Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Juli 2017 - X ZB 5/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:250717BXZB5.16.0
bei uns veröffentlicht am25.07.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZB 5/16
vom
25. Juli 2017
in dem Rechtsbeschwerdeverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Phosphatidylcholin

a) Eine Patentanmeldung ist zurückzuweisen, wenn der Gegenstand des Anspruchs
, den der Anmelder zur Prüfung stellt, über den Inhalt der Anmeldung
in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht und dieser Mangel
nach Aufforderung durch die Prüfungsstelle vom Anmelder nicht behoben
wird (Fortführung von BGH, Beschluss vom 17. September 1974
- X ZB 17/73, GRUR 1975, 310 - Regelventil).

b) Die Aufnahme eines Merkmals, wonach die beanspruchte Zubereitung eine
bestimmte Substanz nicht enthalten darf, stellt nicht ohne weiteres eine unzulässige
Erweiterung dar (Abgrenzung zu BGH, Urteil vom 12. Juli 2011
- X ZR 75/08, GRUR 2011, 1109 - Reifenabdichtmittel).
BGH, Beschluss vom 25. Juli 2017 - X ZB 5/16 - Bundespatentgericht
ECLI:DE:BGH:2017:250717BXZB5.16.0

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. Juli 2017 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning, Dr. Grabinski, und Dr. Deichfuß sowie die Richterin Dr. Marx

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde wird der am 11. September 2015 verkündete Beschluss des 14. Senats (Technischen Beschwerdesenats ) des Bundespatentgerichts aufgehoben. Die Sache wird zu anderweiter Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückverwiesen.

Gründe:


1
A. Die Rechtsbeschwerde richtet sich gegen die Zurückweisung einer Patentanmeldung.
2
Die am 16. Mai 2001 eingereichte und als DE 101 23 771 A1 veröffentlichte Anmeldung trägt die Bezeichnung "Verwendung von Elektrolyten zur Stärkung der Barrierefunktion der Haut". Der unabhängige Anspruch 1 hat in der zuletzt beanspruchten Fassung folgenden Wortlaut: Kosmetische, nicht therapeutische Verwendung von
a) 5 - 30 Gew.-% NaCl
b) 5 - 30 Gew.-% Glycerin jeweils bezogen auf das Gesamtgewicht der Zubereitung,

1


c) wobei diese Zubereitungen frei sind von Phosphatidylcholin
d) in Handschutzcrèmes, Reinigungsmilchen, Sonnenschutzlotionen, Nährcrèmes , Tages- oder Nachtcrèmes zur Stärkung der Barrierefunktion der Haut.

1

Merkmal "wobei diese Zubereitungen frei sind von Phosphatidylcholin" nicht ursprünglich offenbart.
Das Patentamt hat die Anmeldung mit der Begründung zurückgewiesen,
3
der Disclaimer nach Buchstabe c des Anspruchs sei nicht ursprünglich offenbart. Die Grundsätze der Entscheidung "Winkelmesseinrichtung" des Bundesgerichtshofs ließen sich auf das Prüfungsverfahren nicht anwenden. Habe der Disclaimer danach außer Betracht zu bleiben, erweise sich der Gegenstand nach Anspruch 1 zumindest nicht als neu gegenüber der Lehre der deutschen Patentanmeldungen 198 57 491, 198 57 490 und 198 57 489.
4
Die Beschwerde der Anmelderin ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Patentgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Anmelderin ihr Begehren aus der Beschwerdeinstanz weiter.
5
B. Das zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Patentgericht.
6
I. Die Anmeldung ist in der im Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahren zu beurteilenden Fassung auf die kosmetische Verwendung von Natriumchlorid und Glycerin in Hautpflegeprodukten gerichtet.
7
1. In der Beschreibung der Anmeldung wird eingangs die Bedeutung der Zusammensetzung der Epidermis für die Barrierefunktion der Haut erläutert. Produkte zur Hautpflege seien an sich bekannt. Deren Wirkung beruhe bei Salben und Cremes im Wesentlichen auf einer Abdeckung der behandelten Hautbezirke und bei pflegenden Reinigungsprodukten auf einer effizienten Rückfettung mit Sebumlipid-ähnlichen Substanzen. Der Beitrag dieser Produkte zur Regeneration einer physiologisch intakten Hornschicht sei allerdings begrenzt. Soweit zur Unterstützung der natürlichen Hautregeneration den topischen Präparaten zunehmend Interzellular-Lipidmischungen, wie Ceramide oder Ceramidanaloga , zugesetzt würden, handele es sich zumeist um sehr teure Rohstoffe , deren Wirkung zudem meist geringer sei als erhofft.
8
Die Anmeldung betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, hautpflegende Zubereitungen zur Verfügung zu stellen, welche die Barriereeigenschaften der Haut wirksamer erhalten oder wiederherstellen.
9
2. Zur Lösung dieses Problems wird in der von der Anmelderin zuletzt vorgelegten Fassung von Anspruch 1 die Verwendung einer Zubereitung mit Natriumchlorid und Glycerin vorgeschlagen, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen: 1. Kosmetische, nicht therapeutische Verwendung von
a) 5 - 30 Gew.-% NaCl
b) 5 - 30 Gew.-% Glycerin in Handschutzcrèmes, Reinigungsmilchen, Sonnenschutzlotionen, Nährcrèmes , Tages- oder Nachtcrèmes zur Stärkung der Barrierefunktion der Haut, 2. wobei sich die Gewichtsangaben auf das Gesamtgewicht der Zubereitungen beziehen, 3. wobei diese Zubereitungen frei sind von Phosphatidylcholin.
3. Dem Schutzbegehren dieses Anspruchs ist folgende technische
10
Lehre zu entnehmen:
11
a) Zur Stärkung der epidermalen Barriere wird der Fachmann angewiesen , bezogen auf das Gesamtgewicht der Zubereitung je 5 - 30 Gewichtsprozent Natriumchlorid und Glycerin beizumischen. Nach den Angaben der Offenlegungsschrift (Abs. 23-26) stimuliert dieses Wirksystem überraschenderweise den hauteigenen Stoffwechsel von Lipiden und Proteinen, die zur Aufrechterhaltung der epidermalen Barriere ständig neu gebildet werden müssen.
12
b) Als hautpflegende Zubereitungen nimmt die Anmeldung allein Handschutz-, Nähr-, Tages- und Nachtcremes sowie Reinigungsmilchen und Sonnenschutzlotionen in den Blick. Hinsichtlich der Formen der Zubereitungen legt sich der Anspruch zwar auf Lotion oder Milch einerseits und Creme andererseits fest und gibt damit Emulsionen bzw. Emulsion-Gel-Strukturen vor. Jedoch wird die Zusammensetzung dieser kosmetischen Zubereitungen im Einzelnen - mit Ausnahme der Vorgaben aus Merkmalen 1 und 3 - ins fachmännische Können und Belieben gestellt. Der Anspruch umfasst im Übrigen jede Zu- bereitung, die die angegebenen Anteile an Kochsalz und Glycerin enthält und für die kosmetische Verwendung geeignet ist. In der Beschreibung heißt es dazu (Abs. 29 und 33), die erfindungsgemäße Zubereitung könne wie üblich zusammengesetzt sein und je nach konkreter Verwendung und struktureller Ausgestaltung kosmetische Hilfsstoffe enthalten, etwa Konservierungsmittel, Bakterizide , Parfüme, Substanzen zum Verhindern des Schäumens, Farbstoffe, Pigmente , Verdickungsmittel, oberflächenaktive Substanzen, Emulgatoren, weichmachende , anfeuchtende und/oder feuchthaltende Substanzen, Fette, Öle, Wachse oder andere übliche Bestandteile einer kosmetischen Formulierung, etwa Antioxidantien (Abs. 39 ff.), UVB- oder UVA-Filter (Abs. 31).
13
c) Eine Beschränkung erfährt der beanspruchte Gegenstand nach Merkmal 3 nur insoweit, als die Zubereitungen frei von Phosphatidylcholin sein müssen. Dabei handelt es sich um Phospholipide, die sich aus Fettsäuren, Glycerin , Phosphorsäure und Cholin zusammensetzen und klassisch als Lecithine bezeichnet werden. Sie sind Bestandteile der Zellmembran tierischer und pflanzlicher Lebewesen, werden industriell vorwiegend aus Soja(roh)öl gewonnen und finden u.a. als Emulgator Verwendung.
14
II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung (BPatG, GRUR 2016, 583) im Wesentlichen wie folgt begründet:
15
Die geänderte Fassung von Anspruch 1, wonach die Zubereitungen frei von Phosphatidylcholin sind, weise ein nicht ursprungsoffenbartes Merkmal auf, das den Gegenstand der Anmeldung unzulässig erweitere. Die Anmelderin habe schon im Verfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt eingeräumt, dass der Anspruch durch die Aufnahme dieses Merkmals über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinausgehe, und die entsprechende Feststellung der Prüfungsstelle im Beschwerdeverfahren nicht in Abrede ge- stellt. Da sie den Mangel der unzulässigen Erweiterung im Erteilungsverfahren nicht beseitigt habe, sei die Anmeldung zurückzuweisen gewesen. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach ein nicht ursprünglich offenbartes, aber den beanspruchten Patentgegenstand lediglich beschränkendes Merkmal grundsätzlich im Anspruch verbleiben könne, indes zur Stützung der Patentfähigkeit des Erfindungsgegenstands nicht herangezogen werden dürfe (BGH, Urteil vom 17. Februar 2015 - X ZR 161/12, BGHZ 204, 199 Rn. 42 mwN - Wundbehandlungsvorrichtung), könne nur für das Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren und das Gebrauchsmusterlöschungsverfahren Geltung beanspruchen , sei jedoch nicht auf das Erteilungsverfahren übertragbar. In diesem stehe das Interesse der Allgemeinheit daran im Vordergrund, dass nur bestandskräftige Patente erteilt werden. Dem berechtigten Interesse des Anmelders an der Gewährung eines angemessenen Schutzes seiner Erfindung werde bereits dadurch Rechnung getragen, dass er von der Prüfungsstelle zunächst auf den Mangel hingewiesen und zu seiner Beseitigung aufgefordert werde und eine Zurückweisung durch Beschluss erst erfolge, wenn der Anmelder dem nicht nachkomme. Die Anmelderin habe konkret keinen rechtlich relevanten Nutzen aufzeigen können, den die Aufnahme eines nicht ursprungsoffenbarten Merkmals haben könne. Die Entscheidungspraxis des Europäischen Patentamts zur Zulässigkeit von Disclaimern rechtfertige keine andere Bewertung.
16
III. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
17
1. Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Patentgerichts, wonach eine Anmeldung zurückzuweisen ist, wenn der Gegenstand des Anspruchs, den der Anmelder zur Prüfung stellt, über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht und dieser Mangel nach Aufforderung durch die Prüfungsstelle vom Anmelder nicht behoben wird (Benkard/Schäfers, PatG, 11. Auflage § 38 Rn. 39 f.; Busse/Keukenschrijver, PatG, 8. Auflage § 38 Rn. 34, Schulte/Moufang, PatG, 10. Auflage § 38 Rn. 19 f.; Mes, PatG, 4. Auflage § 38 Rn. 21; Stortnik in BeckOK, PatR, 5. Edition § 38 Rn. 52a).
18
a) Änderungen der in der Anmeldung enthaltenen Angaben im Verlauf des Prüfungsverfahrens sind unzulässig, sofern sie den Gegenstand der Anmeldung erweitern (§ 38 Abs. 1 PatG). Der Anspruch auf Erteilung eines Patents mit dem durch die Anmeldung herbeigeführten Zeitrang besteht allein im Rahmen des Gegenstands der Anmeldung in ihrer ursprünglichen Fassung. Wird ein entsprechender Mangel nach Aufforderung der Prüfungsstelle vom Anmelder nicht beseitigt, führt dies zur Zurückweisung der Anmeldung (§ 48 Satz 1 i.V. mit § 45 Abs. 1 Satz 1 PatG). Das Gesetz will im Interesse der Rechtssicherheit ausschließen, dass das Patent mit einem unzulässig geänderten Inhalt erteilt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 1974 - X ZB 17/73, GRUR 1975, 310, 312 - Regelventil, zu § 26 Abs. 5 PatG a.F.) und fordert daher die Beseitigung einer unzulässigen Änderung in jedem Verfahrensstadium des Prüfungsverfahrens.
19
b) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist es nicht geboten, die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach bei einem erteilten deutschen oder europäischen Patent, dessen Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, eine Nichtigerklärung oder Löschung nicht erforderlich ist, sofern die Änderung in der Einfügung eines nicht ursprungsoffenbarten Merkmals besteht, die zu einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands führt (BGH, Urteil vom 17. Februar 2015 - X ZR 161/12, BGHZ 204, 199 Rn. 48 mwN - Wundbehandlungsvorrichtung ), auf das Prüfungsverfahren zu übertragen. Diese Rechtsprechung trägt dem Umstand Rechnung, dass der Inhaber nach der Erteilung des Patents daran gehindert ist, das Merkmal zu streichen, das in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart ist, weil dies zu einer Erweiterung des Schutzbereichs führte und damit wiederum einen Widerrufs- oder Nichtigkeitsgrund ausfüllte (§ 22 Abs. 1 PatG, Art. 123 Abs. 3, Art. 138 Abs. 1 Buchst. d EPÜ, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 5 IntPatÜG). Diese Schwierigkeit besteht im Prüfungsverfahren nicht. Denn vor der abschließenden Entscheidung der Behörde hat der Anmelder nicht nur die Möglichkeit, die Einfügung eines nicht ursprungsoffenbarten Merkmals rückgängig zu machen; vielmehr ist er gehalten so zu verfahren, weil anderenfalls die Anmeldung zurückzuweisen ist.
20
2. Unzutreffend ist jedoch die von der Rechtsbeschwerde geteilte Annahme des Patentgerichts, die Aufnahme von Merkmal 3 in Anspruch 1, wonach die Zubereitungen frei sind von Phosphatidylcholin, habe den Gegenstand der Anmeldung unzulässig erweitert.
21
Zur Feststellung einer unzulässigen Erweiterung ist der zur Prüfung gestellte Anspruch mit dem Inhalt der ursprünglichen Unterlagen zu vergleichen. Der Anspruch darf nicht auf einen Gegenstand gerichtet sein, den die Anmeldeunterlagen in der ursprünglich eingereichten Fassung aus Sicht des Fachmanns nicht als zur Erfindung gehörend erkennen lassen. Nach dieser Maßgabe hat die Einfügung von Merkmal 3 in Anspruch 1 nicht zu einer unzulässigen Änderung geführt.
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a) In den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen ist die kosmetische Verwendung einer Zubereitung offenbart, die jeweils bis zu 30 Gewichtsprozent Kochsalz und Glycerin enthält. Weitere ausdrückliche Vorgaben hinsichtlich der Zusammensetzung der Zubereitung sind der Anmeldung nicht zu entnehmen, sie ergeben sich lediglich mittelbar aus der Angabe, dass die Zubereitung der kosmetischen Verwendung in Cremes, Milchen oder Lotionen dienen soll. Die Unterlagen nennen mehrere Gruppen von Substanzen, aus denen die Lipidphase der Emulsion gewählt werden kann. Sofern hierfür Öl Verwendung finden soll, ist wiederum eine Reihe von Stoffgruppen aufgeführt, aus denen dieses gewählt werden kann. Im Übrigen enthält die Beschreibung, wie bereits erwähnt, einen umfassenden Katalog weiterer Substanzen, die in der Zubereitung, je nach den gewünschten Verwendungsmöglichkeiten, enthalten sein können, aber nicht enthalten sein müssen.
23
b) Phosphatidylcholin wird, wenn auch nicht unter dieser Bezeichnung , in den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen nur an zwei Stellen erwähnt. Zum einen wird Sojaöl, eine Lecithinquelle, als eines von zahlreichen Fettsäureglyceriden genannt, welche wiederum als eine von mehreren Gruppen von Substanzen aufgeführt sind, die als Ölphase für die Emulsion gewählt werden können (Abs. 47). Zum anderen wird Lecithin als einer von mehreren Dutzend möglichen Emulgatoren aufgeführt (Abs. 55).
24
c) Aus den Anmeldeunterlagen ergibt sich danach kein Anhalt dafür, dass Phosphatidylcholin notwendiger Bestandteil der Zubereitung ist oder dass seine Zugabe auch nur als vorteilhaft angesehen wird. Dies wird dadurch bestätigt , dass die in der Beschreibung beispielhaft aufgeführten Zubereitungen 1 bis 3 jeweils fünf Gewichtsprozent Glycerin und sieben Prozent Kochsalz, jedoch kein Phosphatidylcholin enthalten (Abs. 101-103).
25
Die Aufnahme von Merkmal 3 in den Anspruch führt auch nicht dazu, dass dieser nunmehr, abweichend von den ursprünglichen Anmeldeunterlagen, auf eine Zusammensetzung gerichtet ist, die nur aus bestimmten Komponenten bestehen darf (vgl. dazu BGH, Urteil vom 12. Juli 2011 - X ZR 75/08, GRUR 2011, 1109 Rn. 35 ff. - Reifenabdichtmittel). Das Merkmal bringt vielmehr nur zum Ausdruck, dass von der nach den ursprünglichen Anmeldeunterlagen möglichen Vielzahl möglicher Zusammensetzungen der Zubereitung solche ausge- nommen sind, die Phosphatidylcholin enthalten. Es dient damit lediglich dazu, den Gegenstand der Anmeldung von dem Stand der Technik abzugrenzen, wie er in den deutschen Offenlegungsschriften DE 198 57 489 bis 492 offenbart wird, in denen jeweils Hautschutzpräparate beschrieben sind, die neben Salzen und Feuchthaltemitteln als notwendigen Bestandteil auch gesättigtes oder ungesättigtes Phosphatidylcholin enthalten.
26
Eine solche Beschränkung des Anspruchs steht im Einklang mit den Kriterien , die die Große Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts zur Zulässigkeit eines Disclaimers zur Herstellung der Neuheit gegenüber dem Stand der Technik entwickelt hat (EPA, Große Beschwerdekammer, Entscheidungen vom 4. April 2004 - G 1/03 und 2/03, ABl. EPA 2004, 413 und 448 - Disclaimer/PPG und Disclaimer/GENETIC SYSTEMS; Entscheidung vom 30. August 2011 - G 2/10, ABl. EPA 2012, 367 - Disclaimer/SCRIPPS). Danach steht es der Zulässigkeit eines Disclaimers im Sinne eines negativ formulierten technischen Merkmals, durch das bestimmte Ausführungsformen oder Bereiche eines allgemein gefassten Merkmals ausgeschlossen werden sollen (EPA ABl. 2012, 376, 390, unter 2.2 der Entscheidungsgründe), entgegen, wenn sich die dadurch bewirkte Beschränkung als technisch relevant erweist (EPA ABl. 2004, 413, 441, unter 2.6.1 der Entscheidungsgründe; ABl. 2012, 376, 403, unter 4.4.2 der Entscheidungsgründe). Im Streitfall sind jedoch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass mit der durch Merkmal 3 bewirkten Beschränkung des Gegenstands eine zusätzliche technische Wirkung einhergeht oder erzielt werden soll oder der Fachmann hierdurch neue technische Informationen erhält.
27
3. Danach kann die Entscheidung des Patentgerichts insoweit keinen Bestand haben, als es die Beschwerde gegen die Versagung der Patenterteilung damit begründet hat, der Gegenstand von Patentanspruch 1 sei gegenüber den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen durch die Aufnahme von Merkmal 3 unzulässig erweitert. Die von der Anmelderin dem Anspruch beigefügte Fußnote ist damit entbehrlich.
28
Da dem Senat eine eigene Sachentscheidung verwehrt ist (§ 108 Abs. 1 PatG), ist die Sache an das Patentgericht zurückzuverweisen.
29
IV. Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich gehalten (§ 107 Abs. 1 Halbsatz 2 PatG).
Meier-Beck Gröning Grabinski
Deichfuß Marx
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 11.09.2015 - 14 W(pat) 30/13 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Juli 2017 - X ZB 5/16

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Patentrecht: unzulässige Erweiterung der Anmeldung

05.10.2017

Die Aufnahme eines Merkmals, wonach die beanspruchte Zubereitung eine bestimmte Substanz nicht enthalten darf, stellt nicht ohne weiteres eine unzulässige Erweiterung dar.
Allgemeines
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Allgemeines

Referenzen - Gesetze

Patentgesetz - PatG | § 22


(1) Das Patent wird auf Antrag (§ 81) für nichtig erklärt, wenn sich ergibt, daß einer der in § 21 Abs. 1 aufgezählten Gründe vorliegt oder der Schutzbereich des Patents erweitert worden ist. (2) § 21 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden.

Patentgesetz - PatG | § 108


(1) Im Falle der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses ist die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückzuverweisen. (2) Das Patentgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt is

Patentgesetz - PatG | § 26


(1) Das Deutsche Patent- und Markenamt ist eine selbständige Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Es hat seinen Sitz in München. (2) Das Deutsche Patent- und Markenamt besteht aus eine

Patentgesetz - PatG | § 38


Bis zum Beschluß über die Erteilung des Patents sind Änderungen der in der Anmeldung enthaltenen Angaben, die den Gegenstand der Anmeldung nicht erweitern, zulässig, bis zum Eingang des Prüfungsantrags (§ 44) jedoch nur, soweit es sich um die Bericht
Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Juli 2017 - X ZB 5/16 zitiert 6 §§.

Patentgesetz - PatG | § 22


(1) Das Patent wird auf Antrag (§ 81) für nichtig erklärt, wenn sich ergibt, daß einer der in § 21 Abs. 1 aufgezählten Gründe vorliegt oder der Schutzbereich des Patents erweitert worden ist. (2) § 21 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden.

Patentgesetz - PatG | § 108


(1) Im Falle der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses ist die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückzuverweisen. (2) Das Patentgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt is

Patentgesetz - PatG | § 26


(1) Das Deutsche Patent- und Markenamt ist eine selbständige Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Es hat seinen Sitz in München. (2) Das Deutsche Patent- und Markenamt besteht aus eine

Patentgesetz - PatG | § 38


Bis zum Beschluß über die Erteilung des Patents sind Änderungen der in der Anmeldung enthaltenen Angaben, die den Gegenstand der Anmeldung nicht erweitern, zulässig, bis zum Eingang des Prüfungsantrags (§ 44) jedoch nur, soweit es sich um die Bericht

Patentgesetz - PatG | § 45


(1) Genügt die Anmeldung den Anforderungen der §§ 34, 37 und 38 nicht oder sind die Anforderungen des § 36 offensichtlich nicht erfüllt, so fordert die Prüfungsstelle den Anmelder auf, die Mängel innerhalb einer bestimmten Frist zu beseitigen. Satz 1

Referenzen - Urteile

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Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Juli 2017 - X ZB 5/16 zitiert 2 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 12. Juli 2011 - X ZR 75/08

bei uns veröffentlicht am 12.07.2011

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 75/08 Verkündet am: 12. Juli 2011 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nei

Bundesgerichtshof Urteil, 17. Feb. 2015 - X ZR 161/12

bei uns veröffentlicht am 17.02.2015

Tenor Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 3. Juli 2012 aufgehoben.

Referenzen

Bis zum Beschluß über die Erteilung des Patents sind Änderungen der in der Anmeldung enthaltenen Angaben, die den Gegenstand der Anmeldung nicht erweitern, zulässig, bis zum Eingang des Prüfungsantrags (§ 44) jedoch nur, soweit es sich um die Berichtigung offensichtlicher Unrichtigkeiten, um die Beseitigung der von der Prüfungsstelle bezeichneten Mängel oder um Änderungen des Patentanspruchs handelt. Aus Änderungen, die den Gegenstand der Anmeldung erweitern, können Rechte nicht hergeleitet werden.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 3. Juli 2012 aufgehoben.

Das europäische Patent 1 088 569 wird mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt, soweit sein Gegenstand über folgende Fassung der Patentansprüche hinausgeht:

"1. Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks auf eine Oberflächenwunde in einem Säuger, die umfasst: ein poröses Polster (102) aus offenem, eine Verbindung schaffendem, zellförmigen Weichschaum, eine Pumpe (6), eine Saugleitung (101) zum Verbinden des porösen Polsters mit der Pumpe (6), einem Verbinder zum Verbinden des Polsters mit der Saugleitung, eine chirurgische Abdeckung (701) zum Bilden einer luftdichten Abdichtung über der Wundstelle, über dem Polster und über dem Verbinder, wobei der Verbinder einen Ausguss (602) zum Verbinden des von der Pumpe (6) ferngelegenen Endes der Saugleitung (101) mit der Wundstelle aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass der Verbinder eine scheibenartige Schale (601) umfasst, deren untere Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt steht, und wobei die Saugleitung (101) als innere Bohrung (606) in einer Multilumenleitung ausgebildet ist, die ferner Kanäle (607) umfasst, mittels deren ein Aufnehmer (108) den Druck an der Wundstelle misst.

2. Vorrichtung nach Anspruch 1, wobei das poröse Polster (102) einen Polyvinylalkoholschaum umfasst.

3. Vorrichtung nach Anspruch 1 oder 2, wobei die chirurgische Abdeckung (701) ein Loch (702) für den Ausguss (602) aufweist, durch das dieser sich hindurch erstreckt.

4. Vorrichtung nach Anspruch 3, wobei die chirurgische Abdeckung (701) eine Kunststofffolie (701) umfasst, die mit einem druckempfindlichen Klebstoff zum Befestigen des porösen Polsters (102) und des Verbinders an der Wunde beschichtet ist."

Im Übrigen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Patentgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 088 569 (Streitpatents), das aus einer am 8. Januar 2001 eingereichten Teilanmeldung hervorgegangen ist. Diese geht zurück auf eine als WO 97/18007 veröffentlichte internationale Patentanmeldung vom 14. November 1996 (Stammanmeldung), die beim Europäischen Patentamt als europäische Anmeldung 865 304 geführt wird. Das Streitpatent betrifft eine tragbare Wundbehandlungseinrichtung und umfasst fünf Patentansprüche. Patentanspruch 1, auf den die weiteren Ansprüche unmittelbar oder mittelbar rückbezogen sind, lautet in der Verfahrenssprache:

"Apparatus for applying negative pressure to a superficial wound in a mammal which comprises a porous pad (102) of open, intercommunicating cellular flexible foam, a pump (6), a suction tube (101) for connecting the porous pad to the pump (6), a connector for connecting the pad to the suction tube, a surgical drape (701) for forming an air-tight seal over the wound site, over the pad and over the connector, said connector having a spout (602) for connecting the end of the suction tube (101) remote from the pump (6) to the wound site, characterized in that the connector comprises a disc-like cup (601) having its lower face in contact with said porous pad."

2

Die Klägerin zu 1 hat das Streitpatent in vollem Umfang, die Klägerin zu 2 im Umfang der Patentansprüche 1 bis 4 angegriffen. Die Klägerinnen haben geltend gemacht, der Gegenstand von Patentanspruch 1 sei nicht patentfähig und beruhe auf einer unzulässigen Erweiterung. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung und mit zuletzt sechs Hilfsanträgen verteidigt. Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt.

3

Gegen das Urteil des Patentgerichts wendet sich die Berufung der Beklagten, die in erster Linie weiterhin die Abweisung der Klagen begehrt und hilfsweise das Streitpatent in beschränkten Anspruchsfassungen verteidigt. Die Klägerinnen treten dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe

4

I. Das Streitpatent betrifft eine tragbare Vorrichtung zur Wundbehandlung.

5

1. Nach der Schilderung der Streitpatentschrift waren im Stand der Technik, etwa aus der internationalen Anmeldung WO 96/05873, Vorrichtungen zur Behandlung von Wunden bekannt, bei denen der Wundheilungsprozess durch Anlegen von Unterdruck gefördert werde. Eine solche Vorrichtung umfasse ein poröses, für Flüssigkeiten durchlässiges Polster, das in die Wunde eingeführt werden könne, einen Verband, mit dem die Wunde abgedeckt und luftdicht abgedichtet werde, eine Abflussleitung, die das Polster mit einer Saugpumpe verbinde, so dass Unterdruck an die Wunde angelegt und Flüssigkeiten aus dieser abgesaugt werden könne, und schließlich einen Behälter, in dem die abgesaugte Flüssigkeit gesammelt werde.

6

Wie eine solche, im Stand der Technik bekannte Vorrichtung aussieht, zeigt beispielsweise die Figur 10 der erwähnten internationalen Anmeldung,

Abbildung

bei der Bezugszeichen 210 die Wunde, Bezugszeichen 36 ein poröses, flüssigkeitsdurchlässiges Schaumstoffpolster (foam pad), Bezugszeichen 37 den Schlauch und Bezugszeichen 43 die luftdichte Wundabdeckung bezeichnet.

7

Das technische Problem, welches das Streitpatent lösen soll, besteht darin, eine Vorrichtung bereitzustellen, die eine solche Wundbehandlung mit Unterdruck bequemer macht und ihre Anwendung insbesondere auch bei mobilen, also nicht bettlägerigen Patienten erlaubt.

8

2. Zur Lösung dieses Problems schlägt die Streitpatentschrift eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor (Gliederungspunkte des Patentgerichts in eckigen Klammern):

Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks auf eine Oberflächenwunde in einem Säuger [1], umfassend

1. ein poröses Polster (102) aus offenem, eine Verbindung schaffendem, zellförmigen Weichschaum (a porous pad of open, intercommunicating cellular flexible foam); [1.1]

2. eine Pumpe (6); [1.2]

3. eine Saugleitung (101) zum Verbinden des porösen Polsters mit der Pumpe; [1.3]

4. einen Verbinder zur Verbindung des Polsters mit der Saugleitung [1.4], der

a) einen Ausguss (spout) (602) zum Verbinden des von der Pumpe ferngelegenen Endes der Saugleitung (101) mit der Wundstelle aufweist, [1.6]

b) eine scheibenartige Schale (a disc-like cup) (601) umfasst, deren untere Fläche (lower face) mit dem porösen Polster in Kontakt steht; [1.7a und 1.7b]

5. eine chirurgische Abdeckung (701) zum Bilden einer luftdichten Abdichtung über der Wundstelle, über dem Polster und über dem Verbinder. [1.5]

9

3. Einige Merkmale bedürfen der Erläuterung:

10

a) Der Verbinder weist nach Merkmal 4a einen Ausguss (spout) auf, der dazu dient, das von der Pumpe entfernte Ende der Saugleitung mit der Wundstelle zu verbinden, während im Stand der Technik, wie etwa aus der oben wiedergegebenen Figur 10 ersichtlich, das Ende des Schlauchs in das Weichschaumstoffpolster eingeführt wurde. Nach der Beschreibung kann entweder der Ausguss das Ende des Schlauchs aufnehmen oder aber das Schlauchende in den Ausguss eingesetzt und zusätzlich in den Schaum gedrückt werden (Sp. 5, Z. 37 bis 39 und Z. 45 bis 47). Die Anordnung und Größe des Ausgusses überlässt das Streitpatent dem Fachmann, bei dem es sich hier, wie das Patentgericht unbeanstandet angenommen hat, um einen Diplom-Ingenieur der Medizintechnik handelt, der mit der Entwicklung von Unterdruck-Vorrichtungen zur Behandlung von Wunden vertraut ist und für die medizinischen Aspekte der Wundheilung einen entsprechend kundigen Arzt konsultiert.

11

b) Der Verbinder umfasst nach Merkmal 4b eine scheibenartige Schale (disc-like cup). Es handelt sich demnach um eine Vorrichtung, die einerseits die Form einer Schale aufweist, also nicht völlig eben ist, sondern an ihrem Rand aus dieser Ebene heraus gebogen ist, andererseits aber scheibenartig, also flach ausgestaltet ist. Unter einer scheibenartigen Schale versteht das Streitpatent mithin eine Schale, deren Höhe deutlich geringer ist als ihr Durchmesser. Ein solches Verständnis des Merkmals wird auch dadurch nahegelegt, dass die Wundheilungsvorrichtung am Körper getragen können werden soll (vgl. Figuren 3A und 3B), weshalb es vorteilhaft ist, sie möglichst flach zu halten. Hierfür spricht weiter, dass die Figuren 6B und 6C Schalen zeigen, die praktisch flach sind und nur einen minimal aufgebogenen Rand aufweisen.

12

Für diese Auslegung spricht ergänzend, dass das Streitpatent in den Absätzen 6 und 7 die internationale Anmeldung WO 94/20041 (VP4 = D1) als nächstliegenden Stand der Technik bezeichnet, deren Inhalt der Oberbegriff von Patentanspruch 1 wiedergebe. Der Umstand, dass Patentanspruch 1 das Merkmal 4b als einziges kennzeichnendes Merkmal ausweist, legt den Schluss nahe, dass die in D1 in den dortigen Figuren 2 bis 5 mit den Bezugszeichen 29a, 29b, 29c und 29d gekennzeichneten Vorrichtungen nicht als scheibenartig anzusehen sein sollen. Die Auffassung der Klägerin zu 1, Absätze 6 und 7 des Streitpatents seien bei der Auslegung nicht zu berücksichtigen, weil sie in der Stammanmeldung nicht enthalten waren, trifft nicht zu. Bei der Ermittlung der mit einem Patentanspruch gegebenen Lehre sind Beschreibung und Zeichnungen heranzuziehen, die die technische Lehre des Patentanspruchs erläutern und veranschaulichen und daher nach ständiger Rechtsprechung nicht nur für die Bestimmung des Schutzbereichs (Art. 69 Abs. 1 EPÜ, § 14 PatG), sondern ebenso für die Auslegung des Patentanspruchs heranzuziehen sind. Dabei darf der Patentanspruch weder nach Maßgabe dessen ausgelegt werden, was sich nach Prüfung des Standes der Technik als patentfähig erweist, noch nach Maßgabe des Sinngehalts der Ursprungsunterlagen. Grundlage der Auslegung ist vielmehr allein die Patentschrift (BGH, Urteil vom 17. Februar 2012 - X ZR 117/11, BGHZ 194, 107 Rn. 27 f. - Polymerschaum).

13

Merkmal 4b besagt weiter, dass die Unterseite der scheibenartigen Schale mit dem porösen Polster in Kontakt steht, was dahin zu verstehen ist, dass die konkave Seite der Schale mit dem Polster in einem flächigen Kontakt steht. Nach der Beschreibung des Streitpatents wird die Schale auf die poröse Abdeckung der Wunde gedrückt und durch eine chirurgische Abdeckung gesichert (Sp. 5 Z. 43 bis 45). Berücksichtigt man einerseits, dass die Schale scheibenartig, also flach ausgebildet ist, und andererseits, dass das poröse Polster aus Weichschaumstoff besteht, also nachgiebig ist, ergibt sich hieraus für den Fachmann, dass die Schale zwar nicht notwendigerweise vollflächig, aber auch nicht nur punktuell oder mit ihrem Rand, also entlang einer Linie auf dem Polster aufsitzt, sondern im Wesentlichen flächig auf diesem aufliegt. Aus fachlicher Sicht besagt dies, dass der Innenraum der Schale jedenfalls im Wesentlichen mit dem aus Weichschaum bestehenden Polster ausgefüllt ist, so dass keine größeren Freiräume bestehen bleiben. Dieses Verständnis des Merkmals ergibt sich für den Fachmann auch daraus, dass eine solche Gestaltung zu dem gewünschten, für eine tragbare Vorrichtung vorteilhaften flachen Aufbau beiträgt.

14

Angaben über die Größe der Schale, insbesondere dazu, ob sie so dimensioniert sein muss, dass sie das gesamte Weichschaumstoffpolster abdeckt, sind Patentanspruch 1 nicht zu entnehmen.

15

c) Nach Merkmal 5 umfasst die Vorrichtung eine chirurgische Abdeckung zur Herstellung einer luftdichten Abdichtung über Wundstelle, Polster und Verbinder. Daraus ergibt sich, dass nicht nur das Polster, sondern auch der Verbinder unter der chirurgischen Abdeckung liegen muss.

16

II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

17

Das Streitpatent sei vollen Umfangs für nichtig zu erklären, weil sein Gegenstand in sämtlichen verteidigten Fassungen über den Inhalt der früheren Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe. Das Merkmal M1.7b, wonach die untere Fläche der vom Verbinder umfassten scheibenartigen Schale mit dem porösen Polster in Kontakt stehe, sei der Gesamtheit der ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend zu entnehmen. In der Stammanmeldung sei nicht offenbart, dass der Verbinder der beanspruchten Vorrichtung eine scheibenartige Schale umfasse, deren untere Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt stehe. Den Figuren 6A bis 6D der Stammanmeldung sei solches nicht zu entnehmen. Auch aus der Gesamtoffenbarung der Stammanmeldung ergebe sich nicht, dass die Schale so ausgestaltet sein müsse, dass ihre untere Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt stehe, ebenso bleibe offen, mit welchem Anteil bzw. in welchem Umfang die Unterseite der Schale mit dem Polster in Kontakt stehe.

18

Die Einfügung des Merkmals M1.7b könne nicht als bloße Einschränkung des Gegenstands des Anspruchs 1 verstanden werden, sondern führe zu einer anderen Lehre (Aliud). Während der Fachmann den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen die Lehre entnehme, dass die scheibenförmige Schale so ausgebildet sei, dass sie mit dem Rand, jedenfalls aber nicht mit der unteren Fläche auf das poröse Polster aufgesetzt werde, setze das eingefügte Merkmal genau dies voraus. Da sämtliche Hilfsanträge dieses Merkmal aufwiesen, seien sie unzulässig. Ob der weitere Nichtigkeitsgrund fehlender Patentfähigkeit vorliege, könne damit dahinstehen.

19

III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsrechtszug nicht in vollem Umfang stand.

20

1. Im Ergebnis zu Recht hat das Patentgericht angenommen, dass der Gegenstand der erteilten Fassung von Patentanspruch 1 über den Inhalt der Stammanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.

21

a) Nach Art. II § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 IntPatÜbkG ist ein europäisches Patent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären, wenn sein Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Der danach maßgebliche Inhalt der Anmeldung ist anhand der Gesamtheit der ursprünglich eingereichten Unterlagen zu ermitteln. Er ist nicht auf den Gegenstand der in der Anmeldung formulierten Patentansprüche beschränkt. Entscheidend ist vielmehr, was der mit durchschnittlichen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattete Fachmann des betreffenden Gebiets der Technik den ursprünglichen Unterlagen als zur Erfindung gehörend entnehmen kann (BGHZ 194, 107 Rn. 45 - Polymerschaum).

22

b) Eine unzulässige Erweiterung ist hier darin zu sehen, dass die erfindungsgemäße Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks auf eine Oberflächenwunde nur durch ein poröses Polster, eine Pumpe, eine Saugleitung, einen Verbinder mit scheibenartiger Schale und Ausguss zur Verbindung des Polsters mit der Saugleitung sowie eine chirurgische Abdeckung gekennzeichnet ist. In dieser allgemeinen Form ist die Vorrichtung in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen - das ist hier die Stammanmeldung - nicht als erfindungsgemäß offenbart.

23

aa) Die Beschreibung der Stammanmeldung geht wie diejenige des Streitpatents von der internationalen Patentanmeldung WO 96/05873 aus. Die dort beschriebene Vorrichtung sei wirksam zur Behandlung einer Vielzahl von Wunden unterschiedlicher Art und Größe. Jedoch könne die Behandlung eine längere Zeit in Anspruch nehmen, was nicht bei einem bettlägerigen, wohl aber bei einem nicht an das Bett gebundenen Patienten ein Problem darstelle. Als Aufgabe der Erfindung wird es bezeichnet, eine Vorrichtung bereitzustellen, die in der Anwendung komfortabler ist, insbesondere bei in gewissem Umfang mobilen Patienten, und weitere aus der Beschreibung ersichtliche Vorteile aufweist. Hierzu wird zunächst eine tragbare Vorrichtung zur Stimulierung der Wundheilung vorgeschlagen, die ein Gehäuse mit einer Saugpumpe und einem Behälter zur Aufnahme abgesaugter Wundflüssigkeit enthält und Mittel zur Verbindung mit Verbandmaterial in der Wundregion sowie einen Tragegurt oder Gürtel zum Abstützen des Gehäuses umfasst, wobei die zweckmäßige Ausgestaltung des Gehäuses, der Saugpumpe und ihres Antriebs sowie des Behälters näher beschrieben wird.

24

Sodann wird erörtert, dass es bei einer tragbaren Vorrichtung schwieriger sei als bei der im Stand der Technik beschriebenen statischen, den an der zu behandelnden Wundstelle herrschenden Druck zu bestimmen, da er teilweise von der hydrostatischen Höhe zwischen Pumpe und Wunde abhänge und diese sich in Abhängigkeit von den Bewegungen des Patienten verändere. Dieses Problem soll durch eine zusätzliche Leitung gelöst werden, die die Wundstelle mit vorzugsweise in dem Gehäuse untergebrachten Druckerfassungsmitteln verbindet. Diese könnten wiederum mit einem Mikroprozessor verbunden sein, der für die Einhaltung eines vorbestimmten Druckbereichs sorge. Eine solche Einrichtung lasse sich auch bei einer nicht-tragbaren Vorrichtung verwenden. Sie erlaube es auch, über die veränderten Druckverhältnisse einen vollständig mit Wundflüssigkeit gefüllten Behälter zu detektieren.

25

Diesen allgemeinen Ausführungen folgt die Beschreibung der in den Zeichnungen dargestellten Ausführungsformen. Dabei wird unter Bezugnahme auf Figur 1 u.a. ein als Saugleitung dienender Schlauch 101 und ein zweiter Schlauch 106 beschrieben, der die Wundstelle zur Messung oder Überwachung des Drucks mit einem Druckentlastungsventil 8 und einem Messfühler 108 verbindet. Die Schläuche 101 und 106 könnten in einem mehrlumigen Schlauch (multi-lumen tube) kombiniert werden. Dies wird als bevorzugt und in den Figuren 5A bis 5F und in modifizierter Form in 6E dargestellt bezeichnet. Sodann kommt die Beschreibung auf die Figuren 6A bis 6D zu sprechen, die verschiedene Ansichten eines Verbinders zum Anschließen des mehrlumigen Schlauchs an die Wundstelle zeigten. Nur an dieser Stelle wird der Verbinder dahin beschrieben, dass er eine scheibenförmige Schale umfasst, die einen Ausguss aufweist, der so bemessen ist, dass er das Ende des mehrlumigen Schlauchs aufnehmen kann (S. 8).

26

In Übereinstimmung mit diesen Ausführungen der Beschreibung ist Anspruch 1 der Anmeldung auf eine tragbare Vorrichtung mit Gehäuse, Saugpumpe, Behälter und Tragegurt gerichtet, der nebengeordnete Anspruch 3 auf eine Behandlungsvorrichtung u.a. mit Druckerfassungsmitteln und der ebenfalls nebengeordnete Anspruch 5 auf eine Behandlungsvorrichtung u.a. mit einer Saugleitung und einer zusätzlichen Leitung, die ein poröses Polster mit eine Überwachung des Drucks an der Wundstelle ermöglichenden Druckerfassungsmitteln verbindet.

27

Die in der Stammanmeldung offenbarten Ausführungsformen der Erfindung werden damit zum einen durch die eine Tragbarkeit erlaubenden Mittel (Anspruch 1), zum anderen durch Mittel gekennzeichnet, die eine Druckerfassung ermöglichen (Ansprüche 3 und 5). Nur im Kontext der Druckerfassung und der hierzu neben der Saugleitung erforderlichen zweiten Leitung findet der Verbinder Erwähnung. Die Saugleitung und die Druckerfassungsleitung können in einer unterteilten Schlauchleitung (multi-partitioned tube) zusammengefasst werden (Stammanmeldung S. 5 unten), und der Ausguss des Verbinders kann diesen mehrlumigen Schlauch aufnehmen.

28

bb) Dem ist nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen, dass als zum Patentschutz angemeldete Erfindung auch eine Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks auf eine Oberflächenwunde beschrieben wird, die weder Mittel aufweist, die ihre Tragbarkeit sicherstellen, noch Mittel, die es ermöglichen, den Druck an der Wundstelle zu erfassen, sondern lediglich aus einem porösen Polster, einer chirurgischen Abdeckung, einer Pumpe, einer Saugleitung und einem Polster und Saugleitung verbindenden Verbinder bestehen, der einen die Saugleitung aufnehmenden Ausguss und eine scheibenartige Schale umfasst.

29

Allerdings ist eine Fassung des Patentanspruchs, die gegenüber den ursprünglichen Anmeldeunterlagen eine Verallgemeinerung enthält, nicht unter allen Umständen ausgeschlossen. In Bezug auf die Frage, ob die Priorität einer Voranmeldung zu Recht in Anspruch genommen wird, hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass dies unter der Voraussetzung zulässig ist, dass sich die in der Voranmeldung anhand eines Ausführungsbeispiels oder in sonstiger Weise beschriebenen Anweisungen für den Fachmann als Ausgestaltung der in der Nachanmeldung umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellen und diese Lehre in der in der Nachanmeldung offenbarten Allgemeinheit bereits der Voranmeldung als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist (BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 - X ZR 107/12, BGHZ 200, 63 Rn. 25 - Kommunikationskanal). Die gleichen Maßgaben gelten für die Frage danach, ob der erteilte Patentanspruch gegenüber den ursprünglichen Anmeldeunterlagen eine unzulässige Erweiterung aufweist.

30

Nach dieser Maßgabe beruht Patentanspruch 1 auf einer unzulässigen Erweiterung. Der Fachmann vermag den ursprünglichen Anmeldeunterlagen nicht ohne weiteres die allgemeine technische Lehre zu entnehmen, Polster und zur Pumpe führende Saugleitung einer Unterdruckvorrichtung durch eine Einrichtung zu verbinden, die einen Ausguss zur Aufnahme der Saugleitung und eine scheibenartige Schale zur Aufnahme des Polsters umfasst.

31

Der Verbinder ist in der Stammanmeldung vielmehr nur als Element einer Vorrichtung offenbart, in der er den konkret beschriebenen Zweck erfüllt, die Anbindung eines mehrlumigen Schlauchs an die Wundstelle zu gewährleisten. Er steht mithin in untrennbarem Zusammenhang mit einer Wundbehandlungsvorrichtung, die auch ein Druckerfassungsmittel aufweist, wobei die hierfür erforderliche weitere Leitung mit der ohnehin erforderlichen Saugleitung vorzugsweise in einem mehrlumigen Schlauch zusammengefasst ist, der von dem Ausguss des Verbinders aufgenommen wird. Weder Beschreibung noch Ansprüche der Stammanmeldung bieten einen Anhalt für die Annahme, der Fachmann entnehme ihr, dass ihm mit der Ausgestaltung des Verbinders als mit einem Ausguss oder einer Tülle versehener flacher Schale eine Ausführungsform der Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks vorgestellt wird, für die unabhängig von den Ausführungsformen, die sich mit der tragbaren Ausgestaltung oder den Mitteln zur Druckerfassung beschäftigen, Patentschutz angestrebt wird und die mithin - für sich betrachtet - als zu der angemeldeten Erfindung gehörend offenbart wird.

32

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Stammanmeldung kurz vor der oben genannten Passage der Beschreibung des Ausführungsbeispiels auch eine Leitung erwähnt, die nur eine Bohrung aufweist (single bore tube, S. 7 unten). Der betreffenden Passage ist lediglich zu entnehmen, dass die ansonsten vorgesehene geteilte Leitung (partitioned tube) nicht bis zur Wundstelle reichen muss, sondern an ihrem Ende ein kurzes Stück einer einlumigen Leitung aufweisen kann. Dem entspricht es, dass - etwas später (S. 8 Mitte) - ausgeführt wird, dass, sofern dies gewünscht wird, das Ende der Leitung auch durch den Ausguss führen und bis in den Weichschaum reichen kann. Dies ändert nichts daran, dass an den genannten Stellen im Grundsatz weiterhin ein mehrlumiger Schlauch gemeint ist, und vermag den sich aus dem Gesamtinhalt der Beschreibung ergebenden Zusammenhang der Offenbarung der Ausgestaltung des Verbinders mit einer Vorrichtung zum Ausüben und Überwachen eines Unterdrucks nicht in Frage zu stellen.

33

c) Danach hat das Patentgericht im Ergebnis zutreffend angenommen, dass Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung auf einer unzulässigen Erweiterung beruht und daher keinen Bestand haben kann. Eine andere Beurteilung ist auch nicht dadurch gerechtfertigt, dass das Streitpatent aus einer Teilanmeldung hervorgegangen ist. Die Anforderungen an die Ursprungsoffenbarung sind in einem solchen Fall nicht geringer.

34

2. Dagegen hält das angefochtene Urteil der Nachprüfung nicht stand, soweit das Patentgericht angenommen hat, der ehemalige Hilfsantrag 6 neu, den die Beklagte nunmehr als Hilfsantrag I stellt, beruhe auf einer unzulässigen Erweiterung.

35

Nach Hilfsantrag I wird Patentanspruch 1 um ein weiteres Merkmal ergänzt, wonach die Saugleitung (101) als innere Bohrung (606) in einer Multilumenleitung ausgebildet ist, die ferner Kanäle (607) umfasst, mittels deren ein Aufnehmer (108) den Druck an der Wundstelle misst (Merkmal 6).

36

Die beschränkte Verteidigung der Beklagten mit diesem Hilfsantrag ist - entgegen der Auffassung des Patentgerichts - zulässig.

37

a) Das zusätzliche Merkmal 6 gewährleistet, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht aus den dargelegten Gründen über den Inhalt der Stammanmeldung hinausgeht. Die Verallgemeinerung, die nach den Ausführungen oben (unter III 1) eine unzulässige Erweiterung begründete, ist dadurch rückgängig gemacht worden, dass der Aufnehmer 108 als Druckerfassungsmittel und die durch die Kanäle 607 einer Multilumenleitung ausgebildete zweite Leitung zur Verbindung zwischen Polster und Pumpe in den Patentanspruch aufgenommen worden sind und die Ausgestaltung des Verbinders in diesen Kontext gestellt worden ist, weil die vom Ausguss aufgenommene Saugleitung die innere Bohrung 606 der Multilumenleitung bildet.

38

b) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 beruht zwar insoweit auf einer unzulässigen Erweiterung, als in Merkmal 4b über die scheibenartige Schale ausgesagt ist, dass sie mit ihrer unteren Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt steht. Dies führt jedoch nicht zur Unzulässigkeit der beschränkten Verteidigung des Streitpatents nach Hilfsantrag I.

39

aa) Nach Merkmal 4b steht die scheibenartige Schale mit ihrer unteren Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt. Wie oben ausgeführt, versteht der Fachmann dieses Merkmal dahin, dass die konkave Seite der Schale mit dem Polster in einem flächigen Kontakt steht.

40

Ein solcher flächiger Kontakt zwischen der konkaven Seite der Schale und dem Polster ist in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart. Die Stammanmeldung zeigt in den Figuren 6B und 6C sehr flache Schalen. Ferner kann ihr, insbesondere durch den Verweis auf die internationale Anmeldung WO 96/05873, aus der die oben wiedergegebene Figur 10 stammt, entnommen werden, wie ein Polster, mit dem die Wunde abgedeckt wird, gestaltet sein kann. Aus der Stammanmeldung ist jedoch nicht ersichtlich, wie die scheibenartige Schale auf das Polster aufgesetzt wird. Es wird dort lediglich erläutert, die Schale werde auf die poröse Wundabdeckung gedrückt und durch eine chirurgische Abdeckung gesichert (the cup (601) is pressed onto the porous dressing and secured by a surgical drape, Stammanmeldung S. 8). Auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich um ein Polster aus Weichschaumstoff handelt, ergibt sich aus diesen Angaben für den Fachmann nicht unmittelbar und eindeutig, dass die scheibenartige Schale mit ihrer unteren Fläche mit dem porösen Polster in flächigem Kontakt steht. Denn ob bei Befolgen dieser Anweisung ein flächiger Kontakt entsteht, hängt aus fachlicher Sicht von mehreren Umständen ab, insbesondere von der Höhe der Schale, vom Verhältnis der Größen von Schale einerseits und Polster andererseits, von der Festigkeit oder Nachgiebigkeit des Polsters und vom Maß des Drucks, mit dem die Schale auf das Polster gepresst wird. Zu allen diesen Umständen enthält die Stammanmeldung keine näheren Angaben.

41

bb) Dies führt jedoch nicht dazu, dass die Verteidigung der Beklagten mit Hilfsantrag I unzulässig ist.

42

(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu deutschen Patenten und Gebrauchsmustern müssen solche Schutzrechte, wenn ihr Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, nicht für nichtig erklärt oder gelöscht werden, sofern die Änderung in der Einfügung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht offenbarten Merkmals besteht, die zu einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands führt. Dagegen ist die Nichtigerklärung oder Löschung nicht zu vermeiden, wenn die Änderung dazu führt, dass der Gegenstand der Anmeldung gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen zu einem Aliud abgewandelt wird (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2000 - X ZR 184/98, GRUR 2001, 140 - Zeittelegramm; Beschluss vom 21. Oktober 2010 - Xa ZB 14/09, GRUR 2011, 40 - Winkelmesseinrichtung; Urteil vom 21. Juni 2011 - X ZR 43/09, GRUR 2011, 1003 - Integrationselement; Beschluss vom 6. August 2013 - X ZB 2/12, GRUR 2013, 1135 - Tintenstrahl-drucker). Die Frage, ob diese Rechtsprechung auch auf europäische Patente Anwendung findet, hat der Bundesgerichtshof bislang offen gelassen (BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 19 - Winkelmesseinrichtung). Sie ist - entgegen der Auffassung des Bundespatentgerichts (Urteil vom 8. April 2014, Mitt. 2014, 436 - Fettabsaugevorrichtung) - zu bejahen.

43

(2) Der angeführten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt die Überlegung zugrunde, dass die unzulässige Änderung des Gegenstands des Patents gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen dessen Widerruf oder Nichtigerklärung nicht erfordert, wenn den berechtigten Interessen Dritter, insbesondere der Wettbewerber des Patentinhabers, und der Öffentlichkeit durch weniger schwerwiegende Maßnahmen Rechnung getragen werden kann.

44

Danach ist der Widerruf oder die Nichtigerklärung des Patents nicht geboten, wenn der Gegenstand des Patents gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen in unzulässiger Weise verallgemeinert worden ist. In diesem Fall kann die unzulässige Erweiterung dadurch behoben werden, dass die unzulässige Verallgemeinerung aus dem Patentanspruch gestrichen wird (BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 14 - Winkelmesseinrichtung; BGH, GRUR 2011, 1003 Rn. 19 - Integrationselement; ebenso EPA, Entscheidung der Großen Beschwerdekammer vom 2. Februar 1994 - G 1/93, GRUR Int. 1994, 842 Rn. 11 - beschränkendes Merkmal/Advanced Semiconductor Pro-ducts).

45

Der Widerruf oder die Nichtigerklärung des Patents ist andererseits unumgänglich, wenn die Hinzufügung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht offenbarten Merkmals dazu führt, dass der Patentanspruch des erteilten Patents eine andere Erfindung zum Gegenstand hat als die ursprüngliche Anmeldung, wenn das Patent also etwas schützt, das gegenüber dem der Fachwelt durch die ursprünglichen Unterlagen Offenbarten ein "Aliud" darstellt (BGH, GRUR 2001, 140, 141 - Zeittelegramm; BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 21 - Winkelmesseinrichtung; BGH, GRUR 2011, 1003 Rn. 27 - Integrationselement; BGH, GRUR 2013, 1135 Rn. 16 - Tintenstrahldrucker). Die Aufrechterhaltung eines solchermaßen geänderten Anspruchs gefährdete die Rechtssicherheit für Dritte, die darauf vertrauen dürfen, dass aus der Patentanmeldung kein Patent hervorgeht, das einen weiteren oder anderen Gegenstand hat als denjenigen, der in der Anmeldung offenbart worden ist. Die Aufrechterhaltung eines mit dem Einspruch oder der Nichtigkeitsklage angegriffenen Patents mit der Maßgabe, dass das in Rede stehende Merkmal im Patentanspruch verbleibt, der Patentinhaber daraus aber keine Rechte herleiten kann, scheidet in einem solchen Fall aus, weil sie dazu führen würde, dass das Patent in der Fassung nach dem Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren einen anderen Gegenstand hätte als ursprungsoffenbart (BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 23 - Winkelmesseinrichtung).

46

Der Widerruf oder die Nichtigerklärung eines Patents ist dagegen nicht erforderlich, wenn die Einfügung eines Merkmals, das in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart ist, zu einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands führt. In einem solchen Fall wird den berechtigten Interessen der Öffentlichkeit dadurch Rechnung getragen, dass das einschränkende Merkmal im Patentanspruch verbleibt und zugleich dafür gesorgt wird, dass im Übrigen aus der Änderung Rechte nicht hergeleitet werden können, insbesondere das nicht offenbarte Merkmal bei der Prüfung der Patentfähigkeit insoweit außer Betracht zu lassen ist, als es nicht zur Stützung der Patentfähigkeit herangezogen werden darf (BGH, GRUR 2001, 140, 142 f. - Zeittelegramm; BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 16 - Winkelmesseinrichtung; BGH, GRUR 2011, 1003 Rn. 24 - Integrationselement; BGH, GRUR 2013, 1135 Rn. 16 - Tintenstrahldrucker).

47

(3) Diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht nicht in Widerspruch zu den Regelungen des Europäischen Patentübereinkommens.

48

Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts führt die Aufnahme eines einschränkenden, in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbarten Merkmals in den Patentanspruch regelmäßig zum Widerruf des Patents nach Art. 123 Abs. 2, 100 Buchstabe c EPÜ. Falle ein solches Merkmal unter Art. 123 Abs. 2 EPÜ, könne es weder im Patent beibehalten noch ohne Verstoß gegen Art. 123 Abs. 3 EPÜ aus den Ansprüchen gestrichen werden. Das Patent könne nur dann - ausnahmsweise - aufrechterhalten werden, wenn die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung eine Grundlage dafür biete, dass die einschränkenden Merkmale ohne Verstoß gegen Art. 123 Abs. 3 EPÜ durch andere ersetzt werden könnten (Entscheidung der Großen Beschwerdekammer vom 2. Februar  1994 - G 1/93, GRUR Int. 1994, 842 Rn. 12 f. - beschränkendes Merkmal/Advanced Semiconductor Products).

49

Bundespatentgericht und Bundesgerichtshof wenden bei der Entscheidung über die Nichtigerklärung eines europäischen Patents, das mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilt worden ist, nicht Art. 123 Abs. 2 und 3 EPÜ an, sondern entscheiden auf der Grundlage von Art. II § 6 IntPatÜbkG. Mit der Schaffung dieser Norm hat der nationale Gesetzgeber von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Gründe für die Nichtigerklärung eines europäischen Patents für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland nach Maßgabe von Art. 138 EPÜ aufzuführen. Nach Art. 138 EPÜ kann ein europäisches Patent - vorbehaltlich des Art. 139 EPÜ - nur aus den dort abschließend aufgeführten Gründen für nichtig erklärt werden. Die Norm steht damit zwar einer Entscheidung des nationalen Gerichts entgegen, durch die ein europäisches Patent auch dann für nichtig erklärt wird, wenn keiner der in Art. 138 EPÜ aufgeführten Gründe vorliegt. Sie eröffnet aber die Möglichkeit, dass das nationale Gericht auch bei Vorliegen eines solchen Grundes von der Nichtigerklärung des Patents absieht, ohne sich damit in Widerspruch zu Art. 123 EPÜ zu setzen, wie er von der Großen Beschwerdekammer verstanden wird.

50

(4) Ein solches Absehen von der Nichtigerklärung ist auch bei einem europäischen Patent angezeigt, wenn die Einfügung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht oder nicht als zur Erfindung gehörend offenbarten Merkmals zu einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands führt.

51

Die Große Beschwerdekammer hat eingeräumt, dass die von ihr vertretene Auffassung zu harten Folgen für den Patentinhaber führt (EPA, GRUR Int. 1994, 842 Rn. 13 - beschränkendes Merkmal/Advanced Semiconductor Products), weil er Gefahr läuft, nach einer Änderung seiner Anmeldung selbst dann in einer "unentrinnbaren Falle" zu sitzen und alles zu verlieren, wenn die Änderung den Schutzbereich des Patents einschränkt. Die oben wiedergegebene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ermöglicht es demgegenüber, auf eine vollständige Nichtigerklärung des Patents zu verzichten, ohne dass Abstriche an der Wahrung der berechtigten Interessen Dritter und der Öffentlichkeit gemacht werden müssen. Sie trägt damit zugleich dem verfassungsrechtlichen Schutz des Eigentums (Art. 14 GG) Rechnung, der auch das Recht am Patent umfasst und den Patentinhaber vor hoheitlichen Eingriffen schützt, soweit diese nicht erforderlich sind. Das rechtfertigt es, diese Rechtsprechung auch auf europäische Patente anzuwenden.

52

(5) Soweit Patentanspruch 1 das Merkmal enthält, dass die untere Fläche der scheibenartigen Schale mit dem porösen Polster in Kontakt steht, liegt darin eine bloße Konkretisierung einer Anweisung zum technischen Handeln, die in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart ist.

53

(a) Ob es sich bei der Einfügung eines in den ursprünglichen Unterlagen nicht offenbarten Merkmals um eine bloße Einschränkung des angemeldeten Gegenstands handelt oder um ein Aliud, bestimmt sich danach, ob damit lediglich eine Anweisung zum technischen Handeln konkretisiert wird, die in diesen Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart ist, oder ob damit ein technischer Aspekt angesprochen wird, der daraus weder in seiner konkreten Ausgestaltung noch auch nur in abstrakter Form als zur Erfindung gehörend zu entnehmen ist (BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 22 - Winkelmesseinrichtung; BGH, GRUR 2011, 1003 Rn. 29 - Integrationselement; BGH, GRUR 2013, 1135 Rn. 26 f. - Tintenstrahldrucker).

54

(b) Danach ist Merkmal 4b - entgegen der Auffassung des Patentgerichts - nicht als Aliud einzuordnen. Soweit dieses Merkmal vorsieht, dass die scheibenartige Schale mit ihrer unteren Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt steht, wird damit kein neuer technischer Aspekt eingeführt. Vielmehr handelt es sich um eine bloße Beschränkung im vorstehend ausgeführten Sinn, durch die dem Fachmann vermittelt wird, die scheibenartige Schale so flach auszugestalten, dass ein im Wesentlichen flächiger Kontakt zwischen ihrer unteren Fläche und dem porösen Polster hergestellt wird, wenn die Scheibe auf das Polster gedrückt und mittels der chirurgischen Abdeckung gesichert wird.

55

(6) Der Zulässigkeit der beschränkten Verteidigung steht auch nicht entgegen, dass es nicht zulässig ist, den Patentanspruch durch ein nicht-ursprungsoffenbartes Merkmal zu beschränken. Denn Merkmal 4b ist bereits im erteilten Patentanspruch 1 enthalten. Dass es Bestandteil des im Übrigen unbedenklichen Hilfsantrags I ist, kann daher dessen Zulässigkeit nicht in Frage stellen.

56

3. Die Beurteilung des Patentgerichts, wonach Patentanspruch 1 nicht zulässigerweise in der Fassung des Hilfsantrags I (früherer Hilfsantrag 6 neu) verteidigt werden kann, hält mithin der Prüfung im Berufungsverfahren nicht stand.

57

Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht (§ 119 Abs. 2, 3 PatG). Eine eigene Entscheidung des Senats in der Sache ist nicht angezeigt (§ 119 Abs. 5 Satz 1 PatG). Das Patentgericht hat die Patentfähigkeit des Gegenstands von Patentanspruch 1 in der Fassung dieses Hilfsantrags bislang nicht geprüft. Bei dieser nunmehr erforderlichen Prüfung wird das Patentgericht das nicht-ursprungsoffenbarte Merkmal außer Betracht zu lassen haben.

Meier-Beck                           Hoffmann                       Deichfuß

                   Kober-Dehm                        Feddersen

Bis zum Beschluß über die Erteilung des Patents sind Änderungen der in der Anmeldung enthaltenen Angaben, die den Gegenstand der Anmeldung nicht erweitern, zulässig, bis zum Eingang des Prüfungsantrags (§ 44) jedoch nur, soweit es sich um die Berichtigung offensichtlicher Unrichtigkeiten, um die Beseitigung der von der Prüfungsstelle bezeichneten Mängel oder um Änderungen des Patentanspruchs handelt. Aus Änderungen, die den Gegenstand der Anmeldung erweitern, können Rechte nicht hergeleitet werden.

(1) Genügt die Anmeldung den Anforderungen der §§ 34, 37 und 38 nicht oder sind die Anforderungen des § 36 offensichtlich nicht erfüllt, so fordert die Prüfungsstelle den Anmelder auf, die Mängel innerhalb einer bestimmten Frist zu beseitigen. Satz 1 gilt nicht für Mängel, die sich auf die Zusammenfassung beziehen, wenn die Zusammenfassung bereits veröffentlicht worden ist.

(2) Kommt die Prüfungsstelle zu dem Ergebnis, daß eine nach den §§ 1 bis 5 patentfähige Erfindung nicht vorliegt, so benachrichtigt sie den Patentsucher hiervon unter Angabe der Gründe und fordert ihn auf, sich innerhalb einer bestimmten Frist zu äußern.

(1) Das Deutsche Patent- und Markenamt ist eine selbständige Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Es hat seinen Sitz in München.

(2) Das Deutsche Patent- und Markenamt besteht aus einem Präsidenten und weiteren Mitgliedern. Sie müssen die Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz besitzen (rechtskundige Mitglieder) oder in einem Zweig der Technik sachverständig sein (technische Mitglieder). Die Mitglieder werden auf Lebenszeit berufen.

(3) Als technisches Mitglied soll in der Regel nur angestellt werden, wer im Inland an einer Universität, einer technischen oder landwirtschaftlichen Hochschule oder einer Bergakademie in einem technischen oder naturwissenschaftlichen Fach eine staatliche oder akademische Abschlußprüfung bestanden hat, danach mindestens fünf Jahre im Bereich der Naturwissenschaften oder Technik beruflich tätig war und im Besitz der erforderlichen Rechtskenntnisse ist. Abschlußprüfungen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum stehen der inländischen Abschlußprüfung nach Maßgabe des Rechts der Europäischen Gemeinschaften gleich.

(4) Wenn ein voraussichtlich zeitlich begrenztes Bedürfnis besteht, kann der Präsident des Deutschen Patent- und Markenamts Personen, welche die für die Mitglieder geforderte Vorbildung haben (Absatz 2 und 3), mit den Verrichtungen eines Mitglieds des Deutschen Patent- und Markenamts beauftragen (Hilfsmitglieder). Der Auftrag kann auf eine bestimmte Zeit oder für die Dauer des Bedürfnisses erteilt werden und ist so lange nicht widerruflich. Im übrigen gelten die Vorschriften über Mitglieder auch für die Hilfsmitglieder.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 3. Juli 2012 aufgehoben.

Das europäische Patent 1 088 569 wird mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt, soweit sein Gegenstand über folgende Fassung der Patentansprüche hinausgeht:

"1. Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks auf eine Oberflächenwunde in einem Säuger, die umfasst: ein poröses Polster (102) aus offenem, eine Verbindung schaffendem, zellförmigen Weichschaum, eine Pumpe (6), eine Saugleitung (101) zum Verbinden des porösen Polsters mit der Pumpe (6), einem Verbinder zum Verbinden des Polsters mit der Saugleitung, eine chirurgische Abdeckung (701) zum Bilden einer luftdichten Abdichtung über der Wundstelle, über dem Polster und über dem Verbinder, wobei der Verbinder einen Ausguss (602) zum Verbinden des von der Pumpe (6) ferngelegenen Endes der Saugleitung (101) mit der Wundstelle aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass der Verbinder eine scheibenartige Schale (601) umfasst, deren untere Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt steht, und wobei die Saugleitung (101) als innere Bohrung (606) in einer Multilumenleitung ausgebildet ist, die ferner Kanäle (607) umfasst, mittels deren ein Aufnehmer (108) den Druck an der Wundstelle misst.

2. Vorrichtung nach Anspruch 1, wobei das poröse Polster (102) einen Polyvinylalkoholschaum umfasst.

3. Vorrichtung nach Anspruch 1 oder 2, wobei die chirurgische Abdeckung (701) ein Loch (702) für den Ausguss (602) aufweist, durch das dieser sich hindurch erstreckt.

4. Vorrichtung nach Anspruch 3, wobei die chirurgische Abdeckung (701) eine Kunststofffolie (701) umfasst, die mit einem druckempfindlichen Klebstoff zum Befestigen des porösen Polsters (102) und des Verbinders an der Wunde beschichtet ist."

Im Übrigen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Patentgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 088 569 (Streitpatents), das aus einer am 8. Januar 2001 eingereichten Teilanmeldung hervorgegangen ist. Diese geht zurück auf eine als WO 97/18007 veröffentlichte internationale Patentanmeldung vom 14. November 1996 (Stammanmeldung), die beim Europäischen Patentamt als europäische Anmeldung 865 304 geführt wird. Das Streitpatent betrifft eine tragbare Wundbehandlungseinrichtung und umfasst fünf Patentansprüche. Patentanspruch 1, auf den die weiteren Ansprüche unmittelbar oder mittelbar rückbezogen sind, lautet in der Verfahrenssprache:

"Apparatus for applying negative pressure to a superficial wound in a mammal which comprises a porous pad (102) of open, intercommunicating cellular flexible foam, a pump (6), a suction tube (101) for connecting the porous pad to the pump (6), a connector for connecting the pad to the suction tube, a surgical drape (701) for forming an air-tight seal over the wound site, over the pad and over the connector, said connector having a spout (602) for connecting the end of the suction tube (101) remote from the pump (6) to the wound site, characterized in that the connector comprises a disc-like cup (601) having its lower face in contact with said porous pad."

2

Die Klägerin zu 1 hat das Streitpatent in vollem Umfang, die Klägerin zu 2 im Umfang der Patentansprüche 1 bis 4 angegriffen. Die Klägerinnen haben geltend gemacht, der Gegenstand von Patentanspruch 1 sei nicht patentfähig und beruhe auf einer unzulässigen Erweiterung. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung und mit zuletzt sechs Hilfsanträgen verteidigt. Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt.

3

Gegen das Urteil des Patentgerichts wendet sich die Berufung der Beklagten, die in erster Linie weiterhin die Abweisung der Klagen begehrt und hilfsweise das Streitpatent in beschränkten Anspruchsfassungen verteidigt. Die Klägerinnen treten dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe

4

I. Das Streitpatent betrifft eine tragbare Vorrichtung zur Wundbehandlung.

5

1. Nach der Schilderung der Streitpatentschrift waren im Stand der Technik, etwa aus der internationalen Anmeldung WO 96/05873, Vorrichtungen zur Behandlung von Wunden bekannt, bei denen der Wundheilungsprozess durch Anlegen von Unterdruck gefördert werde. Eine solche Vorrichtung umfasse ein poröses, für Flüssigkeiten durchlässiges Polster, das in die Wunde eingeführt werden könne, einen Verband, mit dem die Wunde abgedeckt und luftdicht abgedichtet werde, eine Abflussleitung, die das Polster mit einer Saugpumpe verbinde, so dass Unterdruck an die Wunde angelegt und Flüssigkeiten aus dieser abgesaugt werden könne, und schließlich einen Behälter, in dem die abgesaugte Flüssigkeit gesammelt werde.

6

Wie eine solche, im Stand der Technik bekannte Vorrichtung aussieht, zeigt beispielsweise die Figur 10 der erwähnten internationalen Anmeldung,

Abbildung

bei der Bezugszeichen 210 die Wunde, Bezugszeichen 36 ein poröses, flüssigkeitsdurchlässiges Schaumstoffpolster (foam pad), Bezugszeichen 37 den Schlauch und Bezugszeichen 43 die luftdichte Wundabdeckung bezeichnet.

7

Das technische Problem, welches das Streitpatent lösen soll, besteht darin, eine Vorrichtung bereitzustellen, die eine solche Wundbehandlung mit Unterdruck bequemer macht und ihre Anwendung insbesondere auch bei mobilen, also nicht bettlägerigen Patienten erlaubt.

8

2. Zur Lösung dieses Problems schlägt die Streitpatentschrift eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor (Gliederungspunkte des Patentgerichts in eckigen Klammern):

Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks auf eine Oberflächenwunde in einem Säuger [1], umfassend

1. ein poröses Polster (102) aus offenem, eine Verbindung schaffendem, zellförmigen Weichschaum (a porous pad of open, intercommunicating cellular flexible foam); [1.1]

2. eine Pumpe (6); [1.2]

3. eine Saugleitung (101) zum Verbinden des porösen Polsters mit der Pumpe; [1.3]

4. einen Verbinder zur Verbindung des Polsters mit der Saugleitung [1.4], der

a) einen Ausguss (spout) (602) zum Verbinden des von der Pumpe ferngelegenen Endes der Saugleitung (101) mit der Wundstelle aufweist, [1.6]

b) eine scheibenartige Schale (a disc-like cup) (601) umfasst, deren untere Fläche (lower face) mit dem porösen Polster in Kontakt steht; [1.7a und 1.7b]

5. eine chirurgische Abdeckung (701) zum Bilden einer luftdichten Abdichtung über der Wundstelle, über dem Polster und über dem Verbinder. [1.5]

9

3. Einige Merkmale bedürfen der Erläuterung:

10

a) Der Verbinder weist nach Merkmal 4a einen Ausguss (spout) auf, der dazu dient, das von der Pumpe entfernte Ende der Saugleitung mit der Wundstelle zu verbinden, während im Stand der Technik, wie etwa aus der oben wiedergegebenen Figur 10 ersichtlich, das Ende des Schlauchs in das Weichschaumstoffpolster eingeführt wurde. Nach der Beschreibung kann entweder der Ausguss das Ende des Schlauchs aufnehmen oder aber das Schlauchende in den Ausguss eingesetzt und zusätzlich in den Schaum gedrückt werden (Sp. 5, Z. 37 bis 39 und Z. 45 bis 47). Die Anordnung und Größe des Ausgusses überlässt das Streitpatent dem Fachmann, bei dem es sich hier, wie das Patentgericht unbeanstandet angenommen hat, um einen Diplom-Ingenieur der Medizintechnik handelt, der mit der Entwicklung von Unterdruck-Vorrichtungen zur Behandlung von Wunden vertraut ist und für die medizinischen Aspekte der Wundheilung einen entsprechend kundigen Arzt konsultiert.

11

b) Der Verbinder umfasst nach Merkmal 4b eine scheibenartige Schale (disc-like cup). Es handelt sich demnach um eine Vorrichtung, die einerseits die Form einer Schale aufweist, also nicht völlig eben ist, sondern an ihrem Rand aus dieser Ebene heraus gebogen ist, andererseits aber scheibenartig, also flach ausgestaltet ist. Unter einer scheibenartigen Schale versteht das Streitpatent mithin eine Schale, deren Höhe deutlich geringer ist als ihr Durchmesser. Ein solches Verständnis des Merkmals wird auch dadurch nahegelegt, dass die Wundheilungsvorrichtung am Körper getragen können werden soll (vgl. Figuren 3A und 3B), weshalb es vorteilhaft ist, sie möglichst flach zu halten. Hierfür spricht weiter, dass die Figuren 6B und 6C Schalen zeigen, die praktisch flach sind und nur einen minimal aufgebogenen Rand aufweisen.

12

Für diese Auslegung spricht ergänzend, dass das Streitpatent in den Absätzen 6 und 7 die internationale Anmeldung WO 94/20041 (VP4 = D1) als nächstliegenden Stand der Technik bezeichnet, deren Inhalt der Oberbegriff von Patentanspruch 1 wiedergebe. Der Umstand, dass Patentanspruch 1 das Merkmal 4b als einziges kennzeichnendes Merkmal ausweist, legt den Schluss nahe, dass die in D1 in den dortigen Figuren 2 bis 5 mit den Bezugszeichen 29a, 29b, 29c und 29d gekennzeichneten Vorrichtungen nicht als scheibenartig anzusehen sein sollen. Die Auffassung der Klägerin zu 1, Absätze 6 und 7 des Streitpatents seien bei der Auslegung nicht zu berücksichtigen, weil sie in der Stammanmeldung nicht enthalten waren, trifft nicht zu. Bei der Ermittlung der mit einem Patentanspruch gegebenen Lehre sind Beschreibung und Zeichnungen heranzuziehen, die die technische Lehre des Patentanspruchs erläutern und veranschaulichen und daher nach ständiger Rechtsprechung nicht nur für die Bestimmung des Schutzbereichs (Art. 69 Abs. 1 EPÜ, § 14 PatG), sondern ebenso für die Auslegung des Patentanspruchs heranzuziehen sind. Dabei darf der Patentanspruch weder nach Maßgabe dessen ausgelegt werden, was sich nach Prüfung des Standes der Technik als patentfähig erweist, noch nach Maßgabe des Sinngehalts der Ursprungsunterlagen. Grundlage der Auslegung ist vielmehr allein die Patentschrift (BGH, Urteil vom 17. Februar 2012 - X ZR 117/11, BGHZ 194, 107 Rn. 27 f. - Polymerschaum).

13

Merkmal 4b besagt weiter, dass die Unterseite der scheibenartigen Schale mit dem porösen Polster in Kontakt steht, was dahin zu verstehen ist, dass die konkave Seite der Schale mit dem Polster in einem flächigen Kontakt steht. Nach der Beschreibung des Streitpatents wird die Schale auf die poröse Abdeckung der Wunde gedrückt und durch eine chirurgische Abdeckung gesichert (Sp. 5 Z. 43 bis 45). Berücksichtigt man einerseits, dass die Schale scheibenartig, also flach ausgebildet ist, und andererseits, dass das poröse Polster aus Weichschaumstoff besteht, also nachgiebig ist, ergibt sich hieraus für den Fachmann, dass die Schale zwar nicht notwendigerweise vollflächig, aber auch nicht nur punktuell oder mit ihrem Rand, also entlang einer Linie auf dem Polster aufsitzt, sondern im Wesentlichen flächig auf diesem aufliegt. Aus fachlicher Sicht besagt dies, dass der Innenraum der Schale jedenfalls im Wesentlichen mit dem aus Weichschaum bestehenden Polster ausgefüllt ist, so dass keine größeren Freiräume bestehen bleiben. Dieses Verständnis des Merkmals ergibt sich für den Fachmann auch daraus, dass eine solche Gestaltung zu dem gewünschten, für eine tragbare Vorrichtung vorteilhaften flachen Aufbau beiträgt.

14

Angaben über die Größe der Schale, insbesondere dazu, ob sie so dimensioniert sein muss, dass sie das gesamte Weichschaumstoffpolster abdeckt, sind Patentanspruch 1 nicht zu entnehmen.

15

c) Nach Merkmal 5 umfasst die Vorrichtung eine chirurgische Abdeckung zur Herstellung einer luftdichten Abdichtung über Wundstelle, Polster und Verbinder. Daraus ergibt sich, dass nicht nur das Polster, sondern auch der Verbinder unter der chirurgischen Abdeckung liegen muss.

16

II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

17

Das Streitpatent sei vollen Umfangs für nichtig zu erklären, weil sein Gegenstand in sämtlichen verteidigten Fassungen über den Inhalt der früheren Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe. Das Merkmal M1.7b, wonach die untere Fläche der vom Verbinder umfassten scheibenartigen Schale mit dem porösen Polster in Kontakt stehe, sei der Gesamtheit der ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend zu entnehmen. In der Stammanmeldung sei nicht offenbart, dass der Verbinder der beanspruchten Vorrichtung eine scheibenartige Schale umfasse, deren untere Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt stehe. Den Figuren 6A bis 6D der Stammanmeldung sei solches nicht zu entnehmen. Auch aus der Gesamtoffenbarung der Stammanmeldung ergebe sich nicht, dass die Schale so ausgestaltet sein müsse, dass ihre untere Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt stehe, ebenso bleibe offen, mit welchem Anteil bzw. in welchem Umfang die Unterseite der Schale mit dem Polster in Kontakt stehe.

18

Die Einfügung des Merkmals M1.7b könne nicht als bloße Einschränkung des Gegenstands des Anspruchs 1 verstanden werden, sondern führe zu einer anderen Lehre (Aliud). Während der Fachmann den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen die Lehre entnehme, dass die scheibenförmige Schale so ausgebildet sei, dass sie mit dem Rand, jedenfalls aber nicht mit der unteren Fläche auf das poröse Polster aufgesetzt werde, setze das eingefügte Merkmal genau dies voraus. Da sämtliche Hilfsanträge dieses Merkmal aufwiesen, seien sie unzulässig. Ob der weitere Nichtigkeitsgrund fehlender Patentfähigkeit vorliege, könne damit dahinstehen.

19

III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsrechtszug nicht in vollem Umfang stand.

20

1. Im Ergebnis zu Recht hat das Patentgericht angenommen, dass der Gegenstand der erteilten Fassung von Patentanspruch 1 über den Inhalt der Stammanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.

21

a) Nach Art. II § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 IntPatÜbkG ist ein europäisches Patent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären, wenn sein Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Der danach maßgebliche Inhalt der Anmeldung ist anhand der Gesamtheit der ursprünglich eingereichten Unterlagen zu ermitteln. Er ist nicht auf den Gegenstand der in der Anmeldung formulierten Patentansprüche beschränkt. Entscheidend ist vielmehr, was der mit durchschnittlichen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattete Fachmann des betreffenden Gebiets der Technik den ursprünglichen Unterlagen als zur Erfindung gehörend entnehmen kann (BGHZ 194, 107 Rn. 45 - Polymerschaum).

22

b) Eine unzulässige Erweiterung ist hier darin zu sehen, dass die erfindungsgemäße Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks auf eine Oberflächenwunde nur durch ein poröses Polster, eine Pumpe, eine Saugleitung, einen Verbinder mit scheibenartiger Schale und Ausguss zur Verbindung des Polsters mit der Saugleitung sowie eine chirurgische Abdeckung gekennzeichnet ist. In dieser allgemeinen Form ist die Vorrichtung in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen - das ist hier die Stammanmeldung - nicht als erfindungsgemäß offenbart.

23

aa) Die Beschreibung der Stammanmeldung geht wie diejenige des Streitpatents von der internationalen Patentanmeldung WO 96/05873 aus. Die dort beschriebene Vorrichtung sei wirksam zur Behandlung einer Vielzahl von Wunden unterschiedlicher Art und Größe. Jedoch könne die Behandlung eine längere Zeit in Anspruch nehmen, was nicht bei einem bettlägerigen, wohl aber bei einem nicht an das Bett gebundenen Patienten ein Problem darstelle. Als Aufgabe der Erfindung wird es bezeichnet, eine Vorrichtung bereitzustellen, die in der Anwendung komfortabler ist, insbesondere bei in gewissem Umfang mobilen Patienten, und weitere aus der Beschreibung ersichtliche Vorteile aufweist. Hierzu wird zunächst eine tragbare Vorrichtung zur Stimulierung der Wundheilung vorgeschlagen, die ein Gehäuse mit einer Saugpumpe und einem Behälter zur Aufnahme abgesaugter Wundflüssigkeit enthält und Mittel zur Verbindung mit Verbandmaterial in der Wundregion sowie einen Tragegurt oder Gürtel zum Abstützen des Gehäuses umfasst, wobei die zweckmäßige Ausgestaltung des Gehäuses, der Saugpumpe und ihres Antriebs sowie des Behälters näher beschrieben wird.

24

Sodann wird erörtert, dass es bei einer tragbaren Vorrichtung schwieriger sei als bei der im Stand der Technik beschriebenen statischen, den an der zu behandelnden Wundstelle herrschenden Druck zu bestimmen, da er teilweise von der hydrostatischen Höhe zwischen Pumpe und Wunde abhänge und diese sich in Abhängigkeit von den Bewegungen des Patienten verändere. Dieses Problem soll durch eine zusätzliche Leitung gelöst werden, die die Wundstelle mit vorzugsweise in dem Gehäuse untergebrachten Druckerfassungsmitteln verbindet. Diese könnten wiederum mit einem Mikroprozessor verbunden sein, der für die Einhaltung eines vorbestimmten Druckbereichs sorge. Eine solche Einrichtung lasse sich auch bei einer nicht-tragbaren Vorrichtung verwenden. Sie erlaube es auch, über die veränderten Druckverhältnisse einen vollständig mit Wundflüssigkeit gefüllten Behälter zu detektieren.

25

Diesen allgemeinen Ausführungen folgt die Beschreibung der in den Zeichnungen dargestellten Ausführungsformen. Dabei wird unter Bezugnahme auf Figur 1 u.a. ein als Saugleitung dienender Schlauch 101 und ein zweiter Schlauch 106 beschrieben, der die Wundstelle zur Messung oder Überwachung des Drucks mit einem Druckentlastungsventil 8 und einem Messfühler 108 verbindet. Die Schläuche 101 und 106 könnten in einem mehrlumigen Schlauch (multi-lumen tube) kombiniert werden. Dies wird als bevorzugt und in den Figuren 5A bis 5F und in modifizierter Form in 6E dargestellt bezeichnet. Sodann kommt die Beschreibung auf die Figuren 6A bis 6D zu sprechen, die verschiedene Ansichten eines Verbinders zum Anschließen des mehrlumigen Schlauchs an die Wundstelle zeigten. Nur an dieser Stelle wird der Verbinder dahin beschrieben, dass er eine scheibenförmige Schale umfasst, die einen Ausguss aufweist, der so bemessen ist, dass er das Ende des mehrlumigen Schlauchs aufnehmen kann (S. 8).

26

In Übereinstimmung mit diesen Ausführungen der Beschreibung ist Anspruch 1 der Anmeldung auf eine tragbare Vorrichtung mit Gehäuse, Saugpumpe, Behälter und Tragegurt gerichtet, der nebengeordnete Anspruch 3 auf eine Behandlungsvorrichtung u.a. mit Druckerfassungsmitteln und der ebenfalls nebengeordnete Anspruch 5 auf eine Behandlungsvorrichtung u.a. mit einer Saugleitung und einer zusätzlichen Leitung, die ein poröses Polster mit eine Überwachung des Drucks an der Wundstelle ermöglichenden Druckerfassungsmitteln verbindet.

27

Die in der Stammanmeldung offenbarten Ausführungsformen der Erfindung werden damit zum einen durch die eine Tragbarkeit erlaubenden Mittel (Anspruch 1), zum anderen durch Mittel gekennzeichnet, die eine Druckerfassung ermöglichen (Ansprüche 3 und 5). Nur im Kontext der Druckerfassung und der hierzu neben der Saugleitung erforderlichen zweiten Leitung findet der Verbinder Erwähnung. Die Saugleitung und die Druckerfassungsleitung können in einer unterteilten Schlauchleitung (multi-partitioned tube) zusammengefasst werden (Stammanmeldung S. 5 unten), und der Ausguss des Verbinders kann diesen mehrlumigen Schlauch aufnehmen.

28

bb) Dem ist nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen, dass als zum Patentschutz angemeldete Erfindung auch eine Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks auf eine Oberflächenwunde beschrieben wird, die weder Mittel aufweist, die ihre Tragbarkeit sicherstellen, noch Mittel, die es ermöglichen, den Druck an der Wundstelle zu erfassen, sondern lediglich aus einem porösen Polster, einer chirurgischen Abdeckung, einer Pumpe, einer Saugleitung und einem Polster und Saugleitung verbindenden Verbinder bestehen, der einen die Saugleitung aufnehmenden Ausguss und eine scheibenartige Schale umfasst.

29

Allerdings ist eine Fassung des Patentanspruchs, die gegenüber den ursprünglichen Anmeldeunterlagen eine Verallgemeinerung enthält, nicht unter allen Umständen ausgeschlossen. In Bezug auf die Frage, ob die Priorität einer Voranmeldung zu Recht in Anspruch genommen wird, hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass dies unter der Voraussetzung zulässig ist, dass sich die in der Voranmeldung anhand eines Ausführungsbeispiels oder in sonstiger Weise beschriebenen Anweisungen für den Fachmann als Ausgestaltung der in der Nachanmeldung umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellen und diese Lehre in der in der Nachanmeldung offenbarten Allgemeinheit bereits der Voranmeldung als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist (BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 - X ZR 107/12, BGHZ 200, 63 Rn. 25 - Kommunikationskanal). Die gleichen Maßgaben gelten für die Frage danach, ob der erteilte Patentanspruch gegenüber den ursprünglichen Anmeldeunterlagen eine unzulässige Erweiterung aufweist.

30

Nach dieser Maßgabe beruht Patentanspruch 1 auf einer unzulässigen Erweiterung. Der Fachmann vermag den ursprünglichen Anmeldeunterlagen nicht ohne weiteres die allgemeine technische Lehre zu entnehmen, Polster und zur Pumpe führende Saugleitung einer Unterdruckvorrichtung durch eine Einrichtung zu verbinden, die einen Ausguss zur Aufnahme der Saugleitung und eine scheibenartige Schale zur Aufnahme des Polsters umfasst.

31

Der Verbinder ist in der Stammanmeldung vielmehr nur als Element einer Vorrichtung offenbart, in der er den konkret beschriebenen Zweck erfüllt, die Anbindung eines mehrlumigen Schlauchs an die Wundstelle zu gewährleisten. Er steht mithin in untrennbarem Zusammenhang mit einer Wundbehandlungsvorrichtung, die auch ein Druckerfassungsmittel aufweist, wobei die hierfür erforderliche weitere Leitung mit der ohnehin erforderlichen Saugleitung vorzugsweise in einem mehrlumigen Schlauch zusammengefasst ist, der von dem Ausguss des Verbinders aufgenommen wird. Weder Beschreibung noch Ansprüche der Stammanmeldung bieten einen Anhalt für die Annahme, der Fachmann entnehme ihr, dass ihm mit der Ausgestaltung des Verbinders als mit einem Ausguss oder einer Tülle versehener flacher Schale eine Ausführungsform der Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks vorgestellt wird, für die unabhängig von den Ausführungsformen, die sich mit der tragbaren Ausgestaltung oder den Mitteln zur Druckerfassung beschäftigen, Patentschutz angestrebt wird und die mithin - für sich betrachtet - als zu der angemeldeten Erfindung gehörend offenbart wird.

32

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Stammanmeldung kurz vor der oben genannten Passage der Beschreibung des Ausführungsbeispiels auch eine Leitung erwähnt, die nur eine Bohrung aufweist (single bore tube, S. 7 unten). Der betreffenden Passage ist lediglich zu entnehmen, dass die ansonsten vorgesehene geteilte Leitung (partitioned tube) nicht bis zur Wundstelle reichen muss, sondern an ihrem Ende ein kurzes Stück einer einlumigen Leitung aufweisen kann. Dem entspricht es, dass - etwas später (S. 8 Mitte) - ausgeführt wird, dass, sofern dies gewünscht wird, das Ende der Leitung auch durch den Ausguss führen und bis in den Weichschaum reichen kann. Dies ändert nichts daran, dass an den genannten Stellen im Grundsatz weiterhin ein mehrlumiger Schlauch gemeint ist, und vermag den sich aus dem Gesamtinhalt der Beschreibung ergebenden Zusammenhang der Offenbarung der Ausgestaltung des Verbinders mit einer Vorrichtung zum Ausüben und Überwachen eines Unterdrucks nicht in Frage zu stellen.

33

c) Danach hat das Patentgericht im Ergebnis zutreffend angenommen, dass Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung auf einer unzulässigen Erweiterung beruht und daher keinen Bestand haben kann. Eine andere Beurteilung ist auch nicht dadurch gerechtfertigt, dass das Streitpatent aus einer Teilanmeldung hervorgegangen ist. Die Anforderungen an die Ursprungsoffenbarung sind in einem solchen Fall nicht geringer.

34

2. Dagegen hält das angefochtene Urteil der Nachprüfung nicht stand, soweit das Patentgericht angenommen hat, der ehemalige Hilfsantrag 6 neu, den die Beklagte nunmehr als Hilfsantrag I stellt, beruhe auf einer unzulässigen Erweiterung.

35

Nach Hilfsantrag I wird Patentanspruch 1 um ein weiteres Merkmal ergänzt, wonach die Saugleitung (101) als innere Bohrung (606) in einer Multilumenleitung ausgebildet ist, die ferner Kanäle (607) umfasst, mittels deren ein Aufnehmer (108) den Druck an der Wundstelle misst (Merkmal 6).

36

Die beschränkte Verteidigung der Beklagten mit diesem Hilfsantrag ist - entgegen der Auffassung des Patentgerichts - zulässig.

37

a) Das zusätzliche Merkmal 6 gewährleistet, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht aus den dargelegten Gründen über den Inhalt der Stammanmeldung hinausgeht. Die Verallgemeinerung, die nach den Ausführungen oben (unter III 1) eine unzulässige Erweiterung begründete, ist dadurch rückgängig gemacht worden, dass der Aufnehmer 108 als Druckerfassungsmittel und die durch die Kanäle 607 einer Multilumenleitung ausgebildete zweite Leitung zur Verbindung zwischen Polster und Pumpe in den Patentanspruch aufgenommen worden sind und die Ausgestaltung des Verbinders in diesen Kontext gestellt worden ist, weil die vom Ausguss aufgenommene Saugleitung die innere Bohrung 606 der Multilumenleitung bildet.

38

b) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 beruht zwar insoweit auf einer unzulässigen Erweiterung, als in Merkmal 4b über die scheibenartige Schale ausgesagt ist, dass sie mit ihrer unteren Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt steht. Dies führt jedoch nicht zur Unzulässigkeit der beschränkten Verteidigung des Streitpatents nach Hilfsantrag I.

39

aa) Nach Merkmal 4b steht die scheibenartige Schale mit ihrer unteren Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt. Wie oben ausgeführt, versteht der Fachmann dieses Merkmal dahin, dass die konkave Seite der Schale mit dem Polster in einem flächigen Kontakt steht.

40

Ein solcher flächiger Kontakt zwischen der konkaven Seite der Schale und dem Polster ist in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart. Die Stammanmeldung zeigt in den Figuren 6B und 6C sehr flache Schalen. Ferner kann ihr, insbesondere durch den Verweis auf die internationale Anmeldung WO 96/05873, aus der die oben wiedergegebene Figur 10 stammt, entnommen werden, wie ein Polster, mit dem die Wunde abgedeckt wird, gestaltet sein kann. Aus der Stammanmeldung ist jedoch nicht ersichtlich, wie die scheibenartige Schale auf das Polster aufgesetzt wird. Es wird dort lediglich erläutert, die Schale werde auf die poröse Wundabdeckung gedrückt und durch eine chirurgische Abdeckung gesichert (the cup (601) is pressed onto the porous dressing and secured by a surgical drape, Stammanmeldung S. 8). Auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich um ein Polster aus Weichschaumstoff handelt, ergibt sich aus diesen Angaben für den Fachmann nicht unmittelbar und eindeutig, dass die scheibenartige Schale mit ihrer unteren Fläche mit dem porösen Polster in flächigem Kontakt steht. Denn ob bei Befolgen dieser Anweisung ein flächiger Kontakt entsteht, hängt aus fachlicher Sicht von mehreren Umständen ab, insbesondere von der Höhe der Schale, vom Verhältnis der Größen von Schale einerseits und Polster andererseits, von der Festigkeit oder Nachgiebigkeit des Polsters und vom Maß des Drucks, mit dem die Schale auf das Polster gepresst wird. Zu allen diesen Umständen enthält die Stammanmeldung keine näheren Angaben.

41

bb) Dies führt jedoch nicht dazu, dass die Verteidigung der Beklagten mit Hilfsantrag I unzulässig ist.

42

(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu deutschen Patenten und Gebrauchsmustern müssen solche Schutzrechte, wenn ihr Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, nicht für nichtig erklärt oder gelöscht werden, sofern die Änderung in der Einfügung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht offenbarten Merkmals besteht, die zu einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands führt. Dagegen ist die Nichtigerklärung oder Löschung nicht zu vermeiden, wenn die Änderung dazu führt, dass der Gegenstand der Anmeldung gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen zu einem Aliud abgewandelt wird (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2000 - X ZR 184/98, GRUR 2001, 140 - Zeittelegramm; Beschluss vom 21. Oktober 2010 - Xa ZB 14/09, GRUR 2011, 40 - Winkelmesseinrichtung; Urteil vom 21. Juni 2011 - X ZR 43/09, GRUR 2011, 1003 - Integrationselement; Beschluss vom 6. August 2013 - X ZB 2/12, GRUR 2013, 1135 - Tintenstrahl-drucker). Die Frage, ob diese Rechtsprechung auch auf europäische Patente Anwendung findet, hat der Bundesgerichtshof bislang offen gelassen (BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 19 - Winkelmesseinrichtung). Sie ist - entgegen der Auffassung des Bundespatentgerichts (Urteil vom 8. April 2014, Mitt. 2014, 436 - Fettabsaugevorrichtung) - zu bejahen.

43

(2) Der angeführten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt die Überlegung zugrunde, dass die unzulässige Änderung des Gegenstands des Patents gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen dessen Widerruf oder Nichtigerklärung nicht erfordert, wenn den berechtigten Interessen Dritter, insbesondere der Wettbewerber des Patentinhabers, und der Öffentlichkeit durch weniger schwerwiegende Maßnahmen Rechnung getragen werden kann.

44

Danach ist der Widerruf oder die Nichtigerklärung des Patents nicht geboten, wenn der Gegenstand des Patents gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen in unzulässiger Weise verallgemeinert worden ist. In diesem Fall kann die unzulässige Erweiterung dadurch behoben werden, dass die unzulässige Verallgemeinerung aus dem Patentanspruch gestrichen wird (BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 14 - Winkelmesseinrichtung; BGH, GRUR 2011, 1003 Rn. 19 - Integrationselement; ebenso EPA, Entscheidung der Großen Beschwerdekammer vom 2. Februar 1994 - G 1/93, GRUR Int. 1994, 842 Rn. 11 - beschränkendes Merkmal/Advanced Semiconductor Pro-ducts).

45

Der Widerruf oder die Nichtigerklärung des Patents ist andererseits unumgänglich, wenn die Hinzufügung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht offenbarten Merkmals dazu führt, dass der Patentanspruch des erteilten Patents eine andere Erfindung zum Gegenstand hat als die ursprüngliche Anmeldung, wenn das Patent also etwas schützt, das gegenüber dem der Fachwelt durch die ursprünglichen Unterlagen Offenbarten ein "Aliud" darstellt (BGH, GRUR 2001, 140, 141 - Zeittelegramm; BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 21 - Winkelmesseinrichtung; BGH, GRUR 2011, 1003 Rn. 27 - Integrationselement; BGH, GRUR 2013, 1135 Rn. 16 - Tintenstrahldrucker). Die Aufrechterhaltung eines solchermaßen geänderten Anspruchs gefährdete die Rechtssicherheit für Dritte, die darauf vertrauen dürfen, dass aus der Patentanmeldung kein Patent hervorgeht, das einen weiteren oder anderen Gegenstand hat als denjenigen, der in der Anmeldung offenbart worden ist. Die Aufrechterhaltung eines mit dem Einspruch oder der Nichtigkeitsklage angegriffenen Patents mit der Maßgabe, dass das in Rede stehende Merkmal im Patentanspruch verbleibt, der Patentinhaber daraus aber keine Rechte herleiten kann, scheidet in einem solchen Fall aus, weil sie dazu führen würde, dass das Patent in der Fassung nach dem Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren einen anderen Gegenstand hätte als ursprungsoffenbart (BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 23 - Winkelmesseinrichtung).

46

Der Widerruf oder die Nichtigerklärung eines Patents ist dagegen nicht erforderlich, wenn die Einfügung eines Merkmals, das in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart ist, zu einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands führt. In einem solchen Fall wird den berechtigten Interessen der Öffentlichkeit dadurch Rechnung getragen, dass das einschränkende Merkmal im Patentanspruch verbleibt und zugleich dafür gesorgt wird, dass im Übrigen aus der Änderung Rechte nicht hergeleitet werden können, insbesondere das nicht offenbarte Merkmal bei der Prüfung der Patentfähigkeit insoweit außer Betracht zu lassen ist, als es nicht zur Stützung der Patentfähigkeit herangezogen werden darf (BGH, GRUR 2001, 140, 142 f. - Zeittelegramm; BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 16 - Winkelmesseinrichtung; BGH, GRUR 2011, 1003 Rn. 24 - Integrationselement; BGH, GRUR 2013, 1135 Rn. 16 - Tintenstrahldrucker).

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(3) Diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht nicht in Widerspruch zu den Regelungen des Europäischen Patentübereinkommens.

48

Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts führt die Aufnahme eines einschränkenden, in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbarten Merkmals in den Patentanspruch regelmäßig zum Widerruf des Patents nach Art. 123 Abs. 2, 100 Buchstabe c EPÜ. Falle ein solches Merkmal unter Art. 123 Abs. 2 EPÜ, könne es weder im Patent beibehalten noch ohne Verstoß gegen Art. 123 Abs. 3 EPÜ aus den Ansprüchen gestrichen werden. Das Patent könne nur dann - ausnahmsweise - aufrechterhalten werden, wenn die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung eine Grundlage dafür biete, dass die einschränkenden Merkmale ohne Verstoß gegen Art. 123 Abs. 3 EPÜ durch andere ersetzt werden könnten (Entscheidung der Großen Beschwerdekammer vom 2. Februar  1994 - G 1/93, GRUR Int. 1994, 842 Rn. 12 f. - beschränkendes Merkmal/Advanced Semiconductor Products).

49

Bundespatentgericht und Bundesgerichtshof wenden bei der Entscheidung über die Nichtigerklärung eines europäischen Patents, das mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilt worden ist, nicht Art. 123 Abs. 2 und 3 EPÜ an, sondern entscheiden auf der Grundlage von Art. II § 6 IntPatÜbkG. Mit der Schaffung dieser Norm hat der nationale Gesetzgeber von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Gründe für die Nichtigerklärung eines europäischen Patents für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland nach Maßgabe von Art. 138 EPÜ aufzuführen. Nach Art. 138 EPÜ kann ein europäisches Patent - vorbehaltlich des Art. 139 EPÜ - nur aus den dort abschließend aufgeführten Gründen für nichtig erklärt werden. Die Norm steht damit zwar einer Entscheidung des nationalen Gerichts entgegen, durch die ein europäisches Patent auch dann für nichtig erklärt wird, wenn keiner der in Art. 138 EPÜ aufgeführten Gründe vorliegt. Sie eröffnet aber die Möglichkeit, dass das nationale Gericht auch bei Vorliegen eines solchen Grundes von der Nichtigerklärung des Patents absieht, ohne sich damit in Widerspruch zu Art. 123 EPÜ zu setzen, wie er von der Großen Beschwerdekammer verstanden wird.

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(4) Ein solches Absehen von der Nichtigerklärung ist auch bei einem europäischen Patent angezeigt, wenn die Einfügung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht oder nicht als zur Erfindung gehörend offenbarten Merkmals zu einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands führt.

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Die Große Beschwerdekammer hat eingeräumt, dass die von ihr vertretene Auffassung zu harten Folgen für den Patentinhaber führt (EPA, GRUR Int. 1994, 842 Rn. 13 - beschränkendes Merkmal/Advanced Semiconductor Products), weil er Gefahr läuft, nach einer Änderung seiner Anmeldung selbst dann in einer "unentrinnbaren Falle" zu sitzen und alles zu verlieren, wenn die Änderung den Schutzbereich des Patents einschränkt. Die oben wiedergegebene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ermöglicht es demgegenüber, auf eine vollständige Nichtigerklärung des Patents zu verzichten, ohne dass Abstriche an der Wahrung der berechtigten Interessen Dritter und der Öffentlichkeit gemacht werden müssen. Sie trägt damit zugleich dem verfassungsrechtlichen Schutz des Eigentums (Art. 14 GG) Rechnung, der auch das Recht am Patent umfasst und den Patentinhaber vor hoheitlichen Eingriffen schützt, soweit diese nicht erforderlich sind. Das rechtfertigt es, diese Rechtsprechung auch auf europäische Patente anzuwenden.

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(5) Soweit Patentanspruch 1 das Merkmal enthält, dass die untere Fläche der scheibenartigen Schale mit dem porösen Polster in Kontakt steht, liegt darin eine bloße Konkretisierung einer Anweisung zum technischen Handeln, die in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart ist.

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(a) Ob es sich bei der Einfügung eines in den ursprünglichen Unterlagen nicht offenbarten Merkmals um eine bloße Einschränkung des angemeldeten Gegenstands handelt oder um ein Aliud, bestimmt sich danach, ob damit lediglich eine Anweisung zum technischen Handeln konkretisiert wird, die in diesen Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart ist, oder ob damit ein technischer Aspekt angesprochen wird, der daraus weder in seiner konkreten Ausgestaltung noch auch nur in abstrakter Form als zur Erfindung gehörend zu entnehmen ist (BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 22 - Winkelmesseinrichtung; BGH, GRUR 2011, 1003 Rn. 29 - Integrationselement; BGH, GRUR 2013, 1135 Rn. 26 f. - Tintenstrahldrucker).

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(b) Danach ist Merkmal 4b - entgegen der Auffassung des Patentgerichts - nicht als Aliud einzuordnen. Soweit dieses Merkmal vorsieht, dass die scheibenartige Schale mit ihrer unteren Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt steht, wird damit kein neuer technischer Aspekt eingeführt. Vielmehr handelt es sich um eine bloße Beschränkung im vorstehend ausgeführten Sinn, durch die dem Fachmann vermittelt wird, die scheibenartige Schale so flach auszugestalten, dass ein im Wesentlichen flächiger Kontakt zwischen ihrer unteren Fläche und dem porösen Polster hergestellt wird, wenn die Scheibe auf das Polster gedrückt und mittels der chirurgischen Abdeckung gesichert wird.

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(6) Der Zulässigkeit der beschränkten Verteidigung steht auch nicht entgegen, dass es nicht zulässig ist, den Patentanspruch durch ein nicht-ursprungsoffenbartes Merkmal zu beschränken. Denn Merkmal 4b ist bereits im erteilten Patentanspruch 1 enthalten. Dass es Bestandteil des im Übrigen unbedenklichen Hilfsantrags I ist, kann daher dessen Zulässigkeit nicht in Frage stellen.

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3. Die Beurteilung des Patentgerichts, wonach Patentanspruch 1 nicht zulässigerweise in der Fassung des Hilfsantrags I (früherer Hilfsantrag 6 neu) verteidigt werden kann, hält mithin der Prüfung im Berufungsverfahren nicht stand.

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Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht (§ 119 Abs. 2, 3 PatG). Eine eigene Entscheidung des Senats in der Sache ist nicht angezeigt (§ 119 Abs. 5 Satz 1 PatG). Das Patentgericht hat die Patentfähigkeit des Gegenstands von Patentanspruch 1 in der Fassung dieses Hilfsantrags bislang nicht geprüft. Bei dieser nunmehr erforderlichen Prüfung wird das Patentgericht das nicht-ursprungsoffenbarte Merkmal außer Betracht zu lassen haben.

Meier-Beck                           Hoffmann                       Deichfuß

                   Kober-Dehm                        Feddersen

(1) Das Patent wird auf Antrag (§ 81) für nichtig erklärt, wenn sich ergibt, daß einer der in § 21 Abs. 1 aufgezählten Gründe vorliegt oder der Schutzbereich des Patents erweitert worden ist.

(2) § 21 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 75/08 Verkündet am:
12. Juli 2011
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Reifenabdichtmittel
EPÜ Art. 123 Abs. 2; PatG § 38
Ist den ursprünglichen Unterlagen der Patentanmeldung zu entnehmen, dass
ein Erzeugnis bestimmte Bestandteile "enthalten" soll, ist damit nicht ohne weiteres
auch als zur Erfindung gehörend offenbart, dass ihm keine weiteren Bestandteile
hinzugefügt werden dürfen. Für die Offenbarung, dass es zur Erfindung
gehört, dass das Erzeugnis ausschließlich aus den genannten Bestandteilen
"besteht", bedarf es vielmehr in der Regel darüber hinausgehender Anhaltspunkte
in den ursprünglichen Unterlagen, wie etwa des Hinweises, dass das
ausschließliche Bestehen des Erzeugnisses aus den genannten Bestandteilen
besondere Vorteile hat oder sonst erwünscht ist.
BGH, Urteil vom 12. Juli 2011 - X ZR 75/08 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. Juli 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck,
den Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens, den Richter Dr. Grabinski
und die Richterin Schuster

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 16. Mai 2008 an Verkündungs Statt zugestellte Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des europäischen Patents 0 753 420 (Streitpatents), das am 9. Juli 1996 unter Inanspruchnahme zweier deutscher Prioritätsanmeldungen vom 11. Juli und 8. Dezember 1995 angemeldet wurde.
2
Patentanspruch 1, auf den die Patentansprüche 2 bis 9 unmittelbar oder mittelbar rückbezogen sind, und Patentanspruch 18, auf den die Patentansprüche 19 und 20 unmittelbar rückbezogen sind, haben in der englischen Verfahrenssprache des Streitpatents folgenden Wortlaut: "1. A preparation for sealing tyres with a puncture which is introducible via the valve into the tyre, characterized in that the preparation contains a natural rubber latex and an adhesive resin compatible with the rubber latex.
18. An apparatus for the sealing of punctures and pumping up of tyres, comprising a pressure-tight container (4) containing a sealing preparation (6) and having an outlet valve for the sealing preparation and also a gas inlet, and a pressure source with which gas under pressure can be introduced into the pressure-tight container via the gas inlet, characterized in that the sealing preparation (6) is according to any of claims 1 to 9."
3
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand der Patentansprüche 1 bis 9 sowie 18 bis 20 sei nicht patentfähig. Demgegenüber hat die Beklagte das Streitpatent in der erteilten Fassung und in der Fassung von sechs Hilfsanträgen verteidigt.
4
Das Patentgericht hat das Streitpatent im angegriffenen Umfang für nichtig erklärt. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung,
5
wobei sie das Streitpatent zuletzt mit einem Haupt- und drei Hilfsanträgen verteidigt. Nach dem Hauptantrag soll Patentanspruch 1 folgende Fassung erhal6 ten: "Verwendung eines Mittels zum Abdichten von Reifen bei Pannen durch Einführen über das Ventil in den Reifen, wobei das Mittel einen Kautschuklatex und ein mit dem Kautschuklatex kompatibles Klebstoffharz enthält und wobei der Kautschuklatex im Wesentlichen nur aus Naturkautschuklatex besteht." Nach Hilfsantrag I soll Patentanspruch 1 lauten:
7
"Verwendung eines Mittels zum Abdichten von Reifen bei Pannen durch Einführen über das Ventil in den Reifen, wobei das Mittel aus einem Kautschuklatex, einem pH-Regulator, einem mit dem Kautschuklatex kompatiblen Klebstoffharz, einem Gefrierschutzmittel und optional einem Dispergiermittel besteht, wobei der Kautschuklatex im Wesentlichen nur aus Naturkautschuklatex besteht." Nach Hilfsantrag II soll Patentanspruch 1 folgende Fassung erhalten:
8
"Verwendung eines Mittels zum Abdichten von Reifen bei Pannen durch Einführen über das Ventil in den Reifen, wobei das Mittel einen Kautschuklatex und ein mit dem Kautschuklatex kompatibles Klebstoffharz enthält, wobei in dem Mittel das Gewichtsverhältnis von Kautschuk zu Klebstoffharz 4:1 bis 1:1 beträgt und wobei der Kautschuklatex im Wesentlichen nur aus Naturkautschuklatex besteht." Mit Hilfsantrag III wird folgende Fassung des Patentanspruchs 1 vertei9 digt: "Verwendung eines Mittels zum Abdichten von Reifen bei Pannen durch Einführen über das Ventil in den Reifen, wobei das Mittel aus einem Naturkautschuklatex, einem pH-Regulator, einem mit dem Kautschuklatex kompatiblen Klebstoffharz und einem Gefrierschutzmittel besteht." An Patentanspruch 1 in der Fassung des Hauptantrags und der Hilfsan10 träge sollen sich jeweils die erteilten Patentansprüche 2 bis 9 und 18 bis 20 mit Ausnahme des Hauptantrags umformuliert zu Verwendungsansprüchen anschließen. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
11
12
Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr. Claus D. E. , Universität S. , Institut für Polymerchemie, ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


Die Berufung ist zulässig, bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
13
I. Das Streitpatent betrifft ein Mittel zum Abdichten von Reifen bei Pan14 nen und eine Vorrichtung zum Abdichten und Aufpumpen von Reifen bei Pannen mit einem druckfesten Behälter. In der Beschreibung wird ausgeführt, dass bereits verschiedene Abdich15 tmittel für Reifenpannen auf dem Markt seien. Während die meisten Latices kolloidale Dispersionen aus Polymeren in einem wässrigen Medium enthielten, gebe es auch andere Abdichtmittel, deren Trägermittel nicht Wasser, sondern Tetrachlorethylen sei. Eine aus der US-Patentanmeldung 4 116 895 (KS 29) bekannte Abdichtzusammensetzung sei dazu bestimmt, bei der Herstellung des Reifens auf dessen innerer Oberfläche aufgebracht zu werden, damit sich ein teilweise vernetzter Kautschuk bilde. Dies habe jedoch den Nachteil, dass sich das Gewicht des Reifens bzw. des Radaufbaus von Anfang an vergrößere (Rn. 3). Ferner sei bekannt, im Falle einer Reifenpanne das Abdichtmittel aus ei16 nem druckfesten Behälter mit einem verflüssigten Gas als Druckquelle (Spraydose ) durch das Reifenventil in das Innere des Reifens zu sprühen. Dabei werde der Reifen mittels des Treibgases auf einen bestimmten Druck aufgepumpt und dann einige Kilometer in Abhängigkeit von der Art des Defektes gefahren, um das Abdichtmittel im Inneren des Reifens zu verteilen und den Defekt abzudichten (Rn. 5). Bei einer anderen Vorrichtung werde der Ventileinsatz entfernt und das Abdichtmittel durch Pressen einer Flasche in den Reifen gespritzt, der Ventileinsatz wieder eingesetzt und der Reifen mit Hilfe von Kohlendioxidpatro- nen wieder aufgepumpt (Rn. 6). Nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift seien die bisher verwendeten Abdichtmittel jedoch nicht zufriedenstellend , weil sie leicht mechanisch entfernt werden könnten, einige von ihnen nicht ausreichend wasserfest seien und keine Abdichtung bewirkten, wenn der Reifendefekt an den Rändern des Reifens (Protektorauslauf) liege (Rn. 7). Der Erfindung liegt nach den Angaben der Streitpatentschrift das Prob17 lem ("die Aufgabe") zugrunde, ein Abdichtmittel bereit zu stellen, das eine wirksame Abdichtung auch bei Nässe sowie bei Defekten im Protektorauslauf erreiche und das mechanisch schwer zu entfernen sei. Außerdem sollen Vorrichtungen zum Einbringen des Abdichtmittels in den Reifen und Aufpumpen des Reifens auf einen Druck vorgestellt werden, bei dem der Reifen verwendet werden kann (Rn. 11). Die Lehre aus Patentanspruch 1 in der im Hauptantrag von der Beklag18 ten verteidigten Fassung umfasst folgende Merkmale: 1. Das Mittel wird verwendet zum Abdichten von Reifen bei Pannen durch Einführen über das Ventil in den Reifen. 2. Das Mittel enthält einen Kautschuklatex, der im Wesentlichen nur aus Naturkautschuk besteht. 3. Das Mittel enthält einen Klebstoffharz, der mit Kautschuklatex kompatibel ist. In der Streitpatentschrift wird dem Fachmann, bei dem es sich um einen
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Chemiker handelt, der über vertiefte Kenntnisse und praktische Erfahrungen auf dem Gebiet der Kautschuktechnologie (natürliche und synthetische Werkstoffe und deren Verarbeitung) insbesondere im Hinblick auf die Herstellung von Abdichtmitteln von Reifen verfügt und sich in diesem Zusammenhang auch mit Dispersionsklebstoffen und Fragen der Polymerchemie beschäftigt hat, erläutert , dass ein Klebstoffharz "kompatibel" mit dem Kautschuklatex ist, wenn er keine Koagulation desselben verursacht. "Klebstoffharze" sind Harze, welche die Haftfähigkeit des Kautschuklatex am Reifen verbessern, wie etwa Harze, denen Elastomere als Klebrigmacher ("Tackifier") zugesetzt worden sind (Rn. 14). Merkmal 3 schließt es aus Sicht des Fachmanns nicht aus, dass das Mittel neben einem Naturkautschuklatex auch synthetischen Kautschuk "enthält". Das exklusive Vorhandensein von Naturkautschuk in dem Mittel ist in der Streitpatentschrift lediglich als "besonders bevorzugt" beschrieben (vgl. Rn. 16). II. Das Patentgericht hat es dahingestellt sein lassen, ob dem Gegen20 stand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung bereits die Neuheit fehle, weil er durch die französische Patentschrift 1 016 016 (KS 4) offenbart sei. Denn jedenfalls sei der Fachmann im Prioritätszeitpunkt in der Lage gewesen, die Lehre des Patentanspruchs 1 aus der US-Patentschrift 4 501 825 (KS 6) in Verbindung mit der US-Patentschrift 4 337 322 (KS 19) in naheliegender Weise aufzufinden. In der KS 6 sei ein Mittel zum Abdichten von Reifen bei Pannen be21 schrieben, wobei das Mittel über das Ventil in den Reifen einführbar sei. Dieses Mittel enthalte neben anderen Bestandteilen einen Kautschuklatex und ein Klebstoffharz. Zwar sei nicht ausdrücklich angesprochen, dass das Klebstoffharz mit dem Kautschuklatex kompatibel sei. Dem Fachmann, der auch wisse, dass Phenolharze zu den gebräuchlichsten Additiven in der KautschukVerarbeitung zählten, werde jedoch mangels gegenteiliger Hinweise aus der KS 6 den Schluss ziehen, dass mit dem Einsatz von Phenolharzen als Klebharz die Eigenschaften von Kautschuklatices nicht beeinträchtigt würden und Phenolharze deshalb keinerlei Koagulation der Latices verursachten. Da das in der KS 6 beschriebene Abdichtmittel zum Zeitpunkt der Anwendung bei einer Rei- fenpanne fließfähig sei, müsse das in KS 6 verwendete Klebstoffharz zwangsläufig auch kompatibel mit dem Kautschuklatex sein.
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Als Material für den Kautschuklatex schlage die KS 6 vor, Polymere und/oder Copolymere von Isopren, Styrol und Butadien einzusetzen. Zwar gehe aus der Stoffangabe Polyisopren nicht ausdrücklich hervor, dass Naturkautschuk - aufgrund der gleichen chemischen Zusammensetzung - ein Mittel der Wahl sei, zumal in den Beispielen der KS 6 ein solcher nicht genannt sei. Allerdings werde der Fachmann Naturkautschuk als Polyisopren schon deshalb in seine Überlegungen einbeziehen, weil in der Beschreibungseinleitung der KS 6 als Stand der Technik auf die US-Patentschrift 4 337 322 (KS 19) Bezug genommen werde, aus der ein Reifenabdichtmittel hervorgehe, das neben anderen Bestandteilen ebenfalls Polyisopren und zwar in Form eines Naturkautschuklatex enthalte. Damit verdeutliche die KS 19, dass es sich bei Polyisopren und Naturkautschuk um für den Fachmann auf dem Gebiet der Reifenabdichtmittel überschneidende Begriffe und um zwei nicht klar voneinander abgrenzbare Stoffe handele. Deshalb werde der Fachmann, wenn er mit der Entwicklung eines Reifenabdichtmittels befasst sei, bei dem Hinweis auf Polyisopren zwangsläufig auch Naturkautschuklatex als parates Mittel in Erwägung ziehen und zwar unabhängig von der Bezeichnung in der jeweiligen Veröffentlichung. Auch der Einwand der Beklagten, der Fachmann beziehe die KS 6 nicht
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in seine Überlegungen mit ein, weil es sich um die Bereitstellung eines Abdichtmittels auf Basis synthetischer Kautschuklatices handele, überzeuge nicht. Im Streitpatent sei auch der Einsatz von Synthesekautschuklatices als geeignet beschrieben, darunter auch Styrolbutadienlatex. Die Verwendung von natürlichen Kautschuklatices allein als Kautschuklatex sei lediglich eine besonders bevorzugte Ausführungsform. Die von der Beklagten weiter geltend gemachten Vorteile, insbesondere unerwartete Vorteile des erfindungsgemäßen Abdicht- mittels, qualifizierten dieses ebenfalls nicht als Ergebnis einer erfinderischen Tätigkeit.
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Wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit nicht rechtsbeständig seien überdies die Unteransprüche im angegriffenen Umfang sowie die Fassungen des Patentanspruchs 1, mit denen die Beklagte das Streitpatent hilfsweise verteidigt habe. III. Die Überlegungen des Patentgerichts halten den Angriffen der Beru25 fung auch hinsichtlich der mit Haupt- und Hilfsanträgen verteidigten Fassung des Patentanspruchs 1 im Wesentlichen stand. 1. Dem Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des Haupt26 antrags fehlt die Patentfähigkeit (Art. 52 EPÜ).
a) Die Lehre aus Patentanspruch 1 ist allerdings neu (Art. 54 EPÜ). Wie
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sich aus den oben wiedergegebenen Ausführungen des Patentgerichts in dem mit der Berufung angegriffenen Urteil ergibt und zwischen den Parteien auch nicht streitig ist, offenbart die US-Patentschrift 4 501 825 (KS 6) zwar ein Mittel zum Abdichten von Reifen, das mit Ausnahme der näheren Definition der Latexkomponente der Lehre des Patentanspruchs 1 entspricht. Insbesondere konnte der Fachmann der Entgegenhaltung die Verwendung des Mittels zum Abdichten von Reifen bei Pannen durch Einführen über das Ventil in den Reifen im Pannenfall entnehmen (vgl. KS 6, Sp. 2 Z. 53 ff.). Nicht offenbart ist jedoch das Merkmal 2, wonach das Mittel einen Kaut28 schuklatex enthalten soll, der im Wesentlichen nur aus Naturkautschuklatex besteht. In der Vorveröffentlichung wird zwar ausgeführt, dass als Latexkomponente alle geeigneten polymerischen oder copolymerischen Latices, wie Polymere oder Copolymere von Isopren, Styrol und Butadien in Betracht kommen (K 6, Sp. 3 Z. 44 ff.). Zudem war dem Fachmann bekannt, dass Naturkautschuk ein Polymer von Isopren ist. Unter die abstrakte Bezeichnung "Polymere oder Copolymere von Isopren, Styrol und Butadien" fallen jedoch mehrere Tausend natürliche oder synthetische Verbindungen (vgl. die gutachterliche Stellungnahme von Prof. Dr. Dr. W. vom 21.1.2011, E 24), und Naturkautschuk wird weder an dieser noch an einer anderen Stelle der Entgegenhaltung ausdrücklich als mögliche Latexkomponente erwähnt. Es kann daher nicht angenommen werden, dass es aus fachlicher Sicht selbstverständlich gewesen ist und deshalb keiner besonderen Offenbarung bedurfte, Naturkautschuk als Latexkomponente auszuwählen (vgl. Senat, Urteil vom 16. Dezember 2008 - X ZR 89/07, Rn. 26, BGHZ 179, 168, 174 - Olanzapin).
b) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des Hauptan29 trags ergab sich für den Fachmann allerdings in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik (Art. 56 EPÜ). Wie dargelegt wurde dem Fachmann in der KS 6 ein Mittel zum Abdich30 ten von Reifen bei Pannen durch Einführen über das Ventil offenbart, welches unter anderem ein Klebstoffharz enthält, das mit der Latexkomponente kompatibel ist. Hinsichtlich der genauen Art des zu verwendenden Latex erhielt er aus der Entgegenhaltung die Anregung, dafür ein geeignetes Polymer oder ein Copolymer von Isopren, Styrol und Butadien zu nehmen (K 6, Sp. 3 Z. 44 ff.). Zwar wird als insoweit bevorzugte Latexkomponente ein Styrol-Butadien-Copolymer genannt, das unter der Marke Pliolite 5336 von Goodyear erhältlich ist, einen Butadiengehalt von über 50 % aufweist und auf der Basis von Fettsäureemulsion hergestellt ist (KS 6, Sp. 3 Z. 47 ff.), und dieses Latex (Pliolite Latex) wird auch in Ausführungsbeispiel 1 der Entgegenhaltung zur Herstellung des Abdichtmittels eingesetzt (KS 6, Sp. 5 Z. 31, 38). Jedoch schloss dies aus Sicht des Fachmanns auf Grundlage der allgemeinen Erläuterungen in der Entgegenhaltung , dass insoweit "jedes geeignete Polymer oder Copolymer von Isopren , Styrol und Butadien" in Betracht kommt, nicht aus, als Latexkomponente auch einen anderen Latex als das ausdrücklich genannte Produkt Pliolite 5336 oder ein sonstiges Copolymer von Styrol und Butadien zu nehmen. Als eine solche alternative Latexkomponente bot sich dem Fachmann nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung ein Naturkautschuklatex als (Mono-)Polymer von Isopren an. Für diese Alternative sprach zunächst die Überlegung, dass für die Herstellung von Reifen üblicherweise Mischungen aus Styrol-Butadien (SBR [StyreneButadiene -Rubber]) und Naturkautschuk verwendet werden und die Verwendung eines Naturkautschuklatex es daher wie bei der von der KS 6 ausdrücklich gelehrten Benutzung eines Styrol-Butadien-Copolymers erlaubte, für die Latexkomponente eines Mittels zur Abdichtung von Reifen, das sich fest und dauerhaft mit dem Reifen verbinden soll, auf einen Reifengrundstoff zurückzugreifen. Hinzu kamen die hervorragenden elastomeren Eigenschaften des aus Latex ausgefällten und aufgearbeiteten Naturkautschuks aufgrund des hohen Anteils von cis-1,4-Polyisopren (vgl. Gutachten, S. 10 f.), die aus fachlicher Sicht Naturkautschuklatex als eine realistische Alternative zu Styrol-Butadien als Latexkomponente erscheinen ließen. In diesen Überlegungen konnte sich der Fachmann dadurch bestätigt
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sehen, dass in der KS 6 bei der Darstellung des Standes der Technik auf die US-Patentschrift 4 337 322 (KS 19) verwiesen und dabei ausgeführt wird, dass diese eine Zusammensetzung für die Radauswuchtung und Abdichtung offenbart , die neben anderen Komponenten aus Polyisopren besteht. Der KS 19 konnte der Fachmann dann bei der Beschreibung der bevorzugten Ausführungsform entnehmen, dass als Polyisopren ein ungehärteter Naturlatex eingesetzt werden kann bzw. das Polyisopren in der Form von natürlichem Latexkautschuk (natürlichem Poly-cis-1,4-polyisopren) in dem Abdichtmittel enthalten ist (KS 19, Sp. 2 Z. 12, 21 ff.). Dies war geeignet, den Fachmann darin zu be- stärken, für das Abdichtmittel als Latexkomponente einen Naturkautschuklatex in Erwägung zu ziehen. Das wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass die KS 19 vor allem
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die vorbeugende Behandlung eines Reifens gegen Perforationen betrifft und die Reparatur eines bereits platten Reifens nicht erwähnt (vgl. K 19, Sp. 1 Z. 29 ff.; Sp. 2 Z. 53 ff.). Denn dabei handelt es sich vornehmlich um einen anwendungstechnischen Unterschied, der es, wie die Erörterung mit dem gerichtlichen Sachverständigen bestätigt hat, aus fachlicher Sicht jedenfalls nicht ausschließt , die Verwendung des in der KS 19 als Polyisoprenkomponente vorgeschlagenen natürlichen Kautschuklatex als Latexkomponente des in der KS 6 vorgeschlagenen Abdichtmittels in Erwägung zu ziehen. Zwar sind die Ausführungen der Beklagten zutreffend, dass es sich bei
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den in der KS 6 neben Polymeren oder Copolymeren von Isopren genannten beiden anderen Latices (Polymere oder Copolymere von Styrol und/oder Butadien ) um synthetische Kautschuklatices handelt. Dies rechtfertigt jedoch nicht den Schluss, dass auch mit dem Begriff der Polyisoprene, der nach allgemeinem Verständnis sowohl natürliche als auch synthetische Polymere des Isopren umfasst, lediglich synthetische Polymere des Isoprens gemeint sind. Ein derart eingeschränktes fachliches Verständnis wird durch die KS 6 nicht veranlasst, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend in seinem Gutachten ausgeführt und in der Verhandlung bestätigt hat. Der Beklagten kann daher nicht in dem Argument gefolgt werden, dass die Beschreibung der Entgegenhaltung ganz (ausschließlich) auf die Verwendung von synthetischem Latex ausgerichtet sei. Dies verkennt den Begriff des Polyisoprens, der nach allgemeinem Verständnis neben synthetischen auch natürliche Polymere von Isopren umfasst und der auch im Offenbarungsgehalt der KS 6 nicht eingeschränkt worden ist.
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Es mag sein, dass sich Naturkautschuklatex und synthetischer Latex insbesondere auch von Polyisopren hinsichtlich ihrer Zusammensetzung und ihrer Eigenschaften (Stereoisomerenreinheit, Molekulargewicht und Molekularverteilung , Anwesenheit funktioneller Gruppen und Art der vorhandenen Gruppen ) unterscheiden, wie von der Beklagten im Einzelnen ausgeführt worden ist. Es ist aber nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht dargetan worden, inwiefern diese Unterschiede den Fachmann am Prioritätstag des Streitpatents davon hätten abhalten sollen, entsprechend der Anregung in KS 6 natürliches Polyisopren als Latex in Betracht zu ziehen und - wie dargelegt - gestützt auf sein Fachwissen und entsprechend der Anregung in der KS 19, auf die in der KS 6 hingewiesen wird, bei der Herstellung des Reifendichtmittels zu verwenden. 2. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsan35 trags I geht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus und ist daher nicht zulässig (Art. 123 Abs. 2 EPÜ). Zur Feststellung einer unzulässigen Erweiterung ist der Gegenstand des
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erteilten Patents mit dem Inhalt der ursprünglichen Unterlagen zu vergleichen. Der Inhalt der Patentanmeldung ist der Gesamtheit der Unterlagen zu entnehmen. Der Patentanspruch darf nicht auf einen Gegenstand gerichtet werden, den die ursprüngliche Offenbarung aus Sicht des Fachmanns nicht zur Erfindung gehörend erkennen lässt (Senat, Urteil vom 5. Juli 2005 - X ZR 30/02, GRUR 2005, 1023, 1024 - Einkaufswagen II; Urteil vom 22. Dezember 2009 - X ZR 28/06, Rn. 29, GRUR 2010, 513 - Hubgliedertor II). Dies ist jedoch hier der Fall. Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags I unterscheidet sich
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von selbigem in der Fassung des Hauptantrags dadurch, dass nicht mehr nur vorgesehen ist, dass das Abdichtmittel, dessen Verwendung im Pannenfall un- ter Schutz gestellt werden soll, einen (Natur-)Kautschuklatex und ein mit diesem kompatibles Klebstoffharz "enthält", sondern dass das Abdichtmittel aus einem (Natur-)Kautschuklatex, einem pH-Regulator, einem mit dem Kautschuklatex kompatiblen Klebstoffharz und optional einem Dispergiermittel "besteht". Dies ist - wie auch die Beklagte in der Verhandlung ausgeführt hat - aus fachlicher Sicht dahin zu verstehen, dass das erfindungsgemäße Abdichtmittel ausschließlich aus den genannten Bestandteilen bestehen darf, wobei lediglich das Dispergiermittel nicht zwingend enthalten sein muss. Insbesondere dürfen dem erfindungsgemäßen Abdichtmittel damit auch keine Füllstoffe, wie etwa faserige Materialien, zugesetzt worden sein. Gerade auf das Fehlen solcher faserigen Materialien, auf das im ursprünglich formulierten Hilfsantrag IV ausdrücklich abgestellt worden war, zielt erklärtermaßen die von der Beklagten gewählte Anspruchsfassung. Die Verwendung eines Abdichtmittels im Pannenfall, das ausschließlich
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aus einem (Natur-)Kautschuklatex, einem pH-Regulator, einem mit dem Kautschuklatex kompatiblen Klebstoffharz besteht und dem allein ein Dispergiermittel wahlweise zugegeben werden durfte, wird dem Fachmann in der ursprünglichen Anmeldung jedoch nicht als zur Erfindung gehörend offenbart. In den gesamten Anmeldungsunterlagen findet sich an keiner Stelle ein Hinweis darauf, dass eine derart exklusive Zusammensetzung des Abdichtmittels, die vor allem auch keine Füllstoffe aufweist, besondere technische Vorteile hat oder sonst erwünscht ist und deshalb vom Fachmann als zur Erfindung gehörend angesehen wird. In der Anmeldung wird zwar, worauf die Beklagte insoweit zutreffend im
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Verhandlungstermin hingewiesen hat, ein Ausführungsbeispiel beschrieben, bei dem ein Abdichtmittel durch Mischen von Naturkautschuklatex (300 g Naturkautschuklatex mit einem Kautschukgehalt von 60 Gew.-%), das einen pHRegulator (Ammoniak) enthält, unter einen Klebstoffharz (120 g Terpenphenol- harzdispersion mit einem Harzgehalt von 55 Gew.-% [Dermulsene®]) und nach Zugabe eines Gefrierschutzmittels (67 g Ethylenglycol) hergestellt wurde (vgl. Rn. 49). Damit wurde dem Fachmann jedoch lediglich ein Abdichtmittel als erfindungsgemäß offenbart, das die genannten Bestandteile enthält, nicht aber ein solches, das (ausgenommen die wahlweise Zugabe von Dispergiermittel) exklusiv aus diesen Komponenten bestehen und damit insbesondere auch keine Füllstoffe, wie etwa faserige Materialen, umfassen darf. Vielmehr wird an anderer Stelle in der Anmeldung die Zugabe von einem oder mehreren Füllstoffen wie etwa faserigen Materialien als für eine rasche Abdichtung oder für die Abdichtung größerer Löcher vorteilhaft gelehrt (Rn. 20), ohne dass eine solche Zugabe im Hinblick auf das Ausführungsbeispiel ausgeschlossen wird, so dass aus fachmännischer Sicht insoweit kein Grund zu der Annahme besteht, dass die Aufzählung der in dem Ausführungsbeispiel genannten Komponenten zwingend als abschließend zu verstehen ist. 3. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsan40 trags II, der sich von Patentanspruch 1 in der Fassung des Hauptantrags durch das zusätzliche Merkmal unterscheidet, dass das Gewichtsverhältnis von Kautschuk zu Klebstoffharz 4:1 bis 1:1 betragen soll, ist zulässig, aber nicht patentfähig. War es für den Fachmann - entsprechend den obigen Ausführungen zu
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Patentanspruch 1 in der Fassung des Hauptantrags - naheliegend, als Alternative zu Styrol-Butadien-Latex Naturkautschuklatex in Erwägung zu ziehen, so stellte sich ihm bei der Formulierung einer konkreten Rezeptur die Frage nach dem Gewichtsverhältnis von Kautschuk zu Klebstoffharz. Der KS 6 entnahm er insoweit gemäß der allgemeinen Definition der Mischung in der Beschreibung (KS 6, Sp. 3 Z. 9 ff.) und in Patenanspruch 1, dass der Massenanteil von Harz und Latexdichtmittel jeweils zwischen 20 - 40 % liegen kann. Da die Entgegenhaltung keine näheren Angaben zu dem Gewichtsverhältnis von Kautschuk zu Klebstoff enthält, lag für den Fachmann, wie auch das Patentgericht angenommen hat, im Hinblick auf die parallelen Bereichsangaben der Massenanteile von Harz und Latexdichtmittel die Annahme nahe, dass der Feststoffanteil in der wässrigen Phase bei dem Harz und dem Latexdichtmittel in etwa identisch ist, so dass die in der KS 6 offenbarten Gewichtsverhältnisse von Kautschuk zu Klebstoffharz in einem Bereich von etwa 1:2 bis etwa 2:1 liegen. Dabei liegt, wie auch der gerichtliche Sachverständige im Verhandlungstermin bestätigt hat, die genaue Bestimmung des Gewichtsverhältnisses von Kautschuk und Klebstoffharz für das bei Reifenpannen zu verwendende Dichtmittel im "Erprobungsermessen" des Fachmanns, wobei es diesem aufgrund seines Fachwissens auch bekannt ist, das ein verhältnismäßig hoher Anteil von Kautschuk die elastomeren Eigenschaften des Dichtmittels verbessert, so dass er auch unter diesem Gesichtspunkt motiviert ist, den Gewichtsanteil von Kautschuk nicht geringer, sondern höher als den von Klebstoffharz zu bestimmen. 4. Dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der Fassung des
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Hilfsantrags III über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus geht und daher nicht zulässig ist, folgt ohne weiteres aus den Ausführungen zu Patentanspruch 1 in der Fassung des Hilfsantrags I, weil sich Patentanspruch 1 in der Fassung der Hilfsanträge I und III lediglich darin unterscheiden, dass die optionale Zugabe von Dispergiermittel nicht mehr erlaubt ist. 5. Dass die jeweils auf Patentanspruch 1 in der Fassung des Hauptan43 trags und der drei Hilfsanträge rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 9 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen, ist bereits vom Patentgericht verneint worden. Es ist auch unter Berücksichtigung der Neufassung des Patentanspruchs 1 als Verwendungsanspruch weder von der Beklagten dargelegt worden noch sonst ersichtlich, dass die Beurteilung des Patentgerichts fehlerhaft wäre. Gleiches gilt hinsichtlich des Patentanspruchs 18 und der auf diesen rückbezogenen Patentansprüche 19 und 20; die Patentfähigkeit des Gegen- stands dieser Vorrichtungsansprüche hat auch die Beklagte nur mit denjenigen Erwägungen gerechtfertigt, die sie zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 angeführt hat. IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 97
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Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck Keukenschrijver Mühlens
Grabinski Schuster
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 16. Mai 2008 – 3 Ni 48/07 (EU) –

(1) Im Falle der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses ist die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückzuverweisen.

(2) Das Patentgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.