Bundesgerichtshof Urteil, 02. Dez. 2015 - 1 StR 292/15

ECLI:ECLI:DE:BGH:2015:021215U1STR292.15.0
bei uns veröffentlicht am02.12.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 292/15
vom
2. Dezember 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
ECLI:DE:BGH:2015:021215U1STR292.15.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 2. Dezember 2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum, der Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Jäger, die Richterin am Bundesgerichtshof Cirener, der Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Mosbacher und die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer, Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt , Rechtsanwalt und Rechtsanwalt als Verteidiger, Rechtsanwalt als Vertreter für den Nebenkläger G. und Rechtsanwältin als Vertreterin für die Nebenklägerin M. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 19. Januar 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Totschlags an seiner Ehefrau aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger mit ihren auf die Sachrüge, die Nebenkläger zusätzlich auf eine Verfahrensrüge, gestützten Revisionen. Mit der sofortigen Beschwerde wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen die Entscheidung über die Entschädigung des Angeklagten. Alle drei Revisionen haben schon mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
1. Die Anklage legt dem Angeklagten zur Last, am 4. Dezember 2013 unmittelbar nach 12.37 Uhr im von den Eheleuten gemeinsam bewohnten Anwesen in E. seine Ehefrau tätlich angegriffen und getötet zu haben, indem er ihr mit stumpfer Gewalteinwirkung Brüche der dritten und vierten Rippe im rechten Brustkorb, Blutungen im Bereich des Rippenfells und des Mittelfell- raums sowie Blutergüsse am Kopf, an der rechten Schulter, an der linken Brustdrüse sowie an beiden Armen zufügte und ihr dann den Hals komprimierte bzw. ihr Mund und Nase zuhielt und sie so erstickte.
3
2. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
4
a) Am 4. Dezember 2013 nach 12.37 Uhr wurde die Ehefrau des Angeklagten im von den Eheleuten gemeinsam bewohnten Anwesen in E. durch mindestens 30 Faustschläge und weitere Tätlichkeiten von einer unbekannten Person, nicht ausschließbar dem Angeklagten, erheblich verletzt und dann getötet. Sie erlitt unter anderem Brüche der dritten und vierten Rippe im rechten Brustkorb, eine Vielzahl von Blutergüssen, vornehmlich auf den Händen und im Kopfbereich, nicht zuletzt auch eine blutende Wunde, verursacht durch eine Hautaufplatzung auf Höhe der linken Augenbraue. Todesursächlich war jedoch ein Erstickungs- bzw. Würgevorgang, der im Zusammenhang mit den Tätlichkeiten am Opfer vorgenommen wurde und spätestens gegen 18.00 Uhr desselben Tages zum Tode führte.
5
b) Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Tat könne ihm nicht nachgewiesen werden. Der Angeklagte habe für die Zeit zwischen 12.37 bis etwa 13.20 Uhr zwar kein Alibi, habe sich am Tattag teils sonderbar verhalten und zum Alkoholkonsum seiner Ehefrau teils widersprüchliche Angaben gemacht; auch Konfliktthemen für einen Streit könnten nicht ausgeschlossen werden, wobei sich keine konkreten Anhaltspunkte ergeben hätten, dass ein bestimmtes Thema tatsächlich eskaliert sei. Letztendlich aber sei entscheidend, dass eine objektiv hohe Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung durch den Angeklagten nicht habe nachgewiesen werden können.
6
Viele Gesichtspunkte seien einer unterschiedlichen Betrachtung zugänglich ; solche, die den Angeklagten eindeutig belasteten, lägen jedoch nicht vor. Die Vorgehensweise des Täters bei der Auseinandersetzung mit einer Vielzahl von Faustschlägen und bei der Tötung weise zwar auf das Vorhandensein von Emotionen beim Täter hin und spräche zunächst für einen Täter im sozialen Umfeld. Jedoch komme nicht nur der Angeklagte als Täter in Betracht. Es habe auch ein großes Konfliktpotenzial mit anderen Personen aus dem sozialen Nahbereich bestanden, insbesondere mit Familienmitgliedern im weiteren Sinne. Auch sei nur wenig bekannt, wie die Verstorbene ihre Freizeit verbracht habe. Nach Überzeugung der Kammer könnten deshalb Fremdtäter nicht ausgeschlossen werden. Da endgültig eine objektiv hohe Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung durch den Angeklagten nicht habe nachgewiesen werden können, habe die Kammer keine sichere Überzeugung von seiner Täterschaft gewinnen können, obwohl er als möglicher Täter nicht ausscheide.

II.


7
Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand, weil sich die ihm zugrundeliegende Beweiswürdigung als nicht tragfähig erweist. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht an.
8
1. Das Urteil lässt die erforderliche Gesamtwürdigung des Beweisstoffs vermissen.
9
a) Ist eine Vielzahl einzelner Erkenntnisse angefallen, so ist eine Gesamtwürdigung vorzunehmen (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. Februar 2002 – 1 StR 513/01, NJW 2002, 2188, 2189). Erst sie entscheidet letztlich darüber, ob der Richter die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten und den sie tragenden Feststellungen gewinnt. Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtschau dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln. Beweisanzeichen können nämlich in einer Gesamtschau wegen ihrer Häufung und gegenseitigen Durchdringung die Überzeugung von der Richtigkeit eines Vorwurfs begründen (vgl. Senat, Urteil vom 6. Februar 2002 – 1 StR 513/01, NJW 2002, 2188, 2189). Der Beweiswert einzelner Indizien ergibt sich zudem regelmäßig erst aus dem Zusammenhang mit anderen Indizien, weshalb der Inbezugsetzung der Indizien zueinander im Rahmen der Gesamtwürdigung besonderes Gewicht zukommt.
10
b) Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht gerecht. Statt die Indizien mit ihrem jeweiligen Beweiswert in die Gesamtwürdigung einzustellen, spricht das Landgericht einzelnen Umständen insgesamt einen belastenden Beweiswert mit der Begründung ab, diese seien keine „sicheren“, „eindeutig belastenden“ oder „zweifelsfrei belastenden“ Indizienfür die Täterschaft des Angeklagten (vgl. UA S. 46, 49, 50, 53, 80, 81, 97, 108). Damit hat das Landgericht rechtsfehlerhaft einzelne Beweisergebnisse als „nicht eindeutig belastende“ Indizien aus der Beweiswürdigungvorschnell ausgeschieden , anstatt die einzelnen Beweisanzeichen mit dem ihnen zukommenden Gewicht, also mit den ihnen innewohnenden belastenden und entlastenden Aspekten, in Beziehung zu setzen und im Zusammenhang mit anderen Beweisanzeichen zu bewerten. Statt einer umfassenden Würdigung aller im Urteil dargelegten Beweisergebnisse bestätigt die Strafkammer in ihrer „Zusammen- fassung“ (UA S. 124) lediglich das zuvor bei den Einzelindizien gefundene Ergebnis , indem sie darauf verweist, dass „wie sich ergab und ausgeführt wurde“, keine wesentlichen Gesichtspunkte gefunden werden konnten, welche den Angeklagten eindeutig belasteten.
11
2. Das Urteil beruht auch auf dem Rechtsfehler. Zwar ist in vorliegendem Fall nicht von der Hand zu weisen, dass sich die Beweislage infolge polizeilicher Ermittlungsfehler (dem Angeklagten wurde etwa vor einer Sicherung der Spuren erlaubt, den Tatort zu reinigen) als schwierig darstellt. Ob der weitere Verfahrensgang zu einer Verurteilung oder einem Freispruch führen wird, ist gleichwohl angesichts der Beweislage offen.

III.


12
Durch die Aufhebung des freisprechenden Urteils wird die damit verknüpfte Entschädigungsentscheidung (§ 8 Abs. 1 Satz 1 StrEG) und die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegenstandslos (BGH, Urteile vom 25. April 2013 – 4 StR 551/12 und vom 25. März 2010 – 1 StR 601/09). Raum Jäger Cirener Mosbacher Fischer

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 02. Dez. 2015 - 1 StR 292/15

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 02. Dez. 2015 - 1 StR 292/15

Referenzen - Gesetze

Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen - StrEG | § 8 Entscheidung des Strafgerichts


(1) Über die Verpflichtung zur Entschädigung entscheidet das Gericht in dem Urteil oder in dem Beschluß, der das Verfahren abschließt. Ist die Entscheidung in der Hauptverhandlung nicht möglich, so entscheidet das Gericht nach Anhörung der Beteiligte
Bundesgerichtshof Urteil, 02. Dez. 2015 - 1 StR 292/15 zitiert 1 §§.

Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen - StrEG | § 8 Entscheidung des Strafgerichts


(1) Über die Verpflichtung zur Entschädigung entscheidet das Gericht in dem Urteil oder in dem Beschluß, der das Verfahren abschließt. Ist die Entscheidung in der Hauptverhandlung nicht möglich, so entscheidet das Gericht nach Anhörung der Beteiligte

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Referenzen

Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja zu A 1 + 2
Veröffentlichung: ja
_____________________________
§ 246 StGB ist nicht nur gegenüber Zueignungsdelikten subsidiär (im Anschluß an
BGHSt 43, 237).
BGH, Urt. vom 6. Februar 2002 - 1 StR 513/01 - LG Heidelberg

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 513/01
vom
6. Februar 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
6. Februar 2002, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Nack,
Dr. Wahl,
Schluckebier,
Dr. Kolz,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt und
Rechtsanwältin
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 5. Juli 2001 wird mit der Maßgabe verworfen , daß der Angeklagte wegen Totschlags zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt ist. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. 2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:


Der Angeklagte wurde wegen Totschlags in Tatmehrheit mit Unterschlagung zu zwölf Jahren und einem Monat Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Hiergegen wenden sich die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft jeweils mit der Sachrüge.
Die nicht näher ausgeführte Revision des Angeklagten hat nur hinsichtlich der Verurteilung wegen Unterschlagung Erfolg. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist darauf beschränkt, daû der Angeklagte nicht wegen Mordes, sondern nur wegen Totschlags verurteilt wurde. Sie führt zur Aufhebung des Urteils insgesamt.

A.


Zur Revision des Angeklagten.
1. Der Angeklagte hat am 8. September 2000 einen Landsmann erstochen und anschlieûend dessen Mobiltelefon und dessen Geldbeutel an sich genommen. Unter Anwendung des Zweifelssatzes ist die Strafkammer davon ausgegangen, daû er sich erst zur Wegnahme entschlossen hat, als er sein Opfer erstochen hatte. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt bei dieser Fallgestaltung Tateinheit zwischen dem Tötungsdelikt und dem Vermögensdelikt vor; der Zweifelssatz, der zur Verneinung von Mord aus Habgier führte, ist bei der Beurteilung der Konkurrenzen nochmals heranzuziehen (BGH b. Holtz MDR 1990, 676; BGHR StGB § 52 Abs. 1 in dubio pro reo 4 m. w. N.).
2. Ein Schuldspruch wegen Totschlags in Tateinheit mit Unterschlagung kommt dennoch nicht in Betracht.
Eine Verurteilung wegen Unterschlagung setzt nach der durch das 6. StrRG in § 246 StGB eingefügten Subsidiaritätsklausel voraus, daû die Tat nicht in anderen Vorschriften mit höherer Strafe bedroht ist. Eine ("die") Tat in
diesem Sinne liegt bei Tateinheit (§ 52 StGB) regelmäûig vor (vgl. Noak, Drittzueignung und 6. StrRG S. 109). Daû die Annahme von Tateinheit hier auf der Anwendung des Zweifelssatzes beruht, ist dabei ohne Belang.
Der Senat hat erwogen, ob die Subsidiaritätsklausel hier deshalb nicht anwendbar ist, weil es sich bei der Vorschrift mit höherer Strafandrohung um Totschlag und nicht um ein Zueignungsdelikt handelt (hierfür etwa Tröndle/ Fischer StGB 50. Aufl. § 246 Rdn. 29; Eser in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 246 Rdn. 32 jew. m. w. N.; in vergleichbarem Sinne auch Rudolphi in JZ 1998, 471, 472).
Unbeschadet der Frage, ob ein derartiges Ergebnis zweckmäûig sein könnte, ist dies zu verneinen.

a) Eine solche Einschränkung der Subsidiaritätsklausel wäre mit dem Wortlaut des Gesetzes, dessen möglicher Wortsinn die äuûerste Grenze der Auslegung strafrechtlicher Bestimmungen zum Nachteil des Angeklagten markiert (BGHSt 43, 237, 238 m. w. N. zur identischen Subsidiaritätsklausel des § 125 StGB), unvereinbar. Daher gilt die Subsidiaritätsklausel des § 246 StGB für alle Delikte mit höherer Strafdrohung (ebenso Laufhütte/Kuschel in LK 11. Aufl. § 246 Rdnr. 9; Lackner/Kühl StGB 24. Aufl. § 246 Rdn. 14; Sander/Hohmann NStZ 1998, 273, 276; Noak, aaO S. 110; Wagner in Festschrift für Grünwald, S. 797, 800 ff; vgl. auch Otto, Jura 1998, 550, 551).

b) Eine Gegenüberstellung der Subsidiaritätsklauseln, die durch das 6. StrRG in § 246 StGB und in § 265 StGB eingefügt worden sind, bestätigt dieses Ergebnis:
§ 265 StGB enthält jetzt eine spezielle Subsidiaritätsklausel ("wenn die Tat nicht in § 263 mit Strafe bedroht ist"), deren Wortlaut demjenigen spezieller Subsidiaritätsklauseln anderer Strafbestimmungen (§§ 145, 145d, 202, 218c, 316 StGB) angeglichen ist. Die gleichzeitig in § 246 StGB eingefügte allgemeine Subsidiaritätsklausel kann danach nur so verstanden werden, daû sie auch allgemein gilt, Unterschlagung also hinter sämtlichen Vorschriften mit höherer Strafdrohung zurücktritt (Wagner aaO S. 800).

c) Der Senat verkennt bei alledem nicht, daû § 246 StGB nach den Materialien zum 6. StrRG alle Formen der rechtswidrigen Zueignung erfassen soll, die nicht einen mit schwererer Strafe bedrohten eigenständigen Straftatbestand erfüllen; beispielhaft sind Diebstahl, Raub, Erpressung und Hehlerei angeführt (BTDrucks. 13/8587, 43 f; hierzu im einzelnen Wagner aaO S. 797 f, 800). Danach läge die Annahme nahe, daû § 246 StGB nur hinter mit schwererer Strafe bedrohten Zueignungsdelikten subsidiär sein soll. Da ein solcher Wille des Gesetzgebers im Wortlaut des Gesetzes aber nicht zum Ausdruck gebracht ist (Kritik an der Gesetzesfassung etwa bei Otto aaO und Wagner aaO S. 810), kann er nicht Grundlage einer mit dem Wortlaut des Gesetzes unvereinbaren Auslegung des Gesetzes zum Nachteil des Angeklagten sein (vgl. BGHSt 42, 291, 293).
3. Der Senat ändert daher den Schuldspruch, der im übrigen keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten enthält, dahin ab, daû die Verur-
teilung wegen Unterschlagung entfällt, und erkennt auf die ebenfalls ohne Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten festgesetzte Einzelstrafe wegen Totschlags (vgl. BGH b. Holtz MDR 1990, 676).
4. Der geringe Teilerfolg der Revision des Angeklagten hat auf die Kostenentscheidung keinen Einfluû (§ 473 Abs. 4 StPO).

B.


Zur Revision der Staatsanwaltschaft.
Das auch vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg. Die Mordmerkmale Habgier und niedrige Beweggründe sind nicht mit rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung verneint.

I.


1. Zu den Hintergründen der Tat, ihrem Ablauf sowie dem übrigen Geschehen am Tattag hat die Strafkammer folgendes festgestellt:
Der Angeklagte, ein gebürtiger Vietnamese, hatte von sich aus seine Arbeit im Betrieb seines Bruders in K. aufgegeben und hielt sich statt dessen vor allem in Spielhallen auf, wurde aber zumindest zeitweilig noch von seiner Familie finanziell unterstützt. Ein Freund der Familie, der an den Rollstuhl gefesselte Wissenschaftler H. , hatte dem Angeklagten 10.000 DM geliehen, damit er sich am Kauf eines Pkws durch die Familie beteiligen konnte. Auûerdem hatte er ihm eine Lehrstelle an der Universität He. ver-
mittelt. Der Angeklagte trat sie jedoch nicht an und behauptete sowohl gegenüber H. als auch gegenüber seiner Familie, er habe in Düsseldorf eine Lehre begonnen. Tatsächlich hielt er sich weiterhin vor allem in Spielhallen auf, bekam daher finanzielle Probleme und verbrauchte das Darlehen. Als H. von einer Schwester des Angeklagten erfuhr, daû dieser sich nicht an den Kosten des Pkws beteiligt hatte, forderte er vom Angeklagten über die Schwester wenigstens einen Teil des Darlehens zurück. Der Angeklagte konnte nicht zahlen und beschloû, H. in dessen Wohnung in N. aufzusuchen. Da er zwar Auto fahren kann, aber keinen Führerschein hat, forderte der Angeklagte seinen Bekannten L. auf, ihn zu begleiten. Als Grund der Reise gab er wahrheitswidrig an, er wolle einen Computer abholen. Der Angeklagte fuhr daher am Tattag in Begleitung L. s in einem seiner Familie gehörenden Pkw in Richtung N. . Nachdem man unterwegs in eine Polizeikontrolle geraten war, übergab der Angeklagte anschlieûend das Steuer an L. . In N. veranlaûte er ihn mit der bewuût falschen Behauptung, näher am Wohnhaus des H. könne man nicht parken, den Pkw in einiger Entfernung abzustellen und auf ihn zu warten.
In der Hoffnung, H. werde ihm einen Ausweg zeigen, legte der Angeklagte diesem in der Wohnung sein Lügengebäude offen. Als H. ihm jedoch Vorhalte machte, befürchtete er, daû nun auch gegenüber seiner Familie seine Lügen offenbar würden. Dies hätte nach seiner Vorstellung sowohl für ihn als auch für seine Familie groûe Schande bedeutet. Hierüber geriet er in völlige Verzweiflung, ergriff spontan ein H. gehörendes Messer und tötete ihn mit zahlreichen Stichen. Anschlieûend kam ihm die Idee, Geldbeutel und Mobiltelefon an sich zu nehmen. Auûerdem reinigte er sich und beseitigte das Tatmesser, das seither nicht aufgefunden werden konnte. Äu-
ûerlich ruhig begab er sich zum Pkw, wo er L. eingehend erklärte, warum er jetzt doch keinen Computer mitbrächte. Auf der anschlieûenden Rückfahrt entledigte er sich des Mobiltelefons; dessen Besitz war ihm verräterisch erschienen , nachdem es geklingelt hatte. Nach einem Zwischenaufenthalt in F. , wo man nach einem Sexshop suchte, waren der Angeklagte und L. am nächsten Morgen wieder zu Hause.
2. Der Angeklagte hat bestritten, H. getötet zu haben. Zunächst hatte er sich um ein falsches Alibi bemüht. Später hat er seine Angaben dem jeweiligen Ermittlungsstand angepaût. Zuletzt hat er angegeben, zur Tatzeit bei H. gewesen zu sein und ihm seine Lügengeschichten offenbart zu haben. Dieser sei von ihm enttäuscht gewesen und habe ihn aufgefordert zu gehen. Dies habe er getan. Wie und warum er Geldbeutel und Mobiltelefon mitgenommen habe, wisse er nicht. Als er es bemerkt habe, habe er sich gesorgt, daû er seinen Freund "schon wieder ... enttäuscht habe".
Die Strafkammer, die sich weder hinsichtlich des genauen Geschehensablaufs in der Wohnung noch hinsichtlich des Tatmotivs auf Zeugenaussagen stützen konnte, hat sich mit rechtsfehlerfreien Erwägungen davon überzeugt, daû der Angeklagte H. getötet hat. Ein Motiv, das zur Annahme von Mord führen würde, konnte sie dagegen nicht feststellen.
Hätte der Angeklagte H. getötet, um das Darlehen nicht zurückzahlen zu müssen, läge aus Habgier begangener Mord vor (vgl. BGH NJW 1993, 1664, 1665 m. w. N.), wäre es (auch) um die Wertgegenstände von H. gegangen, in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge (vgl. BGHSt 39, 100).
Niedrige Beweggründe im Sinne des § 211 StGB kämen in Betracht, wenn der Angeklagte eigenes, zwar nicht strafbares, aber ehrenrühriges Verhalten hätte verdecken wollen (vgl. BGH NStZ 1987, 81).
Von alledem geht auch die Strafkammer aus. Sie konnte jedoch nicht ausschlieûen, daû der Angeklagte H. nur aufgesucht hat, um eine Aussprache herbeizuführen und sich erst in deren Verlauf voller Verzweiflung über die drohende groûe Schande zur Tötung entschlossen hat. Dementsprechend scheide Habgier aus, weil es ihm nicht um Bereicherung gegangen sei; bei der Furcht vor Schande handle es sich jedenfalls im Hinblick auf den hohen Grad seiner seelischen Erregung nicht um einen niedrigen Beweggrund.
3. Kann der Tatrichter tatsächliche Zweifel nicht überwinden und zieht die danach gebotene Konsequenz (hier: Verurteilung wegen Totschlags statt wegen Mordes), so hat dies das Revisionsgericht regelmäûig hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters; es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte.
Demgegenüber kann ein Urteil keinen Bestand haben, wenn die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft ist. Dies ist etwa der Fall, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, nicht alle wesentlichen Feststellungen in die Erwägungen einbezieht oder naheliegende Möglichkeiten unerörtert läût (st. Rspr., vgl. nur BGH Urteil vom 12. Juni 2001 - 1 StR 190/01; wistra 1999, 338, 339 m. w. N.).
Ist eine Vielzahl einzelner Erkenntnisse angefallen, so ist eine Gesamtwürdigung vorzunehmen. Ein auf einen feststehenden Kern gestütztes Beweisanzeichen , dessen Bedeutung für sich genommen unklar bleibt, kann nicht vorab isoliert nach dem Zweifelssatz beurteilt werden. Beweisanzeichen können nämlich in einer Gesamtschau wegen ihrer Häufung und gegenseitigen Durchdringung die Überzeugung von der Richtigkeit eines Vorwurfs begründen (vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 24; BGH Urteil vom 15. Juli 1998 - 1 StR 243/98 jew. m. w. N.). Hat der Angeklagte Angaben gemacht, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine (ausreichenden) Beweise gibt, sind diese in die Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses einzubeziehen und nicht ohne weiteres als unwiderlegt dem Urteil zu Grunde zu legen. Ihre Zurückweisung erfordert nicht, daû sich das Gegenteil der Behauptung positiv feststellen lieûe (vgl. nur BGHR StPO § 261 Einlassung 5, 6; Engelhardt in KK 4. Aufl. § 261 Rdn. 28 jew. m. w. N.). Auch im übrigen gebietet es der Zweifelssatz nicht, zugunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH NJW 1995, 2300; Urteil vom 12. Dezember 2001 - 3 StR 303/01 m. w. N.).
An alledem gemessen, enthält die Beweiswürdigung der Strafkammer den Angeklagten begünstigende Rechtsfehler.

II.


1. Die Strafkammer geht zutreffend davon aus, daû es gegen eine spontane und für eine geplante Tat spreche, wenn der Angeklagte das - nicht mehr auffindbare - Tatmesser zum Tatort mitgebracht hätte.

Dies konnte sie jedoch nicht feststellen.

a) Sie führt aus, gegen ein Mitbringen des Messers spreche schon, daû dieses Messer bei der polizeilichen Kontrolle auf der Hinfahrt nicht bemerkt werden konnte. Demgegenüber sei bei dieser Gelegenheit in der Aktentasche des Angeklagten ein Metallhandschuh gefunden worden, dessen Bedeutung (Handschutz beim Zuschneiden) der Angeklagte den kontrollierenden Beamten auf deren Nachfrage im einzelnen erläutert habe. Die Strafkammer folgert daraus , daû bei dieser Kontrolle auch ein im Pkw befindliches Messer gefunden worden wäre und Anlaû zu Erörterungen gegeben hätte.
Diese Erwägungen sind im Ansatz nicht zu beanstanden.
Im einzelnen ergeben die Ausführungen der Strafkammer jedoch von ihr nicht erörterte Gesichtspunkte, die dagegen sprechen, daû der Pkw überhaupt kontrolliert wurde. Selbst wenn man der Strafkammer aber insoweit folgt, sind die Feststellungen zu dem Metallhandschuh widersprüchlich und unklar.
aa) Die Strafkammer hat festgestellt, daû am Tattag auf der vom Angeklagten und dem Zeugen L. benutzten Bundesautobahn zahlreiche Kraftfahrzeuge im Rahmen einer Drogenfahndung kontrolliert wurden. Schriftliche Unterlagen darüber, daû auch das hier in Rede stehende Fahrzeug kontrolliert wurde, gibt es nicht; jedoch hätten der Angeklagte und der Zeuge L. die Kontrolle und ihren Ablauf weitgehend übereinstimmend geschildert. Eine Differenz in den Schilderungen gäbe es allerdings insofern, als nur L. behauptet habe, daû auch die Führerscheine kontrolliert worden seien.

Zum Zeitpunkt der Kontrolle steuerte der Angeklagte das Fahrzeug. Er hat keinen Führerschein. Hätte es, wie L. behauptet, eine Führerscheinkontrolle gegeben, läge zumindest nahe, daû dies festgestellt worden wäre. Ebenso nahe liegt, daû es dann schriftliche Unterlagen über die Kontrolle dieses Fahrzeugs gäbe.
Es erscheint aber auch fernliegend und hätte daher näherer Begründung bedurft, daû, wie der Angeklagte behauptet, Polizeibeamte ein Fahrzeug intensiv und zeitaufwendig durchsuchen, mit dem Fahrer dabei über einen in einer Aktentasche aufgefundenen Metallhandschuh debattieren und bei alledem nicht überprüfen, ob der Fahrer eine Fahrerlaubnis hat.
bb) Die Angaben des Angeklagten und die von L. zum Ablauf der Kontrolle differierten nur hinsichtlich der Führerscheinkontrolle. Danach haben beide das Auffinden des Metallhandschuhs übereinstimmend geschildert. Damit unvereinbar ist jedoch, daû der Metallhandschuh "nach Einlassung des Angeklagten" zu Nachfragen führte, während L. "hiervon" nichts berichtet hat. Beruhten die Feststellungen zum Auffinden des Metallhandschuhs nur auf den sonst durch nichts bestätigten Angaben des Angeklagten, wären sie aber, zumal unter Berücksichtigung seines übrigen Aussageverhaltens, nicht ohne weiteres als unwiderlegt den Feststellungen zu Grunde zu legen.

b) Diesen Maûstab hat die Strafkammer (auch) an die Erklärung des Angeklagten angelegt, er habe seine Aktentasche allein deshalb mit in die Wohnung von H. mitgenommen, weil sich darin (wohl zusätzlich zu dem Metallhandschuh) Hochzeitsbilder befunden hätten, die er ihm habe zei-
gen wollen. Die Strafkammer sieht diese Einlassung zwar als "wenig glaubhaft" an, sie sei aber "letztlich nicht zu widerlegen". Die Strafkammer brauchte sich jedoch nicht, wie sie es getan hat, durch eine sonst nicht belegte, wenig glaubhafte Einlassung des Angeklagten daran gehindert zu sehen, aus einem als solchen feststehenden Beweisanzeichen (der Angeklagte führte eine Aktentasche mit sich) einen Schluû zum Nachteil des Angeklagten (in der Aktentasche, die er ohne sonst erkennbaren Grund mit in die Wohnung nahm, befand sich ein Messer) zu ziehen.
2. Die Strafkammer hat auch die Lüge des Angeklagten zu den fehlenden Parkmöglichkeiten am Wohnhaus des H. nur isoliert und auch sonst nicht rechtsfehlerfrei bewertet. Sie verkennt zwar nicht, daû dieses Verhalten des Angeklagten, mit dem er verhindert hat, daû der auf ihn hindeutende Pkw in der Nähe des Tatorts gesehen werden konnte, für einen vorgefaûten Tatplan sprechen könnte. Sie meint aber, der Angeklagte habe möglicherweise einen lautstarken Streit mit H. vorausgesehen und befürchtet, L. könne diesen Streit mitbekommen, wenn der Pkw in unmittelbarer Nähe des Hauses parken würde. Konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für diese Variante sind jedoch nicht ersichtlich; darüber hinaus ist auch nicht erörtert, wie sie mit einer durch Vorwürfe H. s ausgelösten Spontantat vereinbar ist.
3. Schlieûlich sind auch Gesichtspunkte, die gegen die Annahme einer ungewöhnlichen Verzweiflung wegen der drohenden groûen Schande sprechen können, nicht erkennbar erörtert.

a) Der Angeklagte hatte die Arbeit bei seinem Bruder aufgegeben und sich statt dessen hauptsächlich in Spielhallen aufgehalten. Dies war der Fami-
lie bekannt, die ihn gleichwohl finanziell zumindest zeitweilig weiter unterstützte. Die Angehörigen wuûten auch, daû der Angeklagte das Darlehen von H. absprachewidrig nicht dazu verwendet hatte, sich an den Kosten des neuen Pkws zu beteiligen. Es ist nicht ersichtlich, daû all dies zu einem besonderen Ehrverlust des Angeklagten gegenüber seiner Familie geführt hätte, oder daû gar die Familie deshalb in Schande geraten sei. Unter diesen Umständen verdeutlichen die Hinweise auf Herkunft und enge familiäre Bindung des Angeklagten nicht, warum er demgegenüber schwere Schande befürchtete , wenn (auch) offenbar würde, daû seine Behauptung über seine angebliche Tätigkeit in D. eine Lüge war.

b) Nach der Tat hat der Angeklagte Spuren beseitigt, Wertgegenstände seines Opfers an sich gebracht, dem Zeugen L. genau erklärt, warum er jetzt doch keinen Computer dabei hatte und sich an der Suche nach einem Sexshop beteiligt. Dieses Verhalten erscheint insgesamt zielgerichtet, überlegt und unauffällig. Es wäre daher zu erörtern gewesen, wie dies mit der Annahme vereinbar ist, der Angeklagte habe kurz zuvor aus spontan entstandener groûer Verzweiflung seinen Freund erstochen.

III.


1. Nach alledem sind die tatsächlichen Grundlagen zur Verneinung von Habgier und niedrigen Beweggründen nicht rechtsfehlerfrei festgestellt. Da die Sache deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung bedarf, können die in der Revisionsbegründung der Beschwerdeführerin vom 2. November 2001 und im Antrag des Generalbundesanwalts vom 28. November 2001 im einzelnen vor-
getragenen weiteren Bedenken gegen die Verneinung niedriger Beweggründe auf sich beruhen.
2. Die Urteilsaufhebung umfaût das gesamte Urteil. Da die Wegnahme von Geld und Mobiltelefon nicht in Tatmehrheit zu dem Tötungsdelikt steht, geht die Revisionsbeschränkung der Staatsanwaltschaft auf das Tötungsdelikt ins Leere (vgl. BGH b. Kusch NStZ-RR 1998, 257, 262 f m. w. N.).
Schäfer Nack Wahl Schluckebier Kolz

(1) Über die Verpflichtung zur Entschädigung entscheidet das Gericht in dem Urteil oder in dem Beschluß, der das Verfahren abschließt. Ist die Entscheidung in der Hauptverhandlung nicht möglich, so entscheidet das Gericht nach Anhörung der Beteiligten außerhalb der Hauptverhandlung durch Beschluß.

(2) Die Entscheidung muß die Art und gegebenenfalls den Zeitraum der Strafverfolgungsmaßnahme bezeichnen, für die Entschädigung zugesprochen wird.

(3) Gegen die Entscheidung über die Entschädigungspflicht ist auch im Falle der Unanfechtbarkeit der das Verfahren abschließenden Entscheidung die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung zulässig. § 464 Abs. 3 Satz 2 und 3 der Strafprozeßordnung ist entsprechend anzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 551/12
vom
25. April 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts des versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. April
2013, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Dr. Quentin,
Reiter
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter für die Nebenkläger und ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin für die Nebenklägerin ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger K. , S. und P. wird das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 12. Juli 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Dem Angeklagten lag zur Last, sich des versuchten Totschlags in drei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr und gefährlicher Körperverletzung sowie des unerlaubten Entfernens vom Unfallort schuldig gemacht zu haben, indem er mit einem Pkw unter billigender Inkaufnahme tödlicher Verletzungen auf die Nebenkläger zufuhr und sich ohne anzuhalten entfernte, nachdem der Nebenkläger K. von seinem Fahrzeug erfasst und erheblich verletzt worden war. Das Landgericht hat den Angeklagten von allen Vorwürfen freigesprochen. Hiergegen haben die Nebenkläger und die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Die Nebenkläger streben jeweils eine Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Totschlags und eines tateinheitlich begangenen vollendeten Körperverletzungsdeliktes an. Die Staatsanwaltschaft beanstandet die Annahme der Voraussetzungen des § 33 StGB und die Verneinung eines bedingten Tötungsvorsatzes. Die Revision der Staatsanwaltschaft wird von dem Generalbundesanwalt vertreten, soweit sie sich gegen die Annahme einer Notwehrüberschreitung nach § 33 StGB wendet. Die Rechtsmittel haben Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte war Mitglied der NPD und weiterer Zusammenschlüsse von Personen mit rechtsradikaler Gesinnung. Er nahm an Veranstaltungen mit entsprechender politischer Ausrichtung teil und kandidierte im Jahr 2011 für die NPD bei der Landtagswahl in . Am 4. August 2011 wurde er von Personen aus dem linken Spektrum als Rechtsradikaler „geoutet“ und daraufhin in einschlägigen Internetblogs beschimpft. Bei einem am 28. September 2011 mit einem Gesinnungsgenossen im Internet geführten Dialog berichtete der Angeklagte über eine gegen ihn gerichtete anonyme Schmähung. Dabei erklärte er, nur darauf zu warten, „dass einer mal angreift“ und er den dann „endlich mal die Klinge fressen lassen“ könne. Als ihm sein Dialogpartner beipflichtete , schrieb der Angeklagte weiter: „Ja! Das Schöne daran, es wäre sogar Notwehr! Man stelle sich das mal bildlich vor! So ne Zecke greift an und du ziehst n Messer. Die Flachzange klappt zusammen und rührt sich nicht mehr. Das muss doch ein Gefühl sein, wie wenn man kurz vor dem Ejakulieren ist!“
4
Am 1. Oktober 2011 sollte eine von dem Angeklagten und der „ “, der der Angeklagte angehörte, ausgerichtete so- genannte „Soli-Party“ auf einer Ackerfläche in B. stattfinden. Auf dieser Party sollte Geld für eine von dem Angeklagten für den 22. Oktober 2011 angemeldete Demonstration erwirtschaftet werden. Im Vorfeld war den der linken Szene zuzuordnenden Nebenklägern K. , P. und S. sowie fünf weiteren Personen bekannt geworden, dass für ortsunkundige Besucher dieser „Party“ für die Zeit zwischen 19.00 Uhr und 19.30 Uhr eine Person auf einem Pendlerparkplatz bereitstehen würde, die den Weg zum Veranstaltungsgelände weisen sollte. Die Nebenkläger und ihre Begleiter fuhren deshalb in zwei Fahrzeugen zu dem ihnen bekannten Pendlerparkplatz , um vor Ort weitere Informationen für ihr Vorgehen zu sammeln und eine Weiterleitung von Besuchern zum Veranstaltungsgelände zu verhindern. Dabei planten sie den Einsatz körperlicher Gewalt und nahmen mögliche Verletzungen der dort anzutreffenden Kontaktperson billigend in Kauf.
5
Zwischen 19.00 Uhr und 19.15 Uhr entdeckten der Nebenkläger S. und ein Begleiter bei einer Erkundungsfahrt den ihnen als führendes Mitglied der rechten Szene bekannten Angeklagten, der am Steuer seines im hinteren Teil des Pendlerparkplatzes abgestellten Pkw Mitsubishi Colt saß und die Rolle der angekündigten Kontaktperson übernommen hatte. Sie trafen sich daraufhin mit den übrigen Nebenklägern und deren Begleitern auf einem kleineren Parkplatz, der gegenüber dem Pendlerparkplatz auf der anderen Seite des Flusslaufs liegt und für den Angeklagten nicht einsehbar war.
6
Etwa gegen 19.15 Uhr begaben sich die dunkel gekleideten Nebenkläger mit zwei Begleitern (insgesamt fünf Personen) zu Fuß zu einer kleinen Brücke, die über den Flusslauf zur L. straße und dem Pendlerparkplatz führte, um den Angeklagten dort anzugreifen und notfalls unter Einsatz von körperlich wirkender Gewalt zu vertreiben. Dabei führte S. eine Dose mit Pfefferspray mit, während einer seiner Begleiter Handschuhe trug, die zur Erhöhung der Schlagkraft und zur Vermeidung von Handverletzungen im Bereich der Knöchel mit Quarzsand gefüllt waren. Auf dem Weg vermummten sich die Nebenkläger und ihre Begleiter mit Sturmhauben, Kapuzen und anderen schwar- zen Textilien. Zwischenzeitlich hatte der Angeklagte seinen Standort verändert, nachdem er ein ziviles Polizeifahrzeug wahrgenommen hatte, von den Beamten aber nicht bemerkt worden war. Er befand sich nun mit seinem Pkw im vorderen Bereich des Pendlerparkplatzes nur wenige Meter von der ersten Ausfahrt entfernt. Sein Fahrzeug war dabei in Richtung der Ausfahrt eingeparkt. Der Angeklagte saß bei geöffnetem Seitenfenster auf dem Fahrersitz und telefonierte mit dem auf dem Festgelände befindlichen Zeugen A. .
7
Als der Nebenkläger S. bei der Überquerung der Brücke den Angeklagten entdeckte, rief er aus: „Das ist er!“ und zog den Sicherungs- splint aus der Pfefferspraydose. Daraufhin beschleunigte die Gruppe ihren Schritt und versuchte die L. straße schräg in Richtung der noch ca. 14 Meter von der Brücke entfernten ersten Ausfahrt des Pendlerparkplatzes zu überqueren. Als der Angeklagte die vermummte Personengruppe bemerkte und deren Vorhaben erkannte, teilte er seinem Gesprächspartner A. mit, dass er von „Zecken“ angegriffen werde und warf sein Mobiltelefon auf den Bei- fahrersitz.
8
Der Angeklagte befürchtete zu Recht, körperlich attackiert zu werden. Er geriet nicht ausschließbar in Panik und beschloss zu flüchten. Dazu startete er sein Fahrzeug und fuhr mit Vollgas beschleunigend über die erste Ausfahrt auf die L. straße und dann nach links auf die Personengruppe mit den Nebenklägern zu, die sich zu diesem Zeitpunkt wenige Meter von der Brücke entfernt in Richtung des Angeklagten auf der Straße befand. Jedenfalls die drei Nebenkläger hielten sich zu diesem Zeitpunkt in der Mitte der Straße bzw. der in Fahrtrichtung des Angeklagten rechten Fahrbahnhälfte und damit in dessen direktem Fahrweg auf. Als der Angeklagte sein Fahrzeug beschleunigte, war ihm bewusst, dass er die Nebenkläger in die erhebliche Gefahr brachte, ohne eine Ausweichbewegung ihrerseits von seinem Fahrzeug erfasst und hierbei verletzt zu werden. Eine Verletzung der drei Nebenkläger, jedenfalls im Rahmen einer Ausweichbewegung, nahm er billigend in Kauf (UA 11). Auch eine „leichte Kollision“ und ein nicht ausschließbares „leichtes Anfahren“ wurden von ihm für möglich gehalten und gebilligt (UA 38). Der Angeklagte rechnete jedoch nicht damit, dass er eine der Personen oder gar mehrere überfahren könnte und nahm ihren Tod nicht billigend in Kauf. Vielmehr ging er davon aus, dass sie die Straße noch rechtzeitig räumen würden, was ihnen sowohl räumlich als auch zeitlich möglich gewesen wäre (UA 11 f.).
9
Die Nebenkläger P. und S. konnten sich vor dem schnell herannahenden Fahrzeug des Angeklagten durch einen Sprung zur Seite retten. K. sprang – obwohl er die Möglichkeit dazu gehabt hätte – aus ungeklärtem Grund nicht zur Seite, sondern auf die Motorhaube des auf ihn zu diesem Zeitpunkt mit einer Geschwindigkeit von 25-30 km/h zukommenden Fahrzeugs. Dabei prallte er mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe und wurde abgeworfen. Er stürzte mit dem Hinterkopf auf die Fahrbahndecke und blieb schwer verletzt liegen.
10
Der Angeklagte, der erkannt hatte, dass K. durch den Aufprall schwer verletzt oder sogar getötet worden sein konnte, fuhr mit seinem Fahrzeug davon, weil er zu Recht Vergeltungsmaßnahmen der vermummten Begleiter von K. befürchtete. Als er nach etwa zwei Minuten auf ein Polizeifahrzeug traf, hielt er dieses an und offenbarte sich den Beamten (UA 12).
11
Durch die Kollision mit dem Fahrzeug des Angeklagten erlitt K. insbesondere eine lebensgefährliche Hirnblutung sowie diverse Häma- tome und Schürfwunden. Aufgrund der Hirnblutung kam es bei ihm zu einer motorischen Aphasie. Er musste intensivmedizinisch behandelt werden und sich einer einmonatigen stationären Rehabilitationsmaßnahme zum Wiedererlernen der Sprachfähigkeit unterziehen. Derzeit leidet er noch an temporären Wortfindungsstörungen und einem defekten Mundschluss sowie Angstgefühlen. Ob es zu weiteren Spätfolgen kommen wird, ist ungewiss (UA 13).
12
Der Angeklagte hätte eine Gefährdung seiner körperlichen Unversehrtheit auch dadurch vermeiden können, dass er den Pendlerparkplatz über die zweite Ausfahrt verlassen hätte oder von der ersten Ausfahrt nicht nach links, sondern nach rechts abgebogen und davongefahren wäre. Eine Beeinträchtigung seiner Verteidigungs- und Selbstschutzchancen wäre hierdurch in beiden Fällen nicht eingetreten (UA 12). Bei einem Ausfahren über die zweite Ausfahrt wäre ein Kontakt mit den Angreifern allerdings nicht ausgeschlossen gewesen, weil sich der Zeuge H. , der zu der Gruppe um die Nebenkläger gehörte, bereits in der Nähe befand (UA 39).
13
2. Das Landgericht ging davon aus, dass der Angeklagte die Tatbestände der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des Nebenklägers K. (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB) und der versuchten gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil der Nebenkläger P. und S. (§ 224 Abs. 1 Nr. 2, § 22 StGB) verwirklicht hat. Außerdem erfülle sein Verhalten die Voraussetzungen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, wobei er durch die Tat eine schwere Gesundheitsbeschädigung bei einem anderen Menschen verursacht habe (§ 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3, § 315 Abs. 3 Nr. 2 StGB). Eine Rechtfertigung durch Notwehr nach § 32 StGB scheide aus. Zwar sei der Angeklagte einem gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriff der Nebenkläger ausgesetzt gewesen, doch habe sich seine Abwehrmaßnahme nicht im Rahmen des Erforderlichen gehalten. Dem Angeklagten sei es möglich gewesen, sich dem Geschehen durch ein Wegfahren in Gegenrichtung zu entziehen. Angesichts der offensichtlichen Gefährlichkeit seines Verhaltens habe er diese Möglichkeit ergreifen und „flüchten müssen“. Drohe dem Angegriffenen selbst keine Lebensgefahr, könne auch die Flucht ein Verteidigungsmittel sein, wenn das stattdessen eingesetzte Abwehrmittel mit Lebensgefahren für den Angreifer verbunden sei. Der Angeklagte sei aber nicht ausschließbar nach § 33 StGB entschuldigt, da er aus Verwirrung, Angst und Schrecken die Grenzen der Notwehr überschritten habe (UA 43). Der Tatbestand des § 142 StGB sei nicht erfüllt, weil dem Angeklagten nicht zugemutet werden konnte, am Unfallort zu verbleiben. Er habe sich entschuldigt entfernt und sofort nachträglich die erforderlichen Feststellungen ermöglicht.

II.


14
Die gegen den Freispruch gerichteten Revisionen der Nebenkläger und die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft haben schon deshalb Erfolg, weil die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe aufgrund eines Notwehrexzesses im Sinne des § 33 StGB ohne Schuld gehandelt, nicht tragfähig begründet ist.
15
1. Eine Entschuldigung wegen einer Überschreitung der Grenzen der Notwehr nach § 33 StGB setzt voraus, dass der Täter in einer objektiv gegebenen Notwehrlage (§ 32 Abs. 2 StGB) bei der Angriffsabwehr die Grenzen des Erforderlichen aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschritten hat (vgl. BGH, Urteil vom 31. Januar 2003 – 4 StR 267/02, NStZ 2003, 599, 600 mwN). Von einer Angriffsabwehr kann dabei nur die Rede sein, wenn der Täter nicht nur in Kenntnis der die Notwehrlage begründenden Umstände, sondern auch mit Verteidigungswillen gehandelt hat (BGH, Urteil vom 1. Juli 1952 – 1 StR 119/52, BGHSt 3, 194, 198; LK/Zieschang, StGB, 12. Aufl., § 33 Rn. 48; Heinrich, Strafrecht Allgemeiner Teil, 3. Aufl., Rn. 590; Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 6. Aufl., § 12 Rn. 149a).
16
a) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte im Zeitpunkt des Anfahrens des Nebenklägers K. und des Beinahe-Zusammenstoßes mit den Nebenklägern P. und S. einem gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff ausgesetzt war und sich deshalb objektiv in einer Notwehrlage befand (§ 32 Abs. 2 StGB).
17
Ein Angriff ist bereits dann gegenwärtig, wenn sich die durch das Verhalten der Angreifer begründete Gefahr so verdichtet hat, dass ein Hinausschieben der Abwehrhandlung unter den gegebenen Umständen entweder deren Erfolg gefährden oder den Verteidiger zusätzlicher nicht mehr hinnehmbarer Risiken aussetzen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 8. März 2000 – 3 StR 67/00, NStZ 2000, 365; Beschluss vom 11. Dezember 1991 – 2 StR 535/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 5; Urteil vom 26. August 1987 – 3 StR 303/ 87, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 1). Nach den Feststellungen waren die Nebenkläger und ihre Begleiter im Begriff, den Angeklagten in seinem Fahrzeug körperlich anzugreifen. Dazu bewegten sie sich schnellen Schrittes auf ihn zu und hatten nur noch wenige Meter zu überwinden. Angesichts der zahlenmäßigen Überlegenheit der Angreifer und ihrer Bewaffnung (Reizgas, präparierte Handschuhe) hätte ein Zuwarten den Angeklagten der Gefahr ausgesetzt, nicht mehr rechtzeitig reagieren zu können oder wichtige Handlungsoptionen zu verlieren.
18
Da der Angriff der Nebenkläger und ihrer Begleiter auf den Angeklagten in Widerspruch zur Rechtsordnung stand, war er auch rechtswidrig (BGH, Urteil vom 23. September 1997 – 1 StR 446/97, NJW 1998, 1000).
19
b) Dagegen ist die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich mit dem Zufahren auf die Nebenkläger gegen deren Angriff verteidigt, nicht rechtsfehlerfrei begründet. Aufgrund seiner Feststellungen zur Tatvorgeschichte hätte sich das Landgericht an dieser Stelle mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob das Vorgehen des Angeklagten auch von dem erforderlichen Verteidigungswillen getragen war.
20
aa) Wird von dem Angegriffenen in einer Notwehrlage ein Gegenangriff auf Rechtsgüter der Angreifer geführt (sog. Trutzwehr), kann darin nur dann eine Angriffsabwehr gesehen werden, wenn in diesem Vorgehen auch tatsächlich der Wille zum Ausdruck kommt, der drohenden Rechtsverletzung entgegenzutreten (BGH, Urteil vom 2. Oktober 1953 – 3 StR 151/53, BGHSt 5, 245, 247; Urteil vom 19. März 1968 – 1 StR 648/67, MDR 1969, 15, 16 bei Dallinger; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 32 Rn. 25; Schmidhäuser, GA 1991, 91, 132; ders., JZ 1991, 937, 939; Schünemann, GA 1985, 341, 371; Welzel, Das deutsche Strafrecht, 11. Aufl., S. 86; vgl. Alwart, GA 1983, 433, 448 ff.). Dazu reicht allein die Feststellung, dass dem Angegriffenen die Notwehrlage bekannt war, nicht aus. Die subjektiven Voraussetzungen der Notwehr sind erst dann erfüllt, wenn der Gegenangriff zumindest auch zu dem Zweck geführt wurde, den vorangehenden Angriff abzuwehren. Dabei ist ein Verteidigungswille auch dann noch als relevantes Handlungsmotiv anzuerkennen, wenn andere Beweggründe (Vergeltung für frühere Angriffe, Feindschaft etc.) hinzutreten. Erst wenn diese anderen Beweggründe so dominant sind, dass hinter ihnen der Wille das Recht zu wahren ganz in den Hintergrund tritt, kann von einem Abwehrverhalten keine Rede mehr sein (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 2011 – 5 StR 328/11, NStZRR 2012, 84, 86; Urteil vom 31. Januar 2007 – 1 StR 429/06, NStZ 2007, 325, 326; Urteil vom 12. Februar 2003 – 1 StR 403/02; NJW 2003, 1955, 1957 f.; Beschluss vom 8. März 2000 – 3 StR 67/00, NStZ 2000, 365, 366; Beschluss vom 23. August 1991 – 2 StR 360/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigungswille 1; Beschluss vom 5. November 1982 – 3 StR 375/82, NStZ 1983, 117; Urteil vom 4. September 1979 – 5 StR 461/79, GA 1980, 67, 68; Urteil vom 1. Juli 1952 – 1 StR 119/52, BGHSt 3, 194, 198). Hieran ist trotz in der Literatur geäußerter Kritik (vgl. LK/Rönnau/Hohn, StGB, 12. Aufl., § 32 Rn. 266; Matt/ Renzikowski/Engländer, StGB, § 32 Rn. 63; MünchKommStGB/Erb, 2. Aufl., § 32 Rn. 241; Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 32 Rn. 63; Prittwitz, GA 1980, 381 ff.; Rath, Das subjektive Rechtfertigungselement, 2002, S. 241 f.; Waider, Die Bedeutung der Lehre von den subjektiven Rechtfertigungselementen für Methodologie und Systematik des Strafrechts, 1970, S. 91 ff.) festzuhalten.
21
bb) Die Äußerungen des Angeklagten im Vorfeld der Geschehnisse, wo- nach er nur darauf warte, „dass einer mal angreift“ und er den dann „endlich mal die Klinge fressen lassen“ könne, wie auch das damit verbundene begeis- terte Ausmalen eines Szenarios, in dem es zur Tötung eines politischen Geg- ners („Zecke“) in einer Notwehrsituation kommt, lassen es nicht als fernliegend erscheinen, dass er den Angriff der Nebenkläger lediglich zum Anlass genommen hat, gegen sie Gewalt zu üben. Dem entspricht es, dass es das Landgericht an anderer Stelle im Zusammenhang mit diesen Äußerungen selbst für möglich gehalten hat, dass der Angeklagte auf die Nebenkläger und ihre Begleiter zugefahren ist, um sie unter Inkaufnahme von Verletzungen „springen“ zu lassen (UA 39). Vor diesem Hintergrund konnte das Landgericht nicht ohne nähere Begründung davon ausgehen, dass der Angeklagte bei seinem Vorgehen gegen die Nebenkläger zumindest auch von dem Willen geleitet war, das Recht zu wahren. Die ausführliche Bewertung der Äußerungen des Angeklagten vom 28. September 2011 und seiner daraus abzuleitenden Haltung gegenüber den Nebenklägern im Zusammenhang mit der Prüfung eines bedingten Tötungsvorsatzes (UA 36) kann die fehlenden Ausführungen zum Verteidigungswillen nicht ersetzen.
22
2. Die Sache bedarf schon aus diesem Grund neuer Verhandlung und Entscheidung. Eine Aufrechterhaltung von Feststellungen zur Tatvorgeschichte und zum Tatgeschehen kam nicht in Betracht, weil dies den nicht geständigen Angeklagten belasten würde und er keine Möglichkeit hatte, das Urteil insoweit anzugreifen (BGH, Urteil vom 27. Januar 1998 – 1 StR 727/97, BGHR StPO § 354 Abs. 1 Freisprechung 2; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 353 Rn. 15a mwN).
23
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
24
a) Eine Körperverletzung mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) begeht, wer sein Opfer durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes gefährliches Tatmittel im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB körperlich misshandelt oder an der Gesundheit beschädigt (BGH, Beschluss vom 25. April 2012 – 4 StR 30/12, NStZ 2012, 697, 698; Beschluss vom 30. Juni 2011 – 4 StR 266/11, Rn. 5; Beschluss vom 12. Januar 2010 – 4 StR 589/09, NStZ-RR 2010, 205, 206; Beschluss vom 16. Januar 2007 – 4 StR 524/06, NStZ 2007, 405). Fährt der Täter mit einem Pkw auf eine oder mehrere Personen zu, ist der innere Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB nur dann erfüllt, wenn er dabei billigend in Kauf nimmt, dass die betroffenen Personen angefahren werden und unmittelbar durch den Anstoß mit dem fah- renden Pkw eine Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) erleiden. Rechnet der Täter nur mit Verletzungen infolge von Ausweichbewegungen oder bei Stürzen, scheidet die Annahme einer (versuchten) gefährlichen Körperverletzung in der Variante des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB aus.
25
Eine gefährliche Körperverletzung in der Variante des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB (mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung) setzt in subjektiver Hinsicht voraus, dass der Täter die Umstände kennt, aus denen sich in der konkreten Situation die allgemeine Lebensgefährlichkeit seines Vorgehens ergibt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 15; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 224 Rn. 13 mwN). Sollte der neue Tatrichter wiederum zu der Feststellung gelangen, das der Nebenkläger K. aus ungeklärten Gründen auf die Motorhaube des Fahrzeugs des Angeklagten gesprungen und das Vorgehen des Angeklagten erst dadurch für ihn generell lebensgefährdend geworden ist, müsste der Angeklagte auch ein solches Geschehen für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 1992 – 4 StR 607/91, BGHR StGB § 315b Abs. 3 Absicht 1).
26
b) Ergibt sich, dass der Angeklagte in einer objektiv gegebenen Notwehrlage auf die Nebenkläger zugefahren ist und dabei jedenfalls auch mit Verteidigungswillen gehandelt hat, wird erneut zu prüfen sein, ob die Grenzen des Erforderlichen überschritten worden sind.
27
aa) Eine in einer objektiven Notwehrlage begangene Tat ist nach § 32 Abs. 2 StGB gerechtfertigt, wenn sie zu einer sofortigen und endgültigen Abwehr des Angriffs führt und es sich bei ihr um das mildeste Abwehrmittel handelt , das dem Angegriffenen in der konkreten Situation zur Verfügung stand (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140 m. Anm. Erb, HRRS 2013, 113; Urteil vom 21. März 1996 – 5 StR 432/95, BGHSt 42, 97, 100 mwN). Ob dies der Fall ist, muss aus der Sicht eines objektiven und umfassend über den Sachverhalt unterrichteten Dritten in der Situation des Angegriffenen entschieden werden (BGH, Urteil vom 14. Juni 1998 – 3 StR 186/98, BGHR § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 14). Dabei kommt es auf die tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Verteidigungshandlung an (BGH, Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140 m. Anm. Erb, HRRS 2013, 113; Urteil vom 28. Februar 1989 – 1 StR 741/88, NJW 1989, 3027). Da das Notwehrrecht nicht nur dem Schutz der bedrohten Individualrechtsgüter des Angegriffenen, sondern auch der Verteidigung der durch den rechtswidrigen Angriff negierten Rechtsordnung dient (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 1972 – 2 StR 679/71, BGHSt 24, 356, 359), kommen als alternativ in Betracht zu ziehende Abwehrhandlung grundsätzlich nur Maßnahmen in Betracht, die die bedrohte Rechtsposition gegen den Angreifer durchsetzen. Das Gesetz verlangt von einem rechtswidrig Angegriffenen nicht, dass er die Flucht ergreift oder auf andere Weise dem Angriff ausweicht, weil damit ein Hinnehmen des Angriffs verbunden wäre und weder das bedrohte Recht, noch die in ihrem Geltungsanspruch infrage gestellte Rechtsordnung gewahrt blieben (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juni 2004 – 2 StR 82/04, NStZ 2005, 31; Urteil vom 12. Februar 2003 – 1 StR 403/02, NJW 2003, 1955, 1957; Urteil vom 24. Juli 1979 – 1 StR 249/79, NJW 1980, 2263; Urteil vom 21. Dezember 1977 – 2 StR 421/77, BGHSt 27, 313, 314; LK/Rönnau/Hohn, StGB, 12. Aufl., § 32 Rn. 182; MünchKommStGB/Erb, 2. Aufl., § 32 Rn. 118; NK-StGB/ Kindhäuser, 4. Aufl., § 32 Rn. 94 mwN). Etwas anderes kann lediglich dann gelten , wenn besondere Umstände das Notwehrrecht einschränken, etwa weil dem Angriff eine vorwerfbare Provokation des Angegriffenen vorausgegangen ist (vgl. BGH, Urteil vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 141 m. Anm. Erb, HRRS 2013, 113; Urteil vom 30. Juni 2004 – 2 StR 82/04, NStZ 2005, 31) oder der Angegriffene sich sehenden Auges in Gefahr begeben hat (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2002 – 3 StR 503/01, NStZ-RR 2002, 203, 204 m. Anm. Walther, JZ 2003, 52).
28
bb) Daran gemessen wird sich eine Überschreitung der Grenzen des Erforderlichen nicht mit den vom Erstgericht hierzu angestellten Erwägungen begründen lassen. Der Angeklagte war nicht gehalten, sich dem Geschehen durch ein Wegfahren in Gegenrichtung (Flucht) zu entziehen. Auch für die vom Landgericht angestellte Abwägung zwischen den Gefahren, die dem Angeklagten im Fall einer Flucht gedroht hätten und den mit der gewählten Verteidigung verbundenen Gefahren für die Rechtsgüter der angreifenden Nebenkläger, ist kein Raum. Stattdessen wird der neue Tatrichter auf der Grundlage der von ihm dazu getroffenen Feststellungen zu erörtern haben, ob es dem Angeklagten in dem Zeitpunkt der Zufahrt auf die Nebenkläger möglich war, den gegen ihn geführten Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit schonender als geschehen zurückzuweisen. Sollte sich wiederum ergeben, dass der Angeklagte mit Vollgas auf die in seinem Fahrweg laufenden Nebenkläger zugefahren ist, wird dabei gegebenenfalls die Frage beantwortet werden müssen, ob diese die Nebenkläger erheblich gefährdende Fahrweise tatsächlich erforderlich war, um sie von ihrem Angriffsvorhaben abzubringen. Wurde der Nebenkläger K. auch nach den neu getroffenen Feststellungen nur deshalb gravierend verletzt, weil er aus ungeklärtem Grund nicht zur Seite, sondern auf die Motorhaube des Fahrzeugs des Angeklagten sprang, wird auch entschieden werden müssen, ob diese Entwicklung aus der an dieser Stelle maßgeblichen Sicht eines objektiven Beobachters vorhersehbar war. Wäre dies zu verneinen, müsste diese Auswirkung als nicht vorhersehbare Folge bei der vergleichenden Betrachtung mit anderen möglichen Verteidigungshandlungen außer Ansatz bleiben (vgl. für eine andere Fallkonstellation BGH, Urteil vom 14. Juni 1998 – 3 StR 186/98, BGHR § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 14).
29
c) Gelangt der neue Tatrichter zu dem Ergebnis, dass sich der Angeklagte bei der Abwehr des Angriffs der Nebenkläger in den Grenzen des Erforderlichen gehalten hat, entfiele damit auch die Rechtswidrigkeit des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB. Dies hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 26. März 1974 (4 StR 399/73, unter 4.a), insoweit in BGHSt 25, 306; NJW 1974, 1340; MDR 1974, 679; VerkMitt 1974, Nr. 97 und JZ 1974, 621 nicht abgedruckt) implizit bejaht, indem er für einen vergleichbaren Fall die Möglichkeit einer Putativnotwehr und dementsprechend eine Bestrafung wegen fahrlässigen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 StGB) in Betracht zog. Dem steht nicht entgegen , dass § 315b StGB vornehmlich die öffentliche Sicherheit des Straßenverkehrs schützt und die Bewahrung der Individualrechtsgüter der gefährdeten Verkehrsteilnehmer von diesem Schutzzweck lediglich mit umfasst wird (BGH, Urteil vom 4. Dezember 2002 – 4 StR 103/02, BGHSt 48, 119, 123; SSWStGB /Ernemann, § 315b Rn. 1). Zwar vermag Notwehr grundsätzlich nur Eingriffen in die Rechtsgüter des Angreifers die Rechtswidrigkeit zu nehmen (vgl. LK/Rönnau/Hohn, StGB, 12. Aufl., § 32 Rn. 159), doch ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass § 32 StGB ausnahmsweise auch die Verletzung von Universalrechtsgütern zu rechtfertigen vermag, wenn deren Begehung – wie hier – untrennbar mit der erforderlichen Verteidigung verbunden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Dezember 2011 – 2 StR 380/11, NStZ 2012, 452; Beschluss vom 13. Januar 2010 – 3 StR 508/09, NStZ-RR 2010, 140; Beschluss vom 18. Februar 1999 – 5 StR 45/99, NStZ 1999, 347; Beschluss vom 11. Juli 1996 – 1 StR 285/96, StV 1996, 660; Urteil vom 12. Mai 1981 – 5 StR 109/81, NStZ 1981, 299, jeweils zu mit der Notwehrhandlung begangenen Verstößen gegen das Waffengesetz; a.A. LK/Rönnau/Hohn, StGB, 12. Aufl., § 32 Rn. 160; MünchKommStGB/Erb, 2. Aufl., § 32 Rn. 123; NK-StGB/Kindhäuser, 4. Aufl., § 32 Rn. 80 f.; Maatz, MDR 1985, 881, 882).
30
d) Ergibt sich dagegen, dass die Grenzen des Erforderlichen überschritten worden sind, wird sich ein Eingehen auf § 33 StGB anschließen müssen. Dabei wird zu beachten sein, dass eine Exkulpierung nach dieser Vorschrift nur zu rechtfertigen ist, wenn sich der Angeklagte aufgrund der Bedrohung durch die Nebenkläger in einem psychischen Ausnahmezustand mit einem Störungsgrad befunden hat, der eine erhebliche Reduzierung seiner Fähigkeit das Geschehen zu verarbeiten zur Folge hatte (BGH, Urteil vom 30. Mai 1996 – 4 StR 109/96, NStZ-RR 1997, 65, 66; Urteil vom 16. August 1994 – 1 StR 244/94, NStZ 1995, 76, 77; Urteil vom 25. August 1992 – 5 StR 266/92, BGHR StGB § 33 Furcht 2; vgl. Beschluss vom 21. März 2001 – 1 StR 48/01, NStZ 2001, 591, 593; Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 33 Rn. 3; Matt/Renzikowski/Engländer, § 33 Rn. 10; MünchKommStGB/Erb, 2. Aufl., § 33 Rn. 23 mwN). War dies der Fall, kann ein entschuldigender Notwehrexzess auch dann noch anzunehmen sein, wenn die Überschreitung der Notwehrgrenzen durch andere (sthenische) Affekte (Wut, Zorn etc.) mitverursacht worden ist (BGH, Urteil vom 17. Februar 1998 – 1 StR 779/97, StV 1999, 148; Beschluss vom 9. Oktober 1998 – 2 StR 443/98, NStZ-RR 1999, 264; Beschluss vom 11. Juli 1986 – 3 StR 269/86, BGHR StGB § 33 Nothilfe 1). Hierzu bedarf es konkreter Feststellungen und einer wertenden Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände.
31
Das Landgericht hat auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen zutreffend in der von den vermummt auftretenden Nebenklägern ausgehenden Bedrohungslage, der durch den Überraschungseffekt bedingten zuge- spitzten Entscheidungssituation und den Angaben von Zeugen zum psychischen Zustand des Angeklagten unmittelbar nach der Tat wichtige Beweisanzeichen für einen Affekt im Sinne des § 33 StGB gesehen und dem die gegen einen solchen Affekt sprechenden Umstände (gedankliche Vorwegnahme möglicher Angriffe, Wahrscheinlichkeit von gewaltsamen Gegenaktionen) gegenübergestellt (UA 39 ff.). Seine Erwägungen sind jedoch entscheidend von der rechtsfehlerhaften Annahme beeinflusst, dass der Angeklagte die Notwehrgrenzen bereits deshalb überschritten habe, weil er den Ort des Geschehens nicht fluchtartig verließ.
32
Sollte der neue Tatrichter zu einer Erörterung der Voraussetzungen des § 33 StGB gelangen, wird er neben den genannten Gesichtspunkten auch in seine Gesamtwürdigung einzubeziehen haben, dass der Angeklagte bei seiner polizeilichen Einvernahme am 12. Oktober 2011 zwar von „Panik“ berichtet hat, dann aber seine Entscheidung für ein Zufahren auf die Gruppe um die Nebenkläger als das Ergebnis einer Abwägung zwischen verschiedenen Risiken und fahrtechnischen Möglichkeiten schilderte (UA 18). Ein Verhaltensalternativen in den Blick nehmendes Entscheiden kann Ausdruck einer Verarbeitung des Geschehens sein und damit gegen die Annahme einer Störung im Sinne des § 33 StGB sprechen.

III.


33
Durch die Aufhebung des freisprechenden Urteils werden die damit verknüpfte Entschädigungsgrundentscheidung (§ 8 Abs. 1 Satz 1 StrEG) und die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegenstandslos (BGH, Urteil vom 25. März 2010 – 1 StR 601/09, Rn. 20).
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Quentin Reiter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 601/09
vom
25. März 2010
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
25. März 2010, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Hebenstreit,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 4. Juni 2009 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der versuchten schweren räuberischen Erpressung aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Es ist der Ansicht, der Angeklagte sei strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten , weil er freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgegeben habe (§ 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB). Nach der Anklage lag dem Angeklagten zur Last, durch Drohung mit einer Eisenstange versucht zu haben, die in der Gaststätte „M. “ beschäftigte Bedienung S. zu zwingen, ihm 150 Euro zu übergeben, auf die er keinen Anspruch hatte.
2
Gegen diesen Freispruch wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft , die das Verfahren beanstandet und die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht mehr an.
3
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
4
Der Angeklagte hielt sich am Abend des 16. November 2008 mit Freunden in Augsburg in der Gaststätte „M. “ auf und konsumierte 1 ½ Flaschen Wodka sowie nicht alkoholische Getränke. Als der Angeklagte bemerkte, dass er nicht genügend Geld bei sich hatte, um die Zeche zu bezahlen, bat er zunächst eine Bedienung mit dem Namen „A. “, ihm Geld zu leihen, damit er weitere Getränke bestellen könne. Dies lehnte die Bedienung ab, weil sie selbst kein Geld bei sich hatte und aus der Kasse kein Geld nehmen wollte. „Anschreiben lassen“ wollte der Angeklagte nicht, weil er befürchtete, die Rechnung könnte später mehr Getränke enthalten, als er tatsächlich konsumiert hatte.
5
Gegen 2.50 Uhr, als die Bedienung „A. “ ihre Schicht bereits beendet und die Gaststätte verlassen hatte, ging der Angeklagte zur Bar, um nun die dort ebenfalls als Bedienung tätige Zeugin S. aufzufordern, ihm Geld zu leihen. Er legte eine Eisenstange vor sich auf der Theke ab, ohne die Zeugin direkt damit zu bedrohen, und forderte sie auf, ihm 200 Euro zu geben. Dies lehnte die Zeugin mit dem Bemerken ab, sie könne ihm kein Geld geben, weil sie keines habe und sich auch in der Kasse keines befinde. Nun begab sich der Angeklagte mit der Stange in der Hand hinter den Tresen und forderte die Zeugin S. auf, ihm dann zumindest 150 Euro zu geben. Dabei äußerte er, dass er sich häufiger von dem Barinhaber P. Geld leihe, um die Zeche zu bezahlen. Er forderte nun die Zeugin auf, P. anzurufen, damit er ihr erklären könne, dass sie ihm Geld geben könne. Auf die Ankündigung hin, sie werde nach draußen gehen, um P. von dort aus anzurufen und ihn zu fragen, ob sie dem Angeklagten Geld leihen dürfe, ließ der Angeklagte die Zeugin mit dem Telefon in der Hand passieren.

6
Der Angeklagte setzte sich zunächst an die Bar, begab sich dann aber zum Ausgang der Bar und blieb dort im Türrahmen stehen, während die Zeugin S. vor dem Lokal telefonierte. Er ging ihr nicht nach und forderte auch nicht erneut Geld. Vielmehr unterhielt er sich mit anderen Personen und wartete, ob die Zeugin ihm Geld geben werde. Die Zeugin S. rief zunächst den Türsteher D. an, der sich in unmittelbarer Nähe aufhielt. D. begleitete die Zeugin auf den Parkplatz des Lokals, von wo aus sie den Barinhaber P. anrief. Dieser war nicht bereit, dem Angeklagten Geld zu leihen , und bat die Zeugin, die Polizei zu rufen, was sie auch tat. Der Angeklagte hatte nicht mitbekommen, dass sie die Polizei gerufen hatte, und wartete weiterhin auf die Rückkehr der Zeugin S. in dem Glauben, von ihr Geld zu erhalten. Beim Eintreffen der Polizei befand sich der Angeklagte immer noch vor dem Lokal.
7
2. Das Landgericht hat den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Es hatte zwar Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Einlassung des Angeklagten , er habe sich das Geld nur leihen wollen, ist dieser Frage aber nicht näher nachgegangen, weil es „von einem strafbefreienden Rücktritt überzeugt“ war. Das Landgericht ist der Ansicht, der Versuch sei noch nicht beendet gewesen , weil aus der Sicht des Angeklagten „noch nicht alles Nötige getan war, um den Tatbestand zu vollenden“. Er hätte der Zeugin S. während des Telefonats folgen und im Falle einer negativen Antwort erneut Geld fordern können. Dies habe er jedoch nicht getan. Vielmehr habe er die weitere Tatbestandsverwirklichung aufgegeben, während er auf die Rückkehr der Zeugin gewartet habe. Der Versuch sei zu diesem Zeitpunkt auch nicht fehlgeschlagen gewesen, weil der Angeklagte aus seiner Sicht mit dem ihm zur Verfügung stehenden Mittel - der Eisenstange - den Tatbestand hätte vollenden können und lediglich darauf gewartet habe, ob die Zeugin ihm noch Geld geben werde. Ihm sei nicht bekannt gewesen, dass die Zeugin zwischenzeitlich die Polizei gerufen hatte.
8
3. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Urteilsgründe sind lückenhaft; sie sind schon aus diesem Grund nicht geeignet, die Wertung des Landgerichts zu tragen, der Angeklagte sei strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten (unten a). Zudem enthält die rechtliche Würdigung des Landgerichts auch einen Wertungsfehler, weil der Umstand, dass der Angeklagte die Zeugin S. beim Telefonieren nicht begleitet hat, ein Aufgeben der weiteren Tatausführung nicht belegt (unten b). Schließlich kann der Freispruch auch deswegen keinen Bestand haben, weil die Urteilsfeststellungen zumindest eine versuchte Nötigung gegenüber der Zeugin S. , den Barinhaber anzurufen, nahe legen (unten c).
9
a) Die vom Landgericht getroffenen Sachverhaltsfeststellungen sind lückenhaft. Sie lassen eine abschließende Prüfung, ob der Angeklagte vom Versuch der schweren räuberischen Erpressung strafbefreiend zurückgetreten ist, nicht zu.
10
Das Landgericht durfte hier nicht offenlassen, welches Ziel der Angeklagte mit seinem Vorgehen erstrebte und ob überhaupt ein Versuch der räuberischen Erpressung gegeben war. Denn diese Fragen haben Bedeutung für das Vorstellungsbild des Angeklagten zum Zeitpunkt eines möglichen Rücktritts und damit für die Wirksamkeitsvoraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts. Während bei einem unbeendeten Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB die freiwillige weitere Tatausführung zur Straffreiheit führt, setzt ein strafbefreiender Rücktritt bei einem beendeten Versuch voraus, dass der Täter die Vollendung der Tat verhindert (§ 24 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. StGB) oder, wenn die Tat ohne sein Zutun nicht vollendet, dass er sich freiwillig und ernsthaft bemüht hatte, die Vollendung zu verhindern (§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB). Bei einem fehlgeschlagenen Versuch kommt ein strafbefreiender Rücktritt von vornherein nicht in Betracht.
11
Ein beendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter glaubt, alles zur Verwirklichung des Tatbestandes Erforderliche getan zu haben (st. Rspr.; vgl. BGHSt 14, 75, 79). Unbeendet ist der Versuch, wenn er glaubt, zur Vollendung des Tatbestands bedürfe es noch weiteren Handelns. Für die Abgrenzung kommt es dabei auf die Vorstellung des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung an (BGHSt 31, 170, 175; 40, 304, 306). Entscheidend ist, ob der Täter zu diesem Zeitpunkt den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont, vgl. BGHSt 39, 221, 227).
12
Ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB allein durch bloßes Aufgeben der weiteren Tatausführung kam hier daher nur dann in Betracht, wenn der Versuch zu diesem Zeitpunkt noch nicht beendet war.
13
Welche Vorstellung der Angeklagte nach der letzten Ausführungshandlung hatte - als er die Zeugin S. aufgefordert hatte, den Barinhaber P. anzurufen -, lässt das Landgericht hier rechtsfehlerhaft offen. Es stellt lediglich fest, dass der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt weiter darauf wartete, ob die Zeugin ihm Geld geben würde. Ob er dabei glaubte, er erhalte nun vom Barinhaber freiwillig ein Darlehen, oder ob er annahm, er erhalte das Geld (als Darlehen oder ohne Rückgabevereinbarung) allein aufgrund vorangegangener Drohungen mit der Eisenstange, stellt das Landgericht indes nicht fest. Dessen hätte es aber bedurft, um beurteilen zu können, ob überhaupt eine versuchte räuberische Erpressung vorlag, und wenn ja, ob der Versuch unbeendet oder bereits beendet war.
14
Das Landgericht hätte deshalb jedenfalls feststellen müssen, ob der Barinhaber dem Angeklagten bereits früher Geld zur Bezahlung der Zeche geliehen hatte oder nicht. Es hätte weiter erörtern müssen, ob der Angeklagte lediglich einen Betrag forderte, der seiner Zeche entsprach. Die Höhe der geforderten Summe von zunächst 200 Euro und unmittelbar danach von 150 Euro legt nahe, dass der Angeklagte einen Geldbetrag forderte, der seinen Getränkekonsum nicht unerheblich überschritt. Das Landgericht hätte auch Feststellungen zur Herkunft der Eisenstange treffen müssen. Denn es lag nicht nahe, dass der Angeklagte eine Eisenstange zu dem Zweck mitbrachte, damit ein Darlehen zu erlangen, wenn ihm Darlehen in der Vergangenheit auch freiwillig gegeben worden waren. Auch wenn er die Eisenstange erst in der Gaststätte an sich genommen haben sollte, ist deren Verwendung nicht ohne weiteres mit der Einlassung des Angeklagten vereinbar, es sei in dem Lokal durchaus üblich, sich Geld zu leihen. Das Landgericht hätte deshalb auch erörtern müssen, dass der Umstand, dass der Barinhaber bat, die Polizei zu rufen (UA S. 7), gegen die Behauptung des Angeklagten spricht, er habe sich öfters von dem Barinhaber Geld geliehen, um die Zeche zu bezahlen (UA S. 6). Auch die Aussage des Zeugen Ad. , der gegenüber der Gaststätte „M. “ einen Döner-Laden betreibt , die Zeugin S. habe ihm gesagt, sie müsse jetzt telefonieren , weil es im Lokal Schwierigkeiten gebe (UA S. 11), hätte in die Erörterung einbezogen werden müssen.
15
Die Urteilsfeststellungen lassen daher jedenfalls die Möglichkeit offen, dass es sich um einen beendeten Versuch gehandelt hat, bei dem allein die Abstandnahme von der weiteren Tatausführung nicht zu einer Strafbefreiung führen konnte. Dass der Angeklagte sein Tun bereits für eine Tatvollendung für ausreichend erachtet hatte, als die Zeugin S. die Bar verließ, um mit dem Barinhaber P. zu telefonieren, liegt hier sogar nahe. Denn nach den Feststellungen des Landgerichts ging der Angeklagte davon aus, dass die Zeugin den Barinhaber fragen würde, ob sie ihm Geld geben dürfe. Der Angeklagte wartete von da an in dem Glauben auf die Rückkehr der Zeugin, von ihr das geforderte Geld zu erhalten.
16
Zwar kann es bei versuchter räuberischer Erpressung Fälle geben, in denen noch ein unbeendeter Versuch vorliegt, obwohl der Täter glaubt, dass die von ihm vorgenommene Nötigungshandlung ausreicht, um die geforderte Zahlung noch zu erhalten (vgl. BGH StraFo 2007, 422). Es sind dies aber Fälle, in denen zur Tatvollendung noch weitere Handlungen des Täters erforderlich sind, etwa die Vereinbarung eines Zusammentreffens zur Geldübergabe (vgl. BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 34). Anders ist dies aber dann, wenn der Täter davon ausgeht, der Genötigte werde ihm das Geld bringen , ohne dass weiter auf ihn eingewirkt werden muss (vgl. BGHR aaO).
17
b) Selbst wenn hier - wie das Landgericht annimmt - noch ein unbeendeter Versuch in Betracht kommen sollte, würde es jedenfalls an einem freiwilligen Aufgeben der weiteren Tatausführung fehlen.
18
Ein strafbefreiender Rücktritt vom unbeendeten Versuch setzt gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt StGB voraus, dass der Täter freiwillig die weitere Ausführung der Tat im Ganzen und endgültig aufgibt (BGHSt 33, 142, 144 f.; 39, 221, 230). Im vorliegenden Fall fehlt es schon deshalb an einer Abstandnahme von der weiteren Tatausführung, weil der Angeklagte den auf die Erreichung des tatbestandlichen Erfolgs gerichteten Willen nicht aufgegeben hat. Zwar wirkte er nicht weiter aktiv auf die Zeugin S. ein. Er wartete aber weiterhin darauf, dass die Zeugin ihm bei ihrer Rückkehr das geforderte Geld übergeben werde. Allein aus dem Umstand, dass der Angeklagte seine Forderung nicht mehr ausdrücklich erneuert hat, durfte das Landgericht nicht schließen , der Angeklagte habe die weitere Ausführung der Tat aufgegeben. Denn aus Sicht des Angeklagten bemühte sich die Zeugin in einer Rücksprache mit dem Barinhaber, das geforderte Geld zu beschaffen. Für eine Erneuerung der Forderung nach Geld bestand kein Anlass. Eine Abstandnahme von der Tat kann somit in dem Umstand, dass der Angeklagte in der Erwartung der bevorstehenden Geldübergabe keine weiteren Drohungen ausgesprochen und seine Forderung nach Herausgabe von Geld nicht nochmals mit Worten bekräftigt hat, nicht erblickt werden.
19
c) Der Freispruch kann auch deshalb keinen Bestand haben, weil das Landgericht seiner richterlichen Kognitionspflicht nicht ausreichend nachgekommen ist. Danach kommt ein Freispruch nur dann in Betracht, wenn der festgestellte Sachverhalt unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt eine Verurteilung tragen könnte. Hier erfüllt das vom Landgericht festgestellte Geschehen aber zumindest den Tatbestand der versuchten Nötigung (§ 240 Abs. 1 bis 3 StGB) zum Nachteil der Zeugin S.. Denn nach den Urteilsfeststellungen hat der Angeklagte die Zeugin jedenfalls unter der Androhung, die Eisenstange gegen sie einzusetzen, dazu genötigt, den Barinhaber anzurufen - ein aus seiner Sicht notwendiges Zwischenziel zu dem von ihm erstrebten Gelderhalt. Ob der Versuch fehlgeschlagen ist, weil die Zeugin zunächst den Türsteher D. herbeigerufen hat, oder ob die Nötigung deswegen als vollen- det anzusehen ist, weil die Zeugin unter dem fortwirkenden Eindruck der vorangegangenen Bedrohung mit der Eisenstange dann doch noch den Barinhaber angerufen hat, kann der Senat mangels ausreichender Sachverhaltsfeststellungen nicht abschließend prüfen.
20
4. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer tatrichterlicher Prüfung und Entscheidung. Durch die Aufhebung des freisprechenden Urteils wird die Entschädigungsentscheidung gemäß § 8 StrEG ebenso gegenstandslos wie die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft (vgl. BGH, Beschl. vom 22. März 2002 - 2 StR 569/01 - insoweit nicht abgedruckt in NStZ 2002, 439). Wahl Rothfuß Hebenstreit Jäger Sander