Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Mai 2012 - XII ZB 59/12

bei uns veröffentlicht am30.05.2012
vorgehend
Landgericht Düsseldorf, 25 T 752/11, 12.01.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 59/12
vom
30. Mai 2012
in der Betreuungssache
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Mai 2012 durch die Richter
Dose, Weber-Monecke, Dr. Klinkhammer, Schilling und Dr. Nedden-Boeger

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 25. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 12. Januar 2012 aufgehoben, soweit sich die angeordnete Betreuung auf die Vermögenssorge bezieht. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird zurückgewiesen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens , an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Beschwerdewert: 3.000 €

Gründe:

I.

1
Die 1932 geborene Betroffene wendet sich mit der Rechtsbeschwerde gegen die Bestellung der weiteren Beteiligten zu ihrer Betreuerin.
2
Die Betroffene leidet seit Langem unter Zwangsgedanken und Zwangshandlungen , begleitet von paranoiden Ideen, deretwegen sie sich bereits in stationärer psychiatrischer Behandlung befand.
3
Auf sachverständige Begutachtung hin und nach Anhörung der anwaltlich vertretenen Betroffenen hat das Amtsgericht die Beteiligte als Betreuerin für die Aufgabenkreise der Gesundheitsfürsorge mit dem Recht der Unterbringung, der Aufenthaltsbestimmung, der Vermögenssorge, der Vertretung vor Behörden , Wohnungsangelegenheiten, Heimangelegenheiten und Entscheidungen über die Entgegennahme, das Öffnen und Anhalten der Post bestellt. Das Landgericht hat die Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.

4
Die gemäß § 70 Abs. 3 Nr. 1 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat teilweise Erfolg. Insoweit führt sie zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
5
1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung auf § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB gestützt und sie wie folgt begründet:
6
Nach dem fachärztlichen Gutachten des Sachverständigen liege bei der Betroffenen aufgrund ihrer chronischen Zwangserkrankung eine verminderte Einsichtsfähigkeit vor, die das Fehlen der Einsicht zur Folge habe. Unter dem Einfluss der krankhaften Störung sei die Betroffene nicht im Stande, ihre selbstschädigenden Handlungen zu erfassen. Sie folge blind ihren Zwangsimpulsen und könne sich nicht bewusst durch Verhalten von diesen Ritualen distanzieren. Somit sei sie in ihrer Handlungsfähigkeit, das für sie Gemäße zu tun, wesentlich beeinträchtigt und könne die in dem Aufgabenkreis benannten Bereiche nicht selbständig erledigen.
7
2. Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Überprüfung hinsichtlich des Aufgabenkreises der Vermögenssorge nicht stand.
8
a) Kann ein Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, bestellt das Betreuungsgericht auf seinen Antrag oder von Amts wegen für ihn einen Betreuer (§ 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Bestellung eines Betreuers gegen den Willen des Betroffenen setzt voraus, dass der Betroffene aufgrund seiner Krankheit oder Behinderung seinen Willen nicht frei bestimmen kann (§ 1896 Abs. 1 a BGB; Senatsbeschluss vom 14. März 2012 - XII ZB 502/11 - FamRZ 2012, 869 Rn. 13 ff. mwN).
9
Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Ob und für welche Aufgabenbereiche ein Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen (Senatsbeschluss vom 6. Juli 2011 - XII ZB 80/11 - FamRZ 2011, 1391 Rn. 9 mwN).
10
b) Für den Aufgabenkreis der Vermögenssorge fehlt es an der erforderlichen Feststellung eines Betreuungsbedarfs. Zwar hat das Landgericht festgestellt , dass die Betroffene an einer Zwangserkrankung leidet, unter deren Einfluss sie in ihrer Handlungs- und Einsichtsfähigkeit beeinträchtigt ist. Die zwanghaften Verhaltensweisen und paranoiden Ideen der Betroffenen äußern sich jedoch nach den Ausführungen des Sachverständigen, auf die das Landgericht verwiesen hat, im Wesentlichen einerseits in einem übersteigerten Reinlichkeitsbedürfnis mit dem Wahn, sämtliche Gegenstände ihrer Umgebung fortdauernd desinfizieren zu müssen, andererseits in einer krankhaft symbiotischen Beziehung zu ihrer Tochter. Dass die Betroffene aufgrund ihrer zwanghaften Erkrankung darüber hinaus nicht in der Lage wäre, ihre Vermögensangelegenheiten eigenverantwortlich zu regeln, ist weder ausreichend dargelegt noch er- sichtlich. Konkrete Feststellungen zu einem Betreuungsbedarf in diesem Aufgabenkreis sind nicht getroffen. Konkrete Gefahren, zu deren Abwendung eine Betreuung in den Vermögensangelegenheiten notwendig sei, sind nicht aufgezeigt. Nach den Ausführungen des Sachverständigen werde durch eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis der Vermögensangelegenheiten "zur Zweckdienlichkeit der Betroffenen beigetragen". Das genügt nicht, um die Notwendigkeit der Einrichtung einer Betreuung insoweit zu rechtfertigen. Um einen Betreuungsbedarf für den Aufgabenkreis der Vermögensangelegenheiten zu begründen , bedarf es einer darüber hinaus gehenden Konkretisierung. Daher kann der angefochtene Beschluss insoweit keinen Bestand haben.
11
Der Senat kann nicht in der Sache abschließend entscheiden, weil es für die Prüfung des Betreuungsbedarfs mit dem Aufgabenkreis der Vermögensangelegenheiten weiterer tatrichterlicher Aufklärung bedarf.
12
Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.
Dose Weber-Monecke Klinkhammer Schilling Nedden-Boeger

Vorinstanzen:
AG Düsseldorf, Entscheidung vom 07.10.2011 - 99 XVII S 3905 -
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 12.01.2012 - 25 T 752/11 -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Mai 2012 - XII ZB 59/12

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Mai 2012 - XII ZB 59/12

Referenzen - Gesetze

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 70 Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde


(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat. (2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzlic

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 74 Entscheidung über die Rechtsbeschwerde


(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig
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Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 70 Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde


(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat. (2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzlic

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 74 Entscheidung über die Rechtsbeschwerde


(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig

Referenzen - Urteile

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bei uns veröffentlicht am 21.01.2015

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Referenzen

(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in

1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts,
2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie
3.
Freiheitsentziehungssachen.
In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 gilt dies nur, wenn sich die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss richtet, der die Unterbringungsmaßnahme oder die Freiheitsentziehung anordnet. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 ist die Rechtsbeschwerde abweichend von Satz 2 auch dann ohne Zulassung statthaft, wenn sie sich gegen den eine freiheitsentziehende Maßnahme ablehnenden oder zurückweisenden Beschluss in den in § 417 Absatz 2 Satz 2 Nummer 5 genannten Verfahren richtet.

(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.

13
a) Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht einen Verstoß gegen § 1896 Abs. 1 a BGB. Nach dieser Vorschrift darf gegen den freien Willen des Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden. Wenn der Betroffene - wie hier - der Einrichtung einer Betreuung nicht zustimmt, ist neben der Notwendigkeit einer Betreuung stets zu prüfen, ob die Ablehnung durch den Betroffenen auf einem freien Willen beruht (Senatsbeschluss vom 9. Februar 2011 - XII ZB 526/10 - FamRZ 2011, 630 Rn. 3). Das fachärztlich beratene Gericht hat daher festzustellen , ob der Betroffene trotz seiner Erkrankung noch zu einer freien Willensbestimmung fähig ist (Senatsbeschluss vom 9. Februar 2011 - XII ZB 526/10 - FamRZ 2011, 630 Rn. 8).

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.

(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.

(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.