Bundesgerichtshof Urteil, 11. Okt. 2016 - 5 StR 181/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:111016U5STR181.16.0
bei uns veröffentlicht am11.10.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 181/16
vom
11. Oktober 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:111016U5STR181.16.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Oktober 2016, an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander
als Vorsitzender,
Richterin Dr. Schneider, Richter Prof. Dr. König, Richter Bellay, Richter Dr. Feilcke
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 4. November 2015 hinsichtlich des Angeklagten L. mit den Feststellungen aufgehoben.
Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in vier Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit Diebstahl und in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem Diebstahl, freigesprochen und eine Entscheidung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen getroffen. Gegen den Freispruch wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision, die vom Generalbundesanwalt hinsichtlich der Sachrüge vertreten wird. Die Revision hat bereits mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die Verfahrensbeanstandungen nicht mehr ankommt.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt:
3
Zwischen April und September 2014 sprengte der wegen dieser Taten rechtskräftig verurteilte B. im Zusammenwirken mit einem Mittäter, der in Größe und Statur dem Angeklagten entsprach, vier Geldautomaten durch Zünden eines zuvor in diese eingeleiteten Gasgemisches. Bei den ersten drei Taten erbeuteten die Täter rund 400.000 €. Bei der vierten Tat verhinderte eine zu- sätzliche Sicherheitsvorkehrung des bereits teilweise gesprengten Geldautomaten , dass die Täter an das Bargeld gelangten. Bei allen vier Taten waren die Täter maskiert und trugen orange-schwarze Handschuhe. Unmittelbar nach der letzten Tat flüchteten sie mit einem Fahrzeug über die nahe gelegene Grenze nach Forbach in Frankreich, wo sie an einem Wald anhielten, um die Kennzeichen des Fahrzeugs auszutauschen. Als sich ihnen eine Zivilstreife der französischen Polizei näherte, ergriffen sie zu Fuß die Flucht und konnten sich der Festnahme entziehen. Einer der Flüchtenden verlor im Wald einen orangeschwarzen Handschuh, an dessen Innenseite DNA-Spuren des Angeklagten gesichert werden konnten. An einem im Fluchtfahrzeug sichergestellten weiteren Paar orange-schwarzer Handschuhe befanden sich DNA-Spuren des B. .
4
Sieben Wochen später wurden B. und der Angeklagte in einem von B. geführten Pkw in Südfrankreich von französischen Polizeibeamten kontrolliert. In dem Fahrzeug wurden Notizzettel sichergestellt, auf denen die Standorte von Geldautomaten im Bliesgau und an der südlichen Weinstraße jeweils in Grenznähe zu Frankreich notiert waren, ein Navigationsgerät, in dem die Adressen der vier Tatorte gespeichert waren, ein Computer, mit dem nach Bankfilialen in der Region der Tatorte sowie nach Gasen recherchiert worden war, eine Kapuzenjacke, die derjenigen glich, die der in den Bankfilialen gefilm- te Täter trug, und eine Bohrmaschine der Art, wie sie auch bei den Taten benutzt worden war.
5
In den jeweiligen Tatzeiträumen bewohnte B. mit einer anderen männlichen Person ein Zimmer in einem Hotel in Yutz in Frankreich nahe der deutschen Grenze. Ein an der Rezeption des Hotels tätiger Zeuge hat bekundet , er glaube, den Angeklagten als Hotelgast im Verlauf des Jahres 2014 wiedererkannt zu haben, sicher sei er sich jedoch nicht. B. und der Angeklagte stammen aus demselben Ort in Rumänien. Im Mai 2014 überwies B. dem Angeklagten einen Geldbetrag von 7.300 €.
6
2. Das Landgericht vermochte sich nicht davon zu überzeugen, dass der im Verfahren schweigende Angeklagte an den Taten beteiligt war. Zwar stelle die in dem Handschuh sichergestellte DNA des Angeklagten ein gewichtiges Indiz für dessen Täterschaft dar. Allerdings stehe lediglich fest, dass der Angeklagte den Handschuh einmal angefasst habe; es gebe zahlreiche Möglichkeiten , wie seine DNA an die Innenseite des Handschuhs gekommen sein könne. Ein weiteres Indiz für eine Tatbeteiligung des Angeklagten stelle dessen Bekanntschaft mit B. dar. Diese beiden Indiztatsachen seien jedoch „weder für sich genommen noch in ihrer Gesamtschau“ (UA S. 41) geeignet, die Überzeu- gung der Kammer von der Täterschaft des Angeklagten zu begründen.
7
3. Der Freispruch leidet an durchgreifenden Rechtsfehlern.
8
a) Das Revisionsgericht hat es zwar grundsätzlich hinzunehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Es hat jedoch das Urteil darauf zu überprüfen , ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlichrechtlicher Hinsicht etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Rechtsfehlerhaft ist es auch, wenn sich das Tatgericht bei seiner Beweiswürdigung darauf beschränkt, die einzelnen Belastungsindizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen, ohne eine Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände vorzunehmen. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt ferner, ob überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 7. November 2012 – 5 StR 322/12, und vom 27. April 2010 – 1 StR 454/09, NStZ 2011, 108, 109).
9
b) Gemessen hieran hält die Beweiswürdigung der Strafkammer rechtlicher Prüfung nicht stand. In der Beweiswürdigung muss sich das Tatgericht nicht nur mit allen festgestellten Indizien auseinandersetzen, die das Beweisergebnis zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind. Es muss sich auch aus den Urteilsgründen ergeben, dass es die Beweisergebnisse nicht nur für sich genommen gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen hat. Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
10
Denn aus dem Urteil ergibt sich nicht, dass das Landgericht überhaupt eine Gesamtbetrachtung in dem gebotenen Umfang vorgenommen hat. Eine solche setzt voraus, dass sämtliche vorhandenen Beweisanzeichen erkennbar zueinander in Beziehung gesetzt und gegeneinander abgewogen werden. Eine diesen Anforderungen genügende Darstellung weist das Urteil mit seiner lediglich formelhaften Erwähnung einer „Gesamtschau“ nicht auf. Dies lässt besorgen , dass die Strafkammer den Blick dafür verloren hat, dass Indizien, auch wenn sie einzeln für sich betrachtet nicht zum Nachweis der Täterschaft ausreichen , doch in ihrer Gesamtheit die entsprechende Überzeugung vermitteln können (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 7. November 2012 – 5 StR 322/12; vom 16. Dezember 2009 – 1 StR 491/09, und vom 26. Mai 1999 – 3 StR 110/99, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 20).
11
Insbesondere hat die Strafkammer ihre „Gesamtschau“ dadurch unzulässig verkürzt, dass sie lediglich die vom Angeklagten stammende DNA-Spur an der Innenseite des Handschuhs sowie die Bekanntschaft der beiden Angeklagten gewürdigt hat (UA S. 41). Weitere Umstände hat sie außer Betracht gelassen, obwohl ihnen indizielle Bedeutung für die Beteiligung des Angeklagten zukommt. So stellt das Landgericht nicht in seine Gesamtwürdigung ein, dass der Angeklagte und B. nur wenige Wochen nach der letzten Tat fernab ihrer rumänischen Heimat in einem Fahrzeug angetroffen wurden, in dem sich Tatwerkzeuge und weitere im Zusammenhang mit einschlägigen Taten stehende Gegenstände befanden (Navigationsgerät, Notebook, Zettel mit den Adressen von Geldautomaten, Kapuzenjacke). Auch befasst es sich nicht mit der Überweisung eines nicht unerheblichen Geldbetrages durch B. an den Angeklagten innerhalb des Tatzeitraums und dem – wenngleich nicht sicheren – Wiedererkennen des Angeklagten durch einen Angestellten des Hotels, in dem B. bei Begehung der Taten mit einer anderen männlichen Person wohnte. Entsprechendes gilt für den Umstand, dass die von mehreren Zeugen bekundete Täterbeschreibung in Größe und Statur auf den Angeklagten zutrifft.
12
4. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei fehlerfreier Beweiswürdigung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Die Sache bedarf daher, soweit sie den Angeklagten betrifft, neuer Verhandlung und Entscheidung.
13
5. Mit der Aufhebung des freisprechenden Urteils werden die Entschädigungsgrundentscheidung und die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegenstandslos (vgl. BGH, Urteile vom 25. April 2013 – 4 StR 551/12, dort nicht abgedruckt und vom 25. März 2010 – 1 StR 601/09).

Sander Schneider König
Bellay Feilcke

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 11. Okt. 2016 - 5 StR 181/16

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Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.
Bundesgerichtshof Urteil, 11. Okt. 2016 - 5 StR 181/16 zitiert 2 §§.

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5 StR 322/12

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 7. November 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7. November
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin Ha. ,
Rechtsanwalt K.
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 23. Januar 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Totschlags sowie der gefährlichen Körperverletzung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihren auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel haben Erfolg.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
a) Der Angeklagte H. war zur Tatzeit Mitglied der Rockergruppierung „Bandidos“, der Angeklagte F. war mit Mitgliedern dieser Gruppierung befreundet.
4
In der Nacht vom 20. auf den 21. Juni 2009 besuchten Mitglieder und Sympathisanten der mit den „Bandidos“ rivalisierenden Rockergruppierung „Hells Angels“ein Dorffest in Falkenberg. Gegen 2.00 Uhr traten mehrere dieser Personen in einem aus drei Pkw bestehenden Konvoi die Heimfahrt über Eberswalde nach Berlin an. Sie wurden von mindestens zwei Pkw ver- folgt. Die Verfolger brachten den Konvoi durch „Ausbremsen“ zum Stillstand. Mehrere schwarz gekleidete und mit Sturmhauben vermummte Personen liefen auf die Fahrzeuge zu und schlugen mit Hieb- und Schlagwaffen zumindest auf ein Fahrzeug ein, bei dem die Seitenscheibe hinten links zersplitterte. Nach kurzer Zeit konnten die angehaltenen Fahrzeuge weiterfahren. Die Angreifer eilten zu ihren Fahrzeugen zurück und setzten die Verfolgung fort. Im Zuge der Verfolgung kollidierte der auf den Angeklagten F. zugelassene und „offenbar auf Seiten der Angreifer agierende“ rote Opel Ast- ra in einer Rechtskurve mit einem der verfolgten Fahrzeuge (Pkw Kia Sephia). Beide Fahrzeuge wurden beschädigt.
5
Während der weiteren Verfolgungsjagd trennten sich die Wege der Verfolgten. Gegen 2.45 Uhr kam der allein zurückgebliebene Kia bei einem Wendevorgang wegen eines Schaltproblems mittig auf der Fahrbahn zum Stehen. Es näherten sich mindestens zwei, höchstens drei „Täterfahrzeuge”, deren Typ und Kennzeichen nicht ermittelt werden konnten. Ein Fahrzeug wurde mit aufgeblendetem Licht vor den Kia gestellt, um diesen an der Weiterfahrt zu hindern. Der oder die anderen Pkw hielten zehn bis zwanzig Meter entfernt an. Mindestens drei, höchstens acht schwarz gekleidete und mit Sturmhauben maskierte männliche Personen verließen die Fahrzeuge und schlugen laut schreiend mit Schlagwaffen auf den Kia und dessen vier Insassen ein. Zwei Täter sprangen auf die Motorhaube und schlugen mit Baseballschlägern sowie Macheten gegen die Frontscheibe und das Dach des Kia. Weitere Täter zerschlugen mit Baseballschlägern die Heckscheibe und alle Seitenscheiben. Ein Versuch, zumindest die hinteren Türen zu öffnen, misslang. Nunmehr an beiden Seiten des Kia stehend schlugen die Täter mit Baseballschlägern und stachen mit Macheten sowie Messern äußerst brutal auf die Insassen des Kia ein.
6
Einige Minuten später näherte sich ein Pkw. Die Täter verließen fluchtartig den Tatort, wobei zwei der Fahrzeuge eine rote Lackierung aufwiesen. Im vorderen Innenraum des Kia wurde von einem Täter eine Machete mit einer Klingenlänge von 34 Zentimetern zurückgelassen, auf deren Klinge sich eine vom Angeklagten H. herrührende DNA-Spur befand.
7
Drei der vier Insassen des Kia wurden bei der Tat sehr schwer verletzt. Einer von ihnen erlitt einen akut lebensgefährlichen Stich in die Brust und konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden. Er leidet an Lähmungserscheinungen und Sensibilitätsstörungen im Arm- und Schulterbereich.
8
b) Das Landgericht vermochte sich nicht davon zu überzeugen, dass die beiden Angeklagten im roten Opel Astra des Angeklagten F. am Tatort gewesen und an dem gewalttätigen Überfall beteiligt waren. Für eine Beteiligung der Angeklagten spreche zwar eine Reihe von Indizien. Die Beweisanzeichen reichten jedoch auch in der Gesamtschau nicht aus, um eine Überzeugung von deren Beteiligung zu gewinnen.
9
2. Der Freispruch leidet an durchgreifenden Rechtsfehlern.
10
a) Allerdings hat es das Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Rechtsfehlerhaft ist es auch, wenn sich das Tatgericht bei seiner Beweiswürdigung darauf beschränkt, die einzelnen Belastungsindizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen, ohne eine Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände vorzunehmen. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt ferner, ob überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 27. April 2010 – 1 StR 454/09, NStZ 2011, 108, 109, vom 1. Februar 2011 – 1 StR 408/10 Rn. 15 und vom 7. Juni 2011 – 5 StR 26/11 Rn. 9).
11
b) Nach diesen Maßstäben hält die durch die Schwurgerichtskammer vorgenommene Beweiswürdigung rechtlicher Prüfung nicht stand.
12
aa) In der Beweiswürdigung muss sich das Tatgericht mit allen festgestellten Indizien auseinandersetzen, die das Beweisergebnis zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind. Dabei muss sich aus den Urteilsgründen selbst ergeben, dass es die Beweisergebnisse nicht nur für sich genommen gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen hat (BGH, Urteil vom 27. April 2010, aaO, mwN). Dem wird das angefochtene Urteil nicht in vollem Umfang gerecht.
13
Das Landgericht hat sich mit den die Angeklagten belastenden Indizien lediglich isoliert auseinandergesetzt und dabei jeweils die Wertung getroffen , dass hiermit der Beweis für deren Beteiligung nicht zu führen sei (un- ter anderem: Verbundenheit beider Angeklagter mit den „Bandidos“, inhaltlich auf eine Beteiligung hindeutende Telefonkontakte beider Angeklagter etwa eine Stunde vor der Tat untereinander sowie mit einem Mitglied der „Bandi- dos“, Abschalten der Mobiltelefone beider Angeklagter eine knappe Stunde vor der Tat, Wiedereinschalten dieser Mobiltelefone etwa zwei Stunden nach der Tat, Beteiligung des roten Opel Astra des Angeklagten F. an der ersten Kollision mit dem Kia, rotes Fahrzeug am Tatort, womöglich vom Kia herrührende Glassplitter im Opel Astra des Angeklagten F. , DNASpuren und ein Teilfingerabdruck des Angeklagten H. an der im Kia gefundenen Machete, DNA-Spuren und Fingerabdruckspuren dieses Angeklagten am Fenster des Opel Astra und an im Fahrzeug befindlichen Gegenständen ). Diese Vorgehensweise in Verbindung mit der äußerst knapp aus- gefallenen Gesamtschau, im Rahmen derer die Vielzahl der vorhandenen Beweisanzeichen nicht erkennbar zueinander in Beziehung gesetzt und gegeneinander abgewogen werden (UA S. 39), lässt besorgen, dass die Schwurgerichtskammer den Blick dafür verloren hat, dass Indizien, auch wenn sie einzeln für sich betrachtet nicht zum Nachweis der Täterschaft ausreichen , doch in ihrer Gesamtheit dem Gericht die entsprechende Überzeugung vermitteln können (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 26. Mai1999 – 3StR 110/99, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 20; BGH, Urteil vom 16. Dezember 2009 – 1 StR 491/09).
14
bb) Überdies durfte das Landgericht mangels in diese Richtung zielender objektiver Anhaltspunkte (vgl. etwa BGH, Urteile vom 14. Januar 2009 – 1 StR 554/08 Rn. 78 mwN, und vom 20. Juni 2012 – 5 StR 536/11, NJW 2012, 2453, 2454) nicht zugunsten des – in der Hauptverhandlung schweigenden – Angeklagten F. unterstellen, dieser habe entgegen sonst festzustellender Übung sein Fahrzeug in der Tatnacht einem Unbekannten geborgt (UA S. 23, 28). Dies gilt zumal vor dem Hintergrund einer nach dem Inhalt der Telefongespräche naheliegend unmittelbar zuvor und danach erfolgten Fahrzeugbenutzung durch F. (UA S. 29 ff.).
15
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Schwurgerichtskammer bei fehlerfreier Beweiswürdigung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Die Entlastungserwägungen des Tatgerichts zur zweifelhaften Kenntnis der Angeklagten von einer zeitlich zu bewältigenden Fahrstrecke der Verfolger zum Tatort (UA S. 27, 39) sind angesichts möglicher nicht kontrollierter Kommunikationswege nicht etwa derart gewichtig, dass sie die Freisprüche ungeachtet aller aufgezeigten Mängel allein tragen könnten. Nichts anderes gilt erst recht für vom Landgericht gar nicht entlastend gedeutete Inhalte nach der Tat geführter Telefonate (UA S. 31, 34).
16
Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Auch soweit die die freigesprochenen Angeklagten belastenden Feststellun- gen rechtsfehlerfrei getroffen wurden, können sie keinen Bestand haben, weil die Angeklagten sie revisionsrechtlich bislang nicht anzugreifen vermochten.
17
4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
18
Soweit im angefochtenen Urteil beiläufig eine strafbare Beteiligung des Angeklagten F. sogar bei dessen erwiesener Anwesenheit im Fahrzeug am Tatort in Zweifel gezogen worden ist (UA S. 28), wird sich das neue Tatgericht gegebenenfalls damit auseinanderzusetzen haben, dass der Opel Astra bereits beim ersten Angriff auf den Kia eingesetzt worden ist und es danach ganz fernliegt, dass er im Rahmen der verfahrensgegenständlichen Tat ohne unterstützende Funktion gewesen ist.
19
Gegen eine Verwertbarkeit der abgehörten Telefongespräche sind nach bisherigem Stand keine durchgreifenden Bedenken ersichtlich.
Basdorf Schneider Dölp König Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 454/09
vom
27. April 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. April
2010, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Hebenstreit,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München I vom 6. April 2009 aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in acht Fällen mit einem Verkürzungsumfang von insgesamt mehr als 180.000 Euro zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Im Übrigen hat es ihn freigesprochen. Gegen diesen Teilfreispruch wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2
In der Anklageschrift vom 22. Dezember 2008 wird dem Angeklagten zur Last gelegt, in 29 Fällen Umsatzsteuer und in 34 Fällen Lohnsteuer hinterzogen zu haben sowie in 35 Fällen im Sinne von § 266a StGB Arbeitsentgelt vorenthalten zu haben.
3
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten vor, vom Jahr 2000 bis zum dritten Quartal des Jahres 2005 als Geschäftsführer der F. GmbH (im Folgenden: F. GmbH) fortlaufend Arbeitnehmer beschäftigt zu haben , die entweder überhaupt nicht zur Sozialversicherung gemeldet worden seien oder für die er den zuständigen Einzugsstellen niedrigere als tatsächlich gezahlte Löhne gemeldet habe. Die insoweit nicht gemeldeten Lohnaufwendungen habe er auch in den Lohnsteueranmeldungen der Gesellschaft nicht angegeben.
4
Um zu verschleiern, dass die von der F. GmbH gezahlten Löhne „schwarz“ ausgezahlt worden seien, habe der Angeklagte veranlasst, dass Scheinrechnungen (Abdeckrechnungen) der Firmen „D. “, „K. -Bau“, „I. GmbH“ sowie der Firma „G. “ in die Buchhaltung der F. GmbH aufgenommen worden seien. Die in den Rechnungen enthaltenen Umsatzsteuern habe der Angeklagte zu Unrecht in die Umsatzsteuervoranmeldungen der GmbH aufgenommen.
5
Schließlich habe der Angeklagte von der F. GmbH an die Kl. GmbH sowie die Firma E. erbrachte Umsätze nicht gegenüber den Finanzbehörden angemeldet und dadurch Umsatzsteuern hinterzogen.
6
Insgesamt habe der Angeklagte hierdurch mehr als 316.000 Euro an Umsatzsteuern und 327.000 Euro an Lohnsteuern verkürzt sowie Beitragsanteile zur Sozialversicherung von mehr als 304.000 Euro nicht an die Einzugsstellen abgeführt.

II.

7
1. Das Landgericht hat den Angeklagten aufgrund seines Geständnisses wegen Steuerhinterziehung in acht Fällen mit einer Gesamtverkürzungssumme von 180.000 Euro an Umsatzsteuern verurteilt. Die Verurteilung bezieht sich auf die Voranmeldungszeiträume November und Dezember 2003 und April bis Juli 2004 sowie auf das II. und III. Quartal 2005. Das Landgericht hat insoweit festgestellt , dass der Angeklagte in diesen Zeiträumen Ausgangsumsätze an die Kl. GmbH im Umfang von insgesamt mehr als 103.000 Euro und an die Firma E. in der Höhe von mehr als 1,2 Mio. Euro nicht in die für die F. GmbH beim Finanzamt einzureichenden Umsatzsteuervoranmeldungen aufgenommen hatte.
8
2. Hinsichtlich der Voranmeldungszeiträume August bis Dezember 2004 und I. Quartal 2005 hat das Landgericht das Verfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt. Im Übrigen hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen.
9
3. Bezüglich des Teilfreispruchs hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
10
Der Angeklagte ist seit der Gründung der F. GmbH im Jahr 2000 einziger Gesellschafter und eingetragener Geschäftsführer dieser Gesellschaft. Die F. GmbH wurde in den Jahren 2000 bis 2005 im Bereich Trockenbau tätig und erbrachte hierbei im Wesentlichen Trockenbau- und Verputzarbeiten. Dabei setzte die Gesellschaft sowohl eigene Arbeitnehmer als auch Subunternehmer ein. Dass der Angeklagte hierbei zu Unrecht Vorsteuern aus Scheinrechnungen der Firmen „D. “, „K. -Bau“, I. GmbH“ sowie der Firma „G. “ geltend gemacht habe, konnte das Landgericht „nicht mit einer zur Verurteilung ausreichenden Sicherheit“ feststellen. Dasselbe gilt für den Vorwurf, der Angeklagte habe die in den Rechnungen ausgewiesenen Beträge als „Schwarzlöhne“ an Arbeitnehmer der F. GmbH ausbezahlt. Vielmehr hat das Landgericht ausdrücklich festgestellt, dass die genannten Firmen nicht ausschließbar als Subunternehmer der F. GmbH tätig gewesen und die Rechnungsbeträge an diese Firmen auch ausbezahlt worden sind.
11
Das Landgericht hat den Angeklagten insoweit aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Es ist der Ansicht, dass dem Angeklagten - abgesehen von der Umsatzsteuerhinterziehung hinsichtlich der nicht angemeldeten Ausgangsumsätze - die ihm vorgeworfenen Taten nicht mit der für eine Verurteilung ausreichenden Sicherheit nachgewiesen werden konnten.

III.

12
Die Staatsanwaltschaft hat die Revision wirksam auf den Teilfreispruch beschränkt. Damit sind auch die Strafaussprüche hinsichtlich der Verurteilung wegen Hinterziehung von Umsatzsteuer in den Voranmeldungszeiträumen November und Dezember 2003 sowie April bis Juli 2004 und das II. und III. Quartal 2005 vom Revisionsangriff ausgenommen. Denn die Hinterziehung von Umsatzsteuer durch Nichtanmeldung von Ausgangsumsätzen einerseits und durch unberechtigte Geltendmachung von Vorsteuern andererseits stellt für jeden Voranmeldungszeitraum eine einheitliche Tat der Steuerhinterziehung im materiell -rechtlichen Sinn dar. Maßgeblich für den materiell-rechtlichen Tatbegriff sind die steuerlichen Erklärungspflichten (vgl. zur Hinterziehung von Einkommensteuer BGH wistra 2009, 465). Die Abgabe jeder einzelnen unrichtigen Steuererklärung ist deshalb grundsätzlich als einheitliche, selbständige Tat im Sinne des § 53 StGB zu werten; bei Steuerhinterziehung durch Unterlassen ist ebenfalls im Hinblick auf jede Steuerart, jeden Besteuerungszeitraum und jeden Steuerpflichtigen von einer selbständigen Tat auszugehen (vgl. BGH wistra 2005, 30 und wistra 2008, 266; Joecks in Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht 7. Aufl. § 370 AO Rdn. 305).
13
Die Strafaussprüche werden hier auch nicht etwa deswegen vom Revisionsangriff umfasst, weil die von der Staatsanwaltschaft gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts vorgebrachten Einwände die von der Verurteilung erfassten Voranmeldungszeiträume ebenfalls betreffen. Denn der Wortlaut der Beschränkung der Revision auf den „Teilfreispruch“ ist eindeutig; zudem können die vom Teilfreispruch erfassten Tatvorwürfe losgelöst von den vom Schuldspruch umfassten Taten beurteilt werden.
14
Auch bei einer Tatserie von Steuerhinterziehungen bleiben die Einzeltaten rechtlich und tatsächlich selbständig und sind einer isolierten Bewertung zugänglich. Ist dies aber der Fall, gebietet die den Rechtsmittelberechtigten eingeräumte Gestaltungsmacht über den Verfahrensgegenstand, den in den Rechtsmittelerklärungen zum Ausdruck kommenden Gestaltungswillen im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren. Das Revisionsgericht kann und darf diejenigen Entscheidungsteile nicht nachprüfen, deren Nachprüfung von keiner Seite begehrt wird, wenn und soweit der angegriffene Entscheidungsteil trennbar ist, also losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt geprüft und beurteilt werden kann (st. Rspr.; vgl. BGHSt 29, 359, 364). So verhält es sich auch hier.
15
Hätte die Staatsanwaltschaft neben den Teilfreisprüchen auch - soweit der Angeklagte verurteilt worden ist - die Strafaussprüche angreifen wollen, um im Hinblick auf ungerechtfertigte Vorsteueranmeldungen und damit einen größeren Schuldumfang höhere Einzelstrafen erreichen zu können (vgl. dazu BGHR StPO § 344 Abs. 1 Beschränkung 17), hätte sie dies bei der Revisionsbeschränkung klar zum Ausdruck bringen müssen.

IV.

16
Der Teilfreispruch hat keinen Bestand; er leidet an durchgreifenden Rechtsfehlern.
17
Es kann dahinstehen, ob - was nahe liegt - das Urteil bereits den formellen Anforderungen, die an eine Freispruchsbegründung zu stellen sind (vgl. dazu BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 5, 10) nicht genügt. Jedenfalls hält die Beweiswürdigung rechtlicher Überprüfung nicht stand.
18
1. Allerdings muss es das Revisionsgericht grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH wistra 2008, 22, 24; 2007, 18, 19; jew. m.w.N.). Rechtsfehlerhaft ist es auch, wenn sich das Tatgericht bei seiner Beweiswürdigung darauf beschränkt, die einzelnen Belastungsindizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen, ohne eine Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände vorzunehmen (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung , unzureichende 1; BGH NStZ 1983, 133; jew. m.w.N.). Der revisionsge- richtlichen Überprüfung unterliegt auch, ob überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt worden sind (st. Rspr.; BGH NStZ-RR 2005, 147; NStZ 2004, 35, 36; wistra 1999, 338, 339; jew. m.w.N.).
19
2. Gemessen an diesen Maßstäben kann die Beweiswürdigung keinen Bestand haben.
20
a) In der Beweiswürdigung muss sich das Tatgericht mit allen festgestellten Indizien auseinandersetzen, die geeignet sind, das Beweisergebnis zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen. Dabei muss sich aus den Urteilsgründen selbst ergeben, dass es die Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen hat. Denn die Indizien können in ihrer Gesamtheit dem Gericht die entsprechende Überzeugung vermitteln, auch wenn eine Mehrzahl von Beweisanzeichen jeweils für sich allein nicht zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreicht (BGH NStZ-RR 2003, 369 f. m.w.N.).
21
Hier hat sich das Landgericht mit den einzelnen den Angeklagten belastenden Indizien lediglich isoliert auseinandergesetzt und dabei jeweils die Wertung getroffen, dass hiermit der Beweis für einen den Angeklagten belastenden Geschehensablauf nicht zu führen sei. Diese Vorgehensweise lässt besorgen, dass das Landgericht den Zweifelsgrundsatz rechtsfehlerhaft schon auf einzelne Indiztatsachen angewandt und so den Blick dafür verloren hat, dass auch Indizien, die einzeln nebeneinander stehen, aber jeweils für sich einen Hinweis auf die Täterschaft des Angeklagten enthalten, in ihrer Gesamtheit die Überzeugung des Tatrichters von dessen Schuld begründen können (vgl. BGH NStZ-RR 2000, 45; BGH, Beschl. vom 16. Dezember 2009 - 1 StR 491/09).
22
b) Die Beweiswürdigung ist auch deswegen durchgreifend rechtsfehlerhaft , weil das Landgericht mehrere dem Angeklagten günstige Umstände als „nicht ausschließbar“ unterstellt hat, obwohl hierfür keine tatsächlichen Anhaltspunkte gegeben waren. Zudem hat es auch Einlassungen des Angeklagten als „nicht zu widerlegen“ angesehen, für deren Richtigkeit keine Anhaltspunkte ersichtlich waren.
23
So hielt das Landgericht etwa für nicht ausschließbar, dass die Arbeiter der verschiedenen Gewerke jeweils nacheinander auf der Baustelle ihre Tätigkeiten verrichteten und sich daher auch nicht kannten (UA S. 36). Zudem hielt es für nicht ausgeschlossen, dass eine Person namens „Ka. oder auch ein anderer“ die Firma Kö. ohne das Wissen der Inhaberin dieser Firma für eigene Zwecke benutzt habe (UA S. 37). Auch sonst könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Namen der als „Scheinfirmen“ bezeichneten Firmen von Nichtberechtigten für eigene Zwecke verwendet worden seien (UA S. 39). Der „Nachweis von Scheinrechnungen“ lasse sich auch nicht dadurch führen, dass auf dem Computer des Angeklagten Blankorechnungsformulare der Firma Kö. gefunden worden sind. Vielmehr sei die Einlassung des Angeklagten „nicht zu widerlegen“, er habe „aus Gefälligkeit“ Rechnungen für andere Firmen ausgedruckt (UA S. 27, 37). Ebenso sei dem Angeklagten „nicht zu widerlegen“, dass Mängelrügen bereits vor der Rechnungsstellung mit den Subunternehmern besprochen worden seien, so dass „ein Nachweis“ von Scheinrechnungen aufgrund unterlassener Korrekturen in diesen Rechnungen nicht zu führen sei (UA S. 38). Die Vermutung, die von der Staatsanwaltschaft als Scheinfirmen angesehenen Firmen hätten mit den bei den Sozialbehörden gemeldeten Arbeitnehmern die in der Buchhaltung der F. GmbH erfassten Umsätze nicht erwirtschaften können, könne „schon deshalb nicht bewiesen“ werden, weil „nicht ausgeschlossen“ sei, dass diese Firmen ihrerseits Subunternehmer oder Arbeitnehmer beschäftigten, die nicht bei den Sozialbehörden angemeldet ge- wesen seien (UA S. 38). Auch wenn sich bei Zugrundelegung tatsächlicher Fremdleistungen der Firmen Kö. und K. -Bau ein kalkulatorischer Verlust ergebe, sei dies „zum Nachweis“ der dem Angeklagten angelasteten Vorwürfe nicht geeignet; denn „unwiderlegt“ habe der Angeklagte sich eingelassen, es würden regelmäßig beim Arbeitsamt überhöhte Auftragssummen genannt, um ausländische Arbeitnehmer nicht nur bei den vom Arbeitsamt genehmigten, sondern auch an anderen Baustellen einsetzen zu können (UA S. 38).
24
Diese Ausführungen lassen besorgen, das Landgericht habe nicht beachtet , dass es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten ist, zugunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine zureichenden Anhaltspunkte erbracht sind (st. Rspr.; vgl. nur BGH NStZRR 2003, 371; BGH, Urt. vom 21. Juni 2007 - 5 StR 532/06). Jedenfalls stellt es einen Rechtsfehler dar, wenn eine nach den Feststellungen nicht nahe liegende Schlussfolgerung gezogen wurde, ohne dass konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen können (BGH, Urt. vom 16. Dezember 2009 - 1 StR 491/09). So verhält es sich hier. Insbesondere für die fernliegende Annahme des Landgerichts, alle vier verfahrensgegenständlichen vom Angeklagten als Subunternehmer bezeichneten Firmen könnten von Nichtberechtigten für eigene Zwecke verwendet worden seien (UA S. 39), sind vom Landgericht keine tatsächlichen Anhaltspunkte dargelegt worden.
25
c) Unter diesen Umständen ist auch die sehr knapp gehaltene Gesamtwürdigung der festgestellten Umstände (UA S. 39) rechtsfehlerhaft.
26
Allein daraus, dass ein bestimmtes Ergebnis nicht fern oder sogar nahe liegt, folgt zwar nicht, dass das Tatgericht im Einzelfall nicht auch rechtsfehlerfrei zu einem anderen Ergebnis kommen kann. Verwirft es jedoch die nahe liegenden Deutungsmöglichkeiten und führt zur Begründung seiner Zweifel an der Täterschaft eines Angeklagten nur Schlussfolgerungen an, für die es nach der Beweisaufnahme keine tatsächlichen Anhaltspunkte gibt, oder die als eher fern liegend zu betrachten sind, so muss in der Gesamtwürdigung erkennbar werden , dass sich das Tatgericht dieser besonderen Konstellation bewusst ist. Andernfalls besteht nämlich die Besorgnis, dass das Tatgericht überspannte Anforderungen an seine Überzeugungsbildung gestellt hat (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 248 f.). So verhält es sich hier. Die Sache bedarf daher neuer tatgerichtlicher Prüfung und Entscheidung, soweit das Landgericht den Angeklagten freigesprochen hat. Nack Wahl Hebenstreit Graf Jäger

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 551/12
vom
25. April 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts des versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. April
2013, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Dr. Quentin,
Reiter
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter für die Nebenkläger und ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin für die Nebenklägerin ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger K. , S. und P. wird das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 12. Juli 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Dem Angeklagten lag zur Last, sich des versuchten Totschlags in drei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr und gefährlicher Körperverletzung sowie des unerlaubten Entfernens vom Unfallort schuldig gemacht zu haben, indem er mit einem Pkw unter billigender Inkaufnahme tödlicher Verletzungen auf die Nebenkläger zufuhr und sich ohne anzuhalten entfernte, nachdem der Nebenkläger K. von seinem Fahrzeug erfasst und erheblich verletzt worden war. Das Landgericht hat den Angeklagten von allen Vorwürfen freigesprochen. Hiergegen haben die Nebenkläger und die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Die Nebenkläger streben jeweils eine Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Totschlags und eines tateinheitlich begangenen vollendeten Körperverletzungsdeliktes an. Die Staatsanwaltschaft beanstandet die Annahme der Voraussetzungen des § 33 StGB und die Verneinung eines bedingten Tötungsvorsatzes. Die Revision der Staatsanwaltschaft wird von dem Generalbundesanwalt vertreten, soweit sie sich gegen die Annahme einer Notwehrüberschreitung nach § 33 StGB wendet. Die Rechtsmittel haben Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte war Mitglied der NPD und weiterer Zusammenschlüsse von Personen mit rechtsradikaler Gesinnung. Er nahm an Veranstaltungen mit entsprechender politischer Ausrichtung teil und kandidierte im Jahr 2011 für die NPD bei der Landtagswahl in . Am 4. August 2011 wurde er von Personen aus dem linken Spektrum als Rechtsradikaler „geoutet“ und daraufhin in einschlägigen Internetblogs beschimpft. Bei einem am 28. September 2011 mit einem Gesinnungsgenossen im Internet geführten Dialog berichtete der Angeklagte über eine gegen ihn gerichtete anonyme Schmähung. Dabei erklärte er, nur darauf zu warten, „dass einer mal angreift“ und er den dann „endlich mal die Klinge fressen lassen“ könne. Als ihm sein Dialogpartner beipflichtete , schrieb der Angeklagte weiter: „Ja! Das Schöne daran, es wäre sogar Notwehr! Man stelle sich das mal bildlich vor! So ne Zecke greift an und du ziehst n Messer. Die Flachzange klappt zusammen und rührt sich nicht mehr. Das muss doch ein Gefühl sein, wie wenn man kurz vor dem Ejakulieren ist!“
4
Am 1. Oktober 2011 sollte eine von dem Angeklagten und der „ “, der der Angeklagte angehörte, ausgerichtete so- genannte „Soli-Party“ auf einer Ackerfläche in B. stattfinden. Auf dieser Party sollte Geld für eine von dem Angeklagten für den 22. Oktober 2011 angemeldete Demonstration erwirtschaftet werden. Im Vorfeld war den der linken Szene zuzuordnenden Nebenklägern K. , P. und S. sowie fünf weiteren Personen bekannt geworden, dass für ortsunkundige Besucher dieser „Party“ für die Zeit zwischen 19.00 Uhr und 19.30 Uhr eine Person auf einem Pendlerparkplatz bereitstehen würde, die den Weg zum Veranstaltungsgelände weisen sollte. Die Nebenkläger und ihre Begleiter fuhren deshalb in zwei Fahrzeugen zu dem ihnen bekannten Pendlerparkplatz , um vor Ort weitere Informationen für ihr Vorgehen zu sammeln und eine Weiterleitung von Besuchern zum Veranstaltungsgelände zu verhindern. Dabei planten sie den Einsatz körperlicher Gewalt und nahmen mögliche Verletzungen der dort anzutreffenden Kontaktperson billigend in Kauf.
5
Zwischen 19.00 Uhr und 19.15 Uhr entdeckten der Nebenkläger S. und ein Begleiter bei einer Erkundungsfahrt den ihnen als führendes Mitglied der rechten Szene bekannten Angeklagten, der am Steuer seines im hinteren Teil des Pendlerparkplatzes abgestellten Pkw Mitsubishi Colt saß und die Rolle der angekündigten Kontaktperson übernommen hatte. Sie trafen sich daraufhin mit den übrigen Nebenklägern und deren Begleitern auf einem kleineren Parkplatz, der gegenüber dem Pendlerparkplatz auf der anderen Seite des Flusslaufs liegt und für den Angeklagten nicht einsehbar war.
6
Etwa gegen 19.15 Uhr begaben sich die dunkel gekleideten Nebenkläger mit zwei Begleitern (insgesamt fünf Personen) zu Fuß zu einer kleinen Brücke, die über den Flusslauf zur L. straße und dem Pendlerparkplatz führte, um den Angeklagten dort anzugreifen und notfalls unter Einsatz von körperlich wirkender Gewalt zu vertreiben. Dabei führte S. eine Dose mit Pfefferspray mit, während einer seiner Begleiter Handschuhe trug, die zur Erhöhung der Schlagkraft und zur Vermeidung von Handverletzungen im Bereich der Knöchel mit Quarzsand gefüllt waren. Auf dem Weg vermummten sich die Nebenkläger und ihre Begleiter mit Sturmhauben, Kapuzen und anderen schwar- zen Textilien. Zwischenzeitlich hatte der Angeklagte seinen Standort verändert, nachdem er ein ziviles Polizeifahrzeug wahrgenommen hatte, von den Beamten aber nicht bemerkt worden war. Er befand sich nun mit seinem Pkw im vorderen Bereich des Pendlerparkplatzes nur wenige Meter von der ersten Ausfahrt entfernt. Sein Fahrzeug war dabei in Richtung der Ausfahrt eingeparkt. Der Angeklagte saß bei geöffnetem Seitenfenster auf dem Fahrersitz und telefonierte mit dem auf dem Festgelände befindlichen Zeugen A. .
7
Als der Nebenkläger S. bei der Überquerung der Brücke den Angeklagten entdeckte, rief er aus: „Das ist er!“ und zog den Sicherungs- splint aus der Pfefferspraydose. Daraufhin beschleunigte die Gruppe ihren Schritt und versuchte die L. straße schräg in Richtung der noch ca. 14 Meter von der Brücke entfernten ersten Ausfahrt des Pendlerparkplatzes zu überqueren. Als der Angeklagte die vermummte Personengruppe bemerkte und deren Vorhaben erkannte, teilte er seinem Gesprächspartner A. mit, dass er von „Zecken“ angegriffen werde und warf sein Mobiltelefon auf den Bei- fahrersitz.
8
Der Angeklagte befürchtete zu Recht, körperlich attackiert zu werden. Er geriet nicht ausschließbar in Panik und beschloss zu flüchten. Dazu startete er sein Fahrzeug und fuhr mit Vollgas beschleunigend über die erste Ausfahrt auf die L. straße und dann nach links auf die Personengruppe mit den Nebenklägern zu, die sich zu diesem Zeitpunkt wenige Meter von der Brücke entfernt in Richtung des Angeklagten auf der Straße befand. Jedenfalls die drei Nebenkläger hielten sich zu diesem Zeitpunkt in der Mitte der Straße bzw. der in Fahrtrichtung des Angeklagten rechten Fahrbahnhälfte und damit in dessen direktem Fahrweg auf. Als der Angeklagte sein Fahrzeug beschleunigte, war ihm bewusst, dass er die Nebenkläger in die erhebliche Gefahr brachte, ohne eine Ausweichbewegung ihrerseits von seinem Fahrzeug erfasst und hierbei verletzt zu werden. Eine Verletzung der drei Nebenkläger, jedenfalls im Rahmen einer Ausweichbewegung, nahm er billigend in Kauf (UA 11). Auch eine „leichte Kollision“ und ein nicht ausschließbares „leichtes Anfahren“ wurden von ihm für möglich gehalten und gebilligt (UA 38). Der Angeklagte rechnete jedoch nicht damit, dass er eine der Personen oder gar mehrere überfahren könnte und nahm ihren Tod nicht billigend in Kauf. Vielmehr ging er davon aus, dass sie die Straße noch rechtzeitig räumen würden, was ihnen sowohl räumlich als auch zeitlich möglich gewesen wäre (UA 11 f.).
9
Die Nebenkläger P. und S. konnten sich vor dem schnell herannahenden Fahrzeug des Angeklagten durch einen Sprung zur Seite retten. K. sprang – obwohl er die Möglichkeit dazu gehabt hätte – aus ungeklärtem Grund nicht zur Seite, sondern auf die Motorhaube des auf ihn zu diesem Zeitpunkt mit einer Geschwindigkeit von 25-30 km/h zukommenden Fahrzeugs. Dabei prallte er mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe und wurde abgeworfen. Er stürzte mit dem Hinterkopf auf die Fahrbahndecke und blieb schwer verletzt liegen.
10
Der Angeklagte, der erkannt hatte, dass K. durch den Aufprall schwer verletzt oder sogar getötet worden sein konnte, fuhr mit seinem Fahrzeug davon, weil er zu Recht Vergeltungsmaßnahmen der vermummten Begleiter von K. befürchtete. Als er nach etwa zwei Minuten auf ein Polizeifahrzeug traf, hielt er dieses an und offenbarte sich den Beamten (UA 12).
11
Durch die Kollision mit dem Fahrzeug des Angeklagten erlitt K. insbesondere eine lebensgefährliche Hirnblutung sowie diverse Häma- tome und Schürfwunden. Aufgrund der Hirnblutung kam es bei ihm zu einer motorischen Aphasie. Er musste intensivmedizinisch behandelt werden und sich einer einmonatigen stationären Rehabilitationsmaßnahme zum Wiedererlernen der Sprachfähigkeit unterziehen. Derzeit leidet er noch an temporären Wortfindungsstörungen und einem defekten Mundschluss sowie Angstgefühlen. Ob es zu weiteren Spätfolgen kommen wird, ist ungewiss (UA 13).
12
Der Angeklagte hätte eine Gefährdung seiner körperlichen Unversehrtheit auch dadurch vermeiden können, dass er den Pendlerparkplatz über die zweite Ausfahrt verlassen hätte oder von der ersten Ausfahrt nicht nach links, sondern nach rechts abgebogen und davongefahren wäre. Eine Beeinträchtigung seiner Verteidigungs- und Selbstschutzchancen wäre hierdurch in beiden Fällen nicht eingetreten (UA 12). Bei einem Ausfahren über die zweite Ausfahrt wäre ein Kontakt mit den Angreifern allerdings nicht ausgeschlossen gewesen, weil sich der Zeuge H. , der zu der Gruppe um die Nebenkläger gehörte, bereits in der Nähe befand (UA 39).
13
2. Das Landgericht ging davon aus, dass der Angeklagte die Tatbestände der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des Nebenklägers K. (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB) und der versuchten gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil der Nebenkläger P. und S. (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, § 22 StGB) verwirklicht hat. Außerdem erfülle sein Verhalten die Voraussetzungen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, wobei er durch die Tat eine schwere Gesundheitsbeschädigung bei einem anderen Menschen verursacht habe (§ 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, § 315 Abs. 3 Nr. 2 StGB). Eine Rechtfertigung durch Notwehr nach § 32 StGB scheide aus. Zwar sei der Angeklagte einem gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff der Nebenkläger ausgesetzt gewesen, doch habe sich seine Abwehrmaßnahme nicht im Rahmen des Erforderlichen gehalten. Dem Angeklagten sei es möglich gewesen, sich dem Geschehen durch ein Wegfahren in Gegenrichtung zu entziehen. Angesichts der offensichtlichen Gefährlichkeit seines Verhaltens habe er diese Möglichkeit ergreifen und „flüchten müssen“. Drohe dem Angegriffenen selbst keine Lebensgefahr, könne auch die Flucht ein Verteidigungsmittel sein, wenn das stattdessen eingesetzte Abwehrmittel mit Lebensgefahren für den Angreifer verbunden sei. Der Angeklagte sei aber nicht ausschließbar nach § 33 StGB entschuldigt, da er aus Verwirrung, Angst und Schrecken die Grenzen der Notwehr überschritten habe (UA 43). Der Tatbestand des § 142 StGB sei nicht erfüllt, weil dem Angeklagten nicht zugemutet werden konnte, am Unfallort zu verbleiben. Er habe sich entschuldigt entfernt und sofort nachträglich die erforderlichen Feststellungen ermöglicht.

II.


14
Die gegen den Freispruch gerichteten Revisionen der Nebenkläger und die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft haben schon deshalb Erfolg, weil die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe aufgrund eines Notwehrexzesses im Sinne des § 33 StGB ohne Schuld gehandelt, nicht tragfähig begründet ist.
15
1. Eine Entschuldigung wegen einer Überschreitung der Grenzen der Notwehr nach § 33 StGB setzt voraus, dass der Täter in einer objektiv gegebenen Notwehrlage (§ 32 Abs. 2 StGB) bei der Angriffsabwehr die Grenzen des Erforderlichen aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschritten hat (vgl. BGH, Urteil vom 31. Januar 2003 – 4 StR 267/02, NStZ 2003, 599, 600 mwN). Von einer Angriffsabwehr kann dabei nur die Rede sein, wenn der Täter nicht nur in Kenntnis der die Notwehrlage begründenden Umstände, sondern auch mit Verteidigungswillen gehandelt hat (BGH, Urteil vom 1. Juli 1952 – 1 StR 119/52, BGHSt 3, 194, 198; LK/Zieschang, StGB, 12. Aufl., § 33 Rn. 48; Heinrich, Strafrecht Allgemeiner Teil, 3. Aufl., Rn. 590; Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 6. Aufl., § 12 Rn. 149a).
16
a) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte im Zeitpunkt des Anfahrens des Nebenklägers K. und des Beinahe-Zusammenstoßes mit den Nebenklägern P. und S. einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff ausgesetzt war und sich deshalb objektiv in einer Notwehrlage befand (§ 32 Abs. 2 StGB).
17
Ein Angriff ist bereits dann gegenwärtig, wenn sich die durch das Verhalten der Angreifer begründete Gefahr so verdichtet hat, dass ein Hinausschieben der Abwehrhandlung unter den gegebenen Umständen entweder deren Erfolg gefährden oder den Verteidiger zusätzlicher nicht mehr hinnehmbarer Risiken aussetzen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 8. März 2000 – 3 StR 67/00, NStZ 2000, 365; Beschluss vom 11. Dezember 1991 – 2 StR 535/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 5; Urteil vom 26. August 1987 – 3 StR 303/ 87, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 1). Nach den Feststellungen waren die Nebenkläger und ihre Begleiter im Begriff, den Angeklagten in seinem Fahrzeug körperlich anzugreifen. Dazu bewegten sie sich schnellen Schrittes auf ihn zu und hatten nur noch wenige Meter zu überwinden. Angesichts der zahlenmäßigen Überlegenheit der Angreifer und ihrer Bewaffnung (Reizgas, präparierte Handschuhe) hätte ein Zuwarten den Angeklagten der Gefahr ausgesetzt, nicht mehr rechtzeitig reagieren zu können oder wichtige Handlungsoptionen zu verlieren.
18
Da der Angriff der Nebenkläger und ihrer Begleiter auf den Angeklagten in Widerspruch zur Rechtsordnung stand, war er auch rechtswidrig (BGH, Urteil vom 23. September 1997 – 1 StR 446/97, NJW 1998, 1000).
19
b) Dagegen ist die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich mit dem Zufahren auf die Nebenkläger gegen deren Angriff verteidigt, nicht rechtsfehlerfrei begründet. Aufgrund seiner Feststellungen zur Tatvorgeschichte hätte sich das Landgericht an dieser Stelle mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob das Vorgehen des Angeklagten auch von dem erforderlichen Verteidigungswillen getragen war.
20
aa) Wird von dem Angegriffenen in einer Notwehrlage ein Gegenangriff auf Rechtsgüter der Angreifer geführt (sog. Trutzwehr), kann darin nur dann eine Angriffsabwehr gesehen werden, wenn in diesem Vorgehen auch tatsächlich der Wille zum Ausdruck kommt, der drohenden Rechtsverletzung entgegenzutreten (BGH, Urteil vom 2. Oktober 1953 – 3 StR 151/53, BGHSt 5, 245, 247; Urteil vom 19. März 1968 – 1 StR 648/67, MDR 1969, 15, 16 bei Dallinger; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 32 Rn. 25; Schmidhäuser, GA 1991, 91, 132; ders., JZ 1991, 937, 939; Schünemann, GA 1985, 341, 371; Welzel, Das deutsche Strafrecht, 11. Aufl., S. 86; vgl. Alwart, GA 1983, 433, 448 ff.). Dazu reicht allein die Feststellung, dass dem Angegriffenen die Notwehrlage bekannt war, nicht aus. Die subjektiven Voraussetzungen der Notwehr sind erst dann erfüllt, wenn der Gegenangriff zumindest auch zu dem Zweck geführt wurde, den vorangehenden Angriff abzuwehren. Dabei ist ein Verteidigungswille auch dann noch als relevantes Handlungsmotiv anzuerkennen, wenn andere Beweggründe (Vergeltung für frühere Angriffe, Feindschaft etc.) hinzutreten. Erst wenn diese anderen Beweggründe so dominant sind, dass hinter ihnen der Wille das Recht zu wahren ganz in den Hintergrund tritt, kann von einem Abwehrverhalten keine Rede mehr sein (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 2011 – 5 StR 328/11, NStZRR 2012, 84, 86; Urteil vom 31. Januar 2007 – 1 StR 429/06, NStZ 2007, 325, 326; Urteil vom 12. Februar 2003 – 1 StR 403/02; NJW 2003, 1955, 1957 f.; Beschluss vom 8. März 2000 – 3 StR 67/00, NStZ 2000, 365, 366; Beschluss vom 23. August 1991 – 2 StR 360/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigungswille 1; Beschluss vom 5. November 1982 – 3 StR 375/82, NStZ 1983, 117; Urteil vom 4. September 1979 – 5 StR 461/79, GA 1980, 67, 68; Urteil vom 1. Juli 1952 – 1 StR 119/52, BGHSt 3, 194, 198). Hieran ist trotz in der Literatur geäußerter Kritik (vgl. LK/Rönnau/Hohn, StGB, 12. Aufl., § 32 Rn. 266; Matt/ Renzikowski/Engländer, StGB, § 32 Rn. 63; MünchKommStGB/Erb, 2. Aufl., § 32 Rn. 241; Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 32 Rn. 63; Prittwitz, GA 1980, 381 ff.; Rath, Das subjektive Rechtfertigungselement, 2002, S. 241 f.; Waider, Die Bedeutung der Lehre von den subjektiven Rechtfertigungselementen für Methodologie und Systematik des Strafrechts, 1970, S. 91 ff.) festzuhalten.
21
bb) Die Äußerungen des Angeklagten im Vorfeld der Geschehnisse, wo- nach er nur darauf warte, „dass einer mal angreift“ und er den dann „endlich mal die Klinge fressen lassen“ könne, wie auch das damit verbundene begeis- terte Ausmalen eines Szenarios, in dem es zur Tötung eines politischen Geg- ners („Zecke“) in einer Notwehrsituation kommt, lassen es nicht als fernliegend erscheinen, dass er den Angriff der Nebenkläger lediglich zum Anlass genommen hat, gegen sie Gewalt zu üben. Dem entspricht es, dass es das Landgericht an anderer Stelle im Zusammenhang mit diesen Äußerungen selbst für möglich gehalten hat, dass der Angeklagte auf die Nebenkläger und ihre Begleiter zugefahren ist, um sie unter Inkaufnahme von Verletzungen „springen“ zu lassen (UA 39). Vor diesem Hintergrund konnte das Landgericht nicht ohne nähere Begründung davon ausgehen, dass der Angeklagte bei seinem Vorgehen gegen die Nebenkläger zumindest auch von dem Willen geleitet war, das Recht zu wahren. Die ausführliche Bewertung der Äußerungen des Angeklagten vom 28. September 2011 und seiner daraus abzuleitenden Haltung gegenüber den Nebenklägern im Zusammenhang mit der Prüfung eines bedingten Tötungsvorsatzes (UA 36) kann die fehlenden Ausführungen zum Verteidigungswillen nicht ersetzen.
22
2. Die Sache bedarf schon aus diesem Grund neuer Verhandlung und Entscheidung. Eine Aufrechterhaltung von Feststellungen zur Tatvorgeschichte und zum Tatgeschehen kam nicht in Betracht, weil dies den nicht geständigen Angeklagten belasten würde und er keine Möglichkeit hatte, das Urteil insoweit anzugreifen (BGH, Urteil vom 27. Januar 1998 – 1 StR 727/97, BGHR StPO § 354 Abs. 1 Freisprechung 2; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 353 Rn. 15a mwN).
23
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
24
a) Eine Körperverletzung mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) begeht, wer sein Opfer durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes gefährliches Tatmittel im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB körperlich misshandelt oder an der Gesundheit beschädigt (BGH, Beschluss vom 25. April 2012 – 4 StR 30/12, NStZ 2012, 697, 698; Beschluss vom 30. Juni 2011 – 4 StR 266/11, Rn. 5; Beschluss vom 12. Januar 2010 – 4 StR 589/09, NStZ-RR 2010, 205, 206; Beschluss vom 16. Januar 2007 – 4 StR 524/06, NStZ 2007, 405). Fährt der Täter mit einem Pkw auf eine oder mehrere Personen zu, ist der innere Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nur dann erfüllt, wenn er dabei billigend in Kauf nimmt, dass die betroffenen Personen angefahren werden und unmittelbar durch den Anstoß mit dem fah- renden Pkw eine Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) erleiden. Rechnet der Täter nur mit Verletzungen infolge von Ausweichbewegungen oder bei Stürzen, scheidet die Annahme einer (versuchten) gefährlichen Körperverletzung in der Variante des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB aus.
25
Eine gefährliche Körperverletzung in der Variante des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB (mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung) setzt in subjektiver Hinsicht voraus, dass der Täter die Umstände kennt, aus denen sich in der konkreten Situation die allgemeine Lebensgefährlichkeit seines Vorgehens ergibt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 15; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 224 Rn. 13 mwN). Sollte der neue Tatrichter wiederum zu der Feststellung gelangen, das der Nebenkläger K. aus ungeklärten Gründen auf die Motorhaube des Fahrzeugs des Angeklagten gesprungen und das Vorgehen des Angeklagten erst dadurch für ihn generell lebensgefährdend geworden ist, müsste der Angeklagte auch ein solches Geschehen für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 1992 – 4 StR 607/91, BGHR StGB § 315b Abs. 3 Absicht 1).
26
b) Ergibt sich, dass der Angeklagte in einer objektiv gegebenen Notwehrlage auf die Nebenkläger zugefahren ist und dabei jedenfalls auch mit Verteidigungswillen gehandelt hat, wird erneut zu prüfen sein, ob die Grenzen des Erforderlichen überschritten worden sind.
27
aa) Eine in einer objektiven Notwehrlage begangene Tat ist nach § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt , das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung stand (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140 m. Anm. Erb, HRRS 2013, 113; Urteil vom 21. März 1996 – 5 StR 432/95, BGHSt 42, 97, 100 mwN). Ob dies der Fall ist, muss aus der Sicht eines objektiven und umfassend über den Sachverhalt unterrichteten Dritten in der Situation des Angegriffenen entschieden werden (BGH, Urteil vom 14. Juni 1998 – 3 StR 186/98, BGHR § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 14). Dabei kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung an (BGH, Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140 m. Anm. Erb, HRRS 2013, 113; Urteil vom 28. Februar 1989 – 1 StR 741/88, NJW 1989, 3027). Da das Notwehrrecht nicht nur dem Schutz der bedrohten Individualrechtsgüter des Angegriffenen, sondern auch der Verteidigung der durch den rechtswidrigen Angriff negierten Rechtsordnung dient (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 1972 – 2 StR 679/71, BGHSt 24, 356, 359), kommen als alternativ in Betracht zu ziehende Abwehrhandlung grundsätzlich nur Maßnahmen in Betracht, die die bedrohte Rechtsposition gegen den Angreifer durchsetzen. Das Gesetz verlangt von einem rechtswidrig Angegriffenen nicht, dass er die Flucht ergreift oder auf andere Weise dem Angriff ausweicht, weil damit ein Hinnehmen des Angriffs verbunden wäre und weder das bedrohte Recht, noch die in ihrem Geltungsanspruch infrage gestellte Rechtsordnung gewahrt blieben (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juni 2004 – 2 StR 82/04, NStZ 2005, 31; Urteil vom 12. Februar 2003 – 1 StR 403/02, NJW 2003, 1955, 1957; Urteil vom 24. Juli 1979 – 1 StR 249/79, NJW 1980, 2263; Urteil vom 21. Dezember 1977 – 2 StR 421/77, BGHSt 27, 313, 314; LK/Rönnau/Hohn, StGB, 12. Aufl., § 32 Rn. 182; MünchKommStGB/Erb, 2. Aufl., § 32 Rn. 118; NK-StGB/ Kindhäuser, 4. Aufl., § 32 Rn. 94 mwN). Etwas anderes kann lediglich dann gelten , wenn besondere Umstände das Notwehrrecht einschränken, etwa weil dem Angriff eine vorwerfbare Provokation des Angegriffenen vorausgegangen ist (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 141 m. Anm. Erb, HRRS 2013, 113; Urteil vom 30. Juni 2004 – 2 StR 82/04, NStZ 2005, 31) oder der Angegriffene sich sehenden Auges in Gefahr begeben hat (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2002 – 3 StR 503/01, NStZ-RR 2002, 203, 204 m. Anm. Walther, JZ 2003, 52).
28
bb) Daran gemessen wird sich eine Überschreitung der Grenzen des Erforderlichen nicht mit den vom Erstgericht hierzu angestellten Erwägungen begründen lassen. Der Angeklagte war nicht gehalten, sich dem Geschehen durch ein Wegfahren in Gegenrichtung (Flucht) zu entziehen. Auch für die vom Landgericht angestellte Abwägung zwischen den Gefahren, die dem Angeklagten im Fall einer Flucht gedroht hätten und den mit der gewählten Verteidigung verbundenen Gefahren für die Rechtsgüter der angreifenden Nebenkläger, ist kein Raum. Stattdessen wird der neue Tatrichter auf der Grundlage der von ihm dazu getroffenen Feststellungen zu erörtern haben, ob es dem Angeklagten in dem Zeitpunkt der Zufahrt auf die Nebenkläger möglich war, den gegen ihn geführten Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit schonender als geschehen zurückzuweisen. Sollte sich wiederum ergeben, dass der Angeklagte mit Vollgas auf die in seinem Fahrweg laufenden Nebenkläger zugefahren ist, wird dabei gegebenenfalls die Frage beantwortet werden müssen, ob diese die Nebenkläger erheblich gefährdende Fahrweise tatsächlich erforderlich war, um sie von ihrem Angriffsvorhaben abzubringen. Wurde der Nebenkläger K. auch nach den neu getroffenen Feststellungen nur deshalb gravierend verletzt, weil er aus ungeklärtem Grund nicht zur Seite, sondern auf die Motorhaube des Fahrzeugs des Angeklagten sprang, wird auch entschieden werden müssen, ob diese Entwicklung aus der an dieser Stelle maßgeblichen Sicht eines objektiven Beobachters vorhersehbar war. Wäre dies zu verneinen, müsste diese Auswirkung als nicht vorhersehbare Folge bei der vergleichenden Betrachtung mit anderen möglichen Verteidigungshandlungen außer Ansatz bleiben (vgl. für eine andere Fallkonstellation BGH, Urteil vom 14. Juni 1998 – 3 StR 186/98, BGHR § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 14).
29
c) Gelangt der neue Tatrichter zu dem Ergebnis, dass sich der Angeklagte bei der Abwehr des Angriffs der Nebenkläger in den Grenzen des Erforderlichen gehalten hat, entfiele damit auch die Rechtswidrigkeit des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB. Dies hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 26. März 1974 (4 StR 399/73, unter 4.a), insoweit in BGHSt 25, 306; NJW 1974, 1340; MDR 1974, 679; VerkMitt 1974, Nr. 97 und JZ 1974, 621 nicht abgedruckt) implizit bejaht, indem er für einen vergleichbaren Fall die Möglichkeit einer Putativnotwehr und dementsprechend eine Bestrafung wegen fahrlässigen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 StGB) in Betracht zog. Dem steht nicht entgegen , dass § 315b StGB vornehmlich die öffentliche Sicherheit des Straßenverkehrs schützt und die Bewahrung der Individualrechtsgüter der gefährdeten Verkehrsteilnehmer von diesem Schutzzweck lediglich mit umfasst wird (BGH, Urteil vom 4. Dezember 2002 – 4 StR 103/02, BGHSt 48, 119, 123; SSWStGB /Ernemann, § 315b Rn. 1). Zwar vermag Notwehr grundsätzlich nur Eingriffen in die Rechtsgüter des Angreifers die Rechtswidrigkeit zu nehmen (vgl. LK/Rönnau/Hohn, StGB, 12. Aufl., § 32 Rn. 159), doch ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass § 32 StGB ausnahmsweise auch die Verletzung von Universalrechtsgütern zu rechtfertigen vermag, wenn deren Begehung – wie hier – untrennbar mit der erforderlichen Verteidigung verbunden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Dezember 2011 – 2 StR 380/11, NStZ 2012, 452; Beschluss vom 13. Januar 2010 – 3 StR 508/09, NStZ-RR 2010, 140; Beschluss vom 18. Februar 1999 – 5 StR 45/99, NStZ 1999, 347; Beschluss vom 11. Juli 1996 – 1 StR 285/96, StV 1996, 660; Urteil vom 12. Mai 1981 – 5 StR 109/81, NStZ 1981, 299, jeweils zu mit der Notwehrhandlung begangenen Verstößen gegen das Waffengesetz; a.A. LK/Rönnau/Hohn, StGB, 12. Aufl., § 32 Rn. 160; MünchKommStGB/Erb, 2. Aufl., § 32 Rn. 123; NK-StGB/Kindhäuser, 4. Aufl., § 32 Rn. 80 f.; Maatz, MDR 1985, 881, 882).
30
d) Ergibt sich dagegen, dass die Grenzen des Erforderlichen überschritten worden sind, wird sich ein Eingehen auf § 33 StGB anschließen müssen. Dabei wird zu beachten sein, dass eine Exkulpierung nach dieser Vorschrift nur zu rechtfertigen ist, wenn sich der Angeklagte aufgrund der Bedrohung durch die Nebenkläger in einem psychischen Ausnahmezustand mit einem Störungsgrad befunden hat, der eine erhebliche Reduzierung seiner Fähigkeit das Geschehen zu verarbeiten zur Folge hatte (BGH, Urteil vom 30. Mai 1996 – 4 StR 109/96, NStZ-RR 1997, 65, 66; Urteil vom 16. August 1994 – 1 StR 244/94, NStZ 1995, 76, 77; Urteil vom 25. August 1992 – 5 StR 266/92, BGHR StGB § 33 Furcht 2; vgl. Beschluss vom 21. März 2001 – 1 StR 48/01, NStZ 2001, 591, 593; Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 33 Rn. 3; Matt/Renzikowski/Engländer, § 33 Rn. 10; MünchKommStGB/Erb, 2. Aufl., § 33 Rn. 23 mwN). War dies der Fall, kann ein entschuldigender Notwehrexzess auch dann noch anzunehmen sein, wenn die Überschreitung der Notwehrgrenzen durch andere (sthenische) Affekte (Wut, Zorn etc.) mitverursacht worden ist (BGH, Urteil vom 17. Februar 1998 – 1 StR 779/97, StV 1999, 148; Beschluss vom 9. Oktober 1998 – 2 StR 443/98, NStZ-RR 1999, 264; Beschluss vom 11. Juli 1986 – 3 StR 269/86, BGHR StGB § 33 Nothilfe 1). Hierzu bedarf es konkreter Feststellungen und einer wertenden Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände.
31
Das Landgericht hat auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen zutreffend in der von den vermummt auftretenden Nebenklägern ausgehenden Bedrohungslage, der durch den Überraschungseffekt bedingten zuge- spitzten Entscheidungssituation und den Angaben von Zeugen zum psychischen Zustand des Angeklagten unmittelbar nach der Tat wichtige Beweisanzeichen für einen Affekt im Sinne des § 33 StGB gesehen und dem die gegen einen solchen Affekt sprechenden Umstände (gedankliche Vorwegnahme möglicher Angriffe, Wahrscheinlichkeit von gewaltsamen Gegenaktionen) gegenübergestellt (UA 39 ff.). Seine Erwägungen sind jedoch entscheidend von der rechtsfehlerhaften Annahme beeinflusst, dass der Angeklagte die Notwehrgrenzen bereits deshalb überschritten habe, weil er den Ort des Geschehens nicht fluchtartig verließ.
32
Sollte der neue Tatrichter zu einer Erörterung der Voraussetzungen des § 33 StGB gelangen, wird er neben den genannten Gesichtspunkten auch in seine Gesamtwürdigung einzubeziehen haben, dass der Angeklagte bei seiner polizeilichen Einvernahme am 12. Oktober 2011 zwar von „Panik“ berichtet hat, dann aber seine Entscheidung für ein Zufahren auf die Gruppe um die Nebenkläger als das Ergebnis einer Abwägung zwischen verschiedenen Risiken und fahrtechnischen Möglichkeiten schilderte (UA 18). Ein Verhaltensalternativen in den Blick nehmendes Entscheiden kann Ausdruck einer Verarbeitung des Geschehens sein und damit gegen die Annahme einer Störung im Sinne des § 33 StGB sprechen.

III.


33
Durch die Aufhebung des freisprechenden Urteils werden die damit verknüpfte Entschädigungsgrundentscheidung (§ 8 Abs. 1 Satz 1 StrEG) und die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegenstandslos (BGH, Urteil vom 25. März 2010 – 1 StR 601/09, Rn. 20).
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Quentin Reiter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 601/09
vom
25. März 2010
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
25. März 2010, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Hebenstreit,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 4. Juni 2009 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der versuchten schweren räuberischen Erpressung aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Es ist der Ansicht, der Angeklagte sei strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten , weil er freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgegeben habe (§ 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB). Nach der Anklage lag dem Angeklagten zur Last, durch Drohung mit einer Eisenstange versucht zu haben, die in der Gaststätte „M. “ beschäftigte Bedienung S. zu zwingen, ihm 150 Euro zu übergeben, auf die er keinen Anspruch hatte.
2
Gegen diesen Freispruch wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft , die das Verfahren beanstandet und die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht mehr an.
3
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
4
Der Angeklagte hielt sich am Abend des 16. November 2008 mit Freunden in Augsburg in der Gaststätte „M. “ auf und konsumierte 1 ½ Flaschen Wodka sowie nicht alkoholische Getränke. Als der Angeklagte bemerkte, dass er nicht genügend Geld bei sich hatte, um die Zeche zu bezahlen, bat er zunächst eine Bedienung mit dem Namen „A. “, ihm Geld zu leihen, damit er weitere Getränke bestellen könne. Dies lehnte die Bedienung ab, weil sie selbst kein Geld bei sich hatte und aus der Kasse kein Geld nehmen wollte. „Anschreiben lassen“ wollte der Angeklagte nicht, weil er befürchtete, die Rechnung könnte später mehr Getränke enthalten, als er tatsächlich konsumiert hatte.
5
Gegen 2.50 Uhr, als die Bedienung „A. “ ihre Schicht bereits beendet und die Gaststätte verlassen hatte, ging der Angeklagte zur Bar, um nun die dort ebenfalls als Bedienung tätige Zeugin S. aufzufordern, ihm Geld zu leihen. Er legte eine Eisenstange vor sich auf der Theke ab, ohne die Zeugin direkt damit zu bedrohen, und forderte sie auf, ihm 200 Euro zu geben. Dies lehnte die Zeugin mit dem Bemerken ab, sie könne ihm kein Geld geben, weil sie keines habe und sich auch in der Kasse keines befinde. Nun begab sich der Angeklagte mit der Stange in der Hand hinter den Tresen und forderte die Zeugin S. auf, ihm dann zumindest 150 Euro zu geben. Dabei äußerte er, dass er sich häufiger von dem Barinhaber P. Geld leihe, um die Zeche zu bezahlen. Er forderte nun die Zeugin auf, P. anzurufen, damit er ihr erklären könne, dass sie ihm Geld geben könne. Auf die Ankündigung hin, sie werde nach draußen gehen, um P. von dort aus anzurufen und ihn zu fragen, ob sie dem Angeklagten Geld leihen dürfe, ließ der Angeklagte die Zeugin mit dem Telefon in der Hand passieren.

6
Der Angeklagte setzte sich zunächst an die Bar, begab sich dann aber zum Ausgang der Bar und blieb dort im Türrahmen stehen, während die Zeugin S. vor dem Lokal telefonierte. Er ging ihr nicht nach und forderte auch nicht erneut Geld. Vielmehr unterhielt er sich mit anderen Personen und wartete, ob die Zeugin ihm Geld geben werde. Die Zeugin S. rief zunächst den Türsteher D. an, der sich in unmittelbarer Nähe aufhielt. D. begleitete die Zeugin auf den Parkplatz des Lokals, von wo aus sie den Barinhaber P. anrief. Dieser war nicht bereit, dem Angeklagten Geld zu leihen , und bat die Zeugin, die Polizei zu rufen, was sie auch tat. Der Angeklagte hatte nicht mitbekommen, dass sie die Polizei gerufen hatte, und wartete weiterhin auf die Rückkehr der Zeugin S. in dem Glauben, von ihr Geld zu erhalten. Beim Eintreffen der Polizei befand sich der Angeklagte immer noch vor dem Lokal.
7
2. Das Landgericht hat den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Es hatte zwar Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Einlassung des Angeklagten , er habe sich das Geld nur leihen wollen, ist dieser Frage aber nicht näher nachgegangen, weil es „von einem strafbefreienden Rücktritt überzeugt“ war. Das Landgericht ist der Ansicht, der Versuch sei noch nicht beendet gewesen , weil aus der Sicht des Angeklagten „noch nicht alles Nötige getan war, um den Tatbestand zu vollenden“. Er hätte der Zeugin S. während des Telefonats folgen und im Falle einer negativen Antwort erneut Geld fordern können. Dies habe er jedoch nicht getan. Vielmehr habe er die weitere Tatbestandsverwirklichung aufgegeben, während er auf die Rückkehr der Zeugin gewartet habe. Der Versuch sei zu diesem Zeitpunkt auch nicht fehlgeschlagen gewesen, weil der Angeklagte aus seiner Sicht mit dem ihm zur Verfügung stehenden Mittel - der Eisenstange - den Tatbestand hätte vollenden können und lediglich darauf gewartet habe, ob die Zeugin ihm noch Geld geben werde. Ihm sei nicht bekannt gewesen, dass die Zeugin zwischenzeitlich die Polizei gerufen hatte.
8
3. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Urteilsgründe sind lückenhaft; sie sind schon aus diesem Grund nicht geeignet, die Wertung des Landgerichts zu tragen, der Angeklagte sei strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten (unten a). Zudem enthält die rechtliche Würdigung des Landgerichts auch einen Wertungsfehler, weil der Umstand, dass der Angeklagte die Zeugin S. beim Telefonieren nicht begleitet hat, ein Aufgeben der weiteren Tatausführung nicht belegt (unten b). Schließlich kann der Freispruch auch deswegen keinen Bestand haben, weil die Urteilsfeststellungen zumindest eine versuchte Nötigung gegenüber der Zeugin S. , den Barinhaber anzurufen, nahe legen (unten c).
9
a) Die vom Landgericht getroffenen Sachverhaltsfeststellungen sind lückenhaft. Sie lassen eine abschließende Prüfung, ob der Angeklagte vom Versuch der schweren räuberischen Erpressung strafbefreiend zurückgetreten ist, nicht zu.
10
Das Landgericht durfte hier nicht offenlassen, welches Ziel der Angeklagte mit seinem Vorgehen erstrebte und ob überhaupt ein Versuch der räuberischen Erpressung gegeben war. Denn diese Fragen haben Bedeutung für das Vorstellungsbild des Angeklagten zum Zeitpunkt eines möglichen Rücktritts und damit für die Wirksamkeitsvoraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts. Während bei einem unbeendeten Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB die freiwillige weitere Tatausführung zur Straffreiheit führt, setzt ein strafbefreiender Rücktritt bei einem beendeten Versuch voraus, dass der Täter die Vollendung der Tat verhindert (§ 24 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. StGB) oder, wenn die Tat ohne sein Zutun nicht vollendet, dass er sich freiwillig und ernsthaft bemüht hatte, die Vollendung zu verhindern (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB). Bei einem fehlgeschlagenen Versuch kommt ein strafbefreiender Rücktritt von vornherein nicht in Betracht.
11
Ein beendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter glaubt, alles zur Verwirklichung des Tatbestandes Erforderliche getan zu haben (st. Rspr.; vgl. BGHSt 14, 75, 79). Unbeendet ist der Versuch, wenn er glaubt, zur Vollendung des Tatbestands bedürfe es noch weiteren Handelns. Für die Abgrenzung kommt es dabei auf die Vorstellung des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (BGHSt 31, 170, 175; 40, 304, 306). Entscheidend ist, ob der Täter zu diesem Zeitpunkt den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont, vgl. BGHSt 39, 221, 227).
12
Ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB allein durch bloßes Aufgeben der weiteren Tatausführung kam hier daher nur dann in Betracht, wenn der Versuch zu diesem Zeitpunkt noch nicht beendet war.
13
Welche Vorstellung der Angeklagte nach der letzten Ausführungshandlung hatte - als er die Zeugin S. aufgefordert hatte, den Barinhaber P. anzurufen -, lässt das Landgericht hier rechtsfehlerhaft offen. Es stellt lediglich fest, dass der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt weiter darauf wartete, ob die Zeugin ihm Geld geben würde. Ob er dabei glaubte, er erhalte nun vom Barinhaber freiwillig ein Darlehen, oder ob er annahm, er erhalte das Geld (als Darlehen oder ohne Rückgabevereinbarung) allein aufgrund vorangegangener Drohungen mit der Eisenstange, stellt das Landgericht indes nicht fest. Dessen hätte es aber bedurft, um beurteilen zu können, ob überhaupt eine versuchte räuberische Erpressung vorlag, und wenn ja, ob der Versuch unbeendet oder bereits beendet war.
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Das Landgericht hätte deshalb jedenfalls feststellen müssen, ob der Barinhaber dem Angeklagten bereits früher Geld zur Bezahlung der Zeche geliehen hatte oder nicht. Es hätte weiter erörtern müssen, ob der Angeklagte lediglich einen Betrag forderte, der seiner Zeche entsprach. Die Höhe der geforderten Summe von zunächst 200 Euro und unmittelbar danach von 150 Euro legt nahe, dass der Angeklagte einen Geldbetrag forderte, der seinen Getränkekonsum nicht unerheblich überschritt. Das Landgericht hätte auch Feststellungen zur Herkunft der Eisenstange treffen müssen. Denn es lag nicht nahe, dass der Angeklagte eine Eisenstange zu dem Zweck mitbrachte, damit ein Darlehen zu erlangen, wenn ihm Darlehen in der Vergangenheit auch freiwillig gegeben worden waren. Auch wenn er die Eisenstange erst in der Gaststätte an sich genommen haben sollte, ist deren Verwendung nicht ohne weiteres mit der Einlassung des Angeklagten vereinbar, es sei in dem Lokal durchaus üblich, sich Geld zu leihen. Das Landgericht hätte deshalb auch erörtern müssen, dass der Umstand, dass der Barinhaber bat, die Polizei zu rufen (UA S. 7), gegen die Behauptung des Angeklagten spricht, er habe sich öfters von dem Barinhaber Geld geliehen, um die Zeche zu bezahlen (UA S. 6). Auch die Aussage des Zeugen Ad. , der gegenüber der Gaststätte „M. “ einen Döner-Laden betreibt , die Zeugin S. habe ihm gesagt, sie müsse jetzt telefonieren , weil es im Lokal Schwierigkeiten gebe (UA S. 11), hätte in die Erörterung einbezogen werden müssen.
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Die Urteilsfeststellungen lassen daher jedenfalls die Möglichkeit offen, dass es sich um einen beendeten Versuch gehandelt hat, bei dem allein die Abstandnahme von der weiteren Tatausführung nicht zu einer Strafbefreiung führen konnte. Dass der Angeklagte sein Tun bereits für eine Tatvollendung für ausreichend erachtet hatte, als die Zeugin S. die Bar verließ, um mit dem Barinhaber P. zu telefonieren, liegt hier sogar nahe. Denn nach den Feststellungen des Landgerichts ging der Angeklagte davon aus, dass die Zeugin den Barinhaber fragen würde, ob sie ihm Geld geben dürfe. Der Angeklagte wartete von da an in dem Glauben auf die Rückkehr der Zeugin, von ihr das geforderte Geld zu erhalten.
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Zwar kann es bei versuchter räuberischer Erpressung Fälle geben, in denen noch ein unbeendeter Versuch vorliegt, obwohl der Täter glaubt, dass die von ihm vorgenommene Nötigungshandlung ausreicht, um die geforderte Zahlung noch zu erhalten (vgl. BGH StraFo 2007, 422). Es sind dies aber Fälle, in denen zur Tatvollendung noch weitere Handlungen des Täters erforderlich sind, etwa die Vereinbarung eines Zusammentreffens zur Geldübergabe (vgl. BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 34). Anders ist dies aber dann, wenn der Täter davon ausgeht, der Genötigte werde ihm das Geld bringen , ohne dass weiter auf ihn eingewirkt werden muss (vgl. BGHR aaO).
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b) Selbst wenn hier - wie das Landgericht annimmt - noch ein unbeendeter Versuch in Betracht kommen sollte, würde es jedenfalls an einem freiwilligen Aufgeben der weiteren Tatausführung fehlen.
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Ein strafbefreiender Rücktritt vom unbeendeten Versuch setzt gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt StGB voraus, dass der Täter freiwillig die weitere Ausführung der Tat im Ganzen und endgültig aufgibt (BGHSt 33, 142, 144 f.; 39, 221, 230). Im vorliegenden Fall fehlt es schon deshalb an einer Abstandnahme von der weiteren Tatausführung, weil der Angeklagte den auf die Erreichung des tatbestandlichen Erfolgs gerichteten Willen nicht aufgegeben hat. Zwar wirkte er nicht weiter aktiv auf die Zeugin S. ein. Er wartete aber weiterhin darauf, dass die Zeugin ihm bei ihrer Rückkehr das geforderte Geld übergeben werde. Allein aus dem Umstand, dass der Angeklagte seine Forderung nicht mehr ausdrücklich erneuert hat, durfte das Landgericht nicht schließen , der Angeklagte habe die weitere Ausführung der Tat aufgegeben. Denn aus Sicht des Angeklagten bemühte sich die Zeugin in einer Rücksprache mit dem Barinhaber, das geforderte Geld zu beschaffen. Für eine Erneuerung der Forderung nach Geld bestand kein Anlass. Eine Abstandnahme von der Tat kann somit in dem Umstand, dass der Angeklagte in der Erwartung der bevorstehenden Geldübergabe keine weiteren Drohungen ausgesprochen und seine Forderung nach Herausgabe von Geld nicht nochmals mit Worten bekräftigt hat, nicht erblickt werden.
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c) Der Freispruch kann auch deshalb keinen Bestand haben, weil das Landgericht seiner richterlichen Kognitionspflicht nicht ausreichend nachgekommen ist. Danach kommt ein Freispruch nur dann in Betracht, wenn der festgestellte Sachverhalt unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt eine Verurteilung tragen könnte. Hier erfüllt das vom Landgericht festgestellte Geschehen aber zumindest den Tatbestand der versuchten Nötigung (§ 240 Abs. 1 bis 3 StGB) zum Nachteil der Zeugin S.. Denn nach den Urteilsfeststellungen hat der Angeklagte die Zeugin jedenfalls unter der Androhung, die Eisenstange gegen sie einzusetzen, dazu genötigt, den Barinhaber anzurufen - ein aus seiner Sicht notwendiges Zwischenziel zu dem von ihm erstrebten Gelderhalt. Ob der Versuch fehlgeschlagen ist, weil die Zeugin zunächst den Türsteher D. herbeigerufen hat, oder ob die Nötigung deswegen als vollen- det anzusehen ist, weil die Zeugin unter dem fortwirkenden Eindruck der vorangegangenen Bedrohung mit der Eisenstange dann doch noch den Barinhaber angerufen hat, kann der Senat mangels ausreichender Sachverhaltsfeststellungen nicht abschließend prüfen.
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4. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer tatrichterlicher Prüfung und Entscheidung. Durch die Aufhebung des freisprechenden Urteils wird die Entschädigungsentscheidung gemäß § 8 StrEG ebenso gegenstandslos wie die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft (vgl. BGH, Beschl. vom 22. März 2002 - 2 StR 569/01 - insoweit nicht abgedruckt in NStZ 2002, 439). Wahl Rothfuß Hebenstreit Jäger Sander