Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Dez. 2016 - IV ZR 422/15

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:141216BIVZR422.15.0
bei uns veröffentlicht am14.12.2016
vorgehend
Landgericht Hechingen, 1 O 375/13, 03.02.2015
Oberlandesgericht Stuttgart, 7 U 49/15, 06.08.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZR 422/15
vom
14. Dezember 2016
in dem Rechtsstreit
ECLI:DE:BGH:2016:141216BIVZR422.15.0

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, den Richter Felsch, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, den Richter Lehmann und die Richterin Dr. Bußmann
am 14. Dezember 2016

beschlossen:
Der Senat beabsichtigt, die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 6. August 2015 gemäß § 552a Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Parteien erhalten Gelegenheit, hierzu binnen eines Monats Stellung zu nehmen.

Gründe:


1
I. Die Klägerin macht Ansprüche aus einer bei der Beklagten genommenen Krankentagegeldversicherung geltend, der die MB/KT 2008 zugrunde liegen.
2
Die Klägerin war als Dermatologin in einer Gemeinschaftspraxis tätig, in der sie sämtliche chirurgischen Eingriffe sowie manuellen kos- metischen Behandlungen durchführte. Aufgrund einer Hirnblutung im April 2007 ist ihr die Durchführung dieser Eingriffe und Behandlungen nicht mehr möglich. Daher war eine grundlegende Umstrukturierung der Praxis dergestalt beabsichtigt, dass die Klägerin nur noch Beratungen, klinische Untersuchungen, allergologische Behandlungen, Gutachtenerstellungen sowie aufsichtführende Anleitungen von Ausbildungsassistenten durchführen sollte. Im Jahr 2009 wurde mit der Kassenärztlichen Vereinigung und der Praxispartnerin der Klägerin eine Halbierung des Kassenarztsitzes und die Abgabe der Hälfte der Patienten an einen Nachfolger vereinbart , der erst Ende 2010 gefunden wurde. Die für Januar 2011 geplante Wiederaufnahme der kassenärztlichen Tätigkeit im geänderten Umfang war der Klägerin nicht möglich, nachdem sie im Dezember 2010 eine Gallenkolik erlitten hatte. Zudem zog sie sich im April 2011 eine Schultergelenksläsion und eine Fraktur des Daumengrundgelenks zu. Auf ihren Antrag bewilligte ihr die zuständige Versorgungsanstalt mit Bescheid vom 17. November 2011 rückwirkend zum 1. Oktober 2011 Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit.
3
Die Beklagte erbrachte zunächst die vereinbarten Krankentagegeldleistungen. Mit Schreiben vom 14. Oktober 2010 kündigte die Beklagte die Beendigung der Krankentagegeldversicherung und die Einstellung der Krankentagegeldzahlungen zum 18. November 2010 wegen Berufsunfähigkeit im Sinne von § 15 Abs. 1 Buchst. b MB/KT 2008 an.
4
Mit der Klage begehrt die Klägerin die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Krankentagegeld in Höhe von insgesamt 64.628,32 € für den Zeitraum vom 19. November 2010 bis zum 30. September 2011.
5
Sie meint, für eine Berufsunfähigkeit im Sinne von § 15 Abs. 1 Buchst. b MB/KT 2008 komme es auf das allgemeine Berufsbild und nicht auf die von ihr zuletzt ausgeübte Tätigkeit an. Die berufliche Tätigkeit als Dermatologin in einer Gemeinschaftspraxis hätte sie nach Umstrukturierung der Praxis ohne die weiteren Erkrankungen in dem streitgegenständlichen Zeitraum ausüben können.
6
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
7
II. Nach Auffassung des Berufungsgerichts lag bereits ab dem 19. August 2010 bei der Klägerin hinsichtlich ihrer zuletzt ausgeübten Tätigkeit als operierende Dermatologin Berufsunfähigkeit vor. Damit habe die Leistungspflicht der Beklagten spätestens zum 18. November 2010 geendet. Bei der Bestimmung der Berufsunfähigkeit sei von der zuletzt im Jahr 2007 von der Klägerin ausgeübten konkreten Tätigkeit als operierende Dermatologin auszugehen; die beabsichtigten, jedoch nicht verwirklichten Umstrukturierungen seien genauso wenig zu berücksichtigen wie ein allgemeines Berufsbild einer Dermatologin. Der in § 15 Abs. 1 Buchst. b MB/KT 2008 verwendete Begriff der Berufsunfähigkeit werde von einem durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer nicht anders verstanden als derjenige der Berufsunfähigkeit im Rahmen der speziellen Berufsunfähigkeitsversicherung. Wenn der Versicherungsnehmer nach dem Verständnis des Begriffs der Berufsunfähigkeit frage, werde er auf § 172 Abs. 2 VVG stoßen und dort eine vergleichbare Formulierung finden. Danach sei berufsunfähig, wer seinen zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet gewesen sei, infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfall ganz oder teilweise voraussichtlich auf Dauer nicht mehr ausüben könne. Auf ein allgemeines Berufsbild komme es dabei nicht an, sondern vielmehr auf die konkrete Ausgestaltung.
8
III. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).
9
1. Das Berufungsgericht hat die Revision "mit Blick auf das hier zugrunde gelegte Verständnis des Begriffs der Berufsunfähigkeit in § 15 Ziff. 1 lit. b MB/KT 2008 und die Feststellungen in der Entscheidung des IV. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes vom 9. März 2011 (IV ZR 137/10, r+s 2011, 256 Rn. 19)" zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen. Dieser Zulassungsgrund ist indes nichtgegeben. Das Berufungsgericht hat sich an der einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung orientiert und ist nicht von der Rechtsprechung des erkennenden Senats abgewichen.
10
a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass in der Krankentagegeldversicherung bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit im Sinne von § 15 Abs. 1 Buchst. b MB/KT 2008 die zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit der versicherten Person in ihrer konkreten Ausprägung maßgeblich und die Möglichkeit einer Umorganisation nicht zu berücksichtigen ist.
11
aa) Ohne Erfolg verweist die Revision darauf, dass im Rahmen der Berufsunfähigkeitsversicherung ein mitarbeitender Betriebsinhaber auf eine zumutbare Umorganisation seines Betriebes verwiesen werden kann (Senatsurteile vom 26. Februar 2003 - IV ZR 238/01, VersR 2003, 631 unter II; vom 12. Juni 1996 - IV ZR 118/95, VersR 1996, 1090 unter II 3 a m.w.N.). Der Krankentagegeldversicherung ist eine Verweisung auf eine Umorganisation der Arbeitsabläufe fremd. Der Krankentagegeldversicherer kann den Versicherten nicht darauf verweisen, durch Umorganisation seiner Arbeitsabläufe die Voraussetzungen für die Wiederausübung seines Berufs zu schaffen (Senatsurteil vom 20. Mai 2009 - IV ZR 274/06, VersR 2009, 1063 Rn. 10 f.).
12
bb) Anders als die Revision meint, lässt der Wortlaut des § 15 Abs. 1 Buchst. b Satz 2 MB/KT 2008, der auf den "bisher ausgeübten Beruf" abstellt, nicht offen, ob darunter der bisherige Beruf in seiner konkreten Ausprägung oder nur ein allgemeines Berufsbild zu verstehen ist. Der durchschnittliche, um Verständnis bemühte Versicherungsnehmer versteht unter dem "bisher ausgeübten Beruf" dasselbe wie unter dem Begriff der "beruflichen Tätigkeit" im Sinne des § 1 Abs. 3 MB/KT, d.h. den Beruf in seiner konkreten Ausprägung, so wie die versicherte Person ihn zuletzt ausgeübt hat (vgl. Senatsbeschluss vom 27. März 2013 - IV ZR 256/12, VersR 2013, 848 Rn. 7).
13
b) Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Senatsurteil vom 9. März 2011 (IV ZR 137/10, VersR 2011, 518 Rn. 13 ff. = r+s 2011, 256), auf das sich die Klägerin beruft und das Anlass für das Berufungsgericht zur Zulassung der Revision war. In dieser Entscheidung hat der Senat betont, dass Maßstab für die Prüfung der Arbeitsunfähigkeit der bisherige Beruf in seiner konkreten Ausprägung ist. Entscheidend ist, dass der Versicherte aufgrund seiner Erkrankung seiner bisher ausgeübten beruflichen Tätigkeit in der konkreten Ausgestaltung nicht nachgehen kann (Senatsurteil vom 9. März 2011 aaO Rn. 14). Bei der Bewertung, ob Tätigkeiten zur Berufsausübung gehören oder nicht, kommt es auf das Berufsbild an, das sich aus der bis zum Eintritt des Versicherungsfalles konkret ausgeübten Tätigkeit der versicherten Person ergibt. Das bedeutet nicht, dass sich die berufliche Tätigkeit als solche nach dem allgemeinen Berufsbild bestimmt (Senatsurteil vom 9. März 2011 aaO Rn. 18).
14
Diesem Verständnis stehen nach Auffassung des Senats nicht die Regelungen über die Anzeigepflicht in § 9 Abs. 5 MB/KT 94 und den bisher ausgeübten Beruf in § 15 Buchst. b MB/KT 94 entgegen. Dies hat der Senat damit begründet, dass diese Bestimmungen aus der Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers auf das allgemeine Berufsbild und nicht auf die zuletzt ausgeübte Tätigkeit abstellten und der Versicherungsnehmer daher nicht annehmen werde, dem Versicherer jeden Arbeitsplatzwechsel auch dann anzeigen zu müssen, wenn sich nichts am Berufsbild ändert. Diese Ausführungen hat das Berufungsgericht richtig so verstanden, dass erläutert werden sollte, warum das dargelegte Verständnis des Versicherungsfalls in der Krankentagegeldversicherung keine (ungerechtfertigte) Gleichsetzung des Begriffs der beruflichen Tätigkeit mit dem des Arbeitsplatzes bedeutet. Eine abweichende Definition der Berufsunfähigkeit im Sinne des § 15 Buchst. b MB/KT 94 war damit nicht verbunden. Dies ist auch daraus ersichtlich, dass der Senat ein Ruhen des Versicherungsverhältnisses wegen Berufsunfähigkeit deshalb verneint hat, weil dem Vorbringen des Versicherungsnehmers, das sich der Versicherer hilfsweise zu eigen gemacht hatte, nicht zu entnehmen war, dass der Versicherungsnehmer im Sinne von § 15 Buchst. b Satz 2 MB/KT 94 nach medizinischem Befund "im bisher ausgeübten Beruf" auf nicht absehbare Zeit zu mehr als 50% erwerbsunfähig gewesen sei (Senatsurteil vom 9. März 2011 aaO Rn. 24).
15
2. Die Revision hat in der Sache auch keine Aussicht auf Erfolg. Das Berufungsgericht hat auf der Grundlage der erstinstanzlichen Feststellungen Leistungsfreiheit der Beklagten angenommen, weil die Klägerin nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen in ihrem bisher ausgeübten Beruf zu mehr als 50% erwerbsunfähig sei. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden und wird von der Revision nicht angegriffen.
Mayen Felsch Harsdorf-Gebhardt Lehmann Dr. Bußmann Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Revisionsrücknahme erledigt worden. Vorinstanzen:
LG Hechingen, Entscheidung vom 03.02.2015 - 1 O 375/13 -
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 06.08.2015- 7 U 49/15 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Dez. 2016 - IV ZR 422/15

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Dez. 2016 - IV ZR 422/15

Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 552a Zurückweisungsbeschluss


Das Revisionsgericht weist die von dem Berufungsgericht zugelassene Revision durch einstimmigen Beschluss zurück, wenn es davon überzeugt ist, dass die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vorliegen und die Revision keine Aussicht auf

Versicherungsvertragsgesetz - VVG 2008 | § 172 Leistung des Versicherers


(1) Bei der Berufsunfähigkeitsversicherung ist der Versicherer verpflichtet, für eine nach Beginn der Versicherung eingetretene Berufsunfähigkeit die vereinbarten Leistungen zu erbringen. (2) Berufsunfähig ist, wer seinen zuletzt ausgeübten Beruf, s
Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Dez. 2016 - IV ZR 422/15 zitiert 3 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Zivilprozessordnung - ZPO | § 552a Zurückweisungsbeschluss


Das Revisionsgericht weist die von dem Berufungsgericht zugelassene Revision durch einstimmigen Beschluss zurück, wenn es davon überzeugt ist, dass die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vorliegen und die Revision keine Aussicht auf

Versicherungsvertragsgesetz - VVG 2008 | § 172 Leistung des Versicherers


(1) Bei der Berufsunfähigkeitsversicherung ist der Versicherer verpflichtet, für eine nach Beginn der Versicherung eingetretene Berufsunfähigkeit die vereinbarten Leistungen zu erbringen. (2) Berufsunfähig ist, wer seinen zuletzt ausgeübten Beruf, s

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Bundesgerichtshof Beschluss, 27. März 2013 - IV ZR 256/12

bei uns veröffentlicht am 27.03.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS IV ZR 256/12 vom 27. März 2013 in dem Rechtsstreit Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, die Richter Dr. Karczewski, Lehmann und

Bundesgerichtshof Urteil, 09. März 2011 - IV ZR 137/10

bei uns veröffentlicht am 09.03.2011

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IV ZR 137/10 Verkündetam: 9.März2011 Heinekamp Justizhauptsekretär alsUrkundsbeamter derGeschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja MB/KT

Bundesgerichtshof Urteil, 26. Feb. 2003 - IV ZR 238/01

bei uns veröffentlicht am 26.02.2003

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IV ZR 238/01 Verkündet am: 26. Februar 2003 Heinekamp Justizobersekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat

Referenzen

Das Revisionsgericht weist die von dem Berufungsgericht zugelassene Revision durch einstimmigen Beschluss zurück, wenn es davon überzeugt ist, dass die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vorliegen und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. § 522 Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.

(1) Bei der Berufsunfähigkeitsversicherung ist der Versicherer verpflichtet, für eine nach Beginn der Versicherung eingetretene Berufsunfähigkeit die vereinbarten Leistungen zu erbringen.

(2) Berufsunfähig ist, wer seinen zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfall ganz oder teilweise voraussichtlich auf Dauer nicht mehr ausüben kann.

(3) Als weitere Voraussetzung einer Leistungspflicht des Versicherers kann vereinbart werden, dass die versicherte Person auch keine andere Tätigkeit ausübt oder ausüben kann, die zu übernehmen sie auf Grund ihrer Ausbildung und Fähigkeiten in der Lage ist und die ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht.

Das Revisionsgericht weist die von dem Berufungsgericht zugelassene Revision durch einstimmigen Beschluss zurück, wenn es davon überzeugt ist, dass die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vorliegen und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. § 522 Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 238/01 Verkündet am:
26. Februar 2003
Heinekamp
Justizobersekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, den Richter Dr. Schlichting, die Richterin
Ambrosius und die Richter Wendt und Felsch auf die mündliche Ver-
handlung vom 5. Februar 2003

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 25. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 24. Juli 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger, mitarbeitender Inhaber eines Automatenaufstellbetriebes , begehrt von der beklagten Versicherungsgesellschaft über die von dieser freiwillig gezahlte Rente für eine 40%ige Berufsunfähigkeit hinaus die volle vereinbarte Rente (monatlich 4.453 DM) für die Zeit ab 1. Januar 1994.
Nach den Vertragsbedingungen der 1976 von den Parteien vereinbarten Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung gewährt die Beklagte bei

teilweiser Berufsunfähigkeit die für vollständige Berufsunfähigkeit festgesetzten Leistungen nur in der Höhe, die dem Grad der Berufsunfähigkeit entspricht. Teilweise Berufsunfähigkeit von weniger als einem Viertel gibt keinen Anspruch. Ab einer teilweisen Berufsunfähigkeit von mindestens Dreiviertel werden die vollen Leistungen erbracht.
Der Kläger ist seit 1975 selbständiger Automatenaufsteller, der in Gaststätten Geldspielgeräte, Billardtische und Musikboxen aufstellt, die Geräte wartet und auswechselt und jeden seiner etwa 80 bis 100 Kunden alle 14 Tage aufsucht, um die Automaten zu leeren, das Geld mit Hilfe einer Geldzählmaschine zu zählen, dem Gastwirt seinen Anteil auszukehren und den eigenen Anteil mitzunehmen. Die Abrechnungstätigkeit übte der Kläger persönlich und allein aus, bis er zum 1. Mai 1989 zusätzlich zu den bis dahin von ihm beschäftigten Mitarbeitern (zwei Monteure und für die Büroarbeiten seine Ehefrau) seinen Sohn einstellte, der ihn seitdem auf seinen Abrechnungsfahrten begleitet und ihm das Tragen schwerer Gegenstände abnimmt (Laptop, das eingesammelte Hartgeld , insbesondere aber die 20 kg schwere Geldzählmaschine).
1986 wurde bei dem Kläger wegen einer Ulcus-Erkrankung eine 2/3-Magenresektion vorgenommen. Seit 1987 zahlt die Beklagte ihm eine Berufsunfähigkeitsrente. Vom 1. Oktober 1987 bis zum 1. Oktober 1990 betrug sie 60% der vollen Rente; vom 2. Oktober 1990 bis zum 1. Januar 1994 35%, und seit dem 1. Oktober 1990 zahlt die Beklagte 40%. Demgegenüber begehrt der Kläger ab 1. Januar 1994 die volle Rente mit der Begründung, er sei spätestens seit Anfang 1989 zu mindestens 75% berufsunfähig. Nicht nur habe er nach wie vor erhebliche Magenbeschwerden , deretwegen er täglich fünf kleine Mahlzeiten einnehmen und an-

schließend jeweils eine halbstündige Ruhepause einhalten müsse, sondern er leide auch an Erkrankungen des Bewegungsapparates, vor allem der Wirbelsäule, der Knie- und der Hüftgelenke, die sich seit den 70er Jahren kontinuierlich verschlimmert und ihm spätestens seit Anfang 1989 das Tragen schwerer Gegenstände, insbesondere der Geldzählmaschine , unmöglich gemacht hätten. Allein aus diesem Grund habe er zum 1. Mai 1989 seinen Sohn als Begleiter bei den Abrechnungsfahrten eingestellt.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:


Die Revision hat Erfolg. Die Feststellungen des Berufungsgerichts tragen die Klageabweisung nicht.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Kläger sei nicht zu mehr als 40% berufsunfähig. Aufgrund des vom Landgericht eingeholten orthopädischen Sachverständigengutachtens stehe zwar zur Überzeugung des Senats fest, daß der Kläger keine schweren Gegenstände tragen dürfe. Auch sei bewiesen, daß der Kläger früher Geräte aufgestellt und vor Ort oder in seiner Werkstatt repariert und daß er die Geräte entleert und mit den Gastwirten den Gewinn abgerechnet habe, wozu er die

schweren Spielgeräte bzw. die schwere Geldzählmaschine, habe heben und tragen müssen. Durch seine krankheitsbedingte Unfähigkeit zu diesen für seinen Beruf prägenden, wesentlichen Einzelverrichtungen sei der Kläger als mitarbeitender Betriebsinhaber jedoch noch nicht berufsunfähig. Dazu genüge nicht, daß er Einzelverrichtungen, die er sich bisher ausgesucht hatte, nicht mehr ausüben könne. Der Kläger übe vielmehr immer noch eine angemessene Tätigkeit aus, weil er weiter seine Mitarbeiter überwache und einsetze, die Kundenwerbung weiterbetreibe und die Spielgeräte entleere und mit seinen Kunden abrechne. Wegen dieser fortdauernden Erledigung seiner alten Aufgaben habe er, ungeachtet der Einstellung eines neuen Mitarbeiters, seinen Betrieb auch nicht umorganisiert. Der Kläger falle zwar bei dem Transport und der Reparatur der Spielgeräte völlig aus, jedoch mache dieser Teil seiner Tätigkeit nach seinen eigenen Angaben nur 10% seiner Arbeitszeit aus, während er 80% für das Abkassieren und die Abrechnung verwende. Beim Abkassieren und Abrechnen sei ihm aber nur das Tragen der Geldzählmaschine und das Tragen des eingesammelten Hartgeldes zur Bank unmöglich. Er habe nicht nachgewiesen, daß diese beiden Tragevorgänge mehr als 30% seiner gesamten Arbeitszeit ausmachten, so daß nicht davon ausgegangen werden könne, daß er zu mehr als 40% berufsunfähig sei.
II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Berufsunfähigkeit liegt nach den Vertragsbedingungen vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit oder Körperverletzung ganz oder teilweise außerstande ist, seinen Beruf oder eine andere Erwerbstätigkeit auszuüben, die seiner Lebensstellung, seinen Kenntnissen und Fähig-

keiten angemessen ist. Bei einem mitarbeitenden Betriebsinhaber muß zunächst, genau wie bei jedem anderen Versicherten, die Voraussetzung erfüllt sein, daß er zu seiner konkreten beruflichen Tätigkeit, so wie sie bis zum Eintritt der Gesundheitsbeeinträchtigung ausgestaltet war, in einem Ausmaß nicht mehr imstande ist, das nach den Versicherungsbedingungen einen Rentenanspruch begründet. Darüber hinaus muß der mitarbeitende Betriebsinhaber aber darlegen und erforderlichenfalls beweisen , daß ihm eine zumutbare Betriebsorganisation keine gesundheitlich noch zu bewältigende Betätigungsmöglichkeit eröffnen kann, die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließen würde (BGH, Urteil vom 12. Juni 1996 - IV ZR 118/95 - VersR 1996, 1090 unter II 3 a). Bei der Prüfung der ersten Voraussetzung ist dem Berufungsgericht ein Rechtsfehler unterlaufen, der dazu geführt hat, daß es die - erforderliche - Prüfung der zweiten Voraussetzung unterlassen hat.
1. Das Berufungsgericht hat übersehen, daß der gerichtliche Sachverständige bei seiner Feststellung, daß der Kläger keine schweren Gegenstände mehr tragen könne, dem insoweit rechtsirrtümlichen Beweisbeschluß des Landgerichts folgend, auf einen falschen Stichtag abgestellt hat, nämlich auf den 1. Januar 1994, der den Beginn des vom Kläger geltend gemachten Leistungszeitraums markiert. Sollte die Unfähigkeit des Klägers, schwer zu tragen, tatsächlich erst an diesem Tage eingetreten sein, so hätte sie keine Berufsunfähigkeit herbeigeführt. Denn bei dieser geht es darum, wie sich gesundheitliche Beeinträchtigungen bei einer konkreten Berufsausübung auswirken (BGH, Urteil vom 12. Juni 1996 - IV ZR 116/95 - VersR 1996, 959 unter II 1). Dabei ist maßgebend die letzte konkrete Berufsausübung, so wie sie noch in gesunden Tagen ausgestaltet war, d.h. solange die Leistungsfähigkeit des

Versicherten noch nicht beeinträchtigt war (BGH, Urteil vom 22. September 1993 - IV ZR 203/92 - VersR 1993, 1470 unter 3). Die Abrechnungstätigkeit des Klägers war aber bereits lange vor dem 1. Januar 1994, nämlich schon seit dem 1. Mai 1989, dem Tage der Einstellung seines Sohnes als Begleiter, so ausgestaltet, daß er gar nicht mehr schwer zu tragen brauchte; denn dies nahm ihm seitdem sein Sohn ab. Falls der Kläger seinen Sohn noch "in gesunden Tagen" eingestellt hatte, hat eine nachträglich eingetretene Unfähigkeit zum Tragen ihn also nicht berufsunfähig gemacht. Der Kläger hat aber substantiiert behauptet, daß er bereits seit Anfang 1989 nicht mehr in der Lage sei, schwere Lasten zu heben, und allein aus diesem Grund seinen Sohn als Gehilfen eingestellt habe. Dieser Vortrag ist indessen durch das gerichtliche Sachverständigengutachten noch nicht bewiesen, weil das Landgericht dem Gutachter fälschlich die Frage vorgelegt hat, ob der Kläger seit dem 1. Januar 1994 nicht mehr schwer tragen könne, und der Sachverständige dementsprechend auch eine auf dieses Datum bezogene bejahende Antwort gegeben hat.
Ist aber somit bislang offen, ob und wie sich die behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers Anfang 1989 auf seine Fähigkeit zur weiteren Berufsausübung auswirkten, so fehlt es an einer Beurteilungsgrundlage dafür, wie hoch der Grad seiner Berufsunfähigkeit anzusetzen ist und ob der Kläger sich durch Umorganisation ein Berufsunfähigkeit ausschließendes Tätigkeitsfeld verschaffen konnte.
Das Berufungsurteil konnte daher keinen Bestand haben. Es war aufzuheben und die Sache zur Nachholung der erforderlichen weiteren Feststellungen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

2. Dabei wird das Berufungsgericht die folgenden rechtlichen Ge- sichtspunkte berücksichtigen müssen:

a) Falls der Kläger schon vor der Einstellung seines Sohnes nicht mehr schwer tragen konnte, darf das Berufungsgericht bei der Bemessung des Grades der hierdurch hervorgerufenen Berufsunfähigkeit des Klägers nicht nur auf den - vom Berufungsgericht nicht bezifferten - Zeitanteil abstellen, der auf das Tragen der Geldzählmaschine entfiel. Das Tragen der Geldzählmaschine war keine abtrennbare und deshalb gesondert zu veranschlagende berufliche Einzelverrichtung, sondern ein untrennbarer Bestandteil des Abrechnungsvorgangs, der aus An- und Abfahrt, der Leerung der Automaten, dem Zählen des Hartgeldes mittels der Geldzählmaschine, der Berechnung des Anteils des jeweiligen Gastwirts , der Auszahlung dieses Anteils an den Gastwirt und dem Abtransport des eigenen Anteils des Klägers bestand. Diese Abrechnung war ein einheitlicher Lebensvorgang, zu dem das Tragen der Geldzählmaschine dazugehörte; denn ohne diese konnte der Kläger nicht abrechnen.

b) Bei der etwaigen Prüfung, ob der Kläger die Tätigkeiten in seinem Betrieb auch nicht auf zumutbare Weise so umschichten kann, daß ihm eine die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließende Tätigkeit verbleibt (BGH, Urteil vom 12. Juni 1996, aaO unter 3), wird zu beachten sein, daß der Kläger entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts , eine Umorganisation seines Betriebes bereits vorgenommen hat, indem er seinen Sohn einstellte (zur Umorganisation durch Einstellung weiterer Mitarbeiter vgl. BGH, Urteil vom 25. September 1991 - IV ZR 145/90 - VersR 1998, 1358 unter 2 b). Es kommt deshalb darauf an, ob

diese Umorganisation für ihn unzumutbar war. Eine Umorganisation ist für den Versicherten nur dann zumutbar, wenn sie nicht mit auf Dauer ins Gewicht fallenden Einkommenseinbußen verbunden ist (BGH, Urteile vom 5. April 1989 - IV ZR 35/88 - VersR 1989, 579 und vom 25. September 1991 - IV ZR 145/90 - VersR 1991, 1358).

c) Schließlich darf das Berufungsgericht das Magenleiden des Klägers nicht unberücksichtigt lassen. Sollte der Kläger aus orthopädischer Sicht Anfang 1989 zu weniger als 75% berufsunfähig oder sollte ihm die Umorganisation zumutbar gewesen sein, so müßte das Berufungsgericht die Frage klären, ob, seit wann und inwieweit ihn sein Magenleiden an der Fortsetzung seiner früheren Tätigkeit hindert.
Terno Dr. Schlichting Ambrosius
Wendt Felsch
7
Der Senat hat ferner in seinem Urteil vom 9. März 2011 ausgeführt , Maßstab für die Prüfung der Arbeitsunfähigkeit sei der bisherige Beruf in seiner konkreten Ausprägung (IV ZR 137/10, VersR 2011, 518 Rn. 13 f.). Der Krankentagegeldversicherer könne von dem Versicherten, der durch besondere Umstände an seinem bisherigen Arbeitsplatz krank geworden sei, nicht einen Wechsel des Arbeitsplatzes, die Wahl eines anderen Arbeitsumfeldes oder arbeitsrechtliche Schritte gegen den Arbeitgeber verlangen. Die Arbeitsunfähigkeit entfalle nicht deshalb, weil der Versicherte bei Bereinigung der Konfliktsituation an seinem konkreten Arbeitsplatz oder durch einen Wechsel seines Arbeitsplatzes wieder arbeitsfähig wäre. Bei einem weitergehenden Verständnis des Begriffs der beruflichen Tätigkeit wäre der Versicherte zu einem Arbeitsplatzwechsel gehalten, der ihm auch als Obliegenheit nicht abverlangt werde.
13
a) In der Krankentagegeldversicherung setzt der Eintritt eines Versicherungsfalles neben der medizinisch notwendigen Heilbehandlung eine in deren Verlauf ärztlich festgestellte Arbeitsunfähigkeit voraus (§ 1 (2) Satz 1 MB/KT). Arbeitsunfähigkeit liegt gemäß § 1 (3) MB/KT vor, wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderweitigen Erwerbstätigkeit nachgeht. Diese Definition der Arbeitsunfähigkeit knüpft an die konkrete berufliche Tätigkeit der versicherten Person und nicht allgemein an ihre beruflichen Möglichkeiten an. Dementsprechend bemisst sich die Arbeitsunfähigkeit nach der bisherigen Art der Berufsausübung, selbst wenn der Versicherte noch andere Tätigkeiten ausüben kann (Senatsurteil vom 20. Mai 2009 - IV ZR 274/06, VersR 2009, 1063 Rn. 11 m.w.N.). Daher ist der Versicherer nicht berechtigt, den Versicherungsnehmer auf so genannte Vergleichsberufe oder gar auf sonstige, auf dem Arbeitsmarkt angebotene Erwerbstätigkeiten zu verweisen (Senatsurteile vom 20. Mai 2009 aaO m.w.N.; vom 9. Juli 1997 - IV ZR 253/96, VersR 1997, 1133 unter II 2 b). Selbst wenn der Versicherte mindestens 50% der von seinem Berufsbild allgemein umfassten Tätigkeit noch ausüben kann, muss er sich nicht darauf verweisen lassen, eine seinen verbliebenen beruflichen Fähigkeiten entsprechende andere Arbeit aufzunehmen. Hingegen ist der Versicherte nicht arbeitsunfähig, wenn er gesundheitlich zu einer - wenn auch nur eingeschränkten - Tätigkeit in seinem bisherigen Beruf imstande geblieben ist (Senatsurteile vom 20. Mai 2009 aaO; vom 25. November 1992 - IV ZR 187/91, VersR 1993, 297 unter II 1). Ob der Versicherte seinem Beruf nicht mehr in der bisherigen Ausgestaltung nachgehen kann, ist durch einen Vergleich der Leistungsfähigkeit, die für die bis zur Erkrankung konkret ausgeübte Tätigkeit erforderlich ist, mit der noch verbliebenen Leistungsfähigkeit festzustellen (Senatsurteil vom 20. Mai 2009 aaO m.w.N.).