Bundesgerichtshof Urteil, 24. Aug. 2016 - 2 StR 135/16

bei uns veröffentlicht am24.08.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 135/16
vom
24. August 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts des sexuellen Missbrauchs Widerstandsunfähiger u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:240816U2STR135.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. August 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl, Dr. Eschelbach, die Richterinnen am Bundesgerichtshof Dr. Ott, Dr. Bartel,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin als Verteidigerin,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Marburg vom 10. Dezember 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten - nach Abtrennung des Verfahrens hinsichtlich der Fälle 1 und 2 der Anklageschrift - vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs eines Widerstandsunfähigen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes zum Nachteil des Zeugen D. (Fall 3) und vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs eines Widerstandsunfähigen (Fall 4) sowie einer Körperverletzung (Fall 5) zum Nachteil des Zeugen V. freigesprochen. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2
1. Die Anklageschrift legte dem Angeklagten zur Last, er habe an einem Abend zwischen dem 9. und 12. Mai 2008 in seiner Wohnung dem schlafenden Zeugen S. die Shorts heruntergezogen und sich nackt auf ihn gelegt. Anschließend habe er sich bis zum Samenerguss am Körper des Zeugen gerieben (Fall 1). Bei einer weiteren Übernachtung des Zeugen S. in der Wohnung des Angeklagten habe dieser in einer Nacht in der Zeit zwischen dem 12. Oktober 2007 und dem 12. Mai 2008 dem Schlafenden die Jogginghose heruntergezogen und sei mit seinem Penis in dessen Anus eingedrungen. Als der Zeuge aufgeschreckt sei, habe er diesen niedergedrückt, festgehalten und den analen Geschlechtsverkehr vollzogen (Fall 2). Ende 2009 habe der Angeklagte dem schlafenden 13-jährigen D. an den Penis gefasst, diesen dort gestreichelt und versucht ihm die Shorts herunterzuziehen , bis der Zeuge ihn weggeschoben habe (Fall 3). Im Herbst 2012 habe sich der Angeklagte auf den nach einer Feier in seiner Wohnung schlafenden Zeugen V. gelegt, um sich sexuell zu erregen. Als der Zeuge aufgewacht sei, habe er ihn festgehalten und sich weiter an ihn gedrängt, bis es dem Zeugen gelungen sei, den Angeklagten wegzustoßen und aus dem Zimmer zu drängen (Fall 4). Danach habe der Angeklagte das Zimmer erneut betreten , den Zeugen gegen die Wand gedrückt und ihm einen Schlag ins Gesicht versetzt (Fall 5).
3
2. Das Landgericht hat das Verfahren zu den Fällen 1 und 2 der Anklageschrift abgetrennt, um eine aussagepsychologische Begutachtung der Angaben des Zeugen S. herbeizuführen. Von den übrigen Vorwürfen (Fälle 3 bis 5 der Anklageschrift) hat es den Angeklagten freigesprochen.
4
Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte seine spätere Ehefrau M. im Jahr 2004 kennenlernte, ab April 2006 bei deren Eltern wohnte und im März 2007 eine eigene Wohnung bezog. Dort erhielt er regelmäßig Besuch von dem damals 16-jährigen Zeugen S. , zu dem er ein enges persönliches Verhältnis aufbaute. Im Januar 2008 zog er gemeinsam mit M. in eine Wohnung. Gleichwohl setzte der Angeklagte die Beziehung zu S. fort und übernachtete oft zusammen mit diesem Jugendlichen auf der Couch im Wohnzimmer, während M. im Schlafzimmer schlief. Im Juli 2008 zog der Angeklagte nach einem Streit mit M. aus dieser Wohnung aus; zugleich endete sein Kontakt zu S. .
5
Am 22. November 2010 heirateten der Angeklagte und M. . Jedoch kam es bald erneut zu Streitigkeiten und auch zu gerichtlichen Auseinandersetzungen , vor allem um das Sorgerecht für den am 13. Mai 2008 geborenen Sohn J. . In einem familiengerichtlichen Verfahren behauptete die Ehefrau, sie habe den Angeklagten bei sexuellen Handlungen mit dem Kind angetroffen. Dafür berief sie sich auch auf S. als Zeugen. In einem Strafverfahren gegen den Angeklagten wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs des Kindes J. berichtete M. davon, V. habe ihr gesagt, dass der Angeklagte sich einmal auf ihn gelegt habe; er habe sich wehren können und dem Angeklagten ein blaues Auge geschlagen. Ferner habe S. berichtet, dass der Angeklagte versucht habe, auch ihn anzufassen. Die Zeugin Mo. berichtete vom Hörensagen über 'entsprechende Angaben des Zeugen V. . Die Zeugen V. und D. machten danach bei polizeilichen Vernehmungen Aussagen im Sinne der Anklagevorwürfe gegen den Angeklagten.
6
Zum Vorwurf einer Tat zum Nachteil des Zeugen D. (Fall 3) hat das Landgericht jedoch nur festgestellt, dass dieser Zeuge in der fraglichen Zeit ein Praktikum bei dem Angeklagten absolvierte und in seiner Wohnung übernachtete. Hinsichtlich der Vorwürfe von Taten zum Nachteil des Zeugen V. (Fälle 4 und 5) ist es davon ausgegangen, dass es zwischen dem Angeklagten und diesem Zeugen in der fraglichen Nacht zu einem Streit gekommen sei. Die eine Tatbegehung bestreitende Einlassung des Angeklagten sei aber nicht zu widerlegen. Der Zeuge V. habe zwar bei einer polizeilichen Vernehmung und zuletzt in der Hauptverhandlung im Sinne der Anklagevorwürfe ausgesagt. Zwischenzeitlich habe er aber dem Angeklagten und dessen Verteidigerin erklärt, dass seine Behauptungen unzutreffend seien. Auch in der Hauptverhandlung habe er dies zunächst erklärt, sei aber nach Vorhalten zu seiner ursprünglichen Zeugenaussage zurückgekehrt. Die Mutter des Zeugen V. , die ihren Sohn am Morgen nach der Feier in der Wohnung des Angeklagten abgeholt habe, habe durchaus wahrgenommen, dass es Streit gegeben habe. Sie habe sich jedoch nicht daran erinnern können, dass der Angeklagte ein „blaues Auge“ gehabt habe. Der Zeuge D. habe im Sinne des Anklagevorwurfs ausgesagt , er habe sich aber in Widersprüche verwickelt. Andere Zeugen, die eigene Wahrnehmung zum Tatgeschehen gemacht hätten, stünden nicht zur Verfügung. Die Zeugin M. habe ein erhebliches Motiv zur Falschbelastung des Angeklagten. Es sei nicht auszuschließen, dass die jugendlichen Zeugen V. und D. kritiklos falsche Angaben von ihr übernommen hätten. Sonstige Beweise lägen nicht vor. „Insbesondere ließe sich aus einem gedach- ten Schuldspruch in dem Verfahren“ wegen der angeklagten Taten „zum Nachteil des Zeugen S. nichts für die anderen Anklagepunkte herleiten, so- dass der Ausgang dieses Verfahrens nicht abzuwarten war“.

II.

7
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Sie beanstandet zu Recht das Vorliegen von Rechtsfehlern bei der Beweiswürdigung.
8
1. Das Revisionsgericht muss es grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts; die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob ihm Rechtsfehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene Anforderungen gestellt worden sind (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 - 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 f.). Insbesondere ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen , für deren Vorliegen keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte vorhanden sind. Unterstellungen zugunsten eines Angeklagten sind nur rechtsfehlerfrei , wenn hierfür reale Anknüpfungspunkte bestehen (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juni 2015 - 5 StR 55/15, NStZ-RR 2015, 255 f.). Ist eine Mehrzahl von Erkenntnissen zum Tatvorwurf vorhanden, so ist eine Gesamtwürdigung vorzunehmen. Erst diese entscheidet darüber, ob der Richter die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten gewinnt. Auch wenn keine der Indiztatsachen allein zum Nachweis der Tatbegehung ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtschau dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln. Beweisanzeichen können in einer Gesamtschau wegen ihrer Häufung und gegenseitigen Durchdringung die Überzeugung von der Richtigkeit eines Vorwurfs begründen (vgl. BGH, Urteil vom 2. Dezember 2015 - 1 StR 292/15). Der genaue Beweiswert einzelner Indizien ergibt sich gegebenenfalls erst aus einem Zusammenhang mit anderen Indizien, weshalb sie dann zueinander in Beziehung zu setzen sind.
9
2. Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass das Landgericht diese Grundsätze nicht ausreichend berücksichtigt hat.
10
Die Überlegung, dass selbst „aus einem gedachten Schuldspruch“ we- gen der Vorwürfe von Taten zum Nachteil des Zeugen S. in dem abgetrennten Verfahren zu den Fällen 1 und 2 der Anklageschrift nicht dazu ausreichen könnte, sich von der Richtigkeit der übrigen Vorwürfe zu überzeugen , greift zu kurz. Nicht auf einen möglichen Schuldspruch, sondern auf konkrete Tatsachen zu den Umständen vergleichbarer Taten zum Nachteil des Zeugen S. und deren Nachweis würde es ankommen, wenn im Rahmen einer Gesamtschau geprüft würde, ob der Angeklagte auch die ihm vorgeworfenen Taten zum Nachteil der Zeugen V. und D. begangen hat. In der Gesamtschau aller Umstände wäre dann gegebenenfalls zu berücksichtigen, dass der Angeklagte nach dem Anklagevorwurf in vergleichbarer Art und Weise sexuelle Übergriffe gegenüber drei männlichen Jugendlichen begangen haben soll. Dabei kann die Begehung von Taten zum Nachteil eines der Zeugen ein die anderen Zeugenaussagen ergänzendes Indiz für die Begehung von weiteren Taten darstellen. Auch als Indiztatsache kann eine andere Tat allerdings nur dann zum Nachteil eines Angeklagten gewertet werden, wenn sie prozessordnungsgemäß festgestellt ist (vgl. Senat, Beschluss vom 21. April 2016 - 2 StR 435/15). Umgekehrt kann ihre Bedeutsamkeit nicht pauschal für den gedachten Fall ihrer Feststellung ausgeschlossen werden, wenn nicht zugleich erläutert wird, dass kein sachlicher Zusammenhang zwischen verschiedenen Vorwürfen gegen den Angeklagten wegen vergleichbarer Delikte gegen unterschiedliche Opfer besteht. Eine solche Erläuterung hat das Landgericht ver- säumt, obwohl nach den Feststellungen möglicherweise motivationale oder sonstige situative Zusammenhänge bestehen könnten.
11
Schließlich hat das Landgericht nicht in einer Gesamtschau gewürdigt, dass sich die Aussagen der Zeugen zu verschiedenen Taten vergleichbarer Art, sowie die Angaben der gehörten Zeuginnen vom Hörensagen als - wenngleich nur tendenzielle - Bestätigung in ihrer Indizbedeutung wechselseitig beeinflussen können. Seine Annahme, dass die angeblichen Tatopfer jeweils durch die Ehefrau des Angeklagten, die ein Motiv zur Falschbelastung gehabt haben mag, beeinflusst sein könnten, ist nicht durch konkrete Umstände belegt. Deshalb ist die Annahme, die Jugendlichen könnten - einzeln oder gemeinsam - falsche Angaben der inzwischen geschiedenen Ehefrau kritiklos übernommen haben, in dieser Allgemeinheit nicht nachzuvollziehen. Dies gilt auch deshalb, weil die Unrichtigkeit der Angaben der Ehefrau des Angeklagten im Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs zum Nachteil des ehelichen Sohnes J. nicht festgestellt ist und konkrete Gründe für Zweifel an der Richtigkeit dieser Angaben im Urteil nicht erörtert wurden. Die beweisrechtlich bedeutsame Frage der Eigenständigkeit oder gegenseitigen Abhängigkeit der Indizien (vgl. BGH, Urteil vom 25. Januar 1995 - 5 StR 664/94), die sich aus den Missbrauchsberichten verschiedener Zeugen über jeweils zu ihrem Nachteil begangene Taten des Angeklagten ergeben könnten, ist von der Strafkammer nicht erkennbar in den Blick genommen worden. Die inzwischen geschiedene Ehefrau hatte dem Angeklagten auch sexuelle Handlungen zum Nachteil des gemeinsamen Kindes vorgeworfen. Selbst wenn das unzutreffend wäre, so enthielten ihre Behauptungen - bewusst oder unbewusst - noch keine falschen Angaben zu sexuellen Handlungen zum Nachteil der Zeugen S. , V. und D. . Eine gegebenenfalls falsche Behauptung der Ehefrau im Sorgerechtsstreit könnte dagegen nach einer Alternativhypothese ihrerseits durch zutreffende Missbrauchsberichte der Zeugen motiviert gewesen sein. Vom Landge- richt wäre jedenfalls nicht alleine die Hypothese zu erwägen gewesen, dass ein falscher Bericht der Ehefrau über sexuellen Missbrauch des ehelichen Kindes auch die Zeugen jeweils zu falschen Vorwürfen sexueller Handlungen des Angeklagten zu ihrem Nachteil motiviert haben konnte. Fischer Krehl Eschelbach Ott Bartel

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 24. Aug. 2016 - 2 StR 135/16

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 24. Aug. 2016 - 2 StR 135/16

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Referenzen

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 420/14
vom
12. Februar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Februar
2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof – in der Verhandlung –,
Richterin am Landgericht – bei der Verkündung –
als Vertreterinnen des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Pflichtverteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 24. März 2014 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte vom Vorwurf des schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung freigesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs und fahrlässigen unerlaubten Besitzes eines nach dem Waffengesetz verbotenen Gegenstandes zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Vom Vorwurf, einen (besonders) schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie einen Diebstahl begangen zu haben, hat es den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Mit ihrer vom Generalbundesanwalt vertretenen, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen den hinsichtlich der Raubtat ergangenen Teilfreispruch.
2
Ausweislich der Ausführungen in der Revisionsrechtfertigung, mit denen die Beschwerdeführerin ausschließlich den Freispruch vom Vorwurf des schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung als sachlich-rechtlich fehlerhaft beanstandet, ist das Rechtsmittel ungeachtet des in der Revisionsbegründung abschließend formulierten umfassenden Aufhebungsantrags auf diesen Teilfreispruch beschränkt (vgl. BGH, Urteile vom 12. April 1989 – 3 StR453/88, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3; vom 18. Dezember 2014 – 4 StR 468/14 Rn. 7 mwN; Gericke in KK-StPO, 7. Aufl., § 344 Rn. 7).
3
Die wirksam beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

I.


4
Zu dem in der zugelassenen Anklage gegen den Angeklagten erhobenen Vorwurf, gemeinsam mit einem bislang unbekannten Täter einen schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung begangen zu haben, hat die Strafkammer folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
5
In den frühen Morgenstunden des 10. Juli 2013 gegen 2.00/2.30 Uhr klingelte es an der Wohnungstür des Geschädigten. Unbedarft öffnete er die Wohnungstür und erblickte zwei schwarz gekleidete und mit Sturmhauben maskierte männliche Personen, welche ihn unvermittelt zurück in seine Wohnung drängten und zu Boden zwangen. Einer der beiden Männer hielt einen schwarzen, etwa 50 bis 80 cm langen Schlagstock in der Hand und fuchtelte mit diesem herum, wobei er den Geschädigten auch am linken Unterarm traf. Während einer der beiden maskierten Männer den Geschädigten mit dem Fuß auf dem Brustkorb am Boden hielt, trug der andere verschiedene elektronische Geräte in der Wohnung zusammen. Er holte einen Rucksack aus dem Schlafzimmer und verstaute darin einen Laptop Sony Vaio, eine Playstation 3 sowie eine Toshiba Festplatte. Ferner stellte er ein Mischpult Traktor Kontrol S2, welches sich in einem Karton befand, zur Mitnahme bereit. Anschließend forderten die Täter den Geschädigten auf, sowohl seine Geldbörse als auch sein Mobiltelefon , ein Apple iPhone 4-8 GB, herauszugeben. Aus Angst und unter dem Eindruck des Überfalls stehend übergab der Geschädigte die geforderten Gegenstände. In der Geldbörse befanden sich u.a. der Personalausweis, der Führerschein und die Krankenkassenkarte des Geschädigten. Unter Mitnahme der genannten Gegenstände verließen die Täter sodann die Wohnung.
6
Das Mobiltelefon des Geschädigten verkaufte der Angeklagte am 22. Juli 2013 für 130 € an den Bruder seiner ehemaligen Freundin, nachdem er es in der Zeit vom 12. Juli 2013 bis zum Verkauf selbst genutzt hatte. Das entwendete Laptop nutzte der Angeklagte vom 12. Juli bis 15. Juli 2013 und veräußerte es anschließend für 100 € an seine ehemalige Freundin. Bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten konnten am 22. Juli 2013 das Mischpult des Geschädigten sowie dessen Führerschein und Krankenkassenkarte aufgefunden werden.
7
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Beteiligung an dem Raubüberfall zum Nachteil des Geschädigten freigesprochen, weil nicht habe festgestellt werden können, wie der Angeklagte an die Gegenstände aus der Tatbeute gelangt sei. Die tatsächlichen Voraussetzungen für eine wahldeutige Verurteilung wegen Diebstahls oder Hehlerei hat es verneint.

II.


8
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Die dem Teilfreispruch zugrunde liegende Beweiswürdigung hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
9
1. Das Revisionsgericht hat es regelmäßig hinzunehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1966 – 1 StR 305/66, BGHSt 21, 149, 151). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 18. Januar 2011 – 1 StR 600/10, NStZ 2011, 302; vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16). Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu würdigen (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78 aaO). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 – 4 StR 360/12, NStZ 2013, 180). Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 – 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (vgl. BGH, Urteile vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97 aaO; vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35, 36). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH, Urteile vom 17. Juli 2014 – 4 StR 129/14 Rn. 7; vom 18. August 2009 – 1 StR 107/09, NStZ-RR 2010, 85, 86; vom 21. Oktober 2008 – 1 StR 292/08, NStZ-RR 2009, 90, 91).
10
2. Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht in jeder Hinsicht gerecht.
11
a) Die Strafkammer hat die Einlassung des Angeklagten, er sei, nachdem er am Tattag bis gegen 1.00 Uhr bzw. 1.30 Uhr bei seiner Schwester gewesen sei, von dort an die Schwimmhalle in Bitterfeld gefahren worden, wo er seinen Bekannten K. O. getroffen habe, der ihm „schöne Dinge“ angeboten und gefragt habe, ob er daran Interesse habe, als unglaubhaft bewertet. Dabei hat sie sich u.a. auf die Zeugenaussage der Schwester des Angeklagten gestützt, die bekundet hat, den Angeklagten gegen 1.00 Uhr bzw. 1.30 Uhr gemeinsam mit einer Freundin von ihr zur Haustür begleitet, ihn anschließend aber nicht zur Schwimmhalle gefahren zu haben. Wenn das Landgericht dieses Beweisergebnis dahingehend bewertet, dass dem Angeklagten für die Tatzeit ein Alibi fehlt (UA S. 22), liegt dem ersichtlich die Annahme zugrunde, dass es dem Angeklagten nach den zeitlichen und räumlichen Gegebenheiten möglich war, nach dem Verlassen der Wohnung der Schwester um 1.00 Uhr bzw. 1.30 Uhr die wenig später um 2.00/2.30 Uhr verübte Raubtat zu begehen. Die objektiv belegte Gelegenheit zur Tatausführung, die daraus resultiert, dass der Angeklagte maximal 1 ½ Stunden vor der Tat in der eine Tatausführung ermöglichenden Nähe zum Tatort unterwegs war, stellt aber ein den Angeklagten belastendes Indiz dar, das in seinem Beweiswert durch den bloßen Hinweis auf das fehlende Alibi zur Tatzeit nicht erschöpfend erfasst wird und daher in die tatrichterlichen Überlegungen hätte einbezogen werden müssen.
12
b) Im Rahmen der Gesamtwürdigung der Beweisergebnisse wäre zudem zu erörtern gewesen, dass der Angeklagte nicht nur über ohne weiteres selbst zu nutzende oder wirtschaftlich verwertbare Gegenstände aus der Beute verfügte , sondern mit dem Führerschein und der Krankenkassenkarte des Geschädigten auch solche Beutestücke in Besitz hatte, denen kein unmittelbarer Vermögenswert zukommt und für deren Überlassung durch einen Raubtäter kein nachvollziehbarer Anlass erkennbar ist.
13
c) Mit seiner der Ablehnung einer wahldeutigen Verurteilung zugrunde liegenden Annahme, der Erwerb der Gegenstände aus der Beute könne auch auf einem dritten Weg erfolgt sein, der in seiner konkreten Gestalt nicht näher bekannt sei, hat die Strafkammer schließlich eine Sachverhaltsvariante für möglich erachtet, für welche sich aus dem Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte ergeben. Soweit die Strafkammer in der Unglaubhaftigkeit der Schilderung des Angeklagten über den (hehlerischen) Erwerb der Gegenstände von seinem Bekannten K. O. einen Anhalt für ihre Annahme gesehen hat, hat sie verkannt, dass der widerlegten Einlassung des Angeklagten keine Beweisbedeutung zukommt, die gegen eine anderweitige hehlerische Erlangung der Beutestücke durch den Angeklagten spricht. Das Landgericht hat es insoweit versäumt, eine umfassende Würdigung aller Beweisumstände vorzunehmen und auf dieser Grundlage zu prüfen und zu entscheiden, ob die Beweisergebnisse die Überzeugung zu tragen vermögen, dass der Angeklagte die Gegenstände aus der Tatbeute entweder durch die Raubtat oder im Wege der Hehlerei erlangt hat.
Sost-Scheible Cierniak Franke
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5StR 55/15
vom
3. Juni 2015
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Brandstiftung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Juni 2015,
an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander
als Vorsitzender,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dr. Berger,
Richter Bellay,
Richter Dr. Feilcke
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin C. ,
Rechtsanwalt K.
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 19. März 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen von den Vorwürfen freigesprochen, eine versuchte schwere Brandstiftung in Tateinheit mit Brandstiftung und mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz sowie eine schwere Brandstiftung in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Waffengesetz begangen zu haben, und ihm Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen zugesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat schon mit der Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht mehr an.

I.


2
1. Zu den in der Anklage erhobenen Vorwürfen hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
3
In den frühen Morgenstunden des 11. Juni 2011 gegen 3:20 Uhr kam es zunächst auf dem Gelände des Zustellstützpunkts der Deutschen Post in Spremberg zu einem Brand von Lieferfahrzeugen, der mittels offener Flamme bei zwei Fahrzeugen gelegt worden war. Insgesamt sieben Fahrzeuge, die auf zwei sich gegenüberliegenden Hofseiten jeweils nebeneinander stehend abgestellt waren, brannten aus. Ein Teil der Fahrzeuge stand vor der Wand eines zur Tatzeit von mehreren Menschen bewohnten Wohnhauses, deren Isolierung großflächig abbrannte. Außerdem wurden durch die Hitzeeinwirkung ein weiteres Kraftfahrzeug, ein überdachter Fahrradständer sowie drei Fahrräder der Deutschen Post beschädigt. Ihr Gesamtschaden belief sich auf ca. 35.000 Euro. An dem Wohnhaus entstand ein Schaden von ca. 27.000 Euro.
4
Der unbestrafte, zur Tatzeit 21 Jahre alte Angeklagte war Mitglied des Jugendclubs „P. e.V.“, der als Vereinsräumlichkeit ein Hinterhaus auf ei- nem Grundstück an einer Nachbarstraße des Postgeländes nutzt. Dorthin hatte sich der Angeklagte in der Nacht zwischen 1:00 Uhr und 2:00 Uhr begeben, nachdem er sich abends gegen 22:00 Uhr per SMS vergeblich mit einer Be- kannten zu einer „Aktion“ mit Treffpunkt beim Jugendclub zu verabreden ver- sucht hatte, zu der er ihre Nachfrage auf dem Kurznachrichtenweg nicht beantworten wollte. Noch zuvor hatte der Angeklagte, der ein vorübergehend vom Dienst suspendiertes Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr war, abends gegen 20:00 Uhr bei einem Treffen der Freiwilligen Feuerwehren aus der Region vorbeigeschaut , die an diesem Tag in Spremberg ihren alljährlichen Pokal- Wettkampf austrugen. Wo sich der Angeklagte im weiteren Verlauf der Tatnacht aufhielt, blieb ungeklärt.
5
Kurz nach Ausbruch des Brandes wurde in einer nahe dem Postgelände gelegenen Gasse ein schwarzer Stoffbeutel mit Glasscherben und einem De- ckel gefunden, in dessen Innenseite als Zeichen die Zahl „3“ oder der Buchstabe „M“ eingeritzt war. In dem Stoffbeutel, von demstarker Benzingeruch ausging und an dem Kraftstoffreste nachgewiesen wurden, befanden sich schwarzes Gewebeklebeband und ein Stofffetzen, der eine vom Angeklagten herrührende DNA-Spur aufwies. Weitere DNA-Mischspuren an Deckel und Klebeband stammten nicht von ihm. Schwarzes Klebeband der Art, wie es im Stoffbeutel aufgefunden wurde, befand sich auf einer Klebebandrolle in den Räumen des Jugendclubs. Kurz nach dem Löschen des Brandes wurde bemerkt, dass eines der Post-Fahrräder auf dem Hofgelände nicht wie üblich im Fahrradständer abgestellt war, sondern an der Innenseite einer über zwei Meter hohen Mauer stand, die das Gelände von einer angrenzenden Straße trennt; das Zugangstor zum Hof war zur Tatzeit verschlossen. Auf dem Sattel des Fahrrades, das erst am 16. Juni 2011 sichergestellt wurde, befand sich der Schuhabdruck eines Stiefels des Angeklagten.
6
Wenige Minuten nach der Brandlegung auf dem Postgelände brannte in Spremberg in einer Kleingartenanlage eine bungalowartige Laube, in der die Eheleute G. nächtigten. Der Zeuge G. hatte sich bereits planmäßig gegen 3:20 Uhr wegen eines frühen Arbeitstermins wecken lassen, als er plötzlich rollende Geräusche vom Laubendach her hörte. Als er nach draußen trat, sah er an der Rückseite der Laube Flammen aufsteigen. Trotz seiner Löschversuche brannte die Laube aus. Durch den Brand entstand ein Sachschaden von über 10.000 Euro. Nach Beendigung der Löscharbeiten wurde bei der Spurensuche unmittelbar neben der Laube eine offene, mit schwarzem Klebeband versehene Glasflasche gefunden, auf die mit blauer Farbe der Buch- stabe „F“ geschrieben war.In der Flasche befand sich noch Flüssigkeit, in der mit Löschwasser vermischt Reste von Benzin nachgewiesen wurden. Ca. 10 bis 20 Meter von der Laube entfernt lagen an einer Böschung neben einem an der Kleingartenanlage entlang führenden Fahrradweg unter anderem drei Schraubdeckel mit schwarzem Klebeband, in deren Innenseiten die Zahlen „1“, „4“ und „5“ eingeritzt waren,eine Glasflasche mit einem Stofffetzen, auf die mit blauer Farbe die Zahl „5“ geschrieben war, und ein weißer Stoffbeutel. An zwei Schraubdeckeln und an dem Stoffbeutel befanden sich DNA-Spuren, die von dem Angeklagten herrührten; an dem weiteren Schraubdeckel befand sich eine nicht von dem Angeklagten stammende DNA-Spur. Das schwarze Klebeband war von der gleichen Art wie jenes auf der Klebebandrolle in den Räumen des Jugendclubs, bei der es sich um Massenware handelte.
7
Am Morgen nach den Bränden lief eine Hundeführerin mit einem Fährtenhund, dem als Geruchsspur der in der Gasse nahe dem Postgelände aufgefundene schwarze Stoffbeutel vorgehalten worden war, von dessen Fundort über den durch die Kleingartenanlage führenden Fahrradweg an der abgebrannten Laube vorbei bis zu den Räumlichkeiten des Jugendclubs. Bei der anschließenden Durchsuchung wurden dort ein Plastikkanister mit Benzin, eine leere Glasflasche mit einem Deckel, in dessen Innenseite der Buchstabe „R“ eingeritzt war, und die Rolle mit schwarzem Klebeband sichergestellt.
8
2. Das Landgericht hat sich von der Täterschaft des Angeklagten, der sich zu den Tatvorwürfen in der Hauptverhandlung nicht eingelassen hat, nicht überzeugen können. Hinsichtlich des Brandes der Gartenlaube ist das Landgericht im Anschluss an das Gutachten eines Sachverständigen zu der Überzeu- gung gelangt, dass zwar die genaue Brandursache, die von den Ermittlungsbehörden nicht ermittelt worden sei, nicht mehr festzustellen sei, ein von der Anklage angenommener Wurf eines „Molotow-Cocktails“ auf das Laubendach den Brand aber nicht verursacht haben könne. Vielmehr habe sich der Brand vom Innenraum des Daches nach außen hin ausgebreitet.
9
Für eine Täterschaft des Angeklagten bei dem Brand auf dem Postgelände sprächen zwar einige Indizien wie der Schuhabdruck des Angeklagten auf dem Sattel des Zustellfahrrades, der ihn unmittelbar mit dem Tatort in Verbindung bringe, und seine DNA am Stofffetzen im Beutel in unmittelbarer Tatortnähe , in dem sich Utensilien befunden hätten, die zur Herstellung eines Brandsatzes geeignet und wohl auch bestimmt gewesen seien. Diese und die weiteren Indizien reichten jedoch auch in der Gesamtschau nicht aus, um den Angeklagten der Brandstiftung zu überführen.

II.


10
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, denn die Beweiswürdigung des Landgerichts (§ 261 StPO) hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
11
a) Das Revisionsgericht muss es zwar grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts ; die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob ihm Rechtsfehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene Anfor- derungen gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16). Insbesondere ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH, Urteile vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401; vom 20. Mai 2009 – 2 StR 576/08, NStZ 2009, 630; vom 12. Januar 2012 – 4 StR 499/11, insoweit in NStZ 2012, 648 nicht abgedruckt; vom 20. Juni 2012 – 5 StR 536/11, NJW 2012, 2453, 2454, und vom 29. April 2015 – 5 StR 79/15).
12
b) Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht.
13
aa) Das Landgericht hat der vom Angeklagten herrührenden Schuhabdruckspur auf dem Sattel des Zustellfahrrades, das naheliegend als Steighilfe zur Überwindung der Mauer diente, den Beweiswert als Indiz, das den Angeklagten unmittelbar mit dem Tatort in Verbindung bringt, rechtsfehlerhaft aufgrund lediglich theoretischer Erklärungsansätze abgesprochen. Es durfte mangels in diese Richtung zielender objektiver Anhaltspunkte zugunsten des – in der Hauptverhandlung schweigenden – Angeklagten als alternative Erklärung für die Verursachung des Abdrucks nicht unterstellen, er könne nachträglich aus Neugierde auf das Postgelände gegangen sein und sich auf den Sattel gestellt haben, um sich den Tatort näher anzuschauen.
14
Diese hypothetische Möglichkeit lag nach den Gesamtumständen zudem äußerst fern: Das an der Mauer lehnende Fahrrad war bereits kurz nach dem Löschen des Brandes bemerkt worden (UA S. 9), und noch am Tattag war der Angeklagte mittags vorläufig festgenommen und als Beschuldigter vernommen worden. Wenn die Strafkammer meint, der Angeklagte habe auch im weiteren Zeitverlauf Gelegenheit gehabt, die Spuren auf dem Fahrrad zu hinterlassen, „weil der mögliche Tatort spätestens nach dem Pfingstwochenende nicht mehr abgesperrt war“ (UA S. 20), berücksichtigt es nicht, dass der Angeklagte in die- ser Zeit gar keinen Anlass mehr gehabt hatte, von dem Fahrrad aus den Brandort anzuschauen; denn die Inaugenscheinnahme wäre nach Öffnung des Geländes für die Allgemeinheit aus der Nähe und wesentlich einfacher als durch Erklettern eines Fahrradsattels möglich gewesen. Dass sich auf dem Sattel des Fahrrades Spuren befänden, war der Polizei im Übrigen schon am Pfingstmontag, dem 13. Juni 2011, von einer Sicherheitsmitarbeiterin der Deutschen Post mitgeteilt worden (UA S. 11), also noch bevor das Postgelände im Rahmen der Aufnahme des Dienstbetriebes wieder der Öffentlichkeit zugänglich wurde. Schließlich hätte ein Besteigen des Fahrrades an dem festgestellten vom Brandgeschehen abgelegenen Standort zwar einen Blick über die Mauer auf den auch vom Landgericht für möglich gehaltenen Fluchtweg (UA S. 21) zugelassen, jedoch keine nähere Betrachtung des rückseitig gelegenen Tatorts ermöglicht.
15
bb) Mit dem den Angeklagten erheblich belastenden Indiz seiner DNASpuren auf dem Stofffetzen, der mitsamt der weiteren im Stoffbeutel in unmittelbarer Nähe des ersten Tatorts gefundenen Utensilien zur Herstellung eines Brandsatzes geeignet war (UA S. 19), hat sich das Landgericht lediglich isoliert auseinandergesetzt, indem es die Wertung traf, dass diese Spuren „allein nicht den Beweis der Täterschaft des Angeklagten“ erbrächten (UA S. 22).Abgese- hen davon, dass auch insoweit wiederum konkrete Anhaltspunkte für die Annahme des Landgerichts fehlen, ein Alternativtäter könne im Jugendclub den Stofffetzen mit der DNA des Angeklagten an sich genommen und verwandt ha- ben, hätte schon hier auch der Umstand Berücksichtigung finden müssen, dass allein der Angeklagte in der Tatnacht in den ebenfalls in Tatortnähe befindlichen Räumen des Jugendclubs von deren Vermieter gesehen worden ist.
16
cc) Dies hat das Landgericht ebenfalls bei seiner eher formelhaft vorgenommenen Gesamtabwägung unbeachtet gelassen und auch im Übrigen die Vielzahl der vorhandenen Beweisanzeichen nicht erkennbar zueinander in Beziehung gesetzt. Diese Vorgehensweise lässt besorgen, dass das Landgericht den Blick dafür verloren hat, dass Indizien, auch wenn sie einzeln betrachtet nicht zum Nachweis der Täterschaft ausreichen, doch in ihrer Gesamtheit dem Gericht die entsprechende Überzeugung vermitteln können (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteile vom 26. Mai 1999 – 3 StR 110/99, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 20, und vom 7. November 2012 – 5 StR 322/12), und dass es hierdurch zugleich überspannte Anforderungen an die tatgerichtliche Überzeugungsbildung gestellt hat.
17
dd) Überdies enthält die Beweiswürdigung Lücken.
18
(1) Zunächst fehlt es an einer, bei der hier gegebenen Beweislage unerlässlichen , näheren und in sich geschlossenen Darlegung der Einlassung des Angeklagten in seiner Beschuldigtenvernehmung im Ermittlungsverfahren. Seine diesbezüglichen polizeilichen Angaben sind in den Urteilsgründen lediglich so bruchstückhaft und verstreut mitgeteilt worden, dass keine revisionsgerichtliche Überprüfung erfolgen kann (vgl. BGH, Urteile vom 3. August 2011 – 2 StR167/11, NStZ 2012, 227, 228, und vom 7. Juni 2011 – 5 StR 26/11). Das Landgericht selbst hat die Einlassung als in Teilen „merkwürdig“ bewertet (UA S. 27), wobei offen bleibt, worauf diese Wertung fußt. Auch insoweit hat das Landgericht im Übrigen mit der Spekulation, der Angeklagte habe sich „viel- leicht zunächst in der Rolle des Tatverdächtigen“ gefallen oder „tatsächlich Kenntnis von den ‚wahren‘ Tätern“ gehabt und diese decken wollen, erneut nicht beachtet, dass Unterstellungen zugunsten eines Angeklagten nur dann rechtsfehlerfrei sind, wenn hierfür reale Anknüpfungspunkte bestanden.
19
(2) Zutreffend beanstandet die Revision zudem, dass die Darlegungen unzureichend sind, mit denen das sachverständig beratene Landgericht seine Annahme begründet hat, der Brand der Laube habe sich – bei ungeklärter Brandursache – vom Innenraum des Daches ausgehend nach außen ausge- breitet und eine Brandverursachung durch den Wurf eines „Molotow-Cocktails“ sei demgemäß ausgeschlossen (UA S. 13, 15). Insbesondere hat sich das Landgericht im Zusammenhang mit seiner Beweiswürdigung zur Brandentstehung und den hierzu mitgeteilten Erwägungen des Sachverständigen nicht näher mit der Spurenlage befasst, die eine Inbrandsetzung von außen nahelegt. So wurde unmittelbar neben der abgebrannten Laube unter einem Fenster eine Glasflasche mit einem Benzinrest sichergestellt, deren Fund sich mit dem vom Zeugen G. vernommenen rollenden Geräusch vom Dach her unschwer in Einklang bringen lässt. Zudem wurde wenige Meter von der Laube entfernt eine weitere Glasflasche mit Stofffetzen gefunden, die ebenso wie die am Brandort sichergestellte eine Markierung in blauer Farbe aufwies. Unberücksichtigt geblieben ist weiter der Umstand, dass der Zeuge G. nach dem Verlassen der Laube an der Rückseite des Bungalows Flammen aufsteigen sah, während nach den Feststellungen der Brand im Dach(innen)bereich ausgebrochen sein soll.
20
Die Urteilsgründe lassen darüber hinaus nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit erkennen, inwieweit und aus welchen Gründen der gerichtliche Sachverständige in seinem mündlich erstatteten Gutachten von seinem vorläu- figen schriftlichen Gutachten abgewichen und offenbar zu einer geänderten Einschätzung des Brandverlaufs gelangt ist (vgl. zu den Darlegungsanforderungen bei Widerspruch zwischen vorbereitendem schriftlichen und mündlichen Sachverständigengutachten BGH, Beschluss vom 13. Juli 2004 – 4 StR 120/04, NStZ 2005, 161 mwN; s. auch BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 – 2 StR328/11). Den Urteilsgründen ist lediglich zu entnehmen, dass es eine Divergenz zwischen den schriftlichen und den mündlichen Ausführungen des Sachverständigen gab, der in der Hauptverhandlung von einer Brandentwicklung vom Inneren des Daches nach außen hin ausgegangen ist. Aufgrund welcher konkreten Erkenntnisse sich eine abweichende frühere Beurteilung des Sachverständigen als unrichtig erwiesen haben sollte, teilen die Urteilsgründe nicht mit, die nur auf weitere nicht näher beschriebene Lichtbilder und eine erneute Befragung des zuvor schon vernommenen Zeugen G. hinweisen. Damit ist eine revisionsgerichtliche Überprüfung, ob das in der Hauptverhandlung erstattete Gutachten, das eine Inbrandsetzung der Gartenlaube ausgeschlossen hat, zutreffend zu einem anderen Ergebnis als das vorbereitende Gutachten gelangt ist, nicht möglich.
21
2. Das Urteil beruht auch auf den aufgezeigten Darstellungs- und Beweiswürdigungsmängeln ; der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung und der gebotenen wertenden Gesamtschau aller be- und entlastenden Indizien die Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten gewonnen hätte.
22
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass gegen eine Verwertbarkeit der Einlassung des Angeklagten in seiner haftrichterlichen Beschuldigtenvernehmung vom 12. Juni 2011 (UA S. 28), deren Nicht- verwertung die Revision mit einer Inbegriffsrüge (§ 261 StPO) beanstandet hat, nach bisherigem Stand keine durchgreifenden Bedenken ersichtlich sind.

III.


23
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Zuerkennung von Haftentschädigung ist damit gegenstandslos.
Sander Schneider Berger
Bellay Feilcke

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 292/15
vom
2. Dezember 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
ECLI:DE:BGH:2015:021215U1STR292.15.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 2. Dezember 2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum, der Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Jäger, die Richterin am Bundesgerichtshof Cirener, der Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Mosbacher und die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer, Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt , Rechtsanwalt und Rechtsanwalt als Verteidiger, Rechtsanwalt als Vertreter für den Nebenkläger G. und Rechtsanwältin als Vertreterin für die Nebenklägerin M. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 19. Januar 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Totschlags an seiner Ehefrau aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger mit ihren auf die Sachrüge, die Nebenkläger zusätzlich auf eine Verfahrensrüge, gestützten Revisionen. Mit der sofortigen Beschwerde wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen die Entscheidung über die Entschädigung des Angeklagten. Alle drei Revisionen haben schon mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
1. Die Anklage legt dem Angeklagten zur Last, am 4. Dezember 2013 unmittelbar nach 12.37 Uhr im von den Eheleuten gemeinsam bewohnten Anwesen in E. seine Ehefrau tätlich angegriffen und getötet zu haben, indem er ihr mit stumpfer Gewalteinwirkung Brüche der dritten und vierten Rippe im rechten Brustkorb, Blutungen im Bereich des Rippenfells und des Mittelfell- raums sowie Blutergüsse am Kopf, an der rechten Schulter, an der linken Brustdrüse sowie an beiden Armen zufügte und ihr dann den Hals komprimierte bzw. ihr Mund und Nase zuhielt und sie so erstickte.
3
2. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
4
a) Am 4. Dezember 2013 nach 12.37 Uhr wurde die Ehefrau des Angeklagten im von den Eheleuten gemeinsam bewohnten Anwesen in E. durch mindestens 30 Faustschläge und weitere Tätlichkeiten von einer unbekannten Person, nicht ausschließbar dem Angeklagten, erheblich verletzt und dann getötet. Sie erlitt unter anderem Brüche der dritten und vierten Rippe im rechten Brustkorb, eine Vielzahl von Blutergüssen, vornehmlich auf den Händen und im Kopfbereich, nicht zuletzt auch eine blutende Wunde, verursacht durch eine Hautaufplatzung auf Höhe der linken Augenbraue. Todesursächlich war jedoch ein Erstickungs- bzw. Würgevorgang, der im Zusammenhang mit den Tätlichkeiten am Opfer vorgenommen wurde und spätestens gegen 18.00 Uhr desselben Tages zum Tode führte.
5
b) Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Tat könne ihm nicht nachgewiesen werden. Der Angeklagte habe für die Zeit zwischen 12.37 bis etwa 13.20 Uhr zwar kein Alibi, habe sich am Tattag teils sonderbar verhalten und zum Alkoholkonsum seiner Ehefrau teils widersprüchliche Angaben gemacht; auch Konfliktthemen für einen Streit könnten nicht ausgeschlossen werden, wobei sich keine konkreten Anhaltspunkte ergeben hätten, dass ein bestimmtes Thema tatsächlich eskaliert sei. Letztendlich aber sei entscheidend, dass eine objektiv hohe Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung durch den Angeklagten nicht habe nachgewiesen werden können.
6
Viele Gesichtspunkte seien einer unterschiedlichen Betrachtung zugänglich ; solche, die den Angeklagten eindeutig belasteten, lägen jedoch nicht vor. Die Vorgehensweise des Täters bei der Auseinandersetzung mit einer Vielzahl von Faustschlägen und bei der Tötung weise zwar auf das Vorhandensein von Emotionen beim Täter hin und spräche zunächst für einen Täter im sozialen Umfeld. Jedoch komme nicht nur der Angeklagte als Täter in Betracht. Es habe auch ein großes Konfliktpotenzial mit anderen Personen aus dem sozialen Nahbereich bestanden, insbesondere mit Familienmitgliedern im weiteren Sinne. Auch sei nur wenig bekannt, wie die Verstorbene ihre Freizeit verbracht habe. Nach Überzeugung der Kammer könnten deshalb Fremdtäter nicht ausgeschlossen werden. Da endgültig eine objektiv hohe Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung durch den Angeklagten nicht habe nachgewiesen werden können, habe die Kammer keine sichere Überzeugung von seiner Täterschaft gewinnen können, obwohl er als möglicher Täter nicht ausscheide.

II.


7
Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil sich die ihm zugrundeliegende Beweiswürdigung als nicht tragfähig erweist. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht an.
8
1. Das Urteil lässt die erforderliche Gesamtwürdigung des Beweisstoffs vermissen.
9
a) Ist eine Vielzahl einzelner Erkenntnisse angefallen, so ist eine Gesamtwürdigung vorzunehmen (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. Februar 2002 – 1 StR 513/01, NJW 2002, 2188, 2189). Erst sie entscheidet letztlich darüber, ob der Richter die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten und den sie tragenden Feststellungen gewinnt. Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtschau dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln. Beweisanzeichen können nämlich in einer Gesamtschau wegen ihrer Häufung und gegenseitigen Durchdringung die Überzeugung von der Richtigkeit eines Vorwurfs begründen (vgl. Senat, Urteil vom 6. Februar 2002 – 1 StR 513/01, NJW 2002, 2188, 2189). Der Beweiswert einzelner Indizien ergibt sich zudem regelmäßig erst aus dem Zusammenhang mit anderen Indizien, weshalb der Inbezugsetzung der Indizien zueinander im Rahmen der Gesamtwürdigung besonderes Gewicht zukommt.
10
b) Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht gerecht. Statt die Indizien mit ihrem jeweiligen Beweiswert in die Gesamtwürdigung einzustellen, spricht das Landgericht einzelnen Umständen insgesamt einen belastenden Beweiswert mit der Begründung ab, diese seien keine „sicheren“, „eindeutig belastenden“ oder „zweifelsfrei belastenden“ Indizienfür die Täterschaft des Angeklagten (vgl. UA S. 46, 49, 50, 53, 80, 81, 97, 108). Damit hat das Landgericht rechtsfehlerhaft einzelne Beweisergebnisse als „nicht eindeutig belastende“ Indizien aus der Beweiswürdigungvorschnell ausgeschieden , anstatt die einzelnen Beweisanzeichen mit dem ihnen zukommenden Gewicht, also mit den ihnen innewohnenden belastenden und entlastenden Aspekten, in Beziehung zu setzen und im Zusammenhang mit anderen Beweisanzeichen zu bewerten. Statt einer umfassenden Würdigung aller im Urteil dargelegten Beweisergebnisse bestätigt die Strafkammer in ihrer „Zusammen- fassung“ (UA S. 124) lediglich das zuvor bei den Einzelindizien gefundene Ergebnis , indem sie darauf verweist, dass „wie sich ergab und ausgeführt wurde“, keine wesentlichen Gesichtspunkte gefunden werden konnten, welche den Angeklagten eindeutig belasteten.
11
2. Das Urteil beruht auch auf dem Rechtsfehler. Zwar ist in vorliegendem Fall nicht von der Hand zu weisen, dass sich die Beweislage infolge polizeilicher Ermittlungsfehler (dem Angeklagten wurde etwa vor einer Sicherung der Spuren erlaubt, den Tatort zu reinigen) als schwierig darstellt. Ob der weitere Verfahrensgang zu einer Verurteilung oder einem Freispruch führen wird, ist gleichwohl angesichts der Beweislage offen.

III.


12
Durch die Aufhebung des freisprechenden Urteils wird die damit verknüpfte Entschädigungsentscheidung (§ 8 Abs. 1 Satz 1 StrEG) und die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegenstandslos (BGH, Urteile vom 25. April 2013 – 4 StR 551/12 und vom 25. März 2010 – 1 StR 601/09). Raum Jäger Cirener Mosbacher Fischer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 435/15
vom
21. April 2016
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:210416B2STR435.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 21. April 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 12. Mai 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Miss1 brauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in 40 Fällen, sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in zwei Fällen und sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in 40 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf eine Verfahrensrüge und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
2
1. Der Angeklagte lebte von 1992 bis Oktober 2000 zusammen mit der
3
Zeugin S. Sc. und ihren Kindern Sa. und M. Sc. , die aus einer früheren Beziehung der Zeugin stammten, sowie den gemeinsamen Kindern K. , R. und A. . Vor dem Hintergrund des Verdachts, dass der Angeklagte Sa. Sc. sexuell missbraucht habe, trennte sich die Zeugin S. Sc. von ihm. Es entstand ein heftiger Streit um das Sorgerecht für die Kinder K. und R. , der schließlich im Jahre 2001 zugunsten des Angeklagten entschieden wurde. Das gegen ihn geführte Strafverfahren wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil von Sa. Sc. wurde gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Danach beging der Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts die abgeurteilten Taten: An zwei Tagen im Zeitraum zwischen dem 16. August 2003 und dem
4
16. August 2004 missbrauchte der Angeklagte seine damals zehnjährige Tochter K. , indem er sein Geschlechtsteil mit Nutella bestrich und das Kind aufforderte, dieses mit der Zunge abzulecken. K. Sc. wollte dies nicht und benutzte ihre Finger, um die Schokoladencreme vom Penis des Angeklagten abzustreifen (Fälle II.1. und II.2. der Urteilsgründe). Im Zeitraum zwischen dem 16. August 2003 und dem 15. August 2007 vollzog der Angeklagte in 40 Fällen den vaginalen Geschlechtsverkehr mit K. (Fälle II.3. bis II.42. der Urteilsgründe) und nach deren 14. Geburtstag bis zum 30. Juni 2011 in weiteren 40 Fällen (Fälle II.43. bis II.82. der Urteilsgründe).
5
2. K. Sc. äußerte erstmals im Jahr 2006 gegenüber ihrer Großmutter Mü. , dass der Angeklagte sie sexuell missbraucht habe. Ab Oktober 2011 hatte K. eine erste intime Beziehung mit einem Freund, einen Portugiesen namens P. . Diesem erzählte sie jedoch nichts von den vorangegangenen sexuellen Übergriffen ihres Vaters. Im Mai 2012 berichtete sie jedoch ihrer Freundin H. davon. Diese veranlasste K. Sc. dazu, den Kinder- und Jugendschutzdienst „ “ aufzusu- chen, bei dem sie durch die Psychologin L. beraten wurde. Am nächsten Tag rief H. im Beisein von K. Sc. deren Halbschwester Sa. an und fragte sie, ob die früher erhobenen Vorwürfe eines sexuellen Missbrauchs durch den Angeklagten zu ihrem Nachteil zutreffend seien. Sa. bejahte dies. Hierauf entschloss sich K. Sc. , eine Strafanzeige gegen ihren Vater zu erstatten. Am 4. und 10. Mai 2012 wurde sie polizeilich vernommen. Am 19. November 2012 erfolgte eine Vernehmung durch den Ermittlungsrichter, bei der ihr zunächst das Protokoll ihrer ersten polizeilichen Vernehmung vollständig vorgelesen wurde; das Protokoll der zweiten polizeilichen Vernehmung las sie anschließend selbst. Danach machte sie ergänzende Angaben. Das Landgericht beauftragte eine aussagepsychologische Sachverständige mit der Überprüfung der Glaubhaftigkeit der Angaben; diese führte am 20. Mai 2014 und am 1. Juli 2014 Explorationsgespräche durch. In der Hauptverhandlung machte K. Sc. Angaben, die in die Feststellungen eingeflossen sind. Bei dieser Vernehmung in der Hauptverhandlung wurde ihr das Protokoll der polizeilichen Vernehmung ihrer inzwischen verstorbenen Großmutter Mü. vorgehalten. 3. Der Angeklagte hat die Tatbegehung bestritten. Er hat behauptet,
6
dass K. Sc. ihn aus Rache zu Unrecht belaste, denn er habe ihr kein Geld für die Reise zu ihrem Freund P. gegeben, nachdem dieser nach Portugal zurückgekehrt war. Darauf sei sie zu ihrer Freundin H. gegangen , die eigene Missbrauchserfahrungen gehabt habe. Von dieser sei sie zur Strafanzeige gedrängt worden. Die früheren Vorwürfe eines sexuellen Missbrauchs zum Nachteil von Sa. Sc. seien auch zu Unrecht erhoben worden; daraus habe seine Tochter K. gelernt, dass man mit einer Missbrauchsbehauptung ohne weiteres „durchkomme“. Das sachverständig beratene Landgericht ist den Angaben der Zeugin
7
K. Sc. gefolgt. Für deren Richtigkeit spreche die Entstehungsge- schichte der Aussage. Zwar habe es „gewisse Widersprüche“ zwischen ihrer Aussage über die Umstände der ersten Offenbarung und den diesbezüglichen Angaben der Großmutter bei deren polizeilicher Vernehmung gegeben. Jedoch bestehe jedenfalls Übereinstimmung dahin, dass es damals ein Gespräch über sexuellen Missbrauch durch den Angeklagten gegeben habe. Das Aussageverhalten von K. Sc. spreche ebenfalls für die Richtigkeit ihrer Angaben , die verschiedene Realkennzeichen aufwiesen. Ein Falschaussagemotiv sei hingegen nicht anzunehmen. Auch für eine suggestive Beeinflussung be- stünden keine Anhaltspunkte. Die Konstanz ihrer Angaben sei „hoch einzuschätzen“. Die Aussage der Zeugin Sa. He. (früher Sc. ) in der Hauptverhandlung , wonach sie selbst vom Angeklagten missbraucht worden sei, stelle ein weiteres Indiz für die Glaubhaftigkeit der Angaben von K. Sc. dar, auch wenn sie mit Zurückhaltung gewürdigt werden müsse, weil das diesbezügliche Strafverfahren gegen den Angeklagten eingestellt worden sei. Die Aussagen der Zeugin R. Sc. , die bekundet hatte, dass ihre Schwester K. „sich nur noch für Sex und Geld interessiert“ habe, seit sie den Freund P. gehabt habe, seien dagegen „für die Wahrheitsfindung wertlos.“

II.


8
Die Revision ist mit der Sachrüge begründet, sodass es auf die Verfahrensrüge des Angeklagten nicht ankommt, mit welcher er die fehlende Begründung seines Ausschlusses von der Anwesenheit bei der ermittlungsrichterlichen Vernehmung seiner Tochter K. , das damalige Fehlen einer Verteidigung und die Einflussnahme auf das Erinnerungsvermögen der Zeugin durch die Art der Durchführung dieser Vernehmung beanstandet. Die Beweiserhebung des Landgerichts begegnet durchgreifenden recht9 lichen Bedenken. 1. Das Landgericht hat die Aussage der Zeugin Sa. He. (früher
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Sc. ) über sexuellen Missbrauch durch den Angeklagten zu ihrem Nachteil als belastendes Indiz gewertet. Es hat aber nicht erörtert, warum das diesbezügliche Strafverfahren eingestellt wurde und warum es - gemessen an den Einstellungsgründen - die nunmehr gemachte Aussage der Zeugin letztlich als zutreffend angesehen hat. Zwar könnte die Tatsache, dass der Angeklagte früher vergleichbare Ta11 ten begangen hatte, gegebenenfalls ein Indiz für die Begehung der verfahrensgegenständlichen Taten sein. Eine Indiztatsache, die den Ausgangspunkt für eine Schlussfolgerung im Rahmen einer Beweiskette bildet, muss aber feststehen , wenn sie als belastender Umstand gewertet werden soll (vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 1974 - 3 StR 303/73, NJW 1974, 654, 655; Urteil vom 31. Oktober 1989 - 1 StR 419/89, BGHSt 36, 286, 290; s.a.

BeckOK/Eschelbach, StPO, 24. Ed., § 261 Rn. 11.2; Liebhardt NStZ 2016, 134, 136; Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 53. Aufl., § 261 Rn. 29; LR/Sander, StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 114; Schäfer StV 1995, 147, 150; krit. KK/Ott, StPO, 7. Aufl., § 261 Rn. 54; zur Differenzierung nach Indizien in einer Beweiskette oder einem Beweisring etwa SK/Velten, StPO, 4. Aufl., § 261 Rn. 93). Um sich in rechtsfehlerfreier Weise eine sichere Überzeugung von der
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Richtigkeit der Indiztatsache zu bilden, hätte das Landgericht deshalb die Bedenken , die zur Einstellung des Strafverfahrens wegen sexuellen Missbrauchs zum Nachteil von Sa. He. geführt hatten, prüfen und ausräumen müssen. 2. Das Landgericht hat auch die Angaben der später verstorbenen
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Großmutter der Nebenklägerin bei deren polizeilichen Vernehmung in rechtlich zu beanstandender Weise beurteilt. Die Angaben der Großmutter hat es nach den Urteilsgründen zwar zu Vorhalten gegenüber K. Sc. verwendet. Es hat damit jedoch den Inhalt der Aussage der Großmutter nicht in die Hauptverhandlung einführen können; denn ein Vorhalt ist für sich genommen keine Beweiserhebung im Strengbeweisverfahren (vgl. SK/Velten, StPO, § 261 Rn. 62). Kam den Angaben der Großmutter - sei es als Belastungsindiz oder Entlastungsindiz - eine Beweisbedeutung zu, wäre es geboten gewesen, diese prozessordnungsgemäß einzuführen und im Urteil näher zu erörtern. 3. Die Annahme einer hohen Aussagekonstanz der Angaben der Neben14 klägerin ist ebenfalls rechtsfehlerhaft. Das Landgericht hat nicht erkennbar berücksichtigt , dass durch Vorlesen des Protokolls über die erste polizeiliche Vernehmung und die eigene Lektüre des Protokolls über die zweite polizeiliche Vernehmung durch die Nebenklägerin beim Ermittlungsrichter Einfluss auf de- ren Erinnerung genommen wurde. Eine Erinnerung an selbst erlebtes Geschehen und die Erinnerung an den Inhalt einer Äußerung hierüber kann sich nach einer derartigen Konfrontation mit Vernehmungsprotokollen so vermischt haben , dass bei späteren Befragungen eine Unterscheidung erschwert oder unmöglich gemacht wurde. Praktisch jede Aktivierung des Gedächtnisinhalts führt schließlich auch zu dessen Konsolidierung (vgl. Köhnken in Widmaier/ Müller/Schlothauer, Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, 2. Aufl., § 61 Rn. 90). Deshalb hätte das Landgericht erläutern müssen, worin gegebenenfalls eine von der Protokollverlesung und Eigenlektüre unbeeinflusste Konstanz verschiedener Aussagen der Nebenklägerin gesehen wurde und welche Bedeutung ihrer Konfrontation mit dem Inhalt der früheren Angaben für die späteren Angaben bei der Exploration und der Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung zuzumessen ist. 4. Die Urteilsgründe lassen schließlich besorgen, dass das Landgericht
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keine erschöpfende Gesamtwürdigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände vorgenommen hat, die bei einer problematischen Beweislage , wie sie hier vorliegt, stets geboten ist (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Juli 2014 - 2 StR 94/14, StV 2014, 720).
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So sind Aspekte, die gegen die Richtigkeit der Missbrauchsvorwürfe sprechen können, wie die Einstellung des Strafverfahrens gegen den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs zum Nachteil von Sa. Sc. , die Zuweisung des elterlichen Sorgerechts für die Kinder K. und R. an den Angeklagten trotz dieses Vorwurfs, die vom Landgericht angenommenen Widersprüche zwischen den Angaben der Nebenklägerin und denjenigen ihrer Großmutter, ferner die Behauptung der Schwester R. , K. Sc. sei seit Beginn der Freundschaft mit P. „nur noch an Sex und Geld interes- siert“ gewesen, und einzelne Abweichungen in den verschiedenen Aussagen der Nebenklägerin nicht in eine Gesamtschau eingestellt worden. Sie hätten angesichts der schrittweisen Entwicklung der Aussage unter Einschaltung verschiedener anderer Personen (vgl. zu dieser Problematik Kröber FPPK 2013, 240, 244 ff.; s.a. Volbert/Steller, Die Begutachtung der Glaubhaftigkeit, in Venzlaff /Foerster/Dreßing/Habermeyer, Psychiatrische Begutachtung, 6. Aufl., S. 683, 700) jedoch auch insgesamt gegen die Glaubhaftigkeitskriterien, die für einen Erlebnisbezug der Aussagen sprechen, abgewogen werden müssen.
Fischer Appl Eschelbach Ott Bartel