Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Sept. 2003 - X ZB 48/02

bei uns veröffentlicht am30.09.2003

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZB 48/02
vom
30. September 2003
in dem Rechtsstreit
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. September 2003
durch die Richter Prof. Dr. Jestaedt, Scharen, Keukenschrijver, die Richterin
Mühlens und den Richter Asendorf

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluß des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 4. November 2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht Oldenburg zurückverwiesen.

Gründe:


I. Der Beklagte ist vom Landgericht Aurich zur Zahlung eines Geldbetrages an den Kläger verurteilt worden. Seine Berufungsschrift ist erst nach Ablauf der Berufungsfrist beim Berufungsgericht eingegangen. Einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist hat das Berufungsgericht zurückgewiesen ; zugleich hat es die Berufung durch Beschluß als unzulässig verworfen.
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Urteils, Gewährung der Wiedereinsetzung
und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht begehrt. Die Klägerin tritt dem Rechtsbehelf entgegen.
II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 ZPO), da jedenfalls die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung kommt nämlich dann in Frage, wenn das Berufungsgericht seiner Entscheidung einen zu strengen Sorgfaltsmaßstab zugrunde gelegt und die besonderen Umstände des Falles nicht hinreichend berücksichtigt hat (BGH, Beschl. v. 5.11.2002 - VI ZB 40/02, NJW 2003, 437). So liegt die Sache hier.
2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

a) Nach dem vom Berufungsgericht unterstellten Sachverhalt hat die erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte des Beklagten versucht, die von einem anderen Rechtsanwalt verfaßte Berufungsschrift am letzten Tag der Berufungsfrist zwischen 20.43 Uhr und 24.00 Uhr mittels Telefax an das Berufungsgericht zu übermitteln, was ihr nicht gelungen sei, weil das Telefaxgerät des Berufungsgerichts nicht empfangsbereit gewesen sei.

b) Das Berufungsgericht hat gleichwohl die Fristversäumnis als verschuldet angesehen, weil derjenige, der sich des risikobehafteten Telefax -Übertragungswegs bediene, gehalten sei, dies so rechtzeitig zu tun, daß notfalls noch eine anderweitige Übermittlung möglich sei, und er alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen müsse, wenn sich herausstelle, daß die Übermittlung nicht gelungen sei. Hiergegen sei verstoßen worden. Jedenfalls nach einem laut Sendebericht um 22.52 Uhr wiederum gescheiterten Übermitt-
lungsversuch habe für eine Übermittlung auf anderem Weg gesorgt werden müssen, wofür sich in erster Linie eine Fahrt von Leer nach Oldenburg, für die hinreichend Zeit zur Verfügung gestanden habe, aber auch der Versuch, einen in Oldenburg tätigen Rechtsanwalt zu erreichen, oder telegraphische Übermittlung angeboten hätten, wovon kein Gebrauch gemacht worden sei.

c) Diese Ausführungen greift die Rechtsbeschwerde mit Erfolg als von Rechtsfehlern beeinflußt an.
Wie der Bundesgerichtshof im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE NJW 1996, 2857) bereits entschieden hat, ist mit der Wahl eines anerkannten Übermittlungsmediums, der ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegeräts und der korrekten Eingabe der Empfängernummer das Erforderliche zur Fristwahrung getan, wenn so rechtzeitig mit der Übermittlung begonnen wird, daß unter normalen Umständen mit deren Abschluß bis 24.00 Uhr zu rechnen ist (BGH, Beschl. v. 1.2.2001 - V ZB 33/00, NJW-RR 2001, 916). Daß eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt gewesen sei, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Die zu unterstellende Funktionsunfähigkeit des Telefaxgeräts des Berufungsgerichts kann dem Beklagten nicht angelastet werden.
War auf seiten des Beklagten alles Erforderliche unternommen worden, so kann ein Verschulden der Beklagtenvertreter nicht daraus abgeleitet werden, daß diese ihnen vielleicht noch mögliche weitere Schritte nicht eingeleitet haben , nachdem sie das Fehlschlagen des von ihnen zulässigerweise gewählten Übermittlungswegs erkannt hatten. Von einem Rechtsanwalt, der sich und seine organisatorischen Vorkehrungen darauf eingestellt hat, einen Schriftsatz mittels Telefax zu übermitteln, kann nämlich beim Scheitern der gewählten
Übermittlung infolge eines Defekts im Empfangsgerät oder wegen Leitungsstörungen nicht verlangt werden, daß er unter Aufbietung aller nur denkbarer Anstrengungen innerhalb kürzester Zeit eine andere als die gewählte, vom Gericht offiziell eröffnete Zugangsart sicherstellt (BVerfGE aaO). Dies hat das Berufungsgericht bereits im Ansatz verkannt.
3. Demnach kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben. Da die Sache auch hinsichtlich des Wiedereinsetzungsantrags nicht entscheidungsreif ist, sind der angefochtene Beschluß insgesamt aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu übertragen ist.
Jestaedt Scharen Keukenschrijver
Mühlens Asendorf

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Sept. 2003 - X ZB 48/02

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Sept. 2003 - X ZB 48/02

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer
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Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

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Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Nov. 2002 - VI ZB 40/02

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS VI ZB 40/02 vom 5. November 2002 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein ZPO § 233 B, Fa; § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 Der Rechtsanwalt, dem die Handakten zur Anfertigung der Berufungsbegründung vorgelegt werden

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 33/00 vom 1. Februar 2001 in dem Rechtsstreit Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 1. Februar 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Wenzel und die Richter Tropf, Schneider, Dr. Klein und Dr. Lemke besc
4 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Sept. 2003 - X ZB 48/02.

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(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 40/02
vom
5. November 2002
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
ZPO § 233 B, Fa; § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2
Der Rechtsanwalt, dem die Handakten zur Anfertigung der Berufungsbegründung
vorgelegt werden, hat eigenverantwortlich die Berufungsbegründungsfrist zu prüfen.
BGH, Beschluß vom 5. November 2002 - VI ZB 40/02 - OLG Frankfurt am Main
LG Wiesbaden
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. November 2002 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Müller, den Richter Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen
und die Richter Pauge und Zoll

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 24. April 2002 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen. Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 5.219,62

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz für Grundstücksbeeinträchtigungen. Nachdem das Landgericht die Klage abgewiesen hatte, hat sie das Oberlandesgericht dem Grunde nach zugesprochen und die Sache hinsichtlich der Schadenshöhe an das Landgericht zurückverwiesen. Mit Urteil vom 4. Januar 2002 hat das Landgericht die Klage erneut abgewiesen. Gegen das ihren erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten am 8. Januar 2002 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit Schriftsatz ihres in zweiter Instanz bevollmächtigten Rechtsanwaltes vom 6. Februar 2002, eingegangen bei Gericht am selben Tag, Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ist am 7. März 2002 bei Gericht eingegangen. Mit Verfügung vom 8. März 2002, den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 13. März 2002, hat der Senatsvorsitzende auf die Verspätung hingewiesen. Die Klägerin hat mit dem am 19. März
2002 eingegangenen Schriftsatz ihrer Prozeßbevollmächtigten Wiedereinset- zung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und vorgetragen, die im Büro ihrer Prozeßbevollmächtigten tätige Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte M. habe wegen der zum 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Änderung der Zivilprozeßordnung irrtümlich den Ablauf der Begründungsfrist auf 8. März 2002 im Fristenbuch notiert. Nach Rücksprache mit dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin sei sie angewiesen worden, den 6. März 2002 als Fristende einzutragen. Dies habe Frau M. versehentlich unterlassen. Von einer anderen Angestellten sei am 6. März 2002 der Berufungsbegründungsschriftsatz fertig gemacht und am 7. März 2002 bei Gericht eingereicht worden. Das Oberlandesgericht hat mit dem angefochtenen Beschluß die Wiedereinsetzung versagt und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde, die sie wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache, zur Fortbildung des Rechts und zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung für zulässig erachtet. Sie macht geltend, die in dem angefochtenen Beschluß aufgestellten Sorgfaltsanforderungen an den Rechtsanwalt seien überspannt und die besonderen Umstände des vorgetragenen Sachverhalts nicht hinreichend berücksichtigt worden.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 574 Abs. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt.
1. Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt der Sache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn eine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Entscheidung erhebliche Rechtsfrage klärungsbedürftig ist, die sich allgemein, in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellt (vgl. BGH, Beschluß vom 4. Juli 2002 - V ZB 16/02 - NJW 2002, 3029; Zöller /Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 543 Rdn. 11). Das ist vorliegend nicht der Fall. Zur Frage, welche Sorgfaltspflichten den Rechtsanwalt bei der Kontrolle der Rechtsmittelfristen treffen, hat sich der Bundesgerichtshof bereits in einer Vielzahl von Entscheidungen geäußert. Danach hat der Rechtsanwalt bei fristgebundenen Handlungen, so auch bei der Einreichung der Berufungsbegründung bei Gericht, den Fristablauf eigenverantwortlich nachzuprüfen, wenn ihm die Sache zur Vorbereitung der betreffenden Prozeßhandlung vorgelegt wird (Senatsbeschlüsse vom 5. März 2002 - VI ZR 286/01 - VersR 2002, 637; vom 19. Juni 2001 - VI ZB 22/01 - VersR 2001, 1400 f.; vom 4. April 2000 - VI ZR 309/99 - BRAK-Mitt 2000, 287, 288; vom 11. Februar 1992 - VI ZB 2/92 - NJW 1992, 1632; vom 19. Februar 1991 - VI ZB 2/91 - VersR 1991, 1269,1270; vom 1. Juni 1976 - VI ZB 23/75 - VersR 1976, 962, 963 und vom 2. November 1976 - VI ZB 7/76 - VersR 1977, 255; BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 1980 - VII ZB 2/80 - VersR 1980, 976, 977; vom 25. März 1985 - II ZB 2/85 - VersR 1985, 552 und vom 11. Dezember 1991 - VIII ZB 38/91 - VersR 1992, 1153). Ob der Rechtsanwalt die Sorgfaltsanforderungen beachtet hat, ist nach den besonderen Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Dementsprechend hat das Berufungsgericht im vorliegenden Fall aufgrund der Würdigung der konkreten Einzelfallumstände einen Sorgfaltsverstoß des Klägervertreters bejaht. Eine abstrakte , der Verallgemeinerung zugängliche Rechtsfrage wirft der Fall nicht auf.
2. Auch zur Rechtsfortbildung ist eine höchstrichterliche Entscheidung nicht geboten (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 ZPO). Diese ist nur erforderlich, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder formellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen (vgl. BGH, Beschluß vom 4. Juli 2002 - V ZB 16/02 - aaO; Zöller/Greger aaO, § 543 Rdn. 12). Die Klägerin zeigt nicht auf, daß der Fall eine verallgemeinerungsfähige rechtliche Frage aufwirft, für deren rechtliche Beurteilung eine richtungsweisende Orientierungshilfe ganz oder teilweise fehlt. 3. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).
a) Der von der Klägerin aufgezeigte Unterschied des dem vorliegenden Fall zugrundeliegenden Sachverhalts zu dem, der dem Senatsbeschluß vom 19. Februar 1991 (- VI ZB 2/91 - aaO) zugrunde lag, begründet keine rechtliche Divergenz. Eine solche ist nur dann in Betracht zu ziehen, wenn nach den Darlegungen des Beschwerdeführers der angefochtenen Entscheidung ein Rechtssatz zugrundeliegt, der von einem die Entscheidung tragenden Rechtssatz eines höherrangigen Gerichts, eines anderen Spruchkörpers desselben Gerichts oder eines anderen gleichgeordneten Gerichts abweicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. Mai 2002 - V ZB 11/02 - VersR 2002, 1257 und vom 4. Juli 2002 - V ZB 75/02 - NJW 2002, 2957). Die Klägerin beruft sich auf Unterschiede in den jeweiligen Sachverhalten. Sie legt aber nicht dar, daß die angefochtene Entscheidung bei gleichgelagerten tatsächlichen Umständen ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung.

b) Entgegen der Ansicht der Klägerin ist eine höchstrichterliche Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auch nicht deshalb geboten, weil das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft einen zu strengen Sorgfaltsmaßstab zugrundegelegt und die besonderen Umstände nicht hinreichend berücksichtigt hätte. Zwar käme die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO in Frage, wenn der Klägerin mit der Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages der Zugang zu der ihr nach der Zivilprozeßordnung eingeräumten Berufungsinstanz in unzumutbarer und aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert würde (vgl. BVerfG 44, 302, 305 f.; 69, 381, 385; BGH, Beschluß vom 4. Juli 2002 - V ZB 16/02 - aaO). Bei der Auslegung der Vorschriften über die schuldhafte Fristversäumnis und die Wiedereinsetzung dürfen deshalb die Anforderungen nicht überspannt werden (vgl. BVerfGE 44, aaO; 62, 334, 336; 69, aaO). Gegen diese Grundsätze hat das Berufungsgericht aber im vorliegenden Fall nicht verstoßen. Das Berufungsgericht hat zu Recht verlangt, daß der Prozeßbevollmächtigte die Frist eigenverantwortlich bei Vorlage der Handakten zur Anfertigung der Berufungsbegründung zu prüfen hatte (Senat, Beschlüsse vom 14. Januar 1997 - VI ZB 24/96 - VersR 1997, 598; vom 10. Dezember 1996 - VI ZB 16/96 - VersR 1997, 507 f. und vom 19. Januar 1991 - VI ZB 2/91 - VersR 1991, 1269). Bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Prüfungspflicht wäre der Widerspruch zwischen dem von ihm persönlich bestimmten und in den Handakten notierten und dem im Fristenkalender festgehaltenen Fristende offenkundig geworden, bevor es zu einer Fristversäumnis kommen konnte.
c) Die Rechtsbeschwerde ist auch nicht wegen der behaupteten Verfahrensverstöße gegen die richterliche Hinweispflicht zuzulassen, um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu sichern. Selbst wenn die Rügen der Klägerin berechtigt wären, ist nicht dargelegt, daß die Interessen der Allgemeinheit über den Einzelfall hinaus nachhaltig berührt werden, weil etwa dadurch schwer er-
trägliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen oder das Berufungsgericht in ständiger Praxis die höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Hinweispflichten nicht berücksichtigt und dem Rechtsfehler deshalb eine „symptomatische“ Bedeutung zukommt (vgl. BGH, Beschluß vom 29. Mai 2002 - V ZB 11/02 - aaO). 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Müller Greiner Diederichsen Pauge Zoll

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 33/00
vom
1. Februar 2001
in dem Rechtsstreit
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 1. Februar 2001 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. Wenzel und die Richter Tropf, Schneider, Dr. Klein
und Dr. Lemke

beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluß des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 27. Juni 2000 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Die Begründungsfrist für die von der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts eingelegte Berufung war am 25. April 2000 abgelaufen. Die mit Telefax übermittelte und 11 Seiten umfassende Berufungsbegründung ist ausweislich des Empfangsberichts am 26. April 2000 zwischen 0.19 und 0.23 Uhr bei Gericht eingegangen. Die in der Kopfzeile vom Faxgerät der Klägerin angegebene Sendezeit weist einen Zeitraum von 23.17 Uhr bis 23.21 Uhr am 25. April 2000 aus.
Die Klägerin hat geltend gemacht, sie sei am 25. April 2000 durch Verkehrsbehinderungen nach einem auswärtigen Termin erst spät am Abend zur
Erledigung der anstehenden Fristsachen gekommen. Dabei habe sie festgestellt , daß ihr neuwertiges Faxgerät nicht fehlerfrei arbeite. Erst ein Versuch um 23.17 Uhr habe mit der Bestätigung ordnungsgemäßer vollständiger Übersendung geendet. Nach einem gerichtlichen Hinweis, daß ihr Faxgerät möglicherweise noch nicht auf die Sommerzeit umgestellt war, hat die Klägerin ergänzend vorgetragen, daß sie schon vor 22.57 Uhr die Übermittlung erfolglos versucht habe und bei ordnungsgemäß arbeitendem Faxgerät auch noch um 23.57 Uhr eine fristgerechte Übermittlung möglich gewesen wäre.
Das Oberlandesgericht hat unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Gegen diesen am 10. Juli 2000 zugestellten Beschluß richtet sich die am 24. Juli 2000 eingelegte sofortige Beschwerde.

II.


Das gemäß § 519 b Abs. 2 ZPO zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht (§ 575 ZPO), weil es für die Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf.
1. Zutreffend ist das Berufungsgericht von einer Versäumung der Begründungsfrist (§ 519 Abs. 2 Satz 2 ZPO) ausgegangen. Die vollständige Berufungsbegründung ist erst am 26. April 2000 bei Gericht eingegangen. Dies ergibt sich aus dem Empfangsbericht.

2. Eine Wiedereinsetzung hat das Berufungsgericht der Klägerin versagt , weil sie nicht glaubhaft gemacht habe, daß sie ohne ihr Verschulden gehindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten (§§ 233, 236 Abs. 2 ZPO). Ihre Behauptungen zum Zeitpunkt des Beginns ihrer Bemühungen um die Übermittlung der Berufungsbegründung sind in der Tat widersprüchlich und finden in den Feststellungen des Empfangsberichts und des Journals keine Stütze. Eigene Belege hat die Klägerin insoweit nicht vorgelegt. Zwar hat ein Nutzer mit der Wahl eines anerkannten Übermittlungsmediums, der ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegeräts und der korrekten Eingabe der Empfängernummer das seinerseits Erforderliche zur Fristwahrung getan, wenn er so rechtzeitig mit der Übermittlung beginnt, daß unter normalen Umständen mit ihrem Abschluß bis 24.00 Uhr zu rechnen ist (BVerfG, NJW 1996, 2857, 2858). Der Klägerin könnte daher entgegengehalten werden, daß sie bereits bei der nach sieben Seiten um 23.59 Uhr grundlos abgebrochenen Sendung von 23.57 Uhr nicht darauf vertrauen durfte, daß der gesamte Schriftsatz mit 11 Seiten noch vor 24.00 Uhr vollständig übermittelt sein würde. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts liegt nach Auskunft der Geschäftsleitung des Gerichts die durchschnittliche Übertragungszeit bei einem derartigen Schriftsatz deutlich über drei Minuten. Auch die vollständige Übertragung durch die Klägerin am 26. April 2000 benötigte rund vier Minuten.
3. Die Klägerin hat jedoch vorgetragen, sie habe am 9. Juni 2000 11 Seiten in 2 Minuten 34 Sekunden an das Oberlandesgericht gefaxt. Das Berufungsgericht ist auf diesen Vortrag nicht näher eingegangen, weil er nichts über die regelmäßig zu erwartende Dauer einer Telefaxmitteilung von 11 Seiten be-
sage. Dieser Vortrag durfte jedoch nicht unberücksichtigt bleiben. Trifft die Behauptung der Klägerin zu, könnte dies ihre Auffassung stützen, daß sie auch bei der Sendung von 23.57 Uhr noch mit einem rechtzeitigen Eingang rechnen konnte. Das Berufungsgericht wird deshalb nach Vorlage der Sendung vom 9. Juni 2000 zu klären haben, ob diese mit der hier maßgeblichen Sendung vergleichbar ist. Eine derartige Prüfung ist im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Kammer-Beschl. v. 25. September 2000 - 1 BvR 2104/99, MDR 2001, 48, 49) angezeigt.
Das Berufungsgericht wird daher erneut über den Wiedereinsetzungsantrag zu befinden haben.
Wenzel Tropf Schneider Klein Lemke