Bundesgerichtshof Urteil, 17. Feb. 2015 - X ZR 161/12

bei uns veröffentlicht am17.02.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 3. Juli 2012 aufgehoben.

Das europäische Patent 1 088 569 wird mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt, soweit sein Gegenstand über folgende Fassung der Patentansprüche hinausgeht:

"1. Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks auf eine Oberflächenwunde in einem Säuger, die umfasst: ein poröses Polster (102) aus offenem, eine Verbindung schaffendem, zellförmigen Weichschaum, eine Pumpe (6), eine Saugleitung (101) zum Verbinden des porösen Polsters mit der Pumpe (6), einem Verbinder zum Verbinden des Polsters mit der Saugleitung, eine chirurgische Abdeckung (701) zum Bilden einer luftdichten Abdichtung über der Wundstelle, über dem Polster und über dem Verbinder, wobei der Verbinder einen Ausguss (602) zum Verbinden des von der Pumpe (6) ferngelegenen Endes der Saugleitung (101) mit der Wundstelle aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass der Verbinder eine scheibenartige Schale (601) umfasst, deren untere Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt steht, und wobei die Saugleitung (101) als innere Bohrung (606) in einer Multilumenleitung ausgebildet ist, die ferner Kanäle (607) umfasst, mittels deren ein Aufnehmer (108) den Druck an der Wundstelle misst.

2. Vorrichtung nach Anspruch 1, wobei das poröse Polster (102) einen Polyvinylalkoholschaum umfasst.

3. Vorrichtung nach Anspruch 1 oder 2, wobei die chirurgische Abdeckung (701) ein Loch (702) für den Ausguss (602) aufweist, durch das dieser sich hindurch erstreckt.

4. Vorrichtung nach Anspruch 3, wobei die chirurgische Abdeckung (701) eine Kunststofffolie (701) umfasst, die mit einem druckempfindlichen Klebstoff zum Befestigen des porösen Polsters (102) und des Verbinders an der Wunde beschichtet ist."

Im Übrigen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Patentgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 088 569 (Streitpatents), das aus einer am 8. Januar 2001 eingereichten Teilanmeldung hervorgegangen ist. Diese geht zurück auf eine als WO 97/18007 veröffentlichte internationale Patentanmeldung vom 14. November 1996 (Stammanmeldung), die beim Europäischen Patentamt als europäische Anmeldung 865 304 geführt wird. Das Streitpatent betrifft eine tragbare Wundbehandlungseinrichtung und umfasst fünf Patentansprüche. Patentanspruch 1, auf den die weiteren Ansprüche unmittelbar oder mittelbar rückbezogen sind, lautet in der Verfahrenssprache:

"Apparatus for applying negative pressure to a superficial wound in a mammal which comprises a porous pad (102) of open, intercommunicating cellular flexible foam, a pump (6), a suction tube (101) for connecting the porous pad to the pump (6), a connector for connecting the pad to the suction tube, a surgical drape (701) for forming an air-tight seal over the wound site, over the pad and over the connector, said connector having a spout (602) for connecting the end of the suction tube (101) remote from the pump (6) to the wound site, characterized in that the connector comprises a disc-like cup (601) having its lower face in contact with said porous pad."

2

Die Klägerin zu 1 hat das Streitpatent in vollem Umfang, die Klägerin zu 2 im Umfang der Patentansprüche 1 bis 4 angegriffen. Die Klägerinnen haben geltend gemacht, der Gegenstand von Patentanspruch 1 sei nicht patentfähig und beruhe auf einer unzulässigen Erweiterung. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung und mit zuletzt sechs Hilfsanträgen verteidigt. Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt.

3

Gegen das Urteil des Patentgerichts wendet sich die Berufung der Beklagten, die in erster Linie weiterhin die Abweisung der Klagen begehrt und hilfsweise das Streitpatent in beschränkten Anspruchsfassungen verteidigt. Die Klägerinnen treten dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe

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I. Das Streitpatent betrifft eine tragbare Vorrichtung zur Wundbehandlung.

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1. Nach der Schilderung der Streitpatentschrift waren im Stand der Technik, etwa aus der internationalen Anmeldung WO 96/05873, Vorrichtungen zur Behandlung von Wunden bekannt, bei denen der Wundheilungsprozess durch Anlegen von Unterdruck gefördert werde. Eine solche Vorrichtung umfasse ein poröses, für Flüssigkeiten durchlässiges Polster, das in die Wunde eingeführt werden könne, einen Verband, mit dem die Wunde abgedeckt und luftdicht abgedichtet werde, eine Abflussleitung, die das Polster mit einer Saugpumpe verbinde, so dass Unterdruck an die Wunde angelegt und Flüssigkeiten aus dieser abgesaugt werden könne, und schließlich einen Behälter, in dem die abgesaugte Flüssigkeit gesammelt werde.

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Wie eine solche, im Stand der Technik bekannte Vorrichtung aussieht, zeigt beispielsweise die Figur 10 der erwähnten internationalen Anmeldung,

Abbildung

bei der Bezugszeichen 210 die Wunde, Bezugszeichen 36 ein poröses, flüssigkeitsdurchlässiges Schaumstoffpolster (foam pad), Bezugszeichen 37 den Schlauch und Bezugszeichen 43 die luftdichte Wundabdeckung bezeichnet.

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Das technische Problem, welches das Streitpatent lösen soll, besteht darin, eine Vorrichtung bereitzustellen, die eine solche Wundbehandlung mit Unterdruck bequemer macht und ihre Anwendung insbesondere auch bei mobilen, also nicht bettlägerigen Patienten erlaubt.

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2. Zur Lösung dieses Problems schlägt die Streitpatentschrift eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor (Gliederungspunkte des Patentgerichts in eckigen Klammern):

Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks auf eine Oberflächenwunde in einem Säuger [1], umfassend

1. ein poröses Polster (102) aus offenem, eine Verbindung schaffendem, zellförmigen Weichschaum (a porous pad of open, intercommunicating cellular flexible foam); [1.1]

2. eine Pumpe (6); [1.2]

3. eine Saugleitung (101) zum Verbinden des porösen Polsters mit der Pumpe; [1.3]

4. einen Verbinder zur Verbindung des Polsters mit der Saugleitung [1.4], der

a) einen Ausguss (spout) (602) zum Verbinden des von der Pumpe ferngelegenen Endes der Saugleitung (101) mit der Wundstelle aufweist, [1.6]

b) eine scheibenartige Schale (a disc-like cup) (601) umfasst, deren untere Fläche (lower face) mit dem porösen Polster in Kontakt steht; [1.7a und 1.7b]

5. eine chirurgische Abdeckung (701) zum Bilden einer luftdichten Abdichtung über der Wundstelle, über dem Polster und über dem Verbinder. [1.5]

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3. Einige Merkmale bedürfen der Erläuterung:

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a) Der Verbinder weist nach Merkmal 4a einen Ausguss (spout) auf, der dazu dient, das von der Pumpe entfernte Ende der Saugleitung mit der Wundstelle zu verbinden, während im Stand der Technik, wie etwa aus der oben wiedergegebenen Figur 10 ersichtlich, das Ende des Schlauchs in das Weichschaumstoffpolster eingeführt wurde. Nach der Beschreibung kann entweder der Ausguss das Ende des Schlauchs aufnehmen oder aber das Schlauchende in den Ausguss eingesetzt und zusätzlich in den Schaum gedrückt werden (Sp. 5, Z. 37 bis 39 und Z. 45 bis 47). Die Anordnung und Größe des Ausgusses überlässt das Streitpatent dem Fachmann, bei dem es sich hier, wie das Patentgericht unbeanstandet angenommen hat, um einen Diplom-Ingenieur der Medizintechnik handelt, der mit der Entwicklung von Unterdruck-Vorrichtungen zur Behandlung von Wunden vertraut ist und für die medizinischen Aspekte der Wundheilung einen entsprechend kundigen Arzt konsultiert.

11

b) Der Verbinder umfasst nach Merkmal 4b eine scheibenartige Schale (disc-like cup). Es handelt sich demnach um eine Vorrichtung, die einerseits die Form einer Schale aufweist, also nicht völlig eben ist, sondern an ihrem Rand aus dieser Ebene heraus gebogen ist, andererseits aber scheibenartig, also flach ausgestaltet ist. Unter einer scheibenartigen Schale versteht das Streitpatent mithin eine Schale, deren Höhe deutlich geringer ist als ihr Durchmesser. Ein solches Verständnis des Merkmals wird auch dadurch nahegelegt, dass die Wundheilungsvorrichtung am Körper getragen können werden soll (vgl. Figuren 3A und 3B), weshalb es vorteilhaft ist, sie möglichst flach zu halten. Hierfür spricht weiter, dass die Figuren 6B und 6C Schalen zeigen, die praktisch flach sind und nur einen minimal aufgebogenen Rand aufweisen.

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Für diese Auslegung spricht ergänzend, dass das Streitpatent in den Absätzen 6 und 7 die internationale Anmeldung WO 94/20041 (VP4 = D1) als nächstliegenden Stand der Technik bezeichnet, deren Inhalt der Oberbegriff von Patentanspruch 1 wiedergebe. Der Umstand, dass Patentanspruch 1 das Merkmal 4b als einziges kennzeichnendes Merkmal ausweist, legt den Schluss nahe, dass die in D1 in den dortigen Figuren 2 bis 5 mit den Bezugszeichen 29a, 29b, 29c und 29d gekennzeichneten Vorrichtungen nicht als scheibenartig anzusehen sein sollen. Die Auffassung der Klägerin zu 1, Absätze 6 und 7 des Streitpatents seien bei der Auslegung nicht zu berücksichtigen, weil sie in der Stammanmeldung nicht enthalten waren, trifft nicht zu. Bei der Ermittlung der mit einem Patentanspruch gegebenen Lehre sind Beschreibung und Zeichnungen heranzuziehen, die die technische Lehre des Patentanspruchs erläutern und veranschaulichen und daher nach ständiger Rechtsprechung nicht nur für die Bestimmung des Schutzbereichs (Art. 69 Abs. 1 EPÜ, § 14 PatG), sondern ebenso für die Auslegung des Patentanspruchs heranzuziehen sind. Dabei darf der Patentanspruch weder nach Maßgabe dessen ausgelegt werden, was sich nach Prüfung des Standes der Technik als patentfähig erweist, noch nach Maßgabe des Sinngehalts der Ursprungsunterlagen. Grundlage der Auslegung ist vielmehr allein die Patentschrift (BGH, Urteil vom 17. Februar 2012 - X ZR 117/11, BGHZ 194, 107 Rn. 27 f. - Polymerschaum).

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Merkmal 4b besagt weiter, dass die Unterseite der scheibenartigen Schale mit dem porösen Polster in Kontakt steht, was dahin zu verstehen ist, dass die konkave Seite der Schale mit dem Polster in einem flächigen Kontakt steht. Nach der Beschreibung des Streitpatents wird die Schale auf die poröse Abdeckung der Wunde gedrückt und durch eine chirurgische Abdeckung gesichert (Sp. 5 Z. 43 bis 45). Berücksichtigt man einerseits, dass die Schale scheibenartig, also flach ausgebildet ist, und andererseits, dass das poröse Polster aus Weichschaumstoff besteht, also nachgiebig ist, ergibt sich hieraus für den Fachmann, dass die Schale zwar nicht notwendigerweise vollflächig, aber auch nicht nur punktuell oder mit ihrem Rand, also entlang einer Linie auf dem Polster aufsitzt, sondern im Wesentlichen flächig auf diesem aufliegt. Aus fachlicher Sicht besagt dies, dass der Innenraum der Schale jedenfalls im Wesentlichen mit dem aus Weichschaum bestehenden Polster ausgefüllt ist, so dass keine größeren Freiräume bestehen bleiben. Dieses Verständnis des Merkmals ergibt sich für den Fachmann auch daraus, dass eine solche Gestaltung zu dem gewünschten, für eine tragbare Vorrichtung vorteilhaften flachen Aufbau beiträgt.

14

Angaben über die Größe der Schale, insbesondere dazu, ob sie so dimensioniert sein muss, dass sie das gesamte Weichschaumstoffpolster abdeckt, sind Patentanspruch 1 nicht zu entnehmen.

15

c) Nach Merkmal 5 umfasst die Vorrichtung eine chirurgische Abdeckung zur Herstellung einer luftdichten Abdichtung über Wundstelle, Polster und Verbinder. Daraus ergibt sich, dass nicht nur das Polster, sondern auch der Verbinder unter der chirurgischen Abdeckung liegen muss.

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II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

17

Das Streitpatent sei vollen Umfangs für nichtig zu erklären, weil sein Gegenstand in sämtlichen verteidigten Fassungen über den Inhalt der früheren Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe. Das Merkmal M1.7b, wonach die untere Fläche der vom Verbinder umfassten scheibenartigen Schale mit dem porösen Polster in Kontakt stehe, sei der Gesamtheit der ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend zu entnehmen. In der Stammanmeldung sei nicht offenbart, dass der Verbinder der beanspruchten Vorrichtung eine scheibenartige Schale umfasse, deren untere Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt stehe. Den Figuren 6A bis 6D der Stammanmeldung sei solches nicht zu entnehmen. Auch aus der Gesamtoffenbarung der Stammanmeldung ergebe sich nicht, dass die Schale so ausgestaltet sein müsse, dass ihre untere Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt stehe, ebenso bleibe offen, mit welchem Anteil bzw. in welchem Umfang die Unterseite der Schale mit dem Polster in Kontakt stehe.

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Die Einfügung des Merkmals M1.7b könne nicht als bloße Einschränkung des Gegenstands des Anspruchs 1 verstanden werden, sondern führe zu einer anderen Lehre (Aliud). Während der Fachmann den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen die Lehre entnehme, dass die scheibenförmige Schale so ausgebildet sei, dass sie mit dem Rand, jedenfalls aber nicht mit der unteren Fläche auf das poröse Polster aufgesetzt werde, setze das eingefügte Merkmal genau dies voraus. Da sämtliche Hilfsanträge dieses Merkmal aufwiesen, seien sie unzulässig. Ob der weitere Nichtigkeitsgrund fehlender Patentfähigkeit vorliege, könne damit dahinstehen.

19

III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsrechtszug nicht in vollem Umfang stand.

20

1. Im Ergebnis zu Recht hat das Patentgericht angenommen, dass der Gegenstand der erteilten Fassung von Patentanspruch 1 über den Inhalt der Stammanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht.

21

a) Nach Art. II § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 IntPatÜbkG ist ein europäisches Patent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären, wenn sein Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Der danach maßgebliche Inhalt der Anmeldung ist anhand der Gesamtheit der ursprünglich eingereichten Unterlagen zu ermitteln. Er ist nicht auf den Gegenstand der in der Anmeldung formulierten Patentansprüche beschränkt. Entscheidend ist vielmehr, was der mit durchschnittlichen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattete Fachmann des betreffenden Gebiets der Technik den ursprünglichen Unterlagen als zur Erfindung gehörend entnehmen kann (BGHZ 194, 107 Rn. 45 - Polymerschaum).

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b) Eine unzulässige Erweiterung ist hier darin zu sehen, dass die erfindungsgemäße Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks auf eine Oberflächenwunde nur durch ein poröses Polster, eine Pumpe, eine Saugleitung, einen Verbinder mit scheibenartiger Schale und Ausguss zur Verbindung des Polsters mit der Saugleitung sowie eine chirurgische Abdeckung gekennzeichnet ist. In dieser allgemeinen Form ist die Vorrichtung in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen - das ist hier die Stammanmeldung - nicht als erfindungsgemäß offenbart.

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aa) Die Beschreibung der Stammanmeldung geht wie diejenige des Streitpatents von der internationalen Patentanmeldung WO 96/05873 aus. Die dort beschriebene Vorrichtung sei wirksam zur Behandlung einer Vielzahl von Wunden unterschiedlicher Art und Größe. Jedoch könne die Behandlung eine längere Zeit in Anspruch nehmen, was nicht bei einem bettlägerigen, wohl aber bei einem nicht an das Bett gebundenen Patienten ein Problem darstelle. Als Aufgabe der Erfindung wird es bezeichnet, eine Vorrichtung bereitzustellen, die in der Anwendung komfortabler ist, insbesondere bei in gewissem Umfang mobilen Patienten, und weitere aus der Beschreibung ersichtliche Vorteile aufweist. Hierzu wird zunächst eine tragbare Vorrichtung zur Stimulierung der Wundheilung vorgeschlagen, die ein Gehäuse mit einer Saugpumpe und einem Behälter zur Aufnahme abgesaugter Wundflüssigkeit enthält und Mittel zur Verbindung mit Verbandmaterial in der Wundregion sowie einen Tragegurt oder Gürtel zum Abstützen des Gehäuses umfasst, wobei die zweckmäßige Ausgestaltung des Gehäuses, der Saugpumpe und ihres Antriebs sowie des Behälters näher beschrieben wird.

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Sodann wird erörtert, dass es bei einer tragbaren Vorrichtung schwieriger sei als bei der im Stand der Technik beschriebenen statischen, den an der zu behandelnden Wundstelle herrschenden Druck zu bestimmen, da er teilweise von der hydrostatischen Höhe zwischen Pumpe und Wunde abhänge und diese sich in Abhängigkeit von den Bewegungen des Patienten verändere. Dieses Problem soll durch eine zusätzliche Leitung gelöst werden, die die Wundstelle mit vorzugsweise in dem Gehäuse untergebrachten Druckerfassungsmitteln verbindet. Diese könnten wiederum mit einem Mikroprozessor verbunden sein, der für die Einhaltung eines vorbestimmten Druckbereichs sorge. Eine solche Einrichtung lasse sich auch bei einer nicht-tragbaren Vorrichtung verwenden. Sie erlaube es auch, über die veränderten Druckverhältnisse einen vollständig mit Wundflüssigkeit gefüllten Behälter zu detektieren.

25

Diesen allgemeinen Ausführungen folgt die Beschreibung der in den Zeichnungen dargestellten Ausführungsformen. Dabei wird unter Bezugnahme auf Figur 1 u.a. ein als Saugleitung dienender Schlauch 101 und ein zweiter Schlauch 106 beschrieben, der die Wundstelle zur Messung oder Überwachung des Drucks mit einem Druckentlastungsventil 8 und einem Messfühler 108 verbindet. Die Schläuche 101 und 106 könnten in einem mehrlumigen Schlauch (multi-lumen tube) kombiniert werden. Dies wird als bevorzugt und in den Figuren 5A bis 5F und in modifizierter Form in 6E dargestellt bezeichnet. Sodann kommt die Beschreibung auf die Figuren 6A bis 6D zu sprechen, die verschiedene Ansichten eines Verbinders zum Anschließen des mehrlumigen Schlauchs an die Wundstelle zeigten. Nur an dieser Stelle wird der Verbinder dahin beschrieben, dass er eine scheibenförmige Schale umfasst, die einen Ausguss aufweist, der so bemessen ist, dass er das Ende des mehrlumigen Schlauchs aufnehmen kann (S. 8).

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In Übereinstimmung mit diesen Ausführungen der Beschreibung ist Anspruch 1 der Anmeldung auf eine tragbare Vorrichtung mit Gehäuse, Saugpumpe, Behälter und Tragegurt gerichtet, der nebengeordnete Anspruch 3 auf eine Behandlungsvorrichtung u.a. mit Druckerfassungsmitteln und der ebenfalls nebengeordnete Anspruch 5 auf eine Behandlungsvorrichtung u.a. mit einer Saugleitung und einer zusätzlichen Leitung, die ein poröses Polster mit eine Überwachung des Drucks an der Wundstelle ermöglichenden Druckerfassungsmitteln verbindet.

27

Die in der Stammanmeldung offenbarten Ausführungsformen der Erfindung werden damit zum einen durch die eine Tragbarkeit erlaubenden Mittel (Anspruch 1), zum anderen durch Mittel gekennzeichnet, die eine Druckerfassung ermöglichen (Ansprüche 3 und 5). Nur im Kontext der Druckerfassung und der hierzu neben der Saugleitung erforderlichen zweiten Leitung findet der Verbinder Erwähnung. Die Saugleitung und die Druckerfassungsleitung können in einer unterteilten Schlauchleitung (multi-partitioned tube) zusammengefasst werden (Stammanmeldung S. 5 unten), und der Ausguss des Verbinders kann diesen mehrlumigen Schlauch aufnehmen.

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bb) Dem ist nicht unmittelbar und eindeutig zu entnehmen, dass als zum Patentschutz angemeldete Erfindung auch eine Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks auf eine Oberflächenwunde beschrieben wird, die weder Mittel aufweist, die ihre Tragbarkeit sicherstellen, noch Mittel, die es ermöglichen, den Druck an der Wundstelle zu erfassen, sondern lediglich aus einem porösen Polster, einer chirurgischen Abdeckung, einer Pumpe, einer Saugleitung und einem Polster und Saugleitung verbindenden Verbinder bestehen, der einen die Saugleitung aufnehmenden Ausguss und eine scheibenartige Schale umfasst.

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Allerdings ist eine Fassung des Patentanspruchs, die gegenüber den ursprünglichen Anmeldeunterlagen eine Verallgemeinerung enthält, nicht unter allen Umständen ausgeschlossen. In Bezug auf die Frage, ob die Priorität einer Voranmeldung zu Recht in Anspruch genommen wird, hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass dies unter der Voraussetzung zulässig ist, dass sich die in der Voranmeldung anhand eines Ausführungsbeispiels oder in sonstiger Weise beschriebenen Anweisungen für den Fachmann als Ausgestaltung der in der Nachanmeldung umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellen und diese Lehre in der in der Nachanmeldung offenbarten Allgemeinheit bereits der Voranmeldung als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist (BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 - X ZR 107/12, BGHZ 200, 63 Rn. 25 - Kommunikationskanal). Die gleichen Maßgaben gelten für die Frage danach, ob der erteilte Patentanspruch gegenüber den ursprünglichen Anmeldeunterlagen eine unzulässige Erweiterung aufweist.

30

Nach dieser Maßgabe beruht Patentanspruch 1 auf einer unzulässigen Erweiterung. Der Fachmann vermag den ursprünglichen Anmeldeunterlagen nicht ohne weiteres die allgemeine technische Lehre zu entnehmen, Polster und zur Pumpe führende Saugleitung einer Unterdruckvorrichtung durch eine Einrichtung zu verbinden, die einen Ausguss zur Aufnahme der Saugleitung und eine scheibenartige Schale zur Aufnahme des Polsters umfasst.

31

Der Verbinder ist in der Stammanmeldung vielmehr nur als Element einer Vorrichtung offenbart, in der er den konkret beschriebenen Zweck erfüllt, die Anbindung eines mehrlumigen Schlauchs an die Wundstelle zu gewährleisten. Er steht mithin in untrennbarem Zusammenhang mit einer Wundbehandlungsvorrichtung, die auch ein Druckerfassungsmittel aufweist, wobei die hierfür erforderliche weitere Leitung mit der ohnehin erforderlichen Saugleitung vorzugsweise in einem mehrlumigen Schlauch zusammengefasst ist, der von dem Ausguss des Verbinders aufgenommen wird. Weder Beschreibung noch Ansprüche der Stammanmeldung bieten einen Anhalt für die Annahme, der Fachmann entnehme ihr, dass ihm mit der Ausgestaltung des Verbinders als mit einem Ausguss oder einer Tülle versehener flacher Schale eine Ausführungsform der Vorrichtung zum Ausüben eines Unterdrucks vorgestellt wird, für die unabhängig von den Ausführungsformen, die sich mit der tragbaren Ausgestaltung oder den Mitteln zur Druckerfassung beschäftigen, Patentschutz angestrebt wird und die mithin - für sich betrachtet - als zu der angemeldeten Erfindung gehörend offenbart wird.

32

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Stammanmeldung kurz vor der oben genannten Passage der Beschreibung des Ausführungsbeispiels auch eine Leitung erwähnt, die nur eine Bohrung aufweist (single bore tube, S. 7 unten). Der betreffenden Passage ist lediglich zu entnehmen, dass die ansonsten vorgesehene geteilte Leitung (partitioned tube) nicht bis zur Wundstelle reichen muss, sondern an ihrem Ende ein kurzes Stück einer einlumigen Leitung aufweisen kann. Dem entspricht es, dass - etwas später (S. 8 Mitte) - ausgeführt wird, dass, sofern dies gewünscht wird, das Ende der Leitung auch durch den Ausguss führen und bis in den Weichschaum reichen kann. Dies ändert nichts daran, dass an den genannten Stellen im Grundsatz weiterhin ein mehrlumiger Schlauch gemeint ist, und vermag den sich aus dem Gesamtinhalt der Beschreibung ergebenden Zusammenhang der Offenbarung der Ausgestaltung des Verbinders mit einer Vorrichtung zum Ausüben und Überwachen eines Unterdrucks nicht in Frage zu stellen.

33

c) Danach hat das Patentgericht im Ergebnis zutreffend angenommen, dass Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung auf einer unzulässigen Erweiterung beruht und daher keinen Bestand haben kann. Eine andere Beurteilung ist auch nicht dadurch gerechtfertigt, dass das Streitpatent aus einer Teilanmeldung hervorgegangen ist. Die Anforderungen an die Ursprungsoffenbarung sind in einem solchen Fall nicht geringer.

34

2. Dagegen hält das angefochtene Urteil der Nachprüfung nicht stand, soweit das Patentgericht angenommen hat, der ehemalige Hilfsantrag 6 neu, den die Beklagte nunmehr als Hilfsantrag I stellt, beruhe auf einer unzulässigen Erweiterung.

35

Nach Hilfsantrag I wird Patentanspruch 1 um ein weiteres Merkmal ergänzt, wonach die Saugleitung (101) als innere Bohrung (606) in einer Multilumenleitung ausgebildet ist, die ferner Kanäle (607) umfasst, mittels deren ein Aufnehmer (108) den Druck an der Wundstelle misst (Merkmal 6).

36

Die beschränkte Verteidigung der Beklagten mit diesem Hilfsantrag ist - entgegen der Auffassung des Patentgerichts - zulässig.

37

a) Das zusätzliche Merkmal 6 gewährleistet, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht aus den dargelegten Gründen über den Inhalt der Stammanmeldung hinausgeht. Die Verallgemeinerung, die nach den Ausführungen oben (unter III 1) eine unzulässige Erweiterung begründete, ist dadurch rückgängig gemacht worden, dass der Aufnehmer 108 als Druckerfassungsmittel und die durch die Kanäle 607 einer Multilumenleitung ausgebildete zweite Leitung zur Verbindung zwischen Polster und Pumpe in den Patentanspruch aufgenommen worden sind und die Ausgestaltung des Verbinders in diesen Kontext gestellt worden ist, weil die vom Ausguss aufgenommene Saugleitung die innere Bohrung 606 der Multilumenleitung bildet.

38

b) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 beruht zwar insoweit auf einer unzulässigen Erweiterung, als in Merkmal 4b über die scheibenartige Schale ausgesagt ist, dass sie mit ihrer unteren Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt steht. Dies führt jedoch nicht zur Unzulässigkeit der beschränkten Verteidigung des Streitpatents nach Hilfsantrag I.

39

aa) Nach Merkmal 4b steht die scheibenartige Schale mit ihrer unteren Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt. Wie oben ausgeführt, versteht der Fachmann dieses Merkmal dahin, dass die konkave Seite der Schale mit dem Polster in einem flächigen Kontakt steht.

40

Ein solcher flächiger Kontakt zwischen der konkaven Seite der Schale und dem Polster ist in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart. Die Stammanmeldung zeigt in den Figuren 6B und 6C sehr flache Schalen. Ferner kann ihr, insbesondere durch den Verweis auf die internationale Anmeldung WO 96/05873, aus der die oben wiedergegebene Figur 10 stammt, entnommen werden, wie ein Polster, mit dem die Wunde abgedeckt wird, gestaltet sein kann. Aus der Stammanmeldung ist jedoch nicht ersichtlich, wie die scheibenartige Schale auf das Polster aufgesetzt wird. Es wird dort lediglich erläutert, die Schale werde auf die poröse Wundabdeckung gedrückt und durch eine chirurgische Abdeckung gesichert (the cup (601) is pressed onto the porous dressing and secured by a surgical drape, Stammanmeldung S. 8). Auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich um ein Polster aus Weichschaumstoff handelt, ergibt sich aus diesen Angaben für den Fachmann nicht unmittelbar und eindeutig, dass die scheibenartige Schale mit ihrer unteren Fläche mit dem porösen Polster in flächigem Kontakt steht. Denn ob bei Befolgen dieser Anweisung ein flächiger Kontakt entsteht, hängt aus fachlicher Sicht von mehreren Umständen ab, insbesondere von der Höhe der Schale, vom Verhältnis der Größen von Schale einerseits und Polster andererseits, von der Festigkeit oder Nachgiebigkeit des Polsters und vom Maß des Drucks, mit dem die Schale auf das Polster gepresst wird. Zu allen diesen Umständen enthält die Stammanmeldung keine näheren Angaben.

41

bb) Dies führt jedoch nicht dazu, dass die Verteidigung der Beklagten mit Hilfsantrag I unzulässig ist.

42

(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu deutschen Patenten und Gebrauchsmustern müssen solche Schutzrechte, wenn ihr Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht, nicht für nichtig erklärt oder gelöscht werden, sofern die Änderung in der Einfügung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht offenbarten Merkmals besteht, die zu einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands führt. Dagegen ist die Nichtigerklärung oder Löschung nicht zu vermeiden, wenn die Änderung dazu führt, dass der Gegenstand der Anmeldung gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen zu einem Aliud abgewandelt wird (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2000 - X ZR 184/98, GRUR 2001, 140 - Zeittelegramm; Beschluss vom 21. Oktober 2010 - Xa ZB 14/09, GRUR 2011, 40 - Winkelmesseinrichtung; Urteil vom 21. Juni 2011 - X ZR 43/09, GRUR 2011, 1003 - Integrationselement; Beschluss vom 6. August 2013 - X ZB 2/12, GRUR 2013, 1135 - Tintenstrahl-drucker). Die Frage, ob diese Rechtsprechung auch auf europäische Patente Anwendung findet, hat der Bundesgerichtshof bislang offen gelassen (BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 19 - Winkelmesseinrichtung). Sie ist - entgegen der Auffassung des Bundespatentgerichts (Urteil vom 8. April 2014, Mitt. 2014, 436 - Fettabsaugevorrichtung) - zu bejahen.

43

(2) Der angeführten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt die Überlegung zugrunde, dass die unzulässige Änderung des Gegenstands des Patents gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen dessen Widerruf oder Nichtigerklärung nicht erfordert, wenn den berechtigten Interessen Dritter, insbesondere der Wettbewerber des Patentinhabers, und der Öffentlichkeit durch weniger schwerwiegende Maßnahmen Rechnung getragen werden kann.

44

Danach ist der Widerruf oder die Nichtigerklärung des Patents nicht geboten, wenn der Gegenstand des Patents gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen in unzulässiger Weise verallgemeinert worden ist. In diesem Fall kann die unzulässige Erweiterung dadurch behoben werden, dass die unzulässige Verallgemeinerung aus dem Patentanspruch gestrichen wird (BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 14 - Winkelmesseinrichtung; BGH, GRUR 2011, 1003 Rn. 19 - Integrationselement; ebenso EPA, Entscheidung der Großen Beschwerdekammer vom 2. Februar 1994 - G 1/93, GRUR Int. 1994, 842 Rn. 11 - beschränkendes Merkmal/Advanced Semiconductor Pro-ducts).

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Der Widerruf oder die Nichtigerklärung des Patents ist andererseits unumgänglich, wenn die Hinzufügung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht offenbarten Merkmals dazu führt, dass der Patentanspruch des erteilten Patents eine andere Erfindung zum Gegenstand hat als die ursprüngliche Anmeldung, wenn das Patent also etwas schützt, das gegenüber dem der Fachwelt durch die ursprünglichen Unterlagen Offenbarten ein "Aliud" darstellt (BGH, GRUR 2001, 140, 141 - Zeittelegramm; BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 21 - Winkelmesseinrichtung; BGH, GRUR 2011, 1003 Rn. 27 - Integrationselement; BGH, GRUR 2013, 1135 Rn. 16 - Tintenstrahldrucker). Die Aufrechterhaltung eines solchermaßen geänderten Anspruchs gefährdete die Rechtssicherheit für Dritte, die darauf vertrauen dürfen, dass aus der Patentanmeldung kein Patent hervorgeht, das einen weiteren oder anderen Gegenstand hat als denjenigen, der in der Anmeldung offenbart worden ist. Die Aufrechterhaltung eines mit dem Einspruch oder der Nichtigkeitsklage angegriffenen Patents mit der Maßgabe, dass das in Rede stehende Merkmal im Patentanspruch verbleibt, der Patentinhaber daraus aber keine Rechte herleiten kann, scheidet in einem solchen Fall aus, weil sie dazu führen würde, dass das Patent in der Fassung nach dem Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren einen anderen Gegenstand hätte als ursprungsoffenbart (BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 23 - Winkelmesseinrichtung).

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Der Widerruf oder die Nichtigerklärung eines Patents ist dagegen nicht erforderlich, wenn die Einfügung eines Merkmals, das in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart ist, zu einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands führt. In einem solchen Fall wird den berechtigten Interessen der Öffentlichkeit dadurch Rechnung getragen, dass das einschränkende Merkmal im Patentanspruch verbleibt und zugleich dafür gesorgt wird, dass im Übrigen aus der Änderung Rechte nicht hergeleitet werden können, insbesondere das nicht offenbarte Merkmal bei der Prüfung der Patentfähigkeit insoweit außer Betracht zu lassen ist, als es nicht zur Stützung der Patentfähigkeit herangezogen werden darf (BGH, GRUR 2001, 140, 142 f. - Zeittelegramm; BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 16 - Winkelmesseinrichtung; BGH, GRUR 2011, 1003 Rn. 24 - Integrationselement; BGH, GRUR 2013, 1135 Rn. 16 - Tintenstrahldrucker).

47

(3) Diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht nicht in Widerspruch zu den Regelungen des Europäischen Patentübereinkommens.

48

Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts führt die Aufnahme eines einschränkenden, in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbarten Merkmals in den Patentanspruch regelmäßig zum Widerruf des Patents nach Art. 123 Abs. 2, 100 Buchstabe c EPÜ. Falle ein solches Merkmal unter Art. 123 Abs. 2 EPÜ, könne es weder im Patent beibehalten noch ohne Verstoß gegen Art. 123 Abs. 3 EPÜ aus den Ansprüchen gestrichen werden. Das Patent könne nur dann - ausnahmsweise - aufrechterhalten werden, wenn die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung eine Grundlage dafür biete, dass die einschränkenden Merkmale ohne Verstoß gegen Art. 123 Abs. 3 EPÜ durch andere ersetzt werden könnten (Entscheidung der Großen Beschwerdekammer vom 2. Februar  1994 - G 1/93, GRUR Int. 1994, 842 Rn. 12 f. - beschränkendes Merkmal/Advanced Semiconductor Products).

49

Bundespatentgericht und Bundesgerichtshof wenden bei der Entscheidung über die Nichtigerklärung eines europäischen Patents, das mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilt worden ist, nicht Art. 123 Abs. 2 und 3 EPÜ an, sondern entscheiden auf der Grundlage von Art. II § 6 IntPatÜbkG. Mit der Schaffung dieser Norm hat der nationale Gesetzgeber von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Gründe für die Nichtigerklärung eines europäischen Patents für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland nach Maßgabe von Art. 138 EPÜ aufzuführen. Nach Art. 138 EPÜ kann ein europäisches Patent - vorbehaltlich des Art. 139 EPÜ - nur aus den dort abschließend aufgeführten Gründen für nichtig erklärt werden. Die Norm steht damit zwar einer Entscheidung des nationalen Gerichts entgegen, durch die ein europäisches Patent auch dann für nichtig erklärt wird, wenn keiner der in Art. 138 EPÜ aufgeführten Gründe vorliegt. Sie eröffnet aber die Möglichkeit, dass das nationale Gericht auch bei Vorliegen eines solchen Grundes von der Nichtigerklärung des Patents absieht, ohne sich damit in Widerspruch zu Art. 123 EPÜ zu setzen, wie er von der Großen Beschwerdekammer verstanden wird.

50

(4) Ein solches Absehen von der Nichtigerklärung ist auch bei einem europäischen Patent angezeigt, wenn die Einfügung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht oder nicht als zur Erfindung gehörend offenbarten Merkmals zu einer bloßen Einschränkung des angemeldeten Gegenstands führt.

51

Die Große Beschwerdekammer hat eingeräumt, dass die von ihr vertretene Auffassung zu harten Folgen für den Patentinhaber führt (EPA, GRUR Int. 1994, 842 Rn. 13 - beschränkendes Merkmal/Advanced Semiconductor Products), weil er Gefahr läuft, nach einer Änderung seiner Anmeldung selbst dann in einer "unentrinnbaren Falle" zu sitzen und alles zu verlieren, wenn die Änderung den Schutzbereich des Patents einschränkt. Die oben wiedergegebene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ermöglicht es demgegenüber, auf eine vollständige Nichtigerklärung des Patents zu verzichten, ohne dass Abstriche an der Wahrung der berechtigten Interessen Dritter und der Öffentlichkeit gemacht werden müssen. Sie trägt damit zugleich dem verfassungsrechtlichen Schutz des Eigentums (Art. 14 GG) Rechnung, der auch das Recht am Patent umfasst und den Patentinhaber vor hoheitlichen Eingriffen schützt, soweit diese nicht erforderlich sind. Das rechtfertigt es, diese Rechtsprechung auch auf europäische Patente anzuwenden.

52

(5) Soweit Patentanspruch 1 das Merkmal enthält, dass die untere Fläche der scheibenartigen Schale mit dem porösen Polster in Kontakt steht, liegt darin eine bloße Konkretisierung einer Anweisung zum technischen Handeln, die in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart ist.

53

(a) Ob es sich bei der Einfügung eines in den ursprünglichen Unterlagen nicht offenbarten Merkmals um eine bloße Einschränkung des angemeldeten Gegenstands handelt oder um ein Aliud, bestimmt sich danach, ob damit lediglich eine Anweisung zum technischen Handeln konkretisiert wird, die in diesen Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart ist, oder ob damit ein technischer Aspekt angesprochen wird, der daraus weder in seiner konkreten Ausgestaltung noch auch nur in abstrakter Form als zur Erfindung gehörend zu entnehmen ist (BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 22 - Winkelmesseinrichtung; BGH, GRUR 2011, 1003 Rn. 29 - Integrationselement; BGH, GRUR 2013, 1135 Rn. 26 f. - Tintenstrahldrucker).

54

(b) Danach ist Merkmal 4b - entgegen der Auffassung des Patentgerichts - nicht als Aliud einzuordnen. Soweit dieses Merkmal vorsieht, dass die scheibenartige Schale mit ihrer unteren Fläche mit dem porösen Polster in Kontakt steht, wird damit kein neuer technischer Aspekt eingeführt. Vielmehr handelt es sich um eine bloße Beschränkung im vorstehend ausgeführten Sinn, durch die dem Fachmann vermittelt wird, die scheibenartige Schale so flach auszugestalten, dass ein im Wesentlichen flächiger Kontakt zwischen ihrer unteren Fläche und dem porösen Polster hergestellt wird, wenn die Scheibe auf das Polster gedrückt und mittels der chirurgischen Abdeckung gesichert wird.

55

(6) Der Zulässigkeit der beschränkten Verteidigung steht auch nicht entgegen, dass es nicht zulässig ist, den Patentanspruch durch ein nicht-ursprungsoffenbartes Merkmal zu beschränken. Denn Merkmal 4b ist bereits im erteilten Patentanspruch 1 enthalten. Dass es Bestandteil des im Übrigen unbedenklichen Hilfsantrags I ist, kann daher dessen Zulässigkeit nicht in Frage stellen.

56

3. Die Beurteilung des Patentgerichts, wonach Patentanspruch 1 nicht zulässigerweise in der Fassung des Hilfsantrags I (früherer Hilfsantrag 6 neu) verteidigt werden kann, hält mithin der Prüfung im Berufungsverfahren nicht stand.

57

Dies führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht (§ 119 Abs. 2, 3 PatG). Eine eigene Entscheidung des Senats in der Sache ist nicht angezeigt (§ 119 Abs. 5 Satz 1 PatG). Das Patentgericht hat die Patentfähigkeit des Gegenstands von Patentanspruch 1 in der Fassung dieses Hilfsantrags bislang nicht geprüft. Bei dieser nunmehr erforderlichen Prüfung wird das Patentgericht das nicht-ursprungsoffenbarte Merkmal außer Betracht zu lassen haben.

Meier-Beck                           Hoffmann                       Deichfuß

                   Kober-Dehm                        Feddersen

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 17. Feb. 2015 - X ZR 161/12

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 14


(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der All

Patentgesetz - PatG | § 14


Der Schutzbereich des Patents und der Patentanmeldung wird durch die Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen.

Gesetz über internationale Patentübereinkommen - IntPatÜbkG | § 6 Das Deutsche Patent- und Markenamt als ausgewähltes Amt


(1) Hat der Anmelder zu einer internationalen Anmeldung, für die das Deutsche Patent- und Markenamt Bestimmungsamt ist, beantragt, daß eine internationale vorläufige Prüfung der Anmeldung nach Kapitel II des Patentzusammenarbeitsvertrags durchgeführt

Patentgesetz - PatG | § 119


(1) Ergibt die Begründung des angefochtenen Urteils zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Berufung zurückzuweisen. (2) Insoweit die Berufung für begründet erachtet wir
Bundesgerichtshof Urteil, 17. Feb. 2015 - X ZR 161/12 zitiert 4 §§.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 14


(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der All

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Gesetz über internationale Patentübereinkommen - IntPatÜbkG | § 6 Das Deutsche Patent- und Markenamt als ausgewähltes Amt


(1) Hat der Anmelder zu einer internationalen Anmeldung, für die das Deutsche Patent- und Markenamt Bestimmungsamt ist, beantragt, daß eine internationale vorläufige Prüfung der Anmeldung nach Kapitel II des Patentzusammenarbeitsvertrags durchgeführt

Patentgesetz - PatG | § 119


(1) Ergibt die Begründung des angefochtenen Urteils zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Berufung zurückzuweisen. (2) Insoweit die Berufung für begründet erachtet wir

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Bundesgerichtshof Urteil, 17. Feb. 2015 - X ZR 161/12 zitiert oder wird zitiert von 12 Urteil(en).

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Bundesgerichtshof Urteil, 11. Feb. 2014 - X ZR 107/12

bei uns veröffentlicht am 11.02.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 107/12 Verkündet am: 11. Februar 2014 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ:

Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Aug. 2013 - X ZB 2/12

bei uns veröffentlicht am 06.08.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS X ZB 2/12 vom 6. August 2013 in dem Rechtsbeschwerdeverfahren betreffend das Gebrauchsmuster 299 24 915 Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja Tintenstrahldrucker GebrMG § 15 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz

Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Okt. 2000 - X ZR 184/98

bei uns veröffentlicht am 05.10.2000

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS X ZR 184/98 Verkündet am: 5. Oktober 2000 Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein Zeittelegramm
9 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 17. Feb. 2015 - X ZR 161/12.

Bundesgerichtshof Urteil, 12. Jan. 2017 - X ZR 20/15

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 20/15 Verkündet am: 12. Januar 2017 Hartmann Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache ECLI:DE:BGH:2017:120117UXZR20.15.0

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Der Schutzbereich des Patents und der Patentanmeldung wird durch die Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen.

(1) Hat der Anmelder zu einer internationalen Anmeldung, für die das Deutsche Patent- und Markenamt Bestimmungsamt ist, beantragt, daß eine internationale vorläufige Prüfung der Anmeldung nach Kapitel II des Patentzusammenarbeitsvertrags durchgeführt wird, und hat er die Bundesrepublik Deutschland als Vertragsstaat angegeben, in dem er die Ergebnisse der internationalen vorläufigen Prüfung verwenden will ("ausgewählter Staat"), so ist das Deutsche Patent- und Markenamt ausgewähltes Amt.

(2) Ist die Auswahl der Bundesrepublik Deutschland vor Ablauf des 19. Monats seit dem Prioritätsdatum erfolgt, so ist § 4 Absatz 2 und 3 mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle des Artikels 23 Absatz 2 des Patentzusammenarbeitsvertrages Artikel 40 Absatz 2 des Patentzusammenarbeitsvertrages tritt.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 107/12 Verkündet am:
11. Februar 2014
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Kommunikationskanal
EPÜ Art. 88
Die Priorität einer Voranmeldung kann in Anspruch genommen werden, wenn sich
die dort anhand eines Ausführungsbeispiels oder in sonstiger Weise beschriebenen
technischen Anweisungen für den Fachmann als Ausgestaltung der in der Nachanmeldung
umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellen und diese Lehre
in der in der Nachanmeldung offenbarten Allgemeinheit bereits der Voranmeldung
als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist.
BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 - X ZR 107/12 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 11. Februar 2014 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die
Richter Dr. Grabinski, Hoffmann und Dr. Deichfuß sowie die Richterin Dr. KoberDehm

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 23. Mai 2012 verkündete Urteil des 5. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutsch1 land erteilten europäischen Patents 1 062 743 (Streitpatents). Das Streitpatent, das am 24. Dezember 1999 angemeldet worden ist, nimmt die Priorität von vier britischen Patentanmeldungen in Anspruch und umfasst sechs Ansprüche. Die nebengeordneten Ansprüche 1 und 4, auf die die weiteren Ansprüche zurückbezogen sind, lauten in der Verfahrenssprache wie folgt: 1. A radio station for use in a radio communication system having a communication channel between the radio station and a further station, the channel comprising an uplink and a downlink control channel for transmission of control information, and a data channel for the transmission of data, wherein closed loop power control means are provided for adjusting the power of the control and data channels, characterized by means for delaying the initial transmission of the data channel until after the initial transmission of the control channels during which delay the closed loop power control means is operable to adjust the control channel power. 4. A method of operating a radio station in a radio communication system having a communication channel between the radio station and a further station, the channel comprising an uplink and a downlink control channel for transmission of control information, and a data channel for the transmission of data, the method comprising adjusting the power of the control and data channels by means of closes loop power control and characterized by delaying the initial transmission of the data channel until after the initial transmission of the control channels during which delay the closed loop power control is operable to adjust the control channel power. Die Klägerin hat das Streitpatent insgesamt angegriffen und geltend gemacht,
2
der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung sowie mit siebzehn Hilfsanträgen verteidigt. Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt.
3
4
Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie das Streitpatent wie in erster Instanz verteidigt, wobei sie die Hilfsanträge I bis IV in geänderter Fassung und nur weiter hilfsweise in der erstinstanzlichen Fassung weiter verfolgt. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:


I. Das Streitpatent betrifft ein Funkkommunikationssystem mit primären und
5
sekundären Stationen sowie eine Methode zum Betrieb eines solchen Systems. 1. In der Beschreibung wird eingangs ausgeführt, dass es zwei grundlegen6 de Arten von Kommunikation zwischen einer Basisstation und einer Mobilstation in einem Funkkommunikationssystem gibt. Dabei handele es sich einmal um Benutzerverkehr , etwa Sprach- oder Paketdaten, zum anderen um Steuerinformationen, die erforderlich sind, um verschiedene Parameter des Übertragungskanals einzustellen und zu überwachen, wodurch Basisstation und Mobilstation in die Lage versetzt werden , den Benutzerverkehr abzuwickeln. Das Streitpatent geht dabei von Funkkommunikationssystemen aus, in denen eine der Funktionen der Steuerinformation darin besteht, eine Leistungsregelung zu ermöglichen. Eine Regelung der Leistung ist in beide Richtungen erforderlich. Die Regelung der Leistung der Mobilstation soll sicherstellen , dass die Basisstation die Signale verschiedener Mobilstationen auf etwa dem gleichen Leistungspegel empfängt. Die Regelung der Leistung der Basisstation ist erforderlich, damit die Mobilstation die Daten mit geringer Fehlerquote erhält, zugleich aber Interferenzen mit anderen Funkzellen oder Funksystemen gering gehalten werden. Das Streitpatent legt insoweit einen Stand der Technik zugrunde, bei dem in einem Zweiwege-Funkkommunikationssystem die Leistungsregelung in einem geschlossenen Regelkreis erfolgt, bei dem die Mobilstation erforderliche Änderungen der Übertragungsleistung der Basisstation bestimmt und dieser signalisiert und umgekehrt.
7
Ein Nachteil dieser Technik besteht nach den Angaben der Streitpatentschrift darin, dass beim Start der Übertragung oder nach einer Unterbrechung die Leistungsregelung eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, während der es zu Störungen der Datenübertragung kommen kann. Ist die Leistung zu niedrig, kommen die Daten beschädigt an, ist sie zu hoch, werden unerwünschte Interferenzen hervorgerufen. Das technische Problem besteht mithin darin, die dargestellten Schwierigkei8 ten zu beheben. 2. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent in Anspruch 1 eine
9
Vorrichtung vor, die folgende Merkmale aufweist (Gliederung des Patentgerichts in Klammern) 1. einen Kanal zur Kommunikation zwischen der Funkstation und einer weiteren Station (1a), umfassend 1.1 einen Uplink- und einen Downlink-Steuerkanal zur Übertragung von Steuerinformationen (1b) und 1.2 einen Datenkanal zur Übertragung von Daten (1c); 2. Mittel zur Verzögerung des Beginns der Übertragung im Datenkanal bis nach dem Beginn der Übertragung in den Steuerkanälen (1e) und 3. Mittel zur Leistungsregelung mit einem geschlossenen Regelkreis (closed loop power control means, 1d), die 3.1 die Leistung der Steuer- und Datenkanäle anpassen (1d) und 3.2 während der Verzögerung die Steuerkanalleistung anpassen können (is operable to adjust the control channel power, 1f).
10
3. Zur Bedeutung der Merkmale ist zu bemerken: Die Vorrichtung wird in einem Funkkommunikationssystem verwendet, das ei11 nen Kommunikationskanal zwischen einer Funkstation und einer weiteren Station aufweist. Dieser Kommunikationskanal umfasst zwei Steuerkanäle und (mindestens) einen Datenkanal. Der Steuerkanal dient zur Übertragung von Steuerinformationen. Dabei handelt es sich nach dem Sprachgebrauch des Streitpatents um Signale, die benötigt werden, um die Parameter des Übertragungskanals einzustellen und zu überwachen, die die Datenübermittlung per Funk ermöglichen. Zu diesen Steuerinformationen zählen insbesondere Signale zur Leistungsregelung. Über den Datenkanal wird lediglich gesagt, dass er der Übertragung von Daten dient. Der Beschreibung ist zu entnehmen, dass damit jedenfalls auch Nutzerdaten, etwa Sprach-, Textoder Bilddaten gemeint sind. Nähere Angaben über die Gestaltung der Kanäle enthält das Streitpatent
12
nicht. Unter einem Kanal im Bereich der Funkkommunikation ist aus fachlicher Sicht ein Weg zur Übertragung von Signalen von einer Funkstation an eine andere zu verstehen. Verschiedene Kanäle müssen danach nicht notwendig physikalisch abgegrenzt werden, etwa in der Weise, dass sie verschiedene Frequenzen in Anspruch nehmen. Die Trennung kann auch auf andere Weise erfolgen, etwa durch Zuweisung unterschiedlicher Zeitschlitze auf einer bestimmten Frequenz, durch unterschiedliche Gestaltung der übermittelten Daten mittels spezifischer Angaben in einem Header, durch die Verwendung eines für das jeweilige Teilnehmergerät spezifischen Spreizcodes oder dergleichen mehr, sofern gewährleistet wird, dass der jeweilige Empfänger die übermittelten Daten von anderen, auf einem anderen Übertragungsweg übermittelten Daten unterscheiden kann. Die vorgesehenen Mittel zur Leistungsregelung arbeiten in einem geschlosse13 nen Regelkreis (Merkmal 3), d.h. dass auf der Grundlage des übertragenen Leistungssignals eine Rückkoppelung von der empfangenden Funkstation an die sendende Funkstation erfolgt, die Informationen darüber liefert, ob eine Änderung der Leistung erforderlich ist. Sie dienen der Regelung der Leistung sowohl der Steuerkanäle als auch des Datenkanals (Merkmal 3.1). Dabei ist für den Beginn der Übertragung vorgesehen, dass die Übertragung im Datenkanal verzögert erfolgt, also zunächst nur über die Steuerkanäle Daten (Steuerinformationen) übertragen werden (Merkmal 2). Die durch diese Verzögerung gewonnene Zeitspanne wird genutzt, um die Leistung des Steuerkanals zu regeln (Merkmal 3.2). Der Anspruch trifft unmittelbar keine Aussage darüber, ob und auf welche Weise sich die Regelung der Leistung des Steuerkanals auf die Leistung des Datenkanals auswirkt. Der Umstand, dass das Streitpatent darauf zielt, die Probleme zu lösen, die sich aus einer unzureichenden Regelung hinsichtlich der Qualität der Übertragung von Daten ergeben, spricht jedoch dafür, dass die in Merkmal 3.2 beschriebene Leistungsregelung - auf eine im Streitpatent nicht näher beschriebene Weise - auch für die Übertragungsleistung des Datenkanals genutzt wird. Denn anderenfalls wäre die Übertragung der für den Nutzer im Vordergrund stehenden Daten weiterhin gefährdet. Dem entspricht es, dass in Absatz 18 der Streitpatentschrift ausgeführt wird, der mit der Übermittlung zusätzlicher Steuerinformationen verbundene Aufwand werde dadurch ausgeglichen, dass die Nutzerdaten, die über den Datenkanal an die Basisstation übertragen werden, in besserer Qualität empfangen werden.
14
II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
15
Der Gegenstand des Streitpatents in der erteilten Fassung sei nicht patentfähig. Das Streitpatent könne lediglich die Priorität der britischenPatentanmeldung
16
9 922 575 (NK6) vom 24. September 1999 in Anspruch nehmen, nicht jedoch diejenige aus den britischen Patentanmeldungen 9 900 910, 9 911 622 und 9 915 569 (NK3 bis NK5). Diese enthielten für den Fachmann explizite Aussagen dahin, dass es sich bei dem Kommunikationskanal um einen Frequenzteilungs-DuplexKommunikationskanal handele und über die Steuerkanäle Leistungssteuerungs- und Bitrateninformationen übertragen würden. In dem erteilten Patentanspruch 1 werde demgegenüber allgemein ein Kommunikationskanal beansprucht, bei dem nicht näher spezifizierte Steuerinformationen über die Steuerkanäle übertragen werden. Daher handele es sich bei dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht um dieselbe Erfindung wie diejenige, die NK3 bis NK5 zu entnehmen sei. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme seien die Beiträge "CPCH Physical
17
Layer Procedures" und "Firm Handover over CPCH" des Unternehmens Golden Bridge Technology (NK15 und NK16) bereits vor dem Prioritätszeitpunkt, im Rahmen einer Konferenz, die von 1. bis 4. Juni 1999 in Südkorea den Mitgliedern der 3GPP- Gremien und damit einem Querschnitt der bedeutendsten Unternehmen auf dem Gebiet der Mobilfunktechnologie ohne Verpflichtung zur Geheimhaltung bekannt geworden. NK15 nehme alle Merkmale des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung vorweg.
18
Das Streitpatent habe auch in der Fassung der Hilfsanträge keinen Bestand. III. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Auf19 fassung des Patentgerichts, die Beklagte könne die Priorität der britischen Anmeldung 9 900 910 (NK3) nicht in Anspruch nehmen, trifft nicht zu. 1. Bei Anmeldung eines europäischen Patents kann das Prioritätsrecht einer
20
vorangegangenen Anmeldung nach Art. 87 Abs. 1 EPÜ in Anspruch genommen werden, wenn beide dieselbe Erfindung betreffen.
a) Diese Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung des Senats erfüllt,
21
wenn die mit der Nachanmeldung beanspruchte Merkmalskombination in der Voranmeldung in ihrer Gesamtheit als zu der angemeldeten Erfindung gehörend offenbart ist (BGH, Urteil vom 11. September 2001 - X ZR 168/98, BGHZ 148, 383, 388 - Luftverteiler; Urteil vom 30. Januar 2008 - X ZR 107/04, GRUR 2008, 597, 599 - Betonstraßenfertiger). Der Gegenstand der beanspruchten Erfindung muss im Prioritätsdokument identisch offenbart sein; es muss sich um dieselbe Erfindung handeln (EPA GBK, Beschluss vom 31. Mai 2001 - G2/98, GRUR Int. 2002, 80; BGH, Urteil vom 14. Oktober 2003 - X ZR 4/00, GRUR 2004, 133, 135 - Elektronische Funktionseinheit ). Dabei ist die Offenbarung des Gegenstands der ersten Anmeldung nicht auf die dort formulierten Ansprüche beschränkt, vielmehr ist dieser aus der Gesamtheit der Anmeldeunterlagen zu ermitteln.
b) Für die Beurteilung der identischen Offenbarung gelten die Prinzipien der
22
Neuheitsprüfung (BGH, GRUR 2004, 133, 135 - Elektronische Funktionseinheit). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist danach erforderlich, dass der Fachmann die im Anspruch bezeichnete technische Lehre den Ursprungsunterlagen "unmittelbar und eindeutig" (BGH, Urteil vom 11. September 2001 - X ZR 168/98, BGHZ 148, 383, 389 - Luftverteiler; Urteil vom 8. Juli 2010 - Xa ZR 124/07, GRUR 2010, 910, Rn. 62 - Fälschungssicheres Dokument; Urteil vom 14. August 2012 - X ZR 3/10, GRUR 2012, 1133 Rn. 31 - UV-unempfindliche Druckplatte) als mögliche Ausführungsform der Erfindung entnehmen kann (BGH, Beschluss vom 11. September 2001 - X ZB 18/00, GRUR 2002, 49, 51 - Drehmomentübertragungseinrichtung ; Urteil vom 18. Februar 2010 - Xa ZR 52/08, GRUR 2010, 599 Rn. 22, 24 - Formteil). Zu ermitteln ist mithin, was der Fachmann der Vorveröffentlichung als den Inhalt der gegebenen allgemeinen Lehre entnimmt (BGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 - X ZR 89/07, BGHZ 179, 168 Rn. 25 - Olanzapin). Maßgeblich ist dabei das Verständnis des Fachmanns zum Zeitpunkt der Einreichung der prioritätsbeanspruchenden Patentanmeldung (BGH, GRUR 2004, 133, 135 - Elektronische Funktionseinheit).
c) Das Erfordernis einer unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung muss
23
dabei in einer Weise angewendet werden, die berücksichtigt, dass die Ermittlung dessen, was dem Fachmann als Erfindung und was als Ausführungsbeispiel der Erfindung offenbart wird, wertenden Charakter hat, und eine unangemessene Beschränkung des Anmelders bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts der Voranmeldung vermeidet. Insoweit ist zugrunde zu legen, dass das Interesse des Anmelders regelmäßig erkennbar darauf gerichtet ist, möglichst breiten Schutz zu erlangen , also die Erfindung in möglichst allgemeiner Weise vorzustellen und nicht auf aufgezeigte Anwendungsbeispiele zu beschränken. Soweit in der Anmeldung bereits Ansprüche formuliert sind, haben diese vorläufigen Charakter. Erst im Verlauf des sich anschließenden Prüfungsverfahrens ist herauszuarbeiten, was unter Berücksichtigung des Standes der Technik schutzfähig ist und für welche Ansprüche der Anmelder Schutz begehrt. Erst mit der Erteilung des Patents mit bestimmten Ansprüchen erfolgt eine endgültige Festlegung des Schutzgegenstands. aa) Dieser Gesichtspunkt liegt der Rechtsprechung des Senats zugrunde, wo24 nach bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts auch Verallgemeinerungen ursprungsoffenbarter Ausführungsbeispiele zugelassen werden. Danach ist ein "breit" formulierter Anspruch unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Erweiterung jedenfalls dann unbedenklich, wenn sich ein in der Anmeldung beschriebenes Ausführungsbeispiel der Erfindung für den Fachmann als Ausgestaltung der im Anspruch umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellt und diese Lehre in der beanspruchten Allgemeinheit für ihn bereits der Anmeldung - sei es in Gestalt eines in der Anmeldung formulierten Anspruchs, sei es nach dem Gesamtzusammenhang der Unterlagen - als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist (BGH, Urteil vom 17. Juli 2012 - X ZR 117/11, BGHZ 194, 107 Rn. 52 - Polymerschaum). Solche Verallgemeinerungen sind vornehmlich dann zugelassen worden, wenn von mehreren Merkmalen eines Ausführungsbeispiels, die zusammengenommen, aber auch für sich betrachtet dem erfindungsgemäßen Erfolg förderlich sind, nur eines oder nur einzelne in den Anspruch aufgenommen worden sind (ständige Rechtsprechung seit BGH, Beschluss vom 23. Januar 1990 - X ZB 9/89, BGHZ 110, 123, 126 - Spleißkammer; aus jüngerer Zeit BGHZ 194, 107 Rn. 52 - Polymerschaum; BGH, GRUR 2012, 1133 Rn. 31 f. - UV-unempfindliche Druckplatte). bb) Nach vergleichbaren Maßgaben ist die Prüfung vorzunehmen, ob der Ge25 genstand der Erfindung im Prioritätsdokument identisch offenbart ist. Die Priorität einer Voranmeldung kann in Anspruch genommen werden, wenn sich die dort anhand eines Ausführungsbeispiels oder in sonstiger Weise beschriebenen Anweisungen für den Fachmann als Ausgestaltung der in der Nachanmeldung umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellen und diese Lehre in der in der Nachanmeldung offenbarten Allgemeinheit bereits der Voranmeldung als zu der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist.
26
2. Danach kann die Beklagte die Priorität der NK3 in Anspruch nehmen.
a) Die Beschreibung des Prioritätsdokuments NK3 erwähnt zunächst ganz
27
allgemein, dass die Erfindung ein Funkkommunikationssystem betreffe und im Folgenden zwar unter Bezugnahme auf das aufkommende UMTS-System beschrieben sei, es sich aber verstehe, dass sie gleichermaßen für andere Mobilfunksysteme geeignet sei. Im folgenden Absatz werden in gleicher Allgemeinheit der Nutzerdatenverkehr (user traffic) und die Übermittlung von Steuerinformationen (control informa- tion) erörtert. Zu dieser erläutert der dritte Absatz, dass eine Funktion der Steuerinformationen bei vielen Kommunikationssystemen darin bestehe, eine Leistungssteuerung (in einem geschlossenen Regelkreis) zu ermöglichen. Sodann wird ausgeführt, welche Bedeutung der Leistungssteuerung in Mobilfunksystemen sowohl für die Basisstation als auch für die Mobilstationen zukommt. Als Beispiel eines kombinierten zeit- und frequenzgesteuerten Mehrfachzu28 griffssystems mit einer Leistungssteuerung ("An example of a combined time and frequency division access system employing power control") nennt die Beschreibung das GSM-System, und fügt unter Verweis auf eine US-Patentschrift an, in ähnlicher Weise sei eine Leistungssteuerung für ein Codemultiplexsystem mit Frequenzspreizung (spread spectrum Code Division Multiple Access [CDMA]) beschrieben. Die Beschreibung des Nachteils der bekannten Lösungen und der hieraus ab29 geleiteten Aufgabe ist - wie im Streitpatent - ganz allgemein dahin formuliert, dass die Regelkreise einige Zeit benötigten, die Leistungsstärke hinreichend präzise einzuregeln.
b) Die erste erfindungsgemäße Lösung soll nach der Anspruch 1 der Anmel30 dung wiedergebenden Beschreibung darin bestehen, dass bei einem Funkkommunikationssystem mit einer Primär- und einer Vielzahl von Sekundärstationen mit einem Frequenzduplexkanal (frequency division duplex communication channel) zwischen Primär- und Sekundärstation, der einen Uplink- und einen Downlink-Steuerkanal zur Übertragung von Leistungssteuerungs- und Bitrateninformationen sowie einen Datenkanal zur Übertragung von Datenpaketen umfasse, und mit Leistungssteuerungsmitteln zur schrittweisen Veränderung der Leistung der Steuer- und Datenkanäle anspruchsgemäß die Größe der Schritte variiert werden könne. Die zweite beanspruchte Lösung soll - in Übereinstimmung mit Anspruch 5 der Anmeldung - darin bestehen, dass bei einem (mit Ausnahme der entfallenen Leistungssteuerungsmittel zur schrittweisen Veränderung der Leistung der Steuer- und Datenkanäle) wortgleich beschriebenen System die Primär- und Sekundärstationen Mittel zur Verzögerung des Beginns der Übertragung auf dem Datenkanal gegenüber der Übertragung auf den Steuerkanälen aufweisen. Unter Bezugnahme auf Figur 1 wird sodann ein Ausführungsbeispiel be31 schrieben, von dem es heißt, es umfasse ein Funkkommunikationssystem, das in einem Frequenzduplexmodus arbeiten könne. Figur 2 zeigt schematisch ein herkömmliches Modell zum Aufbau einer Kommunikationsverbindung, wie es, so die Beschreibung, eine UMTS-Ausführungsform nutze. Anhand dieses Modells wird wiederum das Problem der Verzögerung bei der Leistungsadaption beschrieben, dessen Lösung durch einen verzögerten Beginn der Übertragung auf dem Datenkanal anhand der Figur 3 erläutert wird. Unter Rückgriff auf Figur 4 wird die zweite Lösung einer variablen Schrittgröße bei der Leistungsadaption erklärt. Abschließend heißt es, Ausführungsformen der Erfindung seien unter Verwendung von Frequenzspreizungsverfahren beschrieben worden, wie sie etwa in UMTS-Ausführungsformen eingesetzt würden; es verstehe sich jedoch, dass die Erfindung nicht auf den Einsatz in CDMA-Systemen beschränkt sei.
c) Weder die Problembeschreibung noch die unter Bezugnahme auf die Fi32 guren näher erläuterten Ausführungsbeispiele weisen damit einen konkreten Bezug zu der Ausgestaltung des Kommunikationskanals als Frequenzteilungs-Duplex-Kanal oder zu dem Umstand auf, dass auf dem Steuerkanal auch Bitrateninformationen übertragen werden. Die Bitrateninformation wird überhaupt nur bei der Wiedergabe des Wortlauts der angemeldeten Ansprüche erwähnt. Auf den Frequenzduplex kommt zwar, wie ausgeführt, die Beschreibung der Ausführungsbeispiele zurück; ein Zusammenhang mit den beanspruchten Lösungen des geschilderten technischen Problems, den Schwierigkeiten einer rechtzeitigen Leistungsadaption durch eine Variation der Anpassungsschritte oder durch eine Verzögerung des Beginns der Übertragung auf dem Datenkanal zu begegnen, wird jedoch nicht hergestellt. Weder ist irgendein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass sich das Problem der Leistungssteuerung nur oder doch zumindest in einer besonderen Ausprägung bei einem Funkkommunikationssystem mit einem Frequenzteilungs-Duplex-Kommunikationskanal stelle, noch gibt es Hinweise darauf, dass die Wahl eines solchen Kanals in irgendeiner Weise zur Lösung dieses Problems beiträgt. Entsprechendes gilt für die Ausgestaltung des Steuerkanals in der Weise, dass er auch der Übertragung von Bitrateninformationen dient.
d) Danach ist für den Fachmann, der sich die Frage vorlegt, welche techni33 sche Lehre zur Lösung des geschilderten technischen Problems er dem Prioritätsdokument entnehmen kann, ohne weiteres ersichtlich, dass bereits in der NK3 die allgemeine technische Lehre offenbart wird, bei einem Funkkommunikationssystem mit Uplink- und Downlink-Steuerkanal zur Übertragung von Steuerinformationen die an sich bekannten Mittel zur Leistungsregelung mit einem geschlossenen Regelkreis vorteilhafterweise so zu nutzen, dass Mittel zur Verzögerung des Beginns der Übertragung im Datenkanal bis nach Beginn der Übertragung in den Steuerkanälen vorgesehen werden, damit während dieser Verzögerung die Steuerkanalleistung angepasst werden kann. Zugleich liegt damit für ihn auf der Hand, dass diese allgemeine Lehre lediglich beispielhaft anhand einer üblichen Ausgestaltung eines solchen Funkkommunikationssystems erläutert wird, bei dem der Kommunikationskanal als Frequenzteilungs-Duplex-Kanal ausgebildet ist und der Steuerkanal auch der Übertragung von Bitrateninformationen dient.
e) Dieser Beurteilung stehen die Feststellungen des Patentgerichts nicht
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entgegen, das lediglich ausführt, das Prioritätsdokument enthalte "explizite Aussagen bezüglich der Ausgestaltung des Kommunikationskanals", und der Fachmann werde den übrigen Inhalt der Beschreibung hierauf beziehen. Aus seinen Feststellungen ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Ausgestaltung des Kommunikationskanals als Frequenzteilungs-Duplex-Kanal oder die Wahl eines Steuerkanals, in dem auch Bitrateninformationen übertragen werden können, zu der Lösung des in NK3 behandelten technischen Problems der Leistungssteuerung etwas beitragen, geschweige denn, dass sie hierfür erforderlich wären.
f) Das Streitpatent nimmt deshalb, entgegen der Auffassung des Patentge35 richts, die Priorität der NK3 vom 16. Januar 1999 zu Recht in Anspruch. Danach haben die Entgegenhaltungen NK9, NK11, NK15, NK16, NK19 und NK21, die nach dem Vorbringen der Klägerin erst im Frühjahr 1999 veröffentlicht worden sind, bei der Beurteilung der Patentfähigkeit außer Betracht zu bleiben. Die Entscheidung des Patentgerichts, das der Klage mit der Begründung stattgegeben hat, der Gegenstand der Patentansprüche 1 und 4 sei durch NK15 und NK16 vorweggenommen, kann mithin keinen Bestand haben. IV. Das angefochtene Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als
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im Ergebnis zutreffend. 1. Die amerikanische Patentschrift 5 841 768 (NK7) nimmt den Gegenstand
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von Patentanspruch 1 weder vorweg noch legt sie ihn nahe. Zwar befasst sich NK7 mit der Regelung der Übertragungsleistung in einem
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Funkkommunikationssystem beim Aufbau einer Verbindung. In der dort behandelten frühen Phase des Verbindungsaufbaus erfolgt dies jedoch nicht mit Mitteln zur Leistungsregelung in einem geschlossenen Regelkreis. Wie der Beschreibung zu entnehmen ist (Sp. 6, Z. 56 ff.) werden solche Mittel erst zu einem späteren Zeitpunkt eingesetzt, nämlich erst dann, wenn das in NK7 vorgeschlagene Verfahren bereits beendet ist. Die NK7, die die auch vom Streitpatent als bekannt vorausgesetzten und den Ausgangspunkt der erfindungsgemäßen Lösung bildenden Leistungssteuerungsmittel unter Bezugnahme auf die in der Streitpatentschrift ebenfalls erörterte US-Patentschrift 5 056 109 als Mittel der Leistungsadaption erwähnt, aber als wenig geeignet ablehnt (Sp. 2,. Z. 42 bis 62), schlägt statt dessen eine andere Lösung vor. Sie setzt in einem frühen Stadium des Verbindungsaufbaus ein, in dem eine Leistungsregelungsschleife noch nicht eingerichtet worden ist (Sp. 2, Z. 27 bis 30) und ein Kommunikationskanal noch nicht besteht, sondern erst aufgebaut wird (Abstract, Z. 2, Sp. 3, Z. 8, Sp. 4, Z. 56, Sp. 5, Z. 45 bis 48 und Z. 60; Sp. 8, Z. 60 sowie Figur 11B). Demgegenüber befasst sich das Streitpatent mit einem Stadium des (Wieder -)Aufbaus einer Verbindung, in dem bereits ein Kommunikationskanal eingerichtet worden ist. Der Umstand, dass auch schon in dem früheren Stadium des Verbindungsaufbaus , das Gegenstand der NK7 ist, Signale zwischen der Mobilstation und der Basisstation ausgetauscht werden (request und acknowledgment), lässt nicht den Schluss zu, dass schon ein Kommunikationskanal bzw. ein Steuerkanal eingerichtet worden ist. Die entsprechenden Signale werden vielmehr auf einem gemeinsam genutzten Kanal (random access channel - RACH) übertragen. NK7 ist demgemäß nicht zu entnehmen, dass dort Mittel vorgesehen sind, die
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eine Verzögerung des Beginns der Übertragung im Datenkanal zu einem Zeitpunkt bewirken, in dem bereits Steuerkanäle eingerichtet sind, auf denen die Übertragung schon aufgenommen wird (Merkmal 2). Die Entgegenhaltung befasst sich auch nicht mit Mitteln zur Regelung der Übertragungsleistung gerade in diesem Zeitraum nach Einrichtung der Steuerkanäle, aber vor Beginn der Übertragung im Datenkanal (Merkmal 3.2) und kann hierzu auch keine Anregung geben. 2. Auf die "Specifications of Air-Interface for 3G Mobile System" in der Versi40 on 0.5 (NK13), die im ersten Rechtszug eingeführt worden war, ist die Klägerin nicht mehr zurückgekommen, nachdem die Beklagte vorgetragen hatte, sie sei nicht veröffentlicht worden.
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V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 91 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck Grabinski Hoffmann
Deichfuß Kober-Dehm
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 23.05.2012 - 5 Ni 22/10 (EP) -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZR 184/98 Verkündet am:
5. Oktober 2000
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Zeittelegramm

a) Wenn der durch den erteilten Patentanspruch festgelegte Gegenstand
lediglich enger als in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen definiert
ist, kommt eine Nichtigerklärung regelmäßig nicht in Betracht; eine
Streichung oder Ersetzung von Merkmalen im Patentanspruch scheidet
aus.

b) In einem solchen Fall dürfen zur positiven Beantwortung der Frage der
Patentfähigkeit des Anspruchs Erkenntnisse, die erst die nachträgliche
Ä nderung vermittelt, nicht herangezogen werden.
BGH, Beschluß vom 05. Oktober 2000 – X ZR 184/98 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 5. Oktober 2000
durch den Richter Dr. Jestaedt als Vorsitzenden sowie die Richter Dr. Melullis,
Scharen, Keukenschrijver und die Richterin Mühlens

beschlossen:
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Gründe:


I. Der Beklagte war eingetragener Inhaber des deutschen Patents 30 15 312 (Streitpatents), das auf einer am 22. Oktober 1981 offengelegten Anmeldung vom 21. April 1980 beruht und acht Patentansprüche umfaßt, wobei Patentanspruch 1 folgenden Wortlaut hat:
"Verfahren zum Anzeigen der Empfangsverhältnisse bei Funkuhrempfängern für die binärkodierten Zeitsignale des Senders DCF 77 nach dem Einschalten, mit einer Anzeigevorrichtung für die Uhrzeit, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t, daß bei jedem Sekundenimpuls die durch Störungen verursachten Abweichungen der Zeitsignale von idealen Rechtecksignalen im Empfänger selbst automatisch ermittelt werden und davon Qualitätskennzahlen ab-
geleitet werden, die auf der Anzeigevorrichtung im Sekundentakt zur Anzeige gebracht werden und daß diese Anzeige abgeschaltet wird, sobald ein vollständiges Zeittelegramm empfangen wurde und zur Anzeige gebracht werden kann."
Mit seiner Nichtigkeitsklage hat der Kläger geltend gemacht, das Streitpatent gehe über die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus; außerdem fehle es an einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber dem Stand der Technik. Seine weitere Behauptung, das Streitpatent offenbare die darin beschriebene Lehre nicht so deutlich und vollständig, daß ein Fachmann sie ausführen könne, hat der Kläger im Berufungsverfahren fallengelassen.
Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Hiergegen hat sich der Beklagte mit der Berufung und dem Begehren gewendet,
das angefochtene Urteil aufzuheben und das Streitpatent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten;
hilfsweise,
das Streitpatent mit einem acht Patentansprüche umfassenden Anspruchssatz aufrechtzuerhalten, wobei Anspruch 1 wie folgt lautet:
"Verfahren zum Anzeigen der Empfangsqualitätsverhältnisse bei Funkuhrempfängern für die binärkodierten Zeitsignale des für Funkuhren in Deutschland zuständigen Senders, nach dem Einschalten, mit einer Anzeigevorrichtung für die Uhrzeit,
d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß bei jedem Sekundenimpuls die Empfangsqualität mit den zugehörigen Qualitätskennzahlen aus den durch Störungen verursachten Verformungen des Sekundenimpulses automatisch ermittelt wird, daß die Qualitätskennzahlen auf der Anzeigevorrichtung im Sekundentakt zur Anzeige gebracht werden und daß diese Anzeige abgeschaltet wird, sobald eine vollständige Zeitinformation empfangen wurde und zur Anzeige gebracht werden kann."
Der Kläger ist diesem Begehren entgegengetreten.
Der Senat hat ein schriftliches Gutachten des Dipl.-Ing. U. A., Stuttgart, eingeholt.
In Anbetracht des mittlerweile erfolgten Zeitablaufs des Streitpatents haben die Parteien den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt. Die Parteien beantragen wechselseitig ,
dem Gegner die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.
II. Die übereinstimmende Erledigungserklärung hat zur Folge, daß die Parteien nicht mehr um die Frage der Nichtigerklärung des Streitpatents streiten und das hierzu ergangene Urteil des Bundespatentgerichts hinfällig ist; gemäß § 110 Abs. 3 PatG a.F. in Verbindung mit § 91 a ZPO ist nur noch über die Kosten des Rechtsstreits zu befinden. Diese Entscheidung hat auf der Grundlage des bis zur übereinstimmenden Erledigungserklärung von den Par-
teien Vorgebrachten sowie der bis dahin erhobenen Beweise und ihrer Ergebnisse zu erfolgen. Das führt zur Aufhebung der Kosten gegeneinander. Denn der Senat vermag nach dem bisherigen Beweisergebnis nicht zuverlässig zu erkennen, welche Partei ohne die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache obsiegt hätte.
A. Die Nichtigkeitsklage war bis zu dem den Anlaß der übereinstimmenden Erledigungserklärung bildenden Zeitablauf des Streitpatents nicht wegen Unzulässigkeit abweisungsreif.
Die förmliche Nichtigerklärung eines Patents, dem Patentfähigkeit nicht zukommt oder dessen Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinausgeht, in der sie bei der für die Einreichung der Anmeldung zuständigen Behörde ursprünglich eingereicht worden ist, liegt für sich schon im öffentlichen Interesse und macht damit die Nichtigkeitsklage statthaft. Der vorliegende Fall ist entgegen der Auffassung des Beklagten nicht durch Umstände geprägt, die rechtfertigen könnten, diesen Grundsatz ausnahmsweise nicht anzuwenden (vgl. Sen.Urt. v. 13.01.1998 - X ZR 82/94, GRUR 1998, 904 - Bürstenstromabnehmer ). Da der Kläger der deutsche Repräsentant einer Firmengruppe in Hongkong ist, die nach Deutschland Uhren lieferte, bei deren Betrieb nach der Behauptung des Beklagten das patentgemäße Verfahren Anwendung findet, bestand bis zum Zeitablauf des Streitpatents ein Interesse des Klägers an der Nichtigerklärung, um einen ungestörten Vertrieb dieser Uhren sicherzustellen.
B. Der sachliche Ausgang des Rechtsstreits war zum Zeitpunkt der übereinstimmenden Erledigungserklärung der Parteien offen.
1. Das Streitpatent betrifft den Bereich der Funkuhrempfänger mit einer Anzeigeeinrichtung für die Uhrzeit. In Deutschland werden für solche Empfänger seit dem Jahre 1972 kodierte Zeitinformationen von dem Sender DCF 77 ausgestrahlt. Seine Trägerfrequenz wird dazu mit Sekundenimpulsen amplitudenmoduliert , indem eine Absenkung der Trägeramplitude (auf etwa 25 %) für die Dauer von genau 100 Millisekunden oder 200 Millisekunden erfolgt, wobei der Beginn der Absenkung den genauen Sekundenbeginn und ihre Dauer eine logische Null (100 Millisekunden) bzw. eine logische Eins (200 Millisekunden) kennzeichnen. 59 Sekundenimpulse kodieren auf diese Weise ein vollständiges Zeittelegramm. Es enthält die aktuellen Informationen über das Jahr, den Monat, das Datum, den Wochentag, die Stunde, die Minute, die Sommer- bzw. Winterzeit und läßt - im Wege des Abzählens vom Beginn der Minute an - auch die Sekunde erkennen.
Wird der Funkuhrempfänger eingeschaltet, kann die Anzeigevorrichtung Zeitdaten nur anzeigen, wenn mindestens einmal ein vollständiges Zeittelegramm erkannt worden ist. Wann dies der Fall ist, hängt von den Empfangsverhältnissen am Aufstellungsort des Funkuhrempfängers ab. Selbst bei besten Empfangsverhältnissen kann es wenigstens drei Minuten dauern, bis die aktuellen Zeitdaten angezeigt werden. Bei ungünstigen Empfangsverhältnissen kann diese Zeit weit überschritten werden; wird eine vorhandene Störquelle nicht beseitigt, der Empfänger nicht an einem anderen Ort aufgestellt oder seine Antenne nicht anders ausgerichtet, kann eine Anzeige sogar gänzlich mißlingen.
Während der Zeit, in welcher der Funkuhrempfänger keine Zeitdaten angeben kann, ist sein Benutzer im Unklaren, wie lange er voraussichtlich auf eine zuverlässige Funkuhrzeit wird warten müssen bzw. ob deren Anzeige am
gewählten Aufstellungsort unter den dort bestehenden Empfangsverhältnissen überhaupt gelingen wird. Die Qualität der dort zu empfangenden Sekundenimpulse ließe sich zwar mit einem Oszillographen sehr rasch beurteilen; es kann jedoch nicht vorausgesetzt werden, daß dem Benutzer einer Funkuhr ein solches Meßgerät zur Verfügung steht.
Eine gewisse Abhilfe war im Stand der Technik durch die Anbringung einer Leuchtdiode versucht worden, die sofort dann, wenn sich der Empfänger auf die Sekundenimpulse synchronisiert hat, im Sekundentakt aufleuchtet. Dies vermag zu vermitteln, daß der Funkuhrempfänger arbeitet; es handelt sich hierbei jedoch lediglich um eine sehr grobe Anzeige.
Die Erfindung soll demgegenüber ein Verfahren angeben, das eine brauchbare Anzeige der Empfangsverhältnisse bei Funkuhrempfängern ohne zusätzliche Anzeigemittel ermöglicht.
Anspruch 1 gibt hierzu ein Verfahren an, das
1. bei Funkuhrempfängern für die binärkodierten Zeitsignale des Senders DCF 77
2. mit einer Anzeigevorrichtung für die Uhrzeit
durchzuführen ist, indem
3. a) nach dem Einschalten

b) in dem Empfänger selbst


c) automatisch

d) bei jedem Sekundenimpuls

e) die durch Störungen verursachten Abweichungen der Zeitsignale von idealen Rechtecksignalen ermittelt werden,

f) davon Qualitätskennzahlen abgeleitet werden,
4. die Qualitätskennzahlen auf der Anzeigevorrichtung im Sekundentakt zur Anzeige gebracht werden und
5. diese Anzeige abgeschaltet wird, sobald ein vollständiges Zeittelegramm empfangen wurde und zur Anzeige gebracht werden kann.
2. Nach dem zu berücksichtigenden Sach- und Streitstand kann nicht festgestellt werden, ob der erteilte Anspruch 1 und die hierauf unmittelbar bzw. mittelbar rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 8 aus dem in §§ 22 Abs. 1 1. Altern., 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG genannten Grunde für nichtig zu erklären gewesen wären oder ob die Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes nicht zu einer Ä nderung der genannten Patentansprüche geführt hätte.

a) Den Inhalt der nach §§ 22 Abs. 1 1. Altern., 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG maßgeblichen ursprünglichen Anmeldung bildet alles, was ihr der mit durchschnittlichen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattete Fachmann des betreffenden Gebiets der Technik als zur angemeldeten Erfindung gehörend ent-
nehmen kann. Eine Lehre zum technischen Handeln geht deshalb über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus, wenn die Gesamtheit der Anmeldungsunterlagen nicht erkennen läßt, daß sie als Gegenstand von dem mit der Anmeldung verfolgten Schutzbegehren umfaßt sein soll (Sen.Urt. v. 21.09.1993 - X ZR 50/91, Mitt. 1996, 204 - unzulässige Erweiterung).

b) Daß ein solcher Fall gegeben ist, ist insbesondere dann zu erwägen, wenn der erteilte Anspruch aus der Sicht des Durchschnittsfachmanns eine andere Erfindung zum Gegenstand hat als die ursprüngliche Anmeldung. Damit , daß etwas patentiert wird und bei der eigenen geschäftlichen Tätigkeit als geschützt zu beachten ist, das gegenüber dem der Fachwelt durch die ursprünglichen Unterlagen Offenbarten ein "Aliud" darstellt, braucht nicht gerechnet zu werden. Ein solcher Patentanspruch gefährdet die Rechtssicherheit für Dritte, die sich auf den Inhalt der Patentanmeldung in der eingereichten und veröffentlichten Fassung verlassen. Dies kann eine Nichtigerklärung des erteilten Patents erfordern, wenn der Nichtigkeitsgrund der §§ 22 Abs. 1 1. Altern., 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG geltend gemacht ist. Es ist nicht ausgeschlossen , daß auch hier ein solcher Fall gegeben ist.

c) Der Nichtigkeitsgrund der §§ 22 Abs. 1 1. Altern., 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG kommt hier zwar nicht bereits deshalb in Betracht, weil das patentgemäße Verfahren in der erteilten Fassung mit einem auf die Zeitsignale des Senders DCF 77 ausgerichteten Funkuhrempfänger durchzuführen ist, der für binärkodierte Zeitsignale bestimmt sein soll. Angesichts des Sendebeginns des Senders DCF 77 im Jahre 1972 kann ohne weiteres angenommen werden, daß Fachleute zur Zeit der Anmeldung des Streitpatents im Jahr 1980 wußten, daß nach gesetzlicher Bestimmung und tatsächlicher Beschaffenheit er derjenige Sender ist, von dem die Zeitsignale ausgestrahlt werden, die in Deutschland
ansässige Benutzer von Funkuhren benötigen, um sich die für sie aktuellen Zeitdaten anzeigen zu lassen. Diese Kenntnis veranlaßte, die im Hinblick auf einen Patentschutz für Deutschland eingereichten Anmeldeunterlagen jedenfalls auch mit bezug auf diesen Sender zu lesen und zu verstehen. Auch der gerichtliche Sachverständige hat es in seinem schriftlichen Gutachten als naheliegend bezeichnet, daß sich die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen auf den Sender DCF 77 bezögen. Da dieser auf der Basis binärkodierter Zeitsignale arbeitet, war damit zugleich auch dieses Teilmerkmal der fraglichen Anweisung des erteilten Patentanspruchs 1 als zur angemeldeten Lehre gehörend erkennbar.
Nach dem der Beurteilung zugrundezulegenden Sach- und Streitstand kann auch der weitere Vorwurf, die Anweisungen zu 3 c und d sowie 5 des erteilten Patentanspruchs 1 seien nicht ursprungsoffenbart, nicht als berechtigt angesehen werden. Die ursprüngliche Beschreibung erläuterte den gemachten Vorschlag dahin, daß ermittelt werde, mit welcher Qualität die Sekundenimpulse empfangen werden; die durch Zahlen darstellbare Qualität werde in Form derartiger Qualitätskennzahlen im Sekundentakt an die vorhandene Ziffernanzeigevorrichtung gegeben. Diese Darstellung betont das impulsgenaue Arbeiten. Dies führte zu der Erkenntnis, daß vorschlagsgemäß eingeschlossen ist, die erforderliche Ermittlung bei jedem Sekundenimpuls vorzunehmen. Daß außerdem die automatische Ermittlung von vornherein zu der angemeldeten Erfindung gehört, wurde dem Fachmann jedenfalls durch den sich an den bereits wiedergegebenen Beschreibungsteil der ursprünglichen Unterlagen anschließenden Hinweis deutlich, wonach ein automatisches Zeichenerkennungsverfahren verwendet werden könne, wodurch Qualitätskennzahlen ohnehin anfielen. Das Merkmal 5 schließlich war in den ursprünglichen Unterlagen im wesentlichen durch den Anspruch 4 des damaligen Anspruchssatzes offenbart.
Danach soll die Anzeige der Empfangsqualität nach dem Einschalten der Funkuhr bis zur ersten Darstellung der Uhrzeit erfolgen. Das ist gleichbedeutend mit der Anweisung die Anzeige abzuschalten, sobald ein vollständiges Zeittelegramm empfangen wurde und zur Anzeige gebracht werden kann.
Soweit das Bundespatentgericht eine nicht ursprungsoffenbarte Ausdrucksweise in dem angeblich von dem Beklagten geprägten Begriff des Zeittelegramms gesehen hat, hat das eingeholte Sachverständigengutachten die Unrichtigkeit dieser Bewertung ergeben. Die ursprüngliche Beschreibung nahm durch die bereits erwähnte Textstelle im ersten Absatz auf die Notwendigkeit des vollständigen Empfangs eines Intervalls mit kodierter Information Bezug. Damit ist ersichtlich der Empfang einer vollständigen Zeitinformation gemeint. Der Senat hat keine durchgreifenden Zweifel, daß das - wie der gerichtliche Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt hat - aus der Sicht des Durchschnittsfachmanns ohne Ä nderung der Bedeutung auch durch den Begriff des vollständigen Zeittelegramms ausgedrückt werden kann.

d) Eine vergleichbar eindeutige Festlegung läßt das schriftliche Sachverständigengutachten jedoch hinsichtlich des Merkmals 3 e nicht zu.
In der Ursprungsbeschreibung ist neben der wiederholt erwähnten Angabe , daß ermittelt werde, mit welcher Qualität die Sekundenimpulse empfangen werden, ein idealer Sekundenimpuls als vollkommen ungestört bezeichnet. Ergänzend ist ausgeführt, daß eine Abweichung des diesem Zustand annäherungsweise zugewiesenen Zahlenwerts die entsprechende Störung und Verformung der Impulse angebe. Dies kennzeichnete den angemeldeten Vorschlag in der Weise, wie es in dem Hilfsantrag des Beklagten seinen Niederschlag gefunden hat, dahin, daß die Empfangsqualität (mit den zugehörigen
Qualitätskennzahlen - Merkmal 3 f) aus den durch Störungen verursachten Verformungen des Sekundenimpulses ermittelt wird. Eine weitere Konkretisierung , auf welche Weise dies geschehen soll, war in den Ursprungsunterlagen dagegen nicht enthalten.
Der Sachverständige hat dies dahin ausgedrückt, in den Anmeldeunterlagen bleibe unklar, wie die Qualität der empfangenen Sekundenimpulse erkannt werde. Dies kann möglicherweise dahin verstanden werden, daß die Ursprungsunterlagen insoweit allenfalls aufgabenhaft formuliert waren und dem Fachmann eine Lösungsmöglichkeit nicht eröffneten. Dies wiederum kann aus der Sicht des die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen und das erteilte Patent vergleichenden Fachmanns bedeuten, daß letzteres als auf eine anders geartete Lehre zum technischen Handeln gerichtet erscheint.

e) Mit seiner Aussage kann der gerichtliche Sachverständige freilich auch gemeint haben, daß der durch den erteilten Patentanspruch 1 festgelegte Gegenstand lediglich enger als in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen definiert ist, weil er eine zur Lösung des der Erfindung zugrundeliegenden Problems dienende, in den Anmeldungsunterlagen allgemein gehaltene Anweisung in einer Weise konkretisiert, die dem Durchschnittsfachmann durch die Ursprungsunterlagen nicht offenbart war. Die Patentierung eines "Aliud" durch den erteilten Patentanspruch 1 hätte dann nicht festgestellt werden können.
Infolge der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Parteien war der Senat gehindert, durch Befragung des gerichtlichen Sachverständigen insoweit eine weitere Sachaufklärung herbeizuführen, die notwendig gewesen wäre, weil der gerichtliche Sachverständige bei Abfassung seines schriftlichen Gutachtens ersichtlich nicht erkannt hat, daß hier eine für die rechtliche Beur-
teilung der Sache bedeutsame Abgrenzungsfrage besteht, deren Beantwortung sich nach dem Verständnis des Fachmanns richtet und deshalb sachverständiger Aufklärung bedurft hätte. Es kann danach nicht festgestellt werden, daß eine Nichtigerklärung des erteilten Patentanspruchs 1 und der hierauf rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 8 wegen Patentierung eines "Aliud" zu erfolgen gehabt hätte.

f) Andererseits kann nach dem zugrundezulegenden Sach- und Streitstand auch nicht festgestellt werden, daß der erteilte Patentanspruch 1 eine bloße Einschränkung des angemeldeten Gegenstandes beinhaltet, was im vorliegenden Fall zu seinem Fortbestand geführt hätte, weil dann eine Nichtigerklärung weder aus dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit noch aufgrund einer gesetzlichen Regelung des deutschen Patentrechts geboten gewesen wäre.
Durch die wortsinngemäße Benutzung der durch den erteilten Anspruch 1 patentierten Lehre wird ohne weiteres auch vom Gegenstand der ursprünglichen Anmeldung Gebrauch gemacht. Denn hierbei wird auch eine Ermittlung vorgenommen, wie sie im Merkmal 3 e des ursprünglich hilfsweise verteidigten Anspruchs 1 vorgeschlagen und - wie ausgeführt - ursprungsoffenbart ist. Dasselbe gilt für jedwede sich dem Fachmann aufgrund des Merkmals 3 e in seiner erteilten Fassung erschließende Abwandlung. Das Gebot der Rechtssicherheit ist damit im Falle des Bestandes der erteilten Patentansprüche gewahrt. Es verlangt, daß ein interessierter Dritter erkennen kann, ob eine existente oder geplante Ausführung in fremde Ausschließlichkeitsrechte eingreift, sowie daß die mögliche Erkenntnis sich nicht aufgrund nachträglicher Umstände als unrichtig erweist. Wie schon der früher anwendbare § 26 Abs. 5 Satz 2 PatG a.F. legt ferner auch der seither geltende § 38 Satz 2 PatG ledig-
lich fest, daß aus Ä nderungen, die den Gegenstand der Anmeldung erweitern, Rechte nicht hergeleitet werden können. Was das den Schutzbereich betreffende Interesse, also den Umfang eines entstandenen Patentrechts anbelangt, ist auch diesem Grundsatz bereits durch Beibehaltung der engeren Formulierung des erteilten Patentanspruchs Genüge getan. § 14 PatG, der gemäß Art. 11 § 1 Abs. 2, § 3 Abs. 5 IntPatÜG den Schutz bestimmt, den ein deutsches Patent gewährt, das auf eine nach dem 1. Januar 1978 getätigte Anmeldung hin erteilt ist, verhindert, daß insoweit zum Nachteil interessierter Dritter auf weiteren Inhalt der Anmeldung zurückgegriffen werden kann. Es bleibt deshalb nur Sorge zu tragen, daß im übrigen, also was die Entstehung von Patentrechten anbelangt, aus der Ä nderung Rechte nicht hergeleitet werden können. Hierfür bedarf es der Nichtigerklärung erteilter Ansprüche des Streitfalls jedoch nicht. Es ist lediglich notwendig, die Erkenntnisse, die erst die nachträgliche Ä nderung vermittelt, nicht zur positiven Beantwortung der Frage ihrer Patentfähigkeit heranzuziehen.
Ob wegen dieser Notwendigkeit ein entsprechender erläuternder Hinweis im Patent erforderlich sein kann, kann im vorliegenden Fall dahinstehen, weil sich der sachliche Streit der Parteien erledigt hat und nur noch über die Kosten des erledigten Rechtsstreits zu entscheiden ist. Eine Streichung des Merkmals 3 e im erteilten Patentanspruch 1 und/oder seine gleichzeitige Ersetzung durch die möglicherweise allgemeinere Anweisung, die durch die ursprünglichen Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart ist, scheidet nach dem Vorgesagten allerdings aus; eine solche Ä nderung mißachtete § 22 Abs. 2 2. Alt. PatG.
3. Der danach mögliche Erfolg der Berufung des Patentinhabers war auch nicht wegen des ferner geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes des Feh-
lens der Patentfähigkeit (§§ 22 Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG) ausgeschlossen. Sein Bestehen wäre - wie zuvor ausgeführt - im Hinblick auf das Merkmal 3 e anhand der Offenbarung in den ursprünglichen Unterlagen zu prüfen gewesen. Das bisherige Beweisergebnis erlaubt jedoch nicht die Feststellung, daß die danach zu würdigende Lehre zum technischen Handeln, die - wie der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat und auch von den Parteien nicht in Zweifel gezogen wird - nicht bekannt war, nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Diese Erkenntnis ist wesentlich beeinflußt einmal von dem Umstand, daß zum Anmeldezeitpunkt die Entwicklung bei Funkuhrempfängern sich noch im Anfangsstadium befand, zum anderen von der schriftlichen Ausführung des Sachverständigen , der der maßgeblichen Lehre Erfindungshöhe zugesprochen hat, weil sich aus anderen Bereichen der Funkübertragung Problemlösungen für den hier interessierenden Bereich kaum hätten übernehmen lassen. Unter diesen Umständen hatte der Senat davon auszugehen, daß überhaupt erst einmal zu erkennen war, daß bei Funkuhrempfängern eine wirkliche Übertragungsqualitätsanzeige sinnvoll sei; ferner mußte erkannt werden, daß sich auch bei Empfängern, die Informationen aufgrund der jeweiligen Länge von empfangenen Impulsen erhalten, die Empfangsqualität ermitteln lasse, daß dies bei Funkuhrempfängern aufgrund der bei ihnen eingesetzten Technik ebenfalls möglich sei, und schließlich, daß sich die Qualität durch entsprechende Kennzahlen darstellen lasse. Gefordert war danach die erstmalige Zurverfügungstellung einer tauglichen Empfangsqualitätsfeststellung nebst -anzeige auf dem Gebiet der Funkuhrempfängertechnik. Angesichts des geringen Entwicklungsstandes dieses Gebiets der Technik rechtfertigen sich hieraus durchgreifende Zweifel, daß die vermittels der Anmeldung vorgeschlagene Lösung einem Durchschnittsfachmann nahegelegen habe.
4. Eine dem Beklagten günstigere Kostenentscheidung rechtfertigt sich nicht in Anbetracht seines ursprünglichen Hilfsantrages. In der Fassung dieses Hilfsantrages hätte das Streitpatent nämlich nicht Bestand haben können, weil der Schutzbereich des Patentanspruchs 1 und damit auch derjenige der hierauf rückbezogenen Unteransprüche gegenüber den erteilten Ansprüchen erweitert wäre (§ 22 Abs. 1 2. Altern. PatG). Der erforderliche Tatbestand ergibt sich insoweit jedenfalls aus dem Fehlen des Merkmals 3 b im Anspruch 1 des ursprünglichen Hilfsantrages. Sein Gegenstand ist damit insoweit weiter als der des erteilten Patentanspruchs, was auch den Schutzbereich dieses Anspruchs erweitert.
Jestaedt Melullis Scharen
Keukenschrijver Mühlens

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZB 2/12
vom
6. August 2013
in dem Rechtsbeschwerdeverfahren
betreffend das Gebrauchsmuster 299 24 915
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Tintenstrahldrucker

a) Die Löschung eines Gebrauchsmusters hat zu unterbleiben, wenn der
Schutzanspruch zwar ein Merkmal enthält, das in den ursprünglich eingereichten
Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart ist, das aber
nur zu einer Beschränkung des Gegenstandes und nicht zur Erteilung von
Schutz für ein "Aliud" führt (Bestätigung von BGH, Beschluss vom
21. Oktober 2010 - Xa ZB 14/09, GRUR 2011, 40 Rn. 18 ff. - Winkelmesseinrichtung
; Urteil vom 21. Juni 2011 - X ZR 43/09, GRUR 2011, 1003
Rn. 24 ff. - Integrationselement).

b) Der Umstand, dass das eingefügte Merkmal auch bei nicht offenbarten
Ausgestaltungen verwirklicht sein kann, mit denen das Ziel der Erfindung
unter Umständen nicht erreicht wird, führt nicht zwingend zu einer abweichenden
Beurteilung.
BGH, Beschluss vom 6. August 2013 - X ZB 2/12 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. August 2013 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richterin Mühlens und die
Richter Gröning, Dr. Grabinski und Dr. Bacher

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den am 26. Oktober 2011 verkündeten Beschluss des 35. Senats (Gebrauchsmuster-Beschwerdesenats ) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.

Gründe:


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A. Die Antragsgegnerin war Inhaberin des Gebrauchsmusters 299 24 915 (Streitgebrauchsmusters), das aus der deutschen Patentanmeldung 199 81 083 (WO 99/59823) abgezweigt und am 8. Juni 2006 hinterlegt worden ist und einen Tintenstrahldrucker sowie einen zugehörigen Tintentank betrifft. Das Schutzrecht ist mit Ablauf des 31. Mai 2009 nach Erreichen der Höchstschutzdauer erloschen.
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Die Antragstellerin, die von der Antragsgegnerin wegen Verletzung des Streitgebrauchsmusters gerichtlich in Anspruch genommen wird, hat die Löschung des Schutzrechts im Umfang der Schutzansprüche 1 bis 3 und 5 bis 30 wegen fehlender Schutzfähigkeit, unzureichender Offenbarung und unzulässiger Erweiterung begehrt. Die Antragsgegnerin hat das Schutzrecht in geänderter Fassung mit 18 Schutzansprüchen verteidigt. Schutzanspruch 1, auf den die übrigen verteidigten Schutzansprüche zurückbezogen sind, lautet in der mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung (Änderungen gegenüber der eingetragenen Fassung sind hervorgehoben): "Tintenstrahldrucker, umfassend: einen sich hin und her bewegenden Schlitten (3), auf dem eine Tintenzufuhrnadel (6, 7), ein Tankhalter (4) und ein Druckkopf (5), der mit der Tintenzufuhrnadel (6, 7) in Verbindung steht, um Tintentropfen auszustoßen , gebildet sind; und einen Tintentank (40, 50), der auf der Tintenzufuhrnadel (6, 7) angebracht ist mit einer Halbleiterspeichereinrichtung (61) bevorzugt zum Speichern von Tinteninformation, wobei die Tintenzufuhrnadel (6, 7) nahe einem Ende einer Seite in einer Richtung senkrecht zur hin und her gerichteten Richtung des Schlittens (3) angeordnet ist; wobei eine Platine (31) auf einer Wand des Tintentanks (40, 50) nahe der Seite, auf der die Tintenaustrittsöffnung (44, 54) gebildet ist, angebracht ist; mehrere Kontakte (60) zum Verbinden mit einer externen Regeleinrichtung (38) auf einer frei liegenden Oberfläche der Platine (31) gebildet sind; und auf die Halbleiterspeichereinrichtung (61) von der externen Regeleinrichtung (38) mittels der Kontakte (60) zugegriffen werden kann, wobei Kontakt bildende Elemente (29, 29'), die mit Kontakten (60) der Platine (31) und der Regeleinrich- tung (38) in Kontakt stehen, in mehrere Gruppen unterteilt sind, und die Kontakt bildenden Elemente (29, 29') jeder Gruppe in einer unterschiedlichen Höhe in Richtung des Anbringens oder Abnehmens des Tintentanks (40, 50) angeordnet sind ist, wodurch eine obere Gruppe (29a) und eine untere Gruppe (29a') gebildet wird, betrachtet in der Richtung des Anbringens des Tintentanks, und die untere Gruppe (29a') der Kontakt bildenden Elemente in einer Richtung senkrecht zur Richtung den Anbringens länger ist als die obere Gruppe (29a) der Kontakt bildenden Elemente."
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Das Patentamt hat die Löschung des Streitgebrauchsmusters im beantragten Umfang ausgesprochen. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin hat das Patentgericht das nunmehr auf Feststellung der Unwirksamkeit gerichtete Begehren der Antragstellerin zurückgewiesen, soweit es sich gegen die mit dem Hauptantrag verteidigte Fassung der Schutzansprüche richtet. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit der vom Patentgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde, der die Antragsgegnerin entgegentritt.
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B. Das kraft Zulassung statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel ist unbegründet.
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I. Das Streitgebrauchsmuster betrifft einen Tintenstrahldrucker sowie einen zugehörigen Tintentank.
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1. Im Stand der Technik waren Tintentanks bekannt, an denen eine Halbleiterspeichereinrichtung angebracht ist, die über Kontaktelektroden mit der Druckersteuerung kommuniziert und zum Beispiel Informationen über die im Tank enthaltene Tinte speichern kann. In der Beschreibung des Streitgebrauchsmusters wird ausgeführt, durch rauen Umgang beim Wechseln des Tintentanks oder aufgrund eines Spiels zwischen Schlitten und Tintentank könne eine Kontaktierung versagen. Hierdurch könne das Einlesen von Daten gestört oder gänzlich verhindert werden. Schlimmstenfalls gingen die Daten verloren und das Aufzeichnungsverfahren sei nicht durchführbar.
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Das Streitgebrauchsmuster betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, einen Tintenstrahldrucker und einen Tintentank zur Verfügung zu stellen , bei denen das Einlesen und Speichern von Daten gegenüber Störeinflüssen der genannten Art weniger empfindlich ist.
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2. Zur Lösung dieses Problems wird in Schutzanspruch 1 in der mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung ein Tintenstrahldrucker vorgeschlagen, dessen Merkmale sich wie folgt gliedern lassen (die abweichende Nummerierung des Patentgerichts ist in eckigen Klammern wiedergegeben): 1. Der Tintenstrahldrucker [1] umfasst:
a) einen sich hin und her bewegenden Schlitten (3), auf dem eine Tintenzufuhrnadel (6, 7), ein Tankhalter (4) und ein Druckkopf (5), der mit der Tintenzufuhrnadel (6, 7) in Verbindung steht, um Tintentropfen auszustoßen, gebildet sind [2];
b) einen Tintentank (40, 50), der auf der Tintenzufuhrnadel (6, 7) angebracht ist, mit einer Halbleiterspeichereinrichtung (61) bevorzugt zum Speichern von Tinteninformationen [3].
2. Die Tintenzufuhrnadel (6, 7) ist nahe einem Ende einer Seite in einer Richtung senkrecht zur hin und her gerichteten Richtung des Schlittens (3) angeordnet [4].
3. Auf einer Wand des Tintentanks (40, 50) ist nahe der Seite, auf der die Tintenaustrittsöffnung (44, 54) gebildet ist, eine Platine (31) angebracht [5].
a) Auf einer frei liegenden Oberfläche der Platine (31) sind mehrere Kontakte (60) zum Verbinden mit einerexternen Regeleinrichtung (38) gebildet [6].

b) Mittels der Kontakte (60) kann von der externen Regeleinrichtung (38) auf die Halbleiterspeichereinrichtung (61) zugegriffen werden [7].
4. Der Drucker umfasst ferner Kontakt bildende Elemente (29, 29'), die mit Kontakten (60) der Platine (31) und der Regeleinrichtung (38) in Kontakt stehen [8].
a) Diese Kontakt bildenden Elemente (29, 29') sind in mehrere Gruppen unterteilt. Die Elemente jeder Gruppe sind in einer unterschiedlichen Höhe in Richtung des Anbringens oder Abnehmens des Tintentanks (40, 50) angeordnet, wodurch eine obere Gruppe (29) und eine untere Gruppe (29') gebildet wird, betrachtet in der Richtung des Anbringens des Tintentanks [9].
b) Die untere Gruppe (29') der Kontakt bildenden Elemente ist in einer Richtung senkrecht zur Richtung des Anbringens länger als die obere Gruppe (29) der Kontakt bildenden Elemente [10].
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II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
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Der Gegenstand von Schutzanspruch 1 in der mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung gehe über den Inhalt der Ursprungsoffenbarung hinaus. Zwar seien in den ursprünglich eingereichten Unterlagen entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht nur die Merkmale 1 bis 3 [1 bis 8], sondern auch das Merkmal 4 a [9] offenbart. Nicht offenbart sei aber das Merkmal 4 b [10]. Angaben zur Längserstreckung der beiden Gruppen von Kontakt bildenden Elementen seien weder im Wortlaut der Ansprüche noch im Wortlaut der Beschreibung enthalten. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin sehe der Fachmann in dem Umstand, dass die untere Gruppe länger sei als die obere, auch nicht eine selbstverständliche Maßnahme zum Erhalt eines größeren Schwenkwinkels bis zum Eintritt des Kontaktverlusts. Es gebe nämlich, wie auch die An- tragsgegnerin nicht in Abrede stelle, bestimmte Konstellationen, in denen der zulässige Schwenkwinkel größer sei, wenn die untere Gruppe kürzer sei als die obere.
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Die Aufnahme von Merkmal 4 b [10] in den Schutzanspruch habe jedoch nicht zur Folge, dass die Unwirksamkeit des Streitgebrauchsmusters festzustellen sei. Sie führe nicht dazu, dass der Gegenstand des Schutzrechts gegenüber dem Inhalt der ursprünglichen Anmeldung ein "Aliud" darstelle, sondern schränke den Gegenstand der Anmeldung lediglich ein. Den Ursprungsunterlagen sei als wesentliche Zielrichtung die Vermeidung von Fehlkontaktierungen beim Einsetzen des Tanks und beim Druckbetrieb sowie die auf diesen Aspekt hin verbesserte Ausgestaltung der Geometrie und Lageanordnung der Kontakte zu entnehmen. Die in Figur 7 der Anmeldung dargestellte Anordnung, bei der die untere Gruppe der Kontakte eine größere Länge aufweise als die obere, betreffe ebenfalls den Aspekt der Vermeidung von Fehlkontakten und bilde diesen weiter. Merkmal 4 b [10] konkretisiere demzufolge die ursprünglich offenbarte Anweisung zum technischen Handeln.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei den berechtigten Interessen der Öffentlichkeit deshalb genüge getan, wenn das Merkmal im Patentanspruch verbleibe und zugleich dafür Sorge getragen werde, dass im Übrigen keine Rechte aus der Änderung hergeleitet werden könnten. Dass das Merkmal auch nicht offenbarte Ausgestaltungen erfasse, mit denen das Ziel der Erfindung unter Umständen nicht erreicht werde, führe nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
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III. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung stand.
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1. Zutreffend ist das Patentgericht davon ausgegangen, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Aufnahme eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbarten, den Gegenstand des Schutzrechts aber lediglich einschränkenden Merkmals in einen Patentanspruch für das Gebrauchsmusterrecht entsprechend heranzuziehen ist.
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a) Wie der Bundesgerichtshof mehrfach entschieden hat, ist dem § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG zugrunde liegenden Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes gegenüber der Öffentlichkeit hinreichend Rechnung getragen, wenn ein Verstoß gegen das darin aufgestellte Verbot durch entsprechende Beschränkung des Patents rückgängig gemacht wird.
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Wenn die Einfügung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbarten Merkmals zu einer bloßen Einschränkung des geschützten Gegenstands geführt hat, kann dies dadurch geschehen , dass das betreffende Merkmal im Anspruch verbleibt, bei der Prüfung der Patentfähigkeit aber jedenfalls insoweit außer Betracht zu lassen ist, als es nicht zur Stützung derselben herangezogen werden darf (BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2000 - X ZR 184/98, GRUR 2001, 140, 142 f. - Zeittelegramm; Beschluss vom 21. Oktober 2010 - Xa ZB 14/09, GRUR 2011, 40 Rn. 18 - Winkelmesseinrichtung ; Urteil vom 21. Juni 2011 - X ZR 43/09, GRUR 2011, 1003 Rn. 24 - Integrationselement). Das Patent ist hingegen zu widerrufen oder für nichtig zu erklären, wenn die Hinzufügung des Merkmals dazu geführt hat, dass das Schutzrecht eine andere Erfindung zum Gegenstand hat als die ursprüngliche Anmeldung, wenn das Patent also etwas schützt, das gegenüber dem der Fachwelt durch die ursprünglich eingereichten Unterlagen Offenbarten ein "Aliud" darstellt (BGH, GRUR 2001, 140, 141 - Zeittelegramm; GRUR 2011, 40 Rn. 21 - Winkelmesseinrichtung; GRUR 2011, 1003 Rn. 27 - Integrationselement

).


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b) Diese Grundsätze gelten auch für das Gebrauchsmusterrecht, das in § 15 Abs. 1 Nr. 3 GebrMG einen entsprechenden Löschungsgrund vorsieht.
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Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 PatG, wonach ein Patent mit einer entsprechenden Beschränkung aufrechtzuerhalten ist, wenn ein Widerrufsgrund nur einen Teil desselben betrifft.
Eine Regelung gleichen Inhalts enthält § 15 Abs. 3 Satz 1 GebrMG für die Löschung eines Gebrauchsmusters.
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2. Ebenfalls zutreffend ist das Patentgericht davon ausgegangen, dass eine Nichtigerklärung oder Löschung im Falle einer bloßen Einschränkung auch dann nicht zwingend erforderlich ist, wenn das eingefügte Merkmal auch bei nicht offenbarten Ausgestaltungen verwirklicht sein kann, mit denen das Ziel der Erfindung unter Umständen nicht erreicht wird.
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a) Wenn ein Patentanspruch oder der Schutzanspruch eines Gebrauchsmusters verallgemeinernde Formulierungen enthält, die möglicherweise auch Ausführungsformen umfassen, die die in der Beschreibung geschilderten Vorteile nicht aufweisen, stellt dies keinen eigenständigen Widerrufs-, Nichtigkeits - oder Löschungsgrund dar.
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Grundsätzlich ist es dem Anmelder unbenommen, den beanspruchten Schutz nicht auf konkret geschilderte Ausführungsbeispiele zu beschränken, sondern gewisse Abstrahierungen vorzunehmen. Eine zu weite Formulierung der Ansprüche kann im Einzelfall zur Folge haben, dass der Gegenstand des Schutzrechts über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinausgeht. Sie kann ferner dazu führen, dass der Gegenstand des Schutzrechts nicht schutzfähig ist, weil zumindest eine unter den Anspruch fallende Ausführungsform durch den Stand der Technik vorweggenommen oder nahegelegt ist, oder dass die Erfindung nicht mehr so offenbart ist, dass der Fachmann sie ausführen kann (vgl. dazu BGH, Urteil vom 25. Februar 2010 - Xa ZR 100/05, BGHZ 184, 300 = GRUR 2010, 414 Rn. 23 - Thermoplastische Zusammensetzung).
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Ob eine solche Folge eintritt, ist indes eine Frage des Einzelfalls, die im Zusammenhang mit den einzelnen im Gesetz vorgesehenen Nichtigkeits- bzw. Löschungsgründen zu klären ist. Der Umstand, dass der Gegenstand des Schutzrechts möglicherweise auch Ausführungsformen umfasst, bei denen die Vorteile der Erfindung nicht verwirklicht werden, reicht für sich gesehen nicht aus, um einen dieser Nichtigkeits- bzw. Löschungsgründe zu bejahen.
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b) Im Streitfall hängt die Frage, ob die Einfügung des Merkmals 4 b [10] eine Löschung des Streitgebrauchsmusters zur Folge hat, mithin allein davon ab, ob der Gegenstand des Schutzrechts durch die Aufnahme dieses Merkmals zu einem "Aliud" abgewandelt worden ist. Dies hat das Patentgericht zutreffend erkannt.
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3. Das Patentgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, die Einfügung von Merkmal 4 b [10] habe zu einer bloßen Beschränkung des Gegenstands geführt. Dies lässt jedenfalls im Ergebnis Rechtsfehler nicht erkennen.
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a) Eine bloße Konkretisierung des Gegenstands der ursprünglichen Anmeldung könnte allerdings nicht schon deshalb bejaht werden, weil das hinzugefügte Merkmal dieselbe Zielrichtung verfolgt wie andere, in den ursprünglich eingereichten Unterlagen offenbarte Merkmale oder weil es ebenso wie diese Merkmale die Geometrie und Lageanordnung der Kontakte betrifft.
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aa) Ob eine bloße Einschränkung oder ein "Aliud" vorliegt, kann nicht allein nach formalen Kriterien entschieden werden.
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Insbesondere kann eine bloße Einschränkung nicht schon deshalb bejaht werden, weil alle in Betracht kommenden Ausführungsformen, die die Merkmale des Patentanspruchs in der erteilten Fassung aufweisen, formal auch unter den Gegenstand der ursprünglich eingereichten Unterlagen subsumiert werden können. Entscheidend ist vielmehr, ob mit der Hinzufügung des Merkmals lediglich eine Anweisung zum technischen Handeln konkretisiert wird, die in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart ist, oder ob damit ein technischer Aspekt angesprochen wird, der aus den ursprünglich eingereichten Unterlagen weder in seiner konkreten Ausgestaltung noch auch nur in abstrakter Form als zur Erfindung gehörend zu entnehmen ist (BGH, GRUR 2011, 40 Rn. 22 - Winkelmesseinrichtung; GRUR 2011, 1003 Rn. 29 - Integrationselement).
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bb) Ein zusätzlich eingefügtes Merkmal betrifft nicht schon dann einen in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbarten technischen Aspekt, wenn es der Erzielung eines Erfolgs dient, der schon in der ursprünglichen Anmeldung benannt worden ist. Erforderlich ist vielmehr, dass auch die zur Erzielung dieses Erfolgs eingesetzten Mittel übereinstimmen.
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Hierzu reicht nicht aus, dass das hinzugefügte Merkmal ein Mittel betrifft, das in seinen Wirkungen mit einem in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbarten Mittel vergleichbar ist. Das mit dem hinzugefügten Merkmal angegebene Mittel muss sich vielmehr als Konkretisierung eines bereits ursprünglich als zur Erfindung gehörend offenbarten Mittels darstellen.
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cc) Im Streitfall genügt es deshalb nicht, dass Merkmal 4 b [10] ebenso wie zahlreiche der in den ursprünglich eingereichten Unterlagen angeführten Maßnahmen der Vermeidung von Fehlkontaktierungen beim Einsetzen des Tanks und beim Druckbetrieb dient. Ebenfalls nicht ausreichend ist, dass Merkmal 4 b [10] ebenso wie andere ursprünglich offenbarte Maßnahmen in irgendeiner Weise die Geometrie und Lageanordnung der Kontakte betrifft.
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b) Ohne Rechtsfehler hat das Patentgericht in Merkmal 4 b [10] aber deshalb eine Konkretisierung gesehen, weil in den ursprünglich eingereichten Unterlagen ein Ausführungsbeispiel beschrieben wird, bei dem die Kontaktelemente in zwei übereinanderliegenden Reihen angeordnet sind.
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In den ursprünglich eingereichten Unterlagen, die insoweit mit der Beschreibung des Streitgebrauchsmusters und mit dem Inhalt der Patentanmeldung , aus der es abgezweigt wurde, übereinstimmen, wird zu dem in den Figuren 5 und 7 dargestellten Ausführungsbeispiel ausgeführt, die Kontakte (60) seien in mehreren Reihen in der Einführrichtung des Tanks angeordnet, und zwar im konkreten Beispiel in zwei Reihen (S. 11 Abs. 2 = Streitgebrauchsmuster Abs. 35). Dadurch kämen die Kontakte in einer definierten, vertikal gruppierten Reihenfolge zustande, was Datenverluste aufgrund des Anwendens von Signalen in unvorbereiteter Reihenfolge verhindere (S. 14/15 = Streitgebrauchsmuster Abs. 45).
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Mit der Anordnung der Kontakte in zwei übereinanderliegenden Reihen ist ein Mittel offenbart, das in Merkmal 4 b [10] vorausgesetzt wird. Durch die Hinzufügung dieses Merkmals wird kein neuer technischer Aspekt eingeführt. Vielmehr wird lediglich die Art und Weise, in der die beiden übereinander liegenden Reihen ausgestaltet sind, in einem Detailpunkt näher konkretisiert. Darin hat das Patentgericht zu Recht eine bloße Einschränkung gesehen.
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IV. Das Patentgericht hat den Gegenstand des Streitgebrauchsmusters - ohne Merkmal 4 b [10] - als schutzfähig angesehen. Diese Entscheidung unterliegt nicht der rechtlichen Überprüfung in der Rechtsbeschwerdeinstanz.

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1. Das Patentgericht hat die Zulassung der Rechtsbeschwerde auf den Löschungsgrund des § 15 Abs. 1 Nr. 3 GebrMG beschränkt.
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Eine Beschränkung der Zulassung braucht nicht im Tenor der Beschwerdeentscheidung ausgesprochen zu werden. Sie kann sich auch aus der Begründung des Beschlusses ergeben. Eine Beschränkung ist regelmäßig anzunehmen , wenn sich die Frage, die der Vorinstanz Anlass zur Zulassung gegeben hat, nur für einen eindeutig abgrenzbaren selbständigen Teil des Streitstoffes stellt (BGH, Beschluss vom 17. Juli 2012 - X ZB 1/11, GRUR 2012, 1243 Rn. 5 - Feuchtigkeitsabsorptionsbehälter).
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Das Patentgericht hat im angefochtenen Beschluss ausgeführt, die Frage, ob eine unzulässige Erweiterung eines Gebrauchsmusters dann keine Löschung erfordere, wenn sie eine in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbarte Anweisung zum technischen Handeln zwar konkretisiere, aber auch nicht offenbarte Ausgestaltungen zulasse, mit denen das Ziel der Erfindung unter Umstanden nicht erreicht werde, sei von grundsätzlicher Bedeutung. Damit hat es hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Rechtsbeschwerde nur hinsichtlich des Löschungsgrundes des § 15 Abs. 1 Nr. 3 GebrMG zugelassen ist.
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2. Diese Beschränkung ist wirksam.
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Die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 18 Abs. 4 Satz 1 GebrMG und § 100 Abs. 1 PatG kann auf abgrenzbare Teile des Beschwerdeverfahrens beschränkt werden (BGH, Beschluss vom 14. Juli 1983 - X ZB 9/82, BGHZ 88, 191, 193 = GRUR 1983, 725, 726 - Ziegelsteinformling I; Beschluss vom 19. Oktober 2004 - X ZB 34/03, GRUR 2005, 143 - Rentabilitätsermittlung). Wenn gegen ein Gebrauchsmuster mehrere der in § 15 Abs. 1 GebrMG vorgesehenen Löschungsgründe geltend gemacht werden, bildet jeder Löschungsgrund einen abgrenzbaren Teil des Verfahrens in diesem Sinne (BGH, GRUR 2012, 1243 Rn. 4 - Feuchtigkeitsabsorptionsbehälter).
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V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 109 Abs. 1 Satz 2 PatG.
41
VI. Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich gehalten (§ 18 Abs. 4 Satz 2 GebrMG und § 107 Abs. 1 Halbsatz 2 PatG).
Meier-Beck Mühlens Gröning
Grabinski Bacher
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 26.10.2011 - 35 W(pat) 466/09 -

(1) Hat der Anmelder zu einer internationalen Anmeldung, für die das Deutsche Patent- und Markenamt Bestimmungsamt ist, beantragt, daß eine internationale vorläufige Prüfung der Anmeldung nach Kapitel II des Patentzusammenarbeitsvertrags durchgeführt wird, und hat er die Bundesrepublik Deutschland als Vertragsstaat angegeben, in dem er die Ergebnisse der internationalen vorläufigen Prüfung verwenden will ("ausgewählter Staat"), so ist das Deutsche Patent- und Markenamt ausgewähltes Amt.

(2) Ist die Auswahl der Bundesrepublik Deutschland vor Ablauf des 19. Monats seit dem Prioritätsdatum erfolgt, so ist § 4 Absatz 2 und 3 mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle des Artikels 23 Absatz 2 des Patentzusammenarbeitsvertrages Artikel 40 Absatz 2 des Patentzusammenarbeitsvertrages tritt.

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

(1) Ergibt die Begründung des angefochtenen Urteils zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Berufung zurückzuweisen.

(2) Insoweit die Berufung für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. Wird das Urteil wegen eines Mangels des Verfahrens aufgehoben, so ist zugleich das Verfahren insoweit aufzuheben, als es durch den Mangel betroffen wird.

(3) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Patentgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Nichtigkeitssenat erfolgen.

(4) Das Patentgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(5) Der Bundesgerichtshof kann in der Sache selbst entscheiden, wenn dies sachdienlich ist. Er hat selbst zu entscheiden, wenn die Sache zur Endentscheidung reif ist.