Bundesgerichtshof Urteil, 27. Juni 2013 - 3 StR 435/12

bei uns veröffentlicht am27.06.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 435/12
vom
27. Juni 2013
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
Der hohe Rang der Selbstbelastungsfreiheit gebietet es, dass auch Spontanäußerungen
- zumal zum Randgeschehen - nicht zum Anlass für sachaufklärende Nachfragen
genommen werden, wenn der Beschuldigte nach Belehrung über seine Rechte
nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO die Konsultation durch einen benannten Verteidiger
begehrt und erklärt, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen.
BGH, Urteil vom 27. Juni 2013 - 3 StR 435/12 - LG Lüneburg
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
28. Mai 2013 in der Sitzung am 27. Juni 2013, an denen teilgenommen haben:
Präsident des Bundesgerichtshofs
Prof. Dr. Tolksdorf
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Hubert,
Dr. Schäfer,
Gericke,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof - in der Verhandlung - ,
Bundesanwalt - bei der Verkündung -
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 26. April 2012, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung zweier vorangegangener Urteile zur Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Dagegen wendet sich die Revision des Beschwerdeführers, mit der er eine Verfahrensbeanstandung erhebt und die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
2
Das Rechtsmittel hat mit der Verfahrensbeanstandung Erfolg.

I.


3
Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde:
4
Der Angeklagte wurde etwa drei Wochen nach der verfahrensgegenständlichen Tat wegen des dringenden Verdachts des versuchten Totschlags vorläufig festgenommen. Am nächsten Tag wurde er um ca. 13.30 Uhr der Ermittlungsrichterin des Amtsgerichts Uelzen vorgeführt, die ihm den Haftbefehl eröffnete und ihn ordnungsgemäß, unter anderem nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO, belehrte. Der Angeklagte erklärte, dass er seinen Verteidiger Rechtsanwalt K. beigeordnet bekommen wolle. Die Ermittlungsrichterin unterbrach daraufhin die Vernehmung und versuchte um 13.35 Uhr, den Verteidiger telefonisch zu erreichen. Dort meldete sich ein Anrufbeantworter mit der Ansage, dass das Büro während der Mittagspause von 13.00 bis 15.00 Uhr nicht besetzt sei. Sie kehrte in das Vernehmungszimmer zurück und teilte dem Angeklagten mit, dass sie seinen Verteidiger nicht habe erreichen können. Der Angeklagte erklärte nunmehr, er wolle sich zur Sache nicht äußern, und fügte spontan hinzu , er kenne - den im Haftbefehl genannten, ausschließlich in das Tatvorgeschehen verwickelten - S. , habe mit diesem aber nichts zu tun. Die Ermittlungsrichterin fragte daraufhin, ob er gesehen habe, wie S. auf den Fußweg uriniert habe, was zu einer der Tat vorgelagerten Auseinandersetzung zwischen S. und dem Tatopfer geführt hatte, aus der heraus sich im weiteren das eigentliche Tatgeschehen entwickelte. Der Angeklagte verneinte. Sodann fragte die Ermittlungsrichterin weiter, wie das Tatopfer verletzt worden sei. Der Angeklagte ließ sich im Folgenden umfassend zur Sache ein und räumte auf weitere Nachfragen ein, das Opfer zwei Mal gegen den Kopf getreten zu haben. Im Haftprüfungstermin vom 18. August 2011 revidierte der Angeklagte - nunmehr anwaltlich beraten - sein Geständnis und gab an, er könne sich nicht erinnern, ob er das Opfer getreten habe.
5
In der Hauptverhandlung hat der Angeklagte von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Zum Inhalt seiner Angaben im Ermittlungsverfahren hat das Landgericht die Ermittlungsrichterin und den Protokollführer vernommen; der Verteidiger hat unter Hinweis darauf, dass die Angaben des Angeklagten im Termin zur Haftbefehlsverkündung wegen Belehrungsmängeln unverwertbar seien, sowohl der Vernehmung der Ermittlungsrichterin als auch der Verwertung ihrer Aussage widersprochen. Die Strafkammer hat den Verwertungswiderspruch zurückgewiesen und die Einlassung des Angeklagten anlässlich der Haftbefehlsverkündung im Urteil gegen ihn verwertet.

II.


6
1. Die von der Revision zulässig erhobene Verfahrensrüge zeigt auf, dass bei der Vernehmung des Angeklagten durch die Ermittlungsrichterin in unzulässiger Weise in dessen Rechte, sich nicht zur Sache äußern zu müssen und vor der Vernehmung einen Verteidiger zu befragen (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO), eingegriffen worden ist. Im Einzelnen:
7
a) Nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO ist der Beschuldigte zu Beginn seiner Vernehmung über sein Schweigerecht zu belehren und darauf hinzuweisen, dass er jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger befragen kann. Beide Rechte des Beschuldigten hängen eng zusammen und sichern seine verfahrensmäßige Stellung - als Beteiligter und nicht als Objekt des Verfahrens - in ihren Grundlagen. Die Verteidigerkon- sultation hat dabei insbesondere auch den Zweck, dass sich der Beschuldigte beraten lassen kann, ob er von seinem Schweigerecht Gebrauch machen will oder nicht (BGH, Urteile vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372, 373 und vom 22. November 2001 - 1 StR 220/01, BGHSt 47, 172, 174).
8
Die Belehrungspflichten des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO schützen mithin die Selbstbelastungsfreiheit, die im Strafverfahren von überragender Bedeutung ist: Der Grundsatz, dass niemand gezwungen werden darf, sich selbst zu belasten (nemo tenetur se ipsum accusare), zählt zu den Grundprinzipien eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens. Er ist verfassungsrechtlich abgesichert durch die gemäß Art. 1, 2 Abs. 1 GG garantierten Grundrechte auf Achtung der Menschenwürde sowie auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (BVerfG, Beschluss vom 13. Januar 1981 - 1 BvR 116/77, BVerfGE 56, 37, 43 ff.) und gehört zum Kernbereich des von Art. 6 MRK garantierten Rechts auf ein faires Strafverfahren (EGMR, Urteil vom 5. November 2002 - 48539/99 - Fall Allan v. Großbritannien , StV 2003, 257, 259; BGH, Beschluss vom 31. März 2011 - 3 StR 400/10, NStZ 2011, 596, 597). Aus diesem Grund wiegt ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht schwer (BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992 - 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 221; Urteil vom 22. November 2001 - 1 StR 220/01, BGHSt 47, 172, 174).
9
b) Einen Verfahrensverstoß stellt es aber auch dar, wenn der Beschuldigte vor seiner ersten Vernehmung zwar nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO belehrt worden ist, ihm die Rechte, die Gegenstand der Belehrung sind, aber verwehrt werden: Entscheidet sich der Beschuldigte, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen, ist dies von den Ermittlungsbehörden grundsätzlich zu respektieren (BGH, Urteil vom 26. Juli 2007 - 3 StR 104/07, BGHSt 52, 11, 19); stetige Nachfragen ohne zureichenden Grund können das Schweigerecht ent- werten (BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 - 5 StR 341/05, NJW 2006, 1008, 1009).
10
Gleiches gilt, wenn der Beschuldigte einen Verteidiger zu konsultieren wünscht (BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372). Insoweit ist anerkannt, dass die Vernehmung sogleich zu unterbrechen ist, um eine Kontaktaufnahme zu einem Verteidiger zu ermöglichen (BGH, Urteile vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372, 373 und vom 12. Januar 1996 - 5 StR 756/94, BGHSt 42, 15, 18 f.; Geppert in Festschrift Otto, 2007, S. 913, 917 mwN; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 136 Rn. 10 mwN); der Beschuldigte darf nicht bedrängt werden, weitere Angaben zu machen (BGH, Beschlüsse vom 18. Dezember 2003 - 1 StR 380/03, NStZ 2004, 450, 451 und vom 10. Januar 2006 - 5 StR 341/05, NJW 2006, 1008, 1009 f.).
11
c) Allerdings kann die Vernehmung auch ohne vorherige Konsultation fortgesetzt werden, wenn der Beschuldigte dem in freier Entscheidung zustimmt (BGH, Urteil vom 21. Mai 1996 - 1 StR 154/96, BGHSt 42, 170; LR/Gleß, StPO, 26. Aufl., § 136 Rn. 101; Geppert, aaO, S. 918), wobei eine solche Zustimmung auch durch schlüssiges Verhalten erklärt werden kann (vgl. Klein, Inhalt und Reichweite der Belehrungsvorschrift des § 136 StPO, 2005, S. 145 f.; LR/Gleß aaO; aA BGH, Urteil vom 12. Januar 1996 - 5 StR 756/94, BGHSt 42, 15). Dieses kann grundsätzlich etwa darin zu sehen sein, dass sich der Beschuldigte von sich aus spontan zur Sache äußert, obwohl eine Verteidigerkonsultation noch nicht möglich war.
12
Bei der Prüfung, ob in Spontanäußerungen des Beschuldigten zugleich die eigenverantwortliche und von einem freien Willensentschluss getragene Zustimmung zu einer solchen Fortsetzung der Vernehmung zu sehen ist, muss aber der enge Zusammenhang zwischen dem Schweigerecht und dem Recht auf Verteidigerkonsultation in den Blick genommen werden. Dient die Ermöglichung der Beratung durch einen Verteidiger gerade dazu, eine sachgerechte Entscheidung des Beschuldigten über den Umgang mit seinem Schweigerecht zu ermöglichen, sind an das Vorliegen einer - noch dazu konkludent erklärten - Zustimmung zur Fortsetzung der Vernehmung hohe Anforderungen zu stellen. Insoweit ist die bloße Entgegennahme spontaner Äußerungen regelmäßig unbedenklich ; diese und die spätere Verwertung solcher Angaben sind auch bei einem nicht über seine Rechte belehrten Beschuldigten zulässig, wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Belehrungspflicht des § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO - und damit letztlich die dadurch geschützten Beschuldigtenrechte - gezielt umgangen werden sollten, um den Betroffenen zu einer Selbstbelastung zu verleiten (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 - 4 StR 170/09, NJW 2009, 3589 mwN). Der hohe Rang der Selbstbelastungsfreiheit gebietet es indes , dass auch Spontanäußerungen - zumal zum Randgeschehen - nicht zum Anlass für sachaufklärende Nachfragen genommen werden, wenn der Beschuldigte nach Belehrung über seine Rechte nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO die Konsultation durch einen benannten Verteidiger begehrt und erklärt, von seinem Schweigerecht Gebrauch zu machen.
13
d) Nach diesen Maßgaben erweist sich das Vorgehen der Ermittlungsrichterin als verfahrensfehlerhaft.
14
aa) Zwar unterbrach sie zunächst prozessordnungsgemäß die Vernehmung , um den vom Angeklagten gewünschten Verteidiger zu erreichen und so eine Konsultation durch diesen zu ermöglichen. Angesichts des kurzen Zeitraums , in dem der Verteidiger wegen der Mittagspause seiner Kanzlei unerreichbar war, bestand indes auch unter Berücksichtigung eines Interesses der Ermittlungsbehörden, möglichst frühzeitig Angaben des Beschuldigten zu erhal- ten (vgl. dazu Geppert, aaO, S. 914) - dem hier angesichts der etwa drei Wochen zurückliegenden Tat und des Umstandes, dass bereits ein Haftbefehl ergangen war, allerdings ohnehin keine hohe Bedeutung zukommt - kein nachvollziehbarer Grund, mit der Vernehmung nicht bis nach der Mittagspause zuzuwarten. Es waren in der Zwischenzeit auch weder weitere Erkenntnisse erlangt worden noch war eine neue prozessuale Situation eingetreten, aufgrund derer zu erwarten gewesen wäre, dass sich die Auffassung des Beschuldigten geändert haben könnte (vgl. zu diesen Kriterien bei der Fortsetzung der Vernehmung eines Beschuldigten, der sich auf sein Schweigerecht berufen hat BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 - 5 StR 341/05, NJW 2006, 1008, 1009). Es hätte damit bereits jetzt Veranlassung bestanden, die unterbrochene Vernehmung nicht fortzusetzen.
15
Die Fortführung der Vernehmung ohne vorherige Verteidigerkonsultation war auch nicht deshalb zulässig, weil der Angeklagte dem zugestimmt hätte: Eine ausdrückliche Zustimmung hat er nicht erteilt. Von einer konkludent erklärten kann hier ebenfalls nicht ausgegangen werden, weil er sich nach der Mitteilung über die Versuche, den gewählten Verteidiger zu erreichen, ausdrücklich auf sein Schweigerecht berufen hat. In diesem Moment hätte die Ermittlungsrichterin die Vernehmung nicht fortsetzen dürfen.
16
bb) Dem steht nicht entgegen, dass der Angeklagte im Anschluss an seine Erklärung, er wolle nichts zur Sache sagen, spontan erklärte, er kenne S. , habe mit ihm aber nichts zu tun.
17
Diese Äußerung betraf lediglich seine Beziehung zu einer am Vorgeschehen der Tat beteiligten Person; er machte keine Angaben zu deren Verhalten und keine zum eigentlichen Tatgeschehen. Die zu seiner Überführung verwertete Einlassung gab er erst ab, nachdem die Ermittlungsrichterin ihm - von seiner Äußerung ausgehend - gezielte Nachfragen zum Verhalten von S. und zum Tatgeschehen gestellt hatte. Damit ging die Ermittlungsrichterin über die bloße Entgegennahme seiner Äußerung hinaus; dies stellt nach den dargelegten Maßstäben einen unzulässigen Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit des Angeklagten dar.
18
Seine Äußerung kann hier auch nicht dahin verstanden werden, dass er in freier Entscheidung seinen unmittelbar zuvor zum Ausdruck gebrachten Entschluss , sich nicht zur Sache einzulassen, revidiert hätte. Seine Angaben waren inhaltlich vom Tatvorwurf so weit entfernt, dass ihnen nicht die konkludente Erklärung entnommen werden konnte, er wolle entgegen seiner zuvor ausdrücklich geäußerten Absicht doch umfassend aussagen.
19
Jedenfalls hätte es der Ermittlungsrichterin in dieser Situation - wollte sie nicht den Eindruck erwecken, die Berufung des Angeklagten auf sein Schweigerecht zu übergehen - aufgrund ihrer verfahrensrechtlichen Fürsorgepflicht oblegen, durch ausdrückliche Befragung zu klären, ob der Angeklagte nunmehr gleichwohl bereit war, Angaben zur Sache zu machen, gegebenenfalls auch ohne vorherige Verteidigerkonsultation (Geppert, aaO, S. 922). Auch dies ist nicht geschehen.
20
2. Der aufgezeigte Verstoß bei der Vernehmung des Angeklagten führt zu einem Verwertungsverbot hinsichtlich seiner Angaben anlässlich der Haftbefehlsverkündung.
21
Zwar zieht nach ständiger Rechtsprechung nicht jedes Verbot, einen Beweis zu erheben, ohne Weiteres auch ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Vielmehr ist je nach den Umständen des Einzelfalles unter Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte und der widerstreitenden Interessen zu ent- scheiden. Bedeutsam sind dabei insbesondere die Art und der Schutzzweck des etwaigen Beweiserhebungsverbots sowie das Gewicht des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes, das seinerseits wesentlich von der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter bestimmt wird (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2012 - 3 StR 117/12, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen). Ein Verwertungsverbot liegt jedoch stets dann nahe, wenn die verletzte Verfahrensvorschrift dazu bestimmt ist, die Grundlagen der verfahrensrechtlichen Stellung des Beschuldigten im Strafverfahren zu sichern (BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992 - 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 219 ff.; Urteil vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372, 373 f.).
22
So verhält es sich hier. Die von § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO geschützten Beschuldigtenrechte gehören - wie dargelegt - zu den wichtigsten verfahrensrechtlichen Prinzipien. Durch sie wird sichergestellt, dass der Beschuldigte nicht nur Objekt des Strafverfahrens ist, sondern zur Wahrung seiner Rechte auf dessen Gang und Ergebnis Einfluss nehmen kann (BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372, 374). Der Beschuldigte ist bei seiner ersten Vernehmung in besonderem Maße der Gefahr ausgesetzt, sich unbedacht selbst zu belasten. In dieser Situation ist er oft unvorbereitet, ohne Ratgeber und auch sonst von der vertrauten Umgebung abgeschnitten. Nicht selten ist er durch die Ereignisse verwirrt und durch die ungewohnte Umgebung bedrückt oder verängstigt. Seine ersten Angaben entfalten zudem - wie nicht zuletzt der vorliegende Fall zeigt - selbst bei einer späteren Änderung des Aussageverhaltens eine faktische Wirkung, die für den weiteren Verlauf des Verfahrens von erheblicher Bedeutung ist (BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992 - 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 221 f.). Diese zum Schweigerecht des Beschuldigten entwickelten Grundsätze gelten für die Belehrung über das Vertei- digerkonsultationsrecht entsprechend (BGH, Urteil vom 22. November 2001 - 1 StR 220/01, BGHSt 47, 172, 174).
23
Der Annahme eines nach diesen Maßstäben gegebenen Beweisverwertungsverbotes steht nicht entgegen, dass der Angeklagte aufgrund der eingangs der Vernehmung ordnungsgemäß erteilten Belehrung zunächst Kenntnis sowohl von seinem Schweige- als auch von seinem Verteidigerkonsultationsrecht erlangt hatte (vgl. dazu BGH, aaO und BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2003 - 1 StR 380/03, NStZ 2004, 450, 451). Grundsätzlich mag der Beschuldigte , der in Kenntnis seiner Rechte gleichwohl Angaben zu Sache macht, weniger schutzbedürftig sein. Der aufgezeigte enge Zusammenhang zwischen dem Verteidigerkonsultations- und dem Schweigerecht erfordert hier jedoch die Annahme eines hohen Schutzniveaus: Der Angeklagte hatte mit seinem Wunsch nach Verteidigerkonsultation zum Ausdruck gebracht, dass er der Beratung bedurfte. Als diese nicht möglich war, verweigerte er Angaben zur Sache , was zum Abbruch der Vernehmung hätte führen müssen.
24
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen und dem Revisionsvorbringen zum Gang der Vernehmung ist zudem nicht ersichtlich, dass sich der Angeklagte im Zeitpunkt seiner ihn belastenden Einlassung dieser Belehrung noch bewusst war, etwa weil er differenziert damit umgegangen wäre. Vielmehr befand er sich im Unklaren darüber, ob und gegebenenfalls wann sein Verteidiger erreichbar sein würde, und konnte er die wiederholten Nachfragen der Ermittlungsrichterin dahingehend verstehen, dass seinem geäußerten Wunsch, sich jedenfalls nicht ohne vorherige Befragung seines Verteidigers zur Sache einzulassen, nicht entsprochen werden würde. Etwas anderes könnte allenfalls gelten, wenn der Angeklagte erneut über seine Rechte belehrt wor- den wäre (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 10. Januar 2013 - 1 StR 560/12, NStZ 2013, 299, 300). Das ist indes nicht geschehen.
25
Schließlich sprechen auch die Schwere des Tatvorwurfs und der Grundsatz , dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle bedeutsamen Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, nicht gegen die Annahme eines Beweisverwertungsverbots; insoweit ist in die Abwägung auch einzustellen, dass die Wahrheit nicht um jeden Preis erforscht werden muss (BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992 - 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 220 mwN).
26
3. Das Urteil beruht auf der Verwertung der Angaben des Angeklagten aus seiner Vernehmung anlässlich der Haftbefehlsverkündung. Ausweislich der Urteilsgründe hat keiner der Zeugen bekundet, dass der Angeklagte auf das Opfer eingetreten habe; die Strafkammer hat sich diese Überzeugung vielmehr aufgrund der Verwertung seiner Einlassung im Ermittlungsverfahren gebildet.
27
Der Verteidiger musste in der Hauptverhandlung nicht auch der Vernehmung des Protokollführers und der Verwertung von dessen Aussage widersprechen. Der erhobene Verwertungswiderspruch bezüglich der Aussage der Ermittlungsrichterin bezog sich nach seiner Begründung eindeutig auf das Beweisthema - Angaben des Angeklagten in seiner Beschuldigtenvernehmung -, so dass für die Verfahrensbeteiligten ungeachtet des protokolliertenWortlauts des Widerspruchs kein Zweifel bestehen konnte, dass auch der Verwertung etwaiger Angaben des später vernommenen Protokollführers zu diesem Beweisthema widersprochen werden sollte (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2003 - 5 StR 307/03, BGHR StPO § 136 Abs. 1 Verteidigerbefragung

7).


Tolksdorf Hubert Schäfer Gericke Spaniol

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Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Aug. 2016 - 4 StR 195/16

bei uns veröffentlicht am 09.08.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 195/16 vom 9. August 2016 in der Strafsache gegen wegen Verabredung zu einem schweren Raub oder einer schweren räuberischen Erpressung ECLI:DE:BGH:2016:090816B4STR195.16.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtsho

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(1) Bei Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen. Möchte der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger befragen, sind ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren. Auf bestehende anwaltliche Notdienste ist dabei hinzuweisen. Er ist ferner darüber zu belehren, daß er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen und unter den Voraussetzungen des § 140 die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Maßgabe des § 141 Absatz 1 und des § 142 Absatz 1 beantragen kann; zu Letzterem ist er dabei auf die Kostenfolge des § 465 hinzuweisen. In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf, dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.

(2) Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen.

(3) Bei der Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf die Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen.

(4) Die Vernehmung des Beschuldigten kann in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Sie ist aufzuzeichnen, wenn

1.
dem Verfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen oder
2.
die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können.
§ 58a Absatz 2 gilt entsprechend.

(5) § 58b gilt entsprechend.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
______________________
StPO § 136 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 163a Abs. 4, § 141 Abs. 3 Satz 2
Zur Belehrung über das Recht auf Verteidigerkonsultation und zur Notwendigkeit
einer Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren (Fortführung von BGHSt 38, 214
und von BGHSt 46, 93).
BGH, Urt. vom 22. November 2001 - 1 StR 220/01 - LG Konstanz

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 220/01
vom
22. November 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
20. November 2001 in der Sitzung am 22. November 2001, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Nack,
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Bundesanwalt in der Verhandlung vom 20. November 2001,
Staatsanwalt in der Sitzung am 22. November 2001
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung
vom 20. November 2001,
Rechtsanwältin in der Sitzung
am 22. November 2001
als Verteidiger,
Justizangestellte in der Verhandlung
vom 20. November 2001,
Justizangestellte in der Sitzung
am 22. November 2001
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten F. gegen das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 22. Dezember 2000 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes unter Einbeziehung anderweit verhängter Freiheitsstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel ist unbegründet. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen erschossen der Angeklagte und der Mitangeklagte L. im Juni 1993 den Pizzeriainhaber B. mit einem auf Geheiß des L. vom Angeklagten beschafften Revolver. Zu diesem Zwecke hatten sie B. unter einem Vorwand veranlaßt, mit ihnen eine Fahrt im Pkw anzutreten. Zur Tat kam es bei einem Halt am Rande einer durch ein Waldstück führenden Straße. Der erste, vom Angeklagten abgegebene Schuß traf das Opfer lediglich an der Hand. Daraufhin
nahm L. dem Angeklagten den Revolver aus der Hand und schoû B. aus kurzer Entfernung in den Rücken. Nachdem beide den Getroffenen in den Wald gezogen hatten, setzte L. die Waffe zwischen den Augen auf die Stirn des Opfers und gab einen weiteren, sofort tödlichen Schuû ab. L. wollte als Pächter von B. eine Pizzeria übernehmen und hatte sich diesem zur Zahlung einer Abstandssumme in Höhe von 97.000 DM verpflichtet, die er indessen nicht aufzubringen vermochte. Deshalb lag ihm daran, B. zu beseitigen und ein Papier aufzusetzen, aus dem sich ergeben sollte, daû er den Betrag bereits an B. gezahlt habe. Dem Angeklagten hatte er als Lohn für seine Mithilfe bei der Tat 20.000 DM sowie den Pkw BMW Cabriolet des B. versprochen. Das Landgericht hat L. und den Angeklagten des gemeinschaftlichen Mordes für überführt erachtet und die Mordmerkmale der Habgier und der Heimtücke angenommen. Es hat nicht auszuschlieûen vermocht, daû die Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt aufgrund einer “geltungssüchtigen Persönlichkeitsstörung” und “unterstützt” durch Drogenkonsum erheblich vermindert war. Bei seiner Beweisführung hat sich das Landgericht namentlich zur vorgefaûten Tötungsabsicht maûgeblich auf das Geständnis des Angeklagten im Ermittlungsverfahren gestützt.

I.

Die Revision erhebt zwei Verfahrensrügen. Zum einen beanstandet sie, der Angeklagte sei vor der Entgegennahme seines Geständnisses nicht auch über sein Recht zur vorherigen Zuziehung eines Verteidigers belehrt worden. Zum anderen meint sie, dem Angeklagten habe hier jedenfalls vor seiner Mit-
wirkung an einer Tatrekonstruktion ein Verteidiger beigeordnet werden müssen. Den Rügen liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Nachdem die Leiche des B. aufgefunden und im Januar 1994 identifiziert werden konnte, geriet auch der Angeklagte in Verdacht und wurde am 21. und 22. Februar 1994 nach korrekter Belehrung polizeilich als Beschuldigter vernommen. Das Ermittlungsverfahren gegen ihn wurde jedoch im November 1994 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, weil die Verdachtsgründe als nicht ausreichend erachtet wurden. Mehr als fünf Jahre später, im Herbst 1999, nahm der Angeklagte von sich aus Kontakt zur Polizei auf und legte schlieûlich ein Geständnis ab. Zuvor war der Angeklagte im Jahr 1995 wegen eines Straûenverkehrsdelikts verurteilt worden; im Jahr 1997 war gegen ihn wegen eines Betäubungsmitteldelikts ein Strafbefehl ergangen. Im Januar und März 1999 wurde er in zwei Ermittlungsverfahren polizeilich unter rechtsfehlerfreier Belehrung als Beschuldigter vernommen; zum einen wegen eines Verbrechens nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz, zum anderen wegen Raubes zum Nachteil seiner Freundin. Zu dem Geständnis kam es wie folgt: Anfang Oktober 1999 rief der Angeklagte die in der Sache ermittelnde Kriminalpolizeidienststelle aus Österreich an und teilte mit, er könne Angaben zu dem Mordfall B. machen; er sei unterwegs zu einer (gegen ihn stattfindenden) Hauptverhandlung in Deutschland. Am Tage der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten in der KWKGSache scheiterte ein vereinbarter Kontakt zwischen den in der Mordsache ermittelnden Polizeibeamten und dem Angeklagten allerdings, weil dieser zu spät erschien. In der dann doch durchgeführten Hauptverhandlung in jener Sache war der Angeklagte verteidigt. Am 27. Oktober 1999 wurde der Angeklagte
festgenommen, weil er in dem anderen, wegen Raubes gegen ihn geführten Strafverfahren nicht zur Hauptverhandlung erschienen und deshalb ein Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO gegen ihn ergangen war. Bei der Haftbefehlseröffnung war er im Beistand eines Verteidigers und wurde ausweislich des Vorführprotokolls vollständig als Beschuldigter belehrt. Vom 3. November bis 5. Dezember 1999 wurde der Angeklagte sodann in einem Haftkrankenhaus wegen manisch-psychotischer Symptome behandelt. Nach Besserung erfolgte seine Rückverlegung in die Justizvollzugsanstalt. Am 25. November 1999 lieû er durch einen Gefängnisseelsorger der Polizei erneut einen Gesprächswunsch betreffend den Mordfall B. übermitteln. Am Tage der Hauptverhandlung gegen ihn in der Raubsache, am 9. Dezember 1999, suchten Polizeibeamte ihn zuvor in der Vollzugsanstalt auf. Der Angeklagte machte jetzt Angaben zu dem Mord, die ihn selbst und L. belasteten. Er gab eine Tatschilderung, wollte aber kein förmliches Protokoll unterzeichnen. Die Polizeibeamten fertigten deshalb über den Inhalt der Angaben einen Vermerk. Die dem Angeklagten bei der Befragung erteilte Belehrung war nicht vollständig; sie enthielt keinen Hinweis auf das Recht zur vorherigen Verteidigerkonsultation. Nach der anschlieûenden Hauptverhandlung in der Raubsache , in der der Angeklagte wiederum verteidigt war, wurde er – wie von ihm erwartet - auf freien Fuû gesetzt. Der von dem Ergebnis der Vernehmung tags darauf, am 10. Dezember 1999 (Freitag), telefonisch unterrichtete Oberstaatsanwalt ordnete ausweislich eines von ihm niedergelegten Vermerks an, nach dem Mittäter L. zu fahnden und diesen festzunehmen; er werde ªsobald als möglichº Haftbefehl ªausstellen lassenº. Mit dem Angeklagten solle eine weitere Detailabklärung erfolgen. Am 12. Dezember 1999 (Sonntag) verfaûte der ermittelnde Kriminalbe-
amte einen Vermerk, in welchem er die ersten Angaben des Angeklagten bewertete und mit den weiteren Ermittlungsergebnissen abglich. Der Vermerk läût in seiner Formulierung eine gewisse Zurückhaltung und Vorsicht hinsichtlich des Wahrheitsgehaltes der Einlassung des Angeklagten erkennen. Der Beamte kam zu dem Ergebnis, die Angaben des Angeklagten erschienen "plausibel"; sie lieûen sich mit den vorliegenden anderweitigen Erkenntnissen und der von der Polizei favorisierten Tat- und Täterhypothese in Einklang bringen. Der Vermerk lag dem Oberstaatsanwalt am 13. Dezember 1999 (Montag) vor. Er verfügte in den Akten die Wiederaufnahme der Ermittlungen gegen L. und den Angeklagten. Am selben Tage, dem 13. Dezember 1999, kam es nach telefonischer Verabredung auch dazu, daû der nunmehr wieder in Freiheit befindliche Angeklagte sich zur Mitwirkung an einer Tatrekonstruktion am Tatort bereitfand. Einem gefertigten Vermerk zufolge wiesen die Polizeibeamten den Angeklagten auf der Fahrt zum Tatort darauf hin, daû er sich durch seine Angaben selbst schwerwiegend belasten und ªdie Aussagen verweigernº könne. Auûerdem "kenne er seine Rechte als Beschuldigter sicher, da er schon wiederholt vor Gericht gestanden habe". Der Angeklagte bejahte dies und "blieb aussagebereit". Am Tage nach der auch auf Video aufgezeichneten Tatrekonstruktion, also am 14. Dezember 1999, stellte die Staatsanwaltschaft Antrag auf Erlaû eines Haftbefehls gegen den Angeklagten und gegen L. . Einen weiteren Tag darauf unterschrieb der Angeklagte nun das förmliche Protokoll einer Beschuldigtenvernehmung , der eine vollständige und korrekte Belehrung vorangegangen war. Jetzt machte er indessen keine detaillierten Angaben mehr, sondern erklärte pauschal, seine bisherigen Einlassungen seien richtig. Er fand sich sodann bereit, L. eine sogenannte Hörfalle zu stellen. Zu diesem Zwecke kam er am 17. Dezember 1999 nochmals zur Polizei und führte von
dort aus drei Telefongespräche mit L. . Er wurde schlieûlich festgenommen und bat nun um Verständigung eines bestimmten Rechtsanwalts, der daraufhin erschien. Vor dem Haftrichter erklärte sein Verteidiger, der Angeklagte werde vor Gewährung von Akteneinsicht keine weiteren Angaben machen. In der Hauptverhandlung räumte der Angeklagte das äuûere Tatgeschehen ein, erklärte jetzt jedoch, zuvor nicht in den Tatplan L. s eingeweiht gewesen und selbst nicht in Tötungsabsicht auf B. geschossen, sondern absichtlich daneben gezielt zu haben. 1. Die Revision beanstandet im Ergebnis ohne Erfolg als Verletzung von § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO, der Angeklagte sei vor seiner geständigen Einlassung bei der Polizei und seiner Mitwirkung an einer Tatrekonstruktion nicht ordnungsgemäû belehrt worden; die erfolgten Belehrungen litten darunter, daû ihm das Recht zur vorherigen Konsultation eines Verteidigers nicht aktuell ins Bewuûtsein gerufen worden sei. Daraus folge ein Beweisverwertungsverbot. Mit Recht hebt die Revision hervor, daû die dem Angeklagten bei den polizeilichen Befragungen und der Tatrekonstruktion am 9. und 13. Dezember 1999 erteilten Belehrungen unvollständig und fehlerhaft waren. Das kann aber hier nicht zu einem Verwertungsverbot führen, weil der Angeklagte sein Recht auf Verteidigerkonsultation kannte.
a) Der Bundesgerichtshof hat bereits früher zum Schweigerecht hervorgehoben , daû der Polizeibeamte die Pflicht hat, einen Hinweis nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO zu geben, unabhängig davon, ob der Beschuldigte seine Rechte kennt oder nicht. Im Gesetz sind keine Ausnahmen von der Hinweispflicht vorgesehen. Das ist auch sinnvoll: Auch wer mit der Rechtslage
vertraut ist, bedarf unter Umständen wegen der besonderen Situation der Vernehmung im Ermittlungsverfahren des Hinweises nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO, um "klare Gedankenº fassen zu können. Wer bei Beginn der Vernehmung auch ohne Belehrung gewuût hat, daû er nicht auszusagen braucht, ist allerdings nicht im gleichen Maûe schutzbedürftig wie derjenige, der sein Schweigerecht nicht kannte. Er muû zwar nach § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO belehrt werden. Jedoch gilt hier das Verwertungsverbot ausnahmsweise nicht. Die wertende Abwägung ergibt, daû dem Interesse an der Aufklärung des Sachverhalts und der Durchführung des Verfahrens in einem solchen Fall Vorrang gegeben werden kann. Gelangt der Tatrichter, erforderlichenfalls im Wege des Freibeweises, zu der Auffassung, daû der Beschuldigte sein Recht zu schweigen bei Beginn der Vernehmung gekannt hat, dann darf er den Inhalt der Angaben, die der Beschuldigte ohne Belehrung vor der Polizei gemacht hat, bei der Urteilsfindung verwerten. Hat der Tatrichter hingegen aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte ernsthafte Zweifel daran, daû der Angeklagte bei seiner polizeilichen Vernehmung das Schweigerecht gekannt hat, und hat das Freibeweisverfahren diese Zweifel nicht beheben können , so ist entsprechend der vom Gesetzgeber mit der Einführung der Hinweispflicht getroffenen Grundentscheidung davon auszugehen, daû es dem Beschuldigten an dieser Kenntnis gefehlt hat. Dann besteht ein Beweisverwertungsverbot (so BGHSt 38, 214, 224/225). Diese Grundsätze gelten entsprechend auch für die Belehrung über das Recht auf Zuziehung eines Verteidigers. Der Senat ist der Auffassung, daû die Pflicht zur Belehrung über das Recht auf Verteidigerkonsultation gegenüber dem Hinweis auf das Schweigerecht des Beschuldigten kein geringeres Gewicht hat (offengelassen vom 2. Strafsenat in BGH NStZ 1997, 609); beide Rechte des Beschuldigten hängen eng zusammen und sichern im System der
Rechte zum Schutz des Beschuldigten seine verfahrensmäûige Stellung in ihren Grundlagen; sie verdeutlichen ihm als Hinweise seine prozessualen Möglichkeiten (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 StPO). Gerade die Verteidigerkonsultation dient dazu, den Beschuldigten zu beraten, ob er von seinem Schweigerecht Gebrauch macht oder nicht. Was für die Belehrung über das Schweigerecht gilt, ist deshalb auch für diejenige zur Verteidigerkonsultation erheblich.
b) Das Landgericht geht auf der Grundlage einer tragfähigen und überzeugenden Würdigung davon aus, daû dem Angeklagten das Recht zur Verteidigerkonsultation aus zeitnah voraufgegangenen anderweitigen Beschuldigtenbelehrungen aktuell bekannt war; es hatte hieran keinen Zweifel (UA S. 35/36). Der Senat sieht keinen Grund, diese Bewertung im Rahmen der auf die Verfahrensrüge hin veranlaûten Nachprüfung zu beanstanden. Er kommt zu keinem anderen Ergebnis. Der Angeklagte war vor seiner geständigen Einlassung mehrfach als Beschuldigter richtig belehrt worden: im gegenständlichen Verfahren bereits 1994; 1995 war er wegen eines Straûenverkehrsdelikts verurteilt worden; im ersten Quartal 1999 erfolgten in zwei verschiedenen - wegen Raubes sowie wegen Verbrechens nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz - gegen ihn geführten Verfahren Belehrungen. Nur kurze Zeit vor der ersten hier in Rede stehenden Befragung war er in einer Hauptverhandlung in anderer Sache und später auch beim Haftrichter vollständig belehrt worden und zudem verteidigt. Bei solchem Verlauf liegt auf der Hand, daû dem Angeklagten seine Rechte bei Ablegung seines Geständnisses am 9. und 13. Dezember 1999 aktuell bewuût waren. Das gilt zumal vor dem Hintergrund, daû er auch unmittelbar nach der ersten Befragung am 9. Dezember mit seinem Verteidiger an einer Hauptver-
handlung teilnahm, auf die der Angeklagte - jetzt vorübergehend in sogenannter Hauptverhandlungssicherungshaft (§ 230 Abs. 2 StPO) - gerade am selben Tage wartete. Im übrigen hatte er gleich, nachdem ihm schlieûlich am 17. Dezember 1999 die Festnahme erklärt worden war, um Verständigung eines bestimmten Verteidigers gebeten. Daû ihm angesichts all dieser Umstände nicht bewuût gewesen sein könnte, auch hinsichtlich seiner Geständniserwägungen zuvor den Rat eines Verteidigers einholen zu können, wenn ihm das erwünscht erschienen wäre, hält der Senat für ausgeschlossen. Hinzu kommt, daû sich der Angeklagte nicht in der für einen Beschuldigten sonst vielfach typischen Situation befand, in der dieser im Falle seiner Festnahme wegen der verfahrensgegenständlichen Tat durch die Ereignisse bedrückt und verängstigt sein kann und gerade deshalb der aktuellen Belehrung bedarf (vgl. BGHSt 38, 214, 222; siehe auch BGHSt 42, 15, 17 ff.). Im Gegenteil: Der Angeklagte hatte hier von sich aus, auf freiem Fuû befindlich, aus dem Ausland den Kontakt gezielt zu den im Verfahren ermittelnden Polizeibeamten gesucht und Sachangaben angeboten. Später hatte er seinen Gesprächswunsch über einen Gefängnisseelsorger wiederholt. Zur Tatortbegehung und der Tatrekonstruktion war er - von seinem Vater gefahren - aus freien Stücken erschienen. Im Zusammenhang mit der - nun nach vollständiger Beschuldigtenbelehrung - erfolgten Vernehmung am 15. Dezember 1999 hatte er erklärt, er wisse, in welcher prekären Lage er sich befinde, die ihn "die Freiheit kosten" werde. All das weist auf ein überlegtes Verhalten des Angeklagten hin, das unbeeinfluût von äuûerem, situationsbedingtem Druck war. Bei dieser Sachlage konnte das Landgericht davon ausgehen, der Angeklagte habe seine Beschuldigtenrechte vollumfänglich gekannt; ein Verwertungsverbot sei nicht gegeben. Auch der Senat sieht auf die Verfahrensrüge
hin keinen Anlaû, dem weitergehend als geschehen im Freibeweis nachzugehen.
c) Ein Verwertungsverbot ergibt sich im vorliegenden Falle auch nicht unter dem Gesichtspunkt, daû das Recht des Angeklagten auf Zugang zum Verteidiger vereitelt worden wäre (vgl. BGHSt 38, 372 ff.; 42, 15, 17 ff.). Die Ermittlungsbeamten haben dem Angeklagten die Kontaktaufnahme mit einem Verteidiger nicht verwehrt; sie haben auch nicht etwa einen entsprechenden Wunsch des Angeklagten unterlaufen; vielmehr hat dieser einen solchen nicht geäuûert. Die gegenteilige Behauptung des Angeklagten in der Hauptverhandlung hat das Landgericht auf der Grundlage tragfähiger Würdigung als widerlegt erachtet.
d) Nach allem kann der Senat offen lassen, ob ein Verwertungsverbot hier von vornherein schon deshalb nicht in Betracht kommt, weil der Angeklagte im Jahre 1994 in diesem Verfahren nach vollständiger Belehrung bereits als Beschuldigter vernommen worden war und der Wortlaut der Belehrungsbestimmungen eine Belehrung "bei Beginn der ersten Vernehmung" vorschreibt (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 StPO). Fürsorgliche Gründe und der Zweck der Belehrung, dem Beschuldigten seine Rechte aktuell ins Bewuûtsein zu rufen, sprechen hier wegen des zwischenzeitlich verstrichenen langen Zeitraums allerdings dagegen, die zurückliegende Beschuldigtenbelehrung genügen zu lassen. Auf sich beruhen kann überdies, ob die nach den ersten Befragungen und der Tatrekonstruktion (am 9. und 13. Dezember 1999) erfolgte vollständige Belehrung am 15. Dezember 1999 mit der pauschalen Bestätigung der bisherigen Angaben durch den Angeklagten die voraufgegangenen fehlerhaften Belehrungen zu heilen vermochte, obgleich sie keine sogenannte qualifizierte
Belehrung war, bei welcher der Angeklagte auf ein etwaiges Verbot der Verwertung früherer Angaben hinzuweisen gewesen wäre (vgl. Boujong in KK, 4. Aufl. § 136 Rdn. 29 m.w.Nachw.; zur Zeugenbelehrung auch: Senat, Beschl. vom 19. September 2000 - 1 StR 205/00 a.E.).
2. Die Revision macht weiter geltend, bei einer am Grundsatz des fairen Verfahrens (hier im Sinne der sog. Mindestgarantie des Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK - Beistand eines Verteidigers) ausgerichteten Interpretation des § 141 Abs. 3 StPO habe dem Angeklagten jedenfalls vor der Entgegennahme seiner weiteren geständigen Einlassung anläûlich seiner Mitwirkung an der Tatrekonstruktion ein Verteidiger bestellt werden müssen. Indem das Landgericht diese ohne den Beistand eines Verteidigers zustande gekommenen Angaben des Angeklagten bei seiner Beweisführung verwertet habe, setze sich dieser Rechtsfehler bis ins Urteil fort. Die Verfahrensrüge hat im Ergebnis keinen Erfolg. Selbst dann, wenn eine Pflicht zur vorherigen Herbeiführung einer Verteidigung bestanden hätte, gegen diese verstoûen worden und als Folge ein Verwertungsverbot in Betracht zu ziehen wäre, ergäbe die dann vorzunehmende Abwägung, daû das Gewicht des Schutzbedürfnisses des Angeklagten angesichts der gegebenen Begleitumstände nicht die Annahme eines Verwertungsverbots gebietet.
a) Die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, die Beiordnung eines Verteidigers zu beantragen, ergibt sich für Fälle der vorliegenden Art unmittelbar aus § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO. Sie ist jedenfalls zu demjenigen Zeitpunkt begründet , zu dem gegen einen Beschuldigten ein als dringend zu bewertender Tatverdacht eines Verbrechens (vgl. § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO) angenommen
wird und der Beschuldigte tatsächlich auch des Beistandes eines Verteidigers bedarf. aa) Nach § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO stellt die Staatsanwaltschaft den Antrag auf Beiordnung eines Verteidigers, wenn die Verteidigung im gerichtlichen Verfahren ªnach ihrer Auffassungº eine notwendige sein wird. Der Senat hat diese Vorschrift im Blick auf ihre jetzige Fassung und deren Entstehungsgeschichte dahin ausgelegt, daû die Staatsanwaltschaft die Pflicht zur Stellung des Beiordnungsantrages hat, wenn abzusehen ist, daû die Mitwirkung des Verteidigers notwendig werden wird (BGHSt 46, 93, 98). Bei der Bewertung im Einzelfall ist indessen zu bedenken, daû für die Prognose, ob im gerichtlichen Verfahren die Verteidigung notwendig sein wird, nach dem Wortlaut des Gesetzes die Auffassung der Staatsanwaltschaft maûgeblich ist; ihr kommt also die Einschätzung und ein Beurteilungsspielraum zu, der sich allerdings je nach Lage des Falles auf nur eine pflichtgemäûe Entschlieûung einengen kann. Die Regelung schlieût weiter ein, daû die Staatsanwaltschaft einen Anfangsverdacht zunächst so weit abklären darf, daû sie eine - dem Stande der Ermittlungen gemäûe - tragfähige Grundlage für ihre Einschätzung zur späteren Notwendigkeit einer Verteidigung gewinnt. Ihr Beurteilungsspielraum erstreckt sich auf die Bewertung der Verdachtslage sowohl in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht. Eine Pflicht zur Stellung eines Beiordnungsantrages besteht jedenfalls dann, wenn der Tatverdacht von der Staatsanwaltschaft als dringend erachtet wird und der Beschuldigte zugleich aufgrund der Lage des Verfahrens tatsächlich des Beistandes eines Verteidigers bedarf. Stellt die Staatsanwaltschaft also einen Antrag auf Erlaû eines Haftbefehls wegen eines Verbrechens, wird sie stets auch die Stellung des Beiordnungsantrages zu erwägen haben. Dieser
kann zurückgestellt werden, solange der Beschuldigte noch nicht festgenommen ist. Überdies wird der Staatsanwaltschaft zuzugestehen sein, daû sie auch dann, wenn sie die Prognose von der Notwendigkeit einer Verteidigung im Hauptverfahren gewinnt, zunächst klären darf, ob der Beschuldigte von sich aus von seinem Recht Gebrauch macht, in autonomer Entschlieûung einen Verteidiger zu wählen. bb) Im vorliegenden Fall bestand eine Pflicht der Staatsanwaltschaft zur Stellung des Beiordnungsantrages bei der Entgegennahme des ersten Geständnisses des Angeklagten am 9. Dezember 1999 noch nicht, auch wenn der Angeklagte nach ausdrücklicher Erklärung der vernehmenden Polizeibeamten bereits die Stellung eines Beschuldigten hatte. Diese ersten Angaben des Angeklagten waren für noch überprüfungsbedürftig gehalten worden. Das ergibt sich aus der Fassung des Auswertungsvermerks der Polizei vom 12. Dezember und aus dem Verlauf der Ermittlungen in dieser Phase. Zweifelsfrei begründet war die Antragspflicht am 14. Dezember 1999, als die Staatsanwaltschaft Haftbefehle gegen L. und den Angeklagten beantragte. Wie es sich für den Zeitpunkt vor Durchführung der Tatrekonstruktion am 13. Dezember 1999 verhält , läût der Senat offen. Für eine Antragspflicht könnte hier sprechen, daû der zuständige Oberstaatsanwalt bereits am 10. Dezember (freitags) nach telefonischer Unterrichtung die Fahndung nach L. und dessen Festnahme anordnete, die das Vorliegen der Haftbefehlsvoraussetzungen erfordert (§ 127 Abs. 2 StPO), die nach ihrem Vollzug und aktueller Bewertung der Verdachtslage im Weiteren die Vorführung beim Richter zur Folge hat, die aber auch dazu führen kann, daû der Beschuldigte wieder in Freiheit zu setzen ist (§ 128 Abs. 1 StPO). Andererseits hatte der Oberstaatsanwalt einem Vermerk vom 10. Dezember zufolge den Polizeibeamten die weitere Detailklärung mit dem Angeklagten aufgegeben und die Stellung des Haftbefehlsantrages "sobald als
möglich" angekündigt. Das deutet darauf hin, daû er zunächst das Ergebnis der Tatrekonstruktion und die sich darauf stützende weitere Überprüfung der geständigen Einlassung des Angeklagten vom 9. Dezember abwarten wollte. Dafür spricht weiter, daû er tatsächlich so verfahren ist, obgleich er an sich schon am Montag, dem 13. Dezember bei Verfügung der Wiederaufnahme der Ermittlungen einen Haftbefehlsantrag hätte absetzen können. Bei der nachträglichen Beurteilung solcher Vorgänge ist auch Bedacht darauf zu nehmen, daû die Fassung des § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO, in dem sie ausdrücklich auf die Auffassung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Notwendigkeit einer Verteidigung im Hauptverfahren abhebt, ersichtlich gerade den Zweck verfolgt, allzu differenzierte Abgrenzungen im Ermittlungsverfahren nicht zu verlangen und das Verfahren nicht mit unterschiedlichen Bewertungen insoweit zu belasten; das gilt zumal dann, wenn daran auch noch die Frage der Verwertbarkeit geknüpft wird. Bei der Überprüfung wird der Richter deshalb im Nachhinein nicht ohne weiteres seine – ohne zeitlichen Druck und unter Berücksichtigung der weiteren Entwicklung gewonnene – Einschätzung der Lage an die Stelle derjenigen der handelnden Ermittlungsbeamten setzen dürfen. Er muû, will er eine Pflicht zur Stellung eines Beiordnungsantrages für einen bestimmten Zeitpunkt als gegeben annehmen, auch die situationsbedingten Grenzen der Erkenntnis, deren mögliche Unvollständigkeit und ihre vorläufige Natur, in dem jeweiligen Stadium der Ermittlungen in Rechnung stellen (vgl. zu diesem Gesichtspunkt in anderem Zusammenhang: BVerfG NJW 2001, 1121). Auf all das kommt es für die abschlieûende Beurteilung der in Rede stehenden Verfahrensrüge indes nicht an.
b) Der Senat läût weiter dahinstehen, ob sich aus § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO für die Staatsanwaltschaft nicht nur die Pflicht zur Stellung des Antrages
auf Beiordnung ergibt, sondern aus dieser Bestimmung auch die Verpflichtung herzuleiten ist, mit Ermittlungen, welche die Mitwirkung des Beschuldigten erfordern innezuhalten, bis der Verteidiger tatsächlich gerichtlich bestellt ist und seine Tätigkeit aufgenommen hat. Dies würde allerdings bedeuten, daû in solcher Lage die weitere Entgegennahme des Geständnisses eines in Kenntnis seiner Rechte aussagebereiten Beschuldigten abzulehnen wäre. Maûgeblich muû dann indessen sein, wie sich der Beschuldigte verhält, nachdem er korrekt belehrt worden ist. Dem Senat erscheint vorstellbar, daû eine Vernehmung fortgesetzt werden darf, wenn der Beschuldigte zuvor ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, daû ihm nunmehr ein Verteidiger zu bestellen ist. Wenn er sodann in Kenntnis dieses Umstandes und seiner sonstigen Rechte weiter aussagebereit bleibt, obgleich er durch Berufung auf sein Schweigerecht ohne weiteres jede Fortführung einer Vernehmung unterbinden könnte, so spricht nichts dagegen, solche Angaben auch entgegennehmen und verwerten zu dürfen. Das gilt zumal dann, wenn die weitere Vernehmung ± etwa im Rahmen einer Tatrekonstruktion ± beim gegebenen Ermittlungsstand durchaus eilbedürftig und unaufschiebbar erscheint. Im Ergebnis kommt es aber auch darauf hier nicht an.
c) Selbst wenn unterstellt wird, die Staatsanwaltschaft hätte schon vor der Tatrekonstruktion am 13. Dezember 1999 den Antrag auf Beiordnung eines Verteidigers stellen müssen und mit der Tatrekonstruktion unter Mitwirkung des Angeklagten bis zur Aufnahme der Verteidigung durch einen bestellten Verteidiger zuwarten müssen, so ergäbe sich gleichwohl für die Angaben des noch unverteidigten Angeklagten bei dieser Tatrekonstruktion kein Beweisverwertungsverbot.
Ein ausdrückliches Verwertungsverbot für den Fall eines Verstoûes gegen § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO ist der Strafprozeûordnung nicht zu entnehmen (vgl. hingegen § 136a Abs. 3 StPO). Die Entscheidung für oder gegen ein solches Verbot ist deshalb aufgrund einer allgemeinen Abwägung der im Rechtsstaatsprinzip angelegten gegenläufigen Gebote und Ziele zu treffen (BGHSt 38, 214, 219 ff.; 42, 170, 174). Grundsätzlich ist dabei auch im Auge zu behalten , daû die gesetzgeberische Wertung in der Beweisverbotsvorschrift des § 136a Abs. 3 StPO gravierende Verfahrensverstöûe voraussetzt, um ein Verwertungsverbot auszulösen. Überdies hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung und Verbrechensbekämpfung hervorgehoben, das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren betont und die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten als einen wesentlichen Auftrag des rechtsstaatlichen Gemeinwesens bezeichnet (vgl. BVerfGE 77, 65, 76; 80, 367, 375 = NJW 1990, 563, 564; siehe auch BVerfG, Kammer, NStZ 1996, 45). Der Schutz des Gemeinwesens, der durch die Straftat Verletzten und möglicher künftiger Opfer, aber auch der generelle Anspruch des Täters auf ein richtiges und gerechtes Urteil setzen der Annahme von Beweisverboten Schranken. Bei der danach hier vorzunehmenden Abwägung ist mitentscheidend, ob ein schwerwiegender Rechtsverstoû vorliegt und der Beschuldigte in der gegebenen Situation im besonderen Maûe des Schutzes bedurfte (BGHSt 42, 170, 174). Das Gewicht einer unterstellten Verletzung des § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO ist angesichts der Kenntnis des Angeklagten von seinen Rechten zum Schweigen und auf Verteidigerkonsultation nicht als schwer zu werten. Dabei schlägt auch hier zu Buche, daû der Angeklagte aus freien Stücken an der Tatrekonstruktion mitwirkte und die Strafverfolgungsbehörden diese Rekonstruktion
beim gegebenen Verfahrensstand ersichtlich auch als unaufschiebbar und eilbedürftig einstufen durften. Im Lichte dessen erscheint das Schutzbedürfnis des Angeklagten unter den gegebenen Umständen nicht als in besonderem Maûe ausgeprägt. Er hatte Wochen zuvor in eigener Initiative und auf freiem Fuû aus dem Ausland den Kontakt gezielt zu den im Verfahren ermittelnden Polizeibeamten gesucht und Sachangaben angeboten, den Kontaktwunsch später durch einen Gefängnisseelsorger erneuert, war zur Tatrekonstruktion - wiederum in Freiheit - von seinem Vater gefahren erschienen und hatte daran aktiv mitgewirkt. Besondere Hervorhebung verdient auch in diesem Zusammenhang , daû er parallel zu seinen Geständniserwägungen verschiedentlich ohne weiteres die Gelegenheit zur Verteidigerkonsultation hatte, weil er in zwei anderen Strafverfahren verteidigt war und dabei auch persönlich unmittelbaren Kontakt zu seinen Verteidigern hatte. Wie sich aus dem Vermerk der Kriminalpolizei über die Umstände der später protokollierten Vernehmung vom 15. Dezember ergibt, war er sich seiner Situation im Grundsatz auch bewuût ("die ihn die Freiheit kosten werde"). Der gesamte Ablauf und das Verhalten des Angeklagten geben Grund zu der Annahme, daû er bis zu seiner Festnahme das Ablegen eines Geständnisses bewuût gleichsam allein hinter sich bringen wollte. Angesichts dieser Umstände vermag der unterstellte Verfahrensverstoû jedenfalls kein Verwertungsverbot auszulösen.

II.

Das angefochtene Urteil läût auch einen sachlich-rechtlichen Mangel zum Nachteil des Angeklagten nicht erkennen. Schäfer Nack Wahl Boetticher Schluckebier

(1) Bei Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen. Möchte der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger befragen, sind ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren. Auf bestehende anwaltliche Notdienste ist dabei hinzuweisen. Er ist ferner darüber zu belehren, daß er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen und unter den Voraussetzungen des § 140 die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Maßgabe des § 141 Absatz 1 und des § 142 Absatz 1 beantragen kann; zu Letzterem ist er dabei auf die Kostenfolge des § 465 hinzuweisen. In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf, dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.

(2) Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen.

(3) Bei der Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf die Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen.

(4) Die Vernehmung des Beschuldigten kann in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Sie ist aufzuzeichnen, wenn

1.
dem Verfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen oder
2.
die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können.
§ 58a Absatz 2 gilt entsprechend.

(5) § 58b gilt entsprechend.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 400/10
vom
31. März 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 31. März 2011 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 28. Juni 2010 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, ist unbegründet im Sinne des §349 Abs. 2 StPO. Das Urteil weist weder in verfahrensrechtlicher noch in sachlich-rechtlicher Hinsicht Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Ergänzender Erörterung bedürfen lediglich die erhobenen Verfahrensrügen:
2
1. Die Beanstandung, die auf der Grundlage einer richterlichen Anordnung nach § 100f StPO aufgezeichneten Angaben des Angeklagten gegenüber der Zeugin E. seien unter Verstoß gegen § 136, § 136a Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 StPO sowie unter Verletzung des Gebots des fairen Verfahrens gewonnen worden und hätten deshalb in dem Strafverfahren gegen den Ange- klagten nicht verwertet werden dürfen, ist unbegründet. Der Rüge liegt Folgendes zu Grunde:
3
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts kamen der Ehemann der Zeugin E. , der rechtskräftig wegen der verfahrensgegenständlichen Betäubungsmitteltat verurteilte H. , und der Angeklagte mit dem gesondert Verfolgten S. überein, diesem für unbekannte Hintermänner 2.500 kg Haschisch für 530 € pro Kilogramm zu liefern. Während H. die persönlichen und telefonischen Verhandlungen mit dem Abnehmer S. führte, hielt sich der Angeklagte, der sich gegenüber H. bereit erklärt hatte, die Betäubungsmittel über spanische Drogenkreise zu beschaffen, im Hintergrund. Zur Ausführung des Geschäfts kam es letztendlich nicht, weil S. die Kontakte zu seinen Hinterleuten verlor.
4
Im Februar/März 2009 belastete H. während der gegen ihn geführten Hauptverhandlung erstmals den Angeklagten, an dem Betäubungsmittelgeschäft beteiligt gewesen zu sein. Seine Ehefrau, die Zeugin E. , erklärte sich daraufhin - aus eigenem Antrieb - gegenüber der Polizei bereit, an der Überführung des ihr vom Sehen her bekannten Angeklagten mitzuwirken, diesen zur Rede zu stellen und das Gespräch heimlich aufzuzeichnen, um ihrem Ehemann die Vergünstigungen des § 31 BtMG zu sichern. Mit Beschluss vom 14. April 2009 ordnete das Amtsgericht Düsseldorf in dem gegen den Angeklagten eingeleiteten Ermittlungsverfahren gemäß § 100f StPO das Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes für zwischen dem Angeklagten und der Zeugin außerhalb von Wohnungen geführte Gespräche an. Noch am selben Tag suchte die Zeugin den nicht inhaftierten Angeklagten auf und befragte ihn u.a. zu der verfahrensgegenständlichen Betäubungsmitteltat. Im Verlauf des Gesprächs belastete sich der Angeklagte selbst im Sinne der vom Landgericht getroffenen Feststellungen. Die Zeugin, die dieses Gespräch mittels von der Polizei ausgehändigter technischer Geräte heimlich aufzeichnete , spiegelte dem Angeklagten wahrheitswidrig vor, ihr Ehemann habe ihr im Rahmen einer unbewachten Unterhaltung in der Justizvollzugsanstalt die Tat und die Tatbeteiligung des Angeklagten geschildert und sie wolle nun vom Angeklagten wissen, ob ihr Ehemann die Wahrheit gesagt oder sie wieder belogen habe. Zudem sicherte sie - ebenfalls wahrheitswidrig - dem Angeklagten zu, das Gespräch vertraulich zu behandeln.
5
Die Überzeugung von der Mittäterschaft des eine Tatbeteiligung bestreitenden Angeklagten hat das Landgericht neben den den Angeklagten belastenden Angaben des Zeugen H. , denen es keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen hat, maßgeblich auf die von der Zeugin gefertigte Gesprächsaufzeichnung gestützt. Der Verwertung dieser Aufzeichnung hat der Angeklagte in der Hauptverhandlung widersprochen.
6
b) Das Landgericht hat das gemäß § 100f StPO heimlich aufgezeichnete Gespräch zwischen der Zeugin und dem Angeklagten mit Recht seiner Überzeugungsbildung zu Grunde gelegt. Die Erkenntnisse aus dem Gespräch unterlagen keinem Verwertungsverbot. Die gegenteilige Auffassung des Beschwerdeführers , die auf der Annahme beruht, die Angaben des Angeklagten seien rechtswidrig erlangt worden, trifft nicht zu. Auf die Erwägungen des Generalbundesanwalts zu dem in der Hauptverhandlung gegen die Verwertung der Aufzeichnung erhobenen Widerspruch kommt es daher nicht an.
7
aa) Die Angaben des Angeklagten gegenüber der Zeugin E. sind nicht unter Verstoß gegen die Belehrungspflichten des § 163a Abs. 4, § 136 Abs. 1 StPO zu Stande gekommen.
8
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind diese Vorschriften auf Befragungen eines Beschuldigten durch Privatpersonen nicht anwendbar. Zum Begriff der Vernehmung im Sinne der StPO gehört vielmehr, dass der Vernehmende der Auskunftsperson in amtlicher Funktion gegenübertritt und in dieser Eigenschaft von ihr eine Auskunft verlangt. Da die Regelungen nach ihrem Sinn und Zweck den Beschuldigten vor der irrtümlichen Annahme einer Aussagepflicht im Rahmen einer Kraft staatlicher Autorität vorgenommenen Befragung bewahren sollen, sind sie auch dann nicht entsprechend anwendbar, wenn eine "vernehmungsähnliche" Situation durch eine Privatperson , die - wie hier - als Informantin der Polizei tätig wird, hergestellt wird. Aus den gleichen Gründen stellt sich das hier in Rede stehende Vorgehen auch nicht als unzulässige Umgehung des § 163a Abs. 4, § 136 Abs. 1 StPO dar (BGH, Beschluss vom 13. Mai 1996 - GSSt 1/96, BGHSt 42, 139, 145; BGH, Urteil vom 26. Juli 2007 - 3 StR 104/07, BGHSt 52, 11, 15 f.).
9
bb) Veranlasst eine Privatperson unter Verheimlichung ihres Ermittlungsinteresses einen Tatverdächtigen, mit ihr ein Gespräch über die Tat zu führen, so begründet dies entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers auch keinen Verstoß gegen die unmittelbar oder entsprechend heranzuziehende Regelung der § 163a Abs. 3, § 136a Abs. 1 StGB.
10
Das vorliegend allein in Betracht kommende Verbot der Täuschung ist bei systematischer Betrachtung der anderen in § 136a Abs. 1 StPO aufgeführten verbotenen Vernehmungsmethoden einschränkend auszulegen (BGH, Beschluss vom 13. Mai 1996 - GSSt 1/96 aaO). Mit der Beeinträchtigung der Willensentschließung durch Misshandlung, Ermüdung, körperlichen Eingriff, Verabreichung von Mitteln, Quälerei oder Hypnose lässt sich die unter wahr- heitswidriger Zusicherung der Vertraulichkeit vorgenommene verdeckte Befragung des Angeklagten durch die Zeugin jedoch nicht vergleichen.
11
cc) Schließlich verstößt nach dem Revisionsvorbringen das von den Ermittlungsbehörden gebilligte Vorgehen der Zeugin auch nicht gegen den Grundsatz, dass niemand gezwungen werden darf, sich selbst zu belasten ("nemo tenetur se ipsum accusare").
12
Die Selbstbelastungsfreiheit gehört zum Kernbereich des in Art. 6 Abs. 1 EMRK garantierten Rechts auf ein faires Strafverfahren (EGMR, Urteil vom 5. November 2002 - 48539/99 - Fall Allen v. Großbritannien, StV 2003, 257, 259). Zwar dient das Recht zu schweigen und der Schutz vor Selbstbelastung ohne Rücksicht auf die Art der Straftat (EGMR, Urteil vom 10. März 2009 - 4378/02 - Bykov v. Russland, NJW 2010, 2013) nach der Rechtsprechung des EGMR in erster Linie dazu, den Beschuldigten vor unzulässigem Zwang der Behörde und vor Erlangung von Beweisen durch Methoden des Drucks zu schützen. Der EGMR hat jedoch anerkannt, dass die Freiheit einer verdächtigen Person zu entscheiden, ob sie in Polizeibefragungen aussagen oder schweigen will, auch dann unterlaufen wird, wenn die Behörden in einem Fall, in dem der Beschuldigte, der sich für das Schweigen entschieden hat, eine Täuschung anwenden, um ihm belastende Äußerungen zu entlocken, die sie in der Vernehmung nicht erlangen konnten, damit diese sodann im Prozess als Beweis eingeführt werden können (EGMR, Urteil vom 5. November 2002 - 48539/99 aaO). Ob bei Anwendung einer Täuschung das Schweigerecht in einem solchen Maß beeinträchtigt wurde, dass eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK vorliegt, hängt indes von den Umständen des Einzelfalles ab (EGMR, Urteil vom 5. November 2002 - 48539/99 aaO).
13
So hat der EGMR die Verletzung des Rechts auf Selbstbelastungsfreiheit in einem Fall bejaht, in dem ein inhaftierter Beschuldigter, der sich durchgängig auf sein Schweigerecht berufen hatte, von einem in derselben Zelle einsitzenden , eigens von der Polizei instruierten und vorbereiteten Informanten unter Ausnutzung des entstandenen Vertrauensverhältnisses beharrlich zu dem ihm vorgeworfenen Tötungsdelikt befragt wurde und schließlich der vermeintlichen Vertrauensperson gegenüber selbstbelastende Angaben machte. Der EGMR hat unter diesen Umständen das Vorgehen der Polizei als funktionales Äquivalent einer Vernehmung angesehen, ohne dass die Sicherungen einer formalen Polizeibefragung, wie etwa die übliche Belehrung, gewährleistet waren (EGMR, Urteil vom 5. November 2002 - 48539/99 aaO, S. 260).
14
Bei einer ähnlichen Sachverhaltsgestaltung hat der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 26. Juli 2007 - 3 StR 104/07, BGHSt 52, 11) ein Verwertungsverbot hinsichtlich der Erkenntnisse eines Verdeckten Ermittlers wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit angenommen. Auch in diesem Fall wurde der Beschuldigte, obwohl er sich zuvor gegenüber den Ermittlungsbehörden auf sein Schweigerecht berufen hatte, von dem Verdeckten Ermittler unter Hinweis auf ein vorgetäuschtes Vertrauensverhältnis und unter Ausnutzung der den Beschuldigten belastenden Haft in einer vernehmungsähnlichen Situation intensiv zu selbstbelastenden Aussagen zu der ihm vorgeworfenen Tat gedrängt.
15
Demgegenüber hat der EGMR eine Verletzung des Rechts auf Selbstbelastungsfreiheit in einem Fall verneint, in welchem es dem Beschuldigten, der sich weder in Haft befand noch bis dahin polizeilich vernommen worden war, freistand, sich mit dem Informanten der Polizei, der das verdeckt geführte Ge- spräch heimlich aufzeichnete, zu unterhalten (EGMR, Urteil vom 10. März 2009 - 4378/02 - Bykov v. Russland, NJW 2010, 2013, 2015).
16
So liegt der Fall auch hier. Die von der Zeugin aufgezeichneten, den Angeklagten belastenden Angaben sind nach dem Revisionsvorbringen weder durch Zwang noch durch eine psychologischem Druck gleichkommende Täuschung , die eine Verletzung des Rechts des Angeklagten zu schweigen begründen könnte, zu Stande gekommen.
17
Die Revision behauptet schon nicht, dass der Angeklagte vor dem Gespräch mit der Zeugin gegenüber den Ermittlungsbehörden von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat. Anhaltspunkte dafür, dass das vom Angeklagten ausdrücklich ausgeübte Recht zu schweigen durch den Einsatz der Zeugin als Informantin der Polizei gezielt unterlaufen wurde, bestehen daher nicht. Hinzu kommt, dass sich der Angeklagte im Zeitpunkt des Gesprächs mit der Zeugin in Freiheit befand. Selbst unter Berücksichtigung ihrer wahrheitswidrigen Angaben ergibt das Revisionsvorbringen deshalb nicht, dass sich der Angeklagte den drängenden Fragen der Zeugin, mit der ihn keine engere Beziehung verband, nicht hätte entziehen können. Unter diesen Umständen liegt es fern, dass eine psychologischem Druck gleichkommende Situation den Angeklagten zu den sich selbst belastenden Angaben veranlasst hat.
18
Zudem wiegt das Vorgehen der Ermittlungsbehörden hier deshalb weniger schwer, weil sich die Zeugin von sich aus der Polizei als Informantin zur Verfügung gestellt hat, von dieser weder instruiert noch angeleitet, sondern nur mit technischen Mitteln zur Aufzeichnung des Gesprächs ausgestattet worden ist. Mit Blick auf die Anforderungen, die an ein faires Verfahren zu stellen sind, ist ferner zu berücksichtigen, dass die Gesprächsaufzeichnung zwar das maß- gebliche, aber nicht das einzige Beweismittel gewesen ist, auf das das Landgericht seine Überzeugung für die Mittäterschaft des Angeklagten gestützt hat. Schließlich hatte der Angeklagte in der Hauptverhandlung auch Gelegenheit, der Verwertung dieses Beweismittels zu widersprechen und nahm diese Möglichkeit auch in Anspruch.
19
2. Die Rüge, das Gericht habe seine örtliche Zuständigkeit zu Unrecht angenommen (§ 338 Nr. 4 i.V.m. §§ 7 ff. StPO), greift im Ergebnis ebenfalls nicht durch.
20
a) Allerdings geht die vom Landgericht in dem den Zuständigkeitseinwand zurückweisenden Beschluss geäußerte und vom Generalbundesanwalt geteilte Auffassung fehl, der Erfolg der tatbestandlichen Handlung des Zeugen H. sei in Düsseldorf eingetreten, weil sich der potentielle Abnehmer der Betäubungsmittel in Düsseldorf aufgehalten habe, als H. mit ihm telefonisch das Betäubungsmittelgeschäft verabredet habe.
21
Die örtliche Zuständigkeit des erkennenden Gerichts ergibt sich im vorliegenden Fall nicht aus § 7 Abs. 1 StPO, § 9 Abs. 1 3. Var. StGB, da in Düsseldorf kein zum Tatbestand des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG gehörender Erfolg eingetreten ist. Handeltreiben mit Betäubungsmitteln ist ein Tätigkeits- und kein Erfolgsdelikt. Für die Frage, ob der Gerichtsstand des Tatorts gemäß § 7 Abs. 1 StPO i.V.m. § 9 Abs. 1 StGB begründet ist, ist hier deshalb allein auf den Handlungsort abzustellen (BGH, Beschluss vom 17. Juli 2002 - 2 ARs 77/02, NJW 2002, 3486).
22
b) Zwar ist im Falle der Mittäterschaft die Tat an jedem Ort begangen, an dem auch einer der Mittäter gehandelt hat (BGH, Urteil vom 4. Dezember 1992 - 2 StR 442/92, BGHSt 39, 88). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stellt sich aber das Zusammenwirken von Veräußerer und Erwerber von Betäubungsmitteln nicht als Mittäterschaft, sondern jeweils als selbständige Täterschaft dar, weil sich beide als Geschäftspartner gegenüberstehen und gegensätzliche Interessen verfolgen, so dass ihr Zusammenwirken allein durch die Art der Deliktsverwirklichung vorgegeben ist (BGH, Urteil vom 30. September 2008 - 5 StR 215/08, NStZ 2009, 221). Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf kann deshalb für den gemeinschaftlich mit dem Zeugen H. auf Veräußererseite handelnden Angeklagten auch nicht daraus hergeleitet werden, dass der Erwerber der Betäubungsmittel in Düsseldorf eine auf die Verwirklichung der Tat gerichtete Handlung vorgenommen hat.
23
c) Das Landgericht Düsseldorf war aber gemäß § 7 Abs. 1 StPO, § 9 Abs. 1 1. Var. StGB örtlich zuständig, weil auch ein Handlungsort des Mittäters des Angeklagten im Bezirk des erkennenden Gerichts lag.
24
In dem für die Beurteilung der Zuständigkeitsbestimmung maßgeblichen Zeitpunkt der Eröffnung des Hauptverfahrens (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 338 Rn. 31) bestanden - worauf das Landgericht in zweiter Linie abgestellt hat - hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass sich der Zeuge H. mit dem potentiellen Abnehmer des Rauschgifts zumindest einmal in Düsseldorf getroffen und dort auch Gespräche über das Betäubungsmittelgeschäft geführt hatte (SA Bl. 146 ff. und Bl. 168 ff.). Damit lagen bei Eröffnung des Hauptverfahrens zumindest hinreichend sichere Tatsachen dafür vor, dass der Mittäter des Angeklagten jedenfalls im Versuchsstadium des Delikts - was für die Zuständigkeitsbegründung ausreichend ist (BGH, Urteil vom 4. Dezember 1992 - 2 StR 442/92, BGHSt 39, 88) - im Bezirk des erkennenden Gerichts eine auf die Tatbestandsverwirklichung gerichtete Tätigkeit entfaltet hat. Damit war auch für den Angeklagten die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf begründet.
25
3. Die Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 3 i.V.m. § 24 StPO ist unzulässig , weil die Revision den Inhalt der dienstlichen Stellungnahmen der abgelehnten Richter nicht mitteilt (Meyer-Goßner aaO, § 338 Rn. 29 mwN).
26
4. Der Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 1 StPO i.V.m. § 76 Abs. 2 GVG bleibt der Erfolg schon deshalb versagt, weil in der Hauptverhandlung ein auf die Verletzung des § 76 Abs. 2 GVG gestützter Besetzungseinwand nach § 222b StPO nicht erhoben worden ist (Meyer-Goßner aaO, § 222b Rn. 3a und

7).


Becker Sost-Scheible RiBGH Hubert befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Schäfer Mayer
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
______________________
StPO § 136 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 163a Abs. 4, § 141 Abs. 3 Satz 2
Zur Belehrung über das Recht auf Verteidigerkonsultation und zur Notwendigkeit
einer Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren (Fortführung von BGHSt 38, 214
und von BGHSt 46, 93).
BGH, Urt. vom 22. November 2001 - 1 StR 220/01 - LG Konstanz

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 220/01
vom
22. November 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
20. November 2001 in der Sitzung am 22. November 2001, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Nack,
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Bundesanwalt in der Verhandlung vom 20. November 2001,
Staatsanwalt in der Sitzung am 22. November 2001
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung
vom 20. November 2001,
Rechtsanwältin in der Sitzung
am 22. November 2001
als Verteidiger,
Justizangestellte in der Verhandlung
vom 20. November 2001,
Justizangestellte in der Sitzung
am 22. November 2001
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten F. gegen das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 22. Dezember 2000 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes unter Einbeziehung anderweit verhängter Freiheitsstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel ist unbegründet. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen erschossen der Angeklagte und der Mitangeklagte L. im Juni 1993 den Pizzeriainhaber B. mit einem auf Geheiß des L. vom Angeklagten beschafften Revolver. Zu diesem Zwecke hatten sie B. unter einem Vorwand veranlaßt, mit ihnen eine Fahrt im Pkw anzutreten. Zur Tat kam es bei einem Halt am Rande einer durch ein Waldstück führenden Straße. Der erste, vom Angeklagten abgegebene Schuß traf das Opfer lediglich an der Hand. Daraufhin
nahm L. dem Angeklagten den Revolver aus der Hand und schoû B. aus kurzer Entfernung in den Rücken. Nachdem beide den Getroffenen in den Wald gezogen hatten, setzte L. die Waffe zwischen den Augen auf die Stirn des Opfers und gab einen weiteren, sofort tödlichen Schuû ab. L. wollte als Pächter von B. eine Pizzeria übernehmen und hatte sich diesem zur Zahlung einer Abstandssumme in Höhe von 97.000 DM verpflichtet, die er indessen nicht aufzubringen vermochte. Deshalb lag ihm daran, B. zu beseitigen und ein Papier aufzusetzen, aus dem sich ergeben sollte, daû er den Betrag bereits an B. gezahlt habe. Dem Angeklagten hatte er als Lohn für seine Mithilfe bei der Tat 20.000 DM sowie den Pkw BMW Cabriolet des B. versprochen. Das Landgericht hat L. und den Angeklagten des gemeinschaftlichen Mordes für überführt erachtet und die Mordmerkmale der Habgier und der Heimtücke angenommen. Es hat nicht auszuschlieûen vermocht, daû die Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt aufgrund einer “geltungssüchtigen Persönlichkeitsstörung” und “unterstützt” durch Drogenkonsum erheblich vermindert war. Bei seiner Beweisführung hat sich das Landgericht namentlich zur vorgefaûten Tötungsabsicht maûgeblich auf das Geständnis des Angeklagten im Ermittlungsverfahren gestützt.

I.

Die Revision erhebt zwei Verfahrensrügen. Zum einen beanstandet sie, der Angeklagte sei vor der Entgegennahme seines Geständnisses nicht auch über sein Recht zur vorherigen Zuziehung eines Verteidigers belehrt worden. Zum anderen meint sie, dem Angeklagten habe hier jedenfalls vor seiner Mit-
wirkung an einer Tatrekonstruktion ein Verteidiger beigeordnet werden müssen. Den Rügen liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Nachdem die Leiche des B. aufgefunden und im Januar 1994 identifiziert werden konnte, geriet auch der Angeklagte in Verdacht und wurde am 21. und 22. Februar 1994 nach korrekter Belehrung polizeilich als Beschuldigter vernommen. Das Ermittlungsverfahren gegen ihn wurde jedoch im November 1994 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, weil die Verdachtsgründe als nicht ausreichend erachtet wurden. Mehr als fünf Jahre später, im Herbst 1999, nahm der Angeklagte von sich aus Kontakt zur Polizei auf und legte schlieûlich ein Geständnis ab. Zuvor war der Angeklagte im Jahr 1995 wegen eines Straûenverkehrsdelikts verurteilt worden; im Jahr 1997 war gegen ihn wegen eines Betäubungsmitteldelikts ein Strafbefehl ergangen. Im Januar und März 1999 wurde er in zwei Ermittlungsverfahren polizeilich unter rechtsfehlerfreier Belehrung als Beschuldigter vernommen; zum einen wegen eines Verbrechens nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz, zum anderen wegen Raubes zum Nachteil seiner Freundin. Zu dem Geständnis kam es wie folgt: Anfang Oktober 1999 rief der Angeklagte die in der Sache ermittelnde Kriminalpolizeidienststelle aus Österreich an und teilte mit, er könne Angaben zu dem Mordfall B. machen; er sei unterwegs zu einer (gegen ihn stattfindenden) Hauptverhandlung in Deutschland. Am Tage der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten in der KWKGSache scheiterte ein vereinbarter Kontakt zwischen den in der Mordsache ermittelnden Polizeibeamten und dem Angeklagten allerdings, weil dieser zu spät erschien. In der dann doch durchgeführten Hauptverhandlung in jener Sache war der Angeklagte verteidigt. Am 27. Oktober 1999 wurde der Angeklagte
festgenommen, weil er in dem anderen, wegen Raubes gegen ihn geführten Strafverfahren nicht zur Hauptverhandlung erschienen und deshalb ein Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO gegen ihn ergangen war. Bei der Haftbefehlseröffnung war er im Beistand eines Verteidigers und wurde ausweislich des Vorführprotokolls vollständig als Beschuldigter belehrt. Vom 3. November bis 5. Dezember 1999 wurde der Angeklagte sodann in einem Haftkrankenhaus wegen manisch-psychotischer Symptome behandelt. Nach Besserung erfolgte seine Rückverlegung in die Justizvollzugsanstalt. Am 25. November 1999 lieû er durch einen Gefängnisseelsorger der Polizei erneut einen Gesprächswunsch betreffend den Mordfall B. übermitteln. Am Tage der Hauptverhandlung gegen ihn in der Raubsache, am 9. Dezember 1999, suchten Polizeibeamte ihn zuvor in der Vollzugsanstalt auf. Der Angeklagte machte jetzt Angaben zu dem Mord, die ihn selbst und L. belasteten. Er gab eine Tatschilderung, wollte aber kein förmliches Protokoll unterzeichnen. Die Polizeibeamten fertigten deshalb über den Inhalt der Angaben einen Vermerk. Die dem Angeklagten bei der Befragung erteilte Belehrung war nicht vollständig; sie enthielt keinen Hinweis auf das Recht zur vorherigen Verteidigerkonsultation. Nach der anschlieûenden Hauptverhandlung in der Raubsache , in der der Angeklagte wiederum verteidigt war, wurde er – wie von ihm erwartet - auf freien Fuû gesetzt. Der von dem Ergebnis der Vernehmung tags darauf, am 10. Dezember 1999 (Freitag), telefonisch unterrichtete Oberstaatsanwalt ordnete ausweislich eines von ihm niedergelegten Vermerks an, nach dem Mittäter L. zu fahnden und diesen festzunehmen; er werde ªsobald als möglichº Haftbefehl ªausstellen lassenº. Mit dem Angeklagten solle eine weitere Detailabklärung erfolgen. Am 12. Dezember 1999 (Sonntag) verfaûte der ermittelnde Kriminalbe-
amte einen Vermerk, in welchem er die ersten Angaben des Angeklagten bewertete und mit den weiteren Ermittlungsergebnissen abglich. Der Vermerk läût in seiner Formulierung eine gewisse Zurückhaltung und Vorsicht hinsichtlich des Wahrheitsgehaltes der Einlassung des Angeklagten erkennen. Der Beamte kam zu dem Ergebnis, die Angaben des Angeklagten erschienen "plausibel"; sie lieûen sich mit den vorliegenden anderweitigen Erkenntnissen und der von der Polizei favorisierten Tat- und Täterhypothese in Einklang bringen. Der Vermerk lag dem Oberstaatsanwalt am 13. Dezember 1999 (Montag) vor. Er verfügte in den Akten die Wiederaufnahme der Ermittlungen gegen L. und den Angeklagten. Am selben Tage, dem 13. Dezember 1999, kam es nach telefonischer Verabredung auch dazu, daû der nunmehr wieder in Freiheit befindliche Angeklagte sich zur Mitwirkung an einer Tatrekonstruktion am Tatort bereitfand. Einem gefertigten Vermerk zufolge wiesen die Polizeibeamten den Angeklagten auf der Fahrt zum Tatort darauf hin, daû er sich durch seine Angaben selbst schwerwiegend belasten und ªdie Aussagen verweigernº könne. Auûerdem "kenne er seine Rechte als Beschuldigter sicher, da er schon wiederholt vor Gericht gestanden habe". Der Angeklagte bejahte dies und "blieb aussagebereit". Am Tage nach der auch auf Video aufgezeichneten Tatrekonstruktion, also am 14. Dezember 1999, stellte die Staatsanwaltschaft Antrag auf Erlaû eines Haftbefehls gegen den Angeklagten und gegen L. . Einen weiteren Tag darauf unterschrieb der Angeklagte nun das förmliche Protokoll einer Beschuldigtenvernehmung , der eine vollständige und korrekte Belehrung vorangegangen war. Jetzt machte er indessen keine detaillierten Angaben mehr, sondern erklärte pauschal, seine bisherigen Einlassungen seien richtig. Er fand sich sodann bereit, L. eine sogenannte Hörfalle zu stellen. Zu diesem Zwecke kam er am 17. Dezember 1999 nochmals zur Polizei und führte von
dort aus drei Telefongespräche mit L. . Er wurde schlieûlich festgenommen und bat nun um Verständigung eines bestimmten Rechtsanwalts, der daraufhin erschien. Vor dem Haftrichter erklärte sein Verteidiger, der Angeklagte werde vor Gewährung von Akteneinsicht keine weiteren Angaben machen. In der Hauptverhandlung räumte der Angeklagte das äuûere Tatgeschehen ein, erklärte jetzt jedoch, zuvor nicht in den Tatplan L. s eingeweiht gewesen und selbst nicht in Tötungsabsicht auf B. geschossen, sondern absichtlich daneben gezielt zu haben. 1. Die Revision beanstandet im Ergebnis ohne Erfolg als Verletzung von § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO, der Angeklagte sei vor seiner geständigen Einlassung bei der Polizei und seiner Mitwirkung an einer Tatrekonstruktion nicht ordnungsgemäû belehrt worden; die erfolgten Belehrungen litten darunter, daû ihm das Recht zur vorherigen Konsultation eines Verteidigers nicht aktuell ins Bewuûtsein gerufen worden sei. Daraus folge ein Beweisverwertungsverbot. Mit Recht hebt die Revision hervor, daû die dem Angeklagten bei den polizeilichen Befragungen und der Tatrekonstruktion am 9. und 13. Dezember 1999 erteilten Belehrungen unvollständig und fehlerhaft waren. Das kann aber hier nicht zu einem Verwertungsverbot führen, weil der Angeklagte sein Recht auf Verteidigerkonsultation kannte.
a) Der Bundesgerichtshof hat bereits früher zum Schweigerecht hervorgehoben , daû der Polizeibeamte die Pflicht hat, einen Hinweis nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO zu geben, unabhängig davon, ob der Beschuldigte seine Rechte kennt oder nicht. Im Gesetz sind keine Ausnahmen von der Hinweispflicht vorgesehen. Das ist auch sinnvoll: Auch wer mit der Rechtslage
vertraut ist, bedarf unter Umständen wegen der besonderen Situation der Vernehmung im Ermittlungsverfahren des Hinweises nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO, um "klare Gedankenº fassen zu können. Wer bei Beginn der Vernehmung auch ohne Belehrung gewuût hat, daû er nicht auszusagen braucht, ist allerdings nicht im gleichen Maûe schutzbedürftig wie derjenige, der sein Schweigerecht nicht kannte. Er muû zwar nach § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO belehrt werden. Jedoch gilt hier das Verwertungsverbot ausnahmsweise nicht. Die wertende Abwägung ergibt, daû dem Interesse an der Aufklärung des Sachverhalts und der Durchführung des Verfahrens in einem solchen Fall Vorrang gegeben werden kann. Gelangt der Tatrichter, erforderlichenfalls im Wege des Freibeweises, zu der Auffassung, daû der Beschuldigte sein Recht zu schweigen bei Beginn der Vernehmung gekannt hat, dann darf er den Inhalt der Angaben, die der Beschuldigte ohne Belehrung vor der Polizei gemacht hat, bei der Urteilsfindung verwerten. Hat der Tatrichter hingegen aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte ernsthafte Zweifel daran, daû der Angeklagte bei seiner polizeilichen Vernehmung das Schweigerecht gekannt hat, und hat das Freibeweisverfahren diese Zweifel nicht beheben können , so ist entsprechend der vom Gesetzgeber mit der Einführung der Hinweispflicht getroffenen Grundentscheidung davon auszugehen, daû es dem Beschuldigten an dieser Kenntnis gefehlt hat. Dann besteht ein Beweisverwertungsverbot (so BGHSt 38, 214, 224/225). Diese Grundsätze gelten entsprechend auch für die Belehrung über das Recht auf Zuziehung eines Verteidigers. Der Senat ist der Auffassung, daû die Pflicht zur Belehrung über das Recht auf Verteidigerkonsultation gegenüber dem Hinweis auf das Schweigerecht des Beschuldigten kein geringeres Gewicht hat (offengelassen vom 2. Strafsenat in BGH NStZ 1997, 609); beide Rechte des Beschuldigten hängen eng zusammen und sichern im System der
Rechte zum Schutz des Beschuldigten seine verfahrensmäûige Stellung in ihren Grundlagen; sie verdeutlichen ihm als Hinweise seine prozessualen Möglichkeiten (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 StPO). Gerade die Verteidigerkonsultation dient dazu, den Beschuldigten zu beraten, ob er von seinem Schweigerecht Gebrauch macht oder nicht. Was für die Belehrung über das Schweigerecht gilt, ist deshalb auch für diejenige zur Verteidigerkonsultation erheblich.
b) Das Landgericht geht auf der Grundlage einer tragfähigen und überzeugenden Würdigung davon aus, daû dem Angeklagten das Recht zur Verteidigerkonsultation aus zeitnah voraufgegangenen anderweitigen Beschuldigtenbelehrungen aktuell bekannt war; es hatte hieran keinen Zweifel (UA S. 35/36). Der Senat sieht keinen Grund, diese Bewertung im Rahmen der auf die Verfahrensrüge hin veranlaûten Nachprüfung zu beanstanden. Er kommt zu keinem anderen Ergebnis. Der Angeklagte war vor seiner geständigen Einlassung mehrfach als Beschuldigter richtig belehrt worden: im gegenständlichen Verfahren bereits 1994; 1995 war er wegen eines Straûenverkehrsdelikts verurteilt worden; im ersten Quartal 1999 erfolgten in zwei verschiedenen - wegen Raubes sowie wegen Verbrechens nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz - gegen ihn geführten Verfahren Belehrungen. Nur kurze Zeit vor der ersten hier in Rede stehenden Befragung war er in einer Hauptverhandlung in anderer Sache und später auch beim Haftrichter vollständig belehrt worden und zudem verteidigt. Bei solchem Verlauf liegt auf der Hand, daû dem Angeklagten seine Rechte bei Ablegung seines Geständnisses am 9. und 13. Dezember 1999 aktuell bewuût waren. Das gilt zumal vor dem Hintergrund, daû er auch unmittelbar nach der ersten Befragung am 9. Dezember mit seinem Verteidiger an einer Hauptver-
handlung teilnahm, auf die der Angeklagte - jetzt vorübergehend in sogenannter Hauptverhandlungssicherungshaft (§ 230 Abs. 2 StPO) - gerade am selben Tage wartete. Im übrigen hatte er gleich, nachdem ihm schlieûlich am 17. Dezember 1999 die Festnahme erklärt worden war, um Verständigung eines bestimmten Verteidigers gebeten. Daû ihm angesichts all dieser Umstände nicht bewuût gewesen sein könnte, auch hinsichtlich seiner Geständniserwägungen zuvor den Rat eines Verteidigers einholen zu können, wenn ihm das erwünscht erschienen wäre, hält der Senat für ausgeschlossen. Hinzu kommt, daû sich der Angeklagte nicht in der für einen Beschuldigten sonst vielfach typischen Situation befand, in der dieser im Falle seiner Festnahme wegen der verfahrensgegenständlichen Tat durch die Ereignisse bedrückt und verängstigt sein kann und gerade deshalb der aktuellen Belehrung bedarf (vgl. BGHSt 38, 214, 222; siehe auch BGHSt 42, 15, 17 ff.). Im Gegenteil: Der Angeklagte hatte hier von sich aus, auf freiem Fuû befindlich, aus dem Ausland den Kontakt gezielt zu den im Verfahren ermittelnden Polizeibeamten gesucht und Sachangaben angeboten. Später hatte er seinen Gesprächswunsch über einen Gefängnisseelsorger wiederholt. Zur Tatortbegehung und der Tatrekonstruktion war er - von seinem Vater gefahren - aus freien Stücken erschienen. Im Zusammenhang mit der - nun nach vollständiger Beschuldigtenbelehrung - erfolgten Vernehmung am 15. Dezember 1999 hatte er erklärt, er wisse, in welcher prekären Lage er sich befinde, die ihn "die Freiheit kosten" werde. All das weist auf ein überlegtes Verhalten des Angeklagten hin, das unbeeinfluût von äuûerem, situationsbedingtem Druck war. Bei dieser Sachlage konnte das Landgericht davon ausgehen, der Angeklagte habe seine Beschuldigtenrechte vollumfänglich gekannt; ein Verwertungsverbot sei nicht gegeben. Auch der Senat sieht auf die Verfahrensrüge
hin keinen Anlaû, dem weitergehend als geschehen im Freibeweis nachzugehen.
c) Ein Verwertungsverbot ergibt sich im vorliegenden Falle auch nicht unter dem Gesichtspunkt, daû das Recht des Angeklagten auf Zugang zum Verteidiger vereitelt worden wäre (vgl. BGHSt 38, 372 ff.; 42, 15, 17 ff.). Die Ermittlungsbeamten haben dem Angeklagten die Kontaktaufnahme mit einem Verteidiger nicht verwehrt; sie haben auch nicht etwa einen entsprechenden Wunsch des Angeklagten unterlaufen; vielmehr hat dieser einen solchen nicht geäuûert. Die gegenteilige Behauptung des Angeklagten in der Hauptverhandlung hat das Landgericht auf der Grundlage tragfähiger Würdigung als widerlegt erachtet.
d) Nach allem kann der Senat offen lassen, ob ein Verwertungsverbot hier von vornherein schon deshalb nicht in Betracht kommt, weil der Angeklagte im Jahre 1994 in diesem Verfahren nach vollständiger Belehrung bereits als Beschuldigter vernommen worden war und der Wortlaut der Belehrungsbestimmungen eine Belehrung "bei Beginn der ersten Vernehmung" vorschreibt (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 StPO). Fürsorgliche Gründe und der Zweck der Belehrung, dem Beschuldigten seine Rechte aktuell ins Bewuûtsein zu rufen, sprechen hier wegen des zwischenzeitlich verstrichenen langen Zeitraums allerdings dagegen, die zurückliegende Beschuldigtenbelehrung genügen zu lassen. Auf sich beruhen kann überdies, ob die nach den ersten Befragungen und der Tatrekonstruktion (am 9. und 13. Dezember 1999) erfolgte vollständige Belehrung am 15. Dezember 1999 mit der pauschalen Bestätigung der bisherigen Angaben durch den Angeklagten die voraufgegangenen fehlerhaften Belehrungen zu heilen vermochte, obgleich sie keine sogenannte qualifizierte
Belehrung war, bei welcher der Angeklagte auf ein etwaiges Verbot der Verwertung früherer Angaben hinzuweisen gewesen wäre (vgl. Boujong in KK, 4. Aufl. § 136 Rdn. 29 m.w.Nachw.; zur Zeugenbelehrung auch: Senat, Beschl. vom 19. September 2000 - 1 StR 205/00 a.E.).
2. Die Revision macht weiter geltend, bei einer am Grundsatz des fairen Verfahrens (hier im Sinne der sog. Mindestgarantie des Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK - Beistand eines Verteidigers) ausgerichteten Interpretation des § 141 Abs. 3 StPO habe dem Angeklagten jedenfalls vor der Entgegennahme seiner weiteren geständigen Einlassung anläûlich seiner Mitwirkung an der Tatrekonstruktion ein Verteidiger bestellt werden müssen. Indem das Landgericht diese ohne den Beistand eines Verteidigers zustande gekommenen Angaben des Angeklagten bei seiner Beweisführung verwertet habe, setze sich dieser Rechtsfehler bis ins Urteil fort. Die Verfahrensrüge hat im Ergebnis keinen Erfolg. Selbst dann, wenn eine Pflicht zur vorherigen Herbeiführung einer Verteidigung bestanden hätte, gegen diese verstoûen worden und als Folge ein Verwertungsverbot in Betracht zu ziehen wäre, ergäbe die dann vorzunehmende Abwägung, daû das Gewicht des Schutzbedürfnisses des Angeklagten angesichts der gegebenen Begleitumstände nicht die Annahme eines Verwertungsverbots gebietet.
a) Die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, die Beiordnung eines Verteidigers zu beantragen, ergibt sich für Fälle der vorliegenden Art unmittelbar aus § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO. Sie ist jedenfalls zu demjenigen Zeitpunkt begründet , zu dem gegen einen Beschuldigten ein als dringend zu bewertender Tatverdacht eines Verbrechens (vgl. § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO) angenommen
wird und der Beschuldigte tatsächlich auch des Beistandes eines Verteidigers bedarf. aa) Nach § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO stellt die Staatsanwaltschaft den Antrag auf Beiordnung eines Verteidigers, wenn die Verteidigung im gerichtlichen Verfahren ªnach ihrer Auffassungº eine notwendige sein wird. Der Senat hat diese Vorschrift im Blick auf ihre jetzige Fassung und deren Entstehungsgeschichte dahin ausgelegt, daû die Staatsanwaltschaft die Pflicht zur Stellung des Beiordnungsantrages hat, wenn abzusehen ist, daû die Mitwirkung des Verteidigers notwendig werden wird (BGHSt 46, 93, 98). Bei der Bewertung im Einzelfall ist indessen zu bedenken, daû für die Prognose, ob im gerichtlichen Verfahren die Verteidigung notwendig sein wird, nach dem Wortlaut des Gesetzes die Auffassung der Staatsanwaltschaft maûgeblich ist; ihr kommt also die Einschätzung und ein Beurteilungsspielraum zu, der sich allerdings je nach Lage des Falles auf nur eine pflichtgemäûe Entschlieûung einengen kann. Die Regelung schlieût weiter ein, daû die Staatsanwaltschaft einen Anfangsverdacht zunächst so weit abklären darf, daû sie eine - dem Stande der Ermittlungen gemäûe - tragfähige Grundlage für ihre Einschätzung zur späteren Notwendigkeit einer Verteidigung gewinnt. Ihr Beurteilungsspielraum erstreckt sich auf die Bewertung der Verdachtslage sowohl in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht. Eine Pflicht zur Stellung eines Beiordnungsantrages besteht jedenfalls dann, wenn der Tatverdacht von der Staatsanwaltschaft als dringend erachtet wird und der Beschuldigte zugleich aufgrund der Lage des Verfahrens tatsächlich des Beistandes eines Verteidigers bedarf. Stellt die Staatsanwaltschaft also einen Antrag auf Erlaû eines Haftbefehls wegen eines Verbrechens, wird sie stets auch die Stellung des Beiordnungsantrages zu erwägen haben. Dieser
kann zurückgestellt werden, solange der Beschuldigte noch nicht festgenommen ist. Überdies wird der Staatsanwaltschaft zuzugestehen sein, daû sie auch dann, wenn sie die Prognose von der Notwendigkeit einer Verteidigung im Hauptverfahren gewinnt, zunächst klären darf, ob der Beschuldigte von sich aus von seinem Recht Gebrauch macht, in autonomer Entschlieûung einen Verteidiger zu wählen. bb) Im vorliegenden Fall bestand eine Pflicht der Staatsanwaltschaft zur Stellung des Beiordnungsantrages bei der Entgegennahme des ersten Geständnisses des Angeklagten am 9. Dezember 1999 noch nicht, auch wenn der Angeklagte nach ausdrücklicher Erklärung der vernehmenden Polizeibeamten bereits die Stellung eines Beschuldigten hatte. Diese ersten Angaben des Angeklagten waren für noch überprüfungsbedürftig gehalten worden. Das ergibt sich aus der Fassung des Auswertungsvermerks der Polizei vom 12. Dezember und aus dem Verlauf der Ermittlungen in dieser Phase. Zweifelsfrei begründet war die Antragspflicht am 14. Dezember 1999, als die Staatsanwaltschaft Haftbefehle gegen L. und den Angeklagten beantragte. Wie es sich für den Zeitpunkt vor Durchführung der Tatrekonstruktion am 13. Dezember 1999 verhält , läût der Senat offen. Für eine Antragspflicht könnte hier sprechen, daû der zuständige Oberstaatsanwalt bereits am 10. Dezember (freitags) nach telefonischer Unterrichtung die Fahndung nach L. und dessen Festnahme anordnete, die das Vorliegen der Haftbefehlsvoraussetzungen erfordert (§ 127 Abs. 2 StPO), die nach ihrem Vollzug und aktueller Bewertung der Verdachtslage im Weiteren die Vorführung beim Richter zur Folge hat, die aber auch dazu führen kann, daû der Beschuldigte wieder in Freiheit zu setzen ist (§ 128 Abs. 1 StPO). Andererseits hatte der Oberstaatsanwalt einem Vermerk vom 10. Dezember zufolge den Polizeibeamten die weitere Detailklärung mit dem Angeklagten aufgegeben und die Stellung des Haftbefehlsantrages "sobald als
möglich" angekündigt. Das deutet darauf hin, daû er zunächst das Ergebnis der Tatrekonstruktion und die sich darauf stützende weitere Überprüfung der geständigen Einlassung des Angeklagten vom 9. Dezember abwarten wollte. Dafür spricht weiter, daû er tatsächlich so verfahren ist, obgleich er an sich schon am Montag, dem 13. Dezember bei Verfügung der Wiederaufnahme der Ermittlungen einen Haftbefehlsantrag hätte absetzen können. Bei der nachträglichen Beurteilung solcher Vorgänge ist auch Bedacht darauf zu nehmen, daû die Fassung des § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO, in dem sie ausdrücklich auf die Auffassung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Notwendigkeit einer Verteidigung im Hauptverfahren abhebt, ersichtlich gerade den Zweck verfolgt, allzu differenzierte Abgrenzungen im Ermittlungsverfahren nicht zu verlangen und das Verfahren nicht mit unterschiedlichen Bewertungen insoweit zu belasten; das gilt zumal dann, wenn daran auch noch die Frage der Verwertbarkeit geknüpft wird. Bei der Überprüfung wird der Richter deshalb im Nachhinein nicht ohne weiteres seine – ohne zeitlichen Druck und unter Berücksichtigung der weiteren Entwicklung gewonnene – Einschätzung der Lage an die Stelle derjenigen der handelnden Ermittlungsbeamten setzen dürfen. Er muû, will er eine Pflicht zur Stellung eines Beiordnungsantrages für einen bestimmten Zeitpunkt als gegeben annehmen, auch die situationsbedingten Grenzen der Erkenntnis, deren mögliche Unvollständigkeit und ihre vorläufige Natur, in dem jeweiligen Stadium der Ermittlungen in Rechnung stellen (vgl. zu diesem Gesichtspunkt in anderem Zusammenhang: BVerfG NJW 2001, 1121). Auf all das kommt es für die abschlieûende Beurteilung der in Rede stehenden Verfahrensrüge indes nicht an.
b) Der Senat läût weiter dahinstehen, ob sich aus § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO für die Staatsanwaltschaft nicht nur die Pflicht zur Stellung des Antrages
auf Beiordnung ergibt, sondern aus dieser Bestimmung auch die Verpflichtung herzuleiten ist, mit Ermittlungen, welche die Mitwirkung des Beschuldigten erfordern innezuhalten, bis der Verteidiger tatsächlich gerichtlich bestellt ist und seine Tätigkeit aufgenommen hat. Dies würde allerdings bedeuten, daû in solcher Lage die weitere Entgegennahme des Geständnisses eines in Kenntnis seiner Rechte aussagebereiten Beschuldigten abzulehnen wäre. Maûgeblich muû dann indessen sein, wie sich der Beschuldigte verhält, nachdem er korrekt belehrt worden ist. Dem Senat erscheint vorstellbar, daû eine Vernehmung fortgesetzt werden darf, wenn der Beschuldigte zuvor ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, daû ihm nunmehr ein Verteidiger zu bestellen ist. Wenn er sodann in Kenntnis dieses Umstandes und seiner sonstigen Rechte weiter aussagebereit bleibt, obgleich er durch Berufung auf sein Schweigerecht ohne weiteres jede Fortführung einer Vernehmung unterbinden könnte, so spricht nichts dagegen, solche Angaben auch entgegennehmen und verwerten zu dürfen. Das gilt zumal dann, wenn die weitere Vernehmung ± etwa im Rahmen einer Tatrekonstruktion ± beim gegebenen Ermittlungsstand durchaus eilbedürftig und unaufschiebbar erscheint. Im Ergebnis kommt es aber auch darauf hier nicht an.
c) Selbst wenn unterstellt wird, die Staatsanwaltschaft hätte schon vor der Tatrekonstruktion am 13. Dezember 1999 den Antrag auf Beiordnung eines Verteidigers stellen müssen und mit der Tatrekonstruktion unter Mitwirkung des Angeklagten bis zur Aufnahme der Verteidigung durch einen bestellten Verteidiger zuwarten müssen, so ergäbe sich gleichwohl für die Angaben des noch unverteidigten Angeklagten bei dieser Tatrekonstruktion kein Beweisverwertungsverbot.
Ein ausdrückliches Verwertungsverbot für den Fall eines Verstoûes gegen § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO ist der Strafprozeûordnung nicht zu entnehmen (vgl. hingegen § 136a Abs. 3 StPO). Die Entscheidung für oder gegen ein solches Verbot ist deshalb aufgrund einer allgemeinen Abwägung der im Rechtsstaatsprinzip angelegten gegenläufigen Gebote und Ziele zu treffen (BGHSt 38, 214, 219 ff.; 42, 170, 174). Grundsätzlich ist dabei auch im Auge zu behalten , daû die gesetzgeberische Wertung in der Beweisverbotsvorschrift des § 136a Abs. 3 StPO gravierende Verfahrensverstöûe voraussetzt, um ein Verwertungsverbot auszulösen. Überdies hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung und Verbrechensbekämpfung hervorgehoben, das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren betont und die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten als einen wesentlichen Auftrag des rechtsstaatlichen Gemeinwesens bezeichnet (vgl. BVerfGE 77, 65, 76; 80, 367, 375 = NJW 1990, 563, 564; siehe auch BVerfG, Kammer, NStZ 1996, 45). Der Schutz des Gemeinwesens, der durch die Straftat Verletzten und möglicher künftiger Opfer, aber auch der generelle Anspruch des Täters auf ein richtiges und gerechtes Urteil setzen der Annahme von Beweisverboten Schranken. Bei der danach hier vorzunehmenden Abwägung ist mitentscheidend, ob ein schwerwiegender Rechtsverstoû vorliegt und der Beschuldigte in der gegebenen Situation im besonderen Maûe des Schutzes bedurfte (BGHSt 42, 170, 174). Das Gewicht einer unterstellten Verletzung des § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO ist angesichts der Kenntnis des Angeklagten von seinen Rechten zum Schweigen und auf Verteidigerkonsultation nicht als schwer zu werten. Dabei schlägt auch hier zu Buche, daû der Angeklagte aus freien Stücken an der Tatrekonstruktion mitwirkte und die Strafverfolgungsbehörden diese Rekonstruktion
beim gegebenen Verfahrensstand ersichtlich auch als unaufschiebbar und eilbedürftig einstufen durften. Im Lichte dessen erscheint das Schutzbedürfnis des Angeklagten unter den gegebenen Umständen nicht als in besonderem Maûe ausgeprägt. Er hatte Wochen zuvor in eigener Initiative und auf freiem Fuû aus dem Ausland den Kontakt gezielt zu den im Verfahren ermittelnden Polizeibeamten gesucht und Sachangaben angeboten, den Kontaktwunsch später durch einen Gefängnisseelsorger erneuert, war zur Tatrekonstruktion - wiederum in Freiheit - von seinem Vater gefahren erschienen und hatte daran aktiv mitgewirkt. Besondere Hervorhebung verdient auch in diesem Zusammenhang , daû er parallel zu seinen Geständniserwägungen verschiedentlich ohne weiteres die Gelegenheit zur Verteidigerkonsultation hatte, weil er in zwei anderen Strafverfahren verteidigt war und dabei auch persönlich unmittelbaren Kontakt zu seinen Verteidigern hatte. Wie sich aus dem Vermerk der Kriminalpolizei über die Umstände der später protokollierten Vernehmung vom 15. Dezember ergibt, war er sich seiner Situation im Grundsatz auch bewuût ("die ihn die Freiheit kosten werde"). Der gesamte Ablauf und das Verhalten des Angeklagten geben Grund zu der Annahme, daû er bis zu seiner Festnahme das Ablegen eines Geständnisses bewuût gleichsam allein hinter sich bringen wollte. Angesichts dieser Umstände vermag der unterstellte Verfahrensverstoû jedenfalls kein Verwertungsverbot auszulösen.

II.

Das angefochtene Urteil läût auch einen sachlich-rechtlichen Mangel zum Nachteil des Angeklagten nicht erkennen. Schäfer Nack Wahl Boetticher Schluckebier

(1) Bei Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen. Möchte der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger befragen, sind ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren. Auf bestehende anwaltliche Notdienste ist dabei hinzuweisen. Er ist ferner darüber zu belehren, daß er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen und unter den Voraussetzungen des § 140 die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Maßgabe des § 141 Absatz 1 und des § 142 Absatz 1 beantragen kann; zu Letzterem ist er dabei auf die Kostenfolge des § 465 hinzuweisen. In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf, dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.

(2) Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen.

(3) Bei der Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf die Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen.

(4) Die Vernehmung des Beschuldigten kann in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Sie ist aufzuzeichnen, wenn

1.
dem Verfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen oder
2.
die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können.
§ 58a Absatz 2 gilt entsprechend.

(5) § 58b gilt entsprechend.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
1. Das Motiv der "Blutrache" ist regelmäßig als niedriger Beweggrund anzusehen.
Eine Ausnahme kann gelten, wenn dem Täter seinerseits durch
das Opfer mit der Tötung eines nahen Angehörigen erhebliches Leid
zugefügt wurde, das ihn zur Tatzeit noch gravierend belastete.
2. Zur Problematik wiederholten Nachfragens bei einem unverteidigten Angeklagten
, der sich auf sein Schweigerecht beruft und seine Aussagebereitschaft
von einer vorherigen Besprechung mit seinem Verteidiger abhängig
macht.
BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 – 5 StR 341/05 – LG Göttingen –

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 10. Januar 2006
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Mordes u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Januar 2006

beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten B und Han G wird das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 18. Januar 2005 nach § 349 Abs. 4 StPO
a) im Schuldspruch dahingehend abgeändert, aa) dass der Angeklagte B G wegen Totschlags und bb) die Angeklagte Han G im Fall A II 4 der Urteilsgründe wegen Beihilfe zum Totschlag verurteiltist,
b) im Strafausspruch betreffend dieser Angeklagten aufgehoben ; hiervon ausgenommen ist die gegen Han G im Fall A II 5 der Urteilsgründe (Waffendelikt) verhängte Einzelfreiheitsstrafe.
2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten B und Han G sowie die Revision des Angeklagten Has G gegen das genannte Urteil werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Der Angeklagte Has G trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die dadurch entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenkläger.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Angeklagten B und Han G , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Schwurgericht hat die Angeklagten B G und Has G jeweils wegen (gemeinschaftlichen) Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Gegen die Angeklagte Han G hat es wegen Beihilfe zum Mord und wegen unerlaubten Besitzes und Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und zwei Monaten verhängt (Einzelfreiheitsstrafen: sechs Jahre, sechs Monate). Zudem sind ein PKW und verschiedene Waffenteile eingezogen worden; den Angeklagten B und Has G ist jeweils die Fahrerlaubnis – bei einer Sperrfrist von zwei Jahren – entzogen worden. Die Revisionen der Angeklagten B und Han G haben den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg ; im Übrigen sind die Rechtsmittel dieser Angeklagten ebenso unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO) wie die Revision des Angeklagten Has G insgesamt.

I.


Das Schwurgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Ursprung des abgeurteilten Geschehens, der Tötung des H K im Sommer 2003, war ein bislang ungesühntes Tötungsdelikt an Ham G , Ehemann der Han G , Vater des B G und Onkel des Has G . Ham G war im Sommer 1998 nach einer erfolgreichen Versöhnung zwischen den Familien K und G hinterrücks in seinem Auto
erschossen worden, als er gerade – herzlich verabschiedet – vom Haus des H K aufbrach. Zum Tatort war Ham G im Anschluss an das eigentliche Versöhnungstreffen, bei dem das geistliche Oberhaupt der in Deutschland ansässigen Y mitwirkte, zu deren Religionsgemeinschaft beide aus dem türkischen Kurdengebiet stammenden Familien gehören, nur auf den nachdrücklichen Wunsch des H K gekommen. Die Angeklagten vermuteten deshalb, dieser sei der eigentliche Drahtzieher der aus ihrer Sicht besonders niederträchtigen Tötung ihres Verwandten. Diese Tat ist bis heute von der saarländischen Justiz noch nicht aufgeklärt. Nachdem zunächst ein – offensichtlich bewusst vorgeschickter – Jugendlicher die Tat zu Unrecht auf sich genommen hatte und freigesprochen wurde, ist die Sache nach neuerlicher Eröffnung des Hauptverfahrens im Mai 2001 gegen andere Mitglieder der Familie K (darunter allerdings nicht H K ) bis zur Verkündung des angegriffenen Urteils noch nicht terminiert worden. Die als Nebenkläger an jenem Verfahren beteiligten Angehörigen des Getöteten Ham G waren über die fehlende Sühne der Tat zunehmend enttäuscht und fühlten sich von den Behörden im Stich gelassen.
H K lebte seit der Tötung Ham G s mit seiner Familie in steter Furcht vor Racheakten der Familie G : Er wandte sich aus Angst vor Nachstellungen wiederholt an die Polizei, legte dort Aufzeichnungen über eingegangene Drohanrufe vor, beanspruchte Polizeischutz, veräußerte schließlich alsbald nach der Tötung Ham G s seinen Betrieb und siedelte aus Sicherheitsgründen vom Saarland in den Raum Göttingen um. Dort fühlte er sich jedoch ebenfalls beobachtet und verfolgt; er ließ häufig Kennzeichen fremder Fahrzeuge von der Polizei überprüfen und erstattete Anzeige, wenn unbekannte Personen nach seiner Auffassung sein Haus beobachteten. Letztmalig berichtete H K seiner Familie aufgeregt zwei bis drei Wochen vor seiner Tötung, dass ihm ein Fahrzeug mit auffälligem Kennzeichen entgegengekommen sei; den PKW ordnete er der Familie G zu.
Am Tattag wurde H K unmittelbar vor dem eigentlichen Tatgeschehen auf der gesamten Fahrt in seinem PKW von einem Göttinger Krankenhaus, wo er seine Ehefrau besucht hatte, zu seinem Wohnhaus in Reinhausen von den Angeklagten im PKW des Has G verfolgt; B G steuerte dieses Fahrzeug. Aufgrund von Angaben zuvor besuchter Bekannter wähnten die Angeklagten H K auf einem mehrtägigen Besuch in einer anderen Stadt; sie wollten diese Gelegenheit dazu nutzen, die Ehefrau H K s bei einem Krankenhausbesuch durch Han G über den Hintergrund der Tötung Ham G s auszuhorchen. Am Krankenhaus erkannten die Angeklagten zufällig den ihnen verhassten H K ; sie entschlossen sich spontan, die günstige Gelegenheit zu seiner Verfolgung und Tötung zu nutzen. G K , der neunjährige Sohn H K s, der den Vater zusammen mit dessen fünfjähriger Enkelin zu dem Krankenbesuch der Mutter begleitet hatte, machte seinen Vater auf der Rückfahrt mehrfach auf ein ihnen folgendes Fahrzeug aufmerksam. Er wies auch darauf hin, dass der verfolgende PKW sogar rote Ampeln überfahre, um hinter ihnen zu bleiben. H K ließ seine beiden Kinder direkt vor der Tür seines Hauses aussteigen und parkte seinen PKW nach einem Wendemanöver auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Noch während er sich im Fahrzeug befand, wurde er aus dem PKW der Angeklagten heraus von Has G erschossen. Dieser saß auf der Beifahrerseite; hinter ihm saß die Angeklagte Han G . Aufgrund mehrerer Zeugenaussagen wurden die Angeklagten nach kurzer Flucht zeitnah zur Tat festgenommen. Während sie die eigentliche Tatwaffe zerlegt aus dem Fenster geworfen hatten, verbarg Han G bei ihrer Festnahme am Körper eine weitere scharfe Pistole ihres Sohnes B .
Das Landgericht hat die Tötung H K s als gemeinschaftlichen heimtückischen Mord aus niedrigen Beweggründen bewertet; die Angeklagten hätten aus dem Motiv der „Blutrache“ gehandelt, was auf moralisch tiefster Stufe stehe.

II.

Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg, während die Sachrügen zum Wegfall des Mordmerkmals der Heimtücke bei allen Angeklagten und zusätzlich des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe bei B und Han G führen. 1. Zu den verfahrensrechtlichen Beanstandungen sieht der Senat über die Ausführungen des Generalbundesanwalts hinaus Anlass zu folgenden Bemerkungen:
a) Die Rüge, bei der Vernehmung des neunjährigen Zeugen G K über die von ihm wahrgenommenen Umstände der Tötung seines Vaters H K hätten die nach § 247 Satz 2 Alt. 1 StPO ausgeschlossenen Angeklagten wieder zugelassen werden müssen, weil dies der Zeuge gewünscht habe, geht fehl. Über die Frage, ob von der Vernehmung in Anwesenheit der Angeklagten ein erheblicher Nachteil für das Wohl eines kindlichen Zeugen zu befürchten ist, hat das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen, nicht der kindliche Zeuge zu entscheiden. Rechtsfehler lässt die Entscheidung des Landgerichts nicht erkennen.
Dass das Schwurgericht den Angeklagten nicht die Möglichkeit eingeräumt hat, die Vernehmung durch eine Videosimultanübertragung mitzuverfolgen (vgl. hierzu BGHR StPO § 247 Abwesenheit 25; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 247 Rdn. 14a; jeweils m.w.N.), berührt nicht den geltend gemachten absoluten Revisionsgrund, sondern die Pflicht zur Unterrichtung der aus der Hauptverhandlung entfernten Angeklagten. Auch insoweit wäre schon in Ermangelung eines in der Hauptverhandlung gestellten entsprechenden Antrags revisionsgerichtlich nichts zu erinnern.

b) Im Ansatz zutreffend rügen die Beschwerdeführer einzelne Verhaltensweisen von Ermittlungsbeamten bei der Befragung des Angeklagten B G als Beschuldigter im Ermittlungsverfahren.
aa) Nach den Feststellungen des Schwurgerichts erklärte B G wiederholt, keine Angaben zur Sache machen, sondern zunächst einen Verteidiger konsultieren zu wollen. Gleichwohl äußerte er sich bis zu seiner Vorführung in drei verschiedenen Situationen gegenüber drei Polizeibeamten zu einzelnen Sachverhaltsfragen:
Zum einen kam es zu einer Spontanäußerung über Schmauchspuren und zu der bei seiner Mutter gefundenen Pistole im Rahmen der erkennungsdienstlichen Behandlung. Im weiteren Verlauf der Nacht erklärte B G gegenüber dem Polizeibeamten KOK Ku nach erfolgter erneuter Belehrung, er wolle keine Aussage machen, es sei denn, sein Anwalt würde ihm dies empfehlen. Nachdem KOK Ku des ungeachtet fragte, ob sie während weiterer Wartezeit „miteinander sprechen“ könnten, erklärte sich B G bereit, sich mit dem Zeugen zu unterhalten, und berichtete anschließend von seinen persönlichen Verhältnissen und der Vorgeschichte der Tat. Der Zeuge Ku fragte nun nach, ob B G jetzt doch etwas zur Tat sagen wolle. Dieser wiederholte, dass er zur Tat selbst nichts sagen wolle , erklärte aber, dass „getan wurde, was getan werden musste“. Zudem wiederholte B G seine spontanen anfänglichen Angaben zu der bei seiner Mutter gefundenen Waffe.
Auf die ihm aktuell überbrachte neue Information, dass diese Waffe tatsächlich nicht die Tatwaffe sein konnte, fragte der Zeuge Ku den Angeklagten B G nach dem Verbleib der Tatwaffe und betonte dabei eine mögliche Gefährdung spielender Kinder. B G machte dazu deutlich , dass er zu diesem Punkt nichts sagen wolle. Auf weitere Fragen des Zeugen Ku zur Fahrstrecke von Reinhausen bis zur Festnahme machte B G hierzu Angaben. Deren förmliche Protokollierung lehnte er indes ab; statt dessen bat er darum, dass ein namentlich benannter Verteidiger von seiner Festnahme informiert werden sollte. Diese Bitte erfüllte der Zeuge Ku in der Folgezeit nicht.
Am Morgen des Folgetages sollte B G von dem Zeugen KK Be der Haftrichterin vorgeführt werden. Der Zeuge wusste, dass der Angeklagte B G noch ohne Kontakt zu dem benannten Verteidiger gewesen war und keine Angaben machen wollte. Gleichwohl suchte KK Be während der Wartezeit das Gespräch mit ihm. B G machte anschließend erneut Angaben zu seinen Lebensumständen und zur Vorgeschichte der Tat; schließlich erklärte er noch, dass H K ständig mit einem Anschlag auf sein Leben habe rechnen müssen, weil er angerufen und ihm die Möglichkeit eröffnet worden sei, er solle sich selbst erschießen. Vor der Haftrichterin schwieg B G wie auch in der Folgezeit. Erst gegen Ende der Hauptverhandlung hat er sich in einer vorbereitenden Erklärung leugnend zur Sache eingelassen und – wie der Angeklagte Has G – die Tötung einem nicht benannten vierten Familienmitglied angelastet.
bb) Bedenklich erscheint bereits die Frage an B G , ob man nicht „miteinander sprechen“ könne, nachdem sich der Angeklagte gerade nach Belehrung ausdrücklich auf sein Schweigerecht berufen und eventuelle Äußerungen von der vorherigen Konsultation eines Verteidigers abhängig gemacht hatte.
Durch dieses Verhalten könnte bei einem Beschuldigten der fehlerhafte Eindruck hervorgerufen werden (vgl. auch § 136a Abs. 1 Satz 1 StPO), ein solches bloßes „Gespräch“ unterscheide sich in seiner Verwertbarkeit von einer „förmlichen“ Vernehmung. Dass B G tatsächlich nicht in dieser Weise getäuscht wurde, ergibt sich indes aus seinem differenzierten Aussageverhalten; nach wie vor unterschied er genau, zu welchen Themen er etwas sagen wollte (insbesondere Tatvorgeschichte) und zu welchen nicht (konkrete Tatumstände).
Darüber hinaus kann stetiges Nachfragen ohne zureichenden Grund das Schweigerecht des unverteidigten Beschuldigten entwerten. Nachfragen sind nach ausdrücklicher Ausübung des Schweigerechts zwar dann gänzlich
unproblematisch, wenn – wie hier hinsichtlich der Tatwaffe und der davon ausgehenden Fremdgefährdung – neue Informationen erlangt werden, zu denen sich der Beschuldigte noch nicht positionieren konnte, eine neue prozessuale Situation eingetreten oder eine gewisse Zeitspanne verstrichen ist, in denen sich die Auffassung des Beschuldigten geändert haben kann. Jenseits solcher neuer Umstände oder eines möglichen Sinneswandels darf das Schweigerecht jedenfalls bei einem unverteidigten Beschuldigten nicht dadurch missachtet werden, dass beständig auf verschiedenen Wegen versucht wird, den Beschuldigten doch noch zu Angaben in der Sache zu bringen.
cc) Erst recht bedenklich sind beharrliche Nachfragen gegenüber einem Beschuldigten, der sich zur Frage einer Aussage zunächst mit einem von ihm benannten Verteidiger besprechen und bis dahin schweigen will, wenn die Benachrichtigung dieses Verteidigers unterbleibt.
Zwar sieht der Senat auch in Konstellationen wie der vorliegenden keinen Anlass für ein Innehalten mit einer Vernehmung des Beschuldigten bis zur Bestellung eines Pflichtverteidigers (vgl. BGHSt 47, 233, 235 ff.; vgl. aber auch BGHSt 47, 172, 176 ff.; BGH, Beschl. vom 18. und 19. Oktober 2005 – 1 StR 114/05 und 117/05). Der Wunsch des Beschuldigten nach Rücksprache mit seinem Verteidiger zur Erörterung der Frage, ob eine Einlassung erfolgen soll oder nicht, darf aber nicht durch ständige Nachfrage missachtet werden, ohne dass dem Wunsch nach Benachrichtigung eines benannten Verteidigers zuvor nachgekommen wird. Die Besprechung mit einem Verteidiger soll dem Beschuldigten die Möglichkeit eröffnen, sich in der für seine Verteidigung höchst bedeutsamen Frage, ob er aussagen will oder nicht, mit einem Verteidiger zu beraten (BGHSt 38, 372, 373). Bittet ein Beschuldigter, der seine Aussagebereitschaft an die vorherige Konsultation eines Verteidigers knüpft, ausdrücklich um Benachrichtigung eines benannten Verteidigers, darf nicht weiter in den Beschuldigten gedrungen werden, wenn die erbetene Benachrichtigung nicht erfolgt (vgl. auch BGHSt 42, 15,
19; 38, 372, 373 einerseits, BGHSt 42, 170, 171 f. andererseits). Das Schweigerecht des Beschuldigten würde missachtet, wenn – wie hier vor dem Haftrichtertermin – ein benannter Verteidiger nicht informiert, sondern stattdessen ein Beschuldigter ohne ergänzende Hinweise weiter befragt wird, obgleich er zuvor ausdrücklich erklärt hat, er wolle ohne vorherige Konsultation seines Verteidigers nichts sagen.
dd) Ob das danach im Ausgangspunkt zu Recht beanstandete Vorgehen der Ermittlungsbeamten nach entsprechendem Widerspruch in der Hauptverhandlung angesichts der differenzierten Reaktionen des befragten Beschuldigten, die für eine zutreffende Einschätzung der Verwertbarkeit seiner Äußerungen sprechen, zu einem Verwertungsverbot hinsichtlich der auf diese Weise erlangten Angaben führen würde und ob sich hierauf gegebenenfalls auch Mitbeschuldigte berufen könnten (vgl. dazu BGHR StPO § 136 Belehrung 5; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 136 Rdn. 20 m.w.N.), kann letztlich offen bleiben. Der Senat kann ausschließen, dass das Urteil auf diesen Angaben B G s im Ermittlungsverfahren beruht (§ 337 Abs. 1 StPO).
Die Angaben B G s hat das Schwurgericht lediglich an solchen Stellen der Beweisführung verwertet, die nichts mit der eigentlichen Tatbegehung zu tun haben oder in anderer Weise von B G oder anderen Zeugen hinreichend bestätigt wurden. Dass H K vom neben ihm sitzenden Beifahrer erschossen wurde, als B G den PKW seines Cousins führte, hat B G in der Hauptverhandlung selbst zugegeben. Diese Aussage korrespondiert mit weiteren Zeugenaussagen. Zur Widerlegung der gegen Ende der Hauptverhandlung erstmals vorgebrachten wenig detailreichen Angaben B und Has G s zu einem angeblichen vierten Familienmitglied, das unvorhersehbar spontan und ohne Billigung der übrigen Fahrzeuginsassen H K erschossen habe, und zur Überzeugungsbildung von der gemeinschaftlichen Tötung H K s unter Beteiligung von Han G hat das Schwurgericht nicht auf die Angaben
B G s im Ermittlungsverfahren, sondern auf mehrere Aussagen geschehensnaher Zeugen, das Spurenbild im PKW der Angeklagten, ihre Einlassungen in der Hauptverhandlung zum Tatgeschehen und die Feststellungen zur tatnahen Festnahme zurückgegriffen.
Dass die bei seiner Mutter gefundene Pistole ihm gehört, hat B G auch in seiner Einlassung in der Hauptverhandlung angegeben. Die weiteren Angaben B G s zur Vorgeschichte der Tat, zu seinen persönlichen Verhältnissen und zur Fahrstrecke waren, soweit die entsprechenden Feststellungen die Angeklagten überhaupt be- und nicht entlasten, angesichts weiterer Beweismittel für die Beweiswürdigung ersichtlich entbehrlich.
2. Die Sachrüge führt zur Aufhebung des Mordmerkmals der Heimtücke bei allen Angeklagten und zur Aufhebung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe bei den Angeklagten B und Han G .

a) Die Feststellungen des Schwurgerichts belegen eine heimtückische Tötung nicht.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung handelt heimtückisch, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist der Getötete dann, wenn er nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen, gar mit einem lebensbedrohlichen Angriff rechnet. Diese Arglosigkeit kann aus unterschiedlichen Gründen entfallen. Maßgeblich sind jeweils die Umstände des konkreten Falles (vgl. BGHSt 48, 207, 210 m.w.N.). Heimtückisch handelt nur, wer die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers zur Tat ausnutzt. Voraussetzung hierfür ist, dass der Täter sich bewusst ist, einen ahnungs- und schutzlosen Menschen zu überraschen, und dass er diese Situation in ihrer Bedeutung für die Tatausführung erkennt und nutzt (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 11).
bb) Nach diesen Kriterien hält die Annahme einer heimtückischen Tötung revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand:
H K rechnete seit geraumer Zeit ernsthaft und begründet mit einem Anschlag auf sein Leben. Deshalb hatte er seine Firma mit Verlust verkauft und war in ein anderes Bundesland umgezogen. Auch noch kurz vor der Tat war er stets misstrauisch und besorgt, wenn ihm in seiner Wohnumgebung fremde Fahrzeuge auffielen. Vor diesem ganz besonderen Hintergrund – einer wesentliche Teile des Lebens bestimmenden jahrelangen Angst vor einem tödlichen Anschlag – durfte sich das Landgericht hinsichtlich der festgestellten wiederholten und eindrücklichen Warnungen H K s durch seinen Sohn vor der Verfolgung durch einen fremden PKW unmittelbar vor der Tat nicht mit der Erwägung begnügen, aus seinen beschwichtigenden Äußerungen gegenüber seinem Sohn G ergebe sich, dass er selbst arglos gewesen sei. Denn dabei hat das Schwurgericht die nahe liegende Möglichkeit außer Acht gelassen (vgl. hierzu BGHSt 25, 365, 367), dass solche Beschwichtigungen gegenüber Kindern gerade auch von tatsächlich besorgten Eltern geäußert werden können, die ihre Kinder damit lediglich in Sicherheit wiegen und beruhigen wollen (vgl. Mosbacher NStZ 2005, 690, 691). In diesem Zusammenhang blieb zudem die Aussage G K s unberücksichtigt, wonach sein Vater mit erheblicher Geschwindigkeit unmittelbar vor die Haustür gefahren sei, um dort zunächst die Kinder mit der Aufforderung aussteigen zu lassen, schnell ins Haus zu laufen (UA S. 153); dies spricht dafür, dass H K die Kinder deshalb in Sicherheit bringen wollte, weil er die Gefahr erkannt hatte.
Bei Berücksichtigung dieser vom Schwurgericht vernachlässigten gewichtigen Umstände, die gegen die Annahme von Arglosigkeit sprechen, vermögen die tatrichterlichen Feststellungen zum Verhalten des Opfers unmittelbar vor Abgabe der tödlichen Schüsse – Abstellen des Fahrzeugs und Abziehen des Fahrzeugschlüssels – alleine die Annahme von Heimtücke nicht tragfähig zu belegen; solches Verhalten kann unter Berücksichtigung
der besonderen Umstände des vorliegenden Falls auch als nicht besonders überlegtes, eher kopfloses Verhalten eines angstbesetzten Verfolgten gesehen werden.
Abgesehen davon ist auch die subjektive Seite einer heimtückischen Tötung nicht rechtsfehlerfrei belegt. Die Angeklagten können nach den Feststellungen zu ihrer spontanen Verfolgungsfahrt vom Krankenhaus bis zum Wohnhaus ihres Opfers angesichts der Drohungen im Vorfeld kaum davon ausgegangen sein, dass diese Verfolgung unbemerkt und H K arglos geblieben ist.
Der Senat schließt angesichts der Gegebenheiten des vorliegenden Falls aus, dass weitergehende Feststellungen möglich sind, die zur tragfähigen Annahme von Heimtücke führen könnten; dieses Mordmerkmal hat demnach zu entfallen.

b) Bei den Angeklagten B und Han G begegnet auch die Annahme niedriger Beweggründe auf der Grundlage der landgerichtlichen Feststellungen durchgreifenden Bedenken. Der Verweis des Schwurgerichts auf das als niedrig zu bewertende Motiv der „Blutrache“ greift bei diesen Angeklagten zu kurz.
aa) Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat „niedrig“ sind, also nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen, mithin in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag als verwerflich und deshalb als besonders verachtenswert erscheinen, hat aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu erfolgen. Dabei ist der Maßstab für die Bewertung eines Beweggrundes den Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland und nicht den Anschauungen einer Volksgruppe , die die sittlichen und rechtlichen Werte dieser Rechtsgemeinschaft
nicht anerkennt, zu entnehmen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 41 m.w.N.; Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 211 Rdn. 14 ff.).
Gefühlsregungen wie Wut, Zorn, Ärger, Hass und Rachsucht kommen nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen, also nicht menschlich verständlich, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sind (st. Rspr., vgl. nur BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 16, 22, 23, 28, 30, 36; BGH NStZ 1995, 181; BGH StV 2001, 228, 229). Beruhen diese tatauslösenden und tatbestimmenden Gefühlsregungen dagegen auf dem (berechtigten) Gefühl erlittenen schweren Unrechts und entbehren sie damit nicht eines beachtlichen , jedenfalls einleuchtenden Grundes, spricht dies gegen eine Bewertung als „niedrig“ im Sinne der Mordqualifikation (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 18, 30, 32). Schwerwiegende Kränkungen durch das Opfer, die das Gemüt des Betroffenen immer wieder heftig bewegen , können sogar im Fall heimtückischer Tötung die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe unangebracht sein lassen (vgl. Großer Senat BGHSt 30, 105, 119; BGHR StGB § 211 Abs. 1 Strafmilderung 7).
bb) Eine Tötung aus dem Motiv der „Blutrache“ ist in aller Regel deshalb als besonders verwerflich und sozial rücksichtslos anzusehen, weil sich der Täter dabei seiner persönlichen Ehre und der Familienehre wegen gleichsam als Vollstrecker eines von ihm und seiner Familie gefällten Todesurteils über die Rechtsordnung und einen anderen Menschen erhebt (BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 29; Nehm in Festschrift für Albin Eser 2005 S. 419, 422 ff.; vgl. zu Tötungen aus „Blutrache“ auch BGH, Urt. vom 28. August 1979 – 1 StR 282/79; BGH, StV 1998, 130; BGH, Urt. vom 24. Juni 1998 – 3 StR 219/98; BGH, Beschl. vom 23. März 2004 – 4 StR 466/03 und 9/04). Ein niedriger Beweggrund wird in aller Regel in denjenigen Fällen von „Blutrache“ ohne weiteres anzunehmen sein, in denen allein die Verletzung eines Ehrenkodex als todeswürdig angesehen wird oder in denen ein Angehöriger einer Sippe als Vergeltung für das Verhalten eines anderen
Sippenangehörigen, an dem ihn keine persönliche Schuld trifft, getötet wird. Auch die Tötung als Vergeltung für ein als ehrenwidrig bewertetes Verhalten, das indes seinerseits nicht in der Tötung oder zumindest schweren Verletzung einer anderen Person bestand, wird regelmäßig als niedrig zu bewerten sein. Eine differenzierte Betrachtung ist hingegen insbesondere dann geboten , wenn mit der „Blutrache“ – wie hier – Vergeltung an jemandem geübt wird, der seinerseits nachvollziehbar als schuldig an der Tötung eines anderen Menschen erachtet wird.
Allgemein darf die Bezeichnung eines Motivs als „Blutrache“ nämlich nicht die notwendige differenzierte Betrachtung des tatsächlichen Geschehens ersetzen (vgl. Nehm in Festschrift für Albin Eser 2005 S. 419, 424). Bei allgemein motivierten Tötungsantrieben wie Wut, Zorn, Hass oder Verzweiflung kann die Gefahr bestehen, dass sie fälschlich einer mit Selbstverständlichkeit als niedrig zu bewertenden Blutrache zugeordnet werden, obgleich die Niedrigkeit am Maßstab der inländischen Werteordnung zu verneinen wäre (vgl. Nehm aaO).
Gerade bei dem Verlust naher Angehöriger durch eine Gewalttat sind rachemotivierte Tötungen nicht ohne weiteres als Mord aus niedrigen Beweggründen zu bewerten (BGH, Urt. vom 28. August 1979 – 1 StR 282/79; BGH StV 1998, 130; vgl. aber auch Schneider in MünchKomm StGB § 211 Rdn. 86 f.). Hat der Täter aus persönlichen Motiven aufgrund schwerer Kränkung durch Tötung eines ihm besonders nahe stehenden Angehörigen gehandelt , ist diese Form von „Selbstjustiz“ zwar keineswegs billigenswert (vgl. BGH StV 1998, 130; BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 28; BGHR StGB § 211 Abs. 1 Strafmilderung 7). Die Tat kann aber auch nicht nur deshalb als besonders verwerflich eingestuft werden, weil der Täter aus einem Kulturkreis stammt, in dem der Gesichtspunkt der „Blutrache“ bis heute relevant ist (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 211 Rdn. 14b). Es ist also danach zu differenzieren, ob der Angeklagte tatsächlich allein aus einem ersichtlich nicht billigenswerten Motiv der „Blutrache“, und damit aus niedri-
gen Beweggründen, oder aus einer besonderen Belastungssituation infolge des Verlustes seiner wesentlichen Bezugsperson bzw. aus ähnlichen, nicht per se niedrigen Motiven heraus gehandelt hat (vgl. BGH, Urt. vom 24. Juni 1998 – 3 StR 219/98).
cc) Ob ein durch Tötung naher Angehöriger zugefügtes Leid auch jenseits von Spontantaten (hierzu Schneider aaO Rdn. 87) derart erheblich ist, dass der Beweggrund insgesamt nicht mehr als besonders verwerflich und verachtenswert erscheint, kann nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls bestimmt werden. Maßstab sind insbesondere Gewicht und nähere Umstände der Vortat (vgl. BGH StV 1998, 130), u. U. deren strafjustizelle Aufarbeitung, Näheverhältnis zum Getöteten (vgl. § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO), Grad fortdauernder persönlicher Betroffenheit (vgl. hierzu auch BGH, Beschl. vom 23. März 2004 – 4 StR 466/03 und 9/04) und konkrete objektive Umstände der Tötung (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 1 Strafmilderung 7).
dd) Nach diesen Kriterien ist die Annahme niedriger Beweggründe bei den Angeklagten B und Han G nicht tragfähig begründet. B G ist der älteste Sohn des auf besonders niederträchtige Weise ermordeten Ham G und muss sich, seit er 20 Jahre alt ist, als Familienoberhaupt maßgeblich um seine Mutter und weitere fünf Geschwister kümmern. Er war – wie Han G – davon überzeugt, dass H K für diesen Anschlag verantwortlich war, weil dieser durch nachdrückliches Zureden Ham G erst dazu gebracht hatte, nach einer Versöhnungszeremonie zum späteren Tatort zu fahren. Trotz der inzwischen vergangenen Zeit war in der Familie des Ermordeten, die auch aufgrund dieser Tat bis jetzt in beengten wirtschaftlichen Verhältnissen zusammenlebt, der Schmerz über die Tat noch deutlich gegenwärtig: die Tötung Ham G s war ständiges Gesprächsthema und insbesondere Han G war davon noch stark emotional betroffen. Die Tat blieb bislang ungesühnt. Der konkrete Entschluss zur Tötung H K s entstand spontan aus der Situation eines zufälligen Treffens am Göttinger Krankenhaus. Angesichts dieser besonderen Umstän-
de entbehrt die Wertung des Landgerichts, auch die Angeklagten B und Han G hätten allein aus einem als niedrig anzusehenden Motiv der „Blutrache“ gehandelt, einer tragfähigen Grundlage.
Der Senat schließt aus, dass eine solche angesichts der bisherigen rechtsfehlerfreien Feststellungen noch gefunden werden könnte.

c) Anders verhält es sich allerdings mit dem Angeklagten Has G , der die tödlichen Schüsse auf H K abgegeben hat. Bei ihm hat das Schwurgericht – anders als bei den noch akut unter den Auswirkungen der Tötung Ham G s leidenden Han und B G – keine eigene besonders gravierende persönliche Betroffenheit durch den Tod seines Onkels festgestellt, die über die Verletzung der „Familienehre“ maßgeblich hinausgereicht hätte. Hierfür spricht nicht nur der im Vergleich zu Han und B G fernere Verwandtschaftsgrad zum Getöteten Ham G ; dabei handelt es sich um ein Kriterium, das auch nach Auffassung des Gesetzgebers bei der rechtlichen Bewertung der Betroffenheit von einem Tötungsdelikt erheblich ist (vgl. § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO). Hinzu kommt die räumliche Entfernung von der Familie des getöteten Ham G : Der Angeklagte Has G lebt seit Jahren in Niedersachsen, während die Familie von Ham G seit vielen Jahren im Saarland ansässig ist. In seiner wirtschaftlichen Existenz war der als Unternehmer erfolgreiche Angeklagte Has G ebenfalls nicht vom Tode Ham G s betroffen. Aufgrund dieser weit größeren räumlichen, familiären und wirtschaftlichen Distanz zum Tode Ham G s erscheint bei Has G das Verhältnis zwischen Anlass und Tat in deutlich weiter reichendem Maße als beim Totschlag verachtenswert und damit niedrig (vgl. auch BGH NStZ 2004, 34); (nur) bei ihm kommen diejenigen Gesichtspunkte zum Tragen, die das Motiv der „Blutrache“ in aller Regel als niedrigen Beweggrund kennzeichnen.
3. Die tatrichterliche Wertung, Han G habe eine Beihilfe zur Tötung H K s begangen, ist aus revisionsgerichtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
Das Schwurgericht hat seine Feststellung, die Angeklagte habe ihren Sohn und ihren Neffen bei der Tötung H K s zumindest psychisch unterstützt und hierdurch eine Beihilfe zu deren Tat geleistet, auf eine Gesamtschau aller wesentlichen Umstände gestützt. Auf eine aktive Beihilfehandlung durch mitbestimmenden Einfluss auf das Fahrtziel und den spontanen Tatplan konnte das Schwurgericht vor dem Hintergrund der engen familiären Verbundenheit aus dem besonderen Interesse der Angeklagten an einer Sühne der Ermordung ihres Ehemanns, aus der Tatsache, dass sie das vorherige Reiseziel (Besuch im Krankenhaus) wesentlich bestimmt hatte, und aus ihrem Verhalten bei der Verfolgung durch die Polizei (Verbergen einer Pistole ihres Sohnes am Körper) schließen. Diese Schlussfolgerung beruht auf einer tragfähigen rationalen Grundlage und ist im vorliegenden Fall nicht nur möglich, sondern naheliegend; sie ist vom Revisionsgericht hinzunehmen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Erwägungen des Schwurgerichts über die „Sitzposition“ der Angeklagten in diesem Zusammenhang für sich gesehen weniger überzeugen; die Angeklagte konnte angesichts des spontanen Verfolgungsentschlusses bei Fahrtantritt kaum davon ausgehen, dass H K gerade – wie später geschehen – auf der Beifahrerseite erschossen werde.

III.


Im Ergebnis hat der Wegfall eines Teils der vom Schwurgericht herangezogenen Mordmerkmale folgende Auswirkungen:
1. Nach Wegfall des Mordmerkmals der Heimtücke bleibt Has G wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt; B G ist dagegen als Mittäter des gemeinsam ins Werk ge-
setzten Tötungsgeschehens wegen Totschlags schuldig (vgl. auch BGHSt 36, 231). Die Angeklagte Han G hat eine Beihilfe zur gemeinschaftlichen Tötung von H K begangen, die sich für Has G als Mord aus niedrigen Beweggründen, für B G als Totschlag darstellt. Danach ist die Angeklagte Han G lediglich wegen einer Beihilfe zum Totschlag zu bestrafen.
Wegen Beihilfe zu einem vom Angeklagten Has G begangenen Mord könnte Han G allenfalls dann verurteilt werden, wenn sie als Gehilfin ihren Tatbeitrag in Kenntnis der niedrigen Beweggründe Has G s erbracht hätte (vgl. BGH NStZ 1996, 384, 385 m.w.N., insoweit in BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 33 nicht abgedruckt). Dass Han G selbst aus niedrigen Beweggründen gehandelt hat, schließt der Senat wie beim Angeklagten B G aus (s. o.). Die Feststellungen des Schwurgerichts legen zudem nahe, dass die in bäuerlichen Verhältnissen aufgewachsene, des Lesens und Schreibens nicht mächtige, kaum deutsch sprechende und deshalb ganz besonders in ihrem Kulturkreis verhaftete Angeklagte Han G die zur Niedrigkeit der Tötungshandlung des Has G führenden bestimmenden Wertungsgesichtspunkte in ihrem Bedeutungsgehalt geistig nicht nachvollziehen konnte. Auf dieser Grundlage lässt sich der notwendige Vorsatzbezug zum Mordmerkmal des Haupttäters letztlich nicht tragfähig begründen. Da weitergehende Feststellungen insoweit nicht zu erwarten sind, ändert der Senat den Schuldspruch auf Beihilfe zum Totschlag (§ 354 Abs. 1 StPO).
2. Deshalb kann dahinstehen, ob es sich bei den täterbezogenen Mordmerkmalen um strafschärfende besondere persönliche Merkmale im Sinne von § 28 Abs. 2 StGB und nicht um strafbegründende im Sinne von § 28 Abs. 1 StGB handelt:

a) Nach der bisherigen Rechtsprechung aller Strafsenate des Bundesgerichtshofs stehen Mord (§ 211 StGB) und Totschlag (§ 212 StGB) nicht
im Verhältnis von Grundtatbestand und Qualifikation zueinander, vielmehr bilden sie danach zwei selbständige Tatbestände (st. Rspr. seit BGHSt 1, 368; zuletzt ausführlich BGH NStZ 2005, 381 m.w.N.). Weil die Mordmerkmale des § 211 StGB nach dieser Auffassung die Strafbarkeit im Sinne von § 28 Abs. 1 StGB begründen, scheidet eine Anwendung von § 28 Abs. 2 StGB aus. Für den Schuldspruch des Teilnehmers kommt es demnach nicht auf seinen Tatbeitrag, sondern zunächst darauf an, ob der Haupttäter Mordmerkmale verwirklicht oder nicht. Bei täterbezogenen Mordmerkmalen wie den vorliegend in Rede stehenden niedrigen Beweggründen ist nach der bisherigen Rechtsprechung ein Schuldspruch wegen Beihilfe zum Mord auch dann geboten, wenn der Teilnehmer selbst kein derartiges Mordmerkmal verwirklicht, solange er hinsichtlich der niedrigen Beweggründe des anderen Teils vorsätzlich handelt. Dem Teilnehmer kommt in diesen Fällen allerdings die Strafrahmenverschiebung nach § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB zugute.

b) Demgegenüber versteht die Gegenauffassung (soweit ersichtlich ausnahmslos die gesamte Literatur, vgl. nur Eser in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. Vor §§ 211 ff. Rdn. 3; Jähnke in LK 11. Aufl. Vor § 211 Rdn. 39; Lackner/Kühl, StGB 25. Aufl. Vor § 211 Rdn. 22; Schneider in MünchKomm Vor §§ 211 ff. Rdn. 135 ff.; je m.w.N.) das Verhältnis zwischen den Tatbeständen Mord und Totschlag als Verhältnis von Qualifikation und Grunddelikt. Die täterbezogenen Mordmerkmale sind demnach nicht strafbegründend im Sinne von § 28 Abs. 1 StGB, sondern strafschärfend gemäß § 28 Abs. 2 StGB. Dies hat zur Folge, dass der Teilnehmer, der selbst kein Mordmerkmal erfüllt, bei einem täterbezogenen Mordmerkmal des Haupttäters wie dem Handeln aus niedrigen Beweggründen nur wegen Teilnahme zum Totschlag schuldig gesprochen werden kann; seine Strafe ist in diesem Fall dem – ggf. nach § 27 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten – Strafrahmen des § 212 StGB zu entnehmen.

c) Der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Verhältnis von Mord und Totschlag werden gewichtige Argumente entgegen-
gehalten: Sie führe zu schwer überbrückbaren Wertungswidersprüchen und unausgewogenen Ergebnissen, widerspreche der sonst üblichen Systematik und sei unnötig kompliziert (vgl. zuletzt nur Puppe, JZ 2005, 902 ff.; Jäger JR 2005, 477, 479 f.; ausführlich etwa Küper JZ 1991, 761 ff., 862 ff. und 910 ff.; Schneider in MünchKomm Vor §§ 211 ff. Rdn. 138 ff.; je m.w.N.; vgl. aus der Rechtsprechung nur: BGHSt 6, 329 und 36, 231 [Mittäterschaft]; BGHSt 23, 39 [gekreuzte Mordmerkmale]; BGH NStZ 2006, 34, und BGH, Urteil vom 24. November 2005 – 4 StR 243/05 [Sperrwirkung der Strafrahmenuntergrenze für Beihilfe zum Totschlag]).
Probleme der bisherigen Rechtsprechung werden am vorliegenden Fall besonders anschaulich: Die gemeinschaftlich durch Has und B G begangene Tötung H K s kann schwerlich als Verwirklichung zweierlei verschiedenen Unrechts und zweier selbständiger Tatbestände verstanden werden, sondern stellt sich als ein Tötungsunrecht im Sinne von § 212 StGB dar, zu dem lediglich bei einem der Täter mit dem Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe besonders erschwerende persönliche Umstände (vgl. § 28 Abs. 2 StGB) hinzukommen; ein solches Verhältnis entspricht nach der üblichen Systematik demjenigen zwischen Grunddelikt und Qualifikation. Dies wird besonders deutlich, wenn es um die Bewertung des Tatbeitrags von Han G geht: Ihre Unterstützung der gemeinschaftlichen Tötung H K s lässt sich nicht künstlich in eine objektive Beihilfe zum Mord durch Has G und eine (hierzu tateinheitliche) objektive Beihilfe zum Totschlag durch B G aufspalten.

IV.


Wegen der neuen Schuldsprüche bedarf die Bemessung der Strafen für B und Han G für das Tötungsdelikt und die Beihilfe hierzu erneuter schwurgerichtlicher Prüfung auf der Grundlage der bisherigen rechtsfehlerfreien Feststellungen. Der neue Tatrichter wird hierzu allenfalls solche ergänzenden Feststellungen treffen können, die den bisherigen nicht widersprechen.
Harms Häger Basdorf
Gerhardt Raum

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 380/03
vom
18. Dezember 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Raubes mit Todesfolge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Dezember 2003 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 21. März 2003 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes mit Todesfolge, wegen Bedrohung in vier Fällen und wegen unerlaubten Erwerbs von Munition zur Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Der Erörterung bedarf lediglich die Verfahrensrüge, mit der die Revision ein Verwertungsverbot hinsichtlich der Einlassung des Angeklagten bei seiner polizeilichen Vernehmung am 15. Mai 2002 geltend macht, weil das Recht des Angeklagten auf Zuziehung eines Verteidigers beschränkt worden sei (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO; siehe auch § 141 Abs. 3 StPO).
Auf der Grundlage der Rechtsansicht des Senats in BGHSt 47, 172 (anders jedoch nach der Rechtsprechung des 5. Strafsenats, vgl. dessen Beschl. v. 17. Dezember 2003 - 5 StR 501/03) kann in Betracht gezogen werden, es als verfahrensfehlerhaft zu erachten, daß die Staatsanwaltschaft im Anschluß an die richterliche Vernehmung des Angeklagten und die Haftbefehlseröffnung am 30. April 2002 keinen Antrag auf Beiordnung eines Verteidigers gestellt hat. Ob die Fortsetzung der polizeilichen Vernehmung am 15. Mai 2002 deshalb und
trotz des Einwandes des Angeklagten auf zwei der gestellten Fragen, diese zu- nächst mit seinem Rechtsanwalt besprechen zu wollen, und die anschließende Stellung weiterer Fragen dem Recht auf Verteidigerkonsultation noch in jeder Hinsicht entsprachen, kann offenbleiben. Das gilt insbesondere, soweit der Angeklagte nichts mehr über "G. " sagen wollte, die nächste, freilich andere Frage sich aber dennoch mit dieser Person befaßte und der Angeklagte darauf inhaltlich geantwortet hat. Jedenfalls ist bei der hier gegebenen Verfahrensgestaltung in keinem Falle aufgrund der vorzunehmenden Abwägung ein Beweisverwertungsverbot begründet (vgl. zur Abwägung in diesem Zusammenhang nur: BGHSt 47, 172, 179, 180 m.w.N.). Dabei ist das Gewicht des - hier hinsichtlich der Befragung am 15. Mai 2002 zu unterstellenden - Rechtsverstoßes mit in Betracht zu ziehen und ebenso ins Auge zu fassen, ob und inwieweit der damalige Beschuldigte in besonderem Maße des Schutzes bedurfte (vgl. BGHSt 42, 170, 174; 47, 172, 180). Das führt hier zu folgendem Ergebnis:
Die Vernehmung des Angeklagten am 15. Mai 2002 unterscheidet sich schon im Ansatz von demjenigen Sachverhalt, der der Senatsentscheidung BGHSt 47, 172 zugrunde lag: Die dem Angeklagten hier eingangs erteilte Belehrung entsprach uneingeschränkt der Strafprozeßordnung; namentlich enthielt sie erneut einen Hinweis auf das Recht zur Verteidigerkonsultation und das Schweigerecht. Sie war also - anders als im Fall BGHSt 47, 172 - vollständig und korrekt und daher uneingeschränkt geeignet, dem Angeklagten seine Rechte aktuell ins Bewußtsein zu rufen. Der zum Zeitpunkt der Vernehmung bereits seit einigen Tagen inhaftierte Angeklagte stand nicht mehr unter dem unmittelbaren Eindruck seiner Festnahme; er hatte zuvor Gelegenheit, sich gedanklich auf seine weitere Verteidigung einzustellen. Er führte schon zu Beginn der Vernehmung einen Zettel mit sich, auf dem Name, Anschrift und Telefonnummer einer ihm zuvor empfohlenen Rechtsanwältin verzeichnet waren und
deren Beiziehung er jederzeit, auch schon vor dem Beginn der weiteren Ver- nehmung hätte verlangen können. Davon hat er jedoch abgesehen und solches erst gefordert, als die Vernehmung einen bestimmten Punkt erreichte und er deren endgültigen Abbruch begehrte. Dies, aber auch die vorherigen Reaktionen auf einzelne Fragen, die er vor Beantwortung erst mit seinem Rechtsanwalt besprechen wollte, verdeutlicht, daß er seine Rechte nicht nur kannte, sondern bewußt differenziert damit umging. Gerade das spätere Verlangen des Abbruchs der Vernehmung wie auch die vorherige Ablehnung einer Antwort auf einzelne, bestimmte Fragen kennzeichnet die freie Entschließung des Angeklagten über das Maß des Gebrauchmachens von seinen Beschuldigtenrechten. Hinzu kommt, daß die Vernehmung sich bis zu ihrem Abbruch noch nicht mit dem Kern des Tatgeschehens befaßt hatte.
Soweit ein Polizeibeamter nach dem vom Angeklagten geforderten Abbruch der Vernehmung versucht hat, doch noch weitere Angaben von ihm zu erlangen, erweist sich das freilich als Mißachtung und Verletzung des Schweigerechts ; der Angeklagte hatte sich zu jenem Zeitpunkt zweifelsfrei und umfassend darauf berufen. Da er jedoch auf die nochmalige gezielte Nachfrage keinerlei Angaben mehr gemacht und auf seinem Recht zu schweigen beharrt hat, kann auf diesem Rechtsmangel des Ermittlungsverfahrens das Urteil des Landgerichts nicht beruhen.
Keine rechtlichen Bedenken bestehen indessen gegen die Verwertung der nach der Vernehmung erfolgten Äußerungen des Angeklagten im Gespräch , während einer der Kriminalbeamten mit der von ihm benannten Rechtsanwältin telefonierte, die dann herbei eilte. Auch bei diesen - nicht protokollierten - Äußerungen kannte der Angeklagte seine Rechte; er hatte das schon während der Vernehmung in einer in der Bedeutung der jeweiligen Frage
zum Ausdruck kommenden Weise durch sein Verhalten bestätigt. Die Äußerungen fielen - wie der Zusammenhang ergibt - in Kenntnis dessen, daß die von ihm benannte Rechtsanwältin herbeigerufen wurde.
In Ansehung all dieser Umstände vermag der Senat ein Beweisverwertungsverbot für die Angaben des Angeklagten bei seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung am 15. Mai 2002 nicht anzunehmen. Es bedarf daher auch keiner abschließenden Klärung der unterschiedlichen Auffassungen des 5. Strafsenats und des 1. Strafsenats zum Zeitpunkt des Erfordernisses einer Verteidigerbestellung.
Nack Wahl Schluckebier
Kolz Elf
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
1. Das Motiv der "Blutrache" ist regelmäßig als niedriger Beweggrund anzusehen.
Eine Ausnahme kann gelten, wenn dem Täter seinerseits durch
das Opfer mit der Tötung eines nahen Angehörigen erhebliches Leid
zugefügt wurde, das ihn zur Tatzeit noch gravierend belastete.
2. Zur Problematik wiederholten Nachfragens bei einem unverteidigten Angeklagten
, der sich auf sein Schweigerecht beruft und seine Aussagebereitschaft
von einer vorherigen Besprechung mit seinem Verteidiger abhängig
macht.
BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 – 5 StR 341/05 – LG Göttingen –

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 10. Januar 2006
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Mordes u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Januar 2006

beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten B und Han G wird das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 18. Januar 2005 nach § 349 Abs. 4 StPO
a) im Schuldspruch dahingehend abgeändert, aa) dass der Angeklagte B G wegen Totschlags und bb) die Angeklagte Han G im Fall A II 4 der Urteilsgründe wegen Beihilfe zum Totschlag verurteiltist,
b) im Strafausspruch betreffend dieser Angeklagten aufgehoben ; hiervon ausgenommen ist die gegen Han G im Fall A II 5 der Urteilsgründe (Waffendelikt) verhängte Einzelfreiheitsstrafe.
2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten B und Han G sowie die Revision des Angeklagten Has G gegen das genannte Urteil werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Der Angeklagte Has G trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die dadurch entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenkläger.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Angeklagten B und Han G , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Schwurgericht hat die Angeklagten B G und Has G jeweils wegen (gemeinschaftlichen) Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Gegen die Angeklagte Han G hat es wegen Beihilfe zum Mord und wegen unerlaubten Besitzes und Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und zwei Monaten verhängt (Einzelfreiheitsstrafen: sechs Jahre, sechs Monate). Zudem sind ein PKW und verschiedene Waffenteile eingezogen worden; den Angeklagten B und Has G ist jeweils die Fahrerlaubnis – bei einer Sperrfrist von zwei Jahren – entzogen worden. Die Revisionen der Angeklagten B und Han G haben den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg ; im Übrigen sind die Rechtsmittel dieser Angeklagten ebenso unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO) wie die Revision des Angeklagten Has G insgesamt.

I.


Das Schwurgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Ursprung des abgeurteilten Geschehens, der Tötung des H K im Sommer 2003, war ein bislang ungesühntes Tötungsdelikt an Ham G , Ehemann der Han G , Vater des B G und Onkel des Has G . Ham G war im Sommer 1998 nach einer erfolgreichen Versöhnung zwischen den Familien K und G hinterrücks in seinem Auto
erschossen worden, als er gerade – herzlich verabschiedet – vom Haus des H K aufbrach. Zum Tatort war Ham G im Anschluss an das eigentliche Versöhnungstreffen, bei dem das geistliche Oberhaupt der in Deutschland ansässigen Y mitwirkte, zu deren Religionsgemeinschaft beide aus dem türkischen Kurdengebiet stammenden Familien gehören, nur auf den nachdrücklichen Wunsch des H K gekommen. Die Angeklagten vermuteten deshalb, dieser sei der eigentliche Drahtzieher der aus ihrer Sicht besonders niederträchtigen Tötung ihres Verwandten. Diese Tat ist bis heute von der saarländischen Justiz noch nicht aufgeklärt. Nachdem zunächst ein – offensichtlich bewusst vorgeschickter – Jugendlicher die Tat zu Unrecht auf sich genommen hatte und freigesprochen wurde, ist die Sache nach neuerlicher Eröffnung des Hauptverfahrens im Mai 2001 gegen andere Mitglieder der Familie K (darunter allerdings nicht H K ) bis zur Verkündung des angegriffenen Urteils noch nicht terminiert worden. Die als Nebenkläger an jenem Verfahren beteiligten Angehörigen des Getöteten Ham G waren über die fehlende Sühne der Tat zunehmend enttäuscht und fühlten sich von den Behörden im Stich gelassen.
H K lebte seit der Tötung Ham G s mit seiner Familie in steter Furcht vor Racheakten der Familie G : Er wandte sich aus Angst vor Nachstellungen wiederholt an die Polizei, legte dort Aufzeichnungen über eingegangene Drohanrufe vor, beanspruchte Polizeischutz, veräußerte schließlich alsbald nach der Tötung Ham G s seinen Betrieb und siedelte aus Sicherheitsgründen vom Saarland in den Raum Göttingen um. Dort fühlte er sich jedoch ebenfalls beobachtet und verfolgt; er ließ häufig Kennzeichen fremder Fahrzeuge von der Polizei überprüfen und erstattete Anzeige, wenn unbekannte Personen nach seiner Auffassung sein Haus beobachteten. Letztmalig berichtete H K seiner Familie aufgeregt zwei bis drei Wochen vor seiner Tötung, dass ihm ein Fahrzeug mit auffälligem Kennzeichen entgegengekommen sei; den PKW ordnete er der Familie G zu.
Am Tattag wurde H K unmittelbar vor dem eigentlichen Tatgeschehen auf der gesamten Fahrt in seinem PKW von einem Göttinger Krankenhaus, wo er seine Ehefrau besucht hatte, zu seinem Wohnhaus in Reinhausen von den Angeklagten im PKW des Has G verfolgt; B G steuerte dieses Fahrzeug. Aufgrund von Angaben zuvor besuchter Bekannter wähnten die Angeklagten H K auf einem mehrtägigen Besuch in einer anderen Stadt; sie wollten diese Gelegenheit dazu nutzen, die Ehefrau H K s bei einem Krankenhausbesuch durch Han G über den Hintergrund der Tötung Ham G s auszuhorchen. Am Krankenhaus erkannten die Angeklagten zufällig den ihnen verhassten H K ; sie entschlossen sich spontan, die günstige Gelegenheit zu seiner Verfolgung und Tötung zu nutzen. G K , der neunjährige Sohn H K s, der den Vater zusammen mit dessen fünfjähriger Enkelin zu dem Krankenbesuch der Mutter begleitet hatte, machte seinen Vater auf der Rückfahrt mehrfach auf ein ihnen folgendes Fahrzeug aufmerksam. Er wies auch darauf hin, dass der verfolgende PKW sogar rote Ampeln überfahre, um hinter ihnen zu bleiben. H K ließ seine beiden Kinder direkt vor der Tür seines Hauses aussteigen und parkte seinen PKW nach einem Wendemanöver auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Noch während er sich im Fahrzeug befand, wurde er aus dem PKW der Angeklagten heraus von Has G erschossen. Dieser saß auf der Beifahrerseite; hinter ihm saß die Angeklagte Han G . Aufgrund mehrerer Zeugenaussagen wurden die Angeklagten nach kurzer Flucht zeitnah zur Tat festgenommen. Während sie die eigentliche Tatwaffe zerlegt aus dem Fenster geworfen hatten, verbarg Han G bei ihrer Festnahme am Körper eine weitere scharfe Pistole ihres Sohnes B .
Das Landgericht hat die Tötung H K s als gemeinschaftlichen heimtückischen Mord aus niedrigen Beweggründen bewertet; die Angeklagten hätten aus dem Motiv der „Blutrache“ gehandelt, was auf moralisch tiefster Stufe stehe.

II.

Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg, während die Sachrügen zum Wegfall des Mordmerkmals der Heimtücke bei allen Angeklagten und zusätzlich des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe bei B und Han G führen. 1. Zu den verfahrensrechtlichen Beanstandungen sieht der Senat über die Ausführungen des Generalbundesanwalts hinaus Anlass zu folgenden Bemerkungen:
a) Die Rüge, bei der Vernehmung des neunjährigen Zeugen G K über die von ihm wahrgenommenen Umstände der Tötung seines Vaters H K hätten die nach § 247 Satz 2 Alt. 1 StPO ausgeschlossenen Angeklagten wieder zugelassen werden müssen, weil dies der Zeuge gewünscht habe, geht fehl. Über die Frage, ob von der Vernehmung in Anwesenheit der Angeklagten ein erheblicher Nachteil für das Wohl eines kindlichen Zeugen zu befürchten ist, hat das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen, nicht der kindliche Zeuge zu entscheiden. Rechtsfehler lässt die Entscheidung des Landgerichts nicht erkennen.
Dass das Schwurgericht den Angeklagten nicht die Möglichkeit eingeräumt hat, die Vernehmung durch eine Videosimultanübertragung mitzuverfolgen (vgl. hierzu BGHR StPO § 247 Abwesenheit 25; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 247 Rdn. 14a; jeweils m.w.N.), berührt nicht den geltend gemachten absoluten Revisionsgrund, sondern die Pflicht zur Unterrichtung der aus der Hauptverhandlung entfernten Angeklagten. Auch insoweit wäre schon in Ermangelung eines in der Hauptverhandlung gestellten entsprechenden Antrags revisionsgerichtlich nichts zu erinnern.

b) Im Ansatz zutreffend rügen die Beschwerdeführer einzelne Verhaltensweisen von Ermittlungsbeamten bei der Befragung des Angeklagten B G als Beschuldigter im Ermittlungsverfahren.
aa) Nach den Feststellungen des Schwurgerichts erklärte B G wiederholt, keine Angaben zur Sache machen, sondern zunächst einen Verteidiger konsultieren zu wollen. Gleichwohl äußerte er sich bis zu seiner Vorführung in drei verschiedenen Situationen gegenüber drei Polizeibeamten zu einzelnen Sachverhaltsfragen:
Zum einen kam es zu einer Spontanäußerung über Schmauchspuren und zu der bei seiner Mutter gefundenen Pistole im Rahmen der erkennungsdienstlichen Behandlung. Im weiteren Verlauf der Nacht erklärte B G gegenüber dem Polizeibeamten KOK Ku nach erfolgter erneuter Belehrung, er wolle keine Aussage machen, es sei denn, sein Anwalt würde ihm dies empfehlen. Nachdem KOK Ku des ungeachtet fragte, ob sie während weiterer Wartezeit „miteinander sprechen“ könnten, erklärte sich B G bereit, sich mit dem Zeugen zu unterhalten, und berichtete anschließend von seinen persönlichen Verhältnissen und der Vorgeschichte der Tat. Der Zeuge Ku fragte nun nach, ob B G jetzt doch etwas zur Tat sagen wolle. Dieser wiederholte, dass er zur Tat selbst nichts sagen wolle , erklärte aber, dass „getan wurde, was getan werden musste“. Zudem wiederholte B G seine spontanen anfänglichen Angaben zu der bei seiner Mutter gefundenen Waffe.
Auf die ihm aktuell überbrachte neue Information, dass diese Waffe tatsächlich nicht die Tatwaffe sein konnte, fragte der Zeuge Ku den Angeklagten B G nach dem Verbleib der Tatwaffe und betonte dabei eine mögliche Gefährdung spielender Kinder. B G machte dazu deutlich , dass er zu diesem Punkt nichts sagen wolle. Auf weitere Fragen des Zeugen Ku zur Fahrstrecke von Reinhausen bis zur Festnahme machte B G hierzu Angaben. Deren förmliche Protokollierung lehnte er indes ab; statt dessen bat er darum, dass ein namentlich benannter Verteidiger von seiner Festnahme informiert werden sollte. Diese Bitte erfüllte der Zeuge Ku in der Folgezeit nicht.
Am Morgen des Folgetages sollte B G von dem Zeugen KK Be der Haftrichterin vorgeführt werden. Der Zeuge wusste, dass der Angeklagte B G noch ohne Kontakt zu dem benannten Verteidiger gewesen war und keine Angaben machen wollte. Gleichwohl suchte KK Be während der Wartezeit das Gespräch mit ihm. B G machte anschließend erneut Angaben zu seinen Lebensumständen und zur Vorgeschichte der Tat; schließlich erklärte er noch, dass H K ständig mit einem Anschlag auf sein Leben habe rechnen müssen, weil er angerufen und ihm die Möglichkeit eröffnet worden sei, er solle sich selbst erschießen. Vor der Haftrichterin schwieg B G wie auch in der Folgezeit. Erst gegen Ende der Hauptverhandlung hat er sich in einer vorbereitenden Erklärung leugnend zur Sache eingelassen und – wie der Angeklagte Has G – die Tötung einem nicht benannten vierten Familienmitglied angelastet.
bb) Bedenklich erscheint bereits die Frage an B G , ob man nicht „miteinander sprechen“ könne, nachdem sich der Angeklagte gerade nach Belehrung ausdrücklich auf sein Schweigerecht berufen und eventuelle Äußerungen von der vorherigen Konsultation eines Verteidigers abhängig gemacht hatte.
Durch dieses Verhalten könnte bei einem Beschuldigten der fehlerhafte Eindruck hervorgerufen werden (vgl. auch § 136a Abs. 1 Satz 1 StPO), ein solches bloßes „Gespräch“ unterscheide sich in seiner Verwertbarkeit von einer „förmlichen“ Vernehmung. Dass B G tatsächlich nicht in dieser Weise getäuscht wurde, ergibt sich indes aus seinem differenzierten Aussageverhalten; nach wie vor unterschied er genau, zu welchen Themen er etwas sagen wollte (insbesondere Tatvorgeschichte) und zu welchen nicht (konkrete Tatumstände).
Darüber hinaus kann stetiges Nachfragen ohne zureichenden Grund das Schweigerecht des unverteidigten Beschuldigten entwerten. Nachfragen sind nach ausdrücklicher Ausübung des Schweigerechts zwar dann gänzlich
unproblematisch, wenn – wie hier hinsichtlich der Tatwaffe und der davon ausgehenden Fremdgefährdung – neue Informationen erlangt werden, zu denen sich der Beschuldigte noch nicht positionieren konnte, eine neue prozessuale Situation eingetreten oder eine gewisse Zeitspanne verstrichen ist, in denen sich die Auffassung des Beschuldigten geändert haben kann. Jenseits solcher neuer Umstände oder eines möglichen Sinneswandels darf das Schweigerecht jedenfalls bei einem unverteidigten Beschuldigten nicht dadurch missachtet werden, dass beständig auf verschiedenen Wegen versucht wird, den Beschuldigten doch noch zu Angaben in der Sache zu bringen.
cc) Erst recht bedenklich sind beharrliche Nachfragen gegenüber einem Beschuldigten, der sich zur Frage einer Aussage zunächst mit einem von ihm benannten Verteidiger besprechen und bis dahin schweigen will, wenn die Benachrichtigung dieses Verteidigers unterbleibt.
Zwar sieht der Senat auch in Konstellationen wie der vorliegenden keinen Anlass für ein Innehalten mit einer Vernehmung des Beschuldigten bis zur Bestellung eines Pflichtverteidigers (vgl. BGHSt 47, 233, 235 ff.; vgl. aber auch BGHSt 47, 172, 176 ff.; BGH, Beschl. vom 18. und 19. Oktober 2005 – 1 StR 114/05 und 117/05). Der Wunsch des Beschuldigten nach Rücksprache mit seinem Verteidiger zur Erörterung der Frage, ob eine Einlassung erfolgen soll oder nicht, darf aber nicht durch ständige Nachfrage missachtet werden, ohne dass dem Wunsch nach Benachrichtigung eines benannten Verteidigers zuvor nachgekommen wird. Die Besprechung mit einem Verteidiger soll dem Beschuldigten die Möglichkeit eröffnen, sich in der für seine Verteidigung höchst bedeutsamen Frage, ob er aussagen will oder nicht, mit einem Verteidiger zu beraten (BGHSt 38, 372, 373). Bittet ein Beschuldigter, der seine Aussagebereitschaft an die vorherige Konsultation eines Verteidigers knüpft, ausdrücklich um Benachrichtigung eines benannten Verteidigers, darf nicht weiter in den Beschuldigten gedrungen werden, wenn die erbetene Benachrichtigung nicht erfolgt (vgl. auch BGHSt 42, 15,
19; 38, 372, 373 einerseits, BGHSt 42, 170, 171 f. andererseits). Das Schweigerecht des Beschuldigten würde missachtet, wenn – wie hier vor dem Haftrichtertermin – ein benannter Verteidiger nicht informiert, sondern stattdessen ein Beschuldigter ohne ergänzende Hinweise weiter befragt wird, obgleich er zuvor ausdrücklich erklärt hat, er wolle ohne vorherige Konsultation seines Verteidigers nichts sagen.
dd) Ob das danach im Ausgangspunkt zu Recht beanstandete Vorgehen der Ermittlungsbeamten nach entsprechendem Widerspruch in der Hauptverhandlung angesichts der differenzierten Reaktionen des befragten Beschuldigten, die für eine zutreffende Einschätzung der Verwertbarkeit seiner Äußerungen sprechen, zu einem Verwertungsverbot hinsichtlich der auf diese Weise erlangten Angaben führen würde und ob sich hierauf gegebenenfalls auch Mitbeschuldigte berufen könnten (vgl. dazu BGHR StPO § 136 Belehrung 5; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 136 Rdn. 20 m.w.N.), kann letztlich offen bleiben. Der Senat kann ausschließen, dass das Urteil auf diesen Angaben B G s im Ermittlungsverfahren beruht (§ 337 Abs. 1 StPO).
Die Angaben B G s hat das Schwurgericht lediglich an solchen Stellen der Beweisführung verwertet, die nichts mit der eigentlichen Tatbegehung zu tun haben oder in anderer Weise von B G oder anderen Zeugen hinreichend bestätigt wurden. Dass H K vom neben ihm sitzenden Beifahrer erschossen wurde, als B G den PKW seines Cousins führte, hat B G in der Hauptverhandlung selbst zugegeben. Diese Aussage korrespondiert mit weiteren Zeugenaussagen. Zur Widerlegung der gegen Ende der Hauptverhandlung erstmals vorgebrachten wenig detailreichen Angaben B und Has G s zu einem angeblichen vierten Familienmitglied, das unvorhersehbar spontan und ohne Billigung der übrigen Fahrzeuginsassen H K erschossen habe, und zur Überzeugungsbildung von der gemeinschaftlichen Tötung H K s unter Beteiligung von Han G hat das Schwurgericht nicht auf die Angaben
B G s im Ermittlungsverfahren, sondern auf mehrere Aussagen geschehensnaher Zeugen, das Spurenbild im PKW der Angeklagten, ihre Einlassungen in der Hauptverhandlung zum Tatgeschehen und die Feststellungen zur tatnahen Festnahme zurückgegriffen.
Dass die bei seiner Mutter gefundene Pistole ihm gehört, hat B G auch in seiner Einlassung in der Hauptverhandlung angegeben. Die weiteren Angaben B G s zur Vorgeschichte der Tat, zu seinen persönlichen Verhältnissen und zur Fahrstrecke waren, soweit die entsprechenden Feststellungen die Angeklagten überhaupt be- und nicht entlasten, angesichts weiterer Beweismittel für die Beweiswürdigung ersichtlich entbehrlich.
2. Die Sachrüge führt zur Aufhebung des Mordmerkmals der Heimtücke bei allen Angeklagten und zur Aufhebung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe bei den Angeklagten B und Han G .

a) Die Feststellungen des Schwurgerichts belegen eine heimtückische Tötung nicht.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung handelt heimtückisch, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist der Getötete dann, wenn er nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen, gar mit einem lebensbedrohlichen Angriff rechnet. Diese Arglosigkeit kann aus unterschiedlichen Gründen entfallen. Maßgeblich sind jeweils die Umstände des konkreten Falles (vgl. BGHSt 48, 207, 210 m.w.N.). Heimtückisch handelt nur, wer die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers zur Tat ausnutzt. Voraussetzung hierfür ist, dass der Täter sich bewusst ist, einen ahnungs- und schutzlosen Menschen zu überraschen, und dass er diese Situation in ihrer Bedeutung für die Tatausführung erkennt und nutzt (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 11).
bb) Nach diesen Kriterien hält die Annahme einer heimtückischen Tötung revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand:
H K rechnete seit geraumer Zeit ernsthaft und begründet mit einem Anschlag auf sein Leben. Deshalb hatte er seine Firma mit Verlust verkauft und war in ein anderes Bundesland umgezogen. Auch noch kurz vor der Tat war er stets misstrauisch und besorgt, wenn ihm in seiner Wohnumgebung fremde Fahrzeuge auffielen. Vor diesem ganz besonderen Hintergrund – einer wesentliche Teile des Lebens bestimmenden jahrelangen Angst vor einem tödlichen Anschlag – durfte sich das Landgericht hinsichtlich der festgestellten wiederholten und eindrücklichen Warnungen H K s durch seinen Sohn vor der Verfolgung durch einen fremden PKW unmittelbar vor der Tat nicht mit der Erwägung begnügen, aus seinen beschwichtigenden Äußerungen gegenüber seinem Sohn G ergebe sich, dass er selbst arglos gewesen sei. Denn dabei hat das Schwurgericht die nahe liegende Möglichkeit außer Acht gelassen (vgl. hierzu BGHSt 25, 365, 367), dass solche Beschwichtigungen gegenüber Kindern gerade auch von tatsächlich besorgten Eltern geäußert werden können, die ihre Kinder damit lediglich in Sicherheit wiegen und beruhigen wollen (vgl. Mosbacher NStZ 2005, 690, 691). In diesem Zusammenhang blieb zudem die Aussage G K s unberücksichtigt, wonach sein Vater mit erheblicher Geschwindigkeit unmittelbar vor die Haustür gefahren sei, um dort zunächst die Kinder mit der Aufforderung aussteigen zu lassen, schnell ins Haus zu laufen (UA S. 153); dies spricht dafür, dass H K die Kinder deshalb in Sicherheit bringen wollte, weil er die Gefahr erkannt hatte.
Bei Berücksichtigung dieser vom Schwurgericht vernachlässigten gewichtigen Umstände, die gegen die Annahme von Arglosigkeit sprechen, vermögen die tatrichterlichen Feststellungen zum Verhalten des Opfers unmittelbar vor Abgabe der tödlichen Schüsse – Abstellen des Fahrzeugs und Abziehen des Fahrzeugschlüssels – alleine die Annahme von Heimtücke nicht tragfähig zu belegen; solches Verhalten kann unter Berücksichtigung
der besonderen Umstände des vorliegenden Falls auch als nicht besonders überlegtes, eher kopfloses Verhalten eines angstbesetzten Verfolgten gesehen werden.
Abgesehen davon ist auch die subjektive Seite einer heimtückischen Tötung nicht rechtsfehlerfrei belegt. Die Angeklagten können nach den Feststellungen zu ihrer spontanen Verfolgungsfahrt vom Krankenhaus bis zum Wohnhaus ihres Opfers angesichts der Drohungen im Vorfeld kaum davon ausgegangen sein, dass diese Verfolgung unbemerkt und H K arglos geblieben ist.
Der Senat schließt angesichts der Gegebenheiten des vorliegenden Falls aus, dass weitergehende Feststellungen möglich sind, die zur tragfähigen Annahme von Heimtücke führen könnten; dieses Mordmerkmal hat demnach zu entfallen.

b) Bei den Angeklagten B und Han G begegnet auch die Annahme niedriger Beweggründe auf der Grundlage der landgerichtlichen Feststellungen durchgreifenden Bedenken. Der Verweis des Schwurgerichts auf das als niedrig zu bewertende Motiv der „Blutrache“ greift bei diesen Angeklagten zu kurz.
aa) Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat „niedrig“ sind, also nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen, mithin in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag als verwerflich und deshalb als besonders verachtenswert erscheinen, hat aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu erfolgen. Dabei ist der Maßstab für die Bewertung eines Beweggrundes den Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland und nicht den Anschauungen einer Volksgruppe , die die sittlichen und rechtlichen Werte dieser Rechtsgemeinschaft
nicht anerkennt, zu entnehmen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 41 m.w.N.; Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 211 Rdn. 14 ff.).
Gefühlsregungen wie Wut, Zorn, Ärger, Hass und Rachsucht kommen nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen, also nicht menschlich verständlich, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sind (st. Rspr., vgl. nur BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 16, 22, 23, 28, 30, 36; BGH NStZ 1995, 181; BGH StV 2001, 228, 229). Beruhen diese tatauslösenden und tatbestimmenden Gefühlsregungen dagegen auf dem (berechtigten) Gefühl erlittenen schweren Unrechts und entbehren sie damit nicht eines beachtlichen , jedenfalls einleuchtenden Grundes, spricht dies gegen eine Bewertung als „niedrig“ im Sinne der Mordqualifikation (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 18, 30, 32). Schwerwiegende Kränkungen durch das Opfer, die das Gemüt des Betroffenen immer wieder heftig bewegen , können sogar im Fall heimtückischer Tötung die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe unangebracht sein lassen (vgl. Großer Senat BGHSt 30, 105, 119; BGHR StGB § 211 Abs. 1 Strafmilderung 7).
bb) Eine Tötung aus dem Motiv der „Blutrache“ ist in aller Regel deshalb als besonders verwerflich und sozial rücksichtslos anzusehen, weil sich der Täter dabei seiner persönlichen Ehre und der Familienehre wegen gleichsam als Vollstrecker eines von ihm und seiner Familie gefällten Todesurteils über die Rechtsordnung und einen anderen Menschen erhebt (BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 29; Nehm in Festschrift für Albin Eser 2005 S. 419, 422 ff.; vgl. zu Tötungen aus „Blutrache“ auch BGH, Urt. vom 28. August 1979 – 1 StR 282/79; BGH, StV 1998, 130; BGH, Urt. vom 24. Juni 1998 – 3 StR 219/98; BGH, Beschl. vom 23. März 2004 – 4 StR 466/03 und 9/04). Ein niedriger Beweggrund wird in aller Regel in denjenigen Fällen von „Blutrache“ ohne weiteres anzunehmen sein, in denen allein die Verletzung eines Ehrenkodex als todeswürdig angesehen wird oder in denen ein Angehöriger einer Sippe als Vergeltung für das Verhalten eines anderen
Sippenangehörigen, an dem ihn keine persönliche Schuld trifft, getötet wird. Auch die Tötung als Vergeltung für ein als ehrenwidrig bewertetes Verhalten, das indes seinerseits nicht in der Tötung oder zumindest schweren Verletzung einer anderen Person bestand, wird regelmäßig als niedrig zu bewerten sein. Eine differenzierte Betrachtung ist hingegen insbesondere dann geboten , wenn mit der „Blutrache“ – wie hier – Vergeltung an jemandem geübt wird, der seinerseits nachvollziehbar als schuldig an der Tötung eines anderen Menschen erachtet wird.
Allgemein darf die Bezeichnung eines Motivs als „Blutrache“ nämlich nicht die notwendige differenzierte Betrachtung des tatsächlichen Geschehens ersetzen (vgl. Nehm in Festschrift für Albin Eser 2005 S. 419, 424). Bei allgemein motivierten Tötungsantrieben wie Wut, Zorn, Hass oder Verzweiflung kann die Gefahr bestehen, dass sie fälschlich einer mit Selbstverständlichkeit als niedrig zu bewertenden Blutrache zugeordnet werden, obgleich die Niedrigkeit am Maßstab der inländischen Werteordnung zu verneinen wäre (vgl. Nehm aaO).
Gerade bei dem Verlust naher Angehöriger durch eine Gewalttat sind rachemotivierte Tötungen nicht ohne weiteres als Mord aus niedrigen Beweggründen zu bewerten (BGH, Urt. vom 28. August 1979 – 1 StR 282/79; BGH StV 1998, 130; vgl. aber auch Schneider in MünchKomm StGB § 211 Rdn. 86 f.). Hat der Täter aus persönlichen Motiven aufgrund schwerer Kränkung durch Tötung eines ihm besonders nahe stehenden Angehörigen gehandelt , ist diese Form von „Selbstjustiz“ zwar keineswegs billigenswert (vgl. BGH StV 1998, 130; BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 28; BGHR StGB § 211 Abs. 1 Strafmilderung 7). Die Tat kann aber auch nicht nur deshalb als besonders verwerflich eingestuft werden, weil der Täter aus einem Kulturkreis stammt, in dem der Gesichtspunkt der „Blutrache“ bis heute relevant ist (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 211 Rdn. 14b). Es ist also danach zu differenzieren, ob der Angeklagte tatsächlich allein aus einem ersichtlich nicht billigenswerten Motiv der „Blutrache“, und damit aus niedri-
gen Beweggründen, oder aus einer besonderen Belastungssituation infolge des Verlustes seiner wesentlichen Bezugsperson bzw. aus ähnlichen, nicht per se niedrigen Motiven heraus gehandelt hat (vgl. BGH, Urt. vom 24. Juni 1998 – 3 StR 219/98).
cc) Ob ein durch Tötung naher Angehöriger zugefügtes Leid auch jenseits von Spontantaten (hierzu Schneider aaO Rdn. 87) derart erheblich ist, dass der Beweggrund insgesamt nicht mehr als besonders verwerflich und verachtenswert erscheint, kann nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls bestimmt werden. Maßstab sind insbesondere Gewicht und nähere Umstände der Vortat (vgl. BGH StV 1998, 130), u. U. deren strafjustizelle Aufarbeitung, Näheverhältnis zum Getöteten (vgl. § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO), Grad fortdauernder persönlicher Betroffenheit (vgl. hierzu auch BGH, Beschl. vom 23. März 2004 – 4 StR 466/03 und 9/04) und konkrete objektive Umstände der Tötung (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 1 Strafmilderung 7).
dd) Nach diesen Kriterien ist die Annahme niedriger Beweggründe bei den Angeklagten B und Han G nicht tragfähig begründet. B G ist der älteste Sohn des auf besonders niederträchtige Weise ermordeten Ham G und muss sich, seit er 20 Jahre alt ist, als Familienoberhaupt maßgeblich um seine Mutter und weitere fünf Geschwister kümmern. Er war – wie Han G – davon überzeugt, dass H K für diesen Anschlag verantwortlich war, weil dieser durch nachdrückliches Zureden Ham G erst dazu gebracht hatte, nach einer Versöhnungszeremonie zum späteren Tatort zu fahren. Trotz der inzwischen vergangenen Zeit war in der Familie des Ermordeten, die auch aufgrund dieser Tat bis jetzt in beengten wirtschaftlichen Verhältnissen zusammenlebt, der Schmerz über die Tat noch deutlich gegenwärtig: die Tötung Ham G s war ständiges Gesprächsthema und insbesondere Han G war davon noch stark emotional betroffen. Die Tat blieb bislang ungesühnt. Der konkrete Entschluss zur Tötung H K s entstand spontan aus der Situation eines zufälligen Treffens am Göttinger Krankenhaus. Angesichts dieser besonderen Umstän-
de entbehrt die Wertung des Landgerichts, auch die Angeklagten B und Han G hätten allein aus einem als niedrig anzusehenden Motiv der „Blutrache“ gehandelt, einer tragfähigen Grundlage.
Der Senat schließt aus, dass eine solche angesichts der bisherigen rechtsfehlerfreien Feststellungen noch gefunden werden könnte.

c) Anders verhält es sich allerdings mit dem Angeklagten Has G , der die tödlichen Schüsse auf H K abgegeben hat. Bei ihm hat das Schwurgericht – anders als bei den noch akut unter den Auswirkungen der Tötung Ham G s leidenden Han und B G – keine eigene besonders gravierende persönliche Betroffenheit durch den Tod seines Onkels festgestellt, die über die Verletzung der „Familienehre“ maßgeblich hinausgereicht hätte. Hierfür spricht nicht nur der im Vergleich zu Han und B G fernere Verwandtschaftsgrad zum Getöteten Ham G ; dabei handelt es sich um ein Kriterium, das auch nach Auffassung des Gesetzgebers bei der rechtlichen Bewertung der Betroffenheit von einem Tötungsdelikt erheblich ist (vgl. § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO). Hinzu kommt die räumliche Entfernung von der Familie des getöteten Ham G : Der Angeklagte Has G lebt seit Jahren in Niedersachsen, während die Familie von Ham G seit vielen Jahren im Saarland ansässig ist. In seiner wirtschaftlichen Existenz war der als Unternehmer erfolgreiche Angeklagte Has G ebenfalls nicht vom Tode Ham G s betroffen. Aufgrund dieser weit größeren räumlichen, familiären und wirtschaftlichen Distanz zum Tode Ham G s erscheint bei Has G das Verhältnis zwischen Anlass und Tat in deutlich weiter reichendem Maße als beim Totschlag verachtenswert und damit niedrig (vgl. auch BGH NStZ 2004, 34); (nur) bei ihm kommen diejenigen Gesichtspunkte zum Tragen, die das Motiv der „Blutrache“ in aller Regel als niedrigen Beweggrund kennzeichnen.
3. Die tatrichterliche Wertung, Han G habe eine Beihilfe zur Tötung H K s begangen, ist aus revisionsgerichtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
Das Schwurgericht hat seine Feststellung, die Angeklagte habe ihren Sohn und ihren Neffen bei der Tötung H K s zumindest psychisch unterstützt und hierdurch eine Beihilfe zu deren Tat geleistet, auf eine Gesamtschau aller wesentlichen Umstände gestützt. Auf eine aktive Beihilfehandlung durch mitbestimmenden Einfluss auf das Fahrtziel und den spontanen Tatplan konnte das Schwurgericht vor dem Hintergrund der engen familiären Verbundenheit aus dem besonderen Interesse der Angeklagten an einer Sühne der Ermordung ihres Ehemanns, aus der Tatsache, dass sie das vorherige Reiseziel (Besuch im Krankenhaus) wesentlich bestimmt hatte, und aus ihrem Verhalten bei der Verfolgung durch die Polizei (Verbergen einer Pistole ihres Sohnes am Körper) schließen. Diese Schlussfolgerung beruht auf einer tragfähigen rationalen Grundlage und ist im vorliegenden Fall nicht nur möglich, sondern naheliegend; sie ist vom Revisionsgericht hinzunehmen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Erwägungen des Schwurgerichts über die „Sitzposition“ der Angeklagten in diesem Zusammenhang für sich gesehen weniger überzeugen; die Angeklagte konnte angesichts des spontanen Verfolgungsentschlusses bei Fahrtantritt kaum davon ausgehen, dass H K gerade – wie später geschehen – auf der Beifahrerseite erschossen werde.

III.


Im Ergebnis hat der Wegfall eines Teils der vom Schwurgericht herangezogenen Mordmerkmale folgende Auswirkungen:
1. Nach Wegfall des Mordmerkmals der Heimtücke bleibt Has G wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt; B G ist dagegen als Mittäter des gemeinsam ins Werk ge-
setzten Tötungsgeschehens wegen Totschlags schuldig (vgl. auch BGHSt 36, 231). Die Angeklagte Han G hat eine Beihilfe zur gemeinschaftlichen Tötung von H K begangen, die sich für Has G als Mord aus niedrigen Beweggründen, für B G als Totschlag darstellt. Danach ist die Angeklagte Han G lediglich wegen einer Beihilfe zum Totschlag zu bestrafen.
Wegen Beihilfe zu einem vom Angeklagten Has G begangenen Mord könnte Han G allenfalls dann verurteilt werden, wenn sie als Gehilfin ihren Tatbeitrag in Kenntnis der niedrigen Beweggründe Has G s erbracht hätte (vgl. BGH NStZ 1996, 384, 385 m.w.N., insoweit in BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 33 nicht abgedruckt). Dass Han G selbst aus niedrigen Beweggründen gehandelt hat, schließt der Senat wie beim Angeklagten B G aus (s. o.). Die Feststellungen des Schwurgerichts legen zudem nahe, dass die in bäuerlichen Verhältnissen aufgewachsene, des Lesens und Schreibens nicht mächtige, kaum deutsch sprechende und deshalb ganz besonders in ihrem Kulturkreis verhaftete Angeklagte Han G die zur Niedrigkeit der Tötungshandlung des Has G führenden bestimmenden Wertungsgesichtspunkte in ihrem Bedeutungsgehalt geistig nicht nachvollziehen konnte. Auf dieser Grundlage lässt sich der notwendige Vorsatzbezug zum Mordmerkmal des Haupttäters letztlich nicht tragfähig begründen. Da weitergehende Feststellungen insoweit nicht zu erwarten sind, ändert der Senat den Schuldspruch auf Beihilfe zum Totschlag (§ 354 Abs. 1 StPO).
2. Deshalb kann dahinstehen, ob es sich bei den täterbezogenen Mordmerkmalen um strafschärfende besondere persönliche Merkmale im Sinne von § 28 Abs. 2 StGB und nicht um strafbegründende im Sinne von § 28 Abs. 1 StGB handelt:

a) Nach der bisherigen Rechtsprechung aller Strafsenate des Bundesgerichtshofs stehen Mord (§ 211 StGB) und Totschlag (§ 212 StGB) nicht
im Verhältnis von Grundtatbestand und Qualifikation zueinander, vielmehr bilden sie danach zwei selbständige Tatbestände (st. Rspr. seit BGHSt 1, 368; zuletzt ausführlich BGH NStZ 2005, 381 m.w.N.). Weil die Mordmerkmale des § 211 StGB nach dieser Auffassung die Strafbarkeit im Sinne von § 28 Abs. 1 StGB begründen, scheidet eine Anwendung von § 28 Abs. 2 StGB aus. Für den Schuldspruch des Teilnehmers kommt es demnach nicht auf seinen Tatbeitrag, sondern zunächst darauf an, ob der Haupttäter Mordmerkmale verwirklicht oder nicht. Bei täterbezogenen Mordmerkmalen wie den vorliegend in Rede stehenden niedrigen Beweggründen ist nach der bisherigen Rechtsprechung ein Schuldspruch wegen Beihilfe zum Mord auch dann geboten, wenn der Teilnehmer selbst kein derartiges Mordmerkmal verwirklicht, solange er hinsichtlich der niedrigen Beweggründe des anderen Teils vorsätzlich handelt. Dem Teilnehmer kommt in diesen Fällen allerdings die Strafrahmenverschiebung nach § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB zugute.

b) Demgegenüber versteht die Gegenauffassung (soweit ersichtlich ausnahmslos die gesamte Literatur, vgl. nur Eser in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. Vor §§ 211 ff. Rdn. 3; Jähnke in LK 11. Aufl. Vor § 211 Rdn. 39; Lackner/Kühl, StGB 25. Aufl. Vor § 211 Rdn. 22; Schneider in MünchKomm Vor §§ 211 ff. Rdn. 135 ff.; je m.w.N.) das Verhältnis zwischen den Tatbeständen Mord und Totschlag als Verhältnis von Qualifikation und Grunddelikt. Die täterbezogenen Mordmerkmale sind demnach nicht strafbegründend im Sinne von § 28 Abs. 1 StGB, sondern strafschärfend gemäß § 28 Abs. 2 StGB. Dies hat zur Folge, dass der Teilnehmer, der selbst kein Mordmerkmal erfüllt, bei einem täterbezogenen Mordmerkmal des Haupttäters wie dem Handeln aus niedrigen Beweggründen nur wegen Teilnahme zum Totschlag schuldig gesprochen werden kann; seine Strafe ist in diesem Fall dem – ggf. nach § 27 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten – Strafrahmen des § 212 StGB zu entnehmen.

c) Der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Verhältnis von Mord und Totschlag werden gewichtige Argumente entgegen-
gehalten: Sie führe zu schwer überbrückbaren Wertungswidersprüchen und unausgewogenen Ergebnissen, widerspreche der sonst üblichen Systematik und sei unnötig kompliziert (vgl. zuletzt nur Puppe, JZ 2005, 902 ff.; Jäger JR 2005, 477, 479 f.; ausführlich etwa Küper JZ 1991, 761 ff., 862 ff. und 910 ff.; Schneider in MünchKomm Vor §§ 211 ff. Rdn. 138 ff.; je m.w.N.; vgl. aus der Rechtsprechung nur: BGHSt 6, 329 und 36, 231 [Mittäterschaft]; BGHSt 23, 39 [gekreuzte Mordmerkmale]; BGH NStZ 2006, 34, und BGH, Urteil vom 24. November 2005 – 4 StR 243/05 [Sperrwirkung der Strafrahmenuntergrenze für Beihilfe zum Totschlag]).
Probleme der bisherigen Rechtsprechung werden am vorliegenden Fall besonders anschaulich: Die gemeinschaftlich durch Has und B G begangene Tötung H K s kann schwerlich als Verwirklichung zweierlei verschiedenen Unrechts und zweier selbständiger Tatbestände verstanden werden, sondern stellt sich als ein Tötungsunrecht im Sinne von § 212 StGB dar, zu dem lediglich bei einem der Täter mit dem Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe besonders erschwerende persönliche Umstände (vgl. § 28 Abs. 2 StGB) hinzukommen; ein solches Verhältnis entspricht nach der üblichen Systematik demjenigen zwischen Grunddelikt und Qualifikation. Dies wird besonders deutlich, wenn es um die Bewertung des Tatbeitrags von Han G geht: Ihre Unterstützung der gemeinschaftlichen Tötung H K s lässt sich nicht künstlich in eine objektive Beihilfe zum Mord durch Has G und eine (hierzu tateinheitliche) objektive Beihilfe zum Totschlag durch B G aufspalten.

IV.


Wegen der neuen Schuldsprüche bedarf die Bemessung der Strafen für B und Han G für das Tötungsdelikt und die Beihilfe hierzu erneuter schwurgerichtlicher Prüfung auf der Grundlage der bisherigen rechtsfehlerfreien Feststellungen. Der neue Tatrichter wird hierzu allenfalls solche ergänzenden Feststellungen treffen können, die den bisherigen nicht widersprechen.
Harms Häger Basdorf
Gerhardt Raum

(1) Bei Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen. Möchte der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger befragen, sind ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren. Auf bestehende anwaltliche Notdienste ist dabei hinzuweisen. Er ist ferner darüber zu belehren, daß er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen und unter den Voraussetzungen des § 140 die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Maßgabe des § 141 Absatz 1 und des § 142 Absatz 1 beantragen kann; zu Letzterem ist er dabei auf die Kostenfolge des § 465 hinzuweisen. In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf, dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.

(2) Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen.

(3) Bei der Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf die Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen.

(4) Die Vernehmung des Beschuldigten kann in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Sie ist aufzuzeichnen, wenn

1.
dem Verfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen oder
2.
die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können.
§ 58a Absatz 2 gilt entsprechend.

(5) § 58b gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 170/09
vom
9. Juni 2009
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
Zur Belehrungspflicht bei sog. Spontanäußerungen eines Verdächtigen
BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 – 4 StR 170/09 – LG Paderborn
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 9. Juni 2009 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 19. Dezember 2008 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass von der Strafe ein Jahr und drei Monate vor der Unterbringung zu vollziehen sind. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Der Erörterung bedarf lediglich die Verfahrensrüge, soweit die Revision mit ihr beanstandet, die Strafkammer habe Angaben des Angeklagten gegenüber der Polizei, insbesondere solche aus Anlass seiner Vernehmung am 22. August 2008, verwertet, ohne dass dieser gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO belehrt worden sei.
3
1. Die Revision trägt hierzu folgenden Verfahrensablauf vor:
4
Noch in der Tatnacht habe der Angeklagte in Begleitung seiner Ehefrau die Polizeiwache in D. aufgesucht, um sich zu stellen. Ohne vorherige Belehrung über seine Rechte als Beschuldigter habe er die Tat zugegeben, woraufhin er wegen des dringenden Verdachts eines Tötungsdelikts vorläufig festgenommen worden sei. Er sei dann mit einem Polizei-Pkw zur Kreispolizeibehörde in H. gebracht worden und habe auf der Fahrt gegenüber den Polizeibeamten Einzelheiten des Tatgeschehens geschildert. Erst dort seien ihm nach ärztlicher Feststellung seiner Vernehmungsfähigkeit von den Kriminalbeamten L. und R. unter erneuter Eröffnung des Tatvorwurfs seine Rechte als Beschuldigter erläutert worden. Der Angeklagte habe daraufhin erklärt, den Polizeibeamten doch schon alles gesagt zu haben; er wolle jetzt keine Aussage mehr machen, sondern alles über seinen Anwalt regeln. Von dem Kriminalbeamten L. sinngemäß darauf hingewiesen, eine mögliche Aussage könne auch seiner Entlastung dienen und entlastende Angaben könnten bei der - zum damaligen Zeitpunkt noch andauernden - Spurensuche am Tatort berücksichtigt werden, habe der Angeklagte geäußert, dann könne er auch jetzt einfach alles erzählen. Die umfangreichen Angaben des Angeklagten wurden sodann von den vernehmenden Beamten in einem Vermerk niedergelegt.
5
Das Landgericht hat die Einlassung des Angeklagten, er habe den Geschädigten zu keinem Zeitpunkt lebensbedrohlich verletzen wollen, sondern sich lediglich gegen dessen Schläge und Tritte gewehrt, als widerlegt angesehen. Seine Überzeugung, der Angeklagte habe mit seinem Messer zielgerichtet und deshalb zumindest mit bedingtem Tötungsvorsatz auf den Oberkörper des Geschädigten eingestochen, hat es auch auf die Bekundungen der in der Hauptverhandlung vernommenen Kriminalbeamtin R. gestützt. Diese hat in der Hauptverhandlung u.a. über die in ihrem Vermerk niedergelegten Angaben des Angeklagten vom 22. August 2008 ausgesagt. Insoweit hat der Angeklagte der Vernehmung widersprochen und einen Gerichtsbeschluss herbeigeführt.
6
2. Allerdings hätte der Angeklagte, wie die Revision zutreffend ausführt, nicht erst durch die Kriminalbeamten L. und R. , sondern schon zu einem früheren Zeitpunkt gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO belehrt werden müssen.
7
Gegen die Verwertung der Aussage der Kriminalbeamtin R. auch hinsichtlich der Angaben des Angeklagten in der Beschuldigtenvernehmung vom 22. August 2008 bestehen keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
8
a) Die Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO soll sicherstellen, dass ein Beschuldigter nicht im Glauben an eine vermeintliche Aussagepflicht Angaben macht und sich damit unfreiwillig selbst belastet (vgl. BGHSt [GS] 42, 139, 147; BayObLG NStZ-RR 2001, 49, 51). Für den Fall der von einem Polizeibeamten durchgeführten Befragung von Auskunftspersonen ist nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum einen die Stärke des Tatverdachts , den der Beamte gegenüber dem Befragten hegt, bedeutsam für die Entscheidung, von welchem Zeitpunkt an die Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO erforderlich ist (BGHSt 38, 214, 227 f.). Hierbei hat der Beamte einen Beurteilungsspielraum, den er freilich nicht mit dem Ziel missbrauchen darf, den Zeitpunkt der erforderlichen Belehrung möglichst weit hinauszuschieben (BGH aaO; vgl. auch BGH NStZ 1983, 86). Daneben ist zum anderen von Bedeutung, wie sich das Verhalten des Beamten aus Sicht des Befragten darstellt. Polizeiliche Verhaltensweisen wie die Mitnahme eines Befragten zur Polizeiwache, die Durchsuchung seiner Wohnung oder seine vorläufige Festnahme belegen dabei schon ihrem äußeren Befund nach, dass der Polizeibeamte dem Befragten als Beschuldigten begegnet, mag er dies auch nicht zum Ausdruck bringen (BGHSt 38, 214, 228; 51, 367, 370 f.).
9
Ob die vorstehend dargelegten Grundsätze ohne Einschränkung auch dann gelten, wenn der Polizeibeamte keine gezielte Befragung durchführt, sondern lediglich passiv spontane Äußerungen eines Dritten entgegennimmt, mit denen sich dieser selbst belastet, ist in der Rechtsprechung bislang nicht abschließend geklärt. Eine Verwertbarkeit solcher Äußerungen trotz fehlender Belehrung über die Beschuldigtenrechte wird in der Regel für zulässig gehalten, wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Belehrungspflichten nach § 136 Abs. 1 Satz 2, 163 a Abs. 2 Satz 2 StPO gezielt umgangen wurden, um den Betroffenen zu einer Selbstbelastung zu verleiten (BGH NStZ 1983, 86; BGH NJW 1990, 461; vgl. auch BayObLG aaO; OLG Oldenburg NStZ 1995, 412; Gleß in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 136 a Rn. 16; Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 136 a Rn. 4).
10
b) Dieses erschiene jedoch zumindest dann bedenklich, wenn sich - wie hier von der Verteidigung behauptet - Polizeibeamte von einem Tatverdächtigen nach pauschalem Geständnis einer schweren Straftat und der unmittelbar darauf erfolgten Festnahme über eine beträchtliche Zeitspanne Einzelheiten der Tat berichten ließen, ohne den von ihnen ersichtlich als Beschuldigten behandelten Täter auf sein Aussageverweigerungsrecht hinzuweisen. Ein solches Verhalten käme einer gezielten Umgehung zumindest äußerst nahe.
11
Einer näheren Aufklärung des Verhaltens der Polizeibeamten im Freibeweisverfahren bedarf es jedoch nicht, da das Urteil auf einem etwaigen Verfahrensverstoß nicht beruht. Die Angaben des Angeklagten gegenüber den Poli- zeibeamten bis zu seiner Ankunft in der Kreispolizeibehörde H. hat das Landgericht der Urteilsfindung nicht zu Grunde gelegt.
12
3. Gegen die Verwertung der Aussage der Zeugin R. bestehen zumindest im Ergebnis keine Bedenken.
13
a) Zwar hätte der Angeklagte - den Verfahrensverstoß unterstellt - zu Beginn seiner Beschuldigtenvernehmung durch die Kriminalbeamten L. und R. am 22. August 2008 zusammen mit der Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO darauf hingewiesen werden müssen, dass wegen der bis dahin unterbliebenen Belehrung die zuvor gemachten Angaben unverwertbar seien (sog. qualifizierte Belehrung; vgl. BGH StV 2007, 450, 452, insoweit in BGHSt 51, 369 nicht abgedruckt; Senatsbeschluss NStZ 2009, 281). Daraus, dass dies nicht geschehen ist, würde jedoch nicht ohne Weiteres folgen, dass auch die Angaben, die der Angeklagte nach erfolgter Belehrung über seine Rechte als Beschuldigter gegenüber den beiden Vernehmungsbeamten gemacht hat, einem Beweiserhebungs- und Verwertungsverbot unterlagen. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs soll die in einem solchen Fall erforderliche (qualifizierte) Belehrung verhindern, dass ein Beschuldigter auf sein Aussageverweigerungsrecht nur deshalb verzichtet, weil er möglicherweise glaubt, eine frühere, unter Verstoß gegen die Belehrungspflicht aus § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO zustande gekommene Selbstbelastung nicht mehr aus der Welt schaffen zu können. Da der Verstoß gegen die Pflicht zur qualifizierten Belehrung nicht dasselbe Gewicht wie der Verstoß gegen die Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO hat, ist in einem solchen Fall die Verwertbarkeit der weiteren Aussagen nach erfolgter Beschuldigtenbelehrung durch Abwägung im Einzelfall zu ermitteln (BGH StV 2007, 450, 452; Senatsbeschluss aaO). Die Abwägung ist unter Berücksichtigung des Interesses an der Sachaufklärung einerseits sowie des Gewichts des Verfahrensverstoßes andererseits vorzunehmen (Senatsbeschluss aaO m.w.Nachw.). Sie ergibt hier, dass das Landgericht an einer Verwertung nicht gehindert war.
14
b) Eine bewusste Umgehung der Belehrungspflichten auf der Polizeiwache in D. sowie auf dem Transport des Angeklagten nach H. ist nicht ersichtlich und wird auch von der Revision nicht behauptet. Es spricht auch nichts dafür, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Belehrung über seine Rechte als Beschuldigter annahm, er könne von seinen Angaben gegenüber den im Polizei-Pkw anwesenden Beamten nicht mehr abrücken. Die anfänglich fehlende Aussagebereitschaft des Angeklagten sowie sein Hinweis auf die von ihm gewünschte Einschaltung eines Rechtsanwalts sind für eine solche Annahme ebenso wenig tragfähig wie seine Bemerkung, "dann könne er auch alles erzählen". Vielmehr rechtfertigt das von der Revision mitgeteilte Verfahrensgeschehen die Annahme des Landgerichts, wonach die Vernehmungsbeamten dieser Äußerung des Angeklagten dessen freiwilligen Entschluss entnehmen durften, nunmehr umfassend auszusagen.
15
Zu einer solchen Aussage ist der Angeklagte auch nicht in unzulässiger Weise gedrängt worden. Weder die Strafprozessordnung noch der verfassungsrechtlich verankerte Grundsatz eines fairen Verfahrens verbieten es, eine Vernehmung im Anschluss an eine anfängliche Aussageverweigerung fortzusetzen, solange nicht mit verbotenen Mitteln auf die Willensfreiheit des zu Vernehmenden und die Durchsetzbarkeit seines Aussageverweigerungsrechts eingewirkt wird (BGHSt 42, 170). Solche Mittel haben die Vernehmungsbeamten nicht eingesetzt. Die Bemerkung des Kriminalbeamten L. zur möglicherweise entlastenden Wirkung einer Aussage, verbunden mit dem Hinweis auf die Möglichkeit der Verifikation von Einzelheiten während der noch andauernden Spurensuche am Tatort, stellte ersichtlich keine Irreführung dar. Es handelte sich vielmehr um einen neutralen, nach Lage der Dinge zumindest nicht fern liegenden Hinweis auf die möglichen Nachteile des Schweigens. Der Angeklagte, der sich einem schweren Tatvorwurf ausgesetzt sah, war so in der Lage, die möglichen Vorteile einer Verteidigung durch Einlassung zur Sache zu erfassen und zwischen Aussage und Schweigen eine informierte Entscheidung zu treffen (vgl. dazu Gleß in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 136 Rn. 34).
Tepperwien Athing Solin-Stojanović
Ernemann Franke

(1) Bei Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen. Möchte der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger befragen, sind ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren. Auf bestehende anwaltliche Notdienste ist dabei hinzuweisen. Er ist ferner darüber zu belehren, daß er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen und unter den Voraussetzungen des § 140 die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Maßgabe des § 141 Absatz 1 und des § 142 Absatz 1 beantragen kann; zu Letzterem ist er dabei auf die Kostenfolge des § 465 hinzuweisen. In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf, dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.

(2) Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen.

(3) Bei der Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf die Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen.

(4) Die Vernehmung des Beschuldigten kann in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Sie ist aufzuzeichnen, wenn

1.
dem Verfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen oder
2.
die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können.
§ 58a Absatz 2 gilt entsprechend.

(5) § 58b gilt entsprechend.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
1. Das Motiv der "Blutrache" ist regelmäßig als niedriger Beweggrund anzusehen.
Eine Ausnahme kann gelten, wenn dem Täter seinerseits durch
das Opfer mit der Tötung eines nahen Angehörigen erhebliches Leid
zugefügt wurde, das ihn zur Tatzeit noch gravierend belastete.
2. Zur Problematik wiederholten Nachfragens bei einem unverteidigten Angeklagten
, der sich auf sein Schweigerecht beruft und seine Aussagebereitschaft
von einer vorherigen Besprechung mit seinem Verteidiger abhängig
macht.
BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 – 5 StR 341/05 – LG Göttingen –

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 10. Januar 2006
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Mordes u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Januar 2006

beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten B und Han G wird das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 18. Januar 2005 nach § 349 Abs. 4 StPO
a) im Schuldspruch dahingehend abgeändert, aa) dass der Angeklagte B G wegen Totschlags und bb) die Angeklagte Han G im Fall A II 4 der Urteilsgründe wegen Beihilfe zum Totschlag verurteiltist,
b) im Strafausspruch betreffend dieser Angeklagten aufgehoben ; hiervon ausgenommen ist die gegen Han G im Fall A II 5 der Urteilsgründe (Waffendelikt) verhängte Einzelfreiheitsstrafe.
2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten B und Han G sowie die Revision des Angeklagten Has G gegen das genannte Urteil werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Der Angeklagte Has G trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die dadurch entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenkläger.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Angeklagten B und Han G , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Schwurgericht hat die Angeklagten B G und Has G jeweils wegen (gemeinschaftlichen) Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Gegen die Angeklagte Han G hat es wegen Beihilfe zum Mord und wegen unerlaubten Besitzes und Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und zwei Monaten verhängt (Einzelfreiheitsstrafen: sechs Jahre, sechs Monate). Zudem sind ein PKW und verschiedene Waffenteile eingezogen worden; den Angeklagten B und Has G ist jeweils die Fahrerlaubnis – bei einer Sperrfrist von zwei Jahren – entzogen worden. Die Revisionen der Angeklagten B und Han G haben den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg ; im Übrigen sind die Rechtsmittel dieser Angeklagten ebenso unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO) wie die Revision des Angeklagten Has G insgesamt.

I.


Das Schwurgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Ursprung des abgeurteilten Geschehens, der Tötung des H K im Sommer 2003, war ein bislang ungesühntes Tötungsdelikt an Ham G , Ehemann der Han G , Vater des B G und Onkel des Has G . Ham G war im Sommer 1998 nach einer erfolgreichen Versöhnung zwischen den Familien K und G hinterrücks in seinem Auto
erschossen worden, als er gerade – herzlich verabschiedet – vom Haus des H K aufbrach. Zum Tatort war Ham G im Anschluss an das eigentliche Versöhnungstreffen, bei dem das geistliche Oberhaupt der in Deutschland ansässigen Y mitwirkte, zu deren Religionsgemeinschaft beide aus dem türkischen Kurdengebiet stammenden Familien gehören, nur auf den nachdrücklichen Wunsch des H K gekommen. Die Angeklagten vermuteten deshalb, dieser sei der eigentliche Drahtzieher der aus ihrer Sicht besonders niederträchtigen Tötung ihres Verwandten. Diese Tat ist bis heute von der saarländischen Justiz noch nicht aufgeklärt. Nachdem zunächst ein – offensichtlich bewusst vorgeschickter – Jugendlicher die Tat zu Unrecht auf sich genommen hatte und freigesprochen wurde, ist die Sache nach neuerlicher Eröffnung des Hauptverfahrens im Mai 2001 gegen andere Mitglieder der Familie K (darunter allerdings nicht H K ) bis zur Verkündung des angegriffenen Urteils noch nicht terminiert worden. Die als Nebenkläger an jenem Verfahren beteiligten Angehörigen des Getöteten Ham G waren über die fehlende Sühne der Tat zunehmend enttäuscht und fühlten sich von den Behörden im Stich gelassen.
H K lebte seit der Tötung Ham G s mit seiner Familie in steter Furcht vor Racheakten der Familie G : Er wandte sich aus Angst vor Nachstellungen wiederholt an die Polizei, legte dort Aufzeichnungen über eingegangene Drohanrufe vor, beanspruchte Polizeischutz, veräußerte schließlich alsbald nach der Tötung Ham G s seinen Betrieb und siedelte aus Sicherheitsgründen vom Saarland in den Raum Göttingen um. Dort fühlte er sich jedoch ebenfalls beobachtet und verfolgt; er ließ häufig Kennzeichen fremder Fahrzeuge von der Polizei überprüfen und erstattete Anzeige, wenn unbekannte Personen nach seiner Auffassung sein Haus beobachteten. Letztmalig berichtete H K seiner Familie aufgeregt zwei bis drei Wochen vor seiner Tötung, dass ihm ein Fahrzeug mit auffälligem Kennzeichen entgegengekommen sei; den PKW ordnete er der Familie G zu.
Am Tattag wurde H K unmittelbar vor dem eigentlichen Tatgeschehen auf der gesamten Fahrt in seinem PKW von einem Göttinger Krankenhaus, wo er seine Ehefrau besucht hatte, zu seinem Wohnhaus in Reinhausen von den Angeklagten im PKW des Has G verfolgt; B G steuerte dieses Fahrzeug. Aufgrund von Angaben zuvor besuchter Bekannter wähnten die Angeklagten H K auf einem mehrtägigen Besuch in einer anderen Stadt; sie wollten diese Gelegenheit dazu nutzen, die Ehefrau H K s bei einem Krankenhausbesuch durch Han G über den Hintergrund der Tötung Ham G s auszuhorchen. Am Krankenhaus erkannten die Angeklagten zufällig den ihnen verhassten H K ; sie entschlossen sich spontan, die günstige Gelegenheit zu seiner Verfolgung und Tötung zu nutzen. G K , der neunjährige Sohn H K s, der den Vater zusammen mit dessen fünfjähriger Enkelin zu dem Krankenbesuch der Mutter begleitet hatte, machte seinen Vater auf der Rückfahrt mehrfach auf ein ihnen folgendes Fahrzeug aufmerksam. Er wies auch darauf hin, dass der verfolgende PKW sogar rote Ampeln überfahre, um hinter ihnen zu bleiben. H K ließ seine beiden Kinder direkt vor der Tür seines Hauses aussteigen und parkte seinen PKW nach einem Wendemanöver auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Noch während er sich im Fahrzeug befand, wurde er aus dem PKW der Angeklagten heraus von Has G erschossen. Dieser saß auf der Beifahrerseite; hinter ihm saß die Angeklagte Han G . Aufgrund mehrerer Zeugenaussagen wurden die Angeklagten nach kurzer Flucht zeitnah zur Tat festgenommen. Während sie die eigentliche Tatwaffe zerlegt aus dem Fenster geworfen hatten, verbarg Han G bei ihrer Festnahme am Körper eine weitere scharfe Pistole ihres Sohnes B .
Das Landgericht hat die Tötung H K s als gemeinschaftlichen heimtückischen Mord aus niedrigen Beweggründen bewertet; die Angeklagten hätten aus dem Motiv der „Blutrache“ gehandelt, was auf moralisch tiefster Stufe stehe.

II.

Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg, während die Sachrügen zum Wegfall des Mordmerkmals der Heimtücke bei allen Angeklagten und zusätzlich des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe bei B und Han G führen. 1. Zu den verfahrensrechtlichen Beanstandungen sieht der Senat über die Ausführungen des Generalbundesanwalts hinaus Anlass zu folgenden Bemerkungen:
a) Die Rüge, bei der Vernehmung des neunjährigen Zeugen G K über die von ihm wahrgenommenen Umstände der Tötung seines Vaters H K hätten die nach § 247 Satz 2 Alt. 1 StPO ausgeschlossenen Angeklagten wieder zugelassen werden müssen, weil dies der Zeuge gewünscht habe, geht fehl. Über die Frage, ob von der Vernehmung in Anwesenheit der Angeklagten ein erheblicher Nachteil für das Wohl eines kindlichen Zeugen zu befürchten ist, hat das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen, nicht der kindliche Zeuge zu entscheiden. Rechtsfehler lässt die Entscheidung des Landgerichts nicht erkennen.
Dass das Schwurgericht den Angeklagten nicht die Möglichkeit eingeräumt hat, die Vernehmung durch eine Videosimultanübertragung mitzuverfolgen (vgl. hierzu BGHR StPO § 247 Abwesenheit 25; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 247 Rdn. 14a; jeweils m.w.N.), berührt nicht den geltend gemachten absoluten Revisionsgrund, sondern die Pflicht zur Unterrichtung der aus der Hauptverhandlung entfernten Angeklagten. Auch insoweit wäre schon in Ermangelung eines in der Hauptverhandlung gestellten entsprechenden Antrags revisionsgerichtlich nichts zu erinnern.

b) Im Ansatz zutreffend rügen die Beschwerdeführer einzelne Verhaltensweisen von Ermittlungsbeamten bei der Befragung des Angeklagten B G als Beschuldigter im Ermittlungsverfahren.
aa) Nach den Feststellungen des Schwurgerichts erklärte B G wiederholt, keine Angaben zur Sache machen, sondern zunächst einen Verteidiger konsultieren zu wollen. Gleichwohl äußerte er sich bis zu seiner Vorführung in drei verschiedenen Situationen gegenüber drei Polizeibeamten zu einzelnen Sachverhaltsfragen:
Zum einen kam es zu einer Spontanäußerung über Schmauchspuren und zu der bei seiner Mutter gefundenen Pistole im Rahmen der erkennungsdienstlichen Behandlung. Im weiteren Verlauf der Nacht erklärte B G gegenüber dem Polizeibeamten KOK Ku nach erfolgter erneuter Belehrung, er wolle keine Aussage machen, es sei denn, sein Anwalt würde ihm dies empfehlen. Nachdem KOK Ku des ungeachtet fragte, ob sie während weiterer Wartezeit „miteinander sprechen“ könnten, erklärte sich B G bereit, sich mit dem Zeugen zu unterhalten, und berichtete anschließend von seinen persönlichen Verhältnissen und der Vorgeschichte der Tat. Der Zeuge Ku fragte nun nach, ob B G jetzt doch etwas zur Tat sagen wolle. Dieser wiederholte, dass er zur Tat selbst nichts sagen wolle , erklärte aber, dass „getan wurde, was getan werden musste“. Zudem wiederholte B G seine spontanen anfänglichen Angaben zu der bei seiner Mutter gefundenen Waffe.
Auf die ihm aktuell überbrachte neue Information, dass diese Waffe tatsächlich nicht die Tatwaffe sein konnte, fragte der Zeuge Ku den Angeklagten B G nach dem Verbleib der Tatwaffe und betonte dabei eine mögliche Gefährdung spielender Kinder. B G machte dazu deutlich , dass er zu diesem Punkt nichts sagen wolle. Auf weitere Fragen des Zeugen Ku zur Fahrstrecke von Reinhausen bis zur Festnahme machte B G hierzu Angaben. Deren förmliche Protokollierung lehnte er indes ab; statt dessen bat er darum, dass ein namentlich benannter Verteidiger von seiner Festnahme informiert werden sollte. Diese Bitte erfüllte der Zeuge Ku in der Folgezeit nicht.
Am Morgen des Folgetages sollte B G von dem Zeugen KK Be der Haftrichterin vorgeführt werden. Der Zeuge wusste, dass der Angeklagte B G noch ohne Kontakt zu dem benannten Verteidiger gewesen war und keine Angaben machen wollte. Gleichwohl suchte KK Be während der Wartezeit das Gespräch mit ihm. B G machte anschließend erneut Angaben zu seinen Lebensumständen und zur Vorgeschichte der Tat; schließlich erklärte er noch, dass H K ständig mit einem Anschlag auf sein Leben habe rechnen müssen, weil er angerufen und ihm die Möglichkeit eröffnet worden sei, er solle sich selbst erschießen. Vor der Haftrichterin schwieg B G wie auch in der Folgezeit. Erst gegen Ende der Hauptverhandlung hat er sich in einer vorbereitenden Erklärung leugnend zur Sache eingelassen und – wie der Angeklagte Has G – die Tötung einem nicht benannten vierten Familienmitglied angelastet.
bb) Bedenklich erscheint bereits die Frage an B G , ob man nicht „miteinander sprechen“ könne, nachdem sich der Angeklagte gerade nach Belehrung ausdrücklich auf sein Schweigerecht berufen und eventuelle Äußerungen von der vorherigen Konsultation eines Verteidigers abhängig gemacht hatte.
Durch dieses Verhalten könnte bei einem Beschuldigten der fehlerhafte Eindruck hervorgerufen werden (vgl. auch § 136a Abs. 1 Satz 1 StPO), ein solches bloßes „Gespräch“ unterscheide sich in seiner Verwertbarkeit von einer „förmlichen“ Vernehmung. Dass B G tatsächlich nicht in dieser Weise getäuscht wurde, ergibt sich indes aus seinem differenzierten Aussageverhalten; nach wie vor unterschied er genau, zu welchen Themen er etwas sagen wollte (insbesondere Tatvorgeschichte) und zu welchen nicht (konkrete Tatumstände).
Darüber hinaus kann stetiges Nachfragen ohne zureichenden Grund das Schweigerecht des unverteidigten Beschuldigten entwerten. Nachfragen sind nach ausdrücklicher Ausübung des Schweigerechts zwar dann gänzlich
unproblematisch, wenn – wie hier hinsichtlich der Tatwaffe und der davon ausgehenden Fremdgefährdung – neue Informationen erlangt werden, zu denen sich der Beschuldigte noch nicht positionieren konnte, eine neue prozessuale Situation eingetreten oder eine gewisse Zeitspanne verstrichen ist, in denen sich die Auffassung des Beschuldigten geändert haben kann. Jenseits solcher neuer Umstände oder eines möglichen Sinneswandels darf das Schweigerecht jedenfalls bei einem unverteidigten Beschuldigten nicht dadurch missachtet werden, dass beständig auf verschiedenen Wegen versucht wird, den Beschuldigten doch noch zu Angaben in der Sache zu bringen.
cc) Erst recht bedenklich sind beharrliche Nachfragen gegenüber einem Beschuldigten, der sich zur Frage einer Aussage zunächst mit einem von ihm benannten Verteidiger besprechen und bis dahin schweigen will, wenn die Benachrichtigung dieses Verteidigers unterbleibt.
Zwar sieht der Senat auch in Konstellationen wie der vorliegenden keinen Anlass für ein Innehalten mit einer Vernehmung des Beschuldigten bis zur Bestellung eines Pflichtverteidigers (vgl. BGHSt 47, 233, 235 ff.; vgl. aber auch BGHSt 47, 172, 176 ff.; BGH, Beschl. vom 18. und 19. Oktober 2005 – 1 StR 114/05 und 117/05). Der Wunsch des Beschuldigten nach Rücksprache mit seinem Verteidiger zur Erörterung der Frage, ob eine Einlassung erfolgen soll oder nicht, darf aber nicht durch ständige Nachfrage missachtet werden, ohne dass dem Wunsch nach Benachrichtigung eines benannten Verteidigers zuvor nachgekommen wird. Die Besprechung mit einem Verteidiger soll dem Beschuldigten die Möglichkeit eröffnen, sich in der für seine Verteidigung höchst bedeutsamen Frage, ob er aussagen will oder nicht, mit einem Verteidiger zu beraten (BGHSt 38, 372, 373). Bittet ein Beschuldigter, der seine Aussagebereitschaft an die vorherige Konsultation eines Verteidigers knüpft, ausdrücklich um Benachrichtigung eines benannten Verteidigers, darf nicht weiter in den Beschuldigten gedrungen werden, wenn die erbetene Benachrichtigung nicht erfolgt (vgl. auch BGHSt 42, 15,
19; 38, 372, 373 einerseits, BGHSt 42, 170, 171 f. andererseits). Das Schweigerecht des Beschuldigten würde missachtet, wenn – wie hier vor dem Haftrichtertermin – ein benannter Verteidiger nicht informiert, sondern stattdessen ein Beschuldigter ohne ergänzende Hinweise weiter befragt wird, obgleich er zuvor ausdrücklich erklärt hat, er wolle ohne vorherige Konsultation seines Verteidigers nichts sagen.
dd) Ob das danach im Ausgangspunkt zu Recht beanstandete Vorgehen der Ermittlungsbeamten nach entsprechendem Widerspruch in der Hauptverhandlung angesichts der differenzierten Reaktionen des befragten Beschuldigten, die für eine zutreffende Einschätzung der Verwertbarkeit seiner Äußerungen sprechen, zu einem Verwertungsverbot hinsichtlich der auf diese Weise erlangten Angaben führen würde und ob sich hierauf gegebenenfalls auch Mitbeschuldigte berufen könnten (vgl. dazu BGHR StPO § 136 Belehrung 5; Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 136 Rdn. 20 m.w.N.), kann letztlich offen bleiben. Der Senat kann ausschließen, dass das Urteil auf diesen Angaben B G s im Ermittlungsverfahren beruht (§ 337 Abs. 1 StPO).
Die Angaben B G s hat das Schwurgericht lediglich an solchen Stellen der Beweisführung verwertet, die nichts mit der eigentlichen Tatbegehung zu tun haben oder in anderer Weise von B G oder anderen Zeugen hinreichend bestätigt wurden. Dass H K vom neben ihm sitzenden Beifahrer erschossen wurde, als B G den PKW seines Cousins führte, hat B G in der Hauptverhandlung selbst zugegeben. Diese Aussage korrespondiert mit weiteren Zeugenaussagen. Zur Widerlegung der gegen Ende der Hauptverhandlung erstmals vorgebrachten wenig detailreichen Angaben B und Has G s zu einem angeblichen vierten Familienmitglied, das unvorhersehbar spontan und ohne Billigung der übrigen Fahrzeuginsassen H K erschossen habe, und zur Überzeugungsbildung von der gemeinschaftlichen Tötung H K s unter Beteiligung von Han G hat das Schwurgericht nicht auf die Angaben
B G s im Ermittlungsverfahren, sondern auf mehrere Aussagen geschehensnaher Zeugen, das Spurenbild im PKW der Angeklagten, ihre Einlassungen in der Hauptverhandlung zum Tatgeschehen und die Feststellungen zur tatnahen Festnahme zurückgegriffen.
Dass die bei seiner Mutter gefundene Pistole ihm gehört, hat B G auch in seiner Einlassung in der Hauptverhandlung angegeben. Die weiteren Angaben B G s zur Vorgeschichte der Tat, zu seinen persönlichen Verhältnissen und zur Fahrstrecke waren, soweit die entsprechenden Feststellungen die Angeklagten überhaupt be- und nicht entlasten, angesichts weiterer Beweismittel für die Beweiswürdigung ersichtlich entbehrlich.
2. Die Sachrüge führt zur Aufhebung des Mordmerkmals der Heimtücke bei allen Angeklagten und zur Aufhebung des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe bei den Angeklagten B und Han G .

a) Die Feststellungen des Schwurgerichts belegen eine heimtückische Tötung nicht.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung handelt heimtückisch, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist der Getötete dann, wenn er nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten erheblichen, gar mit einem lebensbedrohlichen Angriff rechnet. Diese Arglosigkeit kann aus unterschiedlichen Gründen entfallen. Maßgeblich sind jeweils die Umstände des konkreten Falles (vgl. BGHSt 48, 207, 210 m.w.N.). Heimtückisch handelt nur, wer die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers zur Tat ausnutzt. Voraussetzung hierfür ist, dass der Täter sich bewusst ist, einen ahnungs- und schutzlosen Menschen zu überraschen, und dass er diese Situation in ihrer Bedeutung für die Tatausführung erkennt und nutzt (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 11).
bb) Nach diesen Kriterien hält die Annahme einer heimtückischen Tötung revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand:
H K rechnete seit geraumer Zeit ernsthaft und begründet mit einem Anschlag auf sein Leben. Deshalb hatte er seine Firma mit Verlust verkauft und war in ein anderes Bundesland umgezogen. Auch noch kurz vor der Tat war er stets misstrauisch und besorgt, wenn ihm in seiner Wohnumgebung fremde Fahrzeuge auffielen. Vor diesem ganz besonderen Hintergrund – einer wesentliche Teile des Lebens bestimmenden jahrelangen Angst vor einem tödlichen Anschlag – durfte sich das Landgericht hinsichtlich der festgestellten wiederholten und eindrücklichen Warnungen H K s durch seinen Sohn vor der Verfolgung durch einen fremden PKW unmittelbar vor der Tat nicht mit der Erwägung begnügen, aus seinen beschwichtigenden Äußerungen gegenüber seinem Sohn G ergebe sich, dass er selbst arglos gewesen sei. Denn dabei hat das Schwurgericht die nahe liegende Möglichkeit außer Acht gelassen (vgl. hierzu BGHSt 25, 365, 367), dass solche Beschwichtigungen gegenüber Kindern gerade auch von tatsächlich besorgten Eltern geäußert werden können, die ihre Kinder damit lediglich in Sicherheit wiegen und beruhigen wollen (vgl. Mosbacher NStZ 2005, 690, 691). In diesem Zusammenhang blieb zudem die Aussage G K s unberücksichtigt, wonach sein Vater mit erheblicher Geschwindigkeit unmittelbar vor die Haustür gefahren sei, um dort zunächst die Kinder mit der Aufforderung aussteigen zu lassen, schnell ins Haus zu laufen (UA S. 153); dies spricht dafür, dass H K die Kinder deshalb in Sicherheit bringen wollte, weil er die Gefahr erkannt hatte.
Bei Berücksichtigung dieser vom Schwurgericht vernachlässigten gewichtigen Umstände, die gegen die Annahme von Arglosigkeit sprechen, vermögen die tatrichterlichen Feststellungen zum Verhalten des Opfers unmittelbar vor Abgabe der tödlichen Schüsse – Abstellen des Fahrzeugs und Abziehen des Fahrzeugschlüssels – alleine die Annahme von Heimtücke nicht tragfähig zu belegen; solches Verhalten kann unter Berücksichtigung
der besonderen Umstände des vorliegenden Falls auch als nicht besonders überlegtes, eher kopfloses Verhalten eines angstbesetzten Verfolgten gesehen werden.
Abgesehen davon ist auch die subjektive Seite einer heimtückischen Tötung nicht rechtsfehlerfrei belegt. Die Angeklagten können nach den Feststellungen zu ihrer spontanen Verfolgungsfahrt vom Krankenhaus bis zum Wohnhaus ihres Opfers angesichts der Drohungen im Vorfeld kaum davon ausgegangen sein, dass diese Verfolgung unbemerkt und H K arglos geblieben ist.
Der Senat schließt angesichts der Gegebenheiten des vorliegenden Falls aus, dass weitergehende Feststellungen möglich sind, die zur tragfähigen Annahme von Heimtücke führen könnten; dieses Mordmerkmal hat demnach zu entfallen.

b) Bei den Angeklagten B und Han G begegnet auch die Annahme niedriger Beweggründe auf der Grundlage der landgerichtlichen Feststellungen durchgreifenden Bedenken. Der Verweis des Schwurgerichts auf das als niedrig zu bewertende Motiv der „Blutrache“ greift bei diesen Angeklagten zu kurz.
aa) Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat „niedrig“ sind, also nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen, mithin in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag als verwerflich und deshalb als besonders verachtenswert erscheinen, hat aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu erfolgen. Dabei ist der Maßstab für die Bewertung eines Beweggrundes den Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland und nicht den Anschauungen einer Volksgruppe , die die sittlichen und rechtlichen Werte dieser Rechtsgemeinschaft
nicht anerkennt, zu entnehmen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 41 m.w.N.; Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 211 Rdn. 14 ff.).
Gefühlsregungen wie Wut, Zorn, Ärger, Hass und Rachsucht kommen nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruhen, also nicht menschlich verständlich, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sind (st. Rspr., vgl. nur BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 16, 22, 23, 28, 30, 36; BGH NStZ 1995, 181; BGH StV 2001, 228, 229). Beruhen diese tatauslösenden und tatbestimmenden Gefühlsregungen dagegen auf dem (berechtigten) Gefühl erlittenen schweren Unrechts und entbehren sie damit nicht eines beachtlichen , jedenfalls einleuchtenden Grundes, spricht dies gegen eine Bewertung als „niedrig“ im Sinne der Mordqualifikation (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 18, 30, 32). Schwerwiegende Kränkungen durch das Opfer, die das Gemüt des Betroffenen immer wieder heftig bewegen , können sogar im Fall heimtückischer Tötung die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe unangebracht sein lassen (vgl. Großer Senat BGHSt 30, 105, 119; BGHR StGB § 211 Abs. 1 Strafmilderung 7).
bb) Eine Tötung aus dem Motiv der „Blutrache“ ist in aller Regel deshalb als besonders verwerflich und sozial rücksichtslos anzusehen, weil sich der Täter dabei seiner persönlichen Ehre und der Familienehre wegen gleichsam als Vollstrecker eines von ihm und seiner Familie gefällten Todesurteils über die Rechtsordnung und einen anderen Menschen erhebt (BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 29; Nehm in Festschrift für Albin Eser 2005 S. 419, 422 ff.; vgl. zu Tötungen aus „Blutrache“ auch BGH, Urt. vom 28. August 1979 – 1 StR 282/79; BGH, StV 1998, 130; BGH, Urt. vom 24. Juni 1998 – 3 StR 219/98; BGH, Beschl. vom 23. März 2004 – 4 StR 466/03 und 9/04). Ein niedriger Beweggrund wird in aller Regel in denjenigen Fällen von „Blutrache“ ohne weiteres anzunehmen sein, in denen allein die Verletzung eines Ehrenkodex als todeswürdig angesehen wird oder in denen ein Angehöriger einer Sippe als Vergeltung für das Verhalten eines anderen
Sippenangehörigen, an dem ihn keine persönliche Schuld trifft, getötet wird. Auch die Tötung als Vergeltung für ein als ehrenwidrig bewertetes Verhalten, das indes seinerseits nicht in der Tötung oder zumindest schweren Verletzung einer anderen Person bestand, wird regelmäßig als niedrig zu bewerten sein. Eine differenzierte Betrachtung ist hingegen insbesondere dann geboten , wenn mit der „Blutrache“ – wie hier – Vergeltung an jemandem geübt wird, der seinerseits nachvollziehbar als schuldig an der Tötung eines anderen Menschen erachtet wird.
Allgemein darf die Bezeichnung eines Motivs als „Blutrache“ nämlich nicht die notwendige differenzierte Betrachtung des tatsächlichen Geschehens ersetzen (vgl. Nehm in Festschrift für Albin Eser 2005 S. 419, 424). Bei allgemein motivierten Tötungsantrieben wie Wut, Zorn, Hass oder Verzweiflung kann die Gefahr bestehen, dass sie fälschlich einer mit Selbstverständlichkeit als niedrig zu bewertenden Blutrache zugeordnet werden, obgleich die Niedrigkeit am Maßstab der inländischen Werteordnung zu verneinen wäre (vgl. Nehm aaO).
Gerade bei dem Verlust naher Angehöriger durch eine Gewalttat sind rachemotivierte Tötungen nicht ohne weiteres als Mord aus niedrigen Beweggründen zu bewerten (BGH, Urt. vom 28. August 1979 – 1 StR 282/79; BGH StV 1998, 130; vgl. aber auch Schneider in MünchKomm StGB § 211 Rdn. 86 f.). Hat der Täter aus persönlichen Motiven aufgrund schwerer Kränkung durch Tötung eines ihm besonders nahe stehenden Angehörigen gehandelt , ist diese Form von „Selbstjustiz“ zwar keineswegs billigenswert (vgl. BGH StV 1998, 130; BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 28; BGHR StGB § 211 Abs. 1 Strafmilderung 7). Die Tat kann aber auch nicht nur deshalb als besonders verwerflich eingestuft werden, weil der Täter aus einem Kulturkreis stammt, in dem der Gesichtspunkt der „Blutrache“ bis heute relevant ist (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 211 Rdn. 14b). Es ist also danach zu differenzieren, ob der Angeklagte tatsächlich allein aus einem ersichtlich nicht billigenswerten Motiv der „Blutrache“, und damit aus niedri-
gen Beweggründen, oder aus einer besonderen Belastungssituation infolge des Verlustes seiner wesentlichen Bezugsperson bzw. aus ähnlichen, nicht per se niedrigen Motiven heraus gehandelt hat (vgl. BGH, Urt. vom 24. Juni 1998 – 3 StR 219/98).
cc) Ob ein durch Tötung naher Angehöriger zugefügtes Leid auch jenseits von Spontantaten (hierzu Schneider aaO Rdn. 87) derart erheblich ist, dass der Beweggrund insgesamt nicht mehr als besonders verwerflich und verachtenswert erscheint, kann nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls bestimmt werden. Maßstab sind insbesondere Gewicht und nähere Umstände der Vortat (vgl. BGH StV 1998, 130), u. U. deren strafjustizelle Aufarbeitung, Näheverhältnis zum Getöteten (vgl. § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO), Grad fortdauernder persönlicher Betroffenheit (vgl. hierzu auch BGH, Beschl. vom 23. März 2004 – 4 StR 466/03 und 9/04) und konkrete objektive Umstände der Tötung (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 1 Strafmilderung 7).
dd) Nach diesen Kriterien ist die Annahme niedriger Beweggründe bei den Angeklagten B und Han G nicht tragfähig begründet. B G ist der älteste Sohn des auf besonders niederträchtige Weise ermordeten Ham G und muss sich, seit er 20 Jahre alt ist, als Familienoberhaupt maßgeblich um seine Mutter und weitere fünf Geschwister kümmern. Er war – wie Han G – davon überzeugt, dass H K für diesen Anschlag verantwortlich war, weil dieser durch nachdrückliches Zureden Ham G erst dazu gebracht hatte, nach einer Versöhnungszeremonie zum späteren Tatort zu fahren. Trotz der inzwischen vergangenen Zeit war in der Familie des Ermordeten, die auch aufgrund dieser Tat bis jetzt in beengten wirtschaftlichen Verhältnissen zusammenlebt, der Schmerz über die Tat noch deutlich gegenwärtig: die Tötung Ham G s war ständiges Gesprächsthema und insbesondere Han G war davon noch stark emotional betroffen. Die Tat blieb bislang ungesühnt. Der konkrete Entschluss zur Tötung H K s entstand spontan aus der Situation eines zufälligen Treffens am Göttinger Krankenhaus. Angesichts dieser besonderen Umstän-
de entbehrt die Wertung des Landgerichts, auch die Angeklagten B und Han G hätten allein aus einem als niedrig anzusehenden Motiv der „Blutrache“ gehandelt, einer tragfähigen Grundlage.
Der Senat schließt aus, dass eine solche angesichts der bisherigen rechtsfehlerfreien Feststellungen noch gefunden werden könnte.

c) Anders verhält es sich allerdings mit dem Angeklagten Has G , der die tödlichen Schüsse auf H K abgegeben hat. Bei ihm hat das Schwurgericht – anders als bei den noch akut unter den Auswirkungen der Tötung Ham G s leidenden Han und B G – keine eigene besonders gravierende persönliche Betroffenheit durch den Tod seines Onkels festgestellt, die über die Verletzung der „Familienehre“ maßgeblich hinausgereicht hätte. Hierfür spricht nicht nur der im Vergleich zu Han und B G fernere Verwandtschaftsgrad zum Getöteten Ham G ; dabei handelt es sich um ein Kriterium, das auch nach Auffassung des Gesetzgebers bei der rechtlichen Bewertung der Betroffenheit von einem Tötungsdelikt erheblich ist (vgl. § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO). Hinzu kommt die räumliche Entfernung von der Familie des getöteten Ham G : Der Angeklagte Has G lebt seit Jahren in Niedersachsen, während die Familie von Ham G seit vielen Jahren im Saarland ansässig ist. In seiner wirtschaftlichen Existenz war der als Unternehmer erfolgreiche Angeklagte Has G ebenfalls nicht vom Tode Ham G s betroffen. Aufgrund dieser weit größeren räumlichen, familiären und wirtschaftlichen Distanz zum Tode Ham G s erscheint bei Has G das Verhältnis zwischen Anlass und Tat in deutlich weiter reichendem Maße als beim Totschlag verachtenswert und damit niedrig (vgl. auch BGH NStZ 2004, 34); (nur) bei ihm kommen diejenigen Gesichtspunkte zum Tragen, die das Motiv der „Blutrache“ in aller Regel als niedrigen Beweggrund kennzeichnen.
3. Die tatrichterliche Wertung, Han G habe eine Beihilfe zur Tötung H K s begangen, ist aus revisionsgerichtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
Das Schwurgericht hat seine Feststellung, die Angeklagte habe ihren Sohn und ihren Neffen bei der Tötung H K s zumindest psychisch unterstützt und hierdurch eine Beihilfe zu deren Tat geleistet, auf eine Gesamtschau aller wesentlichen Umstände gestützt. Auf eine aktive Beihilfehandlung durch mitbestimmenden Einfluss auf das Fahrtziel und den spontanen Tatplan konnte das Schwurgericht vor dem Hintergrund der engen familiären Verbundenheit aus dem besonderen Interesse der Angeklagten an einer Sühne der Ermordung ihres Ehemanns, aus der Tatsache, dass sie das vorherige Reiseziel (Besuch im Krankenhaus) wesentlich bestimmt hatte, und aus ihrem Verhalten bei der Verfolgung durch die Polizei (Verbergen einer Pistole ihres Sohnes am Körper) schließen. Diese Schlussfolgerung beruht auf einer tragfähigen rationalen Grundlage und ist im vorliegenden Fall nicht nur möglich, sondern naheliegend; sie ist vom Revisionsgericht hinzunehmen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Erwägungen des Schwurgerichts über die „Sitzposition“ der Angeklagten in diesem Zusammenhang für sich gesehen weniger überzeugen; die Angeklagte konnte angesichts des spontanen Verfolgungsentschlusses bei Fahrtantritt kaum davon ausgehen, dass H K gerade – wie später geschehen – auf der Beifahrerseite erschossen werde.

III.


Im Ergebnis hat der Wegfall eines Teils der vom Schwurgericht herangezogenen Mordmerkmale folgende Auswirkungen:
1. Nach Wegfall des Mordmerkmals der Heimtücke bleibt Has G wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt; B G ist dagegen als Mittäter des gemeinsam ins Werk ge-
setzten Tötungsgeschehens wegen Totschlags schuldig (vgl. auch BGHSt 36, 231). Die Angeklagte Han G hat eine Beihilfe zur gemeinschaftlichen Tötung von H K begangen, die sich für Has G als Mord aus niedrigen Beweggründen, für B G als Totschlag darstellt. Danach ist die Angeklagte Han G lediglich wegen einer Beihilfe zum Totschlag zu bestrafen.
Wegen Beihilfe zu einem vom Angeklagten Has G begangenen Mord könnte Han G allenfalls dann verurteilt werden, wenn sie als Gehilfin ihren Tatbeitrag in Kenntnis der niedrigen Beweggründe Has G s erbracht hätte (vgl. BGH NStZ 1996, 384, 385 m.w.N., insoweit in BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 33 nicht abgedruckt). Dass Han G selbst aus niedrigen Beweggründen gehandelt hat, schließt der Senat wie beim Angeklagten B G aus (s. o.). Die Feststellungen des Schwurgerichts legen zudem nahe, dass die in bäuerlichen Verhältnissen aufgewachsene, des Lesens und Schreibens nicht mächtige, kaum deutsch sprechende und deshalb ganz besonders in ihrem Kulturkreis verhaftete Angeklagte Han G die zur Niedrigkeit der Tötungshandlung des Has G führenden bestimmenden Wertungsgesichtspunkte in ihrem Bedeutungsgehalt geistig nicht nachvollziehen konnte. Auf dieser Grundlage lässt sich der notwendige Vorsatzbezug zum Mordmerkmal des Haupttäters letztlich nicht tragfähig begründen. Da weitergehende Feststellungen insoweit nicht zu erwarten sind, ändert der Senat den Schuldspruch auf Beihilfe zum Totschlag (§ 354 Abs. 1 StPO).
2. Deshalb kann dahinstehen, ob es sich bei den täterbezogenen Mordmerkmalen um strafschärfende besondere persönliche Merkmale im Sinne von § 28 Abs. 2 StGB und nicht um strafbegründende im Sinne von § 28 Abs. 1 StGB handelt:

a) Nach der bisherigen Rechtsprechung aller Strafsenate des Bundesgerichtshofs stehen Mord (§ 211 StGB) und Totschlag (§ 212 StGB) nicht
im Verhältnis von Grundtatbestand und Qualifikation zueinander, vielmehr bilden sie danach zwei selbständige Tatbestände (st. Rspr. seit BGHSt 1, 368; zuletzt ausführlich BGH NStZ 2005, 381 m.w.N.). Weil die Mordmerkmale des § 211 StGB nach dieser Auffassung die Strafbarkeit im Sinne von § 28 Abs. 1 StGB begründen, scheidet eine Anwendung von § 28 Abs. 2 StGB aus. Für den Schuldspruch des Teilnehmers kommt es demnach nicht auf seinen Tatbeitrag, sondern zunächst darauf an, ob der Haupttäter Mordmerkmale verwirklicht oder nicht. Bei täterbezogenen Mordmerkmalen wie den vorliegend in Rede stehenden niedrigen Beweggründen ist nach der bisherigen Rechtsprechung ein Schuldspruch wegen Beihilfe zum Mord auch dann geboten, wenn der Teilnehmer selbst kein derartiges Mordmerkmal verwirklicht, solange er hinsichtlich der niedrigen Beweggründe des anderen Teils vorsätzlich handelt. Dem Teilnehmer kommt in diesen Fällen allerdings die Strafrahmenverschiebung nach § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB zugute.

b) Demgegenüber versteht die Gegenauffassung (soweit ersichtlich ausnahmslos die gesamte Literatur, vgl. nur Eser in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. Vor §§ 211 ff. Rdn. 3; Jähnke in LK 11. Aufl. Vor § 211 Rdn. 39; Lackner/Kühl, StGB 25. Aufl. Vor § 211 Rdn. 22; Schneider in MünchKomm Vor §§ 211 ff. Rdn. 135 ff.; je m.w.N.) das Verhältnis zwischen den Tatbeständen Mord und Totschlag als Verhältnis von Qualifikation und Grunddelikt. Die täterbezogenen Mordmerkmale sind demnach nicht strafbegründend im Sinne von § 28 Abs. 1 StGB, sondern strafschärfend gemäß § 28 Abs. 2 StGB. Dies hat zur Folge, dass der Teilnehmer, der selbst kein Mordmerkmal erfüllt, bei einem täterbezogenen Mordmerkmal des Haupttäters wie dem Handeln aus niedrigen Beweggründen nur wegen Teilnahme zum Totschlag schuldig gesprochen werden kann; seine Strafe ist in diesem Fall dem – ggf. nach § 27 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten – Strafrahmen des § 212 StGB zu entnehmen.

c) Der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Verhältnis von Mord und Totschlag werden gewichtige Argumente entgegen-
gehalten: Sie führe zu schwer überbrückbaren Wertungswidersprüchen und unausgewogenen Ergebnissen, widerspreche der sonst üblichen Systematik und sei unnötig kompliziert (vgl. zuletzt nur Puppe, JZ 2005, 902 ff.; Jäger JR 2005, 477, 479 f.; ausführlich etwa Küper JZ 1991, 761 ff., 862 ff. und 910 ff.; Schneider in MünchKomm Vor §§ 211 ff. Rdn. 138 ff.; je m.w.N.; vgl. aus der Rechtsprechung nur: BGHSt 6, 329 und 36, 231 [Mittäterschaft]; BGHSt 23, 39 [gekreuzte Mordmerkmale]; BGH NStZ 2006, 34, und BGH, Urteil vom 24. November 2005 – 4 StR 243/05 [Sperrwirkung der Strafrahmenuntergrenze für Beihilfe zum Totschlag]).
Probleme der bisherigen Rechtsprechung werden am vorliegenden Fall besonders anschaulich: Die gemeinschaftlich durch Has und B G begangene Tötung H K s kann schwerlich als Verwirklichung zweierlei verschiedenen Unrechts und zweier selbständiger Tatbestände verstanden werden, sondern stellt sich als ein Tötungsunrecht im Sinne von § 212 StGB dar, zu dem lediglich bei einem der Täter mit dem Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe besonders erschwerende persönliche Umstände (vgl. § 28 Abs. 2 StGB) hinzukommen; ein solches Verhältnis entspricht nach der üblichen Systematik demjenigen zwischen Grunddelikt und Qualifikation. Dies wird besonders deutlich, wenn es um die Bewertung des Tatbeitrags von Han G geht: Ihre Unterstützung der gemeinschaftlichen Tötung H K s lässt sich nicht künstlich in eine objektive Beihilfe zum Mord durch Has G und eine (hierzu tateinheitliche) objektive Beihilfe zum Totschlag durch B G aufspalten.

IV.


Wegen der neuen Schuldsprüche bedarf die Bemessung der Strafen für B und Han G für das Tötungsdelikt und die Beihilfe hierzu erneuter schwurgerichtlicher Prüfung auf der Grundlage der bisherigen rechtsfehlerfreien Feststellungen. Der neue Tatrichter wird hierzu allenfalls solche ergänzenden Feststellungen treffen können, die den bisherigen nicht widersprechen.
Harms Häger Basdorf
Gerhardt Raum

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 117/12
vom
20. Dezember 2012
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
Zur Verwertbarkeit der im Zusammenhang mit einer molekulargenetischen Reihenuntersuchung
gewonnenen Erkenntnis, dass der Verursacher der bei der Tat gelegten
DNA-Spur wahrscheinlich mit einem der Teilnehmer der Untersuchung verwandt
ist (sog. Beinahetreffer).
BGH, Urteil vom 20. Dezember 2012 - 3 StR 117/12 - LG Osnabrück
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer Vergewaltigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
18. Oktober 2012 in der Sitzung am 20. Dezember 2012, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Dr. Schäfer,
Gericke,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof - in der Verhandlung - ,
Staatsanwalt - bei der Verkündung -
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten in der Verhandlung,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin in der Verhandlung,
Justizamtsinspektor - in der Verhandlung - ,
Justizangestellte - bei der Verkündung -
als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 2. November 2011 wird verworfen.
Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die Kostenentscheidung des vorgenannten Urteils wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seiner Rechtmittel und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung zur Jugendstrafe von fünf Jahren verurteilt. Von der Auferlegung der Kosten und Auslagen des Verfahrens auf den Angeklagten hat es abgesehen , hat ihn aber zur Tragung der notwendigen Auslagen der Nebenklägerin und seiner eigenen Auslagen verurteilt. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte das Verfahren und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Mit der sofortigen Beschwerde greift er die Auslagenentscheidung des Landgerichts an. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

A.


2
I. Nach den Feststellungen des Landgerichts sprang der Angeklagte, der sich entschlossen hatte, die Nebenklägerin unter Einsatz massiver Gewalt zum Geschlechtsverkehr zu nötigen, diese in der Nacht vom 17. auf den 18. Juli 2010 auf dem Nachhauseweg von einer Gaststätte von hinten an, so dass sie auf den Bauch zu Boden fiel. Auf ihr sitzend oder liegend gelang es ihm trotz heftiger Gegenwehr der Nebenklägerin unter Einsatz massiver Schläge gegen ihren Kopf, den er auch auf den Boden schlug, ihr den Rock hochzuschieben, den Slip auszuziehen und ihre Beine zu spreizen. Anschließend drang er mit seinem erigierten Glied mehrfach in ihre Scheide und einmal kurzzeitig in ihren Anus ein, bevor er sie nach einem kurzen, missglückten Befreiungsversuch erneut zu Boden warf und mit ihr den Vaginalverkehr bis zum Samenerguss vollzog. Als die Nebenklägerin, die den Angeklagten nicht erkennen konnte, weil ihre Augen wegen der heftigen Schläge gegen den Kopf zugeschwollen waren, sich bewusstlos stellte, ließ er von ihr ab, auch weil er auf dem Weg herannahende Personen hörte.
3
II. Die Nebenklägerin begab sich unmittelbar nach der Tat zu der in der Nähe liegenden Wohnung ihres Freundes, der umgehend die Polizei informierte ; sie wurde noch in der Nacht ärztlich untersucht und es wurden Abstriche aus dem Vaginal- und Analbereich entnommen. In diesen und an der Kleidung der Nebenklägerin wurde DNA-Material sichergestellt, dessen Untersuchung zwar einen bestimmten Spurenverursacher, aber keine Hinweise auf einen polizeilich bekannten Täter ergab. Nachdem weitere Ermittlungen eine örtliche Verwurzelung des Täters nahegelegt hatten, ordnete der Ermittlungsrichter beim Amtsgericht Osnabrück auf Antrag der Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom 13. September 2010 hinsichtlich sämtlicher zwischen dem 1. Januar 1970 und dem 31. Dezember 1992 geborener männlicher Personen in der Samtgemeinde D. die freiwillige Abgabe von Körperzellen zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters an. An dem Reihengentest, bei dem von 2.406 Männern nach der gesetzlich vorgeschriebenen Belehrung über die Freiwilligkeit und den Umfang der Nutzung der DNA Speichelproben genommen wurden , nahmen auch der Vater des Angeklagten und zwei seiner Onkel teil; er selbst war davon aufgrund seines geringen Alters nicht betroffen. Bei der Untersuchung und dem Vergleich der DNA-Proben aus dem Reihengentest mit dem DNA-Muster der Tatspuren stellte die beauftragte Sachverständige bei zwei anonymisierten Proben aufgrund des Vorkommens eines sehr seltenen Allels eine hohe Übereinstimmung zwischen diesen und der des mutmaßlichen Täters fest. Sie teilte diesen Befund dem ermittelnden Polizeibeamten mit und wies darauf hin, dass diese beiden Probengeber zwar nicht als Täter in Betracht kämen, aber Verwandte des Spurenlegers sein könnten. Deshalb erbat sie die Überprüfung, ob weitere Verwandte an dem Reihengentest teilgenommen hätten, um - zu diesem Zeitpunkt stand noch die Untersuchung von etwa 800 Speichelproben aus - deren Untersuchung gegebenenfalls vorzuziehen. Die beiden Proben wurden daraufhin bei der Polizeidienststelle entanonymisiert und es wurde festgestellt, dass sie von untereinander Verwandten - dem Vater des Angeklagten und seinem Onkel A. - stammten. Die in anonymer Form durchgeführte Untersuchung der Probe des weiteren Onkels M. des Angeklagten hatte ergeben, dass dieser ebenfalls nicht als Verursacher der Tatspur in Betracht kam; das bei den beiden anderen Proben gefundene seltene Allel, das auch die Tatspur aufwies, war bei ihm nicht vorhanden. Ein alsdann von der Polizei durchgeführter Melderegisterabgleich erbrachte das Ergebnis, dass einer der Probengeber einen Sohn - den Angeklagten - hat, der aufgrund seines jugendlichen Alters nicht in das Raster für den Reihengentest gefallen war, der aber gleichwohl die Tat begangen haben könnte. Daraufhin erließ das Amtsgericht Osnabrück - Ermittlungsrichter - auf Antrag der Staatsanwaltschaft am 13. Januar 2011 einen Beschluss auf Entnahme von Körperzellen bei dem Angeklagten und deren Untersuchung zur Bestimmung des DNAIdentifizierungsmusters. Diese Untersuchung ergab eine Übereinstimmung mit der Tatspur.

B.


4
I. Das unter A. II. geschilderte Verfahrensgeschehen rügt der Beschwerdeführer unter mehreren rechtlichen Gesichtspunkten als verfahrensfehlerhaft.
5
1. a) Die Verwertung der Ergebnisse der DNA-Untersuchung betreffend den Angeklagten und seine Verwandten stelle einen Verstoß gegen § 261 i.V.m. § 81h Abs. 3, Abs. 4 Nr. 1 StPO und den Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes dar, weil diese Erkenntnisse auf rechtswidrige Art und Weise erlangt und deshalb unverwertbar seien. Fehlerhaft sei, dass die Proben des Vaters und des Onkels des Angeklagten, welche die teilweise Übereinstimmung zur Tatspur aufgewiesen hätten, sowie die Aufzeichnungen über deren festgestellte DNA-Identifizierungsmuster nicht unverzüglich vernichtet worden seien, nachdem festgestellt worden war, dass die beiden Probanden nicht als Spurenleger in Betracht kamen. Die Sachverständige habe zudem einen Quervergleich der Proben untereinander durchgeführt, was eine von § 81h StPO nicht erlaubte Untersuchungsmethode darstelle. Weitere Gesetzesverletzungen seien in der Entanonymisierung der Proben und in dem später durchgeführten Abgleich mit der Probe des weiteren Onkels des Angeklagten zu sehen. Der Vater und die beiden Onkel des Angeklagten hätten zudem nicht wirksam in die Entnahme und Untersuchung ihres Zellmaterials eingewilligt, weil sie bei der durchgeführten Belehrung über das Schicksal ihrer DNA-Probe getäuscht worden seien. Schließlich seien durch die Vorgehensweise der Ermittlungsbehörden die ana- log anwendbaren Vorschriften des § 52 Abs. 1 Nr. 3 und des § 81c Abs. 3 Satz 1 StPO verletzt worden. Die Vielzahl der Verstöße, die auf ein willkürliches Handeln der Ermittlungsorgane hindeute, sowie ihr Gewicht begründeten nicht nur ein Beweiserhebungs-, sondern auch ein Beweisverwertungsverbot.
6
b) Die Rüge ist unbegründet.
7
Die von der Revision erhobenen Beanstandungen wegen Rechtsverletzungen bei der Gewinnung der DNA-Identifizierungsmuster des Vaters und der Onkel des Angeklagten im Rahmen des Reihengentests dringen nicht durch. Die Erhebung dieser Beweismittel war rechtmäßig (dazu unten aa)). Allerdings sind diese Beweismittel in einer vom Gesetz nicht gedeckten Weise verwendet worden, um den Tatverdacht gegen den Angeklagten zu begründen. Dies führte zum Erlass des von diesem Fehler bemakelten Beschlusses des Ermittlungsrichters nach § 81a StPO und damit letztlich zur Feststellung der Übereinstimmung des DNA-Identifizierungsmusters des Angeklagten mit dem der Tatspuren. Diese somit rechtswidrig gewonnenen Erkenntnisse (dazu unten bb)) durfte die Strafkammer gleichwohl in die Hauptverhandlung einführen und im Urteil gegen den Angeklagten verwerten (dazu unten cc)).
8
aa) Die Durchführung des Reihengentests gibt keinen Anlass zu rechtlichen Beanstandungen. Insoweit gilt zudem, dass die Untersuchung der Probe des Onkels M. die hohe Übereinstimmung mit der Tatspur - insbesondere hinsichtlich des bei den beiden anderen Proben festgestellten, seltenen Allels - nicht ergab. Sie vermochte deshalb einen Verdacht bezüglich des Angeklagten nicht zu begründen. Auf den behaupteten Gesetzesverletzungen gegenüber diesem Onkel des Angeklagten kann das Urteil deshalb jedenfalls nicht beruhen.
9
Danach bleiben nur etwaige Gesetzesverletzungen betreffend die Entnahme und Untersuchung der Speichelprobe des Vaters des Angeklagten und des Onkels A. zu prüfen; insoweit greifen die von der Revision erhobenen Rügen nicht durch. Im Einzelnen:
10
(1) Es ist nicht zu beanstanden, dass die beiden DNAIdentifizierungsmuster nach dem Abgleich mit der Tatspur nicht sofort gelöscht worden sind. Nach § 81h Abs. 3 Satz 1, § 81g Abs. 2 Satz 1 1. Halbs. StPO müssen die den Probanden entnommenen Körperzellen unverzüglich vernichtet werden, sobald sie für die Untersuchung nicht mehr erforderlich sind; dies ist ausweislich des schriftlichen Gutachtens der Sachverständigen geschehen. Die aus der Untersuchung gewonnenen Aufzeichnungen über die DNAIdentifizierungsmuster hingegen sind nach § 81h Abs. 3 Satz 2 StPO erst dann unverzüglich zu löschen, wenn sie zur Aufklärung des Verbrechens nicht mehr erforderlich sind.
11
Vorliegend ist ein Verstoß gegen die Löschungsverpflichtung nicht gegeben : Im Zeitpunkt der Untersuchung der DNA-Proben der beiden Onkel des Angeklagten war der Reihengentest noch nicht abgeschlossen; es stand noch die Untersuchung von ca. 800 Speichelproben aus. Eine Verpflichtung zur sofortigen Löschung jedes einzelnen - nicht übereinstimmenden - Identifizierungsmusters unmittelbar nach seinem Abgleich mit dem der Tatspur lässt sich dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen.
12
Im Übrigen würde auf der unterlassenen Löschung der beiden DNAIdentifizierungsmuster das Urteil nicht beruhen: Nach der Untersuchung lag jedenfalls aus Sicht der Sachverständigen sehr nahe, dass diese Probanden Verwandte des mutmaßlichen Täters sein könnten. Auch wenn die Sachverständige die DNA-Identifizierungsmuster im Anschluss an den Abgleich sofort gelöscht hätte, wäre - wie geschehen - die Verwendung dieser Information (dazu unten bb)) als Anlass für weitere Ermittlungen und ihre Verwertung als verdachtsbegründend möglich gewesen. Aus dem gleichen Grund ist es für die Entscheidung auch ohne Bedeutung, ob die Identifizierungsmuster im Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch vorhanden waren oder ob sie mittlerweile gelöscht worden sind.
13
(2) Soweit der Beschwerdeführer als fehlerhaft beanstandet, dass die Sachverständige einen gezielten Quervergleich der Proben des Vaters des Angeklagten und seiner Onkel untereinander durchgeführt habe, ist die Rüge bereits unzulässig. Aus dem in der Revisionsbegründung nur auszugsweise zitierten Vermerk von KHK Z. vom 4. Januar 2011 ergibt sich, dass die Sachverständige mitgeteilt hatte, die anonyme Auswertung der Proben des Vaters (90/4) und des Onkels A. (89/4) habe eine hohe Übereinstimmung "mit der Tatspur" ergeben. Ein Hinweis auf einen Vergleich der Proben untereinander lässt sich dem nicht entnehmen. Im weiteren - nicht mitgeteilten - Text des Vermerks ist niedergelegt, dass der Ermittlungsbeamte auf diese fernmündliche Mitteilung die Personenliste der DNA-Reihenuntersuchung durchsah, ihm aufgrund der Namensgleichheit der weitere Onkel des Angeklagten als vermutlicher Verwandter auffiel und er dies der Sachverständigen in einem weiteren Telefonat mitteilte. Sie erklärte, auch diese Probe (91/3) bereits untersucht zu haben; die Person komme als Täter ebenfalls nicht in Betracht.
14
Damit ist die Verfahrensrüge insoweit nicht in der Form des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erhoben: Die den Verfahrensmangel begründenden Tatsachen müssen so vollständig und genau dargelegt werden, dass das Revisionsgericht allein auf Grund dieser Darlegung das Vorhandensein eines Verfahrensmangels feststellen kann, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden; dazu gehört auch, dass dem Beschwerdeführer nachteilige Tatsachen nicht übergangen werden (KK/Kuckein, StPO, 6. Aufl., § 344 Rn. 38 mit zahlreichen Nachweisen). So verhält es sich hier. Der Umstand, dass die Sachverständige die Probe 91/3 bereits untersucht hatte, bevor ihr der Ermittlungsbeamte mitteilte , dass dieser möglicherweise ein Verwandter der Probanden 89/4 und 90/4 sein könne, belegt, dass ein Quervergleich der Proben untereinander gerade nicht stattgefunden haben kann, weil der Sachverständigen unbekannt war, welche Proben sie miteinander hätte abgleichen sollen.
15
Dieses Verfahrensgeschehen ergibt zugleich, dass ein "gezielter Quervergleich" der Proben des Vaters des Angeklagten und seiner Onkel untereinander durch die Sachverständige nicht vorgenommen worden ist, so dass die Rüge auch in der Sache keinen Erfolg hat.
16
Gleiches gilt mit Blick auf die in diesem Zusammenhang in der Hauptverhandlung von dem Verteidiger des Angeklagten vertretene Rechtsauffassung , die Sachverständige habe mit ihrer Vorgehensweise gegen eine Verpflichtung zum automatisierten Abgleich der DNA-Identifizierungsmuster verstoßen , weil sie andernfalls die hohe Übereinstimmung zwischen den Mustern des Vaters des Angeklagten und seinem Onkel A. mit der Tatspur nicht habe zur Kenntnis nehmen können. Der Gesetzgeber hat das Verfahren, mit dem die im Rahmen der DNA-Reihenuntersuchung festgestellten DNAIdentifizierungsmuster nach § 81h Abs. 1 Nr. 3 StPO mit dem der Tatspur "automatisiert abgeglichen" werden, nicht definiert, insbesondere nicht vorgeschrieben , dass das Ergebnis des Abgleichs nur mit dem Ergebnis "Treffer" oder "Nichttreffer" angezeigt werden dürfe. Die Gesetzesbegründung, in der es heißt, die festgestellten Muster dürften "mit denen des aufgefundenen Spurenmaterials - auch in automatisierter Weise - abgeglichen werden" (BT-Drucks.
15/5674, S. 13), spricht vielmehr dafür, dass dadurch lediglich eine Arbeitserleichterung für die beauftragten Sachverständigen und Untersuchungslaboratorien geschaffen werden sollte, die eine effiziente und zeitnahe abgleichende Analyse der im Rahmen der Reihenuntersuchung in erheblicher Zahl anfallenden DNA-Identifizierungsmuster ermöglichen sollte (vgl. zu den insoweit bestehenden technischen Gegebenheiten auch Kuhne, Die Polizei 2011, 19, 20 f.).
17
(3) Zu Unrecht beanstandet die Revision Gesetzesverletzungen mit Blick auf die Entanonymisierung des DNA-Identifizierungsmusters. Die Körperzellen werden durch die Ermittlungsbehörden nicht in anonymisierter Form erhoben, ihnen liegen vielmehr bezüglich jedes Probanden die vollständigen Daten vor. Die über § 81h Abs. 3 Satz 1 StPO anwendbare Vorschrift des § 81f Abs. 2 Satz 3 StPO regelt nur, dass die Proben an den einzuschaltenden Sachverständigen in teilanonymisierter Form zu versenden sind. Dies ist geschehen. Die Proben des Vaters des Angeklagten und des Onkel A. sind von der Sachverständigen weder entanonymisiert noch ihr in entanonymisierter Form zur Verfügung gestellt worden. Sie hatte weder im Zeitpunkt der Untersuchung dieser Probe noch der des Angeklagten Kenntnis von der Identität der Probanden. Dass der ermittelnde Polizeibeamte auf die Mitteilung der hohen Übereinstimmung der DNA-Identifizierungsmuster mit der Tatspur in der Personenliste der DNA-Reihenuntersuchung die Identität der Probengeber überprüfte und so den Vater und den Onkel des Angeklagten ermittelte, verletzt die Vorschrift des § 81f Abs. 2 Satz 3 StPO damit ersichtlich nicht. Verstöße gegen das in dieser Norm ausgesprochene Gebot der Teilanonymisierung sind zudem in der Regel ohnehin nicht geeignet, die Revision zu begründen, weil die Regelungen des § 81f Abs. 2 StPO außerprozessualen Zwecken dienen, die nicht mit den Mitteln des Prozessrechts geschützt werden müssen (BGH, Beschluss vom 12. November 1998 - 3 StR 421/98, NStZ 1999, 209 L.; SK-Rogall, StPO, Stand: Januar 2006, § 81f Rn. 24 mwN; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 81f Rn. 9).
18
(4) Rechtlich verfehlt ist weiter die Auffassung der Revision, die Einwilligung des Vaters und des Onkels des Angeklagten (und der anderen Probanden ) in die Zellentnahme und deren anschließende Untersuchung sei insgesamt unwirksam gewesen, weil die Belehrung nicht nur objektiv falsch gewesen sei, sondern - wie insbesondere die mehrfachen Gesetzesverletzungen zeigten - sie auch subjektiv getäuscht worden seien. Wie die Revision selbst vorträgt, entsprach die Belehrung der gemäß § 81h Abs. 4 StPO gesetzlich vorgesehenen Form. Sie kann nicht durch spätere Vorgänge, die im Zeitpunkt der Erteilung der Belehrung nicht absehbar waren, nachträglich verfahrensfehlerhaft werden.
19
Zu Gesetzesverletzungen in Bezug auf die Löschungspflicht, die angewendeten Untersuchungsmethoden und das Gebot der Teilanonymisierung ist es zudem - wie dargelegt - nicht gekommen. Von einer "selbstherrlichen Missachtung" einer richterlichen Anordnung oder einer Täuschungsabsicht der ermittelnden Behörden kann mithin keine Rede sein.
20
bb) Allerdings ist der Revision zuzugeben, dass das Vorgehen der Sachverständigen und der Ermittlungsbehörden von § 81h Abs. 1 StPO und der Einwilligung des Vaters des Angeklagten und seines Onkels A. insoweit nicht gedeckt war, als von der Sachverständigen infolge des Abgleichs der DNA-Identifizierungsmuster der Teilnehmer des Reihengentests mit dem des mutmaßlichen Täters nicht nur festgestellt und den Ermittlungsbehörden mitgeteilt wurde, dass keiner der Probanden als Verursacher der Tatspur in Betracht kam, sondern auch, dass die teilweise Übereinstimmung der DNAIdentifizierungsmuster von zwei Probanden - dem Vater des Angeklagten und seinem Onkel A. - es als möglich erscheinen lasse, es handele sich bei diesen um Verwandte des mutmaßlichen Täters.
21
Gemäß § 81h Abs. 1 StPO darf die Ermittlung von Identifizierungsmustern und ihr Abgleich mit dem des Spurenmaterials nur vorgenommen werden, soweit dies zur Feststellung erforderlich ist, ob das Spurenmaterial von den Teilnehmern des Reihengentests stammt. Die nach § 81h Abs. 3 Satz 1 StPO entsprechend geltende Vorschrift des § 81g Abs. 2 Satz 2 StPO verbietet es, darüber hinausgehende Untersuchungen vorzunehmen und weitergehende Feststellungen zu treffen (LR/Krause, StPO, 26. Aufl., § 81h Rn. 29).
22
Die hier festgestellte mögliche Verwandtschaft zwischen zwei Probanden und dem mutmaßlichen Täter stellt eine für die Frage, ob die DNAIdentifizierungsmuster der Teilnehmer des Reihengentests mit dem der Tatspur übereinstimmen, nicht erforderliche Erkenntnis dar. Diese ist allerdings nicht durch eine darauf gerichtete und damit unzulässige Untersuchung erlangt worden , denn nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts liegt das Auswertungsergebnis der automatisierten Abgleichung der DNAIdentifizierungsmuster erst am Ende des Abgleichungsprozesses in verschiedenen DNA-Systemen vor, so dass es der Sachverständigen faktisch nicht möglich war, das Ergebnis der Identitätsprüfung zur Kenntnis zu nehmen, ohne die auf eine mögliche Verwandtschaft deutende Übereinstimmung der DNAMuster ebenfalls zu registrieren.
23
(1) Wie ein solcher "Beinahetreffer" (vgl. dazu Brocke, StraFo 2011, 298 ff.), der im Rahmen einer DNA-Reihenuntersuchung anfällt, rechtlich zu beurteilen ist und wie mit ihm verfahren werden kann, ist in Rechtsprechung und Literatur bislang nicht geklärt. Der Gesetzgeber hat diese Fallkonstellation bei der Schaffung des § 81h StPO angesichts fehlender Regelungen dazu und dem diesbezüglichen Schweigen der Gesetzesbegründung offenbar nicht im Blick gehabt. Soweit sich die Literatur überhaupt mit der Problematik auseinandersetzt , wird vertreten, dass es sich bei der Feststellung des möglichen Verwandtschaftsverhältnisses um ein zufälliges zusätzliches Resultat der gesetzlich vorgesehenen Untersuchungsmethoden und -zwecke handele, um ein "technisch bedingtes Nebenprodukt", das lediglich bei Gelegenheit der Abgleichung und somit in Ausführung des eigentlich angestrebten Ziels der Ermittlungsmaßnahme anfalle; die Beweiserhebung sei insoweit zulässig (Brocke, StraFo 2011, 298, 299).
24
(2) Zuzugeben ist dieser Auffassung, dass - wie dargelegt - ein Verstoß gegen ein Untersuchungsverbot nicht vorliegt. Aus diesem Grund hätte der Senat auch Bedenken, ein Feststellungsverbot im Sinne eines Kenntnisnahmeverbots anzunehmen, weil dadurch von den zur Untersuchung und Auswertung einzuschaltenden Sachverständigen etwas verlangt würde, was ihnen nach den tatsächlichen Gegebenheiten unmöglich ist.
25
Gleichwohl verbleibt es bei der nach dem Wortlaut des § 81h Abs. 1 StPO eindeutigen Zweckbindung von Untersuchung und Abgleich der DNAProben und dem Verbot überschießender Feststellungen. Dieses führt dazu, dass sich die Weitergabe der zusätzlich gewonnenen Erkenntnisse im Sinne einer möglichen verwandtschaftlichen Beziehung und ihre anschließende Verwendung im Verfahren gegen den Angeklagten als verfahrensfehlerhaft erweist. Denn die darin liegende Verwertung als Verdachtsmoment stellt eine Verwendung personenbezogener Daten zu einem Zweck dar, zu dem sie nicht erhoben worden waren. Hierin liegt ein Eingriff in die Grundrechte des Vaters und des Onkels des Angeklagten aus Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 GG, der nach ständiger verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung einer gesonderten gesetzli- chen Grundlage bedarf (vgl. zuletzt BVerfG, Urteil vom 2. März 2010 - 1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08, BVerfGE 125, 260, 309 ff. mwN).
26
Diese fehlt. § 160 StPO kommt nicht in Betracht, weil § 81h Abs. 1 StPO eine eindeutige Zweckbindung und damit eine entgegenstehende Verwendungsregelung enthält (§ 160 Abs. 4 StPO). Auch aus den neben den bereichsspezifischen Regelungen der Strafprozessordnung subsidiär anwendbaren Vorschriften des allgemeinen Datenschutzrechts (Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., vor § 474 Rn. 3) ergibt sich eine solche Ermächtigungsgrundlage nicht. § 14 Abs. 2 Nr. 7 BDSG tritt hinter die speziellere, einschränkende Verwendungsregelung in § 81h Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, § 81g Abs. 2 Satz 2 StPO zurück. Nach § 4 BDSG dürfen mangels sonstiger gesetzlicher Grundlage personenbezogene Daten nur mit Einwilligung des Betroffenen verwendet werden. Der Vater und der Onkel des Angeklagten haben eine solche jedoch nicht erklärt. Ihre Einwilligung in den Reihengentest deckte - wie dargelegt - die Verwendung ihrer Daten als Verdachtsmoment gegen den Angeklagten nicht. Eine weitere Einwilligung haben sie nicht erteilt, vielmehr haben sie in der Hauptverhandlung der Verwertung ihrer Daten ausdrücklich widersprochen.
27
cc) War damit die Verwendung der Daten der Angehörigen des Angeklagten in Form der verdachtsbegründenden Verwertung gegen ihn verfahrensfehlerhaft , ist davon auch der gegen ihn erlassene Beschluss nach § 81a StPO betroffen. Die Gewinnung der daraus folgenden Beweismittel - die Übereinstimmung seines DNA-Identifizierungsmusters mit dem der Tatspuren - erweist sich damit ebenfalls als rechtswidrig. Gleichwohl durfte die Strafkammer diese Beweismittel in die Hauptverhandlung einführen und im Urteil gegen den Angeklagten verwerten.
28
(1) Dies folgt indes nicht schon daraus, dass der Angeklagte sich auf die gegenüber seinem Vater und seinem Onkel begangenen Rechtsverletzungen nicht berufen könnte, weil seine Interessen von dem Schutzzweck der eng gefassten Verwendungsregelung in § 81h Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, § 81g Abs. 2 Satz 2 StPO nicht erfasst wären. Insoweit gilt vielmehr nichts anderes als bei Verstößen gegen § 52 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1 oder § 81c Abs. 3 Satz 1 und 2 2. Halbs. StPO. Auch diese Vorschriften dienen zwar nicht unmittelbar dem Schutz des Beschuldigten vor der Verwendung bestimmter Beweismittel (BGH, Beschluss vom 21. Januar 1958 - GSSt 4/57, BGHSt 11, 213, 215 f.), sondern wollen in erster Linie den mit ihm eng verwandten Zeugen vor der Zwangslage bewahren, dass er durch eine wahrheitsgemäße Aussage oder die an ihm vorgenommene Untersuchung gegebenenfalls dazu beitragen müsste, einen Angehörigen einer Straftat zu überführen (BGH, Urteile vom 8. Mai 1952 - 3 StR 1199/51, BGHSt 2, 351, 354; vom 5. Januar 1968 - 4 StR 425/67, BGHSt 22, 35, 36 f.; vom 3. August 1977 - 2 StR 318/77, BGHSt 27, 231, 232; vom 26. Oktober 1983 - 3 StR 251/83, BGHSt 32, 140, 143). Darüber hinaus bezwecken sie aber auch den Schutz der Familie des Beschuldigten (BGH, Beschluss vom 21. Januar 1958 - GSSt 4/57, BGHSt 11, 213, 216) und dienen damit mittelbar der Wahrnehmung seiner Interessen. Daher ist anerkannt, dass eine Missachtung des Zeugnisverweigerungsrechts aus § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO oder des Untersuchungsverweigerungsrechts nach § 81c Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO, insbesondere auch ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht gemäß § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO bzw. § 81c Abs. 2 Satz 2 2. Halbs. i.V.m. § 52 Abs. 3 Satz 1 StPO, grundsätzlich zur Unverwertbarkeit der Aussage des Zeugen oder des Untersuchungsergebnisses führt und dies vom Angeklagten mit der Revision gerügt werden kann (Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 52 Rn. 32 und 34 m. zahlr. weiteren Nachweisen, § 81c Rn. 32; LR/Krause, StPO, 26. Aufl., § 81c Rn. 65).
29
Ähnlich liegt es hier. Indem sich das zunächst gegen Unbekannt geführte Ermittlungsverfahren aufgrund der zweckwidrigen Verwendung der vom Vater und vom Onkel des Angeklagten bei dem Reihengentest gewonnenen DNAIdentifizierungsmuster nunmehr gegen den Angeklagten richtete, war nachträglich eine Situation entstanden, die derjenigen nach einem Verstoß gegen § 81c Abs. 3 Satz 1 und 2 2. Halbs., § 52 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 Satz 1 StPO vergleichbar war. Die in dem Reihengentest gewonnenen DNA-Identifizierungsmuster hätten gegen den Angeklagten (damals Beschuldigten) verdachtsbegründend und als Grundlage für die Anordnung nach § 81a StPO nur verwendet werden dürfen, wenn sein Vater und sein Onkel nach nachgeholter Belehrung (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 1958 - GSSt 3/58, BGHSt 12, 235, 242) in diese Nutzung ihrer persönlichen Daten eingewilligt hätten (vgl. § 4 BDSG). Daran fehlt es. Dementsprechend sind nach den dargestellten Maßstäben durch den Gesetzesverstoß auch die rechtlich geschützten Interessen des Angeklagten beeinträchtigt.
30
(2) Dennoch hat die Rüge des Angeklagten keinen Erfolg; denn der dargestellte Verstoß gegen § 81h Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, § 81g Abs. 2 Satz 2 StPO und die daraus resultierende Rechtswidrigkeit des gegen ihn erwirkten Beschlusses nach § 81a StPO führen hier ausnahmsweise noch nicht dazu, dass das Ergebnis der an dem Zellmaterial des Angeklagten vorgenommenen DNAAnalyse nicht zum Tatnachweis gegen ihn hätte verwendet werden dürfen.
31
(a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes führt nicht jeder Rechtsverstoß bei der strafprozessualen Beweisgewinnung zu einem Verwertungsverbot hinsichtlich der so erlangten Erkenntnisse. Vielmehr ist je nach den Umständen des Einzelfalles unter Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte und der widerstreitenden Interessen zu entscheiden (sog. Abwä- gungslehre). Bedeutsam sind dabei insbesondere die Art und der Schutzzweck des etwaigen Beweiserhebungsverbots sowie das Gewicht des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes, das seinerseits wesentlich von der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter bestimmt wird. Dabei ist in den Blick zu nehmen, dass die Annahme eines Verwertungsverbots ein wesentliches Prinzip des Strafverfahrensrechts - den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind - einschränkt. Aus diesem Grund stellt ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme dar, die nur bei ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69 Rn. 47, mit zahlreichen weiteren Nachweisen; BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2011 - 2 BvR 2500/09, 2 BvR 12 BvR 1857/10, NJW 2012, 907 Rn. 117).
32
(b) Nichts anderes gilt mit Blick darauf, dass - wie dargelegt - nach neuerem verfassungsrechtlichen Verständnis jede weitere Verwendung erhobener Daten als eigenständiger Grundrechtseingriff zu werten ist und einer Rechtsgrundlage bedarf. Diese liegt für die Einführung der Beweismittel in die Hauptverhandlung in der in § 244 Abs. 2 StPO statuierten Pflicht des Gerichts, zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung auf alle im Verfahren gewonnenen Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind. Die rechtliche Legitimation für die Verwertung der in die Hauptverhandlung eingeführten Daten zur Urteilsfindung - den nochmaligen Eingriff in die genannten Grundrechte - folgt aus § 261 StPO, der dem Tatgericht gebietet, sich seine Überzeugung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung zu bilden, mithin insbesondere die dort erhobenen Beweise zu würdigen (BGH, Urteil vom 13. Januar 2011 - 3 StR 332/10, BGHSt 56, 127 Rn. 18 mwN; BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2011 - 2 BvR 2500/09, 2 BvR 12 BvR 1857/10, NJW 2012, 907 Rn. 138 ff.).
33
Die hinreichend bestimmte Vorschrift des § 261 StPO beschränkt die Verwertung nicht auf rechtmäßig erhobene Beweise; auch in verfahrensfehlerhafter Weise gewonnene Beweismittel können zur Urteilsfindung herangezogen werden, wenn nicht im Einzelfall ein Beweisverwertungsverbot entgegensteht. Ein solches kann sich aus gesetzlichen Vorschriften ergeben. Es kann aber - mit Blick auf die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Rechts auf ein faires Verfahren - auch von Verfassungs wegen geboten sein. Letzteres ist insbesondere nach schwerwiegenden, bewussten oder objektiv willkürlichen Rechtsverstößen, bei denen grundrechtliche Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, in Betracht zu ziehen (BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2011 - 2 BvR 2500/09, 2 BvR 12 BvR 1857/10, NJW 2012, 907 Rn. 115 ff.). Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen wird die in ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes vertretene Abwägungslehre gerecht (BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2011 - 2 BvR 2500/09, 2 BvR 12 BvR 1857/10, NJW 2012, 907 Rn. 123 f.).
34
(c) Nach dieser war die Verwertung der erlangten Beweisergebnisse - namentlich des mit dem der Tatspur übereinstimmenden DNA-Identifizierungsmusters des Angeklagten - hier (noch) zulässig. Im Einzelnen:
35
Der Rechtsverstoß liegt vorliegend in der Verwendung der durch den angeordneten Reihengentest zufällig gewonnenen Erkenntnis, dass zwischen dem mutmaßlichen Täter und dem Vater und dem Onkel des Angeklagten möglicherweise eine verwandtschaftliche Beziehung bestehen könnte. Dieser ist auch von erheblichem Gewicht, denn eine Zweckbindung, wie sie von § 81h Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, § 81g Abs. 2 Satz 2 StPO vorgesehen ist, soll gerade jede sonstige Datenverwendung verhindern.
36
Dem stehen jedoch folgende Umstände gegenüber: Der Reihengentest, der zu der Erkenntnis führte, war in rechtmäßiger Art und Weise richterlich angeordnet und die Probanden entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen ordnungsgemäß belehrt worden. Auch bei der Durchführung der Maßnahme, namentlich bei der Untersuchung der Proben und dem anschließenden Abgleich mit der Tatspur, ist es - entgegen dem Revisionsvorbringen - nicht zu Rechtsverstößen gekommen; die Beweisgewinnung insoweit war rechtmäßig.
37
Die Sachverständige wollte zudem ausweislich ihrer Stellungnahme zu einem gegen sie gerichteten Befangenheitsgesuch mit ihrer Mitteilung des wahrscheinlichen Verwandtschaftsverhältnisses in erster Linie erreichen, dass ihr die etwaigen Probennummern weiterer Verwandter des Vaters und des Onkels des Angeklagten unter den Teilnehmern des Reihengentests genannt würden , um so den Reihengentest gegebenenfalls schneller abschließen zu können. Damit war die Weitergabe dieser Information an die Ermittlungsbehörden, wenn auch nicht von § 81h StPO vorgesehen, so doch von einem nachvollziehbaren , die Zweckbindung der Datenverwendung nicht missachtenden Motiv getragen.
38
Entscheidend ist aber, dass der Gesetzgeber Regelungen für den Umgang mit solchen sog. Beinahetreffern nicht getroffen hat. Die Rechtslage war für die Ermittlungsbehörden im Zeitpunkt der weiteren Verwendung ungeklärt. Die Ausgangslage der zufälligen Gewinnung einer überschießenden Erkenntnis im Rahmen des Reihengentests wies eine strukturelle Nähe zu der auf, die Gegenstand anderer strafprozessualen Regelungen über den Umgang mit Zufallserkenntnissen ist. Diese verbieten die Verwertung von Zufallserkenntnissen nicht generell: § 108 Abs. 1 StPO regelt den Umgang mit Zufallsfunden. Die Vorschrift betrifft Gegenstände, die anlässlich einer Durchsuchung aufgefunden wurden und - anders als im vorliegenden Fall - in keiner Beziehung zur Anlasstat stehen, aber auf die Verübung einer anderen Straftat hindeuten. Mit Ausnahme der Abs. 2 und 3, die dem Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patientin und dem der Pressefreiheit dienen, ist die Verwertung der Zufallsfunde gestattet. Nach § 477 Abs. 2 Satz 2 StPO ist die Verwendung von Daten in einem anderen Strafverfahren als dem Anlassverfahren - auch ohne Einwilligung des Betroffenen - erlaubt, wenn die Voraussetzungen der Anordnung der Ermittlungsmaßnahme auch in dem Verfahren gegen den nunmehr Beschuldigten vorgelegen hätten; auch in diesen Fällen liegen zufällig gewonnene Erkenntnisse vor, die gleichwohl verwertet werden dürfen.
39
Angesichts dieser Umstände war die Annahme der Ermittlungsbeamten nicht völlig unvertretbar, dass die Erkenntnis der möglichen Verwandtschaft zwischen dem mutmaßlichen Täter und dem Vater und dem Onkel des Angeklagten als Ermittlungsansatz verwertet werden konnte. Jedenfalls stellte sich diese Annahme nicht als eine bewusste oder gar willkürliche Umgehung des Gesetzes oder grundrechtlich geschützter Positionen des - zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bekannten - Angeklagten oder seiner Verwandten dar.
40
Nach alledem wiegt der Verfahrensverstoß auch mit Blick auf die Überschreitung der Zweckbindung und den berührten Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG nicht so schwer, dass er hier die Unverwertbarkeit der infolge der unbefugten Datenverwendung erlangten Erkenntnisse zur Folge hätte.
41
Schließlich steht auch der weitere Verfahrensgang einer Verwertung der erlangten Beweisergebnisse nicht entgegen. Diese wurden zwar unter verfahrensfehlerhafter Verwendung der durch den Reihengentest erlangten Daten des Vaters und des Onkels des Angeklagten erlangt, im Übrigen aber - was auch die Revision nicht in Abrede stellt - für sich betrachtet rechtmäßig erhoben und in prozessordnungsgemäßer Weise zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht.
42
2. Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, die Verteidigung sei dadurch, dass die Strafkammer die Entscheidung über seinen Widerspruch gegen die Verwertung des DNA-Gutachtens der Sachverständigen sowie ihrer Vernehmung als Sachverständige und als Zeugin sowie des KHK Z. und aller Ermittlungspersonen über die Ergebnisse des "Quervergleichs" zurückgestellt und erst in den Urteilsgründen über die Verwertbarkeit entschieden habe, in einem wesentlichen Punkt beschränkt worden, wodurch § 338 Nr. 8 StPO verletzt worden sei.
43
Die Rüge ist nicht in zulässiger Weise erhoben, weil die Revision eine konkret-kausale Beziehung zwischen dem behaupteten Verfahrensfehler und einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt nicht dargetan hat (BGH, Beschluss vom 23. September 2003 - 1 StR 341/03, BGHR StPO § 338 Nr. 8, Beschränkung 8 mwN). Es ist nicht vorgetragen, dass das Urteil auf der angeblichen Beschränkung der Verteidigung beruht. Dies ist auch sonst nicht ersichtlich , insbesondere liegt es fern, dass die Sachentscheidung anders ausgefallen wäre, wenn die Strafkammer schon in der Hauptverhandlung die Verwertbarkeit der Beweismittel bejaht hätte, zumal die Verteidigung - wie ihr Revisionsvorbringen zeigt - ersichtlich nicht daran gehindert war, ihre entgegenstehende Rechtsauffassung mit Nachdruck in der Hauptverhandlung zu vertreten.
44
3. Schließlich behauptet die Revision in diesem Zusammenhang einen Verstoß gegen § 74 StPO. Der Angeklagte hatte die Sachverständige in der Hauptverhandlung aufgrund der behaupteten Rechtsverletzungen im Umgang mit den DNA-Proben seiner Verwandten wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt; die Strafkammer wies das Befangenheitsgesuch mit der Begründung zurück, die Person des Angeklagten sei der Sachverständigen zu keinem Zeitpunkt bekannt gewesen. Auch im Übrigen lasse ihre Arbeit keine Parteilichkeit erkennen: Soweit die Belehrung beanstandet werde, habe die Sachverständige diese nicht erteilt. Angesichts dessen, dass in einer Fallkonstellation wie der vorliegenden noch nicht entschieden worden sei, wie mit der Erkenntnis der möglichen Verwandtschaft von Probanden mit dem mutmaßlichen Täter umzugehen sei, bestünden jedenfalls keine Anhaltspunkte für ein willkürliches Verhalten der Sachverständigen.
45
Auch diese Rüge hat keinen Erfolg. Der Ablehnungsbeschluss der Strafkammer geht von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab aus und lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Der Umgang der Sachverständigen mit den DNAProben entsprach den gesetzlichen Vorgaben. Die Mitteilung des Verwandtschaftsverhältnisses stellt allenfalls eine - wie dargelegt - vertretbare Überschreitung des Gutachtenauftrages dar, die die Besorgnis der Befangenheit nicht ohne Hinzutreten weiterer - hier nicht gegebener - Umstände zu begründen vermag (LR/Krause, StPO, 26. Aufl., § 74 Rn. 14).
46
II. Der Beschwerdeführer rügt darüber hinaus eine Verletzung der Aufklärungspflicht wegen des Unterlassens der Einholung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens. Entgegen den Urteilsausführungen und der Darstellung der Sachverständigen hätten sich bei Abstrichen innerhalb von weniger als fünf Stunden nach der Tat darin Spermien/Spermienköpfe und nicht nur DYSSysteme finden lassen müssen. Daher hätte sich dem Landgericht aufdrängen müssen, dass es zu keinem Samenerguss in der Scheide gekommen sei; die Kammer hätte dazu einen weiteren Sachverständigen vernehmen müssen.
Zum Beleg zitiert die Revision eine in der Hauptverhandlung verlesene Stellungnahme eines von der Verteidigung beauftragten Privatgutachters zu dem beigefügten schriftlichen DNA-Gutachten der Sachverständigen, das sich indes zu dieser Frage nicht verhält.
47
Die Rüge ist bereits unzulässig, denn weder ist vorgetragen, dass die Untersuchung der Nebenklägerin, bei der die Abstriche genommen wurden, bereits binnen fünf Stunden nach der Tat durchgeführt wurde, noch ergibt sich dies aus den Urteilsgründen oder dem vorgelegten schriftlichen Gutachten der Sachverständigen.
48
Zudem bleibt sie auch in der Sache ohne Erfolg, denn das Landgericht musste sich nach Vorlage der Stellungnahme des Privatgutachters zu einer weiteren Beweiserhebung nicht gedrängt sehen. Aus dieser ergibt sich nicht, dass Spermien bzw. Spermienköpfe hätten vorhanden sein müssen und die Aussage der Sachverständigen, männliche DNA könne sich im Körperinneren gegenüber der weiblichen DNA nicht behaupten, unzutreffend sei; sie befasst sich vielmehr - wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausführt - in erster Linie mit den erst ab Ende 2013 von den Mitgliedstaaten umzusetzenden Vorgaben des Rahmenbeschlusses 2009/905/JI des Rates über die Akkreditierung von Anbietern kriminaltechnischer Dienste, die Labortätigkeiten durchführen (ABl L Nr. 322 vom 9. Dezember 2009, S. 14), und steht damit in keinerlei Zusammenhang zum Gegenstand der gerichtlichen Untersuchung.
49
III. Die Verfahrensbeanstandung einer Verletzung des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO ist - wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat - ebenfalls unbegründet. Die Strafkammer hat einen Beweisantrag der Verteidigung auf Untersuchung der Blutanhaftungen auf der Bluse der Nebenklägerin zum Be- weis dafür, dass sich auf dieser neben den Spuren ihres Freundes und den gefundenen / begutachteten Spuren (mutmaßlich des Angeklagten) noch weitere männliche Spuren befänden, wegen Bedeutungslosigkeit aus tatsächlichen Gründen zurückgewiesen. In der Begründung des Beschlusses hat sie unter eingehender Würdigung der bis zu diesem Zeitpunkt erhobenen Beweise dargelegt , warum sie selbst bei Gelingen des Beweises den nur möglichen Schluss, der Angeklagte sei nicht der Täter gewesen, nicht ziehen wolle. Rechtsfehler sind insoweit nicht zu erkennen.

C.


50
Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge deckt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts weder zum Schuld- noch zum Strafausspruch einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

D.


51
Mit seiner sofortigen Beschwerde gegen die Auslagenentscheidung des Landgerichts beanstandet der Angeklagte, dass ihm die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin auferlegt worden sind. Auch dieses Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
52
Die notwendigen Auslagen der Nebenklage (§ 472 Abs. 1 StPO) können auch einem verurteilten Jugendlichen aus erzieherischen Gründen auferlegt werden, um zu verdeutlichen, dass der Nebenkläger Opfer der Straftat ist und um eine Abschwächung der Verurteilung durch die Kostenfreistellung zu vermeiden (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 9. November 1962 - 1 Ss 1133/62, NJW 1963, 1168). Dabei kann die Verwerflichkeit des Verhaltens gegenüber dem Nebenkläger wie auch die Frage, ob die Nebenklage gerechtfertigt erscheint, berücksichtigt werden (vgl. Brunner/Dölling, JGG, 12. Aufl., § 74 Rn. 8).
53
Dem Beschwerdeführer ist zuzugeben, dass die Strafkammer die Überbürdung der Auslagen der Nebenklägerin nicht begründet hat; dies ist, da es sich um eine Ermessensentscheidung handelt, rechtlich bedenklich. Angesichts der durch massive Gewalt gekennzeichneten Tat zulasten der Nebenklägerin entspricht die ausgesprochene Kostenfolge indes den oben genannten Zwecken der Auslagenentscheidung. Der Senat sieht deshalb keinen Anlass zu deren Änderung.
Becker Pfister Schäfer
Gericke Spaniol

(1) Bei Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen. Möchte der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger befragen, sind ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren. Auf bestehende anwaltliche Notdienste ist dabei hinzuweisen. Er ist ferner darüber zu belehren, daß er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen und unter den Voraussetzungen des § 140 die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Maßgabe des § 141 Absatz 1 und des § 142 Absatz 1 beantragen kann; zu Letzterem ist er dabei auf die Kostenfolge des § 465 hinzuweisen. In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf, dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.

(2) Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen.

(3) Bei der Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf die Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen.

(4) Die Vernehmung des Beschuldigten kann in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Sie ist aufzuzeichnen, wenn

1.
dem Verfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen oder
2.
die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können.
§ 58a Absatz 2 gilt entsprechend.

(5) § 58b gilt entsprechend.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
______________________
StPO § 136 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 163a Abs. 4, § 141 Abs. 3 Satz 2
Zur Belehrung über das Recht auf Verteidigerkonsultation und zur Notwendigkeit
einer Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren (Fortführung von BGHSt 38, 214
und von BGHSt 46, 93).
BGH, Urt. vom 22. November 2001 - 1 StR 220/01 - LG Konstanz

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 220/01
vom
22. November 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
20. November 2001 in der Sitzung am 22. November 2001, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Nack,
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Bundesanwalt in der Verhandlung vom 20. November 2001,
Staatsanwalt in der Sitzung am 22. November 2001
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung
vom 20. November 2001,
Rechtsanwältin in der Sitzung
am 22. November 2001
als Verteidiger,
Justizangestellte in der Verhandlung
vom 20. November 2001,
Justizangestellte in der Sitzung
am 22. November 2001
als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten F. gegen das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 22. Dezember 2000 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes unter Einbeziehung anderweit verhängter Freiheitsstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel ist unbegründet. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen erschossen der Angeklagte und der Mitangeklagte L. im Juni 1993 den Pizzeriainhaber B. mit einem auf Geheiß des L. vom Angeklagten beschafften Revolver. Zu diesem Zwecke hatten sie B. unter einem Vorwand veranlaßt, mit ihnen eine Fahrt im Pkw anzutreten. Zur Tat kam es bei einem Halt am Rande einer durch ein Waldstück führenden Straße. Der erste, vom Angeklagten abgegebene Schuß traf das Opfer lediglich an der Hand. Daraufhin
nahm L. dem Angeklagten den Revolver aus der Hand und schoû B. aus kurzer Entfernung in den Rücken. Nachdem beide den Getroffenen in den Wald gezogen hatten, setzte L. die Waffe zwischen den Augen auf die Stirn des Opfers und gab einen weiteren, sofort tödlichen Schuû ab. L. wollte als Pächter von B. eine Pizzeria übernehmen und hatte sich diesem zur Zahlung einer Abstandssumme in Höhe von 97.000 DM verpflichtet, die er indessen nicht aufzubringen vermochte. Deshalb lag ihm daran, B. zu beseitigen und ein Papier aufzusetzen, aus dem sich ergeben sollte, daû er den Betrag bereits an B. gezahlt habe. Dem Angeklagten hatte er als Lohn für seine Mithilfe bei der Tat 20.000 DM sowie den Pkw BMW Cabriolet des B. versprochen. Das Landgericht hat L. und den Angeklagten des gemeinschaftlichen Mordes für überführt erachtet und die Mordmerkmale der Habgier und der Heimtücke angenommen. Es hat nicht auszuschlieûen vermocht, daû die Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt aufgrund einer “geltungssüchtigen Persönlichkeitsstörung” und “unterstützt” durch Drogenkonsum erheblich vermindert war. Bei seiner Beweisführung hat sich das Landgericht namentlich zur vorgefaûten Tötungsabsicht maûgeblich auf das Geständnis des Angeklagten im Ermittlungsverfahren gestützt.

I.

Die Revision erhebt zwei Verfahrensrügen. Zum einen beanstandet sie, der Angeklagte sei vor der Entgegennahme seines Geständnisses nicht auch über sein Recht zur vorherigen Zuziehung eines Verteidigers belehrt worden. Zum anderen meint sie, dem Angeklagten habe hier jedenfalls vor seiner Mit-
wirkung an einer Tatrekonstruktion ein Verteidiger beigeordnet werden müssen. Den Rügen liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Nachdem die Leiche des B. aufgefunden und im Januar 1994 identifiziert werden konnte, geriet auch der Angeklagte in Verdacht und wurde am 21. und 22. Februar 1994 nach korrekter Belehrung polizeilich als Beschuldigter vernommen. Das Ermittlungsverfahren gegen ihn wurde jedoch im November 1994 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, weil die Verdachtsgründe als nicht ausreichend erachtet wurden. Mehr als fünf Jahre später, im Herbst 1999, nahm der Angeklagte von sich aus Kontakt zur Polizei auf und legte schlieûlich ein Geständnis ab. Zuvor war der Angeklagte im Jahr 1995 wegen eines Straûenverkehrsdelikts verurteilt worden; im Jahr 1997 war gegen ihn wegen eines Betäubungsmitteldelikts ein Strafbefehl ergangen. Im Januar und März 1999 wurde er in zwei Ermittlungsverfahren polizeilich unter rechtsfehlerfreier Belehrung als Beschuldigter vernommen; zum einen wegen eines Verbrechens nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz, zum anderen wegen Raubes zum Nachteil seiner Freundin. Zu dem Geständnis kam es wie folgt: Anfang Oktober 1999 rief der Angeklagte die in der Sache ermittelnde Kriminalpolizeidienststelle aus Österreich an und teilte mit, er könne Angaben zu dem Mordfall B. machen; er sei unterwegs zu einer (gegen ihn stattfindenden) Hauptverhandlung in Deutschland. Am Tage der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten in der KWKGSache scheiterte ein vereinbarter Kontakt zwischen den in der Mordsache ermittelnden Polizeibeamten und dem Angeklagten allerdings, weil dieser zu spät erschien. In der dann doch durchgeführten Hauptverhandlung in jener Sache war der Angeklagte verteidigt. Am 27. Oktober 1999 wurde der Angeklagte
festgenommen, weil er in dem anderen, wegen Raubes gegen ihn geführten Strafverfahren nicht zur Hauptverhandlung erschienen und deshalb ein Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO gegen ihn ergangen war. Bei der Haftbefehlseröffnung war er im Beistand eines Verteidigers und wurde ausweislich des Vorführprotokolls vollständig als Beschuldigter belehrt. Vom 3. November bis 5. Dezember 1999 wurde der Angeklagte sodann in einem Haftkrankenhaus wegen manisch-psychotischer Symptome behandelt. Nach Besserung erfolgte seine Rückverlegung in die Justizvollzugsanstalt. Am 25. November 1999 lieû er durch einen Gefängnisseelsorger der Polizei erneut einen Gesprächswunsch betreffend den Mordfall B. übermitteln. Am Tage der Hauptverhandlung gegen ihn in der Raubsache, am 9. Dezember 1999, suchten Polizeibeamte ihn zuvor in der Vollzugsanstalt auf. Der Angeklagte machte jetzt Angaben zu dem Mord, die ihn selbst und L. belasteten. Er gab eine Tatschilderung, wollte aber kein förmliches Protokoll unterzeichnen. Die Polizeibeamten fertigten deshalb über den Inhalt der Angaben einen Vermerk. Die dem Angeklagten bei der Befragung erteilte Belehrung war nicht vollständig; sie enthielt keinen Hinweis auf das Recht zur vorherigen Verteidigerkonsultation. Nach der anschlieûenden Hauptverhandlung in der Raubsache , in der der Angeklagte wiederum verteidigt war, wurde er – wie von ihm erwartet - auf freien Fuû gesetzt. Der von dem Ergebnis der Vernehmung tags darauf, am 10. Dezember 1999 (Freitag), telefonisch unterrichtete Oberstaatsanwalt ordnete ausweislich eines von ihm niedergelegten Vermerks an, nach dem Mittäter L. zu fahnden und diesen festzunehmen; er werde ªsobald als möglichº Haftbefehl ªausstellen lassenº. Mit dem Angeklagten solle eine weitere Detailabklärung erfolgen. Am 12. Dezember 1999 (Sonntag) verfaûte der ermittelnde Kriminalbe-
amte einen Vermerk, in welchem er die ersten Angaben des Angeklagten bewertete und mit den weiteren Ermittlungsergebnissen abglich. Der Vermerk läût in seiner Formulierung eine gewisse Zurückhaltung und Vorsicht hinsichtlich des Wahrheitsgehaltes der Einlassung des Angeklagten erkennen. Der Beamte kam zu dem Ergebnis, die Angaben des Angeklagten erschienen "plausibel"; sie lieûen sich mit den vorliegenden anderweitigen Erkenntnissen und der von der Polizei favorisierten Tat- und Täterhypothese in Einklang bringen. Der Vermerk lag dem Oberstaatsanwalt am 13. Dezember 1999 (Montag) vor. Er verfügte in den Akten die Wiederaufnahme der Ermittlungen gegen L. und den Angeklagten. Am selben Tage, dem 13. Dezember 1999, kam es nach telefonischer Verabredung auch dazu, daû der nunmehr wieder in Freiheit befindliche Angeklagte sich zur Mitwirkung an einer Tatrekonstruktion am Tatort bereitfand. Einem gefertigten Vermerk zufolge wiesen die Polizeibeamten den Angeklagten auf der Fahrt zum Tatort darauf hin, daû er sich durch seine Angaben selbst schwerwiegend belasten und ªdie Aussagen verweigernº könne. Auûerdem "kenne er seine Rechte als Beschuldigter sicher, da er schon wiederholt vor Gericht gestanden habe". Der Angeklagte bejahte dies und "blieb aussagebereit". Am Tage nach der auch auf Video aufgezeichneten Tatrekonstruktion, also am 14. Dezember 1999, stellte die Staatsanwaltschaft Antrag auf Erlaû eines Haftbefehls gegen den Angeklagten und gegen L. . Einen weiteren Tag darauf unterschrieb der Angeklagte nun das förmliche Protokoll einer Beschuldigtenvernehmung , der eine vollständige und korrekte Belehrung vorangegangen war. Jetzt machte er indessen keine detaillierten Angaben mehr, sondern erklärte pauschal, seine bisherigen Einlassungen seien richtig. Er fand sich sodann bereit, L. eine sogenannte Hörfalle zu stellen. Zu diesem Zwecke kam er am 17. Dezember 1999 nochmals zur Polizei und führte von
dort aus drei Telefongespräche mit L. . Er wurde schlieûlich festgenommen und bat nun um Verständigung eines bestimmten Rechtsanwalts, der daraufhin erschien. Vor dem Haftrichter erklärte sein Verteidiger, der Angeklagte werde vor Gewährung von Akteneinsicht keine weiteren Angaben machen. In der Hauptverhandlung räumte der Angeklagte das äuûere Tatgeschehen ein, erklärte jetzt jedoch, zuvor nicht in den Tatplan L. s eingeweiht gewesen und selbst nicht in Tötungsabsicht auf B. geschossen, sondern absichtlich daneben gezielt zu haben. 1. Die Revision beanstandet im Ergebnis ohne Erfolg als Verletzung von § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO, der Angeklagte sei vor seiner geständigen Einlassung bei der Polizei und seiner Mitwirkung an einer Tatrekonstruktion nicht ordnungsgemäû belehrt worden; die erfolgten Belehrungen litten darunter, daû ihm das Recht zur vorherigen Konsultation eines Verteidigers nicht aktuell ins Bewuûtsein gerufen worden sei. Daraus folge ein Beweisverwertungsverbot. Mit Recht hebt die Revision hervor, daû die dem Angeklagten bei den polizeilichen Befragungen und der Tatrekonstruktion am 9. und 13. Dezember 1999 erteilten Belehrungen unvollständig und fehlerhaft waren. Das kann aber hier nicht zu einem Verwertungsverbot führen, weil der Angeklagte sein Recht auf Verteidigerkonsultation kannte.
a) Der Bundesgerichtshof hat bereits früher zum Schweigerecht hervorgehoben , daû der Polizeibeamte die Pflicht hat, einen Hinweis nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO zu geben, unabhängig davon, ob der Beschuldigte seine Rechte kennt oder nicht. Im Gesetz sind keine Ausnahmen von der Hinweispflicht vorgesehen. Das ist auch sinnvoll: Auch wer mit der Rechtslage
vertraut ist, bedarf unter Umständen wegen der besonderen Situation der Vernehmung im Ermittlungsverfahren des Hinweises nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO, um "klare Gedankenº fassen zu können. Wer bei Beginn der Vernehmung auch ohne Belehrung gewuût hat, daû er nicht auszusagen braucht, ist allerdings nicht im gleichen Maûe schutzbedürftig wie derjenige, der sein Schweigerecht nicht kannte. Er muû zwar nach § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO belehrt werden. Jedoch gilt hier das Verwertungsverbot ausnahmsweise nicht. Die wertende Abwägung ergibt, daû dem Interesse an der Aufklärung des Sachverhalts und der Durchführung des Verfahrens in einem solchen Fall Vorrang gegeben werden kann. Gelangt der Tatrichter, erforderlichenfalls im Wege des Freibeweises, zu der Auffassung, daû der Beschuldigte sein Recht zu schweigen bei Beginn der Vernehmung gekannt hat, dann darf er den Inhalt der Angaben, die der Beschuldigte ohne Belehrung vor der Polizei gemacht hat, bei der Urteilsfindung verwerten. Hat der Tatrichter hingegen aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte ernsthafte Zweifel daran, daû der Angeklagte bei seiner polizeilichen Vernehmung das Schweigerecht gekannt hat, und hat das Freibeweisverfahren diese Zweifel nicht beheben können , so ist entsprechend der vom Gesetzgeber mit der Einführung der Hinweispflicht getroffenen Grundentscheidung davon auszugehen, daû es dem Beschuldigten an dieser Kenntnis gefehlt hat. Dann besteht ein Beweisverwertungsverbot (so BGHSt 38, 214, 224/225). Diese Grundsätze gelten entsprechend auch für die Belehrung über das Recht auf Zuziehung eines Verteidigers. Der Senat ist der Auffassung, daû die Pflicht zur Belehrung über das Recht auf Verteidigerkonsultation gegenüber dem Hinweis auf das Schweigerecht des Beschuldigten kein geringeres Gewicht hat (offengelassen vom 2. Strafsenat in BGH NStZ 1997, 609); beide Rechte des Beschuldigten hängen eng zusammen und sichern im System der
Rechte zum Schutz des Beschuldigten seine verfahrensmäûige Stellung in ihren Grundlagen; sie verdeutlichen ihm als Hinweise seine prozessualen Möglichkeiten (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 StPO). Gerade die Verteidigerkonsultation dient dazu, den Beschuldigten zu beraten, ob er von seinem Schweigerecht Gebrauch macht oder nicht. Was für die Belehrung über das Schweigerecht gilt, ist deshalb auch für diejenige zur Verteidigerkonsultation erheblich.
b) Das Landgericht geht auf der Grundlage einer tragfähigen und überzeugenden Würdigung davon aus, daû dem Angeklagten das Recht zur Verteidigerkonsultation aus zeitnah voraufgegangenen anderweitigen Beschuldigtenbelehrungen aktuell bekannt war; es hatte hieran keinen Zweifel (UA S. 35/36). Der Senat sieht keinen Grund, diese Bewertung im Rahmen der auf die Verfahrensrüge hin veranlaûten Nachprüfung zu beanstanden. Er kommt zu keinem anderen Ergebnis. Der Angeklagte war vor seiner geständigen Einlassung mehrfach als Beschuldigter richtig belehrt worden: im gegenständlichen Verfahren bereits 1994; 1995 war er wegen eines Straûenverkehrsdelikts verurteilt worden; im ersten Quartal 1999 erfolgten in zwei verschiedenen - wegen Raubes sowie wegen Verbrechens nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz - gegen ihn geführten Verfahren Belehrungen. Nur kurze Zeit vor der ersten hier in Rede stehenden Befragung war er in einer Hauptverhandlung in anderer Sache und später auch beim Haftrichter vollständig belehrt worden und zudem verteidigt. Bei solchem Verlauf liegt auf der Hand, daû dem Angeklagten seine Rechte bei Ablegung seines Geständnisses am 9. und 13. Dezember 1999 aktuell bewuût waren. Das gilt zumal vor dem Hintergrund, daû er auch unmittelbar nach der ersten Befragung am 9. Dezember mit seinem Verteidiger an einer Hauptver-
handlung teilnahm, auf die der Angeklagte - jetzt vorübergehend in sogenannter Hauptverhandlungssicherungshaft (§ 230 Abs. 2 StPO) - gerade am selben Tage wartete. Im übrigen hatte er gleich, nachdem ihm schlieûlich am 17. Dezember 1999 die Festnahme erklärt worden war, um Verständigung eines bestimmten Verteidigers gebeten. Daû ihm angesichts all dieser Umstände nicht bewuût gewesen sein könnte, auch hinsichtlich seiner Geständniserwägungen zuvor den Rat eines Verteidigers einholen zu können, wenn ihm das erwünscht erschienen wäre, hält der Senat für ausgeschlossen. Hinzu kommt, daû sich der Angeklagte nicht in der für einen Beschuldigten sonst vielfach typischen Situation befand, in der dieser im Falle seiner Festnahme wegen der verfahrensgegenständlichen Tat durch die Ereignisse bedrückt und verängstigt sein kann und gerade deshalb der aktuellen Belehrung bedarf (vgl. BGHSt 38, 214, 222; siehe auch BGHSt 42, 15, 17 ff.). Im Gegenteil: Der Angeklagte hatte hier von sich aus, auf freiem Fuû befindlich, aus dem Ausland den Kontakt gezielt zu den im Verfahren ermittelnden Polizeibeamten gesucht und Sachangaben angeboten. Später hatte er seinen Gesprächswunsch über einen Gefängnisseelsorger wiederholt. Zur Tatortbegehung und der Tatrekonstruktion war er - von seinem Vater gefahren - aus freien Stücken erschienen. Im Zusammenhang mit der - nun nach vollständiger Beschuldigtenbelehrung - erfolgten Vernehmung am 15. Dezember 1999 hatte er erklärt, er wisse, in welcher prekären Lage er sich befinde, die ihn "die Freiheit kosten" werde. All das weist auf ein überlegtes Verhalten des Angeklagten hin, das unbeeinfluût von äuûerem, situationsbedingtem Druck war. Bei dieser Sachlage konnte das Landgericht davon ausgehen, der Angeklagte habe seine Beschuldigtenrechte vollumfänglich gekannt; ein Verwertungsverbot sei nicht gegeben. Auch der Senat sieht auf die Verfahrensrüge
hin keinen Anlaû, dem weitergehend als geschehen im Freibeweis nachzugehen.
c) Ein Verwertungsverbot ergibt sich im vorliegenden Falle auch nicht unter dem Gesichtspunkt, daû das Recht des Angeklagten auf Zugang zum Verteidiger vereitelt worden wäre (vgl. BGHSt 38, 372 ff.; 42, 15, 17 ff.). Die Ermittlungsbeamten haben dem Angeklagten die Kontaktaufnahme mit einem Verteidiger nicht verwehrt; sie haben auch nicht etwa einen entsprechenden Wunsch des Angeklagten unterlaufen; vielmehr hat dieser einen solchen nicht geäuûert. Die gegenteilige Behauptung des Angeklagten in der Hauptverhandlung hat das Landgericht auf der Grundlage tragfähiger Würdigung als widerlegt erachtet.
d) Nach allem kann der Senat offen lassen, ob ein Verwertungsverbot hier von vornherein schon deshalb nicht in Betracht kommt, weil der Angeklagte im Jahre 1994 in diesem Verfahren nach vollständiger Belehrung bereits als Beschuldigter vernommen worden war und der Wortlaut der Belehrungsbestimmungen eine Belehrung "bei Beginn der ersten Vernehmung" vorschreibt (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 StPO). Fürsorgliche Gründe und der Zweck der Belehrung, dem Beschuldigten seine Rechte aktuell ins Bewuûtsein zu rufen, sprechen hier wegen des zwischenzeitlich verstrichenen langen Zeitraums allerdings dagegen, die zurückliegende Beschuldigtenbelehrung genügen zu lassen. Auf sich beruhen kann überdies, ob die nach den ersten Befragungen und der Tatrekonstruktion (am 9. und 13. Dezember 1999) erfolgte vollständige Belehrung am 15. Dezember 1999 mit der pauschalen Bestätigung der bisherigen Angaben durch den Angeklagten die voraufgegangenen fehlerhaften Belehrungen zu heilen vermochte, obgleich sie keine sogenannte qualifizierte
Belehrung war, bei welcher der Angeklagte auf ein etwaiges Verbot der Verwertung früherer Angaben hinzuweisen gewesen wäre (vgl. Boujong in KK, 4. Aufl. § 136 Rdn. 29 m.w.Nachw.; zur Zeugenbelehrung auch: Senat, Beschl. vom 19. September 2000 - 1 StR 205/00 a.E.).
2. Die Revision macht weiter geltend, bei einer am Grundsatz des fairen Verfahrens (hier im Sinne der sog. Mindestgarantie des Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK - Beistand eines Verteidigers) ausgerichteten Interpretation des § 141 Abs. 3 StPO habe dem Angeklagten jedenfalls vor der Entgegennahme seiner weiteren geständigen Einlassung anläûlich seiner Mitwirkung an der Tatrekonstruktion ein Verteidiger bestellt werden müssen. Indem das Landgericht diese ohne den Beistand eines Verteidigers zustande gekommenen Angaben des Angeklagten bei seiner Beweisführung verwertet habe, setze sich dieser Rechtsfehler bis ins Urteil fort. Die Verfahrensrüge hat im Ergebnis keinen Erfolg. Selbst dann, wenn eine Pflicht zur vorherigen Herbeiführung einer Verteidigung bestanden hätte, gegen diese verstoûen worden und als Folge ein Verwertungsverbot in Betracht zu ziehen wäre, ergäbe die dann vorzunehmende Abwägung, daû das Gewicht des Schutzbedürfnisses des Angeklagten angesichts der gegebenen Begleitumstände nicht die Annahme eines Verwertungsverbots gebietet.
a) Die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, die Beiordnung eines Verteidigers zu beantragen, ergibt sich für Fälle der vorliegenden Art unmittelbar aus § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO. Sie ist jedenfalls zu demjenigen Zeitpunkt begründet , zu dem gegen einen Beschuldigten ein als dringend zu bewertender Tatverdacht eines Verbrechens (vgl. § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO) angenommen
wird und der Beschuldigte tatsächlich auch des Beistandes eines Verteidigers bedarf. aa) Nach § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO stellt die Staatsanwaltschaft den Antrag auf Beiordnung eines Verteidigers, wenn die Verteidigung im gerichtlichen Verfahren ªnach ihrer Auffassungº eine notwendige sein wird. Der Senat hat diese Vorschrift im Blick auf ihre jetzige Fassung und deren Entstehungsgeschichte dahin ausgelegt, daû die Staatsanwaltschaft die Pflicht zur Stellung des Beiordnungsantrages hat, wenn abzusehen ist, daû die Mitwirkung des Verteidigers notwendig werden wird (BGHSt 46, 93, 98). Bei der Bewertung im Einzelfall ist indessen zu bedenken, daû für die Prognose, ob im gerichtlichen Verfahren die Verteidigung notwendig sein wird, nach dem Wortlaut des Gesetzes die Auffassung der Staatsanwaltschaft maûgeblich ist; ihr kommt also die Einschätzung und ein Beurteilungsspielraum zu, der sich allerdings je nach Lage des Falles auf nur eine pflichtgemäûe Entschlieûung einengen kann. Die Regelung schlieût weiter ein, daû die Staatsanwaltschaft einen Anfangsverdacht zunächst so weit abklären darf, daû sie eine - dem Stande der Ermittlungen gemäûe - tragfähige Grundlage für ihre Einschätzung zur späteren Notwendigkeit einer Verteidigung gewinnt. Ihr Beurteilungsspielraum erstreckt sich auf die Bewertung der Verdachtslage sowohl in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht. Eine Pflicht zur Stellung eines Beiordnungsantrages besteht jedenfalls dann, wenn der Tatverdacht von der Staatsanwaltschaft als dringend erachtet wird und der Beschuldigte zugleich aufgrund der Lage des Verfahrens tatsächlich des Beistandes eines Verteidigers bedarf. Stellt die Staatsanwaltschaft also einen Antrag auf Erlaû eines Haftbefehls wegen eines Verbrechens, wird sie stets auch die Stellung des Beiordnungsantrages zu erwägen haben. Dieser
kann zurückgestellt werden, solange der Beschuldigte noch nicht festgenommen ist. Überdies wird der Staatsanwaltschaft zuzugestehen sein, daû sie auch dann, wenn sie die Prognose von der Notwendigkeit einer Verteidigung im Hauptverfahren gewinnt, zunächst klären darf, ob der Beschuldigte von sich aus von seinem Recht Gebrauch macht, in autonomer Entschlieûung einen Verteidiger zu wählen. bb) Im vorliegenden Fall bestand eine Pflicht der Staatsanwaltschaft zur Stellung des Beiordnungsantrages bei der Entgegennahme des ersten Geständnisses des Angeklagten am 9. Dezember 1999 noch nicht, auch wenn der Angeklagte nach ausdrücklicher Erklärung der vernehmenden Polizeibeamten bereits die Stellung eines Beschuldigten hatte. Diese ersten Angaben des Angeklagten waren für noch überprüfungsbedürftig gehalten worden. Das ergibt sich aus der Fassung des Auswertungsvermerks der Polizei vom 12. Dezember und aus dem Verlauf der Ermittlungen in dieser Phase. Zweifelsfrei begründet war die Antragspflicht am 14. Dezember 1999, als die Staatsanwaltschaft Haftbefehle gegen L. und den Angeklagten beantragte. Wie es sich für den Zeitpunkt vor Durchführung der Tatrekonstruktion am 13. Dezember 1999 verhält , läût der Senat offen. Für eine Antragspflicht könnte hier sprechen, daû der zuständige Oberstaatsanwalt bereits am 10. Dezember (freitags) nach telefonischer Unterrichtung die Fahndung nach L. und dessen Festnahme anordnete, die das Vorliegen der Haftbefehlsvoraussetzungen erfordert (§ 127 Abs. 2 StPO), die nach ihrem Vollzug und aktueller Bewertung der Verdachtslage im Weiteren die Vorführung beim Richter zur Folge hat, die aber auch dazu führen kann, daû der Beschuldigte wieder in Freiheit zu setzen ist (§ 128 Abs. 1 StPO). Andererseits hatte der Oberstaatsanwalt einem Vermerk vom 10. Dezember zufolge den Polizeibeamten die weitere Detailklärung mit dem Angeklagten aufgegeben und die Stellung des Haftbefehlsantrages "sobald als
möglich" angekündigt. Das deutet darauf hin, daû er zunächst das Ergebnis der Tatrekonstruktion und die sich darauf stützende weitere Überprüfung der geständigen Einlassung des Angeklagten vom 9. Dezember abwarten wollte. Dafür spricht weiter, daû er tatsächlich so verfahren ist, obgleich er an sich schon am Montag, dem 13. Dezember bei Verfügung der Wiederaufnahme der Ermittlungen einen Haftbefehlsantrag hätte absetzen können. Bei der nachträglichen Beurteilung solcher Vorgänge ist auch Bedacht darauf zu nehmen, daû die Fassung des § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO, in dem sie ausdrücklich auf die Auffassung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Notwendigkeit einer Verteidigung im Hauptverfahren abhebt, ersichtlich gerade den Zweck verfolgt, allzu differenzierte Abgrenzungen im Ermittlungsverfahren nicht zu verlangen und das Verfahren nicht mit unterschiedlichen Bewertungen insoweit zu belasten; das gilt zumal dann, wenn daran auch noch die Frage der Verwertbarkeit geknüpft wird. Bei der Überprüfung wird der Richter deshalb im Nachhinein nicht ohne weiteres seine – ohne zeitlichen Druck und unter Berücksichtigung der weiteren Entwicklung gewonnene – Einschätzung der Lage an die Stelle derjenigen der handelnden Ermittlungsbeamten setzen dürfen. Er muû, will er eine Pflicht zur Stellung eines Beiordnungsantrages für einen bestimmten Zeitpunkt als gegeben annehmen, auch die situationsbedingten Grenzen der Erkenntnis, deren mögliche Unvollständigkeit und ihre vorläufige Natur, in dem jeweiligen Stadium der Ermittlungen in Rechnung stellen (vgl. zu diesem Gesichtspunkt in anderem Zusammenhang: BVerfG NJW 2001, 1121). Auf all das kommt es für die abschlieûende Beurteilung der in Rede stehenden Verfahrensrüge indes nicht an.
b) Der Senat läût weiter dahinstehen, ob sich aus § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO für die Staatsanwaltschaft nicht nur die Pflicht zur Stellung des Antrages
auf Beiordnung ergibt, sondern aus dieser Bestimmung auch die Verpflichtung herzuleiten ist, mit Ermittlungen, welche die Mitwirkung des Beschuldigten erfordern innezuhalten, bis der Verteidiger tatsächlich gerichtlich bestellt ist und seine Tätigkeit aufgenommen hat. Dies würde allerdings bedeuten, daû in solcher Lage die weitere Entgegennahme des Geständnisses eines in Kenntnis seiner Rechte aussagebereiten Beschuldigten abzulehnen wäre. Maûgeblich muû dann indessen sein, wie sich der Beschuldigte verhält, nachdem er korrekt belehrt worden ist. Dem Senat erscheint vorstellbar, daû eine Vernehmung fortgesetzt werden darf, wenn der Beschuldigte zuvor ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, daû ihm nunmehr ein Verteidiger zu bestellen ist. Wenn er sodann in Kenntnis dieses Umstandes und seiner sonstigen Rechte weiter aussagebereit bleibt, obgleich er durch Berufung auf sein Schweigerecht ohne weiteres jede Fortführung einer Vernehmung unterbinden könnte, so spricht nichts dagegen, solche Angaben auch entgegennehmen und verwerten zu dürfen. Das gilt zumal dann, wenn die weitere Vernehmung ± etwa im Rahmen einer Tatrekonstruktion ± beim gegebenen Ermittlungsstand durchaus eilbedürftig und unaufschiebbar erscheint. Im Ergebnis kommt es aber auch darauf hier nicht an.
c) Selbst wenn unterstellt wird, die Staatsanwaltschaft hätte schon vor der Tatrekonstruktion am 13. Dezember 1999 den Antrag auf Beiordnung eines Verteidigers stellen müssen und mit der Tatrekonstruktion unter Mitwirkung des Angeklagten bis zur Aufnahme der Verteidigung durch einen bestellten Verteidiger zuwarten müssen, so ergäbe sich gleichwohl für die Angaben des noch unverteidigten Angeklagten bei dieser Tatrekonstruktion kein Beweisverwertungsverbot.
Ein ausdrückliches Verwertungsverbot für den Fall eines Verstoûes gegen § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO ist der Strafprozeûordnung nicht zu entnehmen (vgl. hingegen § 136a Abs. 3 StPO). Die Entscheidung für oder gegen ein solches Verbot ist deshalb aufgrund einer allgemeinen Abwägung der im Rechtsstaatsprinzip angelegten gegenläufigen Gebote und Ziele zu treffen (BGHSt 38, 214, 219 ff.; 42, 170, 174). Grundsätzlich ist dabei auch im Auge zu behalten , daû die gesetzgeberische Wertung in der Beweisverbotsvorschrift des § 136a Abs. 3 StPO gravierende Verfahrensverstöûe voraussetzt, um ein Verwertungsverbot auszulösen. Überdies hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung und Verbrechensbekämpfung hervorgehoben, das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren betont und die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten als einen wesentlichen Auftrag des rechtsstaatlichen Gemeinwesens bezeichnet (vgl. BVerfGE 77, 65, 76; 80, 367, 375 = NJW 1990, 563, 564; siehe auch BVerfG, Kammer, NStZ 1996, 45). Der Schutz des Gemeinwesens, der durch die Straftat Verletzten und möglicher künftiger Opfer, aber auch der generelle Anspruch des Täters auf ein richtiges und gerechtes Urteil setzen der Annahme von Beweisverboten Schranken. Bei der danach hier vorzunehmenden Abwägung ist mitentscheidend, ob ein schwerwiegender Rechtsverstoû vorliegt und der Beschuldigte in der gegebenen Situation im besonderen Maûe des Schutzes bedurfte (BGHSt 42, 170, 174). Das Gewicht einer unterstellten Verletzung des § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO ist angesichts der Kenntnis des Angeklagten von seinen Rechten zum Schweigen und auf Verteidigerkonsultation nicht als schwer zu werten. Dabei schlägt auch hier zu Buche, daû der Angeklagte aus freien Stücken an der Tatrekonstruktion mitwirkte und die Strafverfolgungsbehörden diese Rekonstruktion
beim gegebenen Verfahrensstand ersichtlich auch als unaufschiebbar und eilbedürftig einstufen durften. Im Lichte dessen erscheint das Schutzbedürfnis des Angeklagten unter den gegebenen Umständen nicht als in besonderem Maûe ausgeprägt. Er hatte Wochen zuvor in eigener Initiative und auf freiem Fuû aus dem Ausland den Kontakt gezielt zu den im Verfahren ermittelnden Polizeibeamten gesucht und Sachangaben angeboten, den Kontaktwunsch später durch einen Gefängnisseelsorger erneuert, war zur Tatrekonstruktion - wiederum in Freiheit - von seinem Vater gefahren erschienen und hatte daran aktiv mitgewirkt. Besondere Hervorhebung verdient auch in diesem Zusammenhang , daû er parallel zu seinen Geständniserwägungen verschiedentlich ohne weiteres die Gelegenheit zur Verteidigerkonsultation hatte, weil er in zwei anderen Strafverfahren verteidigt war und dabei auch persönlich unmittelbaren Kontakt zu seinen Verteidigern hatte. Wie sich aus dem Vermerk der Kriminalpolizei über die Umstände der später protokollierten Vernehmung vom 15. Dezember ergibt, war er sich seiner Situation im Grundsatz auch bewuût ("die ihn die Freiheit kosten werde"). Der gesamte Ablauf und das Verhalten des Angeklagten geben Grund zu der Annahme, daû er bis zu seiner Festnahme das Ablegen eines Geständnisses bewuût gleichsam allein hinter sich bringen wollte. Angesichts dieser Umstände vermag der unterstellte Verfahrensverstoû jedenfalls kein Verwertungsverbot auszulösen.

II.

Das angefochtene Urteil läût auch einen sachlich-rechtlichen Mangel zum Nachteil des Angeklagten nicht erkennen. Schäfer Nack Wahl Boetticher Schluckebier

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 380/03
vom
18. Dezember 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Raubes mit Todesfolge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Dezember 2003 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 21. März 2003 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes mit Todesfolge, wegen Bedrohung in vier Fällen und wegen unerlaubten Erwerbs von Munition zur Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Der Erörterung bedarf lediglich die Verfahrensrüge, mit der die Revision ein Verwertungsverbot hinsichtlich der Einlassung des Angeklagten bei seiner polizeilichen Vernehmung am 15. Mai 2002 geltend macht, weil das Recht des Angeklagten auf Zuziehung eines Verteidigers beschränkt worden sei (§ 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 Satz 2 StPO; siehe auch § 141 Abs. 3 StPO).
Auf der Grundlage der Rechtsansicht des Senats in BGHSt 47, 172 (anders jedoch nach der Rechtsprechung des 5. Strafsenats, vgl. dessen Beschl. v. 17. Dezember 2003 - 5 StR 501/03) kann in Betracht gezogen werden, es als verfahrensfehlerhaft zu erachten, daß die Staatsanwaltschaft im Anschluß an die richterliche Vernehmung des Angeklagten und die Haftbefehlseröffnung am 30. April 2002 keinen Antrag auf Beiordnung eines Verteidigers gestellt hat. Ob die Fortsetzung der polizeilichen Vernehmung am 15. Mai 2002 deshalb und
trotz des Einwandes des Angeklagten auf zwei der gestellten Fragen, diese zu- nächst mit seinem Rechtsanwalt besprechen zu wollen, und die anschließende Stellung weiterer Fragen dem Recht auf Verteidigerkonsultation noch in jeder Hinsicht entsprachen, kann offenbleiben. Das gilt insbesondere, soweit der Angeklagte nichts mehr über "G. " sagen wollte, die nächste, freilich andere Frage sich aber dennoch mit dieser Person befaßte und der Angeklagte darauf inhaltlich geantwortet hat. Jedenfalls ist bei der hier gegebenen Verfahrensgestaltung in keinem Falle aufgrund der vorzunehmenden Abwägung ein Beweisverwertungsverbot begründet (vgl. zur Abwägung in diesem Zusammenhang nur: BGHSt 47, 172, 179, 180 m.w.N.). Dabei ist das Gewicht des - hier hinsichtlich der Befragung am 15. Mai 2002 zu unterstellenden - Rechtsverstoßes mit in Betracht zu ziehen und ebenso ins Auge zu fassen, ob und inwieweit der damalige Beschuldigte in besonderem Maße des Schutzes bedurfte (vgl. BGHSt 42, 170, 174; 47, 172, 180). Das führt hier zu folgendem Ergebnis:
Die Vernehmung des Angeklagten am 15. Mai 2002 unterscheidet sich schon im Ansatz von demjenigen Sachverhalt, der der Senatsentscheidung BGHSt 47, 172 zugrunde lag: Die dem Angeklagten hier eingangs erteilte Belehrung entsprach uneingeschränkt der Strafprozeßordnung; namentlich enthielt sie erneut einen Hinweis auf das Recht zur Verteidigerkonsultation und das Schweigerecht. Sie war also - anders als im Fall BGHSt 47, 172 - vollständig und korrekt und daher uneingeschränkt geeignet, dem Angeklagten seine Rechte aktuell ins Bewußtsein zu rufen. Der zum Zeitpunkt der Vernehmung bereits seit einigen Tagen inhaftierte Angeklagte stand nicht mehr unter dem unmittelbaren Eindruck seiner Festnahme; er hatte zuvor Gelegenheit, sich gedanklich auf seine weitere Verteidigung einzustellen. Er führte schon zu Beginn der Vernehmung einen Zettel mit sich, auf dem Name, Anschrift und Telefonnummer einer ihm zuvor empfohlenen Rechtsanwältin verzeichnet waren und
deren Beiziehung er jederzeit, auch schon vor dem Beginn der weiteren Ver- nehmung hätte verlangen können. Davon hat er jedoch abgesehen und solches erst gefordert, als die Vernehmung einen bestimmten Punkt erreichte und er deren endgültigen Abbruch begehrte. Dies, aber auch die vorherigen Reaktionen auf einzelne Fragen, die er vor Beantwortung erst mit seinem Rechtsanwalt besprechen wollte, verdeutlicht, daß er seine Rechte nicht nur kannte, sondern bewußt differenziert damit umging. Gerade das spätere Verlangen des Abbruchs der Vernehmung wie auch die vorherige Ablehnung einer Antwort auf einzelne, bestimmte Fragen kennzeichnet die freie Entschließung des Angeklagten über das Maß des Gebrauchmachens von seinen Beschuldigtenrechten. Hinzu kommt, daß die Vernehmung sich bis zu ihrem Abbruch noch nicht mit dem Kern des Tatgeschehens befaßt hatte.
Soweit ein Polizeibeamter nach dem vom Angeklagten geforderten Abbruch der Vernehmung versucht hat, doch noch weitere Angaben von ihm zu erlangen, erweist sich das freilich als Mißachtung und Verletzung des Schweigerechts ; der Angeklagte hatte sich zu jenem Zeitpunkt zweifelsfrei und umfassend darauf berufen. Da er jedoch auf die nochmalige gezielte Nachfrage keinerlei Angaben mehr gemacht und auf seinem Recht zu schweigen beharrt hat, kann auf diesem Rechtsmangel des Ermittlungsverfahrens das Urteil des Landgerichts nicht beruhen.
Keine rechtlichen Bedenken bestehen indessen gegen die Verwertung der nach der Vernehmung erfolgten Äußerungen des Angeklagten im Gespräch , während einer der Kriminalbeamten mit der von ihm benannten Rechtsanwältin telefonierte, die dann herbei eilte. Auch bei diesen - nicht protokollierten - Äußerungen kannte der Angeklagte seine Rechte; er hatte das schon während der Vernehmung in einer in der Bedeutung der jeweiligen Frage
zum Ausdruck kommenden Weise durch sein Verhalten bestätigt. Die Äußerungen fielen - wie der Zusammenhang ergibt - in Kenntnis dessen, daß die von ihm benannte Rechtsanwältin herbeigerufen wurde.
In Ansehung all dieser Umstände vermag der Senat ein Beweisverwertungsverbot für die Angaben des Angeklagten bei seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung am 15. Mai 2002 nicht anzunehmen. Es bedarf daher auch keiner abschließenden Klärung der unterschiedlichen Auffassungen des 5. Strafsenats und des 1. Strafsenats zum Zeitpunkt des Erfordernisses einer Verteidigerbestellung.
Nack Wahl Schluckebier
Kolz Elf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 560/12
vom
10. Januar 2013
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Januar 2013 beschlossen
:
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Tübingen vom 17. April 2012 wird als unbegründet verworfen, da
die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben
Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels und
die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat:
1. Die Rüge eines Verstoßes gegen ein Beweisverwertungsverbot für die
Angaben eines als Zeugen vernommenen Polizeibeamten bleibt erfolglos.
Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Nach ihrer
Festnahme am Morgen war die Angeklagte durch einen Polizeibeamten gemäß
§ 163a Abs. 4, § 136 Abs. 1 StPO belehrt worden und hatte darum gebeten, mit
einer von ihr namentlich genannten Verteidigerin sprechen zu können; dieselbe
Verteidigerin benannte nach Belehrung auch der mitbeschuldigte Ehemann der
Angeklagten. Nachdem vergeblich versucht worden war, die Verteidigerin telefonisch
zu erreichen, hatten die Angeklagte und ihr Ehemann unabhängig voneinander
von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Nachdem die Verteidigerin
sich auch bis zum Mittag desselben Tages nicht zurückgemeldet hatte,
unternahm der Polizeibeamte J. einen weiteren Vernehmungsversuch, bei
dem er die Angeklagte erneut gemäß § 163a StPO belehrte. Die Angeklagte
ließ sich nunmehr zur Sache ein. In der Hauptverhandlung sagte der Zeuge
J. zum Inhalt der Einlassung aus.
Insoweit reklamiert die Revision ein Verwertungsverbot, weil der Zeuge
die Angeklagte in der (zweiten) Belehrung weder ausdrücklich darauf hingewiesen
habe, dass die Verteidigerin noch nicht erreicht worden sei, noch dass sie
nicht dieselbe Verteidigerin wie ihr Ehemann wählen könne; der Zeuge habe es
deshalb versäumt, der Angeklagten die Gelegenheit zur Wahl eines anderen
Verteidigers zu geben.
Die Rüge ist unbegründet. Ein Verwertungsverbot besteht nicht.
Das Vorbringen lässt nicht erkennen, dass die Angeklagte durch den unterbliebenen
Hinweis auf den bis dahin fehlgeschlagenen Kontaktversuch zu
der Verteidigerin in ihrem Recht auf Verteidigerkonsultation beeinträchtigt worden
ist. Die Angeklagte war über dieses Recht am Beginn beider Vernehmungen
belehrt worden; ihren zunächst geäußerten Wunsch auf Verteidigerkonsultation
vor der Vernehmung hatten die Beamten respektiert (vgl. demgegenüber
BGH, Urteil vom 29. Oktober 1992 - 4 StR 126/92, BGHSt 38, 372, 374). Anhaltspunkte
dafür, dass die Angeklagte nach der zu Beginn der zweiten Vernehmung
erfolgten erneuten Belehrung keine frei verantwortliche Entscheidung
über die Ausübung ihres Schweigerechts hätte treffen können (vgl. dazu BGH,
Urteil vom 21. Mai 1996 - 1 StR 154/96, BGHSt 42, 170), sind nicht ersichtlich.
Unbeschadet der Frage, ob nach den Umständen des Einzelfalls eine darüber
hinausgehende Hilfestellung bei der Verteidigersuche überhaupt noch erforderlich
gewesen wäre (zu einem solchen Fall vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 1996
- 5 StR 756/94, BGHSt 42, 15, 19; vgl. auch BGH, Beschluss vom 5. Februar
2002 - 5 StR 588/01, BGHSt 47, 233, 234), hatten sich die Beamten jedenfalls
aktiv und ernstlich um die Kontaktaufnahme zu der von der Angeklagten gewählten
Verteidigerin bemüht.
Auch ein besonderer Hinweis an die Angeklagte, dass sie und ihr Ehemann
um Kontaktaufnahme mit derselben Verteidigerin gebeten hatten, war
nicht erforderlich. Eine Mehrfachverteidigung lag bereits objektiv nicht vor, weil
die Verteidigerin im Zeitpunkt der zweiten polizeilichen Vernehmung der Angeklagten
noch kein konkurrierendes Mandat übernommen hatte. Das Verbot ist
zudem - worauf bereits der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend
hingewiesen hat - an ein förmliches gerichtliches Zurückweisungsverfahren
(§ 146a Abs. 1 StPO) geknüpft. Die Annahme eines Verwertungsverbotes
lag dabei schon wegen der weiteren Wirksamkeit der bis zur Zurückweisung
vorgenommenen Handlungen des Verteidigers (§ 146a Abs. 2 StPO) fern.
2. Die in diesem Zusammenhang erhobene Verfahrensrüge, ein Antrag
auf (erneute) Vernehmung des Zeugen J. sei unter Verstoß gegen § 244
Abs. 3 StPO abgelehnt worden, ist jedenfalls unbegründet. Das Vorbringen
versagt schon deshalb, weil der Nachweis der behaupteten Tatsachen - die
nicht den Schuld- und Strafausspruch, sondern Verfahrensabläufe betrafen - im
Freibeweisverfahren hätte geführt werden können. Die dortige Beweiserhebung
unterliegt nicht den Anforderungen des § 244 Abs. 3 StPO; ob das Gericht entsprechenden
Anträgen nachkommen muss, beurteilt sich allein nach Maßgabe
der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO, vgl. Bachler in Graf (Hrsg.), StPOOK
, § 244 Rn. 8). Was das Landgericht zu weiteren Beweiserhebungen hätte
drängen sollen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
3. Die Grausamkeit der (versuchten) Tötung steht, jedenfalls in Fällen
der vorliegenden Art, außer Frage und bedarf keiner näheren Erörterung.
Nack Wahl Rothfuß
Sander Radtke
5 StR 307/03

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 3. Dezember 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. Dezember 2003

beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 20. Januar 2003 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Es wird davon abgesehen, dem Beschwerdeführer Kosten des Revisionsverfahrens aufzuerlegen, er trägt indes die durch seine Revision den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen.

G r ü n d e Die Revision des Angeklagten gegen seine Verurteilung zu zehn Jahren Jugendstrafe wegen Totschlags in zwei Fällen ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Zu den Verfahrensrügen ergänzt der Senat die Ausführungen des Generalbundesanwalts wie folgt: 1. Die Rüge der Verletzung des Verteidigerkonsultationsrechts nach § 137 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO bleibt erfolglos. Die Revision beanstandet die Verwertung von Angaben des Angeklagten im Rahmen einer Beschuldigtenbefragung gegenüber dem Kriminalbeamten B am 2. Mai 2001.

a) An diesem Tag war der Angeklagte nach einer (bedenklicherweise , indes unbeanstandet) noch zeugenschaftlich geführten Vernehmung gegen 14.30 Uhr festgenommen worden. Er wurde über seine Beschuldigten- rechte belehrt, machte – abgesehen von einem pauschalen Bestreiten der Tat – keine weiteren Angaben und begehrte, „seine Familie und seinen Anwalt anrufen zu dürfen“. Wegen einer als vordringlich erachteten Durchsuchung wurde ihm dies zunächst verwehrt. Gegen 19.00 Uhr wurde er erneut vorgeführt, über den gegen ihn bestehenden Tatverdacht unterrichtet, nochmals über sein Schweigerecht und sein Verteidigerkonsultationsrecht belehrt und anschließend befragt. Die Verwertung dieser Befragung ist Gegenstand der verfahrensrechtlichen Beanstandung. Als die Angaben des Angeklagten protokolliert werden sollten, lehnte dieser das ab. Er teilte nunmehr erneut mit, er wolle einen Rechtsanwalt sprechen. Auf die Frage, ob er einen bestimmten Rechtsanwalt oder eine Vermittlung über den anwaltlichen Notdienst wünsche, benannte er Rechtsanwalt A , der gegen 21.30 Uhr nicht mehr erreichbar war. Der Angeklagte wurde daraufhin in die Verwahrzelle zurückgeführt.

b) Zutreffend nimmt der Generalbundesanwalt an, daß die Rüge nicht zulässig ist, weil ein Widerspruch gegen die Zeugenvernehmung des Kriminalbeamten B fehlt (BGHSt 42, 15, 22 ff. m.w.N.). Der Widerspruch , den der Verteidiger in der Hauptverhandlung an einem vorangegangenen Sitzungstag gegen die an jenem Tag durchgeführte Zeugenvernehmung des weiteren Vernehmungsbeamten O zum Inhalt derselben polizeilichen Vernehmung des Angeklagten erhoben hatte, erfaßte jene Beweiserhebung nicht. Grundsätzlich ist jede Zeugenvernehmung eines Vernehmungsbeamten bezüglich ihrer Verwertbarkeit für sich zu betrachten (vgl. BGHSt 39, 349, 352). Aus diesem Grundsatz ist nicht etwa nur abzuleiten, daß der Verteidiger sich den spätestens zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt zu erhebenden Widerspruch nicht bis zum Abschluß des letzten zu einer Beschuldigtenbefragung zeugenschaftlich vernommenen Vernehmungsbeamten aufsparen darf. Auch jenseits davon bedarf es des Widerspruchs bezogen auf jeden einzelnen zeugenschaftlich vernommenen Vernehmungsbeamten.
Freilich kann ein solcher Widerspruch auch umfassend vorab erklärt werden. In diesem Fall muß ihn der Verteidiger dann nicht noch einmal nach Abschluß der Zeugenvernehmung eines weiteren Vernehmungsbeamten ausdrücklich wiederholen. Einen solchen – von der Revision als „beweisthemenbezogenen Verwertungswiderspruch“ bezeichneten – generellen Widerspruch hat der an der Hauptverhandlung mitwirkende Verteidiger Rechtsanwalt A indes nicht erhoben. Da nach dem eindeutigen Wortlaut seiner Erklärung – es werde „der Verwertung der Angaben des Zeugen O zum Inhalt der polizeilichen Vernehmung (Bl. 369 ff. d.A.) des Angeklagten widersprochen“ – lediglich ein „beweismittelbezogener Verwertungswiderspruch“ vorlag, war das Tatgericht auch nicht etwa gehalten, anläßlich der Zeugenvernehmung des Kriminalbeamten B nachzufragen, ob etwa ein weitergehender , auch auf diese Vernehmung bezogener Widerspruch gemeint gewesen sei.
Eine Beschränkung des Widerspruchs lediglich auf die Verwertung der Angaben des erstvernommenen Kriminalbeamten O war auch nicht etwa offensichtlich widersinnig. Dies gilt insbesondere angesichts des Umstands , daß die in Streit stehende Befragung des Angeklagten lediglich in Form eines Vermerks niedergelegt werden konnte. Danach war es möglich, daß der Verteidiger erst der weiteren Vernehmung des Zeugen B als entlastend bewertete Details bei jener Befragung des Angeklagten entnehmen konnte, die er verwertet wissen wollte. Zudem könnte der Verteidiger – worauf das Urteil hindeutet (UA S. 117) – erst durch die Zeugenvernehmung des Kriminalbeamten B Näheres über die dem Angeklagten damals erteilte Beschuldigtenbelehrung erfahren haben, nach denen er möglicherweise keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken gegen die Verwertung der Befragung mehr hatte. Eine solche Bewertung durch den Instanzverteidiger wäre auch nicht etwa abseitig gewesen: Der Angeklagte hatte seinen vorangegangenen Wunsch nach Verteidigerkonsultation gegenüber einem dritten Kriminalbeamten nicht unmittelbar im Rahmen einer Beschuldigtenvernehmung ausgesprochen. Er hatte dabei auch – anders als erst bei der vorgesehenen Protokollierung der in Streit stehenden späteren Vernehmung , als er freilich erstmals ausdrücklich hiernach gefragt wurde – noch keinen bestimmten Verteidiger benannt, dessen Konsultation er wünschte. Bei dieser Sachlage geht die Wertung der Revision, die Kriminalbeamten hätten mit ihrem Vorgehen „letztlich absichtlich das Verteidigerkonsultationsrecht des Angeklagten ad absurdum“ geführt, überaus weit. Ohne daß die Frage der Verwertbarkeit jener Beschuldigtenbefragung abschließend entschieden werden muß, lag jedenfalls eine Beeinträchtigung des Verteidigerkonsultationsrechts des Angeklagten, die so weitgehend gewesen wäre wie in den Fällen, die den Entscheidungen BGHSt 38, 372 und 42, 15 zugrundelagen , hier nicht vor.

b) Selbst wenn die Rüge als zulässig anzusehen gewesen wäre, hätte der vorliegende Fall keine Möglichkeit geboten, eine Klärung zwischen der vom 5. Strafsenat obiter dictu geäußerten sehr weitgehenden Auffassung zur Unverwertbarkeit von Beschuldigtenvernehmungen wegen Verletzung des Verteidigerkonsultationsrechts (BGHSt 42, 15; vgl. indes auch BGHSt 47, 233) und der zu dieser Frage erheblich restriktiveren, seinerzeit tragenden Auffassung des 1. Strafsenats (BGHSt 42, 170; vgl. demgegenüber BGHSt 47, 172; vgl. aber auch – 4. Strafsenat – BGH NStZ 1998, 265, 266) herbeizuführen. Es ist nämlich sicher auszuschließen, daß das angefochtene Urteil auf einer Verwertung der in Frage stehenden Beschuldigtenbefragung zum Nachteil des Angeklagten beruht: Die im Rahmen der Beweiswürdigung verwerteten maßgeblichen Erkenntnisse zur Bekleidung des Angeklagten bei Tatbegehung waren fraglos auch allein auf als glaubhaft angesehene Zeugenangaben zu stützen (vgl. UA S. 42 f.; vgl. hierzu näher die auf S. 40 f. und 61 der Revisionsbegründung des weiteren Verteidigers, Rechtsanwalt S , zu einer anderen Verfahrensrüge dokumentierten Aussagen des Zeugen C im Ermittlungsverfahren ). Daß es zur Beweisführung, insbesondere zur Widerlegung der Angaben des Zeugen P , der Angaben und Skizzen des Ange- klagten zu Standorten der Beteiligten am Tatort (UA S. 116 ff.) nicht bedurfte, ergibt sich eindeutig aus dem Zusammenhang der Beweiswürdigung, ist vom Tatgericht im Urteil zudem selbst dokumentiert worden (UA S. 118). Jenseits davon ist nichts dafür ersichtlich, daß die Beweiswürdigung des Tatgerichts – so kompliziert sie in Einzelheiten auch gelagert ist – auf dem geltend gemachten Verfahrensverstoß beruhen könnte.
2. Auf der beanstandeten Erledigung eines Hilfsbeweisantrages im Urteil mit Wahrunterstellung beruht die Verurteilung ebenfalls nicht. Die Bedeutungslosigkeit der in das Wissen des Zeugen D gestellten entlastenden Bekundung des Zeugen C , über die der benannte Zeuge – recht verstanden – lediglich durch Hörensagen von C s Vater Kenntnis haben sollte, ist dem Gesamtzusammenhang der Beweiswürdigung, insbesondere betreffend die Bewertung der Angaben des Zeugen C , eindeutig zu entnehmen. Es kann daher dahinstehen, ob die Revision – was nicht fernliegt – zur Vermittlung eines ausreichenden Verständnisses über eine mögliche Bedeutsamkeit der Beweisbehauptung hätte vortragen müssen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), welche Beweiserkenntnisse zu jener Beweisbehauptung dem Tatgericht hinsichtlich des Vaters des Zeugen C als der unmittelbaren Beweisquelle zur Verfügung standen.
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(1) Bei Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen. Möchte der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger befragen, sind ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren. Auf bestehende anwaltliche Notdienste ist dabei hinzuweisen. Er ist ferner darüber zu belehren, daß er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen und unter den Voraussetzungen des § 140 die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Maßgabe des § 141 Absatz 1 und des § 142 Absatz 1 beantragen kann; zu Letzterem ist er dabei auf die Kostenfolge des § 465 hinzuweisen. In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf, dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.

(2) Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen.

(3) Bei der Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf die Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen.

(4) Die Vernehmung des Beschuldigten kann in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Sie ist aufzuzeichnen, wenn

1.
dem Verfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen oder
2.
die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können.
§ 58a Absatz 2 gilt entsprechend.

(5) § 58b gilt entsprechend.