Bundesgerichtshof Urteil, 03. Juni 2015 - 5 StR 55/15

bei uns veröffentlicht am03.06.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5StR 55/15
vom
3. Juni 2015
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Brandstiftung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Juni 2015,
an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander
als Vorsitzender,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dr. Berger,
Richter Bellay,
Richter Dr. Feilcke
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin C. ,
Rechtsanwalt K.
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 19. März 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen von den Vorwürfen freigesprochen, eine versuchte schwere Brandstiftung in Tateinheit mit Brandstiftung und mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz sowie eine schwere Brandstiftung in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz begangen zu haben, und ihm Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen zugesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat schon mit der Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht mehr an.

I.


2
1. Zu den in der Anklage erhobenen Vorwürfen hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
3
In den frühen Morgenstunden des 11. Juni 2011 gegen 3:20 Uhr kam es zunächst auf dem Gelände des Zustellstützpunkts der Deutschen Post in Spremberg zu einem Brand von Lieferfahrzeugen, der mittels offener Flamme bei zwei Fahrzeugen gelegt worden war. Insgesamt sieben Fahrzeuge, die auf zwei sich gegenüberliegenden Hofseiten jeweils nebeneinander stehend abgestellt waren, brannten aus. Ein Teil der Fahrzeuge stand vor der Wand eines zur Tatzeit von mehreren Menschen bewohnten Wohnhauses, deren Isolierung großflächig abbrannte. Außerdem wurden durch die Hitzeeinwirkung ein weiteres Kraftfahrzeug, ein überdachter Fahrradständer sowie drei Fahrräder der Deutschen Post beschädigt. Ihr Gesamtschaden belief sich auf ca. 35.000 Euro. An dem Wohnhaus entstand ein Schaden von ca. 27.000 Euro.
4
Der unbestrafte, zur Tatzeit 21 Jahre alte Angeklagte war Mitglied des Jugendclubs „P. e.V.“, der als Vereinsräumlichkeit ein Hinterhaus auf ei- nem Grundstück an einer Nachbarstraße des Postgeländes nutzt. Dorthin hatte sich der Angeklagte in der Nacht zwischen 1:00 Uhr und 2:00 Uhr begeben, nachdem er sich abends gegen 22:00 Uhr per SMS vergeblich mit einer Be- kannten zu einer „Aktion“ mit Treffpunkt beim Jugendclub zu verabreden ver- sucht hatte, zu der er ihre Nachfrage auf dem Kurznachrichtenweg nicht beantworten wollte. Noch zuvor hatte der Angeklagte, der ein vorübergehend vom Dienst suspendiertes Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr war, abends gegen 20:00 Uhr bei einem Treffen der Freiwilligen Feuerwehren aus der Region vorbeigeschaut , die an diesem Tag in Spremberg ihren alljährlichen Pokal- Wettkampf austrugen. Wo sich der Angeklagte im weiteren Verlauf der Tatnacht aufhielt, blieb ungeklärt.
5
Kurz nach Ausbruch des Brandes wurde in einer nahe dem Postgelände gelegenen Gasse ein schwarzer Stoffbeutel mit Glasscherben und einem De- ckel gefunden, in dessen Innenseite als Zeichen die Zahl „3“ oder der Buchstabe „M“ eingeritzt war. In dem Stoffbeutel, von demstarker Benzingeruch ausging und an dem Kraftstoffreste nachgewiesen wurden, befanden sich schwarzes Gewebeklebeband und ein Stofffetzen, der eine vom Angeklagten herrührende DNA-Spur aufwies. Weitere DNA-Mischspuren an Deckel und Klebeband stammten nicht von ihm. Schwarzes Klebeband der Art, wie es im Stoffbeutel aufgefunden wurde, befand sich auf einer Klebebandrolle in den Räumen des Jugendclubs. Kurz nach dem Löschen des Brandes wurde bemerkt, dass eines der Post-Fahrräder auf dem Hofgelände nicht wie üblich im Fahrradständer abgestellt war, sondern an der Innenseite einer über zwei Meter hohen Mauer stand, die das Gelände von einer angrenzenden Straße trennt; das Zugangstor zum Hof war zur Tatzeit verschlossen. Auf dem Sattel des Fahrrades, das erst am 16. Juni 2011 sichergestellt wurde, befand sich der Schuhabdruck eines Stiefels des Angeklagten.
6
Wenige Minuten nach der Brandlegung auf dem Postgelände brannte in Spremberg in einer Kleingartenanlage eine bungalowartige Laube, in der die Eheleute G. nächtigten. Der Zeuge G. hatte sich bereits planmäßig gegen 3:20 Uhr wegen eines frühen Arbeitstermins wecken lassen, als er plötzlich rollende Geräusche vom Laubendach her hörte. Als er nach draußen trat, sah er an der Rückseite der Laube Flammen aufsteigen. Trotz seiner Löschversuche brannte die Laube aus. Durch den Brand entstand ein Sachschaden von über 10.000 Euro. Nach Beendigung der Löscharbeiten wurde bei der Spurensuche unmittelbar neben der Laube eine offene, mit schwarzem Klebeband versehene Glasflasche gefunden, auf die mit blauer Farbe der Buch- stabe „F“ geschrieben war.In der Flasche befand sich noch Flüssigkeit, in der mit Löschwasser vermischt Reste von Benzin nachgewiesen wurden. Ca. 10 bis 20 Meter von der Laube entfernt lagen an einer Böschung neben einem an der Kleingartenanlage entlang führenden Fahrradweg unter anderem drei Schraubdeckel mit schwarzem Klebeband, in deren Innenseiten die Zahlen „1“, „4“ und „5“ eingeritzt waren,eine Glasflasche mit einem Stofffetzen, auf die mit blauer Farbe die Zahl „5“ geschrieben war, und ein weißer Stoffbeutel. An zwei Schraubdeckeln und an dem Stoffbeutel befanden sich DNA-Spuren, die von dem Angeklagten herrührten; an dem weiteren Schraubdeckel befand sich eine nicht von dem Angeklagten stammende DNA-Spur. Das schwarze Klebeband war von der gleichen Art wie jenes auf der Klebebandrolle in den Räumen des Jugendclubs, bei der es sich um Massenware handelte.
7
Am Morgen nach den Bränden lief eine Hundeführerin mit einem Fährtenhund, dem als Geruchsspur der in der Gasse nahe dem Postgelände aufgefundene schwarze Stoffbeutel vorgehalten worden war, von dessen Fundort über den durch die Kleingartenanlage führenden Fahrradweg an der abgebrannten Laube vorbei bis zu den Räumlichkeiten des Jugendclubs. Bei der anschließenden Durchsuchung wurden dort ein Plastikkanister mit Benzin, eine leere Glasflasche mit einem Deckel, in dessen Innenseite der Buchstabe „R“ eingeritzt war, und die Rolle mit schwarzem Klebeband sichergestellt.
8
2. Das Landgericht hat sich von der Täterschaft des Angeklagten, der sich zu den Tatvorwürfen in der Hauptverhandlung nicht eingelassen hat, nicht überzeugen können. Hinsichtlich des Brandes der Gartenlaube ist das Landgericht im Anschluss an das Gutachten eines Sachverständigen zu der Überzeu- gung gelangt, dass zwar die genaue Brandursache, die von den Ermittlungsbehörden nicht ermittelt worden sei, nicht mehr festzustellen sei, ein von der Anklage angenommener Wurf eines „Molotow-Cocktails“ auf das Laubendach den Brand aber nicht verursacht haben könne. Vielmehr habe sich der Brand vom Innenraum des Daches nach außen hin ausgebreitet.
9
Für eine Täterschaft des Angeklagten bei dem Brand auf dem Postgelände sprächen zwar einige Indizien wie der Schuhabdruck des Angeklagten auf dem Sattel des Zustellfahrrades, der ihn unmittelbar mit dem Tatort in Verbindung bringe, und seine DNA am Stofffetzen im Beutel in unmittelbarer Tatortnähe , in dem sich Utensilien befunden hätten, die zur Herstellung eines Brandsatzes geeignet und wohl auch bestimmt gewesen seien. Diese und die weiteren Indizien reichten jedoch auch in der Gesamtschau nicht aus, um den Angeklagten der Brandstiftung zu überführen.

II.


10
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, denn die Beweiswürdigung des Landgerichts (§ 261 StPO) hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
11
a) Das Revisionsgericht muss es zwar grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts ; die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob ihm Rechtsfehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene Anfor- derungen gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16). Insbesondere ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH, Urteile vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401; vom 20. Mai 2009 – 2 StR 576/08, NStZ 2009, 630; vom 12. Januar 2012 – 4 StR 499/11, insoweit in NStZ 2012, 648 nicht abgedruckt; vom 20. Juni 2012 – 5 StR 536/11, NJW 2012, 2453, 2454, und vom 29. April 2015 – 5 StR 79/15).
12
b) Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht.
13
aa) Das Landgericht hat der vom Angeklagten herrührenden Schuhabdruckspur auf dem Sattel des Zustellfahrrades, das naheliegend als Steighilfe zur Überwindung der Mauer diente, den Beweiswert als Indiz, das den Angeklagten unmittelbar mit dem Tatort in Verbindung bringt, rechtsfehlerhaft aufgrund lediglich theoretischer Erklärungsansätze abgesprochen. Es durfte mangels in diese Richtung zielender objektiver Anhaltspunkte zugunsten des – in der Hauptverhandlung schweigenden – Angeklagten als alternative Erklärung für die Verursachung des Abdrucks nicht unterstellen, er könne nachträglich aus Neugierde auf das Postgelände gegangen sein und sich auf den Sattel gestellt haben, um sich den Tatort näher anzuschauen.
14
Diese hypothetische Möglichkeit lag nach den Gesamtumständen zudem äußerst fern: Das an der Mauer lehnende Fahrrad war bereits kurz nach dem Löschen des Brandes bemerkt worden (UA S. 9), und noch am Tattag war der Angeklagte mittags vorläufig festgenommen und als Beschuldigter vernommen worden. Wenn die Strafkammer meint, der Angeklagte habe auch im weiteren Zeitverlauf Gelegenheit gehabt, die Spuren auf dem Fahrrad zu hinterlassen, „weil der mögliche Tatort spätestens nach dem Pfingstwochenende nicht mehr abgesperrt war“ (UA S. 20), berücksichtigt es nicht, dass der Angeklagte in die- ser Zeit gar keinen Anlass mehr gehabt hatte, von dem Fahrrad aus den Brandort anzuschauen; denn die Inaugenscheinnahme wäre nach Öffnung des Geländes für die Allgemeinheit aus der Nähe und wesentlich einfacher als durch Erklettern eines Fahrradsattels möglich gewesen. Dass sich auf dem Sattel des Fahrrades Spuren befänden, war der Polizei im Übrigen schon am Pfingstmontag, dem 13. Juni 2011, von einer Sicherheitsmitarbeiterin der Deutschen Post mitgeteilt worden (UA S. 11), also noch bevor das Postgelände im Rahmen der Aufnahme des Dienstbetriebes wieder der Öffentlichkeit zugänglich wurde. Schließlich hätte ein Besteigen des Fahrrades an dem festgestellten vom Brandgeschehen abgelegenen Standort zwar einen Blick über die Mauer auf den auch vom Landgericht für möglich gehaltenen Fluchtweg (UA S. 21) zugelassen, jedoch keine nähere Betrachtung des rückseitig gelegenen Tatorts ermöglicht.
15
bb) Mit dem den Angeklagten erheblich belastenden Indiz seiner DNASpuren auf dem Stofffetzen, der mitsamt der weiteren im Stoffbeutel in unmittelbarer Nähe des ersten Tatorts gefundenen Utensilien zur Herstellung eines Brandsatzes geeignet war (UA S. 19), hat sich das Landgericht lediglich isoliert auseinandergesetzt, indem es die Wertung traf, dass diese Spuren „allein nicht den Beweis der Täterschaft des Angeklagten“ erbrächten (UA S. 22).Abgese- hen davon, dass auch insoweit wiederum konkrete Anhaltspunkte für die Annahme des Landgerichts fehlen, ein Alternativtäter könne im Jugendclub den Stofffetzen mit der DNA des Angeklagten an sich genommen und verwandt ha- ben, hätte schon hier auch der Umstand Berücksichtigung finden müssen, dass allein der Angeklagte in der Tatnacht in den ebenfalls in Tatortnähe befindlichen Räumen des Jugendclubs von deren Vermieter gesehen worden ist.
16
cc) Dies hat das Landgericht ebenfalls bei seiner eher formelhaft vorgenommenen Gesamtabwägung unbeachtet gelassen und auch im Übrigen die Vielzahl der vorhandenen Beweisanzeichen nicht erkennbar zueinander in Beziehung gesetzt. Diese Vorgehensweise lässt besorgen, dass das Landgericht den Blick dafür verloren hat, dass Indizien, auch wenn sie einzeln betrachtet nicht zum Nachweis der Täterschaft ausreichen, doch in ihrer Gesamtheit dem Gericht die entsprechende Überzeugung vermitteln können (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteile vom 26. Mai 1999 – 3 StR 110/99, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 20, und vom 7. November 2012 – 5 StR 322/12), und dass es hierdurch zugleich überspannte Anforderungen an die tatgerichtliche Überzeugungsbildung gestellt hat.
17
dd) Überdies enthält die Beweiswürdigung Lücken.
18
(1) Zunächst fehlt es an einer, bei der hier gegebenen Beweislage unerlässlichen , näheren und in sich geschlossenen Darlegung der Einlassung des Angeklagten in seiner Beschuldigtenvernehmung im Ermittlungsverfahren. Seine diesbezüglichen polizeilichen Angaben sind in den Urteilsgründen lediglich so bruchstückhaft und verstreut mitgeteilt worden, dass keine revisionsgerichtliche Überprüfung erfolgen kann (vgl. BGH, Urteile vom 3. August 2011 – 2 StR167/11, NStZ 2012, 227, 228, und vom 7. Juni 2011 – 5 StR 26/11). Das Landgericht selbst hat die Einlassung als in Teilen „merkwürdig“ bewertet (UA S. 27), wobei offen bleibt, worauf diese Wertung fußt. Auch insoweit hat das Landgericht im Übrigen mit der Spekulation, der Angeklagte habe sich „viel- leicht zunächst in der Rolle des Tatverdächtigen“ gefallen oder „tatsächlich Kenntnis von den ‚wahren‘ Tätern“ gehabt und diese decken wollen, erneut nicht beachtet, dass Unterstellungen zugunsten eines Angeklagten nur dann rechtsfehlerfrei sind, wenn hierfür reale Anknüpfungspunkte bestanden.
19
(2) Zutreffend beanstandet die Revision zudem, dass die Darlegungen unzureichend sind, mit denen das sachverständig beratene Landgericht seine Annahme begründet hat, der Brand der Laube habe sich – bei ungeklärter Brandursache – vom Innenraum des Daches ausgehend nach außen ausge- breitet und eine Brandverursachung durch den Wurf eines „Molotow-Cocktails“ sei demgemäß ausgeschlossen (UA S. 13, 15). Insbesondere hat sich das Landgericht im Zusammenhang mit seiner Beweiswürdigung zur Brandentstehung und den hierzu mitgeteilten Erwägungen des Sachverständigen nicht näher mit der Spurenlage befasst, die eine Inbrandsetzung von außen nahelegt. So wurde unmittelbar neben der abgebrannten Laube unter einem Fenster eine Glasflasche mit einem Benzinrest sichergestellt, deren Fund sich mit dem vom Zeugen G. vernommenen rollenden Geräusch vom Dach her unschwer in Einklang bringen lässt. Zudem wurde wenige Meter von der Laube entfernt eine weitere Glasflasche mit Stofffetzen gefunden, die ebenso wie die am Brandort sichergestellte eine Markierung in blauer Farbe aufwies. Unberücksichtigt geblieben ist weiter der Umstand, dass der Zeuge G. nach dem Verlassen der Laube an der Rückseite des Bungalows Flammen aufsteigen sah, während nach den Feststellungen der Brand im Dach(innen)bereich ausgebrochen sein soll.
20
Die Urteilsgründe lassen darüber hinaus nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit erkennen, inwieweit und aus welchen Gründen der gerichtliche Sachverständige in seinem mündlich erstatteten Gutachten von seinem vorläu- figen schriftlichen Gutachten abgewichen und offenbar zu einer geänderten Einschätzung des Brandverlaufs gelangt ist (vgl. zu den Darlegungsanforderungen bei Widerspruch zwischen vorbereitendem schriftlichen und mündlichen Sachverständigengutachten BGH, Beschluss vom 13. Juli 2004 – 4 StR 120/04, NStZ 2005, 161 mwN; s. auch BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 – 2 StR328/11). Den Urteilsgründen ist lediglich zu entnehmen, dass es eine Divergenz zwischen den schriftlichen und den mündlichen Ausführungen des Sachverständigen gab, der in der Hauptverhandlung von einer Brandentwicklung vom Inneren des Daches nach außen hin ausgegangen ist. Aufgrund welcher konkreten Erkenntnisse sich eine abweichende frühere Beurteilung des Sachverständigen als unrichtig erwiesen haben sollte, teilen die Urteilsgründe nicht mit, die nur auf weitere nicht näher beschriebene Lichtbilder und eine erneute Befragung des zuvor schon vernommenen Zeugen G. hinweisen. Damit ist eine revisionsgerichtliche Überprüfung, ob das in der Hauptverhandlung erstattete Gutachten, das eine Inbrandsetzung der Gartenlaube ausgeschlossen hat, zutreffend zu einem anderen Ergebnis als das vorbereitende Gutachten gelangt ist, nicht möglich.
21
2. Das Urteil beruht auch auf den aufgezeigten Darstellungs- und Beweiswürdigungsmängeln ; der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung und der gebotenen wertenden Gesamtschau aller be- und entlastenden Indizien die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten gewonnen hätte.
22
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass gegen eine Verwertbarkeit der Einlassung des Angeklagten in seiner haftrichterlichen Beschuldigtenvernehmung vom 12. Juni 2011 (UA S. 28), deren Nicht- verwertung die Revision mit einer Inbegriffsrüge (§ 261 StPO) beanstandet hat, nach bisherigem Stand keine durchgreifenden Bedenken ersichtlich sind.

III.


23
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Zuerkennung von Haftentschädigung ist damit gegenstandslos.
Sander Schneider Berger
Bellay Feilcke

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 03. Juni 2015 - 5 StR 55/15

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 03. Juni 2015 - 5 StR 55/15

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.
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vom 20. Juni 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
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2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt J.
als Verteidiger,
Rechtsanwältin M. ,
Rechtsanwältin Vo.
als Vertreterinnen der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 14. Juni 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
1. Zu Verfahrensgegenstand und Verfahrensgang:
2
Gegenstand des Verfahrens ist die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten als im Beweismittelsicherungsdienst tätiger Arzt für den am 7. Januar 2005 eingetretenen Tod des 35 Jahre alten C. aus Sierra Leone im Rahmen einer zwangsweise durchgeführten Exkorporation von Kokain.
3
a) Das Landgericht hat in seinem in dieser Sache ergangenen ersten freisprechenden Urteil vom 4. Dezember 2008 als Todesursache eine Mangelversorgung des Gehirns mit Sauerstoff (zerebrale Hypoxie) als Folge von Ertrinken nach Aspiration über einen Magenschlauch zugeführten Wassers bei forciertem Erbrechen festgestellt. Hierfür hat es ein objektiv pflichtwidriges Handeln des Angeklagten als ursächlich angesehen. Dieser habe nach dem Eingreifen des von ihm herbeigerufenen Notarztes trotz erkennbar er- höhten Aspirationsrisikos die Exkorporation fortgesetzt. Der Tod des Beschuldigten sei für den Angeklagten aber nicht vorhersehbar und vermeidbar gewesen, weil er als Arzt persönlich überfordert gewesen sei und sich auf die Kompetenz des weiterhin anwesenden Notarztes habe verlassen können.
4
b) Mit Urteil vom 29. April 2010 – 5 StR 18/10 (BGHSt 55, 121) hat der Senat auf die Revisionen der Nebenklägerin, der Mutter des Verstorbenen, und seines mittlerweile gleichfalls verstorbenen Bruders als damals weiteren Nebenkläger das genannte Urteil aufgehoben. Die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hat er als rechtsfehlerhaft beanstandet und auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts vom neuen Tatgericht die Prüfung und Bewertung weiterer Pflichtverstöße des Angeklagten als rechtlich geboten verlangt (unterlassene Aufklärung, Durchführung eines erkennbar nicht beherrschten medizinischen Eingriffs und Fortsetzung der Exkorporation unter Verstoß gegen das Gebot der Wahrung der Menschenwürde). Der Senat hat ferner die in der Spätphase des Eingriffs vorgenommene Auslösung des Brechreizes mittels einer Pinzette sowie eines Spatels als Körperverletzung bewertet. Er hat nicht ausschließen können, dass eine fehlerfreie Würdigung der festgestellten Umstände die Voraussetzungen einer Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 StGB ergeben würde. Deshalb hat er die Sache an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen (§ 74 Abs. 2 Nr. 8 GVG).
5
c) Das Landgericht hat den Angeklagten erneut freigesprochen. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision der Nebenklägerin. Diese hat wiederum Erfolg.
6
2. Zu den Feststellungen und Wertungen der Schwurgerichtskammer:
7
a) Das Landgericht hält die vom Erstgericht festgestellte Todesursache nach Anhörung von neun Sachverständigen für wahrscheinlich (UA S. 83). Deren Annahme im Sinne einer sicheren richterlichen Überzeugung stehe allerdings maßgeblich der Umstand entgegen, dass der ausweislich aktiven Bemühens, Erbrochenes nicht nach außen dringen zu lassen („Filtern“ ), nicht bewusstseinsgetrübte C. bei Wassereintritt in die Luftröhre hätte husten müssen, was indessen keiner der Beteiligten gehört habe.
8
b) Zudem habe die Prüfung nicht ausschließbare alternative Todesursachen ergeben. Einen durch Manipulationen im Halsbereich ausgelösten vorübergehenden Herzstillstand (Karotis-Sinus-Reflex) hat das Landgericht unter der Prämisse für denkbar gehalten, dass der Kiefer des Verstorbenen zur Ermöglichung des Spateleinsatzes unter Krafteinsatz verbunden mit starkem Druck am Hals geöffnet worden sei (UA S. 86). Eine weitere mögliche Ursache für die Reduzierung der Herzfrequenz (Bradykardie) hat es in einem zu hohen Atemdruck (Valsalva-Reflex) gefunden (UA S. 84, 89, 91). Dafür könnten vor allem eine permanente Reizung eines Hirnnervs, des Nervus Vagus, durch nachteilige Veränderung der betroffenen Schleimhautareale beim Legen der Magensonde, die mit dem „Filtern“ verbundene Pressatmung und die dadurch bedingte Druckerhöhung im Thoraxbereich verantwortlich sein; dies könne zu einer Verschlechterung der Gesamtsituation geführt haben , wobei aber auch ein zusätzliches Auslösen eines heftigeren ValsalvaReflexes durch den Spateleinsatz eine Rolle gespielt haben könne (UA S. 89). Schließlich habe ein mittelgradig bedeutsamer chronischer Herzmuskelschaden mit zu einer Verstärkung der letztlich todesursächlichen Bradykardie beitragen können (UA S. 86, 87).
9
Zwar sei auszuschließen, dass eine der erwogenen Ursachen für sich allein eine reanimationspflichtige Bradykardie ausgelöst habe (UA S. 86). Im Sinne eines multifaktoriellen Geschehens könnten sie jedoch als Todesursache in Betracht kommen (UA S. 95 und mehrfach).
10
c) Das Landgericht hat das Handeln des Angeklagten im Rahmen der Fortsetzung der Exkorporation als todesursächlich bewertet (UA S. 99), jedoch seiner rechtlichen Würdigung zugunsten des Angeklagten das multifak- torielle Geschehen zugrunde gelegt, das „nach Auffassung aller Gutachter“ nicht vorhersehbar gewesen sei (UA S. 101). Es hat weder einen ärztlichen Sorgfaltspflichtverstoß festgestellt noch angenommen, dass der Angeklagte den Verstorbenen rechtswidrig verletzt oder gar fahrlässig seinen Tod verursacht haben könnte.
11
3. Der Freispruch des Angeklagten hat keinen Bestand. Die Beweiswürdigung und die Subsumtion des Landgerichts offenbaren durchgreifende Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402 mwN). Dabei ist wegen offensichtlicher Verletzung der Bindungswirkung und rechtlich unzulänglicher Ausschöpfung des festgestellten Sachverhalts nicht nur – was die Nebenklägerin nicht rügen könnte (§ 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO) – eine Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung unterblieben, sondern es liegen auch Rechtsfehler bezogen auf die Prüfung einer fahrlässigen Verursachung der Todesfolge vor.
12
a) Das Landgericht hat mehrfach gegen die in § 358 Abs. 1 StPO normierte Bindungswirkung der dem Senatsurteil vom 29. April 2010 zugrunde liegenden rechtlichen Beurteilung auch in Bezug auf dort benannte Beweiswürdigungsfehler verstoßen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Mai 2000 – 1StR 610/99, BGHR StPO § 358 Abs. 1 Bindungswirkung 2). Der Senat muss nicht entscheiden, ob schon diese Rechtsfehler, auch in Verbindung mit haltlosen Unterstellungen zugunsten des Angeklagten, geeignet sind, die neu getroffenen Feststellungen insgesamt in Frage zu stellen. Angesichts der nachfolgenden durchgreifenden Einzelbeanstandungen kommt es hierauf nicht an.
13
b) Die Bewertung der Fortsetzung der Exkorporation nach dem Notarzteinsatz begegnet durchgreifenden Bedenken, soweit rechtswidrige Körperverletzungshandlungen , Sorgfaltspflichtverletzungen sowie die Vorhersehbarkeit des Todes verneint worden sind. Entgegen der Auffassung der Schwurgerichtskammer ergeben die durch sie getroffenen Feststellungen ohne Weiteres die Voraussetzungen einer Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 StGB.
14
aa) Die bei der Fortsetzung der Exkorporation durch den Angeklagten vorgenommenen Maßnahmen waren auch nach zum Tatzeitpunkt noch vertretbarer Rechtsansicht (vgl. dazu BGHSt aaO, S. 130 f.) nicht durch § 81a StPO gerechtfertigt und stellen demgemäß rechtswidrige Körperverletzungshandlungen dar.
15
(1) Es kann dahingestellt bleiben, ob im Rahmen des § 81a StPO nicht ein engerer Beurteilungsmaßstab anzulegen ist, als ihn das Landgericht verwendet hat (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl. 2001, 46. Aufl. 2003, 47. Aufl. 2004, 54. Aufl. 2011, jeweils § 81a Rn. 17 mwN). Jedenfalls hat die Schwurgerichtskammer den aktuellen Gesundheitszustand des Verstorbenen (vgl. Meyer-Goßner aaO) nicht hinreichend in seine – im Übrigen durch keinen der zahlreichen Sachverständigen gestützte – Wertung einbezogen, dass ein erfahrener Facharzt bei Fortsetzung der Exkorporation nicht mit Nachteilen für dessen Gesundheit habe rechnen müssen. Rechtsfehlerhaft hat sie ferner hinsichtlich der Voraussetzungen des § 81a Abs. 1 Satz 2 StPO – ebenso wie für die Frage der Pflichtwidrigkeit im Sinne der §§ 222, 227 StGB – darauf abgestellt, dass sich die Aspirationsgefahr aus der Sicht ex post nicht zu ihrer Überzeugung verwirklicht habe (UA S. 101). Darauf kommt es nicht an. Maßgebend ist nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift , ob bei objektiver Betrachtung der Gefahrenlage aus der Sicht ex ante bei Fortsetzung der Exkorporation mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit gesundheitliche Nachteile zu erwarten waren (vgl. LR/Krause, StPO, 26. Aufl. 2008, § 81a Rn. 31 mwN; Meyer-Goßner aaO; siehe auch BGH, Urteil vom 8. Juli 1955 – 5 StR 233/55, BGHSt 8, 144, 147 f.; zum Maßstab für die Pflichtwidrigkeit: BGH, Urteile vom 19. April 2000 – 3 StR 442/99, NJW 2000, 2754, 2758, und vom 14. März 2003 – 2 StR 239/02, NStZ 2003, 657, 658).
Das ist nach dem durch das Landgericht festgestellten Geschehen unzweifelhaft zu bejahen.
16
Der Gesundheitszustand des Verstorbenen während der ersten Exkorporationsphase war erkennbar beeinträchtigt (unter anderem Apathie, schweres Atmen, Pupillenengstellung, Sauerstoffsättigungswert von nur 89 %; UA S. 21 ff.), veranlasste den Angeklagten zur Herbeiholung des Notarztes und machte schließlich die Infusion eines Notfallmedikaments (Ringerlösung ) sowie die Gabe von Sauerstoff notwendig. Auch in Anbetracht der danach erreichten Zustandsverbesserung verbot sich bei dieser Sachlage unter den strengen medizinischen Voraussetzungen des § 81a StPO die Fortsetzung der Exkorporation schon wegen des Risikos erneuten Auftretens der – hinsichtlich ihrer Ursache ungeklärt gebliebenen – Komplikationen. Zudem war der durch konkrete Umstände begründete Verdacht einer Bewusstseinseintrübung gegeben. Er stand den weiteren durch den Angeklagten getroffenen Maßnahmen wegen damit verbundener Aspirationsgefahr zwingend entgegen (vgl. zur Kontraindikation der Aspirationsgefahr auch die Allgemeinverfügung des Leitenden Oberstaatsanwalts beim Landgericht Bremen, UA S. 10). Das Landgericht hat es insoweit unterlassen, aus seiner entsprechenden zutreffenden eigenen Bewertung (UA S. 101) die gebotenen zwingenden Folgerungen auf die klare Rechtswidrigkeit der Eingriffsfortsetzung zu ziehen.
17
Angesichts der dargetanen und dem Angeklagten bekannten gesundheitlichen Parameter des C. im Zeitpunkt des Noteinsatzes durfte die Schwurgerichtskammer zugunsten des – in der Hauptverhandlung schweigenden – Angeklagten weder eine Simulation der Beeinträchtigungen oder ihrer Schwere durch den Verstorbenen unterstellen (UA S. 21, 24, 26, 101 und mehrfach), noch eine etwa in diese Richtung zielende Annahme des Angeklagten , zu dessen Vorerfahrungen mit Zwangsexkorporationen das Schwurgericht – angesichts zu erwartender Dokumentationen schwer verständlich – nichts festzustellen vermochte (UA S. 14). Entsprechendes gilt mangels objektiver Anhaltspunkte für eine von keinem Zeugenbeobachtete kurze (und ohnehin nicht zureichende) Untersuchung der Herz- und Lungenfunktion mittels Stethoskops (UA S. 25). Dass der Angeklagte selbst bei Fortsetzung der Exkorporation erneute Verwerfungen für möglich hielt, ergibt sich deutlich aus seiner Bitte an den Notarzt, noch zu bleiben, mit der er sich nach den Feststellungen „ärztlichen Rückhalts“ versichern wollte (UA S. 25).
18
(2) Soweit das Landgericht eine im Einsatz von Pinzette und Spatel liegende rechtswidrige Körperverletzung und zugleich Sorgfaltspflichtverletzung unter Hinweis auf eine übliche – wenn auch in der für den Angeklagten geltenden Dienstanweisung nicht geregelte – Praxis verneint, hat es gegen die nach § 358 Abs. 1 StPO verbindliche Rechtsauffassung des Senats verstoßen. Das nach nochmaliger Befüllung des Magens mit Wasser gewaltsame Öffnen des Mundes unter größerem Kraftaufwand und das mechanische Auslösen des Brechreizes mittels Pinzette und Spatels sind offensichtlich unverhältnismäßig, verletzen die Menschenwürde und sind demgemäß auch rückblickend schlechterdings nicht nach § 81a StPO zu rechtfertigen (BGHSt 55, 121, 133). Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Untersuchungszimmer nicht mit einem Spatel ausgestattet war, ein solcher vielmehr erst aus dem Rettungswagen geholt werden musste (UA S. 28), was der vom Landgericht angenommenen Üblichkeit einer solchen Exkorporationsmethode widerstreiten würde.
19
bb) Auch am Körperverletzungsvorsatz ist nicht zu zweifeln. Namentlich sind den Feststellungen nicht die Voraussetzungen für einen etwaigen vorsatzausschließenden Erlaubnistatbestandsirrtum (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2000 – 4 StR 558/99, BGHSt 45, 378, 384) infolge Verkennung der für den Verstorbenen bestehenden Gefahrenlage zu entnehmen. Die Bitte an den Notarzt, noch zu bleiben (vgl. oben), läuft der Annahme einer in dieser Hinsicht bestehenden Fehlvorstellung des Angeklagten zuwider.
20
cc) Rechtsfehlerfrei geht das Landgericht davon aus, dass der Angeklagte mit den in Fortsetzung der Exkorporation getroffenen Maßnahmen den Eintritt des Todeserfolgs verursacht hat. Auch bei angenommener Todesursache eines mulitfaktoriellen Geschehens ist der erforderliche Zurechnungszusammenhang keinen Zweifeln ausgesetzt. Denn auch dann hat sich die der Verwirklichung des Grunddelikts eigentümliche tatbestandsspezifische Gefahr im tödlichen Ausgang verwirklicht (vgl. hierzu etwa BGH, Urteile vom 30. Juni 1982 – 2 StR 226/82, BGHSt 31, 96, vom 28. März 2001 – 3 StR 532/00, BGHR StGB § 227 Todesfolge 1, vom 16. März 2006 – 4 StR 536/05, BGHSt 51, 18, 21, und vom 10. Januar 2008 – 5 StR 435/07, BGHR StGB § 227 Todesfolge 6). Die etwa mitwirkende unerkannte Herzvorschädigung des Verstorbenen führt dabei nicht zur Annahme eines außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit liegenden, als Verkettung außergewöhnlicher , unglücklicher Umstände anzusehenden und deshalb dem Angeklagten nicht anzulastenden Geschehens (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juni 1982 – 2 StR 226/82, BGHSt 31, 96, 100).
21
dd) Die Würdigung der Vorhersehbarkeit des Todeserfolgs ist durchgreifend rechtsfehlerhaft. Das Landgericht hat auch hier einen nicht zutreffenden rechtlichen Maßstab angelegt.
22
Im Rahmen des § 227 StGB ist, weil schon in der Begehung des Grunddelikts eine Verletzung der Sorgfaltspflicht liegt, alleiniges Merkmal der Fahrlässigkeit die Vorhersehbarkeit des Todeserfolgs (BGH, Urteile vom 28. März 2001 – 3 StR 532/00, BGHR StGB § 227 Todesfolge 1, und vom 16. März 2006 – 4 StR 536/05, BGHSt 51, 18, 21). Hierfür ist entscheidend, ob vom Täter in seiner konkreten Lage und nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten der Todeseintritt vorausgesehen werden konnte oder ob aus dieser Sicht die tödliche Gefahr für das Opfer so weit außerhalb der Lebenswahrscheinlichkeit lag, dass die qualifizierende Folge dem Täter deshalb nicht zuzurechnen ist (BGHSt aaO mwN).
23
An diesen Grundsätzen gemessen steht die Vorhersehbarkeit des Todeseintritts auch auf der Basis des durch das Landgericht als todesursächlich unterstellten multifaktoriellen Geschehens nicht in Frage. Zwar konnte der Herzschaden im Zeitpunkt der Fortsetzung der Exkorporation durch den Angeklagten ohne eingehende körperliche Untersuchung nicht diagnostiziert werden. Ebenso nimmt die Schwurgerichtskammer nachvollziehbar an, dass die Einzelheiten des tödlichen Ablaufs nicht absehbar gewesen sind. Das ist jedoch auch nicht erforderlich; denn die – nicht durch den Sachverständigen, sondern in wertender Betrachtung durch den Richter zu beurteilende – Vorhersehbarkeit muss sich nicht auf alle Einzelheiten des zum Tode führenden Geschehensablaufs, mithin auch nicht auf die konkrete Todesursache erstrecken (vgl. BGH, Urteile vom 26. Februar 1997 – 3 StR 569/96, BGHR StGB § 226 aF Todesfolge 12, vom 15. November 2007 – 4 StR 453/07, NStZ 2008, 686, 687, und vom 10. Juni 2009 – 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009,

309).


24
Vorliegend widersprach es gerade ärztlicher Pflicht, die Exkorporation fortzuführen, nachdem sich der Gesundheitszustand während deren erster Phase so sehr verschlechtert hatte, dass der Angeklagte das Legen einer Verweilkanüle und das Herbeiholen des Notarztes für erforderlich gehalten hatte und nachdem notärztliche Maßnahmen auch tatsächlich durchgeführt worden waren. Zudem setzte der Angeklagte – was von der Schwurgerichtskammer nicht erkennbar bedacht worden ist – auf der Basis der Feststellungen zum alternativ denkbaren Kausalverlauf namentlich mit dem noch mindestens zweimaligen Legen der Magensonde sowie dem mit körperlicher Gewalt verbundenen Einsatz von Spatel und Pinzette pflichtwidrig eigenständige Ursachen für den Eintritt der Todesfolge (Auslösen von KarotisSinus - bzw. Valsalva-Reflex), wobei nach dem Verlauf der „ersten Phase“ und dem vom Landgericht angenommenen „vitalen“ Zustandsbild des Angeklagten dann auch weiteres „Filtern“ durch den Verstorbenen und alleindar- aus möglicherweise resultierende schädliche Folgen wahrscheinlich waren. Wenn der Arzt unter solchen Vorzeichen lediglich nach Prüfung der „Vitalpa- rameter“ mit seinem Tun fortfährt, so liegt der Todeseintritt aufgrund mitwir- kender Vorschädigung der betroffenen Person nicht so sehr außerhalb der Wahrscheinlichkeit, dass die Voraussehbarkeit für den „erfahrenen Facharzt“ und den Angeklagten persönlich in Zweifel zu ziehen wäre (vgl. auch BGH, Urteile vom 24. Januar 1995 – 1 StR 707/94, BGHR StGB § 226 aF Todesfolge 9 [„medizinische Rarität“], vom 26. Februar 1997 – 3 StR 569/96, BGHR StGB § 226 aF Todesfolge 12 [Herzinfarkt infolge Herzvorschädigung] und vom 10. Juni 2009 – 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009, 309). Mit Komplikationen auch aufgrund nicht auf den ersten Blick erkennbarer Vorschädigungen muss der Fachkundige – zumal in Ermangelung einer gründlichen Untersuchung – bei einem so gearteten Zwangseingriff vielmehr stets rechnen. Das Wissen um solche Risiken gehört naturgemäß auch zum beruflichen Erfahrungsbereich des nach den Feststellungen der nunmehr entscheidenden Schwurgerichtskammer überdies vielfach mit – wenngleich nicht zwangsweise durchgeführten – Exkorporationen befassten und über deren Risiken wohl informierten (vgl. UA S. 11, 14) Angeklagten.
25
4. Die Sache bedarf demnach neuer Aufklärung und Bewertung, Letztere unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 358 Abs. 1 StPO). Die Feststellungen können, auch soweit sie rechtsfehlerfrei getroffen wurden, insgesamt keinen Bestand haben, weil es dem freigesprochenen Angeklagten bislang verwehrt war, die ihn bei rechtsfehlerfreier Bewertung belastenden Feststellungen revisionsrechtlich anzugreifen. Die Regelung in § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO ermöglicht dem Senat im Falle des Landgerichts Bremen keine Zurückverweisung an ein anderes Gericht. Der Senat weist ausdrücklich auf den Fortbestand der Bindung an die gesamte rechtliche Beurteilung in seinem ersten Urteil hin (§ 358 Abs. 1 StPO) und auch auf die Ausführungen in dieser Entscheidung zur Rechtsfolge (BGHSt 55, 121, 138).
Basdorf Schaal Schneider Dölp König

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR79/15
vom
29. April 2015
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässigen Vollrausches
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. April
2015, an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander
als Vorsitzender,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Dr. Berger,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 17. September 2014 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.
Auf die Revision des Angeklagten wird das genannte Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit gegen ihn die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässigen Vollrausches zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je fünf Euro verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und ihn im Übrigen freigesprochen. Mit seiner gegen die Verurteilung gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer Revision gegen den Freispruch; sie beanstandet die Beweiswürdigung. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Revision des Angeklagten hat lediglich hinsichtlich der Anordnung der Maßregel Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumierten der Angeklagte und sein Bekannter K. , die beide Alkoholiker sind, am 31. Oktober 2013 in der Wohnung des Angeklagten erhebliche Mengen Bier und Schnaps. Sie schliefen am Abend ein. Am nächsten Morgen tranken sie ihre Alkoholvorräte leer. Es kam zum Streit, wer von beiden weiteren Alkohol beschaffen und bezahlen sollte. Der Angeklagte, der so schwer alkoholisiert war, dass seine Steuerungsfähigkeit aufgehoben war, ergriff ein auf dem Wohnzimmertisch liegendes Brotmesser und versetzte K. damit einen Hieb auf die Stirn, der eine mehrere Zentimeter lange, blutende Schnittverletzung verursachte.
3
Das Schwurgericht hat aufgrund der exzessiven Trinkgewohnheiten des (geständigen) Angeklagten nicht ausschließen können, dass er durch die „morgendliche Auffrischung seines Alkoholspiegels“ in einen Vollrausch geraten war. Es liege zwar nicht nahe, dass er sich bewusst und gewollt in den Zustand der Schuldunfähigkeit getrunken habe. Jedoch sei er im Laufe des nächtlichen Schlafs soweit ernüchtert gewesen, dass er habe beurteilen können, bei Wiederaufnahme des Trinkens in einen Vollrausch geraten zu können.
4
2. Dem Angeklagten lag darüber hinaus zur Last, seinen Bekannten S. in den Abend- oder Nachtstunden des 13. Februar 2014 in dessen Wohnung getötet zu haben. Nach den Urteilsfeststellungen tranken der Angeklagte und S. oftmals gemeinsam erhebliche Mengen Alkohol, so auch an diesem Abend. Der Angeklagte schlief anschließend auf der Couch ein. Als er aufwachte, stellte er fest, dass S. vor dem laufenden Fernseher in einem Sessel saß und sich nicht bewegte. Der Angeklagte versuchte, S. zu we- cken; er bemerkte hierbei, dass dieser „vollkommen kalt war“. Seitlich unterhalb des Sessels war eine große Blutlache sichtbar. Der Angeklagte verließ nun die Wohnung und begab sich nach Hause. Am nächsten Tag offenbarte er einem Bekannten, dass S. tot sei; dieser verständigte die Polizei.
5
Der Leichnam wies eine etwa 7 cm tiefe Stichverletzung unterhalb der rechten Leistengegend auf. Hierbei waren – todesursächlich – die rechte Oberschenkelarterie und -vene durchtrennt worden. Weitere nicht todesursächliche Stich- bzw. Schnittverletzungen befanden sich im Bereich des Brustkorbes sowie am rechten Oberarm. Das Leichenblut wies eine Blutalkoholkonzentration von 3,03 ‰ auf.
6
Das Landgericht hat sich nicht von der Täterschaft des Angeklagten überzeugen können. Es sei angesichts des Vorfalls vom 1. November 2013 zwar naheliegend, dass der die Tat bestreitende Angeklagte auch mit S. in Streit geraten sei und ihn dabei mit einem Messer angegriffen habe. Nachzuweisen sei dies aber nicht. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass S. sich die Verletzungen in depressiver Stimmung selbst beigebracht oder dass er – wie vom Angeklagten eingewendet – eine weitere Person in seine Wohnung eingelassen habe, die ihn getötet habe.

II.


7
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, denn die Beweiswürdigung des Landgerichts (§ 261 StPO) hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
8
a) Das Revisionsgericht muss es zwar grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts ; die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob ihm Rechtsfehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene Anforderungen gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16). Insbesondere ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH, Urteile vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402; vom 7. Juni 2011 – 5 StR 26/11).
9
b) Solche Rechtsfehler liegen hier vor. Die Beweiswürdigung der Schwurgerichtskammer enthält Lücken. Des Weiteren hat sie die Anforderungen an die tatgerichtliche Überzeugungsbildung überspannt und sich dadurch den Blick für eine Gesamtwürdigung der für und gegen die Täterschaft des Angeklagten sprechenden Tatumstände verstellt.
10
aa) Zu Recht weist der Generalbundesanwalt hinsichtlich der vom Landgericht in Betracht gezogenen Möglichkeit eines Suizids darauf hin, dass ein grundlegender Erörterungsmangel vorliegt. Zwar geht die Schwurgerichtskammer in Übereinstimmung mit dem rechtsmedizinischen Sachverständigen davon aus, dass die vorgefundenen Verletzungen keine typischen Suizidmerkmale aufwiesen, zumal es an „Probeschnitten“ fehle. Es seien jedoch nicht die „normalen“ und typischen Verhältnisse einer Selbsttötung der Beurteilung zugrunde zu legen, weil es sich bei S. um einen (depressiven) Alkoholiker handelte, der zum Zeitpunkt des Todes stark betrunken gewesen sei. Deshalb halte sie „es in dem genau so hohen Grad für möglich, dassS. sich durch einen Stich in die Beinschlagader das Leben nahm, wie sie es für unwahrscheinlich halte, dass der Angeklagte dem S. in Tötungsabsicht ausgerechnet ins Bein stach“ (UA S. 15).
11
Ungeachtet dessen, dass eine fehlende Tötungsabsicht des Angeklagten nicht die Täterschaft insgesamt in Frage stellen könnte, verhält sich das Urteil nicht dazu, inwieweit S. sich die weiteren, im Einzelnen nicht näher beschriebenen Verletzungen im Bereich des Brustkorbes und am rechten Oberarm zugefügt haben kann und soll. In diesem Zusammenhang wäre vor allem dessen (verbliebene) Handlungsfähigkeit zur Selbstbeibringung aller Verletzungen zu erörtern gewesen. Des Weiteren geht das Landgericht nicht auf den der Selbsttötungsthese widerstreitenden Umstand ein, dass in der – wenn auch von Angehörigen des S. gesäuberten – Wohnung kein Messer mit Blutanhaftungen vorgefunden worden ist.
12
bb) Es gibt keinen hinreichenden Anhaltspunkt dafür, dass eine weitere unbekannte Person dem Opfer die tödlichen Verletzungen beigebracht haben könnte. Das Landgericht selbst hält es für „nicht besonders naheliegend“, dass S. eine dritte Person in seine Wohnung eingelassen hat, die ihn dann getötet habe, ohne dass der Angeklagte hiervon geweckt worden wäre. Die – von der Schwurgerichtskammer in Zweifel gezogene – Einlassung des Angeklagten, er habe „dunkel in Erinnerung, dass es geklingelt habe“, und der Umstand, dass sich Personen aus dem Trinkermilieu „nicht selten“ in der Tatwohnung getroffen haben, vermögen Anhaltspunkte für eine Alternativtäterthese über die bloß theoretische Ebene hinaus nicht zu begründen.
13
2. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet, soweit sie den Schuldund den Strafausspruch angreift. Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler die Voraussetzungen eines fahrlässigen Vollrausches (§ 323a Abs. 1 StGB), insbesondere den von der Revision vermissten Zeitpunkt des vorwerfbaren Sichberauschens festgestellt (UA S. 9). Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hat hingegen keinen Bestand.
14
a) Die Voraussetzungen für die gemäß § 64 Satz 2 StGBerforderliche hinreichend konkrete Aussicht eines Behandlungserfolges sind vom Landgericht nicht dargetan. Es verweist lediglich auf die Beurteilung des forensischpsychiatrischen Sachverständigen, dass der Angeklagte zurzeit zwar nicht motiviert sei, an einer solchen Behandlung teilzunehmen, was einer Heilbehandlung aber nicht entgegenstehe, weil dieser motivierungsfähig sei. Dieser Einschätzung hat sich das Landgericht ohne Begründung angeschlossen.
15
b) Das Landgericht hat damit rechtsfehlerhaft eine eigene und ausreichende Würdigung hinsichtlich einer konkreten Aussicht eines Behandlungser- folgs nicht vorgenommen. Vor dem Hintergrund des fortgeschrittenen Alters des Angeklagten, seiner langjährigen Alkoholabhängigkeit und körperlichen Verwahrlosung sowie zahlreicher im Ergebnis erfolgloser stationärer Entgiftungsbehandlungen hätte es mit Blick auf dessen geäußerte Therapieunwilligkeit einer eingehenderen Darlegung in den Urteilsgründen bedurft, auf welche Umstände das Landgericht die hinreichend konkrete Erfolgsaussicht stützt. Soweit es sich zudem nicht zur prognostizierten Therapiedauer verhält, kann schließlich auch nicht beurteilt werden, ob insoweit überhaupt eine tragfähige Basis für eine konkrete Therapieerfolgsaussicht besteht (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2014 – 5 StR 37/14, NStZ 2014, 315 mwN).
Sander Dölp König
Berger Bellay

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

5 StR 322/12

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 7. November 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7. November
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin Ha. ,
Rechtsanwalt K.
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 23. Januar 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Totschlags sowie der gefährlichen Körperverletzung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihren auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel haben Erfolg.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
a) Der Angeklagte H. war zur Tatzeit Mitglied der Rockergruppierung „Bandidos“, der Angeklagte F. war mit Mitgliedern dieser Gruppierung befreundet.
4
In der Nacht vom 20. auf den 21. Juni 2009 besuchten Mitglieder und Sympathisanten der mit den „Bandidos“ rivalisierenden Rockergruppierung „Hells Angels“ein Dorffest in Falkenberg. Gegen 2.00 Uhr traten mehrere dieser Personen in einem aus drei Pkw bestehenden Konvoi die Heimfahrt über Eberswalde nach Berlin an. Sie wurden von mindestens zwei Pkw ver- folgt. Die Verfolger brachten den Konvoi durch „Ausbremsen“ zum Stillstand. Mehrere schwarz gekleidete und mit Sturmhauben vermummte Personen liefen auf die Fahrzeuge zu und schlugen mit Hieb- und Schlagwaffen zumindest auf ein Fahrzeug ein, bei dem die Seitenscheibe hinten links zersplitterte. Nach kurzer Zeit konnten die angehaltenen Fahrzeuge weiterfahren. Die Angreifer eilten zu ihren Fahrzeugen zurück und setzten die Verfolgung fort. Im Zuge der Verfolgung kollidierte der auf den Angeklagten F. zugelassene und „offenbar auf Seiten der Angreifer agierende“ rote Opel Ast- ra in einer Rechtskurve mit einem der verfolgten Fahrzeuge (Pkw Kia Sephia). Beide Fahrzeuge wurden beschädigt.
5
Während der weiteren Verfolgungsjagd trennten sich die Wege der Verfolgten. Gegen 2.45 Uhr kam der allein zurückgebliebene Kia bei einem Wendevorgang wegen eines Schaltproblems mittig auf der Fahrbahn zum Stehen. Es näherten sich mindestens zwei, höchstens drei „Täterfahrzeuge”, deren Typ und Kennzeichen nicht ermittelt werden konnten. Ein Fahrzeug wurde mit aufgeblendetem Licht vor den Kia gestellt, um diesen an der Weiterfahrt zu hindern. Der oder die anderen Pkw hielten zehn bis zwanzig Meter entfernt an. Mindestens drei, höchstens acht schwarz gekleidete und mit Sturmhauben maskierte männliche Personen verließen die Fahrzeuge und schlugen laut schreiend mit Schlagwaffen auf den Kia und dessen vier Insassen ein. Zwei Täter sprangen auf die Motorhaube und schlugen mit Baseballschlägern sowie Macheten gegen die Frontscheibe und das Dach des Kia. Weitere Täter zerschlugen mit Baseballschlägern die Heckscheibe und alle Seitenscheiben. Ein Versuch, zumindest die hinteren Türen zu öffnen, misslang. Nunmehr an beiden Seiten des Kia stehend schlugen die Täter mit Baseballschlägern und stachen mit Macheten sowie Messern äußerst brutal auf die Insassen des Kia ein.
6
Einige Minuten später näherte sich ein Pkw. Die Täter verließen fluchtartig den Tatort, wobei zwei der Fahrzeuge eine rote Lackierung aufwiesen. Im vorderen Innenraum des Kia wurde von einem Täter eine Machete mit einer Klingenlänge von 34 Zentimetern zurückgelassen, auf deren Klinge sich eine vom Angeklagten H. herrührende DNA-Spur befand.
7
Drei der vier Insassen des Kia wurden bei der Tat sehr schwer verletzt. Einer von ihnen erlitt einen akut lebensgefährlichen Stich in die Brust und konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden. Er leidet an Lähmungserscheinungen und Sensibilitätsstörungen im Arm- und Schulterbereich.
8
b) Das Landgericht vermochte sich nicht davon zu überzeugen, dass die beiden Angeklagten im roten Opel Astra des Angeklagten F. am Tatort gewesen und an dem gewalttätigen Überfall beteiligt waren. Für eine Beteiligung der Angeklagten spreche zwar eine Reihe von Indizien. Die Beweisanzeichen reichten jedoch auch in der Gesamtschau nicht aus, um eine Überzeugung von deren Beteiligung zu gewinnen.
9
2. Der Freispruch leidet an durchgreifenden Rechtsfehlern.
10
a) Allerdings hat es das Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Rechtsfehlerhaft ist es auch, wenn sich das Tatgericht bei seiner Beweiswürdigung darauf beschränkt, die einzelnen Belastungsindizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen, ohne eine Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände vorzunehmen. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt ferner, ob überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 27. April 2010 – 1 StR 454/09, NStZ 2011, 108, 109, vom 1. Februar 2011 – 1 StR 408/10 Rn. 15 und vom 7. Juni 2011 – 5 StR 26/11 Rn. 9).
11
b) Nach diesen Maßstäben hält die durch die Schwurgerichtskammer vorgenommene Beweiswürdigung rechtlicher Prüfung nicht stand.
12
aa) In der Beweiswürdigung muss sich das Tatgericht mit allen festgestellten Indizien auseinandersetzen, die das Beweisergebnis zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind. Dabei muss sich aus den Urteilsgründen selbst ergeben, dass es die Beweisergebnisse nicht nur für sich genommen gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen hat (BGH, Urteil vom 27. April 2010, aaO, mwN). Dem wird das angefochtene Urteil nicht in vollem Umfang gerecht.
13
Das Landgericht hat sich mit den die Angeklagten belastenden Indizien lediglich isoliert auseinandergesetzt und dabei jeweils die Wertung getroffen , dass hiermit der Beweis für deren Beteiligung nicht zu führen sei (un- ter anderem: Verbundenheit beider Angeklagter mit den „Bandidos“, inhaltlich auf eine Beteiligung hindeutende Telefonkontakte beider Angeklagter etwa eine Stunde vor der Tat untereinander sowie mit einem Mitglied der „Bandi- dos“, Abschalten der Mobiltelefone beider Angeklagter eine knappe Stunde vor der Tat, Wiedereinschalten dieser Mobiltelefone etwa zwei Stunden nach der Tat, Beteiligung des roten Opel Astra des Angeklagten F. an der ersten Kollision mit dem Kia, rotes Fahrzeug am Tatort, womöglich vom Kia herrührende Glassplitter im Opel Astra des Angeklagten F. , DNASpuren und ein Teilfingerabdruck des Angeklagten H. an der im Kia gefundenen Machete, DNA-Spuren und Fingerabdruckspuren dieses Angeklagten am Fenster des Opel Astra und an im Fahrzeug befindlichen Gegenständen ). Diese Vorgehensweise in Verbindung mit der äußerst knapp aus- gefallenen Gesamtschau, im Rahmen derer die Vielzahl der vorhandenen Beweisanzeichen nicht erkennbar zueinander in Beziehung gesetzt und gegeneinander abgewogen werden (UA S. 39), lässt besorgen, dass die Schwurgerichtskammer den Blick dafür verloren hat, dass Indizien, auch wenn sie einzeln für sich betrachtet nicht zum Nachweis der Täterschaft ausreichen , doch in ihrer Gesamtheit dem Gericht die entsprechende Überzeugung vermitteln können (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 26. Mai1999 – 3StR 110/99, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 20; BGH, Urteil vom 16. Dezember 2009 – 1 StR 491/09).
14
bb) Überdies durfte das Landgericht mangels in diese Richtung zielender objektiver Anhaltspunkte (vgl. etwa BGH, Urteile vom 14. Januar 2009 – 1 StR 554/08 Rn. 78 mwN, und vom 20. Juni 2012 – 5 StR 536/11, NJW 2012, 2453, 2454) nicht zugunsten des – in der Hauptverhandlung schweigenden – Angeklagten F. unterstellen, dieser habe entgegen sonst festzustellender Übung sein Fahrzeug in der Tatnacht einem Unbekannten geborgt (UA S. 23, 28). Dies gilt zumal vor dem Hintergrund einer nach dem Inhalt der Telefongespräche naheliegend unmittelbar zuvor und danach erfolgten Fahrzeugbenutzung durch F. (UA S. 29 ff.).
15
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Schwurgerichtskammer bei fehlerfreier Beweiswürdigung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Die Entlastungserwägungen des Tatgerichts zur zweifelhaften Kenntnis der Angeklagten von einer zeitlich zu bewältigenden Fahrstrecke der Verfolger zum Tatort (UA S. 27, 39) sind angesichts möglicher nicht kontrollierter Kommunikationswege nicht etwa derart gewichtig, dass sie die Freisprüche ungeachtet aller aufgezeigten Mängel allein tragen könnten. Nichts anderes gilt erst recht für vom Landgericht gar nicht entlastend gedeutete Inhalte nach der Tat geführter Telefonate (UA S. 31, 34).
16
Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Auch soweit die die freigesprochenen Angeklagten belastenden Feststellun- gen rechtsfehlerfrei getroffen wurden, können sie keinen Bestand haben, weil die Angeklagten sie revisionsrechtlich bislang nicht anzugreifen vermochten.
17
4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
18
Soweit im angefochtenen Urteil beiläufig eine strafbare Beteiligung des Angeklagten F. sogar bei dessen erwiesener Anwesenheit im Fahrzeug am Tatort in Zweifel gezogen worden ist (UA S. 28), wird sich das neue Tatgericht gegebenenfalls damit auseinanderzusetzen haben, dass der Opel Astra bereits beim ersten Angriff auf den Kia eingesetzt worden ist und es danach ganz fernliegt, dass er im Rahmen der verfahrensgegenständlichen Tat ohne unterstützende Funktion gewesen ist.
19
Gegen eine Verwertbarkeit der abgehörten Telefongespräche sind nach bisherigem Stand keine durchgreifenden Bedenken ersichtlich.
Basdorf Schneider Dölp König Bellay
5 StR 26/11

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 7. Juni 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7. Juni
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 16. September 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
3
a) Am frühen Abend des 30. August 2008 konsumierte der Angeklagte mit seinem langjährigen Freund und Nachbarn L. Alkohol in nicht feststellbaren Mengen. Am darauffolgenden Tag fand er L. in dessen Wohnung auf dem Boden des Schlafzimmers liegend auf. Dieser war nicht ansprechbar, blutete stark am Kopf und wies am Hals Würgemale auf.
4
Der vom Angeklagten telefonisch verständigte Rettungssanitäter versorgte den Geschädigten und überführte ihn dann in ein Krankenhaus. Es wurden ein Schädel-Hirn-Trauma dritten Grades, eine Kopfplatzwunde sowie eine Fraktur der Kieferhöhle links diagnostiziert. Ursache der Verletzungen waren stumpfe Gewalteinwirkungen. Der Geschädigte erlangte das Bewusstsein nicht wieder und verstarb am 16. Mai 2009 infolge einer durch die erlittenen Verletzungen bedingten Lungenentzündung.
5
Auf den Geschädigten war in seiner Wohnung unter anderem mit einem Tonbandgerät eingeschlagen worden, an dem Blut, Gewebeteile und Haare des Geschädigten sowie – auf der Rückseite des Geräts – eine Fingerabdruckspur des Zeigefingers der rechten Hand des Angeklagten festgestellt wurden. An der Wohnungseingangstür fehlte im Bereich des Schlosses und des Türknaufs ein etwa zehn mal zehn Zentimeter großes Glasfenster. Mit einem Griff durch die Öffnung konnte die Wohnungstür von außen geöffnet werden. Im Bereich des fehlenden Fensters befand sich eine Blutspur des Angeklagten. Seine Hose wies Blutanhaftungen des Geschädigten auf.
6
b) Das Landgericht vermochte sich nicht von der Täterschaft des Angeklagten zu überzeugen. Es sei trotz der „festgestellten Spuren, die auf den ersten Blick ein den Angeklagten schwer belastendes Indiz“ darstellten, „nicht mit der erforderlichen Gewissheit auszuschließen, dass ein unbekann- ter Dritter zum Tatzeitpunkt die Wohnung des Geschädigten aufsuchte“ (UA S. 13). Es wäre einem solchen möglich gewesen, „in Einbruchsabsicht in die Wohnung des Geschädigten einzudringen, da das kleine Glasfenster in der Wohnungstür des Geschädigten fehlte“ (UA S. 18).
7
Hinsichtlich der Fingerabdruckspur hat die Schwurgerichtskammer die Einlassung des Angeklagten als „lebensnah“ und „nicht zu widerlegen“ ange- sehen, er habe das Tonbandgerät bei seinen Besuchen „öfter angefasst, zum Beispiel wenn der Geschädigte seine Wohnung umgeräumt habe“ (UA S. 11). Auch seine Angaben zur Blutspur an der Wohnungstür seien nicht zu widerlegen; dieser Bewertung hat die Schwurgerichtskammer die Vermutung des Angeklagten zugrunde gelegt, die Blutspur könne entstanden sein, als er dem Geschädigten an einem ihm nicht mehr erinnerlichen Tag geholfen habe , den Schließzylinder an der Wohnungstür auszutauschen (UA S. 12). Ferner hat das Landgericht die Aussage des Angeklagten zur Entstehung der Blutspuren auf seiner Kleidung – er habe den Kopf des Geschädigten „nach dessen Auffinden hochgehoben“ (UA S. 14) – nicht zu widerlegen vermocht. Dass in der Wohnung und an dem Tonbandgerät nur Spuren des Geschädigten und des Angeklagten gesichert worden seien, vermittle nicht die Überzeugung von dessen Täterschaft. Gegen die Täterschaft spreche, dass ein „Motiv für ein derart brutales Vorgehen“ (UA S. 16) nicht zu erkennen sei und die Vorstrafen des Angeklagten mit dem hier vorliegenden Tatbild nicht korrespondierten.
8
2. Die durch die Schwurgerichtskammer vorgenommene Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
a) Das Revisionsgericht hat es grundsätzlich hinzunehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Rechtsfehlerhaft ist es auch, wenn sich das Tatgericht bei seiner Beweiswürdigung darauf beschränkt, die einzelnen Belastungsindizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen, ohne eine Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände vorzunehmen. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt ferner, ob überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 27. April 2010 – 1 StR 454/09, NStZ 2011, 108, 109, und vom 1. Februar 2011 – 1 StR 408/10 Rn. 15).
10
b) Zwar hat das Landgericht vorliegend die den Angeklagten belastenden Indizien dargestellt und gewürdigt. Deren Bewertung genügt den vorstehenden Grundsätzen jedoch in mehrfacher Hinsicht nicht.
11
aa) Die Schwurgerichtskammer hat ihrer Beweiswürdigung entlastende Angaben des Angeklagten zugrunde gelegt, ohne sie in ihrem Wahrheitsgehalt näher überprüft zu haben.
12
So spricht nach den Urteilsfeststellungen – trotz sogar denkbarer näherer Aufklärbarkeit durch als Zeugen gehörte Nachbarn – kein objektiver Umstand dafür, dass die Fingerabdruckspuren des Angeklagten an der Rückseite des als Schlagwerkzeug eingesetzten – nicht näher beschriebenen – Tonbandgeräts bei Besuchen des Angeklagten in der Wohnung des Geschädigten entstanden sind. Entsprechendes gilt für die vom Angeklagten herrührende Blutspur an der Wohnungseingangstür des Geschädigten, zumal der Angeklagte eine Verletzung bei einer Reparatur des Schließzylinders schon zeitlich nicht näher einzuordnen vermochte, ja nicht einmal mit Bestimmtheit sagen konnte, ob er sich bei der vorgeblichen Reparatur überhaupt und gegebenenfalls wie verletzt habe. Im Übrigen ist auch zu einer – gegebenenfalls hochgradig relevanten – tatnahen Handverletzung des An- geklagten im Urteil nichts festgestellt. In Bezug auf seine mit dem Blut des Geschädigten beschmierte Kleidung fehlt es an näheren Angaben zum Spurenbild , zum Verteidigungsvorbringen des Angeklagten und zur Konkordanz von beidem.
13
bb) Die Beweiswürdigung ist auch darüber hinaus lückenhaft. Zwar können und müssen die Gründe auch eines freisprechenden Urteils nicht jeden irgendwie beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen. Das Maß der gebotenen Darlegung hängt von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalls ab. Sind dabei – wie hier – erhebliche Belastungsindizien gegeben, muss das Tatgericht in seine Beweiswürdigung und deren Darlegung alle wesentlichen für und gegen den Angeklag- ten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen und im Gesamten betrachten (vgl. BGH, Urteile vom 22. Mai 2007 – 1 StR 582/06 – und vom 22. August 2002 – 5 StR 240/02, NStZ-RR 2002, 338 mwN; Brause NStZ-RR 2010, 329, 330 f.). Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht:
14
(1) So führt die Schwurgerichtskammer aus, dass sie einer im Ermittlungs - und Hauptverfahren „möglicherweise wahrheitswidrig“ aufgestellten Behauptung des Angeklagten, sich mit einem auf dem Fußabtreter vorgefun- denen Wohnungsschlüssel Zutritt zur Wohnung verschafft zu haben, „kein besonderes Verdachtsmoment“ beimisst (UA S. 16). Sie unterlässt jedoch die bei der hier gegebenen Beweislage unerlässliche nähere Dokumentation früherer Einlassungen des Angeklagten zu sämtlichen belastenden Indiztatsachen (vgl. BGH, Urteile vom 16. August 1995 – 2 StR 94/95, BGHR StPO § 261 Einlassung 6, und vom 1. Februar 2011 – 1 StR 408/10 Rn. 26).
15
(2) Im Übrigen hätte im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung (vgl. auch BGH, Urteile vom 10. Dezember 1986 – 3 StR 500/86, und vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2 und Beweiswürdigung, unzureichende 20) namentlich Beachtung finden sollen , dass der vom Landgericht als nicht ausräumbar angesehene Alternativsachverhalt eines nächtlichen Wohnungseinbruchs – für den es zudem jenseits der Beschaffenheit der Wohnungseingangstür des Opfers keinen Anhalt gibt – durch einen unbekannten Dritten bei dem ersichtlich mittellosen Geschädigten genauso wenig lebensnah erscheint, wie ein nach den Angaben des Angeklagten gegen 2.00 Uhr erfolgtes Klopfen des Geschädigten am Fenster des Angeklagten, verbunden mit der ansatzlosen und dann nicht weiter ausgeführten Erwähnung einer Frau und eines „starken Mannes“ (UA S. 9). Sonstige Anhaltspunkte für eine Alternativtäterschaft werden im Urteil nicht erwogen.
16
cc) Die Beweiswürdigung begegnet schließlich insofern durchgreifenden Bedenken, als die Schwurgerichtskammer die Persönlichkeitsfremdheit der Tat und das Fehlen eines Tatmotivs als der Täterschaft des Angeklagten widerstreitende Umstände erachtet hat.
17
Die Bewertung, dass die den Verurteilungen des Angeklagten zugrunde liegenden Taten mit der hier angeklagten Tat „nicht vergleichbar“ seien, steht schon in Widerspruch zu den hierzu getroffenen Feststellungen. Die durch das Amtsgericht Görlitz abgeurteilte gefährliche Körperverletzung vom 20. September 2008 umfasste – wie an anderer Stelle der Urteilsgründe ausgeführt ist (UA S. 6) – Schläge „mit zwei Bierflaschen, von denen eine zerbrach“, auf deren Stirn und Hinterkopf.Hinzu kommt, dass sowohl durch die Verurteilung als auch für den Abend des hier gegenständlichen Geschehens Alkoholkonsum des Angeklagten festgestellt ist. Neigt dieser aber oh- nehin „zu aggressivem Verhalten, was auch durch Nichtigkeiten ausgelöst werden kann“ (UA S. 4), und liegt zudem eine alkoholbedingte Enthemmung vor, kann eine vermeintlich grundlos begangene Gewalthandlung nicht als außergewöhnlich bewertet werden. Dass eine – in den Details des Ablaufs ohnehin nicht mehr aufklärbare – Tat unter solchen Vorzeichen im Nachhinein für Dritte sinnlos erscheinen mag, deutet auch nicht schon an sich auf ein fehlendes Motiv hin. Darüber hinaus würde selbst ein rational nicht nachvollziehbares Handeln kein den Angeklagten maßgeblich entlastendes Indiz darstellen.
Basdorf Raum Schneider König Bellay

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.