmittelbaren Rettung der Suizidentin geführt hätte (vgl. Schönke/Schröder/Eisele, 30. Aufl., Vor §§ 13 ff. Rn. 159; Otto, Grundkurs Strafrecht, Allgemeine Strafrechtslehre, 7. Aufl., § 9 Rn. 9; Gropp, Gedächtnisschrift Schlüchter, S. 173, 179). Vielmehr beschlossen die Zeugen nach den Telefonaten „jeder für sich …, den Wunsch der später Verstorbenen zu respektieren und untätig zu bleiben“ (UA S. 20).
24
2. Eine an das Unterlassen von Bemühungen zur Rettung der von ihm bewusstlos vorgefundenen Suizidentin anknüpfende Bestrafung des Angeklagten wegen vollendeter Tötung durch Unterlassen kam schon aus tatsächlichen Gründen nicht in Betracht. Das Landgericht hat nicht festgestellt, dass das Leben der Suizidentin durch alsbald nach der Einnahme von Tabletten eingeleitete Maßnahmen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte gerettet werden können (vgl. BGH, Urteil vom heutigen Tage – 5 StR 132/19 mwN).
25
3. Der Angeklagte hat sich auch nicht wegen versuchter Tötung durch Unterlassen strafbar gemacht, denn er war nicht mehr Garant für Frau D. s Leben.
26
a) Allerdings hatte er Frau D. viele Jahre als Hausarzt betreut und befand sich aufgrund der Übernahme ihrer ärztlichen Behandlung und des damit einhergehenden Vertrauensverhältnisses zunächst in einer besonderen Schutzposition für deren Leib und Leben (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 – 3 StR 96/84, BGHSt 32, 367, 377; Schönke/Schröder/Bosch, aaO, § 13 Rn. 28a). Diese Pflichtenstellung als Hausarzt endete spätestens, als Frau D. ihren Sterbewunsch (nochmals) äußerte und diesen mit der von dem Angeklagten akzeptierten Bitte verband, er solle „sie nach Einnahme der Tabletten zu Hause betreuen“. Entsprechend dieser Vereinbarung oblag es ihm nur noch, als Sterbebegleiter etwaige Leiden oder Schmerzen während des Sterbens zu lindern oder zu verhindern (vgl. auch BGH, Urteil vom 3. Dezember 1982 – 2 StR 494/82, NStZ 1983, 117, 118; Beschluss vom 8. Juli 1987 – 2 StR 298/87, NJW 1988, 1532; LK-StGB/Rissing-van Saan, 12. Aufl., § 216 Rn. 29, 31 f.; MüKo-StGB/ Schneider, aaO, § 216 Rn. 66; SSW-StGB/Momsen, 4. Aufl., § 216 Rn. 11; Saliger, medstra 2015, 132, 136; Berghäuser, ZStW 2016, 741,

749).

27
b) Für diese Wertung sprechen folgende Erwägungen:
28
aa) Die (Patienten-)Autonomie, die Entscheidungen über das Geschehenlassen des eigenen Sterbens umfasst, hat in der jüngeren Vergangenheit in Abwägung mit dem Auftrag zum Schutz des menschlichen Lebens (vgl. BVerfGE 88, 203) eine erhebliche Aufwertung erfahren.
29
(1) Nach dem Grundgesetz ist jeder Mensch grundsätzlich frei, über den Umgang mit seiner Gesundheit nach eigenem Gutdünken zu entscheiden (BVerfG, NJW 2017, 53, 56). Die Rechtsprechung leitet aus dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG) und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) eine „Freiheit zur Krankheit“ ab, die es grundsätzlich einschließt, Heilbehandlungen auch dann abzulehnen, wenn sie medizinisch angezeigt sind (vgl. BVerfG, aaO; siehe auch BGH, Beschluss vom 17. September 2014 – XII ZB 202/13, BGHZ 202, 226, 236; jeweils unter Berufung auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG: BVerfGE 128, 282, 304; 129, 269, 280; 133, 112, 131). Selbst bei lebenswichtigenärztlichen Maßnahmen schützt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten eine Entschließung , die aus medizinischen Gründen unvertretbar erscheint (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 1984 – VI ZR 174/82, BGHZ 90, 103, 111). Das Grundgesetz garantiert dem Individuum das Recht, in Bezug auf die eigene Person aus medizinischer Sicht Unvernünftiges zu tun und sachlich Gebotenes zu unterlassen (vgl. LK-StGB/Rissing-van Saan, aaO, § 216 Rn. 26). Jeder einwilligungsfähige Kranke hat es danach in der Hand, eine lebensrettende Behandlung zu untersagen und so über das eigene Leben zu verfügen (vgl. Kutzer, ZRP 2012, 135, 136).
30
(2) Darüber hinausgehend gebietet es die Würde des Menschen, sein in einwilligungsfähigem Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu eigenverantwortlichem Entscheiden nicht mehr in der Lage ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 2003 – XII ZB 2/03, BGHZ 154, 205). Mit der gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung in § 1901a BGB durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29. Juli 2009 (BGBl. I 2286) hat der Gesetzgeber die Verbindlichkeit des Willens des Patienten für Behandlungsentscheidungen über den Zeitpunkt des Eintritts seiner Einwilligungsunfähigkeit hinaus klarstellend anerkannt, wobei es auf Art und Stadium der Erkrankung nicht ankommt (§ 1901a Abs. 3 BGB). Dabei ging auch er davon aus, dass das Selbstbestimmungsrecht des Menschen „das Recht zur Selbstgefährdung bis hin zur Selbstaufgabe und damit auch auf Ablehnung lebensverlängernder Maßnahmen unabhängig von der ärztlichen Indi- kation der Behandlung“ einschließt (BT-Drucks.16/8442, S. 8). Der Bundesge- richtshof hat demgemäß einen Behandlungsabbruch – losgelöst von der Begehungsform – als gerechtfertigt angesehen, wenn er in Ansehung von § 1901a BGB dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht und dazu dient, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 2010 – 2 StR 454/09, BGHSt 55, 191, 199, 203 f.).
31
(3) Weitergehend leitet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) aus dem Recht auf Achtung des Privatlebens im Sinne von Art. 8 EMRK das Recht einer Person her zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt ihr Leben enden soll (EGMR, NJW 2011, 3773, 3774; 2013, 2953,2955 f.). Auch wenn im Bereich der Konventionsstaaten derzeit kein Konsens hinsichtlich der Frage der Strafbarkeit eines assistierten Suizids besteht und deshalb den nationalen Gerichten in diesem Zusammenhang ein erheblicher Ermessensspielraum eingeräumt ist (EGMR, aaO), kommt der Auslegung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch den EGMR im Rahmen der verfassungs- und konventionskonformen Anwendung der §§ 216, 13 StGB eine Orientierungs- und Leitfunktion zu (vgl. zu den Auswirkungen der Rechtsprechung des EGMR auf die Rechtsanwendung durch die nationalen Gerichte BVerfGE 111, 307, 320; 128, 326, 368 ff.; BVerfG, NJW 2019, 41, 43).
32
(4) Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung des EGMR hat das Bundesverwaltungsgericht dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht das Recht eines schwer und unheilbar kranken Menschen entnommen, „zu entscheiden wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben enden soll, vorausgesetzt er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln.“ Hiermit sei die ausnahmslose Beschränkung des Zugangs zu die schmerzlose und sichere Selbsttötung ermöglichenden Betäubungsmitteln im Falle einer durch seine Krankheit begründeten extremen Notlage des Suizidwilligen unvereinbar (BVerwGE 158, 142, 152; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2019 – 3 C 6/17).
33
(5) Die herrschende Auffassung im Schrifttum entnimmt dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Suizidenten einen unterschiedlich weitgehenden „Anspruch, in Ruhe sterben zu können“ (vgl. Maunz/Dürig/Di Fabio, 84. EL, Art. 2 Abs. 1 Rn. 205; Müller-Terpitz in Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl., § 147 Rn. 101; Roxin, NStZ 2016, 185, 186; Saliger, medstra 2015, 132, 135; Gärditz, ZfL 2017, 38, 41 f.). Deshalb könne ein Arzt oder ein Dritter, der den ernstlichen Wunsch nach Behandlungseinstellung achtet, nicht wegen eines Tötungsdelikts belangt werden (vgl. Maunz/Dürig/Di Fabio, aaO).
34
bb) In Anbetracht der solchermaßen im Laufe der rechtlichen Entwicklung gewachsenen Bedeutung der Selbstbestimmung des Einzelnen auch bei Entscheidungen über sein eigenes Leben kann in Fällen des freiverantwortlichen Suizids der Arzt, der die Umstände kennt, nicht mit strafrechtlichen Konsequenzen verpflichtet werden, gegen den Willen des Suizidenten zu handeln (vgl. LK-StGB/Rissing-van Saan, aaO, § 216 Rn. 26). Da Frau D. ihren ernstlichen Entschluss, aus dem Leben zu scheiden, ohne Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizits freiverantwortlich gebildet und umgesetzt hat und sich keine Hinweise auf eine Änderung ihres Sterbewillens ergeben , brauchte der Angeklagte Maßnahmen zu ihrer Rettung nicht zu ergreifen.
35
c) Dies gilt auch hinsichtlich einer etwaigen Garantenstellung aus vorangegangenem gefährlichem Tun, insbesondere dem Verschaffen der Medikamente. Denn Frau D. hat im Anschluss hieran die Tabletten freiverantwortlich selbst eingenommen, so dass das Risiko für die Verwirklichung der durch das Vorverhalten des Angeklagten gegebenenfalls erhöhten Gefahr allein in ihrem Verantwortungsbereich lag (vgl. hierzu sowie zur Garantenstellung aus Ingerenz im Übrigen BGH, Urteil vom heutigen Tag – 5 StR 132/18).
36
d) Der Senat weicht mit dieser Ansicht nicht in einer ein Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG erfordernden Weise von der Entscheidung des 3. Strafsenats vom 4. Juli 1984 (3 StR 96/84, BGHSt 32, 367, 374) ab. Mit der Beendigung der Garantenstellung als Hausarzt und der Vereinbarung einer bloßen Sterbebegleitung unterscheidet sich der vorliegende Fall in tatsächlicher Hinsicht von dem dem Urteil des 3. Strafsenats (aaO) zugrundeliegenden Sachverhalt, in dem eine abschließende Abrede über Fortbestand und Art des ArztPatienten -Verhältnisses noch nicht getroffen worden war.
37
4. Das Landgericht hat auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c Abs. 1 StGB) zutreffend verneint. Entgegen seiner Rechtsansicht stellt die Situation einer Selbsttötung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwar auch im Falle ihrer Freiverantwortlichkeit einen Unglücksfall im Sinne von § 323c Abs. 1 StGB dar, der für jedermann in den Grenzen des Erforderlichen und Zumutbaren eine auf die Vornahme von Rettungshandlungen gerichtete Hilfspflicht begründet. Eine dem geäußerten Willen Frau D. s zuwiderlaufenden Hilfeleistung war dem Angeklagten aber nicht zumutbar (vgl. dazu BGH, Urteil vom heutigen Tag – 5 StR 132/18).
38
5. Eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a und b i.V.m. § 13 Abs. 1 BtMG sowie § 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anlage III zum Betäubungsmittelgesetz hat die Strafkammer ohne Rechtsfehler abgelehnt (UA S. 18). Mutzbauer Sander Schneider König Köhler

(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.

(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Die Garantenstellung des Arztes für das Leben seines Patienten
endet, wenn er vereinbarungsgemäß nur noch dessen
freiverantwortlichen Suizid begleitet.
BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 - 5 StR 393/18
LG Berlin
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 393/18
vom
3. Juli 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Tötung auf Verlangen u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:030719U5STR393.18.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Juli2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Köhler
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof S. , Richter am Landgericht K.
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,


für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 8. März 2018 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen, sich durch die Förderung des Suizids der 44-jährigen D. sowie das spätere Unterlassen von Maßnahmen zu deren Rettung der Tötung auf Verlangen strafbar gemacht zu haben (vgl. KG, StV 2018, 304). Mit ihrer gegen den Freispruch gerichteten und auf die Sachrüge gestützten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter Tötung auf Verlangen durch Unterlassen. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2
1. Das Landgericht hat festgestellt:
3
D. litt seit ihrem sechzehnten Lebensjahr an einem nicht lebensbedrohlichen, aber starke krampfartige Schmerzen verursachenden Reiz-Darm-Syndrom. Eine Besserung ihres Gesundheitszustands konnte sie auch durch das Ausschöpfen zahlreicher klassischer und alternativer Behandlungsmöglichkeiten nicht erlangen. Daneben litt sie seit ihrer Pubertät unter rezidivierenden Harnwegsinfektionen und wiederkehrenden Analfisteln und zeigte zudem psychische Auffälligkeiten. Im Laufe ihres Lebens war sie bei verschiedenen Psychotherapeuten in Behandlung. Aufgrund ihres Gesundheitszustands war sie – obgleich an sich lebenslustig – jedenfalls in der Zeit vor ihrem Tod reaktiv depressiv. Sie hatte mehrfach Suizidversuche unternommen und beschäftigte sich intensiv mit dem Thema Tod.
4
Da ihr das Leben unter diesen Umständen nicht mehr lebenswert erschien , wandte sie sich am 8. Februar 2013 mit der Bitte an den Angeklagten, ihren Hausarzt, sie bei ihrer Selbsttötung zu unterstützen. Der Angeklagte gab dieser Bitte nach, weil ihm die lange Kranken- und Leidensgeschichte sowie die erfolglosen Therapieversuche bekannt waren und er der Überzeugung war, dass ein Arzt eine Patientin, die er über Jahre behandelt hat, auch in einer solchen Situation nicht allein lassen dürfe. Er stellte zwei Privatrezepte über eine nicht näher bekannte Menge des Medikaments Luminal aus, von denen er mindestens eines selbst einlöste und der später Verstorbenen das Medikament übergab. Während seines letzten Hausbesuchs bei Frau D. am 15. Februar 2013 traf er diese tief verzweifelt und zur Selbsttötung fest entschlossen , aus seiner Sicht aber voll geschäftsfähig an. Bei diesem Besuch übergab Frau D.
dem Angeklagten ihre Wohnungsschlüssel und bat ihn, sie nach der Einnahme der Tabletten zu Hause zu betreuen und den Leichenschauschein auszufüllen. „Weder dem Angeklagten noch der später Verstorbenen war bekannt, über wel- chen exakten Zeitraum sich der Sterbeprozess erstrecken würde; sie gingen jedoch davon aus, dass dem Tod eine komatöse Phase vorausgehen würde“ (UA S. 5).
5
Am 16. Februar 2013, jedenfalls vor 14 Uhr, nahm Frau D. „bei klarem Verstand und in dem vollen Bewusstsein, was sie tat“ (UAS. 5), eine unbekannte, aber tödliche Menge Luminal ein. Den Angeklagten informierte sie hierüber, wie zuvor vereinbart, per Kurznachricht. Wenig später begab sich der Angeklagte in ihre Wohnung und fand sie in einem tief komatösen Zustand mit normalen Vitalwerten auf dem Rücken liegend in ihrem Bett vor. Da er sich dem Sterbewunsch D. s verpflichtet fühlte, unternahm er keine Rettungsversuche, sondern prüfte lediglich Puls, Pupillenreflexe und Atmung. Er suchte Frau D. noch einmal am Abend desselben Tages, zu drei Zeitpunkten am 17. Februar 2013 sowie zu drei weiteren Zeitpunkten am 18. Februar 2013 auf. Bei den beiden letzten Besuchen befand sich Frau

D.

bereits in einem präfinalen Zustand.
6
Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt, aber jedenfalls nachdem Frau D. ins Koma gefallen war und vor ihrem Versterben, verabreichte der Angeklagte ihr mindestens einmal eine Ampulle Metoclopramid, um ein Erbrechen zu verhindern. Bei einem Erbrechen wäre es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem früheren Todeseintritt gekommen, da die später Verstorbene entweder aufgrund der Rückenlage an dem Erbrochenen erstickt wäre oder aber das Erbrechen dazu geführt hätte, dass sie kurzzeitig nochmals eine größere Menge des Phenobarbitals (dem Wirkstoff von Luminal) hätte absorbieren können, was die Vergiftung beschleunigt hätte. Darüber hinaus spritzte der Angeklagte ihr Buscopan, ein in der Palliativmedizin eingesetztes krampflösendes Medikament. So wollte er sicherstellen, dass es nicht zu unnötigen Schmerzen bei der Sterbenden kommt.
7
Am Morgen des 18. Februar 2013 rief die Mutter der Suizidentin beim Angeklagten an und erklärte, die Zeugin P. , eine Freundin ihrer Tochter, mache sich Sorgen, weil sie diese nicht habe erreichen können, und habe sich auf den Weg zu deren Wohnung gemacht. Daraufhin informierte der Angeklagte die Mutter und die Zeugin P. darüber, dass Frau D. Tabletten eingenommen habe, im Sterben liege und nichts unternommen werden solle, weil sie dies nicht gewollt habe. Gegen 21 Uhr teilte Frau D. s Sohn, der Zeuge F. , der zuvor von seiner Großmutter über den Zustand der Mutter unterrichtet worden war, dem Angeklagten mit, dass er sofort aus Stuttgart anreisen wolle. Es wurde ein Treffen in Frau D. s Wohnung verabredet.
8
Am 19. Februar 2013 gegen 4:30 Uhr stellte der Angeklagte den Tod D. s fest und füllte den Leichenschauschein aus. Als Todesart kreuzte er „natürlicher Tod“ an und trug als Todesursachen handschriftlich „Nierenversagen“ , „Tabletten-Intoxikation“ und „Depression“ ein. Ob die Verstorbe- ne nach der Einnahme des Luminals bei sofortiger medizinischer Behandlung noch hätte gerettet werden können, ließ sich nicht mit Sicherheit feststellen.
9
2. Das Landgericht hat eine Strafbarkeit des Angeklagten unter sämtlichen in Betracht kommenden Gesichtspunkten jeweils aus rechtlichen Gründen verneint. Die Bereitstellung der Medikamente stelle sich als straflose Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung dar. Auch zu Rettungsbemühungen nach Eintritt der Bewusstlosigkeit Frau D. s sei der Angeklagte nicht verpflichtet gewesen. Denn deren freiverantwortliche Ausübung des Selbstbestimmungsrechts habe eine Pflicht des Angeklagten zur Abwendung ihres Todes entfallen lassen. Eine solche ergebe sich auch nicht aus § 323c Abs. 1 StGB, da eine freiverantwortliche Selbsttötung keinen Unglücksfall darstelle.

II.

10
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet. Der Freispruch des Angeklagten hält rechtlicher Überprüfung stand.
11
1. Der Angeklagte hat sich nicht wegen eines vollendeten Tötungsdelikts durch aktives Tun (§ 212 Abs. 1 StGB oder § 216 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.
12
a) Der im Verschaffen des Zugangs zu den todbringenden Medikamenten liegende Tatbeitrag des Angeklagten stellt sich bei der gebotenen normativen Betrachtung als straflose Hilfeleistung zur eigenverantwortlich verwirklichten Selbsttötung D. s dar.
13
aa) Für die Abgrenzung einer straflosen Beihilfe zur Selbsttötung von der täterschaftlichen Tötung eines anderen ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs maßgeblich, wer in Vollzug des Gesamtplans die Herrschaft über das zum Tode führende Geschehen ausübt (BGH, Urteile vom 14. August 1963 – 2 StR 181/63, BGHSt 19, 135, 139 f.; vom 7. Februar 2001 – 5 StR 474/00, BGHSt 46, 279, 284; vom 20. Mai 2003 – 5 StR 66/03, NJW 2003, 2326, 2327; vom 4. Juli 2018 – 2 StR 245/17, BGHSt 63, 161; Beschluss vom 25. November 1986 – 1 StR 613/86, NJW 1987, 1092). Begibt sich der Sterbewillige in die Hand eines Dritten und nimmt duldend von ihm den Tod entgegen, dann hat dieser die Tatherrschaft über das Geschehen. Nimmt da- gegen der Sterbewillige selbst die todbringende Handlung vor und behält er dabei die freie Entscheidung über sein Schicksal, tötet er sich selbst, wenn auch mit fremder Hilfe (vgl., jeweils mwN, BGH, Urteile vom 4. Juli 2018 – 2 StR 245/17, BGHSt 63, 161; vom heutigen Tag – 5 StR 132/18 zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
14
Letzteres ist hier der Fall. Frau D. übte, solange sie bei Bewusstsein war, allein die Herrschaft über das zu ihrem Tod führende Geschehen aus, indem sie freiverantwortlich die ihren Tod verursachende Dosis des Medikaments einnahm.
15
bb) Dem Angeklagten kann die Selbsttötungshandlung auch nicht nach den Grundsätzen der mittelbaren Täterschaft zugerechnet werden.
16
(1) Eine Benutzung des Suizidenten als „Werkzeug“ gegen sich selbst kann unter anderem gegeben sein, wenn dieser seinen Selbsttötungsentschluss aufgrund eines Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizits nicht freiverantwortlich gebildet hat (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juli 1983 – 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38, 41 f.; vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 und vom heutigen Tag – 5 StR 132/18; Beschlüsse vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13, StV 2014, 601, 602). Befindet sich der Suizident – vom „Suizidhelfer“ erkannt – in einer seine freie Willensbildung ausschließenden Lage, kann sich das Verschaffen der Möglichkeit des Suizids als in mittelbarer Täterschaft begangenes Tötungsdelikt darstellen (BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 f.; Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13).
17
Freiverantwortlich ist demgegenüber ein Selbsttötungsentschluss, wenn das Opfer die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit für seine Entscheidung besitzt und Mangelfreiheit des Suizidwillens sowie innere Festigkeit des Entschlusses gegeben sind (vgl. BGH, Urteile vom 7. August 1984 – 1 StR 200/84, NStZ 1985, 25, 26; vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10, NStZ 2011, 340 f., und vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319, 320; Beschluss vom 8. Juli 1987 – 2 StR 298/87, NJW 1988, 1532). Zum Ausschluss der Freiverantwortlichkeit müssen konkrete Umstände festgestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13, StV 2014, 601, 603). Als solche kommen insbesondere Minderjährigkeit des Opfers oder krankheits- sowie intoxikationsbedingte Defizite in Frage (vgl. BGH, Urteile vom 22. Januar 1981 – 4 StR 480/80, NJW 1981, 932; vom 28. Oktober 1982 – 1 StR 501/82, NStZ 1983, 72; vom 11. April 2000 – 1 StR 638/99, NStZ 2001, 205, 206; vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290, und vom 7. Oktober 2010 – 3StR 168/10; Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342). Der Selbsttötungsentschluss kann auch dann mangelbehaftet sein, wenn er auf Zwang, Drohung oder Täuschung durch den Täter beruht (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juli 1983 – 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38, 43; vom 3. Dezember 1985 – 5 StR 637/85, JZ 1987, 474; Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., Vor § 211 Rn. 13b; MüKo-StGB/Schneider, 3. Aufl., § 216 Rn. 22). Dasselbe gilt, wenn er einer bloßen depressiven Augenblicksstimmung entspringt, mithin nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen ist (vgl. BGH, Urteile vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10, NStZ 2011, 340, 341, und vom 14. September 2011 – 2 StR 145/11, NStZ 2012, 85, 86; MüKo-StGB/Schneider, aaO, Rn. 19).
18
(2) Gemessen hieran ist die auf rechtsfehlerfreien Feststellungen beruhende Wertung des Landgerichts, Frau D. habe ihren ernstlichen Entschluss, aus dem Leben zu scheiden, ohne Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizite freiverantwortlich gebildet und umgesetzt, im Ergebnis nicht zu beanstanden.
19
Die Strafkammer stützt sich insofern nicht allein auf die Einschätzung des Angeklagten, der Frau D. seit vielen Jahren behandelte und daher mit ihrer Persönlichkeit sowie ihrer Leidensgeschichte in besonderem Maße vertraut war. Es kann dahingestellt bleiben, ob für die Wertung der Freiverantwortlichkeit gleichwohl allein die Anschauung des – soweit erkennbar – nicht in den Bereichen der Psychiatrie und Psychologie ausgebildeten Angeklagten zur Wahrung der Kognitionspflicht genügen würde (vgl. dazu BGH, Urteile vom 26. Januar 2017 – 3 StR 479/16, NStZ 2017, 410; vom 20. September 2018 – 3StR 195/18; vom 10. Oktober 2018 – 2 StR 253/18; KK-StPO/Ott, 8. Aufl., § 264 Rn. 28). Denn die Strafkammer setzt sich darüber hinaus eingehend mit der mehrjährigen Krankheitsgeschichte der Suizidentin auseinander und zieht dabei die Aussagen von Angehörigen und Bekannten zur Entwicklung ihrer Krankheit und ihres seelischen Zustands heran. Auch ihnen gegenüber hatte Frau D. über jeweils längere Zeiträume unabhängig voneinander ihren Todeswunsch geäußert.
20
Zwar erscheint es danach nicht ausgeschlossen, dass Frau

D.

– durch ihrfortwährendes körperliches Leiden zermürbt – im Zeitpunkt ihrer Selbsttötung aufgrund einer „tiefen Verzweiflung“ psychisch beeinträchtigt war. Indes lassen sich dem Urteil keine Umstände entnehmen, die zur Annahme einer Aufhebung ihrer Einsichts- und Urteilsfähigkeit hätten zwingen müssen oder auf ein Handeln aus einer bloßen „depressiven Augenblicksstimmung“ hindeuteten. Vielmehr hatte sie sich intensiv mit dem Thema Tod auseinandergesetzt , im Laufe der Jahre bereits mehrere Selbsttötungsversuche unternommen , ihren Freundinnen sowie ihrer Mutter und ihrem Sohn mehrmals den Sterbewunsch mitgeteilt und sich bereits ab Dezember 2012 von ihren Freundinnen verabschiedet. Ihr Entschluss beruhte mithin auf einer über die Zeit hin-
weg entwickelten und durch ihr Leiden bedingten „Lebensmüdigkeit“ (vgl. UA S. 15); sie hatte einen „langjährigen ernsthaften Todeswunsch“ (UA S. 16).
21
(3) Auch unter Zugrundelegung der innerhalb des Schrifttums für einen freiverantwortlichen Suizidentschluss formulierten Kriterien ist von einem solchen auszugehen (dazu Urteil des Senats vom heutigen Tage – 5 StR132/18 mit zahlreichen Nachweisen; zusammenfassend auch MüKo-StGB/Schneider, aaO, Vor § 211 Rn. 37 ff.). Frau D. befand sich nicht in einem Zustand , der entsprechend §§ 19, 20, 35 StGB zu einem Verantwortlichkeitsausschluss führen würde. Vielmehr war sie nach Ausschöpfung sämtlicher, auf Linderung ihrer Schmerzen gerichteter Therapien fest entschlossen, aus dem Leben zu scheiden, weil es ihr unter diesen Umständen nicht mehr lebenswert erschien. Dieser durch das Landgericht als „Bilanzselbstmord“ (UA S. 16) gewertete , auf rationaler Reflexion beruhende Entschluss kennzeichnet eine durch Willensfestigkeit und Zielstrebigkeit geprägte innere Haltung und ist daher auch nach den Grundsätzen der Einwilligung als freiverantwortlich zu werten. Die dem Entschluss zugrundeliegende Motivation, über viele Jahre hinweg erduldeten Schmerzen ein Ende zu setzen, ist – wenn sie nicht ihrerseits auf eine die Einsichts- und Urteilsfähigkeit ausschließende Erkrankung zurückzuführen ist – einer näheren Überprüfung schon deshalb nicht zugänglich, weil sich das Empfinden von Schmerzen als innerer, höchstpersönlicher Vorgang der für eine wertende Beurteilung erforderlichen Objektivierung entzieht.
22
b) Das Verabreichen muskelentspannender Medikamente während des Sterbens war nach den Feststellungen bereits nicht kausal für den eingetretenen Todeserfolg. Die Medikamentengabe hat den Sterbeprozess weder beschleunigt , noch einen neuen tödlichen Kausalverlauf in Gang gesetzt.
23

c) Schließlich ist der Angeklagte auch nicht deswegen eines vollendeten, aktiv begangenen Tötungsdelikts schuldig, weil er die Zeugin P. und den Zeugen F. in Telefongesprächen über den jeweils aktuellen Zustand der Suizidentin und deren Todeswunsch unterrichtete. Er hat damit schon nicht in strafbarer Weise Rettungsbemühungen verhindert, weil die Zeugen keine solchen unternommen hatten, mithin kein rettender Kausalverlauf in Gang gesetzt war, der ohne das Eingreifen des Angeklagten zu einer unmittelbaren Rettung der Suizidentin geführt hätte (vgl. Schönke/Schröder/Eisele, 30. Aufl., Vor §§ 13 ff. Rn. 159; Otto, Grundkurs Strafrecht, Allgemeine Strafrechtslehre, 7. Aufl., § 9 Rn. 9; Gropp, Gedächtnisschrift Schlüchter, S. 173, 179). Vielmehr beschlossen die Zeugen nach den Telefonaten „jeder für sich …, den Wunsch der später Verstorbenen zu respektieren und untätig zu bleiben“ (UA S. 20).
24
2. Eine an das Unterlassen von Bemühungen zur Rettung der von ihm bewusstlos vorgefundenen Suizidentin anknüpfende Bestrafung des Angeklagten wegen vollendeter Tötung durch Unterlassen kam schon aus tatsächlichen Gründen nicht in Betracht. Das Landgericht hat nicht festgestellt, dass das Leben der Suizidentin durch alsbald nach der Einnahme von Tabletten eingeleitete Maßnahmen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte gerettet werden können (vgl. BGH, Urteil vom heutigen Tage – 5 StR 132/19 mwN).
25
3. Der Angeklagte hat sich auch nicht wegen versuchter Tötung durch Unterlassen strafbar gemacht, denn er war nicht mehr Garant für Frau D. s Leben.
26
a) Allerdings hatte er Frau D. viele Jahre als Hausarzt betreut und befand sich aufgrund der Übernahme ihrer ärztlichen Behandlung und des damit einhergehenden Vertrauensverhältnisses zunächst in einer besonderen Schutzposition für deren Leib und Leben (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 – 3 StR 96/84, BGHSt 32, 367, 377; Schönke/Schröder/Bosch, aaO, § 13 Rn. 28a). Diese Pflichtenstellung als Hausarzt endete spätestens, als Frau D. ihren Sterbewunsch (nochmals) äußerte und diesen mit der von dem Angeklagten akzeptierten Bitte verband, er solle „sie nach Einnahme der Tabletten zu Hause betreuen“. Entsprechend dieser Vereinbarung oblag es ihm nur noch, als Sterbebegleiter etwaige Leiden oder Schmerzen während des Sterbens zu lindern oder zu verhindern (vgl. auch BGH, Urteil vom 3. Dezember 1982 – 2 StR 494/82, NStZ 1983, 117, 118; Beschluss vom 8. Juli 1987 – 2 StR 298/87, NJW 1988, 1532; LK-StGB/Rissing-van Saan, 12. Aufl., § 216 Rn. 29, 31 f.; MüKo-StGB/ Schneider, aaO, § 216 Rn. 66; SSW-StGB/Momsen, 4. Aufl., § 216 Rn. 11; Saliger, medstra 2015, 132, 136; Berghäuser, ZStW 2016, 741,

749).

27
b) Für diese Wertung sprechen folgende Erwägungen:
28
aa) Die (Patienten-)Autonomie, die Entscheidungen über das Geschehenlassen des eigenen Sterbens umfasst, hat in der jüngeren Vergangenheit in Abwägung mit dem Auftrag zum Schutz des menschlichen Lebens (vgl. BVerfGE 88, 203) eine erhebliche Aufwertung erfahren.
29
(1) Nach dem Grundgesetz ist jeder Mensch grundsätzlich frei, über den Umgang mit seiner Gesundheit nach eigenem Gutdünken zu entscheiden (BVerfG, NJW 2017, 53, 56). Die Rechtsprechung leitet aus dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG) und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) eine „Freiheit zur Krankheit“ ab, die es grundsätzlich einschließt, Heilbehandlungen auch dann abzulehnen, wenn sie medizinisch angezeigt sind (vgl. BVerfG, aaO; siehe auch BGH, Beschluss vom 17. September 2014 – XII ZB 202/13, BGHZ 202, 226, 236; jeweils unter Berufung auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG: BVerfGE 128, 282, 304; 129, 269, 280; 133, 112, 131). Selbst bei lebenswichtigenärztlichen Maßnahmen schützt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten eine Entschließung , die aus medizinischen Gründen unvertretbar erscheint (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 1984 – VI ZR 174/82, BGHZ 90, 103, 111). Das Grundgesetz garantiert dem Individuum das Recht, in Bezug auf die eigene Person aus medizinischer Sicht Unvernünftiges zu tun und sachlich Gebotenes zu unterlassen (vgl. LK-StGB/Rissing-van Saan, aaO, § 216 Rn. 26). Jeder einwilligungsfähige Kranke hat es danach in der Hand, eine lebensrettende Behandlung zu untersagen und so über das eigene Leben zu verfügen (vgl. Kutzer, ZRP 2012, 135, 136).
30
(2) Darüber hinausgehend gebietet es die Würde des Menschen, sein in einwilligungsfähigem Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu eigenverantwortlichem Entscheiden nicht mehr in der Lage ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 2003 – XII ZB 2/03, BGHZ 154, 205). Mit der gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung in § 1901a BGB durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29. Juli 2009 (BGBl. I 2286) hat der Gesetzgeber die Verbindlichkeit des Willens des Patienten für Behandlungsentscheidungen über den Zeitpunkt des Eintritts seiner Einwilligungsunfähigkeit hinaus klarstellend anerkannt, wobei es auf Art und Stadium der Erkrankung nicht ankommt (§ 1901a Abs. 3 BGB). Dabei ging auch er davon aus, dass das Selbstbestimmungsrecht des Menschen „das Recht zur Selbstgefährdung bis hin zur Selbstaufgabe und damit auch auf Ablehnung lebensverlängernder Maßnahmen unabhängig von der ärztlichen Indi- kation der Behandlung“ einschließt (BT-Drucks.16/8442, S. 8). Der Bundesge- richtshof hat demgemäß einen Behandlungsabbruch – losgelöst von der Begehungsform – als gerechtfertigt angesehen, wenn er in Ansehung von § 1901a BGB dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht und dazu dient, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 2010 – 2 StR 454/09, BGHSt 55, 191, 199, 203 f.).
31
(3) Weitergehend leitet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) aus dem Recht auf Achtung des Privatlebens im Sinne von Art. 8 EMRK das Recht einer Person her zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt ihr Leben enden soll (EGMR, NJW 2011, 3773, 3774; 2013, 2953,2955 f.). Auch wenn im Bereich der Konventionsstaaten derzeit kein Konsens hinsichtlich der Frage der Strafbarkeit eines assistierten Suizids besteht und deshalb den nationalen Gerichten in diesem Zusammenhang ein erheblicher Ermessensspielraum eingeräumt ist (EGMR, aaO), kommt der Auslegung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch den EGMR im Rahmen der verfassungs- und konventionskonformen Anwendung der §§ 216, 13 StGB eine Orientierungs- und Leitfunktion zu (vgl. zu den Auswirkungen der Rechtsprechung des EGMR auf die Rechtsanwendung durch die nationalen Gerichte BVerfGE 111, 307, 320; 128, 326, 368 ff.; BVerfG, NJW 2019, 41, 43).
32
(4) Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung des EGMR hat das Bundesverwaltungsgericht dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht das Recht eines schwer und unheilbar kranken Menschen entnommen, „zu entscheiden wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben enden soll, vorausgesetzt er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln.“ Hiermit sei die ausnahmslose Beschränkung des Zugangs zu die schmerzlose und sichere Selbsttötung ermöglichenden Betäubungsmitteln im Falle einer durch seine Krankheit begründeten extremen Notlage des Suizidwilligen unvereinbar (BVerwGE 158, 142, 152; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2019 – 3 C 6/17).
33
(5) Die herrschende Auffassung im Schrifttum entnimmt dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Suizidenten einen unterschiedlich weitgehenden „Anspruch, in Ruhe sterben zu können“ (vgl. Maunz/Dürig/Di Fabio, 84. EL, Art. 2 Abs. 1 Rn. 205; Müller-Terpitz in Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl., § 147 Rn. 101; Roxin, NStZ 2016, 185, 186; Saliger, medstra 2015, 132, 135; Gärditz, ZfL 2017, 38, 41 f.). Deshalb könne ein Arzt oder ein Dritter, der den ernstlichen Wunsch nach Behandlungseinstellung achtet, nicht wegen eines Tötungsdelikts belangt werden (vgl. Maunz/Dürig/Di Fabio, aaO).
34
bb) In Anbetracht der solchermaßen im Laufe der rechtlichen Entwicklung gewachsenen Bedeutung der Selbstbestimmung des Einzelnen auch bei Entscheidungen über sein eigenes Leben kann in Fällen des freiverantwortlichen Suizids der Arzt, der die Umstände kennt, nicht mit strafrechtlichen Konsequenzen verpflichtet werden, gegen den Willen des Suizidenten zu handeln (vgl. LK-StGB/Rissing-van Saan, aaO, § 216 Rn. 26). Da Frau D. ihren ernstlichen Entschluss, aus dem Leben zu scheiden, ohne Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizits freiverantwortlich gebildet und umgesetzt hat und sich keine Hinweise auf eine Änderung ihres Sterbewillens ergeben , brauchte der Angeklagte Maßnahmen zu ihrer Rettung nicht zu ergreifen.
35
c) Dies gilt auch hinsichtlich einer etwaigen Garantenstellung aus vorangegangenem gefährlichem Tun, insbesondere dem Verschaffen der Medikamente. Denn Frau D. hat im Anschluss hieran die Tabletten freiverantwortlich selbst eingenommen, so dass das Risiko für die Verwirklichung der durch das Vorverhalten des Angeklagten gegebenenfalls erhöhten Gefahr allein in ihrem Verantwortungsbereich lag (vgl. hierzu sowie zur Garantenstellung aus Ingerenz im Übrigen BGH, Urteil vom heutigen Tag – 5 StR 132/18).
36
d) Der Senat weicht mit dieser Ansicht nicht in einer ein Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG erfordernden Weise von der Entscheidung des 3. Strafsenats vom 4. Juli 1984 (3 StR 96/84, BGHSt 32, 367, 374) ab. Mit der Beendigung der Garantenstellung als Hausarzt und der Vereinbarung einer bloßen Sterbebegleitung unterscheidet sich der vorliegende Fall in tatsächlicher Hinsicht von dem dem Urteil des 3. Strafsenats (aaO) zugrundeliegenden Sachverhalt, in dem eine abschließende Abrede über Fortbestand und Art des ArztPatienten -Verhältnisses noch nicht getroffen worden war.
37
4. Das Landgericht hat auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c Abs. 1 StGB) zutreffend verneint. Entgegen seiner Rechtsansicht stellt die Situation einer Selbsttötung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwar auch im Falle ihrer Freiverantwortlichkeit einen Unglücksfall im Sinne von § 323c Abs. 1 StGB dar, der für jedermann in den Grenzen des Erforderlichen und Zumutbaren eine auf die Vornahme von Rettungshandlungen gerichtete Hilfspflicht begründet. Eine dem geäußerten Willen Frau D. s zuwiderlaufenden Hilfeleistung war dem Angeklagten aber nicht zumutbar (vgl. dazu BGH, Urteil vom heutigen Tag – 5 StR 132/18).
38
5. Eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a und b i.V.m. § 13 Abs. 1 BtMG sowie § 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anlage III zum Betäubungsmittelgesetz hat die Strafkammer ohne Rechtsfehler abgelehnt (UA S. 18). Mutzbauer Sander Schneider König Köhler

(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate.

(2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so entscheiden der Große Senat für Zivilsachen, wenn ein Zivilsenat von einem anderen Zivilsenat oder von dem Großen Zivilsenat, der Große Senat für Strafsachen, wenn ein Strafsenat von einem anderen Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen, die Vereinigten Großen Senate, wenn ein Zivilsenat von einem Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen oder ein Strafsenat von einem Zivilsenat oder von dem Großen Senat für Zivilsachen oder ein Senat von den Vereinigten Großen Senaten abweichen will.

(3) Eine Vorlage an den Großen Senat oder die Vereinigten Großen Senate ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befaßt werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung; § 97 Abs. 2 Satz 1 des Steuerberatungsgesetzes und § 74 Abs. 2 Satz 1 der Wirtschaftsprüferordnung bleiben unberührt.

(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

(5) Der Große Senat für Zivilsachen besteht aus dem Präsidenten und je einem Mitglied der Zivilsenate, der Große Senate für Strafsachen aus dem Präsidenten und je zwei Mitgliedern der Strafsenate. Legt ein anderer Senat vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, ist auch ein Mitglied dieses Senats im Großen Senat vertreten. Die Vereinigten Großen Senate bestehen aus dem Präsidenten und den Mitgliedern der Großen Senate.

(6) Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. Dies gilt auch für das Mitglied eines anderen Senats nach Absatz 5 Satz 2 und für seinen Vertreter. Den Vorsitz in den Großen Senaten und den Vereinigten Großen Senaten führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Die Garantenstellung des Arztes für das Leben seines Patienten
endet, wenn er vereinbarungsgemäß nur noch dessen
freiverantwortlichen Suizid begleitet.
BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 - 5 StR 393/18
LG Berlin
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 393/18
vom
3. Juli 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Tötung auf Verlangen u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:030719U5STR393.18.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Juli2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Köhler
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof S. , Richter am Landgericht K.
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,


für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 8. März 2018 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen, sich durch die Förderung des Suizids der 44-jährigen D. sowie das spätere Unterlassen von Maßnahmen zu deren Rettung der Tötung auf Verlangen strafbar gemacht zu haben (vgl. KG, StV 2018, 304). Mit ihrer gegen den Freispruch gerichteten und auf die Sachrüge gestützten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter Tötung auf Verlangen durch Unterlassen. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2
1. Das Landgericht hat festgestellt:
3
D. litt seit ihrem sechzehnten Lebensjahr an einem nicht lebensbedrohlichen, aber starke krampfartige Schmerzen verursachenden Reiz-Darm-Syndrom. Eine Besserung ihres Gesundheitszustands konnte sie auch durch das Ausschöpfen zahlreicher klassischer und alternativer Behandlungsmöglichkeiten nicht erlangen. Daneben litt sie seit ihrer Pubertät unter rezidivierenden Harnwegsinfektionen und wiederkehrenden Analfisteln und zeigte zudem psychische Auffälligkeiten. Im Laufe ihres Lebens war sie bei verschiedenen Psychotherapeuten in Behandlung. Aufgrund ihres Gesundheitszustands war sie – obgleich an sich lebenslustig – jedenfalls in der Zeit vor ihrem Tod reaktiv depressiv. Sie hatte mehrfach Suizidversuche unternommen und beschäftigte sich intensiv mit dem Thema Tod.
4
Da ihr das Leben unter diesen Umständen nicht mehr lebenswert erschien , wandte sie sich am 8. Februar 2013 mit der Bitte an den Angeklagten, ihren Hausarzt, sie bei ihrer Selbsttötung zu unterstützen. Der Angeklagte gab dieser Bitte nach, weil ihm die lange Kranken- und Leidensgeschichte sowie die erfolglosen Therapieversuche bekannt waren und er der Überzeugung war, dass ein Arzt eine Patientin, die er über Jahre behandelt hat, auch in einer solchen Situation nicht allein lassen dürfe. Er stellte zwei Privatrezepte über eine nicht näher bekannte Menge des Medikaments Luminal aus, von denen er mindestens eines selbst einlöste und der später Verstorbenen das Medikament übergab. Während seines letzten Hausbesuchs bei Frau D. am 15. Februar 2013 traf er diese tief verzweifelt und zur Selbsttötung fest entschlossen , aus seiner Sicht aber voll geschäftsfähig an. Bei diesem Besuch übergab Frau D.
dem Angeklagten ihre Wohnungsschlüssel und bat ihn, sie nach der Einnahme der Tabletten zu Hause zu betreuen und den Leichenschauschein auszufüllen. „Weder dem Angeklagten noch der später Verstorbenen war bekannt, über wel- chen exakten Zeitraum sich der Sterbeprozess erstrecken würde; sie gingen jedoch davon aus, dass dem Tod eine komatöse Phase vorausgehen würde“ (UA S. 5).
5
Am 16. Februar 2013, jedenfalls vor 14 Uhr, nahm Frau D. „bei klarem Verstand und in dem vollen Bewusstsein, was sie tat“ (UAS. 5), eine unbekannte, aber tödliche Menge Luminal ein. Den Angeklagten informierte sie hierüber, wie zuvor vereinbart, per Kurznachricht. Wenig später begab sich der Angeklagte in ihre Wohnung und fand sie in einem tief komatösen Zustand mit normalen Vitalwerten auf dem Rücken liegend in ihrem Bett vor. Da er sich dem Sterbewunsch D. s verpflichtet fühlte, unternahm er keine Rettungsversuche, sondern prüfte lediglich Puls, Pupillenreflexe und Atmung. Er suchte Frau D. noch einmal am Abend desselben Tages, zu drei Zeitpunkten am 17. Februar 2013 sowie zu drei weiteren Zeitpunkten am 18. Februar 2013 auf. Bei den beiden letzten Besuchen befand sich Frau

D.

bereits in einem präfinalen Zustand.
6
Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt, aber jedenfalls nachdem Frau D. ins Koma gefallen war und vor ihrem Versterben, verabreichte der Angeklagte ihr mindestens einmal eine Ampulle Metoclopramid, um ein Erbrechen zu verhindern. Bei einem Erbrechen wäre es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem früheren Todeseintritt gekommen, da die später Verstorbene entweder aufgrund der Rückenlage an dem Erbrochenen erstickt wäre oder aber das Erbrechen dazu geführt hätte, dass sie kurzzeitig nochmals eine größere Menge des Phenobarbitals (dem Wirkstoff von Luminal) hätte absorbieren können, was die Vergiftung beschleunigt hätte. Darüber hinaus spritzte der Angeklagte ihr Buscopan, ein in der Palliativmedizin eingesetztes krampflösendes Medikament. So wollte er sicherstellen, dass es nicht zu unnötigen Schmerzen bei der Sterbenden kommt.
7
Am Morgen des 18. Februar 2013 rief die Mutter der Suizidentin beim Angeklagten an und erklärte, die Zeugin P. , eine Freundin ihrer Tochter, mache sich Sorgen, weil sie diese nicht habe erreichen können, und habe sich auf den Weg zu deren Wohnung gemacht. Daraufhin informierte der Angeklagte die Mutter und die Zeugin P. darüber, dass Frau D. Tabletten eingenommen habe, im Sterben liege und nichts unternommen werden solle, weil sie dies nicht gewollt habe. Gegen 21 Uhr teilte Frau D. s Sohn, der Zeuge F. , der zuvor von seiner Großmutter über den Zustand der Mutter unterrichtet worden war, dem Angeklagten mit, dass er sofort aus Stuttgart anreisen wolle. Es wurde ein Treffen in Frau D. s Wohnung verabredet.
8
Am 19. Februar 2013 gegen 4:30 Uhr stellte der Angeklagte den Tod D. s fest und füllte den Leichenschauschein aus. Als Todesart kreuzte er „natürlicher Tod“ an und trug als Todesursachen handschriftlich „Nierenversagen“ , „Tabletten-Intoxikation“ und „Depression“ ein. Ob die Verstorbe- ne nach der Einnahme des Luminals bei sofortiger medizinischer Behandlung noch hätte gerettet werden können, ließ sich nicht mit Sicherheit feststellen.
9
2. Das Landgericht hat eine Strafbarkeit des Angeklagten unter sämtlichen in Betracht kommenden Gesichtspunkten jeweils aus rechtlichen Gründen verneint. Die Bereitstellung der Medikamente stelle sich als straflose Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung dar. Auch zu Rettungsbemühungen nach Eintritt der Bewusstlosigkeit Frau D. s sei der Angeklagte nicht verpflichtet gewesen. Denn deren freiverantwortliche Ausübung des Selbstbestimmungsrechts habe eine Pflicht des Angeklagten zur Abwendung ihres Todes entfallen lassen. Eine solche ergebe sich auch nicht aus § 323c Abs. 1 StGB, da eine freiverantwortliche Selbsttötung keinen Unglücksfall darstelle.

II.

10
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet. Der Freispruch des Angeklagten hält rechtlicher Überprüfung stand.
11
1. Der Angeklagte hat sich nicht wegen eines vollendeten Tötungsdelikts durch aktives Tun (§ 212 Abs. 1 StGB oder § 216 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht.
12
a) Der im Verschaffen des Zugangs zu den todbringenden Medikamenten liegende Tatbeitrag des Angeklagten stellt sich bei der gebotenen normativen Betrachtung als straflose Hilfeleistung zur eigenverantwortlich verwirklichten Selbsttötung D. s dar.
13
aa) Für die Abgrenzung einer straflosen Beihilfe zur Selbsttötung von der täterschaftlichen Tötung eines anderen ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs maßgeblich, wer in Vollzug des Gesamtplans die Herrschaft über das zum Tode führende Geschehen ausübt (BGH, Urteile vom 14. August 1963 – 2 StR 181/63, BGHSt 19, 135, 139 f.; vom 7. Februar 2001 – 5 StR 474/00, BGHSt 46, 279, 284; vom 20. Mai 2003 – 5 StR 66/03, NJW 2003, 2326, 2327; vom 4. Juli 2018 – 2 StR 245/17, BGHSt 63, 161; Beschluss vom 25. November 1986 – 1 StR 613/86, NJW 1987, 1092). Begibt sich der Sterbewillige in die Hand eines Dritten und nimmt duldend von ihm den Tod entgegen, dann hat dieser die Tatherrschaft über das Geschehen. Nimmt da- gegen der Sterbewillige selbst die todbringende Handlung vor und behält er dabei die freie Entscheidung über sein Schicksal, tötet er sich selbst, wenn auch mit fremder Hilfe (vgl., jeweils mwN, BGH, Urteile vom 4. Juli 2018 – 2 StR 245/17, BGHSt 63, 161; vom heutigen Tag – 5 StR 132/18 zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen).
14
Letzteres ist hier der Fall. Frau D. übte, solange sie bei Bewusstsein war, allein die Herrschaft über das zu ihrem Tod führende Geschehen aus, indem sie freiverantwortlich die ihren Tod verursachende Dosis des Medikaments einnahm.
15
bb) Dem Angeklagten kann die Selbsttötungshandlung auch nicht nach den Grundsätzen der mittelbaren Täterschaft zugerechnet werden.
16
(1) Eine Benutzung des Suizidenten als „Werkzeug“ gegen sich selbst kann unter anderem gegeben sein, wenn dieser seinen Selbsttötungsentschluss aufgrund eines Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizits nicht freiverantwortlich gebildet hat (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juli 1983 – 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38, 41 f.; vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 und vom heutigen Tag – 5 StR 132/18; Beschlüsse vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13, StV 2014, 601, 602). Befindet sich der Suizident – vom „Suizidhelfer“ erkannt – in einer seine freie Willensbildung ausschließenden Lage, kann sich das Verschaffen der Möglichkeit des Suizids als in mittelbarer Täterschaft begangenes Tötungsdelikt darstellen (BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 f.; Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13).
17
Freiverantwortlich ist demgegenüber ein Selbsttötungsentschluss, wenn das Opfer die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit für seine Entscheidung besitzt und Mangelfreiheit des Suizidwillens sowie innere Festigkeit des Entschlusses gegeben sind (vgl. BGH, Urteile vom 7. August 1984 – 1 StR 200/84, NStZ 1985, 25, 26; vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10, NStZ 2011, 340 f., und vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319, 320; Beschluss vom 8. Juli 1987 – 2 StR 298/87, NJW 1988, 1532). Zum Ausschluss der Freiverantwortlichkeit müssen konkrete Umstände festgestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13, StV 2014, 601, 603). Als solche kommen insbesondere Minderjährigkeit des Opfers oder krankheits- sowie intoxikationsbedingte Defizite in Frage (vgl. BGH, Urteile vom 22. Januar 1981 – 4 StR 480/80, NJW 1981, 932; vom 28. Oktober 1982 – 1 StR 501/82, NStZ 1983, 72; vom 11. April 2000 – 1 StR 638/99, NStZ 2001, 205, 206; vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290, und vom 7. Oktober 2010 – 3StR 168/10; Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342). Der Selbsttötungsentschluss kann auch dann mangelbehaftet sein, wenn er auf Zwang, Drohung oder Täuschung durch den Täter beruht (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juli 1983 – 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38, 43; vom 3. Dezember 1985 – 5 StR 637/85, JZ 1987, 474; Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., Vor § 211 Rn. 13b; MüKo-StGB/Schneider, 3. Aufl., § 216 Rn. 22). Dasselbe gilt, wenn er einer bloßen depressiven Augenblicksstimmung entspringt, mithin nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen ist (vgl. BGH, Urteile vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10, NStZ 2011, 340, 341, und vom 14. September 2011 – 2 StR 145/11, NStZ 2012, 85, 86; MüKo-StGB/Schneider, aaO, Rn. 19).
18
(2) Gemessen hieran ist die auf rechtsfehlerfreien Feststellungen beruhende Wertung des Landgerichts, Frau D. habe ihren ernstlichen Entschluss, aus dem Leben zu scheiden, ohne Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizite freiverantwortlich gebildet und umgesetzt, im Ergebnis nicht zu beanstanden.
19
Die Strafkammer stützt sich insofern nicht allein auf die Einschätzung des Angeklagten, der Frau D. seit vielen Jahren behandelte und daher mit ihrer Persönlichkeit sowie ihrer Leidensgeschichte in besonderem Maße vertraut war. Es kann dahingestellt bleiben, ob für die Wertung der Freiverantwortlichkeit gleichwohl allein die Anschauung des – soweit erkennbar – nicht in den Bereichen der Psychiatrie und Psychologie ausgebildeten Angeklagten zur Wahrung der Kognitionspflicht genügen würde (vgl. dazu BGH, Urteile vom 26. Januar 2017 – 3 StR 479/16, NStZ 2017, 410; vom 20. September 2018 – 3StR 195/18; vom 10. Oktober 2018 – 2 StR 253/18; KK-StPO/Ott, 8. Aufl., § 264 Rn. 28). Denn die Strafkammer setzt sich darüber hinaus eingehend mit der mehrjährigen Krankheitsgeschichte der Suizidentin auseinander und zieht dabei die Aussagen von Angehörigen und Bekannten zur Entwicklung ihrer Krankheit und ihres seelischen Zustands heran. Auch ihnen gegenüber hatte Frau D. über jeweils längere Zeiträume unabhängig voneinander ihren Todeswunsch geäußert.
20
Zwar erscheint es danach nicht ausgeschlossen, dass Frau

D.

– durch ihrfortwährendes körperliches Leiden zermürbt – im Zeitpunkt ihrer Selbsttötung aufgrund einer „tiefen Verzweiflung“ psychisch beeinträchtigt war. Indes lassen sich dem Urteil keine Umstände entnehmen, die zur Annahme einer Aufhebung ihrer Einsichts- und Urteilsfähigkeit hätten zwingen müssen oder auf ein Handeln aus einer bloßen „depressiven Augenblicksstimmung“ hindeuteten. Vielmehr hatte sie sich intensiv mit dem Thema Tod auseinandergesetzt , im Laufe der Jahre bereits mehrere Selbsttötungsversuche unternommen , ihren Freundinnen sowie ihrer Mutter und ihrem Sohn mehrmals den Sterbewunsch mitgeteilt und sich bereits ab Dezember 2012 von ihren Freundinnen verabschiedet. Ihr Entschluss beruhte mithin auf einer über die Zeit hin-
weg entwickelten und durch ihr Leiden bedingten „Lebensmüdigkeit“ (vgl. UA S. 15); sie hatte einen „langjährigen ernsthaften Todeswunsch“ (UA S. 16).
21
(3) Auch unter Zugrundelegung der innerhalb des Schrifttums für einen freiverantwortlichen Suizidentschluss formulierten Kriterien ist von einem solchen auszugehen (dazu Urteil des Senats vom heutigen Tage – 5 StR132/18 mit zahlreichen Nachweisen; zusammenfassend auch MüKo-StGB/Schneider, aaO, Vor § 211 Rn. 37 ff.). Frau D. befand sich nicht in einem Zustand , der entsprechend §§ 19, 20, 35 StGB zu einem Verantwortlichkeitsausschluss führen würde. Vielmehr war sie nach Ausschöpfung sämtlicher, auf Linderung ihrer Schmerzen gerichteter Therapien fest entschlossen, aus dem Leben zu scheiden, weil es ihr unter diesen Umständen nicht mehr lebenswert erschien. Dieser durch das Landgericht als „Bilanzselbstmord“ (UA S. 16) gewertete , auf rationaler Reflexion beruhende Entschluss kennzeichnet eine durch Willensfestigkeit und Zielstrebigkeit geprägte innere Haltung und ist daher auch nach den Grundsätzen der Einwilligung als freiverantwortlich zu werten. Die dem Entschluss zugrundeliegende Motivation, über viele Jahre hinweg erduldeten Schmerzen ein Ende zu setzen, ist – wenn sie nicht ihrerseits auf eine die Einsichts- und Urteilsfähigkeit ausschließende Erkrankung zurückzuführen ist – einer näheren Überprüfung schon deshalb nicht zugänglich, weil sich das Empfinden von Schmerzen als innerer, höchstpersönlicher Vorgang der für eine wertende Beurteilung erforderlichen Objektivierung entzieht.
22
b) Das Verabreichen muskelentspannender Medikamente während des Sterbens war nach den Feststellungen bereits nicht kausal für den eingetretenen Todeserfolg. Die Medikamentengabe hat den Sterbeprozess weder beschleunigt , noch einen neuen tödlichen Kausalverlauf in Gang gesetzt.
23

c) Schließlich ist der Angeklagte auch nicht deswegen eines vollendeten, aktiv begangenen Tötungsdelikts schuldig, weil er die Zeugin P. und den Zeugen F. in Telefongesprächen über den jeweils aktuellen Zustand der Suizidentin und deren Todeswunsch unterrichtete. Er hat damit schon nicht in strafbarer Weise Rettungsbemühungen verhindert, weil die Zeugen keine solchen unternommen hatten, mithin kein rettender Kausalverlauf in Gang gesetzt war, der ohne das Eingreifen des Angeklagten zu einer unmittelbaren Rettung der Suizidentin geführt hätte (vgl. Schönke/Schröder/Eisele, 30. Aufl., Vor §§ 13 ff. Rn. 159; Otto, Grundkurs Strafrecht, Allgemeine Strafrechtslehre, 7. Aufl., § 9 Rn. 9; Gropp, Gedächtnisschrift Schlüchter, S. 173, 179). Vielmehr beschlossen die Zeugen nach den Telefonaten „jeder für sich …, den Wunsch der später Verstorbenen zu respektieren und untätig zu bleiben“ (UA S. 20).
24
2. Eine an das Unterlassen von Bemühungen zur Rettung der von ihm bewusstlos vorgefundenen Suizidentin anknüpfende Bestrafung des Angeklagten wegen vollendeter Tötung durch Unterlassen kam schon aus tatsächlichen Gründen nicht in Betracht. Das Landgericht hat nicht festgestellt, dass das Leben der Suizidentin durch alsbald nach der Einnahme von Tabletten eingeleitete Maßnahmen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte gerettet werden können (vgl. BGH, Urteil vom heutigen Tage – 5 StR 132/19 mwN).
25
3. Der Angeklagte hat sich auch nicht wegen versuchter Tötung durch Unterlassen strafbar gemacht, denn er war nicht mehr Garant für Frau D. s Leben.
26
a) Allerdings hatte er Frau D. viele Jahre als Hausarzt betreut und befand sich aufgrund der Übernahme ihrer ärztlichen Behandlung und des damit einhergehenden Vertrauensverhältnisses zunächst in einer besonderen Schutzposition für deren Leib und Leben (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 – 3 StR 96/84, BGHSt 32, 367, 377; Schönke/Schröder/Bosch, aaO, § 13 Rn. 28a). Diese Pflichtenstellung als Hausarzt endete spätestens, als Frau D. ihren Sterbewunsch (nochmals) äußerte und diesen mit der von dem Angeklagten akzeptierten Bitte verband, er solle „sie nach Einnahme der Tabletten zu Hause betreuen“. Entsprechend dieser Vereinbarung oblag es ihm nur noch, als Sterbebegleiter etwaige Leiden oder Schmerzen während des Sterbens zu lindern oder zu verhindern (vgl. auch BGH, Urteil vom 3. Dezember 1982 – 2 StR 494/82, NStZ 1983, 117, 118; Beschluss vom 8. Juli 1987 – 2 StR 298/87, NJW 1988, 1532; LK-StGB/Rissing-van Saan, 12. Aufl., § 216 Rn. 29, 31 f.; MüKo-StGB/ Schneider, aaO, § 216 Rn. 66; SSW-StGB/Momsen, 4. Aufl., § 216 Rn. 11; Saliger, medstra 2015, 132, 136; Berghäuser, ZStW 2016, 741,

749).

27
b) Für diese Wertung sprechen folgende Erwägungen:
28
aa) Die (Patienten-)Autonomie, die Entscheidungen über das Geschehenlassen des eigenen Sterbens umfasst, hat in der jüngeren Vergangenheit in Abwägung mit dem Auftrag zum Schutz des menschlichen Lebens (vgl. BVerfGE 88, 203) eine erhebliche Aufwertung erfahren.
29
(1) Nach dem Grundgesetz ist jeder Mensch grundsätzlich frei, über den Umgang mit seiner Gesundheit nach eigenem Gutdünken zu entscheiden (BVerfG, NJW 2017, 53, 56). Die Rechtsprechung leitet aus dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 Satz 1 GG) und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) eine „Freiheit zur Krankheit“ ab, die es grundsätzlich einschließt, Heilbehandlungen auch dann abzulehnen, wenn sie medizinisch angezeigt sind (vgl. BVerfG, aaO; siehe auch BGH, Beschluss vom 17. September 2014 – XII ZB 202/13, BGHZ 202, 226, 236; jeweils unter Berufung auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG: BVerfGE 128, 282, 304; 129, 269, 280; 133, 112, 131). Selbst bei lebenswichtigenärztlichen Maßnahmen schützt das Selbstbestimmungsrecht des Patienten eine Entschließung , die aus medizinischen Gründen unvertretbar erscheint (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 1984 – VI ZR 174/82, BGHZ 90, 103, 111). Das Grundgesetz garantiert dem Individuum das Recht, in Bezug auf die eigene Person aus medizinischer Sicht Unvernünftiges zu tun und sachlich Gebotenes zu unterlassen (vgl. LK-StGB/Rissing-van Saan, aaO, § 216 Rn. 26). Jeder einwilligungsfähige Kranke hat es danach in der Hand, eine lebensrettende Behandlung zu untersagen und so über das eigene Leben zu verfügen (vgl. Kutzer, ZRP 2012, 135, 136).
30
(2) Darüber hinausgehend gebietet es die Würde des Menschen, sein in einwilligungsfähigem Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu eigenverantwortlichem Entscheiden nicht mehr in der Lage ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 2003 – XII ZB 2/03, BGHZ 154, 205). Mit der gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung in § 1901a BGB durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts vom 29. Juli 2009 (BGBl. I 2286) hat der Gesetzgeber die Verbindlichkeit des Willens des Patienten für Behandlungsentscheidungen über den Zeitpunkt des Eintritts seiner Einwilligungsunfähigkeit hinaus klarstellend anerkannt, wobei es auf Art und Stadium der Erkrankung nicht ankommt (§ 1901a Abs. 3 BGB). Dabei ging auch er davon aus, dass das Selbstbestimmungsrecht des Menschen „das Recht zur Selbstgefährdung bis hin zur Selbstaufgabe und damit auch auf Ablehnung lebensverlängernder Maßnahmen unabhängig von der ärztlichen Indi- kation der Behandlung“ einschließt (BT-Drucks.16/8442, S. 8). Der Bundesge- richtshof hat demgemäß einen Behandlungsabbruch – losgelöst von der Begehungsform – als gerechtfertigt angesehen, wenn er in Ansehung von § 1901a BGB dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht und dazu dient, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 2010 – 2 StR 454/09, BGHSt 55, 191, 199, 203 f.).
31
(3) Weitergehend leitet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) aus dem Recht auf Achtung des Privatlebens im Sinne von Art. 8 EMRK das Recht einer Person her zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt ihr Leben enden soll (EGMR, NJW 2011, 3773, 3774; 2013, 2953,2955 f.). Auch wenn im Bereich der Konventionsstaaten derzeit kein Konsens hinsichtlich der Frage der Strafbarkeit eines assistierten Suizids besteht und deshalb den nationalen Gerichten in diesem Zusammenhang ein erheblicher Ermessensspielraum eingeräumt ist (EGMR, aaO), kommt der Auslegung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch den EGMR im Rahmen der verfassungs- und konventionskonformen Anwendung der §§ 216, 13 StGB eine Orientierungs- und Leitfunktion zu (vgl. zu den Auswirkungen der Rechtsprechung des EGMR auf die Rechtsanwendung durch die nationalen Gerichte BVerfGE 111, 307, 320; 128, 326, 368 ff.; BVerfG, NJW 2019, 41, 43).
32
(4) Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung des EGMR hat das Bundesverwaltungsgericht dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht das Recht eines schwer und unheilbar kranken Menschen entnommen, „zu entscheiden wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben enden soll, vorausgesetzt er kann seinen Willen frei bilden und entsprechend handeln.“ Hiermit sei die ausnahmslose Beschränkung des Zugangs zu die schmerzlose und sichere Selbsttötung ermöglichenden Betäubungsmitteln im Falle einer durch seine Krankheit begründeten extremen Notlage des Suizidwilligen unvereinbar (BVerwGE 158, 142, 152; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2019 – 3 C 6/17).
33
(5) Die herrschende Auffassung im Schrifttum entnimmt dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Suizidenten einen unterschiedlich weitgehenden „Anspruch, in Ruhe sterben zu können“ (vgl. Maunz/Dürig/Di Fabio, 84. EL, Art. 2 Abs. 1 Rn. 205; Müller-Terpitz in Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl., § 147 Rn. 101; Roxin, NStZ 2016, 185, 186; Saliger, medstra 2015, 132, 135; Gärditz, ZfL 2017, 38, 41 f.). Deshalb könne ein Arzt oder ein Dritter, der den ernstlichen Wunsch nach Behandlungseinstellung achtet, nicht wegen eines Tötungsdelikts belangt werden (vgl. Maunz/Dürig/Di Fabio, aaO).
34
bb) In Anbetracht der solchermaßen im Laufe der rechtlichen Entwicklung gewachsenen Bedeutung der Selbstbestimmung des Einzelnen auch bei Entscheidungen über sein eigenes Leben kann in Fällen des freiverantwortlichen Suizids der Arzt, der die Umstände kennt, nicht mit strafrechtlichen Konsequenzen verpflichtet werden, gegen den Willen des Suizidenten zu handeln (vgl. LK-StGB/Rissing-van Saan, aaO, § 216 Rn. 26). Da Frau D. ihren ernstlichen Entschluss, aus dem Leben zu scheiden, ohne Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizits freiverantwortlich gebildet und umgesetzt hat und sich keine Hinweise auf eine Änderung ihres Sterbewillens ergeben , brauchte der Angeklagte Maßnahmen zu ihrer Rettung nicht zu ergreifen.
35
c) Dies gilt auch hinsichtlich einer etwaigen Garantenstellung aus vorangegangenem gefährlichem Tun, insbesondere dem Verschaffen der Medikamente. Denn Frau D. hat im Anschluss hieran die Tabletten freiverantwortlich selbst eingenommen, so dass das Risiko für die Verwirklichung der durch das Vorverhalten des Angeklagten gegebenenfalls erhöhten Gefahr allein in ihrem Verantwortungsbereich lag (vgl. hierzu sowie zur Garantenstellung aus Ingerenz im Übrigen BGH, Urteil vom heutigen Tag – 5 StR 132/18).
36
d) Der Senat weicht mit dieser Ansicht nicht in einer ein Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG erfordernden Weise von der Entscheidung des 3. Strafsenats vom 4. Juli 1984 (3 StR 96/84, BGHSt 32, 367, 374) ab. Mit der Beendigung der Garantenstellung als Hausarzt und der Vereinbarung einer bloßen Sterbebegleitung unterscheidet sich der vorliegende Fall in tatsächlicher Hinsicht von dem dem Urteil des 3. Strafsenats (aaO) zugrundeliegenden Sachverhalt, in dem eine abschließende Abrede über Fortbestand und Art des ArztPatienten -Verhältnisses noch nicht getroffen worden war.
37
4. Das Landgericht hat auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c Abs. 1 StGB) zutreffend verneint. Entgegen seiner Rechtsansicht stellt die Situation einer Selbsttötung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwar auch im Falle ihrer Freiverantwortlichkeit einen Unglücksfall im Sinne von § 323c Abs. 1 StGB dar, der für jedermann in den Grenzen des Erforderlichen und Zumutbaren eine auf die Vornahme von Rettungshandlungen gerichtete Hilfspflicht begründet. Eine dem geäußerten Willen Frau D. s zuwiderlaufenden Hilfeleistung war dem Angeklagten aber nicht zumutbar (vgl. dazu BGH, Urteil vom heutigen Tag – 5 StR 132/18).
38
5. Eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. a und b i.V.m. § 13 Abs. 1 BtMG sowie § 1 Abs. 1 BtMG i.V.m. Anlage III zum Betäubungsmittelgesetz hat die Strafkammer ohne Rechtsfehler abgelehnt (UA S. 18). Mutzbauer Sander Schneider König Köhler

(1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 614/16
vom
8. Juni 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:080617B1STR614.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat - in Bezug auf Ziffer 1. a) und 3. - auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 8. Juni 2017 gemäß §§ 154 Abs. 2, 349 Abs. 2 und 4, 357 StPO
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 13. Juli 2016 wird
a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte in den Fällen A II. 2. c) aa) Nr. 1 bis 3 sowie bb) Nr. 1 bis 13 der Urteilsgründe (16 Einzeltaten) jeweils wegen Betrugs verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;
b) das Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben aa) im Schuldspruch in Bezug auf die verbleibenden 104 Einzeltaten des Betrugs; bb) im Ausspruch über die Gesamtstrafe; cc) unter Erstreckung auf die Nebenbeteiligte L. GmbH, soweit für diese von der Anordnung des Verfalls von Wertersatz im Hinblick auf entgegenstehende Ansprüche Dritter abgesehen wird.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 372 Fällen sowie wegen Betrugs in 120 Fällen schuldig gesprochen und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Als Kompensation für eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung gelten zwei Monate der verhängten Strafe als vollstreckt. Weiter wurde festgestellt, dass hinsichtlich der Nebenbeteiligten L. GmbH hinsichtlich eines Betrags von 129.524,42 Euro nicht auf Wertersatzverfall erkannt wird, weil entsprechende Ansprüche Dritter entgegenstehen.
2
Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
1. Aus prozessökonomischen Gründen stellt der Senat das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein, soweit der Angeklagte wegen Betrugs in den Fällen A. II. 2. c) aa) Nr. 1 bis 3 der Urteilsgründe (Beitragsmonate Februar bis April 2007) sowie in den Fällen A. II. 2.
c) bb) Nr. 1 bis 13 der Urteilsgründe (Beitragsmonate April 2006 bis April 2007) wegen Betrugs zum Nachteil der Zusatzversorgungskasse für das Baugewerbe (Soka-Bau) verurteilt worden ist. Die in jeder Lage des Verfahrens mögliche Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO ist vorliegend angezeigt, da für diesen Zeitraum der Eintritt der Verfolgungsverjährung in Betracht kommt. Zwar hat das Landgericht darauf abgestellt, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, bis zum 15. des Folgemonats für seine Arbeitnehmer den beitragspflichtigen Bruttolohn zu melden. Es ist jedoch weder den Urteilsfeststellungen noch den Verfahrensakten zu entnehmen, wann für die Gesellschaften, für die der Angeklagte verantwortlich war, die jeweiligen Meldungen mit den Bruttolöhnen der beitragspflichtigen Arbeitnehmer abgegeben wurden sowie der Vermögensvorteil als Anknüpfungspunkt für den Beginn der fünfjährigen Verjährungsfrist eingetreten ist. Damit lässt sich den Urteilsgründen nicht zweifelsfrei entnehmen , ob die vor Mai 2007 begangenen Taten - eine erste Unterbrechungshandlung trat mit Erlass des Haftbefehls vom 21. Mai 2012 gemäß § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StGB ein - bereits verjährt sind oder nicht.
4
2. Diese Verfahrenseinstellung hat die Änderung des Schuldspruchs sowie den Wegfall der für diese vorgenannten Taten festgesetzten Einzelfreiheitsstrafen zur Folge.

II.

5
1. Der Schuldspruch des Angeklagten wegen Betrugs zum Nachteil der Zusatzversorgungskasse für das Baugewerbe (Soka-Bau) kann aber auch in den übrigen verbleibenden 104 Einzeltaten keinen Bestand haben, weil die vom Landgericht getroffenen Feststellungen zur Beitragspflicht insoweit lückenhaft sind. Einer Berücksichtigung älterer Fassungen des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe stünde schon die gesetzliche Hinweispflicht des § 265 Abs. 1 StPO entgegen, so dass der Senat nicht über ihre Anwendbarkeit zu entscheiden braucht.
6
a) Das Landgericht stützt die Verurteilung des Angeklagten wegen Betrugs darauf, dass der Angeklagte es unterlassen hat, für die scheinselbständigen Maschinisten im Zeitraum von Mai 2007 bis Januar 2012 eine Meldung und Beitragsabführung an die Zusatzversorgungskasse für das Baugewerbe (SokaBau ) vorzunehmen, obwohl er als Geschäftsführer für die L. GmbH, für die J. GmbH & Co. KG sowie für die St. GmbH Asphalt und Mischwerk auf Grund von § 6 des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe in den jeweiligen Fassungen für die Jahre 2007 bis 2012, die jeweils für allgemein verbindlich erklärt worden waren, dazu verpflichtet war (UA S. 50).
7
Mit Beschluss vom 21. September 2016 - 10 ABR 33/15 (NZA Beilage 2017, Nr. 1, 12) hat das Bundesarbeitsgericht die Allgemeinverbindlicherklärung der Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe vom 15. Mai 2008 (Bundesanzeiger Nr. 104a vom 15. Juli 2008) in der Fassung des letzten Änderungstarifvertrags vom 20. August 2007 und die Allgemeinverbindlicherklärung vom 25. Juni 2010 (Bundesanzeiger Nr. 97 vom 2. Juli 2010) in der Fassung des letzten Änderungstarifvertrags vom 18. Dezember 2009 für unwirksam erklärt. Auf Grund des Wegfalls der Allgemeinverbindlicherklärung der Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe kann der Senat nach den bisherigen Feststellungen des Landgerichts nicht überprüfen, ob sich für die L. GmbH, für die J. GmbH & Co. KG sowie für die St. GmbH Asphalt und Mischwerk, für die der Angeklagte als Geschäftsführer tätig war, eine Verpflichtung zur Meldung und Beitragsabführung - unabhängig von einer Allgemeinverbindlicherklärung - bereits unmittelbar aus § 6 des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe auf Grund einer Tarifbindung der Unternehmen ergibt, da das Landgericht dazu keine Feststellungen getroffen hat.
8
Soweit der Gesetzgeber mit § 7 des am 25. Mai 2017 (BGBl. I 2017, 1210) in Kraft getretenen Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (SokaSiG) rückwirkend ab dem 1. Januar 2006 die Rechtsnormen der hier maßgeblichen und in Bezug auf die Allgemeinverbindlicherklärung vom Bundesarbeitsgericht für unwirksam erklärten Tarifverträge über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe wieder kraft Gesetzes für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer in seinem Geltungsbereich für wirksam erklärt hat, kann dadurch eine die Strafbarkeit aus § 263 Abs. 1, § 13 Abs. 1 StGB - von der das Landgericht der Sache nach ausgegangen ist (UA S. 50) - begründende Pflicht zur Meldung von Arbeitnehmern und zur Abführung von Beiträgen an die SokaBau für den angeklagten Zeitraum nicht statuiert werden. Solche strafbarkeitsbegründenden Pflichten, bei denen es sich um Pflichten im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB handelt, müssen bereits im Hinblick auf die Gewährleistungen des Art. 103 Abs. 2 GG im Zeitpunkt der geforderten Handlung rechtlich wirksam bestanden haben. Als strafrechtlich bedeutsame Pflichten können sie nicht rückwirkend begründet werden.
9
b) Unabhängig von einer bestehenden Tarifbindung der Unternehmen ist dem Senat bei der hier gegebenen Verfahrenskonstellation eine Entscheidung zum Schuldspruch jedenfalls im Blick auf § 265 StPO verschlossen. Ausweislich der Urteilsfeststellungen (UA S. 50) ist das Landgericht beim Betrug zum Nachteil der Zusatzversorgungskasse für das Baugewerbe (Soka-Bau) von einer Wirksamkeit der für allgemein verbindlich erklärten Normen des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren zu den hier relevanten Tatzeiträumen von Mai 2007 bis Januar 2012 ausgegangen. Auf die durch den Wegfall der Allgemeinverbindlicherklärung nach der Rechtsprechung durch das Bundesarbeitsgericht eingetretene neue Rechtslage und die sich daraus ergebenden Folgen für das weitere Bestehen einer Beitragspflicht und für die Höhe der zu entrichtenden Beiträge brauchte sich der Angeklagte bisher nicht einzustellen, so dass sich schon aus diesem Grund eine mögliche Auswechselung der Rechtsgrundlage für den Senat verbietet.
10
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen Betrugs zum Nachteil der Zusatzversorgungskasse für das Baugewerbe (Soka-Bau) bedingt auch die Aufhebung der für diese Delikte vom Landgericht jeweils verhängten Einzelstrafen sowie des Gesamtstrafenausspruchs. Auch die Feststellung zum Verfall von Wertersatz gemäß § 111i Abs. 2 und 3 StPO, § 73 Abs. 1 und § 73a Satz 1 StGB in Bezug auf die Nebenbeteiligte, der Ansprüche gegenüber der SokaBau zu Grunde liegen, kann damit keinen Bestand haben. Insoweit ist die Entscheidung gemäß § 357 StPO auf die Nebenbeteiligte L. GmbH zu erstrecken. Der Ausspruch über die Kompensation der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung, der von dem Fehler nicht betroffen ist, kann dagegen bestehen bleiben. Weitergehende Verzögerungen im neuen Rechtszug können gegebenenfalls durch eine Erhöhung der Anrechnung ausgeglichen werden.
11
3. Die zugehörigen Feststellungen werden jeweils aufgehoben, um dem neuen Tatgericht zum Tatvorwurf des Betrugs zur Frage des Bestehens und des Umfangs einer Beitragspflicht an die Zusatzversorgungskasse für das Baugewerbe insgesamt in sich widerspruchsfreie eigene Feststellungen zu ermöglichen.
12
4. Für die neue Verhandlung weist der Senat noch auf Folgendes hin: Sollte der neue Tatrichter nicht zu dem Ergebnis kommen, dass für den Angeklagten zu allen relevanten Tatzeiträumen eine Verpflichtung zur Beitragszahlung an die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes (Soka-Bau) bestand, der Angeklagte aber subjektiv von einer solchen Zahlungspflicht ausgegangen sein, läge kein untauglicher Versuch, sondern nur ein strafloses Wahndelikt vor (vgl. BGH, Beschluss vom 14. August 1986 - 4 StR 400/86, NStZ 1986, 550); denn der Angeklagte hätte dann lediglich irrig angenommen, er verletze durch die Nichtzahlung der Beiträge an die Sozialkasse des Baugewerbes ein Strafgesetz , obwohl eine solche Verpflichtung dazu nicht bestand.
Raum Cirener Radtke RinBGH Dr. Fischer ist in Urlaub und damit an der Unterschriftsleistung gehindert. Raum Bär

(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.

(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
Angesichts der gewachsenen Bedeutung der Selbstbestimmung
des Einzelnen auch bei Entscheidungen über seinLeben
kann in Fällen des freiverantwortlichen Suizids der Arzt, derdie
Umstände kennt, nicht mit strafrechtlichen Konsequenzen verpflichtet
werden, gegen den Willen des Suizidenten zu handeln.
BGH, Urteil vom 3. Juli 2019 5 StR 132/18
LG Hamburg
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 132/18
vom
3. Juli 2019
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter Tötung auf Verlangen u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:030719U5STR132.18.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Juli2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Köhler
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof S. , Richter am Landgericht K.
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 8. November 2017 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem vom Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg in dessen Beschluss vom 8. Juni 2016 (NStZ 2016, 530) zugelassenen Anklagevorwurf freigesprochen, der 85-jährigen

W.

und der 81-jährigen M. für deren Selbsttötung die Medikamente Chloroquin und Diazepam mitgebracht sowie nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der beiden Frauen Rettungsmaßnahmen unterlassen und sich hierdurch wegen versuchter Tötung auf Verlangen durch Unterlassen sowie wegen Überlassung von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch strafbar gemacht zu haben. Mit ihrer gegen das Urteil gerichteten und auf die Sachrüge gestützten Revision erstrebt die Staatsanwaltschaft entsprechend ihrer ursprünglichen Anklage eine Verurteilung des Angeklagten wegen (gemeinschaftlichen) Totschlags
in mittelbarer Täterschaft in zwei tateinheitlichen Fällen. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

2
1. Das Landgericht hat festgestellt:
3
W. und M. lebten seit vielen Jahren gemeinsam in einer Eigentumswohnung und führten ihren Haushalt weitgehend selbständig. Beide waren in qualifizierten Berufen tätig gewesen und wirtschaftlich gut situiert. Bis zu ihrem Tod waren sie geistig rege, nahmen aktiv am gesellschaftlichen Leben teil, unterhielten viele freundschaftliche und familiäre Beziehungen und pflegten Hobbys. Beide Frauen litten indes unter mehreren zwar nicht lebensbedrohlichen , aber die Lebensqualität und die persönlichen Handlungsmöglichkeiten zunehmend einschränkenden Krankheiten (unter anderem Bluthochdruck , beginnende Erblindung, Herzbeschwerden). In den letzten Monaten vor dem Tod nahmen ihre jeweiligen Beschwerden deutlich zu.
4
Schon im Jahr 2010 hatten Frau M. und Frau W. Patientenverfügungen verfasst. Als sich ihre Beschwerden und Krankheiten seit Ende 2010 verschlechterten, wuchs bei ihnen die Sorge, pflegebedürftig zu werden. Sie befürchteten, mit der Pflege der jeweils anderen physisch und psychisch überfordert zu sein. Die Möglichkeiten, in ein Pflegeheim zu ziehen oder eine häusliche Pflegekraft einzustellen, lehnten sie für sich nach Einholung von entsprechenden Informationen endgültig ab. Nachdem sie sich bereits seit mehreren Jahren mit dem Thema Suizid und Sterbebegleitung beschäftigt hatten, beschlossen sie – wahrscheinlich im Frühjahr 2012 –, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden. Sie empfanden ihre zunehmenden Be- schwerden als „unerträglich“ und fanden, „es sei Zeit zu gehen“. Sie nahmen Kontakt zum Verein S. (S. ) auf, insbesondere zu dessen Vorsitzenden K. , und wurden gegen Zahlung eines Beitrags von jeweils 1.000 Euro Mitglieder dieses Vereins, um schmerzfrei und begleitet Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen.
5
K. stellte den Kontakt zum Angeklagten her. Dieser ist approbierter Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, arbeitete viele Jahre als Arzt in einem Krankenhaus und erstellt seit dem Jahr 2003 ausschließlich neurologische und psychiatrische Gutachten über die Urteils- und Einsichtsfähigkeit von Suizidwilligen sowie über die Wohlerwogenheit ihres Suizidbeihilfewunsches. Die Frauen beauftragten den Angeklagten mit der Erstellung eines Gutachtens, das dem Verein als Grundlage für die Entscheidung über die Suizidbegleitung dienen sollte.
6
Bei einem persönlichen Treffen am 9. September 2012 schilderten sie dem Angeklagten ihre Biographien, ihre gesundheitlichen Beschwerden sowie die Gründe für ihre Suizidentschlüsse. Körperliche Untersuchungen führte der Angeklagte nicht durch. Zu diesem Zeitpunkt stand die Entscheidung der Frauen , sich das Leben nehmen zu wollen, bereits sicher fest. Im Rahmen dieses Treffens wurden auch mögliche Alternativen zur Lebensbeendigung, wie der Umzug in ein Seniorenheim oder die Einrichtung einer häuslichen Pflege angesprochen , die beide jedoch weiterhin ablehnten. Sie brachten mehrfach deutlich zum Ausdruck, dass sie fest zum Suizid entschlossen seien und sich ihre Entscheidung gut überlegt hätten. Hieran hatte der Angeklagte keinen Zweifel.
7
Gegen Ende des Treffens baten die Frauen den Angeklagten, sie auch später persönlich bei ihrem Suizid zu begleiten, was dieser zunächst ablehnte. In seinem am 13. September 2012 erstellten Gutachten attestierte er beiden Frauen aus psychiatrischer Sicht jeweils eine uneingeschränkte Einsichts- und Urteilsfähigkeit und kam zu dem Ergebnis, dass aus ärztlich-psychiatrischer Sicht keine Einwände gegen ihren Suizidbeihilfewunsch zu erkennen seien. Nachdem beide ihn in einem Brief nochmals um eine Begleitung bei ihrer Selbsttötung gebeten hatten, erklärte er sich schließlich hierzu bereit. Bei einem weiteren Treffen knapp drei Wochen vor ihrem Tod besprachen die Frauen mit dem Angeklagten die Einzelheiten und Formalitäten der Durchführung des Suizids , für den später der 10. November 2012 vereinbart wurde. Im Rahmen dieses Treffens wurden erneut der Sterbewunsch und Alternativen thematisiert.
8
In den Folgetagen bereiteten die Frauen die Abwicklung ihres Nachlasses vor und erstellten einen „Leitfaden für Hinterbliebene“. Sie trafen sich letztmalig mit ihren Freunden und Angehörigen oder telefonierten mit ihnen, wobei sie ihre Selbsttötungspläne weiterhin nicht offenbarten. Am 5. November 2012 unterzeichneten sie auf Veranlassung des Angeklagten ein mit dem Titel „Auf- klärung und Einwilligung“ überschriebenes Formblatt, in dem sie den Wunsch äußerten, ihr Leben in Frieden und Würde zu beenden. Für den Fall ihrer Handlungsunfähigkeit untersagten sie jegliche Rettungsmaßnahmen. Am Tag vor ihrem Suizid verfassten sie eine weitere Erklärung, in der sie – auch unter Verweis auf ihre Patientenverfügungen – jeder sie etwa noch lebend antreffenden Person im Falle ihrer Handlungsunfähigkeit Rettungsmaßnahmen verboten. Sie beauftragten ergänzend Frau W. s Neffen, gegen dem Verbot zuwiderhandelnde Personen „Regress- und Schmerzensgeldforderungen“ einzuklagen. Schließlich verfassten sie Abschiedsbriefe an ihre Angehörigen und Freunde.
9
Als der Angeklagte am 10. November 2012 vereinbarungsgemäß in der Wohnung der Frauen eingetroffen war, berichteten sie ihm über die für ihren Tod getroffenen Vorbereitungen und bezahlten das vereinbarte Gutachtenhonorar in Höhe von 1.100 Euro. Ferner übergaben sie dem Angeklagten als Zuwendung 2.000 Euro, die dieser absprachegemäß einem Kinderhospiz spende- te. Sodann besprach der Angeklagte mit ihnen erneut die Einzelheiten der Medikamenteneinnahme. Er sagte ihnen zu, dass er ihrem Wunsch entsprechend bis zum sicheren Herzstillstand bleiben werde. Die Frauen sprachen über ihre Gefühle des Abschiednehmens. Der Angeklagte fragte sie nochmals, ob sie sicher seien, die Selbsttötung jetzt durchführen zu wollen. Beide Frauen bejahten dies; sie waren fest entschlossen, den von ihnen seit langem geplanten Suizid umzusetzen. Nachdem sie unter Mithilfe des Angeklagten die für ihre Selbsttötung erforderlichen Medikamente zerkleinert und in Wasser aufgelöst hatten, nahmen sie die Lösung selbständig ein. Bereits kurze Zeit später schliefen sie ein.
10
Im Zeitpunkt des Bewusstseinsverlustes der Frauen bestand zwar noch eine „gewisse Chance“, ihr Leben zuerhalten. Die Wahrscheinlichkeit einer er- folgreichen Rettung war jedoch äußerst gering. Wenn überhaupt, hätten beide mit schwersten Hirnschäden überlebt. Dies war dem Angeklagten bewusst. Er rief nicht den Notarzt und unternahm auch sonst keine Rettungsbemühungen, um dem Willen der Frauen zu entsprechen. Für eine Willensänderung ergaben sich auch nach der Medikamenteneinnahme keine Anzeichen. Beide Frauen verstarben etwa eine Stunde später.
11
2. Die Strafkammer hat eine Strafbarkeit wegen Totschlags in mittelbarer Täterschaft und wegen eines Betäubungsmitteldelikts aus tatsächlichen, eine solche wegen versuchter Tötung auf Verlangen sowie unterlassener Hilfeleistung aus rechtlichen Gründen verneint.
12
a) Sie konnte nicht feststellen, dass der Angeklagte den Frauen die bei der Selbsttötung angewandten Medikamente beschafft hatte, sondern ist davon ausgegangen, dass ihnen der S. diese zur Verfügung gestellt habe. Beide Frauen hätten die alleinige Tatherrschaft über die Herbeiführung ihres Todes gehabt. Ein die Tatherrschaft des Angeklagten begründender „Defektzustand“ habe bei ihnen nicht vorgelegen. Ihre von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragenen Suizidentschlüsse seien Ergebnis einer über einen längeren Zeitraum getroffenen Entscheidung und nicht etwa im Zustand einer depressiven Stimmung gefasst worden. Das durch den Angeklagten erstellte Gutachten sei weder mitursächlich für ihre Suizidentschlüsse noch inhaltlich falsch gewesen.
13
b) Eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen versuchter Tötung auf Verlangen durch Unterlassen liege aus rechtlichen Gründen nicht vor. Denn den Angeklagten habe – unabhängig von dem bereits zweifelhaften Bestehen einer möglichen Garantenstellung – im Hinblick auf die ihm bekannte Freiverantwortlichkeit des Suizids der Frauen weder objektiv noch subjektiv eine Pflicht zur Abwendung ihres Todes getroffen.
14
c) Aus rechtlichen Gründen habe sich der Angeklagte auch nicht wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar gemacht. Es sei bereits fraglich, ob die seitens der beiden Frauen vorgenommene Selbsttötung einen Unglücksfall im Sinne des § 323c StGB darstelle. Jedenfalls sei in Fällen des freiverantwortlichen Suizides, in denen dem anwesenden Dritten der Suizidwille bekannt sei und es keine Anhaltspunkte für eine Willensänderung des Suizidenten gebe, eine Hilfeleistung nicht erforderlich und auch nicht zumutbar.

II.

15
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet. Der Freispruch des Angeklagten hält rechtlicher Überprüfung stand.
16
1. Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte nicht wegen eines vollendeten Tötungsdelikts durch aktives Tun (§ 212 Abs. 1 oder § 216 Abs. 1 StGB) strafbar gemacht. Vielmehr stellt sich sein Handeln insoweit als straflose Beihilfe zum eigenverantwortlichen Suizid dar.
17
a) Die eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbsttötung erfüllt nicht den Tatbestand eines Tötungsdelikts (BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 – 3 StR 96/84, BGHSt 32, 367,371). Für die Abgrenzung einer – dementsprechend mangels rechtswidriger Haupttat straflosen – Beihilfe zur Selbsttötung und der Tötung eines anderen, gegebenenfalls auf dessen ernsthaftes Verlangen , kommt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darauf an, wer das zum Tod führende Geschehen zuletzt beherrscht (BGH, Urteile vom 14. August 1963 – 2 StR 181/63, BGHSt 19, 135, 139 f.; vom 7. Februar 2001 – 5 StR 474/00, BGHSt 46, 279, 284; vom 20. Mai 2003 – 5 StR 66/03, NJW 2003, 2326, 2327; vom 4. Juli 2018 – 2 StR 245/17, BGHSt 63, 161; Beschluss vom 25. November 1986 – 1 StR 613/86, NJW 1987, 1092; vgl. auch OLG München, NJW 1987, 2940, 2941). Begibt sich der Sterbewillige in die Hand eines Dritten und nimmt duldend von ihm den Tod entgegen, dann hat dieser die Tatherrschaft über das Geschehen. Nimmt dagegen der Sterbewillige selbst die todbringende Handlung vor und behält er dabei die freie Entscheidung über sein Schicksal, tötet er sich selbst, wenn auch mit fremder Hilfe.
18
Letzteres ist hier der Fall. Zwar hat der Angeklagte das zur Bereitstellung der Medikamente vom S. geforderte Gutachten erstattet, die beiden Frauen über deren Einnahme beraten und diese bei der Herstellung der tödlichen Medikamentenlösung unterstützt. Nach den Feststellungen führten die Suizidentinnen aber den lebensbeendenden Akt eigenhändig aus, indem sie die Flüssigkeiten tranken und damit das zum Tod führende Geschehen bis zuletzt selbst beherrschten.
19

b) Dem Angeklagten können die Selbsttötungshandlungen der Frauen auch nicht nach den Grundsätzen der mittelbaren Täterschaft zugerechnet werden.
20
aa) Notwendige Bedingung einer Strafbarkeit wegen eines Tötungsdelikts in mittelbarer Täterschaft in Konstellationen der Selbsttötung ist, dass derjenige , der allein oder unter Mitwirkung eines Dritten Hand an sich anlegt, unfrei handelt (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 1983 – 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38, 41 f.). Ein Begehen der Tat durch Benutzung des Suizidenten als „Werkzeug“ gegen sich selbst setzt daher voraus, dass dieser seinen Selbsttötungsentschluss aufgrund eines Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizits nicht freiverantwortlich gebildet hat (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juli 1983 – 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38, 41 f.; vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168; Beschlüsse vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13, StV 2014, 601, 602). Befindet sich der Suizident – vom „Suizidhelfer“ erkannt – in einer seine freie Willensbildung ausschließenden La- ge, kann sich das Verschaffen der Möglichkeit des Suizids als in mittelbarer Täterschaft begangenes Tötungsdelikt darstellen (BGH, Urteil vom 28. Januar 2014 – 1 StR 494/13, BGHSt 59, 150, 168 f.; Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13).
21
Freiverantwortlich ist demgegenüber ein Selbsttötungsentschluss, wenn das Opfer die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit für seine Entscheidung besitzt und Mangelfreiheit des Suizidwillens sowie innere Festigkeit des Entschlusses gegeben sind (vgl. BGH, Urteile vom 7. August 1984 – 1 StR 200/84, NStZ 1985, 25, 26; vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10, NStZ 2011, 340 f., und vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319, 320; Beschluss vom 8. Juli 1987 – 2 StR 298/87, NJW 1988, 1532). Zum Ausschluss der Freiverantwortlichkeit müssen konkrete Umstände festgestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13, StV 2014, 601, 603). Als solche kommen insbesondere Minderjährigkeit des Opfersoder krankheits- sowie intoxikationsbedingte Defizite in Frage (vgl. BGH, Urteile vom 22. Januar 1981 – 4 StR 480/80, NJW 1981, 932; vom 28. Oktober 1982 – 1 StR 501/82, NStZ 1983, 72; vom 11. April 2000 – 1 StR 638/99, NStZ 2001, 205, 206; vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290, und vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10, NStZ 2011, 340 f.; Beschluss vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342). Der Selbsttötungsentschluss kann auch dann mangelbehaftet sein, wenn er auf Zwang, Drohung oder Täuschung durch den Täter beruht (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juli 1983 – 1 StR 168/83, BGHSt 32, 38, 43; vom 3. Dezember 1985 – 5 StR 637/85, JZ 1987, 474; Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., Vor § 211 Rn. 13b; MüKo-StGB/Schneider, 3. Aufl., § 216 Rn. 22). Dasselbe gilt, wenn er einer bloßen depressiven Augenblicksstimmung entspringt, mithin nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen ist (vgl. BGH, Urteile vom 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10, NStZ 2011, 340, 341, und vom 14. September 2011 – 2 StR 145/11, NStZ 2012, 85, 86; MüKo-StGB/ Schneider, aaO, Rn. 19).
22
bb) Gemessen hieran ist die auf rechtsfehlerfreien Feststellungen beruhende Wertung des Landgerichts nicht zu beanstanden, die Selbsttötungsentschlüsse der beiden Frauen seien freiverantwortlich gefasst gewesen.
23
Die Strafkammer hat nach ausführlicher Würdigung der erhobenen Beweise keine Beeinträchtigungen ihrer Einsichts- und Urteilsfähigkeit, etwa durch eine psychische Störung, festgestellt. Es gab keine Anhaltspunkte dafür, dass bei den Frauen eine depressive Erkrankung etwa nicht erkannt worden sein könnte. Beider Wunsch, aus dem Leben zu scheiden, war über einen längeren Zeitraum unter Berücksichtigung von Alternativen erwogen worden und bereits gefasst, als sich die Frauen an die Sterbehilfeorganisation wandten und von ihr an den Angeklagten vermittelt wurden. Er bestand zum Zeitpunkt der tödlichen Handlungen fort. Die Frauen waren durch den Angeklagten über den genauen Ablauf des Suizids und die Wirkung der todbringenden Medikamente aufgeklärt worden, womit sie insoweit denselben Wissensstand aufwiesen, wie er selbst (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 11. Januar 2011 – 5 StR 491/10, NStZ 2011, 341, 342; vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13, StV 2014, 601, 602). Ihre Selbsttötungsentschlüsse unterlagen damit keinen eine Tatherrschaft des Angeklagten begründenden Wissens- oder Willensmängeln.
24
cc) Von einem freiverantwortlichen Willensentschluss der Frauen wäre auch unter Zugrundelegung der hierfür in der Literatur vertretenen Kriterien auszugehen.
25
Die Frauen befanden sich nach den Feststellungen nicht in einem Zustand , der entsprechend §§ 19, 20, 35 StGB zu einem Verantwortlichkeitsausschluss führen würde (sogenannte Exkulpationslösung, vgl. MüKoStGB /Schneider, aaO, Vor § 211 Rn. 38; Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, Strafrecht Besonderer Teil, 3. Aufl., § 3 Rn. 28; Roxin, NStZ 1984, 71; GA 2013, 313, 319 f.). Ihre Selbsttötungen waren das Resultat bilanzierender Reflexion, weswegen auch bei Heranziehung der Grundsätze der Einwilligung ein freiverantwortlicher Entschluss vorlag; auch an der Ernstlichkeit ihres Todeswunsches (vgl. § 216 StGB) bestanden keine Zweifel (so – mit Differenzierungen im Detail – diesogenannte Einwilligungslösung, vgl. Lackner/Kühl, aaO, Vorbemerkung §§ 211 bis 222 Rn. 13a; NK-StGB/Neumann, 5. Aufl., Vorbemerkungen zu § 211 Rn. 65; LK-StGB/Rosenau, 12. Aufl., Vor §§ 211 ff. Rn. 103; Wessels /Hettinger/Engländer, Strafrecht Besonderer Teil 1, 42. Aufl., Rn. 53 f.).
26
2. Ebenso mit Recht hat das Landgericht angenommen, dass eine Bestrafung des Angeklagten wegen vollendeter Tötung durch Unterlassen schon aus tatsächlichen Gründen nicht in Betracht kommt. Denn das Unterlassen von Rettungshandlungen nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der Frauen durch den Angeklagten war für deren Tod nicht kausal.
27
Ursächlichkeit liegt bei den (unechten) Unterlassungsdelikten vor, wenn bei Vornahme der pflichtgemäßen Handlung der tatbestandsmäßige Schadenserfolg mit dem für die Bildung der richterlichen Überzeugung erforderlichen Beweismaß der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit verhindert worden wäre (vgl. BGH, Urteile vom 4. Juli 1984 – 3 StR 96/84, BGHSt 32, 367, 369 f.; vom 6. Juli 1990 – 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106, 126 f.; vom 19. Dezember 1997 – 5 StR 569/96, BGHSt 43, 381, 397; vom 19. April 2000 – 3 StR 442/99, NJW 2000, 2754, 2757 und vom 4. September 2014 – 4 StR 473/13, BGHSt 59, 292, 301 f.; Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21, 27).
28
Der Nachweis, dass der Tod bei sofortiger Einleitung ärztlicher Rettungsmaßnahmen hätte verhindert oder hinausgeschoben werden können, ist nicht erbracht. Denn nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen schliefen die Frauen „kurze Zeit“ nach der Medikamenteneinnahme ein. Ab die- sem Zeitpunkt war die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Rettung „äußerst gering“ (UA S. 20).
29
3. Der Angeklagte hat sich auch nicht wegen eines versuchten Tötungsdelikts durch Unterlassen strafbar gemacht, da ihn keine Garantenstellung für das Leben der beiden Frauen traf und dies auch seiner Vorstellung entsprach.
30
a) Eine versuchte Tötung durch Unterlassen kann nach § 13 Abs. 1 StGB nur begehen, wer nach seiner Vorstellung rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt; zudem muss das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entsprechen. Die Gleichstellung des Unterlassens mit dem aktiven Tun setzt voraus, dass der Täter als „Garant“zur Abwendung des tatbestandlichen Erfolges verpflichtet ist. Der eine Garantenstellung schaffende besondere Rechtsgrund kann seinen Ursprung etwa in Rechtsnormen, besonderen Vertrauensverhältnissen oder vorangegangenem gefährlichen Tun finden (vgl. nur BGH, Urteil vom 24. Juli 2003 – 3 StR 153/03, BGHSt 48, 301, 306). Verbindendes Element sämtlicher Entstehungsgründe ist dabei stets die Überantwortung einer besonderen Schutzfunktion für das betroffene Rechtsgut an den Obhuts- oder Überwachungspflichtigen (vgl. BGH, Urteile vom 25. September 2014 – 4 StR 586/13, BGHSt 59, 318, 323 und vom 29. Oktober 1992 – 4 StR 358/92, BGHSt 38, 388, 391; Beschluss vom 8. März 2017 – 1 StR 466/16, BGHSt 62, 72, 76).
31
b) Der Angeklagte war nicht kraft Übernahme der ärztlichen Behandlung für das Leben der beiden Frauen verantwortlich. Denn es bestand zwischen den Beteiligten kein Arzt-Patientinnen-Verhältnis (vgl. zu einer solchen Konstellation BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 – 3 StR 96/84, BGHSt 32, 367, 377 f.). Mit den Suizidentinnen vereinbart war lediglich, sie bei ihrem Sterben zu begleiten; eine Beschützergarantenstellung für ihr Leben oblag ihm daher nicht (vgl. auch BGH, Urteil vom 26. Oktober 1982 – 1 StR 413/82, NJW 1983, 350, 351).
32
c) Der Angeklagte hat auch keine Garantenstellung aus vorangegangenem gefährlichen Tun (Ingerenz). Eine solche setzt ein pflichtwidriges – auch mittelbares – Schaffen einer Gefahr voraus (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2009 – 5 StR 394/08, BGHSt 54, 44, 47; Beschlüsse vom 8. März 2017 – 1 StR 466/16, BGHSt 62, 72, 80 und vom 15. Mai 2018 – 3 StR 130/18; zur mittelbaren Gefahrverursachung vgl. Schönke/Schröder/Bosch, 30. Aufl., § 13 Rn. 39; Roxin, NStZ 1985, 320, 321).
33
aa) Das Überlassen der Medikamente kommt als Anknüpfungspunkt insofern nicht in Betracht. Denn das Landgericht hat nicht festzustellen vermocht, dass der Angeklagte sie den Frauen zur Verfügung gestellt hat, er auf diese Weise mithin eine Gefahrenquelle für beider Leben geschaffen hat (vgl. BGH, Urteile vom 13. November 2008 – 4 StR 252/08, BGHSt 53, 38, 41 f.; vom 21. Dezember 2011 – 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319, 320 und vom 22. November 2016 – 1 StR 354/16, BGHSt 61, 318, 323; Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21, 23 f.).
34
bb) Die Erstellung der Gutachten über die aus psychiatrischer Sicht bestehende Einsichts- und Urteilsfähigkeit der beiden Frauen führt nicht zur Begründung einer Garantenstellung aus vorangegangenem gefährlichem Tun. Denn dieses Handeln war nicht pflichtwidrig.
35
(1) Eine Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens des Angeklagten ergab sich weder aus § 1 Abs. 1 BÄO noch aus dem ärztlichen Standesrecht.
36
(a) Die Erstattung der Gutachten zur Vorbereitung der Gewährung von Hilfe bei einer Selbsttötung mag zwar in Widerspruch zu § 1 Abs. 1 BÄO stehen. Die Bundesärzteordnung regelt jedoch lediglich das ärztliche Berufsbild und die Voraussetzungen für die Ausübung des Arztberufs, insbesondere die Approbation.
37
(b) Die ärztlichen Berufsordnungen enthalten Regelungen, wonach Ärzte keine Hilfe zur Selbsttötung leisten dürfen (vgl. § 16 Satz 3 der von der Bundesärztekammer beschlossenen Musterberufsordnung für Ärzte) oder sollen (vgl. § 16 Satz 3 der Berufsordnung der Ärztekammer Westfalen-Lippe). Soweit der Angeklagte sich über eine solche Regelung hinwegsetzte, begründete dies jedoch in seiner Person keine Garantenstellung aus Ingerenz.
38
Dabei kommt es nicht – wie das Landgericht in Betracht zieht – darauf an, dass die Ärztekammer Westfalen-Lippe, der der Angeklagte angehört, das in der Musterberufsordnung vorgeschlagene ausdrückliche uneingeschränkte Verbot der Hilfe zur Selbsttötung nicht übernommen hat. Der Senat braucht auch nicht zu entscheiden, ob ärztliche Berufsordnungen, die nicht im Rang eines formellen Gesetzes stehen, zur Begründung von strafbewehrten Erfolgsabwendungspflichten geeignet sind (ablehnend etwa Hillenkamp, MedR 2018, 379, 382; ZMGR 2018, 289, 294; Hoven, NStZ 2018, 281, 284) oder die Statuierung einer Garantenstellung eine Ordnung eines Lebensbereichs darstellt, die auf eine Entscheidung des Gesetzgebers zurückzuführen sein muss (vgl. BVerfGE 33, 125, 158).
39
Denn jedenfalls muss die Pflichtwidrigkeit in der Verletzung eines Gebotes bestehen, das gerade dem Schutz des konkret gefährdeten Rechtsguts zu dienen bestimmt ist (BGH, Urteile vom 6. Juli 1990 – 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106, 115 f. und vom 4. Dezember 2007 – 5 StR 324/07, NStZ 2008, 276, 277; Beschluss vom 8. März 2017 – 1 StR 540/16, wistra 2017, 437, 440; Schönke/ Schröder/Bosch, aaO, § 13 Rn. 35a). Dies ist bereits zweifelhaft, da das ärztliche Standesrecht grundsätzlich auf die Statuierung berufsethischer (Verhaltens -) Standards und nicht auf den Schutz von Rechtsgütern gerichtet ist (vgl. BVerfGE 76, 171, 187 für anwaltliche Standesrichtlinien; siehe auch VG Berlin, Urteil vom 30. März 2012 – 9 K 63.09; MüKo-StGB/Schneider, aaO, Vor § 211 Rn. 76; Eser, JZ 1986, 786, 789; Freund/Timm, GA 2012, 491, 494). Jedenfalls aber entfaltet das Standesrecht keine strafbegründende Wirkkraft, wenn das ärztliche Verhalten dem autonomen Willen des Suizidenten entspricht (vgl. § 1901a BGB, dazu auch BGH, Urteil vom heutigen Tag – 5 StR 393/18).
40
(2) Ein Pflichtwidrigkeitsurteil kann auch nicht aus dem durch das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung mit Wirkung vom 10. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2177) in das Strafgesetzbuch eingefügten Straftatbestand des § 217 StGB abgeleitet werden. Zwar hat der Gesetzgeber damit zum Ausdruck gebracht, dass er das geschäftsmäßige Verschaffen der Gelegenheit zur Selbsttötung, wie es der Angeklagte durch seine regelmäßige Erstellung der von Sterbehilfeorganisationen vorausgesetzten Gutachten der vorliegenden Art erbracht hat, als strafwürdig und damit auch als pflichtwidrig erachtet (vgl. auch BT-Drucks. 18/5373, S. 11). Diese Norm kann freilich bereits aufgrund der vor ihrem Inkrafttreten liegenden Tatzeit die Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens des Angeklagten nicht begründen (Art. 103 Abs. 2 GG, §§ 1, 2 StGB).
41
(3) Auch die weiteren durch das Landgericht festgestellten aktiven Beiträge des Angeklagten, wie insbesondere die beratende Tätigkeit am Todestag sowie die Hilfe beim Zerkleinern und Auflösen der Tabletten, erfüllen nach dem oben Gesagten nicht die Voraussetzungen eines pflichtwidrigen Vorverhaltens. Da die Frauen nach den Feststellungen des Landgerichts schon vor der beratenden Tätigkeit des Angeklagten zum Selbstmord durch die Einnahme der Tabletten entschlossen waren, bestehen bereits Zweifel daran, ob dieses Vorverhalten des Angeklagten überhaupt die Gefahr des Eintritts des tatbestandsmäßigen Erfolgs begründete oder erhöhte (vgl. BGH, Urteile vom 6. Juli 1990 – 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106 und vom 23. September 1997 – 1 StR 430/97, NStZ 1998, 83, 84). Jedenfalls haben die Frauen im Anschluss hieran die Tabletten freiverantwortlich selbst eingenommen, so dass das Risiko für die Verwirklichung der durch das Vorverhalten des Angeklagten gegebenenfalls erhöh- ten Gefahr allein in ihrem Verantwortungsbereich lag (vgl. BGH, Beschluss vom 13. November 1963 – 4 StR 267/63, BGHSt 19, 152, 155; Urteil vom 5. Dezember 1974 – 4 StR 529/74, BGHSt 26, 35, 38; LK-StGB/Weigend, aaO, § 13 Rn.

45).

42
Dem steht nicht entgegen, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Konstellationen einer sich erwartungswidrig entwickelnden Selbstgefährdung eine Erfolgsabwendungspflicht des das Tatmittel bereitstellenden Täters angenommen hat (vgl. BGH, Urteile vom 9. November 1984 – 2 StR 257/84, NStZ 1985, 319, 320; vom 27. Juni 1984 – 3 StR 144/84, NStZ 1984, 452 und vom 24. November 2016 – 4 StR 289/16, NStZ 2017, 219, 221; Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21, 26). Denn in den Selbstgefährdungsfällen erschöpft sich die Preisgabe des eigenen Rechtsguts gerade darin, dieses in der Hoffnung auf einen guten Ausgang einem Risiko auszusetzen (BGH, Beschluss vom 5. August 2015 – 1 StR 328/15, BGHSt 61, 21, 26 f.; Urteil vom 24. November 2016 – 4 StR 289/16, NStZ 2017, 219, 221 f.). Demgegenüber vertraut der Suizident nicht darauf, dass sich die Gefahr, in die er seine Rechtsgüter bringt, nicht realisiert. Vielmehr kommt es ihm gerade auf den Eintritt der Rechtsgutsbeeinträchtigung an.
43
4. Das Landgericht hat schließlich eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c Abs. 1 StGB) zutreffend verneint.
44
a) Entgegen den im angefochtenen Urteil insoweit geäußerten Zweifeln hält der Senat daran fest, dass die durch einen Selbstmordversuch herbeigeführte Gefahrenlage einen Unglücksfall im Sinne des § 323c Abs. 1 StGB darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. März 1954 – GSSt 4/53, BGHSt 6, 147, 152; Urteil vom 15. Mai 1959 – 4 StR 475/58, BGHSt 13, 162, 169; anders noch Urteil vom 12. Februar 1952 – 1 StR 59/50, BGHSt 2, 150). Für eine Abkehr von dieser Auffassung besteht, auch unter Berücksichtigung der hiergegen im Schrifttum erhobenen Einwände (vgl. NK-StGB/Gaede, aaO, § 323c Rn. 5; Lackner/Kühl, aaO, § 323c Rn. 2; MüKo-StGB/Freund, aaO, § 323c Rn. 59 ff.; Schönke/Schröder/Hecker, aaO, § 323c Rn. 8; Wessels/Hettinger/Engländer, aaO, Rn. 68; Schroth in Spickhoff/Kossak/Kvit, Aktuelle Fragen des Medizinrechts , S. 157, 161), kein Anlass.
45
Ungeachtet der durch den Bundesgerichtshof in der Vergangenheit vorgenommenen Bewertung der Selbsttötung als Verstoß gegen das Sittengesetz (vgl. BGH, Beschluss vom 10. März 1954, GSSt 4/53, aaO, 153; siehe auch BGH, Urteil vom 7. Februar 2001 – 5 StR 474/00, BGHSt 46, 279, 285), stellt die mit einem Suizid verbundene Zerstörung des grundrechtlich geschützten Rechtsguts Leben – von gravierenden Ausnahmefällen (vgl. etwa den BVerwGE 158, 142) abgesehen – bei natürlicher Betrachtung einen Unglücksfall im Rechtssinn dar (vgl. Kutzer, ZRP 2012, 135, 136). Anders als bei den dem Individualschutz dienenden Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten schließt die aus dem Selbstbestimmungsrecht fließende Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Suizidenten das der Vorschrift des § 323c StGB auch zugrundeliegende Erfordernis menschlicher Solidarität nicht aus (vgl. Otto, Gutachten D für den 56. Deutschen Juristentag, 1986, D 77; NJW 2006, 2217, 2222). Deshalb stellt die Annahme eines Suizids als Unglücksfall auch keinen Widerspruch zur Straflosigkeit des Teilnehmers an einer Selbsttötung dar (vgl. auch BGH, Urteil vom 15. Mai 1959 – 4 StR 475/58, BGHSt 13, 162, 169; aA LK-StGB/Spendel, 11. Aufl., § 323c Rn. 51; Eser, MedR 2018, 734, 735; Saliger, medstra 2015, 132,

136).

46
b) Dem Angeklagten war aber nicht zuzumuten, nach Eintritt der Bewusstlosigkeit der Frauen Rettungsmaßnahmen zu ergreifen. Damit hat er den Tatbestand des § 323c StGB nicht erfüllt (vgl. zur Einordnung der Zumutbarkeit als Tatbestandsmerkmal des § 323c StGB siehe BGH, Beschluss vom 2. März 1962 – 4 StR 355/61, BGHSt 17, 166, 170; SSW/Schöch, StGB, 4. Aufl., § 323c Rn. 17; Schönke/Schröder/Hecker, aaO, § 323c Rn. 1).
47
Soweit Maßnahmen zur Lebensrettung der bewusstlosen Frauen in Betracht kamen, befand sich der Angeklagte in einer für ihn unauflöslichen Konfliktsituation zwischen der aus § 323c Abs. 1 StGB erwachsenden allgemeinen Hilfspflicht und der Pflicht, das im allgemeinen Persönlichkeitsrecht verbürgte Selbstbestimmungsrecht der Frauen zu achten. Im Hinblick auf ihren geplanten Suizid hatten sie knapp eine Woche zuvor eine schriftliche Erklärung verfasst, in der sie ausdrücklich und unmissverständlich jegliche Rettungsmaßnahmen nach Eintritt ihrer Handlungsunfähigkeit untersagten (UA S. 14). Diese Verfügung zielte auf die nach Einnahme der todbringenden Medikamente eingetretene Situation und war für den Angeklagten verbindlich (§ 1901a Abs. 1 BGB; vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. September 2014 – XII ZB 202/13, BGHZ 202, 226, 238; vom 6. Juli 2016 – XII ZB 61/16, BGHZ 211, 67, 82 und vom 14. November 2018 – XII ZB 107/18, NJW 2019, 600, 602; BT-Drucks. 16/8442, S. 11 f.). Zudem hatten die Frauen ihren Willen, nicht gerettet zu werden, auch in einer schriftlichen Erklärung an Frau W. s Neffen zum Ausdruck gebracht, mit der sie diesen im Fall der Zuwiderhandlung mit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen beauftragten. Zu einer dem erklärten Willen zuwiderlaufenden Hilfeleistung verpflichtete § 323c Abs. 1 StGB den Angeklagten nicht (vgl. BGH, Urteile vom 3. Dezember 1982 – 2 StR 494/82, NStZ 1983, 117, 118 und vom 25. Juni 2010 – 2 StR 454/09, BGHSt 55, 191).
48
c) Der Senat weicht nicht in einer ein Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG erfordernden Weise von der vom 3. Strafsenat in seinem Urteil vom 4. Juli 1984 – 3 StR 96/84, BGHSt 32, 367, 381 – vertretenen Ansicht ab. Angesichts dessen, dass bei einer „Rettung“ der Frauen – ebenso wie dort – schwerste Hirnschäden zu erwarten gewesen wären (UA S. 20), liegt im Ergebnis keine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG vor (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 1994 – 4 StR 656/93, NJW 1994, 2034, 2035; Urteil vom 22. April 1997 – 1 StR 701/96, BGHSt 43, 53, 58; KK-StPO/Feilcke, 8. Aufl., GVG § 132 Rn. 4; LR-StPO/Franke, 26. Aufl., GVG § 132 Rn. 6; MüKoStPO /Cierniak/Pohlit, 2018, GVG § 132 Rn. 12).

49
5. Gegen die Ablehnung einer Strafbarkeit wegen Überlassung von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch (§ 29 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. b, § 13 Abs. 1 BtMG) oder wegen unerlaubter Abgabe verschreibungspflichtiger Medikamente (§ 95 Abs. 1 Nr. 4 AMG) ist rechtlich nichts zu erinnern.
Mutzbauer Sander Schneider
König Köhler

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.