Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Sept. 2014 - XII ZB 305/14

bei uns veröffentlicht am10.09.2014
vorgehend
Amtsgericht Zwickau, 12 XVII 0790/13, 17.03.2014
Landgericht Zwickau, 9 T 124/14, 07.05.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 305/14
vom
10. September 2014
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Kann der Betroffene aufgrund einer psychischen Erkrankung seine Angelegenheiten
hinsichtlich des Aufgabenkreises der Gesundheitssorge nicht selbst besorgen, so ist
ihm hierfür grundsätzlich auch dann ein Betreuer zu bestellen, wenn er die notwendige
Behandlung ablehnt (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 23. Januar 2013
- XII ZB 395/12 - FamRZ 2013, 618).
BGH, Beschluss vom 10. September 2014 - XII ZB 305/14 - LG Zwickau
AG Zwickau
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. September 2014 durch
den Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin Weber-Monecke und die Richter
Dr. Klinkhammer, Dr. Nedden-Boeger und Guhling

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 1 wird der Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Zwickau vom 7. Mai 2014 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Landgericht zurückverwiesen. Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei. Beschwerdewert: 5.000 €

Gründe:

I.

1
Die 64jährige Betroffene leidet an einer schizophrenen Grunderkrankung, wegen derer sie ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst erledigen kann. Der Beteiligte zu 1 (Ehemann der Betroffenen) hat deshalb angeregt, einen Berufsbetreuer für die Aufgabenkreise der Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Unterbringung und Vermögenssorge zu bestellen.
2
Das Amtsgericht hat von der Einrichtung einer Betreuung abgesehen und das Verfahren eingestellt. Dagegen hat der Ehemann Beschwerde eingelegt, mit der er die Einrichtung einer Betreuung für den Aufgabenkreis der Gesundheitssorge weiter verfolgt hat. Das Landgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen.

II.

3
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie ist zulassungsfrei auch gegen eine die Einrichtung einer Betreuung ablehnende Entscheidung statthaft (Senatsbeschluss vom 29. Januar 2014 - XII ZB 519/13 - FamRZ 2014, 652 Rn. 8). Der im ersten Rechtszug beteiligte Ehemann ist gemäß § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG beschwerdebefugt.
4
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
5
a) Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Eine Betreuerbestellung komme nur in Betracht, soweit davon auszugehen sei, dass der Betreuer in seinen Aufgabenkreisen tatsächlich tätig werden und dem Betroffenen Hilfe zukommen lassen könne. Eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis der Gesundheitssorge könne nur eingerichtet werden , wenn der Betroffene entweder freiwillig die benötigte Hilfe des Betreuers zumindest teilweise annehmen würde oder bei vollständig fehlender Bereitschaft , sich einer Heilbehandlung zu unterziehen, eine Behandlung in einer geschlossenen Einrichtung nach § 1906 BGB in Betracht komme. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor, weil die Betroffene sich - bei vorhandenem natürlichen Willen und eigener Einwilligungsfähigkeit in Heilbehandlungen - jeglicher Maßnahme zur psychiatrischen Heilbehandlung nachhaltig widersetze. Auch die Voraussetzungen einer geschlossenen Unterbringung mit Zwangsbehandlung seien nicht gegeben.
6
b) Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
7
Gemäß § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB bestellt das Betreuungsgericht dem Betroffenen einen Betreuer, wenn jener aufgrund einer psychischen Krankheit seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann. Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf dieser nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist.
8
Nach den getroffenen Feststellungen bedarf die Betroffene einer medizinischen Behandlung ihrer psychischen Grunderkrankung, für die sie wegen fehlender Krankheitseinsicht nicht selbst sorgen kann. Daraus folgt ein Betreuungsbedarf für den Aufgabenkreis der Gesundheitssorge.
9
Die vom Landgericht weiter zugrunde gelegte Annahme, wonach sich die Betroffene jeglicher Maßnahme zur psychiatrischen Heilbehandlung nachhaltig widersetzen werde, lässt den Betreuungsbedarf für sich genommen nicht entfallen. Denn es lässt sich nicht von vornherein ausschließen, dass ein Betreuer die Betroffene noch von der Notwendigkeit einer Behandlung überzeugen kann. Auch dies zählt zu seinem Aufgabenbereich (Senatsbeschluss vom 23. Januar 2013 - XII ZB 395/12 - FamRZ 2013, 618 Rn. 13; vgl. außerdem Senatsbeschluss vom 4. Juni 2014 - XII ZB 121/14 - FamRZ 2014, 1358 Rn. 17 ff.). Es ist daher zumindest der Versuch zu unternehmen, der Betroffenen im Wege der Einrichtung einer Betreuung die notwendige Hilfe zukommen zu lassen.
10
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung , zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
11
3. Da der Senat über die Betreuerbestellung nicht abschließend entscheiden kann, ist die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.
Dose Weber-Monecke Klinkhammer Nedden-Boeger Guhling
Vorinstanzen:
AG Zwickau, Entscheidung vom 17.03.2014 - 12 XVII 0790/13 -
LG Zwickau, Entscheidung vom 07.05.2014 - 9 T 124/14 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Sept. 2014 - XII ZB 305/14

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Sept. 2014 - XII ZB 305/14

Referenzen - Gesetze

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 74 Entscheidung über die Rechtsbeschwerde


(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 303 Ergänzende Vorschriften über die Beschwerde


(1) Das Recht der Beschwerde steht der zuständigen Behörde gegen Entscheidungen über1.die Bestellung eines Betreuers oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts,2.Umfang, Inhalt oder Bestand einer in Nummer 1 genannten Maßnahmezu. (2) Das Re
Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Sept. 2014 - XII ZB 305/14 zitiert 3 §§.

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 74 Entscheidung über die Rechtsbeschwerde


(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 303 Ergänzende Vorschriften über die Beschwerde


(1) Das Recht der Beschwerde steht der zuständigen Behörde gegen Entscheidungen über1.die Bestellung eines Betreuers oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts,2.Umfang, Inhalt oder Bestand einer in Nummer 1 genannten Maßnahmezu. (2) Das Re

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Sept. 2014 - XII ZB 305/14 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).

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Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Jan. 2013 - XII ZB 395/12

bei uns veröffentlicht am 23.01.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS XII ZB 395/12 vom 23. Januar 2013 in der Betreuungssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja BGB §§ 1896, 1906 Abs. 1 Nr. 2 Kann der Betroffene aufgrund einer psychischen Erkrankung seine Angelegen

Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Juni 2014 - XII ZB 121/14

bei uns veröffentlicht am 04.06.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS XII ZB121/14 vom 4. Juni 2014 in der Betreuungs- und Unterbringungssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: ja BGHR: ja BGB § 1906 Abs. 3 und 3a; FamFG §§ 323 Abs. 2, 329 Abs. 1 Satz 2 a) Zu den materiell-r

Referenzen

(1) Das Recht der Beschwerde steht der zuständigen Behörde gegen Entscheidungen über

1.
die Bestellung eines Betreuers oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts,
2.
Umfang, Inhalt oder Bestand einer in Nummer 1 genannten Maßnahme
zu.

(2) Das Recht der Beschwerde gegen eine von Amts wegen ergangene Entscheidung steht im Interesse des Betroffenen

1.
dessen Ehegatten oder Lebenspartner, wenn die Ehegatten oder Lebenspartner nicht dauernd getrennt leben, sowie den Eltern, Großeltern, Pflegeeltern, Abkömmlingen und Geschwistern des Betroffenen sowie
2.
einer Person seines Vertrauens
zu, wenn sie im ersten Rechtszug beteiligt worden sind.

(3) Das Recht der Beschwerde steht dem Verfahrenspfleger zu.

(4) Der Betreuer oder der Vorsorgebevollmächtigte kann gegen eine Entscheidung, die seinen Aufgabenkreis betrifft, auch im Namen des Betroffenen Beschwerde einlegen. Führen mehrere Betreuer oder Vorsorgebevollmächtigte ihr Amt gemeinschaftlich, kann jeder von ihnen für den Betroffenen selbständig Beschwerde einlegen.

13
Demgegenüber war Gegenstand der von der Rechtsbeschwerde zitierten Senatsrechtsprechung die Genehmigung einer vom Betreuer im Rahmen der Unterbringung beantragten Zwangsbehandlung. Damit ist der vorliegende Fall indes nicht vergleichbar. Auch wenn der Betroffene ersichtlich einer medikamentösen Behandlung bedarf und einiges dafür spricht, dass diese wegen der fehlenden Krankheitseinsicht erfolgreich nur gegen den Willen des Betroffenen im Rahmen einer Unterbringung erfolgen könnte, ändert dies nichts an der vom Landgericht festgestellten Erforderlichkeit, eine Betreuung für die Aufgabenkreise Heilbehandlung und Gesundheitsfürsorge in dem vorliegend eingeschränkten Maße anzuordnen. Vor allem lässt sich nicht ausschließen, dass die Betreuerin den Betroffenen noch von der Notwendigkeit einer Behandlung überzeugen kann - auch dies zählt zu ihrem Aufgabenbereich.
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(b) Zur näheren Ausgestaltung eines solchen Versuchs, insbesondere dazu, von wem er zu unternehmen ist, enthält das Gesetz keine Angaben.

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.

(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.

(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.